GEORG STEPHAN
Rauschgift
VERLAG NEUES LEBEN -1958
Mit bunt leuchtenden Farbenspielen sank die Sonne hinter den Hori...
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GEORG STEPHAN
Rauschgift
VERLAG NEUES LEBEN -1958
Mit bunt leuchtenden Farbenspielen sank die Sonne hinter den Horizont; sie legte noch einmal flammendes Rot auf das Gelb der Wüste und umsäumte die Hügel mit einer Lichtkrone. Dann überzog sich der Himmel mit blassem Oliv; fast übergangslos wurde es dunkel. Die Reiter zogen ostwärts, durch Sand und Dünen dem Sinaigebirge zu. Sie saßen mit gekreuzten Beinen hoch auf ihren leichtfüßigen Meharis, den Rennkamelen, und hielten die Karabiner vor sich im Schoß. Der grüne Turban, mit Leopardenfell geschmückt, kennzeichnete sie als Reiter der ägyptischen Grenzpolizei – braunschwarze Nubier, deren Heimat fern im Süden lag. Schweigend ritten die Meharisten durch das Dunkel. Je weiter sie kamen, um so mehr wich der lose Wüstensand dem steinigen Geröll, durch das sich auf langer Strecke ein Riegel dunkelroten Sandsteins hinzog. Dann ging es aufwärts, den zerklüfteten Bergen entgegen, die am Tage einen weiten Blick über die Halbinsel boten. Auf einem vorspringenden Plateau saßen die Reiter ab, ließen die Kamele zurück, die daran gewöhnt waren, sich an solchen nächtlichen Rastorten ruhig zu verhalten, und hockten am Rande der Abhänge nieder, wo sie nach zwei Seiten hin Sicht in die Täler hatten. Von unten her war kein Laut zu vernehmen, keine Bewegung zu erkennen. Ringsum Stille unter Tausenden von Sternen. Nach zwei Stunden lautlosen Verharrens erhob sich der Führer des Trupps und gab ein Zeichen. Die Nubier saßen auf und führten ihre Tiere auf Pfaden, die nur Kundigen zugänglich sind, nordwärts hinab und wieder hinaus in die Steinfelder, In der Deckung eines Hügels rasteten sie abermals. Einer der Männer stieg zur Kuppe hinauf, legte sich flach ins Geröll. Lange Zeit war vergangen, als der Späher ein leises Zischen vernehmen ließ, auf das hin die anderen aufsprangen und ihre Waffen bereithielten. Aber sie senkten die Karabiner, als sie
erkannten, daß es nicht die Erwarteten waren, die sich dort näherten, sondern ihresgleichen, eine andere Meharipatrouille. Man gab sich zuerkennen und fragte: „Nichts?“ „Nichts. Sie kommen immer gerade dort durch, wo wir nicht sind.“ Der Führer des ersten Trupps murmelte eine Verwünschung, dann zuckte er mit den Schultern, und ohne weitere Worte trennten sich die Reiter und entfernten sich in entgegengesetzten Richtungen. Wenige Meilen westlich von den Ausläufern des Sinaigebirges glitzerten der gleiche schmale Sichelmond, das gleiche Sternengeflimmer im leicht welligen Spiegel des Suezkanals, jener künstlichen Wasserstraße, die zwei Wüsten, die Libysche und die Arabische, voneinander scheidet und damit zugleich den afrikanischen vom asiatischen Erdteil trennt. Auch hier tiefe nächtliche Stille. Ansiedlungen lagen fern. Kein Schiff näherte sich. Aus dem Schilf der östlichen Böschung, dort, wo sich hinter dem Ufer die Silhouette eines Palmenhaines abzeichnete, ertönte wie leises Kinderwimmern der Ruf eines Schakals. Aber er weckte kein Echo, und auch der zweite Ruf verhallte ohne Gegenlaut. Da tauchten in der Ferne drei Lichter auf, ein starkes grelles – über zwei kleineren. Und nun war auch das Geräusch des Wagens zu hören, der auf der parallel zum Kanal verlaufenden Asphaltchaussee herankam. Das große Licht, der Scheinwerfer eines Polizeiautos, suchte in die Wüste hinaus, griff in den Palmenhain hinein, tastete die Böschung ab und setzte dabei gleichmäßig seinen Weg fort, Dunkelheit hinter sich zurücklassend. Nach geraumer Weile, als das Motorengeräusch verhallt, das Licht verschwunden war, ertönte abermals der Ruf des Schakals. Diesmal fand er ein Echo, das vom Hain herüberklang. Und nun erhoben sich aus dem Schilf des Ostufers einige Gestalten, am hellen Burnus mit dem dunklen Stirnband und an
den tiefbraunen Gesichtern als Beduinen erkenntlich. Geduckt näherten sie sich dem Kanal und ließen behutsam eine Anzahl Gegenstände ins Wasser gleiten. Es waren Blechkanister, offenbar nur zur Hälfte gefüllt, so daß sie von den kleinen Wellen noch getragen wurden. Jeder der Kanister hatte einen leichten Aufbau aus zwei Stöcken, zwischen die lose ein Stück Leinwand gespannt war. In diese Miniatursegel griff der Südostwind hinein; er trieb die Behälter zwar etwas ab, in einiger Entfernung aber doch sicher ans andere Ufer hinüber. Die Gestalten am Ostufer lösten sich von Schilf und Böschung, liefen im Schutze der Dunkelheit zurück in die Wüste zu ihren in Obhut stehenden Pferden. Weit entfernt vom Suezkanal, draußen im feinkörnigeren Sand der Libyschen Wüste, verbreitete in derselben Nacht das Lagerfeuer eines Beduinentrupps sein flackerndes rotes Licht. Nur zwei Männer wachten, sie drehten den Bratspieß über der Glut und rissen mit Messern Stücke saftigen Hammelfleisches ab. Die anderen schliefen in ihren Zelten. Am Rande des Lagers hockten mit mahlenden Mäulern die Kamele. Die beiden Beduinen blickten zuweilen zur Mondsichel, ihrer nächtlichen Uhr, hinauf, und endlich klatschten sie in die Hände, riefen die Schläfer wach. Im Nu war es ringsum lebendig. Die Männer rafften Hab und Gut zusammen und packten die Zelte auf die Kamelrücken. Zuletzt taten die Beduinen etwas Merkwürdiges: Sie entnahmen einigen Beuteln kleine Kapseln aus festem Leder, öffneten den Kamelen mit geübten Griffen den Rachen, so daß die mächtigen, großzähnigen Gebisse aufklafften, warfen den Tieren nacheinander die Kapseln in den Schlund und zwangen sie, diese hinunterzuschlucken. Wenig später ritt der Trupp davon, dem Nil zu. Allmählich blieb der weiche Sandboden zurück, wechselte über in Ackerland, das der segenspendende Schlamm des Ewigen Stromes fruchtbar gemacht hatte. Die armseligen Lehmhütten der Fella-
chen tauchten auf; zwischen weiten Reis- und Baumwollfeldern zog sich das Gewirr der Bewässerungskanäle mit den primitiven Schöpfvorrichtungen hin. Kurz vor einer Wegbiegung stieß der vorderste Reiter einen Warnruf aus. Einige Polizisten in Khakiuniform versperrten den Durchgang und fragten nach dem Woher und Wohin. Wie kann man nomadisierende Beduinen fragen, woher sie kommen und wohin sie gehen? Die Männer der Wüste lachten. „Wir reiten nach Kairo. Heute ist Markttag, und wir wollen einkaufen.“ Die Uniformierten fanden nichts Verdächtiges in diesem Bescheid, dennoch kontrollierten sie mißtrauisch und befehlsgemäß das Gepäck der Reiter, ließen die Satteltaschen öffnen und durchstachen sogar fast zentimeterweise die Futtersäcke für die Kamele mit langen, dünnen Eisenstaben. Sie entdeckten nichts, wechselten ein paar Worte und ließen den Trupp passieren. „Allah gebe euch einen guten Tag“, wünschten ihnen die Davonreitenden, die auf einmal gut zu ihren Tieren waren und ihnen die Hälse streichelten. Oh, sie wußten sehr wohl, daß es auch Quarantänestationen gab, wohin verdächtige Kamele eingeliefert wurden und wo man die verdammten modernen Apparate handhabte, mit denen der Inhalt eines Tiermagens festgestellt wurde. Diesmal lag Allahs Segen auf ihrem Wege. Weit südlich von Kairo, schon in der Nähe des Gebietes von Assiut, kreuzte in derselben Nacht ein lichtloses Schnellboot der Polizei auf dem Fluß; es umfuhr in gemessenem Abstand die Leuchtbojen, wandte sich bald diesem, bald jenem Ufer zu, wo es mit gedrosseltem Motor wartend verharrte. Träge floß der Nil in seinem breiten Bett dahin, schlammige Fluten weit aus dem Innern Afrikas herantragend. Er war wenig belebt um diese Zeit. Passagierdampfer verkehrten nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr, da die Touristen, die zu den Stätten des Altertums und bis nach Wadi Haifa im Sudanesischen hinauffuhren, die Umgebung bei Tageslicht zu sehen
wünschten. Einige Feluken kamen vorüber, mit windgeblähten dreieckigen Segeln, deren Masten so hoch waren, daß sich ihre Spitzen im nächtlichen Himmel zu verlieren schienen. Die eine führte, hochgeschichtet, gebrannte Tonkrüge als Fracht nach Kairo, die andere trug Ballen mit Baumwolle bis nach Alexandria hinunter. Die Schiffe wurden von der Besatzung des Schnellbootes nur flüchtig kontrolliert. „Und wenn in diesen Krügen oder diesen Ballen…“ Der Offizier machte eine Gebärde der Hilflosigkeit. „Dann müßten wir auch alle die Hunderte von Feluken, die tagsüber den Fluß passieren, von oben bis unten durchsuchen, und auch die Passagierdampfer. Wir sind nur auf Stichproben angewiesen oder auf Nachrichten. Die Meldung für heute lautet auf Schrott.“ „Auf Schrott?“ „Möchte auch wissen, was darin zu finden sein soll“, knurrte der andere. „Da kommt noch ein Boot.“ Es trug Melonen und andere Feldfrüchte zum Markt in die Stadt; das nächste führte Zuckerrohr, ein weiteres abermals Baumwolle. Stunden waren mit fruchtlosen Kontrollen dahingegangen, als sich drüben am kaum erkennbaren anderen Ufer aus dem Dunkel ein helleres Dreieck abhob, das langsam dahinglitt. „Was haben die so dicht an Land vorbeizuschleichen? Hinüber!“ Der Motor sprang an, das Schnellboot surrte hinaus und ließ kurz vor der Feluke den Scheinwerfer aufblitzen. „Stopp! Polizei!“ Der Offizier ging mit einigen seiner Leute an Bord des Segelbootes. Es war mit drei Schiffern bemannt, bärtigen Männern, die schmutzigweiße Kappen auf ihren Häuptern trugen. „Woher kommt ihr?“ „Aus Assiut“, antwortete einer von ihnen gleichgültig. „Wohin geht die Fahrt?“
„Nach Kairo.“ „Was führt ihr?“ „Nichts als Gerümpel und ein ausgeschlachtetes Auto, das zum Schrotthändler in die Stadt kommt.“ „Ah, in Assiut gibt es keine Schrotthändler? Damit müßt ihr nach Kairo?“ „Man zahlt dort höhere Preise.“ Die Ladung wurde durchsucht. Sie bestand wirklich nur aus altem Gerümpel von Blech und Eisen. Ein verrostetes Chassis, zusammengeschlagene Blechteile eines ausrangierten Wagens und dergleichen. Was sollte darunter zu finden sein? - Die Polizisten durchstöberten das ganze Boot, warfen suchend die scharfkantigen blechernen Abfälle durcheinander. Nichts. Keine Kisten, keine Säcke, die etwas vermuten ließen. Verdrießlich stieg der Offizier über das rostige Durcheinander, stieß mit dem Fuß an Eisenteile, an die verbeulte Kühlerhaube, an alte Gummireifen Nochmals stieß er an einen der Reifen, bückte sich danach. Die Wulst war mit dünnen schwarzen Fäden lose zusammengenäht. Mit ein paar reißenden Griffen trennte der Offizier die Naht auf, griff in die Höhlung – und hielt einige Aluminiumkapseln in der Hand. „Haschisch!“ rief er. Im gleichen Augenblick sprangen die drei Schiffer über Bord, klatschten ins Wasser, tauchten und verschwanden schwimmend im Dunkel. Ein paar Schüsse peitschten hinter ihnen her. Zu spät. Der Offizier ließ drei bootskundige Polizisten mit dem Auftrag zurück, die Feluke nach Kairo zu segeln, und fuhr mit den übrigen im Motorboot voraus. Immerhin war die Nacht lohnend gewesen, und der Chef würde mit ihm zufrieden sein. Morgenlicht kam auf. Es ließ den Palmensaum am Ufer im leichten Frühnebel sichtbar werden, die üppigen Äcker, die Tomatenfelder. Fellachen auf weißen Eseln vor hohen zweirädrigen Karren begaben sich zur Arbeit aufs Land. Büffel wurden zum Bad in den Fluß getrieben; Frauen schöpften Wasser in
Tonkrüge und trugen sie auf dem Kopf davon. Dann wurde die Silhouette von Kairo sichtbar, mit dem Gebirge von Mokattam, den protzigen Hochhäusern des Europäerviertels, den zahllosen hohen, schlanken Minaretts der Moscheen in der Altstadt. Durch die Stille des Morgens drang von fern die singende Stimme des Muezzins, der die Gläubigen zum ersten Gebet rief. Am Plafond kreiste lautlos der Ventilator und trieb einen Strom frischer Luft durch den weiten Raum des Cafes. Auf dem Podium spielte eine brasilianische Kapelle, italienische Kellner trugen Eisgetränke, Kaffee in winzigen Tassen und Whisky. An den Tischen mit ledernen Klubsesseln mischte sich in die vorherrschenden abendländischen Sprachen das gutturale Arabisch der Einheimischen. Monsieur Robert Duffard wischte sich den Schweiß von Stirn und Glatze; letztere war von einem hinten angesetzten, rötlich schimmernden Haarkranz umsäumt. Der Mann blickte auf den von Licht und Leben, Bewegung und Farben erfüllten breiten Boulevard hinaus. An ohrenbetäubend klingelnden Straßenbahnen hingen Menschentrauben, kaum hörbar rollten elegante ausländische Wagen zwischen hochrädrigen Eselskarren dahin; Ägypter in der Gallabije, dem weiten baumwollenen Gewand, und solche, die zur modernen europäischen Kleidung den roten Tarbusch mit der blauen Quaste trugen, gingen neben Fremden in weißen Flanellanzügen vorüber. Halbwüchsige Jungen riefen Zeitungen und Limonade aus. Duffard, ein Pariser Antiquitätenhändler, war vor kurzem nach Kairo gekommen, um nach Altertümern aus der Pharaonenzeit zu forschen. Diesen offenbar recht gewinnbringenden Auftrag einer verschrobenen amerikanischen Millionärin wollte er zugleich damit verbinden, seine bedenklich gewordene Bronchitis in dem gerühmten trockenwarmen Klima zu heilen.
Auf Empfehlungen hatte er sich an Dr. Chedouti gewandt, einen ägyptischen Arzt, der sich mit gewinnender Herzlichkeit seiner annahm und ihm mit manchem Rat zur Seite stand. Chedouti war vor einiger Zeit in den Staatsdienst übergetreten, wo er, wie er sagte, „Weitfassenderes“ für Ägypten tun könne. Er bekleidete nun das Amt des Spitalarztes der Zitadelle von Kairo. Jetzt wandte der Antiquitätenhändler den Blick seinem Gegenüber zu, eben diesem Dr. Chedouti, der in dienstfreien Zeiten bisweilen zu einem Plauderstündchen in das Cafe des Hotels kam, in dem sein Patient Quartier genommen hatte. Was wollte der Arzt mit seiner bei aller Liebenswürdigkeit doch etwas störenden Art, die Dinge des Landes am Nil in Grau zu sehen? Er, Duffard, fand die Millionenstadt unvergleichlich schön mit ihren zauberhaften Moscheen, den hoch ins Blau ragenden Minaretts, dem Lärm der Handelsstraßen, in denen noch echter Orient offenbar wurde, mit dem pulsierenden Zusammenwirken farbigen Völkergemischs, dem Ewigen Strom zwischen den Wüsten. Duffards nervöser Lebhaftigkeit mißfiel das heute so anhaltende Schweigen des anderen, und so fragte er: „Geht Ihnen noch immer die Flucht Hassans durch den Kopf?“ Chedouti hob aus seinem Sinnen derart unvermittelt den Kopf, daß die Troddel am Tarbusch ins Pendeln geriet. Mit Ausnahme dieser landesüblichen Kopfbedeckung war er europäisch gekleidet. Sein braunes Gesicht wies ein dunkles Bärtchen an der Oberlippe auf, die schwarzen Augen lagen unter leicht buschigen Brauen. „Diese Flucht“, sagte er. „ist schwerwiegender, als Sie annehmen mögen. Hassan ist nicht nur der Anführer einer der gefährlichsten Banden von Haschisch-Schmugglern, der auch vor offenen Überfällen nicht zurückschreckt, er hat zudem einen Polizisten angeschossen, als er entfloh.“ „Wie Sie mir bereits erklärten, ist er nicht aus Ihrem Spital
entwichen, wohin er seiner Verwundung wegen eingeliefert worden war, sondern bei der Überführung von dort zur Vernehmung beim Kommissar.“ „Und hatte da auf einmal einen Revolver bei sich!“ „Was allerdings merkwürdig ist. Wie deuten Sie das?“ Der Arzt stieß die Luft durch die Nase und zog den rechten Mundwinkel noch tiefer herab. Dann sah er zu dem runden Ecktisch hinüber, an dem einige korpulente Männer, Tarbusche auf den Köpfen, mit weiß gekleideten Europäern zusammensaßen. „Wenn Sie wissen wollen, wie diese ausgeklügelte Flucht Hassans möglich war und wo dieser sich gegenwärtig aufhält, so fragen Sie am besten einmal jene dickbäuchigen Herren dort drüben. Ich bin sicher, daß es der eine oder andere von ihnen weiß.“ „Wer sind denn diese Leute?“ fragte Duffard verdutzt. „Männer, die früher vielleicht Defraudanten oder sonstige Betrüger waren. Sie tragen den Nilorden zweiter oder dritter Klasse und gehen unter seinem Schutz sowie mit Hilfe von Ausländern auch weiterhin ihren trüben Geschäften nach.“ „Der Nilorden wird vom König verliehen.“ „Gewiß. Doch Faruk hat ein Privatvermögen von hundertsiebzig Millionen, er lebt in seinen Schlössern oder mit mondänen Frauen an der Riviera und läßt Ägypten von Ausländern regieren, die uns ihre Gesetze und Sitten aufzwingen, unter denen die Korruption blüht. Ach, wenn Sie unser käufliches Land kennen würden!“ Duffard, dem Franzosen, sagte dieses Thema nicht zu; er lenkte auf das andere Gespräch zurück. „Aber wieso bedrückt Sie die Flucht des Schmugglers? Sie sind lediglich Arzt.“ Chedouti schüttelte den Kopf. „Man muß hier mehr sein als Arzt, wenn man nicht nur die Rauschgiftgefahren, sondern auch die Seuche der Korruption bekämpfen will. Oben auf Mokattam liegen in meinem Spital viele haschischsüchtige
Kranke, Menschen, die des Giftes wegen haltlos und zu Verbrechern geworden sind. Deshalb arbeite ich ständig mit dem Leiter des Rausengiftdezernats zusammen. Vor zwei Wochen entfloh Hassan, und bereits jetzt sind wieder große Mengen Haschisch aufgetaucht. Der Chef des Dezernats hat in der vergangenen Nacht eine umfassende Aktion durchführen lassen, die sich bis an alle Grenzen des Landes erstreckte. Aber es kam nur ein geringes Ergebnis heraus: Auf einem Nilboot wurde Haschisch in alten Autoreifen gefunden. Aus diesem dürftigen Erfolg geht deutlich genug hervor, daß die Banden von höheren Stellen gedeckt werden. Hassan wird uns eines Tages wieder ins Netz gehen, denn er gehört zu den ganz wenigen Schmugglern, die selbst dem Gift verfallen sind. Diese Sucht wird ihn uns ausliefern. Er steht sozusagen im Außendienst, führt die Banden des Nachts über die Grenzen ins Land. Die hier in der Stadt verborgen sitzenden Hintermänner ausfindig zu machen ist noch viel wichtiger.“ „Ich glaube nun zu verstehen, warum Sie Ihre Privatpraxis aufgegeben haben und in den Staatsdienst gegangen sind.“ „Als Ägypter und Patriot habe ich mich dazu entschlossen. Man ist näher an den Wurzeln des Übels, die ausgegraben werden müssen.“ „Halten Sie das für so leicht?“ „Keineswegs, denn es ist niemals gefahrlos, Schurken entgegenzutreten, die in den Reihen der Mächtigen leben.“ Draußen hielt ein Wagen mit einem Ägypter am Steuer. „Jussuf ist da!“ rief Duffard. „Jussuf ibn Muhammed, mein Dragoman! Eine Perle von einem Fremdenführer! Als er mir vor einigen Tagen seine Dienste anbot, war ich skeptisch, denn man weiß, daß die Hauptaufgabe dieser Ciceroni darin besteht, die Touristen mit unablässigen Forderungen nach Bak-sehisch auszuplündern. Aber der immer bescheidene Jussuf hat mich eines Besseren belehrt. Er ist der modernste Dragoman Kairos, stellt sich den Fremden sogar mit eigenem Auto zur Verfügung
und spricht zudem ausgezeichnet französisch.“ „Das Französische ist hier die gebräuchlichste Umgangssprache. England übernahm liebenswürdigerweise unsere Wirtschaft und Frankreich unsere Kultur“, bemerkte Chedouti mit einer leichten Verneigung. „Daß Sie immer spotten müssen, Doktor“, klagte Duffard. „Ich persönlich kann doch nichts dafür. Und nun entschuldigen Sie mich bitte. Ich muß mit Jussuf wieder in die Basare und in die Antiquitätenläden.“ „Haben Sie die goldenen Schuhe der Nofretete noch nicht gefunden?“ scherzte der Arzt, wissend, daß der andere schrulligerweise antiken Gegenständen des Frauenbedarfs nachjagte. Duffard zeigte ein sorgenvolles Gesicht, „Glauben Sie, daß es unmöglich ist, echte Stücke zu finden?“ „Soviel ich weiß, bietet man in den Souks sogar echte Funde aus dem Grabe Tut-anch-Amons feil.“ Chedouti lächelte ein wenig boshaft. „Sie sind allerdings sündhaft teuer.“ „Und ebenso falsch wie alle anderen geschickten Nachahmungen, die man idiotischen Fremden anhängt. Ich bitte Sie, Doktor, hören Sie auf, mich in dieser Beziehung nicht ernst zu nehmen.“ Der Arzt lenkte ein. „Ein Teil der antiken Ausgrabungen liegt, wie Sie wissen, hier im Museum. Vieles andere wurde nach Paris, London, New York verschachert, und es wäre vielleicht besser für Sie, dort nachzuforschen.“ „Alles versucht. Nichts zu machen. Nicht einmal in New York, wo doch für Geld sonst alles zu haben ist. Mein Auftrag kommt von dort. Das heißt, meine Aufgabe ist es, ich muß…“ Duffard bog ab. „Sie glauben also nicht, daß ich in Kairo oder in Ägypten überhaupt Erfolg haben könnte?“ „Es wird schwer sein, hier etwas Echtes zu finden, das zum Verkauf steht.“ „Ich muß es versuchen. Jussuf wird mir dabei helfen. Er ist ein intelligenter und gewitzter Orientale. Ich hoffe, doch noch
zu meinem Ziel zu kommen.“ „Das wünsche ich Ihnen.“ Duffard stülpte seinen Tropenhelm auf und verabschiedete sich. Draußen stieg er in den nicht mehr ganz neuen, aber erprobt leistungsfähigen Renault und nahm neben seinem Dragoman und Chauffeur Platz. „Jussuf, mein Sohn, werden wir heute endlich etwas von dem entdecken, was ich suche?“ „Inschallah!“ antwortete der Ägypter. Jussuf ibn Muhammed war keineswegs so jung, daß ihm die Anrede „mein Sohn“ zukam. Aus seinem gestutzten Kinn- und Backenbart stach eine leicht geschwungene Nase hervor, und darüber blitzte ein flinkes schwarzes Augenpaar. Er trug eine braunweißgestreifte Gallabije und hatte die weiche weiße Kappe unternehmungslustig in den Nacken geschoben. „,Inschallah!“ wiederholte Duffard, als der Wagen anfuhr. „Das ist das verruchteste Wort der arabischen Sprache. Mit diesem Anruf verteidigt und entschuldigt ihr Moslems jede Schlamperei und Trödelei. ,Inschallah!’ – ,Wenn Allah will!’ Aber Allah will nicht immer, wie die Menschen wollen. Ich habe gehört, daß Geschäftsleute in euren Ländern mit diesem Wort sogar Wechsel ausstellen: ,Wird die Unterschrift auch der Bank gegenüber gut sein?’ – ,Inschallah!’„ Jussuf zeigte seine großen weißen Zähne. „Allah ist langmütig und von unendlicher Geduld. Die Hast aber kommt vom Bösen.“ „Ach! Und du fährst Auto?“ „Euch zuliebe, Effendi. Allah möge es mir verzeihen.“ Er steuerte den Wagen geschickt durch das Gewirr des Straßenverkehrs. „Ich sah vorhin Euren Freund, den Doktor, am Fenster des Cafes. Mir schien es als habe er Kummer?“ „Den macht er sich selbst, obwohl er es nicht nötig hat. Die verdammten Rauschgiftschmuggler liegen ihm im Magen.“ „Oh, darum kümmert er sich auch?“
„Auch darum, nicht nur um meinen Bronchialkatarrh. Es bedrückt ihn, daß die Polizeiaktion gegen die Schmuggler in der vergangenen Nacht nur wenig Erfolg gehabt hat.“ Jussuf hob gleichmütig die Schultern. „Er wird die Sache zu wichtig nehmen. Zu den Souks, Effendi?“ Da der andere nur nickte, bog er vom europäischen Hochhäuserviertel ab und fuhr in die übergangslos in den Seitenstraßen beginnende Araberstadt ein, in den Orient. Auf einem kleinen Platz, vor dem hufeisenförmigen Eingang zu einer Moschee, ließ er den Wagen zurück. Die beiden begaben sich in die engen, teils mit Matten überdachten Geschäftsstraßen Alt-Kairos, in die nach Gewerben eingeteilten Handwerkergassen. Hier spielte sich alles Leben im Freien ab. Auf winzigen Plätzen vor schmalen Hauseingängen stichelten Goldschmiede feinste Ziselierungen in Schmuckstücke, flickten Schuhmacher alte Sandalen, boten Händler ihre ausgebreiteten Waren feil und ließen es sich nicht nehmen, den Fremden nachzulaufen, um sie mit großem Wortschwall zum Kaufen zu veranlassen. Und zu kaufen war hier im Halbdunkel der Basare so ziemlich alles: Goldund Platinwaren in wundervollen Ausführungen, geschnitztes Elfenbein, Geschirr mit nationalen Ornamenten, farbenprächtige, kunstvolle Teppiche, alte Anzüge und Schuhe, Zeltbahnen und Kochgeschirre aus dem Weltkrieg, für Eingeweihte auch Narkotika und heiratsfähige Mädchen. Über all dem grellfarbigen Durcheinander lag Staub, überschwenglicher Lärm, der Duft aus den Läden der Gewürzkrämer und der Geruch von schmorendem Hammelfleisch aus den Garküchen. Bettler und Kinder riefen nach Bakschisch. In Hülle und Fülle wurden auch Antiquitäten aus altägyptischer Zeit angeboten, von Skarabäen bis zu Ramsesstatuen; Gegenstände, die zweieinhalb- bis dreitausend Jahre alt sein sollten und die vielleicht erst vor wenigen Tagen in den Werkstätten der Souks hergestellt worden waren. Duffard hatte diese Basare schon oft genug durchforscht.
Auch heute nahm er hter ein Armband auf, dort eine Statuette; doch er warf die erstaunlich raffiniert gearbeiteten Nachahmungen verächtlich zurück. „Jussuf, mein Sohn“, klagte er, „es hat keinen Zweck, hier weiterzusuchen. Wenn du ein guter Dragoman bist und ein Stück Geld verdienen willst, dann führe mich dorthin, wo ich finde, was ich brauche.“ Der Ägypter legte den Kopf seitwärts und breitete die Hände aus. „Effendi, ich habe Euch nicht nur hierher, sondern auch an andere Orte des Handels geführt, die ein Fremder kaum aufzufinden vermag. Man bot Euch vieles, aber Ihr kauftet nichts.“ „Weil mir nur Fälschungen angeboten wurden!“ brauste Duffard auf. „Nur Schund! Ich will echte Stücke aus echten Ausgrabungen.“ „Ich weiß.“ Jussuf nickte bedächtig. Er verbarg ein Lächeln der Zufriedenheit und sah den anderen mit einem prüfenden Blick an, etwa wie man eine Frucht betrachtet, um festzustellen, ob sie schon reif ist. „Gehen wir also zu Hussein-Ali, einem der ältesten und kundigsten Antiquitätenhändler Kairos.“ „Warum hast du mir das nicht früher gesagt?“ „Weil Hussein-Ali zwar alt ist, aber noch nicht so alt, daß er heute oder morgen schon sterben wird“, antwortete Jussuf mit philosophischer Belehrung, die ein wenig über seine Stellung als Dragoman hinausging. Sie holten den Wagen und fuhren durch ein Wirrwarr gewundener Straßen in den unverfälscht orientalischen Stadtteil Muski. Hier hielten sie vor einem kleinen. Laden, hinter dessen Schaufenster einige sehr schöne Kunstgegenstände ausgestellt waren. Der niedrige Raum, den sie betraten, war überfüllt mit Raritäten, mit herrlich ornamentierten Porzellangefäßen, silberbeschlagenen Schatullen, gediegenen Kleinodien aus Gold und Platin. Jussuf mußte zweimal rufen, ehe Hussein-Ali die Portiere öffnete und hervortrat – ein Greis mit breitgewickeltem Turban
und wallendem gepflegtem Bart. Er trug eine indigofarbene Gallabije, hatte die Hände in den weit herabhängenden Ärmeln verkreuzt und verneigte sich nun mit großer Würde. „Salem aleikum! Gelobt sei Allah, der Eure Schritte zu mir lenkte! Womit können ich und mein Haus dienen?“ Jussuf, der das Arabische ins Französische übersetzte, nannte dem Händler die Wünsche des Europäers. Der Alte wiegte ein paarmal den Kopf, sah eine Weile auf seine grünen Samtpantoffeln hinab, dann bat er die Besucher Platz zu nehmen. Langsam strich er dreimal über seinen langen Bart. „Es wird Euch bekannt sein, Effendi, wie selten solche echten Funde aus Königsgräbern sind.“ Die bärtigen Lippen spitzten sich. „Wohl besitze ich einige solche Funde. Aber ich hüte sie wie mein Augenlicht. Verkaufen? Nein.“ Der umständlichen arabischen Sitte des Handelns nicht unkundig, legte Duffard, um sie abzukürzen, kurzerhand Brieftasche und Scheckbuch vor sich hin. „Zeig, Hussein-Ali, was du hast.“ Zögernd, immer noch kopfschüttelnd, erhob sich der Alte, ging in den Hinterraum und kam nach geraumer Weile mit einem goldbeschlagenen Kästchen zurück, das er bedeutungsvoll sacht auf den Ladentisch stellte. „Niemand weiß, daß mein Haus einen solchen Schatz birgt“, flüsterte er. Die gespreizten Finger hebend: „Aus dem Grabe Tut-anch-Amons.“ Duffard setzte seine Brille auf, prüfte sorgfältig das Holz, die Beschläge, die Scharniere. Dann nickte er. „Alle Anerkennung. Eine wirklich wundervolle Arbeit. Nur stammt sie nicht aus der Pharaonenzeit, sondern aus der Gegenwart. Künstlich auf alt behandelt.“ „Diese kostbare, nicht ein zweites Mal zu findende Schatulle soll nicht echt sein?“ rief Hussein-Ali. Er breitete die Arme zur Decke aus. „Der Fluch Allahs über den Verkäufer, diesen Sohn einer Hündin, der mich betrogen hat!“ Eine Flut von grollenden
Verwünschungen schloß sich diesen Worten an, aber auf Duffards kurz abwinkende, beschwichtigende Geste hin beruhigte sich der zürnende Alte erstaunlich schnell und verschwand mit dem Kästchen. Bald darauf kam er mit einer Vase aus halb durchscheinendem Alabaster zurück, die er wie ein Heiligtum niedersetzte. Es war ein herrliches Werk, zweihenklig, auf vier Löwenfüßen ruhend, in edelgeschwungener Form emporstrebend und ringsum die breiteste Rundung mit schon eingedunkelten Hieroglyphen versehen. „Sie stammt aus den Königinnengräbern von Theben“, hauchte Hussein-Ali. „Man sagt, sie käme sogar aus dem Grabtempel des weiblichen Pharaos Hatschepsut. Auf geheimnisvollen Wegen gelangte sie zu mir und ist so einzig und kostbar, daß ich ein Stück meines Herzens hergäbe, würde ich sie verkaufen.“ Duffard atmete schneller beim Anblick dieser Vase. Er nahm eine Lupe zu Hilfe, untersuchte die Alabastermasse, prüfte die Hieroglyphen. Dann sah er auf. „Weißt du, HusseinAli, daß es auch gewisse Säuren gibt, mit denen man die Echtheit solcher Gefäße feststellt?“ „Wunder über diese Wahrheit!“ rief der Alte. „Ich benutze sie selbst, um mich gegen Betrug zu sichern.“ „Nun wohl.“ Duffard holte ein Fläschchen aus der Tasche. Doch bevor er es öffnen konnte, sprang der Händler auf. „Im Namen des Mitleidigen und Barmherzigen! Vernichtet mir mein Vermögen nicht!“ Er griff das kostbare Stück und eilte mit einer Geschwindigkeit, die man ihm nicht zugetraut hätte, davon. „Nichts“, sagte Duffard und ließ die Schultern hängen. „Auch hier nur Imitationen. Komm, Jussuf.“ „Wohin?“ fragte der Dragoman draußen und zeigte, ganz im Gegensatz zu seinem Begleiter, ein vergnügtes Gesicht.“ „Zum Hotel. Für heute habe ich genug von diesen endlosen Enttäuschungen. Morgen gehen wir ins Museum.“ „Sehr wohl“, dienerte Jussuf. „Ich fürchte nur, Effendi, auch
das wird nichts nützen.“ Er lächelte… Seine Frucht reifte. In dem nüchtern getünchten Amtszimmer des Rauschgiftdezernats nahm Dr. Chedouti seinem Freund Achmed Sadec gegenüber Platz und reichte ihm eine ausländische Zeitung, wobei er mit dem Finger auf einen angestrichenen Artikel wies. „Da: König Faruk von Ägypten hat durch seinen Schweizer Gesandten gegen die angeblich verletzenden Berichte über ihn und die wirtschaftlichen Verhältnisse seines Landes protestiert.“ Das knochig-hagere Gesicht des Chefs verzog sich zu einem Grinsen. „Es ist leicht, zu protestieren, wenn man von goldenen Tellern ißt.“ „Dieser diplomatische Schritt lenkt die Aufmerksamkeit des Auslandes wieder einmal auf das Elend, das bei uns und auch in den anderen arabischen Staaten herrscht. Und Elend heißt für Zehntausende von uns – Haschisch.“ Sadec zündete die lange braune Zigarette an. „Ich habe nicht die Absicht, meine Hände in die Taschen zu stecken, sondern werde tun, was für Ägypten gut ist.“ Ein uniformierter Polizeibeamter trat ein und überreichte Sadec ein Telegramm. Der las es und schlug mit der Hand auf den Tisch. „In Port Said geht es auch wieder los. Ein unbemanntes Segelboot wurde dort aufgebracht, in dem man Haschisch im Werte von über zweihunderttausend Pfund Sterling fand.“ „Die Burschen sind also nicht mehr dazu gekommen, ihre Waren zu bergen und in den Handel zu bringen.“ „In hundert andern Fällen glückt es ihnen.“ „Und bei uns? Noch keine Spur von Hassan?“ Sadec winkte ab. „Ist gar nicht einmal so wichtig. Er führt mit seinen Beduinen, von denen, wie Sie wissen, ganze Stämme aHein vom Schmuggel leben, das Gift aus den östlichen Herkunftsländern über die berüchtigten Wüstenstraßen heran. Aber
wer übernimmt es hier? Von welchen Stellen in Kairo aus wird es verbreitet? „Damit müssen wir selbst fertig werden. Von den Engländern haben wir keine Hilfe zu erwarten. Was planen Sie?“ „Da die Aktion im Lande draußen nichts Sonderliches zuwege gebracht hat, starte ich in den nächsten Tagen eine umfassende Razzia in der Stadt, vornehmlich in den anrüchigen Cafes von Muski und Schubra.“ „Hoffentlich...“ Tiefe Stille lag in den hohen, dämmerigen Hallen, in denen die jahrtausendealten Reste der einstigen Weltmacht Ägypten ruhten. Keiner von den andachtsvoll staunenden Museumsbesuchern wagte ein lautes Wort. Überwältigend war der Anblick steinerner Monumentaldenkmäler der Pharaonen, der gemeißelten Standbilder uralter Gottheiten, der Sarkophage, Altäre, Opfersteine, der Mumien mit goldenen Masken. Lächelnd blickte Amenophis neben seiner verzauberten Gattin Teye vom Sockel herab auf die Neugierigen, die nach dreitausend Jahren zu ihnen kamen. Duffard stieg mit Jussuf die Treppe zum oberen Stockwerk hinauf, dessen vorderer Teil von Polizisten mit Karabinern bewacht wurde. Hier waren die im Werte unerrechenbaren Schätze aus dem Grabe Tut-anch-Amons untergebracht, das Howard Carter im Jahre 1922 nach mehrjährigem Suchen im „Tal der Könige“ bei Luksor entdeckt hatte. Die Nischen, in denen die beiden einst ineinandergeschichteten Innensärge aus Gold, verziert mit Halbedelsteinen, Fayence- und Glasarbeiten, der goldene Königsthron, die Waffen und Schmuckgegenstände ausgestellt waren, wurden von Gittern geschützt, und eine dreisprachige Aufschrift gebot, daß nicht mehr als zwanzig Personen zu gleicher Zeit den Raum betreten durften. Schon in der großen Mittelhalle des Erdgeschosses hatte Duffard wenig Augenmerk für die steinernen Kolossalstatuen ge-
habt. Auch jetzt auf der Galerie übersah er das Allerheiligste des Museums, lief unruhig zu anderen Nischen und Vitrinen, betrachtete begehrlichen Blicks jene Gegenstände, die aus den Frauengemächern der Pharaonenzeit stammten, die Kronen, Diademe. Ringe, Ohrgehänge, die Vasen, Schatullen, Schminkdosen… Anbetend stand er vor diesen Kleinodien – und kalkulierte. Greifbar nahe lagen die Dinge, die er suchte, derentwegen er die Reise zum Nil unternommen hatte, vor ihm und waren doch unerreichbar. So oft hatte er schon vor diesen abgesperrten Nischen gestanden, daß ihn nun bereits zwei Wärter in Zivil argwöhnisch umschlichen. Duffard faßte einen Entschluß. Er wies mit dem Zeigefinger auf eine Bank und forderte Jussuf auf, dort zu warten. „Ich gehe zum Leiter des Departements für Altertümer.“ „Ah!“ sagte der Ägypter gedehnt und setzte eine Miene auf, die beinahe Mitleid ausdrückte. „Effendi, Ihr wollt Antiquitäten mit dem Scheckbuch erwerben? Nun wohl, geht und lenkt Eure Schritte dann zu mir zurück.“ Er nahm nicht auf der Bank Platz, sondern blieb vor den Schätzen Tut-anch-Amons stehen, die er schmunzelnd betrachtete, indem er gleichfalls kalkulierte. Es dauerte geraume Zeit, ehe Duffard gesenkten Kopfes zurückkam. „Ein Vermögen habe ich dem Direktor für einige seiner Museumsartikel geboten. Ausgelacht hat er mich!“ Er setzte sich neben den Ägypter und grübelte verzweifelt. „Jussuf, mein Sohn“, flüsterte er nach einer Weile des Schweigens und sah dabei zu den Nischen hinüber, „man muß etwas unternehmen. Sind denn diese Räume hier auch nachts bewacht? Ich denke… ich meine, daß ich viel Geld zur Verfügung habe, und wenn du geeignete Leute hättest…“ „O Herr“, antwortete Jussuf ebenso leise, „die Paragraphen unserer Gesetze werden auch nachts mit Karabinern behütet. Laßt ab von dem unseligen Gedanken, der Allahs Geboten wi-
derspricht.“ Nach einer kleinen wirkungsvollen Pause fuhr er fort: „Ich habe ein anderes Unternehmen für Euch bereit, das einzige, das zum Ziele führen kann.“ „Du hast…?“ Jussuf nickte bedächtig ernst „Begleitet mich in mein Haus, Effendi, dort werden wir ungestört über das sprechen, was Euch dienlich ist und auch mir.“ In einer engen, winkligen Straße der Altstadt ließ Jussuf den Wagen vor der bröckelnden Lehmmauer stehen, die dem Hause mit der gelbgetünchten Fassade und den kleinen, vergitterten Fenstern angegliedert war. Durch ein Tor geleitete er den Gast in einen Garten mit Mangobäumen, mit bunten Blumenrondellen, in deren Mitte ein Springbrunnen sprudelte. Feingefiederte Tamarisken neigten sich über das Bassin. Jenseits des Gartens, dem gelben Hause gegenüber, lag ein langgestrecktes Gebäude, offenbar ein Speicher. Den einladenden Handbewegungen des Dragomans folgend, betrat Duffard den zu ebener Erde gelegenen Wohnraum; er befand sich in einem komfortabel ausgestatteten Gemach, mit Teppichen an den Wänden, mit gepolsterten Ruhebänken, niedrigen Tischchen und Taburetts. Eine kunstvoll gearbeitete Ampel hing von der Decke herab. Gebeten, sich kurze Zeit allein zu gedulden, sah sich Duffard im Raum um, sah in die schwarzen Sudanesenaugen des halbwüchsigen Dieners, der Eisgetränk und Zigaretten brachte, und wartete auf das Erscheinen eines fremden Hausherrn, dem dieser Luxus gehörte. Statt dessen erschien nach kurzer Weile Jussuf ibn Muhammed in einer Gallabije aus kostbarem Stoff, statt des schlichten Käppoaens den Tarbusch des Effendis auf dem Kopf, und verneigte sich mit gekreuzten Armen. „Willkommen in meinem bescheidenen Heim. Omar wird uns sogleich Kaffee bringen.“ „Jussuf… Das ist dein… Das ist Ihr Haus?“ „Die allgütige Hand Allahs hat es mir beschert“, bejahte der
Gastgeber und fuhr ohne weitere bildreiche Floskeln des Orientalen in wohlgesetztem Französisch fort: „Monsieur Duffard, ich glaube Ihnen eine Zeitlang als Dragoman ehrlich gedient zu haben.“ „Ich verstehe nicht…“, brachte der Gast hervor. „Sie werden verstehen, wenn ich Ihnen sage, daß ich Sie zufällig in den Basaren sah, wo Sie nach Altertümern forschten. Ich bemerkte, wie sehr enttäuscht Sie waren, nicht weiterkamen, und bot mich Ihnen als Dragoman an, um Ihnen zu helfen.« „Mir ist bis heute nicht geholfen worden.“ „Bis heute!“ Jussuf nickte, nahm dem eintretenden Omar die hauchdünnen Kaffeetassen ab, öffnete anbietend die Zigarettendose und bediente das Feuerzeug. „Bis heute, weil Sie erst einmal Zeit haben sollten, sich von der Aussichtslosigkeit zu überzeugen, in unseren Souks und Antiquitätenläden echte antike Stücke zu finden.“ „Und wo finde ich sie?“ warf Duffard ein, der allmählich seine Verblüffung überwand. „Ich sagte Ihnen bereits, daß ich Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten habe. Ich bin kein Dragoman, sondern ein Baumwollhändler. Also bin ich Geschäftsmann, und mein Vorschlag ist ein Geschäft für uns beide. Sie sollen Ihre echten ägyptischen Altertümer haben. Mehr noch: Sie sollen sie selbst ausgraben.“ Duffard fuhr auf. „Sie kennen ein noch unentdecktes Grab?“ Zweifelnd und mißtrauisch setzte er hinzu: „Und warum graben Sie nicht allein?“ Der andere legte den Kopf seitwärts. „Die ägyptische Regierung bewilligt für solche Ausgrabungen keine Mittel. Selbst wenn ich sie auf eigene Kosten unternähme, geschähe die Ausführung unter behördlicher Kontrolle, und die Funde gingen ins Museum. Mir bliebe nichts als der sogenannte Kuhm des Entdeckers. Ihnen als Ausländer, als Franzosen, wäre es ein leichtes, auf dem Wege über Ihre Gesandtschaft vom Generalinspek-
teur für antike Ausgrabungen die Erlaubnis zu erhalten. Sie könnten mit angeworbenen Arbeitern, die ich besorgen würde, ungehindert und unkontrolliert graben, und die Funde…“ Er breitete die Hände flach aus und lächelte. „Es steht auf mancher Kiste ,Glas’, und man weiß nicht, ob Glas drin ist.“ Duffards Gesicht hatte sich gerötet. Er blies den Rauch der süßlich schmeckenden Zigarette von sich; ihm war auf einmal so frei und leicht zumute. „Woher kommt Ihnen die Kenntnis von dem Grabe?“ „Ich stamme aus der Gegend von Luksor. Was ich weiß, ist ein seit langem gehütetes Familiengeheimnis, das auf eine günstige Lösung wartet. Allah führte Ihre Schritte über meinen Weg, Monsieur Duffard, denn an dem Ort, den ich kenne, liegt das Grab einer Frau.“ „Wo?“ Duffard sprang auf. „In der Nähe von Luksor?“ „Ja, am Rande des ,Tals der Könige’. Aber eine solche Ausgrabung ist nicht in wenigen Tagen getan, sie verlangt Wochen und Monate. Können Sie durchhalten?“ „Geld spielt keine Rolle“, stieß Duffard hervor. „Und damit könnte man wohl auch das Zeitliche schneller vorwärtstreiben.“ „Ich nehme an, daß Sie für einen Auftraggeber arbeiten?“ Der Antiquitätenhändler, drückte den Zigarettenrest aus. Wie hell und deutlich auf einmal die Farben des Wandteppichs hervortraten. Die Ampel über ihm schien zu leuchten, und die zuvor noch hitzeschwere Luft war weich geworden. Duffard war begeistert, fühlte sich zu gelöst, als daß er sich hätte länger zurückhalten können. „Mein Auftraggeber“, bekannte er, „ist eine amerikanische Millionärin, der einige altägyptische Gegenstände in die Hände kamen und die es sich nun in den Kopf gesetzt hat, Ihr Boudoir im Stile einer Pharaonin auszustatten, um darin als Nofretete II. zu leben. Ein Spleen, aber ein Spleen, der für mich rentabel ist. Und was verlangen Sie?“
„Über meine Beteiligung würden wir nach dem Erfolg schon einig werden. Wir werden beide nicht zu kurz kommen.“ „Wann können wir anfangen?“ „Sobald Sie die Erlaubnis von den Behörden haben.“ „Ich gehe morgen sofort zur Französischen Gesandtschaft.“ „Sie wissen, daß unser Abkommen ein Privatunternehmen ist, das strengstes Stillschweigen erfordert?“ sagte Jussuf nachdrücklich. „Auch Ihr Freund Dr. Chedouti darf nichts davon wissen. Er steht etwas dicht mit den Überwachungsorganen zusammen.“ „Nur mit dem Rauschgiftdezernat.“ Duffard lachte. „Um Ausgrabungen kümmert er sich nicht.“ Er reichte seinem Partner bekräftigend die Hand. „Ich werde mich hüten, jemand, wer es auch sei, ein Wort über unser Vorhaben zu sagen.“ Dann wechselte er den Platz, setzte sich auf den Diwan und lehnte sich weit zurück. „Nie habe ich Farben so leuchten sehen wie auf dem Teppich dort drüben!“ sagte er. „Vielleicht macht das die Gewißheit, nun endlich zum Ziel zu kommen.“ „Oder es kommt daher, weil Sie soeben eine Haschischzigarette geraucht haben.“ Duffard richtete sich auf. „Das war eine…“ „Es war eine. Ich freue mich, daß sie Ihnen zu gesteigertem Wohlbefinden verholfen hat, und wollte Ihnen damit zeigen, daß dieses kleine anregende Präparat doch harmloser zu sein scheint, als es seine Verfolger wahrhaben möchten.“ Duffard atmete nun bewußt den noch im Raume schwebenden Rauch ein. „Eine solche Zigarette hat doch nur einen ganz geringen Prozentsatz von Haschisch. Und der bewirkt schon diese Beschwingtheit?“ „Es muß wohl so sein. Ich selbst rauche sie nicht, obschon sie in der Stadt überall zu haben sind.“ „Und Haschisch direkt aus der Pfeife?“ Jussuf hob die Hände. „Monsieur Duffard, das ist eine heikle Angelegenheit, mit der ich nichts zu tun haben will.“
Duffard spitzte die Lippen, in seinen Augen lagen Neugier und lüsternes Verlangen. „Jussuf ibn Muhammed, es ist zu erwarten, daß ich mit Ihrer Hilfe nunmehr zu meinem geschäftlichen Ziele komme. Aber ich weile indessen am Nil, und ich wäre nicht in Ägypten gewesen, hätte ich nicht auch einmal das vielgerühmte und vielgeschmähte Haschisch kennengelernt. Können Sie mir nicht auch dazu verhelfen?“ „Ihr Freund Dr. Chedouti und Kommissar Sadec…“ „Ich kann schweigen wie ein Pharaonengrab.“ „Wenn Sie den Baumwollhändler Jussuf ibn Muhammed fragen, so muß er verneinen, aber der Dragoman Jussuf weiß natürlich in Kairo Bescheid. Wenn Sie wirklich schweigen können…“ „Mein Wort darauf. Über die Ausgrabung gilt es auch zu schweigen.“ Am Abend holte Omar den Antiquitätenhändler im Hotel ab. Wohin er ihn durch dunkle Straßen und immer enger werdende Gassen führte, wußte Duffard nicht. Die Füße stolperten über holpriges Pflaster und Kehrichthaufen. In einem Gassenwinkel hielt der junge Sudanese vor einer niedrigen, schmalen Tür, die den Anschein erweckte, als sei sie seit Jahrzehnten nicht mehr geöffnet worden. Omar gab ein Klopfzeichen und kratzte zudem ein paarmal mit den Fingernägeln an dem morschen Holz. Hinter dem Tor erklang eine leise, kaum hörbare Frage, auf die Omar eine ebenso leise arabische Antwort gab. Dann knarrte die Tür in den Angeln, der Sudanese ging davon, und Duffard folgte dem schweigend voranschreitenden Schatten durch einen langen Gang, in dem die Schultern beiderseits die Wände berührten. Nach einer Biegung des Flurweges wurde es endlich hell, und der Besucher gelangte in ein kleines nischenartiges Gelaß, das nichts weiter enthielt als eine Lagerstatt und ein Tischchen, auf dem eine Kerze brannte. Der Führer verschwand. Statt seiner erschien nach einer Weile ein feister Orientale mit
gelbem Turban und spitzem Knebelbart, der sich tief verbeugte und des Ankömmlings Frage mit einer wehrenden Handbewegung unterbrach. „Ich weiß, o Herr, wozu sich Euer Fuß zu mir bemühte. Subeda wird Euch bedienen.“ Als auch der Orientale gegangen war, setzte sich Duffard auf den Diwan, sah sich in dem engen Raum um und atmete süßlichen Geruch ein. Wenig später wurde der Vorhang beiseite gezogen, und ein braunes Mädchen trat ein, schwarzhaarig, mit großen weißen Zähnen, die Fingernägel mit Henna rot gefärbt. Sie brachte eine lange Holzpfeife, die bereits gestopft war, und bat: „Zündet sie an der Kerze an, Effendi, und träumt Euch in die Gärten der Freude, die Allah verheißen hat.“ Ein paar Augenblicke lang blickte der Besucher noch auf die Portiere, die sich hinter der lächelnd entschwindenden Braunen geschlossen hatte, und prüfte dann, ein wenig skeptisch, das Rauchgerät. Aber wozu noch zögern? Er war hier im dunkelsten Kairo, um ein Stück orientalisches Märchen aus Tausendundeiner Nacht zu erleben. Kurz entschlossen nahm er die Kerze auf, zündete die Pfeife an, zog den entquellenden Rauch ein. Das enge, niedrige Gelaß füllte sich mit bläulichen Schwaden. Ist das alles? fragte er sich nach einigen Minuten, streckte sich auf dem Lager aus und sog weiter, bis das nußbraunfarbene Holzgetäfel der Wände buntere Töne anzunehmen begann, der anfangs noch herbe Geschmack des Rauches weicher und süßer wurde. Sein Körper verlor seine Schwere, war emporgetragen in lichte Weiten, die nie gekannte Farben ausfüllten und in denen zarte Geigenklänge und gedämpfte Trommelwirbel tönten… Duffard erhob sich mit wirrem Kopf, blickte sich fremd in der engen Kabine um und trat dann torkelnd in den nur matt beleuchteten leeren Gang hinaus. Wieviel Zeit mochte vergangen sein? Noch halb in der Traumwelt, folgte er den Geräuschen von Musik und Stimmengewirr. Er sah Licht durch eine Por-
tiere aus Holzperlenschnüren schimmern und öffnete sie. Vor ihm lag ein Caferaum in gediegenem orientalischem Stil, mit fensterlosen glattweißen Gipswänden, in die Schränke mit edlem Zierat eingelassen warer. An den Gesimsen darüber zogen sich Arabesken und Ornamente aus kunstvoll verzierter arabischer Schrift – offenbar Koransprüche – hin. An der Wand des runden Raumes entlang verliefen ledergepolsterte Bänke, auf denen Araber, teils mit angezogenen, gekreuzten Beinen saßen; vor ihnen, auf niedrigen Tischchen, gurgelten die Wasserpfeifen. Und zu der gedämpften Musik aus kleinen Geigen und hölzernen Trommeln tanzte Subeda auf farbig glasierten Fliesen. Duffards umflorter Blick fiel in gerader Richtung auf einige Europäer in moderner Kleidung, die es sich in Lehnstühlen um einen Tisch bequem gemacht hatten. Wo war er diesen behäbigen korpulenten Leuten schon einmal begegnet? Im Cafe seines Hotels, als er mit dem Arzt dort zusammensaß? Er glaubte von drüben her die Worte: „Achtung! Ein Freund des Chedouti!“ zu vernehmen. Und was starrte ihn jener dunkelbraune, noch junge Araber im weißen Burnus, der zu ihrem Kreise gehörte, so drohend an? Bevor der Eindringling noch weiterzudenken vermochte, sprang der Beduine plötzlich auf, stürzte auf den Holzperlenvorhang zu. „Hassan!“ klang es hinter ihm her. Aber es war schon zu spät! Duffard wurde in den Gang zurückgestoßen und mit festem Griff am Halse gepackt. Er bemerkte noch, daß der knebelbärtige Wirt beschwichtigend hinzukam, dann wußte er nichts mehr. Als er im nebligen Morgengrauen fröstelnd erwachte, fand er sich auf einer Bank am Nilufer wieder. Er hatte einen schalen, süßlich-faden Geschmack auf der Zunge. ,Der Ventilator kreiste am Plafond; die brasilianische Kapelle
spielte Bizets „L’Arlsienne-Suite“. „Was soll das heilende Klima helfen, was meine Rezepte nutzen, wenn Sie rauchen?“ sagte Dr. Chedouti mit leisem Vorwurf. „Sie sehen schlecht aus, Ihre Augen sind trübe.“ Duffard drückte mit etwas zitternder Hand die Zigarette aus und ärgerte sich dabei über seine offenkundige Nervosität. Er war müde und zerschlagen nach der wirren Nacht im dunklen Kairo, aber auch hoffnungsvoll beglückt, denn er hatte am Vormittag ohne sonderliche Schwierigkeiten die schriftliche Erlaubnis erhalten, in der Nähe von Luksor zu graben. Beide Begebenheiten aber galt es hier zu verschweigen. „Sagen Sie, Doktor“, wich er daher aus, „Sie haben mir viel von der Jagd nach den Schmugglern erzählt. Ist denn Haschisch nun wirklich so gefährlich, wie man es hinstellt?“ Chedouti zog die Brauen zusammen und schob die Unterlippe vor. „Monsieur Duffard, in unseren Provinzen grassiert als großes Übel noch immer die Cholera, aber das Gift aus präpariertem Hanf, das man Haschisch nennt, ist schlimmer, weil es schleichender ist.“ „Man sagt jedoch…“ „… daß man damit den Himmel auf Erden erreichen kann. Gewiß, im Haschischrauseh wird jeder Fellache zu einem Märchenprinzen, den die Huri des Paradieses laben. Aber das ist der Anfang. Wenn Sie das Ende sehen mögen… Ich gehe jetzt in mein Spital hinauf. Wollen Sie mitkommen?“ Duffard stimmte zu. Auf Wagen und Straßenbahn verzichtend, führte ihn der Arzt in das Labyrinth altstädtischer Gassen, die bald so eng wurden, daß sie zwei Menschen nebeneinander gerade noch Durchlaß gewährten. Erker mit Holzgittern neigten sich in den oberen Stockwerken schräg einander zu; an Leinen hing Wäsche dazwischen. Diesen Teil Kairos hatte Duffard bisher noch nicht betreten. Lag er wirklich nur wenige Minuten Weges von den blumen-
geschmückten Boulevards, von den Hotels mit Marmorfassaden entfernt? Bis hierher klang das Lachen der Sorglosen nicht; hier wohnte, weltweit von Pracht und Glanz getrennt, in bröckelnden Lehmhütten das Elend. Rachitische Kinder spielten in Gesellschaft von Hunden im Straßenschmutz; Krüppel hockten in Türöffnungen, und halbnackte, ausgemergelte Gestalten mit schwärenden Wunden und entzündeten Augenlidern sahen hungrigen Blicks auf die Passanten. Abfälle, längst zu stinkendem Staub verfault, verbreiteten unerträgliche Gerüche. In diesem Stadtteil des Unrats schien alles zu leiden, Menschen und Tiere… „Das ist das, was die Fremden bei uns Orient nennen“, bemerkte Chedouti bitter. „Der Schutt hinter den Palästen.“ Sie gingen dem Gebirge von Mokattam zu, hinauf in die von hohen Mauern umgebene Zitadelle, durchschritten die weiten Höfe. Im Spitalflügel des Gefängnisses folgte Duffard dem Arzt in einen großen Saal mit vergitterten Fenstern. Hier lagen sie, in Reihen auf primitiven eisernen Betten unter schwarzen Wolldecken: Rauschgiftsüchtige, die des Giftes wegen zu Verbrechern geworden. Krank, entnervt, entstellt wälzten sie sich auf ihren Lagern, stöhnten und schrien, verzerrten die Gesichter, gestikulierten im Delirium. Es waren Männer mit unförmig aufgetriebenem Körper darunter und andere, von denen nicht viel mehr als das Skelett übriggeblieben war. Den meisten aber sah bereits unheilbarer Wahnsinn aus glanzlosen Augen. Chedouti bemerkte, wie sein Gast sich beim Anblick dieser Gefängnispatienten, beim Hören des delirierenden Schreiens verfärbte, und bat ihn an die frische Luft hinaus, auf das Dach der Zitadelle. Duffard wischte sich den Schweiß von der Stirn, sah auf die Millionenstadt hinunter, aus der die schlanken Säulen der Minaretts emporstachen. „Das Präparat ist im ganzen Lande verboten?“ fragte der
Franzose. „Nicht nur der Handel damit und der bloße Besitz, sogar das Rauchen des Rauschmittels ist verboten. Aber… Noch ist es Tag, und die Sonne verbirgt nichts; doch wenn die Nacht ihren Schleier über die Stadt senkt, dann kommt es heran, von überallher. Von Port Said kommt es, falsch deklariert, in Frachtbooten, in Güterwagen, jeder Benzinkanister im Auto auf der Chaussee kann es enthalten; Beduinen, die seit Urväter Zeiten vom Schmuggel leben, bringen es über die Wüsten heran, besonders von der Sinaihalbinsel her. Es kommt jede Nacht aus tausend dunklen Quellen, deren Ursprung und Lauf nur jene wohlbäuchigen Herren kennen, die Sie im Luxusrestaurant gesehen haben. Und auch ihre ausländischen Teilhaber an dem Geschäft kümmern sich den Teufel um die Opfer. Gekauft wird das Gift vom kleinen, ärmsten Volk, das ihm Gesundheit, Freiheit und Leben dafür gibt. Diese Armen fliehen aus ihrem Elend in den Haschischrausch, und Haschisch bringt sie noch mehr ins Elend.“ Duffard nagte unbehaglich an der Lippe. „Das also ist Haschisch.“ „Sie dürfen dieses Spital nicht mit einer europäischen Trinkerheilanstalt vergleichen. Die Wirkung des Hanfgiftes ist ungleich zerstörender. Sein verheerender Einfluß auf das Nervensystem und den Gesamtorganismus, gegen den jede medizinische Kunst vergebens ist, bedeutet mehr als nur die Rauschsucht eines einzelnen. Haschisch bedeutet die Vernichtung unseres Volkes, schlechthin den Untergang Ägyptens.“ „Und die Bekämpfung?“ „Was können wir mehr tun, als wir bereits getan haben? Wir Ägypter regieren nicht, wir werden regiert. Selbst unsere Rauschgiftabteilung wird von englischen Offizieren geleitet. Meinen Sie, daß diese Leute ein Interesse daran haben, unsere Menschen von dem Übel zu befreien? Denken Sie an den damaligen Opiumkrieg Englands, der China zur Öffnung von
Freihäfen für die Einfuhr des Giftes zwang.“ „Aber Ihre Polizei…“ „… ist zu sehr damit beschäftigt, die Demonstrationen der Studenten und Fellachen zu unterdrücken, die gegen das Farukregime protestieren. Doch von eben diesem Volke wird einmal die Unabhängigkeit Ägyptens entschieden werden. Achmed Sadec und seine Getreuen tun, was sie können. Aber die Widerstände von oben, die jede Bereinigung, jeden Fortschritt unterdrücken, sind zu groß. Unser Volk liegt auch heute unter* dem gleichen Joch, unter dem es vor Jahrtausenden schon lag.“ Von der Sattelhöhe des Dschebel el Kurna, jenes kahlen Gebirgszuges, der das oberägyptische Nilgebiet von der Libyschen Wüste trennt, reicht der Blick weit hinaus über den Fluß auf die jenseits liegenden Städte Luksor und Karnak, in deren Nähe die erhabenen Tempelbauten aus vergangener Zeit seit Jahrtausenden zu Ruinen verwittern. Der Blick findet das Dorf El Kurna, das wegen unablässiger Grabräubereien der Einwohner von seinem früheren Lageort an das Ufer des Kanals verlegt worden war; er fällt steil hinunter in die Stätten des Todes, in die Täler der Königsgräber aus der Herrschaftsepoche der Pharaonen, findet den berühmten Terrassentempel der Königin Hatschepsut, den Tempel Ramses II. die Kolossalstatuen von Amenophis III. die unzähligen im Sonnenglast liegenden Eingänge zu Grüften und Schächten. Es sind die letzten, tief in den Felsen gehöhlten Ruhestätten altägyptischer Könige, die nach den vielen Plünderungen der Pyramiden ihre Gräber nicht mehr hoch über dem Wüstensand errichteten, sondern sie in abgelegenen Felsentälern an möglichst unauffindbaren Stellen tief ins Gestein schlagen ließen, sie gegen Entdeckung vermauerten und verschütteten. Doch auch diese Vorsicht, den goldgeschmückten und mit unermeßlichen Schätzen versehenen Mumien die ungestörte Ruhe zu sichern, fruchtete nichts; nur we-
nige Grüfte blieben im Laufe der Jahrtausende von Räubern unentdeckt und verschont. Robert Duffard sah durch die Sonnenbrille lange auf diese Nekrepole hinab, auf die von Forschern geöffneten Grüfte, von denen der Inhalt jeder einzelnen die gespannte Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit hervorgerufen hatte. Seine Augen suchten dabei immer wieder südwärts über die sichtversperrenden Berge hinaus. Dort, am Fuße eines abgelegenen Hanges, gruben seit zwei Wochen sechs braune Männer aus dem Dorfe El Kurna an der von Jussuf ibn Muhammed bezeichneten Stelle nach der neu zu entdeckenden Grabstätte. War es ein zu hoch gesetztes, ein aussichtsloses Beginnen? Er schüttelte die Zweifel ab. So vielen Forschern aus aller Herren Länder hatten Wagemut und Ausdauer schon den Ruhm der Entdeckung eingetragen. Howard Carter hatte nach Jahren vergeblichen Suchens doch noch das geheimnisvolle Grab Tutanch-Amons entdeckt. Warum sollte es ihm, Duffard, mit Jussufs Hilfe nicht auch glücken? Der sinnend Spekulierende seufzte bei diesem Gedanken.^ Nein, mit dem Ruhm war nichts, denn das Unternehmen, sofern es Erfolg haben sollte, mußte geheim bleiben, zumindest so lange, bis die zu erwartenden Funde über Mittelmeer und Ozean in New York angelangt waren. Auch die Wachen, die an der Barriere am Eingang zum „Tal der Könige“ postiert waren, durften nicht stutzig gemacht werden. Pah, diese Posten! Man hatte von der ägyptischen Behörde die schriftliche Erlaubnis zum Graben in der Tasche; das galt als Passepartout für alles. Zudem lag der Ort der Nachforschung außerhalb des Sperrgebietes, und man hatte mit den Leuten an der Barriere nichts zu tun. Die beißende Trockenheit der oberägyptischen Hitze trieb Duffard zum Aufbruch. Er verließ seinen hochgelegenen Platz in der Felseneinsamkeit, kraxelte zu der Stelle hinab, wo ein
schmaler Weg begann. Hier wartete ein Fellachenjunge, den er engagiert hatte, mit zwei weißen Reiteseln. Eine halbe Stunde weit ritten sie zu dem Arbeitsort, den Duffard täglich aufsuchte, und wieder verzog sich sein Gesicht zu Falten des Unmuts, als er die sechs Braunen aus El Kurna abermals untätig vor dem Stollen sitzen sah, getrocknete Datteln verzehrend. Für seine drängende Ungeduld ging diese Ausschachtung viel zu langsam vonstatten. Er trieb die Säumigen zum Fleiß an und stellte ihnen reichlich Bakschisch in Aussicht, worauf sich die sechs mit offenbar zufriedenen Grinsen an die Arbeit begaben. Wenn nur Jussuf öfter hier wäre! Bei ihm ging alles wie am Schnürchen. Aber „Effendi Baumwollhändler“ kam wöchentlich nur zweimal in seinem Renault, was ihm nicht zu verübeln war, denn die Entfernung von Kairo betrug immerhin mehr als sechshundert Kilometer. Duffard sah den Männern zu, di« sich mit Spitzhacken und Schaufeln in das steinige Erdreich hineinarbeiteten, mit Karren das Geröll zutage brachten und es ringsum zu Halden aufwarfen. Nur wenige Meter von diesem Stollen entfernt führte ein anderer Schacht in den Felsen, der Zugang zu einer vor langer Zeit einmal geöffneten Grabkammer. Jussuf hatte erklärt, daß hier einst die Ruhestätte des Oberintendanten der königlichen Bauten von Theben gefunden worden sei, und das Nachbargrab, das Duffard jetzt freilege, müsse die Gruft der Gattin des alt-ägyptischen Baumeisters sein, die aus fürstlichem Geschlecht stammte. Schon beim ersten Hiersein hatte Duffard unter Jussufs Leitung dieses Totengewölbe betreten. Ein schmaler Gang führte schräg abwärts und endete in einer geräumigen Kammer, die vielleicht schon vor tausend Jahren ausgeraubt worden und nun leer war, bis auf einiges neuzeitliches Gerümpel und die vielen Fledermäuse, die erschreckt durch den Gang ins Freie flatterten und, vor dem grellen Sonnenlicht Schutz suchend, wieder ins Dunkel zurückkamen. Der Boden war dicht bedeckt mit dem
Kot der geflügelten Säugetiere. Als anscheinend abergläubischer Muselman hatte Jussuf seinen Begleiter schon damals vor dem Betreten der Grabkammer gewarnt. Der Ort sei nicht geheuer; man entsinne sich, daß der damalige Entdecker bald nach der Öffnung der Gruft gestorben sei, und man wisse ja auch, daß viele ausländische Forscher, die Sieh frevelhaft in die heiligen Gräber begeben hätten, der Fluch der Pharaonen heimgesucht habe. Sie seien an einer unerklärlichen Krankheit geendet, der die ärztliche Wissenschaft machtlos gegenüberstand. Auch diesmal, ohne Jussuf, waren die sechs Braunen auf das Wohl ihres Arbeitgebers bedacht, wollten ihm unter vielen abschreckenden Gesten den Eintritt verwehren. „Führt die Geister der Toten nicht in Versuchung, o Herr! Bewahrt Kure Gesundheit und Euer Leben!“ Doch Duffard schob die beiden, die den Eingang versperrten, beiseite, ließ die Taschenlampe aufleuchten und ging durch den Schacht in die modrigdumpfige Kammer hinunter. Fledermäuse huschten umher. Im hinteren Winkel waren Geräte, Kisten und Karren aufgestellt. Offenbar benutzten die sechs Araber diesen kühlen Raum als Aufenthaltsort für die allzu vielen Arbeitspausen, um der Hitze zu entrinnen. Duffard kümmerte sich nicht um das Warngeschwätz der beiden, die ihn begleiteten, er setzte sich auf eine Kiste und ließ den matten Lichtschein über die einstmals gekalkten, jetzt dunkel verwitterten Wände gleiten. Eine etwas dürftige Grabkammer, kritisierte er, nicht zu vergleichen mit den Prunkräumen in der Gruft Tut-anch-Amons, die er vor kurzem besucht hatte. Dort hängen elektrische Lampen von den Decken, und man sieht den steinernen Sarkophag mit einem der drei einst ineinandergeschichteten goldenen Särge. Die anderen Schätze waren im Museum von Kairo zu betrachten. Hier dagegen gab es nichts außer Gerümpel, Fledermäusen und vielleicht auch Skorpionen, vor denen man sich in dieser Gegend in acht neh-
men mußte. Aber das Nachbargrab! Vielleicht noch von niemandem zuvor entdeckt, von keinem beraubt? Es war durchaus nicht töricht, ihm nachzuforschen; erst vor kurzem hatte die Weltpresse bekanntgegeben, daß ein holländischer Wissenschaftler weitere siebzig Grüfte aus der Zeit der ersten ägyptischen Dynastie entdeckt hatte. „Herr, bleibt nicht länger an diesem Ort!“ drängten die beiden Araber beschwörend. Es war weniger die Warnung als der unerträgliche Gestank von faulendem Fledermauskot, der Duffard zur Umkehr veranlaßte. „Wieder nichts?“ fragte Dr. Chedouti. „Nichts“, antwortete Achmed Sadec und ging mit düsterer Miene im kahlen Amtsraum auf und ab. „Nichts“, wiederholte er, ohne die lange braune Zigarette aus dem Mundwinkel zu nehmen. „Auch die zweite umfassende Razzia in der Stadt war ein Schlag ins Wasser. Sechzehn verdächtige Cafes, vornehmlich in der Nähe des übelbeleumundeten Fischmärktes, habe ich diesmal mit meinen Leuten kontrolliert, aber in allen saßen, als wir kamen, die Leutchen harmlos beim Schachspiel, und auf den Tischen gurgelten friedlich die Wasserpfeifen. Von Haschisch natürlich keine Spur. Und doch ist es da!“ „Sollte man vielleicht doch Port Said mehr im Auge behalten?“ „Nein!“ rief Sadec. „Auch die berüchtigte Wüstenstraße von Sinai her zu kontrollieren hat keinen Zweck mehr. Wenigstens vorläufig. Das Rauschgift kommt, wie mir gemeldet wird, in letzter Zeit aus dem Süden. Man scheut also der besseren Sicherheit wegen auch den großen Umweg über die hintere Wüste nicht, um die Schmuggelware durchzuschleusen.“ „Von Süden?“ Chedouti schüttelte verwundert den Kopf. „Von Assuan her? Man hat allerdings vor kurzem dort Beduinen angesiedelt.“ „Die sind es nicht. Ich habe mich mit Assuan in Verbindung gesetzt. Dort ist alles ruhig, auch im Gebiet der Sudangrenze.
Also liegt der Herkunftsort des Giftes dazwischen. Vielleicht in oder bei Luksor oder Karnak? Die neuesten Berichte scheinen das zu bestätigen.“ „Sollte Hassan jetzt dort sein Unwesen treiben?“ „Hassan!“ fuhr Sadec auf. „Zum Teufel mit Hassan! Ich will vor allem wissen, an wen er hier in Kairo liefert! Wer bringt das Gift in der Stadt in Umlauf? Aber wie sollen wir das herausbekommen, wenn jedes unserer Unternehmen verraten wird? Wenn die feinen Herren mit dem Orden im Knopfloch selbst in den verdächtige« Lokalen sitzen, von nichts wissen und dabei gedeihen wie Zuckerrohr im Nilschlamm?“ „Was sagt man in Karnak und Luksor?“ „Die scheinen dort zu schlafen, wissen nichts weiter zu berichten als von einigen vielleicht verdächtigen Ziegen- und Schaftransporten in der Nähe des Dorfes El Kurna.“ Chedouti winkte ab. „Die Bewohner El Kurnas sind zumeist Goldschmiede, die von Fälschungen altägyptischer Kunstwerke leben. Was geht’s uns an, wenn sie ihren Trödel den Touristen anhängen.“ „Vielleicht leben sie nicht allein von Fälschungen. Ich werde mir die Gegend einmal genauer ansehen, ohne dabei unsere Dickbäuchigen in der Stadt aus dem Auge zu lassen.“ Robert Duffard trank Eiswasser, das in jedem ägyptischen Hotelzimmer in Thermosflaschen bereitsteht. Aber auch das vertrieb die Hitze nicht, die ihn durchglühte, schadete sogar dem Magen, der in letzter Zeit nicht mehr recht intakt war. Die Muskeln schmerzten, und aus dem Spiegel sah ihm ein abgezehrtes Gesicht mit fiebrigen Augen entgegen. Dieses Klima am oberen Nil! Er klingelte, ließ sich vom Kellner eine Flasche Martini, französischen Wermut, heraufbringen. Vielleicht half dieser heimatliche Trunk. In der Tat schienen die Beschwerden nachzulassen, als die Flasche halb leer war. Er erhob sich von seinem Lager. Da klopfte es. Ismael, einer der braunen Arbeiter, trat herein, mit
strahlendem Blick, wichtigen Gebärden. „Effendi“, flüsterte er, „ruft mit einem Telegramm sofort Jussuf ibn Muhammed herbei. Wir sind am Ende des Schachtes auf eine alte Mauer gestoßen. Offenbar auf den Eingang zu dem Grabgewölbe.“ Mit einem Sprung stand Duffard auf den Beinen. „Eine Mauer?“ Ismael legte zwei Finger an den Mund. „Leise, Effendi! Laßt niemanden etwas merken. Wartet auf Jussuf, und kommt mit ihm, sobald es dunkel geworden ist.“ Duffard faßte sich an die Schläfen, als Ismael gegangen war. Hatte ihn das Fieber übermannt? Der Eingang zur Gruft lag frei? Das Grab war entdeckt? In nicht viel mehr als zwei Monaten sollte er das erreicht haben, wozu Howard Carter Jahre gebraucht hatte? Er lief hinunter, eilte mit unsicheren Schritten zum Postamt und alarmierte Jussuf durch ein Blitztelegramm. Dann ging er ins Hotel zurück, in die Bar, trank Kognak und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wie lange würde es dauern? Selbst bei schnellster Fahrt in seinem Renault konnte Jussuf kaum vor Abend hier sein. Wie langsam die Stunden verrannen! Trotz Martin« und Kognak begann der Magen sich wieder zu wälzen, in den Gliedern zog und schmerzte es. Jussuf erschien viel früher als erwartet, heiter, mi t vergnügten Augen. Dann fragte er besorgt: „Ich hörte, Sie sind krank?“ „Wer sagt Ihnen das?“ Der Baumwollhändler biß sich auf die Lippen. „Es war… Einer meiner Leute war in Kairo, um über den Fortgang der Arbeiten zu berichten. Er erwähnte auch, daß Sie ein wenig angegriffen seien.“ „Lappalie!“ Der Franzose winkte ab und zog den andern in eine Ecke der noch leeren Bar. „Jussuf“, flüsterte er, „die Wand, der Eingang, das Grab! Wir haben es! Jussuf, mein Sohn…!“ Dann plötzlich aus glückli-
cher Hoffnung in abermals erwachenden Zweifel fallend: „Und darauf sollte noch kein anderer gekommen sein?“ Der Araber trank langsam einige Schluck von dem Kaffee, den der Kellner gebracht hatte, und erklärte mit überlegenem Lächeln: „Monsieur Duffard, ich will Ihnen kurz eine Begebenheit erzählen, die sich vor fünfundsiebzig Jahren in dieser Gegend, aus der ja auch ich stamme, zugetragen hat und die beweist, daß nicht nur die klugen ausländischen Forscher, sondern auch die dummen Ägypter der Neuzeit einiges über die unterirdischen Geheimnisse des Landes wissen. Damals legte eine hiesige Familie ein über Jahrtausende völlig unberührtes Grab frei, das unermeßliche Schätze enthielt. Ganz im geheimen natürlich. Ihr Bankkonto schwoll an, und sie gelangten in wenigen Jahren zu Reichtum. Dennoch waren nicht alle Familienmitglieder vorsichtig genug. Die in Kairo immer häufiger auftretenden echten Fundstücke erregten die Aufmerksamkeit der Ägyptologen und damit auch die der Polizei. Die Familie wurde aufgespürt und ihre Bemühungen mit der harten Bezeichnung ,Grabräuberei’ belegt. Warum ich Ihnen das erzähle? Um Ihnen begreiflich zu machen, wieviel Vorsicht auch in unserem Falle geboten ist.“ „Ist mir durchaus klar. Ich brauche Sie als wissenden Ägypter, und Sie brauchen mich als geschützten Ausländer.“ Gegen Abend ließen sie sich mit der Fähre übersetzen und gingen zu der Fellachenhütte, um sich die beiden Reitesel auszuleihen. Der Begleitung des braunen Boys bedurften sie diesmal nicht. Jussuf war schon ein Stück voraus, als sich Duffard noch immer mit dem Aufsteigen bemühte. Er krümmte sich, hielt sich die schmerzende, würgende Magengegend. Der alte Fellache, ein entfleischt hagerer Mann mit zerzaustem Bartgesträhn, sah ihn eine Weile aufmerksam an und mahnte: „Geht nicht in die Gräber hinab, Effendi. Denkt an den Fluch der Toten.“ Duffard bestieg ächzend den Esel, ritt davon und überlegte
nun erst: Was denn? Die Krankheit ein Fluch der Pharaonen? Unsinn! Das verdammte Klima ist es, das Eiswasser oder der Martini, der vielleicht nicht echt war. Am Ort der Ausschachtung erhoben sich die sechs vor dem Eingang hockenden Braunen. In gespannter Erwartung schritt Duffard hinter Jussuf in die Höhlung hinein, ließ die Stablaterne aufleuchten. Der vom Geröll befreite, nun mit Balken abgestützte Schacht führte etwa sieben Schritt weit schräg ins Erdreich. Und dort, zur rechten Seite des Ganges, zog sich jetzt ein Stück freigelegte Mauer hin, von deren unverkennbar künstlich geformten Quadern die Arbeiter schon einige gelockert hatten, so daß es nur noch einiger Handgriffe mit der Brechstange bedurfte, um sie aus dem Gefüge zu lösen. So schwach sich Duffard fühlte, er griff kurzerhand nach dem Eisen, bemühte sich mit Jussufs Hilfe, die Steine herauszubrechen, bis einige dumpf polternd zu Boden fielen und sich eine Öffnung in der Wand bot. Der Franzose kroch als erster hindurch. Dunkel umfing ihn. Doch nun, als der Lichtschein den kleinen quadratischen Raum absuchte, den vielleicht seit Jahrtausenden keines Menschen Fuß mehr betreten hatte, weiteten sich seine Augen. Dort… Und dort… Fast die ganze hintere Wand der Kammer ausfüllend, erhob sich eine regalartige Stellage, in der, symmetrisch geordnet, Gegenstände aufgereiht waren, die nun im Lichte glänzten und flimmerten: Leuchter aus Bronze, Prunkbecher aus durchscheinendem Alabaster, ein Pokal in Lotosform, kunstvoll geschnitzte Figuren aus Ebenholz und Elfenbein, zierliche Schatullen, mit Silber beschlagen, das einen wundervollen Ton von Edelrost angenommen hatte, grell bemalte Kästchen mit gewölbten Deckeln. Vor diesem Aufbau standen zwei Stühle aus Rotholz und Binsengeflecht, um deren Lehnen sich holzgeschnitzte Schlangen ringelten; ihre Sitzflächen trugen Getreidekörner in flachen Schalen.
Duffard trat an einen Toilettentisch heran, betastete mit unendlicher Behutsamkeit die Salbgefäße. Aber Jussuf lenkte ihn ab, reichte ihm schweigend die kleine, aus Elfenbein wundervoll gestaltete Figur des Schakalgottes Anubis, eines Sinnbildes der Unterwelt. Mit zitternder Hand nahm sie der Antiquitätenhändler entgegen, drehte und wendete sie wieder und wieder. „Dreitausend Jahre!“ hauchte er dabei vor sich hin. „Mehr als dreitausend Jahre!“ Jussuf zeigte keine sonderliche Begeisterung. „Nicht viel“, bemängelte er. „Kein Sarkophag, keine Mumie mit goldenen Schätzen. Wahrscheinlich befinden wir uns erst in einem der üblichen Vorräume zur eigentlichen Gruft. Wir werden weitergraben müssen.“ War es die Erregung über den Fund, war es das Fieber, das im Blut lag – Duffard wurde es dunkel vor Augen, in seinen Schläfen hämmerte es; er taumelte ein wenig. „Kommen Sie“, drängte Jussuf, „die Luft hier unten tut Ihnen nicht gut. Nehmen Sie den Anubis mit. Das andere holen wir später.“ Draußen bezeichnete der Araber zwei seiner Leute, die als Wächter vor dem Schachteingang zurückbleiben sollten, und gebot den anderen, zu weiterem Schutze morgen eine Holztür vor dem unteren Eingang zur Gruft anzubringen. Als Ismael ein paar Worte des Einwandes vorbrachte, wurde er hart angezischt: „Schweig, du Hundesohn, und tu, was ich dir aufgebe!“ Duffard wunderte sich ein wenig, daß sein sonst so heiterer Partner auch böse werden konnte, aber im Dämmerzustand seines fiebrigen Kopfes achtete er nicht weiter darauf. Die linde Nachtluft erfrischte. Die Landschaft war vom Mondlicht wie mit Milch Übergossen; dunkel zeichneten sich die Silhouetten der schroffen Bergzüge ab. Nach einer Weile schweigenden Hinunterreitens begann Jussuf: „Und jetzt keine Unvorsichtigkeiten, die alles andere gefährden könnten. Für mich hat diese erste Entdeckung noch keine Funde von Gold und sonstigen materiellen Werten ge-
bracht. Ich hoffe, meinen Anteil aus der noch aufzufindenden zweiten Grabkammer holen zu können. Wohin wollen Sie die für Sie bestimmten Antiquitäten bringen?“ Daran hatte Duffard noch nicht gedacht. In das Hotel von Luksor? In das andere von Kairo? Das ging ja gar nicht. Alle diese kostbaren Altertümer mußten aufs sorgfältigste in Watte und Holzwolle verpackt und in größeren Kisten untergebracht werden. Einen ganzen Warenstapel würde das ergeben. Ratlos überlegte er und kam letztlich auf nur eine Möglichkeit. „Jussuf, kann ich die Funde nicht vorläufig bei Ihnen unterbringen? Nur so lange, bis ich sie in Ruhe sortiert und transportmäßig verpackt habe, um sie nach New York aufgeben zu können.“ „Das ist riskant für mich.“ „Aber ich habe doch keinen anderen Ausweg!“ Der Araber wiegte ein paarmal den Kopf und stimmte endlich zu. „Gut. In meinem Keller.“ „Jussuf, mein Sohn! Wenn ich Sie nicht hätte!“ „Den Transport der Kisten müßten Sie allerdings selbst übernehmen. Sie haben den schützenden Ausweis der Kairoer Behörden.“ „Aber wie? Mit der Bahn? Mit dem Schiff?“ „Mein Renault ist flink wie ein Beduinenpferd und hat Platz genug für Bagage. Man müßte nur öfter fahren.“ „So geht es!“ begeisterte sich Duffard. Jussuf nickte. „Ja, so geht es.“ Nicht nur im Fieberrausch des Entdeckers, auch unter wirklichem Fieber, das ihn in einen ständigen Dämmerzustand versetzte und den kränkelnden Körper erschreckend abmagern ließ, führte Duffard während der folgenden Wochen die Überführungen der Funde nach Kairo durch. In der Gruft, die nun durch eine hölzerne Gittertür gesichert war, hielt er die Arbeiter zur behutsamsten Sorgfalt beim Verpacken der Gegenstände an. Die Antiquitäten wurden in Watte
gehüllt und in Kisten mit Holzwolle versenkt, die Jussuf bereitgestellt hatte. Die sechs braunen Männer waren jetzt eifrig bei der Sache, und des öfteren fand Duffard bei seinem Erscheinen die für den diesmaligen Transport bestimmte Kiste schon fertig gepackt und verschnürt vor. Am Abend wurde das Gepäck mit einem Esel zum Nilufer geschafft. Jussuf war vorsichtig. Er verzichtete auf die Fähre von Luksor, hatte ein Privatboot gemietet, auf dem die Fracht bis an die Chaussee von Karnak gebracht wurde. Dort erst lud man sie in den Renault um, und der Araber setzte sich ans Steuer. Zuweilen kam es vor, daß der Wagen auf dem langen Wege bis zur HauptStadt von Patrouillen angehalten wurde; doch dann zeigte der Franzose seinen Ausweis nebst der Kairoer Bescheinigung, und die Wächter wurden höflich. „Ein Ägypto-loge. Ein Forscher. Kann passieren.“ Tief unter Jussufs Baumwollmagazin lag der Keller, in dem die ungehindert transportierten Kisten gestapelt wurden. Es war dunkel in den niedrigen Gewölben, und die Kerze, die der Hausherr auf einen Teller klebte, reichte mit ihrem Schein nicht weit. Duffard wollte sogleich auspacken, in den Schätzen wühlen, sich an ihrem Glanz berauschen, aber der andere wehrte lässig ab: „Lassen Sie doch, bis wir alles beisammen haben.“ Zynisch setzte er hinzu: „Nachher können Sie es als Datteln oder Tomaten nach New York deklarieren.“ „Es wird noch lange dauern, ehe alles hier ist.“ „Ma’alesh!“ entgegnete Jussuf mit orientalischer Geduld. „Wie sehen Sie denn aus?“ rief Chedouti entsetzt, als er seinem Patienten wieder einmal im Hotelrestaurant gegenübersaß. „Lassen Sie mich Ihren Puls fühlen.“ Und nach einer Weile: „Sie sind ernstlich krank. Kommen Sie morgen vormittag zu einer gründlichen Untersuchung zu mir. Vorläufig dieses Rezept gegen das Fieber.“
Während der Arzt den Zettel ausfüllte, lehnte Duffard müde, aber entschlossen ab: „Zum Zubettgehen habe ich vorläufig keine Zeit. Ich stelle meine Nachforschungen jetzt im Lande draußen an und habe… und glaube, daß sie Erfolg bringen könnten.“ Er steckte dankend den Rezeptschein ein und brachte dann stockend hervor: „Eine törichte Frage, Doktor! Gibt es in Ihrem Land eine Krankheit, die sich als ,Fluch der Pharaonen’ bezeichnen läßt?“ Chedouti lachte nicht, er betrachtete sein Gegenüber aufmerksam. „Waren Sie in den Gräbern?“ „Natürlich habe ich studienhalber das Grab Tut-anch-Amons aufgesucht und auch einige andere, aber…“ Hatte er schon zuviel verraten? Er brach ab und erhob sich. „Wir sprechen ein andermal darüber. In einigen Wochen vielleicht werde ich mich gern Ihren Anordnungen fügen. Zur Zeit geht es nicht. Bis später!“ Kopfschüttelnd sah Chedouti dem Davongehenden nach. Aber er kam zu keiner weiteren Überlegung. Vom Hintergrunde des Lokals her steuerte Achmed Sadec auf den Tisch zu, setzte sich und fragte ohne Einleitung: „Das war Ihr französischer Freund Duffard?“ „Freund ist zuviel gesagt. Er ist bei mir in Behandlung, entgleitet aber in letzter Zeit meiner Aufsicht.“ „… nach Luksor“, ergänzte der Kommissar trocken. „Hat er Ihnen erzählt, daß er dort ein altägyptisches Grab entdeckt hat?“ „Mit keinem Wort! Das Grab eines Königs? Oder gar das, was er suchte: Die Gruft einer Königin? Sie wissen mehr als ich.“ „Er wird sich wundern“, sagte Sadec und kaute an seiner langen Zigarette. „Aber so erklären Sie mir doch…“ „Eine vorherige Erklärung würde Ihnen den Reiz an dieser tragikomischen Angelegenheit nehmen. Haben Sie Lust, noch
heute mit nach Luksor zu kommen? Diesmal sind die Nachrichten, die ich erhielt, echt. Heute nacht schlagen wir zu.“ „Natürlich bin ich dabei.“ Duffard taumelte und schluckte Tabletten, die das Fieber ein wenig milderten. Die nun nahe winkende Aussicht auf das gute Geschäft und der Ehrgeiz, auch noch den Ruhm eines Entdeckers zu erlangen, ließen ihn trotz körperlichen Verfalls standhalten. Bald in seinem Hotelzimmer in Luksor, bald in jenem von Kairo, lag er, geplagt von Muskelschmerzen, auf seinem Bett und betrachtete mit unnatürlich glänzenden Augen den kleinen Schakalgott Anubis in seiner flachen Hand. Heute, müde von der langen Fahrt, packte er in seinem Kairoer Zimmer eine zierliche Schatulle aus, die er in der Gruft insgeheim an sich genommen hatte, gierig, weitere Gegenstände aus dem Grabe bei sich zu haben. Beinahe zärtlich strich er mit den Fingerspitzen über den grellbunt bemalten Deckel, dessen Farben noch jetzt so leuchtend waren wie unter den Händen des Künstlers von einst. Ein paar winzige Teilchen des Farbüberzuges blätterten unter der Berührung ab, gaben den Untergrund frei. Duffard beugte sich näher darüber und stutzte. Er nahm die Lupe zur Hand, untersuchte die bloßgelegten Stellen – und erstarrte. Das war kein Holz, das Jahrtausende übe-dauert hatte! Und die Farben? Er hob den Deckel, vermutend, als Inhalt des Kästchens Getreidekörner vorzufinden. Was war hier geschehen? Statt der Ährenfrüchte fand er kleine, prall gefüllte lederne Beutel. Als er einen davon öffnete, schnellte er empor. „Das ist…“ Seine Gedanken überschlugen sich. Er stürzte aus dem Zimmer, lief hinunter, zur Telefonzelle. Von Omar hörte er, daß Jussuf ibn Muhammed nicht im Hause sei. Bei Chedouti meldete sich niemand. Was war zu tun? Sollte er bei Sadec anrufen? Aber damit wäre zugleich das ganze Unternehmen der Entdeckung verraten. Nein, hier mußte selbständig gehandelt
werden. Er ließ sich vom Hotelboy ein Taxi herbeiholen und wurde mit dem Chauffeur über eine Schnellfahrt nach Luksor einig. Zusammengesunken saß er im Fond des Wagens und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Stunden hindurch fuhr er, sah nichts von der Landschaft, von den üppigen Feldern, den Eukalyptusbäumen, die den Fahrweg säumten; er achtete nicht auf die lange Reihe der Pyramiden, die sich bei Memphis viele Kilometer weit am Wüstenrande hinzogen, und auch nicht auf die ockergelben Tempelruinen von Karnak. Es war dunkel, als er in Luksor ankam und den Fahrer entlohnte. Er nahm sich nicht einmal Zeit, sein Hotelzimmer aufzusuchen, ließ sich mit der Fähre über den Fluß setzen, holte den Reitesel bei dem alten Fellachen und ritt ohne Begleitung davon. Schwankend im Sitz, „führte er das Tier den Bergen zu. Mondlicht lag über dem Geklüft. Sicher und lautlos schritt der Esel den schmalen Pfad hinauf, jenseits des Bergrückens ging es in leichten Serpentinen wieder talwärts. Bei der Wegbiegung nach Süden hielt Duffard an, sah den von Geröllhalden umgebenen Ort der Ausschachtung. Gestalten bewegten sich dort. Die sechs Arbeiter? Es hatten doch nur zwei von ihnen Nachtwache, und diese grabenden Araber pflegten dunkle Gallabijes zu tragen. Da unten aber zeigten sich helle Gewänder, weiße Burnusse, von denen sich das schwarze Stirnband abhob. Ein riesiger Beduine stand Wache bei den Pferden. Als der Eselreiter den Pfad nach unten einschlug, hörte für einige Augenblicke jede Bewegung im Tal auf; und ehe er erfassen konnte, woher sie gekommen waren, sah er sich auf einmal von drohenden Gestalten umringt. Die dunkelbraunen Männer unter hellen Kappen bedurften ihrer langen, gekrümmten Dolche nicht, die in Scheiden an den Gürteln hingen; sie hielten ihm moderne Maschinenpistolen entgegen. Jussuf ibn Muhammed war darunter. Er stieß einen halblauten arabischen Fluch aus und eilte dann, plötzlich überaus freund-
lich, mit ausgebreiteten Armen auf den unerwarteten Ankömmling zu. „Monsieur Duffard! Zu so später Stunde? Und ganz allein?“ „Wer sind diese Leute?“ fragte Duffard und stieg ab. „Oh, es sind gute Freunde von mir, Leute aus dem nahen Dorfe El Kurna.“ „Und was machen sie hier?“ „Besucht haben sie mich, Monsieur Duffard, besucht auf ihrem Ritt nach Norden oder Osten“, gab Jussuf zur Antwort. „Sind Sie gekommen, um eine weitere Kiste abzuholen?“ Duffard trat dicht an den allzu freundlichen Araber heran und fragte leise: „Jussuf, was war in der kleinen bunten Schatulle? Wie kam das da hinein?“ „In der Schatulle? Was soll denn darin gewesen sein?“ sagte der andere gedehnt. Ein noch junger Beduine trat hinzu und wechselte ein paar Worte mit Jussuf. „Hassan!“ rief Duffard, den Beduinen wiedererkennend, der ihn in jener Nacht des Haschischrauchens aus dem arabischen Cafe in den Kabinengang zurückgestoßen hatte. Der Erkannte verzog keine Miene, nur seine schwarzen Augen stachen, und seine Hand griff langsam zur Pistolentasche. Aber Jussuf beschwichtigte ihn, er schlichtete und begütigte nach beiden Seiten hin, indem er lachend von einem kleinen Mißverständnis sprach. Duffard trat so entschlossen, wie es ihm seine Mattigkeit gestattete, auf den Eingang des Schachtes zu. „Ich will die anderen Gegenstände sehen. Die Verpackung.“ „Aber Monsieur Duffard, warum diese Eile? Warten Sie doch, bis es Tag wird“, riet Jussuf zur Geduld und postierte sich wegversperrend vor der Höhlung. „Ich befehle Ihnen, mir die Gruft freizugeben!“ „Alle Befehle kommen allein von Allah“, sagte der Araber sanft und verneigte sich mit gekreuzten Armen, ohne beiseite
zu treten. Erst als er insgeheim einen Blick mit dem jungen Beduinen gewechselt hatte, wies er mit einladender Handbewegung auf den dunklen Gang und folgte dem Voranschreitenden in den Schacht. Duffard ließ die Taschenlampe aufleuchten, tappte einige Schritte weit schräg hinab und suchte dann mit dem Lichtkegel in der Grabkammer umher. Die Regale waren leer geworden. Zwei Kisten mit Holzwolle standen zur Verpackung bereit. In der einen lag, schon halb in Watte gehüllt, eine große Alabastervase. Er nahm sie auf, sah hinein… „Hundesohn!“ zischte es da hinter ihm. Zugleich erhielt er einen Stoß, der ihn gegen das Regal warf. Das Gerüst stürzte um, fiel über ihn. Mit einem Sprung war Jussuf an der Ausgangsöffnung, verschwand im Dunkel. Die Holztür schlug zu, und wenige Augenblicke darauf polterten draußen schwere Steine in den Gang herunter, verdeckten den Weg nach oben. Geröll folgte; eine Wolke aus Sandstaub durchzog die Gruft. Stöhnend befreite sich Duffard von der Last des auf ihm liegenden Gestells, ertastete mit Händen, die kaum noch wußten, was sie taten, die entglittene Lampe, taumelte zur Tür und rüttelte daran. Sie gab nicht nach. Immer mehr Geröll fiel in den Schacht herab. Ein Geräusch von der Rückseite der Kammer her ließ ihn sich umwenden. Dort, hinter dem gestürzten Regal, befand sich nahe dem Erdboden eine Öffnung in der Wand, die jetzt vom jenseitigen Raum her von unsichtbaren Händen ebenfalls mit großen Steinblöcken verschlossen wurde. Gefangen! Vermauert! schoß es ihm durch den Kopf. Die Lampe fiel ihm aus der Hand und erlosch. Die Knie erlahmten; im Dunkel der Grabkammer sank er zu Boden. Das letzte, was er zu vernehmen glaubte, hörte sich an wie Pferdegetrappel und Schüsse, die oben durch die Nacht peitschten… Duffard erwachte erst nach einigen Tagen. Der brennende
Stich einer Wanze ließ ihn munter werden. Er vernahm keine Schüsse mehr und kein Pferdegetrappel, sondern die helle, singende Stimme des Muezzins. Durch das vergitterte Fenster erkannte er den Rufer im Turban hoch oben auf dem Rundgang des Minaretts. Ein vergittertes Fenster? Der Kranke versuchte sich im Bett aufzurichten, sah durch den kahlen, leeren Raum. „Wo bin ich?“ „Im Spital der Zitadelle“, antwortete Chedouti. „Im Spital? Wieso in der Zitadelle?“ flüsterte Duffard matt. Er sah das Ideine dünne Lächeln unter des Arztes Stutzbärtchen nicht, hörte nur die Worte: „Sie sind verdächtig, am Rauschgiftschmuggel teilgenommen zu haben. Man fand Haschisch in Ihrem Hotelzimmer, wohlverpackt in einem bunten Holzkästchen.“ Der Beschuldigte fuhr auf, sank aber sogleich wieder ächzend zurück. „Ich hätte am Schmuggel teilgenommen? Betrogen bin ich worden, mit dem Grab ebenso wie mit den ledernen Beuteln.“ „Das wissen wir. In kurzer Zeit wird sich dieses Mißverständnis auch offiziell aufklären. Dann sind Sie frei.“ Chedouti nickte vor sich hin. „Vertrackte Sache, das mit dem Grab. Glücklicherweise kamen wir rechtzeitig hinzu, um Sie herauszuholen.“ „Wie war denn das eigentlich? Mein Kopf ist so wirr.“ „Kurz gesagt: Jussuf und seine Leute benutzten Sie, um im deckenden Schatten Ihrer behördlich zugestandenen Ausgrabung ihr Schmugglerunwesen zu betreiben. Man ließ Sie einen Stollen in eine längst leere Gruft graben, die ihren Zugang bereits vom Nachbarschacht her hatte, in dem sich das Rauschgiftlager der Bande befand. Die von Ihnen angeblich entdeckte Kammer füllte man mit Imitationen altägyptischer Gegenstände.“ „Alles Fälschungen?“ „Bis auf den kleinen Schakalgott Anubis, den man Ihnen, um Sie in Sicherheit zu wiegen, in die Hände spielte. Gewiß eine
Kostbarkeit, aber es war kein Risiko, denn eines Tages, früher oder später, wären Sie in der Gruft, die Sie sich selbst gegraben haben, umgekommen, und der geliehene Schakalgott wäre wieder zu seinem Eigentümer gelangt. Das hätte vielleicht noch eine Weile gedauert, denn Sie brachten ja in den Kisten, gesichert durch Ihren Passepartout, das Rauschgift so schön nach Kairo, in Jussufs Keller.“ Duffard stöhnte. „Ich habe diese Fälschungen nicht erkannt!“ „Sie waren krank, hatten Fieber. Und wenn Sie nicht durch Infektion von selbst in diesen Zustand geraten wären – ich bin sicher, daß Jussuf dann andere, aber ähnliche Wege, vielleicht mittels Haschischkügelchen, gefunden hätte, Ihnen das klare Bewußtsein zu nehmen und sich Ihrer zu vergewissern.“ „Was ist mit Jussuf?“ „Er ist in Gewahrsam, nebst seinen Beduinen. Nur Hassan entkam in jener Nacht. Wenn wir auch ihn gestern festnehmen konnten, so verdanken wir das Monsieur Duffard.“ „Mir?“ „Sie haben uns im Fieber eine so genaue Beschreibung des arabischen Cafes gegeben, in dem Sie Ihr Haschischabenteuer erlebten, daß es möglich war, jenen Gastwirt mit dem Knebelbart ausfindig zu machen. Dort entdeckten wir auch Hassan, im Haschischrausch auf dem Lager einer Kabine.“ „… einer Kabine“, wiederholte der Kranke. „Ja. Vielleicht war es dieselbe, Monsieur Duffard. Aber das ist nun erledigt. Auch die bedenkliche Krisis in Ihrer Krankheit ist überstanden. In einiger Zeit werden Sie frei und wieder gesund sein. Sie kehren nach Paris zurück, kaufen und verkaufen dort Antiquitäten. Wir hier werden weiterarbeiten, weiter gegen die Seuchen in unserem Land ankämpfen, auch mit einem heute noch gewagten Zugriff nach oben. Ägypten wird endlich einmal den Ägyptern gehören.“ Duffard nahm die Worte des Arztes nur mit halbem Ohr auf; er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt.
„Meine Krankheit, Doktor… War es der ,Fluch der Pharaonen’?“ „Wenn man es mystisch nehmen will, ja.“ Chedouti lächelte. „Es sind wirklich schon viele Forscher, die alte Grabkammern betreten hatten, an einer unerklärlichen Krankheit zugrunde gegangen. Bisher. Inzwischen haben die medizinischen Wissenschaftler herausgefunden, daß es sich bei diesem Phänomen nicht um einen sagenhaften Pharaonenfluch handelt, sondern um einen noch unbekannten Bazillus, den sogenannten Histoplasmosis, der dem Kot der Fledermäuse entstammt, die in den Höhlen nisten. Dieser ,Fluch der Pharaonen’ läßt sich mit Penicillin erfolgreich bekämpfen, und damit bringe ich auch Sie in Kürze wieder auf die Beine.“ Trotz dieser zuversichtlichen Eröffnung seufzte Duffard. „Und was soll ich nun nach New York berichten, wo eine reiche Mistreß auf die altägyptische Ausstattung wartet?“ „Sie haben den echten Schakalgott Anubis.“ „Den behalte ich für mich. Als Andenken an dieses Abenteuer. Aber…“ Duffard richtete sich ein wenig auf, und seine Lippen umspielte ein Lächeln von beinahe orientalischer Verschmitztheit. „Aber ich werde beim langbärtigen Hussein-Ali die schön geschweifte, doppelhenklige Alabastervase kaufen. Er behauptet, sie sei echt. Warum soll man ihm widersprechen?“
Copyright by Verlag Neues Leben Berlin 1958 Lizenz Nr.: 303 (305/71/58) Umschlagzeichnung und Illustrationen: Herbert Grützmacher, Staßfurt Druck: (140) Neues Deutschland, Berlin N51 ■ 3090
FRANZ POPP In mörderischem Tempo rast ein Taxi durch die Straßen von München. Am Steuer sitzt Lenni Breath, Angehöriger der amerikanischen Besatzungsarmee. Der betrunkene Soldat hat den Schofför Georg Bernwieser gezwungen, ihm seinen Platz zu überlassen.
Und dann geschieht das Unglück, bei dem eine Frau, Mutter von drei Kindern, ums Leben kommt. Bei dem Prozeß gibt es jedoch keinen LennI Breath mehr, und Bernwieser wird der Beihilfe zu fahrlässiger Tötung beschuldigt. Als dann noch die Vormundschaft im Namen der drei Waisen gegen ihn klagt, ist es mit der Fassung Bernwiesers zu Ende, er kann seine fUnfköpflge Familie nicht mehr ernähren. Bei einer Taxifahrt will wieder einmal ein US-Soldat die Steuerung übernehmen, und es kommt zu einer furchtbaren Tat.