Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 724 Der Erleuchtete
Roboterschicksal von Falk-Ingo Klee Maschinen auf der Spur ...
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Atlan - Im Auftrag der Kosmokraten Nr. 724 Der Erleuchtete
Roboterschicksal von Falk-Ingo Klee Maschinen auf der Spur des Arkoniden Auf Terra schreibt man die Jahreswende 3818/19, als der Arkonide erneut eine plötzliche Ortsversetzung erlebt. Atlans neue Umgebung, das ist die Galaxis Manam-Turu. Und das Fahrzeug, das dem Arkoniden die Möglichkeit bietet, die Spur des Erleuchteten, seines alten Gegners, wieder aufzunehmen, ist die STERNSCHNUPPE. Das Schiff sorgt für manche Überraschung – ebenso wie Chipol, der junge Daila, der zum treuen Gefährten des Arkoniden wird. In den rund sieben Monaten, die inzwischen verstrichen sind, haben die beiden schon manche Gefahr bestanden – immer auf der Spur jener Kräfte, die schon an anderen Orten des Universums für Leid und Unfrieden verantwortlich waren. Während dieser Zeit hat Atlan schmerzliche Niederlagen hinnehmen müssen, aber er hat auch einige Erfolge für sich verbuchen können. So sind zum Beispiel die Weichen für eine Zusammenarbeit der verbannten Daila mit den Bewohnern ihrer Ursprungswelt gestellt worden – was sich positiv auf den Freiheitskampf der Daila gegen die Mächte des Neuen Konzils auswirken dürfte. Auf dem Heimatplaneten der Daila wird auch ein Roboter aktiv, der es sich in den Kopf, beziehungsweise die Positronik gesetzt hat, den längst verschwundenen Arkoniden wieder aufzuspüren. Was dem Sucher dabei widerfährt, ist ein ungewöhnliches ROBOTERSCHICKSAL …
Die Hauptpersonen des Romans: Schwiegermutter - Ein Roboter macht sich selbstständig. Schirtuboh - Ein Käsehändler. Noator - Eigner der BAMPERLETSCH. Traykon-1 - Chef eines robotischen Jagdkommandos. Pluhgort - Ein Eingeborener von Quokko.
1. Den aklardischen Karten nach gehörte Sambantytas zu Ghyltirainen und war ein Vorort, der von der wachsenden Stadt schon vor Jahrzehnten vereinnahmt worden war, dennoch war die Struktur bäuerlich geblieben. Wie vor Generationen lebte die Bevölkerung überwiegend von der Landwirtschaft, und das Zusammenleben der hier wohnhaften Daila wurde von Regeln und Abläufen bestimmt, die dörflichen Charakter hatten. Natürlich hatten die Errungenschaften der modernen Technik Einzug gehalten, doch die Sambantytasianer hatten sich eine gewisse Eigenständigkeit und Urtümlichkeit bewahrt. Der Versuch, die Siedlung zu einer Trabantonstadt zu machen, war mißlungen. Wie ein Mahnmal der Pionierzivilisation stand das häßliche Gerippe eines unvollendeten Wohnklotzes da, das Katen und Häuser turmhoch überragte. Gleich nach der Eingemeindung hatten Spekulanten das Hochhaus auf der grünen Wiese errichtet, doch dann war ihnen das Geld ausgegangen. Neuere Rauauflagen verboten die Fertigstellung, aber für den Abbruch fühlte sich niemand zuständig. Mit ihrem tristen Grau verschandelte die Ruine die idyllische Landschaft. Gelegentlich war die schmucke Siedlung das Ausflugsziel der eigentlichen Städter, einmal im Monat fielen sie jedoch wie ein Heuschreckenschwarm in den verschlafenen Vorort ein am Markttag. Dann waren sie sogar gern gesehen als Käufer der landwirtschaftlichen Produkte, die von den Bauern feilgeboten
wurden. Und anders als sonst erlebte man die knorrigen, spröden Sambantytasianer hinter ihren Verkaufstischen als freundliche, aufgeschlossene Männer und Frauen, bis der Beschließer in seiner traditionellen Tracht bei Anbruch der Dämmerung das Ende des Marktes verkündete. Auch Schirtuboh war jedesmal mit einem Stand vertreten. Der Daila betrieb einen Käsehandel und lebte davon, von Markt zu Markt zu ziehen und seine Ware an den Mann zu bringen, besonders eine recht anrüchige Spezialität namens Merlitong. Sein Gehilfe war ein Roboter, den der Händler »Schwiegermutter« getauft hatte. Einst so etwas wie ein hochherrschaftlicher Diener, trauerte der Automat besseren Zeiten nach und haderte mit seinem Schicksal, nun in der Provinz niedere Arbeiten verrichten zu müssen. Zeternd und keifend war er stets um das letzte Wort bemüht, feilschte mit seinem Eigentümer fast pausenlos um einen besseren Status und wußte alles besser. Kurz, er benahm sich so, als wäre er eine Dame der besseren Gesellschaft, deren Tochter einen Primitivling zum Mann genommen hatte, dem Anstand und Manieren fehlten. So taufte der erboste Schirtuboh den ewigen Mäkler »Johann« kurzerhand in »Schwiegermutter« um. Der Automat war die reinste Karikatur eines Roboters. Er glich völlig einem Daila, hatte sogar die schräggestellten Augen, dennoch war er sofort als Synthogeschöpf zu erkennen. Die künstliche braune Haut und auch die Kopfverkleidung bestand aus einer Gummifolie, die sogar eine Mimik ermöglichte, dennoch wirkte das Antlitz verknautscht, weil die Gesichtssensoren nicht mehr optimal funktionierten. Die Maschine trug eine dunkelblaue Livree, die allerdings schon bessere Zeiten erlebt hatte. Die Handschuhe ließen das ursprüngliche Weiß nur noch erahnen, Hose, Weste und das weiße Hemd waren speckig und fleckig, schmuddelig auch die rote Fliege und die weißen Gamaschen, matt und stumpf waren die schwarzen Schuhe. Des Herumziehens in der Provinz überdrüssig, war
Schwiegermutter seinem Herrn entwischt, um Atlan seine Dienste anzubieten. Zusammen mit dem Arkoniden und Chipol wollte er mit der GHYLTIROON Aklard verlassen, aber Schirtuboh war seinem Gehilfen auf die Schliche gekommen und hatte ihn zurückgeholt. So stand der Roboter wieder tagein, tagaus hinter dem Stand, pries Käse an, stapelte Kisten oder belud den altersschwachen Lastwagen des Händlers, dennoch hatte sich etwas geändert, genauer gesagt, an seiner Programmierung. Der Roboter stellte fest, daß nach und nach neue Programmteile in ihm aktiv wurden, ein Vorgang, den er selbst nicht beeinflussen konnte. Er wurde verselbständigt, mehr und mehr setzte sich in seiner Positronik die Order durch, Atlan zu folgen. Irgendwann, so folgerte Schwiegermutter, hatte ihn jemand zusätzlich programmiert, und diese bisher brachliegenden Speicher wurden nun durch eine Zeitschaltung aktiviert, ohne daß es den geringsten Hinweis auf den Unbekannten gab. Die Erweiterung der Datenkapazität kollidierte primär nicht mit seinem Grundprogramm, wohl aber gab es zwischen dem, was er tat und was er tun mußte, einen deutlichen Widerspruch. Schwiegermutter befand sich sozusagen in einem inneren Konflikt. Die Kunstintelligenz drohte, robotisch schizoid zu werden.
* Noch immer herrschte reges Treiben zwischen den Buden und Ständen, aber der morgendliche Ansturm war vorüber. Am Nachmittag, kurz vor Marktende, schwoll die Käuferschar erfahrungsgemäß noch einmal an, jetzt, zur Mittagszeit, wurde der Geschäftsverlauf ruhiger. Die Bauern und Händler zeigten durchwegs zufriedene Gesichter, und auch Schirtuboh hatte keinen Grund zur Klage. Er nahm die Einnahmen aus der Kasse und erhob sich von der Käsekiste, die ihm als Sitz diente.
»Ich gehe in die ›Marktschänke‹, um etwas zu essen. Du, Schwiegermutter, vertrittst mich. Und daß du mir die Ware lautstark anpreist, verstanden?« »Ich neige nicht dazu, schlecht zu hören, Meister Schirtuboh«, gab der Roboter würdevoll zurück. »Schreien mußt du, Schwiegermutter, schreien wie der Kerl nebenan, damit die Käufer aufmerksam werden. Dein vornehmes ›Wünschen die Herrschaften etwas köstlichen Merlitong zu erstehen?‹ geht sonst völlig unter. Laut gebrüllt ist halb verkauft, merk dir das.« Der Daila wandte sich zum Gehen, drehte sich aber noch einmal um. »Meine Ware ist erstklassig, es wird also weder etwas verschenkt noch mit Nachlaß abgegeben, klar?« »Mit Verlaub gefragt – gilt das auch für die überreifen Laibe, die du in Chinchidurry nicht losschlagen konntest, Meister Schirtuboh?« »Ja, du Narr. Siehst du nicht, daß ich den alten Käse als Sonderangebot ausgezeichnet habe? Bewaa ist das, die neue Hartkäsedelikatesse aus den Bergen zum sensationellen Einführungspreis. Na?« »Aber diese Sorte gibt es doch überhaupt nicht.« »Natürlich nicht, Schwiegermutter. Ich habe den Namen erfunden, damit ich die trockenen Laibe nicht wegwerfen muß, kapiert?« »Wie belieben, doch ich neige dazu, darin eine Täuschung der Verbraucher zu erblicken, die nicht rechtens ist, zumal auch keine Preisreduzierung erfolgt ist.« »Halt den Mund, du Einfaltspinsel«, fauchte der Daila mit einem schnellen Blick nach links und rechts. »Mit deinem Gerede bringst du mich noch um Kopf und Kragen.« »Sollte dir dieses widerfahren, Meister Schirtuboh, so liegt der Grund dafür nicht an meinen Äußerungen, sondern an deinem nicht legalen Tun«, sagte der Roboter steif. »Unsinn!« keifte der Händler. »Ich handle nicht gesetzwidrig, sondern orientiere mich nur an der Konkurrenz. Sieh dir die Bauern
an, diese Gauner. Die halbfaulen Früchte, die niemand mehr kauft, werden von ihnen kurzerhand als Kelterobst angeboten. Ist das etwa reell?« »Dafür ist diese Ware wohlfeil, du dagegen kannst Verdruß bekommen, weil du Produkte zum Verzehr anbietest, die kaum noch genießbar sind, ohne daß sie mit einem Abschlag zu erstehen sind, wie ihn jeder ordentliche Kaufmann in geziemendem Maß einräumen würde.« »Es ziemt sich auch nicht für einen ordentlichen Gehilfen, sich in die geschäftlichen Angelegenheiten seines Chefs einzumischen«, grollte Schirtuboh. »Ich gehe jetzt essen, bevor mir deine geschraubten Satzschachteleien endgültig den Appetit verderben. Und wehe dir, wenn du nicht tust, was ich dir aufgetragen habe.« Schirtuboh hob drohend die geballte Faust, drehte sich auf dem Absatz herum und verschwand mit schnellen Schritten in der bunten Schar der Marktbesucher. Schwiegermutter blickte ihm nach, bis er nicht mehr auszumachen war, dann besah er sich Bewaa, die angeblich neue Hartkäsedelikatesse. Sein Gesicht sollte Unmut ausdrücken, doch die Gesichtssensoren machten daraus ein schiefes Grinsen. Umständlich rückte der Roboter die großen runden Laibe ein wenig zurecht. Mitten in der Bewegung verharrte er plötzlich. Du war er wieder dieser Impuls, Atlan folgen zu müssen, doch da war auch der Befehl, Käse anzupreisen. Selbständig sollte er agieren unter Berücksichtigung der Realität. Die Steuerung, Schwiegermutters synthetisches Ich, löste den Konflikt fast salomonisch, aber eben mit der Verrücktheit einer Positronik, die mangels Alpha-Order mehrere Anordnungen in einen kausalen Zusammenhang bringen mußte. Der Automat marschierte also los, um den Arkoniden auf dem Markt zu suchen, gleichzeitig beobachtete er aufmerksam die anderen Staude und warb lautstark für den Hinkenden Merlitong und andere Käsesorten. An einer mit besonders auffälligen Planen geschützten Bude blieb
der Roboter stehen und wandte sich an den Daila, der dort verkaufte. »Kennst du einen Fremden mit Namen Atlan? Hast du von ihm gehört oder ihn gesehen?« Der Bauer, der gerade für einen Kunden Feldfrüchte abwog, ließ sich in seiner Tätigkeit nicht stören. »He, Meister, ich habe dich etwas gefragt!« »Verschwinde, Schwiegermutter, bevor du Ärger mit deinem Herrn bekommst«, brummte der Landwirt und reichte dem Käufer die pralle Tüte. »Das ist nicht zu befürchten. Würdest du mich nun deine Antwort wissen lassen?« »Ich kenne keinen Atlan. Wer soll das sein?« »Ein Mann mit Würde, der Kultur und Niveau hat – im Gegensatz zu euch Provinzlern.« Der Mann war so perplex, daß er kein Wort hervorbrachte und den Automaten anstarrte wie einen Geist. Schwiegermutter wartete nicht, bis sein Gegenüber die Sprache wiedergefunden hatte, sondern drängte sich rücksichtslos durch die Kauflustigen. Unbeeindruckt von den Protesten derer, die er anrempelte oder einfach zur Seite schob, setzte er seinen Weg fort. Schimpfworte wurden ihm nachgerufen. Ein poppig aufgemachter Stand, wenige Schritte entfernt, erweckte seine Aufmerksamkeit. »Alles aus biologischem Anbau« verhieß ein Schild. Interessiert trat Schwiegermutter näher und musterte die Ware. »Gesund bleiben und alt werden mit alternativer Kost!« propagierte eine schmächtige Frau hinter dem Verkaufstisch mit vom Schreien heiserer Stimme. »Na, Schwiegermutter, verlangt es Schirtuboh nach einem Jungbrunnen?« »Nein, ich muß gestehen, daß ich aus eigenem Antrieb hier bin. Mit deiner gütigen Erlaubnis möchte ich dir eine Frage stellen.« »Da aus dir nie ein Vegetarier werden kann und aus deinem
Besitzer wohl auch nicht, sehe ich keinen Anlaß dazu. Mach Platz für meine Kunden.« Sie wandte sich an eine Artgenossin. »Wie immer?« »Das Gemüse hier ist viel zu teuer«, tönte der Automat. »An anderen Ständen kostet es wesentlich weniger. Wie willst du einen Preisaufschlag von dreißig Prozent erklären?« »Mit der natürlichen Anbaumethode, mit rückstandsarmen Erzeugnissen, mit Verzicht auf Chemie und mit Qualität«, zischte die Bäuerin. »Was geht dich das überhaupt an, Roboter? Hau ab, bevor ich dir Beine mache!« »Pack«, murmelte der Automat und hielt nach einem geeigneteren Gesprächspartner Ausschau, ohne sich um die empörten Frauen zu kümmern. Schräg gegenüber befand sich das Zelt eines Kurzwarenhändlers, der wie Schirtuboh auch in Chinchidurry auf dem Jahrmarkt gewesen war. Käse anpreisend, steuerte er auf den Daila zu, der vergeblich Käufer anzulocken versuchte. »Sagt dir der Name ›Atlan‹ etwas, Meister Bruarth?« »Und ob!« zeterte der Daila los. »Das ist doch der Kerl, der von den Ligriden gesucht wurde. Daß ich in Chinchidurry nicht auf meine Kosten gekommen bin, ist einzig und allein seine Schuld. Er …« Bevor der Händler wußte, wie ihm geschah, versetzte ihm Schwiegermutter eine schallende Ohrfeige und zertrat seine Auslage. »Bist du übergeschnappt?« Fassungslos betrachtete Bruarth das Chaos um sich herum. »Das wirst du mir ersetzen – du und Schirtuboh.« »Nichts bekommst du, Schacherer. Wer Meister Atlan beleidigt, bekommt es mit mir zu tun, merke dir das.« »Du bist ja verrückt«, keuchte der Händler und wich ängstlich zurück. »Eine Macke hattest du ja schon immer, aber jetzt drehst du völlig durch. Deine Grundprogrammierung stimmt nicht mehr.«
Der füllige Mann ertastete das Zelt hinter sich und fühlte sich etwas sicherer. »Du darfst mir nichts tun, Schwiegermutter, du bist ein Dienstroboter. Hörst du? Du bist ein Dienstroboter!« Lautes Geschrei war zu hören, Drohungen und ausfällige Bemerkungen, die Schwiegermutter galten. Ein Pulk von Leuten hatte sich zusammengerottet, angeführt von mehreren Sicherheitsleuten. Als Bruarth die Uniformierten kommen sah, wurde ermutig. »Hilfe, der Roboter hat mich geschlagen und meine Ware demoliert! Setzt ihn fest, bevor er weiteres Unheil anrichtet!« Der Mann gestikulierte heftig mit den Händen. »Ergreift ihn – er funktioniert nicht mehr richtig!« Die grimmigen Gesichter der Polizisten verhießen nichts Gutes. Offensichtlich waren sie von den Leuten alarmiert worden, die Schwiegermutter beleidigt und angepöbelt hatte. Eine solche Entgleisung ließ nur einen Schluß zu: Der Roboter hatte einen Defekt und mußte schleunigst aus dem Verkehr gezogen werden, bevor er wirkliches Unheil anrichtete. Daß eine gravierende Programmstörung vorlag, bewies jedem Beobachter die Handgreiflichkeit gegenüber dem Händler. Schwiegermutter wußte, daß er mit seinem Tun gegen die ehernen Grundregeln kybernetischer Systeme verstoßen hatte, daß er was eigentlich nicht möglich war aus sich selbst heraus der Urprogrammierung zuwider gehandelt hatte. Der Drang, Atlan zu folgen und ihn zu finden, war so stark, daß selbst die absolute Sperre der Robotgesetze durchbrochen wurde, ohne daß es zur Zwangsabschaltung kam. Die Positronik machte regelrechte mathematische Klimmzüge, um den Widerspruch logisch zu erfassen, aber das gelang ihr nicht. Regungslos stand der Automat da, weil kein Steuerbefehl seine Handlungssensoren erreichte. »Wünschen die Herrschaften etwas köstlichen Merlitong zu erstehen?« rief Schwiegermutter. »Wer kennt einen Fremden namens Atlan? Delikater Bewaa jetzt im Sonderangebot!«
»Er ist total verrückt!« japste der rundliche Kurzwarenhändler und hüpfte dabei wie ein tanzender Derwisch um den Roboter herum. »Seht euch den Schaden an, den er angerichtet hat.« Anklagend deutete er auf das Chaos zu seinen Füßen. »Die kostbaren Schnallen, die herrlichen Spitzen, Litzen, Bänder und Knöpfe – zertreten und verdreckt.« »Hör auf zu jammern, sein Besitzer muß dir den Schaden ersetzen«, raunzte einer der Uniformierten. Er musterte Schwiegermutter mißtrauisch, der immer noch Käse anpries und nach dem Arkoniden fragte. »Das scheint ein schwieriger Fall zu sein.« »Das kann man wohl sagen«, schnappte Bruarth. »Er hat mich geohrfeigt. Die Wange schmerzt immer noch.« »Du kannst es später zu Protokoll geben.« Der Polizist wandte sich an seine Begleiter. »Ich denke, es ist besser, wenn wir ihn abtransportieren. Monval, rufe über Funk einen Wagen herbei, du, Fasonh, informierst Schirtuboh über den Vorfall – die üblichen Auflagen. Instandsetzungspauschale, Herausgabekaution, Funktionsnachweis eines kybernetischen Sachverständigen und was der Dinge mehr sind.« Während Fasonh loszog, um den Käsehändler von dem Zwischenfall zu unterrichten, kümmerte sich Monval um das Fahrzeug und nahm die Namen und Anschriften der Zeugen auf. Auf den Gesichtern einiger Daila zeigte sich Schadenfreude darüber, daß der geschäftstüchtige Schirtuboh nun selbst einmal ordentlich zur Ader gelassen wurde, denn eine entsprechende Versicherung, die für den Schaden aufkam, hatte der knauserige Käsehändler bestimmt nicht abgeschlossen. »Das wird ein teurer Spaß für den alten Geizhals«, kicherte Bruarth und rieb sich vergnügt die Hände. »Ich werde gleich einmal Inventur machen, um meine Forderung präsentieren zu können.« »Tu das«, brummte der Uniformierte, dem der füllige Mann allmählich auf die Nerven fiel. »Aber nimm nicht auch deinen
Ramsch auf. Wir prüfen das nach.« »Was soll das?« empörte sich der Kurzwarenhändler. »Ich bin ein ehrlicher Kaufmann.« »Das habe ich auch nicht in Abrede gestellt«, sagte der Polizist, doch er dachte genau das Gegenteil. Ohne den Daila weiter zu beachten, baute er sich vor Schwiegermutter auf und betrachtete ihn kopfschüttelnd. Wie ein Endlosband spulte der Roboter noch immer sein Verslein herunter. Vergeblich versuchte der Ordnungshüter zu ergründen, welcher Zusammenhang zwischen diesem Fremden, mit Namen Atlan und Käse bestand. Da er zu keinem Schluß kam, begnügte er sich nach längerem Nachdenken mit der lapidaren Feststellung, es mit einem Automaten zu tun zu haben, der völlig durchgedreht war. Warum und wodurch, darüber machte er sich keine Gedanken. Seine Pflicht war es, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, alles andere ging ihn nichts an. Schwiegermutter, der wie ein Papagei vor sich hin plapperte, war nicht anzusehen, was sich in ihm abspielte. Die Daten verschiedener Speicher wurden in die Positronik eingespeist, zwei Informationsinhalte, die jede für sich Priorität hatten, überlagerten sich gegenseitig mit wechselnder Intensität. Hier Atlan, da Schirtuboh, hier der Befehl, dem Arkoniden zu folgen, da die Urprogrammierung, seinen Erbauern zu dienen. Er hatte sie nicht geschützt, wie es in seinem Programm verankert war, sondern sich sogar tätlich gegen sie gewandt, er hatte Atlan auf dem Markt gesucht, obwohl er wußte, daß dieser Aklard längst verlassen hatte. Warum führte das nicht zur automatischen Desaktivierung? Existierte keine der unüberwindbaren Sperren mehr in ihm? Das Synthowesen, das da zwischen Grundsteuerung und Zusatzprogrammen quasi hin- und hergerissen wurde, befand sich gewissermaßen in einem Interessenkonflikt, fast vergleichbar mit dem intelligenter Geschöpfe. Oft genug sind Verstand und Gefühl Gegenspieler, und kaum anders war die Situation von
Schwiegermutter. In ihm war verankert, daß eine Rückführung auf die ursprüngliche Programmierung unerläßlich war, aber diese Einsicht kollidierte mit dem Befehl, Atlan zu suchen – hier und sofort. Für eine Datenkonsolidierung war keine Zeit. Eine mächtige Impulsfolge erreichte das Kommandozentrum der Positronik. Augenblicklich erwachte der Roboter aus seiner Starre, gleichzeitig verstummte er und rannte los. Hakenschlagend wie ein Hase zick-zackte er durch die umstehenden Zuschauer und raste mit einer Geschwindigkeit davon, die nur eine Maschine entwickeln konnte. »Halt! Stehenbleiben!« Monval zog seine Waffe, doch da war Schwiegermutter schon untergetaucht. Mit einer Verwünschung steckte der Polizist den Strahler wieder weg. Er hätte ohnehin nicht schießen können, weil die Gefahr zu groß war, daß ein unbeteiligter Marktbesucher getroffen wurde. Da eine Verfolgung zu Fuß aussichtslos war, gab der Uniformierte über Funk eine Fahndungsmeldung durch. Der geflohene Roboter wurde endgültig als außer Kontrolle geraten eingestuft, und da waren andere Auflagen zu erfüllen.
* Auf Umwegen kehrte Schwiegermutter zum Käsestand seines Herrn zurück. Noch immer empfing die Positronik widersprüchliche Anweisungen, aber das Grundprogramm lieferte die eindeutigere Order. Innerlich zerrissen, meldete sich der Roboter zerknirscht bei seinem Besitzer zurück. Der empfing ihn mit einem Donnerwetter. »Du bist wohl von allen guten Geistern verlassen, du Idiot!« tobte Schirtuboh. »Kaum lasse ich dich für ein paar Minuten aus den Augen, drehst du durch. Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, einfach wegzulaufen? Habe ich dir nicht befohlen, hierzubleiben und zu verkaufen?«
»Gestatte mir, dich untertänigst zu korrigieren, Meister Schirtuboh. Dein Befehl lautete, die Ware anzupreisen, und das habe ich auch getan – unter anderem.« »Ja, unter anderem, du Trottel«, giftete der Daila. »Deine Dummheit läßt sich schon nicht mehr in Worte fassen. Warum rennst du über den Markt und fragst nach Atlan, obwohl du genau weißt, daß er Aklard längst verlassen hat? Warum pöbelst du Leute an und verprügelst sie sogar noch obendrein? Hier, sieh dir das an!« Mit wutverzerrtem Gesicht nestelte der Händler ein paar Papiere aus der Tasche. »Diese Rechnung hat mir der Halsabschneider Bruarth übergeben und eine Schmerzensgeldforderung angekündigt, das ist ein Strafbefehl wegen deines Verhaltens und das ein Bußgeldbescheid, weil die Marktruhe verletzt wurde. Gegen mich wurde Anzeige erstattet, weil ich angeblich deine Wartungsintervalle nicht eingehalten habe, und das bringt mir ein Gerichtsverfahren ein.« Entnervt ließ sich Schirtuboh auf einer Kiste nieder. »Das ist der schwärzeste Tag in meinem Leben. Und du Hohlkopf bist an allem schuld!« »Es mag dir kein Trost sein, Meister Schirtuboh, aber um der Wahrheit die Ehre zu geben, möchte ich ganz bescheiden darauf hinweisen, daß du mir noch nie eine Durchsicht hast angedeihen lassen.« »Wozu auch? Habe ich jemals Urlaub gemacht?« Pathetisch schlug der Käsehändler die Hände vors Gesicht. »Ich bin ruiniert durch meinen eigenen Roboter. Womit habe ich das verdient?« »Zu Zeiten, in denen du meiner Unterstützung nicht bedarfst, könnte ich mich bei anderen Geschäftsleuten verdingen – gegen gutes Geld. Wäre dir das genehm, Meister Schirtuboh?« »Natürlich, denn ich bin ein gebrochener Mann, aber es geht nicht.« Der Daila, eben noch weinerlich und voller Selbstmitleid, explodierte förmlich. »Du kannst nicht mehr länger mein Gehilfe sein, du Tunichtgut.« »Beliebt es dir, mich zu verkaufen?«
»Ich wollte, ich könnte es, aber wer bezahlt schon für einen solchen Narren mehr als den Materialwert?« Zornig sprang Schirtuboh auf. »Vorhin war ein Polizist da. Weißt du, was er gesagt hat? Daß du gemeingefährlich bist. Er hat mich vor die Wahl gestellt, dich abzuschalten und zu verschrotten oder deine durcheinandergeratenen Programme gegen neue auszutauschen. Neue Programme! Als wenn das nichts kosten würde!« »Fürwahr, ich habe dich in arge Not gebracht, Meister Schirtuboh.« Schwiegermutters Stimme klang betrübt, doch seine Gesichtssensoren fanden nicht die passende Mimik dazu und produzierten ein Grinsen. »Schalte mich ab. Ich bin bereit, dieses Opfer auf mich zu nehmen.« »Wieso Opfer? Deinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, muß es für dich das reinste Vergnügen sein«, ereiferte sich der Daila. »Du weißt, daß meine Gesichtssensoren nicht mehr optimal funktionieren. Und meine Positronik ist auch durcheinander«, klagte der Roboter. »Ich tauge wahrlich nicht mehr viel. Bitte schalte mich ab, dieser Widerstreit mit mir selbst ist unerträglich.« »Wenigstens bist du einsichtig«, knurrte Schirtuboh. »Komm her!« Gehorsam trat Schwiegermutter näher und schob Hemd und Weste hoch, damit sein Besitzer an die Schalteinheit kam. Der Händler zog einen Kodeschlüssel aus der Tasche, schob ihri in eine winzige Vertiefung des Roboterkörpers und setzte damit eine Signalfolge frei, die zur Desaktivierung führte. »So, Kerl, du wirst mir in der nächsten Zeit keinen Ärger mehr machen.« Der schmächtige Mann steckte den Impulsgeber wieder ein und fühlte dabei einen weiteren Zettel in seiner Tasche. Es war eine Anordnung des Beschließers, den Stand sofort abzubauen, weil, so stand es auf dem Papier, die dort beschäftigte Hilfskraft eine Gefahr für die Öffentlichkeit und die Marktbesucher darstellte. Für den Wiederholungsfall wurde eine Verweigerung der Verkaufslizenz angedroht.
»Oh!« war alles, was Schirtuboh hervorbrachte. Der Zorn, der schon halbwegs verraucht war, machte kalter Wut Platz. Voller Ingrimm versetzte er Schwiegermutter einen Tritt in die nachgebildeten hinteren Weichteile. »Ich sollte dich abwracken lassen, du hirnloses Scheusal«, keuchte der Händler und trat noch einmal zu. »Wieso willst du mich dem Schrott zuführen, Meister Schirtuboh? Wolltest du mich nicht abschalten?« Dem Daila fielen fast die Augen aus dem Kopf. Entsetzt wich er zurück. »Das ist unmöglich«, krächzte er. »Ich habe dich abgeschaltet.« »Die Signalfolge habe ich angemessen«, bestätigte der Roboter. »Versuche es noch einmal.« »Nein, auf gar keinen Fall. Du bist mir unheimlich. Das ist Wahnsinn. Du bist ein Monstrum!« Die Stimme des Händlers vibrierte, ihm war anzusehen, daß er Angst hatte, sein Blick wirkte gehetzt. Schwiegermutters Entgleisung ließ sich vielleicht noch mit mangelnder Wartung erklären, obwohl das auch ziemlich unwahrscheinlich war, aber daß ein Automat nicht zu desaktivieren war, war so unmöglich wie der Versuch von Landsäugern, in der Tiefsee zu überleben. Furchtsam maß Schirtuboh mit den Augen die Entfernung zwischen sich und dem Automaten und zog sich vorsichtig zurück. Als der Roboter sich bewegte und Anstalten machte, sich ihm zu nähern, verlor der Daila endgültig die Nerven. Er warf sich herum und rannte schreiend davon. Es war bezeichnend für seine geistige Verfassung, daß er sogar seine Ware im Stich ließ. Passanten, die nicht wußten, was ihn so entsetzte, blickten ihm kopfschüttelnd nach, denn es gab weder einen Verfolger noch jemanden, der dem Flüchtenden ans Leder wollte. Schwiegermutter machte keine Anstalten, seinem Herrn nachzusetzen. Er hatte Probleme mit sich selbst, denn zu seinem Leidwesen verstärkte sich der innere Zwist wieder. An Abschalten
war nicht mehr zu, denken, mehrere Parallelspeicher bombardierten die Positronik mit Impulsen, deren Intensität sich steigerte und schließlich um mehr als eine Potenz über dem Niveau des Grundprogramms lag. Alles, was der Roboter bis zu diesem Zeitpunkt erlebt hatte, wurde zweitrangig. Eine ganz neue Dimension tat sich Schwiegermutter auf, er war auf einmal kein simpler Befehlsempfänger mehr, sondern ein Individuum. Wie ein vernunftbegabtes Lebewesen konnte er eigene Entscheidungen treffen, die weit über seine bisherige Tätigkeit hinausgingen. Im Mittelpunkt seines Sinnens und Trachtens stand immer noch Atlan, doch es war nicht mehr die sture Order, ihn finden zu müssen, er verspürte nicht mehr den direkten Zwang, einfach losgehen zu müssen wie ein instinktgesteuertes Tier. Ein eigenes Ich entwickelte sich, ein nie gekanntes Selbstwertgefühl, ihm ging auf, daß seine eigene Person wichtig war. Nur wenn sein Handlungsspielraum nicht beschnitten wurde, war es ihm möglich, dem Arkoniden zu folgen. Freiheit, vorher für ihn eine unbekannte Größe, war plötzlich ein Begriff von zentraler Bedeutung für sein Tun. Eine gewisse Befriedigung überkam den Roboter. Die neuen Programme dominierten, er war mit sich selbst im reinen. Keine Spur mehr von Zweifel und Unsicherheit, sein Weg war klar vorgezeichnet: Um Atlan finden zu können, mußte er Aklard verlassen. Dazu war ein fernflugtaugliches Schiff erforderlich, und das fand er nur am Raumhafen. Dorthin zu gelangen, war sein vordringliches Ziel, doch schon begannen die Schwierigkeiten. Schirtuboh kehrte zurück, versteckt hinter den Rücken von zwei schwerbewaffneten Polizisten. Ihre gezogenen Strahler waren auf Schwiegermutter gerichtet, aufgeregt kreischend liefen die in der Nähe weilenden Marktbesucher zur Seite und suchten Deckung hinter Buden und Ständen. Der Roboter wußte, daß er intakt bleiben mußte, sonst war sein Vorhaben gescheitert, bevor es überhaupt begonnen hatte. Ihm blieb
nur die Flucht. Ohne erkennbaren Ansatz packte Schwiegermutter zwei der kiloschweren Käselaibe und schleuderte sie auf die Uniformierten. Die wurden von der Attacke so überrascht, daß sie keinen gezielten Schuß mehr abgeben konnten. Einem gelang es noch, in die Luft zu feuern und reflexhaft die Arme auszustrecken, dann wurden sie von den ungewöhnlichen Wurfgeschossen getroffen, prallten gegen den hinter ihnen gehenden Händler und rissen ihn mit zu Boden. Schimpfend und fluchend wälzten sich die Daila auf dem Pflaster. Der Roboter wartete den Erfolg seiner Aktion nicht ab, sondern machte sich aus dem Staub. Niemand versuchte, ihn aufzuhalten, alles war so schnell gegangen, daß keiner der Zuschauer eingreifen konnte. Im Geschwindschritt verließ Schwiegermutter den Ort des Geschehens. Er mußte jetzt so rasch wie möglich untertauchen, denn in Kürze würden alle Polizisten im Umkreis Jagd auf ihn machen, vielleicht wurde sogar die Bevölkerung in die Fahndung einbezogen. Da er eine sehr auffällige Erscheinung war, würde ihn jeder Passant sofort erkennen. Nun mußte sich zeigen, was die neue Programmierung wert war.
2. Bis zum Einbruch der Dunkelheit hatte sich Schwiegermutter in einer halbverfallenen Scheune im Stadtteil Sambantytas versteckt, dann hatte er Maske gemacht. Angetan mit Hut und Mantel – beides von einer Vogelscheuche entliehen – marschierte er mal querfeldein, mal auf Schleichwegen in Richtung Raumhafen. Wann immer es möglich war, rannte er und legte dabei ein Tempo vor, das Schirtubohs Lastwagen selbst bergab nicht erreichte. Obwohl der Roboter öffentliche Verkehrswege mied, konnte er aus der Ferne erkennen, daß die Ausfallstraßen nach Ghyltirainen von der Polizei kontrolliert wurden. Auch Fußstreifen waren
unterwegs. Geschickt umging er die Patrouillen und nutzte jede Deckungsmöglichkeit. Oft genug war das ein Busch, auch mal ein Strauch in einem Vorgarten, Bäume, Windbruchhecken, Ställe und Schuppen, aber auch weidende Viehherden. Um ein Haar wäre ihm eine solch lebende Deckung zum Verhängnis geworden, weil er sich zu hastig näherte und der Wind so ging, daß die grasenden Hornträger ihn nicht wittern konnten. Die Tiere waren unruhig geworden und in Panik geraten, als er sich zwischen ihre Leiber drängte. Auskeilend und stoßend waren sie davongerannt und hatten damit die Aufmerksamkeit ihres Besitzers geweckt, der im Licht eines starken Handscheinwerfers ein Loch im Zaun flickte. Der Bauer leuchtete sogleich den Pferch ab, und obwohl der Lichtfinger auch den Automaten traf, blieb Schwiegermutter unentdeckt. Eng an die Tränke gepreßt, auf dem Boden liegend, wartete er, bis der Daila wieder an der Umzäunung herumwerkelte, kroch dann zu einem Verschlag und verschwand zwischen den mannshohen Halmen eines angrenzenden Kornfelds. Die Vorsicht, die der Roboter walten lassen mußte, kostete ihn Zeit. Der Morgen graute schon, als er endlich sein Ziel erreichte. Der Raumhafen machte einen verlassenen Eindruck, das Be- und Entladeterminal war verwaist, der Komplex mit den Löschanlagen lag im Dunkeln wie der größte Teil des Landefelds auch. Eine Handvoll meist schäbiger Raumer wurde von Spots angestrahlt, ein paar Posten drehten lustlos ihre Runden. Trotz seiner Verkleidung wagte es Schwiegermutter nicht, sich offen zu zeigen und die Schiffe zu inspizieren. Da die Sicherheitskräfte seiner noch nicht habhaft geworden waren, mußte er damit rechnen, daß die Nachforschungen auf ganz Ghyltirainen ausgedehnt worden waren. Sollte er es riskieren, sich zu einem der Schiffe zu schleichen und als blinder Passagier an Bord zugehen? Die Gefahr, dabei entdeckt zu werden, war zweifellos groß, weil abzusehen war, daß er sich gewaltsam Zutritt verschaffen mußte, und die Voraussetzung dazu war wiederum, daß er sich Werkzeuge
beschaffen mußte. Da er über keine Mittel verfügte, mußte er stehlen oder einbrechen – ein zusätzliches Risiko. Nein, diese Möglichkeit schied aus. Er mußte sich etwas anderes einfallen lassen, doch zunächst benötigte er einen Unterschlupf, eine Art Basis, von der aus er operieren konnte. Es war ihm zu unsicher, den ganzen Tag auf der Straße zu verbringen. Er mußte darauf gefaßt sein, durch einen dummen Zufall erkannt zu werden, und dann war es aus mit ihm. Wohin sollte er sich wenden? Hier gab es keine Ställe und Scheunen, in denen er sich verbergen konnte, vielleicht nicht einmal leerstehende Häuser. Noch lag die Stadt im Schlaf, aber das würde sich in Kürze ändern. Noch konnte Schwiegermutter sich relativ ungefährdet bewegen, in zwei, drei Stunden wimmelte es überall von Daila. Der Roboter entschied sich dafür, in der nahen Downtown unterzutauchen. Zwar hatte dieses Viertel einen schlechten Ruf, weil sich allerlei lichtscheues Gesindel dort herumtrieb, aber Ganoven fürchtete der Automat weniger als Polizisten. Die Uniformierten ließen sich ohnehin nur sporadisch in diesem Vorort blicken, der hauptsächlich aus heruntergekommenen Wohnblocks, verfallenen Schuppen und öden Lagerhallen bestand. Die paar Kaschemmen, die es dort gab, fügten sich nahtlos in die triste Umgebung ein. Nach einem letzten Blick auf den Raumhafen machte Schwiegermutter sich auf den Weg. Als würde er frösteln, hatte er den Mantel zugeknöpft und den Kragen hochgestellt, die Hutkrempe tief ins Gesicht gezogen und den Kopf gesenkt. Mit dem etwas unsicheren Schritt eines Nachtschwärmers tappte er durch schlecht beleuchtete Straßen und dunkle Gassen. Außer ein paar Betrunkenen begegnete er keiner Menschenseele. Ihm war das nur recht. Obwohl er sich unbeobachtet fühlte, spielte der Roboter seine Rolle weiter und ging leicht schwankend auf einen nur spärlich beleuchteten Platz zu, dem die Rolle eines Verteilers zukam. Ohne lange zu überlegen, wählte
Schwiegermutter die zweite Abzweigung von links. Da er über Geruchssensoren verfügte, roch er auch den stinkenden Müll am Straßenrand, ein Hauch von Fäulnis lag in der Luft. Plötzlich verstellte ihm eine sehnige Gestalt den Weg, blanker Stahl blitzte auf. »Stop, Kumpel! Hast du einen Passierschein?« Schwiegermutter blieb gelassen. So sprach und benahm sich kein Fahnder. Davon überzeugt, es mit einem jugendlichen Ganoven zu tun zu haben, stellte er sich dumm. »Von einem Passierschein weiß ich nichts.« »Du scheinst allerhand geladen zu haben, Junge, sonst würdest du verstehen – Geld. Rücke einen großen Lappen heraus, sonst machst du mit meinem Messer Bekanntschaft.« »Ich habe nichts bei mir und auch nichts getrunken.« »Drogen nimmst du auch nicht, und daß du herumwankst, liegt daran, daß du Kreislaufbeschwerden hast, nicht wahr?« Die jugendlich klingende Stimme bekam auf einmal einen harten Unterton. »Die Ausrede kenne ich, Alter. Nüchterne und Lügner zahlen den doppelten Tarif, also her mit der …« Was immer auch der dreiste Wegelagerer sagen wollte, es ging in einem Röcheln unter. Mit einer kaum sichtbaren Bewegung hatte der Roboter dem Halbwüchsigen die Waffe aus der Hand geschlagen und seinen Hals umklammert. Vergeblich versuchte der Bursche, den eisernen Griff zu lockern. »Ich gestehe, daß es ein Fehler war, dich zu bedrohen«, stieß der Daila krächzend hervor. »Laß mich los, ich kriege keine … Luft … mehr.« Schwiegermutter gab den Jungen frei. Der atmete mehrmals tief durch und massierte seinen schmerzenden Hals. Als wäre ihm schwindelig, ging er in die Hocke und grabschte blitzschnell nach dem Messer. Der Roboter war flinker. Mit der Linken riß er die Waffe an sich, mit der Rechten packte er den Räuber am Arm und zerrte ihn unsanft empor.
»Au, du tust mir weh«, jammerte der Halbwüchsige. »Hattest du nicht selbiges mit mir vor?« grollte Schwiegermutter. »Derlei Späße sind unschicklich.« »Warum redest du so komisch? Bist du ein Greifer?« »Welch ergötzlicher Gedanke. Du erheiterst mich, junger Freund.« Spielerisch drehte der Roboter das Messer hin und her. »Einen gar scharfen Stahl führst du da. Klebt schon Blut an dieser Klinge?« Die gestelzten Worte weckten in dem Daila die Vermutung, es mit einem Verrückten zu tun zu haben, dafür sprachen auch die übermenschlichen Kräfte. Ihm wurde auf einmal himmelangst, er zitterte am ganzen Körper. »Tu mir nichts, ich mache alles, was du willst«, stotterte der Junge. »Nimm mein Geld! Die Beute ist nicht groß, weil ich erst einen Kunden ausnehmen konnte, aber ich kann dir mehr besorgen. Oder hast du einen anderen Wunsch? Ich erfülle ihn dir, wenn du mich am Leben läßt. Bitte, steck das Messer weg!« »Oh, es liegt mir fern, dich zu ängstigen, aber ein Anliegen hätte ich schon.« »Was ist es?« »Ich benötige einen Unterschlupf und einen Platz auf einem Raumschiff, um diesen ungastlich gewordenen Planeten zu verlassen.« »Man sucht dich also?« »Es steht zu vermuten. Gilt dein Angebot noch?« »Selbstverständlich«, versicherte der Halbwüchsige hastig. »Ich werde dich zu einem Freund führen, der mir noch einen Gefallen schuldet. Er wird dir weiterhelfen.« »Gut, geh voraus, aber versuche nicht, mich zu übertölpeln.« »Ich bin ja nicht lebensmüde«, sagte der Daila und setzte sich in Bewegung. Der Junge führte Schwiegermutter tiefer in das heruntergekommene Viertel. Durch schmuddelige Gassen und vorbei an verfallenen Hinterhöfen gelangten sie zu einem
dreistöckigen alten Kasten, dem der Zahn der Zeit schon gehörig zugesetzt hatte. »Wir sind da«, raunte der junge Bursche. Schwiegermutter musterte das Haus. Vertrauenerweckend sah die Umgebung nicht gerade aus, alles wirkte marode und baufällig. »Raumfrachtkontor«, entzifferte der Roboter auf einem rostigen Schild. Das klang gut, aber wenn sich die Schiffe im gleichen Zustand befanden, standen sie kurz vor dem Abwracken. »Vermag jemand in diesem Gebäude zu leben?« »Ja, Noetor. Er ist ein Einzelgänger, zu dem nur wenige Kontakt haben. Ihm gehört eine private kleine Frachtgesellschaft, aber womit er Handel treibt, weiß niemand. Du kannst ihm vertrauen.« Der Junge betätigte in einem bestimmten Rhythmus den Knopf einer Klingel, die nur noch von einem Draht gehalten wurde. Eine scheppernde Glocke schlug an. Eine Weile geschah nichts, dann ging irgendwo ein Licht an. Spärlicher Schein drang durch die schmutzigen Scheiben, schemenhaft schlurfte eine verwachsene Gestalt heran. »Wer ist da?« fragte eine brüchige Stimme. »Ich bin's, Hertuto. Mach auf!« Ein Riegel wurde zurückgeschoben, das Klirren einer Kette war zu hören, dann öffnete sich knarrend die morsche Tür. »Komm herein!« Hertuto schlüpfte in den kahlen Flur, der von einer staubigen Glühbirne an der Decke nur notdürftig erhellt wurde. Schwiegermutter folgte ihm. Den Alten schien es nicht im geringsten zu verwundern, daß der Daila einen fremden Besucher mitbrachte. Ohne sich darum zu kümmern, verriegelte er die Haustür wieder und ging wortlos in einen angrenzenden Raum, der so wohnlich war wie eine Abstellkammer. Allerlei Gerumpel lag herum, es roch nach Moder. Noetor ließ sich auf dem einzigen Stuhl nieder, der noch als solcher zu bezeichnen war. »Nun?«
»Du mußt mir einen Gefallen tun. Mein Freund hier muß Aklard verlassen. Kannst du ihn mitnehmen?« »Wenn er keine Fragen stellt – ja.« Noetor erkannte nicht viel von dem Roboter, er war halbblind. »Dein Name genügt mir. Wie heißt du?« »Man pflegt mich Schwiegermutter zu nennen.« »Au weia!« entfuhr es Hertuto, dem der Schrecken in alle Glieder fuhr. »Und ausgerechnet mit dir habe ich mich angelegt.« »Ich kann mich nicht erinnern, je deine Bekanntschaft gemacht zu haben, junger Freund. Woher kennst du mich?« »Kurz nach Mitternacht sind Greifer vorbeigekommen, die sich nach einem durchgedrehten Roboter … Ich meine, die einen Roboter suchen. Sie gaben auch eine genaue Beschreibung und wußten den Namen.« Schwiegermutter nahm den Hut ab und schlüpfte aus dem Mantel. »Ja, du bist es. Geckenhafter Aufzug …« Hastig schlug der Jüngling sich auf den Mund. »Oh, verdammt, was rede ich denn da wieder für einen Unsinn?« Ängstlich blickte er den Roboter an. »Läßt du mich jetzt gehen? Ich verspreche dir, daß ich dich nicht verrate.« »Ich weiß nicht. Schon einmal hast du versucht, mich hereinzulegen.« »Du kannst Hertuto vertrauen, Schwiegermutter. Er ist ein guter Junge«, mischte sich Noetor ein. »Mir deucht, daß unsere Vorstellungen von ›gut‹ unterschiedlich sind, doch pflegt jedes Milieu an derlei Begriffe unterschiedliche Wertmaßstäbe anzulegen. Es sei also.« Der Roboter reichte dem Halbwüchsigen das Messer. »Du solltest einem anderen Gewerbe nachgehen, Hertuto. Es ziemt sich nicht für einen gesunden jungen Mann, mit tödlichem Stahl seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, denn gar zu schnell macht eine Waffe aus einem Räuber einen Mörder.« Hertuto nickte nur, nahm vorsichtig das Messer an sich und
verabschiedete sich mit einem kurzen Gruß. Er hatte es auf einmal eilig, wegzukommen. Ein Roboter, der außer Kontrolle geraten war und nach dem die Polizei fahndete, war ihm unheimlich. Knallend fiel die Tür ins Schloß. Den Alten schien an seinem späten – oder frühen Gast, denn es war ja bereits Morgen – nichts zu stören. Er erkannte nicht einmal, daß er es mit einem Automaten zu tun hatte, und selbst wenn er es gewußt hätte, wäre es ihm egal gewesen. »Du hast Glück, Schwiegermutter«, brabbelte der verwachsene Daila. »In ein paar Stunden hättest du mich hier nicht mehr gefunden.« »Mußt du etwa auch untertauchen?« »Keine Fragen«, schrillte Noetor. »Neugier kann ebenso tödlich sein wie zuviel Wissen. Richte dich danach! Mich interessiert nicht, was du getan hast, es reicht mir, deinen Namen zu kennen. Und dir sollte es genügen, daß du den meinen weißt. Wir starten in vier Stunden.« Schwiegermutter hätte am liebsten einen Jubelschrei ausgestoßen. Besser hätte er es nicht treffen können. Zwar hätte er gerne etwas über das Ziel der Reise erfahren, aber er wollte seinen Gastgeber nicht gegen sich aufbringen. »Ein Bett kann ich dir nicht anbieten, suche dir irgendwo im Haus ein Lager, wenn du müde bist. Ich habe noch ein paar Vorbereitungen zu treffen.« »Sofern es dir genehm ist, möchte ich dir dabei meine Hilfe angedeihen lassen«, sagte der Roboter geschraubt. »Es drängt mich, meinen Dank abzustatten.« »Ich komme allein zurecht«, beschied ihn der Alte. »Mache das Licht aus, bevor du einschläfst. Ich hasse Verschwendung.« Schwiegermutter blickte dem Daila nach, hörte, wie dieser die Haustür gewissenhaft verriegelte und dann über eine knarrende Stiege in den ersten Stock ging. Erneut wurde eine Tür verschlossen, dann war es still.
Ein komischer Kauz war dieser Noetor schon. Er mußte damit rechnen, daß er, Schwiegermutter, ein Krimineller war, der gesucht wurde und dem der Boden auf Aklard zu heiß geworden war. Jemand, der eine weiße Weste hatte, hätte es entrüstet abgelehnt, einem Verbrecher zur Flucht zu verhelfen und sich damit zu seinem Komplizen zu machen. Der Alte hatte jedoch sofort zugestimmt, ohne eine Passage oder ein Schweigegeld zu fordern. Nur eine Bedingung hatte er gestellt: Keine Fragen. Das ließ nur den Schluß zu, daß er etwas zu verbergen hatte. Hertuto hatte erklärt, daß Noetor eine kleine Frachtgesellschaft betrieb, ohne daß jemand wußte, welche Waren er beförderte. Es war nicht auszuschließen, daß der Verwachsene eine Marktlücke entdeckt hatte, die einen offiziellen Handel erlaubte, aber daran glaubte der Roboter nicht. Diese Gegend war keine Adresse für lautere Geschäfte, und das schäbige Umfeld schreckte jeden seriösen Kunden ab. Vermutlich lebte Noetor von kleinen Gaunereien, fungierte vielleicht als Hehler, der Diebesgut zu anderen Planeten brachte und dort verkaufte. Die Geheimniskrämerei weckte Schwiegermutters Neugier. Es brachte ihn zwar keinen Schritt weiter in seinem Bemühen, Atlan zu finden, wenn er in Erfahrung brachte, was Noetor zu verbergen hatte, aber die neuen Programme verursachten unter anderem auch eine Art Schwammeffekt, nämlich den, sich mit Wissen vollzusaugen, Informationen zu sammeln, zu lernen. Jede Kleinigkeit konnte von Nutzen sein. Das Zimmer, in dem sich der Roboter befand, war nun wahrlich kein Ort, der geeignet war, neue Erkenntnisse zu vermitteln. So leise wie möglich verließ er die Rumpelkammer und sah sich in den anderen Räumen um. Sie sahen nicht viel besser aus, selbst die winzige Küche glich einem Lagerplatz für Sperrmüll, also beschloß er, die oberen Etagen zu inspizieren. Unter seinem Gewicht gab die ausgetretene Holztreppe verdächtige Geräusche von sich. Er hatte nicht einmal den ersten Absatz erreicht, als Noetor wie
eine Furie aus seinem Zimmer geschossen kam. »Was hast du hier oben zu suchen?« »Ein Lager. Unten ist ja alles mit Gerumpel vollgestellt«, sagte Schwiegermutter mit Unschuldsmiene. Diesmal funktionierten die Gesichtssensoren sogar so, wie sie sollten, doch der halbblinde Daila konnte die Mimik nicht erkennen. Mit Mühe und Not konnte er den Kopf als einen dunklen Fleck ausmachen. »Finde dich mit den Gegebenheiten ab, ich betreibe kein Hotel«, keifte der Verwachsene. »Hier hast du nichts verloren. Das gilt auch für die anderen Stockwerke, merk dir das!« »Du kannst versichert sein, daß es mir fernlag, dein Mißfallen zu erregen«, versuchte der Roboter zu beschwichtigen. »Wenn es dir genehm ist, ziehe ich mich wieder in den Salon zurück und harre der Dinge, die da zu kommen belieben.« »Tu das. Und lasse es dir nicht einfallen, herumzuschnüffeln. Das kann ich auf den Tod nicht ausstehen, verstanden?« »Meister Noetor, du siehst mich betrübt. Ich bitte dich inständig um Verzeihung.« Der Alte reagierte auf die Entschuldigung ungnädig. Er huschte in sein Zimmer zurück und warf die Tür zu. Schwiegermutter blieb nichts anderes übrig, als den Rückzug anzutreten und sich zu fügen. Angetan mit Hut und Mantel wartete er darauf, daß Noetor herunterkam. Ganz tatenlos blieb der Roboter dennoch nicht. Unruhig marschierte er von Fenster zu Fenster und spähte nach draußen. Sowohl Hertuto als auch Noetor konnten ein falsches Spiel mit ihm treiben, und dann mußte er ja auch noch die Polizei fürchten. Immer wieder blickte Schwiegermutter durch die schmierigen Scheiben nach draußen. Längst erhellte und erwärmte die Sonne mit ihren Strahlen die trostlosen Straßenschluchten, doch kein Daila ließ sich sehen. Hier schien wirklich jedermann das Licht zu scheuen. Endlich kam der Alte mit einem Bündel Papiere die Treppe
herunter. Ohne viel Worte zu machen, verfrachtete er Schwiegermutter in einen auf dem Hinterhof geparkten schäbigen Gleiter, aktivierte den Autopiloten und startete das rostige Gefährt, das Kurs auf den Raumhafen nahm. Als gut zwei Stunden später Uniformierte die Downtown auf der Suche nach dem Roboter routinemäßig durchkämmten und dabei auch das baufällige Haus Noetors durchsuchten, hob der alte Frachter mit seiner geheimnisvollen Ladung gerade ab. In dem Bewußtsein, den Sicherheitskräften entkommen zu sein, erlebte Schwiegermutter das erhebende Gefühl, einen Sieg errungen zu haben. Was er nicht wußte: Das Ziel der BAMPERLETSCH war die Daila-Welt Vorsig.
* Die beantragte Landeerlaubnis wurde Noetor sofort erteilt, und ein flüchtiger Blick auf die Frachtpapiere war die ganze Kontrolle. Problemlos konnte der Roboter zusammen mit dem Verwachsenen das Schiff verlassen und sich von einem Taxigleiter in die nahe Stadt bringen lassen. Insgeheim wunderte sich Schwiegermutter über die großzügige Abfertigung. Das konnte eigentlich nur bedeuten, daß die Behörden es mit den Vorschriften nicht so genau nahmen oder daß der Alte hier gut bekannt war. Denkbar war auch, daß der Daila sich dafür erkenntlich zeigte und Bestechungsgelder zahlte – oder eine Kombination der drei Möglichkeiten, doch der Roboter dachte nicht weiter darüber nach. Wichtig für ihn war, daß Aklard hinter ihm lag. Vom Raum aus hatte er Vorsig betrachten können. Der Planet war eine Sauerstoffwelt, hatte etwa die Größe Aklards und acht Hauptkontinente. Die nördliche Hemisphäre war so gut wie unbewohnt, aber auch die andere Halbkugel war nur dünn besiedelt. Die größte Ansiedlung war jene Stadt, die über den
einzigen Raumhafen auf dieser Welt verfügte. Auch die Vegetation war spärlich. Tundra und ewiges Eis im Norden, Steppen und karge Savannen mit mickrigen Wäldchen am Äquatorgürtel. Lediglich eine große Landmasse mit schroffen Gebirgen und zahlreiche Inseln in der Nähe des Südpols waren mit tropischem Urwald bedeckt. Die Informationen, die Schwiegermutter von Noetor bekommen hatte, waren spärlich. Er kannte den Namen dieses Planeten, wußte, daß er von Daila bewohnt wurde und daß die Hauptstadt Wisbun hieß – das war alles. Mehr war nach Ansicht des Alten nur unnötiger Ballast. Der Roboter dachte zwar anders darüber, aber es war ihm nicht gelungen, dem Schiffseigner weitere Details zu entlocken. Schwiegermutter war daher gezwungen, eigene Eindrücke zu sammeln. Automatische Leitsysteme schien es hier nicht zu geben. Ein hagerer Daila, schmierig und unsympathisch, steuerte den Flugkörper in geringer Höhe entlang einer Straße, die kaum mehr als ein besserer Feldweg war. Ab und zu wurden in Staubwolken eingehüllte Vehikel überholt, die schwerbeladen über die holprige Piste rumpelten. Erinnerungen an Schirtubohs altersschwachen Lastwagen wurden wach. Die Landschaft war trostlos. Trockenes Gras von gelb-brauner Färbung breitete sich aus, so weit das Auge reichte, Dornbüsche mit verdorrten Blättern ragten leblos aus dem knochentrockenen, rissigen Erdreich. Dort, wo der Boden noch etwas Feuchtigkeit speicherte, erhoben sich als grüne Tupfer vereinzelte Schirmakazien. Nicht der geringste Luftzug bewegte das metallisch schimmernde Blattwerk. Wisbun kam in Sicht, doch eine Offenbarung war das nicht. Ärmliche Wellblechhütten und roh zusammengezimmerte Holzbaracken waren nicht dazu angetan, einen guten Eindruck zu vermitteln. Nackte Kinder verschiedener Rassen liefen auf der Fahrbahn, herum oder spielten zwischen Unrat und den
unwürdigen Behausungen. Offensichtlich hatte es ihre Eltern hierher verschlagen – Entwurzelte, Gestrauchelte, die in der Gemeinschaft ihres Volkes keinen Halt mehr fanden, Strandgut, das keine Gesellschaft mehr haben wollte. Das Elendsviertel blieb zurück, häßliche Fabrikgebäude tauchten auf. Schwiegermutter hatte keinen Blick dafür. Am Horizont waren bebaute Felder mit künstlichen Bewässerungskanälen zu erkennen, schmucke Häuser mit gepflegten Vorgärten und sauberen Straßen – ein bißchen Sambantytas, ein bißchen Ghyltirainen. Dort mußte die Welt noch in Ordnung sein, kein Chaos, keine Armut, keine Not. Alles wirkte aufgeräumt und von biederer Bodenständigkeit, eben vertraut. Obwohl der Roboter nicht nostalgisch war und keineswegs von Heimweh geplagt wurde, hoffte er, daß Noetor diesen Stadtteil als Ziel genannt hatte. Die dortigen Bewohner schätzte er als zuverlässig ein, sie würden ihm offen und ehrlich sagen, ob sie etwas von Atlan wußten. Zu seinem Leidwesen setzte der Gleiter bereits zur Landung an. Die eindeutigen Werbetafeln, Leuchtreklamen und Hinweisschilder ließen nur den Schluß zu, daß es sich um das Amüsier- und Vergnügungsviertel handelte. »Ich möchte mir die Bemerkung erlauben, daß diese Gegend nicht die beste zu sein scheint«, ließ sich der Roboter vernehmen. »Sofern dir diese Umgebung wirklich genehm ist, gestatte ich mir den Hinweis, daß ein derartiges Terrain dem Handel nicht gerade förderlich zu sein pflegt.« »Meine Geschäfte gehen dich nichts an. Merk dir das!« »Stets zu Diensten!« Schwiegermutter grämte sich nicht über die Zurechtweisung. Mittlerweile hatte er sich an die schroffe Art des verschlossenen Alten gewöhnt und trug es ihm nicht weiter nach, zumal er sich dem Sonderling verpflichtet fühlte. Ohne dessen Hilfe würde er jetzt desaktiviert in einem Depot auf Aklard liegen. Der Flugkörper ging auf einem betonierten Rondell nieder, das
wohl eigens für startende und landende Gleiter errichtet worden war. Eine Reinigung und etwas Farbe hätten dem flachen Sockel, der vor Schmutz starrte, ein etwas freundlicheres Aussehen gegeben, aber für Verschönerungen fühlte sich anscheinend niemand zuständig. Das galt auch für die Straße, die sich in einem erbärmlichen Zustand befand. Der Belag war an einigen Stellen aufgeplatzt, Sprünge und Schlaglöcher waren eher die Norm als die Ausnahme. Es gab keinen Blumenschmuck, kein bißchen Grün säumte den Straßenrand, kein Baum spendete Schatten, dafür wucherte borstig wirkendes Unkraut aus Ritzen und Fugen. Noetor bezahlte und verließ das wenig einladende Gefährt. Notgedrungen folgte der Roboter. Brütende Hitze lastete zwischen den Häuserreihen, bei jedem Schritt wurde rötlicher Staub aufgewirbelt, der träge wieder zu Boden sank. Es roch nach Fusel und ranzigem Öl, nach billigem Essen und gärendem Abfall. Die Luft unter der Dunstglocke war zum Schneiden dick. Gelächter war zu hören, Musikautomaten plärrten. »Du kannst nicht mit mir kommen, Schwiegermutter. Geh spazieren, wir treffen uns in drei Stunden hier am Gleiterstand.« »Mit Vergnügen komme ich deinem Begehren nach, Meister Noetor«, sagte der Roboter erfreut. »Mögest du eine glückliche Hand haben.« Der Verwachsene brummte etwas Unverständliches und ließ Schwiegermutter einfach stehen. Ohne sich noch einmal umzusehen, hielt er auf ein Gebäude zu, das einen heruntergekommenen Eindruck machte. ZUM SCHWARZEN STERN stand in großen Lettern über dem Eingang, was vermuten ließ, daß es sich um eine Raumfahrerkneipe handelte. Daß der Alte ihn nicht dabeihaben wollte, kam Schwiegermutter sehr gelegen. Immerhin hatte er so die Möglichkeit, auf der Stelle mit seinen Nachforschungen nach Atlan zu beginnen. Prüfend musterte er seine Umgebung. Bars, Spielhallen, Absteigen, Striptease-Lokale, Privatclubs, einschlägige Kinos,
Tanzpaläste und Varietetheater wechselten einander ab, ShowBühnen und Revuen warben um Besucher, doch einladend sah keine der Vergnügungsstätten aus. Unschlüssig schlenderte er an den Etablissements vorbei. Wo sollte er den Hebel ansetzen? Ein Aushang, der Unterhaltung aller Art versprach, erweckte seine Aufmerksamkeit. Wenn die Ankündigung stimmte, konnte er mit gemischtem Publikum rechnen. Die Wahrscheinlichkeit, daß einer der Gäste etwas über den Arkoniden wußte, schien ihm hier am größten zu sein, also trat er ein. Dämmriges Rotlicht umfing ihn. Unbeeindruckt von dem Zwielicht, das ein geheimnisvolles Fluidum erwecken sollte, stellte Schwiegermutter nüchtern fest, daß dieses intime Dunkel vor allem dazu diente, zu kaschieren, wie erneuerungsbedürftig die Einrichtung war. Irgendwo in einer Nische grölte ein Betrunkener einen Schlager ebenso falsch wie laut, eine selbstversunkene Frau strapazierte die kleine Tanzfläche mit einem imaginären Partner nach Melodien, die ihr Ohrstöpsel drahtlos in die Gehörgänge posaunten. Zwei Tische waren mit Pärchen besetzt, an einem hatte sich eine Männerrunde zusammengefunden. Der Betrieb war nur mäßig. Eine Bardame, der zahlreiche Berufsjahre den Schmelz der Jugend genommen hatten, erwachte aus ihrer Lethargie. Sie setzte ein solches Lächeln auf, daß zu befürchten war, daß das Make-up abbröckelte. »Ein Drink für uns beide, mein Freund?« gurrte sie. »Zu gütig, werte Meisterin, aber ich sehe mich zu meinem Leidwesen außerstande, deine wohlgemeinte Einladung anzunehmen«, dienerte der Roboter. »Dennoch bin ich von deiner Gastfreundschaft angetan. In welchem Lokal wird einem Besucher sonst schon ein Willkommenstrunk auf Kosten des Hauses gereicht?« »Auf Kosten des Hauses?« echote die Frau. »Du spinnst wohl. Umsonst ist hier überhaupt nichts. Jedes Getränk hast du gefälligst
zu bezahlen.« »Mir scheint ein Mißverständnis vorzuliegen. Ich bin mittellos und trage mich zudem nicht mit der Absicht, etwas zu verzehren, da ich Essen und Trinken nicht bedarf.« »Du hast kein Geld?« Die rauchige Stimme der Bardame wurde laut und schrill. »Was suchst du dann überhaupt hier?« »Zeitvertreib und Unterhaltung liegen mir fern, mir steht der Sinn nach Informationen, die ich zu erhalten trachte.« »Auf der Stelle hinaus, du Schmarotzer. Typen deines Schlages kenne ich zur Genüge.« Die gesellige Runde, die einem Würfelspiel frönte und dabei auch eifrig die Schnapsflasche kreisen ließ, wurde aufmerksam. Einer der Männer, der den Disput verfolgte, stand auf und ging zu Schwiegermutter. »Hör auf zu keifen, Bironet. Schenk dir ein Glas ein und dem armen Burschen hier auch – geht auf meine Rechnung.« »Ergebensten Dank, aber …« »Keine Widerrede, alter Junge! Niemand schlägt eine Einladung von Wiltar aus.« Der hünenhafte Daila, nicht mehr ganz nüchtern, fixierte sein Gegenüber. »Kerl, wie siehst du denn aus? Trittst du in diesem Kostüm auf?« Erheitert schlug sich der Mann auf die Schenkel und wandte sich an seine Kumpane. »He, wir haben einen vornehmen Clown hier. Er trägt Fliege, Handschuhe und Weste. Was haltet ihr davon, wenn er uns bedient?« Wiltars Zechfreunde wieherten vor Vergnügen. Sie hatten ebenfalls dem Alkohol schon tüchtig zugesprochen und fanden den Vorschlag ausgesprochen lustig. Der Hüne selbst hielt seine Bemerkung für ungemein komisch und wollte sich ausschütten vor Lachen. Endlich bekam er wieder Luft und schlug Schwiegermutter kumpelhaft auf die Schulter. »Mein Angebot …« Abrupt verstummte der Daila, seine Heiterkeit war plötzlich wie weggeblasen, Verwunderung und Erstaunen zeichneten sich auf
seinem Gesicht ab, aber auch Unsicherheit. »Du bist ja, ein Roboter«, ächzte Wiltar und rieb seine schmerzende Hand. »Warum hast du das nicht gesagt?« »Nach meinem Dafürhalten pflegt man mir das anzusehen«, lautete die entwaffnende Antwort. »Bei diesem Licht? Du bist eine recht gelungene Daila-Kopie. Automaten wie dich gibt es auf ganz Vorsig nicht.« Schwiegermutter lächelte geschmeichelt, doch es wurde eine grimmige Miene daraus. »Wie heißt du und woher kommst du?« »Meinem Herrn hat es gefallen, mich Schwiegermutter zu nennen, obwohl ich keinerlei Neigung verspüre, eine Dame zu sein. Ich ging ihm auf Aklard zur Hand.« »Aklard«, murmelte Wiltar versonnen. »Unsere Heimatwelt, die Wiege unserer Rasse. Was gibt es dort für Neuigkeiten?« Bereitwillig berichtete der Roboter über die Ereignisse der letzten Tage und Wochen, soweit er informiert war, klammerte seine Person jedoch aus. Er war ein wenig erstaunt darüber, daß der Hüne schon einiges vom Hörensagen wußte und auch von den Ligriden gehört hatte. Detaillierte Kenntnisse hatte der Daila nicht, sein Wissen war löchrig, aber offensichtlich war die Nachrichtenverbindung zu Aklard nicht ganz abgerissen. Vermutlich versorgten Raumfahrer wie Noetor die Bewohner Vorsigs mit Informationen und Eindrücken. Daß da manches ungesagt blieb oder zurechtgerückt wurde, lag in der Natur der Sache. Auch Schwiegermutter erzählte nur in groben Zügen, was sich zugetragen hatte. Gedankenverloren nippte der stämmige Mann an dem Getränk, das er für den Roboter bestellt hatte. »Und was hat dich hierher verschlagen?« Schwiegermutter griff das Thema sofort auf. Endlich konnte er auf das zu sprechen kommen, was ihn am meisten bewegte. »Ich betreibe Nachforschungen, Meister Wiltar. Ist dir etwas über
den Verbleib eines Fremden namens Atlan und eines Knaben aus unserem Volk bekannt, der Chipol heißt?« »Atlan und Chipol?« der Daila leerte das Glas. »Gehört habe ich die Namen schon einmal. Es gab Gerüchte über die beiden, nichts Konkretes.« »Mir hilft jeder Hinweis weiter«, bohrte Schwiegermutter. »Was ist über Atlan und Chipol in Umlauf?« »Genaues kann ich dir dazu auch nicht sagen. Man munkelte dies und das, aber ich kümmere mich nicht um das Gerede der Leute. Das meiste ist leeres Geschwätz, viele Geschichten sind einfach erfunden.« Wiltar fuhr sich über das Kinn. »Warum suchst du die zwei überhaupt?« »Atlan ist mein neuer Herr. Wir wurden auf Aklard durch widrige Umstände voneinander getrennt.« »Und dieser Atlan hatte vor, Vorsig anzusteuern?« »Ich vermag es nicht ganz auszuschließen«, antwortete der Roboter ausweichend. »Wäre er hier gelandet, wüßte ich es. Es spricht sich schnell herum, wenn hier ein Fremder auftaucht.« Der Daila beugte sich vor. »Wie bist du überhaupt hergekommen?« »Meister Noetor war so freundlich, mir die Passage zu ermöglichen. Wir sind mit der BAMPERLETSCH angekommen.« »Was, der alte Gauner ist wieder mit seinem Schrotthaufen da? Was hat er geladen?« »Das entzieht sich meiner Kenntnis.« Schwiegermutter verbeugte sich steif. »Sei bedankt dafür, daß du mir dein Ohr geliehen hast. Mit deiner Erlaubnis möchte ich mich entfernen, um mich noch anderweitig umzuhören.« »Es tut mir leid, daß ich nichts für dich tun konnte, doch wenn ich dir anderweitig helfen kann, lasse es mich wissen. Vielleicht hast du ja doch noch Erfolg.« »Du bist zu gütig, Meister Wiltar. Meine Verehrung, Meisterin, auf Wiedersehen, die Herren!«
Gemessenen Schrittes verließ der Roboter das Lokal und trat auf die sonnenüberflutete Straße. Sie lag wie ausgestorben da. Anscheinend lähmte die Hitze sogar die Vergnügungssüchtigsten. Da es keine Passanten gab, die er befragen konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als eine weitere Bar aufzusuchen. Zur Aufgabe sah Schwiegermutter keinen Grund. Zwar schien es nach Wutars Aussage festzustehen, daß der Arkonide mit Vorsig keinen Kontakt gehabt hatte, doch es gab Gerüchte über Atlan und Chipol. Er wollte ergründen, was es damit auf sich hatte. Möglicherweise gab es doch einen Hinweis, der ihn auf die Spur der Gesuchten brachte. Würdevoll stolzierte der Roboter auf die gegenüberliegende Seite und betrachtete Aushänge und Reklametafeln. »Zum kleinen Glück« stand in grellen Lettern über einer knallrot lackierten Tür, deren Farbe abzublättern begann, darunter »Spaß bei Bier vom Faß«. Das klang unverfänglich und einladend zugleich. Ohne zu zögern, betrat er die Stätte der Verheißung. Er war nicht in einer gemütlichen kleinen Kneipe gelandet, wie er angenommen hatte, sondern in einer Spielothek. Schlichte Neonröhren an der Decke verbreiteten kaltes Licht, nackter Beton lugte überall dort hervor, wo die Wände nicht von den dicht an dicht hängenden und stehenden Automaten bedeckt waren. Geschmacklose bunte Bilder zierten die Geldschlucker, mit optischen und akustischen Signalen versuchten sie, Glückssucher und Spieler anzulocken. Pausenlos blitzte, funkelte und leuchtete es, Klingeln, Zirpen, Scheppern und Rasseln gingen ineinander über. Knappe zwanzig Personen, darunter eine Handvoll Jugendlicher, versuchten, ihre Finanzen durch einen Gewinn aufzubessern. Ein Spieler fiel dem Roboter besonders auf. Er war fast schon ein Greis, seine ausgemergelte Gestalt verriet, daß er nicht einmal satt zu essen hatte, und dennoch frönte er lieber seiner Leidenschaft, anstatt sich eine Mahlzeit zu leisten. Der füllige Daila hinter der Theke nahm von seinem neuen Gast
keine Notiz. Er räkelte sich in einem Sessel, hatte die Beine hochgelegt und verfolgte mit Interesse eine Videoaufzeichnung. Seine rechte Hand pendelte dabei ständig zwischen Mund und Konfektschale hin und her, eine Nascherei nach der anderen wurde genüßlich zermalmt. Vorbei an Spielgeräten und Unterhaltungsautomaten bahnte sich der Roboter einen Weg zu dem dürren Alten, der nur Augen für das Gerät hatte. Mit brennendem Blick verfolgte er die Anzeigen und Symbole. Mehrmals griff er in den Ablauf ein, Hoffnung zeichnete sich auf seinem Gesicht ab – und dann hatte er doch verloren. Melodisch und mit einem Farbenfeuerwerk forderte der Automat zu einem weiteren Einsatz auf und signalisierte blinkend den Hauptgewinn in schreienden Farben. Der schmächtige Daila konnte nicht widerstehen und warf erneut eine Münze ein. Wie nicht anders zu erwarten war, wurde sie eine Beute des Geldschluckers, der lapidar verkündete: »Leider nicht gewonnen. Ein neuer Versuch, ein neues Glück!« Der Spieler sackte in sich zusammen, er wirkte verzweifelt, dennoch griff er erneut in die Tasche und förderte ein Geldstück zutage. Beinahe liebevoll drehte er es zwischen den Fingern und rieb es blank. »Jetzt habe ich nur noch dich«, murmelte er im Selbstgespräch. »Du mußt es schaffen, hörst du? Alle meine Hoffnungen ruhen auf dir.« Schon streckte der Daila die Hand aus, um den Automaten abermals in Gang zu setzen, als der Roboter neben ihm auftauchte und seinen Arm festhielt. »Warte, Meister, du begehst einen Fehler. Wenn du geneigt bist, mir einige Fragen zu beantworten, zeige ich mich erkenntlich und gewinne für dich.« »Laß mich los und verschwinde, sonst rufe ich den Besitzer, du Banause«, zeterte der Alte und drehte den Kopf, um zu sehen, wer ihn da bedrängte. »Aber, aber … Du bist ja ein Roboter«, stotterte er.
»Deinesgleichen haben keinen Zutritt zu den Spielhallen.« »Dann sollten wir uns beeilen. Gestattest du, daß ich für dich setze?« Ziemlich perplex reichte der Daila Schwiegermutter die Münze. Dessen Positronik war es ein leichtes, den Spielablauf zu erfassen und so zu steuern, daß das Programm des Automaten nur zweiter Sieger wurde. Klappernd spuckte das Gerät ein Dutzend Geldstücke aus. Der Alte strahlte über das ganze Gesicht. »Was willst du wissen?« »Ist dir etwas über einen Fremden bekannt, der Atlan heißt? In seiner Begleitung befindet sich ein Knabe namens Chipol.« »Sollen sie sich in Wisbun aufhalten?« »Es steht nicht zu vermuten.« »Dann kenne ich sie nicht.« Das Interesse des Mannes an Schwiegermutter erlosch, er hatte nur noch Augen für den Spielautomaten. »Frage doch mal den Wirt, der hat mit vielen Leuten Kontakt.« Der Daila warf eine der gewonnenen Münzen ein und ließ den Roboter einfach stehen. Schwiegermutter sah ein, daß es keinen Zweck hatte, in den Alten zu dringen und marschierte zur Theke. »Darf ich kurz stören, Meister? Kennst du einen Fremden, der sich Atlan nennt?« Der Dicke schob sich noch ein Stück Konfekt in den Mund und drehte sich unwillig um. »Störe mich nicht … Oh, ein Roboter! Hinaus mit dir, Kerl, du hast hier nichts verloren.« Als Schwiegermutter zögerte, der Aufforderung nachzukommen, griff er unter den Schanktisch und förderte eine abgesägte Schrotflinte zutage, die er drohend auf den ungebetenen Gast richtete. »Hau ab, sonst brenne ich dir eine Ladung Metall über!« »Ich sehe mich genötigt, deinem Wunsch zu entsprechen«, sagte, der Roboter höflich und machte, daß er zum Ausgang kam.
Er rannte ein Stück die Straße hinunter, verbarg sich dann hinter einer vorspringenden Hausecke und spähte vorsichtig zurück. Von einem Verfolger war nichts zu sehen. Vermutlich war der rabiate Wirt zu faul, um bis zur Tür zu gehen. Schwiegermutter war das nur recht. Unverdrossen steuerte er ein Revuetheater an, doch er hatte das Gebäude kaum betreten, als er sich schon wieder auf der Straße befand. Ein bärbeißiger Türsteher hatte ihn mit einem Tritt in das künstliche Hinterteil wütend hinausbefördert. »Laß dich hier ja nicht noch einmal blicken, du Hampelmann«, rief ihm der in einer Phantasieuniform steckende Daila nach. Schwiegermutter trollte sich. Sein Mut war ungebrochen, aber allmählich ging ihm auf, daß es nicht ganz einfach war, Informationen zu bekommen. Besonders die Abneigung gegen Roboter schien im Vergnügungsviertel sehr verbreitet zu sein. Er stattete noch zwei Spelunken einen Besuch ab, ohne allerdings mehr zu erfahren als Gerüchte. Geduldig ließ er das Gebrabbel Betrunkener über sich ergehen, ertrug Pöbeleien und Spott und wurde dann doch hinausgeworfen, weil er nichts verzehrte. Einen erneuten Anlauf konnte er nicht nehmen, weil nach seinem Zeitverständnis die Frist von drei Stunden um war, die Noetor vorgegeben hatte. So spazierte Schwiegermutter zum Gleiterstand und wartete. Wer nicht kam, war der Verwachsene, so daß der Roboter sich veranlaßt sah, nachzusehen, wo der Alte steckte. Zielstrebig ging er auf das Haus zu, das die Gaststätte ZUM SCHWARZEN STERN beherbergte.
* Das Lokal unterschied sich nicht von den Spelunken, die Schwiegermutter vorher aufgesucht hatte. Allerlei Galgenvögel und schräge Typen saßen beim Bier, spielten Karten oder hatten die
Köpfe zusammengesteckt. Der Himmel mochte wissen, was sie da ausheckten. Der Gesuchte hockte an einem Ecktisch mit ein paar dunklen Gestalten zusammen, die heftig auf Noetor einredeten. Die Miene des Alten verriet Ablehnung, die der anderen wirkte dagegen ärgerlich, sogar zornig, ihre Bewegungen drückten Unmut aus. Als der Frachtereigner sich erheben wollte, wurde er von ein paar sehnigen Fäusten auf den Stuhl zurückgezogen und offen bedroht. Es war unverkennbar, daß Noetor in Schwierigkeiten war. Ein vierschrötiger Mann vertrat Schwiegermutter den Weg. »Lausige Automaten haben hier nichts zu suchen, hier gibt es kein Öl, das du dir hinter die Binde gießen kannst, also verschwinde!« Der Roboter versuchte, ein Lächeln aufzusetzen, aber es geriet zu einer Grimasse, die eher Zahnschmerzen als Freundlichkeit signalisierte. »Hättest du die Güte, mich durchzulassen?« »Nein, Freundchen! Ich habe Rückzug befohlen!« Der Daila packte sein synthetisches Gegenüber und wollte es wegschieben, doch der Roboter rührte sich nicht von der Stelle. Das machte den Kraftprotz wütend. Mit einem raschen Griff faßte er nach einer Flasche, um sie auf dem Kopf Schwiegermutters zu zertrümmern, aber der war schneller. Mühelos entwand er dem Angreifer den bauchigen Behälter und versetzte dem Hünen einen leichten Stoß. Krachend landete der Mann auf seinem Sitz. »Das wirst du mir büßen!« Zornbebend sprang er auf, riß den Stuhl hoch und schleuderte ihn auf Schwiegermutter. Der wich elegant aus. Wie ein Geschoß flog das Möbel durch die Luft, zertrümmerte ein Lampe und prallte gegen einen Tisch. Flaschen stürzten um, Gläser zerschellten auf dem Boden, Bier und Schnaps ergossen sich über die überraschten Zecher. Einige wurden von Splittern getroffen und bluteten, andere zogen sich Beulen und blaue Flecken zu, als sie unvermittelt Bekanntschaft mit den herumschwirrenden Resten des
zertrümmerten Stuhls machten. Fassungslos starrte der Riese auf das Chaos, das er angerichtet hatte. Die unschuldigen Opfer schrien nach Rache. Wutentbrannt stürzten sie sich auf den Täter, und im Nu war eine handfeste Prügelei im Gange, in die andere eingriffen. Bald war nicht mehr zu erkennen, wer zu welcher Partei gehörte, die Fäuste flogen, jeder drosch auf jeden ein. Weniger Kampflustige begnügten sich mit der Rolle des Zuschauers und feuerten die Raufbolde an. Weder die Kämpfenden noch die Zaungäste kümmerten sich um den Roboter. Dem war das sehr recht. An dem Gewühl vorbei schlängelte er sich durch Tischreihen und noch intaktes Mobiliar zu Noetor durch, dem deutlich anzusehen war, daß er Erleichterung empfand, als der Roboter seinen Namen rief. Das galt nicht für die Gesprächspartner des Alten. Sie kümmerten sich nicht um die Auseinandersetzung im vorderen Teil des Lokals und nahmen eine drohende Haltung ein, als Schwiegermutter sich hinter Noetor postierte. »Gibt es Probleme, Meister Noetor?« »Das geht dich gar nichts an. Gehört er zu dir?« »Ja«, bestätigte der Verwachsene. »Das ist …« »Ich bin sein Leibwächter«, schwindelte Schwiegermutter. »Schick ihn weg, das ist gegen die Abmachungen.« »Euer Angebot auch. Komm, Schwiegermutter, wir gehen!« »Wir bestimmen den Zeitpunkt des Aufbruchs. Erst wird das Geschäft perfekt gemacht.« »Aus dem Handel wird nichts«, knurrte Noetor und stand auf. »Sei vernünftig, Noetor. Wenn du dich weigerst, wirst du eine Menge Schwierigkeiten bekommen – nicht nur von uns.« »Ich lasse mich nicht einschüchtern.« Der Alte machte Anstalten, die Runde zu verlassen, als die vier anderen Daila plötzlich aufsprangen und Waffen zogen, doch der Roboter war auf der Hut. Blitzschnell kippte er den Tisch um und riß ihn als Schild hoch. Er schwenkte ihn kurz nach rechts und links
und setzte damit zwei Gegner außer Gefecht. Bevor die beiden anderen wußten, wie ihnen geschah, gingen sie mit schmerzverzerrten Gesichtern zu Boden. Schwiegermutter hatte ihnen das Möbel einfach auf die Füße fallen lassen. Mit zwei, drei Tritten beförderte er die Strahler aus ihrer Reichweite und zog Noetor zum Ausgang, vorbei an Knäueln ineinander verschlungener Leiber und zertrümmerten Möbeln. Händeringend betrachtete der Wirt die Zerstörungen. »Dein Haus bietet in der Tat mannigfache Zerstreuung, Meister. Ich habe mich gut unterhalten.« »Was heißt .unterhalten'?« keifte der Inhaber. »Wer ersetzt mir den Schaden?« »Der da«, sagte Schwiegermutter und deutete mit verunglücktem Grinsen auf den Hünen, der mit glasigen Augen zwischen allerlei Kleinholz lag. »Er hat angefangen.« Niemand versuchte, das ungleiche Paar aufzuhalten. Mit einem Taxigleiter gelangten sie unangefochten zum Raumhafen zurück. Dort erlebten sie eine Überraschung: Ein Schiff unbekannter Herkunft war gelandet. Es war nicht sonderlich groß, flunderförmig und ein wenig exotisch. Der flache scheibenförmige Rumpf mit einem stimmgabelähnlichen Ausläufer ruhte auf zwei schlanken Auslegern, die Ähnlichkeit mit Kielschwertern eines Segelboots hatten. Außergewöhnlich war die Pilotenkanzel aus getöntem Glas, außergewöhnlich auch, daß der Name an der Außenhaut ebenso fehlte wie jegliche Bezeichnung. Schwiegermutter beschloß, mit der Besatzung des geheimnisvollen Raumers Kontakt aufzunehmen, um sie nach Atlan zu befragen. Er ahnte nicht, daß die Fremden das gleiche Ziel verfolgten, nur – sie handelten im Auftrag des Erleuchteten.
3.
Eine gewisse Unruhe im Vergnügungsviertel Wisbuns, in der Stadt überhaupt, war deutlich spürbar. Es lag an dem fremden Schiff, über dessen Heimatwelt spekuliert wurde, ohne daß etwas dabei herauskam. Fünf merkwürdige Roboter waren von Bord gegangen. Sie waren 1,80 Meter groß, hatten zwei Arme und zwei Beine, aber damit war die Gemeinsamkeit mit hominiden Automaten auch schon erschöpft. Fast die Hälfte des Körpers nahm eine große Kugel ein, aus der auch die oberen Extremitäten wuchsen, die in mehrgliedrigen Händen endeten. Der Ball, der anstelle eines Kopfes auf dem Rumpf thronte, hatte an der Vorderseite das Aussehen eines riesigen Facettenauges, ein Kreis, der in sich strukturiert war. Allem Anschein nach diente diese Fläche der Wahrnehmung der Umgebung, doch welche Aufgaben dieses in allen Farben des Spektrums schillernde Gebilde tatsächlich erfüllte, war nicht auszumachen. Hierüber gab es ebenso nur Gerüchte wie über den Herrn der Synthowesen, der sich angeblich im Raumschiff befinden sollte. Die Automaten patrouillierten friedlich durch die Straßen. Wie ihr von Aklard stammendes Pendant suchten sie eine Spur Atlans, gleichzeitig aber auch einen Anhaltspunkt dafür, wo Anima abgeblieben war. Sie gingen dabei wesentlich feinfühliger und diplomatischer vor als Schwiegermutter, der in diesen Dingen noch sehr unerfahren war. Erfolg hatten sie allerdings ebenfalls nicht, dafür wurden sie auf den tolpatschigen Daila-Nachbau aufmerksam. Sein Verhalten ließ keinen anderen Schluß zu als den, daß er über den Arkoniden Bescheid wußte. Das stimmte zwar in gewisser Beziehung, doch ließ der Roboter den Eindruck entstehen, daß er ein Vertrauter des Aktivatorträgers war. Auf eine solche Informationsquelle wollten die Diener des Erleuchteten natürlich nicht verzichten, und so beschlossen die Traykons, wie sie sich selbst bezeichneten, Schwiegermutter zu fangen und auszufragen.
* Schwiegermutter hatte seine Nachforschungen für einen Tag zurückstellen müssen. Am Morgen nach der Keilerei war Noetor erneut in die Stadt geflogen. Auf dessen Geheiß mußte der Roboter im Schiff als Wache zurückbleiben, weil der Alte Vergeltungsmaßnahmen seiner enttäuschten früheren Partner fürchtete. Zwar blieb der alte Frachter von Ganoven unbehelligt, doch dafür interessierten sich auf einmal die Behörden für die BAMPERLETSCH und ihre Fracht. Vermutlich hatte einer der vier Galgenstricke den offiziellen Stellen einen heißen Tip gegeben, um sich an dem Verwachsenen zu rächen. Noetor wurden ein paar hochnotpeinliche Fragen gestellt, ein kleiner Lagerraum wurde durchsucht, ohne daß jedoch belastendes Material gefunden wurde. Nun endlich erfuhr der Roboter auch, was sich in den Hangars befinden sollte: Gebrauchte Kleinpositroniken und elektronisches Gerät zur Steuerung von kybernetischen Systemen. So war es auch in den Frachtpapieren deklariert. Der Transport dieser Dinge und der Handel damit war durchaus nicht ungesetzlich, selbst Neuteile konnten eingeführt werden, doch der Zoll dafür betrug mehr als das Doppelte. Es war eine Art Schutzgebühr, die dem einzigen Hersteller derartiger Produkte auf Vorsig Billigimporte vom Hals halten sollte. Der Alte bekam die Auflage, sich jederzeit zur Verfügung zu halten und nicht von Bord zu gehen, dann verließen die Fahnder das Schiff, allerdings nicht, ohne ein paar Proben mitzunehmen. Als der Roboter seine Hilfe anbot, bekam er eine Abfuhr. Grantig, mit seinem Schicksal hadernd, zog sich der halbblinde Mann in seine Kabine zurück. Immerhin erlaubte er Schwiegermutter, der Stadt einen Besuch abzustatten. Das hätte der Roboter, der darauf
brannte, seine Nachforschungen fortzusetzen, ohnehin getan, aber in einer großzügigen Anwandlung – eingedenk der Unterstützung in der Kaschemme – gab der Daila Schwiegermutter Geld für das Gleitertaxi. Schwiegermutter bedankte sich überschwenglich, verließ im Geschwindschritt den Raumer, warf sich in den erstbesten Schweber und ließ sich in das Vergnügungsviertel bringen. Er zahlte artig und sprang behende aus dem ramponierten Flugkörper, nachdem er sich das Wechselgeld auf Heller und Pfennig hatte zurückgeben lassen. Das Gemurmel des Piloten über verrückte Automaten und geizige Roboter beachtete er genauso wenig wie das griesgrämige Gesicht. Nach seinem Dafürhalten hatte der Mann für seine lausigen Steuerkünste kein Trinkgeld verdient und auch eine Belohnung verspielt, weil er nicht einmal mit dem Namen »Atlan« etwas anzufangen wußte. Es war noch früh am Tag. Zwar ging es langsam auf den Mittag zu, die Hitze war erträglich, doch hier gingen die Uhren anders. Nach Einbruch der Dunkelheit erwachte dieser Vorort, der nur aus ein paar Straßenzügen bestand, zu seinem eigentlichen Leben. Heruntergelassene Gitter und Jalousien sowie Schilder mit der Aufschrift »Geschlossen« zeigten, daß die Mehrzahl der Bewohner noch schlief. Lediglich einige Kneipen und Spielhallen hatten geöffnet, darunter auch die Rotlicht-Bar. Schwiegermutter blickte zum SCHWARZEN STERN hinüber. Aus den geöffneten Fenstern war Hämmern und Sägen zu hören. Offensichtlich waren Handwerker dabei, den demolierten Schankraum wieder so herzurichten, daß er seinem ursprünglichen Zweck dienen konnte. Eine große Auswahl hatte Schwiegermutter nicht. Spielotheken waren für seinesgleichen tabu, blieben also nur einige Gaststätten, die er noch nicht besucht hatte. Gerade wollte er seine Schritte zur KÄSEBUDE lenken, weil das vertraute Erinnerungen weckte, als die Traykons um die Ecke bogen. Er war wie elektrisiert und marschierte spornstreichs auf die seltsamen Roboter zu. Sie mußte er
einfach fragen. Daß die Silbernen ähnliche Absichten hatten und ihn festsetzen wollten, wußte er ja nicht. Erfreut registrierte er, daß die anderen auch das Bedürfnis hatten, Kontakt aufzunehmen, denn sie kamen genau auf ihn zu. Argwohn regte sich bei Schwiegermutter nicht, denn von den Kugelköpfen ging keine Bedrohung aus, zumal sie unbewaffnet waren. »Seid mir gegrüßt, Kollegen von einer anderen Welt«, krähte der Roboter fröhlich. »Es ist mir ein Bedürfnis, eure Bekanntschaft zu machen.« Er deutete eine Verbeugung an. »Gestatten, Schwigermutter. Wie lauten eure werten Namen?« »Traykon-2 bis Traykon-6«, erwiderte eine der Maschinen. »Auch wir freuen uns, dich zu treffen, denn wir haben schon viel von dir gehört.« »Du verblüffst mich, mit Verlaub gesagt. Ich weile noch nicht lange an diesem Ort der Muße und des Lasters.« Schwiegermutters Physiognomie ließ Ärger erkennen, obwohl er Überraschung ausdrücken wollte. »Gewiß, ich wandelte ein wenig durch diese Gassen und sah mich in einigen Schänken um, doch tat ich nichts, was sonst der Imagepflege dienlich zu sein vermag. Ich mag nicht in Abrede stellen, daß ich eine auffällige Erscheinung bin, aber ich bin stets geneigt, mit der mir eigenen Bescheidenheit im Hintergrund zu wirken.« Der Roboter bemerkte, daß die silberfarbenen Automaten sich so stellten, daß er sich in der Mitte befand, allerdings schenkte er dieser Tatsache keine Beachtung. Für ihn dokumentierte das einfach Interesse an seiner Person, es schmeichelte ihm, daß die Fremden ihn für bekannt, vielleicht sogar für wichtig hielten. »Ihr seht aus, als würdet ihr viel herumkommen. Von welchem Planeten stammt ihr?« »Der Name sagt dir ohnehin nichts.« Die Stimme von Traykon-2 war wohlmoduliert, aber unpersönlich. »Dir wird nachgesagt, daß du in enger Beziehung zu Atlan stehst.« »Ihr kennt ihn also?« jubelte Schwiegermutter. »Wo steckt er? Ich
muß zu ihm.« »Du weißt, wo er sich aufhält! Warum versuchst du dieses alberne Ablenkungsmanöver und tust so, als wärst du auf der Suche nach ihm?« Bevor der Roboter seiner Empörung Luft machen konnte, stürzten sich zwei Traykons auf ihn, um ihn zu überwältigen. Schwiegermutter reagierte sofort. Blitzschnell rammte er den beiden die Fäuste in das PseudoFacettenauge, das unter der Wucht der Schläge leicht nachgab wie ein elastisches Gebilde. Er mußte einen wunden Punkt erwischt haben, denn die Automaten verloren die Orientierung und gerieten ins Taumeln. Einem anderen gelang es, den synthetischen Diener am Arm zu packen. Seine Hände umklammerten die Extremität wie ein Schraubstock. Wieder hatte der Roboter Erfolg mit einer Attacke, die auf das irisierende Feld gerichtet war. Der Getroffene stieß einen dumpfen Laut aus wie ein angeschlagenes Lebewesen und lockerte den Griff. Es gelang dem synthetischen Daila. sich loszureißen. Mit aller Kraft versetzte er seinem Gegner einen Stoß. Hilflos prallte der Kugelkopf gegen einen anderen Traykon, der dadurch ins Wanken geriet und haltsuchend herumtorkelte. Der hinterhältige Angriff hatte Schwiegermutter wütend gemacht. Wie ein Zerberus ging er auf Traykon-2 los. Der hatte sich besser auf den Kampfstil des Atlan-Freundes eingestellt. Auskeilend wie ein angeschlagener Boxer hielt er sich den auf einmal gar nicht mehr steif wirkenden Roboter vom Hals, hatte aber Mühe, da sein Gegenüber einen Takt flinker war. Mit einer klassischen Geraden durchbrach Schwiegermutter die Deckung und brachte einen Treffer am unteren Rand des Kopfkreises an, erzielte jedoch keine erkennbare Wirkung damit. Das Handgemenge gab den anderen Silbernen Gelegenheit und Zeit, wieder zu sich selbst zu finden. Schon stürmten zwei heran, um sich in das Getümmel zu stürzen und die Auseinandersetzung
endgültig zu ihren Gunsten zu entschieden. Schwiegermutter erkannte, daß er mehreren Gegnern auf die Dauer hoffnungslos unterlegen war, und suchte sein Heil in der Flucht. Mit riesigen Sätzen spurtete er los, Richtung Gleiterstand. Die beiden Traykons, die nicht mehr eingreifen konnten, setzten ihm auf der Stelle nach, die drei anderen folgten wenige Sekundenbruchteile später. Mit rasendem Tempo flitzten die etwa gleichschnellen kybernetischen Sprinter über die staubige Straße. Ein braungeflecktes Fellknäuel, das dösend auf dem Gehweg gelegen hatte, wurde durch die wilde Jagd aufgeschreckt, sprang kläffend hoch und lief dem Roboter genau vor die Füße. Der stoppte aus vollem Lauf, konnte dem Tier auch noch ausweichen, doch seine Verfolger kamen dadurch bis auf zwei Körperlängen an ihn heran. Schwiegermutter wußte, daß ihn ein weiterer Zwischenfall dieser oder ähnlicher Art endgültig zum Verlierer und damit zum Gefangenen der Traykons machen würde – wenn ihm nicht gar Schlimmeres passierte. In seiner Not verfiel er auf einen ungewöhnlichen Ausweg und setzte ihn sogleich in die Tat um. Unvermittelt schlug er einen Haken und stürmte auf den Eingang der Rotlicht-Bar zu. Die Traykons durchschauten seine Absicht nicht, glaubten ihr Opfer schon in der Falle und machten den Schwenk mit. Als der Roboter jedoch in dem Gebäude verschwand, zögerten sie einen Augenblick, verminderten ihre Geschwindigkeit ganz erheblich und folgten Schwiegermutter in das Lokal. Der hatte seinen kleinen Vorsprung genutzt. Wiltar zu erspähen und zu ihm zu gehen, war eins. Bevor der Roboter ein Wort sagen konnte, erschienen auch schon die Silbernen. »Gewähre mir deinen Schutz, Meister Wiltar.« Schwiegermutter gab seiner Stimme einen flehentlichen Klang, seine Gesichtssensoren zerknautschten das Antlitz bulldoggenhaft. »Diese Subjekte dort trachten danach, meine Existenz auszulöschen.« Der Hüne erhob sich drohend und baute sich vor den Kugelköpfen auf, die sich recht gesittet benahmen und keinerlei
Anstalten machten, sich ihr bereits sicher geglaubtes Wild mit Gewalt zu holen. »Ist das wahr?« »Es stimmt nicht.« »Er lügt.« Anklagend deutete der Roboter auf den Sprecher. »Warum gestehst du nicht, daß ihr mich überfallen habt?« »Dein Freund scheint etwas verwirrt zu sein«, sagte Traykon-2, zu dem Daila gewandt. »Wir trafen ihn auf der Straße und unterhielten uns ganz friedlich, als er auf einmal weglief. Meine Begleiter können das bestätigen.« Verunsichert blickte Wiltar zu Schwiegermutter. Ein neuer Gast, der die letzten beiden Sätze des Silbernen gehört hatte und ein Bekannter des muskulösen Mannes war, enthob den Roboter einer Antwort. »Von meinem Fenster aus habe ich das aber völlig anders beobachtet«, ergriff der Daila für Schwiegermutter Partei. »Ihr seid über ihn hergefallen, doch er hat sich tapfer geschlagen und konnte euch fünf Strolchen entkommen.« »So war es in der Tat«, triumphierte der Roboter. »Sei bedankt, Meister. Dein Wort beweist, daß ich Wegelagerern in die Hände fiel.« Den Traykons schlug auf einmal eine feindselige Stimmung entgegen, die wenigen Besucher der Bar machten Anstalten, handgreiflich zu werden. Auch der Hüne schob die Ärmel hoch und ballte die Fäuste. Angesichts dieser Umstände zogen es die fremden Automaten vor, das Feld zu räumen. Höflich grüßend verschwanden sie, doch ihren Plan hatten sie deshalb durchaus nicht aufgegeben. Sie wollten Schwiegermutter draußen auflauern, um ihn in aller Heimlichkeit in ihr Raumschiff zu verschleppen, doch auch ihr Opfer machte sich Gedanken. Zunehmend gewann der früher so naive Gehilfe eines Käsehändlers an Format.
* Wiltar erwies sich als wahrer Freund und begleitete Schwiegermutter höchstpersönlich zum Taxigleiter, mit dem der Roboter zum Raumhafen zurückkehren wollte. Er sorgte sich um Noetor und wollte ihm beistehen, wenn es Schwierigkeiten irgendwelcher Art gab. Es war unausweichlich, daß Schwiegermutter den patrouillierenden Traykons begegnete. Mit dem Hünen an seiner Seite fühlte sich der Roboter sicher. Er winkte den Kugelköpfen fröhlich zu und rief: »Ihr habt mit Käse gehandelt, der so streng zu riechen beliebt. Ich imitiere jetzt Merlitong und verdufte.« Der Daila hielt sich vor Lachen den Bauch, doch die Silbernen reagierten nicht. Angesichts des Mannes, der bei ihrem Opfer war, wagten sie keinen Überfall und marschierten einfach weiter, als hätten sie nichts gehört und nichts gesehen. »Feigheit ist kein hohes Gut, was mehr zählt, ist der Mannesmut«, rief der Roboter ihnen nach und warf sich stolz in die Brust. »Hast du das vernommen, Meister Wiltar? Mir haben sich die Worte zu einem Reim gefügt. Unentdeckte Talente schlummern in mir.« »Ja, du paßt zu den Dichtern, wie ein Po zu den Gesichtern«, prustete der Riese los und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. »Der Vergleich scheint mir ein wenig anrüchig zu sein«, entgegnete Schwiegermutter pikiert. »Ich neige dazu, etwas verstimmt zu sein.« »Entschuldige, es war nicht böse gemeint. Ich mußte diesen für dich sicherlich dummen Spruch loswerden, sonst wäre ich daran erstickt.« »Nun, wenn das so ist, akzeptiere ich den Scherz als lebensrettende Maßnahme«, sagte der Roboter würdevoll. Das Rondell war erreicht. Der Daila und das Kunstwesen
schüttelten sich verabschiedend die Hände. »Nochmals Dank für deine Hilfe, Meister Wiltar.« »Nicht der Rede wert. Sehen wir uns morgen?« »Gewiß. Meine Nachforschungen haben ja noch zu keinem Ergebnis geführt. Laß es dir einstweilen gutgehen.« Schwiegermutter bestieg den Schweber, der gleich darauf startete und wenig später sein Ziel erreichte. Spornstreichs marschierte der Roboter auf die BAMPERLETSCH zu. Schon von weitem sah er den Gleiter mit dem offiziellen Emblem, der neben dem alten Frachter niedergegangen war. Seine Ahnung hatte ihn also nicht getrogen. In der Zentrale stieß er nicht nur auf Noetor, sondern auch auf zwei Zivilfahnder und zwei Uniformierte. Der Alte saß zusammengesunken neben einem Kartentisch, auf dem sich elektronisches Gerät türmte. Die Polizisten, denen es wohl oblag, den Verwachsenen zu bewachen, standen linkisch herum, während die beiden anderen damit beschäftigt waren, die Gegenstände zu prüfen und Material sicherzustellen. »Oh, hoher Besuch. Was verschafft uns die Ehre?« erkundigte sich der Roboter keß. »Zollhintergehung, Betrug, uneidliche Falschaussage in Tateinheit mit Urkundenfälschung«, rasselte ein Beamter herunter. »Dein Herr ist vorläufig festgenommen und die Ladung beschlagnahmt. Ich denke, dich nehmen wir am besten auch gleich mit.« »Gemach, gemach, Meister. Das sind schwere Anschuldigungen, die nicht so ohne weiteres hingenommen werden können. Was sagt der Betroffene zu den Punkten, die ihm zur Last gelegt werden?« »Er leugnet und verweigert ansonsten die Aussage.« »Letzteres ist sein gutes Recht. Meister Noetor, du schweigst.« Der verblüffte Daila, den Schwiegermutter mit seinem forschen Auftreten überrumpelt hatte, erholte sich von seiner Überraschung und wurde ärgerlich. »Du bist wohl nicht ganz bei Trost, du Narr. Wie kommst du als Roboter dazu, dich in eine offizielle Untersuchung einzumischen?«
»Ich fungiere als Rechtsbeistand dieses ehrenwerten Frachtführers. Die Legimitation dazu wurde mir auf Aklard erteilt«, log Schwiegermutter dreist. »Ich werde verrückt.« Der Mann schien an seinem Verstand zu zweifeln. »Wenn das wahr ist, wird diese Dekadenz zum Untergang unserer ganzen Rasse führen. Es ist unglaublich.« »Es steht dir nicht zu, Kritik an meinen Erbauern zu äußern. Dagegen verwahre ich mich entschieden.« Der Roboter übersah das Kopfschütteln des Fahnders geflissentlich. »Zurück zur Sache. Da mein Mandant die Anschuldigungen bestreitet, rechtfertigen nur eindeutige Indizien eine Anklage. Welche Beweise kannst du vorlegen?« Mit ungläubigem Staunen verfolgte der halbblinde Verwachsene den Dialog. Der Wortwechsel hatte ihn, der sich schon als Gefängnisinsassen sah, aus seiner Lethargie gerissen. Er konnte es kaum fassen, daß sein merkwürdiger Passagier sich so für ihn einsetzte, und er schien so beschlagen zu sein, daß er tatsächlich etwas erreichen konnte. Plötzlich hatte der Alte wieder Hoffnung, glimpflich davonzukommen. »Bei den als Gebrauchtteilen deklarierten Artikeln handelt es sich um fabrikneues Material. Alters- und Gebrauchsspuren wurden nachträglich angebracht, um uns zu täuschen. Der Laborbefund ist eindeutig.« »Wir werden sehen. Was rechtfertigt die Unterstellung des Betruges?« Der Zöllner ächzte. Ihm war anzumerken, daß es ihm schwerfiel, den Roboter als juristischen Widerpart zu akzeptieren. Auf ganz Vorsig gab es keinen Automaten als Rechtsanwalt, und die Vorstellung, daß es auf dem Ursprungsplaneten der Daila kybernetische Strafverteidiger und sogar positronisch gesteuerte Richter geben sollte, bereitete ihm fast körperliches Unbehagen. »Offiziell stammt die Ware von einem bedeutenden Hersteller, aber sie ist von minderwertiger Qualität. Wir haben vergleichbare
Teile des gleichen Herstellungsjahrs zur Kontrolle herangezogen und festgestellt, daß das eingeführte Material eine hohe Ausschußquote hat. Das legt den Verdacht nahe, daß unsere Industrie bewußt sabotiert werden soll oder – und das ist ein weniger schweres Vergehen – daß etwas ohne Lizenz gefertigt wurde, aber den Markennamen des Patentinhabers trägt. Man nennt das wohl Raubkopie.« »Gegen diesen Verdacht muß ich ganz energisch protestieren. Mein Mandant besitzt keinerlei Produktionsstätten, er ist auch kein Spezialist auf elektronischem Gebiet«, dozierte Schwiegermutter. »Sein Geschäft ist es, gegen Entgelt Waren aller Art zu befördern. Ich werde sofort einen Haftprüfungstermin beantragen. Komm, Meister Noetor, gehen wir. Du wirst in Kürze wieder frei sein.« Die Uniformierten nahmen den Alten in die Mitte und gingen zum Antigravschacht, Schwiegermutter folgte ihnen, den Abschluß bildeten die Fahnder. Dem Ranghöheren der beiden war deutlich anzusehen, wie erleichtert er darüber war, daß der Beschuldigte freiwillig mitkam und der Roboter keine Schwierigkeiten machte. Der Gleiter bot ausreichend Platz für sechs Personen. Der Verwachsene verschwand mit seinen Bewachern im Fond, Schwiegermutter wurde von den Zöllnern in die Mitte genommen. Bevor derjenige, der als Pilot fungierte, die Maschine starten konnte, kippte er plötzlich vornüber, ohne einen Laut von sich zu geben. Mit weit aufgerissenen Augen blickte der Daila auf seinen bewegungslosen Kollegen. »Hilf ihm doch!« schrie er den Roboter an, nachdem er den Schreck überwunden hatte. »Wie?« »Weg da, laß mich zu ihm. Wahrscheinlich hat er einen Schwächeanfall oder eine Herzattacke bekommen.« Schwiegermutter wußte es besser. Mit einem Griff, den er nie gesehen oder gelernt hatte, der aber in den neuen Programmen verankert war, hatte er den Mann blitzschnell außer Gefecht gesetzt,
ohne ihm Schmerz zuzufügen. Als sich der andere über den Ohnmächtigen beugte, ereilte ihn das gleiche Schicksal, dann waren die Polizisten an der Reihe. Der Roboter sprang aus dem Schweber und zerrte den Alten vom Sitz, nachdem er einen Bewußtlosen zur Seite geschoben hatte, der auf Noetors Schoß gesunken war. »Schnell, Meister Noetor! In ein paar Minuten kommen diese Männer wieder zu sich.« Ächzend stemmte sich der Verwachsene aus dem Polster. Er war verwirrt. »Warum hast du das getan? Du wolltest mich doch verteidigen, und nun werden sie uns beide hinter Gitter bringen, weil du die Beamten …« »Zu keiner Zeit wollte ich dich der Justiz überlassen, denn ich bin geneigt zu glauben, daß die Anschuldigungen der Wahrheit entsprechen.« »Ich muß ja von irgend etwas leben«, jammerte Noetor. »Du hast alles noch schlimmer gemacht. Sie werden nicht nur die Fracht beschlagnahmen, sondern auch mein Schiff. Wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt werde ich eine zusätzliche Strafe bekommen. Selbst wenn wir untertauchen können, werden wir keine ruhige Stunde mehr haben, weil sie uns überall suchen werden.« Er stutzte. »Oder hast du etwa die Absicht, dich zu einer Insel durchzuschlagen und dich im Dschungel zu verstecken?« »Nein.« Wie ein störrisches Kind zog Schwiegermutter den Alten mit sich. »Du wirst alles behalten – deinen Raumer, die Ladung und auch deine Freiheit. Und ich werde mich nicht im Urwald verbergen, weil es da niemanden gibt, der mir Auskunft über Meister Atlan geben könnte. Ich bleibe hier, du mußt fliehen.« Noetor begriff. Schwiegermutter hatte völlig uneigennützig gehandelt, um ihm, Noetor, zur Flucht zu verhelfen. Gerührt sagte er: »Warum kommst du nicht mit? Du wirst Ärger bekommen.«
»Den hatte ich auf Aklard auch. Geh endlich an Bord und starte, bevor Alarm gegeben wird.« Stumm drückte der Verwachsene dem Roboter die Hand, in seinen Augen glitzerte es verdächtig. Ohne sich noch einmal umzusehen, verschwand er in der BAMPERLETSCH. Schwiegermutter machte, daß er davonkam. Es war der körperlichen Unversehrtheit nicht unbedingt förderlich, sich in der Nähe eines abhebenden Raumers aufzuhalten, außerdem war damit zu rechnen, daß der ohnehin bewachte Raumhafen in Kürze hermetisch abgeriegelt wurde. Bis dahin mußte er den Ort des Geschehens verlassen und einen sicheren Unterschlupf gefunden haben. Der kürzeste Weg zum Rand des Landefelds führte direkt am Schiff der Traykons vorbei. Da er in Eile war, hatte der Roboter keine andere Wahl, als diese Route zu nehmen. Mit Höchstgeschwindigkeit raste er über die ebene Piste – und lief direkt den Silbernen in die Arme, die ihm aufgelauert hatten. Diesmal hatte er keine Chance. Trotz heftiger Gegenwehr wurde er überwältigt und von den fünf Kugelköpfen in den exotischen Raumer verschleppt. Er sah noch, daß der alte Frachter unbehelligt startete und rasch an Höhe gewann, dann schloß sich das Schott der Außenschleuse.
4. Schwiegermutter hatte eingesehen, daß es sinnlos war, noch Widerstand zu leisten. Gegen eine solche Überzahl hatte er keine Chance. So fand er sich erst einmal mit den Gegebenheiten ab und sah sich neugierig um. Flankiert von den Silbernen, die ihn auch im Antigravlift in die Mitte genommen hatten, wurde er durch verschiedene Gänge dirigiert. Der Roboter, der nur die BAMPERLETSCH von innen kannte, kam aus dem Staunen nicht heraus. Alles wirkte blitzsauber
und funktionell, modern und absolut ausgereift – kein Vergleich zu dem klapprigen Frachter. Indirektes Licht aus unsichtbaren Quellen erhellte die Flure, Transportbänder, die sich beim Betreten automatisch in Bewegung setzten, sorgten für rasche und angenehme Fortbewegung. Kein Geräusch war zu hören, die Sauerstoffatmosphäre roch angenehm frisch. Ganz anders hatte es dagegen auf Noetors Raumer ausgesehen: Enge Korridore, von schwachen Funzeln nur notdürftig erleuchtet, eine rasselnde Luftumwälzanlage, die das stickige Gasgemisch mehr schlecht als recht durcheinandergewirbelt hatte. Respekt hatte er dennoch nicht vor der beeindruckenden Technik, denn in seinen neu erweckten Speichern war verankert, wie damit umzugehen war. Selbst modernstes Gerät barg für ihn keine Geheimnisse mehr, doch Wissen und Realität sind zweierlei. Ein bißchen ging es ihm wie etwa einem Ägyptologen, der alles über sein Fach wußte und trotzdem überwältigt war, wenn er zum erstenmal in seinem Leben eine Pyramide besichtigte. »Was habt ihr mit mir vor?« »Wir bringen dich zu unserem Herrn«, lautete die lapidare Antwort. »Und wer ist das?« fragte der Roboter interessiert. »Traykon-1.« »Wahrlich, an Phantasie scheint es euch nicht zu mangeln. Darauf, so deucht mich, wäre ich nie verfallen.« Die Kugelköpfe überhörten die spöttische Bemerkung. Sie wechselten auf einen anderen Rollsteig über und zogen Schwiegermutter einfach mit sich. Wenig später verringerte sich die Geschwindigkeit, dann stoppte das Band selbsttätig vor einem schimmernden Schott ab. »Wir bringen den Gefangenen, Traykon-1.« »Tretet ein!« erklang es verzerrungsfrei aus einem verborgenen Lautsprecher. Lautlos glitten die Flügelhälften zurück und gaben den Blick in die
Pilotenkanzel aus getöntem Glas frei. Der Silberne, der im Sessel vor der Steuerkonsole saß und sich mit dem Sitz herumdrehte, unterschied sich nicht von seinen Gehilfen. Der Kugelkopf wußte, wen er vor sich hatte und setzte das wohl auch bei Schwiegermutter voraus. Ohne sich mit Vorreden aufzuhalten, kam er gleich zur Sache. »Was weißt du über Atlan?« »Selbst in Kreisen, die nicht der besseren Gesellschaft zuzurechnen sind, ist es ein Gebot der Höflichkeit, einander vorzustellen. Da ich noch nicht das durch die unfreundliche Behandlung getrübte Vergnügen hatte, dir zu begegnen, möchte ich mich bekanntmachen. Man pflegte mich Schwiegermutter zu nennen.« »Ich bin Traykon-1«, sagte der Kommandant etwas irritiert. »Ich wiederhole meine Frage: Was weißt du über Atlan?« »Dasselbe könnte ich dich fragen.« »Wenn die Rolfen vertauscht wären. Da du dich aber in unserer Gewalt befindest, bist du es, der zu antworten hat.« »Sofern es mir beliebt.« »Hör zu, ich habe keine Lust, mit dir zu diskutieren. Anscheinend verkennst du die Tatsachen. Wenn du nicht reden willst, haben wir auch noch andere Möglichkeiten, Informationen von dir zu bekommen. Also?« Der Roboter war keineswegs ängstlich, aber er wollte es nicht riskieren, Zwangsmaßnahmen herauszufordern. Zwar war er nicht mehr zu desaktivieren, doch seine Existenz konnte vernichtet werden. »Ich begegnete Atlan auf Aklard. Er war auf der Flucht vor den Ligriden, und Meister Schirtuboh, mein Herr, war so frei, ihm zu helfen. Es gelang, ihn nach Ghyltirainen zu bringen, wo er weitere Unterstützung fand und den Planeten mit einem Raumschiff verlassen konnte.« »Das klingt ein bißchen dürftig. Warum suchst du ihn dann überhaupt, wenn du ihn angeblich nur flüchtig kennst?«
»Meister Atlan ist mein neuer Herr.« »Was hat dich daran gehindert, mit ihm zu fliegen?« »Widrige Umstände, die zu beeinflussen nicht in unserem Ermessen standen.« »Ich will Einzelheiten wissen. Erzähle!« Ausführlich berichtete Schwiegermutter darüber, was sich auf dem Planeten der Daila zugetragen hatte, erwähnte jedoch nichts von den Zusatzprogrammen. »Wie gut kennst du Anima?« »Anima? Wer ist das?« »Stell dich nicht dumm. Was hat Atlan von ihr erzählt?« »Nichts. Über einen Anima hat er nie gesprochen.« »Anima ist weiblich.« »Schwiegermutter ist die Bezeichnung für eine Dame, dennoch bin ich männlichen Geschlechts. Warum sollte das nicht auch umgekehrt so sein können?« »Ich weiß, wovon ich rede«, wies Traykon-1 den Roboter zurecht. »Was hat es für eine Bewandtnis mit dieser Anima? Steht sie in einer Beziehung zu meinem Herrn?« Der Kugelkopf gab keine Antwort. Auf einem Kontrollmonitor, der einen Ausschnitt des Raumhafens zeigte, war ein Polizeigleiter zu erkennen, der mit hoher Geschwindigkeit auf das Schiff der Silbernen zuhielt. »Traykon-5 und Traykon-6, seht nach, was die Leute wollen. Wenn sie an Bord wollen, verweigert ihnen den Zutritt.« Wortlos verschwanden die beiden. Schwiegermutter überlegte. Galt das Interesse der Ordnungshüter den Traykons? Oder suchten sie ihn? War beobachtet worden, daß er hierher verschleppt worden war? Und welche Gründe hatte Traykon-1 für sein Verhalten? Barg der Raumer ein Geheimnis? Oder hatte er Angst davor, daß er, Schwiegermutter, entdeckt wurde und die Behördenvertreter um Hilfe bat? Auf dem Schirm war zu sehen, daß drei Uniformierte ausstiegen.
Schon zwei Minuten später waren sie zurück, schwangen sich in den Schweber und brausten davon. Kurz darauf tauchten auch die beiden abkommandierten Kugelköpfe wieder in der Steuerkanzel auf und erstatteten Bericht. »Den offiziellen Stellen ist zu Ohren gekommen, daß wir in der Stadt versucht haben, Schwiegermutter zu kidnappen. Sie verlangten, den Kommandanten zu sprechen, um sich Klarheit über unsere Absichten und den Grund unseres Hierseins zu verschaffen. Da wir die Polizisten abgewiesen haben, wollen sie mit einem größeren Aufgebot wiederkommen und das Schiff notfalls stürmen, um die Positronik abfragen zu können. Sie haben uns Startverbot erteilt.« Diese Entwicklung paßte dem Roboter ganz und gar nicht. Wenn ihn die Fahnder hier fanden, würden sie ihn festsetzen und aus dem Verkehr ziehen, und dann war es aus mit der Suche nach Atlan. Er mußte schleunigst verschwinden – die Frage war nur, ob die Traykons das zulassen würden. »Wir verlassen Vorsig auf der Stelle«, entschied Traykon-1. »Ich bin dann so frei, mich zu empfehlen.« Schwiegermutter deutete eine Verbeugung an. »Gute Reise allerseits.« »Du kommst mit!« »Zu gütig, aber ich habe andere Pläne.« Der Roboter versuchte, auf das Schott zuzugehen, aber ein Silberner hielt ihn zurück. »Ich bin es nicht gewohnt, etwas zweimal zu sagen!« herrschte ihn der Anführer an. »Mein Wort ist Befehl! Das gilt auch für dich.« Schwiegermutter gab sich einfältig. »Aber ich muß Meister Atlan suchen! Ein Diener gehört zu seinem Herrn.« »Und das willst du auf Vorsig tun?« »Wo sonst? Eine andere Welt ist ja nicht zu erreichen.« »Für uns schon. Du bist ein Dummkopf. Auf diesem ProvinzPlaneten wirst du nie eine Spur des Gesuchten entdecken, aber wir
werden Atlan finden.« »Ah, ich verstehe. Dazu benötigt ihr meine Hilfe«, gab sich der Roboter weiterhin naiv. »Du kannst uns von Nutzen sein und das eine oder andere noch verraten«, korrigierte Traykon-1, »deshalb kommst du mit.« »Und das bedeutet, daß ihr ohne meine Unterstützung keinen Erfolg habt.« »Du überschätzt dich gewaltig. Du bist nichts weiter als ein simpler Dienstroboter. Dein Programm würde nicht einmal ausreichen, um in diesem Schiff ein Chronometer zu steuern.« Der Roboter ließ sich nicht anmerken, wie sehr ihn diese Beurteilung befriedigte. Daß die Traykons ihn als positronischen Dummkopf einstuften, war genau das, was er hatte erreichen wollen. Als kybernetischer Narr war er harmlos und stellte keine Bedrohung dar, bildete also für die Kugelköpfe keine Gefahr. Derart in Sicherheit gewiegt, würden sie ihm mehr Handlungsspielraum gewähren, als wenn er mit seinen Kenntnissen protzte und sie wissen ließ, daß er den gleichen Wissensstand hatte und ihnen wahrscheinlich ebenbürtig war. Aus diesem Grund verzichtete er auch darauf, Widerstand zu leisten, denn ausrichten konnte er ohnehin nichts – noch nicht. Längst war Schwiegermutter klar geworden, daß die Silbernen mit Atlan nichts Gutes im Sinn hatten. Zwar suchten sie ihn ebenfalls, doch ihre Motive unterschieden sich von seinen eigenen ganz erheblich. Zwei Kugelköpfe hatten die Pilotenkanzel verlassen, ein anderer hatte die Position des Funkers eingenommen. Beinahe spielerisch glitten die künstlichen Finger von Traykon-1 über die Tastatur der Steuerkonsole, dann hob der Raumer ab und raste dem Weltraum entgegen. Der Kommandant hatte einen Alarmstart programmiert. Er kümmerte sich nicht um die aufgeregten Befehle, die aus den Lautsprechern drangen und von den Antennen aufgefangen
wurden. »Abschalten!« Die hektischen Stimmen der Controller im Tower verstummten, nur ein unterschwelliges Summen war noch zu hören. Wie in Zeitraffer verkleinerte sich die Planetenoberfläche, Vorsig schrumpfte und blieb hinter ihnen zurück. Für Schwiegermutter begann eine Reise ins Ungewisse.
* Der ereignislose Flug dauerte schon Stunden, Fragen nach dem Ziel hatten die Traykons nicht beantwortet. Unverdrossen spielte der Roboter seine Rolle als Einfaltspinsel weiter. Enthusiastisch kommentierte er jedes Manöver – völlig laienhaft und falsch, bestaunte lauthals die Steuerkünste von Traykon-1, obwohl der längst den Autopiloten eingeschaltet hatte und wunderte sich über die kleinste technische Leistung, als wäre sie ein Meisterwerk des Ingenieurwesens. Als Schwiegermutter den Wunsch äußerte, sich im Schiff umsehen zu dürfen, hatte angesichts solcher Naivität selbst Traykon-1 nichts dagegen. Ohne Begleitung marschierte der Roboter los. Mit Sicherheit wurde er von Überwachungssystemen beobachtet, aber das war ihm gleich. Ihm ging es darum, sich mit den Örtlichkeiten vertraut zu machen. Vielleicht konnte ihm das noch von Nutzen sein. Als erstes warf er einen Blick in die andere Steuerkanzel, die die Arbeitsplätze für Kopilot und Astrogator enthielt, dann nahm er sich die anderen Räumlichkeiten vor. Immer wieder blieb er stehen und tat seine angebliche Verwunderung kund. So hüpfte er an einem Kreuzungspunkt von Transportband zu Transportband wie ein übermütiges Kind und freute sich darüber, wenn sich der Rollsteig in Bewegung setzte. Ausgiebig bestaunte er ein externes
Schaltpult, das mit seinen Anzeigen optisch zwar interessant war, jedoch nur eine Hilfsfunktion als Steuereinheit zur Regelung von Beleuchtungsstärke, Temperatur und Luftzusammensetzung hatte. An einer Positronik, die mit der Hyperfunkanlage gekoppelt war, ging er scheinbar achtlos vorbei. Die Traykons mußten so endgültig den Eindruck gewinnen, es mit einem ausgemachten Trottel zu tun zu haben, was technische Dinge betraf. Auf seinem Rundgang gelangte Schwiegermutter auch zum Maschinenraum. Zu seiner Überraschung wurde ihm der Zutritt nicht verwehrt. Er tat unschlüssig, registrierte dabei jedoch jedes Detail. Dank seiner neuen Kenntnisse war es .ihm möglich, die Funktionen der einzelnen Anlagen zu bestimmen und ihre Wirkung zu erkennen. Begriffe wie Feldverstärker, GeonenWechselfeldtriebwerke oder Protonenreaktor waren ihm so geläufig wie vollendete Umgangsformen, die er als Diener beherrschen mußte. Auf Anhieb sah er das verwaiste Wirkungsfeld des Maschinisten, steuerte die Kontrolleinheit allerdings nicht sofort an, sondern schlenderte ziellos umher. Wie ein Laie begaffte er Banalitäten, begeisterte sich an Displays und Signallämpchen, Leuchttafeln und Oszillographen. Das, was wirklich wichtig war, schien er nicht zu beachten. So hielt er sich auch nicht lange am Arbeitsplatz des Technikers auf, dennoch hatte er sich alles genau eingeprägt. Behäbig stapfte er zum Ausgang und bemühte sich, desinteressiert zu wirken, doch die Gesichtssensoren spielten wieder einmal nicht mit. Seine Miene spiegelte eine Mischung aus Trauer und Lustlosigkeit wider, während die Mundpartie zu einem diabolischen Grinsen verzogen war. Da er sich in allen wichtigen Bereichen umgesehen hatte, beschloß der Roboter, zu den Traykons zurückzukehren, um trotz seiner vorgegaukelten Naivität keinen Verdacht zu erwecken. Für jemanden, der keine Ahnung hatte und nichts von dem begriff, was er sah, war ein solcher Rundgang nur am Anfang interessant, auf
Stunden ausgedehnt, wurde so eine Besichtigungstour jedoch ermüdend und langweilig. Kurz bevor er das Schott zur Pilotenkanzel erreichte, spürte er eine erneute Veränderung in sich, andere, zusätzliche Impulse. Informationen und Daten, die ihm bisher verschlossen geblieben waren, konnten auf einmal abgerufen, werden, Aufbau- und Zusatzprogramme waren plötzlich verfügbar. Wer oder was für die erneute Speicheraktivierung verantwortlich war, wußte er nicht, doch er empfand deutlich, daß die Vorbereitungsphase damit endgültig abgeschlossen war. Für seine Suche nach Atlan war er nun optimal gerüstet – wie auch immer das zu werten war. Die neuen Dateien fügten sich nahtlos in die anderen ein, es kam zu keinen Widersprüchen oder Überlappungen. Ohne im geringsten verwirrt zu sein, setzte Schwiegermutter seinen Weg fort und betrat den Steuerraum. Von dem Roboter unbemerkt war das Schiff in das Normaluniversum zurückgefallen. Ob es sich um einen Orientierungsaustritt handelte oder einen anderen Grund hatte, vermochte er nicht zu sagen. Sicher war jedoch, daß hier nicht das Ziel der Traykons liegen konnte, denn die nächste Sonne war nach der eingeblendeten Messung vier Lichtwochen entfernt. Der Kommandant kommunizierte mit der Steuerpositronik, aber Schwiegermutter konnte nicht erkennen, um welches Problem es ging, da der Kugelkopf den Datenschirm mit seinem Körper verdeckte. Niemand nahm von ihm Notiz. Beinahe lethargisch saßen und standen die Silbernen da, ohne ein Wort zu sprechen. »Ist etwas kaputt?« fragte Schwiegermutter laienhaft-einfältig, um den Schweigern eine Antwort zu entlocken. Als ihn keiner beachtete, plapperte er los: »Das ist wirklich ein schöner Raumer, alles so modern und sauber, aber auch so unglaublich kompliziert. Schon auf der BAMPERLETSCH war mir alles fremd und unheimlich, doch hier
würde ich mich noch nicht einmal trauen, sauberzumachen. Man weiß ja nicht einmal, was mit Wasser gereinigt wird und was geschmiert werden muß. Versteht ihr eigentlich etwas von dieser unbegreiflichen Technik? Ich meine, könnt ihr diese Geräte und Maschinen wirklich alle bedienen?« »Ja, denn sonst würden wir das Schiff wohl nicht fliegen.« Verächtlich setzte Traykon-1 hinzu: »Du bist wirklich ein armseliges Exemplar. Wie kann deine Positronik mit lauter Nullspeichern überhaupt arbeiten?« »Oh, mir steht eine ganze Fülle von Daten zur Verfügung.« »Ja, ich weiß: Käse schneiden, Käse verkaufen, Käse stapeln.« »Erlaube mal«, tat der Roboter empört. »Meine eigentlichen Qualitäten als Diener hast du nicht erwähnt. Perfektes Servieren, ausgezeichnete Manieren, Sinn für Stil und Kultur und Beherrschung der Etikette. Habt ihr davon überhaupt eine Ahnung?« »Auf solche Albernheiten legt unser Herr keinen Wert.« Schwiegermutter triumphierte innerlich. Zum ersten Mal hatte einer der Silbernen erwähnt, daß sie nicht aus eigenem Antrieb handelten, sondern einen Auftraggeber hatten, jemanden, dessen Befehl sie folgten. Traykon-1 war der Kopf der sechs Roboter, aber er führte nur die Anweisungen dessen durch, der über ihm stand. Wer war dieser geheimnisvolle Unbekannte, welche Motive hatte er? Warum war ihm daran gelegen, ihn, Schwiegermutter, zu entführen, welches Interesse hatte er an Atlan? Der Roboter hätte diese Fragen liebend gern sofort gestellt, doch er wußte, daß er sich nicht dazu verleiten lassen durfte, sich gezielt zu erkundigen. Das würde Mißtrauen erwecken, also mußte er das, was er wissen wollte, vorsichtig formulieren und in eine harmlos klingende Äußerung verpacken. Plötzlich sprach das Funkgerät an. Mit der für Automaten typischen Reaktion ging Traykon-4 augenblicklich auf Empfang. Es war nicht erkennbar, ob der Sender
sich in relativer Nähe befand oder ob Störgeräusche weggefiltert wurden. Klar und deutlich klang der Text aus den Lautsprechern. Der Text war nicht kodiert, aber so verfaßt, daß nur der Empfänger der Nachricht etwas damit anfangen konnte. Schwiegermutter verstand den Inhalt auch nicht, doch er erkannte, daß dieser Hilferuf von Atlan stammen mußte. Wie elektrisiert rannte er zum Funker. »Konntest du ermitteln, aus welchem Sektor die Sendung kam? Entfernung, Frequenz?« Am liebsten hätte sich der Roboter auf den Mund geschlagen, aber nun war nichts mehr rückgängig zu machen. In seiner Aufregung hatte er einen unverzeihlichen Fehler begangen – und er wußte es. Endlich gab es eine brauchbare Spur von dem Gesuchten, und er hatte sie in seinem Eifer verraten. Nein, verraten hatte er sie nicht, konnte es auch nicht, weil die Koordinaten unbekannt waren, aber er hatte sich so dumm und auffällig benommen wie ein Anfänger. Scheu sah er sich um. Waren die Traykons aufmerksam geworden? Sie waren, wie sich gleich darauf zeigte. Und sie ahnten etwas. »Der Funkspruch hat dich in ziemliche Unruhe versetzt. Warum?« »Mich in Unruhe? Der Eindruck täuscht. Neugierig war ich, wie so etwas funktioniert«, versuchte sich Schwiegermutter herauszureden. »Noch nie hatte ich Gelegenheit, eine Sendung von Raumschiff zu Raumschiff zu empfangen. Es ist unglaublich, was die Technik ermöglicht.« »Nur für Laien, doch die fragen nicht nach Entfernung und Frequenz. Warum willst du das wissen?« »Meister Noetor brachte mir bei, das Funkgerät seines Frachters zu bedienen. Rund um die Uhr tat ich an der Anlage Dienst«, schwindelte der Roboter, »ohne daß es zu einem Kontakt kam. Wäre es dazu gekommen, hätte ich drei Schalter zu bedienen gehabt, mußte Route und Kennung unseres Schiffes nennen und die Identifikation des fremden Raumers fordern, ferner den Sektor, die Entfernung und die benutzte Frequenz. So hat es mir Meister Noetor
beigebracht. Ist das nicht korrekt?« »Mag sein, doch es erklärt nicht deine Aufregung. Nenn mir den Grund dafür!« Der Kommandant wandte sich an Traykon-4. »Was ist mit der Entschlüsselung?« »Negativ. Die Nachricht läuft als nicht chiffriert durch.« »Dann müssen wir uns an unseren Begleiter halten, der offensichtlich mehr weiß, als er zugeben will.« Traykon-1 richtete sein riesiges Gesichtsfeld auf Schwiegermutter, der auf einmal stumm wie eine Auster war. »Ich habe dich etwas gefragt.« »Wovon sprichst du überhaupt?« »Das brauche ich wohl nicht zu erläutern. Wenn du dich weigerst, uns zu sagen, was dieser Funkspruch zu bedeuten hat, setzen wir dich auf einem unbewohnten Planeten ab und überlassen dich deinem Schicksal.« »Dieses Tun wäre nicht nur unfreundlich, sondern auch ein Akt der Barbarei«, jammerte der Roboter. »Zwar befinde ich mich in eurer Gewalt, aber das gibt euch nicht das Recht, einfach über mich zu verfügen.« »Ich mache mit dir, was ich will. Antworte, sonst …« Schwiegermutter wand sich wie ein Aal. »Nun, ich bin geneigt, zu glauben …« »Keine Thesen, Fakten will ich hören!« »Es steht zu vermuten, daß …« »Schluß jetzt mit den Ausflüchten. Ich will die Wahrheit wissen!« Obwohl der Roboter krampfhaft nach einem Ausweg suchte, fiel ihm nichts ein. Da seine Suche nach dem Arkoniden zu Ende war, wenn er auf einer Welt ohne Leben abgesetzt wurde, entschloß er sich, zu reden. »Ich bin sicher, daß die Botschaft von Meister Atlan stammt.« Dem Silbernen war nicht anzumerken, ob er Genugtuung empfand oder gar Triumph. »Weiter! Für wen ist die Nachricht bestimmt? Was bedeuten die Namen oder Kodebezeichnungen?«
»Ich weiß es nicht, wirklich nicht. Ihr könnt mich zerlegen und vierteilen, mir sagt der Inhalt nicht mehr als dir.« »Werft ihn aus dem Schiff!« Zwei Kugelköpfe griffen nach Schwiegermutter und packten ihn. Im ersten Augenblick wollte er sich wehren, wollte kämpfen, doch dann resignierte er. Im Prinzip war es egal, ob er im Weltraum trieb oder als Eremit sein Dasein auf einem öden Brocken fristete – sein Ziel, zu dem Aktivatorträger zu gelangen, war in beiden Fällen unerreichbar. Widerstandslos ließ er sich zum Schott führen, als eine besondere Schaltung ansprach. Kein Gedanke mehr an Aufgabe. Der Roboter, eben noch niedergeschlagen, überlegte bereits, wie er seine Begleiter auf dem Gang überwältigen konnte. »Laßt ihn los!« Die Traykons gehorchten sofort, unversehens war Schwiegermutter wieder frei. »Auch wenn du nun davon überzeugt bist, daß ich die Wahrheit sage, mißbillige ich deine Art, Entscheidungen zu treffen«, beschwerte sich der synthetische Daila. »Es ist wahrlich kein Vergnügen, Dünkel und Willkür unterworfen zu sein.« »Schweig!« fauchte Traykon-1. »Jedes Mittel ist recht, um unsere Aufgabe zu erfüllen. Der Plan des Herrn darf nicht gefährdet werden.« Über Bordkommunikation wandte er sich an seinen Kopiloten in der anderen Transparenzkanzel. »Wir gehen auf neuen Kurs.« Vergeblich zerbrach sich der Roboter darüber den Kopf, was mit der allgemein gehaltenen Aussage über den »Plan des Herrn« gemeint war und wer hinter den Silbernen steckte. Daß sie ein besonderes Interesse an Atlan hatten, war unverkennbar, aber aus welchem Grund suchten und verfolgten sie ihn? Wollten sie ihn nur fangen? Oder hatten sie gar den Auftrag, ihn zu töten? Das durfte auf keinen Fall geschehen, also mußte er verhindern, daß sie ihn überhaupt fanden. Die Anweisung, eine andere Route einzuschlagen, konnte bedeuten, daß sie etwas herausgefunden
hatten. Eine positronische Grobpeilung war nicht auszuschließen, darauf aufbauende Berechnungen mit Annäherungswerten engten das Zielgebiet weiter ein. Dagegen mußte er etwas unternehmen, und er wußte auch schon, wie er es anstellen mußte, daß das namenlose Schiff den vorgesehenen Raumsektor nicht erreichte. »Nach den Aufregungen der letzten Minuten bedarf ich dringend der Ablenkung und Zerstreuung. Da meine Anwesenheit hier wohl nicht vonnöten ist, möchte ich meine Schritte nach draußen lenken, um mich jenseits des Schottes zu erbauen. Lustwandeln vermag man es zwar nicht zu nennen, weil nicht das kleinste grüne Hälmchen das Auge erfreut, dennoch ist es mir ein Bedürfnis, mit mir allein zu sein, um meine aufgewühlten Gedanken zu ordnen. Bestehen dagegen Bedenken?« »Verschwinde endlich, du störst!« »Verbindlichsten Dank!« Würdevoll stakste Schwiegermutter hinaus und bewegte sich gemessenen Schrittes über das automatisch in Gang gesetzte Transportband. Kreuz und quer streifte er durch den flachen Raumer und sabotierte dabei heimlich die Bordsysteme, vornehmlich diejenigen, die der Navigation dienten. Jetzt kam ihm sein technisches Wissen zugute. Er arbeitete so schnell und geschickt, daß seine Eingriffe unbemerkt blieben, aber die Steuerpositronik zeigte Wirkung und wich vom Kurs der Traykons ab. In einer übergeordneten Dimension raste das Schiff auf ein Ziel zu, das die Silbernen gar nicht anfliegen wollten. Mit sich und der Welt zufrieden, kehrte der Roboter in die Pilotenkanzel zurück und harrte der Dinge, die da kommen würden.
5.
Gemessen an anderen Gestirnen wirkte die rote Sonne recht mickrig, und ihre drei Planeten waren alles andere als beeindruckend. Der innere Planet war ein Einseitendreher, dessen Umlaufzeit um die Sonne mit der Umdrehung seiner eigenen Achse identisch war. Die eine Hälfte zeigte Temperaturen um 350 Grad plus, die andere von 200 Grad minus. Ohne Leben war auch der äußere Trabant, ein eisiger Felsbrocken. Intelligentes Leben trug einzig der mittlere Planet, eine gut marsgroße Welt mit dünner Atmosphäre, kalt und unfreundlich. Ausgedehnte Schneefelder und Packeisformationen reichten bis in die Nähe des Äquators, weite Teile der Landschaft hatten TundraCharakter. Wo kein Dauerfrost herrschte, waren Felder angelegt, windgeschützt eingebettet zwischen Wäldchen. Zwei Arten kamen besonders häufig vor: Stämmige Nadelhölzer mit metallisch schimmerndem Bewuchs und gedrungene Laubbäume mit heller Rinde und silbrig-grünen Blättern. Keiner der mächtigsten Vertreter aus dem Pflanzenreich erreichte eine Höhe von mehr als zehn Metern. Die Siedlungen waren klein und ärmlich. Steinbauten waren die Ausnahme, Holzhütten und aus roh behauenen Stämmen zusammengefügte Blockhäuser bestimmten das Bild der verstreut liegenden Dörfer. Sofern es überhaupt Technik gab, steckte sie noch in den Kinderschuhen. Weder Radiosendungen noch Funk erfüllten den Äther, Energieemissionen waren nicht anzumessen, Komplexe, die auf Fabriken hindeuteten, gab es nicht. Lasttiere und schlichte Karren, von Hand oder zottigen Vierbeinern gezogen, besorgten den Transport von Waren und Planetariern. Die Einheimischen waren beeindruckende Gestalten mit breiten Schultern und schweren Körpern, fast zwei Meter groß und behäbig in ihren Bewegungen. Sie erinnerten an Gorillas, hatten allerdings kürzere Arme und längere Beine, dafür war auch das Gesicht behaart. Der erste Eindruck, daß sie allesamt helle Pelzmäntel trugen, erwies sich bei näherer Betrachtung als Trugschluß: Die
vermeintliche Kleidung war das eigene Fell. Die per Fernaufklärung und durch Nahbeobachtung gewonnenen Daten gaben ein ziemlich eindeutiges Bild von den Planetenbewohnern. Gemessen an den Daila hinkte der Fortschritt um mehr als ein halbes Jahrtausend hinterher, die Einheimischen waren von Technik unbeleckt, und der einzige Kontakt dieser Zivilisation zu den Sternen bestand darin, den Blick darauf zu richten. Es gab kein Anzeichen dafür, daß auf dem kärglichen Planeten ein Raumer gelandet oder gar gestrandet war, und daß jemand ein Hyperfunkgerät in seiner Hütte versteckt hatte, war völlig undenkbar. Die Aussicht, den Arkoniden hier zu finden, war also gering, dennoch leitete Traykon-1 die Landung ein. Im Gegensatz zu Schwiegermutter hatte er keine Zweifel, auf dieser Welt zum Erfolg zu kommen und Atlan aufzuspüren, weil er der manipulierten Positronik und den nachgeschalteten Instrumenten blind vertraute. Auch die anderen Kugelköpfe brachten keine Einwendungen vor. Sanft setzte das Schiff auf einer Wiese auf. Der Anflug und das Manöver war nicht unbemerkt geblieben. Aus der nahen Siedlung eilten Dörfler herbei. Sie zeigten sich nicht furchtsam, sondern wirkten eher neugierig, überrascht und freudig erregt. Das ließ nur den Schluß zu, daß sie Raumer und Besucher von anderen Planeten kannten oder sogar Kontakt zu Fremden hatten. Und offensichtlich hatten die Pelzwesen nur positive Erfahrungen gemacht. Das sollte sich bald ändern.
* Wie auf Vorsig blieb der Kommandant im Schiff, Schwiegermutter wurde von Traykon-6 bewacht, die anderen gingen von Bord, um nach dem Aktivatorträger zu suchen. Verständigungsschwierigkeiten gab es nicht mit den Quergs, wie
sich die Planetarier nannten. Sie begegneten den Silbernen überaus freundlich und hilfsbereit, doch von einem Fremden namens Atlan hatten die Befragten nach übereinstimmender Aussage noch nie etwas gehört. Die kybernetischen Spürhunde, die sicher waren, den Arkoniden hier zu finden, reagierten ärgerlich, weil sie die bepelzten Riesen für Lügner hielten. Während drei Kugelköpfe weiterforschten, schleppte Traykon-2 den Ortsvorsteher kurzerhand zum Raumschiff und führte ihn dem Anführer zum Verhör vor. Der Querg verfügte über ein erstaunliches Selbstbewußtsein. Zwar verriet seine Mimik Respekt vor der unbekannten Technik, doch seine hochaufgerichtete Gestalt ließ nichts von Unterwürfigkeit erkennen, die Bewegungen signalisierten Ruhe und Gelassenheit. Das änderte sich, als er Schwiegermutter erblickte, der sich bewußt im Hintergrund hielt. »Ein Daila!« rief der Planetarier erfreut. »Willkommen auf Quekko, Freund!« Der Dörfler wollte auf den Roboter zugehen, um ihn zu begrüßen, doch dessen Bewacher vertrat ihm den Weg. »Laß das, der Gefangene ist unwichtig. Der Herr will mit dir sprechen!« »Gefangener?« In der Baßstimme des Quergs schwang Unsicherheit mit. »Warum haltet ihr ihn fest? Ein Daila ist nicht böse.« »Ich stelle hier die Fragen!« sagte Traykon-1 sehr bestimmt. »Wer bist du?« »Er heißt Pluhgort und ist der Bürgermeister dieser Siedlung«, antwortete Traykon-2 anstelle des Gefragten. »Wie die anderen Eingeborenen behauptet er, daß ihm ein Mann mit Namen Atlan unbekannt ist.« »Es ist gut, du kannst gehen. Unterstütze die anderen. Wir müssen Erfolg haben. Der Plan des Herrn erfordert das!« Der Silberne verschwand. Schwiegermutter wäre ihm gar zu gern gefolgt, um sich selbst umzuhören und in Erfahrung zu bringen,
was dieses Volk mit seinen Erbauern verband, andererseits interessierte ihn auch, was der Kugelkopf wissen wollte. Mehr als ein Dutzend Fragen lagen dem Roboter auf der synthetischen Zunge, doch er hütete sich, sie auszusprechen, weil seine Häscher das als Provokation auslegen konnten. Das wiederum konnte dazu führen, daß er die Steuerkanzel verlassen mußte, und genau das wollte er nicht, also begnügte er sich mit der Rolle des Zuhörers. »Warum bestreitest du, Atlan zu kennen, wenn du andererseits zugibst, daß dir die Daila bekannt sind? Erkläre mit diesen Widerspruch!« Bevor sich der Betroffene äußern konnte, fuhr der Kommandant fort: »Komme mir nicht mit Lügen! Ich weiß, daß der Gesuchte hier ist! Er ist von Aklard aus gestartet – mit einem Raumschiff der Daila. Wenn du dieses Volk kennst, mußt du auch Atlan kennen.« »Das Schiff, das hier landete, hatte keinen Fremden an Bord, der so hieß. Alle sahen so aus wie der Daila dort.« »Wo befindet sich das Schiff jetzt?« »Ich weiß es nicht. Es ist wieder abgeflogen.« »Wann?« »Vor zwei Sommern«, antwortete der Querg arglos. »Du lügst!« schrie der Kommandant den verdutzten Riesen an. – »Traykon-6, sperre dieses Subjekt ein. Vielleicht kann er sich an die Wahrheit erinnern, wenn er bei Nahrungsentzug in Ruhe nachdenken kann.« Was der Silberne da befohlen hatte, war für Schwiegermutter Folterung. Er mußte dem armen Kerl einfach helfen, zumal er auch für sich die Chance sah, den Kugelköpfen zu entkommen. Der Roboter explodierte förmlich. Aus dem Stand sprang er Traykon-6 an und rammte beide Fäuste in das irisierende PseudoFacettenauge. Gedankenschnell riß der Angegriffene beide Arme hoch, konnte die Treffer jedoch nicht mehr verhindern. Der Automat stieß einen schrillen Laut aus, drehte sich hilflos um seine
eigene Achse und prallte gegen eine Schaltkonsole. Bevor Traykon-1 eingreifen konnte, war Schwiegermutter bei Pluhgort, faßte den überraschten Planetarier an der Hand und stürmte, ihn mit sich ziehend, aus der Zentrale. Wutschnaubend folgte der Kommandant. »Schneller!« feuerte der Roboter seinen Begleiter an, der dicht hinter ihm über das in Gang gesetzte Rollband rannte. Schwiegermutter blickte zurück. Der Silberne holte deutlich auf. Zwar legte der Querg trotz seines plumpen Aussehens ein beachtliches Tempo vor, doch mit einer Maschine konnte er nicht mithalten. Es war abzusehen, daß der Verfolger bei ihm war, bevor er den Antigravlift erreichte. Der Roboter traute es sich durchaus zu, es mit einem Traykon aufzunehmen, aber ein Kampf kostete Zeit, die er möglicherweise nicht hatte. Wenn es der Zufall wollte, konnte jederzeit ein anderer Kugelkopf auftauchen, der in die Auseinandersetzung eingriff und – die Flucht vereitelte. Zurückfallen lassen konnte er sich auch nicht, da Pluhgort in der fremden Umgebung die Orientierung verlor, er selbst war dagegen mit den Örtlichkeiten vertraut und mußte als Führer fungieren. »Ihr entkommt mir nicht!« brüllte der Anführer triumphierend. »Und dann bekommt ihr meinen Zorn zu spüren.« »Eine Kostprobe von meinem bekommst du, wenn du nicht endlich zu verschwinden geneigt bist!« drohte der Roboter zähnefletschend. Die Gesichtssensoren machten aus der grimmigen Miene ein freundliches Grinsen und straften seine Worte Lügen. »Wage es nicht, Pluhgort zu berühren, sonst bist du erledigt, Sklaventreiber.« »Mit dir nehme ich es allemal auf, Nullspeicher!« Die beiden kybernetischen Gegner zeigten sich von den gegenseitigen Einschüchterungsversuchen unbeeindruckt, und es bereitete ihnen auch keine Mühe, während der Verfolgungsjagd zu reden, anders dagegen der Querg. Er hatte nicht die Kraft, auch noch zu sprechen, keuchend rang er nach Luft, sein mächtiger Brustkorb hob und senkte sich wie ein Blasebalg. Schwiegermutter
beobachtete es mit Sorge. Verzweifelt überlegte er, wie er Traykon-1 überlisten oder ausschalten sollte, ohne selbst aufgehalten zu werden. Schon war der Silberne bis auf eine Körperlänge an den Planetarier herangekommen. Die nahe Gangkreuzung brachte den Roboter auf eine abenteuerliche Idee. Kaum, daß der Verteiler erreicht war, wechselte Schwiegermutter mit einem leichten Hüpfer auf einen Rollsteig, der in eine andere Richtung führte. Unvermittelt sah sich der Kugelkopf vor die Entscheidung gestellt, nur noch einer Person folgen zu können. Er entschied sich dafür, Schwiegermutter nachzusetzen, weil er den für gefährlicher hielt, und wechselte das Band. Damit hatte der Roboter gerechnet. Mit einem kühnen Sprung schnellte er sich an dem Traykon vorbei und versetzte ihm im Vorbeisausen einen Hieb auf das Gesichtsfeld. Der Automat reagierte sofort, doch seine Gegenwehr kam zu spät, weil das Transportband die Distanz verkürzte. Die wirbelnden Arme verfehlten Schwiegermutter knapp, aber Traykon-1 zeigte Wirkung. Schwankend wurde er davongetragen, und bevor er sich neu orientiert hatte, erreichte der frühere Gehilfe Schirtubohs mit seinem Schützling den Antigravschacht. Schwiegermutter schwang sich als erster in das abwärtsgepolte Feld und zog Pluhgort nach. Nebeneinander sanken sie nach unten, vorbei an den eingelassenen Trittsprossen der Notleiter. Dem Roboter ging das viel zu langsam, immer wieder blickte er nach unten, weil er befürchtete, daß unerwartet Traykons auftauchen konnten. »Gute Reise!« erklang es von oben. Die letzte Silbe war noch nicht verklungen, als das Transportfeld erlosch und die Gravitation von Quekko in der Röhre wirksam wurde. Traykon-1 hatte einfach abgeschaltet. Wie Steine stürzten die beiden in die Tiefe. Gellend schrie der Querg seine Todesangst heraus.
Eine Schrecksekunde kannte Schwiegermutter nicht. Nahezu gleichzeitig packte er den Planetarier am Arm und umklammerte mit der anderen Hand einen der Griffe. Mit einem gurgelnden Laut machte Pluhgort seinem Schmerz Luft, als der freie Fall abrupt gestoppt wurde. Hilflos baumelte er in der Luft, nur gehalten von dem vermeintlichen Daila. Vorsichtig pendelte ihn der Roboter aus, so daß Pluhgort eine Sprosse zu fassen bekam und auch mit den Füßen Halt fand. Zitternd klammerte er sich an den Trittstangen fest, ausgepumpt und gezeichnet von der eben durchlebten Furcht um seine Existenz. »Dieser Traykon-1 ist wahrlich ein unangenehmer Zeitgenosse, der keine Skrupel zu kennen scheint. Bist du verletzt, Fluchtgefährte?« »Er wollte uns umbringen!« erregte sich der bepelzte Hüne. »Was ihm allerdings nicht gelungen ist. Wir tun gut daran, uns zu tummeln. Traust du es dir zu, die letzten Meter aus eigener Kraft zurückzulegen? Oder soll ich dir beistehen?« »Ich denke, es geht. Im ersten Augenblick hatte ich das Gefühl, daß mir durch den Ruck fast der Arm ausgekugelt wurde, doch er scheint in Ordnung zu sein.« »Dann ersuche ich dich um einen schnellen Abstieg!« Die Erinnerung an die Realität verlieh Pluhgort neue Kräfte. Hangelnd turnte er nach unten, dabei hatte der Querg immer noch starke Schmerzen in der Schulter. Mit zusammengebissenen Zähnen stand er die Kletterpartie durch. Der Roboter, der ein wachsames Auge auf seine Umgebung und den Dailafreund hatte, folgte ihm dichtauf. Unangefochten passierten sie die geöffnete Schleuse und erreichten wohlbehalten den Planetenboden. Das rüde Vorgehen der Kugelköpfe hatte die Zuschauer vergrault, kein Querg ließ sich mehr blicken, allerdings war auch kein Silberner in Sicht, was den Flüchtigen natürlich sehr gelegen kam. Diesmal übernahm Pluhgort die Führung. Mit raumgreifenden
Schritten eilte er auf die nahe Siedlung zu, den Roboter im Schlepp. Immer wieder sah sich Schwiegermutter um, doch kein Verfolger tauchte auf. Gleich an der ersten Hütte klopfte der Planetarier an. »Aufmachen – schnell!« »Wer ist da?« fragte eine sonore Stimme von innen. »Pluhgort. Ich habe einen Daila-Freund dabei.« Die Tür der Kate wurde geöffnet. Ein bulliger Querg zog die beiden über die Schwelle und verschloß den Eingang mit einem schweren Riegel. Unterdessen begannen die Kugelköpfe damit, die Unterkünfte am anderen Ende der Siedlung zu durchsuchen. Traykon-1 hatte sie per Funk darüber informiert, daß die Gefangenen entkommen waren. Wenig später entdeckte er die Manipulationen und tobte vor Wut, als er erkannte, daß Schwiegermutter ihn und die Positronik genarrt hatte. Zornerfüllt befahl der Kommandant seinen Schergen, den Roboter aufzufinden und dingfest zu machen – um jeden Preis. Die Silbernen nahmen das wörtlich. Rücksichtslos kontrollierten sie die Behausungen und die Einwohner des Dorfes und schreckten dabei auch vor Handgreiflichkeiten nicht zurück. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich in dem kleinen Ort die Kunde von den brutalen Aktionen der Silbernen, die nun nicht mehr den Fremden namens Atlan suchten, sondern einen Daila in merkwürdigem Aufzug, der Schwiegermutter hieß.
* Die Hütte, in der Schwiegermutter Unterschlupf gefunden hatte, war zwar nur spärlich möbliert, wirkte aber wohnlich. Ein bullernder Ofen aus Lehmziegeln verbreitete angenehme Wärme. Hier wohnte der Querg, der ihnen Einlaß gewährt hatte, mit seiner Familie.
Nachdem der Bürgermeister erzählt hatte, was vorgefallen war und den vermeintlichen Daila als seinen Retter vorstellte, war der Holzfäller sofort bereit, seinem Gast zu helfen. Dankbar nahm der Roboter das Angebot an. So ganz nebenbei erfuhr er auch, warum die Planetarier seine Erbauer so schätzten und was es mit dem Raumschiff auf sich hatte. Vor gut zwei Jahren war das Schiff aufgetaucht, dessen Besatzung ausschließlich aus Daila bestand. Nach wenigen Wochen war der Raumer wieder gestartet, weil den meisten das rauhe Klima nicht behagte, aber eine zwanzigköpfige Gruppe war geblieben. Die drei Paare – alle mit Kindern – hatten sich unweit des Dorfes angesiedelt. Die friedlichen Quergs hatten ihnen beim Bau ihrer Häuser geholfen, und zum Dank dafür hatten die Daila ihren freundlichen Wohltätern einige Dinge gezeigt und beigebracht, die das Leben und die Arbeit angenehmer und erträglicher machten. Dazugehörte auch das Auffinden von Bodenschätzen. Der letzte Winter war besonders streng. Als dann der Frühling Einzug hielt, kam es noch einmal zu einem Kälteeinbruch mit arktischen Temperaturen und Blizzards. Die Siedlung versank förmlich in der weißen Pracht, meterhohe Schneewehen verhinderten, daß die Quergs ihre Häuser verlassen konnten. Als der Sturm abflaute und der Niederschlag nachließ, machten sich ein paar beherzte Männer auf, um nach den neuen Siedlern zu sehen, doch sie fanden nur noch Tote in den verschütteten Behausungen. Auch unter den Planetariern hatten die Orkane Opfer gefordert. Gemeinsam wurden die Verstorbenen in der hartgefrorenen Erde bestattet, für die umgekommenen Daila hatte man sogar so etwas wie eine Gedenkstätte errichtet. Ihr selbstloses Wirken sollte unvergessen bleiben, aber die Fremden, die nun aufgetaucht waren, entpuppten sich durchaus nicht als Wohltäter und Freunde. Und dann überbrachte ein halbwüchsiges Mädchen die im Dorf kursierende Nachricht, daß die Silbernen nun Jagd auf einen sogenannten Daila machten, dessen Beschreibung genau auf den
Roboter zutraf. »Ich denke, es ist besser, wenn ich das Weite suche und verschwinde«, meinte Schwiegermutter. »Wenn mich jemand hier sieht, wirst du Ärger bekommen.« »Du kannst bei mir unterschlüpfen«, bot Pluhgort spontan an. »Oder verberge dich in dem Verschlag hinter dem Haus. Zwischen den Holzvorräten werden sie dich bestimmt nicht vermuten«, sagte der andere Querg. »Du …« Plötzlich wurde an der Tür heftig gerüttelt. »Sofort öffnen!« »Die Silbernen«, entfuhr es dem Bürgermeister. »Du mußt fliehen!« Einen zweiten Ausgang gab es nicht, blieb also nur das Fenster. Mit zwei, drei Schritten war der Roboter dort, riß es auf und spähte hinaus. An der Rückseite der Hütte hatte sich kein Traykon postiert. Hastig zwängte sich Schwiegermutter durch die Öffnung, winkte verabschiedend und lief davon. Wie ein Schemen verschwand er zwischen niedrigen Obstbüschen. Keinen Augenblick zu früh. Bevor der Holzfäller das Fenster schließen konnte, tauchte ein Kugelkopf auf. Brutal packte er den Planetarier an den Armen und riß ihn durch die Luke nach draußen. Sein Ruf alarmierte einen anderen Traykon, der sofort herbeigeeilt kam. Donnernde Schläge gegen den Eingang waren zu hören, als die übrigen Silbernen sich gewaltsam Einlaß verschaffen wollten. Knallend sprang die Tür auf und krachte, halb aus den Angeln gerissen, gegen die Wand aus Bohlen. Mit poltenden Schritten betraten die Automaten die Kate. Verängstigt drängten' sich Frau und Kind des Holzfällers in eine Ecke. »Sieh an, wen haben wir denn da?« Traykon-2 griff nach Pluhgort und zog ihn am Pelz zu sich heran. »Wo ist denn dein Freund, he? Weit kann er nicht sein, also heraus mit der Sprache!« »Ich habe keine Ahnung«, stotterte der Querg. »Wir haben uns
getrennt.« Der Automat griff fester zu und schlug dem Dörfler mit der flachen Hand ins Gesicht. »Rede, sonst muß ich grob werden.« Mit einer heftigen Bewegung stieß er die massige Gestalt von sich weg. Pluhgort stolperte rückwärts, verlor das Gleichgewicht und prallte mit voller Wucht gegen den Kamin. Benommen ging er zu Boden. »Nun?« »Der Daila ist durch das Fenster geflohen«, antwortete der Querg stöhnend. »Das habe ich mir fast gedacht.« Der Sarkasmus in der Stimme der Maschine war unüberhörbar. »Wo will er hin? Hast du ihm ein Versteck genannt, eine Adresse, wo ihm Hilfe gewährt wird?« »Nichts von alledem. Er ist einfach weggerannt.« »Das sieht ihm ähnlich, dennoch traue ich dir nicht.« Der Automat wandte sich an die anderen. »Traykon-3, du durchsuchst diese Behausung bis in den letzten Winkel. Die Sache mit dem offenen Fenster kann ein Trick gewesen sein. Der Rest schwärmt aus.« Auf der Schwelle drehte sich der Kugelkopf noch einmal um. »Sollte sich herausstellen, daß du gelogen hast, wird deine Familie das büßen müssen. Und deine auch!« rief er dem Holzfäller zu, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht näherte. »Wir sind da nicht zimperlich.« Als sollte der Beweis dafür angetreten werden, riß Traykon-3 demonstrativ einige Dielenbretter heraus, um zu ergründen, ob es unter der Behausung Hohlräume gab, die sich als Schlupfwinkel eigneten. »Ihr ruiniert ja mein Haus!« entsetzte sich der Querg. »Hört auf, das könnt ihr nicht machen.« »Wie du siehst, können wir«, sagte Traykon-2 überheblich. »Vielleicht kannst du uns verraten, wo Schwiegermutter steckt, sonst müssen wir weitersuchen – ganz methodisch. Wir haben da
klare Vorstellungen in bezug auf Gründlichkeit.«
»Aber Pluhgort spricht die Wahrheit«, jammerte der Holzfäller. »Dann habt ihr ja nichts zu befürchten«, kommentierte der Automat und stapfte davon. Die Bitten des Planetariers, seine Hütte zu verschonen und nicht weiter zu verwüsten, verhallten ungehört. Erst als Traykon-3 davon überzeugt war, daß sich tatsächlich niemand in der Kate verbarg, räumte er das Feld und schloß sich den anderen an. Zurück blieb ein Trümmerhaufen mit unbrauchbar gewordenem Mobiliar und ein paar verstörte Quergs, die die Welt nicht mehr verstanden. Wie konnte jemand so abgrundtief mißtrauisch und böse sein?
* Schwiegermutter hatte sich keineswegs aus dem Staub gemacht, wie seine neuen Freunde vermuteten, sondern war in der Nähe geblieben. Im Schutz der Sträucher, gedeckt von Blättern und Zweigen, hockte der Roboter zwischen den fruchttragenden niedrigen Gehölzen, um zu beobachten, was sich weiter tat. Das rabiate Vorgehen der Traykons ergrimmte ihn, doch eingreifen konnte er nicht. Hilflos mußte er mitansehen, wie die Kugelköpfe auch vor Gewalt nicht zurückschreckten. Daß sie keine Skrupel kannten, hatte der Kommandant des namenlosen Schiffes ja bereits bewiesen, als er den Antigrav abschaltete und den Tod eines intelligenten Lebewesens dabei bewußt in Kauf nahm. Für Schwiegermutter wurde es Zeit, sich davonzumachen. In breiter Formation durchkämmten die Automaten das Gelände, und einer näherte sich direkt seinem Versteck. Geduckt schlich er davon, schlängelte sich durch halbhohe Stauden, kroch durch eine dichte Hecke – und hatte vor sich eine freie Fläche. Auch links und rechts war nur Wiese, zurück konnte er nicht mehr, weil ihm die Traykons auf den Fersen waren. Ihm blieb nur die Flucht nach vorn. Jenseits des Graslandes, etwa
zweihundert Meter entfernt, stand ein halbverfallener Schuppen, gleich dahinter begann der Wald. Dort konnte er sich verbergen, aber dazu mußte er sich einen ausreichenden Vorsprung verschaffen, denn es war sinnlos, hinter einem Baum zu verschwinden, wenn ihn die Verfolger dabei beobachten konnten. Der Roboter rannte los. Wie erwartet, wurden die Silbernen aufmerksam und setzten nach. Wie eine geifernde Meute hetzten sie hinter dem Syntho-Daila her und sahen ihr Opfer schon in der Falle, weil Schwiegermutter auf den windschiefen Heuschober zuhielt. Was sie als Dummheit ansahen, war in Wahrheit Berechnung. Behende schlüpfte Schwiegermutter durch die morsche Tür, die hinter ihm wieder zufiel. Schwaches Licht fiel durch Spalten und Ritzen. Es genügte ihm, um sich kurz zu orientieren. Wie er erwartet hatte, gab es mehrere Luken, auch an der Rückseite. Sie waren unverschlossen und klappten hin und her. Allerlei Gerumpel lagerte hier, ausgediente Ackergeräte und primitive Werkzeuge warteten darauf, daß ihnen der Zahn der Zeit endgültig den Garaus machte. So wenig vertrauenerweckend wie der Schuppen selbst war auch der Längsbalken, der das Dach trug. Zwei Bohlen waren als zusätzliche Stützen aufgestellt worden, doch die Konstruktion machte einen sehr wackligen Eindruck. In aller Eile lockerte der Roboter die Keile des Provisoriums und schwang sich durch die rückseitige Öffnung. Polternd fiel der Laden in die Ausgangsstellung zurück, es ächzte und knackte verdächtig im Gebälk. Der Zwischenstopp hatte Schwiegermutter ein paar Sekunden Zeit gekostet und den Silbernen Gelegenheit gegeben, aufzuholen, aber das hatte er ins Kalkül gezogen. Im toten Winkel, geschützt von der baufälligen Hütte, spurtete er auf den nahen Wald zu und verschwand im Unterholz. Siegessicher stürmten die Traykons in den Schober, zwei von ihnen rannten zur hinteren Front, um dem Gejagten den Fluchtweg abzuschneiden. Da die Scheune kaum Versteckmöglichkeiten bot,
machten sich die Automaten sofort daran, das gelagerte, unbrauchbare Zeug beiseite zu räumen. In ihrem Eifer gingen sie nicht gerade sorgfältig vor und schleuderten einfach zur Seite, was ihnen in die Hände kam. Mehrmals wurden dabei die gelockerten Stempel getroffen, ohne daß die Maschinen auf das Knarren der Stützen und des Trägers achteten. Und dann kam eine Bohle zu Fall. Das Holz des mächtigen Balkens arbeitete, verdächtige Geräusche waren zu hören. Nun wurden auch die Kugelköpfe aufmerksam, doch bevor sie sich in Sicherheit bringen konnten, zersplitterte der andere Stamm unter dem Druck. Der altersschwache Balken war dem auf ihm lastenden Gewicht nicht mehr gewachsen, er bog sich durch und zerbrach. Mit Donnergetöse stürzte die gesamte Dachkonstruktion zusammen und begrub die Roboter unter sich. Der kalte Wind trieb den aufgewirbelten Staub sofort davon. Die Silbernen entpuppten sich als solide Produkte, keiner fiel aus. Während sich die Verschütteten mühten, freizukommen und die Trümmer, Bretter und Sparren wegzuräumen, die sie einkeilten, liefen die beiden anderen in den Wald hinein. Der Befehl, den Gefangenen aufzustöbern, hatte eine höhere Wertigkeit als der, den baugleichen Modellen zu helfen. Ungestüm brachen die zwei Kugelköpfe in den Forst ein und zertrampelten einfach die Gewächse, die sich im Schutz der Bäume angesiedelt hatten. Obwohl sie alles andere als Pfadfinder waren, bereitete es ihnen keine Mühe, Schwiegermutter zu folgen. Abgeknickte Zweige und Fußabdrücke im weichen Boden wiesen ihnen den Weg. Ihr Triumph wich Ratlosigkeit, als die Spur an einem kleinen Weiher abrupt endete. Sie umrundeten den Teich, doch es gab keine Abdrücke, die aus dem Gewässer herausführten. Suchend blickten sie nach oben, aber auch in luftiger Höhe im Geäst war nichts von den Gesuchten zu sehen. Das ließ nur den Schluß zu, daß er sich
unter Wasser verbarg. Ohne zu zögern, wateten die Traykons durch den mit Schwimmpflanzen bedeckten Tümpel und durchfurchten mit den Füßen den Schlick, ohne auf ein Hindernis zu stoßen. Dunkler Mulm wurde aufgewirbelt, der das Wasser in eine braune Brühe verwandelte. Wenig später beteiligten sich auch die beiden anderen am Umpflügen des Untergrunds, ohne fündig zu werden. Als feststand, daß sich in dem Teich nichts befand, was größer war als eine Faust, brachen sie die Suche ergebnislos ab und kehrten um in dem Bewußtsein, daß sie ein Donnerwetter erwartete, weil ihnen der Verfolgte erneut ein Schnippchen geschlagen hatte. Das hatte Schwiegermutter in der Tat. Absichtlich hatte er eine so verräterische Spur gelegt, daß sie auffallen mußte. Ein tiefhängender Ast bot die Gelegenheit, die Flucht ein Stockwerk höher fortzusetzen, allerdings in umgekehrter Richtung. Wie ein Artist turnte der Roboter durch die Wipfel, verharrte im schützenden Blätterdach, als die Traykons unter ihm vorbeimarschierten und hangelte sich dann weiter durchs Geäst. Als er den Waldrand erreichte, kletterte er vom Baum herunter und lief über die Wiese zurück zum Dorf, doch nicht die Siedlung war sein Ziel, sondern das Raumschiff. Er wollte versuchen, die Traykons auszuschalten und den Flugkörper in seinen Besitz zu bringen. Schwiegermutter wußte, daß sein Plan aberwitzig war, doch er konnte nur zu Atlan gelangen, wenn er so mobil war, daß er auch zu anderen Planeten fliegen konnte. Auf Quekko, da war sich der Roboter sicher, weilte der Arkonide bestimmt nicht, schließlich hatte er selbst die Positronik entsprechend präpariert, daß die Kugelköpfe in die Irre geführt wurden. Selbst wenn er in Freiheit blieb und die Silbernen unverrichteter Dinge das Feld räumten, hatte er nichts gewonnen. Auf unbestimmte Zeit konnte er diese Welt nicht verlassen, und es war
mehr als fraglich, ob überhaupt ein Raumer nochmals hier landen würde. Gewiß, die Quergs hatten ihn freundlich aufgenommen, aber die Aussicht, Jahre oder gar Jahrzehnte hier zubringen zu müssen, war unerträglich und kollidierte mit der Aufgabe, den Aktivatorträger zu finden. Daß er ein Risiko einging, wußte Schwiegermutter. Aus diesem Grund verzichtete er auch darauf, Unterstützung bei den Planetariern zu suchen, obwohl ihm Pluhgort sicher geholfen hätte. Es widerstrebte ihm einfach, dieses freundliche Völkchen zu mißbrauchen und in Gefahr zu bringen. Durch das rüde Vorgehen der Silbernen hatten die Quergs ohnehin genug gelitten. Da es dem Roboter unmöglich war, sich als Planetarier zu maskieren, kam er auf die Idee, sich als »Landschaft« zu verkleiden. Eine große grüne Matte, die zum Trocknen auf der Leine hing, kam ihm gerade recht. Er stiebitzte sie, als er sich unbeobachtet glaubte, und verschwand mit seiner Beute hinter einem Gebüsch. Dort präparierte er das Geflecht aus Pflanzenfasern mit Gras und Kräuterstengeln, dann hängte er sich das Gebilde um. Flach auf den Boden gepreßt, kroch er auf den Raumer zu. Von den Quergs ließ sich niemand blicken. Schwiegermutter rechnete damit, daß Traykon-1 die Umgebung mittels der Bordkameras überwachte, gleichzeitig erwartete er, daß die Kontrolle oberflächlich war und sich darauf beschränkte, größere Objekte wie Personen zu registrieren. Dessen ungeachtet verharrte der Roboter immer wieder. Seine Tarnung hatte nicht genau die Farbe der Flora, so daß auch ein wanderndes Wiesenstück auffiel. Trotz der mühsamen Fortbewegungsart kam er gut voran. Es war für ihn kein Problem zu ermitteln, wie lange die Kugelköpfe brauchten, um den Teich abzusuchen. Selbst wenn sie nach ihrem Mißerfolg sofort umkehrten, blieb ihm ausreichend Zeit, um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Meter um Meter robbte er vorwärts. Das Schiff war nur noch einen Steinwurf entfernt, seine
Zuversicht wuchs. Der Abstand zum Zielobjekt war auf zehn Körperlängen geschrumpft, als plötzlich Traykon-6 den Flugkörper verließ. Sofort verhielt Schwiegermutter in der Bewegung und schmiegte sich eng an den Boden. Wachsam verfolgte er den Automaten mit den Augen, bereit, aufzuspringen und sich zu verteidigen. War es ein Zufall, daß der Silberne ausgerechnet jetzt von Bord ging, oder hatte der Kommandant etwas bemerkt? Was der Roboter nicht wußte, nicht wissen konnte: Durch seine Attacke hatte Traykon-6 Schäden davongetragen, die eine relativ aufwendige Reparatur erforderlich machten. Mittlerweile waren die Defekte behoben, und die Maschine war ausgeschickt worden, um die anderen zu unterstützen. Noch wußte die Nummer 1 nicht, daß seine Helfer genarrt worden waren. Zielstrebig marschierte die Maschine auf das Dorf zu, ohne dem hellen Fleck auf der Grasfläche besondere Beachtung zu schenken. Schwiegermutter wollte sich schon wieder nach vorne orientieren, als der Kugelkopf auf einmal stehenblieb und sich in die Richtung drehte, die der Roboter genommen hatte. Der wußte sofort, was die Aufmerksamkeit des Silbernen erweckt hatte: Die Spur aus plattgewalzten und umgeknickten Halmen war unübersehbar, und sie endete dort, wo er sich gerade befand. Schwiegermutter erkannte, daß seine Tarnung nutzlos geworden war. Blitzschnell kam er auf die Füße, schleuderte die Matte von sich und rannte auf den Raumer zu. Augenblicklich nahm Traykon6 die Verfolgung auf. Mit gut fünfzig Metern Vorsprung erreichte der Roboter den geöffneten Einstieg. Obwohl der Antigrav funktionierte, benutzte er die Sprossen, um schneller nach oben zu gelangen. Noch rechnete er sich reelle Chancen aus, doch bevor er den Schacht verlassen konnte, tauchte der Kommandant auf und verstellte die Öffnung. Wahrscheinlich hatte Traykon-6 seinen Befehlshaber per Funk alarmiert.
Ein schneller Blick zurück zeigte Schwiegermutter, daß auch sein Verfolger mittlerweile angelangt war und sich einschleuste. Der Syntho-Daila schreckte auch vor einer Auseinandersetzung mit zwei Gegnern nicht zurück, obwohl eine Niederlage wahrscheinlicher war als ein Sieg, doch in der Röhre mit ihrer gesteuerten Schwerkraft und der räumlichen Enge stand fest, daß er verlieren mußte. Notgedrungen verzichtete er auf spektakuläre Aktionen, die seine Situation nur noch verschlechtern konnten. Erneut war er ein Gefangener, aber aufgegeben hatte er sich und seinen Plan keinesfalls. »Diesmal entwischt du mir nicht mehr, du hinterhältiger Halunke«, fauchte Traykon-1. »Das sind gar rüde Worte für eine Begrüßung«, tat Schwiegermutter arglos. »Wie unzweifelhaft zu erkennen ist, bin ich aus eigenem Antrieb zurückgekehrt. Mit Informationen über Atlan konnte man mir leider nicht dienen. Hast du diese Erfahrung auch gemacht?« »Hör auf, dich über mich lustig zu machen! Dir wird der Spott noch vergehen.« Die Stimme des Automaten klang fast wie immer, aber ein drohender Unterton war herauszuhören. »Ich habe dich unterschätzt, doch diesen Fehler habe ich nur einmal gemacht. Dein Versuch, den Plan des Herrn zu torpedieren, ist mißlungen. Wir werden Atlan finden, doch zuvor wirst du die Manipulationen rückgängig machen, die dazu geführt haben, daß das Schiff diesen Planeten angeflogen hat.« Die Silbernen hatten also bemerkt, daß er korrigierend eingegriffen hatte. Das kam dem Roboter zwar nicht gerade gelegen, dennoch beschloß er, den Ahnungslosen zu spielen. Dreist sagte er: »Warst du nicht der Pilot? Und hast du mich nicht einen Nullspeicher genannt?« Er versuchte, ein einfältiges Lächeln aufzusetzen, doch die Sensoren der linken Gesichtshälfte machten daraus eine sauertöpfische Miene. »Ich erlaube mir, zu bemerken, daß ich ein einfacher Diener bin, mit Anstand und Lebensart
vertraut, Technik jedoch abhold. Wie sollte es mir möglich sein, Einfluß auf etwas zu nehmen, dessen Beherrschung nicht zu meinem Fach gehört?« »Mich täuschst du nicht mehr«, grollte der Kommandant. »Die Eingriffe, die du vorgenommen hast, zeugen von hervorragenden positronischen Kenntnissen. Und du wirst sie jetzt dazu benutzen, um den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Heraus mit dir aus dem Schacht, sonst geht es dir schlecht!« Notgedrungen verließ Schwiegermutter den Antigrav und machte sich daran, die Fehler zu beheben, doch listig, wie er war, baute er heimlich gleich neue ein, so daß sich das Schiff irgendwann gegen seine kybernetischen Herren stellen würde. Obwohl die Traykons nicht offen über ihren Auftrag sprachen und immer nur Gemeinplätze benutzten, wurde dem Roboter immer deutlicher, daß sie so etwas wie ein Todeskommando waren, das auf Atlan angesetzt war. Nach allem, was er von dem Arkoniden erfahren hatte – gepaart mit seinem neuen Wissen – konnte hinter den Automaten nur einer stecken: der Erleuchtete. Schwiegermutter war entschlossen, diesem Gegner, wie mächtig er auch immer sein mochte, einen Strich durch die Rechnung zu machen.
6. Kaum, daß der Roboter die alten Manipulationen rückgängig gemacht hatte und alle Kugelköpfe vollzählig an Bord waren, verließ der Raumer Quekko und nahm Kurs auf den lockeren Zentrumskern von Manam-Turu, genauer gesagt auf eine gelbe Sonne in dessen Nähe. Einer ihrer Trabanten hieß Kraupper. Das Schiff hatte sein Ziel noch nicht ganz erreicht, als die feinen Sensoren einen Diskus aufspürten, der das Sechs-Planeten-System verließ. Es war die STERNSCHNUPPE.
Obwohl das an Bord des namenlosen Flugkörpers niemand wußte, waren die Kugelköpfe davon überzeugt, daß Atlan sich in dem Raumschiff befand. Das glaubte Schwiegermutter auch, doch die Automaten wollten Gewißheit haben, daß sie nicht einem Phantom nachjagten. »Wir setzen nach!« Traykon-1 betätigte sich wieder selbst als Pilot und änderte den Kurs geringfügig. Der Raumer reagierte sofort auf die Steuerungskorrektur und nahm die Verfolgung des unbekannten Schiffes auf. Noch war der Abstand zu groß, so daß die Systeme die gewünschten Details noch nicht ermitteln konnten, aber die Kugelköpfe waren zuversichtlich. Wie ein synthetischer Greif raste der exotische Flugkörper durch den Normalraum und näherte sich unaufhörlich dem Diskus. Ohne Vorwarnung verwandelte sich das Schiff plötzlich in ein technisches Tollhaus. Die Manipulationen Schwiegermutters waren wirksam geworden, verschiedene Einrichtungen, die der Sicherheit dienten, betrachteten die Besatzung auf einmal als Gegner. Bevor die völlig überrumpelten Automaten sich wehren konnten, waren zwei von ihnen schon ausgeschaltet und irreparabel geschädigt. Traykon-2 wurde ein Opfer der verrückt spielenden Anlagen, Traykon-4 ging auf das Konto von Schwiegermutter, der die Gunst der Stunde nutzte. Unverdrossen nahm er den Kampf gegen die Übermacht auf.
* In den Steuerkanzeln herrschte ein heilloses Durcheinander. Alarmsirenen schrillten, die Schottflügel öffneten und schlossen sich ohne Grund, automatische Löscheinrichtungen bliesen Stickstoff in die Räume, der so heruntergekühlt war, daß er bei ein paar Grad weniger seinen Aggregatzustand ändern würde. Vergeblich
versuchte die Lufterneuerungsanlage, diese unerwartete Kältewelle zu neutralisieren. Rauhreif bildete sich überall an den Wänden, die Feuchtigkeit kondensierte und überzog Instrumente und Mobiliar ebenso wie die Roboter mit einer dünnen Eisschicht. Bizarre Muster zierten die undurchsichtig gewordenen Scheiben. Wie von Geisterhand bewegt, drehten sich die Sitzschalen, hoben und senkten sich in einem nicht erkennbaren Rhythmus. Die Gravitation schwankte zwischen einem und drei g, Lichter gingen grundlos an und aus. Hydraulische Elemente verschoben sich, Bildschirme wurden dunkel, die waagrechte Ebene neigte sich und kippte ab. Sonst hilfreiche Servos bedrängten auf einmal ihre Benutzer mit bornierter Sturheit. Wartungseinheiten stürmten aus ihren Verstecken und kollidierten mit Instandsetzungsautomaten, positronische Winzlinge schwirrten unkontrolliert durch die Luft und versuchten vergeblich, ihre Aufgaben zu erfüllen. Wie aufgedreht wieselten merkwürdig geformte Maschinen über den Hoden, die das Eis aufsaugten, andere, flugfähige Exemplare machten sich an den beiden Silbernen zu schaffen, die ihren synthetischen Geist aufgegeben hatten, doch sie kümmerten sich auch um die, die noch intakt waren. Aufdringlich wie Fliegen umschwärmten sie die Kugelköpfe, die vergeblich versuchten, die wildgewordenen Vertreter der eigenen Zunft zu vertreiben, weil die sie mit ihren Werkzeugarmen attackierten. Der Roboter ließ sich durch das Chaos nicht Irritieren und stürzte sich auf Traykon 5, der ihm am nächsten war – und er war in Nöten. »Verschwindet endlich, ihr Idioten!« schrie der Silberne und schlug nach den durcheinandergeratenen Helfern. »Ich hin in Ordnung!« »Wir haben andere Informationen«, schnarrte eine der Maschinen und fuhr damit fort, den Traykon zu inspizieren. Herumfuchtelnd schoß Traykon-5 aus seinem Sessel und wurde zurückgerissen, well sieh die Haltegurte nicht öffneten. An seinen
Sitz gefesselt, bedrängt von Serviceautomaten, versuchte der Kugelkopf, den angreifenden Roboter auf Distanz zu halten. Geschickt wich Schwiegermutter den Tritten und den Schlägen aus, geriet auf der schiefen Ebene jedoch ins Stolpern, als eine Maschine gegen sein linkes Bein prallte. Er rutschte auf dem spiegelglatten Untergrund weg, konnte sich allerdings noch an der Sessellehne festhalten und zog sich wieder hoch. Mit einer Hand klammerte er sich fest, mit der anderen versetzte er dem Silbernen einen Schlag auf das Facettenfeld, traf aber nicht richtig, weil der Traykon blitzschnell den Kopf zur Seite bewegte und losdrosch. Die Körpertreffer ließen Schwiegermutter unbeeindruckt. Erneut holte er aus, verfehlte den Kugelkopf aber wieder, weil ein außer Rand und Band geratener Flugautomat gegen seine heransausende Faust stieß. Wie ein Stein stürzte das Maschinchen ab und schlug krachend auf dem Boden auf, wo es knallend zerplatzte. Wie Geschosse flogen die Trümmerstücke davon und richteten zusätzliche Schäden an. Traykon-1 versuchte vergeblich, seinem Kollegen zu Hilfe zu eilen. Zwar hatte er es geschafft, sich aus seinem Sitz zu befreien, steckte aber fest, weil zwei hydraulische Elemente seine Gehwerkzeuge einklemmten. Das kam Schwiegermutter sehr gelegen. Er änderte seine Strategie. Mit seinen übermenschlichen Kräften packte er einen Reinigungsroboter, riß ihn hoch und schleuderte ihn auf Traykon-5. Unter dem Einfluß der plötzlich wechselnden Schwerkraft verdreifachte die Maschine noch in der Luft ihr Gewicht. Die abwehrend erhobenen Arme des Silbernen wurden weggeschleudert. Mit voller Wucht bohre sich der Automat in das Gesichtsfeld und durchschlug die irisierende Fläche. Ein schriller Ton war zu hören, der sowohl von dem Kugelkopf als auch von dem zerfetzten Material stammen konnte, dann rührte sich der Getroffene nicht mehr. Befriedigt registrierte der Roboter, daß er es
nur noch mit drei Gegnern zu tun hatte. »Das wirst du mir büßen!« brüllte der Kommandant. Es war ihm mittlerweile gelungen, freizukommen. Ein Kombiwerkzeug als Waffe schwenkend, rutschend und schlitternd, kam er auf Schwiegermutter zu. Der sah sich gleichfalls nach einer Waffe um, fand aber in der Eile nichts Passendes. Schon war der Silberne heran und drang ungestüm auf ihn ein. Zwar konnte er dem ersten Hieb ausweichen, doch es gelang ihm nicht, den Schlagarm zu packen. Der Roboter erkannte, daß er im Augenblick unterlegen war, und wich rasch zurück, dabei brachte er den Sessel zwischen sich und den Angreifer, konnte aber nicht vermeiden, an der Schulter gestreift zu werden. Die Wucht des Schlages riß den Silbernen nach vorn. Bevor Schwiegermutter sich auf ihn werfen konnte, sauste der Sitz nach oben und schleuderte die Kontrahenten zurück. Mit wirbelnden Armen kämpften beide um ihr Gleichgewicht. Aus den Augenwinkeln heraus sah der Roboter, daß Traykon-6 in die Kanzel stürmte. Sofort wandte er sich Schwiegermutter zu, der sich nun von zwei Kugelköpfen bedrängt sah. Wild auskeilend versuchte er, den Silbernen auf Distanz zu halten und sich zurückzuziehen, aber der Kommandant durchschaute seine Absicht und schnitt ihm den Weg ab. Ein derber Stoß in den Rücken riß den Roboter von den Beinen. Wie ein angeschlagener Boxer ging er zu Boden. »Ich gebe auf«, sagte Schwiegermutter, der einsah, daß er unterlegen war. Die Traykons blieben stumm. Bevor er sich aufrichten konnte, wurde er empor gerissen und zu einem Sessel gezerrt. Er wehrte sich nicht, als er in den Sitz gestoßen und an das Möbel gefesselt wurde. Obwohl er den Kugelköpfen nun hilflos ausgeliefert war, gab er sich noch nicht verloren. »Wo ist Traykon-3?« »Er ist zerquetscht worden«, lautete die lapidare Antwort von
Traykon-6. Der Roboter verspürte so etwas wie Triumph. Immerhin waren vier Diener des Erleuchteten ausgeschaltet worden. Als könnte der Kommandant in seinen Speichern lesen, dämpfte er das Hochgefühl Schwiegermutters. »Dieser Zwischenfall beeinträchtigt nicht die Durchführung unserer Mission. Und du wirst deine Strafe erhalten, wenn feststeht, daß sich Atlan auf dem anderen Schiff befindet.« »Was habt ihr mit mir vor?« »Du wirst es erleben.« Noch immer wimmerten die Sirenen, und auch ein Teil der Technik spielte noch verrückt. Traykon-1 ließ sich in seinen Sessel sinken und nahm verschiedene Schaltungen vor. Die Sitze hörten auf, Karussell zu spielen, der Stickstoff wurde abgesaugt, die Temperatur normalisierte sich wieder. Die Automaten huschten in ihre Verstecke zurück, einige begannen damit, die angerichteten Schäden zu beseitigen. Das Jaulen verstummte, die Schotthälften blieben geschlossen, die Gravitation war konstant, das Schiff änderte die Lage, alles erfüllte wieder seinen ursprünglichen Zweck. Die beiden Traykons blieben ungerührt, als Maschinen die Überreste der ausgeschalteten Silbernen wegschafften. Sie interessierten sich nur für den Diskus vor ihnen, zu dem der Abstand weiter geschrumpft war. Noch war er nicht schnell genug, um in den Linearraum überzuwechseln. Schwiegermutter hoffte inständig, daß ihm das gelingen würde, bevor die Distanz so gering geworden war, daß die Kugelköpfe Waffen einsetzen konnten. Der Roboter wußte, daß das namenlose Schiff über eine Desintegratorkanone verfügte, und er zweifelte keinen Augenblick daran, daß Traykon-1 sie einsetzen würde, wenn er Gewißheit hatte, daß Atlan an Bord des vorausfliegenden Raumers war. Warum reagierte man dort nicht? Bemerkte man den Verfolger nicht? Er mußte Atlan warnen, bevor es zu spät war.
Verzweifelt versuchte er, an den flachen Hyperfunksender zu kommen, den er von den Traykons »ausgeliehen« hatte und unter seiner Weste verbarg. Das Gerät hatte nur eine Reichweite von wenigen Lichtjahren, aber für seinen Zweck war das mehr als ausreichend. Mit den Fingerspitzen konnte er den Kasten berühren, doch mehr ließen die Fesseln nicht zu, so sehr er sich auch mühte. Die einzige Hoffnung, die Schwiegermutter noch hatte, war die, daß die Systeme versagten, die die Silbernen einsetzen wollten. Sie erfüllte sich nicht. Zweifelsfrei wurde ermittelt, daß Atlan, Chipol und zwei weitere Lebewesen an Bord waren, und sie stellten fest, welches Ziel der Diskus hatte. Es handelte sich um ein System mit der Bezeichnung Latos-Tener. »Der Plan des Herrn kann erfüllt werden«, sagte der Kommandant zufrieden. Diese Worte ließen für Schwiegermutter nur eine Deutung zu: Der Abschuß des anderen Schiffes stand unmittelbar bevor. Und er konnte nichts mehr dagegen tun.
* Zu Schwiegermutters Erstaunen erfolgte kein Angriff auf den Diskus, im Gegenteil, die Traykons ließen ihr Schiff zurückfallen und machten keinerlei Anstalten, nachzusetzen. Wohl ohne den Raumer geortet zu haben, wechselte die STERNSCHNUPPE unbehelligt in den Linearraum. Der Roboter konnte sich auf das merkwürdige Verhalten der Kugelköpfe keinen Reim machen. Zuerst waren sie wie besessen gewesen, Atlan zu finden, und nun, da sie ihn aufgespürt hatten, ließen sie ihn einfach entkommen. Zwar war er unendlich erleichtert darüber, doch logisch war das nicht. »Was hat euren plötzlichen Sinneswandel bewirkt?« »Ich verstehe nicht. Was meinst du?« fragte Traykon-1.
»Du hattest Atlan so gut wie sicher. Warum hast du ihn geschont?« »Weil unsere Aufgabe beendet ist.« »Dann habt ihr also nie vorgehabt, ihn zu töten?« erkundigte sich Schwiegermutter ungläubig. »Nein. Wir hatten lediglich seine Spur zu finden, und das ist uns gelungen. Mehr verlangte der Plan des Herrn nicht.« Allmählich kam dem Roboter der Gedanke, daß der Erleuchtete verrückt war. Da ließ er den Arkoniden mit beträchtlichem technischen und materiellen Aufwand verfolgen, hatte endlich auch Erfolg – und beließ es dann dabei, ohne irgendwelchen Nutzen daraus zu ziehen. »Was will euer Herr eigentlich von Atlan?« »Er wird ihn vernichten.« »Warum habt ihr es nicht getan? Ihr hattet doch die Möglichkeit dazu.« »Es war nicht unsere Aufgabe. Das Pre-Lo wird Atlan vernichten.« Schwiegermutter wurde hellhörig. Zum ersten Mal erging sich der Automat nicht in breiigen Andeutungen, sondern wurde konkret. Sofort setzte der Roboter nach. »Wer oder was ist das Pre-Lo?« »Das Pre-Lo wird Atlan zerstören. Es ist tödlich für ihn.« Das war wieder so eine wachsweiche Formulierung. Schwiegermutter konnte mit dieser mysteriösen Aussage nichts anfangen. Ungeachtet seiner eigenen Situation wollte er wissen, wie diese Bedrohung für den Aktivatorträger konkret ausah. »Pre-Lo – ist das ein Lebewesen? Eine Anlage? Oder ein Roboter wie ihr?« »Es wird Atlan vernichten.« Obwohl Schwiegermutter hartnäckig weiterbohrte, erfuhr er keine Einzelheiten über das Pre-Lo, was immer das auch sein mochte. Vermutlich wußte Traykon-1 selbst nicht, um was es sich handelte. Der Kommandant machte sich an der Steuerkonsole zu schaffen
und gab einen neuen Kurs ein, der den Raumer aus dem KraupperSystem in einen anderen Sektor führte. »Wohin fliegen wir?« wollte Schwiegermutter wissen. »An einen Ort, der dir wenig gefallen wird. Da du für uns nutzlos geworden bist, wirst du nun deine Strafe bekommen.« »Was habt ihr mit mir vor?« »Wir machen dich unschädlich und sorgen dafür, daß du nie wieder jemandem begegnest.« Die sphinxhafte Antwort ließ so ziemlich alle Möglichkeiten offen – von der Desaktivierung bis zur Zerstörung. Abschaltbar war Schwiegermutter nicht mehr, aber der Gedanke daran, in welcher Gefahr sich Atlan befand und daß er ihn nicht mehr warnen konnte, war für den Roboter unerträglich. Er bäumte sich auf und versuchte abermals vergeblich, seine Fesseln zu sprengen. Traykon-1 bemerkte es und gab das Äquivalent eines Lachens von sich. »Deine Anstrengungen sind umsonst. Du wirst uns nicht mehr schaden.«
7. Schwiegermutter blieb nur eine kurze Galgenfrist, die ereignislos verstrich. Sein positronisches Innenleben lief auf Hochtouren, aber ein rettender Einfall war nicht darunter. Hilflos, wie er war, kam er weder mit List noch mit Gewalt frei, eine Möglichkeit, die Traykons zu überwältigen, ergab sich nicht einmal theoretisch. Von seinem Platz aus konnte der Roboter die Anzeigen verfolgen. Das Schiff drang mit gedrosselter Geschwindigkeit in ein unbekanntes System ein, das keine Spur von intelligentem Leben aufwies. Öde Welten und tote Gesteinstrümmer umkreisten das Zentralgestirn. Mit verminderter Energiezufuhr trieb der Raumer auf einen
einsamen Planetoiden zu, driftete in geringer Höhe darüber hinweg und kam zum Stillstand, als Traykon-1 Gegenschub gab. Bewegungslos verharrte der Flugkörper über der zernarbten Oberfläche des Trabanten. Die beiden Silbernen lösten die Sicherheitsgurte, standen auf und gingen zu ihrem Gefangenen. Sie lösten die Knoten, die ihn an den Sitz fesselten und banden auch seine Hände los, behielten jedoch die Enden der unzerreißbaren Schnüre in den Händen. Dem Roboter war damit die Möglichkeit genommen, anzugreifen. Wandte er sich nach links, hatte ihn der rechte Kugelkopf an der Leine und konnte ihn an einer Attacke hindern, ging er den Gegner rechts an, riß ihn der linke zurück. Da die Bänder länger waren als seine Arme, hatte er nicht die geringste Chance. »Wie gefällt dir das Gefängnis, das ich für dich ausgesucht habe? Dieser Planetoid gehört jetzt dir – bis ans Ende deiner Tage.« »Ich finde es wirklich reizend, daß ihr mich auf einem so entzückenden Fleckchen Erde aussetzen wollt«, gab Schwiegermutter gallig zurück. »Darf ich euch dazu einladen, euren nächsten Urlaub hier mit mir zu verbringen?« »Hör auf mit diesen Albernheiten«, wies ihn Traykon-1 zurecht und zog an der Schnur. »Los jetzt!« Der Roboter hatte keine andere Wahl. Die Nummer 6 ging voraus, dann kam er und zum Schluß der Kommandant. Schwiegermutter kam sich vor wie ein Tier, das an der Leine geführt wurde. Als er ein wenig schneller ausschritt, um dem führenden Silbernen näherzukommen, wurde durch einen unsanften Ruck an dem Seil der alte Zustand wiederhergestellt. »Keine Tricks«, warnte Traykon-1, »sonst landest du in der Sonne.« Das war für den Roboter noch weniger erstrebenswert als ein Eremitendasein, also fügte er sich. Immerhin bewahrte er so seine Existenz und damit auch die Möglichkeit, doch noch auf Atlan zu treffen. Rein rechnerisch war diese Aussicht zwar verschwindend
gering, aber nicht unmöglich, und das gab den Ausschlag. Gehorsam wie ein abgerichteter Hund trottete er durch das Schiff. Wie erwartet, führte der Weg zur Schleuse, doch schon vor dem Antigravschacht ließen ihn die Kugelköpfe frei. »Verschwinde, bevor ich es mir anders überlege!« Schwiegermutter vertraute sich dem abwärts gepolten Feld an, das ihn nach unten trug. Wie ein Wassertropfen fiel er aus dem Schiff und sank zeitlupenhaft nach unten. Die kaum merkliche Gravitation verhinderte, daß er Schaden nahm, obwohl die Distanz zwischen Flugkörper und Boden mehr als dreißig Meter betrug. Wohlbehalten kam der Roboter auf. Seine Bezwinger schienen es auf einmal eilig zu haben. Kaum, daß Schwiegermutter gelandet war, stieg der Raumer empor und raste davon, einem unbekannten Ziel entgegen. Der Roboter sah der auffälligen Konstruktion nach, bis sie nicht mehr zu erkennen war und betrachtete nachdenklich die Sterne. Ihre Formationen sagten ihm nichts. Gewiß, er befand sich in ManamTuru, aber wo genau? Der öde Brocken, auf dem er sich befand, hatte bestimmt keinen Namen, und die Koordinaten der Sonne kannte er nicht. Vielleicht konnte er mit dem entwendeten Hyperfunkgerät Hilfe herbeirufen. Beinahe liebevoll zog er das Kästchen unter seiner Kleidung hervor, scheute sich jedoch, auf Sendung zu gehen. Noch konnten die Traykons die Signale empfangen, und das war wirklich nicht seine Absicht. Unruhig ging Schwiegermutter auf und ab. Ihn bedrückte nicht seine lebensfeindliche Umgebung, er konnte ohne Luft, Wasser und Nahrung auskommen, aber er zerbrach sich den Kopf darüber, wie er zu Atlan gelangen oder ihn warnen konnte. Das Pre-Lo stellte eine Bedrohung dar, die – wenn sie tatsächlich so effektiv war wie die Traykons – das Ende des Arkoniden bedeutete. Und der Roboter zweifelte nicht daran, daß der Erleuchtete Mittel und Werkzeuge einsetzte, die erfolgreich
agierten. Ihm wurde angst und bange bei dem Gedanken, daß der Arkonide getötet würde. Und er, der an den Planetoiden gefesselt war, konnte nichts dagegen tun. In ohnmächtigem Zorn schrie Schwiegermutter seine Not hinaus, aber niemand hörte ihn. Ganz einsam und verlassen blieb der Roboter auf dem Planetoiden zurück, der wie immer seine Bahn um die Sonne zog. Das Universum nahm keinen Anteil am Schicksal von Einzelwesen, Automaten eingeschlossen.
ENDE
Nach der Schilderung des »Roboterschicksals« wenden wir uns im nächsten Atlan-Band wieder dem Arkoniden zu. Atlan ist mit seinen Gefährten in der STERNSCHNUPPE auf dem Flug ins Latos-Tener-System. Niemand ahnt etwas vom Todesplan des Erleuchteten, der dort realisiert werden soll. Mehr darüber berichtet Peter Griese in Atlan-Band 725. Der Roman erscheint unter dem Titel: DER PROGRAMMIERTE UNTERGANG