1. Erf Zedden Ich liege bequem ausgestreckt im Gebüsch auf einer Anhöhe über dem Detroit River und schlafe meinen Rausch...
7 downloads
511 Views
260KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
1. Erf Zedden Ich liege bequem ausgestreckt im Gebüsch auf einer Anhöhe über dem Detroit River und schlafe meinen Rausch aus. Die Nacht ist schön mild, und als ich aufwache, fühle ich mich prima, liege da und schaue so herum, und - wupp! stolpert da einer aus dem Nichts, verliert das Gleichgewicht und fällt auf mich. Aus dem Nichts, sage ich. Ich schaue so; einen Augenblick vorher ist er noch nicht da, aber in der nächsten Sekunde gibt es ihn auf einmal. Ich winde mich unter ihm heraus und sehe zu, dass ich wieder zu Atem komme. Dann schaue ich hinauf, ob er nicht vielleicht aus einem Lufttaxi gefallen ist. Weit und breit kein Lufttaxi. Ich nehme mir fest vor, dass ich zum letzten Mal Gin vom Mars mit Wein von der Venus gemischt habe. Er setzt sich auf, schaut mich an, reibt sich die Augen und wackelt ein paar Mal mit dem Unterkiefer, bevor er überhaupt ein Wort herausbringt. Wie er dann schließlich sagt: »Wo bin ich?« redet er, als hätten sie ihm den Mund zugenäht. »Leicht zu beantworten«, sage ich. »Ich möchte aber lieber hören, wie Sie hergekommen sind.« Er steht auf, macht ein paar Schritte und verdreht den Hals in alle Richtungen. »Wo bin ich?« fragt er wieder. »Neu-Detroit«, sage ich. »Unten am Fluss, wie Ihnen vielleicht aufgefallen ist.« Er schaut sich noch Mal um und wird böse. »Hören Sie«, sagt er. »Ich kenne Detroit wie meine Hosentasche, und da gibt es nirgends einen Park, der so aussieht. Wo ist das Verwaltungszentrum? Wieso kann ich das Penobscot-Gebäude nicht sehen? Dort drüben muss die Belle-Insel sein, also müsste ich von hier aus das Stadtzentrum sehen können.« Ich sehe ihn mir genauer an und gebe mir Mühe, nicht über seine Sprechweise und die merkwürdige Kleidung zu lachen. Er sieht nicht mal übel aus, jung und gut gebaut, aber ein Haarschnitt wie der seine ist mir noch nicht vorgekommen - ganz kurz geschoren. Ich fange an, mich zu fragen, ob er nicht aus irgendeiner Anstalt entwischt ist. »Die Namen hab' ich noch nie gehört«, sage ich, »und vom Stadtzentrum sind Sie ungefähr zwanzig Meilen entfernt.« Er setzt sich wieder hin und macht ein so entgeistertes Gesicht, dass er mir leid tut. »Das ist doch Detroit, Bundesstaat Michigan, USA?« Ich erkläre ihm, dass es Neu-Detroit ist, und dass Neu-Detroit meines Wissens in der Provinz Michigan liegt, wenn ich auch nichts beschwören kann. Die Buchstaben am Schluß sagen mir überhaupt nichts. Er tut wie ein Kind, das sich Mühe gibt, etwas zu verstehen. »Das ist Detroit ... « »Neu-Detroit.« »Michigan -« »Provinz Michigan - glaube ich.« »Der fünfzehnte Juli -« »So ungefähr«, sage ich. So genau habe ich auf den Kalender nicht geachtet. Ich sage mir, dass es besser ist, wenn ich zusammen mit ihm erst mal von der Bildfläche verschwinde, bis ich mir über ihn klargeworden bin. Ich nehme seinen Arm und marschiere los. Er geht mit, ohne ein Wort zu sagen. Dabei sieht er sich aber dauernd um, als hätte er Neu-Detroit noch nie gesehen. Wenn es wirklich so ist, kann ich es ihm nicht mal Übel nehmen. Die Großstädte, die im großen Krieg ausgelöscht worden sind, waren natürlich schlimm dran, aber sie hatten auch den Vorteil, ganz neu anfangen zu können. Neu-Detroit ist wirklich wunderbar - die ganze Stadt ein großer Park, alle Wirtschaftseinrichtungen, Bodenverkehrsmittel und viele Wohnungen unter der Erde, und nur die Apartment-Gemeinden erstrecken sich in regelmäßigen Abständen in den Himmel.
Seite 1
Er dreht sich nach dem Fluss um. »Sind wir weit vom Erie-See?« fragt er. »Nicht sehr weit. Von einem Lufttaxi aus können Sie ihn sehen, wenn Sie weit genug hinaufsteigen.« »Und vom St.-Clair-See?« »Sie meinen den Clair-See. Der ist ganz nah.« »Und das ist der Detroit-River?« »Hab' nie einen anderen Namen dafür gehört.« »Und das ist Detroit?« »Neu-Detroit.« Er atmet tief ein. »Und welches Jahr haben wir?« »2337«, sage ich. So wahr ich Zedden heiße, der Mann wird mir ohnmächtig. Ich rufe ein Lufttaxi, etwas später kommt er wieder zu sich, und ich schaffe ihn ohne Mühe in mein Hotelzimmer im siebten Untergeschoss. Ich werfe eine Münze ins Visiskop und setze ihn vor den Bildschirm, während ich weggehe, um ihm was Anständiges zum Anziehen zu kaufen. Wie ich zurückkomme, sitzt er zwar noch da, macht aber ein Gesicht, als würde er gleich explodieren. »Keine Werbung im Fernsehen!« sagt er. Ich frage ihn, was das ist. »Na, Werbung eben, Reklame, verstehen Sie - man spricht über ein Produkt oder singt ein Lied darüber, damit die Leute den Wunsch spüren, es sich zu kaufen.« »Hört sich albern an«, meine ich. »Davon habe ich noch nie etwas gehört. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass so etwas klappt. Wenn einer singt, komme ich ganz bestimmt nicht auf die Idee, mir etwas zu kaufen.« »Es hat aber Erfolg«, behauptet er. »Wissen Sie -« Ich sehe ihn mir an und versuche mir klar zu werden, ob er es ernst meint oder mich auf den Arm nehmen will. Ich komme nicht dahinter, weil er mit der Achsel zuckt und sagt: »Lassen wir's.« Einen Augenblick danach fängt er wieder an. »Das ist Detroit?« »Neu-Detroit.« »Und es gibt keine Werbung?« »Ich habe noch nie was davon gehört.« »Wie verkauft man denn dann die Waren?« »Tja, Verkäufer gibt es jede Menge. Mich stören sie nicht, weil ich Raumfahrer bin. Wir bekommen kaum Kredit. Wenn ich etwas brauche, gehe ich zu einem Handelszentrum und zahle bar. Und jetzt ziehen Sie sich erst mal um.« Ich bringe ihn soweit, dass er seine komischen Klamotten auszieht, und dann muss ich mit ihm streiten, weil er die neuen Sachen nicht mag. Gegen die Shorts hat er nichts, aber wegen des Umhangs macht er ein Riesentheater. »Was für einen Sinn hat es, einen durchsichtigen Umhang zu tragen?« fragt er mich. »Auf der Erde trägt ihn jeder«, sage ich. »Ich halte auch nicht viel davon, aber hier ist es nun mal so. Im Weltraum tragen wir praktische Kleidung.« »Jeder - Sie meinen - Frauen tragen ihn auch?« »Klar«, sage ich und zwinkere ihm zu. »Manche tragen noch viel durchsichtigere.« »Ich heiße Mark Jackson«, sagt er langsam. »Ich bin Automobilverkäufer - ein sehr guter sogar. Ich wohne in Detroit, und zwar im Jahr 1967, und ich will nach Hause.«
Seite 2
»Ich heiße Erf Zedden«, sage ich. »Ich bin Raumfahrer, wahrscheinlich kein sehr guter. Ich arbeite auf einem Frachtschiff zwischen Mars und Kallisto und habe ein halbes Jahr Urlaub. Ich bin zum ersten Mal seit über fünf Jahren wieder auf der Erde, und wir schreiben das Jahr 2337. Was, zum Teufel, ist ein Automobil?« Er gibt keine Antwort, also schlage ich ihm auf die Schulter und erkläre ihm dass ich ein Glas vertragen könnte, während er den Eindruck macht, als sei eines für ihn zu wenig. Wir fahren zwei Geschosse hinauf zu einer Bar, die einem ehemaligen Raumfahrer gehört. Dieser Jackson benimmt sich sehr merkwürdig. Er starrt dauernd die Frauen an, und wenn ich auch zugeben muss, dass ihre Umhänge in dieser Bar durchsichtiger sind, als man sie sonst findet, frage ich mich doch langsam, ob er vielleicht noch nie eine Frau gesehen hat. »Wir schreiben 2337?« fragt er schließlich. »Bis zum nächsten Januar«, sage ich. »Ich habe mir zu überlegen versucht, woran es gelegen haben kann«, meint er. »Da war der radioaktive Niederschlag von den Bombentests. Die Zeitungen schlugen Krach, aber die Wissenschaftler behaupteten, er sei nicht gefährlich, und auf mich kann er auch nicht stärker gewirkt haben als auf alle anderen. Und dann dieser verdammte Röntgenapparat ... « Er macht Pause und trinkt einen Riesenschluck Mars-Gin. Ich warte ganz ruhig, weil ich mir sage, dass er vielleicht langsam vernünftig wird, wenn ich ihn nicht unterbreche. »Ich fuhr zu einem Arzt, um ihm ein Auto zu verkaufen«, fährt er fort, »und während ich auf ihn wartete, lehnte ich mich an den Röntgenapparat. Irgendwie schaltete sich das blöde Ding plötzlich ein. Der Arzt meinte, es seien nur ein paar Sekunden gewesen, und ich hätte nichts zu befürchten. Wahrscheinlich kamen auch noch andere Dinge dazu - es war eben so ein verflixter Tag. Und der Autounfall setzte allem die Krone auf. Ich fuhr von der Praxis weg, als plötzlich ein Kind auf die Straße lief. Ich hatte an meinem Kabriolett das Verdeck heruntergeklappt. Als ich auswich, prallte ich gegen einen Mast und wurde über den Zaun in einen Transformator der Edison Company geschleudert. Ich hatte gerade noch so viel Zeit, um zu denken ‚jetzt hat es dich erwischt!’, als ich auch schon hier war. Hier, bei Ihnen. 2337, sagen Sie?« »Bis zum nächsten Januar.« Er kippt wieder einen Vierstöckigen. »Ich glaube es nicht.« Ich erkläre ihm, dass er seine Sorgen gleich vergisst, wenn wir uns zwei Puppen angeln, aber er hat keine Lust und will lieber nachdenken. Wir fahren zurück zu meinem Hotelzimmer, aber da wimmelt es von Polizisten, jemand hat uns beobachtet, als ich ihn herbrachte, und hat es sofort gemeldet. Sie nehmen uns mit, auch seine seltsamen Klamotten, und in der Polizeizentrale brauche ich zwei Tage, um sie davon zu überzeugen, dass ich nichts über ihn weiß. Wie sie mich endlich weglassen, will mir keiner sagen, was sie mit ihm gemacht haben. Ich nehme also an, dass er zur Psychobehandlung dort behalten wird. Tja - ich weiß, dass ich für ihn getan habe, was ich konnte. Immerhin habe ich noch vier Monate Urlaub vor mir und Geld übrig, also nehme ich die nächste Rakete nach New York.
2. Professor John Parkins Es war Anfang August 2337, als ich von meinem alten Freund Bran Crustin, dem Polizeidirektor der Provinz Michigan, eine Telenachricht erhielt. Der Fall, den er mir beschrieb, war psychologisch nicht ausgefallen, hatte aber seine interessanten Aspekte. Es machte mir natürlich Spaß, auf irgendeine Wiese von Nutzen sein zu können. Zu dieser Zeit gab es noch keine Raketenverbindung Boston-Neu-Detroit, so dass ich zuerst nach New York flog und dort die Rakete nach Neu-Detroit nahm. Ich brachte drei Tage damit zu, die verschiedenen Kunsterzeugnisse zu studieren, die der angeblich aus der Vergangenheit stammende Mann mitgebracht zu haben behauptete, und mir die Tonaufzeichnung der langen Verhöre zu Gemüte zu führen. Seite 3
Bevor ich darum bat, ihn sehen zu dürfen, besprach ich den Fall außerdem noch in allen Einzelheiten mit den zuständigen Ärzten. Vier stämmige Pfleger brachten ihn ins Zimmer. Man sah, dass sie ihn für gewalttätig hielten, obwohl er ganz vernünftig aussah. Er hatte ein junges, gutgeschnittenes, wenn auch mürrisches Gesicht. Sein Körperbau war eindrucksvoll. Er schien eine führende Persönlichkeit zu sein, ein Mann, der es gewöhnt ist, zu dominieren. »Ich kenne Sie nicht«, sagte er zornig. »Was für ein Fach haben Sie? Lügendetektor? Psychosen?« Er trat einen Schritt vor, und die Pfleger stürzten hinzu, um ihn zu überwältigen. Ich winkte ab und schickte sie fort. Für mich stand bereits fest, dass dieser Mark Jackson nicht geisteskrank war, was immer er sonst sein mochte. Ich war zuversichtlich, dass er nicht gewalttätig werden würde, wenn ich ihn höflich behandelte. »Nehmen Sie bitte Platz«, sagte ich. Wir saßen einander an einem Tisch gegenüber, auf dem Jacksons Eigentum und seine merkwürdigen Kleidungsstücke ausgebreitet waren. »Ich heiße John Parkins«, sagte ich. »Professor für amerikanische Geschichte alt der Universität Harvard. Ich habe Ihre Habe studiert und mir die Aufnahmen der Unterhaltungen angehört.« »Und wie alle anderen halten Sie mich für verrückt!« knarrte er. Ich starrte ihn an. »Hübsch ausgedrückt! Aber nein, ich zweifle nicht an Ihrem Verstand. Ich bin auch von der Echtheit Ihres Eigentums völlig überzeugt. Hier handelt es sich unzweifelhaft um Relikte aus dem zwanzigsten Jahrhundert. Ihr Wert ist, in Geld ausgedrückt, nicht übermäßig groß, aber eine Reihe von Museen würde sie liebend gerne nehmen. Soweit nachprüfbar, ist auch Ihr Wissen über das zwanzigste Jahrhundert völlig zutreffend. Sogar Sprache und Akzent sind authentisch, jedenfalls nach den gängigen Theorien.« Er sprang auf und ging ein paar Mal hin und her. »Mal was andres. Dass mir geglaubt wird, meine ich. Heißt das, dass ich hier herauskann?« »Hm«, sagte ich. Alles, was dieser Mann von sich gab, klang überzeugend, aber ich durfte mich nicht überzeugen lassen. Ein Historiker geht selbstsicher mit Aufzeichnungen, Dokumenten, Funden um, darf aber nicht so voreilig sein, ein Urteil über die Echtheit, die historische Echtheit eines lebendigen Menschen zu fällen! »Nein«, sagte ich. »Es heißt nicht, dass Sie freigelassen werden können.« »0 fein. Sie glauben mir, und wahrscheinlich hat man Sie jetzt zu mir gesperrt!« Ich lächelte. »Nein. Ich habe darum gebeten, Sie sehen zu dürfen, weil ich Ihnen Ratschläge geben möchte. Die Ärzte sind entschlossen, Sie von Ihren Wahnvorstellungen zu heilen. Lassen Sie es zu.« »Wie?« »Sie glauben, dass Sie ein Geschichtsstudent sind, der an einer traumatischen Amnesie leidet und seine Studienthemen mit der Realität durcheinandergebracht hat. Geben Sie ihnen recht, dann wird man Sie vermutlich freilassen.« »Wie kann ich ihnen recht geben, wenn ich weiß, dass sie sich irren?« »Geben Sie ihnen trotzdem recht«, sagte ich entschieden. »Sie haben den Behörden schon genug Schwierigkeiten bereitet. Allein die Tatsache, dass nirgends Ihre Fingerabdrücke registriert sind, hat in vier Zweigen der Staatsverwaltung Panik hervorgerufen. Tun Sie einfach, was man Ihnen sagt, glauben Sie, was man Ihnen erzählt, und man wird Sie früher oder später in Freiheit setzen.« »Glauben Sie mir denn?«
Seite 4
»Ich glaube, dass Sie ein verblüffendes Wissen über das zwanzigste Jahrhundert besitzen. Wie Sie es auch erworben haben mögen, es sollte nicht verschwendet werden. Kommen Sie nach Ihrer Freilassung zu mir, dann verschaffe ich Ihnen eine Stelle als Lehrkraft. Sie müssten ein hervorragender Historiker werden.« »Nein, danke«, sagte Jackson. »Ich bin Verkäufer - ein guter Verkäufer. Ein Posten als Lehrer interessiert mich nicht.« »Überlegen Sie es sich wenigstens gründlich. Und vergessen Sie nicht - je früher Sie mittun, desto eher kommen Sie hier heraus.« Nach meiner Rückkehr nach Boston befasste ich mich weiterhin häufig mit diesem Mark Jackson, weil mir in all den Jahren meines Gelehrtenlebens kein rätselhafteres Problem vor Augen gekommen ist. Schließlich schrieb ich an Arnold Stephens, einen Vetter meiner Frau, der Personalchef der Terra-Verkaufsgesellschaft ist. Ich schilderte in Umrissen, was ich für die Tatsachen des Falles Jackson hielt, und erkundigte mich, ob er in der Lage sei, den jungen Mann bei der Berufswahl zu unterstützen. Er schrieb zurück, dass er gern mit ihm sprechen wolle, aber nicht mehr versprechen könne, als jedem anderen Anwärter auf eine Verkäuferstelle auch zugestanden werde. Ich setzte mich sofort mit der Polizei von Neu-Detroit in Verbindung. Jackson war bereits als geheilt entlassen worden, und man wusste nicht, wohin er sich gewandt hatte. Ich konnte erkennen, dass sie sehr erleichtert waren, ihn endlich los zu sein.
3. Arnold Stephens Mark Jackson erschien wenige Tage, nachdem ich Professor Parkins' Brief über ihn bekommen hatte, in den Büroräumen der Terra-Verkaufsgesellschaft. Ich erkannte natürlich sofort seinen Namen und nahm an, dass ihn der Professor geschickt hatte. Ich spreche seit vielen Jahren mit allen Bewerbern selbst, weil man mich für diese Aufgabe am geeignetsten hält. Ich ließ Jackson sofort zu mir bringen und war nach der Lektüre von Parkins' Brief eigentlich ziemlich überrascht, nichts auffallend Besonderes an ihm zu finden. Die ein wenig sonderbare Aussprache hätte ich übersehen können, im übrigen wirkte er ganz normal. Wenn ich Parkins persönlich und vom Beruf her nicht so gut gekannt hätte, wäre ich auf die Idee gekommen, dass er sich mit mir einen Witz erlaubt hatte. Jackson war ein gutaussehender junger Mann, etwas ernster als die meisten, und was ihn von den anderen Bewerbern dieses Vormittags unterschied, war lediglich seine Haltung ruhiger Entschlossenheit. »Sie wissen sicher, dass mir Professor Parkins Ihretwegen geschrieben hat«, sagte ich. Er sah mich überrascht an. »Nein, das wusste ich nicht. Ich habe vor drei oder vier Wochen mit einem Mann dieses Namens gesprochen, aber über andere Dinge.« »Aha. Warum wollen Sie Verkäufer werden?« Er sprang auf. »Ich bin Verkäufer«, sagte er mit Entschiedenheit. Und er fing an. Eine derart erstaunliche Vorstellung war mir noch nicht vorgekommen. Er bewies die Geschicklichkeit eines geschulten Vortragskünstlers. Er war nicht nur redegewandt, sondern von brillanter Überzeugungskraft. Ohne seinen Akzent und den häufigen Gebrauch fremdartiger Wörter wäre ich hingerissen gewesen. Sein Vortrag befasste sich in erster Linie mit seinen Fähigkeiten und Erfahrungen im Verkauf von Automobilen. Dabei handelte es sich, wie ich später erfuhr, um eine überholte Form eines Transportmittels. Es war bemerkenswert, aber auch tragisch. Ich hörte ihn mir bis zum Ende an und schüttelte dann bedauernd den Kopf. » Tut mir leid«, sagte ich. »Ich kann Sie nicht brauchen.« »Warum nicht?«
Seite 5
Die Qualifikationen für Verkäufer gehörten damals zu den am besten gehüteten Geheimnissen der Geschäftswelt. Obwohl ich ihm keine offene Antwort geben konnte, hatte ich doch das Gefühl, dass ihm wegen seiner Leistung mehr gebührte als die übliche, knappe Verabschiedung. »Haben Sie sich schon bei einer anderen Verkaufsgesellschaft beworben?« fragte ich. »Natürlich! Das hier ist die dreiundzwanzigste, und sechzehn habe ich noch vor mir. Nichts zu machen. Keine davon hat Verkäufer. Die Luftkabinen-Gesellschaft in Neu-Detroit bot mir fünf verschiedene Stellungen an, aber keine als Verkäufer. Man erklärte mir, dass man seit hundertfünfzig Jahren keine eigenen Verkäufer mehr verwendet habe. Alle Verkäufe werden über Verkaufsgesellschaften abgewickelt. Ich reiste also nach New York, um es bei diesen Gesellschaften zu versuchen, erhielt aber die gleiche Antwort. ‚junger Mann, wenn Sie Verkäufer werden wollen, müssen Sie zuerst einmal lernen, sich selbst zu verkaufen.’ Das klang vernünftig, also mietete ich mir ein Aufzeichnungsgerät. Gestern arbeitete ich fast die ganze Nacht durch an einem Verkaufsgespräch, um mich selbst zu verkaufen. Sie haben es eben gehört. Ich glaube, dass es gut ist. Verflixt, ich weiß, dass es gut ist! Aber ich höre immer wieder dasselbe. Verkaufen Sie sich selbst! Bei meiner letzten Bewerbung feixte mich ein dicker, alter Knabe an und sagte: ‚Bringen Sie mich dazu, sie einzustellen. Ich fordere Sie heraus!’« Ich lachte. »Das kann nur Barlow von >Verkauf ohne Haftungsbeschränkung< gewesen sein.« »Hören Sie, ich weiß, dass ich verkaufen kann. Ich verlange doch nur, dass man mir eine Gelegenheit dazu gibt. Sie können mich auf Provisionsbasis einstellen, und es kostet Sie nichts, wenn ich erfolglos bleibe. Was kann man dagegen einwenden? Bin ich aussätzig, oder was?« »Professor Parkins sagte, Sie seien der Ansicht, auf irgendeine Weise vom zwanzigsten Jahrhundert hierher versetzt worden zu sein. Er scheint halb dazu zu neigen, Ihnen Glauben zu schenken.« Jackson winkte ungeduldig ab. »Ich gebe gar nichts zu. Ich bin lange genug in dem Krankenhaus gewesen. « »Ich verstehe«, sagte ich. »Aber selbst wenn Sie im - nun ja, anderswo ein guter Verkäufer gewesen wären, müssten Sie sich leider auf andere Art Ihren Unterhalt verdienen. Ich rate Ihnen, bei der Luftkabinengesellschaft eine Stellung anzunehmen.« »Ich bitte doch nur um eine Chance«, flehte er. »Ich weiß, was ich leisten kann. Ich verkaufe alles.« »An jeden?« fragte ich. »Wie meinen Sie das?« Ich überlegte einen Augenblick. »Wegen Ihrer ungewöhnlichen Art werde ich eine Ausnahme machen und Ihnen zeigen, was von unseren Verkäufern verlangt wird. Kommen Sie mit.« Ich führte ihn ins Archiv und zog aufs Geratewohl einen Ordner heraus. »Hier ist der Wochenbericht eines unserer Verkäufer. Er hat erst vor kurzem angefangen, bessert sich aber. Sie sehen, dass er hundertsieben Besuche, am Tag also etwa einundzwanzig gemacht hat. Bei diesen Besuchen erzielte er zweihundertvierzig Aufträge, davon zweiundzwanzig große - mit Beträgen über zweitausend Dollar.« »Hat denn niemand nein gesagt?« entfuhr es Jackson. »Natürlich nicht«, sagte ich. »Wir können keinen Verkäufer brauchen, zu dem Leute nein sagen können. Ich weiß nicht, welche Erfolge Sie im - anderswo - hatten, aber wenn Sie nicht fast genauso viel leisten, könnte sich keine Verkaufsgesellschaft mit Ihnen abgeben. Und Sie könnten es sich nicht leisten, Ihre Zeit zu vergeuden. Dieser Verkäufer hier verdient sich seinen Lebensunterhalt, aber nur knapp. Wenn er bis Ende des Jahres nicht beträchtliche Fortschritte aufzuweisen hat, werden wir ihn entweder entlassen oder versetzen.« »Verstehe«, sagte Jackson. Er wirkte plötzlich müde. »Gehen Sie lieber zu der Fabrik«, meinte ich. »Das ist eine gute Firma. Man nimmt dort offenbar an, dass Sie Fähigkeiten besitzen, sollst hätte man Ihnen nicht fünf verschiedene Posten angeboten.« Seite 6
»Man hat mich zwei Tage lang getestet. Ich bin aber Verkäufer. Hinter einem Schreibtisch oder an einem Fließband würde ich mich nicht wohlfühlen. Ich bin Ihnen für Ihre Freundlichkeit dankbar, aber ihren Rat kann ich nicht annehmen.« »Ich nehme an, dass Ihre Geldmittel begrenzt sind. Irgend etwas werden Sie arbeiten müssen.« »Das weiß ich. Tja - heute früh habe ich einen Mann wiedergetroffen, der mir in Neu-Detroit begegnet ist. Erf Zedden. Er ist Raumfahrer und glaubt, mir auf einem Erzfrachter zwischen Mars und Kallisto eine Stelle verschaffen zu können. Im Augenblick hört sich das recht gut an.« »Das ist kein Platz für einen Mann mit Fähigkeiten«, sagte ich. »Mag sein, aber ich habe das Gefühl, dass ich einfach hier weg muss. Ich brauche Zeit zum Nachdenken.« Ich unterhielt mich noch ein paar Minuten mit ihm und versuchte ihn aufzuheitern, aber ohne großen Erfolg. Er bedankte sich und ging. Es dauerte über zwei Jahre, bis ich ihn wiedersah.
4. Erf Zedden In New York treffe ich diesen Mark Jackson wieder. Er sieht so niedergeschlagen aus, dass ich fast befürchte, er will sich ins Wasser stürzen. Sein Geld geht allmählich zur Neige, und er erzählt mir, dass das, was er für den Verkauf seiner Sachen an ein Museum bekommen hat, auch. schon fast ganz ausgegeben ist, worauf ich sage: »Ach was! In ein paar Tagen fliege ich wieder zum Mars. Kommen Sie mit zum Büro der Jupiter-Bergwerksgesellschaft, dann besorge ich Ihnen eine Stelle. Die Mars-Kallisto-Strecke ist harmlos, die Bezahlung gut, und wenn Sie zu alt werden, bekommen Sie eine ordentliche Pension. Was haben Sie zu verlieren?« Er sagt, dass er es sich überlegen will, aber vorher müsste er noch mit ein paar Leuten reden. Gegen Abend kommt er zu mir ins Hotel und sagt: »Wann starten wir?« Also nichts wie 'rauf zum Mars. Dieser Jackson ist wirklich tüchtig, das muss man ihm lassen. Zwei Monate dabei, und schon mein Chef. Ende des Jahres leitet er den ganzen Laden auf Kallisto, und ich bekomme von der Firma eine Prämie dafür, dass ich ihn mitgebracht habe. Noch nie habe ich jemanden so schnell aufsteigen sehen, aber irgendwie scheint er nicht sehr glücklich darüber zu sein. Gleichgültig, wie hoch er kommt, wir sind immer noch gute Freunde, und so oft ich auf Kallisto lande, wohne ich bei ihm. Als ich von einem Urlaub auf der Erde anfange, kommt er natürlich auch auf den Gedanken, dass er Urlaub gebrauchen könnte, und wir verabreden uns, gemeinsam zur Erde zu fliegen und uns tüchtig zu amüsieren. Ich komme dann doch vorher hinunter, weil er darauf besteht, als Tourist den Mond zu besichtigen. »Was ist am Erdmond so besonders, wenn du fast zwei Jahre auf einem Jupitermond gelebt hast?« frage ich, aber es bleibt dabei. Dadurch komme ich einen Tag früher in Stellar City an als er. Ich besorge in einem Raumfahrerhotel ein Zimmer für uns und hinterlasse ihm am nächsten Morgen eine Nachricht, dass wir uns im ‚Rocket Club’ treffen und uns zwei Mädchen suchen. Und genau an dem Tag geht es auf der Erde richtig los. Die Mädchen, die ich aufgable, sind sehenswert - große, üppige Wesen mit so durchsichtigen Umhängen, dass sie ruhig ganz darauf verzichten könnten. Das Haar tragen sie in dem neuen Aufwärtsstil, und sie sehen ganz so aus, als hätten sie Raketenantrieb. Ich denke mir, dass wir an den Urlaub noch lange denken werden. Wir sitzen im ‚Rocket Club’ und trinken. Nach einer Weile kommt Jackson herein, und wir gehen den Pluto-Boulevard hinauf zum Hotel. Und auf einmal rennt ein riesiger Pöbelhaufen auf uns zu.
Seite 7
Wie gesagt, genau an diesem Tag ist auf der Erde der Teufel los. Wir drücken uns an eine Hauswand, während der Pöbel vorbeistürmt, und sehen ganz kurz das kalkige Gesicht von dem Mann, den die Leute jagen. Er rennt um sein Leben, und mordlustigere Gesichter als in dem Haufen habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen. »Fort mit Schaden«, sagte eines der Mädchen. »Kommt mit, wir sehen uns an, wie sie ihn fertig machen.« Jackson hat noch nicht gehört, was los ist und schreit plötzlich: »Moment mal! Was soll denn das alles?« Wir haben keine Zeit für eine Erklärung. Der Pöbel rennt vorbei, ich rufe ein Flugtaxi, wir steigen ein und fliegen mit der kleinen Flotte mit, die über dem Ganzen schwebt, um die Vorstellung zu verfolgen. »Warum jagen sie ihn?« erkundigt sich Jackson. »Er ist ein Hypno«, sage ich. Er ist ein ziemlich guter Hypnotiker und bietet eine prima Vorstellung. Er schaut von Zeit zu Zeit über die Schulter und lässt zwei oder drei Gruppen erstarren. Die anderen rennen sie einfach über den Haufen, trampeln sie nieder und laufen weiter. In der Ferne sehe ich ein paar Polizeimaschinen und frage mich, ob sie es rechtzeitig schaffen. Natürlich nicht. Der Hypno rennt, solange er kann, dann dreht er sich um. Selbst ein erstklassiger Hypnotiker hätte keine Chance gehabt. Der Pöbel braucht nur seinem Blick auszuweichen. Leute klettern über ihn, Messer blitzen, und bis die Polizeistreifen landen, sind alle verschwunden, und man braucht mir noch den Toten wegzuschleppen. Das Taxi setzt uns vor dein Hotel ab. Die Mädchen quietschen immer noch ganz aufgeregt, und Jackson macht ein Gesicht, als wäre ihm übel. Wir geben auf unser Zimmer, er lässt sich in einen Sessel fallen und trinkt Mars-Gin aus der Flasche. »Warum?« fragt er. »Warum was?« sagt eines von den Mädchen. »Warum haben sie diesen Mann ermordet?« Das Mädchen starrt ihn an. »Hast du denn nichts gehört?« »Ich habe gar nichts gehört. Ich bin vor ein paar Stunden vom Mond gekommen - nicht wahr?« Ich gehe zum Visiskop, werfe eine Münze ein, und wir setzen uns alle hin und sehen zu. Paris. Sechshundert Hypnotiker ermordet, die Zahl steigt ständig. Aufnahmen von Menschenmengen, die Hypnos verfolgen. Applaus und Kichern bei den Mädchen. London. Mehr als zweihundert Hypnotiker ermordet. Unkontrollierbare Pöbelhaufen, die durch die Straßen stürmen. Das Internationale Institut für Hypnologie in Flammen. New York. Notstand ausgerufen. Keine Zahlen der Opfer verfügbar. Und so weiter. »Der Kongressausschuss hat heute früh seinen Bericht bekannt gegeben«, sagt eines von den Mädchen. »Millionen Hypnotiker auf der Erde, fünfundachtzig Prozent davon Verkäufer. Jedesmal, wenn man sich umdreht, verkauft dir einer etwas, und du fragst dich, warum du es gekauft hast, bis dir der nächste etwas verkauft. Ich bin vor drei Monaten von der Venus hierher gekommen. Wisst ihr, wie viele Luftkabinen ich habe? Drei Stück. Ich kann nicht einmal eine brauchen. Die letzte habe ich vor einer Woche gekauft, zusammen mit einer Garage, die eineinhalb Meilen von meiner Wohnung entfernt ist. Habe ich eine von den anderen beiden in Zahlung dafür gegeben? Nein. Also frage ich mich immer wieder: ‚Warum? Warum mache ich solche Dummheiten?’ Und heute früh kommt der Bericht heraus, da weiß ich auf einmal Bescheid. Hypnos haben mir alles verkauft. In meiner Wohnung stehen zwei Nahrungsmittel-Synthetikatoren. Mit einem einzigen kann man zehn Personen ernähren, und ich wohne allein - meistens. Die verdammten Hypnos. Ich habe eine Garderobe, die für die nächsten zehn Jahre reicht. In jedem Zimmer steht ein Visiskop. Ich habe soviel Zeug, dass ich mich kaum umdrehen kann. Als ich auf die Erde zurückkam, hatte ich ziemlich viel Geld, aber nach einem Vierteljahr ist alles fort, und die Raten kann ich die nächsten zwanzig Jahre bezahlen. Hypnos!« Sie zischt wie eine von den Schlangen, die ich bei meinem letzten Urlaub auf der Erde im Zoo gesehen habe.
Seite 8
»Meine Schwester hat drei Teppiche übereinander auf dem Boden liegen«, sagt die andere. »Teure Teppiche, einfach übereinander. Von ihrem Mann bekäme sie was zu hören, wenn er nicht vier Flugkabinen gekauft hätte.« Auf dem Bildschirm wird von Stadt zu Stadt geschaltet. Die Krise erstreckt sich über den ganzen Erdball. Von Honolulu bis Moskau werden Hypnos durch die Straßen gejagt oder in ihren Häusern ausgeräuchert. »Ich will euch eines sagen«, meint eines von den Mädchen. »Wenn das vorbei ist, werden die Hypnos - falls es dann noch welche gibt - nichts mehr verkaufen. Wenn die Regierung damit nicht Schluss macht, besorgen wir uns eine neue Regierung.« Jackson klatscht in die Hände, küsst beide Mädchen und hämmert mir auf dem Rücken herum. Ich sehe einen merkwürdigen Ausdruck in seinen Augen, der mir vorher nie aufgefallen ist. »Und ich verschaffe mir einen Posten als Verkäufer«, sagt er. »Wer will etwas trinken?« Am nächsten Morgen werfen wir die Mädchen hinaus und nehmen eine Rakete nach New York. Die Mädchen sind nicht begeistert. Sie haben sich schon auf einen ganzen Monat mit freigebigen Raumfahrern eingerichtet, aber wir werfen sie trotzdem hinaus. Jackson besorgt sich eine Unmenge Zeitungsstreifen, bevor wir die Rakete besteigen, und liest während des ganzen Fluges, was über die Unruhen berichtet wird. Ich lese auch ein bisschen, um mir die Zeit zu vertreiben, finde den Kongressbericht aber nicht so sehr aufregend. Da steht nur, dass die Hypnos einen größeren Tell der Bevölkerung ausmachen, als man angenommen hat, worauf die Berufe der Hypnos aufgeschlüsselt werden: zwei Prozent Politiker, acht Prozent in irgendeinem Zweig der Medizin, drei Prozent Verbrecher, zwei Prozent Diverses und fünfundachtzig Prozent Verkäufer. Für uns Raumfahrer hat das nicht viel zu bedeuten. Wir sind von Verkäufern nie belästigt worden, weil es für uns keine Krediteinstufung gibt. Aber die übrige Bevölkerung steckt bis zum Hals in Schulden, weil sie Dinge kauft, die sie nicht braucht und sich nicht leisten kann. Als der Bericht bekannt wird, addiert jeder für sich zwei und zwei, und was dabei herauskommt, gefällt keinem. In New York schleppt mich Jackson mit zu einem vornehmen Bürogebäude. Über der Tür steht >Terra-Verkaufsgesellschaft