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Nachdem auch die siebzehnte Marsrakete, wie ihre sechzehn Vorgängerinnen, auf unerklärliche Weise explodierte, bevor sie ihr Ziel erreichen konnte, beschließt John J. Armstrong der Sache nachzugehen. Er ist an der Konstruktion der achtzehnten Rakete beteiligt und will verhüten, daß ihr dasselbe Schicksal widerfährt, zumal sein Freund George Quinn die Rakete steuern soll. Doch seine Nachforschungen drohen schon im Keim zu ersticken. Bei einem FernsehTelefongespräch mit dem Raketentechniker Professor Robert Mandle ist er Zeuge, wie dieser während der Unterhaltung auf geheimnisvolle Weise ermordet wird. Wem nützt es, daß die Raketen ihr Ziel nicht erreichen, und warum setzen sich namhafte amerikanische Senatoren so nachhaltig dafür ein, daß das gesamte Projekt aufgegeben wird? Armstrong forscht auf eigene Faust weiter und gerät in den Strudel einer Verschwörung gigantischen Ausmaßes.
Ferner liegen vor in der Reihe der Ullstein Bücher: Science-Fiction-Stories 1 (2760) Science-Fiction-Stories 2 (2773) Science-Fiction-Stories 3 (2782) Science-Fiction-Stories 4 (2791) Science-Fiction-Stories 5 (2804) Science-Fiction-Stories 6 (2818) Science-Fiction-Stories 7 (2833) Science-Fiction-Stories 8 (2845) Science-Fiction-Romane: Jeff Sutton: Die tausend Augen des Krado 1 (2812) Samuel R. Delaney: Sklaven der Flamme (2828) Cyril Judd: Die Rebellion des Schützen Cade (2839)
Eric Frank Russell
Planet der Verbannten SCIENCE-FICTION-Roman Herausgegeben von Walter Spiegl
ein Ullstein Buch Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!
Ullstein Buch Nr. 2849 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien
Titel der amerikanischen Originalausgabe: DREADFUL SANCTUARY Übersetzt von Heinz F. Kliem
Erstmals in deutscher Sprache
Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1948 by Street and Smith Publications, Inc. Copyright © 1967 by Eric Frank Russell Übersetzung © 1971 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M – Berlin – Wien Printed in Germany 1971 Gesamtherstellung: Augsburger Druck- und Verlagshaus GmbH ISBN 3-548-02849-4
1 Die vorzeitige Explosion der siebzehnten Raumkapsel auf dem Weg zum Mars ereignete sich im Jahre 1982. Das wirbelte natürlich eine Menge Staub auf. Dafür gab es zwei Gründe. Erstens boten sich zu dieser Zeit gerade keine anderen Sensationsmeldungen für die Schlagzeilen der Presse. Zweitens war diese Raumkapsel bemannt gewesen. An die Fehlschläge der sechzehn vorangegangenen Raumkapseln zum Mars hatte sich die Öffentlichkeit längst gewöhnt. Der kleine Mann auf der Straße nahm diese Fehlschläge ebenso hin wie etwa den gelegentlichen Absturz eines Flugzeugs. Die Liste der Raumkapseln, die den Mars nicht erreicht hatten, umfaßte acht amerikanische, fünf russische, eine britische, eine französische und eine kanadische. Alle waren unbemannt und ferngesteuert gewesen. Es hatte eine Unmenge Dollar, aber keine Menschenleben gekostet. Die Öffentlichkeit verlangte Erklärungen für diese andauernden Fehlschläge. Im Grunde genommen gab es nur zwei Möglichkeiten: entweder waren die Techniker doch nicht so unfehlbar, wie sie immer behaupteten, oder der Flug der Raumkapseln wurde von irgendeiner Organisation sabotiert. Als dann jedoch Mikischenko in einem Unternehmen, das dreißig Millionen Rubel gekostet hatte, mit seiner Kapsel explodierte, sah die Sache plötzlich ganz anders aus. Die Russen konnten jedenfalls nicht dahinter stecken. Erneut schob man den Technikern die Schuld in die Schuhe. So war die Lage, als John J. Armstrong im Herald
einen Artikel von Professor Mandle las. Der Professor vertrat die Ansicht vom Vorhandensein eines tödlichen elektro-magnetischen Strahlenfeldes, das den Mars in einer Entfernung von etwa fünfzehn- bis zwanzigtausend Kilometern umgab. Das war ein völlig neuer Aspekt, über den es so gut wie keine Unterlagen gab. Armstrong war ein großer, breitschultriger Mann, der mit der Geschwindigkeit einer Lokomotive durchs Leben stürmte, wenn auch nicht so laut. Er beugte seine zwei Zentner ein wenig vor und studierte den Artikel auf dem Bildschirm seines Fernsehgeräts. Nach einer Weile wählte er auf dem Videofongerät Professor Mandles Nummer. Das jugendliche Gesicht des Professors erschien auf dem kleinen Bildschirm. »Sie werden mich vermutlich nicht kennen. Ich bin John J. Armstrong und an der Konstruktion der achtzehnten Raumkapsel beteiligt, die zur Zeit in New Mexico entsteht. Nach Lage der Dinge bleibt abzuwarten, ob diese Konstruktion je beendet werden wird.« »Ja, die Situation ist mir bekannt«, bestätigte Mandle. »Ich habe Ihren Artikel im Herald gelesen«, fuhr Armstrong fort, »und möchte Ihnen ein paar Fragen stellen. Besteht Ihrer Ansicht nach eine Möglichkeit, dieses Kraftfeld zu messen, ohne dabei gleich eine Explosion der Kapsel herbeizuführen? Und zweitens, halten Sie es für möglich, daß dieses Kraftfeld überhaupt durchdrungen werden kann?« Er legte eine kurze Pause ein und fragte weiter: »Oder wird der Mars für uns immer unerreichbar bleiben?«
»Nun«, antwortete Mandle, »es dürfte nicht mehr der geringste Zweifel daran bestehen, daß die Erde von einem derartigen Kraftfeld umgeben ist. Ergo dürfte auch der Mars von einem umgeben sein, wenn auch vielleicht von anderer Beschaffenheit. Elf der siebzehn Raumkapseln sind in einer Entfernung von fünfzehn- bis zwanzigtausend Kilometern vom Mars explodiert, nachdem sie fünfundneunzig Prozent der Reisestrecke bereits hinter sich hatten. Es handelt sich also um ein Phänomen, das auf einem bestimmten Gesetz beruht.« »Hmmm«, machte Armstrong. »Die restlichen sechs sind nicht mal so weit gekommen. Zwei von ihnen explodierten bereits in der Umlaufbahn um die Erde.« »Wir müssen den menschlichen Faktor berücksichtigen; unpräzise Arbeitsausführungen, fehlerhafte Berechnungen und dergleichen mehr. Alle diese Kapseln waren unbemannt, und deshalb tappen wir größtenteils noch immer im dunkeln. Trotz aller Anstrengungen war es unvermeidlich, daß die ersten dieser Kapseln explodierten, noch ehe sie den kritischen Punkt in Marsnähe erreichten.« Armstrong rieb sich das kantige Kinn. »Mag sein, aber nachdem die Kapseln das Kraftfeld der Erde mühelos durchstießen, verstehe ich nicht recht, warum sie in einem Kraftfeld des Mars explodieren sollten, falls dort ein derartiges Kraftfeld überhaupt existiert.« »Weil dieses Kraftfeld eben von anderer Beschaffenheit ist«, erwiderte Mandle ungeduldig. »Ich kann seine Existenz begreifen, ohne etwas von seiner Natur zu wissen. Vielleicht löst es die Explosion des Kraft-
stoffs aus oder der Metallwandung. Ich persönlich neige zu der Ansicht, daß es zu großer Hitzeentwicklung kommt, wie etwa beim Eintritt eines Meteors in unsere Atmosphäre, der ja auch verglüht. Unter Umständen besteht die Möglichkeit, das Kraftfeld zu durchdringen, indem man die Geschwindigkeit der Raumkapsel stark drosselt.« »Diese achtzehnte Kapsel soll bemannt werden«, versetzte Armstrong grimmig. »Ein Mann namens George Quinn ist ausgebildet worden, um den Platz in der Nase der Kapsel einzunehmen. Wir wollen natürlich nicht, daß er mit der Kapsel explodiert oder verglüht. Wie aber können wir das verhindern?« Mandle zögerte und dachte eine Weile nach. »Der einzige Vorschlag, den ich Ihnen machen könnte«, sagte er langsam, »wäre, eine ferngesteuerte Kapsel vorausfliegen zu lassen. Wenn beide Kapseln in ständiger Verbindung stehen und – und –« Seine dunklen Augen waren fest auf Armstrong gerichtet. Sein Gesicht verschwand nach und nach vom Bildschirm. Armstrong wartete eine Weile darauf, daß das Gesicht wieder auftauchen würde. Schließlich wurde er ungeduldig und drückte auf den Vermittlungsknopf. »Ich habe gerade mit Professor Mandle unter der Nummer Westchester 1042 gesprochen«, beschwerte er sich. »Was ist denn passiert?« »Bedaure, Sir«, kam die Antwort nach einer knappen Minute, »aber der Teilnehmer meldet sich nicht.« »Wie lautet seine Adresse?« »Bedaure, Sir, aber die Adressen unserer Teilnehmer dürfen wir nur der Polizei mitteilen.« »Dann verbinden Sie mich mit der Polizei von
Westchester«, brummte er. Kurz darauf meldete sich der zuständige Beamte. »Hier spricht John J. Armstrong, Greenwich 5717. Irgend etwas stimmt nicht in der Wohnung von Professor Mandle, Westchester 1042. Fahren Sie bitte sofort zu seinem Haus.« Er trennte die Verbindung, wählte die Nummer des Herald und ließ sich mit der Nebenstelle zwölf verbinden. »Guten Morgen, Bill. Kannst du mir gleich die Adresse von Professor Mandle geben, dessen Artikel in eurer heutigen Ausgabe erschien?« Er wartete ein paar Sekunden und brummte. »Danke. Ich ruf dich später nochmal an.« Er nahm seinen Hut, eilte aus dem Haus, setzte sich in seinen Wagen und fuhr los. Er hatte das unbestimmte Gefühl, daß Professor Mandle ihm nichts mehr sagen würde – nie mehr. Mandle würde tatsächlich nie mehr etwas sagen. Er lag auf dem Teppich, und sein Gesicht zeigte keinerlei Spuren eines Todeskampfes. Ein graubärtiger Beamter stand über den Toten gebeugt und blickte auf. »Sie sind der Armstrong, der uns angerufen hat? Das nenne ich geistesgegenwärtig. Wir sind sofort hergefahren, aber leider zu spät gekommen.« »Welches ist die Todesursache?« fragte Armstrong. »Läßt sich noch nicht sagen. Es sieht aus, als wäre er eines natürlichen Todes gestorben. Genaueres wird die Obduktion ergeben.« Er sah Armstrong forschend an. »Machte er bei der Unterhaltung mit Ihnen einen besonders erregten Eindruck?« »Nein, soweit ich es auf dem kleinen Bildschirm
beurteilen konnte, wirkte er völlig normal.« Er blickte auf den Toten hinunter. »Dürfte kaum dreißig Jahre alt sein, was? Ein bißchen ungewöhnlich bei diesem Alter, meinen Sie nicht auch?« »Ganz und gar nicht«, brummte der Beamte. »So etwas kommt alle Tage vor.« Er wandte sich an einen Kollegen. »Ist der Leichenwagen schon da?« »Jawohl, Cap.« »Gut, lassen Sie ihn wegschaffen. Weiter ist hier nichts zu tun.« Er wandte sich wieder an Armstrong. »Wenn Sie Wert darauf legen, gebe ich Ihnen das Resultat der Obduktion telefonisch durch. Greenwich 5717, sagten Sie?« »Stimmt.« »Sind Sie ein Verwandter?« »Nein. Ich hatte ihn wegen einiger technischer Fragen angerufen. Es war ein ziemlicher Schlag für mich, als er mit einem Mal vom Bildschirm verschwand.« »Kann ich mir denken.« Der Beamte setzte sich den Hut auf. »Na, man gewöhnt sich daran.« Damit verließ er den Raum. Armstrong suchte Bill Norton in der Redaktion des Herald auf und fuhr mit ihm zu einem kleinen Restaurant, das für seine Steaks berühmt war. »Mandle ist tot«, sagte er nach dem Essen. »Er starb, während er sich mit mir unterhielt. Verteufelte Sache.« »Ich hab schon schlimmere Sachen gehört«, erwiderte Norton. »Da war zum Beispiel der Fall dieses Mannes, der plötzlich überschnappte und...« »Laß die journalistischen Reminiszenzen!« fiel Armstrong ihm ins Wort. »Jetzt weiß ich nicht, ob
was an Mandles Theorie dran war oder nicht. Wenn etwas dran war, muß ich es unbedingt erfahren.« »Zu spät, zu spät«, murmelte Norton. »Der Strom der Zeit hat dich überholt.« Er blickte auf seinen Teller. »Jedenfalls danke ich dir für das Steak.« »Zum Henker mit dem Steak!« Armstrong stützte die Ellbogen auf den Tisch, daß er in allen Fugen krachte. »War Mandle eigentlich auf seinem Gebiet ein anerkannter Experte?« »Das kannst du von Ferguson erfahren, denn der hat Mandles Artikel gekauft und veröffentlicht. Meines Wissens wären es Mandles Erkenntnisse und Theorien wert gewesen, in Stein gehauen und von einer kommenden Generation an die nächste weitergereicht zu werden.« »Du könntest mir einen Gefallen tun und mich durch Ferguson mit einem Mann in Verbindung bringen, der sich auf das gleiche Gebiet spezialisiert hat.« »Wenn man dich so hört, könnte man meinen, für dich steht eine Menge auf dem Spiel.« »Nun, unter anderem habe ich Quinn mit einer nagelneuen Farbfilmkamera und ausreichend Filmmaterial versorgt. Das Ding hat mich zwanzigtausend Dollar gekostet, und dafür sind mir alle Vorführungsrechte eingeräumt worden. Irgendwie gefällt mir dieser Quinn, und mir liegt daran, daß er heil zur Erde zurückkommt, ohne sich den Hintern anzusengen.« »Wie nett von dir!« Norton stand auf, klopfte sich auf den Magen und seufzte zufrieden. »Ein Jammer, daß diese Raumkapseln alle viel zu weit von der Erde explodieren, um sensationelle Fotos abzugeben. Könntest du diesem Quinn nicht gut zureden, daß er
seine Kapsel unmittelbar über New York explodieren läßt – vorzugsweise so, daß wir das Empire State Building mit aufs Bild bekommen?« Damit verabschiedete er sich, und Armstrong bestellte sich noch eine Tasse Kaffee. Es dauerte nicht lange, bis Norton sich telefonisch meldete. »Fergie hat mir Mandles Manuskript gezeigt. Ich verstehe natürlich nicht viel von diesem wissenschaftlichen Kram, aber Fergie scheint sehr viel von Mandles Erkenntnissen und Theorien zu halten.« »Was sonst noch?« fragte Armstrong. »Ach ja, der beste Ersatz für den verblichenen Mandle wäre Professor Mandle.« Armstrong starrte eine Weile stumm auf den kleinen Bildschirm, während Norton keine Miene verzog. »Sag das nochmal!« brummte Armstrong. »Als einziger wissenschaftlich gebildeter Nachfolger von Mandle kommt Professor Mandle in Frage. Die Verbindung scheint bei mir ganz in Ordnung zu sein – oder ist vielleicht etwas mit deinem Gerät los?« »Ich habe dich genau verstanden. Übrigens finde ich das gar nicht komisch.« »Ich will auch gar nicht komisch wirken.« Er schnitt eine Grimasse. »Claire Mandle.« »Eine Frau!« »Seine Schwester.« »Hmmm«, murmelte Armstrong beeindruckt. Norton wurde ernst. »Fergie behauptet, sie wäre eine ebensolche Kapazität auf diesem Gebiet wie ihr Bruder. Seiner Ansicht nach gäbe es überhaupt nur noch einen Koryphäen
auf diesem Gebiet, und zwar einen gewissen Horowitz, der in Wien lebt und wirkt.« Armstrong bedankte sich und trennte die Verbindung. Kurz darauf rief der Captain der Polizei an, den Armstrong in Mandles Haus getroffen hatte. »Der Obduktionsbefund lautet: auf cardiac thrombosis«, sagte er. »Das bedeutet in der Laiensprache schlicht und ergreifend: ein Blutpfropfen im Herz.« »Also ein natürlicher Tod?« »Natürlich!« sagte der Captain gereizt. »Warum auch nicht?« »Na, war nur eine Frage«, beruhigte ihn Armstrong. »Ich bin schließlich kein Spezialist für Gefäßkrankheiten.« Der Captain wurde noch gereizter. »Falls Sie auch nur den entferntesten Verdacht hegen, es sei Gewaltanwendung im Spiel, so ist es Ihre Pflicht, uns das zu sagen!« »Ja ja, schon gut.« Nachdem der Captain abgeschaltet hatte, spielte Armstrong mit dem Gedanken, sich mit Claire Mandle in Verbindung zu setzen. Er entschloß sich jedoch, noch ein wenig zu warten, denn sie hatte bestimmt mit der Beerdigung alle Hände voll zu tun. In der Zwischenzeit konnte er nach New Mexico fliegen und nachsehen, wie weit die Konstruktion gediehen war.
2 Die Konstruktionsanlagen in New Mexico standen etwa achtzig Kilometer nördlich von Gallup. Der einzige Vorteil dieses Geländes bestand in der Tatsache, daß es billig gewesen war. Hier war vor zwanzig Jahren die erste Raumkapsel zum Mars gebaut und abgeschossen worden. Nach der Explosion der Kapsel waren die Anlagen jahrelang unbenutzt geblieben. Erst die Konstrukteure der neunten Raumkapsel hatten auf diese Anlagen zurückgegriffen und sie auf den modernsten Stand der Technik gebracht, sie allerdings dann enttäuscht wieder aufgegeben. Die Konstrukteure der achtzehnten Kapsel erhofften sich jetzt mehr Glück. Eine unnatürliche Ruhe lag über dem Raketengelände. Auf halbem Weg zum Verwaltungsgebäude stieß Armstrong auf Quinn. »Hallo«, sagte Quinn. »Was bringt Sie denn her?« »Sie haben wohl nicht mal Zeit, Ihrem Wohltäter ein paar Zeilen zu schreiben?« erwiderte Armstrong. Quinn grinste. »Wohltäter ist gut! Ich habe inzwischen von Lawson erfahren, daß Sie an die zehn Millionen Dollar verdienen, wenn ich auch nur einen Farbfilm von zehn Minuten Spieldauer zurückbringe.« »Davon kassiert die Regierung fünfundsiebzig Prozent, und Sie bekommen weitere fünfzehn.« Armstrong wurde ernst. »Warum ist hier eigentlich alles so ruhig?« »Die Arbeiten wurden gestern eingestellt, weil Washington alle Zuwendungen gesperrt hat, bis irgend-
eine hochpolitische Angelegenheit geregelt ist. Außerdem kann die Ribera Steel Company zur Zeit kein Beryllium für die Außenhaut liefern.« Quinn grinste wieder. »Daher Siesta.« »Eine verdammt dumme Sache.« »Da kann ich Ihnen nicht zustimmen. Je länger sich die Konstruktion hinzieht, desto länger sind meine Lebenserwartungen.« Armstrong sah ihn forschend an. »Sie müssen diesen Job nicht übernehmen, George. Sie können jederzeit zurücktreten.« »Ich weiß.« Quinn warf einen Blick zum Himmel hinauf. »Ich hab doch nur Spaß gemacht. Wenn das Ding erst mal gezündet ist, bringen mich keine hundert Pferde mehr heraus. Ich habe mich für diesen Auftrag zur Verfügung gestellt, und dabei bleibe ich. Vergessen Sie das nie!« »Falls die Kapsel je fertig wird.« »Ach, sie wird schon fertig. Da sind lediglich ein paar technische Fragen und eine Menge bürokratischen Tauziehens, aber das Ding wird bestimmt fertig. Mein Gefühl täuscht mich nicht.« »Na, wenigstens ein Optimist«, murmelte Armstrong. »Ich bin durchaus kein Optimist. Bei Ihrem letzten Besuch haben Sie meine Ansicht geteilt. Sie sagten selbst, daß die Konstruktion der neunten Kapsel zwei Jahre gedauert habe, während wir hier dem Zeitplan weit voraus sind.« Er streifte Armstrong mit einem neugierigen Blick. »Sie scheinen unter einem vorübergehenden Anfall von Pessimismus zu leiden und sollten ihn möglichst rasch überwinden.« John J. Armstrong dachte eine Weile nach.
»Vielleicht haben Sie recht«, murmelte er dann. »Ich bin in letzter Zeit ziemlich ruhelos und verbohre mich in allerlei dumme Gedanken.« »Die Erklärung ist höchst einfach«, versetzte Quinn mit Überzeugung. »Ihr Gehirn hat auf vollen Touren gearbeitet, um alles rechtzeitig fertigzukriegen, und nun ist ein gewisser Leerlauf eingetreten. Zur Abwechslung sollten Sie mal einen handfesten Plan für einen Bankraub austüfteln.« »Danke für den Rat, Dr. Quinn«, lächelte Armstrong. »Na, dann wollen wir mal unseren Freund Fothergill aufsuchen.« Sie betraten das Verwaltungsgebäude und gingen in Fothergills Büro. Er war ein dunkelhaariger Mann mit einem Faible für Blumen auf dem Schreibtisch. »Hallo, John!« Er streckte Armstrong die Hand entgegen, deutete einladend auf zwei Besuchersessel, zupfte seine Krawatte zurecht und rückte die Blumenvase zwei Zentimeter zur Seite. »Nun, nun, nun«, fügte er jovial hinzu, »was verschafft mir das Vergnügen?« »Ich hatte Langeweile«, antwortete Armstrong. »Tatsächlich?« Fothergill machte eine nichtssagende Handbewegung. »Sie haben einen unglücklichen Zeitpunkt für Ihren Besuch gewählt. Wir haben Versorgungsschwierigkeiten, und die Regierung gibt sich zur Zeit recht unentschlossen. Aber das alles ist hoffentlich nur vorübergehend.« »Was für Schwierigkeiten?« fragte Armstrong ohne Umschweife. »Äh?« »Sie erwähnten gerade Schwierigkeiten, die das Projekt verzögern.«
Fothergill schluckte, blickte auf die Blumen, zur Decke empor und wieder auf die Blumen. »Nun?« bohrte Armstrong. »Kleinigkeiten«, murmelte Fothergill kaum hörbar. »Was für Kleinigkeiten? Mit Kleinigkeiten läßt sich ein solches Projekt nicht hinauszögern. Wer sagt, daß es Kleinigkeiten sind?« Fothergill richtete sich mit hochrotem Gesicht auf. »So können Sie nicht mit mir reden! Ihre Einstellung mißfällt mir außerordentlich!« »Immer mit der Ruhe, John«, mahnte Quinn. Armstrong beugte sich vor; seine Augen blitzten. »Warum läßt uns die Ribera Steel Company warten, wenn Bethlehem Steel genügend Beryllium auf Lager hat, um damit ein ganzes Schlachtschiff zu versenken?« »Woher wissen Sie das?« fragte Fothergill scharf. »Weil Bethlehem in allen einschlägigen Fachzeitschriften annonciert.« »Aber ich kann doch nicht vertragsbrüchig werden«, protestierte Fothergill. »Das verlangt auch kein Mensch. Immerhin könnte Bethlehem doch für Ribera Steel vorübergehend einspringen. Das ist im Geschäftsleben durchaus üblich. Wer hat diesen Vertrag mit Ribera Steel überhaupt abgeschlossen?« »Womersley.« »Senator Womersley?« Armstrong zog die Augenbrauen hoch. Fothergill schob die Blumenvase zwei Zentimeter weiter und nickte. Auf sein Gesicht trat der Ausdruck eines Mannes, der ans Kreuz geschlagen werden soll. »Und weiter?« fragte Armstrong.
»Du lieber Himmel!« Fothergill blickte mit verdrehten Augen zur Decke hinauf. »Aus Gründen einer genaueren und besseren Geschwindigkeitsregulierung ist man jetzt von Plutonium als Antriebsenergie abgegangen und hat Thorium genommen. Daraufhin sieht North American Jet sich genötigt, stärkere Ventile für die Treibstoffzufuhr in die Aggregate einzubauen. So kommt eins zum anderen.« »Was sonst noch?« »Wir mußten ein neues Gerät zur Kontrolle der Schweißnähte anfordern. Es ist bis jetzt noch nicht eingetroffen.« »Ist das alles?« »Die Lastwagenfahrer haben gestreikt und erst wieder Vernunft angenommen, als wir drohten, einen Gleisanschluß legen zu lassen.« Fothergill hatte den ersten Schlag überwunden und sah Armstrong an. »Was ist denn in Sie gefahren? Haben Sie eine Diamantenmine auf dem Mars, die Sie ausbeuten wollen?« Armstrong stand lächelnd auf. »Vielen Dank für die Auskünfte. Tut mir leid, daß ich Ihnen auf die Nerven gefallen bin.« Fothergill begleitete ihn zur Tür. »Sie haben im Augenblick nichts zu tun«, sagte Armstrong draußen zu Quinn. »Wollen Sie mir ein bißchen helfen?« »Was soll ich machen?« »Suchen Sie für mich ein paar Namen heraus und schicken Sie sie mir, sobald Sie sie haben. Ich brauche den Namen des Burschen, der uns auf das Prüfgerät warten läßt, weiterhin des Mannes, der für die Umstellung auf Thorium verantwortlich zeichnet; dann
will ich wissen, wer bei North American Jet auf einer Verstärkung der Ventile besteht. Falls irgend möglich, ermitteln Sie auch, wer hinter dem Streik der Lastwagenfahrer steckt.« George Quinn starrte ihn ungläubig an. »Ich glaube, Sie sind übergeschnappt!« »Die ganze Welt hält Sie für weitaus verrückter!« Er drückte Quinns Arm. »Wir Verrückten müssen zusammenhalten.« »Na schön«, brummte Quinn. »Wenn Sie unbedingt Sherlock spielen müssen, dann mache ich halt mit.« Armstrong nickte wohlwollend, schob die Hände in die Hosentaschen und schlenderte zum Tor. In seiner New Yorker Wohnung dachte Armstrong noch einmal gründlich über alles nach. Er hatte in Connecticut ein Labor, das den verwöhntesten Ansprüchen gewachsen war. Hier hatte er einen Großteil seiner besten Stunden verlebt und manchen brauchbaren Einfall gehabt. Hier konnte er sich nach Herzenslust von der Außenwelt abkapseln und seinen Gedanken nachhängen. Schließlich setzte er sich in seinen Wagen und fuhr nach New Jersey, wo er Eddie Drake einen Besuch abstattete. »He!« rief Drake. Er machte eine einladende Geste. »Setz dich in den Sessel da, es ist der robusteste im ganzen Haus. Wieviel willst du denn borgen?« »Eine Zigarette, wenn du schon so großzügig bist.« Armstrong zündete die Zigarette an, schlug die Beine übereinander und betrachtete seine großen Schuhe. »Vor sieben Jahren hast du doch an der neunten Weltraumkapsel zum Mars mitgearbeitet, Eddie.«
»Erinnere mich nicht daran«, brummte Drake mißmutig. »Es war zugleich der neunte Fehlschlag.« »Nicht deine Schuld.« »Niemand war schuld daran.« »Bist du dessen ganz sicher?« Drake ließ sein vollautomatisches Feuerzeug fallen und hob es wieder auf. »So darfst du nicht über mich herfallen!« Er vergewisserte sich, daß das Feuerzeug keinen Schaden genommen hatte, und steckte es ein. »Die neunte Kapsel ist auf halbem Weg zum Mars explodiert. Jeder, der an diesem Projekt arbeitete, hat sein Bestes gegeben, aber offensichtlich war das Beste noch nicht gut genug.« »Ich interessiere mich nicht so sehr für die Explosion als für die Zeit vor dem Start.« »Aha«, murmelte Drake verständnisvoll. »Du hast also Ärger mit Nummer achtzehn und brauchst einen Tip?« »Gewissermaßen.« »Das überrascht mich nicht. Ich bin gern bereit, dir zu helfen.« Seine Gedanken forschten in der Vergangenheit. »Unser schlimmstes Problem waren die Antriebsaggregate. Auf dem Prüfstand und auch nach dem Einbau liefen sie einwandfrei. Beim zweiten Test gingen sie dann zum Teufel, und wir mußten sie durch schwerere ersetzen. Das hat uns fünf Monate und eine Menge Dollar gekostet.« »Wer hat diese Antriebsaggregate gebaut?« »Keine Ahnung. Wahrscheinlich ließe sich das feststellen.« »Ich wäre dir zu großem Dank verpflichtet«, sagte Armstrong. »Hattet ihr noch weitere Probleme?«
»Nur Kleinigkeiten.« »Kannst du dich noch daran erinnern?« »Nun, die automatischen Kontrolleinrichtungen mußten ein paarmal verbessert werden. Außerdem machten die Anwohner des Abschußgeländes plötzlich Schwierigkeiten – aber der Streit wurde recht schnell von der Regierung beigelegt.« Eddie Drake flocht eine längere Pause ein und versuchte sich erneut auf die Vergangenheit zu konzentrieren. »Die eigentlichen Schwierigkeiten kamen erst nach der Explosion.« Er lachte leise in sich hinein. »Na, wenn Nummer achtzehn explodiert, wirst du es ja am eigenen Leibe spüren.« »Und wem wird die Schuld in die Schuhe geschoben?« »Den Katholiken, den Juden, den Negern, den Freimaurern, dem Ku Klux Klan, der Heilsarmee, den Kriegsveteranen, den Zeugen Jehovas, den Briten, den Russen, den Kapitalisten, den Anarchisten, den Bankiers, den Ölkonzernen –« Er atmete tief ein. »Und so weiter.« »Verstehe.« Armstrong überlegte. »Weißt du, wo Clark Marshall sich zur Zeit aufhält?« »Ich glaube, irgendwo in Florida.« »Danke.« Armstrong stand auf und reichte Drake die Hand. »Auf später, Ed. Vergiß nichts mir die Namen durchzugeben.« Am nächsten Vormittag fuhr Armstrong mit seinem Wagen nach Tarrytown. Claire Mandle erwies sich als eine zierliche dunkelhaarige Frau; sie hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihrem verstorbenen Bruder.
Sie trug ein grünes Kostüm und machte einen selbstsicheren Eindruck. Armstrong fand ihre dunklen Augen äußerst attraktiv; sie verliehen ihrem Gesicht etwas elfenhaft Bezauberndes. Sie saß in einem antiken Sessel mit einer hohen Rückenlehne; ihre Hände ruhten im Schoß, und sie hörte ihm aufmerksam zu. »Ihr Bruder stand gerade im Begriff, mir die Theorie in allen Einzelheiten zu erklären, als... als es geschah.« Er brütete einen Augenblick vor sich hin. »Ich wollte Ihnen ein paar Tage Zeit lassen, darüber hinwegzukommen.« Sie zog die schmalen Augenbrauen hoch. »Sie glauben also, ich könnte Ihnen die gewünschten Informationen geben?« »Man hat mir versichert, daß diese Informationen nur von Ihnen zu bekommen seien.« »Bob und ich haben zusammen gearbeitet, aber nicht auf allen Gebieten«, sagte sie nachdenklich. »Wir hatten natürlich auch verschiedene Interessen. Ich fürchte, ich muß mir erst seine Aufzeichnungen genauer ansehen und mich in seine Gedanken versetzen, ehe ich Ihnen etwas darüber sagen kann.« »Damit würden Sie mich zu großem Dank verpflichten.« »Kann ich Sie anrufen?« »Natürlich.« Er sah sie mit seinen grauen Augen ruhig an. »Allerdings wäre es mir lieber, wenn wir uns in der Stadt treffen und unsere Unterhaltung bei einem guten Essen fortsetzen könnten.« Sie lachte perlend. »Sie packen jede Gelegenheit beim Schopf, wie?« »Ich verfolge ein Ziel«, erwiderte er. »Außerdem
möchte ich Ihnen bei dieser Gelegenheit einen mit mir befreundeten Reporter vorstellen.« Sie lachte erneut. »Also gut, ich rufe Sie an.« Armstrong verabschiedete sich und fuhr heim. Im Laufe des Nachmittags rief Quinn an und gab ihm vier Namen durch. »Hoffentlich können Sie damit etwas anfangen, Sherlock.« »Wie sieht's denn bei euch aus?« fragte Armstrong, nachdem er die Namen notiert hatte. »Wir halten hier ein Schachturnier ab.« »Was? Wird die Arbeit noch immer verzögert?« »Verzögert ist eine Untertreibung. Senator Carmichael hat mit pompösen Worten die Riesensummen bekanntgegeben, die das Marsprojekt bereits verschlungen hat. Er sagt, das sei eine verdammte Schande, und die Senatoren Wright, Embleton und Lindle stoßen ins gleiche Horn.« Armstrong gelangte mehr und mehr zu der Überzeugung, daß er diesen einmal übernommenen Auftrag nicht allein bewältigen konnte. Er brauchte unbedingt jemanden, der ihm die Kleinarbeit der erforderlich gewordenen Ermittlungen abnahm.
3 Hansen schien ihm der geeignete Verbündete zu sein. Sein Ruf war in jeder Beziehung einwandfrei. Die Hansen-Agentur lag im Oberstock eines alten Sandsteingebäudes. Eine schlanke Blondine im Vorzimmer nahm Armstrongs Karte entgegen und entschwand. »Mr. Hansen läßt bitten«, sagte sie, als sie wieder hereinkam. Hansen machte einen hartgesottenen Eindruck. Er war etwa so groß wie Armstrong, aber nicht so bullig. Er musterte seinen Besucher mit abschätzenden Blikken, und seinen scharfen Augen schien nichts zu entgehen. »Womit kann ich dienen, Mr. Armstrong?« »Ich möchte einen ausführlichen Bericht über diese Leute.« Er legte die Liste der Namen auf den Schreibtisch. Hansen überflog sie. »Fünf dieser Männer sind Senatoren.« »Spielt das eine Rolle?« Hansen begegnete seinem Blick. »Hängt ganz davon ab, an was für einen Bericht Sie denken. Wenn es sich um ihre Lebensgewohnheiten handelt, okay! Wenn Sie ihnen jedoch etwas am Zeug flicken wollen, muß ich erst wissen, wer Sie sind und worum es geht. Sollte an der Sache etwas faul sein, lehne ich den Auftrag ab.« Seine Lippen bildeten einen schmalen Strich. »Krumme Touren sind bei mir nicht drin.« »Sehr lobenswert«, erwiderte Armstrong. »Offensichtlich kennen Sie mich nicht. Sollten Sie die Lau-
terkeit meiner Motive anzweifeln, gibt es eine höchst einfache Lösung: Sie brauchen nur meinen Namen an den Anfang der Liste zu setzen.« »Welchen Namen?« »John J. Armstrong.« »Yeah«, murmelte Hansen. »Das reicht.« Seine rechte Hand spielte mit dem großen Siegelring an seinem linken Ringfinger. »Erzählen Sie!« »Ich brauche keinen kostspieligen, aufwendigen Bericht über diese Personen. Ihre Geburtstage, Eßgewohnheiten oder Schwierigkeiten mit Frauen interessieren mich nicht. Ich möchte lediglich etwas über ihre eventuelle Mitgliedschaft bei Organisationen, Vereinigungen und dergleichen erfahren.« »Das dürfte nicht schwierig sein«, bemerkte Hansen. »Nun, dann wird es auch nicht allzuviel kosten.« Armstrong lächelte breit. »Je sorgfältiger Sie die Ermittlungen führen, desto besser wird sich das auf unsere künftigen Geschäftsbeziehungen auswirken.« »Oh!« sagte Hansen und tippte auf die Liste. »Das ist noch nicht alles?« »Nein, es ist erst der Anfang. Sie werden eine weitere Liste bekommen, und dann noch eine. Wenn mein Geld ausreicht und mir in der Zwischenzeit nichts zustößt, werden sich Ihre Ermittlungen auf eine ganze Heerschar ausdehnen.« »Nun, Sie werden mit uns zufrieden sein.« Hansen spielte noch immer mit dem Ring. »Als Honorar verlange ich vierzig Dollar pro Person auf der Liste. Die anfallenden Spesen werden gesondert in Rechnung gestellt. Größere Unternehmungen werden erst nach Absprache mit Ihnen durchgeführt.«
»Dem Himmel sei Dank!« stöhnte Armstrong und legte Geld auf den Schreibtisch. Hansen drückte auf einen Knopf. »Legen Sie das Geld in den Safe, Miriam, und stellen Sie Mr. Armstrong eine Quittung aus.« Während der Fahrt zum Verlagsgebäude des Herald dachte Armstrong über seine Hilfstruppe nach. Da waren Hansen mit seinen Kohorten, Bill Norton, Eddie Drake, George Quinn und ein paar weitere Verbündete. Möglicherweise würde sich Claire Mandle auch auf seine Seite schlagen. Nachdem er Norton von der Redaktion abgeholt hatte, stellte er den Wagen auf einen Parkplatz unter der Fiftieth Street, dann gingen sie in ein kleines griechisches Restaurant. Norton fiel wie üblich über seinen Teller her, als hätte er jahrelang nichts mehr zu essen bekommen. »Ahhh!« stöhnte er schließlich und lehnte sich zurück. »Jetzt bin ich dir hilflos ausgeliefert, und du kannst losschießen.« »Clark Marshall scheint von der Bildfläche verschwunden zu sein. Eddie Drake meinte, er wäre irgendwo in Florida, aber ich habe dort keine Spur von ihm entdecken können. Vor ein paar Tagen wurde er noch in Key West gesehen. Vielleicht könnte einer deiner Kollegen ihn dort unten aufspüren.« »Wäre es nicht besser, die Polizei einzuschalten?« »Nein, das wäre zu auffällig. Immerhin ist er ja der Öffentlichkeit bekannt, und es wäre durchaus möglich, daß ihn einer deiner Kollegen gesehen hat.« »Ja, er war an der Konstruktion der ersten, zehnten und vierzehnten Weltraumkapsel beteiligt.« Norton
schüttelte den Kopf. »Der arme alte Clark! Die letzte Explosion war ein harter Schlag für ihn.« Er sah Armstrong nachdenklich an. »Du kennst ihn nicht persönlich, oder?« »Nein, ich habe nur sein Foto gesehen und etwas über ihn gelesen. Im letzten Brief an die Redaktion prophezeite er, daß die achtzehnte Kapsel ebenso scheitern würde wie alle vorhergehenden. Vermutlich hat er seine Enttäuschungen nie verwunden.« »Es war noch schlimmer, denn er kam sich wie ein Märtyrer vor. Es sah aus, als liefe er vor etwas davon.« »Oder vielleicht hinter etwas her?« Norton beugte sich vor. »In meinem Beruf lernt man es, die Dinge realistisch zu sehen. Die Menschheit ist dumm.« »Das würde ich nicht sagen«, entgegnete Armstrong. »Doch.« Norton streifte ihn mit einem zynischen Blick. »Im vergangenen Jahr haben zweihunderttausend Russen vor Lenins Grabmal paradiert, als wäre es Gottes Versteck auf Erden. Etwa zur gleichen Zeit haben sich die Franzosen drei Punkte auf die Ohrläppchen tätowiert – für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Als der König von Siam sich das Bein brach, humpelte sein gesamter Hofstaat auf Krücken herum, um der Majestät nachzueifern. Aus ähnlichem Grunde trug der britische Hochadel monatelang Hosenträger aus Schlangenhaut.« »Mag sein, aber...« »Laß mich fortfahren«, sagte Norton, der jetzt erst richtig in Fahrt kam. »Wenn du zwanzig Jahre in diesem Beruf steckst wie ich, wirst du erkennen, daß
nichts unmöglich ist. Ich halte mich zum Beispiel für smart, weil ich viele Menschen getroffen habe, die weitaus dümmer sind als ich, aber das ist natürlich nur eine Frage der Relation. Dummheit kommt in allen möglichen Varianten vor.« Er lächelte vor sich hin. Armstrong stand auf und griff nach seinem Hut. »Wenn du dich wieder von diesen trübsinnigen Gedankengängen befreit hast, gib mir bitte Nachricht wegen Marshall.« Er winkte Norton noch einmal zu. »Mach's gut!« Norton blickte ihm nach und starrte dann mißmutig auf seinen leeren Teller. Plötzlich wurde sein Gesicht noch finsterer. »Der Teufel soll ihn holen! Läßt er mich mit der Rechnung sitzen!« Nach fünf Tagen trafen Hansens Berichte ein. Armstrongs Bewunderung für den Detektiv wuchs. Er faltete die sauber getippten Bogen auseinander und las sie sorgfältig. Dann stellte er eine Liste zusammen, aus der die Mitgliedschaft der verschiedenen Personen zu Organisationen und Vereinigungen hervorging. Die Spitze hielt Womersley mit vierundfünfzig. Es folgten Lindle mit achtunddreißig, Embleton mit neunundzwanzig und Mervyn Richards mit elf. Das reichte bei weitem noch nicht aus. Er mußte den Bericht über die Personen abwarten, die George Quinn ihm genannt und deren Liste er Hansen gestern zugesandt hatte. Ferner brauchte er die noch ausstehenden Informationen von Norton, Drake und den anderen.
Das Telefon schlug an. Als er das Gerät einschaltete, erschien Claire Mandles Gesicht auf dem kleinen Bildschirm. »Guten Tag, Mr. Armstrong.« »Guten Tag, Claire«, erwiderte er fröhlich. »Wann essen wir gemeinsam?« »Meine Güte«, sagte sie. »Habe ich Sie warten lassen?« »Etwa eine Woche«, antwortete er brummig. »Entschuldigen Sie. Ich habe es nicht für so wichtig gehalten.« »Welche Bescheidenheit!« Er lächelte sie an. »Die Wartezeit ist also vorüber, und nachdem Sie sich von der Lauterkeit meiner Absichten überzeugt haben –« »Oh, Sie verfolgen also bestimmte Absichten?« fiel sie ihm ins Wort. Das verschlug ihm die Sprache, und der koboldhafte Ausdruck ihrer Augen half ihm auch nicht weiter. »Wie wäre es heute abend bei Longchamps?« fragte er endlich. »Gut, um halb neun bei Longchamps. Paßt Ihnen das?« »Ich werde dort warten.« Seine Stimme kam ihm ungewöhnlich hysterisch vor. »Ab acht Uhr, falls Sie früher kommen sollten.« Sie kam zwar nicht früher, aber pünktlich auf die Minute. Als das Taxi vorfuhr, holte er sie ab und führte sie hinein. Unter dem Pelzmantel trug sie ein grünes Kleid, und auf ihrer eleganten Frisur ruhte etwas, das für einen Hut zu klein und für eine Blume zu groß war.
»Ich habe Bobs Papier durchgesehen«, sagte sie, nachdem sie sich an den Tisch gesetzt hatte. »Haben Sie etwas gefunden?« fragte er. »Nun, er hat eine genaue Aufstellung über alle Bewegungen jener elf Raumkapseln angefertigt, die sich bereits in unmittelbarer Nähe des Mars befanden. Daraus geht hervor, daß es sich in allen Fällen um die gleiche Ursache handelte, die zur Explosion führte.« »Das von ihm erwähnte Kraftfeld?« Sie zögerte. »Vielleicht.« Ein besorgter Ausdruck trat in ihre Augen. »Eine dieser Kapseln geriet aus irgendeinem Grund vom vorgeschriebenen Kurs ab und kam etwa zweitausend Meilen näher an den Planeten heran als die anderen. Dann explodierte sie ebenfalls.« »Und das bedeutet?« »Dieser Faktor machte Bob erheblich zu schaffen und ließ nur zwei Schlußfolgerungen zu. Vielleicht waren die von der Kapsel zur Erde übermittelten Daten falsch und sie explodierte etwa an der gleichen Stelle wie die anderen. Das würde Bobs Theorie erhärten. Wenn diese Daten aber korrekt waren...« Sie legte eine kleine Pause ein. »... dann wurde die Explosion von einem Energiestrahl ausgelöst.« »Was?« fragte Armstrong verblüfft. »Von der Erde... über eine Entfernung von achtzig Millionen Kilometer?« »Offensichtlich nicht. Auf unserem Planeten gibt es meines Wissens keine Strahlen, die das vermögen.« Sie dachte eine Weile nach. »Die andere Möglichkeit wäre ein Energiestrahl vom Mars, auf dem noch keinerlei Anzeichen von Leben festgestellt wurden. Damit kommen wir wieder auf Bobs Theorie zurück, die
allerdings falsch sein muß, wenn die von der Kapsel übermittelten Daten stimmten.« Der Kellner brachte das Essen, und sie warteten, bis er sich zurückgezogen hatte. »Die von den Kapseln übermittelten Daten haben sich in jeder Beziehung als unzureichend herausgestellt«, sagte Armstrong. »Haben Sie eine Idee, wie wir diesem Umstand abhelfen könnten?« »Möglicherweise durch einen Konvoi.« »Einen Konvoi?« »Ja, je mehr Kapseln auf die Reise geschickt werden, desto besser.« Sie nippte an ihrem Weinglas. »Eine bemannte Kapsel, der mehrere ferngesteuerte vorausfliegen. Sobald die erste Kapsel explodiert, schwenken die anderen vom Kurs ab und übermitteln der bemannten Kapsel alle vorhandenen Daten. Gleichzeitig nimmt die bemannte Kapsel Kurs auf die Erde und bringt alle Daten mit.« Sie spielte mit dem Fuß des Glases. »Auf diese Weise ließe sich jedenfalls ein Punkt mit Sicherheit klären.« »Welcher?« »Ob die Explosionen durch Strahlen oder Sabotage verursacht werden. Im Fall von Sabotage kann die Kapsel in dieser Entfernung natürlich nicht gerettet werden. Andrerseits wäre es durchaus möglich, daß sie unversehrt zur Erde zurückkommt.« »Brillante Idee«, brummte Armstrong. »Kostet nur die Kleinigkeit von ein paar hundert Millionen Dollar.« »Ja, ich weiß«, sagte sie. »Aber bei diesen gewaltigen Entfernungen muß eben viel Geld geopfert werden. Eine andere Möglichkeit scheint es nicht zu geben.« Sie lächelte ihn strahlend an. »Ich könnte Ihnen
zehn Dollar leihen, damit wenigstens ein Anfang gemacht ist.« »Danke, aber ich glaube kaum, daß ich sie brauche«, erwiderte er. »Wenn jemand ein paar hundert Millionen Dollar brauchte, um die gesamte Menschheit zu vernichten, würde er sie vermutlich im Handumdrehen bekommen. Aber bei einem Projekt wie diesem... o nein! Zehn Millionen für die Rüstung – zehn Cents für astronautische Experimente. So etwa sieht das Verhältnis aus.« Sie legte ihre kühle Hand auf seine geballte Faust. »Das liegt nicht an einer falschen Werteinschätzung.« »Nein?« »Nein. Furcht ist stärker als die Befriedigung der Neugier. Mit der Eroberung des Mars wird hier auf der Erde kein Menschenleben gerettet.« Sie sah sich im Raum um. »Wo ist eigentlich Ihr Freund, der Reporter, den Sie mir vorstellen wollten?« »Ich hab's mir anders überlegt und ihn nicht eingeladen.« »Die Gedanken eines Mannes sind unergründlich«, sagte sie philosophisch. Unvermittelt beugte sie sich vor und fügte leise hinzu: »Mein Bruder Bob hat nie so recht an Zufälle geglaubt.« »Ja, das erwähnte er. Wieso kommen Sie jetzt darauf?« »Es ist mir gerade eingefallen.« Sie beugte sich noch weiter vor. »Vier Tische hinter Ihnen sitzt ein Mann mit dunkelblondem Haar und Sommersprossen. Er trägt einen grauen Anzug. Als ich heute früh das Haus verließ, ging er gerade vorüber. Ich hätte ihn wohl im Laufe des Tages vergessen, wenn ich ihn
nicht an der Straßenecke bemerkt hätte, als ich heute abend aus dem Haus kam. Jetzt sitzt er da hinten an einem Tisch. Dreimal an einem einzigen Tag – halten Sie das für Zufall?« Sie lachte leise. »Sind Sie ganz sicher, daß es sich um den gleichen Mann handelt?« fragte Armstrong, ohne sich umzudrehen. »Todsicher.« »Und Sie haben ihn heute zum erstenmal gesehen?« »Meines Wissens ja.« Er überlegte einen Augenblick, zuckte dann mit den Schultern. »Vielleicht ein schüchterner Verehrer, der Sie aus der Ferne anbetet.« »Reden Sie keinen Unsinn!« Er zuckte noch einmal mit den Schultern und warf einen Blick auf die Uhr. »Entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick. Ich bin gleich wieder da.« Er stand auf und ging, ohne sich umzusehen, ins Foyer. Dort betrat er eine Telefonzelle und rief Hansen an. Das Gesicht des Detektivs erschien auf dem Bildschirm. Er hatte den Hut auf. »Kommen Sie gerade oder wollen Sie gehen?« fragte Armstrong. »Ich wollte gerade gehen, aber das spielt keine Rolle. Was gibt's?« »Ich bin mit einer Bekannten bei Longchamps. Möglicherweise wird sie verfolgt.« »Na und? Kein Gesetz verbietet es, jemanden zu verfolgen, besonders wenn es sich um eine Frau handelt.«
»Wenn es sich nun aber um ein Verbrechen handelt?« »Unsinn!« brummte Hansen. »Sie scheinen nur schlechte Bücher zu lesen. Sie können gegen den Burschen erst etwas unternehmen, wenn er Ihnen an die Kehle fährt.« »Schon gut«, sagte Armstrong. »Ich rufe Sie schließlich nicht grundlos an. Singen Sie mir ein Schlaflied.« »Sie können ihn ja abschütteln.« »Das ist etwas für kleine Mädchen.« »Oder«, fuhr Hansen fort, ohne auf den Einwurf zu achten, »Sie könnten ihn an irgendeine abgelegene Stelle locken und ihm dort systematisch alle Zähne einschlagen.« »Daran habe ich auch schon gedacht, aber das würde mich nicht weiterbringen.« »Oder«, fügte Hansen unbeeindruckt hinzu, »Sie könnten das tun, was ich an Ihrer Stelle tun würde – diesen Verfolger beschatten, um zu sehen, wer oder was dahintersteckt. Das würde mich interessieren.« »So habe ich's mir auch gedacht, aber ich kann den Burschen schlecht beschatten, weil ich meine Bekannte nicht aus den Augen verlieren möchte. Das wäre Ihre Aufgabe.« »Können Sie bis zu meinem Eintreffen dort bleiben?« »Sicher. Wir hatten für später noch etwas vor, aber wir können bis zu Ihrem Eintreffen warten.« »Ich bin in fünfzehn Minuten dort.« Er schob den Hut auf den Hinterkopf. »Wenn Sie mich sehen, kennen Sie mich nicht. Verstanden?« »Aber klar«, erwiderte Armstrong. Er trennte die
Verbindung und kehrte zu Claire Mandle zurück. Sie fuhr sich mit einem Taschentuch, kaum größer als eine Briefmarke, übers Gesicht. Er ließ sich schwerfällig auf seinem Stuhl nieder. »Der vierte Tisch ist leer«, brummte er. »Meine Güte!« sagte sie überrascht. »Denken Sie noch immer an diesen Mann? Sie scheinen ja schlimmer zu sein als Bob.« Sie hielt inne und fügte ernst hinzu: »Der Mann ist gleich nach Ihnen gegangen.« Er rief den Kellner und bestellte noch eine Flasche Wein. Hinter wem mochte dieser Dunkelblonde her sein – hinter Claire oder hinter ihm? Hansen traf mit einer knappen Minute Verspätung in Begleitung von Miriam und eines breitschultrigen Mannes ein. Sie setzten sich an einen Tisch in der hinteren linken Ecke des Raumes. Armstrong unterhielt sich noch eine Weile mit Claire Mandle. Dann stand er auf, half ihr in den Pelzmantel und ging mit ihr in einen Nachtklub. Gegen Mitternacht suchten sie ein kleines Restaurant auf, und dann fuhr Armstrong sie nach Hause. Die Gedanken ließen ihn in dieser Nacht kaum zur Ruhe kommen. Um halb elf vormittags rief Hansen an. »Ich übe diesen Beruf nun schon ziemlich lange aus«, sagte er, »aber das war die erste Nacht auf einem Karussell.« »Wie meinen Sie das mit dem Karussell?« »Nun, da waren erst Sie und Ihre Bekannte. Ein Mann hat Sie beschattet. Nachdem ich ihm etwa eine Stunde gefolgt war, stellte ich fest, daß ich ebenfalls beschattet wurde. Ich ließ mich von Pete ablösen, und
nun folgte mein Schatten ihm. Ich wiederum folgte meinem Schatten. Nur gut, daß Sie schon um Mitternacht heimfuhren, sonst hätten Sie noch halb New York hinter sich hergehabt.« »Und dann?« fragte Armstrong stirnrunzelnd. »Als Sie Ihr Haus erreichten, zog sich der erste Schatten zurück. Er holte seinen Wagen vom Parkplatz und fuhr nach Cypress Hills. Schließlich war ich allein mit dem letzten Burschen. Sie können sich bestimmt nicht vorstellen, wohin er mich führte.« »Wohin?« fragte Armstrong. »In den vierten Stock der Bank von Manhattan. Er fuhr mit dem Nachtlift hinauf, als wäre er der Besitzer des Gebäudes. Ich konnte ihm nicht weiter folgen.« »Wissen Sie, wer oder was sich im vierten Stock dieses Hauses befindet?« Ein seltsamer Ausdruck trat in Hansens schmales Gesicht. »Die Signalanlage verriet, daß der Lift im vierten Stock hielt. Außerdem sah ich von der Straße aus, daß hinter den Fenstern im vierten Stock das Licht anging.« Er hielt inne, um Armstrong noch ein wenig zappeln zu lassen. »Sämtliche Büros im vierten Stock gehören dem F.B.I.« »Was?« rief Armstrong verblüfft. »Sie haben richtig gehört.« Hansens Gesicht war jetzt wieder völlig ausdruckslos. »Schätze, Sie schulden mir jetzt eine Erklärung, was da überhaupt gespielt wird und in was für eine Sache Sie mich mit hineingezogen haben.« »Woher, zum Teufel, soll ich das wissen?« Es war einer der äußerst seltenen Fälle, wo Armstrong die
Worte fehlten. »Wenn Sie es wirklich nicht wissen«, entgegnete Hansen grimmig, »dann sollten Sie gleich zum F.B.I. fahren und dort nachfragen.« Er starrte seinen Gesprächspartner noch einmal eindringlich an und trennte die Verbindung. Armstrong stützte den Kopf in die Hände. Gleich zum F.B.I. fahren und dort nachfragen!
4 Der F.B.I.-Agent hatte ein breites, knochiges Gesicht. Er sah aus wie ein Catcher. Er lehnte die Visitenkarte seines Besuchers gegen den kleinen Kalender und musterte Armstrong kühl. »Was haben Sie auf dem Herzen, Mr. Armstrong?« »Einer Ihrer Männer beschattet mich. Ich möchte gern wissen, warum.« »Natürlich möchten Sie das gern wissen.« Der Agent lächelte ein wenig. »Wir hofften, daß Sie herkommen würden, sobald Hansen Ihnen den Tip gab.« Armstrong lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Woher wissen Sie, daß Hansen mir einen Tip gegeben hat?« »Unser Mann hat berichtet, daß Hansen ihm die halbe Nacht hindurch und schließlich bis hierher gefolgt war. Er unternahm keinen Versuch, ihn abzuschütteln, weil Hansen uns gut bekannt ist.« Er lächelte erneut. »Immerhin kann ich Sie beruhigen; denn nicht Sie wurden von uns beschattet, sondern Miss Mandle.« »Warum haben Sie dann gehofft, daß ich herkommen würde?« »Weil damit bewiesen ist, daß Sie keine Ahnung haben, warum wir uns für Miss Mandle interessieren.« Er blickte auf den Kalender. »Haben Sie ihr von dieser nächtlichen Episode erzählt?« »Nein.« »Weiß sie, daß sie beschattet wurde?« »Das glaube ich nicht.« Armstrong war irritiert. »Warum beschatten Sie sie eigentlich? Was liegt ge-
gen sie vor?« Der Agent reagierte nicht auf seine Fragen. »Warum haben Sie Verbindung mit ihr aufgenommen?« »Das ist meine Angelegenheit!« sagte Armstrong. »Stimmt – und das hier ist unsere!« Der Agent stand auf und wippte auf den Fußballen. »Ich kann Ihnen nur sagen, daß wir feststellen wollen, ob Miss Mandle sich einer Tatsache bewußt ist, von der sie unserer Ansicht nach lieber nichts erfahren sollte. So, wie Sie die Dinge darstellen, scheint sie über die fraglichen Dinge noch nichts zu wissen.« »Warum fragen Sie sie nicht einfach?« »Weil Miss Mandle dann sofort mißtrauisch werden würde. Auf diese Weise erführe sie Tatsachen, die wir ihr vorenthalten möchten.« »Es handelt sich also um wissenschaftliche Dinge?« »Wenn Sie wollen, können Sie diese Schlußfolgerung ziehen.« Er nahm Armstrongs Visitenkarte und reichte sie ihm zurück. Damit wollte er ihm höflich zu verstehen geben, daß er die Unterredung als beendet betrachtete. Armstrong stand auf und steckte die Karte in die Westentasche. »Hat es etwas mit den Raumkapseln zum Mars zu tun?« Der F.B.I.-Agent verzog keine Miene. »Bedaure, aber ich kann Ihnen keine weiteren Auskünfte geben.« »Wenn ich ihr nun sage, daß das F.B.I. sie beschatten läßt?« »Es wäre uns natürlich lieber, wenn Sie das nicht täten. Aber wir können keinen Druck auf Sie aus-
üben.« Er blickte Armstrong fest in die Augen. »Vielleicht lassen wir die Sache bald auf sich beruhen. Wenn Sie sie jedoch einweihen, müssen wir das als feindseligen Akt betrachten und Sie ebenfalls beschatten lassen. Es liegt also ganz bei Ihnen.« »Zum Kuckuck!« rief Armstrong, der mit dieser Entwicklung der Dinge ganz und gar nicht zufrieden war. »Sie reden in Rätseln. Zumindest könnten Sie mir doch verraten, warum dieser Bursche von Cypress Hills uns ebenfalls beschattet hat.« Der Agent runzelte die Stirn. »Das müssen wir erst noch feststellen. Wenn Hansen die Sache richtig anpackt, werden Sie den Grund ebenso schnell erfahren wie wir.« »Na schön.« Armstrong wandte sich der Tür zu. »Dann wollen wir es dabei belassen.« »Tut mir leid, daß ich Ihnen nicht mehr verraten konnte«, sagte der Agent, während er die Tür hinter Armstrong schloß. Armstrong verließ das Gebäude und ging in die nächste Telefonzelle. Er rief Hansen an und berichtete ihm von seinem Besuch beim F.B.I. »Nun, der Mann hat Ihnen eine ganze Menge gesagt«, meinte Hansen. »Tatsächlich? Was hat er mir denn gesagt?« »Erstens kann das F.B.I. Miss Mandle nicht direkt fragen, weil sie dann Verdacht schöpfen würde. Zweitens glauben sie nicht, daß Miss Mandle von selbst darauf kommt. Drittens befürchten sie, daß Miss Mandle durch Zufall etwas erfahren könnte. Viertens rechnen sie mit der Möglichkeit, daß ihr jemand etwas erzählt haben könnte.« »Weiter!« drängte Armstrong.
»Aus irgendeinem Grund können sie mit der Person, die es ihr verraten haben könnte, keine Verbindung aufnehmen. Warum können sie das nicht? Antwort: weil die betreffende Person tot ist. Also. Welche Person hat ihr so nahe gestanden, daß sie sie eingeweiht haben könnte?« »Bob Mandle, ihr Bruder.« »Kluges Kind«, sagte Hansen spöttisch. »Bob Mandle war im Besitz offizieller Informationen, die nur für ihn bestimmt waren. Zweifellos handelte es sich um eine Angelegenheit, mit der seine Schwester nichts zu tun hatte. Ich habe übrigens schon vor Ihrem Besuch beim F.B.I. dort angerufen und erfahren, daß nichts gegen Sie vorliegt.« Er warf einen Blick auf seinen Schreibtisch. »Es sind drei neue Berichte eingegangen. Wollen Sie sie abholen oder soll ich sie Ihnen schicken?« »Schicken Sie sie an meine Adresse«, erwiderte Armstrong und beendete das Gespräch. Als er später heimkam und vor seiner Wohnungstür stand, fiel sein Blick auf einen kleinen glühenden Punkt von der Größe eines Insektenauges, der in die Türfüllung eingelassen war. Armstrong blieb mit dem Schlüssel in der Hand vor der Tür stehen und sah sich rasch nach allen Seiten um. Ohne die Tür zu berühren, steckte er den Schlüssel in die Tasche und verließ leise das Haus. Draußen warf er einen Blick auf die Fenster seiner Wohnung und vergewisserte sich, daß kein Licht brannte. Er überquerte die Straße, ging zur Telefonzelle und rief Hansen an. »Ich habe meine Wohnungstür mit einer elektronischen Sicherungsanlage versehen. Sie leuchtet auf,
sobald ein anderer als mein Spezialschlüssel benützt wird, um die Tür aufzuschließen. Zur Zeit leuchtet sie. Es ist jemand in meiner Wohnung.« »Rufen Sie die Polizei!« sagte Hansen. »Daran habe ich zunächst auch gedacht, aber dann kam mir ein besserer Einfall. Rufen Sie bei mir zu Hause an. Wenn sich jemand meldet, sagen Sie einfach, es wäre ein Routine-Kontrollanruf der Polizei.« Er grinste. »Ich werde den Burschen vor dem Haus empfangen, wenn er rauskommt.« »Okay«, sagte Hansen. »Ich weiß zwar nicht, worum es geht, aber ich werde Ihnen den Gefallen tun.« Armstrong verließ die Telefonzelle und stellte sich seinem Haus gegenüber in einen Hauseingang. Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Eine halbe Stunde verstrich, ohne daß jemand das Haus verließ oder betrat. Verdammt, hatte der Kerl etwa seinen Plan durchschaut? Endlich kamen zwei Wagen in schneller Fahrt und hielten vor dem Haus. Vier Polizisten sprangen aus dem ersten Wagen. Hansen stieg aus dem zweiten und sah sich suchend um. Armstrong verließ sein Versteck und trat auf ihn zu. »Was ist schiefgegangen?« »Ich habe dreimal angerufen, aber es hat sich niemand gemeldet«, antwortete Hansen. »Da ich Sie nicht erreichen konnte, verständigte ich die Polizei.« »Mhm!« »Ich dachte, daß Sie vielleicht auf eigene Faust gehandelt und eins über den Schädel bekommen haben könnten. Deshalb habe ich Verstärkung mitgebracht.
Na, dann wollen wir mal sehen, was oben los ist.« Die sechs Männer erreichten die Tür, in deren Füllung der kleine Punkt noch immer glühte. Armstrong steckte seinen Spezialschlüssel ins Schloß und stieß die Tür nach innen auf. Ein Polizist schob ihn aus dem Weg und überschritt die Schwelle mit gezogener Dienstwaffe. Mit der anderen Hand schaltete er das Licht ein. Nach vier Schritten blieb er wie angewurzelt stehen. »Alle Teufel – ein Toter!« Die anderen Männer drängten nach. Die Wohnung sah aus, als wäre der weiße Wirbelwind losgelassen worden. Sämtliche Schubläden waren aufgerissen, der Inhalt lag auf dem Boden verstreut. Selbst der Teppichboden war heruntergerissen worden. Inmitten der heillosen Unordnung saß der Tote in dem Drehsessel hinter dem Schreibtisch. Es gab keine Blutspuren. Nur der auf die Brust gesunkene Kopf ließ erkennen, daß es sich um einen Toten handelte. Der Polizist legte die Hand unter das Kinn des Toten und hob den Kopf an. »Ja, er ist tot.« Er wandte sich um und sah die anderen Männer an. »Kennt ihn jemand?« Armstrong blickte auf das schmale Gesicht und das volle Haar des Toten. »Ich habe diesen Mann zwar noch nie persönlich gesehen, aber ich glaube, es ist Clark Marshall.« »Der Konstrukteur der Raumkapseln?« fragte Hansen. Armstrong nickte. »Wenn Sie Bill Norton vom Herald anrufen und ihm den Toten über Videofon zeigen, wird er ihn vermutlich identifizieren können; denn er kannte ihn
recht gut.« Der Polizist versuchte vergeblich, das Gerät einzuschalten. »Irgendwo ist die Verbindung unterbrochen.« Er betrachtete die Unordnung im Raum mit den Augen des Fachmanns. »Ich gehe hinunter und verständige die Mordkommission über Funk. Die können diesen Norton abholen und mitbringen.« Er verließ die Wohnung. Einer seiner Kollegen wandte sich an Armstrong. »Im Normalfall bringen Einbrecher niemanden um. Mörder brechen nicht ein. Sieht ganz so aus, als hätten wir es diesmal mit beiden Typen zu tun. Haben Sie eine Ahnung, worauf es die Burschen abgesehen haben könnten? Falls ja, würde ich an Ihrer Stelle gleich nachsehen, ob sie es gefunden haben.« »Ich habe nicht die geringste Ahnung, was sie gesucht haben könnten.« Er legte eine kurze Pause ein und bemerkte Hansens skeptischen Gesichtsausdruck. »Mit ein wenig Glück ließe sich vielleicht feststellen, was sie eigentlich wollten.« »Ihr Vertrauen in meine Fähigkeiten ist äußerst schmeichelhaft«, brummte Hansen. »Bescheidenheit, dein Name ist Hansen«, sagte Armstrong ironisch. »Wenn ich mich auf andere Leute verlassen würde, käme ich keinen Schritt weiter, obwohl es mich eine ganze Stange Geld kostet. Ich habe eben weder an Sie noch an die Polizei gedacht, sondern an das niedliche Spielzeug in meiner antiken Wanduhr.« »Oh!« Hansen stellte sich vor die Wanduhr und bemerkte nach einer Weile eine winzige Linse in der Zeigerachse. Ohne Armstrongs Hinweis hätte er den
Raum zehnmal durchsuchen können, ohne etwas zu merken. Er fuhr sich erwartungsvoll mit der Zungenspitze über die schmalen Lippen. Unter den überraschten Blicken der drei Polizisten öffnete Armstrong den Deckel der Wanduhr und zog eine kleine Röhre heraus. Dann löste er ein paar Kontakte und legte die Röhre auf den Schreibtisch. »Diese Röhre enthält etwa zweihundert Meter Draht«, erklärte er. »Die elektronische Kamera ist mit der Türsicherung gekoppelt und schaltet sich ein, wenn die Tür mit meinem Spezialschlüssel geöffnet wird. Ich lasse die Aufzeichnung gleich abspielen. Wenn die Götter es gut mit uns meinen, werden wir bald klarer sehen.« »Mann-o-Mann!« sagte einer der Polizisten beeindruckt. Armstrong legte gerade die Röhre in den Monitor, als die Mordkommission eintraf. Norton kam aufgeregt herein. »Ja, es ist Clark. Meine Güte, dabei habe ich vor kurzem noch mit ihm gesprochen.« »Tatsächlich?« fragte Armstrong. »Hat er gesagt, daß er herkommen wollte?« »Ich habe ihn gestern getroffen. Heute habe ich mindestens sechsmal bei dir anzurufen versucht, um dir seinen Besuch anzukündigen.« »Ich bin ziemlich lange beim F.B.I. aufgehalten worden.« »Er machte einen ziemlich aufgeregten und gehetzten Eindruck.« Norton schob sich ein paar Haarsträhnen aus der Stirn. »Mit einer solchen Entwicklung der Dinge habe ich nicht gerechnet.« »Inwiefern war er aufgeregt und gehetzt? Fühlte er
sein Leben bedroht?« »Das möchte ich nicht sagen. Er benahm sich, als hätte er etwas erfahren, von dem er eigentlich gar nichts wissen wollte. Er war irgendwie frustriert.« Norton blickte auf das Gerät. »Was, zum Teufel, machst du denn da?« Der Captain der Mordkommission trat ein. »Sind Sie John J. Armstrong?« »Ja.« »Der Arzt sagt, der Bursche wäre seit drei, vier Stunden tot. Todesursache bislang unbekannt, aber wir werden schon noch dahinter kommen.« Er blickte auf das Abspielgerät. »Wo waren Sie vor drei, vier Stunden?« »Beim F.B.I.« »Äh?« Der Captain fuhr betroffen zurück. »Wenn das F.B.I. sich für diesen Fall interessiert, werde ich dort gleich anrufen.« Hansen schob den Kopf durch den Türspalt. »Wie lange noch?« »Gleich.« Armstrong hörte im Nachbarzimmer das Videofon summen und wandte sich an Norton. »Anscheinend ist die Unterbrechung behoben. Ich halte jede Wette, daß das Mrs. Saunders ist, die aus Hartford anruft, um mir mitzuteilen, daß drüben der Teufel los ist. Sag ihr, sie soll sich keine Sorgen machen.« Als Norton sich der Tür zuwandte, trat ein Polizist ein. »Das Videofon funktioniert wieder. Eine gewisse Mrs. Saunders aus Hartford ruft an. Sie sagt, Ihr Labor sei ein Trümmerhaufen. Die Polizei von Hartford ist jetzt schon dort.«
Norton starrte Armstrong an und stürmte hinaus. Armstrong trug den Monitor in den anderen Raum. Außer Hansen und Norton befanden sich dort jetzt fünf Polizisten und vier Beamte in Zivil. Norton redete Mrs. Saunders noch einmal gut zu und unterbrach die Verbindung. »Sie sagt, es wäre alles ein Riesendurcheinander. Sie habe keine Ahnung, ob etwas fehlt.« Armstrong schaltete das Abspielgerät ein. Der Monitor leuchtete auf. Ein Ausschnitt des Raumes erschien auf dem Bildschirm. Langsam ging die Tür auf. Ein Mann trat ein, drückte die Tür hinter sich ins Schloß und sah sich im Raum um. Er war von mittlerer Größe, hatte dunkelblondes Haar und trug einen grauen Anzug. »Der Unbekannte von Cypress Hills«, flüsterte Hansen und stieß Armstrong den Ellenbogen in die Rippen. Der ungebetene Gast öffnete nacheinander alle Schubladen und überflog den Inhalt, als hätte er keine Sekunde zu verlieren. Er raschelte mit Papieren und Dokumenten und ließ sie nacheinander auf den Boden fallen. Das, was er suchte, fand er nicht. Er wandte sich um und blickte genau in die Kamera, ohne etwas von ihrer Existenz zu ahnen. Er schien ungeduldig zu werden. Er nahm sich die Bücherregale vor, riß alle Bücher heraus und blickte dahinter. Dann kippte er die Couch und die Sessel um und untersuchte die Unterseiten. Er riß den Teppichboden auf und rutschte auf den Knien herum. Dann verschwand er aus dem Bild. Nach den Ge-
räuschen zu urteilen, hauste er jetzt im Schlafzimmer. Nach etwa zwei Minuten hörte man ein Klopfen an der Tür. Der Dunkelblonde tauchte wieder im Bild auf. Mit raschen, katzenhaft gewandten Schritten huschte er an die Tür und drückte das Ohr an die Füllung. Dabei zog er einen Gegenstand aus der Tasche, der wie eine kleine Taschenlampe aussah, und behielt ihn in der Hand. Der unsichtbare Besucher klopfte noch einmal. Der Mann rührte sich nicht. Da verschwand das Bild vom Schirm, und Armstrong schaltete das Gerät aus. »Mein Gott!« sagte der Captain. »Wenn der Draht nur ein paar Meter länger gewesen wäre!« »Das war der Bursche, dem wir nach Cypress Hills folgten«, wiederholte Hansen. Er warf einen Blick auf den Toten, über den die Polizisten inzwischen eine Decke gelegt hatten. »Schade, daß man den Auftritt des Besuchers nicht mehr sehen konnte. Wie mag sich die Sache abgespielt haben?« »Zehn zu eins, daß der Besucher nicht wieder gegangen ist, wie der Einbrecher wahrscheinlich gehofft hatte«, brummte der Captain. »Vermutlich hat er draußen im Flur auf Armstrong gewartet. Als der Einbrecher dann ahnungslos aus der Wohnung kam, lief er ihm in die Arme. Jedenfalls werden wir uns diesen Burschen mal vorknöpfen.« Er wandte sich an Hansen. »Sie wissen, wo er wohnt?« »Außer mir ist ihm noch ein F.B.I.-Agent gefolgt. Vielleicht weiß er, wo man ihn festnehmen kann.« »Na, wir werden sehen.« Der Captain wandte sich wieder an Armstrong. »Wir müssen diesen Draht beschlagnahmen. Das ist Beweismaterial – und was für
welches!« Ein bewunderndes Lächeln huschte um seinen Mund. »So eine raffinierte Falle hab ich im ganzen Leben noch nicht gesehen. Ich kann Ihnen wirklich nur gratulieren. Ein Jammer, daß Sie in Ihrem Hartforder Labor nicht auch so etwas eingebaut haben.« »Doch, dort ist eine ähnliche Anlage installiert wie hier. Ich werde hinfahren, sobald Sie mich hier nicht mehr brauchen.« »Dann will ich Sie nicht aufhalten.« »Okay.« Armstrong zog seinen Schlüssel aus der Tasche und gab ihn Hansen. »Sperren Sie hier bitte ab, ja? Ich rufe Sie später an.« Er wandte sich noch einmal an den Captain. »Wenn die F.B.I.-Agenten herkommen, können Sie ihnen alles erklären.« Dann verließ er das Haus und setzte sich in seinen Wagen. Er fuhr schnell und behielt den Verkehr im Auge. Etwa eine Stunde später erreichte er eine Kreuzung, in die fünf Straßen einmündeten. Er ließ einen Lastwagen überholen und stellte seinen Wagen quer zur Fahrbahn. Damit versperrte er der grünen Limousine, die ihm seit einer halben Stunde folgte, den Weg. Dem Fahrer des grünen Wagens gelang es gerade noch rechtzeitig zu bremsen und den schleudernden Wagen abzufangen. Geistesgegenwärtig legte er den Rückwärtsgang ein und drückte das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Als er den Wagen wenden wollte, war Armstrong bereits da. Er riß die Tür an der Fahrerseite auf und packte den Dunkelblonden am linken Arm.
5 Wie die meisten Menschen seiner Statur war sich Armstrong seiner eigenen Kraft kaum bewußt. Er riß den Dunkelblonden wie eine Puppe aus dem Wagen und schlug ihn mit einem einzigen Fausthieb nieder. Dann leckte er sich die Knöchel ab und bemerkte, daß sich inzwischen Gaffer eingefunden hatten. Der Fahrer des Lastwagens hatte angehalten und hing aus dem Fenster, um sich nichts entgehen zu lassen. Ein schwarzer Wagen hielt hinter dem grünen. Zwei Männer stiegen aus. Armstrong drehte den Bewußtlosen auf den Bauch, holte sein Taschentuch heraus und fesselte ihm die Hände auf dem Rücken. Die beiden Männer aus dem schwarzen Wagen kamen heran, und einer von ihnen stieß den Dunkelblonden mit der Fußspitze an. »Sie sind uns zuvorgekommen, Mr. Armstrong«, sagte er und hielt ihm die gelbe Messingplakette auf der flachen Hand hin. »Wir sind F.B.I.-Agenten.« Er blickte nachdenklich auf den Bewußtlosen hinunter. »Schade, daß Sie ihn besinnungslos geschlagen haben. Vielleicht hätte er sich selbst an den Galgen geliefert.« »Sie scheinen nicht richtig orientiert zu sein«, brummte Armstrong. »Dieser Bursche wird von der Polizei gesucht.« »Ah«, murmelte der Mann und nahm ein Paar Handschellen vom Gürtel. »Na, dann werden wir ihn mal dort abliefern.« »Das sollte mir nur recht sein«, entgegnete Armstrong, »aber Ihre Nase gefällt mir nicht!«
Im gleichen Augenblick schlug er ihm die Faust auf den Mund. Das wirkte wie der Tritt eines Maultiers. Der Mann brach geräuschlos zusammen. Als Armstrong sich dem zweiten zuwandte, kam der Dunkelblonde plötzlich zu sich und stellte Armstrong geschickt ein Bein, so daß er zu Boden stürzte. Er rollte sich auf den Rücken, erkannte noch flüchtig ein Paar blaßblauer Augen – dann schwand ihm das Bewußtsein. Als er wieder zu sich kam, lag er noch immer auf dem Rücken. Der Lastwagenfahrer und ein Polizist von der Motorradstreife standen über ihn gebeugt. Er richtete sich auf, fuhr sich mit der Hand über den schmerzenden Hinterkopf und sah sich auf der Straße um. Sein Wagen stand jetzt neben dem Bürgersteig. »Uff!« machte er und strich sich noch einmal über den Schädel. »Die drei Kerle haben Sie niedergeschlagen und sind dann verduftet«, sagte der Lastwagenfahrer, und es klang wie eine Entschuldigung. »Es ging alles so rasch, daß ich mir nicht mal die Wagennummern aufschreiben konnte.« »Mein Kollege ist ihnen gefolgt«, sagte der Polizist. »Vielleicht kann er sie einholen und festnehmen.« Er sah Armstrong forschend an. »Könnten Sie die Männer identifizieren?« »Nein, ich kenne sie nicht... noch nicht!« Er stand auf und hielt sich den brummenden Schädel. »Zwei von ihnen haben sich als F.B.I.-Agenten ausgegeben und behauptet, sie hätten es auf den anderen abgesehen. In Wirklichkeit wollten sie ihn wohl decken.« »Wieso wußten Sie, daß es keine echten F.B.I.Agenten waren?«
»Ich hatte so ein Gefühl, und dann fiel mir auf, daß sie einen ausländischen Wagen fuhren, und die Handschellen sahen anders aus als die, die unsere Leute benützen. Kleinigkeiten, aber sie machten mich mißtrauisch – nach allem, was schon passiert ist.« »Ich muß einen Bericht machen. Geben Sie mir bitte Ihren Namen und Ihre Adresse.« Er wandte sich an den Lastwagenfahrer. »Ihre Personalien brauche ich ebenfalls, denn Sie waren Zeuge.« Nachdem er alles notiert hatte, wandte er sich noch einmal an Armstrong. »Wohin fahren Sie?« »Nach Hartford.« »Ich werde Ihnen folgen, denn es könnte ja sein, daß sie es noch einmal versuchen.« Armstrong setzte sich hinters Lenkrad und fuhr los. Der Polizist folgte auf dem Motorrad. In Hartford verabschiedete er sich mit lautem Hupen und kehrte um. Mrs. Saunders empfing Armstrong völlig aufgelöst. Er beruhigte sie nach Möglichkeit. Dann holte er die Drahtröhre aus dem Aufnahmegerät und legte sie in den Monitor. Die Szene unterschied sich kaum von jener in seiner Wohnung, nur handelte es sich in diesem Fall um einen kleinen Burschen mit eingefallenen Wangen, der seine Arbeit beenden konnte, ohne gestört zu werden. Zwei Hartforder Polizisten in Zivil erschienen, und er ließ den Draht noch einmal ablaufen. Keiner der beiden kannte den Mann mit den eingefallenen Wangen. Nachdem sie die Drahtröhre als Beweismaterial mitgenommen hatten, räumte er das Labor auf. Es schien nichts zu fehlen.
Bis zur nächsten Zusammenkunft mit Hansen vergingen drei Tage. Die attraktive Miriam hielt ihm die Tür zu Hansens Büro auf, und er ließ sich ächzend in den Besuchersessel sinken. »Wir kommen mit atemberaubender Geschwindigkeit voran«, sagte er ironisch. Hansen holte stirnrunzelnd Armstrongs Wohnungsschlüssel aus der Schublade und warf ihn ihm über den Schreibtisch zu. »Wie können Sie von mir Fortschritte erwarten, wenn ich noch immer völlig im dunkeln tappe? Sie wollen immer nur Berichte, Berichte und noch einmal Berichte – abgesehen davon, daß ich Ihnen gelegentlich aus der Patsche helfen muß.« »Sie dürfen nicht vergessen, daß ich selbst im dunkeln tappe.« »Ja, ja«, brummte Hansen. »Eines schönen Tages wird der Leichenwagen vorfahren.« Er starrte seinen Besucher an. »Sie werden drinliegen – und niemand weiß, warum.« »Die Vorstellung hat etwas für sich«, räumte Armstrong ein. »Mochte nur wissen, wer nach mir an die Reihe kommt.« Da schien ihm etwas einzufallen, und er fügte munter hinzu: »Das könnten Sie sein, mein lieber Hansi!« »Diese Möglichkeit habe ich nicht übersehen«, erwiderte Hansen grimmig. »Nun, dann habe ich wenigstens im Jenseits einen guten Freund.« »Meine Geschäfte befassen sich ausschließlich mit dem Diesseits«, brummte Hansen. »Mit astralen Sphären beschäftige ich mich nur dann, wenn ich harte irdische Währung für meine Bemühungen erhalte.«
»Was die vielen Berichte betrifft, die ich von Ihnen verlange, so ist das wie mit dem berühmten gemeinsamen Nenner, auf den man verschiedene Tatsachen bringen kann.« »Ah!« sagte Hansen mit gespielter Begeisterung. »Ah!« »Das Verteufelte daran ist die Tatsache, daß wir uns immer einbilden, einen Anhaltspunkt gefunden zu haben, müssen aber im nächsten Augenblick feststellen, daß wir damit gar nichts anfangen können. Der Dunkelblonde verschwindet mit seinen beiden Komplicen, und niemand hat seitdem eine Spur von ihnen entdeckt. Clark Marshall stirbt genau wie Bob Mandle an einer Kardialthrombose, und die Ärzte behaupten, das wäre völlig natürlich.« Beide Männer brüteten eine Weile vor sich hin. »Wenn ich's recht bedenke«, sagte Hansen unvermittelt, »haben alle diese Leute, über die Sie Berichte verlangen, eines gemeinsam.« Armstrong richtete sich interessiert auf. »Lassen Sie hören«, sagte er schnell. »Sie sind alle noch am Leben.« Armstrong schlug die Beine übereinander. »Natürlich. Berichte über Tote abzuliefern wären ja Zeit- und Geldverschwendung.« »Halten wir uns an das Offensichtliche«, sagte Hansen ungerührt. »Sie sind nicht blind und haben es auf dem Monitor ebenso gesehen wie ich.« Er spielte mit seinem Siegelring. »Der Polizei dürfte es inzwischen auch schon aufgefallen sein.« »Ja«, sagte Armstrong langsam. »Das Ding, das der Dunkelblonde in der Hand hielt, als er an der Tür lauschte. Es sah aus wie eine Taschenlampe, aber wer
braucht schon eine Taschenlampe, wenn es hell im Zimmer ist? Das ist unlogisch. Dabei griff er nach dem Ding, als wäre es eine Waffe. Ich persönlich neige zu der Ansicht, daß es eine Art Gasprojektor war.« Hansen nickte. »Der Ansicht war ich auch. Daraufhin habe ich gestern nachmittag Dr. Lowry angerufen und ihn gefragt, ob er irgendein Gas kennt, das Kardialthrombose verursacht.« »Und was antwortete er?« »Er sagte, der Gedanke sei völlig absurd.« »Also wieder nichts«, murmelte Armstrong. Er verabschiedete sich und fuhr nach Hause. Inzwischen war in seiner Wohnung gründlich aufgeräumt worden. Er holte die Kamera aus dem Versteck in der Uhr, legte einen neuen Draht ein, überzeugte sich, daß der Mechanismus funktionierte, und schob sie in das Versteck. Dann rief er Claire Mandle an. Sie erschien so frisch und appetitlich wie immer auf dem Bildschirm. »Oh, Sie sind's, Mr. Armstrong!« »John!« korrigierte er sie. »Ei, ei«, sagte sie. »Wir sind noch nicht zusammen die Treppe hinuntergefallen.« »Eben deshalb bestehe ich auf John. Für alles andere wäre es noch ein wenig verfrüht.« »Damit wollen Sie mir also zu verstehen geben, daß dies kein geschäftlicher Anruf ist und daß Sie über die Wonnen des Frühlings plaudern möchten. Tralala.« Sie seufzte melodramatisch. »Na, fahren Sie fort... John.« »Ich wollte Sie fragen, ob wir uns irgendwo treffen könnten.«
»Zweifellos könnten wir das. Ich weiß nur nicht recht, ob es ratsam wäre.« »Ich wollte Ihnen eine wichtige Frage stellen.« »Meine Güte? So schnell?« Sie spielte die Überraschte. »Wenn Sie mir keine Gelegenheit zu einer persönlichen Aussprache geben«, sagte er mit erhobener Stimme, »dann muß ich Ihnen die Frage jetzt gleich stellen.« Sie schlug mit übertriebener Bescheidenheit die Augen nieder. Ihm schoß das Blut in die Wangen. »Hatten Sie während der vergangenen Tage einen ungebetenen Besucher, der Ihre Aufzeichnungen durchwühlte?« fragte er. Sie starrte ihn entgeistert an. »Woher, um alles in der Welt, wissen Sie das?« »Es stimmt also!« sagte er grimmig. »Wenn Sie Wert auf eine Erklärung legen, dann nur bei einer Tasse Kaffee – nicht aber am Telefon.« »Ist das ein Ultimatum?« »Ja.« »Dickschädel!« murmelte sie. »Also dann bis heute abend. Am selben Ort und zur gleichen Stunde?« »Oder früher!« Auch diesmal kam sie pünktlich auf die Minute. »Nun?« fragte sie, nachdem sie sich an den Tisch gesetzt hatten. »Werden Sie mich in das Geheimnis einweihen?« Er stützte die Arme auf den Tisch und betrachtete sie schweigend. Als es ihr zuviel wurde, holte sie ihre Puderdose aus der Handtasche und überprüfte ihr Make-up im Spiegel. Sie fand alles in Ordnung und
klopfte mit dem Finger auf seine Hand. »Erwachen Sie! Ich habe Sie etwas gefragt!« Er schüttelte langsam den Kopf. »Seltsam. Alles das und noch dazu ein scharfer Verstand.« »Was ist denn los?« »Gar nichts, das ist es ja eben. Wie kann eine Frau nur so vollkommen sein?« »Sie brauchen eine Brille«, sagte sie tadelnd. »Wäre es Ihnen vielleicht lieber, ich wäre dumm?« »Davor bewahre mich der Himmel!« sagte er. »Aber selbst wenn Sie es wären, würde ich noch immer...« Sie klopfte ihm erneut mit dem Finger auf die Hand. »Wir sind hier im Longchamps und nicht auf einer Parkbank! Reißen Sie sich zusammen und berichten Sie mir von den Einbrechern.« »Ah ja.« Er riß sich zusammen. »Vor ein paar Tagen wurde in meine Wohnung und in mein Labor in Hartford eingebrochen. Es ist mir nach wie vor ein Rätsel, was die Einbrecher gesucht haben.« Er sah sie forschend an. Auf keinen Fall durfte er mit der Tür ins Haus fallen. »Da sich das unmittelbar nach unserer letzten Unterhaltung ereignete, besteht die Möglichkeit eines gewissen Zusammenhangs. In diesem Fall stand zu erwarten, daß bei Ihnen ebenfalls eingebrochen worden war.« »Aha.« Sie schien sehr beeindruckt. »Nun, jemand ist gestern in meine Wohnung eingedrungen und hat alle Aufzeichnungen und Arbeitspapiere durchwühlt, ohne etwas mitzunehmen.« »Sind Sie sicher, daß nichts fehlt?«
»Hundertprozentig.« »Auch nichts von Bobs Aufzeichnungen?« »Nein.« Sie sah ihn an. »Was hat Bob eigentlich mit der Sache zu tun?« »Ich weiß nur, daß er an einem streng geheimen Regierungsauftrag gearbeitet hat.« »Wer hat Ihnen das gesagt?« »Das F.B.I.« Sie verzog keine Miene. »Bob hatte in irgendeiner Form mit den Raumkapseln zu tun. Es existiert allerdings nur die Aufzeichnung seiner Theorie über das Kraftfeld um den Mars. Aus den Unterlagen geht nichts von einem geheimen Regierungsauftrag hervor. Vermutlich hat er alle Dokumente abgeschickt und den Rest vernichtet.« Sie dachte eine Weile nach. »Meines Wissens beschäftigte sich Bob irgendwie mit der achtzehnten Raumkapsel.« Armstrong berichtete ihr von den offensichtlichen Verzögerungen des Projekts, die er in New Mexico festgestellt hatte. Er sah sich im Raum um und blickte ihr dann wieder in die Augen. »In letzter Zeit verstehe ich selbst nicht mehr, was eigentlich mit mir los ist. Gestern abend bin ich zum Beispiel einem dunkelhäutigen Burschen mit einem grünen Turban begegnet. Augenscheinlich ein Inder. Bei seinem Anblick beschäftigten sich meine Gedanken sofort mit den asketischen Riten des Hinduismus. Ich dachte an jene Männer, die so lange in die Sonne starren, bis sie völlig erblindet sind und ein jammervolles Leben in ständiger Dunkelheit verbringen. Ich dachte an die anderen, die ihren Arm so lange in die Luft recken, bis er allmählich abfault, und an jene, die
auf dem Boden hocken, bis ihre Beine völlig deformiert sind, so daß sie getragen werden müssen. Diese Eindrücke waren so stark, daß ich mich ihnen nicht entziehen konnte. Zum Schluß war ich völlig fertig.« Ein seltsamer Ausdruck trat in ihre Augen. »Wie fühlen Sie sich in meiner Gegenwart? Aber bitte im Ernst – keine Witze!« »Entspannt«, antwortete er. »Völlig entspannt.« Sie lachte perlend. »Als wäre ich nicht von dieser Welt?« »Gott sei Dank sind Sie kein Engel«, antwortete er ausweichend. »Als Frau sind Sie mir entschieden lieber.« »Das ist keine Antwort auf meine Frage.« »Ich werde sie beantworten«, sagte er zu ihrer Überraschung, »sobald ich alle Tatsachen kenne.« Sie blickten sich in die Augen, und ihre Frage zuckte mit der Regelmäßigkeit eines Pulsschlags durch sein Gehirn. Nicht von dieser Welt... nicht von dieser Welt... nicht von dieser Welt. Damit hatte sie ihn auf einen Gedanken gebracht. Menschen oder Wesen, die nicht von dieser Welt waren! Sie konnte seinen durchbohrenden Blick nicht länger ertragen und schlug die Augen nieder.
6 Vier Tage waren vergangen, seit Armstrong Hansens letzte Berichte bekommen hatte. Er schob die Papiere beiseite, rieb sich das Kinn und griff zum Videofon. »Ist Hansen da?« »Ich verbinde Sie«, antwortete Miriam. Das schmale Gesicht des Detektivs erschien auf dem Bildschirm. »Haben Sie die Rechnung bekommen?« »Ja, der Scheck ist bereits unterwegs.« »Okay. Sonst noch etwas?« »Noch etwas? Meine Güte, wir haben ja kaum angefangen. Mir ist da eine Sache in den letzten Berichten aufgefallen, und ich hätte gern mit Ihnen darüber gesprochen.« »Ich bin in zwanzig Minuten da«, versprach Hansen. Armstrong rasierte sich und badete. Er empfing Hansen mit dem Handtuch über der Schulter. Hansen setzte sich ohne Umstände in einen Sessel. »Nun, Sherlock?« »Unter den hundertsiebzehn Recherchen sind vierunddreißig Personen Mitglied des Norman Clubs.« »Humph!« machte Hansen unbeeindruckt. »Schon mal was von diesem Club gehört?« »Noch nie.« Der Detektiv machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es gibt auf der Welt so viele Clubs wie Sand am Meer. Was ist denn so besonders an diesem Norman Club?« »Mehrere Punkte. Zunächst ist der Club international, obwohl das nur wenige Menschen zu wissen
scheinen. Der Club ist äußerst exklusiv. Die Ziele sind nur den Mitgliedern bekannt.« »Sie wollen also, daß ich mich mit diesen Mitgliedern beschäftige?« »Nein, das übernehme ich selbst.« Er fuhr sich noch einmal mit dem Handtuch über die Augen, warf es über einen Wandhaken und setzte sich. »Ich werde mich dort ein bißchen umsehen.« Er zog einen kleinen kegelförmigen Gegenstand aus der Schublade und reichte ihn Hansen. Nachdem er ihm eine eingehende Betriebserklärung gegeben hatte, fügte er hinzu: »Kommen Sie heute abend um sechs an die Ecke Sixth und West Fifty-eight Street. Sobald Sie den Funkleitstrahl aufgenommen haben, können Sie auf eigene Faust handeln.« Hansen stand auf, warf einen zweifelnden Blick auf den kleinen Gegenstand und steckte ihn ein. »Viel Spaß!« Er wandte sich der Tür zu. »Der Norman Club – pah! Wahrscheinlich lesen sie dort französische Magazine oder ähnlichen Schund!« Armstrong blickte ihm nach und lächelte. Hansens Vermutung war gar nicht so abwegig, denn der Name Norman ließ auf französischen Ursprung schließen. Der Norman Club machte einen vornehmen, aber keineswegs protzigen Eindruck. Der Portier neben der gläsernen Drehtür hatte eine Uniform an wie der Zehn-Sterne-General irgendeiner orientalischen Armee. Armstrong ging die Marmorstufen zur Glastür hinauf. Als er der Drehtür zustrebte, streckte ihm der General die in einem makellos weißen Handschuh
steckende Hand entgegen. »Verzeihung, Sir, der Zutritt ist nur Mitgliedern gestattet.« »Oh.« Armstrong schob den Hut in die Stirn und kratzte sich den Hinterkopf. Der General betrachtete ihn mit einem Blick, der klar erkennen ließ, daß die Mitglieder dieses exklusiven Clubs sich nicht den Hinterkopf zu kratzen pflegten. »Und wie wird man Mitglied?« fragte Armstrong. »Nur auf Empfehlung, Sir.« »Auf wessen Empfehlung?« »Eines aktiven Mitglieds, Sir.« »Ah, ja, natürlich.« Er stieß mit der Fußspitze gegen die Tür, so daß sie langsam zu rotieren begann. »Anscheinend muß ich wohl hineingehen und meinen einflußreichsten Freund überreden, mich zu empfehlen.« Der General musterte ihn mit einem martialischen Blick, trat einen Schritt vor und streckte die Hand noch weiter aus. »Bedaure, Sir...« Armstrong stellte seinen Fuß auf den Schuh des Portiers und drückte ihm die Hand gegen die Brust. Im nächsten Augenblick saß der General unversehens auf dem Boden. Armstrong warf einen Blick über die Straße und eilte durch die Drehtür. Ein distinguiertes Individuum mit spiegelblankem Haar kam auf ihn zu und nahm Hut und Mantel entgegen. »Hier entlang, Sir.« »Danke.« Armstrong versank bis zu den Knöcheln in einem dicken weichen Teppich. Ein flüchtiger Blick
über die Schulter zeigte ihm, daß der General jetzt wieder auf seinem Posten stand. Offensichtlich verließ er sich fest darauf, daß seine Kollegen drinnen mit dem Eindringling fertig werden würden. Er betrat einen Raum und hörte, wie die Tür hinter ihm ins Schloß fiel. Der Mann hinter dem Schreibtisch blickte auf. Er hatte ein markantes Gesicht mit ungewöhnlich dunklen Augen. »Freut mich, Sie zu sehen, Mr. Armstrong.« Er deutete mit der manikürten Hand einladend auf den Sessel vor dem Schreibtisch. Dann drückte er auf einen Knopf. »Sie kennen mich also«, brummte Armstrong, während er sich vorsichtig setzte. »Natürlich, natürlich.« Der Mann lachte kurz auf. »Wir haben Sie erwartet. Unser Mr. Rothman wird sich sofort um Sie kümmern. Es wird nicht lange dauern.« Armstrong schlug die Beine übereinander und betrachtete den Mann, der sich mit den Papieren auf seinem Schreibtisch beschäftigte. Er stand auf, ging zur Tür und fand sie, wie nicht anders erwartet, verschlossen. Er kehrte zu seinem Sessel zurück. Der Mann hinter dem Schreibtisch blickte nicht einmal auf. Eine andere Tür wurde geöffnet, und der Mann sah sich um. »Ah, da kommt ja Mr. Rothman.« Es war ein kräftiger Bursche mit einem rundlichen Gesicht und leicht gewelltem weißen Haar. Er nickte dem Mann hinter dem Schreibtisch kollegial zu und trat mit ausgestreckten Händen auf Armstrong zu. »Mein lieber Mr. Armstrong! Ich freue mich ja so
über Ihr Kommen!« Er drückte Armstrong herzlich die Hand. Dann klopfte er ihm freundschaftlich auf den Rücken. »Wissen Sie, eine innere Stimme sagte mir, daß Sie eines Tages herkommen würden.« »Tatsächlich?« fragte Armstrong ungnädig. Er wußte beim besten Willen nicht, was er von diesem Empfang halten sollte. »Wer hat es Ihnen denn verraten? Hansen?« »Aber, mein lieber Mr. Armstrong. Wir verfügen über weitaus verläßlichere Informationsquellen.« Er lachte in sich hinein und führte Armstrong durch die zweite Tür. Als Armstrong über die Schwelle trat, erhaschte er einen flüchtigen Blick auf etwa ein halbes Dutzend Männer, die neben einem Gerät standen, das ihn an eine riesige Filmkamera erinnerte, und ihm entgegenblickten. Ihm blieb keine Zeit für weitere Gedanken. Im Bruchteil einer Sekunde schoß ein blauer Blitz aus dem Gerät, und Armstrong sank bewußtlos zu Boden. Er kam in einer komfortabel eingerichteten Zelle zu sich. Seine Kehle war wie ausgetrocknet, doch sonst schien alles in Ordnung zu sein. Da standen ein Bett, ein Tisch, ein kleiner Schrank, ein paar bequeme Sessel, ein elektrisches Heizgerät, ein Regal mit Büchern und viele andere Sachen, die man normalerweise nicht in einer Zelle antrifft. Er trat an das kleine Waschbecken in der Ecke des Raumes und drehte den Hahn auf. Dann stellte er sich an die Gittertür und warf einen Blick auf den Gang. Allem Anschein nach war das
hier ein Zellenblock. »Ist hier jemand?« rief er. In der Nebenzelle kam jemand an die Gittertür. Die beiden Gefangenen konnten sich natürlich nicht sehen. Der Stimme nach zu urteilen mußte Armstrongs Zellennachbar ein älterer Mann sein. »Sie sind also zu sich gekommen, was? In den vergangenen Stunden habe ich Sie mindestens zehnmal gerufen. Wie hat man Sie denn erwischt?« »Das weiß ich nicht so genau. Da war ein blauer Blitz, und ich brach wie vom Schlag getroffen zusammen. Wo sind wir hier?« »Das wollte ich Sie gerade fragen.« Der Zellennachbar schwieg eine Weile. »Nachdem Sie nun wieder bei sich sind, könnten Sie mir eine Frage beantworten – eine äußerst wichtige Frage.« »Nur zu«, brummte Armstrong. »Was ist das Leben?« »Äh?« »Was ist das Leben?« wiederholte der Mann. »Wen interessiert das schon?« »Mich – und zwar eine ganze Menge. Ich muß diese Frage unter allen Umständen beantworten. Davon hängt mein Leben ab. Was ist das Leben?« Armstrong klammerte beide Hände so fest um die Gitterstäbe, daß sich die Knöchel weiß unter der Haut abzeichneten. »Wer hat Ihnen diese Frage gestellt? Wer verlangt die Antwort? Wer hat gesagt, daß Ihr Leben davon abhängt – und warum?« »Wenn ich Ihnen das alles erzähle«, antwortete der unsichtbare Zellennachbar, »werden Sie darüber nachdenken und meine Frage vergessen. Finden Sie
die Antwort für mich, dann sage ich Ihnen alles, was ich weiß.« Er hüstelte ein paarmal. »Später können Sie mir nicht mehr helfen, denn dann müssen Sie sich auf die Ihnen vorgelegte Frage konzentrieren.« »Was soll das denn alles bedeuten – etwa ein Quiz?« »So könnte man es auch nennen. Der Verlierer landet im Grab.« »Blödsinn!« brummte Armstrong. Er ließ sich in einen Sessel fallen und starrte auf die Wand. War er hier etwa in einem Irrenhaus? Vielleicht war dieser blaue Blitz nur ein Traum gewesen, eine Illusion. Vielleicht hatte er einen plötzlichen Nervenzusammenbruch erlitten. Vielleicht ein Gehirntumor oder etwas Ähnliches. Nein, das konnte es nicht sein, denn sein Denkvermögen war völlig in Ordnung. Was ist das Leben? Trotz aller Ablenkungsversuche tauchte diese Frage immer wieder beharrlich auf. Er stand auf, wanderte eine Weile in der Zelle hin und her und stellte sich wieder an die Gittertür. »He!« rief er. »Was denken Sie denn, was das Leben ist?« Der Mann kam ebenfalls an die Gittertür. »Als Kind habe ich gelernt, daß das Leben eine Art Leiter ist, die zu den höheren Dingen hinaufführt. Diese Antwort werde ich wohl auch geben. Aber wenn sie nun damit nicht zufrieden sind? Wenn Sie mich hinausführen, und... und... und...« »Nun?« drängte Armstrong. »Ich weiß nur, daß die Antwort richtig sein muß. Sie werden das schon noch merken, wenn Sie Ihre
Frage bekommen.« »Wie viele andere Definitionen sind Ihnen eingefallen?« Der Mann zögerte eine Weile. »Leben ist Wachstum«, brachte er dann zweifelnd hervor. Damit schien er das Interesse an einer weiteren Unterhaltung verloren zu haben, denn er verließ den Platz an der Gittertür und murmelte ununterbrochen vor sich hin. Knapp zehn Minuten später kamen zwei kräftige Männer mit harten Gesichtern, gingen an Armstrongs Zelle vorüber und holten seinen Nachbarn heraus. Armstrong preßte den Kopf gegen die Gitterstäbe, um sich nichts entgehen zu lassen. Als sie wieder in sein Blickfeld traten, schleppten sie einen alten Mann mit gebeugten Schultern und schlohweißem Haar zwischen sich davon. Ihre Schritte verklangen im Hintergrund des langen Ganges; eine Tür wurde krachend zugeschlagen. Allem Anschein nach war Armstrong jetzt der einzige Bewohner des Zellenblocks. Er suchte die Zelle nach verborgenen Mikrofonen ab, konnte jedoch nichts entdecken. Nach einer Weile tauchte ein Wärter auf, schob das Tablett mit dem Abendessen unter der Gittertür durch und zog sich schweigend zurück. Am nächsten Morgen wurde das Frühstück auf die gleiche Weise serviert. Das Essen war schmackhaft und hätte jedem renommierten Hotel zur Ehre gereicht. Was immer sie hier mit ihm vorhaben mochten, verhungern würde er jedenfalls nicht. Gegen Mittag machte er sich Gedanken wegen seines Zellennachbarn, der noch immer nicht zurückge-
bracht worden war. Vielleicht hatte er doch die falsche Antwort gegeben, und das befürchtete Schicksal hatte ihn ereilt. Es stand jedenfalls fest, daß die Sache mit Hansen irgendwie schiefgegangen war, obwohl sie den Plan in allen Einzelheiten genau durchgesprochen hatten. Zum zwanzigsten Male kramte er in seiner Westentasche. Der kleine Gegenstand, der eigentlich in dieser Tasche stecken sollte, fehlte. Andernfalls würde es hier bereits von Polizisten wimmeln. Allem Anschein nach kannten sich die Leute in diesem Haus mit derartigen technischen Spielereien aus. Ein Wärter schob das Tablett mit seinem Mittagessen unter der Gittertür hindurch. Am Teller lehnte ein weißer Briefumschlag. Armstrong nahm ihn, öffnete ihn und las den mit Maschinenschrift geschriebenen Text laut vor: »Lieber Mr. Armstrong, Ihr Schicksal hängt von der Antwort ab, die Sie auf unsere kleine Frage finden. In Anbetracht Ihrer Lage sind wir davon überzeugt, daß Sie gründlich darüber nachdenken werden. Dazu stehen Ihnen als Mindestzeit nicht weniger als zwei volle Tage zur Verfügung.« Eine Unterschrift fehlte. Wie gebannt lag sein Blick auf den sieben Wörtern der Frage. Seine Gedanken überschlugen sich. Er spürte, wie ihm am ganzen Körper der Schweiß ausbrach. Kaleidoskopartige Farbfetzen tanzten vor seinen Augen. Es war wie eine Vision der Hölle. Das also war es! Der kritische Punkt, auf den alles
zugeführt hatte! Wie von hypnotischen Kräften angezogen, kehrte sein Blick immer wieder zu den sieben verhängnisvollen Wörtern zurück. »Woher wissen Sie, daß Sie normal sind?«
7 Sieben kleine Wörter, von denen sein künftiges Schicksal abhing. Sie waren wie das Gewicht einer am Strick baumelnden Leiche. »Woher wissen Sie, daß Sie normal sind?« Armstrong setzte sich an den Tisch, schob das Tablett mit dem gebratenen Huhn achtlos beiseite, stützte den Kopf in beide Hände und grübelte vor sich hin. In seiner ruhigen, unpersönlichen Art brachte der Wärter das Tablett mit dem Kaffee, schob es unter der Gittertür durch und wartete auf das Tablett mit dem leeren Geschirr. Armstrong musterte den Mann eine Weile durchdringend vom Kopf bis zu den Füßen, aber der verzog keine Miene. Armstrong zuckte mit den breiten Schultern und brachte ihm das Tablett mit dem Geschirr. Er achtete darauf, daß es den Boden unter der Gittertür nicht berührte, und ließ es erst aus der Hand, als der Mann danach griff, um es durchzuziehen. Das kleine Glasröhrchen unter dem Tablett zerbrach. Eine kleine weiße Wolke hüllte den Kopf des Wärters ein, und Armstrong zog sich hastig von der Gittertür zurück. Der Wärter versuchte vergebens, sich aufzurichten, und brach, mit dem Gesicht auf dem Tablett, zusammen. Armstrong riß das Tischtuch herunter und fächelte damit die in die Zelle eindringende Wolke zurück. Dann trat er vorsichtig auf die Gittertür zu, schob die
Arme zwischen den Stäben durch und zerrte den bewußtlosen Wärter in die Höhe. In diesem Augenblick fiel sein Blick auf die beiden im Gang stehenden Männer. Sie standen etwa vier bis fünf Meter von seiner Tür entfernt, und er konnte sie nur sehen, weil sie an der gegenüberliegenden Wand lehnten. Ihre Hände steckten in den Hosentaschen, die harten Gesichter waren völlig ausdruckslos. Sie sahen ihm zu und trafen nicht die geringsten Anstalten, sich einzuschalten. Armstrong durchsuchte die Taschen des bewußtlosen Wärters. Dann ließ er den schlaffen Körper wieder auf den Boden gleiten. Er hatte nichts gefunden – gar nichts. Die beiden Wärter kamen an die Tür und hoben ihren bewußtlosen Kollegen auf. Einer der beiden blickte herein. »Sie sind durchsucht worden. Wo hatten Sie das Glasröhrchen mit dem Gas?« »Ah, endlich ein freundliches Wort!« spöttelte Armstrong. »Ich dachte schon, man hätte euch allen die Zunge herausgeschnitten. Wie wäre es mit einer kleinen Plauderstunde?« »Sie wollen es uns also nicht verraten?« fragte der Wärter. »Sie sind noch nicht alt genug, in solche Geheimnisse eingeweiht zu werden...« Es war alles zwecklos: diese Burschen wirkten wie Roboter. Sie trugen ihren bewußtlosen Kollegen davon, und Armstrong wanderte wieder unruhig in seiner Zelle auf und ab. Zwischendurch fragte er sich wie schon so oft, wie sein Zellennachbar mit der Antwort auf seine Frage
zurechtgekommen sein mochte. Vielleicht hatte er eine endgültige Antwort nach dem Sinn des Lebens erst im Augenblick des Todes gefunden. Es war nicht abzusehen, wie viele Fragen hier schon gestellt worden sein mochten – und wie viele Menschen ihnen zum Opfer gefallen waren... Sie ließen ihm sechsunddreißig Stunden Zeit, das Problem zu lösen. Am Ende dieser Frist merkte er, daß selbst ein starker und widerstandsfähiger Geist zu erschüttern ist. Woher wissen Sie, daß Sie normal sind? Denk nicht mehr daran! Schlag es dir aus dem Kopf! Beschäftige deine Gedanken mit anderen Vorstellungen und Problemen! Woher wissen Sie, daß Sie normal sind? Denk an Quinn und seine Aussichten, den Mars zu erreichen! Denk an Fothergill! Denk an jenen glücklichen Tag, an dem dir die Erfindung des Sonnenkompaß gelang, die dir hunderttausend Dollar einbrachte, ganz zu schweigen von den Lizenzhonoraren. Woher wissen Sie, daß Sie normal sind? Es war die uralte Technik des ständig im gleichen Rhythmus fallenden Wassertropfens... Als die Wärter kamen, um ihn abzuholen, atmete er erleichtert auf. Es waren sechs große, stämmige Burschen. Sie sperrten die Zellentür auf und führten ihn durch vier kleinere Räume in eine Art Saal. Er ging aufrecht und sah sich alles aufmerksam an. Irgendwie bedauerte er es, daß gleich sechs Mann angerückt waren. Gegen drei oder vier hätte er vielleicht eine Chance gehabt – aber gegen sechs dieser Hünen erschien das ausgeschlossen. Vor einer breiten Doppeltür an der linken Seite der
Halle blieben sie stehen. »Schuhe ausziehen!« befahl einer der Wärter. »Was ist das hier – eine Moschee?« fragte Armstrong. »Schuhe ausziehen!« Er bückte sich, zog die Schuhe aus und stellte sie an die Wand. Ein Wärter öffnete die breite Tür und führte ihn zu einem bequemen Sessel. Armstrong setzte sich und starrte herausfordernd auf den Mann hinter dem wuchtigen Diplomatenschreibtisch. Der Mann hatte ein aristokratisches Gesicht mit stahlgrauem Haar, klugen dunkelbraunen Augen und einer schmalen, etwas gebogenen Nase. Ein gutmütiger Ausdruck stand in seinem Gesicht. Er warf Armstrong einen glitzernden Gegenstand zu, und Armstrong fing ihn geschickt mit einer Hand auf. »Sie können Ihr Feuerzeug zurückhaben, Mr. Armstrong. Ein durchaus bemerkenswertes Ding. Welche Reichweite hat es eigentlich?« »Etwa sieben Meilen«, antwortete Armstrong. »Tatsächlich? Am meisten interessierte uns die kleine Batterie – eine geradezu epochale Erfindung! Das trifft übrigens auch auf die beiden winzigen Transistoren zu.« Er legte seine gepflegten Hände auf den Schreibtisch und lächelte. »Den Mechanismus haben wir natürlich herausgenommen, denn wir konnten nicht zulassen, daß Ihnen Freund Hansen auf Schritt und Tritt folgt.« Er lachte leise und drückte auf den Knopf eines kleinen Visivox-Geräts. »Haben Sie etwas gefunden?« Er wartete die Ant-
wort ab und fuhr fort: »Also im Absatz des linken Schuhs, wie? Und weiteren Zündstoff im Absatz des rechten? Das hätten wir auf keinen Fall übersehen dürfen!« Rötliche Fünkchen tanzten in seinen Augen. »Wer hat das übersehen?« Nachdem er die Antwort bekommen hatte, sagte er: »Schicken Sie ihn her, sobald ich diese Unterredung beendet habe.« Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, und sein Gesichtsausdruck wurde wieder friedlich. »Wahrscheinlich werden Sie ihn zur Schnecke machen!« sagte Armstrong. »Es ist viel wichtiger, uns erst einmal mit Ihrem Problem zu beschäftigen«, erwiderte der Mann freundlich. »Wir hatten Ihnen eine Frage gestellt. Haben Sie die Antwort gefunden, oder möchten Sie weiter darüber nachdenken?« Armstrong warf ihm einen harten Blick zu. »Ich habe die Antwort.« »Wie lautet sie?« »Ich weiß nicht, ob ich normal bin.« »Ist das Ihre endgültige Antwort?« »Ja«, sagte Armstrong. »Es interessiert mich nicht, ob sie Ihnen nun gefällt oder nicht.« »Was ich persönlich von Ihrer Antwort halte, hat natürlich nichts mit den etwaigen Konsequenzen zu tun. Sie können es als Kompliment auffassen, daß ich Ihre Antwort für ausgezeichnet halte.« »Sehr nett von Ihnen!« höhnte Armstrong, und sein Blick wurde noch härter. »Ich möchte bezweifeln, ob Sie oder sonst jemand auf der Welt eine bessere hätte finden können.« »Eine durchaus vernünftige Annahme, wenn man berücksichtigt, daß Sie unter völlig irrigen Vorausset-
zungen gelebt haben«, stellte der Mann hinter dem Schreibtisch fest. »Dennoch ist diese Annahme grundfalsch.« »Äh?« Der Mann seufzte. »Ich weiß, daß ich normal bin. Diese Tatsache ist ohne den geringsten Schatten eines Zweifels festgestellt worden, und ich könnte diesen Beweis jeden Tag erneut antreten.« »Blödsinn!« sagte Armstrong. Der Mann fuhr völlig gelassen fort, ohne sich um Armstrongs Einwurf zu kümmern. »Das trifft übrigens für jede Person in diesem Haus zu. Jedes Mitglied des Norman Clubs ist völlig normal.« Der Blick seiner dunklen Augen war kühl und leidenschaftslos. »Um Mitglied des Norman Clubs werden zu können, muß ein Mann nachweisen, daß er gesund und normal ist – ein Norman!« »Was?« Armstrong sprang auf. »Sein Gehirn darf in keiner Weise verbildet sein«, fuhr der Mann unbeirrt fort. »Das heißt, er darf kein humoraler Mann – also kein Human sein.« »Wollen Sie damit etwa sagen, daß Sie kein irdischer Mensch sind?« fragte Armstrong. »Setzen Sie sich, setzen Sie sich! Beruhigen Sie sich! Unnötige Aufregung spricht gegen Sie!« Er machte eine kurze Handbewegung und sah zu, wie Armstrong sich wieder in den Sessel setzte. »Ein irdischer Mensch bin ich nur insofern, als mein Körper aus Fleisch und Blut besteht – eine Tatsache, die dieser unglücklichen Welt als Beweis genügt. Im eigentlichen Sinn jedoch, der überall Anerkennung findet – bin ich Gott sei Dank kein irdischer Mensch, sondern
ein Norman!« »Was meinen Sie mit der Anerkennung überall? Überall wo?« fragte Armstrong. »Das werden Sie noch erfahren.« Er drückte auf einen Knopf auf der Schreibtischplatte. »Der Augenblick ist noch nicht gekommen.« Er beugte sich über das Visivox. »Der Fall ist bereit für Zimmer zehn.« Armstrong sprang erneut auf. Er warf einen flüchtigen Blick auf den zerknitterten Anzug, in dem er hatte schlafen müssen. »Sie lassen mir also weiter Zeit, über diesen Humbug nachzudenken?« »Gewiß. Sie haben von uns nichts zu befürchten, denn es ist nicht unsere Absicht, Ihnen irgendeinen Schaden zuzufügen.« »Okay, ich nehme Sie beim Wort. Geben Sie mir jetzt meine Schuhe zurück, damit ich diesen Raum mit gebührendem Anstand verlassen kann.« »Noch nicht.« Er warf einen Blick auf die eintretenden Wärter. »Noch nicht, Mr. Armstrong. Wir hoffen gemeinsam mit Ihnen, daß jetzt der endgültige Beweis dafür erbracht wird, daß Sie normal sind. Meine besten Wünsche begleiten Sie!« »Nehmen wir einmal an, daß Ihre Hoffnungen trügen?« Wieder begannen die roten Fünkchen in den dunklen Augen des Mannes zu tanzen. »Das würde mich sehr traurig stimmen.« Armstrong warf ihm einen letzten, trotzigen Blick zu und trat vor die Tür, um die Schuhe anzuziehen. Er wußte ja, daß die hohlen Absätze inzwischen geleert worden waren. Als er sich wieder aufrichtete, wandte er sich an ei-
nen der Wärter und deutete auf die breite Doppeltür. »Wer ist denn dieser Bursche mit der glatten Zunge?« fragte er, ohne im Grunde genommen eine Antwort zu erwarten. »Das ist Senator Lindle«, erwiderte der Wärter. Armstrong bekam den Mund nicht zu. »Lindle? Sachen gibt's! Hat er denn das Grundgesetz nicht gelesen?« »Sie hätten ihn ja fragen können«, gab der Wärter zurück und deutete auf eine Tür am Ende der Halle. »Das ist unser nächstes Ziel – Zimmer zehn.« »Und was wird dort geboten?« »Dort wollen wir uns mal Ihren Gehirnkasten ansehen«, antwortete der Wärter, ohne eine Miene zu verziehen. »Dann werden wir entscheiden –« Er brach ab und versuchte, Armstrongs Schlag abzuducken. Statt des Kinns fand Armstrongs Faust die Stirn, und der Wärter stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden. Wieder reagierten seine Kollegen völlig anders als erwartet. Keiner von ihnen zeigte auch nur die geringste Spur von Erregung. Philosophisch schickten sie sich in die einmal gegebene Situation und fanden sich damit ab. Mit vereinten Kräften drückten sie ihn auf den weichen Teppich hinunter und hielten ihn dort fest. Nach einer Weile schleppten sie ihn durch die Tür von Zimmer zehn und banden ihn auf eine Art Gestell, das von Apparaten und Geräten umgeben war.
8 Selbst fünf Ledergurte vermochten Armstrong kaum zu halten. Der erste verlief oberhalb der Knöchel, der zweite unterhalb der Knie, ein weiterer über die Hüften, und die beiden letzten über den Brustkorb. Er spannte die Muskeln an, sein Gesicht wurde puterrot – und schon zerriß der Gurt über seiner Brust. Es war ein imposanter Anblick, wie er das Ding sprengte, aber es half ihm gar nichts. Die Wärter schnallten ganz einfach vier weitere Gurte an, so daß es nun insgesamt acht waren. Dann rieben sie sich die zerschundenen Hände und Arme, streiften ihn mit einem letzten Blick und verließen den Raum. Armstrong drehte den Kopf so weit das ging. Der Raum kam ihm wie eine Mischung aus Folterkammer und Fernsehstudio vor. Er konnte sich beim besten Willen keinen Vers darauf machen. Irgendwo hinter seinem Kopf schimmerte etwas, das wie ein großer Helm aussah. Vermutlich wollte man mit diesem Ding die eigentliche Gehirnwäsche bei ihm durchführen. Er stemmte sich noch einmal versuchsweise mit aller Kraft gegen die Ledergurte. Sie knarrten, gaben aber nicht nach. »Finden Sie das alles ein bißchen komplizierter als den Mechanismus in Ihrem Feuerzeug, Mr. Armstrong?« Er wandte den Kopf und sah Lindle neben seiner Pritsche stehen. Der Mann wirkte noch immer freundlich und zuvorkommend. »Treiben Sie nur weiter Ihre Späße«, brummte
Armstrong böse. »Jeder Hahn kräht auf dem Mist. Später kommt er dann doch ans Messer!« »Mein lieber Mann, ich denke gar nicht daran, zu krähen«, sagte Lindle. »Ich versage Ihnen und allem, was Sie erreicht haben, keineswegs respektvolle Bewunderung.« Er winkte einen weißhaarigen Mann in einem weißen Kittel und mit einer starken Brille heran. Der Mann betrachtete Armstrong wie ein vor der Vivisektion stehendes Versuchskaninchen. »Das ist Dr. Horowitz, in dessen Obhut ich Sie jetzt zurücklasse.« Lindle winkte noch einmal und verließ den Raum. Horowitz ging zum Schalttisch und drehte an Knöpfen oder drückte auf Tasten. Dann kam er zu Armstrong und stülpte ihm den Helm über den Kopf. Armstrong hörte ein metallisches Klicken. Er hatte das Gefühl, als würde ihm jemand das Gehirn aus dem Kopf reißen und auf einem Sieb schütteln. Dann wurde alles um ihn herum dunkel. Als er allmählich wieder zu sich kam, war er völlig erschöpft. Seine Arme zitterten, und er hatte grauenhafte Kopfschmerzen. Erst nach und nach spürte er, daß er nicht mehr gefesselt war. »Hier, trinken Sie das«, sagte Horowitz mit einem seltsam gutturalen Akzent. »Dann werden Sie sich gleich besser fühlen.« Eine heiße Flüssigkeit ergoß sich in Armstrongs Kehle. Tapfer schluckte er das Zeug hinunter, leckte sich die Lippen ab und schloß die Augen. Er spürte die betäubende Wirkung der Flüssigkeit und schlief ein. Der Arzt rief die Wärter herein und ließ Armstrong in die Zelle zurücktragen. In ihrer phlegmatischen
Art legten sie ihn aufs Bett und verließen die Zelle. Er schlief einmal um die Uhr herum, wusch und rasierte sich und fühlte sich nach dem Essen wieder als Mensch. Die Wärter holten ihn ab und führten ihn auf dem nun schon bekannten Weg zu den breiten Doppeltüren. Lindle erwartete ihn hinter seinem Schreibtisch. Er schien mit sich und der Welt zufrieden zu sein. »Nun, Mr. Armstrong, es sieht ganz so aus, als wären Sie am Ende dieses dornigen Pfades angelangt. Dazu kann ich Sie nur beglückwünschen.« »Nein, es ist noch nicht das Ende! Das kommt erst, wenn ich...« Lindle schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. »Ich weiß, ich weiß! Sie wollen mir jetzt sagen, was Sie von mir denken und halten, aber wir wollen alle persönlichen Unstimmigkeiten eine Weile vergessen. Sie werden eine Menge Dinge erfahren wollen, und der Zeitpunkt ist gekommen, Ihre drängenden Fragen zu beantworten. Wir brauchen Ihnen die Wahrheit nicht länger vorzuenthalten – und dafür gibt es einen sehr plausiblen Grund.« »Und was ist das für ein Grund?« »Sie sind normal!« »Stell sich das einer vor!« sagte Armstrong mit gespielter Freude. »Kaum zu glauben!« Lindle beugte sich in seinem Sessel vor und sah ihn durchdringend an. »Hören Sie, ich kann Ihnen Fakten nennen, die Sie erschüttern werden. Sie beruhen auf der reinen Wahrheit, auch wenn es Ihnen schwerfallen wird, das
zu glauben. Allerdings kann ich Ihnen diese Fakten nur unter gewissen Bedingungen nennen.« »Schießen Sie los!« sagte Armstrong. »Sie dürfen sich nicht von Gefühlen leiten lassen, sondern müssen die Sache rein logisch betrachten. Ich verlange nicht Ihre Freundschaft – noch nicht. Ich bestehe lediglich darauf, daß Sie alles unparteiisch und ohne Vorurteile aufnehmen. Wir wollen ganz offen von Mann zu Mann darüber reden.« Armstrong ließ sich das durch den Kopf gehen. Hier wurde also von ihm verlangt, daß er sich so kaltblütig wie ein Fisch verhielt. Sie hatten ihn gegen seinen Willen festgehalten und allerlei verrückte Experimente mit ihm angestellt, aber schließlich hatte er keinen Schaden davongetragen. Zumindest konnte er versuchen, die Bedingungen zu erfüllen. »Okay, ich werde mir die größte Mühe geben.« »Gut«, lobte Lindle. Er verschränkte die Arme auf dem Schreibtisch. »Wie Ihnen bestimmt schon aufgefallen sein dürfte, kann man die Menschen dieser Welt in verschiedene Gruppen einteilen. Da wäre zunächst die Verschiedenartigkeit ihrer Hautfarbe. Auch sonst gibt es eine Vielzahl von Unterscheidungsmerkmalen.« Er hob die Stimme an. »Vor allem aber gibt es einen Punkt von besonderer Wichtigkeit für die gesamte Menschheit.« »Weiter!« drängte Armstrong. »Jeder Mensch ist entweder ein Hu-man oder ein Nor-man!« Er sah seinen Zuhörer forschend an. »Das heißt, er ist entweder normal oder nicht normal!« Armstrong rutschte unruhig auf seinem Sessel hin und her. »Ich beschränke mich auf die Rolle des Zuhörers.«
»Die normalen Menschen sind in der Minderheit«, fuhr Lindle fort. Seine Stimme klang, als würde er eine Offenbarung verlesen. »Viele erscheinen nur normal, während sich bei einer genauen Untersuchung herausstellt, daß sie keineswegs normal sind. Die eigentlichen Definitionen stammen weder von mir noch von sonst einem Menschen. Sie stammen überhaupt nicht von dieser Welt.« »Vermutlich stammen sie vom Mars«, sagte Armstrong grinsend. »Stimmt genau!« Armstrong fuhr auf seinem Sessel zurück. »Was?« keuchte er. »Ich habe Sie gewarnt, daß Ihnen einiges bevorsteht!« Ein nachdenklicher Ausdruck trat in Lindles Gesicht. »Die Definition wurde vor über hundertzwanzigtausend Jahren von unseren Vorvätern auf dem Mars entworfen. Sie nannten das Gerät Psychotron. Es bietet die einzige Möglichkeit, den normalen Zustand einwandfrei zu definieren.« »Sie sagen, es stammt von unseren Vorvätern. Soll das heißen, daß wir ursprünglich alle vom Mars gekommen sind?« »Nicht alle von uns – nur die weißhäutigen. Nur sie sind die Nachkommen der Marsmenschen, ob ihnen das nun gefällt oder nicht. Die gelbhäutigen lebten seit jeher auf der Erde. Die braunhäutigen stammen von der Venus und die schwarzhäutigen vom Merkur. Jeder Neger ist ein direkter Nachkomme dieser Merkurmenschen.« »Hört sich an, als wollten Sie eine neue Religion gründen«, meinte Armstrong skeptisch. »Haben Sie das alles im Kaffeesatz gelesen? Oder hat Ihnen je-
mand Tabletten mit besonderer Wirkung gegeben?« »Alle diese Tatsachen sind älter als die Geschichte der Erde. Ihre Richtigkeit kann jederzeit nachgewiesen werden.« Lindle schien seiner Sache absolut sicher zu sein. »Oh?« fragte Armstrong. »Und wie sieht dieser Nachweis aus?« »Nun, ich könnte Ihnen zum Beispiel die dreidimensionalen Bildaufzeichnungen über die ersten Raumfahrten vom Mars zur Erde und zum Mond vorführen. Ich könnte Sie mit dem Psychotron spielen lassen, bis Sie davon überzeugt sind, daß es keine irdische Erfindung sein kann. Der klarste Beweis wäre jedoch die erste Landung eines irdischen Raumschiffes auf dem Mars – falls es uns nicht gelingen sollte, eine solche Landung auf die Dauer zu verhindern.« »Ah!« Armstrong stützte die Hände auf die Knie und starrte Lindle herausfordernd an. »Sie geben also zu, daß Sie die Raumflüge zum Mars systematisch sabotiert haben?« »Zugeben? Mein lieber Mann, wir sind stolz darauf!« »Werden Sie auch noch stolz sein, wenn das F.B.I. Sie deswegen hinter Gitter bringt?« Lindle lachte in sich hinein. »Typisch für einen Erdenmenschen – noch dazu für einen Amerikaner.« »Mag sein, aber ich bin nicht nur Amerikaner, sondern auch normal. Verstehen Sie? Das haben Sie mir selbst bestätigt. Ich laufe schließlich nicht herum, um meine Dienste dem Meistbietenden zur Verfügung zu stellen.« Lindle drohte ihm lachend mit dem erhobenen Zeigefinger.
»Wir hatten vereinbart, uns nicht von Gefühlen leiten zu lassen. Diese Unterhaltung soll Ihnen nur zeigen, in welches Lager Sie eigentlich gehören. Als intelligenter Mensch, noch dazu als Wissenschaftler, werden Sie Ihre Entscheidung stets von den Tatsachen abhängig machen, nicht wahr?« »Nun, ich werde mir alles anhören, was Sie vorzubringen haben, aber das bedeutet noch längst nicht, daß ich auch alles glaube.« »Ich werde Ihnen in kurzen Auszügen einen Einblick in die Geschichte geben, wie sie nur wenigen Menschen dieser Welt bekannt ist. Sie werden verstehen, warum dieses Wissen nur auf wenige Menschen beschränkt bleiben muß – etwa auf die Freimaurer oder die Rosenkreuzler. Es sind die Perlen, die nicht allen zugänglich gemacht werden dürfen. Sie sind nur wenigen vorbehalten – den Normalen!« »Ich höre.« »Sie müssen mehr tun als nur hören. Sie müssen mitdenken. Später müssen Sie sich an alles erinnern. Und dann müssen Sie alle Dinge dieser Welt mit neuen Augen sehen.« Er musterte Armstrong mit einem langen, forschenden Blick, ehe er mit seinem eigentlichen Bericht begann. »Vor über hundertzwanzigtausend Jahren begann die weißhäutige, hochentwickelte Rasse der Marsmenschen den Weltraum zu erobern und Raumschiffe zu den inneren Planeten unseres Sonnensystems zu schicken. Sie fanden alle Planeten von menschenähnlichen Wesen bevölkert. Die Hautfarben dieser Menschenwesen richteten sich nach der Entfernung des jeweiligen Planeten von der Sonne. Die Marsmen-
schen waren die einzigen weißhäutigen Wesen.« »Diese Theorie hat etwas für sich«, meinte Armstrong. »Alle Planeten waren fruchtbar«, fuhr Lindle fort, ohne Notiz von dem Einwurf zu nehmen. »Am erstaunlichsten aber war die üppige Fruchtbarkeit der Erde. Die Menschen von Merkur und Venus waren fast ebenso weit entwickelt wie die vom Mars. Innerhalb weniger Jahrhunderte hätten auch sie mit der Eroberung des Weltalls beginnen können. Die Erdenmenschen jedoch standen noch immer auf einer erstaunlich niederen Entwicklungsstufe. Sie hatten es noch nicht gelernt, die Probleme auf ihrem eigenen Planeten zu lösen. Die Fruchtbarkeit der Erde war für die Erdenmenschen nicht nur ein Segen, sondern auch ein Fluch. Mars, Venus und Merkur schlossen sich zusammen und trieben die friedliche Entwicklung weiter voran, während die Erde mit ihren Problemen in Vergessenheit geriet. Die Erdenmenschen wurden nicht für würdig befunden, der interplanetaren Gemeinschaft beizutreten. In den Augen der Bewohner jener anderen Planeten waren sie kaum mehr als Affen.« Lindle hielt inne und überzeugte sich mit einem Blick, daß Armstrong seinen Ausführungen folgte. »Während die Erde also so gut wie vergessen war, entwickelten sich die Bewohner der drei anderen Planeten immer weiter. Nur ein kleines Hemmnis stand zwischen ihnen und der Erreichung der Vollkommenheit. In vielen von ihnen steckte der Keim einer gewissen Dekadenz, der schon wiederholt im Laufe der Jahrhunderte fast zum Ausbruch blutiger Konflikte geführt hätte. Dieser Keim wurde von einer Ge-
neration zur anderen vererbt, ohne je richtig erkannt zu werden. Das Problem bestand also darin, die mit diesem Keim infizierten Personen von den anderen zu trennen. Jahrhunderte hindurch fanden selbst die größten Denker dieser Rassen keine Lösung für dieses Problem.« Lindle beugte sich auf dem Schreibtisch vor, bot Armstrong eine Zigarette an und zündete sich selbst eine an. »Selbst ein Engel hat kleine Schwächen, was?« fragte Armstrong lächelnd. Der Rauch hatte eine angenehm beruhigende Wirkung. »Doch dann kam der Zeitpunkt, der die Lösung brachte«, nahm Lindle den Faden wieder auf. »Jedes Problem hat ein Geheimnis, das in der Unendlichkeit verborgen liegt. Diese Lösung kam, als Prahada, ein Elektronenspezialist vom Mars, das Psychotron erfand. Es war die absolute Lösung. Mit diesem Gerät ließen sich die Normalen auf Anhieb von jenen unterscheiden, in denen der Keim steckte. Dann war es nur noch ein kleiner Schritt bis zu dem Plan, alle infizierten Wesen einfach auf der Erde auszusetzen und ihrem Schicksal zu überlassen.« Die Zigarette fiel Armstrong aus der Hand, und er hob sie rasch wieder vom Teppich auf. Seine Finger zitterten so stark, daß er sie nur mit äußerster Willensanspannung ruhig halten konnte. »Es war eine Maßnahme, wie sie beispielsweise hier auf der Erde schon wiederholt praktiziert worden war. Als die Engländer Australien entdeckt hatten, machten sie daraus eine Art Strafkolonie. Frankreich verfuhr ebenso. Der gemeinsame Rat der Menschen vom Mars, vom Merkur und von der Venus
faßte also den Entschluß, die Erde zu einer Art planetarischer Strafkolonie zu machen und dort alle unerwünschten Hu-mans auszusetzen. Sollte die Natur selbst entscheiden, ob diese Wesen am Leben blieben oder nicht. Es dauerte sechshundert Jahre, alle infizierten Personen zu deportieren – aber es wurde geschafft!« Ein nachdenklicher Ausdruck trat in Lindles Augen. »Es galt, der Minderheit gegenüber hart zu bleiben, um den Fortbestand der Mehrheit zu sichern. Es war eine weitaus bessere Maßnahme als jede Form der Euthanasie, und gleichzeitig eine Beruhigung für das Gewissen. Vielleicht war es ein schmutziges Spiel, das da mit den Ureinwohnern der Erde gespielt wurde – vielleicht aber sollte es sich auch zum Segen für sie auswirken. Das alles sind Spekulationen, deren Richtigkeit sich erst in ferner Zukunft herausstellen wird. Jedenfalls sind diese fundamentalen Tatsachen nur wenigen bekannt, und Unwissenheit ist ein Segen. Nach allen bisherigen Feststellungen setzt sich der Trend zur Normalität durch. Sollte die Entwicklung sich auf dieser Linie fortsetzen, wird der unheilvolle Keim eines Tages aussterben, und das wäre die wahre Lösung des gesamten Problems.« Lindle legte erneut eine längere Pause ein. »Allerdings schicken sich die Bewohner dieses Planeten nun an, ihrerseits den Weltraum zu erobern, obwohl sie die dazu erforderliche Reife bei weitem noch nicht erreicht haben. Sie entwickeln den Verstand des Nor-man, während sie das Stadium des Hu-man noch gar nicht überwunden haben. Wenn es uns nicht gelingt, diese Pläne der Menschen zur Er-
oberung des Weltalls zu durchkreuzen, werden die Bewohner von Mars, Venus und Merkur bald wieder vor dem gleichen Problem stehen wie zuvor.« »So eine Schande!« sagte Armstrong spöttisch. »Denken Sie darüber nach«, riet Lindle. »Sie betrachten sich doch in erster Linie als Amerikaner und erst in zweiter als Erdenbewohner – wie Sie ja früher auch an den Weihnachtsmann und den Osterhasen geglaubt haben. Aber Sie haben eine weiße Hautfarbe, sind normal und stammen zweifellos vom Mars! Wem also sind Sie Treue schuldig?« »Höchst einfach!« sagte Armstrong. »Was hat denn der Mars je für mich getan, damit ich ihm die Treue halte?« »Sehr viel! Vor allem verdanken Sie Mars Ihr Leben, denn Ihre Vorfahren wurden nicht umgebracht, sondern hier auf der Erde ausgesetzt.« »Aber...« »Und zweitens haben die Marsbewohner dafür gesorgt, daß die Verhältnisse hier auf der Erde sich allmählich normalisieren. Das heißt mit anderen Worten, daß Sie Ihr Leben hier unter lebenswerten Bedingungen verbringen können. Es hat auf dem Mars immer wieder Leute gegeben, die sich nicht damit abfanden, die auf der Erde ausgesetzten Verbannten ihrem eigenen Schicksal zu überlassen. Viele von ihnen sind auf der Erde bis auf den heutigen Tag unvergessen geblieben. Da wäre zum Beispiel der von der nördlichen Venus stammende Gautama Buda, der hier auf der Erde Buddha genannt wird. Seine Lehre versetzte ganze Berge, obwohl die Erdenmenschen nur wenig davon verstanden. Andere Missionare kamen und lehrten – und stiegen schließlich in einer
mächtigen Feuerwolke wieder in den Himmel auf.« »Sie meinen...?« Lindle nickte nachdrücklich. »Das waren alle die Großen dieser Erde, mit Ausnahme von Konfuzius, der auf der Erde geboren wurde und seine Erkenntnisse sammelte. Diese Missionare von den drei Planeten stellten ihr Wirken schon vor Jahrhunderten ein, und heutzutage haben die Bewohner von Mars, Venus und Merkur genug damit zu tun, die Eroberungsgelüste der Erdenmenschen abzuwehren.« »Äußerst interessant«, murmelte Armstrong, während er sich zurücklehnte und die Beine ausstreckte. Dann stand er unvermittelt auf. »An Ihrer Stelle hätte ich die Sache etwas mehr dramatisiert – etwa indem Sie unversehens ausrufen: ›Passen Sie auf – ich bin ein Marsmensch!‹« »Das bin ich auch«, entgegnete Lindle. »Sie übrigens auch. Ich habe Sie mit den Tatsachen vertraut gemacht, und nun wird die Erkenntnis in Ihnen wachsen und gedeihen. Es ist unsere Pflicht, die Unmündigen vor falschen Schritten zu bewahren.« »Meine Pflicht? Wer behauptet das?« »In Ihrem Unterbewußtsein schlummert die Erkenntnis bereits. Sie können nichts daran ändern, weil Sie normal sind!« Er stand auf und straffte sich in den Schultern. »Sie können gehen, Mr. Armstrong.« »Sie sind Ihrer Sache wohl ganz sicher, was? Woher wissen Sie eigentlich, daß ich Ihnen keine Schwierigkeiten machen werde?« Lindle ging zur Tür und hielt sie einladend auf. »Auch ich habe diese Frage gestellt, als ich in alles
eingeweiht wurde. Hundert andere ebenfalls. Wir erkennen ganz einfach, daß wir zueinander gehören.« Er deutete wieder auf die offene Tür. Seine Augen funkelten in einem seltsamen Licht. »Gehen Sie zurück in dieses planetare Irrenhaus, Mr. Armstrong. Achten Sie mal darauf, wie es Ihnen jetzt gefällt!« Armstrong nagte an der Unterlippe. Er wußte nicht recht, wie er sich ausdrücken sollte – und das kam bei ihm äußerst selten vor. »Na schön«, murmelte er schließlich. »Das nächste Mal werden wir uns auf anderem Boden treffen!« Er warf Lindle einen drohenden Blick zu. »Passen Sie nur auf!« Damit verließ er das Haus.
9 Miriam blickte überrascht von ihrer Schreibmaschine auf, als Armstrong wie ein Berserker durchs Vorzimmer gestürmt kam und die Tür von Hansens Büro hinter sich zuschlug, daß das ganze Haus zitterte. Er starrte den Detektiv finster an. »Auf sie habe ich mich das letzte Mal verlassen!« Hansen hob die Augenbrauen, zog einen Zettel aus der Schublade und schob ihn stumm über den Schreibtisch. Armstrong nahm ihn und las: Das ist etwas für einen Pfadfinder. Ich brauche Sie nicht und werde mich später telefonisch bei Ihnen melden. John J. Armstrong. »Ihre Unterschrift«, sagte Hansen. »Ich habe sie zweimal überprüfen und bestätigen lassen.« »Wann und wo haben Sie diesen Zettel bekommen?« »Eine Stunde, nachdem Sie das Haus betreten hatten. Ich saß Ihrer Anweisung entsprechend am vierten Tisch in dem kleinen Restaurant gegenüber dem Gebäude. Der Portier vom Norman Club kam herein, reichte mir diesen Zettel in einem Umschlag und sagte: ›Eine Nachricht von Mr. Armstrong.‹« »Ich habe davon nichts gewußt.« Armstrong warf den Zettel auf den Schreibtisch. »Nachdem ich das gelesen hatte«, fuhr Hansen fort, »verglich ich die Unterschrift mit der Probe in meiner Brieftasche. Dann ließ ich sie noch einmal von Sid überprüfen. Es bestand nicht der geringste Zweifel
daran, daß Sie diese Zeilen geschrieben hatten.« Hansen machte eine entschuldigende Handbewegung. »Was blieb mir weiter übrig als zu verschwinden?« »Ich habe die Mitteilung nicht geschrieben.« Hansen seufzte tief. »Dann ist das Zeitalter der Wunder noch nicht vorüber.« Er schob den Zettel weit von sich. »Ich würde Ihnen raten, mit dieser Unterschrift zu Ihren Banken zu gehen. Wenn Ihnen der fünfzigste Kassierer Geld darauf gegeben hat, werden Sie auch an Wunder glauben.« Armstrong nahm den verhängnisvollen Zettel, faltete ihn zusammen und steckte ihn in die Tasche. »Ich werde das mal überprüfen. Wenn es wirklich meine Unterschrift ist, dann muß ich sie geschrieben haben, als ich bewußtlos war.« »Oh, Sie waren bewußtlos?« »Ich wurde überwältigt, während Sie in aller Ruhe in der Kneipe saßen und auf das Piepsen meines Senders warteten. Den haben sie übrigens auch entdeckt, obwohl außer uns beiden niemand etwas davon wußte.« Er beugte sich vor und stützte die Hände auf die Knie. »Haben Sie das verraten?« »Aber natürlich! So etwas mache ich doch immer! Ich verbrenne alle Honorarschecks, spucke meinen Klienten ins Gesicht und überlege krampfhaft, auf welche Weise ich am schnellsten pleitegehen könnte.« Seine Stimme wurde scharf. »Wenn Sie im Schlaf Briefe schreiben und unterzeichnen können, dann können Sie auch im Schlaf Fragen beantworten.« »Fragen!« Armstrong stöhnte. »Ich habe Millionen von Fragen beantwortet!« »Sehen Sie!«
»Vielleicht habe ich zuviel geredet. Ich habe keine Ahnung, was ich alles sagte, schrieb und tat, und ich weiß auch nicht, wie sie mich dazu brachten.« Er sah sich um. »Wo ist der Empfänger?« »Im Safe. Wenn Sie gehen, wird Miriam ihn Ihnen aushändigen. Das Ding hat noch vier Stunden nach Ihrem Verschwinden gepiepst. Die letzten Signale kamen von jenseits des East River aus New Jersey. Dann brach der Empfang ab.« »Ja. Als sie mich laufen ließen, befand ich mich drüben in New Jersey. Sie haben mich wahrscheinlich vom Clubgebäude dorthin geschafft.« Hansen betrachtete ihn nachdenklich. »Sie waren vier Tage verschwunden, und Sie sehen aus, als hätten die Burschen sie ganz schön durch die Mangel gedreht.« »Haben sie auch.« Er brütete eine Weile vor sich hin. »Sobald ich das Haus verlassen durfte, steuerte ich sofort das nächste Polizeirevier an. Dort erfuhr ich, daß es sich bei dem betreffenden Haus um eine Nervenheilanstalt handelt, eine Stiftung des Norman Club. Die Clubmitglieder sind fast ausnahmslos einflußreiche Persönlichkeiten. Etwa zwanzig Personen haben sich bislang bei der Polizei gemeldet und gegen die Klinik Anzeige wegen Freiheitsberaubung und Mißhandlung erstattet. Sechzehn haben die Anzeige zurückgezogen. Vier haben die Sache unter großen Kosten vor Gericht gebracht und sind bei der Verhandlung unterlegen. Sie erwähnten etwas von Marsmenschen, und damit waren sie natürlich von Anfang unglaubwürdig. Jemand, der vor unseren Gerichten von Marsmenschen redet, kämpft natürlich auf verlorenem Posten.«
»Marsmenschen?« Hansen zog die Augenbrauen hoch. »Sicher!« Armstrong warf ihm einen Blick trotziger Befriedigung zu. »Sie sind ein Marsmensch, ich bin ein Marsmensch, Miriam ist ein Marsmensch – oder besser gesagt, ein Marsmädchen. Der Norman Club kann Ihnen beweisen, daß Sie nicht von dieser Welt stammen.« »Blödsinn!« brummte Hansen. Dann fragte er: »Wie können sie es beweisen? So etwas würde doch die ganze Welt auf den Kopf stellen.« »Richtig, die ganze Welt ist verrückt – bis auf mich.« Unverkennbare Anzeichen eines gewissen Mißtrauens traten in Hansens Gesicht. Er zog eine Flasche Bourbon aus dem Schreibtisch und bot sie seinem Besucher an. »Trinken Sie einen Schluck... dann fühlen Sie sich gleich besser.« »Ich müßte schon mit Blödheit geschlagen sein, dieses Angebot auszuschlagen!« Armstrong setzte die Flasche an, ließ es eine Weile gluckern und setzte sie mit einem langgezogenen, befriedigten »Ahhhhh!« wieder ab. Er wischte die Öffnung ab und reichte sie zurück. »Da ich weiß, daß ich compos mentis bin, muß ich nunmehr feststellen, wie verrückt Sie eigentlich sind.« »Ich?« Hansen packte die Flasche und trank ebenfalls. »Nur ein überspannter Klient kann mich vorübergehend um den Verstand bringen.« »Natürlich besteht die Möglichkeit, daß Sie normal sind«, fuhr Armstrong unbeirrt fort. »Das würde ich nur begrüßen, denn dann hätte ich wenigstens einen Bundesgenossen im Kampf gegen die Wahnsinnigen
dieser Welt.« »Was haben die eigentlich mit Ihnen angestellt?« fragte Hansen besorgt. »Hat man Ihnen Bier aufs nackte Gehirn geschüttet?« Armstrong gab ihm einen eingehenden Bericht. Es dauerte eine ganze Stunde, und Hansen hörte ihm mit gemischten Gefühlen zu. »Das wäre alles«, schloß Armstrong. »Nach ihren Behauptungen leben auf unserem Planeten also nicht nur die hier geborenen Erdenmenschen, sondern auch die ausgesetzten Idioten von Mars, Venus und Merkur. Sie sind sich ihres bedauernswerten Geisteszustands jedoch nicht bewußt.« »Glauben Sie wirklich diesen Unsinn?« fragte Hansen scharf. »Nun, es hörte sich immerhin recht plausibel an.« »Mann, bedenken Sie doch, wenn diese Verrückten nun plötzlich merken, daß sie hier in einem großen Irrenhaus leben, dann werden sie doch bestimmt vollkommen überschnappen!« »Die Verrückten können kaum noch verrückter werden«, sagte Armstrong zynisch. »Außerdem übersehen Sie dabei den Ausleseprozeß der Natur. Die Irrsinnigen sterben aus, wenn auch nur allmählich. Eines Tages werden die Bewohner dieses Planeten völlig normal sein, und dann wird die Gemeinschaft der anderen drei Planeten sie mit offenen Armen aufnehmen. Doch soweit sind wir noch nicht.« »Blödsinn!« brummte Hansen. »Ausgemachter Quatsch! Pseudohistorischer Krampf!« »Vielleicht – vielleicht auch nicht. Immerhin ist Ihnen entgangen, daß ich auf zwei wesentliche Punkte gestoßen bin.«
»Welche?« »Erstens weiß ich jetzt, daß die Raumkapseln zum Mars tatsächlich sabotiert werden – von wem, bleibt noch festzustellen. Die Sabotage wird von den Mitgliedern des Norman Club veranlaßt. Diese Mitglieder betrachten sich in erster Linie als Marsmenschen und erst in zweiter als Russen, Engländer oder Franzosen.« Er überlegte eine Weile. Ein abwesender Ausdruck stand in seinen Augen. »Wir haben es hier mit einer mächtigen Organisation zu tun, deren Fäden den ganzen Erdball umspannen. Die Gefahr liegt darin, daß es sich bei den Mitgliedern dieser Organisation um Fanatiker handelt, die jeden Befehl ausführen.« »Ich werde wohl heute noch vor dem Abend betrunken sein«, brummte Hansen. »Nun erhebt sich die Frage, wie wir gegen diese Fanatiker des Norman Club vorgehen und ihre Pläne durchkreuzen können.« »Warum sollten wir uns überhaupt darum kümmern?« Hansen ergriff die Flasche und trank. Dann wischte er sich den Mund ab. »Wenn ein paar Verrückte unbedingt in den Weltraum vordringen und andere Verrückte sie daran hindern wollen – warum lassen wir sie die Sache nicht unter sich austragen? Mir bringt es ohnehin nichts ein, wenn jemand auf dem Mars landet.« »Der Bourbon spricht aus Ihnen.« Armstrong sah ihn streng an. »Sie vergessen, daß ich auf der Seite der Marsentdecker stehe und Sie für Ihre Mitarbeit bezahle.« »Yeah...« Hansen war selbst überrascht, wie schwer ihm plötzlich die Zunge geworden war. »Yeah... wie
Sie wollen...« »Lassen Sie die Flasche in Ruhe und hören Sie mir zu. Die Episode im Norman Club hat mich einen gewaltigen Sprung vorangebracht, aber das ging so schnell, daß ich noch allerlei nachzuholen habe.« »Sie meinen, warum Mandle und Marshall sterben mußten?« »Unter anderem. Da wären noch ein paar weitere Fragen. Wer hat meine Wohnung und mein Labor durchsucht und warum? Wer ist der Dunkelblonde? Wo steckt er jetzt? Was hat er gesucht?« Hansen stützte sich vorsichtig mit beiden Händen auf die Schreibtischplatte und stand auf. Sein Gesicht war angespannt. Er hatte die Augen zusammengekniffen. Armstrong stellte die Füße fest auf den Teppich. »Ein Salto wird Ihnen kaum helfen, Mr. Armstrong!« sagte eine ruhige, seidenweiche Stimme hinter ihm. »Entspannen Sie sich! Und Sie setzen sich wieder, Mr. Hansen!« Die Tür fiel leise ins Schloß, und als Armstrong langsam den Kopf wandte, tauchten drei Männer in seinem Blickfeld auf. Er kannte sie alle drei. Da war der Dunkelblonde, der hohlwangige Bursche, der sein Labor durchsucht hatte, und der dritte gehörte zu jenen, die sich als F.B.I.-Agenten ausgegeben hatten. Der Dunkelblonde und der Hohlwangige hielten kleine Metallröhren in den Händen. Die Hände des dritten Mannes steckten in den Hosentaschen. Der Dunkelblonde trat auf den Schreibtisch zu, setzte sich auf die Kante und wandte sich an Armstrong. »Ich erwarte keine Schwierigkeiten von Ihnen –
zumal Sie ja für normal erklärt worden sind.« »Das Ding in Ihrer Hand scheint eine tödliche Waffe zu sein«, murmelte Armstrong. »Ich habe Ihren Besuch im Norman Club mit Interesse verfolgt«, sagte der Dunkelblonde. »Mr. Hansen hat Ihnen offensichtlich aufschlußreiche Berichte geliefert, die Sie auf diese Spur brachten.« »Unsinn!« brummte Hansen. »Was haben Sie mit Miriam angestellt?« »Sie ist in guten Händen und wird keinen Schaden erleiden.« Er betrachtete Armstrong mit seinen blaßblauen Augen. »Es freut uns besonders, daß Sie, obwohl Sie nun in alle Tatsachen eingeweiht wurden, noch immer entschlossen sind, gegen den Norman Club zu kämpfen. Eine derartige Haltung kommt nur selten vor und wird von uns dankbar zur Kenntnis genommen.« »Wenn Sie das alles wissen, müssen Sie hier ein Mikrofon versteckt haben.« »Ja, es steckt unter Mr. Hansens Kalender. Er hatte allerdings keine Ahnung davon. Weitere Mikrofone sind in Ihrer Wohnung und in Ihrem Labor installiert worden, denn wir wußten ja nicht, wo Sie sich alles vom Herzen reden würden.« »Sehr gründlich von Ihnen.« »Es ist unsere Gewohnheit, immer gründlich zu sein.« »Unsere?« »Dieser Köder verfängt bei mir nicht, Mr. Armstrong. Wollen wir es dabei bewenden lassen, daß ich mich auf meine Kameraden hier beziehe.« Ein Lächeln huschte über seine schmalen Lippen, aber seine Augen blieben hart und durchdringend. »Sie sind al-
so trotz allem, was Sie im Norman Club erfahren haben, fest entschlossen, die weitere Eroberung des Weltraums voranzutreiben?« »Das bin ich.« »Warum?« »Kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram«, empfahl Armstrong. »Nun, es ist unser Kram. Wir verfolgen nämlich das gleiche Ziel.« »Für wen?« Er musterte den Dunkelblonden durchdringend. »Für die Russen, die Amerikaner, die Eskimos oder für wen?« »Für die Erdenmenschen. Die Nationalität spielt dabei keine Rolle.« »Sehr großzügig von Ihnen. Vermutlich sind Sie Anarchist, wie?« Der Mann blieb vollkommen ruhig. »Die Religionen oder politischen Strömungen der Erde interessieren mich nicht. Ich bin geborener Marsmensch.« »Sie haben einen kleinen Mann im Ohr! Sie sind ja verrückt!« sagte Armstrong. »Gewiß, deswegen bin ich hier. Das Psychotron hat uns für verrückt erklärt, und deshalb wurden wir auf diesen lausigen Planeten verbannt!« Er beugte sich vor. Seine blaßblauen Augen begannen zu blitzen. »Die Schleusen werden sich öffnen, und dann kommt die Abrechnung!« »Eine vollkommen verdrehte Geschichte. Sie ist in verschiedenen Punkten falsch. Erstens ist die Aussetzung schon vor Jahrhunderten erfolgt, und deshalb...« »Ja«, schnitt Sandy ihm das Wort ab, »aber in jeder Generation werden noch vereinzelte Fälle festgestellt
und sofort ausgesetzt. Denken Sie nur an geschichtlich bekundete Fälle wie die Prinzessin Karibu, Kaspar Hauser, der Mann ohne Namen und noch viele andere Gestalten, die plötzlich da waren – einfach aus dem Nichts.« »Zweitens«, fuhr Armstrong fort, ohne weitere Notiz von dem Einwurf zu nehmen, »würde niemand damit prahlen, daß er nicht normal ist. Welches Motiv steckt dahinter?« »Was glauben Sie?« »Daß Sie für den Norman Club arbeiten und mich auf andere Weise bearbeiten wollen. Ich kann nur nicht verstehen, warum, zum Teufel, ich eigentlich für Sie und den Norman Club so wichtig sein soll.« »Ihre Vermutungen sind völlig falsch. Von uns aus soll der Norman Club mitsamt all seinen Mitgliedern lieber heut als morgen in die Luft fliegen! Sie haben ein paar Dinge erfahren, die uns betreffen. Deshalb sind Sie so wichtig für uns.« Er begann mit dem Bein zu wippen, und der Absatz stieß immer wieder gegen den Schreibtisch. Seine Waffe blieb fest auf Armstrong gerichtet. »Ich kann Sie nicht zwingen, etwas zu glauben, was Sie nicht glauben wollen, aber das, worauf wir es abgesehen haben, werden wir so oder so bekommen!« »Reden Sie nicht ständig in Rätseln«, brummte Armstrong. »Worauf haben Sie es abgesehen?« »Die Unterlagen.« »Was für Unterlagen?« »Stellen Sie sich nicht dumm!« sagte der Dunkelblonde. »Sie wissen genau, daß wir die Unterlagen für die Raumkapseln neunzehn und zwanzig brauchen.«
»Oh!« murmelte Armstrong, ohne sich die geringste Überraschung anmerken zu lassen. »Ach, das! Die hab ich vergraben.« »Wo?« »Unter dem Sockel der Freiheitsstatue.« »Das finde ich gar nicht komisch.« Der Dunkelblonde stellte die Füße auf den Boden und richtete sich auf. Seine beiden Kameraden strafften sich ebenfalls in den Schultern. »Wir haben endgültig genug von Ihrem Starrsinn! Wir geben Ihnen noch genau eine Minute...« Seine Stimme wurde von dem Lärm übertönt, der sich plötzlich im Vorzimmer erhob. Eine Tür wurde aufgerissen, schnelle Schritte waren zu hören, Miriam stieß einen gellenden Schrei aus, und dann krachten in schneller Reihenfolge vier Schüsse. Eine Kugel durchschlug die Milchglasscheibe zu Hansens Privatbüro und bohrte sich klatschend in den Schreibtisch. Armstrong trat mit dem Fuß zu. Die Waffe des Dunkelblonden flog in hohem Bogen auf den Teppich. Armstrong streckte beide Arme aus und zog den Dunkelblonden an sich. Aus Hansens Richtung kam ein Schuß, und der hohlwangige Bursche machte eine tiefe Verbeugung wie ein japanischer General. Armstrong legte die Hand gegen den Nacken des Dunkelblonden und drückte mit der anderen dessen Kopf zurück. Es knackte, wie wenn ein trockener Ast brach, der Dunkelblonde sank auf den Boden. Armstrong rieb sich die Hände und blickte sich um. »Meine Güte, ich hab ihm das Genick gebrochen!« Er erblickte den Revolver in Hansens Hand. Auf der Türschwelle stand Hansens Assistent Pete. Zwei Poli-
zisten blickten über seine Schulter herein. Der dritte Mann hockte in der Ecke. Statt des einen Auges hatte er ein großes Loch im Gesicht. »Na, das war wohl ein bißchen zu gründlich«, brummte Pete. »Diese Burschen werden uns jedenfalls nichts mehr sagen können.« Er trat auf den hohlwangigen Mann zu und stieß ihn mit der Schuhspitze an. »Mausetot.« Hansen legte den Revolver langsam auf die Tischplatte, richtete den Blick auf die beiden Polizisten und deutete auf das Videofon. »Sie können auch gleich das F.B.I. verständigen; denn dort interessieren sie sich für diesen Fall.« Dann wandte er sich an seinen Assistenten. »Gute Arbeit, Pete!« »He, was soll das heißen?« fragte Armstrong, während er die Waffe des Dunkelblonden mit der Fußspitze verstohlen unter den Schreibtisch schob. »Wußten Sie etwa, daß die kommen wollten?« »Zumindest habe ich es gehofft.« »Wieso?« »Ich habe meine eigenen Methoden. Verstehen Sie? Als ich den Zettel von Ihnen bekam, habe ich zwar programmgemäß das Feld geräumt, aber Pete hat meine Stelle eingenommen. Ich habe das Gebäude des Norman Club Tag und Nacht bewachen lassen.« »Na und?« »Als Sie vorhin zu mir kamen, hat Miriam Pete angerufen. Der begab sich sofort hierher.« »Als ich in die Nähe des Hauses kam«, ergänzte Pete, »sah ich drei Männer durch die Tür hineingehen. Ich erkannte den Dunkelblonden von Cypress Hills und nahm zwei Polizisten als Verstärkung mit.
Wir kamen herauf, den Rest haben Sie selbst erlebt. Das ist alles.« »Das ist alles«, wiederholte Armstrong. »Es knallt ein paarmal, drei Tote liegen auf dem Teppich und können keine Fragen mehr beantworten.« Er ging im Raum umher, stieß den Papierkorb neben dem Schreibtisch um, und während er den Abfall wieder aufräumte, ließ er unbemerkt die Waffe des Dunkelblonden in seiner Tasche verschwinden. Hansen atmete tief ein. »Miriam!« rief er. »Nichts zu machen«, sagte Pete. »Sie hat ihre Handtasche genommen und ist wie der Blitz zur Tür hinaus! Sie plapperte historisches Zeug.« »Hysterisch«, korrigierte Armstrong. »Historisch«, wiederholte Pete. Dann deutete er auf Hansen. »Sie hat etwas von seinen Vorfahren gemurmelt.« »Sie wird es verwinden«, brummte Hansen. »Morgen früh ist sie bestimmt wieder hier. Schließlich wird sie von mir bezahlt.« »Vielleicht möchte sie sich nicht bezahlen lassen, um hier zu sterben«, versetzte Pete. Die Mordkommission traf ein: ein Fotograf, der Gerichtsarzt, ein Spezialist der Spurensicherung und der gleiche Captain, der in Armstrongs Wohnung dabeigewesen war, nachdem man Clark Marshalls Leiche gefunden hatte. »Oh-oh!« sagte der Captain, als er Armstrong erblickte. »Sieh mal einer, wer da ist! Haben Sie auch hier einen Film gedreht?« »Nein, diesmal nicht.« »Ein Jammer.« Der Captain sah sich im Raum um.
»Drei Tote hier und ein weiterer im Vorzimmer. Von wem sollen wir jetzt noch etwas erfahren?« Er zuckte resigniert mit den Schultern. »Was ist eigentlich passiert?« »Ich habe mich hier mit Mr. Hansen unterhalten, als diese Kerle hereinkamen und von mir Dinge wissen wollten, über die ich gar nichts weiß. Pete hat sie beim Betreten des Hauses beobachtet und ist mit zwei Polizisten gekommen. Die ganze Sache war in einer knappen Minute ausgestanden. Sie sehen ja selbst, was übrig geblieben ist.« »Na ja. Was wollten sie denn von Ihnen wissen?« »Einzelheiten über unsere Raumkapseln.« »Ah!« machte der Captain. »Dann handelt es sich zweifellos um Ausländer. Na, sollen die Kollegen vom F.B.I. zusehen, was sie damit anfangen können.« Die Kollegen ließen nicht lange auf sich warten. Drei von ihnen unterhielten sich mit dem Captain, während sich der vierte an Armstrong wandte. »Ich nehme Sie mit zur Dienststelle.« Kurz darauf saß Armstrong dem gleichen Agenten gegenüber, der versucht hatte, ihn über Claire Mandle auszufragen. »Was wollten diese Leute denn nun über die Raumkapseln erfahren?« fragte er. »Es ging ihnen um Start neunzehn und zwanzig.« »Meines Wissens wird Start neunzehn von den Franzosen vorbereitet und ist noch im Stadium der Planung. Was das zwanzigste Experiment betrifft, steht überhaupt noch nichts fest. Offensichtlich will man erst mal den Ausgang des achtzehnten Unternehmens abwarten.« »Das sagt mir gar nichts«, brummte Armstrong.
Der Agent runzelte die Stirn. »Was erwarten Sie denn von mir?« »Na, schon gut«, erwiderte Armstrong. »Ich weiß, wann mir die kalte Schulter gezeigt wird.« »Sie verblüffen mich. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was Sie von mir erwarten. Da wir gerade dabei sind, darf ich wohl feststellen, daß Sie mir nicht mal ein Viertel von dem gesagt haben, was Sie wissen.« »Na, dann wären wir ja quitt.« »Ja«, pflichtete der Agent ihm bei. »Auf den ersten Blick mag das so sein. Sie vergessen jedoch den kleinen Unterschied, der zwischen uns besteht. Sie als mit sämtlichen Grundrechten wohlversehener, unbescholtener Bürger können mir erzählen, was Sie wollen. Ich dagegen habe mich an die Anweisungen meiner Vorgesetzten zu halten. Das bedeutet unter anderem, daß ich nicht da bin, um Ihre Neugier zu befriedigen.« Er trommelte eine Weile mit den Fingern auf den Schreibtisch. »Wenn Sie uns jedoch alles sagen, was Sie zweifellos über diese Sache wissen, könnten wir Sie möglicherweise ins Vertrauen ziehen.« »Das möchte ich mir gern überlegen.« Der Agent wurde ungeduldig. »Die Angelegenheit scheint keinen Aufschub zu dulden.« »Wenn ich bedenke, in welchem Schneckentempo die Vorbereitungen zum Start der achtzehnten Raumkapsel durchgeführt werden, scheint auf dieser Welt gar nichts mehr eilig zu sein.« »Glauben Sie das wirklich?«
»Die Tage, an denen ich etwas wirklich glaubte, sind längst vorüber. Heutzutage weiß ich nicht einmal, auf welcher Seite das F.B.I. steht.« »Wollen Sie damit etwa andeuten...?« begann der Agent wütend. »Ich will gar nichts weiter andeuten, als daß ich Mutter Erde jetzt in einem ganz anderen Licht sehe. Es fällt mir nicht leicht, die Gedanken zu konzentrieren, und deshalb möchte ich mir alles gründlich durch den Kopf gehen lassen, ehe ich meine Entscheidungen treffe.« »Aber darüber gibt's doch nicht viel nachzudenken. Es ist Ihre Pflicht, uns zu unterstützen. Schlimm genug, daß Ausländer sich für unsere Weltraumpläne interessieren. Wenn nun auch noch amerikanische Staatsbürger ihre Pflichten vernachlässigen...« »Erzählen Sie mir nichts von meinen Pflichten!« fiel Armstrong ihm scharf ins Wort. »Es geht hier um sogenannte Patrioten, die hier die Interessen ihrer hundert Millionen Kilometer entfernten Heimat vertreten.« »Hundert Millionen Kilometer!« schnaubte der Agent verächtlich. »Das ist doch idiotisch!« »Ja, idiotisch«, bekräftigte Armstrong. »Ich denke dabei an Männer wie die Senatoren Lindle und Womersley und ihre einflußreichen Freunde. Es sind alle brave Leute, die den verantwortungsbewußten Staatsbürger heraushängen und dabei insgeheim dafür sorgen, daß jede amerikanische Raumkapsel explodiert.« »Ist das als offizielle Anklage gegen die Senatoren Lindle und Womersley zu betrachten?« »Betrachten Sie es, wie Sie wollen.« Armstrong
stand auf. »Versuchen Sie mal, Ermittlungen in dieser Richtung anzustellen – sofern Ihnen nicht sofort einer Ihrer Vorgesetzten auf die Finger klopft.« Damit wandte er sich der Tür zu. Ein Lächeln spielte um seine Mundwinkel, als er den Raum verließ.
10 In seiner Wohnung machte sich Armstrong sogleich auf die Suche nach dem Mikrofon. Da er wußte, daß hier eins versteckt war, fiel es ihm nicht sonderlich schwer, es zu finden. Es steckte im Sockel einer Leuchtröhre und bestand aus hauchfeinen geäderten Fäden, die das Meisterwerk eines Uhrmachers waren. Die Reichweite war natürlich nicht festzustellen, aber Armstrong schätzte sie auf höchstens zweihundert Meter. Er legte das Mikrofon auf den Tisch und zog die Waffe des Dunkelblonden aus der Tasche. Das Ding war etwa fünfzehn Zentimeter lang und hatte einen Durchmesser von fünf Zentimeter. Es sah aus wie eine Stablampe und hatte vorn auch eine Linse. Armstrong richtete die Linse aufs offene Fenster und drückte auf den kleinen Knopf. Nichts geschah – zumindest war nichts wahrzunehmen. Er zielte auf die Glasscheibe, und wieder geschah nichts. Er befestigte einen weißen Bogen Papier am Fenster, wich bis zur Wand zurück und drückte ab. Dann ging er mit dem Finger auf dem Knopf auf das Papier zu. Kein sichtbares Ergebnis. Er holte seine Lupe und suchte das weiße Papier systematisch ab. Ungefähr in der Mitte des Bogens entdeckte er einen kleinen runden Fleck. Der Fleck war von bräunlicher Farbe, und es sah aus, als wäre das Papier an dieser Stelle angesengt. Er nahm ein weiteres Blatt und vergewisserte sich mit der Lupe, daß es völlig sauber war. Er wiederholte das Experiment mit dem gleichen Ergebnis.
Etwa zehn Minuten später hatte er erkannt, daß dieser Fleck nur erschien, wenn er aus einer Entfernung von genau zwei Meter auf den Knopf drückte. Nur auf diese Entfernung wirkte die Waffe. Um die Wirkung dieser mysteriösen Waffe zu ergründen, stellte er eine ganze Reihe weiterer Experimente an. Schließlich ritzte er mit einer Rasierklinge die Haut an seinem Unterarm auf und ließ ein paar Bluttropfen auf ein Glasplättchen fallen. Als er die Waffe in zwei Meter Entfernung darauf richtete, gerann das Blut. Er klebte ein Pflaster auf die Wunde und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Diese kleine unscheinbare Röhre auf seinem Schreibtisch war in Wirklichkeit eine Waffe von unvorstellbarer Wirkung. Je länger er über das verteufelte Ding nachdachte, desto stärker schwitzte er. Man brauchte damit nur an einem Menschen vorüberzugehen und abzudrücken, ohne daß das Opfer oder irgend jemand in der Nähe etwas davon merkte. Sobald man auf eine Körperstelle zielte, bildete sich dort ein kleiner Blutpfropfen, der je nach Belieben früher oder später zu einer Thrombose führen mußte. Armstrong fuhr sich noch einmal mit dem Taschentuch über die Stirn. Woher sollte er wissen, ob der Dunkelblonde vorhin in Hansens Büro nicht abgedrückt hatte? Vielleicht hatte er Armstrong bereits zum Tode verurteilt, auch wenn der Exitus vielleicht erst in einigen Stunden oder Tagen erfolgen würde? Wie viele Opfer dieser Waffe mochten im Augenblick herumlaufen, ohne die geringste Ahnung von ihrem bevorstehenden Ende zu haben? Wie Mandle.
Wie Marshall. Wie unzählige andere. Unwillkürlich schrak er vor weiteren Gedanken an dieses Teufelswerkzeug zurück und konzentrierte sich erneut auf das Fadenmikrofon im Sockel der Leuchtröhre. Ihm war ein Punkt entgangen, den jedes Kind bemerkt hätte: dieses Mikrofon arbeitete nur bei eingeschaltetem Licht! Die Schlußfolgerung war noch einfacher. Seine Gegner kannten seine Gewohnheiten und wußten, daß er sich überwiegend gegen Abend in seiner Wohnung aufhielt. Sie wußten weiterhin, daß er stets diese Lampe einschaltete, ob er sie nun brauchte oder nicht. Nachdem er einmal auf dem richtigen Weg war, liefen seine Gedanken wie von selbst. Offensichtlich saßen Kameraden des Dunkelblonden irgendwo in der Nähe an einem Empfänger, um abzuwarten, was er jetzt zu unternehmen gedachte. Bis zum Einbruch der Abenddämmerung konnte er sich unbemerkt aus dem Staub machen, denn seine Feinde würden zweifellos warten, bis er das Licht einschaltete. Bei dem Gedanken an Flucht rümpfte er die Nase. Fliehen wie eine Ratte! Sich in irgendein Loch verkriechen! Nein, das widersprach seiner Natur. Irgendwie mußte er versuchen, seinen Feinden zuvorzukommen. War das zu schaffen? Vielleicht. Seine Gegner würden in jedem Fall erst abwarten, wie er sich nach Einbruch der Dunkelheit verhalten würde. Es hatte keinen Sinn, Hansen einzuschalten, denn der Detektiv wurde zweifellos ebenfalls beschattet.
Sollte er die Polizei verständigen? Oder das F.B.I.? Zum Teufel mit der Polizei und dem F.B.I., sagte er sich, denn er wußte ja nicht, auf wessen Seite Polizei und F.B.I. überhaupt standen. Er nahm die Leuchtröhre mit dem eingebauten Mikrofon, und seine Augen begannen zu leuchten. Er steckte die Röhre in die Fassung zurück. Damit war die Falle vorbereitet. Dann holte er seinen Revolver, überprüfte den Mechanismus und vergewisserte sich, daß die Waffe geladen war. Im Vergleich zur Waffe des Dunkelblonden kam ihm der Revolver so altertümlich vor wie eine Hellebarde. Immerhin, er war mit dem Revolver vertraut und konnte damit eine Münze auf zwanzig Meter treffen. Er stellte sich ans Fenster und blickte hinaus. Die Wolkenkratzer warfen lange Schatten über die Stadt. Er setzte sich an den Schreibtisch und schaltete die Lampe mit der präparierten Leuchtröhre ein. Nun brauchte er nur noch zu warten, bis seine Gegner in die Falle tappten. Als es neun Uhr war, wählte er, ohne das Videofon einzuschalten, eine Nummer. Wenn seine Feinde zuhörten, würden sie am Ticken der Relais feststellen können, daß es sich um Hansens Nummer handelte. Er begann eine einseitige Unterhaltung. »Harumph!« Er räusperte sich vernehmlich. »Hallo, Hansi! Die Polizei hat Sie also nicht festgenommen?« Pause. »Nein, ich hatte eine stürmische Auseinandersetzung mit den Leuten vom F.B.I., und wir haben uns nicht gerade in bester Freundschaft getrennt.« Pause. »Ja, schlimme Sache. Das wurde mir erst so richtig klar, als ich Zeit fand, in Ruhe darüber nach-
zudenken. Die Polizisten haben die Sache ziemlich vermurkst.« Er warf einen Blick auf die Tür und hob die Stimme ein wenig an. »Wie? Um Himmels willen, haben Sie den Verstand verloren? Da habe ich endlich ein paar Leute gefunden, die genau dieselben Ansichten vertreten wie ich und die mir bestimmt helfen könnten – und prompt werden sie niedergeschossen.« Pause. Er tat, als hörte er dem Gesprächspartner am anderen Ende eine Weile zu. »Na ja«, brummte er dann mürrisch, »natürlich habe ich sie hingehalten, und das tut mir jetzt leid. Andererseits trifft man eine solche Entscheidung ja nicht von einer Sekunde zur anderen.« Pause. »Inzwischen habe ich den Kontakt verloren und kann nur hoffen, daß Sie ihn wieder herstellen.« Pause. »Ja, ich weiß, aber wofür bezahle ich Sie denn?« Wieder tat er, als würde er eine Weile zuhören. »Ich verlange doch nur, daß Sie Verbindung mit ihnen aufnehmen. Egal wie. Lassen Sie die Behörden aus dem Spiel und geben Sie nur mir Bescheid.« Pause. »Ja, richtig, und sagen Sie diesem Pete, daß er die Klappe zu halten hat.« Pause. »Gut, dann bis morgen.« Er tat, als trenne er die Verbindung, lehnte sich zurück und behielt die Tür im Auge. Der Köder war ausgelegt. Er saß noch immer so da, als eine ferne Turmuhr Mitternacht schlug. Sein Entschluß stand fest: er würde hier bis zum Morgengrauen warten! Sie brauchten nicht lange. Keine Schritte kündigten ihr Kommen an. Ein
scharfes Klopfen kam von der Tür. Armstrong stand auf, öffnete die Tür und sah die beiden Männer fragend an. »Mr. Armstrong?« sagte einer der beiden kühl. »Ja.« »Entschuldigen Sie, wenn wir Sie zu so später Stunde stören.« Er warf einen Blick über Armstrongs Schulter hinweg in die Wohnung. »Wir haben mit Ihnen zu reden. Es handelt sich um die Ereignisse von heute nachmittag, und es ist ziemlich dringend.« »Kommen Sie herein.« Armstrong trat zur Seite. Sie gingen selbstbewußt in den Raum, die Hände in den Hosentaschen. Ehe sie sich setzten, ließen sie den Blick noch einmal durch den Raum schweifen. Armstrong schloß die Tür. »Vermutlich sind Sie Polizeibeamte?« »Nein.« Der Mann grinste böse. »Wir vertreten sozusagen die Interessen der Opfer.« »Inwiefern?« »Kommt ganz darauf an«, erwiderte der andere vorsichtig, »wie sich diese Interessen zur Zeit am besten vertreten lassen.« »Sie reden eine Menge, ohne mir etwas zu sagen. Kommen Sie endlich zur Sache.« »Genau das wollte ich auch gerade vorschlagen. Sie haben vor ein paar Stunden eine Menge geredet, ohne etwas zu sagen.« Seine Augen hatten den gleichen blaßblauen Farbton wie die des Dunkelblonden. »Wenn Sie wirklich etwas zu sagen haben, dann reden Sie endlich.« »Ihr steuert einfach aufs Ziel los, ohne auch nur den Versuch zu machen, mich ins Vertrauen zu ziehen.« Armstrong stemmte die Hände fest auf die
Schreibtischplatte. »Ihr dringt zu einer unmöglichen Stunde in meine Wohnung ein, verlangt, daß ich euch etwas sage, ohne euch überhaupt vorzustellen. Schließlich will ich wissen, mit wem ich es zu tun habe. Ihr müßt mir beweisen, auf welcher Seite ihr steht.« »Neugierig, was?« Wieder dieses böse Grinsen. »Wir sollen uns Ihnen wie einem Beichtvater anvertrauen, ehe Sie uns etwas sagen, wie?« Das Grinsen wurde härter. »Ich muß schon sagen, daß Sie Nerven haben – wenn man bedenkt, daß Sie hier mit uns allein sind!« Er warf einen Blick auf seinen Begleiter, der gespannt auf der Kante des Sessels kauerte. »Steigen Sie herunter von Ihrem hohen Roß!« wandte er sich wieder an Armstrong. »Wir haben gehört, daß Sie mit uns zusammenarbeiten wollen, aber wir kennen Ihre Motive nicht. Wenn Sie also wirklich eine Zusammenarbeit wünschen, dann müssen Sie uns schon reinen Wein einschenken.« »Drücken Sie sich etwas präziser aus!« sagte Armstrong. »Es ist schon zu spät, um heute noch Rätsel zu raten.« »Sagen Sie uns alles, was Sie über die Raumkapseln neunzehn und zwanzig wissen.« Sein Blick wurde herausfordernd. »Dann können Sie uns als Verbündete betrachten, oder wie immer Sie wollen. Wenn Sie uns die Informationen jedoch vorenthalten...« »Nur zu«, brummte Armstrong. »Drohungen werden mich nicht gleich bange machen.« »So weit braucht es nicht mehr zu kommen«, gab der Mann zurück und steckte die Hand in die Tasche. Armstrong drückte zweimal ab. Der Mann flog in
den Sessel zurück. Im gleichen Augenblick rannte Armstrong um den Schreibtisch herum. Er hatte schon vorhin festgestellt, daß die beiden Männer sich in strategischer Voraussicht so gesetzt hatten, daß er sich genau im Brennpunkt der Reichweite ihrer Waffen befand. Der zweite Mann war aufgesprungen. In seiner Hand blitzte die Waffe, deren Geheimnis Armstrong vor ein paar Stunden ergründet hatte. Armstrong feuerte auf das Handgelenk des Mannes, aber die Kugel verfehlte das Ziel. Er feuerte noch einmal. Der Mann wich fluchend zurück und schwang einen bläulich schimmernden Gegenstand in der linken Hand. Armstrong blieb gar keine andere Wahl, als ihn jetzt mit einem Schuß in die Stirn zu töten. Während der Mann stürzte, fiel ihm der bläulich schimmernde Gegenstand aus der Hand und rollte über den Fußboden. Funken sprühten. Im nächsten Augenblick zischte das Ding wie eine altertümliche Dampflokomotive. Flammen stiegen züngelnd vom Fußboden auf. Das verdammte Ding verwandelte sich in einen intensiven Lichtbogen. Die Hitze wurde so unerträglich, daß Armstrong den Raum verlassen mußte. Er versuchte, die anderen Hausbewohner zu warnen, traf jedoch niemanden an. Wie ein Sprinter hetzte er aus dem Haus und schlug den nächsten Feuermelder ein. Innerhalb weniger Minuten würde es hier von Polizisten, Feuerwehrleuten und Neugierigen wimmeln. Höchste Zeit, daß er sich aus dem Staub machte! Er hielt ein Taxi an, fuhr anschließend ein Stück mit
der U-Bahn und wechselte dann noch ein paarmal das Taxi, bis er überzeugt war, daß ihm niemand folgte. Das letzte Stück zu Bill Nortons Wohnung ging er zu Fuß. Norton öffnete ihm im Pyjama und starrte ihn finster an. »Was ist denn los?« brummte er verschlafen. »Komm rein! Gehst du eigentlich nie ins Bett?« »Nicht, wenn ich darin schmoren müßte!« Er trat ein und sah sich um. Norton starrte ihn verständnislos an und gähnte. »Sie haben meine Wohnung angezündet«, sagte Armstrong. »Na, das muß ja eine tolle Party gewesen sein.« Es sah aus, als würde Norton im Stehen einschlafen. »Habt wohl ein bißchen gehascht?« »Unsinn! Leg dich wieder in die Falle!« brummte Armstrong. »Morgen früh erfährst du alles über das große Feuer.« »Was?« Norton war plötzlich hellwach. »Sagtest du gerade etwas von einem Feuer? Wann? Wo?« »Unsinn!« wiederholte Armstrong. »Zeig mir endlich, wo ich schlafen kann.« »Da drinnen steht ein Bett.« Norton deutete auf eine Tür. »Was ist mit dem Feuer?« »Gute Nacht«, knurrte Armstrong. »Zum Frühstück möchte ich ein Steak.« Er betrat den Raum, warf einen Blick auf das schmale Bett, schob den Revolver unters Kopfkissen und begann sich auszuziehen. Norton wandte sich um und rannte im Schlafanzug hinaus.
11 Bill Norton weckte Armstrong gegen halb acht. Es gelang ihm jedoch, Norton abzuschütteln und noch zwei Stunden zu schlafen. Dann verließ er die Wohnung. Nachdem er sich in einer Zweigstelle seiner Bank Geld geholt und in einem kleinen Restaurant gefrühstückt hatte, fühlte er sich wieder wohl. Er versuchte Hansen anzurufen, konnte jedoch weder ihn noch Miriam erreichen. Offensichtlich hatte der Detektiv die gleichen Schlußfolgerungen gezogen wie er und sich irgendwo verkrochen. In diesem Fall dürfte es gar nicht so einfach sein, Verbindung mit ihm aufzunehmen. Armstrong schlenderte die Straße entlang, betrat eine Telefonzelle und charterte eine kleine zweisitzige Sportmaschine für einen Flug nach New Mexico. Nachdem er den Flug auf den Namen Thompson gebucht hatte, rief er Claire Mandle an. »Ich bin's«, sagte er. »Das sehe ich.« Sie lächelte ihm vom Bildschirm zu. »Was haben Sie denn diesmal auf dem Herzen?« »Den Norman Club«, antwortete er und achtete scharf auf ihre Reaktion. »Ach, den«, sagte sie beiläufig. »Sie kennen ihn also?« fragte er. »Sie brauchen nicht gleich wie ein Walroß zu schnauben! Natürlich kenne ich ihn. Wer kennt ihn nicht?« »Etwa neunundneunzig Komma neun Prozent der Weltbevölkerung«, brummte er. »Was wissen Sie darüber?«
»Nur daß dieser Club existiert«, antwortete sie ausweichend, »und daß ein paar einflußreiche Männer zu seinen Mitgliedern gehören. Sie sind ein paarmal zu Bob gekommen, um ihn zum Beitritt zu bewegen.« »Ist er beigetreten?« »Das weiß ich wirklich nicht, aber ich möchte es bezweifeln.« »Wer hat sich denn für ihn eingesetzt?« »Senator Womersley.« Sie wurde neugierig. »Warum interessieren Sie sich plötzlich so sehr für diesen Club? Es ist doch ein Club wie jeder andere, nicht wahr?« »Na ja, es ist ein Club«, erwiderte er trocken. »Ein Club, wo Gehirnwäschen durchgeführt werden.« Claire Mandle lachte perlend. »Der Club scheint Ihnen nicht zu gefallen.« »Dazu besteht auch keine Veranlassung. Mich wollten sie auch zum Beitritt bewegen, aber für meinen Geschmack sind sie viel zu autokratisch vorgegangen. Außerdem haben sie sich darauf spezialisiert, die Raumkapseln zu sabotieren. Mit welchem Erfolg dürfte Ihnen bekannt sein.« Er sah ihren skeptischen, ungläubigen Blick. Wenn das nicht ihre wahren Gefühle waren, mußte sie eine verdammt gute Schauspielerin sein. »Das ist doch Unsinn!« protestierte sie. »Raumkapseln sind schon seit langem explodiert – in allen Teilen der Welt.« »Und durch einen erstaunlichen Zufall existiert der Norman Club auch schon seit langem – in allen Teilen der Welt.« »Aber dann wären sie doch sicher schon längst
verhaftet und hinter Gitter gebracht worden?« »Ja, wenn die anderen, in einflußreichen Stellungen sitzenden Mitglieder das veranlaßt hätten.« »In Ihrem Kopf schwirrt eine Biene herum!« stellte sie sachlich fest, als wäre es eine Diagnose. »Ich weiß – und ich werde dafür sorgen, daß sie mich nicht sticht.« »Meine Güte!« seufzte sie. »Manchmal frage ich mich, ob die ganze Welt verrückt geworden ist.« »Können wir uns nach meiner Rückkehr irgendwo treffen?« fragte er. »Sie wollen verreisen?« »Ja.« Er wartete gespannt, ob sie ihn fragen würde, wohin. Das wäre sehr aufschlußreich für ihn. »Auf lange Zeit?« »Nicht länger als unbedingt erforderlich«, wich er aus. Sie bedachte ihn mit einem strahlenden Lächeln. »Rufen Sie mich bei Ihrer Rückkehr sofort an – vielleicht bin ich dann gerade in Stimmung für eine Verabredung.« »In Ordnung«, sagte er. »Bis bald, Claire.« Nachdenklich trennte er die Verbindung. Sie hatte die entscheidende Frage nicht gestellt. Er wußte selbst nicht recht, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Vielleicht war sie ihm ein ganzes Stück voraus und hatte die ihr gestellte Falle auf Anhieb durchschaut. Er sprang in ein Taxi und ließ sich zum Flughafen fahren. Der Pilot, ein schlanker blonder Mann, lächelte freundlich und ließ die beiden Triebwerke an. Armstrong stieg in die kleine Kanzel, legte seine Tasche auf den Boden und setzte sich.
»Mr. Thompson?« fragte der Pilot. Als Armstrong nickte, fuhr er fort: »Ich bin Captain Oliver Moore. Meine Freunde nennen mich Ollie.« Er warf einen Blick auf die Startbahn. »Alles klar?« »Es kann losgehen.« Nach einer unruhigen Nacht in einem kleinen Hotel war Armstrong so früh auf den Beinen, daß er am Tor des Raketenzentrums eine halbe Stunde warten mußte. Endlich traf Quinn ein und führte ihn aufs Gelände. »Was verschafft uns denn das Vergnügen?« »Ich möchte nur mal nachsehen, wie es hier so geht, und mir nach Möglichkeit weitere Informationen verschaffen.« »Sie spielen also noch immer Detektiv, was?« Quinn drückte Armstrongs Arm. »Was ist denn aus den Leuten geworden, deren Namen ich Ihnen beschaffen mußte? Stecken sie jetzt alle hinter Gittern?« »Noch nicht.« »Noch nicht?« fragte George Quinn. Er lachte. »Wie viele Tote haben Sie eigentlich auf Ihrem Pfad zurückgelassen?« Armstrong kramte seine Pfeife hervor und klemmte sie, ohne sie zu stopfen, zwischen die Zähne. »Nur acht.« Quinn stolperte über seine eigenen Füße. »Sie wollen mir etwas unter die Weste jubeln!« stieß er hervor. »Professor Bob Mandle, Clark Marshall und ein halbes Dutzend Mitglieder irgendeiner verrückten Bande.« Armstrong zog an der kalten Pfeife. »Ich bin als neuntes Opfer ausersehen, und ein gewisser Han-
sen soll das zehnte werden. Vorausgesetzt natürlich, daß sie uns erwischen.« »Wer sind diese ›sie‹?« fragte Quinn, wobei ihm die Augen fast aus den Höhlen traten. »Das möchte ich auch gern wissen.« Quinn flatterte mit den Armen wie eine Ente. »Hören Sie mal, über den Tod reißt man keine Witze. Wenn Sie unbedingt eine solche Unterhaltung führen wollen...« »Ich habe Ihnen gesagt, daß meines Wissens acht Männer gestorben sind«, sagte Armstrong kühl und nahm die Pfeife aus dem Mund. »Vielleicht bin ich jetzt an der Reihe – und Sie auch. Es ist mir gleich, ob Sie mir glauben oder nicht!« Er rammte die Pfeife wieder zwischen die Zähne und reckte das Kinn vor. »Man muß versuchen, so lange wie möglich am Leben zu bleiben.« »Gott sei Dank fliege ich zum Mars, sobald die Kapsel fertig ist«, murmelte Quinn vor sich hin. Sie blieben neben der hohen Rampe mit der noch unvollendeten Rakete stehen. Eine Seite der Metallhülle glitzerte in der Morgensonne. Seit Armstrongs letztem Besuch war das Raumschiff etwa drei Meter höher geworden. »Die haben ein bißchen dran gearbeitet«, sagte Quinn ohne sonderliche Begeisterung. »Im Inneren bleibt noch viel zu tun.« »Bei diesem Tempo werden wir bis Weihnachten auf die Überprüfung der Instrumente warten müssen.« »Ich verstehe beim besten Willen nicht, was eigentlich in Washington gespielt wird. Einmal heißt es, mit Volldampf voran – und dann wird plötzlich alles ab-
gebremst. Die verantwortlichen Männer in Washington scheinen selbst nicht zu wissen, ob wir nun zum Mars sollen oder nicht.« Er sah seinen Begleiter an, als wartete er auf irgendeinen Kommentar. »Mitunter kommen mir die merkwürdigsten Gedanken«, fügte er dann hinzu. »Zum Beispiel?« fragte Armstrong. »In Washington scheint es politische Gruppen zu geben, die für und gegen die Erforschung des Weltraums sind. Dabei bieten beide Seiten ihren ganzen Einfluß auf. Obwohl wir hier in New Mexico weitab vom Schuß sind, müssen wir uns nach den ständig wechselnden Anordnungen richten.« »Raumschiffe verschlingen nun mal eine Menge Geld«, sagte Armstrong. »Über derartige Projekte wird es immer zum Streit zwischen den Politikern kommen.« Er warf einen letzten Blick auf die unvollendete Konstruktion. »Gehen wir weiter.« Sie trafen Fothergill in seinem Büro an. Auf seinem Schreibtisch stand die unvermeidliche Vase mit frischen Blumen. Er zwang sich zu einem höflichen Lächeln. »Wieder mal im Land?« »Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen«, sagte Armstrong. »Fangen Sie um Himmels willen nicht wieder damit an! Den Grund für die Verzögerung habe ich Ihnen bereits genannt. Dem ist nichts hinzuzufügen. Das alles hängt mir langsam zum Hals heraus.« »Na, dann werden wir eben eine neue Tonart anschlagen.« Er musterte Fothergill mit einem durchdringenden Blick. »Können Sie mir etwas über die
Raumkapseln neunzehn und zwanzig verraten?« »Wer baut die?« fragte Fothergill rasch. »Genau das wollte ich Sie fragen.« »Mich?« Fothergill starrte ihn überrascht an. »Meines Wissens soll Nummer achtzehn das letzte Projekt dieser Serie sein. Wie kommen Sie darauf, daß weitere gebaut werden? Wer hat Ihnen das erzählt?« »Minnie Finnigan.« »Wer ist das?« Fothergill verzog das Gesicht. »Sie kennen sie natürlich noch nicht, aber wenn sie herkommt, werde ich sie Ihnen vorstellen. Sie züchtet herrliche Blumen.« Quinn kicherte vernehmlich. Armstrong warf ihm einen strengen Blick zu, und er brach ab. »Tatsächlich?« fragte Fothergill. »Was für Blumen züchtet sie denn?« »Äußerst kostbare. Den Namen habe ich leider vergessen.« Er betrachtete seine Schuhe und wandte sich erneut an Fothergill. »Ist Healy noch hier?« »Ja.« »Und Muller, Centrillo und Jacques?« »Ja – was ist denn mit ihnen?« »Na, wenn die Kapsel in die Luft geht, haben sie bestimmt ihre Hand im Spiel.« »Woher wollen Sie das wissen?« fragte Fothergill. »Haben Sie schon mal etwas vom Norman Club gehört?« fragte Armstrong, ohne sich um die Frage zu kümmern. »Nein. Sollte ich?« »Nicht unbedingt. Außerdem dürften Sie es gar nicht zugeben. Ich wollte nur Ihre Reaktion sehen.« Fothergill lief rot an.
»Jedesmal, wenn Sie herkommen, verdächtigen Sie mich. Ich weiß gar nicht, warum ich Ihre Fragen beantworten sollte. Sie sind nicht mein Vorgesetzter.« »Wir wollen uns doch nicht gegenseitig in die Haare geraten, John«, schaltete Quinn sich ein. »Es ist ohnehin schon schlimm genug hier.« »Ich hatte keineswegs die Absicht, Druck auf Sie auszuüben«, sagte Armstrong zu Fothergill. »Ihr Gesicht hat mir ohnehin genug gesagt.« Damit wandte er sich um und verließ den Raum. Quinn folgte ihm. »Was soll das mit den beiden weiteren Raumkapseln?« fragte er draußen. »Will uns jemand überrunden? Wer steckt dahinter – die Russen, die Briten, die Franzosen oder wer?« »Die Leute aus dem Norden.« »Eh?« »Hören Sie mal zu, George.« Armstrong wurde ernst. »Jemand interessiert sich mächtig für die Kapseln neunzehn und zwanzig. Diese Leute scheinen anzunehmen, daß ich mehr darüber weiß als alle anderen. Dabei habe ich nicht die geringste Ahnung.« »Wenn solche Kapseln überhaupt gebaut werden, dann nur von den Europäern«, sagte Quinn. »Sie scheinen aber zu glauben, daß es sich um amerikanische Kapseln handelt.« Quinn schluckte ein paarmal. »Blödsinn! So etwas könnten sie hier gar nicht auf die Dauer verheimlichen. Und warum sollten wir drei Kapseln bauen – eine hier und die beiden anderen woanders?« »Darüber könnte Freund Fothergill uns Auskunft geben.«
»Er hat es bestritten.« »Yeah – und ich habe ihn dabei scharf beobachtet. Er weiß darüber Bescheid, darf aber kein Sterbenswörtchen verlauten lassen. Zweifellos fragt er sich jetzt, wieviel ich eigentlich weiß. Er muß seine Vorgesetzten verständigen, und sei es auch nur, um selbst nicht in Verdacht zu geraten. Sein Gesicht hat ihn verraten. Ich weiß jetzt mit Sicherheit, daß zwei weitere Raumkapseln gebaut werden – und zwar hier in Amerika.« Auf dem Weg zum Tor kamen sie wieder an der Rampe vorüber, und Quinn faltete seine Hände wie im Gebet. Er begleitete Armstrong bis zum Tor, verabschiedete sich von ihm und kehrte wieder zu der unvollendeten Konstruktion zurück. Er betrachtete das Raumschiff mit der Verehrung, die ein Eingeborener seinem selbstgeschaffenen Götzenbild entgegenbringt. »Menschen sind deinetwegen getötet worden, und vielleicht werden noch weitere folgen. Vielleicht habe ich selbst nicht mehr lange zu leben.« Er spuckte auf den Boden. »Je früher du mich zum Mars bringst, desto besser für dich, für mich und für viele andere!«
12 Nach der Rückkehr nach New York rief Armstrong sogleich den Herald an und ließ sich mit Bill Norton verbinden. Der Journalist runzelte spöttisch die Stirn. »Du verschwindest also ein paar Tage, und dann regt sich dein Gewissen.« »Wovon redest du eigentlich?« »Du wirst fieberhaft gesucht«, erklärte Norton schadenfroh. »Ich habe mein Bett jemandem zur Verfügung gestellt, der vor dem Gesetz flieht. Damit habe ich mich ebenfalls schuldig gemacht. Das werde ich dir nicht vergessen!« »Wenn du nicht auf der anderen Seite dieser Leitung in Sicherheit wärst, würde ich dir jetzt den ungewaschenen Hals umdrehen! Jetzt mal heraus mit den Neuigkeiten!« »Na ja...« Bill Norton kratzte sich den Kopf. »Die Polizei sucht dich und Hansen, um den Fall mit den vier Toten abschließen zu können. Dazu braucht sie eure Unterschriften auf den Protokollen. Das F.B.I. rätselt daran herum, warum ihr beide gleichzeitig von der Bildfläche verschwunden seid. Gestern hat sich ein Bursche namens Carson mit mir in Verbindung gesetzt, um etwas über deinen möglichen Aufenthaltsort zu erfahren.« »Carson, Carson?« Armstrong forschte in seinem Gedächtnis. »Den kenne ich nicht.« »Er hat sich als Randolph K. Lindles Sekretär ausgegeben, was immer das bedeuten mag. Später hat sich dann auch noch Ed Drake nach deinem Aufent-
haltsort erkundigt. Er fürchtet anscheinend, du könntest denselben Weg gegangen sein wie Clark Marshall. Ich habe mir ganz einfach gesagt: Cherchez la femme und deine Herzensfreundin angerufen.« »Claire?« »Ja. Sie war offensichtlich der Meinung, ganz New York wäre hinter dir her. Ich war der sechste, der sich bei ihr nach dir erkundigte.« »Was hat sie sonst noch gesagt?« Norton kramte einen Zettel aus der Tasche hervor. »Unter anderem war sie von einer Blondinen angerufen worden, die für dich diese Nummer hinterließ.« Er las die Nummer vor, und Armstrong prägte sie sich ein. Norton fügte mit einem Anflug von Gehässigkeit hinzu: »Die charmante Claire hält nicht viel von Blondinen, die so freizügig mit ihrer Telefonnummer umgehen.« »Verbrenn den Zettel. Ich ruf dich später nochmal an.« Er unterbrach, ehe Norton Zeit zu einer Erwiderung fand. In einer Telefonzelle in der Peen Station wählte er die betreffende Nummer. Eine Blondine erschien auf dem Bildschirm. Es war Miriam. »Guten Morgen, Goldlöckchen«, begrüßte er sie. Sie schnaubte verächtlich. »Sie können Lexington 501-17 anrufen, aber auf die Sekunde genau um zwei oder um vier Uhr dreißig. Nur zu diesem Zeitpunkt werden Sie eine Verbindung bekommen.« Ohne ein weiteres Wort trennte sie. Anscheinend hielt sie nicht viel von großen kräftigen Männern – oder von den Schwierigkeiten, in die sie sich hineinmanövriert hatten.
Nach dem Mittagessen rief Armstrong genau um zwei Uhr Lexington 501-17 an. Es meldete sich ein hübsches Mädchen mit einem Zahnpastareklamelächeln und verband ihn mit Hansen. »Ich versuche Sie schon seit zwei Tagen zu erreichen«, sagte der Detektiv. »Ist Ihnen eigentlich bekannt, daß das Haus, in dem Sie wohnten, und der halbe Straßenzug abgebrannt sind?« »Ich war Zeuge des Ausbruchs des Feuers.« »Wir wollen uns nicht lange aufhalten, denn heutzutage weiß man nie, wer alles in der Leitung hängt. Wissen Sie noch, wo wir uns damals trafen, als Sie mich um ein Schlafliedchen baten?« »Ja, ich erinnere mich.« »Können Sie in einer Stunde hinkommen?« »Sicher.« Der Bildschirm wurde dunkel. Augenscheinlich wollte Hansen kein Risiko eingehen. Zu dieser frühen Stunde herrschte bei Longchamps nur wenig Betrieb. Hansen traf genau eine Stunde nach dem Anruf ein und setzte sich zu Armstrong an den Tisch. Er hatte einen Burschen mit einem auffallend blassen Gesicht und glasig wirkenden Augen bei sich. Hansen stellte ihn vor. »Das ist Jake, einer meiner Jungs. Sein Familienname spielt keine Rolle.« Beide Männer nickten sich zu. »Ich mußte mein Büro räumen und bin seit Tagen ständig auf dem Sprung. Wie, zum Kuckuck, sollen mich meine Klienten auf diese Weise erreichen?« »Machen Sie sich lieber Gedanken darüber, wie die Klienten Ihnen auf diese Weise das Honorar zahlen können«, erwiderte Armstrong.
Hansen sah ihn ernst an. »Erinnern Sie sich noch an Pete?« »Natürlich.« »Es hat ihn gestern abend erwischt.« »Erwischt? Meinen Sie...?« Armstrong blickte auf seine Hände. Sie waren völlig ruhig. Auch seine Stimme war ruhig. »Wie?« »Er saß mit seiner Frau beim Abendessen. Mitten im Satz brach er ab und starrte sie an, als hätte er sie noch nie im Leben gesehen. Dann rutschte er unter den Tisch. Als der Arzt kam, war er bereits hinüber.« »Wann war das?« »Gegen Mitternacht. Ich habe es heute früh erfahren.« »Hatte er irgendein Leiden?« »Meines Wissens nicht. Er hatte die Konstitution eines Preisbullen.« Der Kellner brachte die Drinks. Hansen spielte mit seinem Glas, als würde es ihn nicht interessieren. »Vielleicht werden wir noch etwas über die Todesursache erfahren.« »Ich weiß, was Sie denken.« »Ja. Wer kommt als nächster an die Reihe?« Armstrong nickte. »Sie oder ich. Waffenbrüder bis zum Tode.« Hansen nippte an seinem Drink. »Sie haben uns in diese Klemme gebracht, und nun müssen Sie einen Ausweg finden.« Hansen blickte ihm fest in die Augen. »Ich finde es gar nicht komisch, daß ich mich laufend vor irgendwelchen psychopathischen Mördern verstecken muß. Sie haben diese Burschen auf unsere Spur gelockt – nun sorgen Sie gefälligst dafür, daß sie wieder verschwinden!« »Ich möchte Ihnen ein paar leichte Aufträge vor-
schlagen. Suchen Sie Claire Mandle auf und stellen Sie fest, wer sich bei ihr nach mir erkundigt hat. Anschließend können Sie im Norman Club einen Mann namens Carson aufsuchen und ihn ausquetschen.« »Na schön«, brummte Hansen achselzuckend. »Was gedenken Sie inzwischen zu unternehmen, und wie nehmen wir wieder Verbindung miteinander auf?« »Ich werde sehen, was sich machen läßt«, antwortete Armstrong. »Zunächst muß ich nach Washington. Ich rufe Miriam am Samstag um siebzehn Uhr an. Sie kann mir alle Nachrichten von Ihnen übermitteln.« »Nein, das geht nicht. Miriam springt in letzter Zeit wie ein aufgescheuchtes Känguruh herum.« »Verdammt!« Armstrong überlegte eine Weile. »Ich werde bei meiner Rückkehr bei Norton im Herald eine Nummer hinterlassen, unter der Sie mich erreichen können.« »Gut.« Hansen stand auf und gab Jake ein Zeichen. »Wir machen uns gleich an die Arbeit.« Armstrong sah ihnen nach und ließ fünf Minuten verstreichen. Dann sah er sich verstohlen nach allen Seiten um und strebte dem Ausgang zu. Nach seiner Ankunft in Washington ließ Armstrong sich alles noch einmal gründlich durch den Kopf gehen. Das eingehende Studium aller verfügbaren Unterlagen zeigte ihm, daß General Luther Gregory genau der Mann zu sein schien, dem er sich anvertrauen konnte. Das alte Schlachtroß war von der Idee besessen, daß der Besitz des Mars den USA einen unschätzbaren militärischen Vorteil bringen würde.
Hundertmal hatte er vor dem Senat erklärt, daß derjenige, der den Mars beherrschte, das gesamte Sonnensystem kontrollieren könnte. Abgesehen von gelegentlichen Auftritten vor dem Senat hielt General Gregory sich der politischen Bühne fern. Seine Karriere, seine Reden und seine Persönlichkeit ließen ihn in Armstrongs Augen als idealen Bundesgenossen erscheinen. Er stattete ihm also einen Besuch ab. Das alte Schlachtroß stapfte ruhelos in seinem Arbeitszimmer auf und ab und hielt die Visitenkarte seines Besuchers zwischen Daumen und Zeigefinger. Der graue Schnurrbart verlieh seinem Gesicht den Ausdruck grimmiger Autorität. Armstrong trat mit festen Schritten ein. »Es ist eine große Ehre für mich, General. Ich hoffe nur, daß Sie mich nicht rausschmeißen, ehe ich meine Geschichte erzählt habe.« Gregory ließ den Blick wohlwollend über Armstrongs kräftige Gestalt gleiten. »Es ist keine Ehre, hier einzutreten. Seit vierzig Jahren habe ich vom Rekruten aufwärts jeden eintreten lassen, der mich sprechen wollte. Insgesamt gesehen hat es sich bezahlt gemacht.« »Dennoch bin ich Ihnen zu Dank verpflichtet.« »Schon gut, Mann. Immer heraus damit, wenn Sie mir etwas zu sagen haben.« »Nun, General, wichtige und zwingende Gründe veranlassen mich, Ihnen die verrückteste Geschichte vorzutragen, die Sie je im Leben gehört haben. Ich werde Ihre Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Ich bitte Sie nur um eines.« »Und das wäre?«
»Daß Sie meine Geschichte, nachdem Sie sie gehört haben, nicht für zu absurd halten, um einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden. Treffen Sie Ihre Entscheidung erst nach genauer Überprüfung der Tatsachen.« »Und warum kommen Sie damit ausgerechnet zu mir?« »Weil Sie genau die Autorität besitzen, die mir fehlt.« »Die haben hunderte Männer in dieser Stadt auch«, brummte der General. »Einige sogar weitaus mehr als ich.« »Und«, fügte Armstrong hinzu, »weil ich davon überzeugt bin, daß Sie Ihre Autorität nicht mißbrauchen.« »Oh.« Er sah Armstrong an, als wollte er ihm befehlen, seine Jacke ordentlich zuzuknöpfen und sich die Haare schneiden zu lassen. »Haben Sie schon jemanden aufgesucht, ehe Sie zu mir kamen?« »Nein, Sir.« General Gregory stapfte erneut durch den Raum. Er warf einen Blick auf die elektronische Wanduhr. »Ich habe schon viele merkwürdige Geschichten in meinem Leben gehört und möchte bezweifeln, daß Sie sie übertreffen können. Aber schießen Sie los und machen Sie es möglichst kurz.« Er blieb stehen. Seine Schnurrbarthaare sträubten sich. »Alle Heiligen im Himmel werden Sie nicht retten können, wenn sich herausstellt, daß Sie mir etwas andrehen wollen!« Armstrong lächelte. »Haben Sie schon von einem Norman Club gehört, General?« Gregory dachte eine Weile nach.
»Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor, aber ich weiß im Augenblick nicht, wohin damit. Was ist denn mit diesem Norman Club?« Es dauerte eine ganze Stunde, bis Armstrong zum Ende kam. Der General hörte zu, ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen. »Die ganze Welt ist also insgeheim aufgeteilt«, schloß Armstrong. »Ein unsichtbares Imperium erstreckt sich über Länder und Ozeane und kümmert sich nicht um nationale Interessen. Das Psychotron entscheidet, ob wir normal sind oder nicht.« »Phantastisch!« brummte der General. »Ich will nicht rundweg sagen, daß Ihre Geschichte unglaubwürdig ist, aber sie bedarf vieler konkreter Beweise. Haben Sie die ganze Tragweite dieser Sache erkannt?« »Ich habe jeden einzelnen Aspekt genau geprüft«, versicherte Armstrong. »Sie haben mir da eine verdammt gefährliche Bombe in den Schoß gelegt!« Gregory stapfte erneut unruhig durch den Raum. »Natürlich bin ich skeptisch, aber wenn auch nur die Hälfte davon der Wahrheit entspricht, ist es schlimm genug!« Er zupfte besorgt an seinem grauen Schnurrbart. »Und das alles zu einem Zeitpunkt, wo die internationalen Verwicklungen wahrscheinlich zu einem neuen Krieg führen können.« »Wird der Bau der Raumkapseln bei Ausbruch eines Krieges automatisch eingestellt?« »Selbstverständlich! In einem solchen Fall gilt es in erster Linie, das eigene Leben zu retten.« Der General strich sich nachdenklich das Kinn. »Was würde dieser Norman Club vom Ausbruch eines Krieges halten?«
»Nichts könnte ihm gelegener kommen. Ich sagte Ihnen ja bereits, die Mitglieder dieses weltweiten Clubs sind lauter Besessene, die sich für normal halten.« »Nun, Ihre augenscheinliche Offenheit beeindruckt mich ebenso sehr wie Ihre Geschichte«, versetzte Gregory. »Ehe ich mich endgültig festlege, werde ich sofort mit den erforderlichen Ermittlungen beginnen. Können Sie mich morgen aufsuchen?« »Gewiß.« Armstrong stand auf. »Ich nehme an, daß Sie diese Unterredung aufgezeichnet haben?« Gregory deutete auf eine Stelle in der Wand. »Dort ist das Mikrofon. Sie werden verstehen...« »Durchaus«, erklärte Armstrong. »An Ihrer Stelle würde ich auch jede Unterredung aufzeichnen. Eine weise Voraussicht.« Der General begleitete seinen Besucher zur Tür. Armstrong ging die Straße entlang und dachte über die Unterredung nach. Wie würde General Gregory ihm helfen können – vorausgesetzt, daß er ihm glaubte? Dunkle Gewitterwolken zogen über dem Potomac River auf. Die Wolken schienen symbolisch für die Entwicklung der internationalen Lage zu sein. Die ersten Regentropfen fielen klatschend aufs Straßenpflaster. Blitze zuckten über den dunklen Himmel. Der Donner hörte sich an, als wollte er die Wolken zerfetzen. Armstrong suchte in einer Ladenpassage Schutz vor dem strömenden Regen. Sein Blick fiel durch ein großes Schaufenster auf ein eingeschaltetes Fernsehgerät, auf dessen Schirm die neuesten Meldungen zu lesen waren.
ASTRONAUT WEGEN MORDES GESUCHT (Gallup, N. M.) Die Polizei fahndet nach George Quinn, der als Pilot der achtzehnten Raumkapsel zum Mars starten sollte. Quinn wird beschuldigt, Ambrose Fothergill, den technischen Direktor der Konstruktionsabteilung nach einer heftigen Auseinandersetzung getötet zu haben. Armstrong ballte die Fäuste und drückte die Fingernägel in die Handballen. Ihm blieb jedoch kaum Zeit zum Nachdenken, denn schon erschien die nächste Meldung auf dem Schirm. WISSENSCHAFTLERIN VERSCHWUNDEN (Tarrytown, N. Y.) Claire Mandle, Physikerin und Schwester des kürzlich verstorbenen Professors Robert Mandle, ist heute früh unter mysteriösen Umständen aus ihrer Wohnung verschwunden. F.B.I.-Agent Herbert Walthall bestätigte die eingeleitete Suchaktion nach Miss Mandle, wollte jedoch keine weiteren Angaben machen. Ohne sich um Blitz, Donner und Regen zu kümmern, rannte Armstrong die Straße hinunter.
13 Die Adresse, die er im Telefonbuch nachgeschlagen hatte, erwies sich als ein im Kolonialstil erbautes großes Haus, das von einer hohen Mauer umgeben war. Die Mauer war sowohl durch Stacheldraht als auch elektronisch zusätzlich gesichert. Hinter dem Tor lauerten bösartig aussehende Bluthunde. Dem ganzen Aufwand nach zu urteilen, gehörte Senator Womersley zu den wichtigsten Persönlichkeiten der Stadt. Wenn Armstrong ursprünglich geglaubt hatte, hier verstohlen durch eine Tür oder ein offenes Fenster eindringen zu können, mußte er seine Pläne jetzt korrigieren. In einer solchen Situation konnte man nur durch List ans Ziel gelangen. Er schob seine Visitenkarte zwischen den Gitterstäben hindurch. »Würden Sie bitte nachfragen, ob Senator Womersley mich empfangen kann?« fragte er einen der Posten höflich. Der Mann warf einen flüchtigen Blick auf die Karte. »Ist Ihr Besuch angemeldet?« »Nein.« »In welcher Angelegenheit möchten Sie ihn sprechen?« »Ich habe ihm etwas von Senator Lindle auszurichten.« »Okay.« Der Posten wandte sich um. »Warten Sie hier!« Während der halbstündigen Wartezeit fragte sich Armstrong, wann Womersleys Drähte wohl heißlaufen mochten. Endlich kam der Posten zurück und
sperrte das Gittertor auf. »Er ist bereit, Sie zu empfangen.« Armstrong folgte ihm auf dem Weg zum Haus. Als das schwere Gitter hinter ihm krachend ins Schloß fiel, kam er sich wie ein Sträfling vor, der gerade zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden war. Unterwegs begegnete ihnen ein anderer Posten, der einen Hund von der Größe eines kleinen Pferdes an der Leine führte. In der Vorhalle, wo Armstrong wieder fünf Minuten warten mußte, standen vier weitere bis an die Zähne bewaffnete Posten. Endlich durfte er Womersleys Arbeitszimmer betreten. Der Senator drehte sich an der Balkontür um. Er hatte ein rötliches Gesicht, langes weißes Haar und einen Schmerbauch. »Sie sind also Mr. Armstrong?« Er setzte sich auf einen Stuhl mit einer hohen Lehne, als wollte er eine Konferenz eröffnen. »Womit kann ich Ihnen dienen?« Er klopfte sich mit einem silbernen Drehbleistift gegen die Zähne und musterte seinen Besucher ein wenig von oben herab. »Vor nicht allzu langer Zeit hat unser gemeinsamer Freund Randolph Lindle mich mit dem Psychotron untersuchen lassen.« Er musterte Womersley scharf. »Das dürfte Ihnen zweifellos bekannt sein?« Womersley lächelte und klopfte mit dem silbernen Bleistift weiter gegen die Zähne. »Fahren Sie bitte fort.« »Der Norman Club hat mir versichert, daß ich jederzeit bei seinen Mitgliedern vorsprechen könnte. Ich bin nämlich normal, verstehen Sie? Zunächst habe ich ihre Ansicht nicht teilen können, aber jetzt sehe
ich ein, daß ich mich getäuscht habe.« »Ah!« Womersley steckte den silbernen Bleistift in die Tasche. Sein Gesichtsausdruck bedeutete soviel wie: Habe ich Ihnen das nicht gleich gesagt? »Ja, ich habe mich getäuscht«, fuhr Armstrong fort und blickte dem Senator offen in die Augen. »Die Bande hat mich eines Besseren belehrt.« »Die Bande?« fragte Womersley verständnislos. »Ich werde von einer Bande gejagt, deren Mitglieder behaupten, sie wären deportierte Marsmenschen.« »Hu-mans«, stellte Womersley sachlich fest. Er sah Armstrong eine Weile forschend an. Dann drückte er auf einen Knopf auf seinem Schreibtisch. Ein kleines Stück der Wandtäfelung öffnete sich und gab den Blick auf einen Lautsprecher und eine Linse frei. »Nun?« fragte Womersley. »Ja, er ist es«, antwortete eine Stimme aus dem Lautsprecher. »Danke.« Der Senator drückte erneut auf den Knopf und wandte sich wieder seinem Besucher zu. »Bestätigung aus New York?« fragte Armstrong. »Gewiß.« Womersley blickte zur Decke hinauf. »Das Psychotron klassifiziert lediglich den normalen Zustand einer Person. Es genügt uns keineswegs, wenn Sie plötzlich aus heiterem Himmel erklären, sich unserer Sache anschließen zu wollen.« »So ungefähr habe ich mir das vorgestellt. Um Ihnen zu beweisen, daß ich es ernst meine, werde ich wohl erst einen Anschlag auf den Präsidenten oder eine ähnliche Verzweiflungstat durchführen müssen.« »Wir finden jederzeit eine Aufgabe für Sie, deren
Durchführung uns zufriedenstellen könnte.« »Nicht mehr erforderlich!« sagte Armstrong. »Ich habe jetzt nämlich den stichhaltigen Beweis in der Hand.« Womersleys Augen blitzten, und seine Stimme wurde hart. »Die Definition eines stichhaltigen Beweises müssen Sie schon uns überlassen!« »Mag sein, aber in diesem Fall können Sie es sich nicht leisten, den vorhandenen Beweis zu übersehen.« Womersley sprang auf. »Drücken Sie sich gefälligst präziser aus!« »Ich versichere Ihnen, daß Sie die drei zur Zeit in Bau befindlichen Raumkapseln achtzehn, neunzehn und zwanzig auf den Schrotthaufen werfen können.« »Ist das alles?« fragte der Senator eiskalt. »Bei weitem noch nicht!« Armstrong grinste befriedigt. »Wenn ich sage, daß man sie auf den Schrotthaufen werfen kann, dann nicht deswegen, weil der Norman Club sie ohnehin zu gegebener Zeit sprengen wird, sondern weil sie längst überholt sind.« »Eh?« fragte Womersley. »Wie meinen Sie das?« »Irgendwie... ich weiß selbst nicht wie... ist es einem dieser deportierten Marsmenschen gelungen, die Pläne zur Konstruktion eines völlig neuartigen Raumschiffs mit zur Erde zu bringen.« Er sah den ungläubigen Ausdruck in Womersleys Augen und fuhr fort: »Diese Burschen wollen unter allen Umständen zum Mars zurück. Sie behaupten, das Raumschiff in zehn Wochen startklar haben zu können.« Womersleys Gesicht war puterrot, und sein Atem
kam in hastigen Stößen. Er konnte sich nur mit Mühe beherrschen. »Woher wissen Sie das alles?« fragte er. »Nun, dieser betreffende Bursche traut mir zu, den Bau des supermodernen Raumschiffes beschleunigen zu können. Wenn ich ablehne, geht er einfach zu den Briten, Franzosen, Russen oder wer immer bereit ist, ihm zu helfen.« »Weiter!« drängte Womersley. »Es gibt nicht mehr viel zu berichten. Der Mann hat die Pläne und kann Bedingungen stellen.« »Welche?« »Eine Garantie, daß er zum Mars gebracht und dort nach seinem Eintreffen sogleich auf freien Fuß gesetzt wird, ohne daß die Behörden verständigt werden.« Armstrong machte eine kurze Handbewegung. »Er hat ganz einfach Heimweh.« »Wo sind die Pläne jetzt?« »Er hat sie bei sich.« Womersley durchbohrte ihn förmlich mit den Blikken. »Das alles könnte stimmen... es paßt sogar zu den Informationen, die ich bekommen habe. Ich möchte nur wissen, warum Sie so lange gezögert haben, zu uns zu kommen.« »Ich habe einfach nicht an das Gefasel von Marsmenschen glauben können.« Armstrong stand auf und steckte die Hände in die Hosentaschen. »Nach den Anschlägen, die inzwischen auf mich unternommen wurden, weiß ich, daß es sich um eine Frage von Leben oder Tod handelt.« »Ja, aber...« »Ich muß diesen Burschen jetzt davon überzeugen,
daß mein politischer Einfluß ausreicht, um die beschleunigte Durchführung seiner Pläne zu gewährleisten. Deshalb bin ich zu Ihnen gekommen.« »Zu mir?« »Ja, denn der Mann kennt die Rolle, die Sie hier in Washington spielen. Sie müssen ihm versichern, daß Sie ihm die Millionen bewilligen können, die er zum Bau des Raumschiffes braucht. Sie müssen ihn überreden, daß er Ihnen die Pläne aushändigt.« In Womersleys Gesicht spiegelte sich der Konflikt, der in ihm tobte. Furcht, Mißtrauen, Geltungssucht – das alles war da. Er ging im Raum auf und ab. »Wo und unter welchen Umständen können Sie Kontakt mit diesem Individuum aufnehmen?« »Er wird mich morgen kurz vor zwölf in meiner New Yorker Wohnung anrufen.« »Ihre Wohnung ist ausgebrannt.« Armstrong verzog keine Miene. »Ich habe natürlich noch eine andere, oder glauben Sie etwa, daß ich unter freiem Himmel schlafe?« »Wenn er nun aber inzwischen schon angerufen hat?« »Wenn sich niemand meldet, ruft er eben später nochmal an. Wenn das der Fall ist, möchte ich, daß Sie zugegen sind. Um diesen Fisch an Land zu ziehen, bedarf es eines besseren Köders, als ich ihn darstelle.« »Armstrong«, sagte Womersley, der sich plötzlich zu einer Entscheidung durchgerungen zu haben schien. »Ein paar Männer haben schon versucht, mich in eine Falle zu locken – jeder einzelne hat teuer dafür bezahlen müssen. Ich warne Sie also! Ich werde Sie begleiten, um die Pläne zu bekommen – nicht weil ich
Ihnen glaube, sondern weil wir es uns nicht leisten können, dieser Sache nicht nachzugehen.« »Das habe ich mir auch gedacht.« »Ich weiß. Sollte sich herausstellen, daß Sie mir etwas am Zeug flicken wollen, ist es um Sie geschehen!« »Und wenn sich herausstellt, daß alles haargenau der Wahrheit entspricht, wird der Norman Club mich dann als vollwertiges Mitglied akzeptieren?« »Ja.« Womersley drückte auf einen Knopf und wandte sich an den eintretenden Mann. »Mercer soll den Wagen vorfahren. Jackson, Hardacre und Wills werden mich nach New York begleiten.« Er wartete, bis der Mann gegangen war, und wandte sich wieder an Armstrong. »Die vier Männer werden mitkommen. Sie sind so schnell mit der Waffe, daß sie abdrücken, sobald jemand auch nur mit den Zähnen knirscht. Denken Sie daran!« »Ich werde es nicht vergessen«, versprach Armstrong. Sie setzten sich in einen superlangen silbergrauen Cadillac. Mercer rutschte hinter das Lenkrad, und Jackson nahm neben ihm Platz. Armstrong saß hinten zwischen Womersley und Wills. Auf dem Klappsitz vor ihnen saß Hardacre, der Armstrong keine Sekunde aus den Augen ließ. Nach einer Weile hielt Armstrong sich das Taschentuch vors Gesicht, schneuzte sich laut und schob dabei ein Röhrchen ins linke Nasenloch. Etwa zehn Meilen später wiederholte er das Theater mit dem Taschentuch und schob ein Röhrchen ins rechte Nasenloch. Dann begann er, sein rechtes Knie ausgiebig zu
kratzen und löste dabei eine kleine Glaskapsel aus der Halterung in der Kniekehle. Er spürte, wie die Kapsel an seiner Wade herabrutschte und auf die Fußmatte fiel. Er zertrat sie mit dem Absatz. Während der nächsten neun Minuten legte der Cadillac zwölf Kilometer zurück, ehe die erwartete Wirkung eintrat. Womersley und Wills sanken bewußtlos in die Polster zurück. Hardacre gab sich nicht so leicht geschlagen. Er machte Anstalten, seinen Revolver aus dem Schulterhalfter zu ziehen. Armstrong setzte ihm den ausgestreckten Fuß in die Magengrube und drückte. Hardacre sank auf die Fußmatte. Der schwere Wagen geriet ins Schleudern. Armstrong beugte sich vor, schob den bewußtlosen Mercer beiseite, packte mit der linken Hand das Lenkrad und versetzte Jackson einen Handkantenschlag hinters Ohr. Der Wagen rollte ein Stück und blieb stehen. Armstrong zog die Handbremse an und stieg aus. Er schloß die Tür, setzte sich auf die Straßenböschung und rauchte gemütlich eine Zigarette, während die Männer im Cadillac das Gas einatmeten. Dann öffnete er die Türen, trug die Männer, bis auf Womersley, die Böschung hinauf und legte sie so hin, so daß sie von der Straße aus nicht gesehen werden konnten. Anschließend verstaute er Womersley auf dem Boden, sicherte die Türen, setzte sich hinters Lenkrad und fuhr los. Ohne Zwischenfälle erreichte er New Jersey und hielt vor Ed Drakes Haus. Drake selbst öffnete ihm die Tür und starrte ihn an. »Du lieber Himmel! Ich dachte, du wärst längst begraben und vergessen!« »Ich brauche deine Hilfe, Ed.«
»Was gibt's denn?« Er entdeckte den auf der Fußmatte liegenden Womersley. »He, hast du einen Toten bei dir?« »Nein, er schläft nur. Du mußt ihn eine Weile beherbergen.« Er öffnete den hinteren Schlag, zerrte den Senator heraus und übergab ihn Drake. »Leg ihn auf ein Bett und laß ihn schnarchen. Ich komme bald zurück und werde dir alles erklären.« Er fuhr davon. Drake sah ihm nach, schleppte den Bewußtlosen achselzuckend ins Haus und legte ihn im Gästezimmer aufs Bett. Vier Stunden und zwanzig Minuten später kehrte Armstrong zurück. Er schleppte einen großen schwarzen Kasten ins Haus, stellte ihn keuchend ab und warf einen Blick auf die Uhr. Es war Mitternacht. »Ist dein Gast schon aufgewacht?« »Nein«, antwortete Drake. »Er schläft, als wäre er betäubt.« »Ist er auch.« »Eh?« Drakes Unterkiefer sank herab. »Wer hat ihn betäubt?« »Ich.« Armstrong lachte. »Mir blieb gar keine andere Wahl.« Er blickte noch einmal seufzend auf die Uhr. »Ich mußte seinen Wagen irgendwo in New York abstellen und auf dem Rückweg mehrmals das Taxi wechseln.« »Hast du diesen Mann etwa entführt?« fragte Drake mit schriller Stimme. »Was wird hier überhaupt gespielt?« »Immer mit der Ruhe, Ed. Dieser Gentleman ist Senator Womersley, und er stattet uns einen unfreiwilligen Besuch ab.«
Drake zuckte zusammen. »Womersley! Das runde Mondgesicht kam mir doch gleich irgendwie bekannt vor!« Er flatterte nervös mit den Händen. »Alle Wetter, John, dafür bekommst du lebenslänglich! Was, zum Teufel, ist denn in dich gefahren, einen solchen Mann zu entführen? Und warum hast du mich mit hineingezogen?« »Das wirst du schon noch sehen.« Er stieß mit der Fußspitze gegen den schwarzen Kasten. »Das ist einer der zehn elektronischen Schizophraser, die es auf der Welt gibt. Ich mußte Professor Shawbury von der Columbia University überreden, mir das Gerät zu überlassen. Ich habe zwar auch eins in meinem Labor in Hartford, aber dort kann ich mich zur Zeit nicht sehen lassen.« »Warum nicht?« »Weil alle Stätten, die ich aufzusuchen pflegte, zur Zeit unter Bewachung stehen. Deshalb mußte ich ja auch zu dir kommen, denn hier sucht mich sicher niemand.« Er sah Drake nachdenklich an. »Außerdem weiß ich, daß ich dir vertrauen kann.« »Wunderbar! Wenn ich mit dir meine zwanzig Jahre absitze, werde ich daran denken, daß du mir wenigstens vertraut hast.« »Wenn wir diese Sache nicht richtig anpacken, Ed«, versetzte Armstrong hart, »werden Millionen Menschen kaum noch Gelegenheit finden, zwanzig Jahre zu leben.« Er machte eine ungeduldige Handbewegung. »Wo steckt der Bursche?« »Oben im Bett.« Drake folgte Armstrong nach oben und half ihm, den Senator hinunter zu tragen. Er sah besorgt zu, wie Armstrong den Mann auf einen Stuhl fesselte.
Armstrong öffnete die schwarze Kiste und stülpte einen Helm über Womersleys Kopf. Dann schob er den Stecker in die Steckdose und drehte an den Knöpfen der kleinen Schalttafel. »Jetzt brauchen wir nur noch zu warten, bis er aufwacht«, sagte er, indem er einen Stuhl heranzog und sich dem Senator gegenüber setzte. »Wenn eine Person an dieses Gerät angeschlossen ist, muß sie unweigerlich die Wahrheit sagen. Gar nicht schlecht, was?« »Dafür wird er dir die Haut über die Ohren ziehen, sobald sich ihm eine Chance bietet.« Drake nagte an seiner Unterlippe und blickte auf den Senator. »Sieh nur, er wacht auf!« Armstrong beugte sich vor und schlug Womersley die Hand ins Gesicht. Der Senator murmelte vor sich hin, öffnete die Augen, schloß sie wieder und öffnete sie erneut. Er schluckte ein paarmal und blickte auf die Fesseln. »Wo... bin ich? Was ist passiert?« Armstrong schaltete das Gerät ein und beobachtete das Gesicht unter dem Helm. Womersley starrte wie ein willenloser Idiot vor sich hin. »Wer hat Ambrose Fothergill getötet?« fragte Armstrong mit durchdringender Stimme. »Muller«, krächzte Womersley nach kurzem Zögern. »Auf wessen Befehl?« Womersley schien sich noch einmal innerlich aufzubäumen, aber er hatte die Schlacht längst verloren. Es war lediglich der uralte Selbsterhaltungstrieb. Er blinzelte Armstrong an, als könnte er ihn nicht sehen.
»Auf meinen«, antwortete er. »Auf meinen! Auf meinen!« »Großer Gott!« flüsterte Drake. »Warum ist George Quinn geflohen?« fragte Armstrong unnachgiebig. »Hat er die Falle durchschaut, die ihm gestellt worden ist?« Womersley gab keine Antwort. »Haben Sie bezüglich Quinn irgendwelche Anweisungen gegeben?« fragte Armstrong. »Ja.« »Wie lauteten sie?« »Er sollte beseitigt werden.« »Von wem? Von Muller?« »Von Muller, Healy und Jacques.« »Das ist ein bißchen ermüdend, denn er antwortet nur auf direkte Fragen«, sagte Armstrong zu Drake. »Ich muß ihm die Würmer einzeln aus der Nase ziehen.« Er wandte sich wieder an Womersley. »Warum haben Sie Quinn wegschaffen lassen?« »Um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.« »Welche zwei Fliegen?« »Es mußte aussehen, als ob Quinn seine Schuld durch die Flucht eingestand. Außerdem wurden wir ihn auf diese Weise los.« »Warum wollten Sie Quinn loswerden?« »Er war der offizielle Pilot der Kapsel.« »Wohin ist er gebracht worden?« Armstrong wartete gespannt auf Womersleys Antwort. Es kam keine. »Wissen Sie es nicht?« »Nein.« Armstrong atmete tief ein, ehe er zur nächsten Frage ansetzte.
»Zu wem ist er gebracht worden?« »Zu Singleton.« »Wer ist Singleton?« »Der Direktor des Norman Club in Kansas City«, murmelte Womersley. Sein Kopf sank auf die Brust herab, aber Armstrong drückte ihn wieder hoch. »Wissen Sie, wo Singleton ihn versteckt hat?« »Nein.« »Wissen Sie, ob er noch lebt?« »Nein.« »Warum haben Sie Fothergill umbringen lassen?« »Er war einer von uns – ein Nor-man. Er war normal. Aber er war feige und hat uns verraten.« »Und?« Womersley schwieg. Er schien wieder eingedöst zu sein. »Genug!« Armstrong knirschte mit den Zähnen. »Wir wollen es mal mit einem anderen Thema versuchen.« Seine Stimme wurde wieder laut und durchdringend. »Wo ist Claire Mandle?« »Ich weiß es nicht.« »Hat der Norman Club bei ihrem Verschwinden die Hand im Spiel?« »Ich weiß es nicht.« »Wären Sie darüber informiert, wenn Ihre New Yorker Leute sie entführt hätten?« »Nicht unbedingt.« Armstrong wandte sich stirnrunzelnd an Drake. »Er scheint ein ziemlich dicker Frosch im Tümpel des Norman Club zu sein, aber es steht noch jemand über ihm.« »Frag ihn doch mal«, schlug Drake vor. »Wer ist der Leiter des Norman Club in den Verei-
nigten Staaten?« Womersley sackte auf seinem Stuhl zusammen und stellte sich taub. »Ein tolles Gerät«, brummte Drake ironisch. »Damit holst du alles aus ihm heraus.« »Was er nicht weiß, kann man auch nicht aus ihm herausholen«, entgegnete Armstrong. Er formulierte die Frage anders. »Gibt es in diesem Land einen Leiter des Norman Club?« »Nein.« Armstrong streifte Drake mit einem triumphierenden Blick. »Wer ist der Leiter des Norman Club in Washington?« »Ich.« »Und in New York?« »Lindle.« »Und Singleton ist der Leiter in Kansas City?« »Richtig.« »Wer ist der Leiter in Chicago?« »Das weiß ich nicht.« »Er weiß es nicht«, wiederholte Armstrong. »Siehst du, das ist die Zellentechnik. Der Chef einer jeden Zelle steht nur in Verbindung mit den zwei oder drei nächsten Zellen – weiter kennt er sich nicht aus. Auf diese Weise können immer nur einige wenige Zellen verraten werden, während die anderen zu einem Rachefeldzug antreten.« Er ging im Raum hin und her. »Jetzt werde ich dir mal zeigen, wie gefährlich die ganze Situation ist.« Er wandte sich wieder an den Senator. »Womersley, liegt es im Interesse des Norman Club, daß es zu einem weltweiten Krieg kommt?«
»Ja«, antwortete der Mann mit tonloser, mechanischer Stimme. »Warum?« »Es ist unsere letzte Chance.« »Wie meinen Sie das?« »Sie werden... sie werden sich mit einem Raumschiff auf den Weg zum Mars machen.« Womersley murmelte zusammenhanglos vor sich hin. »Verrückte... im gesamten Kosmos... greifen nach den Sternen... wir müssen sie veranlassen... gegenseitig umbringen.« Er hielt inne und ließ den Kopf sinken. Armstrong eilte zur Schalttafel und schaltete das Gerät aus. »Das war ein bißchen viel für ihn, und er hat das Bewußtsein verloren.« Er nahm Womersley den Helm ab. »Verdammt, ich hätte zehnmal soviel aus ihm herausholen können, wenn sein Verstand die Anstrengung besser ertragen würde.« Er wanderte weiter durch den Raum und ließ sich alles gründlich durch den Kopf gehen. »Du mußt mir helfen, Ed.« »Auf welche Weise?« »Ich muß alles aus diesem weißhaarigen Schurken herausholen, was e r weiß – auch wenn e r zehnmal dabei zusammenbricht. Ich muß Verbindung mit ein paar Freunden aufnehmen, die sich in New York versteckt halten. Ich muß herausbekommen, was aus Claire Mandle geworden ist und wie ich George Quinn befreien kann. Aber das ist noch längst nicht alles. Ich muß versuchen, das F.B.I. und die Polizei abzuschütteln. Dann muß ich möglichst schnell die Geheimpläne des Norman Club entlarven, ehe es zu internationalen, folgenschweren Verwicklungen kommt.«
»Dreiviertel von alledem ist völlig unmöglich«, versetzte Drake überzeugt. »Gib die Sache lieber gleich auf.« »Kommt gar nicht in Frage!« Armstrong betrachtete Womersley, der zu schnarchen begann. »Er erholt sich recht schnell. Du mußt ihn während der nächsten vierundzwanzig Stunden unbedingt bei dir behalten, Ed. Wenn's gar nicht anders geht, haust du ihm einfach eins auf den Schädel.« »Willst du wieder weg?« »Ich muß mir drüben am anderen Flußufer Verstärkung besorgen. Kannst du mir einen Wagen geben?« »Mein Lincoln steht hinterm Haus.« Armstrong fand den Lincoln und stieg ein. Es war halb vier Uhr früh, und der Mond stand über dem Hudson River.
14 Armstrong parkte den Lincoln in der Nähe einer Telefonzelle und wählte die Nummer. Während der Summer am anderen Ende der Leitung anschlug, spähte er unablässig in beiden Richtungen über die Straße. Endlich wurde der kleine Bildschirm hell, und Miriams Gesicht tauchte auf. Augenscheinlich war sie gerade aus dem Bett gekrochen. »Hallo, hübsches Kind«, sagte er. »Was wollen Sie?« fragte sie gereizt. »Und warum kann es nicht warten?« »Nun, nun, ich wollte nur wissen, wie Sie aussehen, wenn Sie gerade aus dem Bett kommen.« Mit einer automatischen Bewegung strich sie sich das Haar glatt. »Dann schießen Sie los, damit wir es hinter uns bekommen!« »Ich werde Sie in einer halben Stunde noch einmal anrufen.« Er trennte die Verbindung und sah zu, wie ihr Gesicht vom Schirm verschwand. Er setzte sich in den Lincoln, fuhr die Straße entlang und parkte ihn um die Ecke. Er ließ den Motor laufen und behielt die Telefonzelle scharf im Auge. Nachdem die halbe Stunde verstrichen war, rief er Miriam erneut an. »Ich habe mich überzeugt, daß Ihre Leitung nicht angezapft ist. Wahrscheinlich sind sie Ihnen noch nicht auf die Sprünge gekommen.« »Wäre ich sonst noch hier?« »Nicht so hastig, meine Liebe. Vielleicht wollten sie den Köder nicht aus der Falle nehmen.«
»Nennen Sie mich gefälligst nicht Köder!« »Schon gut.« Er schüttelte müde den Kopf. »Ich hätte mir wirklich etwas Besseres einfallen lassen sollen, als Sie aus Ihrem Schönheitsschlaf zu reißen. Sagen Sie mir nur, wo sich unser gemeinsamer Freund aufhält. Dann können Sie weiterschlafen.« Sie nannte ihm die Adresse. Er bedankte sich und fuhr los. Der Weg führte über die Triboro Bridge nach Long Island. Hier hielt er vor einem alten Backsteinhaus. Hansen spähte vorsichtig durch den Türspalt. Er war barfuß. Er führte seinen Besucher ins Wohnzimmer und ging eine knarrende Treppe hinauf, um sich anzuziehen. »Wie steht's denn mit unserem nächsten Schritt zum Schafott?« fragte er, als er wieder herunterkam. »Das werde ich Ihnen gleich verraten«, antwortete Armstrong. »Wo steckt Claire Mandle?« »Keine Ahnung. Sie hat ihren Schatten abgeschüttelt und sich aus dem Staub gemacht.« »Haben Sie sich schon mit Lindles Sekretär in Verbindung gesetzt?« »Carson? Nein, den wollte ich heute aufsuchen.« »Vergessen Sie ihn. Er spielt keine Rolle mehr. Der Boden wird uns langsam zu heiß unter den Füßen.« »Heraus damit – was haben Sie denn nun wieder angestellt?« »Ich werde wegen Entführung eines Senators gesucht.« Hansen sperrte den Mund auf und stand da wie eine Statue. »Sagen Sie das nochmal.«
»Ich habe einen verräterischen Senator entführt«, brummte Armstrong. »Womersley.« »Auf unserem Sündenregister steht bislang Mord, Brandstiftung, Spionage und Sabotage«, sagte Hansen mit einem Blick zur Decke. »Nun kommt auch noch Entführung dazu.« Er band seine Krawatte um. »Wo haben Sie ihn versteckt?« »In Eddie Drakes Haus in New Jersey. Fahren Sie so schnell wie möglich mit allen Ihnen zur Verfügung stehenden Männern hinaus. Wie viele Männer haben Sie?« »Pete ist tot, zwei Männer befinden sich im Gewahrsam des F.B.I. Es bleiben mir noch vier ständige Mitarbeiter und fünf Aushilfen. Auf die ständigen Mitarbeiter kann ich mich verlassen.« »Vier, Sie, ich und Ed – insgesamt sieben. Wenn wir Quinn befreien können, sind wir acht.« »Warum müssen wir Quinn befreien?« »Der Norman Club von Kansas City hält ihn versteckt und will ihm den Mord an Ambrose Fothergill anhängen. Immerhin sind wir jetzt quitt; denn sie haben Quinn, und ich habe Womersley.« »Na ja.« Hansen griff nach seinem Hut. »An dem Tag, als ich für Sie zu arbeiten begann, habe ich mich wirklich in die Nesseln gesetzt. Früher oder später werde ich mit den besten Jahren meines Lebens dafür zahlen müssen. Na, gehen wir!« »Geld ist die Wurzel allen Übels«, stellte Armstrong fest. »Das kommt alles nur von Ihrer verdammten Habgier. Lassen Sie sich das eine Warnung sein.« Drake war bei Armstrongs Rückkehr völlig mit den
Nerven fertig. Er fuchtelte mit den Händen herum. »Eine ganz verteufelte Sache! Der Stänker da oben ist etwa drei Stunden nach deinem Weggang zu sich gekommen und hat mir mit seiner Autorität gedroht. Ich mußte ihn niederschlagen, ehe ich ihn ans Bett fesseln konnte. Hast du dir schon die letzten Nachrichten angesehen?« »Nein, dazu hatte ich keine Zeit. Hast du sie aufgezeichnet?« Drake nickte und schaltete das Gerät ein. Die meisten Nachrichten betrafen die bedrohliche internationale Lage. Dann war da noch die Fahndungsdurchsage des F.B.I. und der Polizei, die Armstrong als Staatsfeind Nummer eins bezeichnete. Womersley wurde mit keinem Wort erwähnt. Armstrongs Augen waren rotgerändert und blutunterlaufen. Bartstoppeln sprossen auf seinem Kinn. »Leg dich eine Stunde aufs Ohr, Ed. Du kannst es brauchen.« Drake setzte sich in einen Sessel und sah Armstrong mit großen Augen an. »Als ob ich unter diesen Umständen schlafen könnte!« Armstrong ließ sich ebenfalls in einen Sessel fallen und gähnte. Plötzlich hob er den Kopf. »Da kommt jemand!« Ein Wagen hielt vor dem Haus. Drake stand wie ein Schlafwandler auf und wandte sich der Tür zu. Armstrong öffnete und ließ Hansen eintreten. Drei muskulöse Männer mit harten Gesichtern folgten ihm. Den Schluß bildete Miriam. Armstrong übernahm die Vorstellung. »Wir haben schon wieder einen Mann verloren«,
verkündete Hansen. »Jake wurde gestern abend festgenommen, und da hab ich Miriam mitgebracht.« »Natürlich. Sie konnten sie ja schlecht zurücklassen. Wir werden sie wie einen Engel anbeten, wenn sie uns Kaffee kocht und ein paar Sandwiches macht.« Er sah sie in der Küche verschwinden und wandte sich an Drake. »Unserem Gefangenen müssen wir auch etwas geben, denn wir können ihn schließlich nicht verhungern lassen.« »Er hat schon was bekommen – nachdem ich ihn niedergeschlagen hatte. Er hat sich wie ein Schwein am Trog aufgeführt.« »Gut! Dann können wir ihn ja wieder an den Schizophraser hängen.« Er ging hinauf und brachte den gefesselten Senator wie ein kleines Kind auf den Armen herunter. Ohne Umstände drückte er ihn auf einen Stuhl. Womersley sah sich im Raum um. »Ihr Verbrecher braucht euch gar nicht einzubilden, daß ihr damit durchkommt.« Er betrachtete die Anwesenden der Reihe nach. »Ich werde dafür sorgen, daß jeder von euch die entsprechende Strafe bekommt!« Armstrong drückte ihm den Metallhelm auf den Kopf und schnallte die Gurte fest. Als Womersley sich fluchend zur Wehr setzte, schlug Armstrong ihm die Hand ins Gesicht. Dann schaltete er das Gerät ein. »Armstrong!« stieß Womersley gellend hervor. »Ich werde dafür sorgen...« Er brach unvermittelt ab, und wieder trat der stumpfe Ausdruck in seine Augen. »Wie lautet Singletons Privatadresse?« Womersley drehte den Kopf von einer Seite auf die andere und nannte die Adresse wie ein Automat.
Hansen notierte sie in seinem Notizbuch. »Sie wissen also nicht, wo Quinn sich aufhält?« »Nein.« »Nur Singleton weiß, wo er versteckt gehalten wird?« »Ja.« Armstrong rieb sich nachdenklich die Bartstoppeln. »Womersley, ist Ihnen bekannt, daß die Raumkapseln neunzehn und zwanzig bereits gebaut werden?« »Ja.« »Wer baut sie?« »Wir.« »Allmächtiger!« stieß Drake hervor. »Wo werden sie gebaut?« »In Yellowknife.« »Alle beide?« »Ja.« »Yellowknife, das liegt irgendwo in der kanadischen Wildnis«, sagte Armstrong nachdenklich. »Ist die kanadische Regierung unterrichtet?« »Natürlich.« »Sind die Raumkapseln annähernd fertig?« »Ja.« »Wie weit fortgeschritten sind die Konstruktionen?« Womersley blinzelte ein paarmal, als hätte er Schwierigkeiten mit der Antwort. »Neunzehn steht zum Probelauf bereit. Zwanzig wird in zwei Tagen soweit sein.« »Und nach dem Probelauf sind sie bereit für den Flug zum Mars?« »Ja.« »Alle Wetter, die sind schneller, als ich dachte«,
murmelte Armstrong vor sich hin. Er wandte sich wieder an Womersley. »Sie werden beide nicht auf dem Mars eintreffen?« »Nein.« Armstrong beugte sich über den Senator. »Warum nicht?« »Am kritischen Punkt wird der Treibstoff explodieren.« »Wer liefert den Treibstoff?« »Radiometals Corporation.« »Sind das Mitglieder des Norman Club?« »Nein.« Armstrong war überrascht. Er sah die Spannung in den Gesichtern aller Anwesenden und wandte sich wieder an den Senator. »Sind leitende Angestellte des Unternehmens Mitglieder des Norman Club?« »Ja.« »Techniker – und Inspektoren?« »Ja.« »Wie lauten ihre Namen?« »Das weiß ich nicht.« »Werden diese Explosionen erfolgen, wenn die beiden Kapseln den Mars fast erreicht haben?« »Ja.« »Jemand sollte ihm den dicken Hals durchschneiden!« knurrte Drake. Armstrong machte eine Handbewegung. »Die Piloten sind keine Mitglieder des Norman Club?« »Nein.« »Warum bricht der Norman Club einen Weltkrieg vom Zaun, wenn die Raumkapseln zum Mars so ein-
fach vernichtet werden können?« »Unsere Psycho-Aufzeichnungen zeigen, daß der Fortschritt in der Konstruktion von Raumschiffen im Frieden unaufhaltsam ist. Wenn es nicht zum Krieg kommt, werden bald zehn Kapseln gleichzeitig zum Mars starten, und dann wird es schwierig für uns.« »Ich habe Ihnen erzählt, daß ein vom Mars zur Erde Verbannter mir Pläne zur Konstruktion eines supermodernen Raumschiffes angeboten hat. Sie glauben das. Können Sie diese Verbannten aufspüren?« »Nein.« »Warum nicht?« »Wir werden über ihr Eintreffen informiert, aber sie verteilen sich sofort in alle Winde, so daß wir ihre Spur verlieren. Es sind trotz allem Marsmenschen von hervorragender Intelligenz.« »Sie fürchten sie?« »Sie betrachten uns als Feinde.« »Ist es eine große Zahl?« »Nein, es sind verhältnismäßig wenig.« »Wissen Sie etwas über ihre mysteriösen Waffen?« »Es ist das irdische Modell eines Vibrators, der zur Blutgerinnung führt.« »Besitzt der Norman Club derartige Waffen?« »Nein, wir wissen nicht, wie sie angefertigt werden. Es ist für uns verboten.« Armstrong zog die Augenbrauen hoch. »Verboten? Von wem?« »Von den Marsmenschen, die mit uns in Verbindung stehen.« »Auf diesem Planeten?« »Ja.« »Gibt es viele von ihnen?«
»Nur wenige.« »Wie viele?« »Das weiß ich nicht.« »Sind sie mit Ihnen verbündet?« »Genau genommen nicht.« »Wie meinen Sie das?« »Sie unterstützen uns kaum und halten nichts von militärischen Maßnahmen. Sie schalten sich in die Belange dieser Welt nur ein, wenn es unbedingt erforderlich ist.« »Nennen Sie mir einen von ihnen!« befahl Armstrong. »Horowitz.« »Sie behaupten, daß er auf dem Mars geboren wurde?« »Ja.« »Woher wissen Sie das?« »Er hat es uns eröffnet, als wir ihn zum erstenmal in den Club einluden. Er stellte uns das Psychotron zur Verfügung und bildete ein paar unserer Männer in der Bedienung aus.« Armstrong legte eine kurze Pause ein. »Wenn diese Marsmenschen die Auflösung des Norman Club verlangen, würden Sie es tun?« »Ja.« »Warum?« »Sie sind unsere Vorgesetzten, denen wir Gehorsam schulden.« »Aber bislang haben sie noch keine derartige Anweisung gegeben?« »Nein.« »Warum schalten sie sich diesmal nicht ein?« »Weil wir diesmal vor einer besonders wichtigen
Entscheidung stehen, und sie glauben... sie glauben...« Er brach erstickt ab und fügte mühsam und stockend hinzu: »Diesmal müssen die Erdenmenschen... sich selbst retten...« Er sackte auf dem Stuhl zusammen. »Er hat genug.« Armstrong schaltete das Gerät aus und hob Womersleys Kopf an. »Bringt ihn hinauf und legt ihn aufs Bett. Er braucht ein paar Stunden Erholung.« Drake und zwei von Hansens Männern trugen den bewußtlosen Senator hinauf. Armstrong lief wie ein eingesperrter Bär im Raum auf und ab. »Wir brauchen alle Hilfe, die wir uns verschaffen können – und das ist verdammt wenig. Außer den Anwesenden gibt es nur noch vier Menschen, denen ich vertrauen kann: General Gregory, Bill Norton, Claire Mandle und George Quinn. Es hat wenig Sinn, noch einmal zu Gregory zu gehen, denn er ist bereits in alles eingeweiht. Claire Mandle ist nicht zu erreichen. Bill Norton kann uns zur Zeit nicht helfen, und damit bleibt nur George Quinn übrig.« »Wir wissen, wer ihn in Gewahrsam hat!« sagte Hansen. »Ja«, bestätigte Armstrong. »Wir müssen ihn unter allen Umständen befreien.« Er sah sich im Kreis um. »Irgendwelche weiteren Vorschläge?« Alle schwiegen. »Also gut. Damit ist abgemacht, daß wir George Quinn befreien. Es ergeben sich zwei Probleme. Erstens: nehmen wir Miriam mit?« »Ihr könnt ja mal versuchen, mich zurückzulassen!« rief Miriam von der Küchentür her und deutete auf Hansen. »Er ist mein Alibi, und ich bleibe bei ihm.«
»Ich habe keine andere Antwort erwartet.« Armstrong grinste und fuhr fort: »Wollen wir Womersley mitnehmen oder unter Bewachung hier zurücklassen?« »Er ist für uns sein Gewicht in Gold wert – und ich trenne mich nur ungern von Gold«, brummte Hansen. »Außerdem würden wir einen weiteren Mann verlieren, wenn wir ihn hier bewachen lassen.« »Ich würde ihn keine Sekunde aus den Augen lassen«, warf Drake ein. »Ich traue ihm nicht einmal, wenn er oben bewußtlos auf dem Bett liegt.« »Gut, dann verstauen wir ihn im Wagen und nehmen ihn mit«, entschied Armstrong und warf einen Blick auf die Uhr. »Wir haben schon zuviel Zeit verloren. Uns stehen jetzt zwei Wagen zur Verfügung: Hansens und Drakes. Wir haben eine lange Fahrt vor uns und sollten möglichst rasch aufbrechen.« Er deutete auf den Schizophraser. »Wenn sich's irgend machen läßt, sollten wir das ganze Zeug mitnehmen. Vielleicht können wir es gut gebrauchen, wenn ein anderer Vogel sich weigert, sein Lied zu zwitschern.« »Auf nach Kansas City!« Hansen stand auf, und seine drei Männer folgten seinem Beispiel. »Hoffentlich werden wir unterwegs nicht aufgegriffen!«
15 Im Gegensatz zu Womersleys Festung machte Singletons Haus einen äußerst einladenden Eindruck. Die beiden Wagen hielten vor der Einfahrt und rollten, nachdem Armstrong sich das Grundstück angesehen hatte, die Zufahrt hinauf. Armstrong und Hansen stiegen aus und gingen die breite Treppe hinauf. Ein Dienstmädchen öffnete ihnen die Tür. Armstrong zog höflich den Hut und bedachte das Mädchen mit seinem zweitbesten Lächeln. »Senator Womersley und ein paar gute Freunde möchten Mr. Singleton sprechen. Richten Sie ihm bitte aus, daß es dringend ist.« Das Mädchen erwiderte sein Lächeln und sagte: »Einen Augenblick, bitte.« Sie verschwand mit wippenden Hüften und kehrte nach einer knappen halben Minute zurück. »Mr. Singleton läßt bitten.« Armstrong drückte ihr den Hut in die Hand und hielt den Revolver in der Tasche fest. Hansen und seine drei Männer folgten ihm. Drake, Miriam und Womersley bildeten den Schluß. Das Mädchen führte sie in einen großen Raum und zog die Tür hinter ihnen zu. Vier Personen waren im Raum. Armstrong kannte drei von ihnen, ließ sich jedoch nichts anmerken. Ein kleiner grauhaariger Mann erhob sich aus seinem Sessel. Singleton, dachte Armstrong. Der Mann, der ihnen entgegenkam, war Lindle. Horowitz stand breitbeinig vor dem Kamin und blinzelte durch seine starken Brillengläser. Die vierte Person im Raum war
Claire Mandle. Sie stand hinter einem Tisch – eine Hand auf der Tischplatte und die andere vor dem Mund. »Eustace!« rief Singleton mit schriller Stimme. »Na, das nenne ich eine Überraschung! Ich dachte...« »Du hast richtig gedacht!« bellte Lindle durch den Raum. »Und jetzt hast du die Bescherung!« »Häh?« Singleton verharrte mitten in der Bewegung und drehte sich langsam nach Lindle um. »Wie meinst du das? Siehst du denn nicht, daß Eustace...?« »Halt den Mund und setz dich!« herrschte Lindle ihn an. Sein Blick war auf Armstrong gerichtet. »Heraus damit – was wollen Sie?« Armstrong nahm keine Notiz von Lindle, Horowitz und Claire Mandle. Er konzentrierte sich ausschließlich auf Singleton. »George Quinn«, erwiderte er einfach. »Der Himmel möge euch gnädig sein, wenn George nicht mehr am Leben ist!« Singleton wurde kalkweiß und wich einen Schritt zurück. »Bleiben Sie stehen!« Armstrong trat vor. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Lindle sich wieder in seinen Sessel setzte und die Beine übereinanderschlug, als würde ihn das alles nicht interessieren. Claire Mandle stand noch immer mit großen Augen hinter dem Tisch. Horowitz machte keine Bewegung. Armstrongs Blick war auf Singleton gerichtet. »Wo ist George Quinn?« Es schien Singleton die Sprache verschlagen zu haben. Er ruderte mit den Armen und ließ sie sinken. Unvermittelt drängte sich Ed Drake vor und blieb vor Singleton stehen. Sein Gesicht war seltsam blaß,
und auf seiner Stirn glitzerten Schweißtropfen. »Ich habe mit dir abzurechnen, du verdammte, dreckige Ratte!« Singleton sank in den Sessel, und Drake beugte sich über ihn. »Erinnerst du dich noch an die letzte Kapsel, die auf der Rampe explodierte? Sie forderte sechzig Menschenleben, nicht wahr? Einer davon war Ingenieur Tony Drake – mein Bruder! Ich habe gesehen, wie er buchstäblich zerrissen wurde!« Seine Stimme wurde noch durchdringender. »Das war dein Plan!« Mit einer blitzschnellen Bewegung zog er den Revolver aus der Tasche. »Und hier ist mein Plan! Du hast genau zehn Sekunden Zeit, uns zu sagen, was du mit George Quinn angestellt hast. Wenn du nicht antwortest, schieße ich. Und damit du siehst, daß ich es ernst meine...« Der Schuß ließ die Wände erzittern. Singleton stieß einen gellenden Schrei aus und versuchte verzweifelt, seinen Fuß hochzuziehen. Sein Gesicht war kalkweiß. »Fünf, sechs, sieben, acht...« Drake richtete die Mündung auf Singletons Kopf. »In Keefers Haus... ich sage Ihnen doch, in Keefers Haus!« wimmerte Singleton. Das Dienstmädchen schob ängstlich den Kopf durch den Türspalt. Niemand hatte ihr Klopfen gehört. Einer von Hansens Männern packte sie am Arm und drückte sie mit dem Rücken gegen die Wand. »Lebt er?« fragte Drake. Glühender Haß stand in seinen Augen. »Oh, mein Fuß!« jammerte Singleton und zog den verletzten Fuß aufs Knie. Blut tropfte auf den Teppich. »Oh, mein Fuß!«
»Lebt er?« wiederholte Drake und winkte drohend mit dem Revolver. »Wenn ich dich etwas frage, erwarte ich eine schnelle Antwort.« Er beugte sich noch tiefer über Singleton. »Lebt Quinn?« Singleton atmete tief ein. »Ja, er lebt!« kreischte er. »Er ist in Keefers Haus – und er lebt!« »Wo ist Keefers Haus?« »Das Haus, von dem dieser Schwächling spricht, liegt etwa einen Kilometer von hier entfernt«, sagte Lindle. »Er braucht dort nur anzurufen und Quinn herbringen zu lassen.« Drake wirbelte herum und richtete die Mündung auf Lindle. »Wer hat Ihnen gestattet, die Klappe aufzumachen? Dieser Bursche hier wird uns Rede und Antwort stehen, und...« »Ruhig, Ed!« Armstrong streckte die Hand aus und nahm Drake den Revolver ab. »Beruhige dich, Ed!« Er wandte sich an Singleton. »Da ist das Telefon. Rufen Sie bei Keefer an und lassen Sie Quinn herbringen!« »Mein Fuß!« jammerte Singleton. Er streifte den Schuh ab. »Lassen Sie mich erst die Wunde verbinden, sonst verblute ich!« »Dann verbluten Sie eben!« brummte Armstrong ungerührt. »Millionen werden verbluten, wenn Burschen wie Ihnen und Ihresgleichen nicht das Handwerk gelegt wird! Los!« »John!« Claire Mandle trat zögernd einen Schritt vor. Sie schien nicht recht zu wissen, wie sie sich verhalten sollte. Lindle betrachtete sie belustigt, und Horowitz warf ihr einen Blick durch die dicken Bril-
lengläser zu. Armstrong nahm keine Notiz von ihr. »Los!« drängte er Singleton. Claire, Mandle wich zurück und setzte sich in einen Sessel. Ihre Lippen zuckten. Singleton wählte eine Nummer. »Bringt Quinn her!« befahl er. »Ja, sofort!« Er hängte ein und streifte seinen Strumpf ab. Claire Mandle stand erneut zögernd auf, als würde sie in ihrem Sessel keine Ruhe finden. »John, ich habe versucht, zu helfen. Glauben Sie mir, daß ich...« »Ruhe, Claire!« befahl Horowitz streng. »Ich habe Ihnen wiederholt erklärt, daß Sie sich nicht einzumischen haben!« Er richtete den Blick auf Armstrong und betrachtete ihn wie ein Versuchskaninchen. »Dieser Mann weiß genau, was er will, und das Schicksal wird entscheiden, ob er sein Vorhaben durchführen kann oder nicht.« Er zuckte die schmalen Schultern. »Mehr gibt's darüber nicht zu sagen.« »Schnappen Sie jetzt auch schon über wie alle anderen?« fragte Lindle gehässig. »Wagen Sie es, so mit mir zu reden?« fragte Horowitz ruhig. Die Wirkung seiner Frage war erstaunlich. Lindles Augen wurden stumpf. Er fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und sank auf seinem Stuhl zusammen. »Entschuldigen Sie. Wir haben kein Recht, Ihre Ansichten in Frage zu stellen.« Die Türglocke schrillte. Armstrong nickte Hansen zu. »Nehmen Sie ein paar Ihrer Männer mit und sehen
Sie nach.« Lindle begann mit seinem Sessel zu schaukeln und wippte immer weiter nach hinten. Armstrong jagte ihm eine Kugel durch den Kopf, ehe er den kleinen Wandknopf hinter sich berühren konnte. Lindle zuckte ein paarmal und rutschte auf den Teppich. Miriam stieß einen unterdrückten Schrei aus, und Claire Mandle verbarg ihr Gesicht in den Händen. Horowitz nahm seine Brille ab. Singleton zog einen blitzenden Gegenstand aus der Polsterung seines Sessels, und Drake stürzte sich auf ihn. Draußen in der Halle krachten zwei Schüsse. Armstrong sprang auf Womersley zu, riß ihn hoch und ließ ihn mit dem Kopf nach unten auf dem Boden aufschlagen. Womersley blieb liegen. Drei weitere Schüsse krachten draußen. Auch im Raum fiel ein Schuß, und Drake brach über Singleton zusammen. Singleton schob den Toten von seinem Schoß, sprang auf und richtete den Revolver auf Armstrong. Er redete hysterisch vor sich hin, und der Revolverlauf zuckte von einer Seite zur anderen. Der sterbende Drake streckte die Hand aus, umklammerte Singletons unverletzten Fuß und riß ihn zu Boden. Er entwand ihm die Waffe und drückte ab. Drake begann zu husten. Blut ergoß sich aus seinem Mund. »Es gibt ein Gesetz«, flüsterte er mit einer Stimme, die aus weiter Ferne zu kommen schien. »Es gilt auch für verdammte Marsmenschen... Auge um Auge...!« Er legte den Kopf auf den linken Unterarm und hörte auf zu atmen. Armstrong sah sich um. Horowitz stand noch im-
mer vor dem Kamin. Claire kauerte in ihrem Sessel und hielt beide Hände vors Gesicht. Lindle, Singleton und Drake waren tot. Miriam stand wie eine Schlafwandlerin neben der Tür. Hansen kam mit George Quinn und einem seiner Männer herein. »Den anderen hat's erwischt«, verkündete er. »Dafür haben wir zwei ihrer Männer niedergemacht.« Er streifte das Dienstmädchen mit einem finsteren Blick. »Irgendwie hat sie den Männern ein Zeichen gegeben.« »Gute Arbeit, George«, sagte Armstrong zu Quinn. »Es wird bald gar nicht mehr so gut aussehen«, wehrte Quinn ab. »Die Burschen wollen in etwa zwanzig Minuten von Keefers Haus hier anrufen um nachzufragen, ob alles in Ordnung ist.« Er wandte sich besorgt an Armstrong. »Ich weiß, was ihr alle für mich getan habt, aber...« »Wir wollen jetzt keine langen Reden halten!« rief Armstrong ungeduldig und blickte auf den Revolver in seiner Hand. Er steckte ihn in die Tasche. »Wir müssen hier sofort verschwinden. Die Toten lassen wir zurück, und die anderen nehmen wir mit.« »Alle?« fragte Hansen. Er zählte Horowitz, das Dienstmädchen, Claire Mandle und den bewußtlosen Womersley ab, der sich gerade wieder zu bewegen begann. »Das wären vier mehr.« »Wir nehmen alle Wagen und alle Lebenden mit«, entschied Armstrong und sah Horowitz an. »Los, kommen Sie!« Claire nahm die Hände vom Gesicht. »John, ich weiß, warum Sie Quinn befreien wollten, und ich...«
»Später«, sagte er behutsam. »Später... nicht jetzt.« Sie verließen das Haus, sperrten ab, setzten sich in die vier bereitstehenden Wagen und fuhren los. Sie erreichten den Flughafen und hatten keine Schwierigkeiten, ein Privatflugzeug zu chartern. George Quinns Pilotenschein erwies sich als Zauberstab. Der Chef des Flugplatzes las die letzten Eintragungen mit besonderem Respekt vor. »... einschließlich aller Flugkörper, die zur Erforschung des Weltraums eingesetzt werden.« Er blickte auf, und seine Augen traten ein wenig aus den Höhlen. »Der erste Flugschein für Raumschiffe, den ich je gesehen habe.« Er reichte den Ausweis zurück, als wäre es das kostbarste Dokument der Welt. Sie kletterten an Bord, und George Quinn startete. Innerhalb weniger Minuten hatten sie eine Höhe von fast zweitausend Meter erreicht und nahmen Kurs nach Süden. Armstrong setzte sich auf den Platz des Co-Piloten und wandte sich an Quinn. »Wann können wir nach Norden abbiegen, ohne die Kursänderung zu verraten?« »Wir müssen vom Flugplatz gesehen erst unter dem Horizont verschwinden, damit sie uns nicht mehr auf dem Radarschirm verfolgen können.« Armstrong rieb sich nachdenklich das Kinn. Die Bartstoppeln waren inzwischen länger geworden. »Was ist mit Fothergill passiert?« »Ich glaube, Sie hatten den Burschen von Anfang an durchschaut. Ich hörte einen hitzigen Wortwechsel in seinem Büro, dann fiel ein Schuß. Ohne lange zu überlegen, stürmte ich hinein und fand Muller mit einem rauchenden Revolver in der Hand. Ich sah gera-
de noch, wie Fothergill hinter seinem Schreibtisch starb. Dann schlich jemand von hinten auf mich zu und streckte mich mit einem harten Schlag nieder.« »Nehmen Sie Kurs nach Norden, George. Wir fliegen nach Yellowknife.« »Yellowknife?« wiederholte Quinn. »Was, zum Kuckuck, wollen wir denn da?« »Die anderen mit einem Zug mattsetzen«, erwiderte Armstrong. »Wenn unsere Glückssträhne anhält.« Er verließ die Kanzel und ging zu Claire Mandle. »Wir werden Sie irgendwo absetzen.« »Warum?« »Wir fliehen vor dem Gesetz. Sie dürfen nicht bei uns gefunden werden.« »Aber, John, das kann doch nicht immer so weitergehen. Sie können doch nicht den Rest Ihres Lebens wie ein Verbrecher auf der Flucht verbringen. Warum geben Sie nicht...?« »Warum gebe ich nicht auf und lasse mich von den Wölfen zerfetzen?« beendete er die Frage. »Unschuldige werden nicht bestraft«, protestierte sie. Er sah sie ruhig an und wußte, daß sie ihre Worte selbst nicht glaubte. »Vielleicht werden wir uns nie wieder begegnen... nie wieder«, murmelte sie. »Wie Schiffe in der Nacht«, pflichtete er ihr bei und sah zu, wie sie sich mit einem kleinen Taschentuch den Mund abwischte. »Andererseits haben wir vielleicht Glück und treffen uns im hellen Sonnenschein.« »Sie kämpfen hier gegen Kräfte, die weitaus mächtiger sind als Sie. Ich weiß es, denn ich habe versucht,
Ihnen zu helfen. Vergebens.« »Erzählen Sie«, sagte er. Sie spielte eine Weile mit dem kleinen Taschentuch, bis sie die Haltung wiedergewonnen hatte. »Ich wußte, daß Sie auf der Suche nach Quinn waren. Da fiel mir der Norman Club ein. Da sie sich für Bob interessiert hatten, dachte ich mir, daß sie sich vielleicht auch für seine Schwester interessieren würden. Ich setzte mich mit Carson in Verbindung und kam auf diese Weise zu Horowitz. Er versicherte mir, ein Marsmensch zu sein, der die Erde unter dem Daumen hat.« »Ja, das hat er schon so oft erzählt, daß er es jetzt wahrscheinlich selbst glaubt.« »Er flog mit mir nach Kansas City, und dort wurde ich fast wie eine Gefangene behandelt. Na ja, ich hatte es wohl nicht anders verdient. Immerhin fand ich heraus, daß sie für Bobs Tod verantwortlich waren.« Er drückte ihren Arm. »Jetzt sind wir an der Reihe. Warten Sie nur ab.«
16 George Quinn setzte das Flugzeug auf einer kleinen Landebahn in der Nähe des Flugplatzes von Bismarck auf. Einer von Hansens Männern stieg aus, dann Claire Mandle und anschließend Horowitz, der durch seine dicken Brillengläser über die weite, grüne Grasfläche blickte. »Vielleicht sind Sie ein geborener Marsmensch, vielleicht auch nicht«, sagte Armstrong an der Tür. »Vielleicht bin ich selbst eine violette Giraffe. Vielleicht ist das ganze Gerede über Marsmenschen purer Blödsinn. Das Leben steckt voller Rätsel, nicht wahr?« Er grinste breit. »Vielleicht werden wir unser Vorhaben durchführen können.« Horowitz musterte ihn mit einem eiskalten Blick. »Sorgen Sie dafür, daß er mindestens zweiundsiebzig Stunden von der Bildfläche verschwunden bleibt!« sagte Armstrong zu Hansens Mann. »Dann können Sie ihn dem F.B.I. übergeben.« »Oh, John!« Claire Mandle blickte zu ihm auf. »John, ich...« »Und vielleicht werden wir uns wiedersehen«, sagte er und warf ihr einen Briefumschlag zu, den sie auffing und in ihre Handtasche schob. »Sie brauchen sich nur in General Gregorys Obhut zu begeben – und machen Sie sich keine weiteren Sorgen um uns!« Er sah sie an, als wollte er sich ihr Bild für alle Zeiten einprägen. »Lebwohl.« Er schloß die Kabinentür, und George Quinn startete. Armstrong blickte auf die drei Gestalten hinunter, die immer kleiner wurden, je weiter sich das
Flugzeug entfernte. »Wenn dieser Kerl mit den dicken Brillengläsern ein Marsmensch ist, dann bin ich der Kaiser von China«, brummte er vor sich hin. Nach einer Weile tauchte ein breiter Fluß unter ihnen auf. »Wo sind wir eigentlich, George?« fragte Armstrong. »Über dem Peace River, dem Friedensfluß. Es ist nicht mehr weit.« »Friedensfluß«, wandte Armstrong sich an Hansen. »Glauben Sie daran, daß nomen omen ist?« Die Sonne näherte sich wie ein gigantischer Feuerball dem westlichen Horizont, als George Quinn Armstrong ins Cockpit rief. Er blickte hinunter, und sein Herz begann zu hämmern. Yellowknife lag unter ihnen. Die Sonne spiegelte sich auf der ruhigen Wasserfläche des Großen Sklavensees. Dahinter ragten die schneebedeckten Gipfel der Horn Mountains auf. Sie folgten dem nördlichen Seearm zwischen Yellowknife und Reliance nach Rae. Das Raumfahrtzentrum mit den Konstruktionsanlagen lag zwölf Meilen östlich von Yellowknife. Sie kamen von Norden her auf das Lager zu und warfen nur einen flüchtigen Blick darüber. Dann sah George Quinn sich nach einem geeigneten Landeplatz um. Es dauerte eine Viertelstunde, bis sie eine verhältnismäßig ebene Fläche fanden. Quinn legte eine klassische Drei-Punkt-Landung hin und ließ die Maschine ausrollen. Das Konstruktionsgelände befand sich unmittelbar hinter dem südlichen Horizont, während Yellowknife im Westen ge-
rade noch zu erkennen war. Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung stand Quinn auf und reckte sich. »Jetzt wollen wir mal sehen, wie's weitergeht.« Er öffnete die Kabinentür und spähte in die Dämmerung hinaus. »Wenn sie uns da drüben auf ihren Radarschirmen bemerkt haben, werden sie uns verdammt schnell einen Besuch abstatten.« »Ja, ich weiß.« Armstrong zwängte sich an ihm vorbei durch die Tür und sprang auf den Boden. »Ich glaube, unsere Glückssträhne ist noch nicht vorüber, und wir werden sie ausnützen, solange sie anhält. Wir können ohnehin von Glück reden, daß es nicht Winter ist, sonst würden wir hier bis zu den Ohren im Schnee versinken.« Quinn sprang ebenfalls heraus und blickte zum Himmel hinauf. Die Sonne war inzwischen hinter den Gipfeln der Horn Mountains verschwunden. Aus Richtung Yellowknife blinkten ein paar Lichter herüber. Im Süden blieb alles ruhig. Kein Flugzeug zeigte sich in der Luft. Vermutlich war ihr Eintreffen überhaupt nicht bemerkt worden. Hansen trat näher. »Was nun?« fragte er. »Wir werden mit einer oder auch mit beiden Raumkapseln starten oder mit fliegenden Fahnen untergehen«, antwortete Armstrong. »Meinen Sie das im Ernst?« fragte Quinn. »Noch nie im Leben habe ich etwas so ernst gemeint, George. Sie kennen die Situation. Wir können die weltweiten Machenschaften dieser Saboteure nur verhindern, wenn es uns gelingt, mit einer Raumkapsel auf dem Mars zu landen. Das wäre der Beweis,
auf den die ganze Welt wartet. Es ist der einzige Zug, mit dem wir den Gegner schachmatt setzen können.« »Alles gut und recht«, murmelte Quinn, »aber woher wollen wir wissen, ob die beiden Raumschiffe startklar sind? Und woher wollen wir weiter wissen, ob sie nicht zu einer bereits festgelegten Zeit explodieren werden?« »Womersley hat uns unter dem Schizophraser notgedrungen die Wahrheit sagen müssen und eine Menge wertvoller Informationen gegeben. Er erklärte, beide Raumschiffe wären so gut wie startklar. Die Explosionen würden erst in unmittelbarer Nähe des Mars erfolgen.« »Wir wollen also mit den Dingern aufsteigen, um mit ihnen zu explodieren?« »Nein, dazu wird es nicht kommen, denn im Augenblick sind sie ja nur für einen Testflug programmiert!« »Oh, ihr Götter!« rief Quinn aus. »Natürlich, das stimmt! Und zum Testflug sind sie voll aufgetankt.« Er fuchtelte nervös mit den Händen. »Aber was für ein Risiko! Nur ein ausgemachter Dummkopf würde sich darauf einlassen!« »Ich bin dazu bereit.« »Ohne einen vorhergehenden Testflug kann niemand wissen, ob sie diesen langen Weg überhaupt zurücklegen können. Unterwegs könnte sich alles mögliche herausstellen, und was kann man schon auf halbem Weg zwischen Erde und Mars unternehmen, um irgendwelche Fehler abzustellen?« »Uns bleibt gar keine andere Wahl; denn wenn wir diese beiden Raumschiffe hier ihrem Schicksal überlassen, werden sie nie zum Mars kommen. Unser kritischer Faktor ist die Zeit! Es kann auf jede Minute
ankommen, George. Wenn es uns nicht gelingt, mit diesen beiden Raumschiffen aufzusteigen, ist alles verloren.« »Uns?« Quinn sah sich um, als suchte er einen Geist. »Wer ist denn der zweite Pilot?« »Ich.« »Jetzt weiß ich, daß die ganze Welt ein einziges Irrenhaus ist!« sagte Hansen. Es hatte Quinn die Sprache verschlagen. »Was verstehen Sie denn von einem Raumschiff und seiner Navigation?« »Na, theoretisch kenne ich mich recht gut aus, und jetzt bietet sich endlich die langerwartete Gelegenheit, mir auch praktische Erfahrungen anzueignen. Sie werden mir dabei unter die Arme greifen.« »Hör sich das einer an!« »Es war von Anfang an geplant, daß beide Raumschiffe gleichzeitig aufsteigen«, sagte Armstrong. »Das bedeutet, daß es zwischen ihnen eine Möglichkeit der Verständigung gibt. Sie können mir also sagen, was ich in jedem Augenblick zu machen habe.« »Können Sie sich vorstellen, daß ich dieses verdammte Ding manövrieren und Ihnen dabei noch in aller Ruhe ein paar Unterrichtsstunden erteilen soll?« »Natürlich nicht. Immerhin könnten Sie mir von Zeit zu Zeit einen Tip geben, falls ich das Ding überhaupt in den Griff bekomme.« »Das wäre doch reiner Selbstmord!« rief Quinn. »Glauben Sie, Sie wären der einzige, der dazu ausersehen ist, seinen Kopf auf diese Weise zu riskieren?« »Na, Gott sei Dank gibt es hier kein drittes und viertes Raumschiff«, sagte Hansen. »Sie würden es
fertig bringen, die beiden Dinger von Miriam und mir steuern zu lassen.« »Wenn ich mich nun weigere, bei dieser verrückten Sache mitzumachen?« fragte Quinn. »Sie sind unsere Schlüsselfigur; ohne Sie wären wir verloren. Das wissen Sie doch genau, George. Ich bin jedenfalls nicht hergekommen, um kurz vor dem Ziel aufzugeben.« »Was für ein Freund! Was für ein Freund!« Quinn schüttelte grinsend den Kopf. »Zwei Chancen sind jedenfalls besser als eine«, sagte Armstrong mit Nachdruck. »Ja, ich weiß«, murmelte Quinn. »Irgendwo in diesem Lager gibt es ausgebildete Piloten für diese Raumschiffe. Wahrscheinlich kenne ich sie, und sie kennen mich. Vielleicht könnte ich sie bewegen, mitzumachen.« »Eine ausgezeichnete Idee. Aber wollen Sie mir vielleicht erklären, wie Sie diese Piloten im Lager auftreiben und überreden wollen, ohne dabei von den Posten geschnappt zu werden – und das alles noch vor dem Morgen?« »Vor dem Morgen?« wiederholte Quinn. »Wollen Sie etwa schon in dieser Nacht starten?« »Sobald es uns gelingt, in die Raumschiffe zu kommen.« Quinn zog die Pistole aus der Tasche, die er Singleton abgenommen hatte. Er vergewisserte sich, daß das Magazin voll und die Waffe durchgeladen war und steckte sie wieder ein. Hansen wandte sich an Armstrong. »Was habe ich bei diesem verrückten Unternehmen zu machen?«
»Miriam soll Womersley und das Dienstmädchen bis zu Ihrer Rückkehr bewachen. Sie und Ihr Mann müßt uns helfen, zu den Raumschiffen zu kommen.« »Und dann?« »Wenn wir mit den Raumschiffen aufsteigen, werdet ihr in dem Tumult unbemerkt hierher zurückkehren können. Schlagt euch nach Yellowknife durch und ruft General Gregory an. Er wird sich für euch einsetzen. Wenn es uns gelingt, den Mars zu erreichen, ist Gregorys Stellung nicht mehr zu erschüttern. Er wird für alles sorgen.« »Lauter wenn und aber«, brummte Hansen skeptisch. »Was soll uns schon passieren? Wir sitzen ohnehin tief genug in der Tinte, und dies ist unser letzter Trumpf.« »Okay.« Hansen wandte sich an Miriam und seinen Mitarbeiter. Die vier Männer machten sich auf den Weg zum Lager. Sie waren zu allem entschlossen, und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Je näher sie dem Lager kamen, desto heller wurde das Licht am Horizont. Das Lager war von einem hohen Drahtzaun gesichert, der zweifellos unter Strom stand. Etwa achthundert Meter vom Zaun entfernt ragten die Rampen mit den beiden Raumschiffen auf. Die vier Männer legten sich in einiger Entfernung vom Tor in Deckung und sondierten das Gelände. »Es sind insgesamt acht Posten«, raunte Armstrong seinen Begleitern zu. »Wir können sie nicht alle außer Gefecht setzen und werden uns auf die beiden in der Mitte konzentrieren. Bis die Streifenposten heran
sind, vergehen mindestens zehn Minuten. Es dürfte drei weitere Minuten dauern, bis sie den Alarm auslösen. Damit bleiben uns etwa dreizehn Minuten Zeit, die Raumschiffe zu erreichen. Das hintere Raumschiff ist etwas weiter entfernt. Ich glaube, ich kann es in gestrecktem Galopp erreichen.« »Sie?« fragte Quinn leise. »Wer sagt denn, daß Sie das hintere Raumschiff nehmen?« »Meine langen Beine sagen es mir, Kleiner. Sie sind doppelt so lang wie Ihre!« Verstohlen und jede Deckungsmöglichkeit ausnutzend, schlichen sie auf das breite Tor zu. Die letzten zwanzig Meter kamen ihnen wie ebenso viele Kilometer vor. Armstrong stürmte auf einen der beiden Posten zu, und Quinn suchte sich den anderen aus, während Hansen und sein Mann ihnen auf den Fersen folgten. Sie schlugen die beiden Posten nieder und rannten auf das nächste Raumschiff zu. Quinn sprang auf die Rampe und fuhr mit dem Aufzug hinauf. Er sah Armstrong auf das zweite Raumschiff zueilen. Da ertönte die Alarmsirene, und kurz darauf krachten die ersten Schüsse. Am Rand des Lagers wurde ein großer Scheinwerfer eingeschaltet, dessen Lichtkegel über das ganze Gelände huschte. Dann folgten ein zweiter und ein dritter Scheinwerfer. Armstrong fuhr mit dem Aufzug hinauf und stieg durch die Luke ins Raumschiff. Er schnallte sich auf dem Pilotensitz fest und schaltete die Funksprechanlage ein. »Bist du da, George?« fragte er. »Ja, ich bin hier.«
»Können sie mithören?« »Ich glaube nicht.« Quinn hielt inne. »Ich dachte schon, du würdest es nicht schaffen...« »Also los, George. Was muß ich jetzt machen?« Quinn gab ihm die entsprechenden Anweisungen durch, und Armstrong befolgte sie der Reihe nach. Das Raumschiff begann zu vibrieren. Eine Feuerwolke breitete sich unter dem Raumschiff aus, und es begann langsam zu steigen. »Immer weiter so, John!« kam Quinns Stimme aus dem Kopfhörer. »Kannst du mich noch hören?« »Ja, aber ganz schwach.« Lange Zeit blieb es still in den Kopfhörern. Beide Raumschiffe stiegen in die Stratosphäre hinauf, um den langen Weg zum Mars anzutreten. Eine volle Stunde verstrich, ehe George Quinns Stimme wieder durch den Weltraum drang. »Bist du noch da, John? Ich bin schon ziemlich weit von der Erde entfernt. Kannst du mich noch hören?« Es blieb stumm in seinen Kopfhörern. »John!« rief er. »Kannst du mich hören? Kommst du zurecht?« Wieder wartete er eine Weile gespannt auf eine Antwort. »Ich kann dich nicht mehr hören, John! Was ist denn los? Mach um Himmels willen jetzt keine Witze! Melde dich, wenn du mich hören kannst, ja?« Er lauschte. »John... John... ist alles in Ordnung? Folgst du mir noch auf dem Weg zum Mars? Oder bin ich... jetzt... ganz allein?« Keine Antwort. Er schien mit seinem Raumschiff allein in der Un-
endlichkeit des Raumes zu sein. »Oh, Himmel!« stöhnte George Quinn verzweifelt. Er schaltete die Funksprechverbindung aus.
17 General Gregory legte den Telefonhörer auf die Gabel und marschierte ruhelos auf dem Teppich auf und ab. Claire Mandle saß in einem Sessel und beobachtete ihn. »Das war Hansen«, sagte er. »Jetzt gilt es, Senator Womersley und seinen Norman Club unschädlich zu machen. Das kann aber nur gelingen, wenn Quinn und Armstrong ihr Ziel erreichen – oder zumindest einer von ihnen.« »Was sagte Hansen?« fragte sie. »Er sitzt mit Miriam und einem seiner Mitarbeiter im Gefängnis von Yellowknife, und Womersley versucht, seinen ganzen Einfluß aufzubieten. Ich habe bereits veranlaßt, daß Hansen, Miriam und sein Mann auf freien Fuß gesetzt und mit einem Flugzeug hergebracht werden.« »Was wußte er über die beiden Raumschiffe?« fragte Claire besorgt. »Sie sind gestartet.« »Ist das alles?« »Na, ist es denn nicht genug?« Sie nickte zögernd. »Na ja, aber läßt sich denn gar nicht feststellen, was aus ihnen geworden ist? Wie weit sie schon sind? Sie sind nun seit drei Wochen unterwegs. Wann werden wir endlich erfahren...« »Sobald ich eine Meldung bekomme, gebe ich Ihnen Bescheid«, versprach der General. Er schaltete sein Fernsehgerät ein, um die letzten Meldungen zu hören.
»... aus Conception gemeldet, daß ein Raumschiff etwa dreihundert Meilen südlich der Insel Juan Fernandez, besser bekannt unter dem Namen Robinson Crusoes Insel, in einem flachen Bogen aufs Meer aufgeschlagen und hinter dem Horizont verschwunden ist. Zur Zeit werden umfangreiche Suchaktionen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln durchgeführt.« Claire Mandle sprang auf und rang die Hände. Gregory schaltete den Apparat aus und führte ein paar Telefongespräche. Dann wandte er sich wieder Claire zu. »Ich fürchte, es handelt sich um eines der beiden Raumschiffe. Es hat keinen Sinn, uns in falschen Hoffnungen zu wiegen, meine Liebe.« »Aber welches von beiden?« rief sie verzweifelt. »Oh, wenn ich doch nur wüßte, welches von beiden!« Sie sah den General beschwörend an. »Und wenn wir etwas über das andere Raumschiff erfahren könnten?« »Alles zu seiner Zeit!« Er klopfte ihr väterlich auf die Schulter. »Können wir denn gar nichts unternehmen?« »Im Augenblick nicht.« Er begleitete sie zur Tür. »Gehen Sie ein bißchen aus, kaufen Sie sich ein hübsches Kleid und vertreiben Sie sich die Zeit. Sobald ich etwas erfahre, gebe ich Ihnen Nachricht.« Sie verbrachte einen langen Nachmittag und eine schier unendliche Nacht. General Gregory rief um neun Uhr morgens an. »Auf dem Flugplatz wartet eine Maschine auf Sie, meine Liebe«, sagte er. »Sie bringt Sie nach New Orleans. An Bord werden Sie ein paar Freunde antref-
fen. Springen Sie in ein Taxi und fahren Sie auf schnellstem Weg zum Flughafen.« »Aber, General, warum...?« Er hatte unterbrochen. Sie starrte einen Augenblick wie betäubt auf den Apparat. Dann riß sie sich zusammen und eilte auf die Straße. Zum Glück kam gerade ein Taxi um die Ecke. Hansen, Miriam und Bill Norton erwarteten sie an Bord des Flugzeugs. Norton war ihr beim Einsteigen behilflich, und schon startete die Maschine. Hansen grinste ihr zu. »Hübscher Empfang, was?« »Ich weiß überhaupt nichts. Was ist passiert?« »Wir sind gestern abend aus Yellowknife eingetroffen und von General Gregory und einigen F.B.I.Agenten in Empfang genommen worden.« »Wohin fliegen wir?« »Armstrong abholen«, schaltete Norton sich ein. Er schien mit sich und der Welt zufrieden zu sein. »Hat General Gregory Ihnen nicht alles erklärt?« »Armstrong ist also nicht verletzt?« »Na, er scheint schon wieder auf dem Posten zu sein.« Norton warf sich in die Brust. »Gregory hat ihm ein Interview mit einem einzigen Reporter gestattet – nämlich mit mir. Das nenne ich Freundschaft.« »Aber warum fliegen wir denn nach New Orleans, um Armstrong abzuholen?« fragte Claire. »Er ist von unserem Flugzeugträger aufgegriffen worden und wird in New Orleans landen.« »Aha.« Sie blickte zum Fenster hinaus und die Landschaft hinunter, aber ihre Gedanken waren weit weg.
Armstrong stieg neunzig Minuten später aus. Er kam die Gangway heruntergehumpelt; sein Arm ruhte in einer Schlinge und sein Gesicht war ziemlich verpflastert. Das hinderte ihn jedoch nicht, sein strahlendstes Lächeln aufzusetzen. Er umspannte Claire Mandles zierliche Hand mit seiner großen Pranke. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dich hier anzutreffen. Wem habe ich dieses besondere Vergnügen zu verdanken – General Gregory?« Sie nickte und sah ihn stumm an. Er blickte sich um. »Na, ich muß sagen, es ist gut, wieder in diesem alten Irrenhaus zu sein. Jetzt wollen wir in ein Restaurant fahren und feiern.« Er winkte ein Taxi heran und half Claire beim Einsteigen. Kurze Zeit später saßen sie an einem gedeckten Tisch, und Norton machte sich eifrig Notizen für seinen Artikel. »Ich habe es General Gregory zu verdanken, daß ich jetzt auf freiem Fuß bin«, sagte Armstrong. »Endgültig frei werde ich erst sein, wenn George Quinn Erfolg hat.« »Du hast dein Bestes gegeben«, sagte Claire. »Na ja, vielleicht war ich gar nicht mal so schlecht. Irgendwo unterwegs ist meine Glückssträhne gerissen. Anscheinend war das Raumschiff doch noch nicht genügend vorbereitet. Irgend etwas versagte plötzlich, und ich fiel zur Erde zurück.« Er rieb sich das Kinn. »Ich tauchte in die Atmosphäre ein und hielt auf den Südpazifik zu. Natürlich hielt ich mich für verloren und hatte keine Hoffnung mehr, mit dem Leben davonzukommen.«
»Du kannst dem Scharfrichter nicht entgehen«, brummte Norton. »Fahr fort!« »Nun, es gelang mir, das Raumschiff in eine flache Kurve zu manövrieren. Es schlug aufs Wasser und sprang wie ein Känguruh durch die Luft. Auf diese Weise muß das Ding etwa sechshundert Kilometer zurückgelegt haben. Schließlich landete ich auf einer kleinen Insel, die dem chilenischen Festland vorgelagert ist. Das Raumschiff bohrte die Nase in den Sand, und ich wartete darauf, daß mir ein Engel die Harfe in die Hand drückte. Statt dessen wurde die Luke von ein paar Matrosen geöffnet, und sie zerrten mich heraus.« Er trank seinen Kaffee aus und stöhnte. »Ich glaube, ich bin der größte Glückspilz, den es je auf der guten alten Erde gegeben hat.« In diesem Augenblick wurde der große Bildschirm an der Wand des Raumes eingeschaltet. Eine Militärkapelle marschierte auf, Flaggen wurden gehißt. Alle Personen im Raum standen auf und blickten auf den großen Bildschirm. Ein Sprecher erschien auf dem Schirm. Er hielt ein paar Blätter in den Händen. »Letzte Meldung«, begann er. »Vor siebenundvierzig Minuten haben wir die Stimme des ersten Menschen auf dem Mars empfangen! Es war die Stimme von George Vincent Quinn, einem Amerikaner, der mit der neunzehnten Raumkapsel an einem geheimen Ort der Erde zu seinem Raumflug gestartet war.« Claire Mandle spürte Armstrongs festen Griff um ihr Handgelenk. Seine Augen leuchteten. »Quinns Raumkapsel hat nicht genügend Treibstoff für den Rückflug, aber die Experten erklärten über-
einstimmend, daß sie sogleich eine selbstgesteuerte Kapsel zum Mars starten werden, die ihn mit allen erforderlichen Vorräten versorgt, so daß einer sicheren Rückkehr nichts im Wege stehen dürfte. Seine eigenen Vorräte reichen für mindestens sechs Monate.« »Guter Junge«, sagte Armstrong leise. »Ich bin froh, daß er es geschafft hat. Er hat es wirklich verdient.« »Weitere Nachrichten folgen«, fuhr der Sprecher fort. »Im Augenblick können wir Ihnen die Aufzeichnung von Quinns Stimme vom Mars abspielen.« Der Bildschirm wurde dunkel. Statische Geräusche kamen aus dem Lautsprecher. »... alles gut verlaufen... nicht den geringsten Schaden...« Eine kurze Pause trat ein. »... froh, daß er gut gelandet ist. Richtet ihm aus... je größer sie sind... desto härter fallen sie...« Die Stimme brach ab. Der Bildschirm wurde wieder hell und der Sprecher kam ins Bild. »Diese Worte bezogen sich auf John J. Armstrong, Quinns Begleiter in Raumkapsel zwanzig. Leider mußte er eine allerdings gut geglückte Notlandung im Südpazifik durchführen. Armstrong ist inzwischen durch General Gregory von allen früher gegen ihn erhobenen Anklagepunkten freigesprochen worden.« Der Sprecher blätterte um und fuhr fort: »In einer gemeinsamen Aktion haben F.B.I. und Polizei alle Mitglieder des Norman Club ausgehoben, da es sich bei ihnen um eine weltweite Organisation von Saboteuren handelte...« »Aus!« sagte Armstrong. »Vielleicht haben sie nicht alle festnehmen können, aber sie können keinen Schaden mehr anrichten, denn die Zeit ist über sie hinweggegangen.« Er rieb sich nachdenklich das
Kinn. »Die Geschichte wiederholt sich immer wieder.« Er lächelte Claire an. »Wollen wir tanzen?« »Mit deinem Bein kannst du nicht tanzen«, erwiderte sie. »Na, wie der Mann auf dem Mars sagte – je größer sie sind, desto härter fallen sie.« Bill Norton forderte Miriam auf, aber die hängte sich bei Hansen ein. »Ich lese die Zeitungen – und manchmal frage ich mich«, sagte sie. »Was fragen Sie sich?« fragte Norton neugierig. »Woher wissen Sie, daß Sie normal sind?« fragte Miriam gemein.