Wüste oder Paradies? Um die Zukunft der Sahara
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Wüste oder Paradies? Um die Zukunft der Sahara
Brennholz, wo man's nicht vermutet Als die ersten kühlen Windstöße den Abend ankündigten, machten wir mit unserer Karawane halt. Ringsum waren wir von gelbroten Dünen umgeben, die erstarrten Wogen eines unheimlich stillen Meeres glichen. Die Kamele standen mit gespreizten Beinen und bedenklich geneigten Höckern da. Das Fettpolster war auf der langen Wüstenreise schon arg zusammengeschmolzen. Mit halb gesenkten Augenlidern gaben die Tiere sich tiefsinnigen Betrachtungen über ihr mühseliges Leben hin. Wir brauchten sie nicht zu pflocken1; denn viele Meilen im Umkreis würden sie keine Weide finden. Abd el Malek, unser Kabir2, kannte diese tote Gegend von früheren Reisen her. Als wir einige Tage vorher durch eine Oase zogen, stürzten die Bewohner mit Körben aus ihren Lehmhütten und hefteten sich an die Fersen der Kamele. Es galt, die kostbaren Kugeln zu erhaschen, die den Tieren in kurzem Abstand entfielen. Ich hatte herzlich darüber gelacht. Aber bald wurde ich eines Besseren belehrt, dann nämlich, als Abd el Malek höchstselbst seinem Kamel einen solchen Korb hinten umhing und die anderen seinem Beispiel folgten. Sie sammelten den Kamelmist als Brennmaterial. Aber diesen Vorrat hatten wir nun aufgebraucht. Würden wir heute eine warme Abendsuppe bekommen? Der Kabir, der sich in dieser Öde des rieselnden Sandes prüfend umschaute, sagte nach einer Weile: „Sihdi3, wir werden Feuerung haben. Siehe, dort gibt es^ genug für uns. Allah ist uns gnädig." Ich blickte angestrengt in die angedeutete Richtung. Dort zog sich aber nur ein eintöniger Dünenhang hin, auf dem es für mich gar nichts 1
festzubinden Karawanenführer * „Herrl"
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*u sehen gab. Da faßte mich Abd el Malek am Gürtel und führte mich an die angedeutete Stelle, auf der ich immer noch nichts entdeckte. Endlich sah ich ein stockdürres Etwas aus dem Sande hervorschauen, wenig mehr als handhoch. Der Kabir zog daran, und bald wurde sichtbar, daß das kümmerliche Gewächs eine Wurzel unter dem Sande •erborgen hielt. In etwa 40 cm Tiefe fühlte sich dieser Sand schon feucht und köstlich kühl an. Mit Hilfe eines Spatens waren dann in wenigen Minuten acht Meter Wurzelholz freigelegt; aber immer noch nahm es kein Ende. Bei 21 m — wir haben es feierlich gemessen — verlief sich dieses Wunderwerk in einem Geflecht feinster Wurzeln. Und nun hatten wir freilich genug zum Feuern.
W a n d e r u n g durch e i n e u n w i r k l i c h e W e l t Die Hitze des Tages war längst.in den wolkenlosen Himmel ausgestrahlt und hatte einer grimmigen Kälte Platz gemacht. Das Handtuch, das ich zum Trocknen ausgelegt hatte, war vor Frost steif wie ein Brett. Früh in der Nacht kam der Mond herauf. In seiner milchigen Helle konnte man ohne Mühe lesen. Nach wenigen Stunden Rast trieb Abd el Malek zum Aufbruch. Einer nach dem andern kroch aus seinem Sandloch hervor, und nun bemühten sich zitternde und mit den Zähnen klappernde Gestalten, die in dem fahlen Licht wie Gespenster aussahen, um unsere Tiere. Es ging nach Süden. Die Dünen hörten auf, so plötzlich, daß es aussah, als habe man sie wie eine Tüte Sand auf eine Glasplatte geschüttet. Was sich nun vor uns ausdehnte, war viel phantastischer als das Gewirr von Sandbergen, die wir verlassen hatten. Wir betraten eine vollkommen glatte Ebene. Wir schritten darüber hin wie über einen riesigen, asphaltierten Platz. Schon nach wenigen Stunden war nicht ein Steinchen und kaum noch ein Krümchen knirschender Staub unter den Füßen zu spüren. Früh hob sich der Riesenball der Sonne mit einem Ruck über den Horizont, und nun überblickten wir diese grenzenlose Weite, eine kahle Felswüste, die ohne die geringste Unebenheit, wie von einer schwarzen Kruste überzogen, speckig glänzte. So wanderten wir dahin durch eine unwirkliche Welt, dem entsetzlich gleißenden, übergrellen Sonnenfeuer schutzlos preisgegeben. Der Boden dröhnte weithin, wenn jemand den Kolben seines Gewehres aufsetzte. Es kam uns vor, als wanderten wir auf einem anderen Stern. Am Abend rfatte sich die Szenerie nicht im geringsten geändert. Sie bot uns keinerlei Anhaltspunkte zur Orientierung. Der Kreis des Hori3
zontes war noch immer die gleiche einförmige Linie, die seit der Frühe unser Gesichtsfeld begrenzte. Darüber wölbte sich jetzt die mit violetten Tinten getönte Kuppel des Saharahimmels. Es war uns ein Rätsel, wie Abd el Malek sich hier zurechtfand. Uns kam es vor, als ob wir uns noch immer auf der gleichen Stelle befänden wie am Morgen, als wir die Dünen hinter uns gelassen hatten.
Regen, der uns nicht erreichte Am Mittag darauf bildeten sich hoch über uns Wolken, richtige Wolken. Wir staunten sie an wie Kinder, die im Mai auf den Regen warten. Rasch färbten sie sich. An der der Sonne entgegengesetzten Seite waren sie rötlich. Bald senkten sich weißliche Fahnen herab, die von grauen Streifen durchzogen waren. Regen! Immer tiefer senkten sie sich hernieder. Würden sie uns erreichen? Ein kühler Wind sprang plötzlich auf. Er elektrisierte die ganze Gesellschaft. Die Kamele trotteten schneller, schnuppernd schoben sie die Nüstern vor. In den weiten, flauschigen Gewändern strafften sich die Muskeln unserer erschlafften Körper. Und wirklich, ein talergroßer Tropfen klatschte vor uns auf die glühendheiße Felsplatte und verzischte. Wir standen da und staunten das Wunder an. Aber dabei blieb es. Wir sahen die grauen Regenschwaden deutlich aus dem Weiß und Blau des Himmelsgewölbes herabschweben. Aber sobald sie eine bestimmte Tiefenlage erreicht hatten, zerfaserten sie in weißliche, feierlich hinschwebende Schleierfetzen. Es regnete wahrhaftig und wirklich, aber leider nur über unseren Köpfen; die über der Erde lagernde trockene und heiße Luftschicht ließ alle Feuchtigkeit sogleich verdampfen. Kurz darauf war alles zerronnen, und der Glutwind glitt wieder eintönig singend über uns hin, als ob das Wolkenspiel eine ,,Fata morgana", ein Trugbild, gewesen wäre. Anderswo aber, vielleicht in einer der düsteren Einsamkeiten des saharischen Gebirges, das wir der Karte nach weit östlich von uns haben mußten/ strömten in dieser Stunde gewiß mächtige wolkenbruchartige Güsse nieder und erweckten die mit Gesteinstrümmern gefüllten Schluchten zu tosendem Leben. Irgendwo hatte ich gelesen, daß die Sahara ein Land ist, in dem mehr Menschen im Wasser als im Sande umkommen. So ist es nicht selten, daß erschöpfte Karawanen, die sich in dem kostbaren Schatten eines Tröckentals dem Schlafe hingeben, von jäh hereinbrechenden Wasserfluten überrascht werden; an einem Ort, der vielleicht fünf bis sieben Jahre keinen Tropfen Wasser mehr gesehen hatte. 4
D a s Lied d e r Lerche Indessen, unsere Gedanken wurden rasch von dem denkwürdigen Himmelsschauspiel über der „Billardtischwüste" abgelenkt; es hieß, wir sollten bald die Oase erreichen, die der Araber nach dem dornigen Wüstengesträuch, das dort wuchert, Burekba nennt. „Bald!" — das konnte in der Sprache dieser zeitlosen Landschaft heute, morgen, aber auch erst — wenn Allah es so vorherbestimmt hatte — in einigen Tagen sein. Doch zuvor hatten wir noch ein saueres Stück Arbeit zu bewältigen. Abd el Malek mit seinen Tieren bog plötzlich im rechten Winkel zu seiner bisherigen Marschrichtung nach Osten ab. Ein — mir freilich unsichtbarer — Wegweiser mochte es ihm geraten haben. Ein neuer Nachtmarsch führte uns von der tafelglatten Fläche. Eine andere Art Teufelslandschaft tat sich auf, ein wahrer Irrgarten von Geröll. Hier, wo seit Tausenden von Jahren die Sonne und die eisige Nachtkälte gearbeitet hatten, waren die Felskrusten aus weichem Gestein unerbittlich zersprengt und vom Wind und Sturm gegeneinander getrieben und zermahlen worden. Der Sand war hinweggeweht, die harten Trümmer aber waren zurückgeblieben: dreieckige Felskanter, von Handgröße die einen, wahre Teufelsdinger mit glasharten Graten die andern, dazwischen tisch- bis hausgroße Blöcke. Bald hoben sich vor uns aus dem Frühlicht Reste von Felssäulen, deren Wände wie mit Bienenwaben bedeckt waren. Man konnte mit dem Finger hineinstoßen und die mürbe Gesteinsschale zum Absturz bringen. Porzellanhart klingende, schwarze Scherben fielen von einer hellgetönten mehlfeinen Schicht herab. Bei Allah! „Garet ed Djennun", „Garten der bösen Geister" — ein trefflicher Name für diese Gegend! Die Trümmerwüste schwarz und nochmals schwarz, so weit das Auge reichte; glänzend wie Fett der Überzug, nichts als eckige Gesteinsbrocken auf sandiger Unterlage. Ein Bild unaufhörlichen Vergehens! Aber kein Halm dazwischen, keine noch so verkrüppelte Akazie. Nur tote Stille darüber. — Nein, doch nicht ganz! Denn, ein neues Wunder: eine Lerche erhob sich dicht vor den Füßen der ersten Kamele, warf sich in die brodelnde Hitze dieses Wüstentages, und wahrhaftig, sie sang, nein, sie schmetterte ein jauchzendes Lied in diese unwirkliche Einsamkeit. Oder war auch das nur eine Täuschung der Sinne in dem Gedröhn des Windes: so wie eine Luftspiegelung in dieser Wüste Gärten und Wasser vor das Auge gaukelt, oder ein dahergewehtes Gesträuch zur Gazelle, das Rieseln des Sandes zum Gesang der Geister wird? Nur der Allmächtige konnte wissen, wovon das Tierchen sich nährte, und wieviel Tautröpfchen es an den 5
Felsen aufsammeln mochte, um den Kreislauf seiner Säfte in Gang! zu halten. Wie zu befürchten war, strauchelte am Nachmittag zwischen dem! Trümmergestein die weiße Fatima, eines der herrlichen rassigen Drome- I dare, der Liebling der Karawane, und kam nicht mehr auf. Am Morgen I schon hatte sie Zeichen der Schwäche gegeben. Wir waren zur Rast gezwungen und fanden sie zum Glück im Schutz einer Felswand von mehreren Meter Höhe. Ich hatte noch Trockenspiritus in meinem Gepäck. Mit der mir,, zugeteilten Menge bitter schmeckenden und übelriechenden Wassers gelang es mir, einen „herrlichen" Kaffee zu bereiten. Während die übrigen Männer der Karawane vollauf zu tun hatten, sich um das kranke Tier zu kümmern, konnte ich meine Karten vor mir ausbreiten und über die unheimliche Großartigkeit dieses seltsamen Landes nachsinnen und über die vielerörterte Frage seiner wirtschaftlichen Wiedererschließung.
Ein ganzer Erdteil Wüste Im fernen Europa erzählt man, die Wüste, die wir durchforschen wollten, sei nichts anderes als der Boden eines ausgetrockneten Meeres, von dem die Sandmassen zurückgeblieben seien. Man brauche eigentlich nur Wasser hineinlaufen zu lassen oder nach ihm zu bohren, um aus * diesem nutzlosen Stück Erde wieder etwas Brauchbares zu machen. Aber hier inmitten dieses Wüstenerdteils wird man schnell eines anderen belehrt. Alle Vorstellungen, die man aus Europa mitbringt, — hier stimmen sie nicht mehr. Wir sind über unendlich weite Hochebenen gezogen: die Haifagrassteppen Nordalgeriens und die riesenhaften Landschaftsstufen Lybiens, die von der Küstenebene südwärts aufsteigen. Wir durchquerten weiter nach Süden die wüstenhaften Hochflächen der inneren Sahara. Hier, auf meiner Karte, im Schutz der Felswand, sah ich alles übersichtlich vor mir ausgebreitet. Fast 6000 Kilometer weit erstreckt sich von Westen nach Osten dieses Wüstengebiet: Es reicht von den landungsfeindlichen, sturmumbrausten Küsten Mauretaniens am Atlantik bis zur Rinne des Roten Meeres. Man müßte hier im Osten eigentlich die 1500 Kilometer breite Steppenwüstentafel Arabiens mit einschließen; denn erdgeschichtlich und auch dem Klima ! nach gehören beide, Sahara und Arabien, zusammen. Der Einbruch des 200 bis 350 Kilometer breiten Roten Meeres, das die Tafelländer Nordafrikas und Arabiens auf 2300 Kilometer Länge trennt, vollzog sich I erst kurz vor Beginn der Eiszeit.
Noch keiner hat die Reise quer durch die Wüste Sahara von West nach Ost oder umgekehrt gewagt: weder mit dem Kamel, dem die Wasserstellen fehlen, noch mit dem Auto, dem die Geröllfelder den Weg versperren. Selbst das Flugzeug hat diese 6000-Kilometer-Strecke noch nicht bezwungen, denn die Luftverhältnisse über diesem in Hitze brodelnden und in Kälte erstarrenden Steinozean sind voller Heimtücken und Unsicherheiten. 6000 Kilometer! Tragen wir diese Kilometerzahl einmal auf der Karte Europas ab, damit wir eine Vorstellung von dieser Zahl gewinnen. Da beginnen wir unsere Reise in Lissabon beim Kilometerstein 0, in Madrid haben wir, in der Luftlinie gemessen, die ersten 500, in Paris die ersten 1800 Kilometer hinter uns gebracht. Der Sprung bis Berlin fügt weitere 1000 Kilometer hinzu = 2800 Kilometer. Moskau liegt dann beim Kilometerstein 4400. Von dort sind es dann noch 1600 Kilometer bis zum Ural = 6000 Kilometer. Das also, die Entfernung von der Westküste Europas bis zu dem Tore Asiens, entspräche der Längenausdehnung des nordafrikanischen Wüstengebietes. Und in der Nordsüdrichtung? In der Gegend von Tripolis und Alexandrien kommt die Wüste an das Mittelmeer heran. Durchreist man sie von hier nach Süden, so legt man in der Luftlinie einen Weg von 1800 bis 2000 Kilometer zurück, was ungefähr einer Reise von Hamburg durch ganz Europa bis zur Südküste Siziliens entspricht. Und der Flächeninhalt? Obwohl es heute schon ziemlich genaue Karten von vielen Teilen der Sahara gibt, hat doch noch niemand bis ins einzelne ausrechnen können, wieviel Quadratkilometer das Wüstengebiet bedeckt; denn noch ist der Meinungsstreit um die Frage, was eigentlich eine Wüste sei, wo sie anfängt und wie man sie umgrenzen soll, nicht beendet. Bei der Sahara nimmt man 7 Millionen Quadratkilometer Flächenraum an. Europa ohne die spanisch-portugiesische (die iberische) Halbinsel und ohne Skandinavien wäre darin leicht unterzubringen. Es ist die größte Wüste der Erde. Schon die Tatsache, daß wir es bei der Sahara mit einem Gebiet von wahrhaft kontinentalen Ausmaßen zu tun haben, läßt uns die Unmöglichkeit erkennen, die Wüste in ihrer ganzen Ausdehung der Kultivierung zuzuführen. Hinzu kommt noch, daß ihr mittlerer Teil, etwa 800 000 qkm, von wüstenhaften Gebirgen erfüllt ist, die sowohl im Westen, dem Hoggar, als auch im Osten, dem Tibesti, die 3000 m-Höhe erreichen, ja noch überschreiten (Zugspitze 2964 m!). 7
Und nun erst die ungeheuren Massen von Sand, von denen weite I Gebiete der Sahara gleichsam überschwemmt sind. Wer hier zu messen und zu rechnen beginnt, der gleicht jenem Knaben 1 am Meeresstrande, den der große abendländische Denker Augustinus einst dabei überraschte, wie er das Wasser des unermeßlichen Ozeans mit einer Muschel auszuschöpfen suchte. Der Sand in der Wüste Sahara ist leicht und zerrinnt wie Wasser zwischen den Fingern. Meist sind es scharfkantige Quarzkörnchen. Wenn sie dem Wüstenwanderer, dessen Kaut von der Hitze und vom Sonnenlicht schmerzhaft gespannt ist, vom Sturm gegen den nackten Körper oder in das Gesicht gejagt werden, schneiden sie so scharf wie Rasierklingen. Haushohe Sandmassen können, wie von einem Riesenbesen hergefegt, bald hier, bald dort, meist in Sichelform auf den glatten Felsflächen auftauchen und am Tag danach schon viel weiter getrieben sein. Wenn der Sturm über ein Dünengebiet weht, sieht es aus, als ob alles himmelhoch in Rauch gehüllt sei. Die feinen Staubwolken steigen kilometerhoch empor und werden selbst bis auf die winterlichen Schneefelder Europas geweht. Aus der westlichen Sahara aber jagt sie der Nordostwind regelmäßig weit in den Atlantik hinaus, der deshalb als ,-,Dunkelmeer" einst eine unüberwindliche Schranke für die Schiffahrt war. Oft werden die Sandberge aber auch mehrere hundert Meter hoch aufgetürmt; ein Gewirr von Felsgratresten oder alten Flußläufen kann sie dann jahrtausendelang als unbewegliche Massive an Ort und Stelle bannen. In den trichterartigen Vertiefungen solcher Sandmassen aber kann der Mensch oft noch Raum zum Leben finden. In Südalgerien haben wir solche Sandsiedlungen besucht. Wie die Ameisenlöwen sich am Grunde ihrer Sandhöhlungen einnisten, so wohnen in diesen Sandtrichtern die Menschen. Dort unten nämlich erreichen ihre Palmen das Grundwasser. Dort leben die Familien der Suafas und bebauen ihre winzigen Gärten. Seit Jahrhunderten tragen sie tagtäglich den hereinrollenden Sand in Körben nach oben und leisten so, ergeben in Allahs unerforsch'lichen Willen, eine wahre Sisyphusarbeit 1. Andernorts beobachteten wir, wie die geduldigen Bewohner, denen die Wüste Stück um Stück ihrer Dörfer wegzehrt, immer wieder vor den Dünen neue Lehmhütten errichten, bis auch diese in den unerbittlichen Sandwogen versinken. Und niemand ist mächtig genug, ihnen Einhalt zu gebieten. Selbst festgefügte Bauwerke ertrinken in dieser Flut — oftmals nur 1 Sisyphus, ein Königssohn der griechischen Sage, war in der Unterwelt zur Sühne für seine Frevel dazu verurteilt, Felsen auf einen Berg zu wälzen, von dem sie immer wieder herabrollten.
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vorübergehend. Wenn der Dünenzug weitergewandert ist, dann kann es sein, daß eines Tages die verschütteten Bauten hinter ihm wieder emportauchen.
I m D ü n e n m e e r verirrt Und was erst das Wandern im Sand betrifft! Schon "ein kurzes Abweichen von bekanntem Gelände kann für den Wüstenreisenden lebensgefährlich sein. Nie werde ich. vergessen, wie wir uns dicht bei der Station Ain Sefra in dem kleinen Dünengebiet verirrten, das zwischen dem Ort und den Bergen des Atlas liegt. Ich war ausgerechnet im August wieder einmal nach Afrika gefahren. Kluge ^ Leute, die etwas von 'der Wüste verstanden, hatten davor gewarnt, in dieser Zeit, in der nicht einmal die großen Reiseomnibusse dort unten verkehren, die Wüste zu betreten. Ein Bäckermeister daheim hatte in seinem unverfälschten Aachener Dialekt gemeint: „Jäje enne backovven kans de net aajappe" („Gegen einen Backofen kannst du nicht angähnen"). Das mit dem Backofen dort unten stimmte schon. 60 bis 70 Grad in der Sonne und tagaus, tagein 40 Grad im Schatten, dafür muß man geeicht sein, zumal wenn man aus kühleren Breiten in wenigen Tagen dorthin versetzt wird. Aber ich lernte gerade in dieser Jahreszeit die Wüste von ihrer wahren Seite her kennen und hatte deshalb auch früh schon ein ganzes Paket von Illusionen über Bord geworfen. Als fortschrittseifriger Europäer macht man sich gar zu leicht falsche Vorstellungen, wenn von der Erschließung der Wüste die Rede ist. Schon beim ersten Eindringen in den ewigen Sand können einem solche Einbildungen vergehen. Wir waren munter in dem wie Wasser fließenden Sand die 100-MeterDünen hinaufgestapft und blickten stolzgeschwellt vom hochgewehten Kamm her über die herrlich weite Landschaft. Hier der sichere Hafen der Station, dort das lockende Ziel der wilden, ach so romantischen Atlasberge. Aber kaum nahte ich dem jenseitigen Hang der Düne, als auch schon diese freundlichen Bilder ruckartig verschwanden und ich knietief in dem gelben Geriesel versank. Meinen Begleiter sah ich nicht mehr. Je mehr ich arbeitete und mich abmühte, desto tiefer geriet ich hinein. Schneller als ich ahnte, war ich ins Wellental gelangt, in eine schlangenförmig gewundene Schlucht, und tauchte da ein in einen Höllenbrodem an Hitze; über mir hatte ich die messerscharfen Dünenkämme und den weißglühenden Himmel der Sahara mit dem grausam unbeweglichen Riesenfeuer der Sonne. Zwar rann kein Schweiß über meine» Körper; er Terdampfte, sobald er die Poren verließ, in der ausdörrende» 9
Luft gleich an der Oberfläche der Haut. Aber der Kräfteverbrauch ging unmerklich und rasch von sich. Ich rief in die Runde. Aber nur die tödliche Stille "antwortete mir. Nichts half mir aus dem Tal heraus. Mein Begleiter, der in gleicher Bedrängnis sein mochte, vielleicht auch nach mir suchte, hätte eher eine Stecknadel finden können als mich hier in den Sandwogen. So mochten inmitten der zentralen Wüste, eingeschlossen von unübersehbaren Dünenbergen und tiefen Sandtälern, ganze Karawanen verschwunden sein, wenn sie die Richtung verloren oder von jähen Sandstürmen überschüttet wurden. Daheim in Europa mag man sich schon einmal verlaufen! hoffnungslos verirren kann man sich nicht. Irgendwo weiß man Menschen, irgendwo trifft man auf eine Straße oder eine einsame Bahnlinie. Aber diese Verlassenheit der Wüste, diese Stille, diese Lichthölle, diese Hitze, die dem Ermattenden bald schon die letzten Kräfte auszehrt — sie übertreffen jede Vorstellung! Um es kurz zu machen: Selbst hier, ganz in der Nähe einer menschlichen Siedlung wäre ich unrettbar versunken, wenn nicht plötzlich gleichsam am Rande der Verzweiflung der lange Hals eines Kameles erschienen wäre. Seine untere Kinnlade gegen die obere vorschiebend, blickte es mit stoischer Ruhe auf mich herab. Mit dem Wüstentier tauchten weiße Burnusse auf, arabische Freunde. So wurde ich herausgeseilt und salbungsvoll begrüßt mit einem „Sihdi, du mußt ein guter Mensch sein; denn Allah war mit dir auf deinem Wege".
Genügend Vorrat: 70 Billionen Kubikmeter Sand Solch „einladende" Dünenmassen sind in der Sahara zu großen Dünenfeldern, ja wahren Meeren, vereinigt. Der Araber nennt sie Erg oder Edeyen. In der westlichen Sahara bedecken sie etwa 250 000 Quadratkilometer, in der mittleren fast 180 000 und in der östlichen fast 500 000 Quadratkilometer. Die Dünen sind verschieden hoch. Manchmal gibt es, Gebiete, wo man gar keine einzelnen Rücken mehr unterscheiden kann, z. B. im Osten, in der sog. Libyschen Sandsee, in der festgepackte Massen unbekannter Dicke lagern. Nehmen wir für die Sanddünen nur 70 Meter Höhe als Durchschnitt an — manche ragen viel höher auf — so lagern allein in den Dünenmeeren der Sahara 70 bis 80 Billionen Kubikmeter Sand. Man könnte Spanien und Frankreich kirchturmhoch damit zudecken. 10
Die nordafrikanische Wüste besteht zu rund einer Million Quadratkilometer aus Sandflächen. Das aber ist nur ein verhältnismäßig kleiner Teil, sagen wir ein Sechstel, des Gesamtgebietes. Wenn man die 800 000 Quadratkilometer Hoch- und Mittelgebirge einmal zu dieser Sandwüste rechnet, bleiben immer noch mehrere Millionen Quadratkilometer andersartiger Bodenformen übrig. Sehen wir zu, was hier zu finden ist! Nun, da hat man die Auswahl zwischen zwei Arten von Landschaften: zunächst den Gebieten mit großen, mittleren oder kleinen Felstrümmern, die bald unregelmäßig gehäuft, bald hunderte Kilometer weit auf einer nackten Unterlage regelmäßig hingestreut sind; oder der völlig nackten Felstafel, wie sie am Beginn unserer Wanderung beschrieben wurde. In der Felstrümmerwüste herumzusteigen, ist für Mensch und Tier ein hoffnungsloses Beginnen. Sie ist fast noch heimtückischer a-ls die Dünenwüste selber. Die Dünen nämlich speichern mancherorts Wasser auf. Die Landkarten namentlich der westlichen Dünengebiete sind an einigen Stellen wie übersät von den Zeichen der Wasserstellen. Freilich muß man jedesmal von neuem überprüfen, ob die begehrten Stützpunkte derzeit tatsächlich auch Wasser liefern. Vielleicht sind gerade besonders trockene Jahre vorausgegangen und der Grundwasserspiegel in dieser Zeit tief abgesunken. Vielleicht sind einige der Wasserstellen seit langem wieder zugeweht. Andere, dje uns auf einer längeren Reise wegen ihrer günstigen Lage geradezu unentbehrlich wären, können von einer räuberischen Bande absichtlich unbenutzbar gemacht worden sein, weil man so den Fremden an bestimmte Wasserplätze zwingen will, um ihn hier zu überfallen. Felsbrocken oder Kadaver in den Wasserlöchern sind das Ergebnis. Man darf nicht sehr verwöhnt sein mit dem> kostbaren Naß. Hat man eine anstrengende Reise hinter sich, so fragt man in der Qual des Durstes nicht lange danach, ob das Wasser stinkt, ob man mit der Hand erst die Mückenlarven oder eingeschwemmte Kamelkotkugeln beiseite schieben oder auch Kamelurin mit herunterschlucken muß. Schlimmer ist es, wenn ätzende Stoffe beigemengt sind, die aus dem Untergestein herrühren, und die einem den Schlund verbrennen. Tatsächlich gibt es „Brunnen", deren Wasser so ätzend wirkt, daß hineingetauchte Stoffe förmlich versengt werden. Trotzdem versucht man es immer wieder und trinkt. Oft ist das schlechteste Wasser noch besser, als wenn man ein kostbares Kamel abschlachten und seinen Magen anstechen muß, um dessen eklige Flüssigkeit zu gewinnen, was ohnehin nur in der größten r Verzweiflung geschieht. 11
Aber, so wird der ungeduldige Leser fragen, wo in aller Welt bleiben denn nun die Oasen, die kleinen Paradiese, die .„Gärten Allahs", die in der Vorstellung des Fremden einen so wichtigen Platz einnehmen? Viele, die Pläne für die Begrünung der Sahara entwerfen, haben diese I Oasen vor allem ins Auge gefaßt. Das Umland der Oasen will man erweitern, neue Grundwasserschichten will man nach modernen Bohrmethoden anzapfen, und so soll dieser so lange ungenützte Boden im Umkreis der Oasen endlich tausendfache Frucht bringen. Das neu erbohrte Wasser, die helfende Wärme und die wunderwirkende Sonnenstrahlung sollen das gemeinsam b e w i r k e n . . . .
Das Paradies in der Wüste Gewiß, die Oasen, die Siedlungen, von denen der Europäer schwärmt, sind vereinzelt wahre Paradiese. Durch Bohrungen und Berieselungen wurden hier Wohnplätze für den Menschen geschaffen, die das Leben inmitten der unendlichen Einöden erträglich, ja angenehm gemacht haben. Diese Oasensiedlungen liegen meist im Norden der Sahara (vgl. die Karte auf Seite 16/17). Sie finden sich dicht südlich des Ost-Atlas um Biskra, den weltbekannten Luftkurort, der eine ,,Luxusoase" geworden ist. Weiter südlich und südwestlich sind es Tuggurt, Laguat, El Golea und Wargla (T, L, G, W auf der Karte). Eine Reihe bekannter Oasen liegt entlang der „Straße der Palmen", südlich von Colomb Bechar. Ein Oasengebiet liegt auch in der Landschaft Tuat, von Reggan (R) bis In Salah, oder östlich davon, um Gadames und Gat (G). Dringen wir noch weiter nach Osten vor, so stoßen wir auf das alte Kulturland in der Landschaft Fessan um Mursuk und weit im Süden an der ehemaligen Sklaven-Karawanenstraße auf die alte Oasengruppe um Bilma. An der Küste sind es dann die besiedelten Landschaften von Tripolis bis zur ägyptischen Grenze, die im vergangenen Krieg so viel genannt wurden. Tausend Kilometer landein liegen sehr einsam die Oasengruppen von Kufra. Dann folgen die schon im Altertum berühmten Senken westlich des Nil mit der burgenbekrönten Hauptoase Siwa, dem einstigen Heiligtum des Jupiter Ammon und seines Orakels, bei dem sich im Altertum alle Welt Rat holte. 200 Süßwasserquellen bewässern hier Weizenfelder und Gärten von Dattelpalmen, Oliven, Orangen und Weinreben. In der westlichen Sahara müssen wir schon bis auf einige hundert Kilometer ans Meer herangehen, um im Mauretanischen Adrargebirge um die Oase Atar eine nennenswerte Ansammlung von Siedlungen zu finden. Das sind im ganzen Bereich der Sahara ungefähr ein Dutzend Oasengruppen, von denen manche durch 500 bis 1000 Kilometer nahezu 12
menschenleere und pflanzenlose Wüstengebiete von der nächsten getrennt ist. Sehen wir uns einmal die Oasen-Kerngebiete des Nordens etwas näher an. Schon durch ihre beispiellose Isolierung, wie sie sich aus der Natur der Sahara ergibt, müssen sie für das Leben der Wüstenvölker eine einzigartige Bedeutung haben. % Sie alte leben nur durch das Wasser, das entweder unterirdisch von den Hängen des Atlasgebirges zurinnt oder aus unterschiedlich tiefen wasserführenden Erdschichten, den Grundwasserhorizonten, mit allen möglichen Kniffen heraufgelockt wird. . Eine phantastische Vorstellung: Hunderttausende von Quadratkilometern absolut dürrer Gebiete sind Jahrtausende dem Anprall der Sonne schutzlos preisgegeben; sie werden, da jede Wolkendecke fehlt, von einer unermeßlich großen Verdunstungskraft ausgesogen, so daß wolkenbruchartige Wassermassen in dieser Wüste wie auf einer Herdplatte verzischen oder über ihr verdampfen, bevor sie überhaupt den Boden erreicht haben — und doch sollen tief darunter Wasserreservoire verborgen liegen von noch unbekannten, sicher sehr großen Ausmaßen. Manchmal liegen mehrere Grundwasserhorizonte übereinander. Aber es ist eine eigene Sache mit den Versuchen, dieses „flüssige Gold" dem eifersüchtig hütenden Boden zu entreißen. Ein wahrhaft ehrfürchtiges Staunen geht immer noch durch die SiedlungenN wenn es den Ingenieuren gelingt, mit ihren Brunnenbohrungen plötzlich Tausende und Abertausende Liter köstlichen Wassers aus der Wüste heraufzuholen. Die fleißigen Oasenarbeiter sind nie müde geworden, Hunderte von Kilometern weit ihre Bewässerungsgräben zu legen und so die Grenzen der Oasenparadiese immer weiter hinauszuschieben. Und der Boden lohnte meist die große Mühe. Seit Menschengedenken haben die Bewohner der Sahara in geduldiger Maulwurfsarbeit an vielen Stellen der Wüste mit der Handschaufel gegraben und durch kilometerlange Stollen das Wasser von weit entfernten Quellpunkten herbeigeholt. Die Mozabiten, deren Siedlungsraum südwestlich der Oase Biskra liegt, sind sogar, in die Felswüste selber hinausgezogen, haben die harte Kalkkruste 20 bis 40 Meter tief durchschlagen, hochquellendes Wasser gefunden und in vorher menschenfeindlichster Landschaft Hunderttausende von Dattelpalmen aufspringen lassen. Unbeschreiblich ist solch ein duftender Wald mit seinen schlanken Stämmen, wenn das Summen von Tausenden von Bienen wie brau13
sender Orgelton durch die köstlich kühlen Hallen zieht; wenn Schmetterlinge über die Gärten gaukeln und alle Gemüse Europas hier im Schattenschutz der Palmen gedeihen; wenn der Kiel el ma, der „Herr des Wassers", an der Hauptverteilungsstelle bald in jenen, bald in diesen schmalen Kanal das belebende Naß einströmen, läßt, damit alle Pflanzungen nach gerechten Maßen mit Wasser bedacht werden. Manche Oasen zählen Millionen von Dattelpalmen zu ihrem Besitz. Im Umkrei» der Kernoase wuchs dann meist eine Reihe von Siedlungen hervor, die an dem üppigen Wachstum teilhaben.
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Aber der Besiedlung sind doch Grenzen gezogen. Abgesehen von dem erbitterten Kampf, der ständig um die Erhaltung der Bewässerungseinrichtungen gegen die Versandung geführt werden muß, läßt sich der Grundwasserhorizont anscheinend nicht überall in ungemessener Menge anzapfen; schon oft ist es vorgekommen, daß man an einer Stelle neue Brunnen erbohrte und dann an anderer, oft weit entfernter Stelle der Druck des Wassers nachließ oder ganz aufhörte. Wir nehmen unseren Zirkel zur Hand, um einmal zu vergleichen. Messen wir die Grünfläche der wenigen Oasengebiete der Sahara aus, so ergibt sich ein besiedeltes Gebiet, das 2500 von den etwa 7 Millionen Quadratkilometern der Wüste umfaßt. Die 700 000 Bewohner der Oasen drängen sich vornehmlich im Norden, in den algerischen Gebieten, zusammen, anderswo aber werden Landschaften in der Größe Spaniens von nur wenigen Hundert, • meist sehr primitiven Mischungen und Negern bewohnt. Kümmerliche Oasen sind ihre Siedelplätze. Aber selbst um die winzigsten ihrer Wasserplätze kreist die Phantasie der Wüstenwanderer. Auf wochenlangen, einsamen Ritten durch die nackte Landschaft, durch nichts abgelenkt vom ermüdenden Alltag, gequält von der ständigen Sorge um Wasser, gequält von der Hitze und der Glut des Lichtes, vor dem es keine Flucht gibt, ist die Oase oder die Wasserstelle der einzig lockende Gedanke. Die Erwartungen de» Wüstenmenschen und auch des Weißen, der die Wüste durchzieht, sind unaufhörlich jenen Zielpunkten der Reise zugewandt. Dort wird es zunächst einmal Schatten, köstlichen, duftenden Schatten geben und Wasser, Wasser, das ein Ende aller Leiden verheißt. Ist die Oase auch nicht das Paradies selber, so ist sie gewiß der Vorhof des Paradieses; selbst wenn sie weiter nichts bergen sollte als ein paar halb vom Sand verdeckte und vom Wind zerzauste Palmen und ein stinkendes Loch, in dem das Wasser Tropfen um Tropfen oft erst nach Stunden eifrigen Schaufeln« schluckweise zusammenrinnt 14
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Oft ist der Verfasser gefragt worden, wie es denn mit dem Waschen in der Wüste sei, wenn das Wasser so kostbar ist. Nun! Voraussetzung für das, was der empfindliche Europäer mit Schmutz bezeichnet, ist die Feuchtigkeit; und sie ist, bis auf ganz wenige Prozent, in der Atmosphäre der Wüste nicht vorhanden. Alles an einem ist also stets „knochentrocken". Die Tinte trocknet, ehe man sie mit der Feder vom Tintenfaß zum Papier gebracht hat. Das Graphit des Bleistifts zerfällt zu Staub, wenn man den Stift zum Schreiben ansetzt. Der Eingeborene sagt; „Allah schuf das Wasser zum Trinken und zum Begießen der Pflanzen, aber nicht zum Waschen,"
A b d e l B l i s s auf d e m S c h i e n e n s t r a n g Leicht enttäuscht über die Winzigkeit, zu der die meisten Oasen nun für uns zusammengeschrumpft sind, enttäuscht auch darüber, daß es unmöglich sein soll, sie in beliebiger Weise auszudehnen, wendet sich das Auge* anderen Zielen zu und blickt suchend über die weite Fläche des wüsten Landes. Soll denn der schöne Plan von der Begrünung der Wüste durch Berieselung ganz „ins Wasser" fallen? Nur Geduld I Was sagte doch jener Araber, von dem man mir die folgende bezeichnende Anekdote erzählte: — Wir waren eine ganze Nacht und einen halben Tag durch die Schluchten des Atlas und die Vorwüste dem Südrand des algerischen Gebirges entgegengerollt. Zum Mittag herrschte in dem glühheißen Speisewagen des Bähnchens eine schläfrige Atmosphäre. Selbst der Koch schlief; er hatte sich neben den Küchenherd gehockt, der in tler kleinen Kabause eine wahrhaft mörderische Hitze verbreitete. Wir aßen begierig geeiste Radieschen und machten uns gerade über ein delikates Gazellenkotelett her, als der Zug ächzend und mit einem Ruck hielt. Nanu, weit und breit war doch keine Station! Nur endlose Hochsteppe, über die einige Sandtromben tanzten, und, ganz in der Ferne, das in der Sonne gleißende Gebirge. Wir unterbrachen das Essen und stiegen neugierig aus. Sollte eine Sandwehe sich quer gelegt haben und wir in dieser Gluthitze zu den Schaufeln greif«n müssen? Von der Lokomotive her erklang ein wüstes Geschimpfe. Heizer und Lokführer, temperamentvolle Südfranzosen, schrien auf ein zerlumptes Etwas ein, das vor der Maschine auf dem Geleise lag und sich, als wir näher kamen, als ein Araber entpuppte. Er schob eben ein kleines Stück Natron zwischen die zwei letzten Zähne seines Unterkiefers; dann sank er, uninteressiert an allem, wieder zurück, verschränkte die 15
Karte der Sahara: Die Dünengebiete (punktiert) spiegeln die Hauptwindrichtung wider (Nordostpassat). Die Südgrenze der Sahara ist daran zu erkennen, dafj die Wadis, die Trockentäler (gestrichelte Linien) im niederschlagreichen Sudan von Flüssen abgelöst werden. Die von den Küsten kommenden Bahnen werden durch heute meist tote Karawanenwege (punktiert) und durch Autolinien (dünne Linien) fortgesetzt. Die Wüstengebirge sind schraffiert.
Arme unter dem Kopf, als wären die heißen Schienen ein sanftes Ruhekissen. „Der verflixte Kerl schläft auf den Schienen!" tobte der Lokomotivführer und wies empört auf den Wüstensohn. „Schon das zweite Mal, daß mir sowas hier auf der Strecke passiert. Der Scheitan möge ihn sich holen!" Mochte er die Rede verstanden haben oder nicht — das fchien dem wackeren Wüstensohn denn doch zuviel zu sein. Er richtete sich auf, streckte seine Hände weit von sich, beschrieb mit ihnen einen beschwörenden Kreis in der Luft und krächzte aus den Tiefen »einer Kehle: „Was wollt ihr Heide» denn? Ihr Giaurs? Das ist mein Weidegebiet hier! Das gehört meinen Kamelen und meinen Ziegen. Wir allein haben hier etwas zu sagen. Allah hat mir das Land gegeben, aber ihr stört mich in meinem Schlaf? Was jagt ihr mit diesem stinkenden Eisenkasten durch Allahs Reich? Ist euch der Schlaf eines Rechtgläubigen nicht mehr heilig? Ich, Abd el Bliss el Rachman, sage euch: Eure sündige Hast führt euch ins Unglück, ihr Hundesöhne! Fluch über euch!" Eben wollte er sich wieder niederlassen, da faßten ihn die beiden Lokomotivmänner, vorsichtig geworden, bei den Armen und Beinen und legten ihn sanft neben die Schienen zwischen das Geröll, wo er sich murrend und gähnend aufs neue ausstreckte. • Dieser belustigende Zwischenfall machte manchen von uns fortschrittshungrigen Europäern nachdenklich. Das geplante „Wüstenparadies für Millionen emsig schaffender 9rbeiter" mußte doch noch weit weg in Allahs Fernen l i e g e n . . . . . Aber halt, blitzt da nicht am Süddrand der Wüste, an ihrem anderen Ende, eine neue Hoffnung' auf? Liegt da nicht ein See, jenes „Meer in der Sahara", der Tschad? 2000 Kilometer von Tripolis entfernt — das ist die Strecke Flensburg—Neapel — dehnt er sich an der Grenz»cheide zwischen Wüste und Steppe, Ziel kühner Forschungsreisender, und eingebaut in manche \Beitgreiflnden Pläne, die sich in neuerer Zeit mit der Wiederbegrünung der Sahara befaßten.
D a s „ g r ü n e Zeitalter" d e r Sahara Wiederbegrünung? Lag die nordafrikanische Wüste denn je unter einer grünen Decke, bot sie je dem Menschen Lebenssicherung und Lebensraum, mit Pflanzen, fischreichen Gewässern und jagdbarem Getier? Schwingt in den Paradiesesvorstellungen, denen sich der Wüstenbewobner so gerne träumerisch hingibt, vielleicht eine ferne Erinnerung 18
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mit an eine Zeit, da die Wüste ein wohlbewässertes und reich bewachsenes Land war? Solange die Menschen auf das Kamel angewiesen waren, mußte sich die geographische Erforschung der Wüste notwendigerweise mehr oder weniger an die seit alters begangenen Karawanenpfade halten. Für den wüstenunkundigen Europäer war jede dieser Reisen eine Kette voller Mühseligkeiten. Welche Gefahren und Strapazen mußte nicht der junge Caillie zu Beginn des vorigen Jahrhunderts auf sich nehmen, um hinter das Geheimnis der ,,Goldstadt" Timbuktu zu kommen und die Nachricht von der Entdeckung dieses alten Handelszentrums nach Europa BU bringen 1 Nachdem er von der Westküste aus die sagenhafte Stadt erreicht hatte, brauchte er 528 Tage, um die Wüste zu durchqueren, den Hohen Atlas zu übersteigen und bei Tanger ans Mittelmeer zu kommen. Jahre dauerte die epochemachende Reise der Oudney, Denham und Clapperton, die vom Norden her die Sahara durchquerten und4 zum ersten Male den großen See sahen, den Tschad, und, heimgekehrt, Ton ihm berichten konnten. Über fünf Jahre war um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts der kühne Hamburger Forscher Heinrich Barth in der Sahara und im Sudan unterwegs; über 20 000 Kilometer Weg hatte er zurückgelegt. Er erlebte es, daß ihm am Südrand der Wüste ein Bote die Kunde seines Todes aus Europa überbrachte. Gerhard Rohlfs, der zwanzig Jahre später in die „Lybische Wüste" eindrang, jenes etwa 2 Millionen Quadratkilometer große, fast gänzlich unbekannte Gebiet in der östlichen Sahara, mußte umkehren. 500 verschließbare Kisten aus Eisen hatte er sich anfertigen lassen, um seine Wasservorräte tu transportieren. Der Khedive von Ägypten hatte ihm eine Karawane von 100 Kamelen zur Verfügung gestellt. Aber das Sandmeer war auch mit diesem Aufgebot nicht zu bezwingen. Erst als sechzig Jahre später der ägyptische Prinz Kemal El Din Hussein von Kairo aus mit Citroen-Raupenschleppern in die gleichen Wüstenstriche kam, waren die Forscher beweglicher, und nun gelang es, bis dahin unbetretene und für unbetretbar gehaltene Teile des weiten Raumes zu erschließen. Prinz Kemal führte einen Tankwagen mit sich, der 5000 Liter Betriebs»toff faßte, und außerdem einen eigenen Radio- und Instrumentenwagen. Als noch das Flugzeug hinzukam, durchdrang man endlich auch die „Lybische Wüste", die wohl die größte zusammenhängende Sandmasse der Erde bildet. Wie eine Offenbarung war es, als man südlich dieses Sandmeere», über 1000 Kilometer von der ägyptischen Mittelmeerküste entfernt, eine Reihe unerwarteter Gebirge erblickte und in ihnen Höhlen und 19
Felsgruppen mit vorgeschichtlichen Malereien von ungeahnter Schönheit entdeckte. Während draußen der glühend heiße Wüstenhimmel sich über menschenleere Öden breitete, boten sich hier, an die Felsenwände gemalt, Bilder in gelben, roten, braunen und weißen Tönen dar. Ein geheimnisvolles Leben, doppelt geheimnisvoll in dieser Umwelt ohne' Wasser und ohne Getier, war hier von vorgeschichtlichen Künstlern auf die schwarzen Wände gebannt: Felsbilder mächtiger Rhinozerosse, kräftiger Rinder, kraftstrotzender Stiere mit Riesenhörnern, Ritzzeichnungen und Wandgemälde mit Elefanten, Giraffen und Wildpferden, mit entspringenden Antilopen, aber auch mit Menschen, die auf Hinken Wagen dahinbrausen, schließlich. auch Darstellungen, die man die „schwimmenden Menschen" nannte. Ein offenes Buch der Geschichte unter Allahs Sonne war mit einem Male vor den Augen der erstaunten Menschheit aufgeschlagen.1 In den Schluchten des Zentralgebirges der Sahara, des Hoggar, dessen Gipfel über 3000 Meter hoch aufragen, ebenso im Norden und Westen der Wüste war man auf ähnliche Fels- und Höhlendarstellungen gestoßen. Es war die gleiche Bildsprache. Sie erzählte von dem mannigfaltigen Leben, das in grauer Vorzeit hier heimisch war und das ohne Wasser und ohne Baumwuchs nicht zu denken ist. In diesen Felsbildern fanden die zahlreichen Bodenfunde, die schon vorher durch Zufall oder durch Grabungen im ganzen Raum der Wüste zutage getreten waren, eine überraschende Ergänzung, Aus dem Triebsand und an den Ufern ausgetrockneter Flußtäler und alter Seebecken hatte man Reste menschlicher Siedlungen, Trümmer von Tongefäßen, Geräte, Klingen, Steinbohrer, Keulenknäufe, Reibmühlen und anderes Werkzeug geborgen. In heute ödesten Gebieten fand man versteinerte Fische und Reptilien.. Das grüne Zeitalter der Sahara stand außer jedem Zweifel. Auch einige lebendige Erinnerungen an die „grüne Wüste" waren erhalten geblieben. Nachfahren der Krokodile, die in der Vorzeit die Gewässer der Sahara belebten, trifft man noch heute in entlegenen Wasserlöchern der Gebirge.
D a s Rätsel d e s T s c h a d - S e e s Wenn die Wüste einst begrünt und besiedelt war, — sollte man dann nicht versuchen, den alten Zustand der Landschaft wiederherzustellen? Mit solchen Gedanken beschäftigen sich viele, seitdem die Sahara soviel Erstaunliches aus ihrer Vergangenheit bekanntgegeben 1 Vgl. auch Lux-Jugend-Lesebogen 38 „Tiere und Tierbilder der Höhlenmenschen".
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hatte. Da Teile des weiteren Tschad-Umlandes reich an vorgeschichtlichen Funden sind und hier am See und an den wenigen Wasserläufen noch viele Eingeborene leben, glaubte mancher, daß von hier aus das Werk am ehesten in Angriff genommen werden könne. Wenn einmal neuer Kulturboden gewonnen sei, dann werde man der Wüste ein Stück nach dem anderen abtrotzen. Nehmen wir deshalb wieder die Landkarte zur Hand! Ein Blick auf das Tschad-See-Becken und ein Rückblick in seine Vergangenheit wird uns besonders aufschlußreich sein. Der Tschad-See liegt in einer beckenartigen Landschaft von 1 000 000 Quadratkilometer Ausdehnung, einer Fläche von der doppelten Größe Frankreichs. Die südlichen Teile des umliegenden Landes werden von Hunderttausenden fleißiger Ackerbauern und Tausenden und aber Tausenden prachtvoller Rinder belebt. Die ödflächen nördlich davon gestatten nur einigen hundert Eingeborenen ein kümmerliches Dasein. Hier unten am Südrand der Wüste beträgt der Regenfall im Jahre 200 mm, während wir im Innern der Sahara nur 0 bis 50 mm messen (in Mitteleuropa 600 mm, das ist das Dreifache der Regenmenge wie am Tschad). Der See bezieht sein Wasser aber nur zum geringsten Teile aus den Niederschlägen in seiner Umgebung. Der Doppelfluß des Schari-Logone, der aus den regenreichen Baumhallen der Bergketten nördlich des Kongobeckens kommt, führt dem Tschad von Süden her jährlich 23 Milliarden Kubikmeter Wasser zu; fast die gleiche Menge, wie sie im Laufe eines Jahres die Elbe bei Hamburg zu Tal trägt. Das ist ein ganz stattliches Quantum Wasser für einen See, dessen Nordküste bereits von der ausgedörrten Wüste umklammert wird. Der Tschad-See gibt der Forschung manches Rätsel auf, und wir wollen hier auf einige seiner Merkwürdigkeiten eingehen; sie lassen uns manche Geheimnisse ahneri, die in der großen nordafrikanischen Wüste schlummern und die noch immer auf ihre Entschleierung warten. Das Becken, dessen einen Mittelpunkt der See bildet, verrät uns heute noch deutlich, wie dieser Teil der Wüste in längst vergangenen Zeiten ausgesehen hat. Wandern wir vom See her nach Nordosten, so folgen wir einem Trockental, das die Eingeborenen Bahr el Ghazal nennen. Noch vor hundert Jahren soll dieses Tal ein Fluß gewesen sein. Heute gibt es hier noch Wasser an vielen Stellen, und an der tiefsten Einsenkung findet man den von Sand überwehten Tonboden weithin mit Fischwirbeln und Spuren von Siedlungen übersät. Dieses Tal war als» einst von vielen Menschen bewohnt. Das Tal mündet weit im Nordosten in eine Senke. Es ist die Bodele-Niederung, die 100 Meter tiefer liegt als der Tschad. Man nimmt an, daß hier in der Bodele-Senke einst 21
ein See seine Wasser in der Sonne spiegelte, lange bevor es den Tschad überhaupt gab. In diesen See habe sich einst der Schare ergossen. Das Trockental des Bahr el Ghazal wäre also das ausgetrocknete Bett des alten Schäri-Flußlaufes. Mit der fortschreitenden Austrocknung des gesamten Raumes soll dann, von den Sandmassen bedrängt, der Fluß sein Ende stetig nach Südwesten zurückverlegt haben. Von den Dünen sei er an der Stelle des heutigen Tschad zum See gestaut worden, an dessen Südufer und in dessen Mitte er auch jetzt noch seine Schlammmassen ablagert. Auch nach Norden und Nordwesten erstrecken sich Trockentäler vom Tschad'tief in die Wüste. Sie führen aber seit Menschengedenken kein Wasser, und ihre Einschnitte sind auf weite Strecken bis zur Unkenntlichkeit von den Dünenmassen zugedeckt. Eines, das über tausend Kilometer lange Trockental des Tafasasset, der die Mächtigkeit des Rhein"* Stromes hatte, kommt aus den Schluchten des Hoggar-Gebirges. Auch an den Ufern dieses Strombettes fand man viele Reste vorgeschichtlicher Siedlungen und in den Bergen selbst in der Nähe des alten Flußlaufes jene herrlichen Felsbilder, Zeugnisse für das überraschend rege Leben, das in grauer Vorzeit hier heimisch war und das dann durch das Vordringen der Wüste fortgewischt wurde. * Von den Wasserläufen des Tschad-Beckens ist fast nur der Schari mit dem Logone übriggeblieben,. und der Tschad-See selber. Werden diese Gewässer auf die Dauer dem Ansturm der Wüste standhalten? Werden die Sanddünen vielleicht weitere tausend Kilometer nach Süden vordringen in die an Völkern, Viehherden und Wäldern so reichen Landschaften des Sudan? Wird der. Scharistrom mit seinem riesigen Wassernetz, das von Millionen nahrhafter Fische wimmelt, sich weiter zurückziehen und nun auch in seinem 0,berlauf zum Trockental werden, wie sein Unterlauf, der Bahr el Ghazal und wie der Tafasasset, und der Tschad-See als leeres Becken zurückbleiben? Im Jahre 1871 schätzte man die Wasserfläche des Tschad-Sees auf 30 000 Quadratkilometer,' die etwa der Größe Belgiens entsprechen. 1904 war der See auf einige Wasserlachen zusammengeschrumpft. Seitdem füllt er sich wieder, erreicht aber meist nur eine Tiefe von 2 bis 3 Meter. Weite Teile sind verlandet. Die Zahl der Inseln in seinem Bereich nimmt ständig zu. Wenn die Regenzeit kommt, beginnt sich die Wasserfläche zwar weithin auszudehnen, so daß die Kronen der Bäume an seinem Südrand wie Kugeln auf den Fluten zu schwimmen scheinen; dann ziehen die Eingeborenen mit ihrer Habe und dem Vieh auf höher gelegene, trockene Stellen. Läßt aber der Regen nach, dann 22
gehen die Fluten ebenso rasch wieder zurück. In dem schwarzen, schnell ausgetrockneten Tonboden der Ufer bilden «ich Risse. Mücken übersummen zu Millionen die zurückbleibenden, oft recht, großen Nebenseen. Übers Jahr verringert sich die Wasserfläche dann mehr und mehr. Wo aber bleiben die Wasser des Tschad? Oberirdisch ist nirgendwahin ein Abfluß vorhanden. Wenn auch die Verdunstung groß ist — alles in so ungeheuren Massen herangeführte Wasser kann nicht verdunsten! Steht der See mit dem riesigen unterirdischen Meer in Verbindung, das unter der Wüste vermutet wird? Versickert dorthin sein Wasser? Niemand kann diese Frage bis heute beantworten. Oder ist noch ein anderer .Abflußweg vorhanden, und droht von dort vielleicht die große Gefahr der Austrocknung in diesem Randgebiet der Wüste? Vor 25 Jahren machte ein Franzose, Eugene "Armand Lenfant, seine berühmt gewordene Reise durch das Gebiet südlich der Sahara. Er ging von dem Gedanken aus, daß man vom Guinea-Golf, also vom Atlantik her, vielleicht zu Wasser an den Tschad gelangen könne. Vom Niger, der in diesem Golf mit einem weitverzweigten Delta endet, kam Lenfant in dessen rechten 'Nebenfluß, den Benug Die 24 Quellflüsse des Benag fließen durch das Bergland von Nord-Kamerun, die Steppenlandschaft von Adamaua. In diesen nordkamerunischen Bergen aber entspringt als Parallelfluß des Benug der uns schon bekannte Logone, der in den Schari geht und mit ihm zum Tschad, d. h. zur Wüste. Zwischen die Zuflüsse des Benugund des Logone schalten sich nun 400 Kilometer südlich des Tschad die Tuburi-Sümpfe ein. Diese bilden zur Regenzeit einen ausgedehnten See, und dieser See wird dann für mehrere Wochen zur Verbindung zwischen dem Logone und dem Mao Kebbi, einem Nebenfluß des Benug" Auf diesem Weg gelang es Lenfant, mit seinen Booten zum Logone und von da an den Tschad zu kommen. Tschad-See und Atlantischer Ozean sind also zeitweise in einer geschlossenen Kette von Wasserläufen verbunden. Wie groß die Gefahr ist, daß der Ozean den See der Wüste anzapft, darüber geht der Streit der Meinungen hin und her. Die möglichen Folgen aber 'sind leicht vorauszusehen? Wenn auch nur ein Teil der Wassermassen des Tschad-Sees vom Logone dem Benug und von ihm, durch den Niger herabströmend, dem Atlantischen Ozean zugeführt würde, könnte es um den See am Südrand der Sahara geschehen sein. Die Wüste würde dann unzweifelhaft unumschränkter Herr über das Seegebiet. Den dort lebenden Menschen, Tieren und Pflanzen wäre schon bald jede Lebensmöglichkeit genommen. Die Sahara könnte ungehindert einen raschen Vormarsch nach Süden antreten. Völker kämen 23
% ins Wandern. Welche Verheerung die jetzt noch so lebenerfüllten Gebiete Mittelafrikas überziehen würde, kann man nur annähernd ab 1 schätzen.
W a s ist eigentlich e i n e „Wüste"? Noch zu unseren Lebzeiten würden wir, wenn eine solche Katastrophe einträte, im Sudan einen ähnlichen Vorgang miterleben, wie er sich in Nordafrika im großen vollzog, als 20 000 Jahre vor Christus weit im Norden, in Europa, die Gletschermassen abzuschmelzen begannen. Während sich in Europa damals neuer Lebensraum öffnete und die Menschen aus Jägern und Sammlern seßhafte Siedler und Ackerbauern wurden, brach südlich des Mittelmeeres über Menschen unbekannter Zahl und von nur schwach geahnter Kulturhöhe das Verhängnis der „Verwüstung" herein. 1 Wie sich die Wüstenbilduög vollzog? All die tiefgefurchten oder verschütteten Trockentäler und die ausgetrockneten Seebecken im Raum der Sahara bringen uns auf die Spur dessen, was seit den vorgeschichtlichen Zeiten in Nordafrika vor sich gegangen'ist. Mit dem Zurückweichen der Eismassen nach Norden müssen sich die Luftbewegungen und auch die Niederschlagsverhältnisse geändert haben. Jetzt trat der unerbittliche, der trockene Nordostpassatwind (siehe hierüber die folgenden Abschnitte) seine Herrschaft über Nordafrika an. Der Grundwasserspiegel senkte sich. Die Bäume in den Wäldern strebten vergeblich nach diesen kostbaren Vorratsspeichern und nach dem Tiefenwasser, aus dem ihre Wurzeln die lebensnotwendige Feuchtigkeit zogen. So verkümmerten im Sonnenbrand die Baumkronen und, als die schützenden Schattendächer der Baumwipfel gelichtet waren, ging auch das Pflanzenleben des Waldbodens zurück, das die Feuchtigkeit schwammartig speicherte und die Kleinlebewelt ernährte. Es war ein langsamer, aber unaufhaltsamer Vorgang der Austrocknung und vervielfachter Verdunstung, die das Grundwasser in immer größere Tiefen zurücksinken ließ. Soweit die ihrer Reviere und ihrer*Nahrung beraubten Tiere sich nicht in die ergiebigeren Waldbezirke südlich der Sahara zurückgezogen hatten, wurden sie zusätzliche Zerstörer der noch verbliebenen spärlichen Vegetation. Manche Forscher, die sich mit der Vergangenheit der Sahara befassen, nehmen an, daß nun Ziegen- und Rinderherden, durch Laubfraß und. Grasverwüstung die Katastrophe beschleunigten. Waldbrände, Rodungen und immer wieder aufgerissene Ackerflächen trieben die Verwüstung weiter voran. 24
Die Gründwasserverarmung veränderte auch die Atmosphäre: keine Wolkendecke milderte mehr das Himmelslicht. Im Anprall der Sonne und der eiskalten Nächte knallten die Felswände mit unheimlichem Dröhnen zu Tal, wie man es auch heute noch hören kann in den menschenfernen Bergwelten. Staubwolken stiegen auf, jagten hinaus auf die Ebenen, breiteten sich als gelbliche oder rötliche Leichentücher über sanfte Geländewellen und tiefe Schluchten. Seitdem Mensch und Tier aus diesen Zonen fast ganz gewichen sind, herrscht nur noch ein Gesetz in diesem Raum: das Gesetz der freiwaltenden Natur. Erwärmte Luftmassen, die s-tändig aus dem Glutofen des Äquators aufsteigen und dort Unterdruckgebiete zurücklassen, regnen sich in den kühleren Höhenschichten aus und gleiten dann aus der Äquatorzone nach Norden und Süden. In 30 Grad nördlicher Breite — auf der südlichen Halbkugel geht in derselben Breite fast der gleiche Vorgang vor sich — stauen sich die Luftmassen, da der Luftraum der Erde nach den Polen zu immer enger wird, sinken ab und strömen wieder in das Gebiet des Unterdruckes, zum Äquator zurück. Diese Winde heißen Passate. Kommen sie dabei der Erdoberfläche nahe, wie es bei dem ungeschützten und von wenig Gebirgen durchzogenen Gürtel der Sahara der Fall ist, so werden sie von dem Wirbel der Erdumdrehung abgelenkt und zu Nordostwinden. Ewig ungehemmt, überweht so der Nordostpassat den ganzen Raum der Sahara. Da es absteigende Luftmassen sind, bringen sie keine Feuchtigkeit mit sich; Niederschlage bilden sich nur, wenn erwärmte Luft emporsteigt, oben erkaltet und kondensiert. Der Passat, der über die Sahara hingeht, hat zudem schon eine lange Reise über die gleichfalls wüstenhaften, ausgetrockneten Gebiete Vorderasiens, den Iran und Arabien, hinter sich, ehe er Nordostafrika erreicht. Nur so ist es möglich, daß sogar dicht neben dem Meer, von Tripolis bis Alexandrien, mit einigen Unterbrechungen, die Wüste an die Küste herantreten konnte. Man sagt, die Wüste verschmachte hier angesichts des Meeres. Das Windsystem des Passats ist zum Glück gewissen Schwankungen unterworfen, weil es dem Lauf der Sonne im Frühling nach Norden und dann wieder nach Süden folgt; deshalb kann es auch beim Passat zu gewissen Störungen kommen. Mittelmeerische, im Süden aber tropische Witterungsbereiche können sich dann schon einmal verirren und regenspendend in die „Sperrzone" der Wüste übergreifen. Jahrtausende währt die Katastrophe schon und hat den Wasserhaushalt der Sahara „lebensgefährlich" gestört. Gebiete, so groß wie 25
Spanien, bekommen nur alle drei bis sechs Jahre ein paar gewitterartige Niederschläge, wenn die erwähnten Schwankungen des Passatwindes eintreten. Die Salze des Bodens werden nicht mehr weggeschwemmt. Sie blühen aus und überziehen, von ferne kühles Wasser vortäuschend, als weißliche Kruste die Niederungen. In der westlichen Sahara war es möglich, ganze Siedlungen aus Salzblöcken aufzubauen. Geht irgendwo doch einmal ein Wolkenbruch nieder, dann ist er für die unbeschützte Oberfläche der Wüste meist keine Wohltat mehr. Die Frauen und Kinder in den Oasen aber stürzen mit allen möglichen Gefäßen hervor und reißen sich in wilder Freude die Kleider vom Leibe, um den Regen ja recht zu genießen. Während die Häuser aus Salzgestein Jahrhunderte überdauerten, da sie in Landstrichen liegen, die so gut wie regenlos sind, sinken hier nun die Lehmhütten, die aus luftgetrockneten Ziegeln errichtet wurden, in sich zusammen. Nun, dem kann man leicht abhelfen. Es werden eben neue Steine gebacken. Von solchen Regentagen aber spricht man noch nach Jahrzehnten. Verhältnismäßig stark ist der Taufall in der Wüste. Von ihm leben zum Beispiel jene Gazellen, die man selbst mitten in Gebieten antrifft, in denen es keine Wasserlöcher gibt. Die Ausstrahlung in den fast immer wolkenlosen Himmel bewirkt nämlich eine rasche Abkühlung bei Nacht. Manchmal sinkt das Thermometer nachts sogar mehrere Grade unter Null und steigt tagsüber, gegen 14 Uhr, auf über 60 Grad. Kein Wunder, daß selbst die härtesten Felsen dem nicht ewig Widerstand leisten können. So geht überall die Abtragung ständig weiter. Der fast immer wehende Wind verfrachtet dabei große und kleine Brocken, mahlt sie, siebt sie aus und verändert so ständig die Runzeln in dem wettergebräunten Gesicht dieser „Mondlandschaft" der Wüste. Pflanzen und Tiere vollbringen Wunder im Kampfe gegen die Austrocknung. Wir sahen schon, welch kräftiges Wurzelwerk stellenweise entwickelt wird, wo irgendein Zufall günstige Bedingungen schafft. Wir sahen die Lerche in der Einöde aufsteigen und hörten von den Gazellen, denen der Tau die einzige Tränkung ist. Vögel, kleine Nager, Wüstenhasen, Wüstenfüchse mit Riesenohren verbringen tagelang die heißen Stunden reglos in einer Art Starre im Schattendunkel von Gesteinstrümmern, um ihre Lebensfunktionen nicht über ein Mindestmaß hinaus anzuspannen. Wie schnell aber kann sich der Geist des Menschen in einer solchen Landschaft verändern, ja verwirren: Wenn die Luft bei einem Sturm elektrisch geladen ist und sich aus den Haaren der Kamele lange. 26
Funken ziehen lassen, wenn man mit den Fingerspitzen Leuchtzeichen über die Zeltwand malen kann, wenn eine berghohe, steile, gelbrote Staubwand auf den einsamen Kamelreiter zujagt, oder die Kamele einer Karawane im Staubsturm von Panik ergriffen werden und nach allen Richtungen in der schwarzen Finsternis verschwinden, wenn Raul, der „Trommler des Todes", sein hohles Gedröhn und Wirbeln in den Schluchten zwischen den Dünenketten ertönen läßt, dann hilft dem Sohn der Wüste oft nur noch die völlige Ergebung in den Willen des Allmächtigen, Allerhabenen und Allweisen. Er allein kann die Djennuns, die bösen Geister der Wüste, verjagen. Und Gnade dem weißen Mann, der in solchen Sturmstunden im Kraftwagen durch die nackte Felswüste gleitet und tagaus, tagein die gleichen leeren oder wirbelnden Horizonte um sich sieht! Gnade dem Piloten, der in solcher Zeit in das Gebiet magnetischer Störungen gerät, der den Glauben an seinen Kompaß verliert und mit ermüdeten Augen Stunde um Stunde über ein Gebiet rauchender Dünen hinblickt — wohl ihnen, wenn ein gütiges Geschick einen Ausweg weist!
„Die Wüste ist ja so gro&!" Die Wüste ist gewiß kein Feld für leichtfertige Wagnisse und nicht das geeignete Objekt für schnell hingeworfene Kultivier.ungspläne, die hinter den Schreibtischen gemacht werden. Freilich! Wer Wasser in die Sahara bringen könnte, der könnte das Wunder vollbringen. Das muß man gesehen haben, wenn irgendwo ein Regen niederging und im Laufe eines Tages und einer Nacht hunderte, nein, tausende blaue, rote und gelbe Blumen aufsprießen und blühen und köstliche Düfte ausströmen. Ein farbenprangender Teppich von unvorstellbarer Leuchtkraft liegt dir zu Füßen. Aber das Wasser allein schafft es nicht! Ist es auch der Lebensspender für den Boden der Wüste, so ist das Salz, von dem schon berichtet wurde und von dem es so viel in der Sahara gibt, der Todfeind des Landes, Und auch mit ihm müßte man fertig werden. Oft liegt es in solcher Mächtigkeit zutage, daß es seit Jahrhunderten ununterbrochen und häufig an weit abgelegenen Plätzen abgebaut wird. Heute noch kommen in oft "wochenlangen Märschen große Karawanen zu diesen Salzlagerstätten, dreitausend und mehr Tiere können es sein. Die Salzblöcke werden nach dem Süden verfrachtet, zu den Sudannegern, die dieses Saharasalz allem anderen Salz 27
vorziehen und es früher sogar mit Gold aufwogen. Jedem Bepflanzungsversuch aber bieten diese Salzvorkommen unendliche Schwierigkeiten. Ich werde nie eine Unterhaltung mit meinem Boy Ahmed vergessen, die ich eines Tages mit ihm über mancherlei Versuche zur Begrünung der Sahara führte. Ahmed hatte allerhand gesehen von Europa. Im ersten Weltkrieg war er in Frankreich und sah dort Fabriken und Stauwerke. „Sihdi", sagte er, ,,Ihr Weißen seid unbegreifliche Leute. Ihr habt wunderbare Dinge in Eurem kalten Lande, den weißen Teppich (er meinte die Schneedecke), die fliegenden Eisenvögel und die eisernen Kamele. Ihr könnt viel, was wir Menschen der Wüste nicht begreifen. Aber, Herr", und er zeigte weit über die Dünen hin, schwieg eine Weile und sah mich dabei mitleidig an, „die Wüste ist ja so groß, so groß." Ja, er hatte recht. Wer die vielen Millionen Quadratkilometer und dazu das Gesetz des Passats besiegen will, der muß schon mehr als seinen Optimismus mit herüberbringen. Doch die stetig anwachsende Menschheit sucht auch in dieser erdteilgroßen Wüste immer mehr Fuß zu fassen und sie in gewaltigen Be- wässerungsplänen wieder der Ernährung und Besiedlung zuzuführen. Von einigen dieser kühnen Vorhaben wollen wir berichten. Kehren wir zunächst zur großen Niederung des Tschad-See-Beckens zurück. Wir lernten die Gefahr kennen, die diesem südlichen Randgebiet der Sahara durch den Atlantischen Ozean droht. Doch könnten die Planungen zur Wiederbegrünung der Wüste auch diesem Gebiet eine besondere Chance geben! In Mittelafrika, südlich des Tschad, fließt der wasserreiche Kongo mit einem ungeheuren System von Nebenströmen in einer großen Beekenlahdschaft. Das Becken des Tschad liegt etwa 100 Meter tiefer als das des Kongo-Oberlaufs. Die Gebirgsschwelle zwischen diesen beiden Becken will man durchstoßen, die Wasser des Kongo stauen, sie speichern und nach Norden leiten. Dadurch sollen sie sich, alles belebend, in die Tieflande des Tschad und vielleicht gar noch darüber hinaus ergießen. Technisch läßt sich zwar heute manches durchführen. Aber es- wären zuvor doch noch viele andere Fragen zu klären, so daß man dieses Projekt mindestens zur Zeit noch als eine „Fata morgana", eine jener flimmernden Trugbilder am heißen Wüstenhimmel betrachten muß. Andere Pläne wenden sich den Gebieten Tunesiens und der Kattarasenke am Nordrand der ägyptischen Wüste zu, die unter dem Spiegel 28
des nahen Mittelländischen Meeres liegen. Wenn man hier salzfrei gemachtes Wasser aus dem Meer einführte und das Wasser geschickt verteilte, würde es nicht nur den Boden beleben, sondern vielleicht auch den Himmel veranlassen, daß der ausdörrende Passat mit sich reden ließe. Durchbrach nicht auch der Nil die Wüste und schuf eine einzige Riesenoase und für Millionen Menschen ausreichenden Lebensraum? Was wäre Ägypten ohne den Nil anders als eine „vollkommene" Wüste, die nur einigen Menschen nahe der Küste Lebensmöglichkeiten böte! Woher aber die Kraft nehmen, um solch ungeheure Mengen Meereswasser zu entsalzen und über die Küstenschwelle in die Wüstenniederungen zu bringen. Der Plan des Ingenieurs Sörgel, der die Begrünung der Sahara in ein umfassendes Europa-Afrika-Projekt einbezieht, sieht diese Kraftquellen an der Straße von Gibraltar und an der Meerenge zwischen Sizilien und Tunis, der Straße von Sizilien vor. Er will zunächst durch gewaltige Dämme das Mittelmeer zum Atlantischen Ozean und zum Schwarzen Meer hin absperren und die Schiffsverbindungen zwischen diesen Meeren über Schleusen führen. Da die Flüße, die sich ins Mittelmeer ergießen, weniger Wasser heranbringen, als dieses Binnenmeer alljährlich in der Hitze des Südens verdunstet, würde der Meeresspiegel in jedem Jahr um etwa eineinhalb Meter absinken. In hundert Jahren würde dann die nicht sehr tiefe Straße von Sizilien zu einer Landbrücke geworden sein. Das Mittelmeer wäre so in 'zwei Becken geteilt. Während das Westbecken 100 Meter tiefer läge als heute (durch planmäßige Wasserzufuhr vom Atlantik würde die weitere Verdunstung in dieser Meereshälfte ausgeglichen), könnte der Wasserspiegel des Ostbeckens in den nächsten 100 Jahren nochmals um 100 Meter abgesenkt werden. An der Gibraltarstufe und an der Stufe der sizilischen Landbrücke würden dann die Riesenkraftwerke entstehen, die den Saharapumpwerken die Energie lieferten. Zu den wiederbegrünten Wüstengebieten käme dann noch das Land, das rings um die Mittelmeerküste dem Meere abgenommen würde; es hätte allein schon die Größe der iberischen Halbinsel oder Frankreichs. Von Innerafrika her sollen dann Staubecken um die mittelafrikanischeh Seen die Erschließung des Sudans und der südlichen Wüste ermöglichen. Aber all diese erdverändernden Pläne sind zu phantastisch, als daß sie den drängenden Gegenwartsproblemen der Wüste gerecht werden könnten. Während hier die Erwartungen von dem Unterschied in den Wasserspiegeln des Meeres oder der gewaltigen innerafrikanischen Seengebiete ausgehen, glaubt ein französicher Geologieprofessor, daß das Antlitz 29
der nördlichen Wüste von unten her, von den unterirdischen wasserführenden Schichten aus, gründlich verändert werden könnte. Er will den sagenhaften unterirdischen „See" der Sahara, das Wasserreservoir mit mehreren Wasserhorizonten, in seiner ganzen Ausdehnung ausfindig gemacht haben. Dieser „See" erstreckt sich — wir folgen hier den Angaben des Gelehrten — fast in der Größe Frankreichs von den Hängen des Atlas im Westen bis zur Libyschen Wüste im Osten. Die Mächtigkeit der wasserführenden Bodenschichten beträgt 200 Meter, sie liegen so tief, daß sie von der Kraft des Sonnenfeuers an der Wüstenoberfläche nicht erfaßt werden können. Gespeist wird der in Urzeiten versunkene „See" heute von den Gebirgswassern des Atlas. Da der See keinen Abfluß in das Meer bat, soll der ständige Zufluß genügen, um 1500 neue Oasen zu bewässern und viele absterbende zu beleben. Tausende Menschen könnten in diesen Oasen mit ausreichendem Siedlungsland bedacht werden. Schon haben die örtlichen Behörden mit •vermehrten Bohrungen, ja mit der Planung von Mustersiedlungen begonnen. Noch von manch anderen Plänen könnten wir berichten. Aber überlassen wir alles Projektemachen im Großen dem Nachdenken desjenigen, der die vorausgeschickten Ausführungen über die Natur des Landes, seine Größe und seine Oberflächenverhältnisse aufmerksam gelesen hat. Während all diese Vorhaben noch Zukunftsträume sind, ist verkehrstechnisch in der Sahara schon viel erreicht worden. Auf die eine oder andere Weise ist man mit dieser Riesenbarriere fertig geworden, die sich heute wie seit Jahrtausenden vor den klimabegünstigten Süden, den völkerreichen Sudan und den an Naturschätzen reichen Tropengürtel legt. Seit hundert Jahren wurden viele Pläne für eine Transsaharabahn ausgearbeitet, die von Norden nach Süden durch die Wüste führen soll. Das Kopfstück, das von Oran ausgeht, ist bis in den Nordrand der Sahara vorgetrieben. Den weiteren Brückenbogen zum „jenseitigen Ufer" schlägt man mit Omnibussen, die in wenigen Tagen in zauberhafter Wüstenfahrt den Dünen- und Felsozean durcheilen und an finster starrenden Hochgebirgen vorbei zum „Singenden Strom", zum Niger, rollen. Für Wüstentouristen gibt es einen schön ausgearbeiteten Reiseführer, gibt es Tankstellen an vielen in der Geschichte der Sahara denkwürdigen Orten, sogar an solchen, die bis vor kurzem nur der wagemutige Forscher unter Todesgefahr erreichen konnte. Immer dichter wird das Netz verhältnismäßig leicht befahrbarer Reisewege in der .Wüste. Aber man muß sich auch an diese fest30
gelegten Fäden des Netzes halten. Wehe dem, der in das Innere der Maschen gerät! Allahs Segen über ihn, daß aus dem Vogel, der im strahlenden Sonnenlicht in den Geröll- oder Sandhalden zu ihm herabschwebt, ein blinkendes Flugzeug werde, das ihn herausholt, und nicht ein kreisender Geier, der sich in der Ferne niederhockt und unbeweglich wartet, bis seine Stunde gekommen ist. Auch über unserer Karawane, von deren Wanderung eingangs erzählt wurde, schwebten eine Weile die düsteren Schwingen der Geier. Aber bald leuchteten am Horizont die Wedel hoher Palmen auf. Dort wußten wir einen alten Bekannten, Abu Chlib, der uns auf einer früheren Reise zu Diensten gewesen war. Nun eilte er uns entgegen. Sein Gesicht strahlte in tausend tiefen Runzeln; und feierlich die Hand vor die Stirne legend, entbot er seinen Gruß: ,,Ya, Sihdi! Daß meine Augen dich wiedersehen, verlängert mein Leben um viele Jahre! Der Herr segne dich mit dem Tau der Hügel und dem Fett der Herden!"
Diesen Lesebogen schrieb Dr. Hßintich Schiffers, geb. am 28. 9. Ol in Aachen. Der Verfasset, der im Schuldienst steht, wurde bekannt durch eine Reihe farbiger Schilderungen seiner Reisen in Nordafrika.
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Manni
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L U X - J U G E N D - L E S E B O G E N Nr. 39 . Heftpreis 20 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte • Verlag Sebastian Lux, Murnau/Münchcn Published under Military Government License US-E-138. Auflage 35 000/48 Herstellung: Buchdruckerei Holzmann, Bad Wörishofen.