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K L F I NII
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D I. S W I S S E N S
LUX-LESEBOGEN N AT I
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K l ' L T U R K L ' S D L I C H E
ALBERT
HEFTE
HOCH H EIMER
REBELL DER WÜSTE DAS
REICH
VERLAG
DES
M AHDI
SEBASTIAN
LUX
M U R N A U • M U N C II E N • I N N » B R L' C K • B A S E L
In Qmdurman am oberen Nil erinnert ein hochragender Kuppelbau an einen der großen Freiheitskämpfer der arabischen Welt. Sein Aufstieg und sein Auftreten in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts beunruhigten nicht nur die islamischen Völker, sondern aud> die Staaten Europas. Noch heute ist im Sudan und im ganzen Vorderen Orient das Andenken an diesen Mann lebendig, und seine Grabstätte ist Pilgerziel für viele, denen das Wiedererstarken des Islam Herzenssadie ist. Schon seit Jahren gärte der Aufruhr durch die Steppen, Wüsten und Wälder des Sudan, seitdem die Ägypter dieses Land am oberen Nil an sich gerissen hatten und in harter Fron hielten. Von allen Seiten erhielten die Rebellen Zulauf. Im Januar des Jahres 1883 fiel die Stadt El Obeid in die Hände Mohammed Achmeds, der die Aufrührtr anführte und sieh „M.thdi" nannte, von Gott gesandter Prophet, Reformer und Erlöser. — Nun erst begann man den Freiheitskampf der Sudanesen ernst zu nehmen, und von Khartum aus, wo der Generalgouverneur, der Vertreter der ägyptischen Botttzoognnacht, seinen Sitz hatte, jagte Botschaft um Botschaft an die Regierung in Kairo: der Aufstand der Mahdi-Anhänger habe sich so gefährlich entwickelt, daß man sie unter allen Umständen wieder ducken müsse; es sei höchste Zeit, den Stämmen im Sudan durch einen energischen Schlag zu beweisen, daß der General2
gouverneur keine Schattcntigur sei und im Notfall ebenso michtvoll zu handeln vermöge wie der Khedive, der Vizekönig am Nildelta. Weil aber die bisher zur Verfügung gestellten Mittel sich als unzulänglich erwiesen hätten und ein Erfolg ausgeblieben sei, erwarte man Hilfe in größerem Maße und mit größerer Eile. Die Minister in Kairo waren entsetzt. Hatte man nicht schon seit Jahren unablässig Geld, Soldaten und Waffen in den Sudan geschickt und mit den verschiedenen Mitteln versucht, dem lästigen Mohammed Achmed den Garaus zu machen? Und immer sollte es nodi nicht genug sein? Insbesondere der Vertreter Englands, das sich seit zwei Jahren in Ägypten Schutzrechte inmaßte, war empört, daß der große Aufwand unnütz, vertan war, und wehrte sich aus Leibeskräften gegen diesen neuen Aderlaß. Man müsse abwarten, was London anordnen werde, erklärte er, und man könne die schon so gründlich angezapfte Staatskasse nicht noch mehr ausplündern. Als man zu guter Letzt nicht länger in der gefährlichen und unehrenhaften Untätigkeit verharren konnte und die Depeschen aus Khartum immer dringlicher wurden, immer unfreundlicher die Notizen in der Weltpresse, zog mm einige zehntausend Mann zusammen, rüstete sie recht und schlecht aus und schickte sie unter dem Oberkommando des englischen Obersten Hicks und eines ägyptischen Offiziers den Nil hinauf, damit sie dort unten im Süden Wunder wirken sollten. In London wie in Kairo hoffte man zuversichtlich, mit dieser starken Streitmacht dem tollen Abenteurer endgültig das Handwerk zu legen. Allein den Ministern — Tausende von Kilometern vom Kriegsschauplatz, entfernt — war der Blick für das Mögliche längst verlorengegangen. Sie dachten nur in Zahlen, in Provinzen, in „Menschenniatcrial", als sei der Mensch ein Ding, eine Sache; sie hatten nicht die geringste Vorstellung davon, wie die Verhältnisse im unterdrückten Sudan wirklich lagen. Auch vom Mahdi wußten sie recht wenig und ahnten nichts von der schrankenlosen Ergebenheit seiner Anhänger, von dem Mythos, der ihn schon zu Lebzeiten verklärte, von seinem Selbstbewußtsein und seinem Heldentum. Mohammed Achmed war um diese Zeit schon längst nicht mehr der armselige Derwisd» in den Lumpen seiner jüngeren Jahre. Mit seinen ersten Erfolgen waren seine Ziele gewachsen. Mit den Sie3
gen über die Truppen au-. Khartvtn stiegen seine Verwegenheit und die Lust, d.iv Schicksal immer kühner herauszufordern. Und als er jetzt die ägyptischen Truppen unter Hieks, die bedeutendste Heerschar, die ihm je entgegengeschickt wurde, in der Nähe von Fl Obei'd anfiel und fast bis auf den letzten Mann vernichtete, da war er, wie die fanatisierten Krieger um ihn, von den Fanfaren des Sieges wie betäubt und geblendet von seinem eigenen unerwartet glanzvollen Aufstieg. Was war natürlicher, als daß er den Krieg nun erst recht fortsetzen wollte und selbst noch größere, noch gewaltigere Gegner nicht fürchtete? Schon rein zahlenmäßig hatte sich seine Macht in dem kurzen Zeitraum von zwei Jahren ins Phantastische gesteigert. Aus den wenigen Getreuen seiner Anfänge war ein Heer geworden, das an die hunderttausend Mann zählte. Die meisten waren zwar nur mit Speer und Schwert ausgerüstet, aber viele auch mit modernen, erbeuteten Waffen. Angesichts dieser erstaunlichen Tatsache fragte man sich nach der Niederlage in London und Kairo, ob es nicht besser wäre, den Sudan ganz aufzugeben, statt weiter Opfer zu bringen für eine Sache, deren Sinn nicht mehr zu erfassen war, für einen Zweck, der den Klarsichtigen in immer weitere Ferne entrückte, für den nutzlosesten, grausamsten aller Kriege. Und wirklich — England beugte sich trotz des Verlustes an Anseh n der besseren Einsicht und schickte den General Gordon nach Klurtum, um den Abtransport der dort ansässigen Ägypter und Europäer vorzubereiten und durchzuführen. So war der Mahdi Sieger geblieben. Die hintergründige Leidenschaft dieses Mannes wurde von jetzt an zu einer gefährlichen Bedrohung, mit der sich die Staatskabinette der europäischen Kolonialmächte ernsthaft auseinandersetzen mußten; denn die ganze mohammedanische Welt drohte sich an dieser Flamme zu entzünden. Und jetzt erst — viel zu spät natürlich — fragte man sich in den europäischen Hauptstädten, was es denn mit diesem gefährlichen Heiligen in Wahrheit auf sich habe, ob man sein neues Reich als eine rasch vergängliche, lebensunfähige Schöpfung, von trunkenem Herrscherwillen gezeugt, ansehen könne, oder ob dieser Sudanese Mohammed Achmed einzig durch seine geniale Voraussicht hochgekommen und ein Gegner von bedeutendem Rang sei. 4
Sudan und oberer Nil (eingezeichnet sind auch die heutigen großen Bewässerungsanlagen beider Lander)
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Der Derwisch auf der Nilinsel Zu der Zeit, da Mohammed Achmed als Derwisch und Wandirprediger noch in seiner Einsiedelei auf der Nilinscl Abai lebte, war die seit dem Jahre 1869 bestehende ägyptische Fremdherrschaft im Sudan noch längst nidu gefestigt. Ein paar kräftigt, rücksichtslose Stöße, und das ganze schlecht verankerte Gebäude mußte einstürzen. Trotz dieser offenbaren Schwäche der ägyptischen Herren hatte Mohammed Achmed anfangs noch nicht an einen politischen Kampf gedacht, erst auf Umwegen wurde er zum Rebellen. Auf seiner geräumigen, waldreichen Insel, von Almosen lebend, führte er das stille und beschauliche Dasein eines Weisen und Korangelehrten. Kein Winkel war in seiner Seele, wo die zauberische Flamme der heiligen Schrift des Islam nicht hinleuchtetc. Mohammed Achmed war geboren zu Dongola als Sohn eines Schiffszimmermanns, vermutlich im Jahre 1848, und wanderte, ein Kind noch, mit seinem Vater nach Khartum. Aber der Vater starb unterwegs, und der elternlose Junge trieb sich, auf sich selbst gestellt, darbend und bettelnd auf den Märkten und bei den Moscheen herum; er war einer von den zahllosen streifenden kleinen Strolchen, die die Gassen der orientalischen Städte bevölkern, nachts irgendwo in einem Winkel schlafen und am Tage nach den Abfällen haschen, die ihnen Wohlgesinnte zuwerfen. Als Jüngling erlebte er dann die ungeheure Umwälzung im Sudan, die bittere Auswirkung der ägyptischen Herrschaft über seine Heimat. Er sah die fremden Steuereinnehmer und Soldaten, die das Volk rücksichtslos ausplünderten, die bestechlichen Beamten in ihren Büros und die Qual der gefolterten großen und kleinen Sünder auf öffentlichen Märkten. In dieser Zeit, da alles ins Wanken geriet, was ihm seit seiner Jugend vertraut war: das Gesetz, die Religion und das Land, fing er an, nach einem festen Punkt im Auf und Nieder der Erlebnisse zu suchen. Aber er fand noch nicht sofort seinen Weg. Zunächst entschied er sich für einen gottesfürchtigen Wandel, und jahrelang floß sein Leben in Abgeschlossenheit dahin. Er war ein schöner Mensch. Breitschultrig, von lichtbrauner Hautfarbe, mit strahlenden, schwarzen Augen und einem dunklen, seidi6
gen Bart. Er lächelte fast immer und zeigte dabei sein prachtvolles Gebiß mit einer Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen; für viele war das ein Kennzeichen der besonderen Zuneigung Gottes, und sie nannten ihn „Vater der Zahnlücke". Auffallend war der Eindruck, den er sdion früh auf die Menschen seiner Umgebung machte. — „Als ich sein Antlitz erschaute", schwärmt noch in späteren Jahren Abdullahi, sein Nachfolger, „da vergaß ich alle überItandene Mühsal. Id» sah nur auf ihn, hörte nur seine Worte und mußte meinen ganzen Mut zusammennehmen, um ihn, nach langem Zaudern, endlich anzusprechen." So vergehen drei, vier Jahre in völliger Zurückgezogenheit. Mohammed Achmed lehrt den Koran und sucht mit seinen Blicken das Geheimnis der Schöpfung und die Herzen der Menschen zu durdidringen. Zufrieden mit seinem Los, lebt er im Kreise seiner Schüler. Von jenem unbändigen Willen, von der fanatischen Kraft, die später sein Dasein in große Schwingungen versetzte, ist auf der Insel Abai noch nichts zu spüren. Die Stille des einfachen Lebens dient ihm zur Einkehr, zur Sammlung. Hier bildet sich seine zukünftige Begabung der Menschenbehandlung, hier formt sich sein auf eine große Aufgabe hinzielender Geist. Nichts Glücklichere; konnte geschehen als diese zeitweilige Einsamkeit. Denn wer immer im Strudel der Ereignisse steht, der verliert die wahre Beziehung zu ihnen, die scharfe Übersicht; nur die Unterbrechung in stiller Abgeschlossenheit führt zu neuer Spannkraft. Einsamkeit bringt dem wahrhaft Starken nicht Minderung, sondern Zusammenfassung •einer Kräfte.
Abgekanzelt wie ein Schuljunge Während der Einsiedler selbstgenügsam' seine Tage verbringt, die Worte des Koran erklärend, wie er es von den Lehrern seines Ordens gelernt hat, verbreitet sich der Ruf seiner Heiligkeit allmählich in die Weite, und von überallher strömen die Pilger herbei. Viele bleiben in seiner Nähe und siedeln sich neben seiner Hütte an. So bildet sich eine Gemeinde, die unablässig wachsend sich schließlich über das ganze Gebiet zwischen Blauem und Weißem Nil ausdehnt. Seine Nahrung erbettelnd, zieht er immer wieder mit der tönernen Schale und dem eisenbeschlagenen Stab über Land, 7
verschenkt selbstgeschriebene Koransprüche als Talismane, spricht mit den Stammesführern und den einsamen Menschen von den Nöten des Daseins und den Übeltaten der Fremden. Er predigt Entsagung, verbietet Tanz und Spiel, berauschende Getränke und selbst das Tabakrauchen und ist ein entschiedener Gegner der Pilgerfahrten nach Mekka — doch nicht dieses Predigen ist es, was die Leute anzieht; erst die ungewöhnliche Glut seiner inneren Entflammung, die bezaubernde Anmut seiner Persönlichkeit erzeugen bei seinen Jüngern jene rauschartige Begeisterung, die der leidenschaftliche Ausdruck eines hemmungslosen, urwüchsigen I ebensgefühls ist, wie es nur der Orientale kennt. Bald ist nicht mehr Khartum Umkreis dvr sudanesischen Welt, sondern die Nil-Insel Abai, und die Hütte Mohammed Achmeds ist ihr Mittelpunkt. Diese klar erkennbare Entwicklung darf der ägyptische Generalgouvcrneur, Abd-el-Rauf Pascha, nun nicht mehr übersehen, und da er aus Erfahrung weiß, dal? jede religiöse Bewegung um so gefährlicher wird, je ungehinderter der Reformator sich der Verbreitung seiner Lehre widmen kann, schickt er einen seiner Offiziere zu Mohammed Achmed, um ihn nach Khartum vorzuladen und zur Verantwortung zu ziehen. Der Abgesandte aber benimmt sich wie ein Rüpel und bringt .seinen Auftrag so vor, als stehe er vor einer Front aufsässiger Rekruten. Nicht mit einem Wort fällt es ihm ein einzulenken, als Mohammed Achmed beharrlich schweigt und seine Anhänger finster zu Boden blicken. Dieser Augenblick, da er vor seinen Gläubigen wie ein Schuljunge abgekanzelt wird, ist wohl der bedeutsamste im Leben des Mahdi. — Wenn er jetzt nachgibt, das spürt er, und sich vor diesem Flegel beugt, dann wird seine Nachgiebigkeit allen Glauben an -eine Sendung zertrümmern, dann ist er erledigt, als Scharlatan entlarvt. Und indessen er noch unschlüssig schwankt und nach einer Entscheidung sucht, beginnt plötzlich sich irgendein Übergewaltiges, von dessen Kraft und Übermaß er bisher nichts geahnt hatte, in ihm zu regen, und freudig spürt er sich tief innen, ganz tief innen, von Trotz und verletztem Ehrgefühl angefaßt. Eine unübersichtliche Strömung reißt ihn fort, und der gütige, weiche, wohltuende Glanz seiner Augen wird mit einemmal zu einem einzigen •"alten Blitz, der hart und abweisend zustößt. Die Veränderung 8
Hidts und seine Leute auf dem Vormarsch ist so augenfällig, daß der Offizier unsicher wird und freundlichere Töne sucht, um den Erfolg seiner Sendung nidu zu gefährden. Es sei wohl ratsamer, äußert er, sich dem Willen der Obrigkeit zu beugen, da sie über genug Mittel verfüge, ihrem Befehl Nachdruck zu verleihen, als in Überheblichkeit und Eigensinn zu verharren. Allein solche überzuckerten Drohungen machen nun keinen Eindruck mehr, denn Mohammed Achmed hat schon den ersten Schritt auf seinem neuen Weg getan, und er erwidert, die Seligkeit -.einer Erhöhung vorausempfindend: „Uns werden eure Kugeln nichts anhaben und eure Dampfschiffe werden mit ihren Kanonen versinken, wenn ihr es wagt, gegen den Abgesandten Gottes zu feuern." 9
Nach diesem Schimpf muß sich der Genoralgouverneur in K h i r t u m zu nadidrücklidien Maßnahmen entschließen. F.r sdiickt also eine Expedition von dreihundert Mann aus, um den störrischen Derwisch, den „schmierigen Dongolaner", cinzufangen. Aber die Truppe, sdilocht geführt und ohne jede Dis/.iplin, w i r d von den Jüngern Mohammed Achmeds im Morgengrauen überfallen und niedergemacht. N u r wenigen gelingt es, d is nackte Leben zu retten und nach Khartum zu entkommen.
„ M i r nahte Gott selbst. . ." M i t diesem Handstreich hat sich der junge Reformator außerhalb des Gesetzes gestellt, das erkennt selbst der Einfältigste, und w i , er von der Regierung von K h a r t u m von Stund an noch zu erwarten hat, das .sind Folter und T o d . Warnend hebt das Schicksal seinen Pinger. Aber Mohammed Achmed stürzt sieh bedenkenlos aus seinem f r i schen Ruhm hinab in einen Abgrund von Ungewißheit, wo höch.»ter T r i u m p h oder tiefste Veraditung d i d u nebeneinander auf ihn warten. Er sagt sich von allem los, was ihn an sein bisheriges Leben, die alte Stammesordnung und an sein Münchsleben bindet, und hell flammt nun aus seiner Seele die leidenschaftliche Beredsamkeit der ersten Flugblätter, die er unter das Volk streuen läßt: „ . . . M i r nahte Gott selbst, indem er sprach: ,Du bist geboren au> dem Lichtstrahl meines innersten Herzens. Gehe, reformiere die Moslems und gründe das Reich, dem der ewige Friede folgen w i r d . ' — Dann trat zu mir der Prophet, legte ein Schwert in meine H a n d und sprach: , M i t diesem Schwert wirst du siegen, denn A z r i e l , der Engel des Todes, w i r d d i r rorasttch reiten, und er trägt ein leuchtendes Banner in der Rechten, und Schrecken w i r d fallen auf deine Feinde.' " Zaudern ist nicht Mohammed Achmeds Sache, er kann, wenn es sein muß, auf unheimlich rasche Weise ul den Beinen ist, das Bourre-Tor im Osten am Blauen Nil und das Mesalamich-Tor am Weißen Nil, überwältigen in wütendem Angriff alles, was sieh ihnen in den Weg stellt, und brechen bei Sonnenaufgang in Massen in die kaum erwachte Stadt ein. Die fanatischen Mahdisten, denen nichts am eigenen Leben liegt, schonen auch das Leben anderer nicht. Sie schlagen wahllos tot, plündern, zerstören den halben Tag über, bis endlich ein Befehl des Mahdi ihrem Wüten Einhalt gebietet. Wie Gordon fiel, bleibt unklar. Vermutlich erreichte ihn sein Ende in der Nähe des Regierungspalastes. Slatin-Pascha, der auch um diese Zeit noch Gefangener des Mahdi ist, aber an den Kämpfen nicht teilnahm, berichtet über das Ende Gordons: „ . . . Die in den ebenerdigen Räumen befindlichen Diener des Generals wurden niedergemetzelt. Er selbst erwartete den Feind auf den obersten Stufen der zu seinen Gemächern führenden Treppe. Ohne sich um seinen Gruß zu kümmern, stieß ihm der erste Angreiter, die Stufen emporspringend, die Lanze in den Leib. Gordon fiel mit dem Gesicht nach vorn lautlos auf die Treppe und wurde von seinen Mördern bis vor den Eingang des Palais gesdileppt. Hier wurde sein Haupt vom Rumpf getrennt und an den Mahdi und seine Kalifen gesandt, die es mir zu zeigen befahlen." Um die gleiche Zeit, da die Mahdisten in die Stadt einbrechen 28
und die Widerstandsnetter eines nach dem anderen überwältigen, nähert sich eine Vorhut des englischen Entsai/hecres auf kleinen Dampfern schon der Nordspitze der Nilinsel Tuti, in Sichtweite von Khartum — 24 Stunden zu spät. Als am folgenden Tag der Oberbelchlshabcr, General Wilson, durchs Glas die Fahne des Mahdi über der Stadt erkennt, kehrt er um, gibt auch das Lager bei Metämmeh auf und marschiert nach Kairo zurück.
Zu neuem Siegeszug gerüstet In England bricht auf die Nachricht vom Fall Khanums und dem schmählichen Ende des Generals Gordon ein wütender Sturm gegen die Regierung los, die durch ihr hartnäckiges Zögern die Schuld an der Katastrophe auf sich geladen hatte. Man fordert, daß ein neues Expeditionsheer in Marsch gesetzt werde, um den falschen Propheten zu züchtigen, den Sudan zu erobern und zu einer englischen Kolonie zu machen. Allein England ist gerade durch ernste Verwicklungen mit Rußland bedroht, zieht alle verfügbaren Truppen aus Ägypten zurück, und die Aufregung verebbt: Die Drohung eines europäischen Krieges überschattet Gordons Schicksal. Und so bleibt der Mahdi unangefochtener Herr im Sudan. Der Mahdi kann es kaum fassen, daß ihm die Engländer das ganze ungeheure Gebiet kampflos überlassen. Er ist außer sich vor Freude, und sein lange unterdrücktes, klug beherrschtes Temperament geht jetzt mit ihm durch. Großspurig und von seinen eigenen Worten berauscht, schildert er seinen Gläubigen den völlig unbelästigt durchgeführten Rückzug der Armee Wilsons als kopflose Flucht. Der Prophet Mohammed habe ihn wissen lassen, verkündet er mit gewaltiger Stimme, daß die Wasserschläuche der zurückgehenden Ungläubigen durch göttliche Fügung undicht geworden und alle Widersacher Allahs dem Durst erlegen seien. Hemmungslos läßt er seiner Phantasie freien Lauf, und jedes seiner Worte findet fruchtbaren Boden bei der kritiklosen Menge. Knapp fünf Jahre steht der Mahdi nun Auf der Bühne der Weltgeschichte. Daß hinter dem ehemaligen Klausner in Lumpen eine solche Persönlichkeit steckt, das hat in Europa noch niemand geahnt, und auch jetzt sind sich nur wenige der Gefahr bewußt, die Agyp29
ten, dem Vorderen Orient und Indien drohen, wenn alle Mohammed.iner ganz und gar dem Glanz des Imperators verfallen. In Jahrhunderten hat der Sudan nicht einen derart überlegenen Geist hervorgebracht, einen Mann von >o imponierender Größe. Selbst die Kalifen und stolzen Emire, die um ihn sind und seine Schwädicn kennen, nahen sich ihm unterwürfig mit einem Fußfall, und mit einem Fußfall empfehlen sie sich wieder, nicht anders wie die kleinen Schmeichler und Speichellecker. All diese hohen und höchsten Würdenträger nehmen widerspruchslos in sklavischer Unterwürfigkeit die Befehle ihres Herrn entgegen; vertrauliche Besprechungen zu pflegen wie an den Anfängen seiner Laufbahn, ist längst nicht mehr Gewohnheit des Mahdi, gegen den Willen dieses Mannes gibt es keine Gegenrede. Das Reich mit seinen achtzehn Millionen Einwohnern wird durch restlose Überwachung in Schach gehalten. Der Mahdi kontrolliert vermöge seiner Zuträger, von denen Tausende zu seiner Verfügung stehen, die privaten Verhältnisse seiner Generäle, Richter und Staatsbeamten. Ihm entgeht keine der schmutzigen Intrigen unter den Emiren, keines der Zechgelage seiner Kalifen, selbst über den Viehraub der Nomadenstämme an den Grenzen ist er unterrichtet. Seine Macht über die Menschen, erworben durch systemaiisdie Beobachtung, Geschicklichkeit und Verachtung, hat etwas Magisches und Hypnotisches. Nach der Eroberung von Khartum wird der ganze Sudan von den Anhängern des Mahdi besetzt. Von Redjaf, fast an den Quellen des Weißen Nils, bis Sarra in der Nähe des zweiten Katarakts; vom Marathgebirge im Westen bis zum Tana-See in Abessinien — in einem Gebiet von weit über einer Million Quadratkilometern Umfang — gelten jetzt das Wort des falschen Propheten und sein Macht>prudi als höchstes Gesetz. Zwar sehnt sich das Land nach der langen Unterdrückung und den blutigen Kriegen endlich nach Ruhe, der Mahdi aber rüstet bereits für einen neuen Feldzug. Seitdem er Khartum, die Schlüsselstellung nach Ägypten hin, in Besitz hat, denkt er nicht mehr an den Sudan allein, an die Völkerstämme, die ihm zum Sieg verhalfen, sondern mehr noch an die Niloase, an Palästina und das Zweistromland. Nachdem er die erste Aufgabe, .dieer sidi gestellt hat, gelöst und die Knechtsdiaft der Sudanesen in 30
Befreiung umgewandelt hat, ist er jetzt im Begriff, diese kaum geschenkte Freiheit gewaltsam aufs Spiel zu setzen. Sein Plan ist gleichzeitig ein Plan des Mutes und des Übermutes, frevelhafte Selbstüberschätzung und Heroismus zugleich. Er geht nach Omdurman, um die Niederwerfung des Vorderen Orients vorzubereiten.
Der Tod des Propheten Doch Mitte Juni erkrankt er plötzlich und erscheint einige Tage nicht zum Gebet. Vorerst macht sich noch niemand ernshafte Sorgen, denn man hat ja oft genug bei den täglichen Ansprachen zu hören bekommen: dem Mahdi sei die frohe Botschaft zuteil geworden, daß er nicht eher sterben werde, als bis Mekka, Medina und Jerusalem befreit seien. Dann erst, nach einem langen, glorreichen Leben, werde er seine Tage in Kufa am Euphrat beschließen. „Nach einem langen, glorreichen Leben . . . " Und jetzt ist er erst vierzig Jahre alt, ein rüstiger Mann. Da ün nichts zu fürchten, so denken die Getreuen. Allein es handelt sich durchaus nicht um ein leichtes, rasch vorübergehendes Unwohlsein, sondern um einen schweren Fall von Typhus. Am Abend des sechsten Tages wird die um sein Haus versammelte Menge aufgefordert, Bittgebete für die Genesung ihres Herrn und Meisters zu verrichten. Aber erst, als der Tod schon auf der Schwelle steht, erfährt die Schar der Gläubigen erschüttert den wahren, hoffnungslosen Zustand des Mahdi. Man hat ihn bisher mit den üblichen Mitteln der orientalischen Hausapotheke gepflegt und holt nun in letzter Stunde den Ägypter Hassan Seki herbei, Arzt im Militärhospital von Khartum, der durch irgendeinen Zufall dem Gemetzel entgangen ist. „Aber Hassan Seki erkannte wohl", wie Slatin Pascha schreibt, „daß menschliche Hilfe nicht möglich sei. Er war überhaupt nicht geneigt, helfend einzugreifen, und fürchtete überdies, daß, wenn er dem Kranken eine Medizin verabreichen und dieser, wie er bestimmt voraussah, dann sterben würde, er als dessen Mörder angesehen werde und der größten Gefahr ausgesetzt sei." Als es zu Ende geht, versammeln sich die drei Kalifen und die nächsten Verwandten um das Lager des Sterbenden. Während draußen die Gebete der verängstigten Menge und die grellen Anrufe der Gläubigen in das dumpfe Gelaß dringen und in der Ecke 31
Siddina Aischa — die Hauptfrau des Maluli, „Mutter der Gläubigen" — still vor sich hinjammert, wiederholt der Mahdi, /wischen kurzem Wachsein und langer Bewußtlosigkeit, den Wortlaut jenes Aufrufs, in dem er den Kalifen Abdullahi zu seinem Vertreter und Nachfolger bestimmt hat: „Der Kalif Abdullahi ist durch den Propheten zu meinem Nachfolger eingesetzt. Er ist von mir, ich bin von ihm. Wie ihr mir gefolgt seid und meine Befehle ausgetührt habt, haltet es auch mit ihm. Gott erbarme sich meiner!" Sechs Monate nach seinem höchsten Triumph, der völligen Inbesitznahme des Sudan, endet das unerhört erregende Dasein des Mahdi. Seinen Leib bettet man in dem Raum, in dem er gestorben ist, zur letzten Ruhe und errichtet eine großartige Gedenkstatte darüber. Aber nicht dieses Gebäude hält die Erinnerung wach an den gefürchteten, gelährlichen und angebeteten Menschen, der mit seinen kühnen Prophezeiungen fünf Jahre lang die Welt in Staunen \ersetzte und alle seine Widersacher in die Knie zwang; vierzehn Jahre später wird die prunkvolle Ruhestätte durch die siegreichen Engländer dem Erdboden gleichgemacht. Der Grabbau, zu dem heute die Sudanesen pilgern, ist erst in neuerer Zeit über den Trümmern dej alten errichtet worden (vgl. das Umschlagbild). Mehr als in dem Steinmonument lebt die Erinnerung an den Mahdi in den Herzen der Sudanesen weiter, denn er allein von allen Mitspielern seiner Zeit wirkte in die Zukunft. Sein Nachfolger Abdullahi, der zu schwach war, das große Werk fortzusetzen und zu bewahren, und der General Kitchener, der mit seinen Geschützen in dem schrecklichen Blutbad von Omdurman die Scharen der M.ihdisten niederkartätschte, hinterließen Angst, Grauen und Zerstörung. Das Beispiel des Mahdi aber entzündete in den Völkern des Sudan jenen Funken von selbstbewußtem Nationalismus, der, zui Flamme entfacht, im Jahre 1956 die Fremdherrschaft endgültig zum Abschluß brachte und eines der erstaunlichsten Dramen der Neuzeit beendete. Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Fotos: Ullstein-Bilderdienst L u x - L e s e b o g e n 3 9 0 (Geschichte) H e f t p r e i s 3 0 P f g . Natur- und kulturkundliehe Hefte —Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1,80) durch jede Buchhandlung und Jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Le.sebogen sind in jeder guten Buchhandlung: vorrätig — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg — Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München — Herausgeber: Antonius Lux.