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PARKERS Tanz mit dem „Skelett“ Günter Dönges Butler Parker war konsterniert, doch sein Gesicht blieb glatt und ausdruckslos wie stets. Er lüftete höflich seine schwarze Melone und näherte sich dem Skelett, das in einem Liegestuhl Platz genommen hatte und auf diesen Gruß verständlicherweise nicht reagierte. Es war das Skelett eines Menschen, das sich ausgesprochen dekorativ darbot. Dieses seltsame und zugleich auch unheimliche Gebilde schien gerade noch dem Genuß eines Drinks und einer teuren Importe gefrönt zu haben. Von der Zigarre im Aschenbecher, der auf einem Beistelltisch stand, kräuselte noch Rauch, aus dem Glas schien gerade getrunken worden zu sein. Parker in seinem schwarzen Zweireiher, etwas über mittelgroß, gerade noch schlank zu nennen, ging um das Sitzmöbel herum und nahm die Gestalt wahr, die bisher von dem Liegestuhl verdeckt wurde. Sie lag auf dem gepflegten Rasen, mit dem Gesicht nach unten. Im Rücken des Opfers, das männlichen Geschlechts war, steckte ein dolchartiges Messer, das endgültige Tatsachen geschaffen hatte. Die Hauptpersonen: Anthony Banbury verwandelt sich in ein Skelett. Derek Charing bekommt es mit einem Gerippe zu tun. Peter Chetway klempnert nach einer eigenwilligen Methode. Hank Grapes will nicht in Säuren baden. Lionel Hansom stellt Skelette aller Art her. John Hilings macht nicht nur als Playboy Figur. Lady Agatha Simpson bereitet spezielle Bäder vor. Butler Parker läßt diverse Skelette tanzen. Josuah Parker, Butler bester englischer Schule, blieb vor diesem Arrangement stehen und wendete sich langsam um. Im Hintergrund waren die Umrisse eines feudalen Landsitzes zu erkennen. Personen vermochte Parker nicht auszumachen. Dafür entdeckte er kurz darauf eine Visitenkarte, die das Skelett in der linken Knochenhand hielt. Parker betrachtete diese Karte als eine Art Einladung, nahm sie an sich und studierte die Aufschrift. Sie war 2
knapp gehalten und richtete Grüße aus dem Säurebad aus. Der Butler beschäftigte sich nur kurz mit dem Toten vor dem Liegestuhl. Sein erster Eindruck bestätigte sich voll und ganz: Der etwa fünfzigjährige Mann war eindeutig tot. Er trug einen leichten Sommeranzug, der Jahreszeit durchaus entsprechend. Das in den Rücken eingedrungene Messer hatte erstaunlicherweise kaum größere Blutspuren hinterlassen. Parker lüftete erneut seine schwarze Melone und deutete in Richtung des Toten eine leichte Verbeugung an. Dann schritt er würdevoll und gemessen zurück zum Landsitz, wo er auf eine stattliche Dame traf, die groß und energisch aussah. »Nun, Mr. Parker?« fragte sie mit sehr baritonal gefärbter Stimme. »Was habe ich dort unten auf dem Rasen entdeckt?« »Mylady werden einen Verblichenen antreffen«, schickte Josuah Parker voraus, »darüber hinaus und zusätzlich noch ein Skelett.« »Ein Skelett?« Agatha Simpson stutzte. »Ein richtiges Skelett?« »Ein Skelett mit kleinen Fehlern, wenn ich so sagen darf«, antwortete der Butler, »die Kniescheibe des linken Beines scheint abhanden gekommen zu sein, desgleichen die beiden letzten Glieder des kleinen Fingers der rechten Hand.« »Aha«, meinte die ältere Dame ratlos. Sie hatte das sechzigste Lebensjahr mit Sicherheit überschritten, strahlte aber dennoch eine fast aggressive Vitalität aus. »Dieser an sich unwesentliche Verlust, Mylady, dürfte sich während des Transports des Skeletts zugetragen haben«, führte der Butler weiter aus. »Natürlich«, meinte sie umgehend, »und wer ist der andere Tote?« »Meiner bescheidenen Ansicht nach handelt es sich um Mr. Anthony Banbury.« »Dann bin ich also zu spät gekommen.« Sie runzelte ärgerlich die Stirn. »Vielleicht wäre es besser gewesen, Mr. Parker, wenn ich den Wagen gefahren hätte.« »Ein Hinweis, Mylady, der nachdenkenswert sein dürfte«, gab Josuah Parker höflich zurück, »wenn es erlaubt ist, möchte ich allerdings darauf verweisen, daß der Verblichene mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits seit einigen Stunden das Zeitliche gesegnet haben dürfte.« »Ich bin aber doch erst vor gut einer Stunde angerufen worden, Mr. Parker«, entgegnete Lady Simpson, »und zwar von Anthony 3
Banbury.« »In diesem Fall bieten sich Mylady zwei Möglichkeiten an: Entweder ist der Verblichene neben dem Liegestuhl keineswegs Mr. Banbury, oder aber man könnte unter seinem Namen Mylady um Hilfe gebeten haben.« »Genau das wollte ich gerade sagen, Mr. Parker«, entgegnete die ältere Dame, »es gibt aber noch eine dritte Möglichkeit, die Sie natürlich wieder mal völlig übersehen haben.« »Mylady sehen meine bescheidene Wenigkeit überrascht und erwartungsvoll zugleich.« »Man könnte mich in eine Falle gelockt haben.« »Eine Deutung, Mylady, die man nur als bestürzend bezeichnen kann.« Der Butler hatte diese Feststellung gerade getroffen, als ein Schuß zu hören war. Das Geschoß jagte knapp an Josuah Parker vorbei und ließ eine Fensterscheibe hinter ihm auseinanderbersten. »Eine unerhörte Frechheit«, erregte sich Lady Simpson. »Das galt natürlich mir.« »Mylady sollten sich möglicherweise in Deckung begeben«, regte Josuah Parker an, »darf ich mir erlauben, Mylady, dafür jene Steinvase dort zu empfehlen?« Er deutete auf ein riesiges Gerät links von der Treppe, die zur Terrasse führte. Lady Agatha nickte gelassen und begab sich in Deckung. Kurz danach fiel ein zweiter Schuß. * »Grüße aus dem Säurebad?« fragte Anwalt Mike Rander. »Ziemlich ungewöhnlich, würde ich sagen.« »Eine einzige Frechheit und Herausforderung, mein lieber Junge«, antwortete Agatha Simpson grollend, »und dann diese beiden Schüsse. Sie wissen hoffentlich, was das alles zu bedeuten hat.« »Man will sicher ein Skelett aus Ihnen machen, Mylady«, erwiderte Mike Rander. Der Anwalt, um die vierzig Jahre alt, erinnerte ein wenig an den Filmschauspieler Roger Moore, der sich auf die Darstellung des James Bond spezialisiert hatte. »Ein nicht ganz einfaches Verfahren, wenn ich mir diese Bemer4
kung erlauben darf«, warf Josuah Parker ein, »dazu gehören umfangreiche Vorbereitungen.« »Man braucht ein Säurebad, wie?« erkundigte sich der Anwalt fast beiläufig. »In der Tat, Sir«, erklärte der Butler, »dazu brauchte man Salzoder Schwefelsäure.« »Und zwar in beachtlichen Mengen«, informierte der Anwalt. »Wie soll ich das verstehen, Mike?« Agatha Simpson maß den Anwalt mit eisigem Blick. »Wollen Sie etwa darauf anspielen, daß ich ein paar Pfündchen zuviel auf die Waage bringe?« »Aber keineswegs, Mylady.« Mike Rander lächelte. »Ich denke mehr an die technischen Dinge. Sie sind von diesem Anthony Banbury um Hilfe gebeten worden?« »Er wollte mich unbedingt wegen einer Mordandrohung sprechen, Mike«, antwortete die ältere Dame, die sich zusammen mit ihrem Butler und Anwalt Rander in ihrem Fachwerkhaus in Shepherd’s Market befand, einer stillen Oase inmitten der Millionenstadt London. »Hat Banbury wenigstens eine Andeutung gemacht, Mylady?« fragte Mike Rander. »Nichts, aber auch rein gar nichts«, beschwerte sich Agatha Simpson noch nachträglich, »er scheint das alles auf die leichte Schulter genommen zu haben.« »Was fange ich mit dem Namen Banbury an?« Der Anwalt wandte sich an Josuah Parker. »Ist das ein Mann, den man kennen muß?« »Keineswegs und mitnichten, Sir«, gab der Butler Auskunft. »Mr. Anthony Banbury war vor seinem Dahinscheiden Spitzenmanager innerhalb der elektronischen Industrie.« »Wahrscheinlich wollte man ihn anzapfen, wie?« »Sie denken an Erpressung, mein Junge?« warf die ältere Dame hoffnungsfroh ein. »Liegt doch eigentlich auf der Hand, Mylady«, entgegnete der Anwalt, »zählen wir doch mal zusammen: Da ist erst mal ein ausgewachsenes Skelett, dann der Hinweis auf ein Säurebad, schließlich kommen noch die beiden Schüsse hinzu. Wenn das keine Druckmittel sind!« »Es könnte sich selbstverständlich auch um eine persönliche Abrechnung handeln, Sir«, sagte Parker gemessen. »Sie sehen das alles wieder mal völlig falsch«, meinte die Lady 5
prompt, »natürlich ist hier eine Bande am Werk, das spüre ich ganz deutlich.« »Was war denn das für ein Skelett, Parker?« fragte der Anwalt. »Es bestand keineswegs aus Kunststoff, Sir«, stellte Josuah Parker klar, »Skelette dieser Art findet man in den medizinischen Instituten der Universitäten.« »Sind das die Knochen, die man mit Draht zusammenhält?« »In der Tat, Sir. Superintendent McWarden versucht gerade zu ermitteln, wo solch ein Skelett vermißt wird.« »Was sagt denn unser alter Griesgram zu dieser verrückten Geschichte, Parker?« Rander ließ sich von dem Butler mit einer weiteren Tasse Tee versorgen. Man hielt sich im Kleinen Salon des Hauses auf. Es war später Nachmittag, Teezeit also. Lady Agatha trank zum obligaten Tee französischen Kognak und genoß das Gebäck, das Parker serviert hatte, und zwar in Mengen. »Mr. McWarden dürfte meiner bescheidenen Wenigkeit nach bereits mehr über Skelette und Säurebäder wissen, wie ich zu unterstellen mir erlauben möchte.« »Er verschweigt mir etwas?« grollte Agatha Simpson sofort. »Eine Annahme, Mylady«, schränkte der Butler schnell ein, »das Skelett im Liegestuhl dürfte Mr. McWarden eindeutig kaum erschreckt haben.« »Und was wissen Sie von Skeletten und Säurebädern, Mr. Parker?« fragte die ältere Dame spitz. »Bedauerlicherweise vermag meine Wenigkeit noch nicht mit Hinweisen dienen, Mylady«, antwortete der Butler, »ich darf jedoch versichern, daß sich dies recht bald ändern wird.« »Ich nehme an, Sie wollen unseren alten Taschendieb mal wieder einspannen, wie?« frotzelte der Anwalt. »In der Tat, Sir«, gab Josuah Parker zurück, »seine Beziehungen zur sogenannten Unterwelt sind immer wieder faszinierend und frappant, wenn ich es so ausdrücken darf.« * Es war dunkel geworden. Butler Parker hatte sein hochbeiniges Monstrum verlassen und lustwandelte durch die engen Straßen von Soho, um sich mit einem gewissen Mr. Horace Pickett ins Benehmen zu setzen. Er 6
wußte, wo er diesen Mann um diese Zeit fand. Soho wurde nur zu gern von den Touristen besucht, die sich von diesem berühmtberüchtigten Stadtteil zumindest eine kleine Sensation versprachen. In den engen Straßen und Gassen herrschte lebhafter Verkehr. Parker, auch rein äußerlich das Urbild eines englischen hochherrschaftlichen Butlers, kollidierte an einer Straßenecke mit einem jungen Mann, der gegen seine Brust prallte. Der Unvorsichtige schob sich zurück und entschuldigte sich wortreich, um dann schleunigst weiterzugehen. Er verschwand in einem nahen Torweg und zog die Brieftasche hervor, die er in Parkers schwarzem Covercoat gefunden hatte. Sie machte einen wohlgefüllten Eindruck, und der junge Taschendieb lächelte zufrieden. Dieser schnelle Mitnahmegewinn aus der Situation heraus schien sich gelohnt zu haben. Eine Sekunde später lächelte er schon nicht mehr und starrte auf den Inhalt der Brieftasche, auf die sorgfältig zurecht geschnittenen Zeitungsrechtecke. Ein wenig wütend warf er diese Zeitungsrechtecke in einen nahen Müllkasten und langte plötzlich nach der Innentasche seines eigenen Mantels. Der junge Mann fluchte. Vier bisher erbeutete Brieftaschen waren verschwunden, schienen sich in Luft aufgelöst zu haben… Vier Brieftaschen, die von amerikanischen Touristen stammten und gut gefüllt waren, existierten plötzlich nicht mehr. Er fragte sich, wie ihm so etwas passieren konnte und dachte natürlich sofort an den Mann, den er wirklich nur unabsichtlich an der Straßenecke gerammt hatte. Dieser Butler mußte ihn erleichtert haben! Der junge Mann eilte wieder auf die Straße, nahm die Verfolgung auf, entwickelte dabei eine beachtliche Schnelligkeit und entdeckte zu seiner Erleichterung den Typ, der wie ein Butler aussah, aber sicher keiner war. Den jungen Mann ärgerte es, daß er diesen Zunftgenossen noch nie gesehen hatte. Wahrscheinlich war er ein Zugereister, der sich in fremden Revieren bereichern wollte. So etwas durfte man selbstverständlich nicht tolerieren. Es gab schließlich ungeschriebene Gesetze. »‘nen Moment mal, Mann«, sagte er, als er den Butler erreicht hatte und schob sich neben ihn. »Was kann ich möglicherweise für Sie tun?« erkundigte sich Parker in seiner höflichen Art. 7
»Okay, Sie sind Spitze«, schickte der Taschendieb voraus, »aber Sie wildern in ‘nem fremden Revier.« »Sie werden sicher verstehen, daß mir der Sinn Ihrer Rede relativ dunkel erscheint«, gab Josuah Parker zurück, »können Sie sich möglicherweise deutlicher ausdrücken?« »Sie haben mir vier Brieftaschen geklaut«, sagte der junge Mann gereizt, »wie Sie’s geschafft haben, weiß ich nicht, aber das spielt jetzt keine Geige. Ich will mein Eigentum zurückhaben.« »Sind Sie sicher, mich nicht zu verwechseln?« Parkers Gesicht blieb ausdruckslos, obwohl er sich ein wenig amüsierte. »Klar, Mann, Sie haben gemolken, als wir zusammengehauen sind«, erklärte der junge Mann. »Vier Brieftaschen?« Parkers linke Augenbraue stellte andeutungsweise. »Sie führen vier Brieftaschen mit sich? Sind Sie damit einverstanden, daß ich mich ein wenig erstaunt zeige?« »Wenn Sie nicht sofort die Brieftaschen ‘rausrücken, werden Sie etwas erleben«, drohte der junge Mann. »Könnten Sie mit einigen Hinweisen oder sogar Details dienen?« bat Josuah Parker. »Ich hab ‘ne prächtige Rasierklinge bei mir.« »Sie bedrohen einen müden, alten und relativ verbrauchten Mann?« Parker schüttelte andeutungsweise und vorwurfsvoll den Kopf. »Nun machen Sie schon«, brauste Parkers Kontrahent auf und präsentierte dem Butler ein Rasiermesser. Er tat es diskret, damit es von den übrigen Passanten nicht gesehen wurde. »Erlauben Sie, daß ich Sie auf meinen Schirm hinweise?« Parker hakte den Bambusgriff vom angewinkelten linken Unterarm. »Keine Mätzchen, Mann, mit dem Rasiermesser bin ich schneller«, drohte der Taschendieb wütend. »Nun denn, man wird sehen…« Parker ließ seinen Regenschirm senkrecht nach unten fallen. Die Stahlzwinge landete auf der Schuhkappe des Gegners, der unmittelbar darauf gequält aufjaulte. Der nadelspitze Dorn, den Parker durch Knopfdruck unten in der Spitze freigesetzt hatte, bohrte sich in den dicken Zeh des Mannes, der sich daraufhin gegen seinen Willen veranlaßt sah, auf einem Bein herumzuhüpfen. Darüber vergaß der Dieb sein Rasiermesser und bekam überhaupt nicht mit, daß Parker dieses Vielzweckinstrument aus Gründen der allgemeinen Sicherheit an sich nahm. 8
* Er hieß Horace Pickett, war etwa sechzig Jahre alt, weißhaarig und erinnerte an einen pensionierten Offizier der Armee. Dieser Mann saß in einem italienischen Restaurant von Soho und trank einen Espresso. Als er den Butler entdeckte, erhob er sich und strahlte. Er verließ seinen Tisch und ging Parker entgegen. »Ich freue mich ehrlich, Mr. Parker«, sagte er, »und hoffe, Sie sind nicht zufällig hierhergekommen.« »Keineswegs und mitnichten, Mr. Pickett«, antwortete der Butler und ließ sich an den Tisch geleiten, »meine Wenigkeit bedarf Ihrer Erfahrung und Hilfe, um der Wahrheit die Ehre zu geben.« »Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Mr. Parker«, entgegnete Pickett und wartete höflich, bis Josuah Parker Platz genommen hatte. Horace Pickett fühlte sich dem Butler zutiefst verbunden. Er war es schließlich gewesen, der ihm mal das Leben gerettet hatte. Darüber hinaus verehrte Pickett Josuah Parker, der in seinen Augen die wahre Verkörperung eines Gentleman war. Bevor die beiden Männer ihr Gespräch beginnen konnten, erschien am Eingang der Taschendieb, der sich von seinem Hüpftanz ein wenig erholt hatte. Er kam nicht allein. Zwei seiner Freunde waren mitgekommen. Alle drei wollten sich mit dem Butler befassen und Revanche nehmen. Als sie Pickett zusammen mit Parker an einem Tisch entdeckten, flüsterte der Taschendieb seinen Freunden etwas zu und kam dann allein an den Tisch. Er hinkte ein wenig, da sein Zeh noch immer nachhaltig schmerzte. »Darf ich mich nach Ihrem werten Befinden erkundigen?« fragte Parker den jungen Mann. »Darüber reden wir draußen im Hinterhof«, meinte sein Gesprächspartner und wandte sich dann an Pickett, »das ist ‘ne private Sache. Ich… Ich bin bestohlen worden.« »Vier Brieftaschen«, warf Josuah Parker ein und holte sie aus der Innentasche seines schwarzen Covercoats, »ein reicher Fund, wenn ich so sagen darf.« »Sie gehören Ihnen?« Horace Pickett deutete zuerst auf die vier Brieftaschen, dann auf den jungen Mann. »Sie dürften vier Touristen gehören«, meinte der Butler, »mei9
ner bescheidenen Ansicht nach würden die Touristen sich ungemein freuen, wenn die Polizei ihnen ihr Eigentum zurückbringen könnte.« »Ich bin doch nicht verrückt.« Der junge Mann plusterte sich auf. »Und überhaupt, was haben Sie hier in Soho zu suchen? Das ist unser Revier, Mann. Und wenn Sie hier arbeiten wollen, dann fangen Sie erst mal ganz klein an, irgendwo in ‘nem Außenbezirk.« »Ich fürchte, Sie halten mich für einen sogenannten Eigentumsübertrager«, erwiderte Josuah Parker, »dies ist allerdings nicht der Fall.« »Verschwinden Sie«, meinte Horace Pickett und sah den jungen Mann zwingend an. »Sie haben es mit Mr. Parker zu tun. Hoffentlich sagt Ihnen der Name etwas!?« »Mr. Parker? Etwa Butler Parker?« »In der Tat«, warf der Gefragte ein, »darf ich davon ausgehen, daß Sie die Brieftaschen zurückerstatten?« »Geht Ihnen endlich ein Licht auf?« erkundigte sich Horace Pickett bei dem Dieb. »Verdammt, das hätte ich eigentlich sofort merken müssen.« Der junge Mann lächelte entschuldigend. »Sie sind sagenhaft, Mr. Parker. So was von Geschmeidigkeit. Ich hatte überhaupt nichts gemerkt. Wie machen Sie das? Wo haben Sie das gelernt?« »Ein privates Hobby, wenn ich so sagen darf«, meinte Josuah Parker und reichte dem jungen Mann die vier Brieftaschen, »in gewissen Situationen sind solche Kenntnisse recht nützlich.« »Mr. Parker ist mir haushoch überlegen«, stellte Horace Pickett klar, »tun Sie das, was er Ihnen sagte. Und lassen Sie gefälligst die Durchschnittstouristen in Ruhe. Wir wollen unser London doch nicht in Verruf bringen.« »Ich liefere die Brieftaschen sofort ab«, versprach der junge Mann, »entschuldigen Sie, Mr. Parker, daß ich Sie belästigt habe.« »Es war mir ein Vergnügen«, versicherte Parker, »darf ich mich erkühnen, Ihnen einen Rat zu geben?« »Aber immer, Sir«, erwiderte der junge Mann. »Suchen Sie sich möglichst umgehend einen seriösen Beruf«, redete der Butler weiter, »die Methoden der Polizei werden immer differenzierter. Ein Gefängnisaufenthalt zählt mit Sicherheit nicht zu den Annehmlichkeiten des Lebens.« 10
»Diese jungen Leute«, seufzte Horace Pickett und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. Er sah dem Mann nach, der zu seinen beiden Begleitern zurückging. »Sie sollten sich an mir ein Beispiel nehmen. Ich bin fast sauber geworden.« »Die Einsicht des Alters, Mr. Pickett«, entgegnete der Butler höflich, »es gibt eine Fülle legaler Möglichkeiten, Geld zu verdienen.« »Sie haben hoffentlich einen Auftrag für mich, Mr. Parker.« »Es handelt sich um diskrete Ermittlungen, die unter Umständen allerdings lebensgefährlich sein können.« »Langeweile ist tödlich, Mr. Parker.« »Sagen Ihnen die Stichworte >Skelett< und >Säurebad< etwas, Mr. Pickett? Sie dürften neueren Datums sein.« »Skelett und Säurebad?« Pickett runzelte die Stirn. »Nein, nicht gehört. Handelt es sich um eine neue Bande?« »Davon sollte man ausgehen, Mr. Pickett. Meiner bescheidenen Ansicht nach scheint man einem ganz bestimmten Personenkreis Angst und Schrecken einjagen zu wollen.« »Gab es nicht schon mal Mörder, die ihre Opfer in Säure aufgelöst haben, um alle Spuren zu verwischen?« erkundigte sich Horace Pickett. »In der Tat«, sagte der Butler, »die Kriminalhistorie berichtet immer wieder von solchen Fällen. Man scheint dieses Verfahren reaktivieren zu wollen.« »Scheußlich.« Der Meister in Sachen Taschendiebstahl schüttelte sich und zog ein angewidertes Gesicht. »Wenn man so etwas hört, bekommt man es wirklich mit der Angst zu tun. Wie lange dauert es denn, bis die Säure einen Körper weggefressen und aufgelöst hat?« »Dies hängt von der Zusammensetzung der betreffenden Säure ab«, erklärte Josuah Parker, »in diesem Zusammenhang möchte ich erst mal die bekannte Salzsäure erwähnen, dann die Schwefelsäure und schließlich auch noch die Salpetersäure. Die absolute Krönung, wenn ich so sagen darf, dürfte das Königswasser darstellen.« »Königswasser? Nie gehört, Mr. Parker.« Horace Pickett schüttelte sich leicht. »Es handelt sich dabei um das sogenannte Scheidewasser«, dozierte der Butler weiter, »ein Gemisch oder Gemenge von drei Teilen konzentrierter Salzsäure und einem Teil konzentrierter 11
Salpetersäure. Dieses Königswasser ist in der Lage, selbst Gold und Platin aufzulösen.« »Mit Knochen wird dieses Gemisch also ohne weiteres fertig, wie?« »In erstaunlich geringer Zeit«, antwortete Josuah Parker, »die Herstellung eines Skeletts ist eine Sache von Minuten, um es mal pauschal auszudrücken.« * Josuah Parker hatte das Lokal verlassen und begab sich zurück zu seinem hochbeinigen Monstrum. Er wußte, daß er sich auf Horace Pickett fest verlassen konnte. Dieser Taschendieb, der seit einiger Zeit nur noch gelegentlich seinem früheren Gewerbe nachging, hatte sich zu einem wertvollen Mitarbeiter gemausert, der am liebsten voll in Parkers Dienste getreten wäre. Dank der vielen Bekannten innerhalb der Szene war gerade ein Mann wie Horace Pickett in der Lage, diskrete Ermittlungen anzustellen. Parker schien von seiner Umgebung nichts wahrzunehmen, tatsächlich aber war er auf der Hut. Es imponierte ihm nicht, Gegner zu unterschätzen. So blieb er hin und wieder vor der Auslage von Geschäften stehen und beobachtete etwaige Verfolger. Er schlug einige Haken, durchschritt schmale Gassen und erreichte sein hochbeiniges Monstrum. Dabei handelte es sich um ein ehemaliges Taxi älterer Bauart, das nach seinen eigenwilligen Plänen umgerüstet worden war. Dieser eckige, sehr konservativ aussehende Wagen war so zu einer raffinierten Trickkiste auf Rädern geworden, die immer wieder neue Überraschungen anzubieten hatte. Parker blieb vor der Fahrertür stehen und musterte das Skelett… Es war am Griff der Tür befestigt worden, etwa zwanzig Zentimeter lang und sah nicht gerade einladend aus. Es handelte sich um einen sogenannten Scherzartikel aus Kunststoff, wie er immer wieder von Spezialfirmen angeboten wird. Das Skelett war eine getreue Nachbildung und durchaus geeignet, einen Gruseleffekt auszulösen. Mit der Spitze seines Universal-Regenschirms hakte Parker das Skelett vom Türgriff und legte es auf den Asphalt des Parkplatzes. Sein Verdacht hatte sich bestätigt. Er stand bereits unter Beo12
bachtung. Und dies hier war eine mehr als deutliche Warnung. Belauerte man ihn? Befand sich irgendwo in der Dunkelheit ein Gegner, der nur darauf wartete, noch mal und diesmal besser schießen zu können? Glaubte dieser Gegner, der ermordete Anthony Banbury habe noch Zeit gefunden, Mylady und ihn näher zu informieren? Wollte dieser Mörder mit einem gezielten Schuß alle Nachforschungen im Keim ersticken? Parkers inneres Alarmsystem meldete sich, ein sicheres Zeichen dafür, daß akute Gefahr bestand. Der Butler verfügte über einen sehr fein ausgeprägten Sinn für solche Zustände. Um Gefahren aus dem Weg zu gehen, benutzte er einen seiner vielen PatentKugelschreiber, die sich in den Taschen seiner Weste befanden. Unauffällig langte er nach solch einem regulär aussehenden Schreibgerät, verdrehte die beiden Hälften gegeneinander und warf den Kugelschreiber unauffällig zu Boden. Nach einer Sekunde schoß förmlich eine Nebelsäule empor, die sich schnell ausbreitete und den Butler verschluckte. Parker nutzte die Tarnwolke, um seinen Standort schnell zu verändern, und trat näher an seinen Wagen heran. Fast im gleichen Moment hörte er das >Plopp< eines schallgedämpften Schusses. Das Geschoß pfiff nahe an ihm vorüber und schlug in die Scheibe eines anderen abgestellten Wagens. Josuah Parker fischte mit der Spitze des Regenschirms das kleine Skelett vom Boden und beförderte es in den Fond seines Wagens. Dann setzte er sich ans Steuer seines Monstrums und beeilte sich, die Gefahrenzone zu verlassen. Er war an weiteren Schüssen nicht interessiert und verzichtete auch darauf, nach dem Schützen zu suchen. In der Dunkelheit wäre dies doch nur sinnlose Zeitverschwendung gewesen. Es gab einfach zu viele Verstecke. Er hoffte auf eine Verfolgung, minderte die Fahrt und gab etwaigen Beschattern die Möglichkeit, zu ihm aufzuschließen. Hier in seinem Wagen brauchte er weitere Schüsse nicht zu fürchten. Das Glas war schußsicher, der Wagen zudem noch leicht gepanzert. Nach wenigen Minuten spürte Parker eine Müdigkeit in sich aufsteigen, die ihm unerklärlich war. Er war ein Mensch, der normalerweise nur wenig Schlaf brauchte und immer erst sehr spät zu Bett ging. Es war aber gerade 22.00 Uhr, also noch viel zu früh, um ein Schlafbedürfnis aufkommen zu lassen. Weitere Augenblicke später ertappte sich der Butler dabei, daß 13
sich seine Augenlider für einen Moment schlossen. Er gähnte anhaltend, litt unter Sehstörungen und hatte das Gefühl, in Schlangenlinien zu fahren. Plötzlich wuchs vor ihm eine Ziegelwand auf, hoch wie ein Gebirge… * »Wenn man diese Männer wirklich mal braucht, sind sie natürlich nicht da«, grollte die Lady, »wir werden selbstverständlich nicht warten, Kindchen.« Die junge Frau, die sie gerade angesprochen hatte, war Kathy Porter, ihre Sekretärin und Gesellschafterin, die von Agatha Simpson fast wie eine eigene Tochter behandelt wurde. Kathy Porter, groß, schlank, um die fünfundzwanzig, lebte schon seit Jahren mit Parkers Herrin zusammen und wurde von ihr in jüngster Zeit recht nachdrücklich immer wieder in die Anwaltskanzlei Mike Randers geschickt. Lady Agatha träumte davon, daß die »Kinder«, nämlich Kathy Porter und Mike Rander, eines Tages ein Paar werden würden. »Mr. Rander müßte in etwa einer halben Stunde wieder zurück sein«, meinte Kathy Porter. »Was kann in einer halben Stunde alles passieren, Kathy?!« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Man braucht mich, also werde ich zur Stelle sein. Wir nehmen meinen Rover.« Kathy Porter verzichtete auf jeden weiteren Einspruch. Sie wußte nur zu gut, daß die Dynamik einer Agatha Simpson nie zu stoppen war. Wenn sie sich mal etwas in den Kopf gesetzt hatte, führte sie es auch aus. Ihre Absicht, mit dem Landrover in die nächtliche Stadt zu fahren, hing mit einem Telefonanruf zusammen, den sie erst vor wenigen Augenblicken entgegengenommen hatte. Ein gewisser Derek Charing aus dem Stadtteil Mayfair fühlte sich bedroht und traute sich nicht aus seiner Wohnung. Lady Agatha kannte Mr. Derek Charing, der als Schiffsmakler arbeitete und nicht unbegütert war. Sie hatte ihm versprochen, umgehend zu erscheinen, allerdings in ihrem wilden Eifer nicht nach der Art der Bedrohung gefragt. Kathy Porter dachte an die Fahrt, die auf sie zukam. Wegen ei14
ner leichten Gänsehaut hätte sie am liebsten ein Unwohlsein vorgetäuscht, um zu Hause bleiben zu können. Der Fahrstil der energischen älteren Dame war ihr nur zu bekannt. Ein sogenannter »Hell-Driver«, hätte bei Lady Agatha noch durchaus in die Lehre gehen können. Die beiden Frauen gingen in die Garage, die sich an der Rückfront des alten Fachwerkhauses befand. Kathy Porter hinterließ auf dem Tonbandgerät schnell noch eine Nachricht für Mike Rander- und Josuah Parker. Lady Agatha nahm am Steuer Platz und ließ munter den Motor laufen. Sie liebte diesen Geländewagen, dessen Stoßstangen garantierten, daß sie sich ungeniert durch den Verkehr der Millionenstadt drücken konnte. Kathy Porter setzte sich auf den Beifahrersitz und schnallte sich an. Sie wußte schließlich, daß eine mehr als rasante Fahrt auf sie wartete. Durch das geöffnete Wagenfenster setzte sie durch Knopfdruck den Öffnungsmechanismus der Garage in Betrieb. Das Tor hatte sich noch nicht ganz geöffnet, als die passionierte Detektivin den Landrover zurückstieß. Das Wagendach war um gerade anderthalb Zentimeter von der unteren Kante des Garagentors entfernt, als der Wagen in die schmale Gasse zurückstieß, die hinter dem Fachwerkhaus angelegt war. Diese Gasse war in beiden Richtungen noch mal durch schwere Tore gesichert. Sie konnte man mittels Funksteuerung aufschwenken lassen. »Wer ist Derek Charing, Mylady?« fragte Kathy, um ihre Chefin ein wenig abzulenken. »Ein liebenswürdiger Trottel«, lautete die ruppige Antwort der Lady, »ein eingeschworener Junggeselle, der an mir leidet.« »Wie darf ich das verstehen, Mylady?« Kathy stemmte sich kräftig mit den Füßen ab, denn die Detektivin nahm gerade die erste Kurve und schien es darauf angelegt zu haben, den Wagen auf zwei Außenrädern zu stellen. »Er hatte sich vor Jahren mal in mich verliebt«, redete Lady Agatha weiter und wechselte bereits die Fahrbahn. Sie besorgte das ohne jede Vorankündigung über drei Spuren hinweg nach rechts. Dadurch löste sie ein wütendes Hupkonzert aus, das sie jedoch völlig überhörte. Sie reagierte auch nicht auf diverse Notbremsungen, die hinter ihr vorgenommen werden mußten. »Mr. Derek Charing entsprach nicht Ihren Vorstellungen, Mylady?« wollte Kathy wissen. 15
»Er war mir zu schüchtern«, meinte sie abfällig, »und dann seine Manieren, Kindchen! Nicht zu glauben! Er geht am liebsten den ganzen Tag in einem Smoking. Scheußlich…« »Der Polizist sperrt die Straße, Mylady«, deutete Kathy Porter hastig an und zeigte auf einen uniformierten Beamten, der ein Verkehrsgewühl auf einer Kreuzung entwirren wollte. »Ich sehe nichts«, erwiderte die Detektivin, »und selbst wenn! Hier handelt es sich um einen Notfall.« Sie hielt direkt auf den Verkehrspolizisten zu, der den leicht zerbeulten Landrover entgeistert anstarrte und dann blitzschnell zur Seite sprang. Agatha Simpson kurvte donnernd um einige Wagen herum, gab Vollgas und setzte ihre Alarmfahrt fort. »Man wird Sie mit Sicherheit aufschreiben, Mylady«, warnte Kathy Porter mit gepreßter Stimme, denn die ältere Dame schien sich, was die Stoßstange ihres Wagens betraf, für die Breitseite eines Rolls-Royce zu interessieren. »Achtung, Mylady«, keuchte Kathy Porter. Sie schloß sicherheitshalber die Augen. »Nur keine Sorge, Kindchen«, munterte Agatha Simpson ihre Beifahrerin auf, »sehen Sie! Ein Rolls-Royce hat eben doch gute Bremsen. Beste britische Wertarbeit.« Ungläubig blinzelte Kathy. Der elegante Rolls-Royce war zu einer Vollbremsung veranlaßt worden, doch er schlingerte leicht und wurde aus der Bahn getragen. Er blieb knapp vor einem Laternenmast stehen. Der Fahrer sprang nach draußen und schickte dem Landrover unfeine Flüche nach. »Das Autofahren, mein Kind, ist eine Frage der Psychologie«, erklärte die ältere Dame und suchte nach einem neuen Ziel, »man muß Nerven haben und auf die Passivität der anderen setzen.« »Ich… Ich werde es mir merken«, behauptete Kathy Porter und unterdrückte einen Aufschrei. Lady Agatha visierte einen Lastwagen an, der Stückgut geladen hatte. Dieser Wagen hatte eindeutig die Vorfahrt, was die Dame am Steuer allerdings souverän übersah. »Diese Lümmel«, meinte sie aufgebracht, nachdem der Lastwagenfahrer eine Notbremsung vollführt hatte, »sie kennen noch nicht mal die Grundregeln des Straßenverkehrs. Man sollte sie alle zum zweiten Mal in die Fahrschule schicken.« 16
»Mylady, ein Streifenwagen hinter uns«, meldete Kathy Porter erleichtert. »Wie schön«, fand die Detektivin, »genau das habe ich selbstverständlich beabsichtigt, Kindchen. Mr. Charing braucht vielleicht zusätzlichen Polizeischutz.« Kathy Porter seufzte leise, schloß ergeben die Augen und entspannte sich. Was auch passieren mochte, die Lady fand immer wieder eine passende Ausrede. * Die beiden Polizeibeamten aus dem Streifenwagen musterten scheu und durchaus beeindruckt das Skelett und wußten eindeutig, wie sie sich verhalten sollten. Dieses echte Skelett saß in einer Pose, die man nur als neckisch bezeichnen konnte, in einem Sessel, der seinerseits auf einem Treppenabsatz neben einem riesigen Spiegel stand. Zwischen den Zähnen des Skeletts war eine dicke Zigarre zu sehen, die noch brannte. Die Rauchkringel waren deutlich wahrzunehmen. »Worauf warten Sie eigentlich noch?« Mylady deutete auf die geschlossene Wohnungstür. »Wollen Sie die Tür nicht endlich einschlagen?« »Mylady, wir haben kein Recht…« Der erste Polizist duckte sich, als er den scharfen Blick dieser Dame empfing. »Mr. Charing ist wahrscheinlich nicht in der Lage, selbst zu öffnen«, schaltete sich Kathy Porter ein. »Ich denke, hier liegt ein Notfall vor.« »Dann werde ich die Tür eben öffnen«, versprach Agatha Simpson grimmig und nahm einen Anlauf. »Es geht hier um Leben und Tod!« Sie brachte ihre ausgeprägte Fälligkeit in Bewegung und lief dann auf das Türblatt zu. Als sie es fast erreicht hatte, wurde die bewußte Tür von innen spaltbreit geöffnet. Mylady war nicht in der Lage, ihren Schwung abzubremsen. Sie donnerte gegen die Tür und sperrte sie nachdrücklich und weit auf. Dabei überrannte sie einen mittelgroßen, etwas dicklichen Mann, der einen Bademantel trug. Er schrie entsetzt auf, als Lady Agatha sich auf ihn legte, ihn zu Boden riß und förmlich unter sich begrub! 17
»Lassen Sie das, Charing«, grollte die Lady wenig später, »Sie wissen genau, daß ich mir nichts aus Ihnen mache.« »Mylady«, stammelte Charing irritiert, »ich habe doch gar nichts getan. Ich versichere Ihnen, daß ich…« »Papperlapapp, Charing«, fuhr sie ihn an, »Sie benehmen sich geradezu lüstern. Ich wundere mich doch sehr.« Die resolute Dame ließ sich von den beiden stämmigen Polizisten auf die Beine helfen. Derek Charing wischte sich den Schweiß von der Stirn und versuchte der älteren Dame noch mal klarzumachen, daß er keineswegs vorhabe, die Situation zu mißbrauchen. »Noch schlimmer«, raunzte sie prompt. »Sie hätten mir wenigstens zeigen können, daß ich Ihnen nicht ganz gleichgültig bin.« »Sie fühlen sich bedroht und haben um Hilfe gebeten?« schaltete sich einer der beiden Polizeibeamten leichtsinnigerweise ein. Er wollte dienstlich werden. »Halten Sie sich gefälligst aus meinem Fall heraus, junger Mann«, bekam er umgehend von Lady Agatha zu hören, »das Verhör führe ich hier. Sperren Sie Ihre Ohren auf und lernen Sie, wie man so etwas macht!« »Jawohl, Mylady«, antwortete der Streifenbeamte und nahm sofort Haltung an. »Wer hat Sie bedroht, Derek?« erkundigte sich die ältere Dame bei dem Wohnungsinhaber. »Und reißen Sie sich gefälligst zusammen! Das Skelett dort ist völlig harmlos…« »Aber… Aber die rauchende Zigarre«, meinte der Schiffsmakler und warf einen scheuen Blick auf das Gerippe im Sessel. »Warum soll ein Skelett nicht rauchen?« fragte die Lady spitzfindig. »Die Welt ist eben voller Überraschungen, Charing. Kommen Sie aber endlich zur Sache! Was ist passiert? Und alles schön der Reihe nach… Kathy, machen Sie sich bitte Notizen.« »Ich bin angerufen worden«, berichtete Derek Charing und führte die beiden Frauen und einen der Streifenbeamten in den großen, teuer eingerichteten Wohnraum. Dort ließ er sich erschöpft in einen Ledersessel nieder und griff nach einem Whiskyglas. »Sie sollen sich nicht betrinken, Sie sollen endlich berichten«, raunzte Agatha Simpson, »und wenn Sie schon trinken, dann bieten Sie mir gefälligst auch etwas an. Sie haben es mit einer Frau zu tun, deren Kreislauf nicht ganz stabil ist.« 18
Die Streifenbeamten tauschten trotz einiger Entfernung einen erstaunten Blick, Kathy Porter sah zur Seite und amüsierte sich wieder mal. Derek Charing hingegen beeilte sich, Mylady einen Whisky zu reichen. »Sehr schön«, meinte sie, nachdem sie einen Schluck getan hatte, der einen Fuhrknecht in Staunen versetzt hätte, »und nun zur Sache… Sie wurden also angerufen.« »Eine unheimlich hohle Stimme stellte sich als das Skelett vor«, erzählte Derek Charing und schüttelte sich ungeniert, »und diese Stimme schlug mir vor, ein Säurebad zu nehmen.« »Sehr albern«, fand Agatha Simpson, »wozu sollte das gut sein?« »Damit auch ich ein Skelett würde«, redete Derek Charing weiter, »das Skelett am Telefon sagte, es suche Gesellschaft.« »Und was passierte dann, Charing?« »Es klingelte kurz danach an der Wohnungstür«, berichtete der Schiffsmakler weiter, »eigentlich unmittelbar nach dem Anruf. Ich öffnete die Tür und sah das Skelett im Sessel, dort neben dem Spiegel.« »Demnach haben wir es mit zwei Tätern zu tun«, schloß Lady Agatha messerscharf und bedachte den Streifenbeamten, der neben ihr stand, mit einem aggressiven Blick, »ich hoffe, Sie wagen es nicht, mir zu widersprechen.« Der Beamte fand gar keine Zeit, das Gegenteil zu erklären, denn das Telefon meldete sich. »Das wird das Skelett sein«, meinte die Detektivin wie selbstverständlich und hob den Hörer des Telefonapparates. Sie meldete sich mit ihrem Namen, hörte einen Moment zu und lachte dann spöttisch. »Sie wollen Mr. Parker abgefangen haben?« fragte sie. »Kommen Sie mir nicht mit Ammenmärchen! Einen Butler Parker fängt man nicht ab und verwandelt ihn schon gar nicht in ein Skelett… Verschonen Sie mich gefälligst mit Ihren albernen Spaßen!« * Parker war beeindruckt. Er gestand sich, seinen Gegner unterschätzt und ferner einen gravierenden Fehler begangen zu haben. Er hatte das relativ 19
harmlos aussehende Kleinst-Skelett leichtfertig und gedankenlos in den Fond seines hochbeiniges Monstrums geworfen und vergessen, die Trennscheibe zwischen vorn und hinten zu schließen. Genau dieses Versäumnis war ihm zum Verhängnis geworden. In der Wärme des Wagens mußte das Skelett gewisse chemische Reaktionen eingegangen sein, und die Dämpfe dieser Reaktion hatten ihn schnell außer Gefecht gesetzt. Parker war inzwischen wieder zu sich gekommen und befand sich in einer recht ungewöhnlichen Situation, wie er sie bisher noch nie erlebt hatte. Sein Wagen stand auf einem Tieflader, wie er zum Verbringen von neuen Autos oder Autowracks benutzt wurde. Dieser Tieflader parkte in einer kleinen Fabrikhalle, deren Inventar bis auf einige Zementsockel für Maschinen entfernt worden war. Um diesen Wagen herum befanden sich einige Scheinwerfer, die seinen Wagen und damit auch ihn anstrahlten. Warum man ihn nicht aus dem Wagen geholt hatte, zeigte ein Blick auf das mehr als reichhaltig ausgestattete Armaturenbrett. Bevor er ohnmächtig geworden war, bevor er seinen Wagen gerade noch zum Stehen bringen konnte, war es ihm gelungen, die zentrale Verriegelung zu betätigen. Man war bisher einfach nicht an ihn herangekommen und hatte wohl schnell herausgefunden, wie sicher und gepanzert dieses Gefährt war. Nun wartete man darauf, sich endlich mit ihm auseinandersetzen zu können. Parker kontrollierte erst mal den korrekten Sitz seiner schwarzen Melone und des schwarzen Binders. Er wischte sich einige unsichtbare Stäubchen von den Aufschlägen seines ebenfalls schwarzen Zweireihers und hielt dann Ausschau nach den Menschen, die ihn im wahrsten Sinn des Wortes abgeschleppt hatten. Seine Bewegungen waren eindeutig registriert worden. Parker entdeckte die Umrisse einer Gestalt neben einem der vier Scheinwerfer. Er lüftete also durchaus höflich seine Melone und schaltete die Wechselsprechanlage seines Wagens ein. Auf diese Weise konnte er sich ohne weiteres verständigen. »Ich möchte nicht versäumen, Ihnen mein Kompliment auszusprechen«, sagte er in seiner gemessen höflichen Art, »Sie haben mich auf eine phantasievolle Art in Ihre Gewalt gebracht.« »Ach, wir können uns unterhalten?« wunderte sich eine undeutliche, absichtlich verzerrte Stimme. »Sehr schön, das spart Zeit, Mr. Parker.« »Man wird meiner Wenigkeit wohl kaum sagen, mit wem ich die 20
Ehre habe?« »Sie haben es mit dem Skelett zu tun«, lautete die umgehende Antwort, »Sie können sich darunter ja inzwischen was vorstellen, nicht wahr?« »Sie dürften der Mörder des bedauernswerten Mr. Anthony Banbury sein, wenn ich nicht sehr irre?« »Banbury war ein Dummkopf und hat seinen Tod selbst verschuldet«, erwiderte die Stimme, »er nahm meine Warnungen und Ankündigungen auf die leichte Schulter.« »Wozu Sie meiner Wenigkeit nicht raten?« »Ich hoffe, daß Sie vernünftig sind, Parker.« »Demnach erwarten Sie von meiner Wenigkeit gewisse Reaktionen?« »Steigen Sie erst mal aus Ihrem Panzerwagen«, verlangte die Stimme. Der Besitzer der Stimme blieb nach wie vor hinter dem gleißenden Scheinwerfer verborgen. »Wenn Sie erlauben, möchte ich diesen Zeitpunkt noch ein wenig hinausschieben«, erwiderte der Butler, »könnten Sie sich dazu aufraffen, mir zu erklären, welche Pläne Sie hegen, was meine Person betrifft?« »Ich möchte Sie für eine gewisse Zeit separieren«, hörte Josuah Parker, »Sie verstehen? Ich möchte Sie verschwinden lassen.« »In einem Säurebad, wie ich unterstellen möchte.« »Natürlich nicht, Parker. Warum sollte ich Sie umbringen? Nein, nein, Sie werden für eine Woche oder so untertauchen. Ich kann Ihnen eine hübsche Unterkunft anbieten.« »Während dieser Zeit gedenken Sie, als Skelett ausgesuchte Personen um erhebliche Geldbeträge zu erleichtern?« »So ist es«, kam prompt die Antwort, der ein leises Auflachen folgte. »Ich denke, meine Klienten werden alle durch die Bank sehr schnell zahlen und sich hüten, die Polizei zu informieren.« »Ihnen dürfte sicher bekannt sein, daß eine Lady Simpson nach meiner Wenigkeit suchen wird.« »Und ein Anwalt namens Rander… Und eine junge Dame namens Kathy Porter«, zählte die undeutliche Stimme weiter auf. »Ich bin bestens informiert, Mr. Parker.« »Und was soll aus diesen Personen werden?« »Sie, Parker, werden die drei Leute auffordern, zu Ihnen in die Unterkunft zu kommen. Wie gesagt, in etwa einer Woche sind Sie dann alle wieder frei.« 21
»Man wird sich nur auf diese an sich vage Zusage verlassen können, wenn ich nicht sehr irre?« »Sie haben überhaupt keine andere Wahl, Parker, wenn Sie überleben wollen.« »Sie haben sicher Maßnahmen für den Fall einer Weigerung eingeplant?« »Darauf können Sie sich verlassen, Parker. Sie wissen doch, daß ich selbst Ihren Wagen knacken kann. Das ist nur eine Frage der Methode.« »Das Sie es bisher nicht getan haben, müssen Gründe vorliegen.« »Ich will Ihnen eben eine Chance geben, Parker, das ist alles.« »Wenn Sie erlauben, möchte ich über Ihr Angebot ein wenig nachdenken.« »Sie haben die berühmten drei Minuten Zeit«, lautete die Antwort, »falls Sie dann nicht angenommen haben, werde ich Ihren Karren aufschweißen oder hochsprengen lassen. Sie haben überhaupt keine Wahl, aber gut, diese drei Minuten sollen Sie haben… Ich bin ja kein Unmensch!« * »Wagen Sie es nicht noch mal, so einfach aufzulegen«, sagte die Stimme, nachdem Agatha Simpson nach nochmaligem Läuten abgehoben hatte. »Wie reden Sie denn mit einer Dame, Sie Lümmel?« grollte die Lady. »Sagen Sie endlich, was Sie wollen!« »Sie werden mit Ihrer Sekretärin sofort losfahren, haben Sie verstanden? Sie werden sofort zur Garage Ihres Hauses zurückfahren und dort aussteigen. Alles Weitere folgt dann. Ende!« »Das ist doch die Höhe!« empörte sich Agatha Simpson, als ein Klicken in der Leitung zu hören war, »man besitzt die Frechheit, mir Befehle zu erteilen.« »Um was handelt es sich denn, Mylady«, erkundigte sich Kathy Porter leise, aber sehr eindringlich. Die Lady lieferte ihr einige Stichworte, die der Streifenbeamte nicht registrieren konnte. Er kümmerte sich gerade um Derek Charing, der wieder unter Angstzuständen litt. »Das ist alles natürlich nur eine Finte, Kindchen«, meinte die äl22
tere Dame abschließend, »natürlich hat man Mr. Parker nicht abgefangen. Das ist ausgeschlossen.« »Ich rufe in Shepherd’s Market an«, schlug Kathy Porter vor. Sie wartete die Zustimmung nicht ab. Kathy Porter war in ehrlicher Sorge, wählte die Nummer und hörte bald darauf Mike Randers Stimme. »Ich habe das Tonband abgehört«, sagte er, »ich wollte gerade auch anrufen. Was ist passiert, Kathy?« »Sie sollten vielleicht hierherkommen zu Mr. Derek Charing«, entgegnete sie, »es ist wieder ein Skelett zu besichtigen, Mike. Und Mr. Parker scheint in Schwierigkeiten zu stecken…« »Er ist tatsächlich nicht hier und hat auch keine Durchsage eingespeichert. Ich mache mich sofort auf den Weg.« »Passen Sie auf sich auf, Mike! Es könnte sein, daß man Sie vor dem Haus abfangen will.« »Dann werde ich eben einen Schleichweg benutzen, Kathy. Noch etwas: Bremsen Sie unbedingt die Lady! Sie darf nichts auf eigene Faust unternehmen.« »Wie soll ich einen Räumpanzer stoppen?« fragte sie. »Aber gut, ich werde mich bemühen.« Kathy Porter legte auf und ging hinüber zu ihrer Chefin, die sich um Derek Charing kümmerte und ihm einen Whisky einflößte. Dann wollte sie ziemlich barsch wissen, um welche Summe das sogenannte Skelett ihn zu erleichtern beabsichtigte. »Da ist überhaupt nichts von gesagt worden«, antwortete der Schiffsmakler, »mein Wort darauf, nichts wurde verlangt.« »Dann wird das noch kommen«, freute sich die ältere Dame, »natürlich sind all diese Mätzchen nur die Vorbereitung für eine handfeste Erpressung. Ich kenne mich in diesen Methoden schließlich aus.« »Wir aber auch, Mylady«, war in diesem Augenblick von der Wohnungstür her die Stimme von Chief-Superintendent McWarden zu vernehmen. Der Leiter eines Sonderdezernats im Yard war ein untersetzter, kompakter Mann, etwa fünfundfünfzig Jahre alt. McWarden, mit dem »Quartett«, aus Shepherd’s Market sehr gut bekannt, erinnerte stets an eine leicht bis mittelschwer gereizte Dogge. Seine leichten Basedowaugen unterstrichen diesen Eindruck noch. »Erstaunlich, daß Sie auch schon hier sind, McWarden«, stichelte Lady Agatha sofort, »das grenzt schon an ein Wunder.« 23
»Ich bin eben erst per Funktelefon verständigt worden«, antwortete McWarden und ärgerte sich eine Sekunde später darüber, daß er auf diese Stichelei überhaupt reagierte. Er wechselte das Thema. »Mr. Parker nicht hier?« »Er ist unterwegs«, gab Agatha Simpson ausweichend zurück, »und ich werde ebenfalls losfahren.« »Sie sind doch nicht zufällig hier«, meinte McWarden und deutete auf das Skelett draußen im Treppenhaus. Der zweite Streifenbeamte hatte sich gehütet, die Zigarre zu entfernen. Sie produzierte nach wie vor kleine Rauchkringel, was ein wenig surrealistisch aussah. »Irgendwelche Flegel haben diesem armen Teufel einen Streich gespielt, wie Sie sehen können«, antwortete die Detektivin, »für mich ist der Fall damit erledigt.« »Ist Erpressung im Spiel, Mylady?« fragte McWarden. »Sie wissen doch, wie wichtig mir Ihr Urteil ist.« Er hatte ihren Nerv voll getroffen. Sie lächelte plötzlich fast einnehmend und nickte zustimmend. »Er will’s nur nicht zugeben«, sagte sie, »selbstverständlich will man ihn erpressen, nachdem man ihn in Angst und Schrecken gejagt hat, McWarden. Aber ich werde diesen Fall lösen!« »Was wäre ich ohne Sie, Mylady«, schmeichelte McWarden, »Mr. Parker ist in dieser Sache bereits unterwegs?« »So könnte man sagen«, urteilte sie, »hoffentlich wissen Sie inzwischen, woher die scheußlichen Skelette stammen. So schrecklich schwer kann das doch nicht sein.« »Wir verfolgen bereits gewisse Spuren«, behauptete der ChiefSuperintendent, »sobald ich mehr weiß, werde ich Sie sofort informieren. So, jetzt muß ich mich erst mal um diesen armen Teufel kümmern. Hat er sich einen Schwips angetrunken?« »Junge Männer können doch heutzutage nichts mehr vertragen«, lautete ihre verächtliche Antwort, »drei fast kleine Whisky habe ich ihm eingeträufelt. Sehen Sie sich an, wie das bereits wirkt…« Derek Charing saß im Sessel und machte inzwischen einen mehr als abwesenden Eindruck. Erfreulicherweise aber spielte ein versonnenes Lächeln auf seinen Lippen. Angst schien er im Augenblick nicht mehr zu haben.
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* »Nein, nein, ich bin nicht attackiert worden«, sagte Mike Rander, der vor dem Haus auf Lady Simpson und Kathy Porter traf, »aber ich habe mich auch auf leisen Sohlen davongestohlen und ein Taxi benutzt.« »Das Skelett erwartet uns in Shepherd’s Market«, warf Myladys Sekretärin ein und berichtete knapp, was am Telefon verlangt worden war. »Dieses Skelett scheint einen Trumpf in der Hand zu haben«, vermutete der junge Anwalt. »Sie glauben, mein Junge, man könnte Mr. Parker entführt haben?« Inzwischen sorgte sie sich. »Auch unser Parker ist schließlich kein Übermensch«, antwortete Mike Rander nachdenklich, »verdammt, was soll man tun? Die Falle in Shepherd’s Market annehmen und dann den Spieß umdrehen?« »Natürlich, mein Junge«, pflichtete die ältere Dame ihm sofort bei, »genau das ist mein Plan.« »Parker wollte sich doch mit Pickett treffen, wie?« »Und zwar in Soho«, bestätigte Kathy Porter und nickte. »Mr. Pickett hält sich dort gern in einem italienischen Restaurant auf. Ich glaube, ich könnte es finden, Mike.« »Sollte man nicht versuchen, die Gelegenheit zu nutzen, Mylady?« tippte Mike Rander an. »Schnickschnack«, sagte sie, »ich bin für diese Falle. Ich werde mir wenigstens einen dieser Lümmel kaufen. Und dann werde ich ihn solange ohrfeigen, bis er mich auf Knien bittet, etwas sagen zu dürfen.« »Wenn man nur wüßte, was richtig ist«, antwortete Mike Rander. »Ich werde nach Soho fahren«, schlug Kathy vor. »Sie, Mike, könnten Mylady ja nach Shepherd’s Market begleiten.« »Zwei Fliegen mit einer Klappe. Genau das ist mein Plan«, erklärte die Detektivin umgehend. »Passen Sie auf sich auf, Kindchen. Ich sage Ihnen aber schon jetzt, daß Sie auf die falsche Karte gesetzt haben.« »Falls ja, Mylady, werde ich sofort zurückkommen.« Kathy Porter war froh, ein Taxi nehmen zu können. Und sie bedauerte Mike Rander, der von der älteren Dame durch den dichten Verkehr 25
katapultiert wurde. Sie beeilte sich, Mylady weit hinter sich zu lassen und fand an der nächsten Straßenecke ein Taxi, das langsam über die Fahrbahn schlich. Kathy Porter winkte es ab und ließ sich dann erleichtert in die Polster fallen. Sie nannte das Ziel und dachte an den Butler, den sie sehr schätzte. Hoffentlich war ihm nichts passiert… »Sind Sie sicher, daß wir auf diesem Weg nach Soho kommen?« fragte sie plötzlich und beugte sich vor. »Nur ein kleiner Umweg«, erwiderte der Fahrer, ein älterer Mann, »am Piccadilly gibt’s bestimmt wieder ‘nen Stau. Die Kinos und Theater schließen in ‘ner Viertelstunde.« »Daran hatte ich nicht gedacht.« Kathy ließ sich wieder zurücksinken, behielt den Fahrer aber im Auge. Sie fürchtete plötzlich, bereits in eine Falle getappt zu sein. Gegen einen Verkehrsstau hatten Taxifahrer zumeist nichts einzuwenden, denn das Taxameter lief ja schließlich weiter und drückte den Fahrpreis hoch. Angst hatte Kathy Porter nicht. Sie mochte zwar wie ein etwas hilfloses und scheues Reh aussehen, wozu ihr kastanienrotes Haar und der exotische Schnitt ihrer Augen beitrugen, tatsächlich war sie aber eine durchtrainierte Sportlerin, erfahren in fast allen Künsten der fernöstlichen Selbstverteidigung. Ihre Handkanten allein waren bereits mehr als gefährliche Waffen. »Mich geht’s ja zwar nichts an«, schickte der Fahrer voraus, »aber Soho um diese Zeit ist eigentlich nichts für ‘ne junge Lady.« »Ich komme schon zurecht«, gab Kathy zurück und beugte sich wieder vor, »sagen Sie, fällt der Umweg nicht etwas groß aus?« »Nee, bestimmt nicht«, erwiderte der Taxifahrer. »Sie werden sich bestimmt noch wundern.« * »Kommen Sie, steigen Sie aus! Sie haben doch keine andere Chance.« »Ich möchte keineswegs verhehlen, daß eine gewisse Besorgnis meine Wenigkeit erfaßt hat«, antwortete der Butler. »Sie haben Angst vor einem Säurebad, wie?« »Arbeiten Sie mit Salz-, Salpeter-, oder Schwefelsäure?« lautete Parkers überraschende Frage. »Mit Schwefel… Zum Teufel, lassen Sie die Fragen, Parker! 26
Kommen Sie endlich aus dem Wagen, sonst sprenge ich Sie ‘raus!« »Sie dürften aus guten Gründen bisher darauf verzichtet haben«, meinte Parker höflich, »wahrscheinlich können Sie sich eine Detonation nicht erlauben.« »Wieso nicht, Parker?« »Es scheint so etwas wie eine unmittelbare und ahnungslose Nachbarschaft zu geben«, vermutete der Butler weiter, »eine Sprengung dürfte demnach die Polizei auf den Plan rufen.« »Sie reimen sich da was zusammen, Mann«, erwiderte die Stimme ärgerlich. »Und ob ich sprengen kann…« »Dann möchte ich Sie nicht unnötig daran hindern.« »Haben Sie’s überhaupt mitbekommen? Ich werde Sie aus dem Schlitten…« »Die drei Minuten sind um«, sagte die undeutliche Stimme. Die Umrisse des Mannes hinter einem der Scheinwerfer waren etwas deutlicher auszumachen, »haben Sie sich entschieden? Sprengen, Parker. Dabei können Sie mit hochgehen.« »Auch Erfahrungen dieser Art könnten für spätere Zeiten recht nützlich sein.« Parker blieb im schützenden Wagen. Ihm war völlig klar, daß man sofort auf ihn schießen würde, sobald er die schützende Deckung verließ. Die zentrale Verriegelung der Wagentüren hatten ihn vor einer vorzeitigen Ermordung bewahrt. Die Gangster hatten diesen Tresor auf Rädern einfach nicht knacken können. »Parker, hören Sie mich?« fragte der Mann hinter dem Scheinwerfer. »Ich bin ganz das, was man gemeinhin Ohr zu nennen pflegt«, erwiderte der Butler. »Wir können Ihren Wagen auch aufschweißen. Haben Sie mal daran gedacht, Parker?« »Dies alles wird Sie wertvolle Zeit kosten.« »Und wie haben Sie sich die ganze Geschichte vorgestellt?« »Sie könnten die beiden Radplanken abkippen und mir gestatten, den Wagen vom Tieflader herunterzubringen. Danach werde ich diesen an sich nicht gerade gastlichen Ort verlassen, während Sie die Gelegenheit haben, sich ebenfalls zu entfernen.« »Das könnte Ihnen so passen, Parker. Nein, jetzt ist mein Geduldsfaden gerissen. Ich werde sie ‘raussprengen.« »Ich beuge mich dem Zwang der Situation.« 27
»Haben Sie mich überhaupt richtig verstanden? Ich werde Ihren Karren mit Dynamit auseinanderfliegen lassen.« »Ich kann Sie kaum daran hindern.« Parkers Stimme klang höflich wie stets. Angst vor einer Sprengung schien er überhaupt nicht zu haben. Er saß aufrecht, als habe er einen Ladestock verschluckt, am Steuer und beobachtete den Umriß des Mannes, der plötzlich verschwand. Wenig später erschien dann eine andere Gestalt neben und schließlich vor dem Scheinwerfer. Diese Gestalt trug einen ölverschmierten Arbeitskittel und mühte sich mit einer kleinen Holzkiste ab, die kaum größer war als ein Schuhkarton. Das Gesicht des Mannes wurde von einer behelfsmäßigen Strumpfmaske verborgen. Der Mann präsentierte dem Butler die Holzkiste und öffnete den Deckel. Josuah Parker nahm zur Kenntnis, daß sich in diesem Behälter einige Dynamitstäbe befanden. »Ich bluffe nicht, Parker«, drohte der Mann. »Vergessen Sie nicht, das Dynamit zu verdämmen«, riet Josuah Parker, »Sie erhöhen damit die Effektivität der geplanten Sprengung.« »Sie müssen wahnsinnig sein, Parker«, wunderte sich der Gangster, »noch einmal: Ich werde Sie aus dem Wagen sprengen!« »Eine Beschädigung des Wagens würde ich als einen unfreundlichen Akt betrachten.« »Mann, haben Sie Sorgen!« Der Maskierte trug die kleine Holzkiste an den Tieflader heran und wollte die Dynamitstäbe auspacken. Damit geriet der ahnungslose Gangster automatisch in den Wirkungskreis gewisser Einrichtungen, die unter dem Wagenboden angebracht waren. Gegner und Freunde nannten Parkers hochbeiniges Monstrum nicht grundlos eine Trickkiste auf Rädern. Der Butler wartete, bis der Mann sich mit dem Heck des aufgeladenen Wagens befaßte. Dann trat Parker mit dem rechten Fuß auf einen am Wagenboden versteckt angebrachten Knopf und stellte somit unter Beweis, wie leichtsinnig und gefährlich es war, sich mit ihm anzulegen. Auf den Knopfdruck hin schossen aus versteckt angebrachten Düsen scharf gebündelte Nebelfinger, die sich blitzschnell ausbreiteten. Dieser feine Nebel enthielt chemische Beimischungen, die es in sich hatten. Der Maskierte hustete, griff sich an die Kehle und bekam feuch28
te Augen. Er schnappte nach Luft, setzte sich und interessierte sich nicht weiter für seine Dynamitstäbe. Er vergoß Krokodilstränen, schluchzte herzerweichend und hustete inzwischen wie ein Seehund. Er bekam überhaupt nicht mit, daß Josuah Parker die Wagentür geöffnet hatte und ausstieg, denn er war völlig mit sich selbst beschäftigt. * Der Taxifahrer hatte keine Ahnung, in welcher Gefahr er schwebte. Er hielt in Soho an und wandte sich zu Kathy Porter um, die ihm bis zur letzten Minute mißtraute. Sie hatte sich darauf eingerichtet, ihn mit einem gezielten Handschlag außer Gefecht zu setzen, falls er sie an einer anderen Seite abgesetzt hätte. »Bin ich nun richtig gefahren oder nicht, Lady?« fragte er lächelnd. »Ich bedanke mich«, gab sie zurück, »wir haben tatsächlich Zeit gespart.« »Passen Sie auf sich auf, Lady«, redete der Taxifahrer weiter, »hier gibt’s ‘ne Menge mieser Typen.« »Ich komme schon zurecht«, beruhigte sie den Mann, bezahlte den Fahrpreis und gab dem Fahrer darüber hinaus ein beachtliches Trinkgeld. Sie stieg aus und eilte in das italienische Restaurant, in dem Horace Pickett verkehrte. Als Kathy Porter um eine Straßenecke bog, sah sie sich plötzlich drei jungen Männern gegenüber, die sichtlich angetrunken waren. Sie fühlten sich ungemein stark und waren mehr als erfreut, der jungen, attraktiven Frau zu begegnen. Sie belästigten sie nicht gerade, aber sie bestanden darauf, daß Kathy Porter sich ihnen anschloß und einen Drink mit ihnen nahm. »Nachher«, bat Kathy lächelnd, »im Moment bin ich in Eile.« »Laß deinen Typ sausen«, sagte einer der drei und versperrte ihr den Weg, »wir haben viel mehr zu bieten, wetten?« »Wahrscheinlich«, räumte Kathy ein, die an Streit nicht interessiert war, »aber wie gesagt, ich bin in Eile.« »Die legt sich gleich«, meinte der zweite Angetrunkene. »Wir kennen da ‘ne prima Kellerkneipe, Süße«, fügte der dritte Mann hinzu und wollte sie umarmen, »nun zier dich nicht. Laß 29
deinen Freier in den Wind schießen…« Sie blieben hartnäckig und wurden noch aufdringlicher. Sie hatten Kathy förmlich eingekesselt und schoben sie nachdrücklich in einen Torweg, um jede Flucht zu verhindern. Kathy Porter verlor die Geduld und verwandelte sich ohne Übergang in eine wilde Pantherkatze. Mit der linken und rechten Handkante verschaffte sie sich Luft. Die beiden Getroffenen verdrehten die Augen, hechelten verzweifelt und legten sich je gegen eine Ziegelwand. Der dritte Mann fuhr zurück, starrte Kathy Porter an und… hielt dann plötzlich ein Messer in der linken Hand. Er warf es gekonnt in die rechte und dann wieder zurück in die linke Hand. »Nicht mit uns, Süße«, drohte er, »ich werde dir jetzt die Klamotten vom Leib schlitzen.« »Machen Sie keinen Unsinn«, bat Kathy Porter, »warum wollen Sie unbedingt Ärger haben?« »Du kleines Biest«, redete der dritte Mann weiter. Er beobachtete seine beiden Begleiter, doch mit ihnen war nicht zu rechnen. Sie hatten sich inzwischen entschlossen, auf dem Pflaster Platz zu nehmen und massierten sich vorsichtig ihre Halspartien. Der Messerträger fintierte und meinte es ernst. Er wollte Kathy Porter angreifen und zustoßen. Die junge Dame spielte jetzt die Hilflose, die Angst vor dieser Schneidware hatte. Sie fuhr zurück, hob abwehrend die Hände und lenkte damit den Blick des Mannes ab. Der fiel darauf auch prompt herein und bekam nicht mit, daß Kathy Porter ihren linken Fuß hochschnellen ließ. Die Fünfundzwanzigjährige war gelenkig und traf zielgenau den linken Oberschenkel des Messerstechers, der überrascht aufstöhnte und das Gleichgewicht verlor. Bevor er sich neu aufbauen konnte, setzte Kathy ihm ihre linke Handkante auf den Oberarm, worauf das gefährliche Messer klirrend auf dem Pflaster landete. »Tut mir leid«, sagte Kathy, »aber ich bin wirklich in Eile, sonst würde ich mir noch etwas mehr Zeit für Sie nehmen.« Sie winkte den drei völlig aus dem Tritt geratenen Angetrunkenen zu und eilte weiter, in der Hoffnung, den Eigentumsübereigner Pickett noch zu erwischen, um ihn nach Butler Parker zu fragen. Als sie das Restaurant betrat, blieb sie wie angewurzelt stehen. An einem Tisch saß Josuah Parker und trank einen Espresso. Er machte nicht nur einen unversehrten Eindruck, sondern bot den 30
Anblick eines Mannes, der sich im Zustand heiterer Entspannung befand. Dies ging daraus hervor, daß der leise Anflug eines Lächelns seine Lippen umspielte, eine Gefühlsregung, die nur Eingeweihte zu deuten wußten. * »Darf ich Ihnen versichern, Miß Porter, daß Ihr Erscheinen meine Wenigkeit erfreut?« fragte der Butler. Er war aufgestanden und schob den Stuhl für Kathy Porter zurecht. Dann nahm er wieder Platz und fragte sie nach ihren Wünschen. »Ich nehme auch einen Espresso, Mr. Parker«, erwiderte sie, »wir haben uns übrigens große Sorgen um sie gemacht. Sie waren wie vom Erdboden verschwunden.« »Ich befand mich sogar über dem Erdboden, Miß Porter«, entgegnete Parker, »wenn Sie erlauben, werde ich mit Einzelheiten dienen.« Parker beschränkte sich auf wenige Hinweise und Stichworte, um seine Schülerin Kathy zu informieren. Sie sah ihn groß an, als er geendet hatte. Dann schüttelte sie den Kopf. »Sie erzählen das in einem Ton, Mr. Parker, als ob es sich um einen harmlosen Ausflug gehandelt habe.« »Nun, man sollte die Dinge nicht unnötig dramatisieren«, fand Parker, »im vorliegenden Fall haben die Gangster gravierende Fehler begangen, wenn ich das so sagen darf.« »Sie haben sich mit Ihnen angelegt, Mr. Parker«, gab Kathy Porter lachend zurück, »so etwas ist immer ein Fehler.« »Sie schmeicheln meiner latent vorhandenen Eitelkeit, Miß Porter«, erwiderte der Butler. »Der betreffende Herr befindet sich zur Zeit im Kofferraum meines Wagens.« »Ist dieser Mann mit dem Skelett identisch?« »Er wollte diesen Anschein erwecken«, sagte der Butler, »ich möchte jedoch davon ausgehen, daß man es nur mit einem der sicher nur wenigen Handlanger dieser Person zu tun hat. Haben Mylady meine Wenigkeit vermißt?« Kathy Porter berichtete nun ihrerseits, was sich im Hause des Derek Charing zugetragen hatte. Sie erzählte von dem Skelett, das eine Zigarre geraucht hatte und von dem Anruf, der Agatha Simpson und Mike Rander veranlaßt hatte, nach Shepherd’s Mar31
ket zu fahren. »Demnach möchte man Mylady, Sie, Miß Porter, Mr. Rander und meine Wenigkeit möglichst schnell aus dem Weg räumen«, faßte der Butler zusammen, »man könnte ferner davon ausgehen, daß dieses sogenannte Skelett die Befürchtung hegt, Mr. Anthony könne wichtige Hinweise noch vor seiner Ermordung gegeben haben.« »So sehe ich das auch, Mr. Parker«, erwiderte Kathy Porter, »aber leider hat Mr. Charing das eben nicht getan. Glauben auch Sie, daß es sich um eine neue Form der Nötigung und Erpressung handelt?« »Vieles deutet darauf, Miß Porter, doch man sollte sich auch mit den bisher betroffenen Personen befassen. Die Opfer verraten oftmals viel über ihre Mörder.« Kathy Porter wollte antworten, doch sie blickte zur Tür hinüber, bemerkte die drei Angetrunkenen und machte den Butler auf die Besucher aufmerksam. »Sie dürften die jungen Männer empfindlich getroffen haben«, urteilte der Butler, »man scheint sich erneut mit Ihnen befassen zu wollen.« Parker vermutete richtig. Die Männer hatten inzwischen ihrerseits die junge Frau erspäht, tuschelten miteinander und näherten sich langsam dem Tisch. Der Restaurantbesitzer hinter dem Tresen und zwei seiner Kellner merkten sofort, daß die Atmosphäre sich auflud. Sie schoben sich vorsichtig heran, um eingreifen zu können. »Da is’ noch was zwischen uns, Süße«, sagte der Mann, den Kathy Porter mit einem gezielten Fußtritt aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. »Befleißigen Sie sich bitte besserer Manieren«, erklärte der Butler und erhob sich. »Halt die Klappe, Alter«, fuhr der zweite Mann dazwischen und blickte Parker mitleidig verächtlich an. »Zisch ab, sonst stoß ich dich aus dem Anzug«, drohte der dritte und beugte sich zu Kathy Porter hinunter, »noch mal legst du kleines Biest uns nicht rein. Ist das klar?« »Ich bin außerordentlich befremdet«, stellte Parker in seiner höflichen Art fest, »ich habe das untrügliche Gefühl, daß Sie um jeden Preis provozieren wollen.« »Gib ihm was auf den Schnorchel«, sagte der dritte zum ersten 32
Mann, »er soll seine Klappe halten und sich verziehen. Und du kleines Biest, du wirst jetzt ganz schön mitkommen. Wir haben einiges miteinander zu reden.« »Wenn Sie erlauben, Miß Porter, möchte ich den Herren eine Kurzlektion in Sachen Höflichkeit erteilen«, bat Parker die Gesellschafterin der Lady Simpson. Er hatte seinen UniversalRegenschirm bereits in der rechten Hand und begann mit seiner Nachhilfestunde. * »Ist Ihnen nicht gut, mein Junge?« erkundigte sich die ältere Dame, als man Shepherd’s Market erreicht hatte, jenes idyllische Fleckchen Erde zwischen Green Park und Hyde Park. »Ich… Ich bin völlig in Ordnung«, schwindelte der Anwalt und lockerte seine mehr als nur angespannten Muskeln. Er hatte eine wahre Höllenfahrt hinter sich. »Ich konnte leider nicht schneller fahren«, meinte Agatha Simpson bedauernd, »Sie wissen ja, wie genau ich es mit den Verkehrsregeln nehme.« »Tatsächlich, Mylady?« Rander dachte mit Grauen an die halsbrecherischen Überholvorgänge, die ihm vorexerziert worden waren. »Wenn jeder so fahren würde wie ich, Mike, dann gab’ es keine Staus«, behauptete sie munter weiter, »man muß einen Blick für Lücken haben.« »Und Gottvertrauen«, murmelte Mike Rander, um schnell abzulenken, »gleich wird sich zeigen, welche Falle man für uns aufgebaut hat.« Der Landrover der älteren Dame näherte sich dem kleinen Platz, an dem das alte Fachwerkhaus stand, das auf den uralten Gewölben einer ehemaligen Abtei errichtet worden war. Bis zur schmalen Gasse hinter dem Haus war es nicht mehr weit. Man brauchte nur noch durch eine Art Torbogen zu fahren, um dann nach wenigen Metern eines der beiden Tore zu erreichen. Wenn man die Scheinwerfer eines Wagens in bestimmtem Rhythmus ein- und ausschaltete, öffneten sich die Tore wie von Geisterhand bewegt. »Jetzt könnte es gleich kritisch werden, Mylady«, warnte der Anwalt die energische Fahrerin, »links und rechts vom Torbogen 33
und der Parkmauer könnte man Ihnen auflauern.« »Schnickschnack, mein Junge«, erwiderte sie optimistisch, »ich werde eben ein wenig schneller fahren.« »Geschosse dürften noch schneller sein, Mylady. Was halten Sie davon, wenn ich erst mal die Lage sondiere?« »Unnötige Zeitvergeudung, mein lieber Junge«, erwiderte Lady Agatha, »ich werde Ihnen jetzt zeigen, wie man auch solche Situationen meistert. Sie wissen, ich war Pfadfinderin. Da lernt man, aus dem Handgelenk heraus zu improvisieren.« »Inzwischen sind einige Jahre vergangen, Mylady.« Mike Rander fühlte sich äußerst unbehaglich. Seine Sorge galt dem gewohnt ungestümen Tatendrang der Sechzigerin, die keine Gelegenheit verpaßte, um für Aufregung zu sorgen. Sie hatte den Landrover vor der Tordurchfahrt aufgebaut und blinkte mit den Scheinwerfern. »Was ist denn das?« wunderte sie sich dann, »das Tor rührt sich ja überhaupt nicht. Man wird es blockiert haben.« »Vielleicht war der Blinkrhythmus nicht deutlich genug«, umschrieb Mike Rander die Vergeßlichkeit der Lady. »Unsinn, Mike«, grollte sie, »Sie wissen doch, wie ausgeprägt mein musikalisches Verständnis ist.« Sie versuchte es noch mal, doch das Tor rührte sich nicht. »Darf ich, Mylady?« fragte Rander, für den der Wagen wie auf einem Präsentierteller stand und förmlich dazu einlud, beschossen zu werden. »Nun gut«, meinte sie gnädig, »auch Sie werden natürlich nichts ausrichten.« Mike Rander schob die Hand an den Zeichengeber und blinkte das Tor an. Da – wie selbstverständlich – schwang es auf. Agatha Simpson legte krachend den ersten Gang ein. »Das Tor hat geklemmt«, behauptete sie und ließ den Motor aufheulen. »Mr. Parker sollte das bei Gelegenheit in Ordnung bringen.« Einen Irrtum hätte Lady Agatha niemals zugegeben. Mike Rander wußte dies natürlich und hütete sich, darauf zu antworten. Er suchte aber nach einem Halt und wurde fest in seinen Sitz zurückgedrückt, als die Lady den schweren Landrover vorschießen ließ. Bis auf einige Schrammen an der linken Längsseite des Wagens schaffte sie mit Bravour die Durchfahrt, gab noch mehr Gas und 34
jagte den Wagen dann in die schmale Gasse. Als die Hinterräder des Landrover eine kleine Schwelle passiert hatten, schloß sich das Tor automatisch. »Nun, was sagen Sie jetzt?« fragte sie stolz. »Keine Falle, kein Überfall! Ich muß ehrlich sagen, Mike, ich bin etwas enttäuscht. Ich hatte mir von dieser Fahrt doch wesentlich mehr versprochen…« »Ich weiß nicht recht«, antwortete der Anwalt und schnüffelte hörbar, »riechen Sie nicht auch die Säure, Mylady?« »Säure?« Die Detektivin schnüffelte ebenfalls und beugte sich dann vor. Ihre Lippen preßten sich aufeinander, als sie sah, was sich auf der Motorhaube tat. Eine starke Säure fraß sich unter Raucheinwirkung in das Autoblech und schuf brandige Stellen, die unheimlich aussahen. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Das Skelett hatte mit Säure gearbeitet, war aber nicht schnell genug gewesen. »Das hätte ins Auge gehen können«, sagte Mike Rander leise und beeindruckt. »Wenn Sie mich nicht hätten, Mike«, gab die Lady zurück, »ich ahnte das alles voraus und habe dementsprechend gehandelt. Das soll mir erst mal einer nachmachen!« * Die Angetrunkenen amüsierten sich. Sie hatten sich vor Josuah Parker aufgebaut und für einen Moment ihr eigentliches Opfer vergessen. Kathy Porter war zurückgetreten und beobachtete die Szene. Der Besitzer des Restaurants und die beiden Kellner verhielten sich abwartend. »In was für ‘n Hospital möchtest du denn, Alterchen?« fragte der Wortführer der drei. »Hoffentlich bist du gut versichert«, meinte der zweite Angetrunkene. »Wir kommen bestimmt mal vorbei und bringen Blumen«, versprach der dritte Mann. »Ich möchte vorausschicken, meine Herren, daß ich Gewalt an sich ablehne«, versicherte Josuah Parker, »vulgärrohe Gewalt beleidigt meine Wenigkeit geradezu.« »Dann wollen wir mal«, schlug der Wortführer seinen beiden 35
Begleitern vor, »machen wir’s kurz, damit die Süße nicht abhaut.« »Würden Sie die Güte haben, sich mal für die Decke zu interessieren?« Parker deutete mit dem schwarz behandschuhten Zeigefinger seiner linken Hand nach oben, und die Angetrunkenen kamen dieser Einladung unwillkürlich nach. Sie schauten in die angegebene Richtung und musterten die Decke des Restaurants. »Ich bin sicher, daß Sie nichts entdeckt haben«, meinte Parker, als die Köpfe und Blicke sich wieder senkten. »Nee, nichts zu sehen«, erwiderte der Wortführer leicht irritiert. »Würden Sie Ihre Aufmerksamkeit jetzt auf dieses kleine Sprayfläschchen richten?« Parker präsentierte eine Art Naseninhalator und gab durch einen leichten Druck das Treibgas frei. Feiner Nebel zischte aus der Düse und legte sich auf die Gesichter der Verblüfften. Es dauerte nur eine Sekunde, bis diese Verblüffung sich in Schnaufen und Japsen verwandelte. Die drei Angetrunkenen wischten sich die Augen, aus denen das Wasser nur so hervor schoß. Sie husteten, sahen alles wie durch einen Schleier und machten einen recht hilflosen Eindruck. »Sie können abräumen«, meinte Parker zu den beiden Kellnern, »die Herren werden mit Sicherheit keinen Widerstand leisten und sich nach frischer Luft direkt sehnen.« Er hatte nicht zuviel versprochen. Die Kellner und der Besitzer des Restaurants nahmen sich der drei weinenden Angetrunkenen an und führten sie auf ziemlich derbe Art nach draußen. Es dauerte noch eine Weile, bis das bellende Husten auf der Straße verklang. »Woher nehmen Sie nur Ihre Ruhe, Mr. Parker?« wunderte sich Kathy Porter. »Soweit werde ich es nie bringen.« »Eine Frage der inneren Haltung, Miß Porter«, meinte der Butler, »man kann sicher sein, daß die drei jungen Männer nicht absichtlich Ihren Weg kreuzten?« »Da bin ich völlig sicher«, gab sie zurück, »es war eine zufällige Begegnung.« »Dann sollte man sich vielleicht auf den Weg nach Shepherd’s Market machen«, schlug Josuah Parker vor, »Mylady bevorzugt um diese Zeit einen Schlummertrunk.« »Woher wußten Sie, daß man Sie hier im Restaurant suchen würde, Mr. Parker?« fragte Kathy, als sie das Lokal verließen. Von 36
den Angetrunkenen war übrigens weit und breit nichts zu sehen. Entweder hatten sie sich bereits nachdrücklich abgesetzt, oder aber sie wurden von den Kellnern des Lokals noch festgehalten. »Meine bescheidene Wenigkeit unterstellte, daß Ihnen bekannt war, in welchem Restaurant Mr. Pickett zu verkehren pflegte«, schickte der Butler voraus, »zwingenderweise war also davon auszugehen, daß man hier nach mir suchen würde, um Spuren aufzunehmen, was meinen Verbleib betraf.« »Aber die Skelettleute haben Sie immerhin bis hierher ins Restaurant verfolgt, Mr. Parker.« »In der Tat, sonst wäre es nicht dazu gekommen, das MiniaturSkelett an meinem Wagen zu befestigen«, bestätigte Parker, »eine gewisse Vorsicht sollte man daher walten lassen. Mit weiteren Verfolgungen und Nachstellungen ist also durchaus zu rechnen.« * »Falls meine Sinne mich nicht täuschen, dürfte es sich um eine kleinere Dosis Schwefelsäure gehandelt haben«, urteilte der Butler, nachdem er die Motorhaube des Landrovers untersucht hatte. »Gütiger Himmel, Parker, was hätte dann erst eine größere Dosis anrichten können«, meinte Anwalt Rander, »sehen Sie sich das Blech und den Lack an. Scheußlich!« »Es handelt sich immerhin um eine der stärksten Säuren, Sir«, antwortete Josuah Parker, »das sogenannte Skelett legt es eindeutig darauf an, Myladys Aktivitäten zu stoppen.« »Sehr hübsch ausgedrückt, Parker.« Rander lächelte. »Das sogenannte Skelett, wie Sie es nennen, hat genau das Gegenteil erreicht. Lady Simpson ist empört und verlangt Schadensersatz. Wir können uns also auf einiges gefaßt machen. Verlassen Sie sich darauf!« Die beiden Männer gingen ins Haus zurück und fanden die Detektivin in der Bibliothek. Sie war dabei, sich über Säuren an sich zu informieren. Agatha Simpson war umgeben von Büchern und suchte nach den passenden Stichworten. Sie war ungeduldig wie stets und kam natürlich nicht zurecht. »Völlig unübersichtlich«, räsonierte sie, »kein Hinweis darüber zu finden, wie man dieses Zeug transportiert. Ich werde mich bei 37
dem Herausgeber beschweren. Mr. Parker, erinnern Sie mich daran. Diesen Herrschaften werde ich einen gepfefferten Brief schreiben.« »Sehr wohl, Mylady«, erwiderte der Butler, »ist es erlaubt, Mylady mit einem kleinen Hinweis zu dienen?« »Reden Sie schon«, meinte sie grimmig und schob dicke Bücher angewidert von sich. »Zur Aufbewahrung und zum Transport der angesprochenen Säuren, Mylady, pflegt man Steinzeug- und Glasbehälter zu benutzen«, redete der Butler weiter, »nach Prüfung einiger Glassplitter auf der Gasse hinter dem Haus könnte man davon ausgehen, daß man eine Milchflasche verwendet hat.« »Darüber werde ich mich jetzt mit dem Subjekt unterhalten, das Sie per Zufall erwischten«, erklärte Agatha Simpson grimmig, »und er kann sich bereits jetzt auf einiges gefaßt machen.« Parker hatte seinen Gast bereits aus dem Kofferraum geholt und in einem sogenannten Gästezimmer des Hauses untergebracht. Dieser Mann, der von Parker in der verlassenen und ausgeprägten Fabrikhalle ausgetrickst worden war, befand sich in einem Raum des normalen Souterrains und stand in einer Ecke, als Parker die Tür öffnete. »Mylady wird einige Fragen an Sie richten«, schickte der Butler voraus, »darf ich mir erlauben Ihnen zu empfehlen, möglichst schnell und umfassend zu antworten?« »Ich weiß von nichts«, sagte der Mann hastig. Er hatte eindeutig Angst. Der Mann, jetzt ohne Kopf- und Gesichtsmaske, hatte ein rundes, fleischiges Gesicht. »Mylady wird Ihnen diese Ahnungslosigkeit auf keinen Fall abnehmen«, redete Josuah Parker weiter, »Mylady weiß, daß Sie meine Wenigkeit in die Luft sprengen wollten.« »Das… Das war doch nur ein Bluff«, verteidigte sich der Mann. »Sie wissen doch inzwischen, daß die Dynamitstäbe nur Attrappen waren.« »Dafür war die Faustfeuerwaffe allerdings ungemein echt, wenn ich so sagen darf«, erinnerte der Butler und trat zur Seite, als seine Herrin schwungvoll und energisch den fensterlosen, aber recht hübsch eingerichteten Raum betrat. In der linken Hand hielt sie eine Milchflasche, die mit einer hellen, ölig aussehenden Flüssigkeit halb gefüllt war. Myladys Hände befanden sich in dicken 38
Lederhandschuhen. »Sind Sie sicher, Mr. Parker, daß man Schreie draußen nicht hören wird?« Sie sah ihren Butler streng an. »Ich darf versichern, Mylady, daß die Grundmauern ungewöhnlich dick sind«, entgegnete der Butler, »bei der möglichen Verwendung von Säure sollten Mylady allerdings, wenn ich darauf verweisen darf, auf die Stoffbespannung der Sessel und der Couch achten.« »Moment mal, Säure?« Der Mann, der den Butler in der Fabrikhalle belagert hatte, zeigte bereits Wirkung. Auf seiner Stirn bildeten sich dicke Schweißtropfen, einige Muskeln um den Mund vibrierten und zuckten. »Mylady gehen von der Annahme aus, daß Ihnen die Wirkungsweise gewisser Säuren nicht bekannt sein dürfte«, erläuterte Josuah Parker. »Mylady sind nicht abgeneigt, dieses Wissensdefizit auszugleichen und aufzufüllen.« »Falls Sie nicht umgehend reden, junger Mann«, grollte Agatha Simpson den Gangster an, »ich bin eine sehr ungeduldige Frau! Aber das werden Sie ja bald merken…« Der Mann rutschte in sich zusammen, hob abwehrend die Hände und starrte auf die Milchflasche mit der öligen Flüssigkeit. Er schien zu wissen, um was es sich dabei handelte. * »Sie waren zufällig hier in der Gegend, ich weiß, ich weiß«, spottete Lady Agatha am anderen Morgen und bedachte den Chief-Superintendenten mit einem ironischen Blick. »Wann werden Sie sich endlich eine neue Ausrede einfallen lassen, McWarden?« »Muß ich das unbedingt, Mylady?« fragte der Yardbeamte und warf einen schnellen Blick auf den reichlich gedeckten Frühstückstisch. »Ich störe Sie doch nicht beim Frühstück?« »Nennen Sie das etwa Frühstück?« beklagte sich die ältere Dame und deutete auf Rührei mit Speck, auf Bratwürstchen, auf gebackene Nieren und auf eine Käseplatte. »Mr. Parker hat mich wieder mal zu wörtlich genommen und mir eine Diät vorgesetzt, die mich auf Null bringen wird.« »Und zwar in Rekordzeit, Mylady«, spottete McWarden, »ich ha39
be übrigens schon gefrühstückt, falls es Sie beruhigt.« »Sie bringen hoffentlich brauchbare Neuigkeiten«, fragte Lady Agatha und lenkte vom Frühstückstisch ab. »Wir arbeiten auf Hochtouren«, versicherte McWarden und sah auch den Butler an, der seitlich hinter Myladys Stuhl stand und bereit war, seiner Herrin nahezulegen, »um es gleich vorwegzunehmen, von einem Gangster, der sich Skelett nennt, ist in der Unterwelt nichts, aber auch gar nichts bekannt.« »Gehen offizielle Kreise davon aus, Sir, daß man es mit einem sogenannten Newcomer zu tun hat?« warf Josuah Parker ein. »Möchte ich annehmen, Mr. Parker«, entgegnete McWarden, »hier scheint ein Außenseiter mit einer völlig neuen Masche zu arbeiten. Okay, Säure-Attentate gab es in der Vergangenheit bereits reichlich, doch die Kopplung mit einem Skelett ist neu und für die Betroffenen besonders schockierend.« »Mylady gehen davon aus, daß Ihr Dezernat bereits Erkundigungen darüber eingezogen hat, wo man die betreffenden Säuren in größeren Mengen einkaufen kann, Sir.« »Ich hätte es nicht besser ausdrücken können, Mr. Parker«, bemerkte die Detektivin und nickte zustimmend, obwohl sie sich über das Thema bisher noch keine Gedanken gemacht hatte. »Die Sache ist einfach genug«, berichtete McWarden, »man bekommt die Säuren in chemischen Großhandlungen, aber der Kreis der Abnehmer ist dort seit langem bekannt. Es handelt sich um einen Kundenkreis, mit dem die einschlägigen Firmen seit Jahren zusammenarbeiten. Darüber hinaus bekommt man die Säuren natürlich auch direkt von den chemischen Großbetrieben, den eigentlichen Herstellern also. Und hier wird die Geschichte allerdings kritisch.« »Darauf kommen Sie jetzt erst?« stichelte die ältere Dame. »Mr. Parker, wie dachte ich noch darüber?« »Mylady sind der Meinung, daß gerade bei den jeweiligen Herstellern die Möglichkeit besteht, relativ leicht an die Säuren heranzukommen«, warf der Butler gemessen ein. »So sehen wir es auch«, pflichtete McWarden bei, »Angestellte dieser Großbetriebe könnten relativ leicht ein paar Liter von den jeweiligen Flüssigkeiten abzweigen.« »Mylady gehen davon aus, daß es mehr als nur ein Dutzend solcher chemischer Fabriken im Großraum London gibt, Sir.« »Das ist eine richtige Annahme.« McWarden nickte Lady Agatha 40
zu. »Es wird mehr als schwer sein, all diese Fabriken zu kontrollieren und die Angestellten durchzuchecken. Offen gesagt, Mylady, viel verspreche ich mir von diesen Ermittlungen nicht.« »Und woher stammen die beiden Skelette, McWarden?« grollte Lady Simpson. »Wahrscheinlich kann man sie in jedem Supermarkt kaufen, wie?« »Fast, Mylady, fast!« McWarden seufzte. »Zur Zeit lasse ich die Anatomien abklappern, dann Fachgeschäfte, die solche Knochengerüste vertreiben.« »Mylady gehen ferner davon aus, Sir, daß Sie sich mit den Opfern des sogenannten Skeletts befassen«, bemerkte Parker weiter. »Richtig«, behauptete die Detektivin wie selbstverständlich, »das beschäftigt mich eigentlich sogar Tag und Nacht. Ununterbrochen sogar. Zwischen dem Skelett und seinen Opfern muß es schließlich irgendwelche Beziehungen geben.« »Auch daran arbeiten wir, Mylady«, entgegnete der ChiefSuperintendent, »aber wie gesagt, alles braucht seine Zeit. Und zudem wissen wir ja noch nicht mal, wer sonst noch betroffen ist. Es könnte ja sein, daß es Personen gibt, die sich aus Angst noch gar nicht gemeldet haben. Sie sind zufällig, meine ich, nicht auf irgendeine interessante Spur gestoßen?« »Wo denken Sie hin, mein lieber McWarden«, flötete die ältere Dame geradezu, »diesmal werde ich wohl eine Niederlage einstecken müssen, nicht wahr, Mr. Parker?« »Eine gewisse Skepsis, wäre in der Tat angebracht«, antwortete Josuah Parker. Sein Gesicht blieb ausdruckslos und glatt, »man sollte sich keinen unnötigen Hoffnungen hingeben.« * »Das Frühstück«, sagte Parker, nachdem er das Gästezimmer betreten hatte. Er warf einen prüfenden Blick auf den Mann, der apathisch auf der Couch lag und kaum reagierte. »Darf ich mir erlauben, mich nach Ihrem werten Befinden zu erkundigen?« redete Josuah Parker weiter. »Kann man davon ausgehen, daß Sie die Unterhaltung mit Mylady ein wenig erfrischt hat?« »Mann«, stöhnte der Gast, »das ist vielleicht ‘ne Frage! Sie wa41
ren doch dabei, als sie mich mit Säure bespritzen wollte.« »Was Sie dank Ihrer Aussagewilligkeit verhinderten«, meinte der Butler und stellte das Tablett ab, »der Tee wird Sie sicher ein wenig aufmuntern.« »Ich will von der Polizei verhaftet werden«, erwiderte der Mann und erhob sich langsam, »ich brauche Polizeischutz. Kommt die Lady etwa noch mal herunter?« »Davon sollten Sie allerdings ausgehen«, sagte Parker, »Mylady möchte Ihre Aussage noch mal überprüfen.« »Aber ich hab’ doch schon alles gesagt, was ich weiß. Da gibt’s nichts mehr. Ich wiederhol’ noch mal, ich bin von einem Unbekannten angeheuert worden. Und den Mann kenn’ ich nicht.« »Mylady meint, daß Ihnen die Namen Anthony Banbury und Derek Charing durchaus etwas sagen.« »Ich schwöre, daß ich diese Namen nie gehört habe. Ich weiß nur das, was ich bereits gesagt habe.« »Können Sie es noch mal wiederholen, damit ein weiterer Besuch Myladys sich unter Umständen vermeiden läßt?« »Aber ja doch«, entgegnete der Mann und baute sich vor dem kleinen und niedrigen Tisch auf, »ich hatte den Auftrag, dieses kleine Skelett an Ihrer Wagentüre zu befestigen. Man hatte mir gesagt, Sie würden das Ding wahrscheinlich mit in den Wagen nehmen und dann umkippen. Anschließend haben ich und zwei andere Leute, die mit ‘nem Tieflader kamen, Ihren Wagen verladen und in die Fabrikhalle gebracht. Als wir da ankamen, standen bereits die Schweinwerfer da. Und wir sollten Sie ‘rausholen und dann auf ‘nen Anruf warten.« »Dies alles deckt sich erfreulicherweise mit Ihrer ersten Aussage«, antwortete der Butler, »vielleicht haben Sie sich inzwischen erinnert, wo man Ihre beiden Mitarbeiter finden kann?« »Nein, nein, keine Ahnung.« Der Mann antwortete etwas zu hastig. »Mylady wird diesen Punkt ganz besonders vertiefen, wenn ich so sagen darf.« »Also gut, ich hab’ vielleicht einen Tip.« Der Mann warf einen hastigen Blick zur Tür. Er fürchtete sicher, Mylady könne erscheinen und zwar mit der Milchflasche und der öligen Flüssigkeit. »Die beiden Männer wohnen in Wandsworth, glaube ich. Die heißen Peter und Hank. Ich glaube, die haben da ‘ne Werkstatt.« »Die Zusammenarbeit mit Ihnen ist als erfreulich zu bezeich42
nen«, stellte der Butler fest. »Um welche Werkstatt handelt es sich? Und wie ist die genaue Adresse?« »Das sind Klempner, glaube ich.« Der Gast des Hauses nannte anschließend eine Adresse, zumal er vom Korridor her schnelle, energische Schritte hörte, die von einem Räuspern begleitet wurden, das an ferne Gewitterwolken erinnerte. »Seit wann stehen Sie mit diesen beiden Herren in Verbindung?« forschte der Butler weiter. »Sie sollten auch zu diesem Thema die Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagen.« »Wer will mich hier belügen?« raunzte in diesem Moment Lady Agatha von der Tür her. Wie eine majestätische Rachegöttin stand sie dort und maß den kreidebleich gewordenen Gast mit vernichtendem Blick. Der Gast hingegen blickte wie hypnotisiert auf die Milchflasche in der Hand der älteren Dame, die mit einer öligen Flüssigkeit gefüllt war. »Schon gut, Lady«, meinte er dann schnell, »ich… ich hab’ mich bestimmt nur falsch ausgedrückt. Natürlich kenn’ ich die beiden Männer. Peter und Hank heißen sie. Und sie kenn’ ich seit ein paar Monaten. Wir trinken manchmal zusammen ein Bier oder so.« »Und wann und wo haben Sie die Skelette gestohlen?« fragte Agatha Simpson. Sie nahm die Milchflasche hoch und prüfte den Stand der wasserklaren, öligen Flüssigkeit. Sie schien sich für nichts anderes zu interessieren. »Ehrenwort, Lady, die haben wir nicht gestohlen, davon wissen wir überhaupt nichts. Heiliges Ehrenwort sogar! Tun Sie nur die Flasche endlich weg, bitte…« »Was hatten Sie mit Mr. Parker vor, wenn er seinen Wagen verlassen hätte, Sie Lümmel? Antworten Sie, aber möglichst schnell! Wohin sollten Sie ihn schaffen?« »Nein, nein, ich antworte ja, Lady… Stellen Sie die Flasche weg«, krächzte der Gast des Hauses, »ich wollte ihn zu ‘ner bestimmten Adresse schaffen. Jetzt ist es mir wieder eingefallen.« Dann redete er mit der Intensität eines Alleinunterhalters. * Kathy Porter und Anwalt Rander saßen im Mini-Cooper, den Kathy steuerte. Sie benutzten gern den kleinen Wagen, mit dem 43
man wieselflink durch die Straßen fahren konnte. Das »Quartett« hatte sich aus Zeitgründen getrennt. Josuah Parker und Agatha Simpson waren auf dem Weg, um sich das Haus anzusehen, in das der Butler hatte verbracht werden sollen. Kathy und Mike Rander hingegen wollten sich mit den beiden Männern Peter und Hank befassen. »Wird uns das überhaupt weiterbringen, Mike?« fragte Kathy, als sie die Chelsea-Brücke passierten. »Die beiden Männer wissen bestimmt nicht mehr als unser Gast.« »Hoffentlich betrachtet er sich auch als Gast«, meinte der Anwalt. »Mylady könnte sonst in des Teufels Küche kommen. Mir bricht jedesmal der Schweiß aus, wenn sie ihre Gäste einlädt. Ganz legal ist das nicht.« »Im Grund schützt Mylady die Gäste doch nur«, antwortete Kathy Porter und lächelte, »sie macht es diesen Leuten auf jeden Fall immer wieder klar. Würde man sie einfach zurück auf die Straße schicken, könnten sie ja durchaus von ihren früheren Komplizen angegriffen werden, oder?« »Vertiefen wir dieses Thema besser nicht«, schlug Mike Rander lächelnd vor, »es ist alles eine Frage der Auslegung, Kathy. Aber zurück zu diesem Peter und zu Hank. Es könnte ja sein, daß sie uns irgendeinen Tip liefern. Wir brauchen unbedingt Informationen über den Burschen, der mit den Skeletten arbeitet. Ich bin sicher, daß er bereits mehrere davon plaziert hat. Die Beschenkten hüten sich nur, sich an die Polizei zu wenden. Sie haben einfach Angst, ebenfalls in ein Skelett verwandelt zu werden.« »Eine scheußliche Methode, Menschen in Angst und Schrecken zu jagen, Mike. Ob wir es mit einem Einzelgänger zu tun haben, der nur ein paar kleine Gangster angeheuert hat?« »Das denke ich schon.« Rander nickte. »Und es muß ein Knabe sein, der sich mit Skeletten und Säuren auskennt.« »Und mit seinen Opfern, Mike.« Kathy kurvte munter durch den Verkehr. Man hatte die Brücke längst hinter sich gelassen und näherte sich bereits dem trist-grauen Stadtteil Wandsworth südlich der Themse. »Die Opfer könnten uns vielleicht weiterbringen«, bestätigte der Anwalt, »das Skelett wird sich die ja sehr genau ausgesucht haben. Nur die Generallinie ist leider noch nicht zu erkennen.« »Es kann nur um Geld oder Rache gehen, Mike.« »Rache, Kathy? Wie kommen Sie denn darauf?« 44
»Es kam mir gerade in den Sinn, Mike. Rein gefühlsmäßig. Legen Sie mich nur nicht fest.« »Rache wäre kein schlechtes Motiv«, entgegnete der Anwalt nachdenklich. »Ich glaube, wir sind gleich da«, lenkte Kathy ab und minderte das Tempo, »es müßte die übernächste Straße links sein.« »Auf diese beiden Klempner bin ich gespannt.« Rander lehnte sich zurück. »Hoffentlich haben sie sich nicht längst abgesetzt. Sie müssen doch inzwischen wissen, daß Parker diesen Andy Bilton in der Fabrik überlistet hat.« Kathy Porter bog in die Seitenstraße, fuhr noch langsamer und hielt dann vor einem unansehnlichen Wohnblock, durch den zwei Toreinfahrten in einen weiten Innenhof führten. An der hinteren Längsseite dieses Innenhofs erhob sich ein zweistöckiges Gebäude mit blinden und vielfach unterteilten Fabrikfenstern. Neben einer Verladerampe stand ein kleiner Kastenlieferwagen. Das Tor zur Verladerampe war zu einem Drittel geöffnet. Kathy Porter stoppte den Mini-Cooper vor der Rampe. Sie und Mike Rander stiegen aus und entdeckten neben dem Tor eine Art Firmenschild, das allerdings einen mehr als nur verblaßten Eindruck machte. Es war nur noch mit Mühe zu entziffern, ließ aber die beiden Namen Peter Chetway und Hank Grapes erkennen. »Die Adresse wäre richtig«, meinte der Anwalt, »lassen wir uns also überraschen, Kathy. Und Achtung, man kann nie wissen, ob wir nicht mit ‘ner Ladung Säure empfangen werden…« Sie passierten blitzschnell das Tor, befanden sich in einem Chaos von Altwaren, die auf den ersten Blick kaum zu identifizieren waren, und sie hörten im Hintergrund der dämmrigen Halle prompt ein Geräusch. Eine Tür war leise ins Schloß gefallen. * »Ja, Mr. Parker, was halte ich denn davon?« erkundigte sich Lady Agatha Simpson bei ihrem Butler und ließ deutlich Überraschung erkennen. Sie befand sich noch im Fond des hochbeinigen Monstrums und musterte das skurril aussehende Haus, vor dem Parker gehalten hatte. Es lag in der Nähe des Richmond Park und zeigte ungeniert zwei ausgezeichnet präparierte Skelette, die allerdings in einer Glasvit45
rine standen. Parker hatte dieses Haus erst erreicht, nachdem er seinen Wagen durch einen kleinen, gepflegten Park gesteuert hatte. Von der Straße aus waren die fleischlosen Gestalten nicht zu erkennen gewesen. »Eine Firmenreklame, Mylady, die man nur als recht makaber bezeichnen kann«, beantwortete der Butler die Frage seiner Herrin. »Das will ich wohl meinen, Mr. Parker. Dieser Lümmel Andy Bilton scheint mich zum Narren gehalten zu haben, wie?« »Myladys Gast dürfte dazu kaum in der rechten Stimmung gewesen sein«, entgegnete der Butler. »Mylady halten es durchaus für richtig, sich das Innere dieses Hauses anzusehen.« »Skelette in Vitrinen«, grollte sie, »ich werde mir überlegen, was ich davon zu halten habe.« Parker hatte den Wagen bereits verlassen, öffnete den hinteren Schlag und lüftete höflich seine schwarze Melone, als die ältere Dame resolut ausstieg. Sie richtete sich gerade majestätisch auf, als die schwarzlackierte Eingangstür zum Haus geöffnet wurde. Josuah Parker hob aus Gründen der Sicherheit die Spitze seines Universal-Regenschirms und richtete sie direkt auf den rundlichen, kleinen und sehr beweglichen Mann, der einen weißen, etwas zu langen Kittel trug und an seiner randlosen Brille fingerte. »Guten Tag, die Herrschaften«, grüßte der kleine Rundliche und kam behend näher, wobei er sich die Hände rieb, »Sie sind ja noch schneller gekommen, als man Sie ankündigte.« »Könnte es sich möglicherweise um eine Verwechslung handeln, Sir?« erkundigte sich der Butler, »Sie haben die Ehre und den Vorzug, Lady Simpson empfangen zu dürfen.« »Ich weiß, ich weiß«, erwiderte der Rundliche und rieb sich noch intensiver die Hände, »Lady Simpson und Butler Parker, nicht wahr? Willkommen hier bei mir!« »Ich bin angekündigt worden?« wunderte sich die Detektivin. »Telefonisch«, versicherte der Mann und rückte erneut seine randlose Brille zurecht, »ich bin übrigens Lionel Hansom, aber das dürfte Ihnen ja sicher bekannt sein. Darf ich Sie in mein Haus bitten?« »Moment mal, junger Mann«, raunzte Lady Agatha. Ihr Gegenüber mochte sechzig sein, doch das focht sie nicht, »wer hat mein Kommen angekündigt?« »Ihre Sekretärin, eine Miß Parter oder Porter, wenn ich nicht 46
sehr irre. Eine sehr angenehme Stimme, glaube ich.« »Und wann erwarteten Sie Mylady?« fragte Josuah Parker. »Gegen Mittag. Zu einer Betriebsbesichtigung, wie man mir sagte. Es ist mir eine Ehre, solch einen hohen Besuch…« »Papperlapapp, junger Mann«, unterbrach die Lady, »es handelt sich um eine Mystifikation. Wann haben Sie diesen Anruf angeblich erhalten?« »Vor einer halben Stunde, denke ich. Stimmt etwas nicht?« Lionel Hansom rieb sich nicht mehr die Hände. »Man dürfte Mylady während der Fahrt durch die Stadt beschattet und beobachtet haben«, deutet der Butler diesen Anruf, »und nachdem die Richtung feststand, erfolgte wohl der erwähnte Anruf.« »Und Sie haben von einer Verfolgung natürlich wieder mal nichts gemerkt«, stellte die ältere Dame süffisant fest, »das ist wieder typisch, Mr. Parker. Mir wäre so etwas nie passiert.« »Wie Mylady meinen«, erklärte Parker höflich. »Stimmt etwas nicht?« fragte Lionel Hansom, »darf ich Sie jetzt ins Haus bitten, Mylady. Ich bin sicher, Ihnen einige Überraschungen bieten zu können.« »Skelette, nicht wahr?« Agatha Simpson sah den Rundlichen scharf an. »Wunderschöne Skelette, Mylady«, versicherte Hansom strahlend, »Sie werden begeistert sein.« Lionel Hansom ging voraus und führte sie in die Halle seines Hauses, einem landsitzartigen Gebäude, das zum Teil aus altem Fachwerk bestand. Wenige Augenblicke später sah sich die Lady weiteren Skeletten gegenüber, die die Halle bevölkerten. Sie standen einzeln oder in Gruppen herum, hatten mehr oder weniger neckische Posen angenommen und schienen eine Party zu geben. »Ich scheine den Täter bereits gefunden zu haben«, meinte die Detektivin zu Parker. »Sind sie nicht herrlich und einmalig?« begeisterte sich Lionel Hansom und deutete auf die Knochengestalten. »Bemerkenswert, wenn ich so sagen darf«, erwiderte Josuah Parker in seiner höflichen Art und schaltete auf Vorsicht um. Die naive Fröhlichkeit dieses Mr. Lionel Hansom kam ihm ein wenig aufgesetzt vor. »Mit Klempnerei dürften Peter Chetway und Hank Grapes tat47
sächlich etwas zu tun haben«, stellte Mike Rander fest, nachdem er sich etwas eingehender umgesehen hatte. Er deutete auf alte Bleirohre, Syphons, Waschbecken aus Gußeisen und Porzellan und dann auf eine Badewanne aus Zink und Steinzeug. »Das sieht aber eher nach einer Altwarenhandlung aus, Mike«, antwortete Kathy Porter. »Oder auch nicht, Kathy.« Mike Rander hatte eine andere Abteilung gefunden und staunte nur noch. In einem größeren Raum stapelten sich ebenfalls Waschbecken, Badewannen, Armaturen und Kupferleitungen. Dies alles war teilweise noch verpackt. »Ich würde Sie am liebsten fragen, Mike, was ich davon halten soll«, meinte Kathy Porter lächelnd, »diese Art des Fragens von Mylady hat doch gewisse Vorteile.« »Fragen Sie mich in zehn Minuten noch mal, Kathy«, schlug Mike Rander lächelnd vor, »im Moment habe ich keine Antwort auf Lager. Ich glaube immer noch an eine Falle.« Sie streiften weiter durch das Erdgeschoß des Gebäudes, doch es ereignete sich nichts. Sie stolperten und stiegen über Installationsmaterial aller Art und erreichten dann eine Treppe, die ins Obergeschoß führte. »Ich habe ein komisches Gefühl in der Magengegend«, sagte der Anwalt, »irgendwo wartet bestimmt noch eine Überraschung auf uns.« Sie pirschten über die Stufen nach oben und waren überrascht, daß das Obergeschoß so gut wie ausgeräumt und leer war. Im Mittelpunkt dieser Lageretage aber stand ein dreifacher Wandschirm, der irgend etwas zu verbergen schien. »Gleich werden wir mehr wissen, Kathy. Das ist ja fast so etwas wie eine Einladung.« Rander hatte längst eine Schußwaffe gezogen und war bereit sofort zu feuern, falls ein Überfall auf sie verursacht wurde. Er und Kathy Porter trennten sich, gingen den Wandschirm von zwei Seiten an und standen plötzlich vor zwei emaillierten Badewannen. Der Anblick war unheimlich. In jeder Wanne lag ein Skelett, und jedes schien mit sichtlichem Genuß eine Zigarette zu rauchen. Diese Lungentorpedos brannten und schickten kleine Rauchkringel zur Decke. Die Knochen wurden umspült von klarem Wasser, das allerdings stark nach Säure roch. »Himmel noch mal, Kathy, das werden doch nicht Peter und 48
Hank sein, von denen unser Gast gesprochen hat«, meinte der Anwalt und beugte sich vorsichtig über einen der Badenden. Das Skelett reagierte nicht, lag ausgestreckt in der Flüssigkeit und ließ sich verständlicherweise nicht stören. »Jetzt möchte ich zur Abwechslung mal wissen, was ich dazu sagen soll«, erklärte Mike Rander, seine Klientin parodierend. »Man dürfte uns erwartet haben, Mike.« »Und ob, Kathy! Die Skelette sind übrigens präpariert. Sehen Sie sich die Verbindungsdrähte mal an.« »So genau möchte ich es gar nicht wissen.« »Das sind Demonstrationsskelette.« Mike Rander sah sich die beiden Knochenmänner noch genauer an. »Es riecht nach Säure, nicht wahr?« Kathy hatte sich aufgerichtet und beobachtete die Treppe. Sie rechnete mit dem plötzlichen Auftauchen von schießfreudigen Gangstern. »Das Wasser scheint in Ordnung zu sein«, meldete der Anwalt. Er hatte das erste Drittel einer Zigarette in die Flüssigkeit geschoben, eine Veränderung war nicht zu erkennen. »Das können niemals Peter Chetway und Hank Grapes sein«, redete der Anwalt weiter, »man scheint uns kräftig auf die Schippe nehmen zu wollen, Kathy. Wenn mich nicht alles täuscht, sind das Skelette aus irgendeinem Kunststoff.« »Müssen wir nicht McWarden verständigen, Mike?« fragte Kathy Porter. »Nur nichts überstürzen, Kathy.« Rander warf noch einen abschließenden Blick durch den großen Raum und ging dann zusammen mit der jungen Dame zurück zur Treppe. »McWarden würde erst mal einige unangenehme Fragen stellen und wissen wollen, woher wir diese Adresse wissen.« »Aber er könnte nach Peter Chetway und Hank Grapes fahnden lassen, Mike. Glauben Sie, daß sie überhaupt noch leben? Ob unser Hauptskelett nicht bereits für vollendete Tatsachen gesorgt haben könnte?« »Malen Sie nicht den Teufel an die Wand, Kathy«, wiegelte der Anwalt ab, »diese Skelette reichen mir eigentlich bereits. Eines steht fest, wir haben es mit einem Burschen zu tun, der Sinn für schwarzen Humor hat.« »Der aber durchaus tödlich werden könnte, Mike.« »Das kann man wohl sagen, Kathy.« Sie stiegen die Treppe nach unten in das Altmetallchaos, und Mike Rander blieb wach49
sam. Er rechnete nach wie vor mit einem überraschenden Angriff. Er sollte sich nicht getäuscht haben, denn plötzlich torkelte aus dem Dämmerlicht des Untergeschosses ein seltsamer Gegenstand auf sie zu. Es stand eindeutig fest, daß es sich nicht um Blumen handelte, sondern um eine Flasche, wie Rander sah… * »Ich bin für meine Skelette berühmt«, lobte sich der kleine rundliche Mann und rieb die Hände. Er strahlte Agatha Simpson und den Butler an. »Ich beliefere Schulen, Hospitäler und Universitäten, Mylady. Sie können von mir Skelette in jeder gewünschten Größe bekommen. Sie müssen sich unbedingt mein MusterSortiment ansehen.« »Sie betreiben eine Firma zur Herstellung von Skeletten, Mr. Hansom?« erkundigte sich der Butler sicherheitshalber. »Ich bin das Hansom-Skelett«, kam prompt die Antwort, »das ist meine Telexanschrift, verstehen Sie? Ich glaube, daß sie jeder Interessierte kennt. Ich liefere selbstverständlich auch ins Ausland. Kommen Sie, meine Auswahl wird Sie überwältigen!« »Hansom-Skelette?« fragte Agatha Simpson irritiert. »Ein kleiner Scherz, Mylady«, versicherte der Rundliche und lächelte freundlich, »so nennen mich Freunde und gute Kunden. Und daraus habe ich dann meinen Firmennamen gemacht.« »Seit wann stellen Sie Skelette her?« wollte der Butler wissen. »Seit meiner Jugend, Sir«, lautete die Antwort, »mein Vater war Präparator und lieferte bereits die ersten Produkte, aber echte, wenn Sie wissen, was ich meine. Damals beschaffte er sich die Originale aus den gerichtsmedizinischen Instituten. Heute ist das allerdings und leider ganz anders. Ich mußte auf diesen scheußlichen Kunststoff ausweichen. Unter uns, kein Vergleich! Es geht nichts über einen echten Knochen…« »Und wie wurden die echten Skelette präpariert?« fragte Josuah Parker weiter. »Säurebäder, aber wohldosiert«, erklärte Lionel Hansom, »eine Frage des Fingerspitzengefühls, verstehen Sie? Da kommt es auf Minuten und sogar Sekunden an.« Während er seine Facherläuterungen gab, führte er die beiden Besucher in seinen Ausstellungsraum. Lady Simpson räusperte 50
sich explosionsartig die Befangenheit aus der Kehle. Sie sah sich nämlich ohne jede Vorwarnung einer Kompanie von Skeletten gegenüber, die wie zu einer Parade an zwei Wänden aufgereiht worden waren. »Sind Sie nicht wunderbar?« frohlockte Lionel Hansom. »Beeindruckend«, fand Josuah Parker. »Ich werde nach einem passenden Ausdruck suchen«, versprach die ältere Dame. Sie fühlte sich beengt und bedroht. Der Pompadour an ihrem linken Handgelenk war bereits in leichte Schwingung geraten. Dieser perlenbestickte Handbeutel aus der Zeit der Jahrhundertwende hatte es im wahrsten Sinn des Wortes in sich. Im Pompadour befand sich ein echtes Pferdehufeisen, mit dem Lady Agatha ihre Schläge auszuteilen pflegte. »Sie sollten sich die feinen Unterschiede zwischen einem echten und einem falschen Skelett ansehen«, pries Lionel Hansom seine Kunstwerke, »beachten Sie bitte die Maserung echter Knochen und die falsche Glätte der Kunststoffnachbildungen. Aber man bekommt ja so gut wie keine Original mehr. Eine wahre Schande!« »Hoffentlich überleben Sie das«, warf Lady Agatha spitz ein. »Sie haben natürlich Mitarbeiter, wie?« »Ein paar Spezialisten, Mylady«, bestätigte Lionel Hansom, »sie arbeiten schon seit Jahren für mich. Wahre Künstler, wie ich bemerken möchte. Es ist nicht gerade leicht, diese Demonstrationsobjekte zusammenzusetzen, dazu braucht man anatomische Kenntnisse und Fingerspitzengefühl.« »Sie stellen auch gewisse Spezialitäten her?« fragte der Butler. »Wie darf ich die Frage verstehen?« Lionel Hansom lächelte Parker erwartungsvoll an. »Rauchende Skelette«, redete Parker weiter und deutete mit der Spitze seines Universal-Regenschirms auf ein Skelett, das mit Kennerschaft eine angezündete Zigarre zu rauchen schien. Der feine Rauchkringel, der zur Decke emporstieg, war nicht zu übersehen. »Entschuldigung«, meinte Lionel Hansom und nahm die Zigarre wie selbstverständlich wieder an sich, »ich hatte sie für einen Moment abgelegt, als ich den Wagen hörte. Es wäre ja mehr als unhöflich, seine Gäste mit einer Zigarre in der Hand zu empfangen.«
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* »Nee, nee, ich war freiwillig hier«, versicherte Andy Bilton dem Chief-Superintendent hastig, »mich hat kein Mensch festgehalten.« »Sie glauben doch nicht etwa, mein lieber McWarden, daß ich Leute gegen ihren Willen in meinem gastlichen Haus festhalten werde«, schaltete sich Lady Agatha überaus freundlich ein. »Mr. Andy Bilton bat geradezu darum, die Nacht hier verbringen zu dürfen.« »Um jetzt eine Aussage zu machen?« McWarden wußte, daß er nicht die Wahrheit hörte, aber er wollte das Thema nicht weiter vertiefen. »Es ging wohl um einen kleinen Scherz«, mischte sich der Anwalt ein, »Mr. Parker sollte geneckt werden.« »Das kann Bilton mir alles im Büro erzählen«, brummte McWarden und gab seinen beiden Mitarbeitern einen Wink. Sie nahmen Bilton in Empfang und brachten ihn aus dem Haus, um ihn dann in ihrem Streifenwagen zu verstauen. McWarden blieb im Salon zurück und kam in den Genuß eines Sherrys. »Sie haben mir einiges zu erzählen«, wandte er sich an die Detektivin, obwohl er wußte, daß er die Geschichte von Parker hören würde. »Details interessieren mich nicht«, sagte sie prompt und abfällig, »wenden Sie sich an Mr. Parker!« »Und danach an mich«, warf Mike Rander amüsiert ein, »Miß Porter und ich haben auch noch einiges beizusteuern, aber wie gesagt, nur unwichtige Details.« McWarden setzte sich zurecht und hörte sich beide Geschichten an. Er nahm zur Kenntnis, daß es einen Mann namens Lionel Hansom gab, der Skelette herstellte, er hörte sich an, was Mike Rander und Kathy Porter in der Klempnerei von Peter Chetway und Hank Grapes erlebt hatten. Und er war ehrlich beeindruckt. »Das alles haben Sie aus Ihrem freiwilligen Gast herausgeholt, nicht wahr?« fragte er schließlich ironisch. »Es gibt eben noch Menschen, die einer Lady Simpson vertrauen«, erklärte sie und nickte. »Andy Bilton, Peter Chetway und Hank Grapes sind also von einem Unbekannten angeheuert worden«, meinte der Chief52
Superintendent, »und auf Sie, Miß Porter und Mr. Rander, ist eine Flasche mit Säure geworfen worden.« »In der Klempnerei«, wiederholte Kathy Porter, »sie war mit Schwefelsäure gefüllt.« »Und hat uns nur haarscharf verfehlt«, meinte der Anwalt, »von dem Attentäter war keine Spur zu finden. Der Mann muß sich blitzschnell abgesetzt haben.« »Ich werde sofort nach Chetway und Grapes fahnden lassen«, antwortete der Chief-Superintendent, »wie war das mit den Skeletten in den Badewannen?« »Kunststoff-Skelette, McWarden«, entgegnete Mike Rander, »man wollte uns eindeutig auf den Arm nehmen, wenn ich von der Säureflasche mal absehe.« »Und beide Skelette hatten eine Zigarre im Gebiß?« »Ein verrückter Anblick«, meinte der Anwalt, »aber den kennen Sie ja, McWarden, denken Sie an Derek Charing in Mayfair. Das Skelett im Sessel vor der Wohnungstür rauchte ebenfalls.« »Und das im Liegestuhl des ermordeten Anthony Banbury«, fügte der Chief-Superintendent hinzu, »der Täter scheint einen besonderen Sinn für Humor zu haben.« »Ein Geisteskranker, mein lieber McWarden, wenn Sie mich fragen«, ließ Agatha Simpson sich vernehmen, »und ich tippe auf diesen Skeletthersteller Mr. Hansom. Sie haben ja gerade von Mr. Parker gehört, daß er seine Zigarre in das Gebiß eines Skeletts schob, als er mich empfing.« »Ich werde Erkundigungen über den Skelettkünstler einziehen, Mylady, ich werde mir seine Mitarbeiter ansehen. Wieviel sind es, Mr. Parker?« »Vier, Sir, die bereits seit vielen Jahren für Mr. Lionel Hansom arbeiten«, wiederholte der Butler, »es handelt sich um betagte Herren, wenn ich so sagen darf. Sie dürften über jeden Zweifel erhaben sein.« »Was verstehen Sie unter betagt?« wollte McWarden wissen. »Und was bin ich in Ihren Augen, Mr. Parker?« schnappte Lady Agatha sofort zu. Da sie das sechzigste Lebensjahr überschritten hatte, die vier Angestellten aber kaum älter waren, wartete sie ungeduldig auf eine Erklärung. »Ich erlaubte mir, die geistige Beweglichkeit dieser vier Angestellten männlichen Geschlechts zu skizzieren«, antwortete der Butler, ohne sich in Verlegenheit bringen zu lassen, »die Zahl der 53
Lebensjahre ist in diesem Zusammenhang ohne Belang.« »Aha«, meinte die ältere Dame. »Aber ich kann Mr. Parkers Angaben nur bestätigen. Die vier Leute machen alle durchweg einen recht seltsamen und versponnenen Eindruck. Was natürlich reine Tarnung sein kann, Mr. Parker, wie ich Ihnen bereits sagte.« »Aber Sie trauen Lionel Hansom nicht über den Weg, wie?« McWarden erinnerte die Detektivin an ihren Verdacht. »Dieser Mann ist ein wenig skurril, höflich ausgedrückt«, bestätigte sie, »dieses milde Lächeln, diese unentwegte Höflichkeit, diese scheußliche Begeisterung für seine Skelette…« »Hat er Familie oder so, Mr. Parker?« bohrte McWarden weiter. Er ging natürlich davon aus, daß der Butler sich bereits umfassend informiert hatte. »Er ist Junggeselle und ohne jeden Anhang, wie er sagte, Sir«, lautete die Antwort, »er hat kein Büropersonal und seit Jahren keinen Angestellten eingestellt und entlassen. Mr. Lionel Hansom ist die Unauffälligkeit in Person, um es mal so auszudrücken.« »Aber er wird mich nicht täuschen«, versprach die ältere Dame energisch, »denken Sie doch an die Zigarre im Gebiß dieses Skeletts. Ich sehe noch, wie er die Zigarre wieder an sich nahm. Es ist mir durch Mark und Bein gegangen.« »Dann werden wir uns diesen Skeletthersteller mal gründlich zur Brust nehmen«, versprach McWarden, »und auch seine nähere Umgebung. Diese Sache mit den Zigarren kann doch unmöglich ein Zufall sein. Unser Gangster muß doch Hansom kennen.« »Zumal er hin und wieder noch echte Skelette präpariert«, hob Lady Agatha hervor, »wie war das noch mit diesen Säuren, Mr. Parker? Ich habe da doch einige große Flaschen gesehen.« »Glasballons, Mylady«, antwortete Josuah Parker, »in ihnen war Salz- und Schwefelsäure enthalten, woraus Mr. Hansom keinen Hehl machte.« »Er stellt noch echte Skelette her?« Chief-Superintendent McWarden schluckte unwillkürlich. »Tierskelette, Sir«, präzisierte der Butler, »auch solche Muster konnte Mr. Hansom vorweisen. Sie waren beeindruckend, wie ich versichern möchte.« »Und wieso waren Mylady und Sie angekündigt worden?« wollte McWarden anschließend wissen. »Mylady und meine Wenigkeit waren namentlich angemeldet worden, Sir«, erwiderte Parker, »man hatte Mr. Hansom den Be54
such von Mitgliedern eines Universitätskuratoriums avisiert, die Demonstrationsskelette in großem Stil zu kaufen gedachten.« Bevor McWarden seine weitere Frage stellen konnte, meldete sich die Türglocke. Josuah Parker begab sich in die große Wohnhalle des Fachwerkhauses, doch er öffnete aus guten Gründen nicht sofort die Tür. Er ging zu einem Wandschrank, der rechts vom verglasten Vorflur angebracht war, öffnete diesen Wandschrank und schaltete die draußen über der Tür angebrachte Fernsehkamera ein. Diese Vorsichtsmaßnahme sollte verhindern, daß ungebetene Gäste aus Feuerwaffen aller Art auf öffnende Hausbewohner schossen. Das Bild auf dem kleinen, im Wandschrank montierten Monitor erschien umgehend, und Parker kam in den Genuß, sich ein Skelett ansehen zu können, das eine Importe rauchte und sich lässig gegen eine kleine Säule des Vorbaus lehnte. * »Ich werde gegen dieses Subjekt sofort etwas unternehmen«, grollte Lady Agatha. Sie stand vor dem Skelett, das Parker ins Haus geholt und in der Wohnhalle postiert hatte. »Gegen das Skelett?« fragte Mike Rander lächelnd. »Ja und nein«, meinte sie, »gegen dieses hier nicht, mein Junge, aber gegen das, das als Skelett meine Nerven ruinieren möchte. Lächerlich! Mr. Parker, tun Sie sofort das Erforderliche.« »Mylady hegen bestimmte Wünsche?« erkundigte sich der Butler. »Keine Details, Mr. Parker.« Sie sah ihren Butler streng an. »Die überlasse ich natürlich Ihnen. Ich frage Sie aber, warum man mich auf diesen Mr. Hansom lenken will.« »Es könnte sich möglicherweise um ein geschickt inszeniertes Ablenkungsmanöver handeln, Mylady.« »Das liegt für mich auf der Hand, Mr. Parker«, bestätigte die Lady selbstsicher, »Hansom ist das Subjekt, das ich überführen werde. Er selbst bringt sich in Verdacht, weil ich früher oder später auf ihn gestoßen wäre, oder zweifeln Sie daran?« »Myladys kriminalistische Fähigkeiten sind immer wieder frappierend, wenn ich mich erkühnen darf, dies mal festzustellen.« »Warum sollten Sie die Wahrheit verschweigen, Mr. Parker?« 55
Sie sprach mit erstaunlich viel Freundlichkeit in der Stimme. Parkers Worte taten ihr wohl. »Hansom belastet sich also selbst, wie ich gerade festgestellt habe. Aber das wird ihm nichts einbringen. Ich durchschaue seine Manöver. Nun, er wird sich gleich wundern.« Die ältere Dame saß im Fond von Parkers hochbeinigem Monstrum und drückte in einer Kurve das Skelett zur Seite, das neben ihr saß. Sie wollte es Lionel Hansom präsentieren und ihn fragen, ob er der Hersteller dieser knochigen Gestalt sei. Ihr Begleiter im Wagen erregte im nachmittäglichen Straßenverkehr natürlich einiges Aufsehen. Überholende Wagen wurden langsamer. Die Fahrer oder Insassen starrten auf das Skelett und wunderten sich mit britischer Zurückhaltung. Weniger Zurückhaltung bewies ein Streifenfahrer der Polizei, der auf einem Motorrad saß und während seiner Verfolgung einen Alarmspruch per Funk an seine Zentrale absetzte. Er überholte den Wagen des Butlers und stoppte ihn durch energische Handzeichen. Parker kam dieser Aufforderung nach und stellte das hochbeinige Monstrum am Straßenrand ab. Der Polizist stieg vom Motorrad und näherte sich mehr als vorsichtig. »Warum haben Sie diesen Mann nicht abgehängt?« fragte die Detektivin den Butler, »mich hätte er nicht eingeholt, Mr. Parker.« »Mylady wären mit einer Straßensperre konfrontiert worden«, gab Josuah Parker zurück und drehte die Wagenscheibe an seiner Seite ein wenig nach unten. »Straßensperren kann man rammen«, meinte die ältere Dame fröhlich, »hätten Sie doch diesen Schwung wie ich, Mr. Parker!« Die Sechzigerin war schwungvoll, wie sich zeigte, denn sie wollte die Fondtür öffnen und sich mit dem Streifenfahrer anlegen. Sie freute sich offenbar auf ein unterhaltsames Streitgespräch. Es störte sie nicht, daß der Mann seine Motorradbrille nicht hochstreifte, ja sogar nun noch das Visier seines Helms herunterklappte. »Was ist denn mit der Tür, Mr. Parker?« fragte Lady Agatha verärgert. Sie stemmte sich dagegen, doch die Tür ließ sich nicht öffnen. »Ich war so frei, Mylady, sie zentral zu verriegeln«, erwiderte Parker höflich. »Das ist doch… Das ist Freiheitsberaubung«, empörte sich A56
gatha Simpson. »Eine Vorsichtsmaßnahme, Mylady«, redete Parker gelassen und würdevoll weiter, »dieser Streifenbeamte muß nicht unbedingt Mitglied der regulären Polizei sein.« Der Streifenfahrer hatte den Wagen inzwischen erreicht und langte mit der rechten Hand in seine hüftlange Lederweste. Genau in diesem Moment ließ Parker die Kupplung vorschnellen und gab Vollgas. Das hochbeinige Monstrum machte einen wahnwitzigen Satz nach vorn und entging so einer Milchflasche, die der Streifenfahrer auf das Fahrzeug geschleudert hatte. Die Milchflasche zerschellte auf dem Asphalt und erzeugte sofort eine kleine Rauchwolke, die sich schwarz färbte. Agatha Simpson, die sich halb erhoben hatte, wurde vom Andruck zurückgeschleudert und krachte förmlich in die Polster. Dabei verrutschte ihre Hutschöpfung, eine einmalige Kreuzung aus einem Südwester und einem Napfkuchen. Dieses Gebilde schob sich tief in ihre Stirn und verdeckte dann auch noch die Augen. »Ich bitte um Vergebung, Mylady«, war Parkers Stimme zu vernehmen, »man entging soeben einem Säureattentat.« Die Lady konnte nicht antworten. Sie kämpfte mit dem Hut und ihrer Empörtheit, sie drückte sich wieder nach vorn, rutschte vom Sitz und nahm auf dem teppichbelegten Wagenboden Platz. »Wollen Sie mich umbringen?« ergrimmte sie sich lautstark. »Keineswegs, Mylady«, erwiderte Parker höflich wie stets und korrigierte den Kurs des zurückschießenden Wagens, ohne den Kopf zu wenden. Er begnügte sich mit dem Innenspiegel, der ihm Sicht genug gewährte. Er hielt mit dem Wagenheck auf die Rauchsäule zu und auf den Mann, der hastig sein Motorrad besteigen wollte. Der Attentäter merkte, daß die Zeit nicht mehr reichte. Er verzichtete darauf, das knatternde Gefährt zu besteigen, wandte, sich um und flüchtete durch das Gewirr der Wagen, die jäh bremsten. Josuah Parker lüftete höflich die schwarze Melone, als er den Wagen verließ. Er bat Mylady, ihn für einen Moment entschuldigen zu wollen. In völlig korrekter und steifer Haltung nahm der Butler dann die Verfolgung des jungen Mannes auf, der bereits rund zwanzig Meter Vorsprung gewonnen hatte. Der angebliche Streifenpolizist schaute sich kurz um, lief weiter und steuerte 57
dann eine Seitenstraße an. Josuah Parker hingegen blieb stehen und griff nach seiner Wunderwaffe, wie sie von Freund und Gegner gern bezeichnet wurde. Dabei handelte es sich um eine im Prinzip einfache Gabelschleuder oder Zwille, wie sie Jungen immer wieder schnitzten. Es dauerte nur einige Sekunden, bis Josuah Parker schußbereit war. In der Lederschlaufe befand sich eine hart gebrannte Tonmurmel von der Größe eines normalen Bonbons. Parker straffte die beiden Gummistränge, visierte kurz und schickte sein Geschoß auf die Reise. Mitten im Lauf überschlug sich der Mann, klatschte gegen einen Wagen und sank desinteressiert zu Boden. Er nahm von einer weiteren Flucht Abstand… * Mike Rander und Kathy Porter waren ebenfalls unterwegs. Auch sie fuhren hinaus nach Richmond, aber diese Fahrt hatte nichts mit dem Hersteller von Skeletten, nämlich Lionel Hansom, zu tun. Ein Telefonanruf hatte sie im Büro des Anwalts alarmiert. In der Curzon Street, nicht weit entfernt vom Haus der Agatha Simpson, bewohnte der Anwalt ein Haus, in dem seine Privaträume und auch seine Kanzlei untergebracht waren. Eine gewisse Betsy Kilburn hatte nervös und hastig nach Lady Simpson gefragt und um Hilfe gebeten. Bevor Mike Rander Fragen stellen konnte, war auf der Gegenseite nach einem leisen, erstickten Aufschrei aufgelegt worden. Kathy Porter, die sich in Mike Randers Privatbüro aufgehalten hatte, konnte sofort mit einem Hinweis und einer Adresse dienen. Mrs. Betsy Kilburn war die Tochter einer recht begüterten Dame der Gesellschaft, mit der Lady Agatha hin und wieder Bridge zu spielen pflegte. Sie wohnte bei ihrer Mutter, die in Richmond einen Landsitz besaß. »Hoffentlich hat unser Mr. Skelett nicht wieder zugeschlagen«, meinte der Anwalt, der lässig neben Kathy Porter saß. Sie steuerte den Mini-Cooper mit nachtwandlerischer Sicherheit schnell und oft auch ein wenig frech durch den dichten Verkehr. »Wie gut, daß Mylady und Mr. Parker jetzt diesen Mr. Hansom besuchen wollen«, erwiderte Kathy Porter. 58
»Wir sollten natürlich auch mit einer Falle rechnen, Kathy«, warnte der Anwalt, »ich könnte mir vorstellen, daß das Skelett inzwischen leicht nervös geworden ist. Andy Bilton sitzt in Untersuchungshaft, seine beiden Freunde Chetway und Grapes werden gesucht. Der Mann dürfte also im Augenblick keine Hilfskräfte mehr haben.« »Ich frage mich, was das Skelett mit Betsy Kilburn zu tun haben kann«, entgegnete Kathy Porter nachdenklich und überholte haarscharf einen Lastwagen. Rander schloß dabei für einen Moment die Augen und wartete auf das Kreischen von Blech und Splittern von Glas. Als er nichts hörte, öffnete er wieder die Augen. »Fahre ich zu schnell, Mike?« erkundigte sich die junge Dame. »Wer hat Ihnen diesen Tiefflug beigebracht, Kathy?« »Mr. Parker, Mike. Beruhigt Sie das?« »Etwas«, erwiderte Mike Rander, »Sie können sich wieder dieser Betsy Kilburn widmen.« »Sie dürfte etwa dreißig Jahre alt sein, geschieden, kinderlos. Sie wohnt wieder bei ihrer Mutter, von der sie alles haben kann, was immer sie sich wünscht.« »Hat sie einen Beruf erlernt, Kathy?« »Und ob, Mike… Sie leitet die Firma ihres verstorbenen Vaters. Sie soll eine gute Kauffrau sein, wie es wohl heißt. Sie hat, wenn ich das noch richtig zusammenbekomme, ihren Mann ‘rausgeschmissen, als er eine Unterschlagung beging.« »Verständlich, Kathy. Und was ist das für eine Firma?« Er lehnte sich plötzlich zurück und deutete auf einen Lieferwagen. »Übrigens, den müssen Sie wegen mir nicht unbedingt überholen.« »Aber das macht doch nichts«, gab sie zurück und wischte wiederum haarscharf an dem Lieferwagen vorbei, »ich habe den Wagen fest in der Hand, Mike.« »Hoffentlich weiß das auch der Wagen, Kathy«, stöhnte Mike Rander, »warum, zum Teufel, bin ich nicht in den Staaten geblieben? Wie ruhig hätte ich dort leben können.« »Während der Rückfahrt kann ich Sie am Flugplatz absetzen, Mike.« »Ein verdammt guter Vorschlag!« Er setzte sich wieder zurecht. »Wir waren bei der Firma der Kilburns stehengeblieben.« »Innenarchitektur und Raumgestaltung«, gab Kathy Porter Auskunft, »Betsy ist >inQuartett< wieder mal dienen konnte. »McWarden wird sich freuen, Mylady«, wußte Mike Rander bereits im vorhinein und warf einen ironischen Blick auf die beiden Täter Hansom und Hillings, die sich gegenseitig an die Gurgel wollten. »Und Ihr Kommentar, Mr. Parker?« fragte Lady Agatha und sah ihren Butler ein wenig streitlustig an. »Wollen Sie etwa abstreiten, daß ich den Fall nicht bereits gelöst hatte, als er gerade erst Formen annahm?« »Wenn Mylady erlauben, möchte ich mich erkühnen, sogar noch einen Schritt weiterzugehen«, lautete die Antwort des Butlers, »Mylady lieferten wieder mal eine Probe einmaligen Genies, um dies untertreibend hervorzuheben.« »Nun ja«, erwiderte die ältere Dame wohlwollend, »Sie übertreiben vielleicht – doch nur ein wenig.« »Wie Mylady zu meinen geruhen«, gab Parker zurück, während Kathy Porter und Mike Rander einen schnellen, belustigten Blick tauschten.
ENDE Nächste Woche erscheint BUTLER PARKER Auslese Band 223
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