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Butler � Parker � Nr. 44 � 44
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Butler � Parker � Nr. 44 � 44
Günter Dönges �
Parker im � Teufelskreis der � ›Henker‹ � 2 �
Als die junge Dame das Palm-BeachRefugium betrat, wurde es in der Halle erstaunlich ruhig. Die Männer unterbrachen ihre Gespräche und vergaßen durchweg ihre weiblichen Begleiterinnen, falls solche vorhanden waren. Die Damen hingegen musterten die zierliche Blondine abschätzend und kritisch. Sie suchten nach einem schwachen Punkt, um den Hebel ihrer Kritik ansetzen zu können. Sie suchten vergeblich. Die zierliche Blondine konnte sich nämlich in der Tat sehen lassen. Sie mochte knapp zwanzig Jahre alt sein, trug ein ärmelloses Kleid aus weichem Chiffon und bewegte sich mit der ungezwungenen Natürlichkeit eines jungen Tieres. Sie schien nichts von dem Aufruhr zu bemerken, den sie verursachte. Sie trat an die Rezeption und fragte nach ihrem Apartment. Der Empfangschef, abgebrüht und ein Meister der Selbstbeherrschung, mußte sich zusammenreißen. Er schluckte einige Male und fragte dann stotternd nach dem Namen der jungen Dame. »Jill Carvon«, antwortete die Blondine mit einer reizenden Stimme, in der nichts von Affektion zu verspüren war, »meine Gesellschafterin hat das Apartment vorbestellt.« »Oh, Miß Carvon!« Der Empfangschef dienerte und beeilte sich, den
Schlüssel einem Hotelpagen in die Hand zu drücken. »Miß Carvon, Apartment Nummer dreiunddreißig!« Sie dankte mit einem reizenden Lächeln. »Sorgen Sie für mein Gepäck«, bat sie dann, »draußen im Wagen! Meine Gesellschafterin wird erst später nachkommen. Post für mich eingetroffen?« Post für Miß Carvon war vorhanden. Die Hand des Empfangschefs zitterte leicht, als er ihr den dicken Umschlag aushändigte. Ein erneutes, liebevolle Lächeln, ein Schluckkrampf des Empfangschefs, und dann entschwebte Miß Carvon zum Lift. Der Hotelpage riß die Tür zum Lift auf. Er hüstelte vor Aufregung, als er zusammen mit ihr hinauf in die zweite Etage fuhr. Er genoß das feinherbe Parfüm des weiblichen Gastes und gab sich der Verwirrung ihrer Nähe hin. Im Apartment angekommen, entließ ihn Miß Carvon mit einem freundlichen Lächeln. Sie wartete, bis er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Dann öffnete sie sofort den Umschlag und ließ sich dabei in einen der tiefen Sessel fallen. Sie lächelte nicht mehr, als sie den Brief las. Ihr feingeschnittenes Gesicht nahm einen starren Aus3 �
druck an. Sie überflog die wenigen Zeilen und faltete den Brief dann zu einem kleinen Zettelchen zusammen, den sie im Ausschnitt ihres Kleides verschwinden ließ. Dann zog sie einige Zeitungsartikel aus dem Umschlag und faltete sie auseinander. Doch sie kam nicht mehr dazu, sie zu lesen. Der Hotelpage kam mit dem Gepäck. Es handelte sich um einen veritablen Schrankkoffer, einen kleineren und um eine Lederkoffer Hutschachtel. Nach Empfang eines reichlichen Trinkgeldes huschte der Page verwirrt hinaus in den Korridor. Miß Jill Carvon konnte sich endlich wieder den Zeitungsartikeln widmen. Sie stammten aus verschiedenen Zeitungen, waren durchweg zwei Wochen alt und betrafen alle ein ganz bestimmtes Ereignis. Dieses Ereignis bestand in einer rätselhaften, riesigen Explosion weit draußen auf der Inselkette der Bermudas. Genauer gesagt, die Artikel berichteten übereinstimmend von einer kleinen Insel, die Exuma Island hieß. Auf dieser Insel, so hieß es in den Berichten, hatte sich ein Ferienparadies befunden. Es existierte nun nicht mehr. Ein rätselhafter Vulkanausbruch hatte die Insel für Touristen uninteressant werden lassen. In dem dicken Umschlag befanden sich außerdem so etwas wie Personalakten mit Fotografien. Sie betra-
fen zwei Männer, die die junge Blondine noch nie gesehen hatte. Sie studierte die Fotos und trug anschließend alles hinüber ins Bad, wo sie die Unterlagen in Flammen aufgehen ließ. Die Wasserspülung sorgte dafür, daß die Asche in der Kanalisation von Palm Beach verschwand. Jill Carvon griff zum Telefon und rief unten in der Rezeption an. Sie sprach von leichten Kopfschmerzen und bat darum, man möge sie auf keinen Fall stören. Nein, die Koffer packe sie selbst aus, man brauche kein Zimmermädchen zu schicken. Sie hauchte ihren Dank durch die Leitung, legte auf und entwickelte ungemeine Betriebsamkeit. Von leichtem Kopfschmerz konnte überhaupt keine Rede sein. Aktivität und Zielstrebigkeit zeichneten ihre Handlungen aus. Sie klappte den schweren Schrankkoffer auseinander und öffnete eines der Wäschefächer. Nachdem sie das Fach ganz herausgezogen hatte, griff sie in die Öffnung hinein, löste eine Sperre und öffnete ein kleines Geheimfach. Sie holte eine Puderdose hervor, die auf der Rückseite einen Saugnapf aufwies. Jill Carvon drückte diese Puderdose in Höhe der Fußleiste gegen die Wand zum angrenzenden Zimmer und schaltete dann ein kleines Transistorgerät ein, das sie aus der Handtasche hervorgeholt hatte. Sie 4 �
zündete sich eine Zigarette an und lauschte den Tönen, die aus dem Lautsprecher des kleinen Radiogerätes kamen. Es handelte sich keineswegs um Musik. »Diesmal beißen Sie bei mir auf Granit«, sagte Mike Rander und schüttelte den Kopf, »Parker und ich haben unsere Aufgabe erledigt, damit hat sich’s nun. Sie scheinen zu vergessen, daß ich längst nicht mehr Ihrer Dienststelle angehöre…!« »Ich weiß, ich weiß!« Mr. Brown, ein schlanker, kleiner, aber drahtig wirkender Mann von etwa fünfzig Jahren, nickte verständnisvoll. Er saß in einem Sessel in der Nähe des Fensters und blicke auf seine Zigarre, die für ihn viel zu groß wirkte. »Sie sind Staranwalt. Sie haben vergessen, daß Sie während der Kriegsjahre für mich tätig waren. Aber ausgeschieden, Rander, ausgeschieden, nein, das sind Sie nicht! Sie werden, solange Sie leben, zu uns gehören!« »Berauschen Sie sich von mir aus an dieser Vorstellung, sie ändert aber nichts an meinem Entschluß«, gab Anwalt Mike Rander zurück. »Parker und ich haben auf Exuma Island genug Ärger gehabt.« »Sie haben Ihren Auftrag aber einmalig gut und wirkungsvoll erledigt«, stellte Brown fest. »Sie sprechen doch hoffentlich von Parker«, meinte Anwalt Rander,
ohne ihn wären die Raketen noch betriebsklar. Ihm allein ist es zu verdanken, daß die Bedrohung ausgeschaltet werden konnte! »Streiten wir uns nicht über Details«, sagte Brown. »Bleiben wir doch bei den Tatsachen. Der ›Herr der Welt‹, um den es doch schließlich geht, dieser ›Herr der Welt‹ also konnte sich absetzen. Und mit ihm fast das ganze Amazonenkorps, das er aufgestellt hatte!« »Sie haben genug Leute, um diese Amazonen zu jagen«, warf der Anwalt ein, »lassen Sie sich nur nicht aufhalten, Brown. Verlieren Sie nur ja keine Zeit!« »Sie sind stur wie in alten Tagen.« »Ich will endlich meine Ruhe haben«, erklärte Mike Rander, »Brown, können Sie denn das nicht verstehen?« »Verstehen schon, Rander, aber von Ruhe kann doch wohl keine Rede sein. Selbst dann, wenn wir uns ‘raushalten.« »Wie meinen Sie das?« »Na, glauben Sie, der ›Herr der Welt‹, wie dieser Supergangster sich nennt, wird Ihnen die Pleite verzeihen, die Sie ihm beigebracht haben?« »Er wird andere Sorgen haben, als sich mit Parker und mit mir zu beschäftigen.« »Da befinden Sie sich aber mächtig auf dem Holzweg, Rander. Das ist er sich und seinen Leuten schon schuldig. Verlassen Sie sich darauf, er 5 �
wird eine mörderische Treibjagd auf Sie veranstalten.« »Dann werden Parker und ich uns eben absetzen. Aber ich spiele nicht mehr mit. Ich habe die Nase voll. Sie, Brown, Sie waren nicht drüben auf der Insel. Sie sind nicht von diesen verdammten Amazonen gehetzt worden!« »Gut, Rander, ich muß Ihre Haltung respektieren«, sagte Brown und erhob sich, »ich wünsche Ihnen von Herzen Ruhe, aber ich wiederhole noch einmal, ich glaube nicht daran. Der ›Herr der Welt‹ wird Sie jagen und hetzen lassen. Er wird Ihnen niemals verzeihen. Sie haben seine Pläne gründlich gestört. Er hat einen Rückschlag erlitten, der ihn um Monate zurückwirft!« »Demnach haben Sie Zeit, einzugreifen. Sie haben doch schließlich geschulte Profis, Brown…« »Die Amateure Parker und Rander wären mir lieber«, stellte Brown lächelnd fest, »na ja, Rander, vielleicht sitzen wir bald wieder in einem Boot! Wohin werden Sie fahren?« »Parker und ich reisen morgen ab«, antwortete Mike Rander, »wir werden am Lake Okeechobee den Fischen nachstellen!« »Passen Sie auf sich auf«, bat Brown, »denken Sie an die weiblichen Henker, die der ›Herr der Welt‹ Ihnen auf den Hals hetzen wird. Unterschätzen Sie die Amazonen
nicht!« »Worauf Sie sich verlassen können. Parker und ich haben sie ja aus nächster Nähe erlebt!« »Denken Sie daran, wie geschickt Frauen sich tarnen können!« »Noch mehr von diesen Ratschlägen?« fragte Mike Rander spöttisch zurück. »Gehen Sie am besten jeder Frau aus dem Weg. Wenigstens in den kommenden Wochen.« »Warum sperren Sie uns nicht gleich ein. Nur so aus Sicherheitsgründen?« »Rander, das würde ich wirklich am liebsten tun«, antwortete Mr. Brown sehr ernst. »Sie haben den Staaten einen unschätzbaren Dienst erwiesen. Dafür… möchte ich mich bedanken, indem ich Sie schütze!« »Feierlicher geht’s wohl nicht, wie?« Mike Rander grinste wie ein Schuljunge, »und was die weiblichen Henker angeht, na, Brown, mit denen werden wir schon fertig werden! Falls diese Amazonen sich überhaupt blicken lassen. Wenn Sie mich fragen, so hat der ›Herr der Welt‹ jetzt andere Sorgen. Er muß sich eine neue Machtposition aufbauen. Das wird ihn voll und ganz beschäftigen, wetten?« »Ich wünsche mir schon jetzt, daß ich diese Wette verliere«, schloß Brown die Unterhaltung. »Übrigens, wo steckt denn Ihr Butler?« »Wie ich ihn einschätze, lustwan6 �
delt er jetzt würdevoll wie ein Bischof über die Uferpromenade und träumt von neuen Überraschungen.« Mike Rander lächelte grimmig, »aber die werde ich ihm vermiesen, Brown. Für Parker und mich besteht ab sofort totale Windstille!« * Im Gegensatz zu Mike Randers Behauptung lustwandelte der Butler nicht. Er saß steif und würdevoll auf der Kante eines Strohsessels und beobachtete das lebhafte Strandtreiben. Er hatte sich einen französischen Cognac bestellt und rauchte dazu eine seiner scheußlichen Zigarren. Er konnte sich diesen Luxus leisten, denn er befand sich auf einer Terrasse, die vom sanften Meereswind unaufhörlich bestrichen wurde. Einige vorwitzige und gierige Möwen, die ihn beobachtet hatten und dann zu einem Erkundungsflug gestartet waren, hatten sich hustend zurückgezogen und mieden ab sofort diesen schwarz gekleideten Mann, dessen Rauchwolken penetrant waren. Diese Möwen saßen auf dem Geländer einer Seebrücke, die weit ins Wasser hinausführte, und beobachteten diesen ungewöhnlichen Menschen, der so gar nicht in das Bild paßte. Parker dachte an Exuma Island. Parker dachte an die Amazonen,
mit denen er sich auf der verschwiegenen Insel herumgeschlagen hatte. Er dachte an den »Herrn der Welt«, wie der Supergangster sich nannte und dachte schließlich daran, daß dieser Mann samt der Masse seiner Mitarbeiterinnen entwischt war. Im Gegensatz zu seinem jungen Herrn machte der Butler sich keine Illusionen. Er rechnete mit Schwierigkeiten. Er rechnete fest und sicher mit mörderischen Anschlägen. Und da er den Angriff grundsätzlich für die beste Art der Verteidigung hielt, grübelte er darüber nach, wie er seinen lustlosen und ruhehungrigen jungen Herrn aktivieren konnte. Parker ließ sich einen Moment ablenken. Sein Interesse galt einer Gruppe junger Leute, die am Strand herumtollten. Sie vergnügten sich mit Pfeil und Bogen. Sie schossen lange Pfeile mehr oder weniger treffsicher in eine Korbscheibe. Wie gern hätte der Butler sich beteiligt, doch seine Würde verbot es ihm, sich diesen jungen Leuten anzuschließen. Er schloß die Augen, um sich nicht weiter ablenken zu lassen. Er dachte immer wieder an die Amazonen von der Insel und fragte sich, wo sie sich jetzt wohl aufhielten. Hatten sie sich nach Südamerika zurückgezogen? Rüstete der »Herr der Welt« dort ein neues Machtzentrum aus? Vielleicht in den unwegsamen Dschungeln des Amazonas? 7 �
Parker gestand sich wieder einmal ein, daß er von diesem Supergangster im Grunde nichts wußte. Gewiß, er hatte ihn auf der Exuma Island einige Male gesehen. Das heißt, er war der Ansicht gewesen, ihn gesehen zu haben. Doch konnte das auch genausogut eine Verwechslung gewesen sein. Der »Herr der Welt«, ein Meister der Tarnung und der Maske, war bestimmt in eine andere Haut geschlüpft. Parker wurde leicht abgelenkt. Eine Stechmücke, verwegen und hart im Nehmen, näherte sich seinem Nacken. Sie gierte danach, Parkers Blut zu kosten. Sie ließ sich selbst von den Rauchschwaden nicht vertreiben. Parker hob gemessen die Hand, um sie zu verscheuchen. Da sie aber hartnäckig blieb und sich jetzt seinem Ohr näherte, mußte er nach ihr schlagen. Dabei bewegte er seinen Oberkörper automatisch zur Seite. Und dabei hörte er ein giftiges Zischen, das keineswegs von der Stechmücke herrühren konnte. Er spürte deutlich einen plötzlichen Luftzug an der linken Halsseite und hörte Bruchteile von Sekunden später knapp hinter sich splitterndes Reißen. Parker öffnete sofort die Augen und nahm den Kopf herum. Nur dank seiner Selbstbeherrschung sprang er nicht sofort auf.
Er starrte aus grauen, prüfenden Augen auf den zitternden Pfeilschaft, der nur wenige Zentimeter hinter ihm wippte. Die Pfeilspitze stak im Holz des Pfeilers, der zur Pergola dieses Lokals gehörte. Eine mörderische Waffe! Parker wußte sofort, daß hier von einem bedauerlichen Zwischenfall keineswegs die Rede sein konnte. Ein Zufall schied ebenfalls aus. Hier war bewußt mittels Pfeil und Bogen nach ihm geschossen worden! Parker ahnte, daß der nächste Pfeil nicht lange auf sich warten ließ. Er verzichtete diesmal auf Würde, ließ sich blitzschnell auf die Knie fallen und ging hinter der Balustrade der Terrasse in Deckung. Sein Entschluß zahlte sich aus. Ein zweiter Pfeil zischte heran und blieb von außen in der Balustrade stecken. Auch diesmal war ungemein präzis gezielt worden. Parker war peinlich berührt. Er sah nach dem lustigen Völkchen, das nach wie vor am Strand herumtollte und das kreisrunde Ziel mit Pfeil und Bogen beschoß. Gewiß, von dorther konnten die beiden Pfeile auf die Reise geschickt worden sein, doch er glaubte nicht daran. Solch ein Versehen wäre selbst den ausgelassenen, jungen Leuten aufgefallen. Zudem schossen sie in eine ganz andere Richtung. Nein, die beiden Pfeile mußten dort oben vom gegenüberliegenden 8 �
Fenster abgeschossen worden sein. Parker sah hoch und entdeckte sofort das Fenster, das gerade ganz langsam geschlossen wurde. Die Sonne spiegelte sich für einen kurzen Moment in der Scheibe. Wer sich hinter dem Fenster befand, ließ sich leider nicht ausfindig machen. Doch Parker wußte Bescheid. Die Henker des »Herrn der Welt« hatten hiermit die kriegerischen Handlungen eröffnet. Parker ahnte in etwa, was seinem jungen Herrn und ihm bevorstand! * Mike hatte sich von Brown verabschiedet und wartete auf die Rückkehr seines Butlers. Er genoß die klimatisierte Luft seines Apartments und rauchte genußvoll eine Zigarette. Er wartete darauf, daß man ihm einen Whisky servierte. Er hatte ihn telefonisch bestellt, da die Trinkvorräte im eingebauten Zimmereisschrank von Mr. Brown dezimiert worden waren. Er dachte über die Worte seines früheren Chefs nach. Während der Kriegsjahre hatte Mike Rander unter Brown gedient. Und zwar in einer geheimen Organisation, über die man nie sprach, die aber dennoch sehr aktiv war und nach wie vor existierte. Sie lief neben der CIA einher, ohne mit diesem Dienst etwas
zu tun zu haben. Rander richtete sich hoch, als angeklopft wurde. Er sagte »herein« und nickte dem Zimmermädchen zu, das den Whisky brachte. Das nette, naiv wirkende Zimmermädchen trippelte zum Tisch und stellte dort das Tablett ab. Es knickste in einer wirklich reizenden Art und Weise und verließ dann das Zimmer. Parker könnte eigentlich kommen, sagte sich Mike Rander und griff nach dem Glas. Er schaltete ab, er wollte mit den Amazonen nichts mehr zu tun haben. Zum Teufel mit Brown und dessen Warnungen! Dieser Supergangster hatte andere Sorgen, als sich mit zwei Männern zu befassen, die ihm eine Schlappe zugefügt hatten. In diesem Moment, als er gerade trinken wollte, klingelte das Telefon. »Mike Rander«, meldete er sich, nachdem er abgehoben hatte. »Josuah Parker, Sir«, sagte der Butler am anderen Ende der Leitung, »ich möchte Sie davon in Kenntnis setzen, Sir, daß gerade ein Mordanschlag auf mich verübt wurde!« »Wieso?« Nachdem der Butler den Zwischenfall erzählt hatte, schüttelte Mike Rander zweifelnd den Kopf. »Sind Sie sicher, daß es sich nicht um ein Versehen gehandelt hat«, wollte er dann wissen. »Absolut sicher, Sir«, entschied der Butler, »daher auch mein Anruf, der 9 �
Sie hoffentlich nicht gestört hat! Die Henker des ›Herrn der Welt‹ schwärmen aus, wenn ich mich so ausdrücken darf. Mit anderen Worten, Sir, man muß ab sofort mit weiteren, tückischen Mordanschlägen rechnen!« »Das hat auch Brown eben behauptet«, sagte Mike Rander, dessen Finger mit dem Whiskyglas spielten, »aber bleiben wir doch auf dem Teppich, Parker. Wir werden eben vorsichtig sein. Und heute noch reisen wir ab! Ich warte auf Sie!« »Ich werde mich beeilen, Sir!« »Na, dann Prost!« sagte Mike Rander und führte das Glas zum Mund hoch. »Sir, darf ich zur höchsten Vorsicht raten«, fragte der Butler, »verzeihen Sie meine vielleicht unqualifizierte Einmischung! Aber der ›Herr der Welt‹ wird mit allen Mitteln versuchen, Sie und meine bescheidene Wenigkeit aus dem Weg zu räumen!« »Schon gut, Parker«, sagte Mike Rander gelangweilt. »Sie sind gerade im Begriff, einen Drink zu sich zu nehmen, Sir?« »Na und?« »Ist Ihnen dieser Drink offen serviert worden?« »Natürlich. Wie üblich!« »Von einem Zimmermädchen, Sir?« »Selbstverständlich! Ich hatte nichts dagegen!«
»Sir, darf ich dringend raten, diesen Drink zu meiden!« »Sie übertreiben mal wieder, Parker!« »Sir, ich bin in größter Sorge, dieser Drink könnte vergiftet sein.« »Sie machen mir Laune, Parker!« »Sir, darf ich Sie ebenso herzlich wie dringend bitten, diesen Drink zu meiden? Ich werde mir erlauben, in spätestens einer Viertelstunde ins Hotel zu kommen. Falls sich keine weiteren Überraschungen ergeben.« »Okay, Parker, beeilen Sie sich! Wir wollen weg!« Mike Rander legte auf und starrte mißtrauisch auf das Whiskyglas in seiner Hand. Er roch, schnüffelte, konnte aber nichts Verdächtiges feststellen. Dennoch hielt er sich an Parkers Rat und stellt das Glas zur Seite. Dann kam ihm ein Einfall. Er ließ das gefüllte Glas hinter dem tiefen Sessel verschwinden. Er nahm eines der leeren Gläser in die Hand, die noch auf dem Beistelltisch standen und aus dem Brown getrunken hatte. Dann stöhnte er erfolgreich und gekonnt auf, ließ sich in den tiefen Sessel zurückfallen und schloß die Augen. Als sich wenige Sekunden später die Zimmertür sehr leise und sehr vorsichtig öffnete, da erst dachte der Anwalt daran, daß er überhaupt keine Waffe bei sich hatte! 10 �
*
Josuah Parker mied die breiten Boulevards. Er hatte verständlicherweise etwas gegen Schüsse aus fahrenden Autos. Er wollte auch nicht unbedingt niedergefahren werden. Rein zufällig natürlich, weil vielleicht eine Bremse versagt hatte oder ein luftleerer Reifen den Wagen hatte schleudern lassen. Nein, Parker hielt sich an die schmalen Straßen, die vom Strand hinauf zum alten Kern der Stadt führten. Im Gegensatz zu seinem jungen Herrn nahm er den »Herrn der Welt« und die Amazonen keineswegs auf die leichte Schulter. Er wußte, daß er es mit ausgefuchsten und trickreichen Gegnern zu tun hatte. Mit Frauen, die sich wunderbar zu tarnen wußten. Seine grauen Augen tauchten wachsam und mißtrauisch die wenigen Passanten, die ihm entgegenkamen. Zwei ältere Damen tauchten aus einer Seitengasse auf. Sie trugen große Stofftaschen. Sie unterhielten sich lebhaft miteinander und schienen den Butler überhaupt nicht zu beachten. Doch war dieses Desinteresse nur gespielt? Nein, jetzt entdeckten sie den Butler und tuschelten lächelnd miteinander. Sie amüsierten sich wahr-
scheinlich über seine schwarze Kleidung, die in diesen Breiten nun auch wirklich nicht angebracht war. Parker sah zumindest so aus wie ein leitender Angestellter eines Begräbnisinstituts! Parkers Augen registrierten zwei Teenager, die hautenge, lange Hosen und leichte Blüschen trugen. Ihr Badezeug befand sich in Basttaschen. Sie trugen Unterwasser-Harpunen mit sich und schienen es eilig zu haben, endlich zum Strand zu kommen. Parker wußte um die Gefährlichkeit solcher Harpunen. Waren die beiden Teenager harmlos? Warteten sie nur darauf, ihm Pfeile in den Rücken zu jagen? Sie verschwanden in einer Seitengasse. Parker holte seine zwiebelförmige Taschenuhr aus der Westentasche seines Anzuges und ließ den Sprungdeckel aufklappen. Auf der Innenseite dieses Sprungdeckels befand sich ein Spezialspiegel, in den er nur hineinzusehen brauchte, um feststellen zu können, was sich hinter seinem Rücken abspielte. Nein, die beiden Teenager blieben verschwunden! Parker hielt weiter auf das PalmBeach-Refugium zu, in dem er mit seinem jungen Herrn abgestiegen war. Er sah bereits die oberen Stockwerke des großen Hotels. Aus einem Patio trat eine einfach 11 �
gekleidete Frau, die ein kleines, weinendes Kind an der Hand führte. Die Frau mühte sich ab, die Tränen dieses kleinen Mannes zu stoppen. Für Parker hatte sie keinen Blick. Der Butler schritt an ihr vorüber und wollte schon darauf verzichten, wieder seine Zwiebeluhr hervorzuholen. Doch seine Vorsicht war wieder einmal stärker. Obwohl er es gerade in diesem Fall für sinnlos hielt, warf er dennoch einen schnellen Blick in den Spiegel, um wenigstens sein Gewissen zu beruhigen. Er war nicht schlecht überrascht, als die mütterliche Frau in ihre Schürzentasche griff und eine Pistole hervorholte, auf deren Mündung ein veritabler Schalldämpfer aufgeschraubt war. Parker reagierte blitzschnell. Er warf sich herum, zog gleichzeitig höflich seine schwarze Melone und schickte sie durch eine ruckartige Drehung des Handgelenks als eine Art Diskus durch die Luft. Der Erfolg war frappierend. Der Rand der Melone traf das Handgelenk der Frau, deren Kind noch immer weinte. Polternd landete die Waffe auf dem Boden. Die Frau kümmerte sich nicht weiter und das weinende Kind, sondern rannte mehr als leichtfüßig auf die schmale Gasse zu, wo sie dann blitzartig verschwand…
*
Mike Rander brauchte nicht lange zu warten. Knapp zwei Minuten später wurde die Tür zu seinem Apartment wieder geöffnet. Diesmal sehr leise und sehr behutsam. Das Zimmermädchen kam zurück. Es blieb ganz kurz an der Tür stehen, schaute zu Mike Rander hinüber, der wie leblos im Sessel lag, schloß dann die Tür hinter sich und trat mit schnellen, entschlossenen Schritten auf den Anwalt zu. Mike Rander konnte jede ihrer Bewegungen verfolgen. Er hatte die Augen weit geöffnet und sie effektvoll zur Zimmerdecke hinaufgedreht. Das Zimmermädchen, nach wie vor adrett und auch ein wenig naiv aussehend, blieb vor dem Anwalt stehen und griff nach dem Glas in seiner Hand. In diesem Moment packte der junge Anwalt schnell und energisch zu. Das Zimmermädchen war völlig überrascht. Schließlich hatte es ja mit einem Toten gerechnet. Es ließ sich gegen den niedrigen Tisch drängen, um dem Anwalt dann aber eine jähe Niederlage zu bereiten. Das Zimmermädchen war durchaus in Karate geschult. Mike Rander fühlte nur, daß er durch die Luft flog. Fast gleichzeitig spürte er, daß ihm das 12 �
Bewußtsein schwand. Als er dann auf dem Boden landete, war er tatsächlich ohnmächtig. Doch nur für ganz wenige Sekunden. Schließlich war er kein Büromensch. Das Zusammenleben mit dem Butler hatte ihn körperlich derart fit gemacht, daß er schon einiges einzustecken vermochte. Mike Rander hörte im Unterbewußtsein schnelle Schritte. Instinktiv wußte er, daß das Zimmermädchen ihn umbringen wollte. Solch eine Chance ließ es sich mit Sicherheit nicht entgehen. Mike Rander handelte aus dem Unterbewußtsein heraus. Er warf sich herum, ohne zu wissen, ob das im Moment richtig war oder nicht. Gleichzeitig ließ er die angewinkelten Beine wie ein Katapult nach vorn fallen. Ein unterdrückter Schmerzensschrei! Rander richtete sich etwas auf. Das Zimmermädchen lag vor dem schweren Sessel. Es schien sich den rechten Arm verstaucht zu haben, denn es mühte sich ab, nach dem langen Messer zu greifen, das auf dem Teppich lag. Bevor das Girl sich herumwerfen und mit der linken Hand zufassen konnte, rollte Mike Rander sich heran und setzte alles auf eine Karte. Er parierte einen Ausfall, beantwortete ihn mit einem Handkantenschlag gegen den Oberarm des Zim-
mermädchens und trat das Messer unter einen niedrigen Schrank. Was dann folgte, war für Mike Rander nicht sonderlich angenehm. Das naiv aussehende Zimmermädchen hatte sich in eine fauchende Wildkatze verwandelt. Es kannte eine Unmenge Tricks. Mike Rander konnte mehr als froh sein, daß sein Butler ihn in der harten Schule des Nahkampfes geschult hatte. Er wußte sich also seiner Haut zu wehren und vergaß, daß er es schließlich mit einer jungen Frau zu tun hatte. Erst als sie ausgepumpt und ohnmächtig vor dem Sessel lag, erst in diesem Augenblick sah er wieder die Frau in ihr. Kopfschüttelnd sah er auf die Wildkatze hinunter. Keuchend ging sein Atem. Er fühlte sich zerschlagen. Er spürte die Schmerzen der Schläge, die sie ihm beigebracht hatte. Mike Rander trat ans Fenster, riß die Gardinenschnur aus der Halterung und machte sich daran, die Wildkatze erst einmal zu verschnüren. Dann hob er sie auf und legte sie auf der breiten Couch nieder. Seine Hände zitterten noch, als er sich eine Zigarette anzündete. Sie kam schnell wieder zu sich. Haß sprühte aus ihren Augen. Sie preßte die Lippen so fest zusammen, daß sie nur noch einen schmalen Strich bildeten. »Tut mir leid«, sagte er fast entschuldigend, »aber ich denke so mit 13 �
den Stricken an den Handgelenken ist es für beide Teile besser!« »Sie werden sterben«, sagte sie wütend, »wir werden Sie erwischen! Früher oder später!« »Sie scheinen ja eine ganze Armee aufgeboten zu haben«, antwortete der junge Anwalt, der sich von den Strapazen bereits wieder erholt hatte. »Sie werden sich wundern, Mr. Rander!« »Ich bin bereits dabei«, meinte der Anwalt ironisch. »Sie hätten mich also in jedem Fall umgebracht, auch wenn das Gift nicht gewirkt hätte?« »Sie stehen auf der Liste unseres Herrn!« erwiderte sie in einem eingelernten Tonfall, der an den eines Papagei erinnerte. »Sie stehen auf der Liste! Und wir werden alle Namen auf dieser Liste streichen! Früher oder später!« »Ich glaube, das sagten Sie bereits«, bemerkte der Anwalt, »wie kann sich ein Mädchen Ihres Aussehens für so etwas hergeben? Das begreife ich einfach nicht!« »Bemühen Sie sich erst gar nicht. Sie werden uns nie verstehen.« »Waren Sie auch drüben auf Exuma Island?« wollte der Anwalt wissen. »Leider nicht«, fauchte sie, »sonst wäre vielleicht manches anders gelaufen.« »Kennen Sie eigentlich Miß Judy Holcomb?« erkundigte sich der
Anwalt. »Sie war drüben auf Exuma Island so etwas wie der weibliche Boß. Rothaarig, etwas füllig!« »Miß Holcomb wird Ihren Weg kreuzen!« »Wie schöne, herrliche Aussichten«, sagte Rander, »sie muß ziemlich böse auf Mr. Parker und auf mich sein, wie?« »Sie haßt Sie!« »Und wie geht es der brünetten Liz?« »Fragen Sie nicht, machen Sie schon das Ende«, sagte sie leise. »Ich weiß, daß ich sterben muß!« »Natürlich, wer muß das nicht. Aber in dieser Hinsicht dürfen Sie von mir nichts erwarten!« »Sie wollen mich nicht töten?« fragte sie überrascht. »Ich denke nicht daran«, sagte der Anwalt, »ich bin doch kein Henker! Sie verwechseln mich mit Mr. Beimond, scheint mir… Ihr Chef… Nun ja, das ist ein Massenmörder. Aber das scheint Ihnen ja bisher nichts ausgemacht zu haben.« »Töten Sie mich! Ich habe versagt!« »Ach, Unsinn!« tadelte der Anwalt. »Sie wissen doch überhaupt noch gar nicht, was das Leben ist! Von mir aus können Sie gleich gehen. Ich möchte nur noch warten, bis mein Butler zurück ist!« »Sie werden ihn nicht mehr lebend sehen!« »Wie war das?« »Er ist um diese Zeit bereits gerich14 �
tet«, sagte das Zimmermädchen voll haßerfüllter Freude. »Der ›Herr der Welt‹ rechnet mit jedem Feind und Verräter ab!« »Er rechnet ab! Er drückt sich doch nur. Er schickt kleine Mädchen los. Warum kommt er nicht selbst? Wohl zuviel Angst, wie?« »Er hat für solche untergeordneten Aufgaben einfach keine Zeit«, blitzte sie wütend zurück, »ich dulde es nicht, daß Sie ihn beleidigen!« »Wann sind Sie zum letzten Mal beim Psychiater gewesen?« fragte Mike Rander kopfschüttelnd, »ich denke, wir lassen Sie mal ärztlich untersuchen!« »Wagen Sie es nicht!« reagierte sie giftig. »Sie verkennen die Situation«, meinte der Anwalt ironisch. »Sie haben doch hier versagt, wie Sie sich eben ausgedrückt haben!« »Nein!« erwiderte sie leise. Dann stöhnte sie plötzlich, riß weit die Augen auf und fiel förmlich in sich zusammen. Mike Rander beugte sich über sie. Doch er wußte bereits, daß sie sich selbst getötet hatte! * »Ich fürchte, Brown hat nicht übertrieben«, sagte Mike Rander eine Viertelstunde später zu seinem Butler, »die Treibjagd hat begonnen, Parker. Wir werden uns schnellstens
absetzen.« »Und immer verfolgt werden, Sir, wenn ich mir diesen Hinweis erlauben darf.« »Doch, daran glaube ich jetzt auch«, pflichtete der Anwalt seinem Butler bei, »aber wir wollen uns wenigstens in einem Landstrich begegnen, wo keine unschuldigen Menschen gefährdet werden. Was machen wir mit dem Zimmermädchen?« Er deutete auf das Girl, das regungslos vor dem Sessel lag. »Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, Sir, so sollte man Mr. Brown verständigen. Seine Leute dürften den geeigneten Ausweg finden, zumal Sie ja keinen besonderen Wert auf das Erscheinen der Polizei legen.« »Diesmal wirklich nicht«, bestätigte der Anwalt. »Okay, ich werde ihn anrufen!« »Möglicherweise unten von der Halle aus, Sir!« »Gut, einverstanden«, sagte der Anwalt und nickte, »wir gehen dann rauf, packen und setzen uns schleunigst ab. Palm-Beach ist mir gründlich verleidet.« Die beiden Männer verließen das Apartment und fuhren mit dem Lift nach unten. Während Rander nach der Wahl einer Geheimnummer mit Mr. Brown telefonierte, inspizierte der Butler die belegte Hotelhalle. Viele Feriengäste trudelten durch 15 �
den großen Raum. Es war selbst nur mit einiger Sicherheit kaum zu sagen, wer in Diensten des »Herrn der Welt« stand. Da gab es neben den Männern bunt geschmückte, ältere Damen mit den obligaten Rosenhütchen und Perlenketten, da gab es sexreiche, junge Frauen, da gab es… Parkers Blick fiel auf eine Dame, die, gerade auszuziehen schien. Sie mochte etwa zwanzig Jahre alt sein, war blond und sah ungemein attraktiv aus. Sie bewegte sich mit ungezwungener Natürlichkeit und übersah die bewundernden Blicke, die ihr galten. Parker hatte das Gefühl, diese junge Dame schon einmal gesehen zu haben. Keineswegs hier im Hotel, sonder möglicherweise auf einer Insel, die er niemals vergessen würde. Gehörte diese junge Dame zu den Henkern des Supergangsters? Als sie durch die Glastür hinüber zur Freitreppe schritt, erkundigte sich der Butler an der Rezeption nach ihr. »Miß Jill Carvon«, sagte der Empfangschef mit leiser Stimme, »unverständlicherweise reist sie bereits wieder, obwohl sie doch gerade erst angekommen ist!« Parker ließ einen recht ansehnlichen Geldschein in die willige Hand des Empfangschefs gleiten. »Woher kommt Miß Carvon?«
fragte er dann weiter. »Sie kam aus Los Angeles und reist weiter nach New York«, lautete die Auskunft. »Eine bezaubernde, junge Dame, nicht wahr?« »In der Tat«, pflichtete der Butler dem Mann bei. Dann beeilte er sich, ebenfalls die Halle zu verlassen. Aus wohlerwogenen Gründen kümmerte er sich nicht weiter um seinen jungen Herrn. Die junge Jill Carvon war jetzt wesentlich interessanter. Draußen vor dem Hotel stieg sie gerade in ein Taxi. Parker merkte sich das Kennzeichen dieses Wagens, eilte zurück in die Halle und winkte den Empfangschef noch einmal diskret zu sich heran. »Bin ich richtig in der Annahme, daß Miß Carvon neben dem Apartment meines jungen Herrn wohnte«, fragte er. Die Auskunft lautete positiv. Butler Parker bedankte sich durch ein Kopfnicken, eilte zum Lift und fuhr hinauf in das zweite Stockwerk. Er blieb vor der verschlossenen Tür sehen, hinter der Jill Carvon gewohnt hatte. Dann griff er ungeniert nach seinem Patentbesteck, öffnete es und schob es in das Schlüsselloch. Innerhalb weniger Sekunden öffnete sich die Tür. Parker blickte hinüber zur Wand. Und entdeckte sofort, wonach er im Grunde gesucht hatte. An der Wand, die die beiden 16 �
Apartments voneinander trennte, klebte der Hutkoffer der Jill Carvon. Auf Zehenspitzen näherte sich der Butler diesem schwarzen Hutkoffer und schob sein Ohr vor. Im Koffer tickte es monoton! Parker wußte Bescheid. Hier war höchste Eile geboten. Er hatte ja keine Ahnung, wann der Zeitzünder reagieren würde. Er wußte nicht einmal, um welches System es sich handelte. Er durfte noch nicht einmal das Risiko eingehen, die Hutschachtel zu öffnen. Er löste den Koffer vorsichtig von der Wand. Die starken Saugknöpfe machten ihm die Arbeit schwer. Parker hatte das Gefühl, daß der Zeitzünder immer schneller tickte. Schneller und lauter! Ein schlechtes Zeichen! Er trug den Hutkoffer hinüber zum Balkon, schob die nur angelehnte Tür mit der Schuhspitze vollends auf und sah hinunter. Im Garten des Hotels befand sich ein Swimming-pool, nicht besonders groß, doch ausreichend, um gut zwanzig schwimmende und plantschende Menschen aufzunehmen. Im Moment war dieser Swimmingpool leer. Es ging auf Mittag zu, und man zog sich um. Parker nutzte diese Chance. Wie ein Baseballspieler holte er aus und warf die Hutschachtel hoch in die Luft. Dann verfolgte er ihre Flugbahn. Sie erreichte den Gipfelpunkt,
senkte sich, und dann landete die Hutschachtel prompt und zielsicher im Swimming-pool. Sie verschwand unter der Wasseroberfläche, tauchte auf, schaukelte ein wenig in den sanften Wellen und barst dann mit einem gewaltigen Knall auseinander. Die Detonation verursachte eine haushohe Wassersäule. Die Druckwelle ließ Fensterscheiben zersplittern. Kacheln wurden aus dem Swimming-pool hochgerissen und verwandelten sich in gefährliche Geschosse, die aber erfreulicherweise keinen Schaden anrichteten. Parker nickte zufrieden und trat zurück in das Apartment. Als er draußen auf dem Korridor war, auf dem sich bereits die ersten erschreckten Hotelgäste versammelten, kam ihm Mike Rander entgegen. »Ich fürchte, Sir, draußen im Swimming-pool muß eine Art Seemine detoniert sein«, berichtete der Butler, »ein Grund mehr, schleunigst diese ungastliche Stätte zu verlassen.« »Wir können sofort losfahren«, sagte Mike Rander. »Brown läßt die Tote im Apartment abholen.« »Wurden irgendwelche Abmachungen getroffen, Sir?« »Ich weiß schon, worauf Sie hinaus wollen, Parker«, Mike Rander schmunzelte, »ich habe Brown erklärt, daß wir weitermachen werden. Sonst werden wir ja niemals 17 �
Ruhe haben.« »Ein Entschluß, Sir, zu dem zu gratulieren ich mir die Freiheit nehme«, erwiderte der Butler. »Wenn ich dann also packen darf?« Sie gingen zurück in ihr Apartment. Sehr vorsichtig übrigens. Es konnte ja sein, daß Miß Jill Carvon einige zusätzliche Überraschungen hinterlassen hat. Doch sie blieben aus. Dafür meldete sich das Telefon. »Bei Mr. Rander«, meldete sich Parker, nachdem er abgehoben hatte. »Eine Botschaft für Mr. Rander und Josuah Parker«, sagte eine leidenschaftlose, fast unterkühlte Frauenstimme. »Der ›Herr der Welt‹ hat bisher nur mit Ihnen gespielt. Ab sofort beginnt die Vernichtung!« »Wie…?« fragte Josuah Parker gedehnt zurück, »reicht Ihrem Herrn und Meister denn nicht das, was man gemeinhin eine Pleite nennt und die sich draußen auf Exuma Island abgespielt hat?« Nach dieser Antwort legte der Butler auf und traf alle Vorbereitungen für die Abreise. Mike Rander telefonierte unterdessen noch einmal mit Mr. Brown und berichtete ihm von jener Miß Jill Carvon, die ein fulminantes Feuerwerk hinterlassen hatte. Er bat feststellen zu lassen, wohin der Taxifahrer sie gebracht hatte. »Parker und ich melden uns von Okeechobee«, schloß der junge
Anwalt. »Passen Sie höllisch auf sich auf«, warnte Mr. Brown, »diese Fahrt kann mit gepfefferten Überraschungen gepflastert sein!« »Wir rechnen sogar fest damit«, erwiderte der Anwalt, »aber bevor wir losfahren, kauft Parker noch eine Spezialkarte. Sie wissen ja, wie gründlich er ist! Er möchte mit einigen Gegenüberraschungen aufwarten!« * Vor der Abfahrt studierte Parker die Detailkarte. Auf ihr war praktisch jede Bodenerhebung, jedes Waldstück und jedes Haus verzeichnet. Mit nur etwas Fantasie ließ sich der Weg zum Binnensee also vorausberechnen. Vorausberechnen ließen sich auch alle jene Stellen, die für einen Überfall besonders geeignet waren. »Parker, wir sollten auf die üblichen Spielereien verzichten«, warnte Mike Rander, nachdem der Butler kurz vor dem Verlassen der Stadt sich noch ausgiebig in einem Scherzartikelgeschäft umgesehen hatte. »Wir haben es zwar mit Frauen zu tun, aber jede von ihnen ist ein potentieller Mörder!« »Ich vergesse dies keineswegs, Sir«, gab der Butler zurück und rückte sich stocksteif vor dem Steuerrad zurecht, »aber auf der anderen 18 �
Seite möchte ich, wie es üblich ist, auf jede sinnlose Gewalt verzichten.« »Ich habe mir die Streckenführung der Straße angesehen, Parker, mir ist schon jetzt flau im Magen.« Mike Rander kontrollierte noch einmal seinen schweren 45er und legte ihn griffbereit in den Schoß. Dann sah er mißtrauisch auf den Butler, der den Mietwagen, der ihnen von Mr. Brown zur Verfügung gestellt worden war, anrollen ließ. Sie folgten dem West Palm Beach Canal, der vom Atlantik praktisch bis zum Okeechobee führte. Es handelte sich um eine erstklassig ausgebaute Straße, die um diese Zeit noch sehr belebt war. Je weiter sie sich aber von der Küste entfernten, desto spärlicher wurde der Verkehr. Nebelbänke aus den nahen Sümpfen bremsten das Tempo. Parker hatte längst die Scheinwerfer eingeschaltet. »Ich möchte wetten, daß wir Meile für Meile beobachtet werden«, sagte der junge Anwalt, der sich immer wieder nach Verfolgern umsah, »mit welchem Ärger rechnen Sie denn nun eigentlich, Parker?« »Ich würde sagen, Sir, daß ich mich überraschen lasse. Konkret gesagt, glaube ich allerdings, auf eine Straßenumleitung zu stoßen. Man wird versuchen, Sie und meine bescheidene Wenigkeit von der Hauptstraße wegzulocken.«
»Ihre Ruhe möchte ich ha… Moment, das da ist doch bereits eine Umleitung, oder…?« Mike Rander hatte sich keineswegs getäuscht. Die Straße war blockiert. Ein umgestürzter Lastwagen machte die Durchfahrt unmöglich. Polizei hatte die Unfallstelle abgesperrt. Ein Löschzug der Feuerwehr mühte sich ab, brennendes Benzin auf der Straße einzuschäumen. Dieser Unfall konnte noch nicht alt sein. »Dort ist bereits die Umleitung, Sir«, stellte der Butler fest, »die Polizei winkt in eine Nebenstraße ein!« »Halten Sie mal kurz am Posten an«, sagte der Anwalt, kurbelte das Wagenfenster herunter und schob den Kopf nach draußen. »Was ist denn das für eine Umleitung?« erkundigte er sich. »Höchstens sechs Meilen, Sir«, antwortete der Polizeiposten. »Fahren Sie langsam, die Straße ist nicht ausgebaut und bewegt sich durch Sumpfgelände.« »Das ist doch heller Wahnsinn, diesen Weg zu nehmen«, schimpfte der Anwalt, nachdem sie wieder angefahren waren, »wir fahren direkt in die Falle. Wir wissen es und tun es trotzdem!« »Gewiß, Sir, aber um den bewußten Damen eine kleine Lektion zu erteilen!« »Ich weiß, Ihr Optimismus ist nie zu bremsen.« 19 �
Mike Rander kontrollierte erneut seinen 45er und entsicherte ihn. Er wollte kein Risiko eingehen. Er sah aus dem Wagenfenster und war überhaupt nicht zufrieden. Zu beiden Seiten dieses unausgebauten Feldweges standen die dichten, tropischen Büsche und Sträucher wie eine undurchdringliche Mauer. »Mit ‘ner Panzerfaust räuchern die uns doch sofort aus«, murmelte der Anwalt, »ich wüßte schon, wie ich’s machen müßte!« »Sir, in wenigen Minuten dürften Sie und meine bescheidene Wenigkeit die bewußte Falle erreicht haben«, meldete der Butler, der den Weg plus Umleitung genau im Kopf hatte, »die Straße erweitert sich zu einem kleinen Platz, der von zwei Seiten von einem sumpfartigen Tümpel umschlossen wird!« »Mann halten Sie an!« Rander sah seinen Butler gereizt an, »Sie sind doch wohl nicht scharf auf ein Moorbad, oder?« »Bei gewissen Gelenkerkrankungen, Sir, sollen Moorbäder durchaus und förderlich empfehlenswert sein«, stellte der Butler fest. »Meine Gelenke sind aber bestens in Ordnung«, schimpfte der Anwalt, »auf was habe ich mich da wieder eingelassen! Sie sind noch mein Ruin, Parker!« »Die Amazonen, Sir!« meldete Parker und schaltete im gleichen
Moment die Scheinwerfer des Wagens aus. »Wo?« erkundigte sich Mike Rander. »Dort an der Brücke, die wir passieren müssen, falls wir weiterhin die Straße benutzen wollen!« »Ich sehe nichts!« murrte der Anwalt schlecht gelaunt. Bruchteile von Sekunden später fügte er grinsend hinzu, »aber ich höre dafür etwas. Könnte ein Granatwerfer sein.« »Es ist ein Granatwerfer, Sir«, stellte der Butler fest, »ein Irrtum dürfte mit Sicherheit ausgeschlossen werden.« Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als das erste Geschoß dicht neben dem Wagen krepierte! * Die ›Werferstellung‹ der Damen befand sich in einem kleinen Bodenkessel, der von Sträuchern umgeben war. Oben, am Rand dieses Kessels, hatte sich Jill Carvon aufgebaut. Sie leitete das Feuer und korrigierte die Einschläge. Sie, wie die übrigen vier jungen Damen, trugen schwarze Lederkleidung. Sie hätten selbst in dieser Kleidung auf jedem Laufsteg Furore gemacht und Aufsehen erregt. Mit einen Satz: sie sahen ungemein attraktiv aus. Man hätte sie umschreibend als schwarze 20 �
Todesengel bezeichnen können, denn der Tod war es, den sie verbreiten wollten. »Volltreffer!« meldete Jill Carvon leidenschaftlos zu ihren Freundinnen im Bodenkessel hinunter, »weitermachen. Die beiden Gegner sind möglicherweise ausgestiegen!« Granate auf Granate verließ das Rohr des mittelschweren Werfers. Die vier jungen Damen waren erstklassig ausgebildet. Sie hätten es mit einem Militärteam ohne weiteres aufnehmen können. Jill Carvon hatte auf diesen Moment nur gewartet. Sie wußte natürlich längst, daß ihr Bombenanschlag auf das Apartment der beiden Männer nicht geklappt hatte. Diese Panne, wie sie es nannte, wollte sie natürlich ausgleichen. Zudem ging es ihr um die Anerkennung durch den »Herrn der Welt«. Irritiert nahm sie den Kopf herum, als sie plötzlich hinter und unter sich ein wildes Geschrei hörte. Sie glaubte ihren Augen nicht zu trauen. Die vier jungen Damen am Werfer führten plötzlich wilde Tänze auf, schlugen um sich und produzierten nach wie vor laute, schrille Schreie. Dann jagten sie zum Rand des Kessels hoch und schlugen sich seitlich in die Büsche. Jill Carvon war entsetzt. Solch eine Disziplinlosigkeit hatte sie noch nie erlebt.
Sie wollte gerade einen harten Befehl erteilen, als ihre Augen sich entsetzt weiteten. Eine Anzahl glitschiger Frösche und eine gleichgroße Anzahl widerlicher Ratten hüpfte, strampelte und krabbelte zum Hang hinauf. In dieser Sekunde war es mit ihrer Fassung aus. Gewiß, sie hatte keine Angst, sich mit einem Mann zu messen. Doch dieses widerliche Getier verursachte ihr Übelkeit. Sie sprang aus der Deckung hoch und rannte zurück zum Wagen, der hinter einem verfallenen Gehöft jenseits der Brücke stand. Sie kam nicht weit! Plötzlich verfingen ihre Beine sich in einem dünnen Stolperdraht. Hoch warf sie die Arme in die Luft. Sie versuchte sich an den Luftmolekülen festzuhalten, doch die erwiesen sich als nicht belastbar. Krachend landete Jill Carvon schließlich auf dem Bauch und hatte dabei das Pech zusätzlich in eine moorige Pfütze zu fallen. Bevor sie sich aufrichten konnte, glitt ein übelriechender Kartoffelsack über ihren Oberkörper. Schnelle Hände wickelten einen Strick um ihre aktionseingeschränkten Arme und Hände. Innerhalb weniger Sekunden erinnerte sie an ein Stück Frachtgut. »Das wär’s«, sagte eine lässige Männerstimme, »ich denke, Parker, 21 �
wir haben jetzt alle eingesackt!« »In der Tat, Sir«, erwiderte die zweite Männerstimme, »wenn Sie erlauben, werde ich jetzt den Wagen der fünf Damen holen.« Nun wußte Jill, daß sie nicht allein außer Gefecht gesetzt worden war. Auch ihre vier Freundinnen befanden sich demnach in jeweils einem Kartoffelsack. Tränen der Wut, der Scham und der Enttäuschung schossen aus ihren Augen. Sie hatte sich doch alles so genau errechnet, hatte alle Eventualitäten einkalkuliert und sogar dafür gesorgt, daß der Lastwagen auf der Hauptstraße brannte, damit der Verkehr über diese Straße hier umgeleitet werden mußte. Was würde der »Herr der Welt« dazu sagen? Würde er auf diese zweite Panne reagieren? Sie hörte einen näher kommenden Wagen. Dann hoben starke Arme sie in den Fond des Wagens hinein. Sie spürte links und rechts neben sich je eine Partnerin. Am Klappen des Kofferdeckels war dann unschwer zu erraten, daß die beiden restlichen Mitarbeiterinnen im Kofferraum gelandet waren. »Fahren Sie los, Parker«, sagte die lässige Stimme, »erstaunlich, wie allergisch diese Amazonen doch auf Spielfrösche reagieren. Von den mechanischen Ratten und Mäusen einfach ganz zu schweigen. Ich sagte
Ihnen doch, Parker, wir haben es mit schwachen Frauen zu tun!« * »Ein Verhör ist doch völlig sinnlos«, sagte Mike Rander eine gute Stunde später, als sie eine Rast einlegten, »die Mädchen halten den Mund. Lieber bringen sie sich um!« »Ich erlaube mir, Sir, mich Ihrer Meinung anzuschließen.« »Die Frage ist, wo wir sie erst mal festsetzen«, redete der junge Anwalt weiter, »ich möchte diese Amazonen nicht weiterhin im Nacken haben. Ob wir Brown verständigen sollen?« »In jedem Fall, Sir…! Meiner bescheidenen Ansicht nach sollte Ihr früherer Chef für einige ausgezeichnete Männer Sorge tragen.« »Parker, was haben Sie vor?« wollte der Anwalt wissen. »Wenn Sie glauben, daß die fünf Damen urlaubsreif sind, sind Sie auf dem Holzweg.« »Diese ausgezeichneten Männer sollten die fünf Damen überwachen und beschatten, Sir…!« »Wollen wir sie freilassen?« »Nicht hier, Sir, vielleicht in der Nähe von West Palm Beach.« »Ausgeschlossen, wir fahren nicht noch einmal zurück…!« »Nur die Damen, Sir, wenn ich mir diesen Hinweis und diese Korrektur erlauben darf.« Dann deutete er auf einen Lastwagen, der ebenfalls auf 22 �
dem Parkplatz des Schnellimbiß stand, »dieser Wagen fährt in Richtung Palm Beach. Er könnte die Amazonen ja mitnehmen. Ohne etwas davon zu ahnen…!« »Sie bewegen sich wieder mal am Rande der Legalität«, stellt der Anwalt lächelnd fest, »aber gut, Brown wird ja verständigt… Er soll dafür sorgen, daß die Mädchen in Palm Beach entwischen können. Wie bekommen wir die Granatwerferinnen aber in den Truck?« »Sie könnten die beiden Fahrer ja möglicherweise in ein Gespräch verwickeln, Sir. Länger als drei bis fünf, höchstens aber sieben Minuten brauche ich für das Umladen wirklich nicht.« Rander grinste, nickte und ging zum Schnellimbiß hinüber. Parker hingegen schritt würdevoll zu dem Beutewagen zurück, in dem sich die fünf Amazonen befanden. Er kontrollierte die Verpackung und wollte zum Truck hinübergehen, als Jill Carvon sich meldete. Ihre Stimme klang erstickt und dumpf, da der Kartoffelsack, in dem sie sich befand, verständlicherweise keine Akustik aufwies. »Wenn Sie uns sofort freilassen, Mr. Parker, werde ich dafür sorgen, daß Sie ungestört bleiben«, versprach sie ohne jede Überzeugungskraft. »Ist das ein verbindlicher Vorschlag, den auch Ihr Bandenchef
unterschreiben würde?« erkundigte sich der Butler. »Er wird unterschreiben«, behauptete Jill Carvon. »Dieses Risiko möchte ich lieber nicht eingehen«, sagte Parker, »ein müder, alter und verbrauchter Mann wie ich braucht seine Ruhe…! Sie werden nichts dagegen haben, wenn wir Sie nun in den Norden schicken. Kostenlos übrigens und frei Haus…!« »Was… was haben Sie mit uns vor?« fragte Jill Carvon aus dem Kartoffelsack heraus. »Nur eine kleine Reise, quasi ein Betriebsausflug…! Wir möchten unsere Spuren endgültig verwischen… Wenn ich also mit Ihnen beginnen darf…!?« Er bugsierte sie aus dem Wagen und ließ sie zum Truck hinübertrippeln. Sie konnten sich ungestört bewegen, denn inzwischen war es dunkel und dazu noch nebliger geworden. Als Parker sich anschickte, die hintere Tür des Trucks zu öffnen, hörte er plötzlich das Aufheulen eines Motors. Fast synchron dazu hackte eine Maschinenpistole los. Er warf sich zu Boden, seine Gefangene mit sich reißend. Die Geschosse schlugen in die Rückseite des Trucks. Einer der schweren Zwillingsreifen platzte donnernd auseinander. Parker zog den Kartoffelsack in 23 �
Deckung und wartete erst einmal ab. Der Nebel ließ drüben am Beutewagen keine Einzelheiten erkennen. Doch jetzt flammten die Scheinwerfer dieses Wagens auf, wanderten durch die Nebelwände und wurden schnell schwächer. Ein Zweifel war ausgeschlossen, die vier Amazonen waren entführt worden. Wahrscheinlich von Mitarbeiterinnen, die erst jetzt hatten nachstoßen können. »Auf Sie, Jill Carvon, wird man wohl verzichten müssen«, stellte der Butler fest und zog seine blonde Last in ein Gebüsch, da aus dem Schnellimbiß handfeste Männer hervorkamen, die durch die Schießerei aufgescheucht worden waren. »Das ändert meine Pläne allerdings erheblich«, sagte der Butler leise zu Jill Carvon, »Sie werden verstehen, wenn ich Sie unter diesen Umständen nicht gehen lassen kann…!« »Ich werde Sie umbringen«, lautete die nicht gerade freundlich zu nennende Antwort der jungen Amazone, »dafür werden Sie bezahlen…!« * Sie benahm sich recht manierlich, als Mike Rander und Josuah Parker sie in den Bungalow brachten, den der Butler für einige Tage gemietet hatte. Dieser Bungalow stand hart am Ufer des Sees und verfügte über
einen eigenen Landesteg und über ein im Preis einbegriffenes Motorboot. Jill Carvon gab sich vollkommen gelassen. Es schien ihr plötzlich nichts mehr auszumachen, daß die beiden Männer sie für ein paar Urlaubstage eingeladen hatten. »Wir werden Sie über Nacht natürlich daran hindern müssen, den Bungalow zu verlassen«, meinte Anwalt Rander lächelnd. »Vielleicht machen Sie uns in der Richtung ein paar Vorschläge. Sie sollen sich möglichst als unser Gast fühlen.« »Was versprechen Sie sich von diesem Kidnapping?« erkundigte sich Jill Carvon und lächelte äußerst charmant zurück. »Glauben Sie, ich werde früher oder später reden?«. »Damit rechnen wir keineswegs…!« »Was wollen Sie also?« »Sie einmal aus der Nähe studieren, falls ein alter Mann wie meine bescheidene Wenigkeit das wohl sagen darf«, schaltete der Butler sich ein, »es ist und bleibt rätselhaft, wie eine junge Dame, die Sie doch zweifelsfrei sind, sich einem Verbrecher verschreibt.« »Das werden Sie niemals verstehen«, gab sie zurück. »Geben Sie sich keine Mühe, das zu ergründen!« »Sie müssen doch unter einem seltsamen, fremden Zwang stehen.« »Denken Sie etwa an Hypnose?« erwiderte sie auflachend. Sie 24 �
benahm sich wie ein lieber Feriengast. »Eine Hypnose wäre in der Tat nicht auszuschließen.« »Ihr ›Herr der Welt‹, wie er sich nennt, ist und bleibt doch ein Gangster«, übernahm Mike Rander nun wieder das Wort, »wir wissen aus erster Quelle, wer dieser Herbert Hallow ist, oder Beimond, gleich, wie er sich nennen mag! Er ist und bleibt ein Verbrecher!« »In Ihren Augen vielleicht… Ich sehe ihn anders…!« »Sollte Jill Carvon sich in ihn verliebt haben?« fragte Josuah Parker, sich an seinen jungen Herrn wendend. »Ausgeschlossen«, antwortete der Anwalt, »soviel Charme hat der Gangster nicht! Es ist ausgeschlossen!« »Zumal es sich doch um junge Damen von und mit Geschmack handelt«, stellte der Butler fest. Er sah Jill Carvon einen Moment prüfend an und fügte dann hinzu: »oder sollte der ›Herr der Welt‹ Sie etwa chemisch beherrschen?« Jill Carvon antwortete jetzt nicht. Sie sah den Butler nur sehr aufmerksam an. »Chemische Beherrschung?« echote Mike Rander, der sich an Parkers Spiel sofort beteiligte. »Denken Sie an Pillen, Tropfen oder Injektionen? Wäre durchaus möglich!« »Ich erlaube mir, Sir, an gewisse
Psychodysleptika zu denken«, gab der Butler zurück. »Es handelt sich dabei um Drogen, die eine enorme Wirkung auf die Psyche erreichen. Nicht wahr, Miß Carvon?« »Lassen Sie mich endlich in Ruhe«, brauste sie überraschenderweise auf. »Ich habe Kopfschmerzen… ich möchte schlafen!« »Ich bereite Ihnen das Lager, Miß Carvon. Vorher überlassen wir Ihnen gern den Duschraum!« Sie war durchaus einverstanden mit diesem Vorschlag. Ja, sie schien es sogar eilig zu haben, sich zurückziehen zu können. Mit schnellen Schritten folgte sie dem Butler in den Duschraum und sah sich hier prüfend um. »Das einzige Fenster ist vergittert«, erklärte der Butler, »ein Fluchtversuch wäre also durchaus Kraftverschwendung! Sobald Sie sich gerichtet haben, sollten Sie sich durch Klopfzeichen verständlich machen!« Er schloß die Tür hinter dem Raum und schritt würdevoll zu seinem jungen Herrn zurück. Mike Rander schüttelte nachdenklich den Kopf. »Wir hätten sie nicht allein lassen dürfen«, meinte er, »denken Sie an die Amazone, die sich in meinem Hotelzimmer umgebracht hat!« »Gelegenheit zu einem Selbstmord war ausreichend für Miß Carvon vorhanden«, stellte der Butler fest, »sie hat ihn bisher tunlichst vermie25 �
den, Sir. Zudem verbietet es die Schicklichkeit, Miß Carvon ununterbrochen unter Augenkontrolle zu haben.« »Haben Sie ihre Reaktion bemerkt, als Sie von diesen Psychodrogen sprachen? Ob da der Hase im Pfeffer liegt, Parker?« »Ich bin dessen fast sicher, Sir!« »Dann müßte sie doch von diesem Zeug bei sich haben.« »Das vermute ich sehr, Sir. Eine genaue Untersuchung verbietet sich aber leider, wir haben es mit einer jungen Dame zu tun.« »Dann muß Brown her. Soll er sich mit der Carvon befassen! Er wird Mittel und Wege kennen, die Kleine genau untersuchen zu lassen.« »Vielleicht kommt es zu einem sehr schnellen Zusammenbruch«, sagte der Butler. »Wieso? Was haben Sie jetzt schon wieder ausgeheckt?« »In meinem schwarzen Spezialkoffer, Sir, befinden sich ebenfalls einige wirkungsvolle Drogen. Eine davon werde ich Miß Carvon in den Tee geben. Sie darf danach mit einem tiefen, festen und auch gesunden Schlaf rechnen.« »Na gut, Parker, übernehmen Sie das! Moment, wo wollen Sie denn hin?« »Ich möchte mir ein wenig die Füße vertreten, Sir, zudem fühle ich mich angehalten, die nähere Umgebung zu kontrollieren. Vergessen Sie
keineswegs, daß vier andere Amazonen befreit wurden. Sie und ihre Befreier befinden sich nach wie vor hier in der Nähe des Sees. Ich rechne fest mit wirkungsvollen Überraschungen.« »Na, ich denke, wir haben unsere Spuren mehr als gründlich verwischt.« »Dennoch, Sir, erlaube ich mir, zur Vorsicht zu raten!« »Schön, dann werde ich auf Miß Carvon aufpassen! Erstaunlich, daß Sie mich mit ihr allein zurücklassen. Ich kenne doch Ihre Grundsätze.« »In diesem Fall, Sir, kommen mir keineswegs Bedenken. Miß Carvon ist im Moment noch fest an ihren Gangsterchef gebunden.« Parker verbeugte sich vor dem verblüfften Mike Rander und verließ den Bungalow. Draußen herrschte inzwischen totale Finsternis. Dichte Sträucher und Büsche versperrten die Sicht hinüber zu den Hotelkomplexen. Nur weit draußen auf dem See waren einige erleuchtete Glasboote auszumachen, die gleich riesigen Glühwürmchen durch die Nacht zogen. Der Nebel hob sich von Minute zu Minute immer mehr. Die Nacht versprach klar und frisch zu werden. Auf mehr als leisen Sohlen pirschte der Butler sich an das vergitterte Fenster des Waschraumes heran. Es lag ihm selbstverständlich fern, einen Blick in diesen Raum zu tun. 26 �
Solch eine Heimlichkeit hätte er sich niemals verziehen. Nein, ihn interessierte es, was die junge Dame wohl draußen am Fensterrahmen befestigt haben könnte. Nun, er fand schnell, wonach er suchte. Es handelte sich um eine Metallkapsel, die nicht größer war als ein Lippenstift. Sie hing tief unten am Gitter. An diesem lippenstiftähnlichen Gegenstand baumelte eine Antenne, die nicht länger als ein normales Halskettchen war. Parker wußte Bescheid. Sein Instinkt hatte ihn wieder nicht getrogen. Er hatte die ganze Zeit über geahnt, daß die junge Dame mit den blonden Haaren nur darauf aus war, Mike Rander und ihn ans Messer ihrer Amazonenfreundinnen zu liefern. Parker pflückte den lippenstiftähnlichen Gegenstand vom Ziergitter ab und verschwand dann zwischen den Büschen. Was durchaus verständlich war, denn er hatte wieder einmal einen Plan, den er sofort in die Tat umsetzen wollte! * Vier in Leder gekleidete Amazonen, jung, sportlich und durchtrainiert, gierten förmlich danach, Mike Rander und diesen Josuah Parker zu erledigen. Sie wußten längst, wo sich die bei-
den Männer ungefähr aufhielten. Sie saßen in einem Lastlieferwagen, der von außen harmlos aussah, im Innern aber bequem und dennoch zweckmäßig eingerichtet war. Es gab zum Beispiel ein Funkgerät, mit dem sich messerscharfe Peilungen durchführet ließen. Dieses Funkgerät nahm bereits seit geraumer Zeit regelmäßige Funksignale auf. Die Leiterin dieses Unternehmens studierte die Karte, während die Peilungen laufend vorgenommen wurden. Von Viertelstunde zu Viertelstunde konzentrierten sich alle Peilungen immer mehr auf einen bestimmten Uferstreifen. »Es muß sich um einen dieser Einzelbungalows hart am Ufer handeln«, stellte Judy Holcomb fest, jene etwa fünfundzwanzigjährige, etwas füllige Frau, die auf Exuma Island schon einmal eine beherrschende Rolle gespielt hatte. »Wir fahren näher an das Ufer heran und machen dann den Bungalow genau aus!« »Wir müssen mit einer Falle rechnen«, warnte Joe Claron, ein etwa dreißigjähriger Mann, dessen nach wie vor schneeweißen Zähne mit dem Tiefbraun seiner Haut konkettierten. Auch Joe Claron hatte auf der Ferieninsel schon einmal seine Rolle gespielt. Nach außen hin als Leiter einer Feriensiedlung, in Wirklichkeit aber als Chef der Raketensicherung. 27 �
Joe Claron saß am Steuer des Kastenwagens. Er hatte sich als Verkaufsfahrer getarnt und konnte es wie seine Partnerin Judy kaum erwarten, sich an Josuah Parker zu rächen. Diesem Mann war es ja schließlich zu verdanken gewesen, daß der Raketenangriff auf die Staaten praktisch in letzter Sekunde hatte verhindert werden können. Joe Claron wie auch Judy Holcomb wollten sich ihrem Boß gegenüber bewähren. Sie wußten, daß sie auf seiner Todesliste ganz obenan standen, falls sie erneut versagten. Nach einer weiteren halben Stunde war das genaue Ziel ausgemacht. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Die vier in Leder eingepaßten jungen Damen machten, sich angriffsfertig. Sie waren überhaupt nicht nervös. Ja, sie schienen sich auf eine erneute Auseinandersetzung mit den beiden Gegnern geradezu zu freuen. Ob das an dem Erfrischungsdrink lag, den sie kurz vor dem Verlassen des Kastenwagens zu sich nahmen, ließ sich nicht feststellen. Aber ihre lächelnden Gesichter wirkten in der fahlen Innenbeleuchtung des Wagens grausam und furchterregend. Auf der Karte sahen sie sich ihr Ziel noch einmal genau an. Dann schlüpften sie nacheinander aus dem Wagen. Ihnen folgten Claron und Judy. Hintereinander marschierend, arbeiteten sie sich durch das sump-
fige Unterholz zielsicher an die Stelle heran, die der Peilsender verraten hatte. Claron hatte einen Miniaturempfänger bei sich. Er brauchte sich bei eingeschaltetem Gerät nur nach der Intensität der empfangenen Impulse zu richten. Wurden die Sendelaute schwacher, mußte der Anmarsch korrigiert werden. Kamen die Peilzeichen laut und mit Maximum herein, dann befanden sie sich praktisch auf dem Leitstrahl, der vom Ziel ausgesendet wurde. »Der Bungalow ist es nicht!« stellte Claron plötzlich erstaunt fest und blieb stehen. Er bog die Zweige eines Strauches zur Seite und deutete auf die Silhouette des Bungalows, der hart am Seeufer deutlich zu erkennen war, »die Peilzeichen kommen recht von uns!« »Wieder so ein schmutziger Trick des Butlers«, stellte Judy Holcomb fest. »Diesmal legt er uns aber nicht herein! Gut, daß Jill den Peilsender bei sich hatte!« Die Mordgruppe änderte die Richtung. Sie bog scharf nach rechts ab. Claron befragte in kurzen Abständen immer wieder sein Empfangsgerät. Er ließ die Peilzeichen einfallen und korrigierte die Marschrichtung. »Jetzt ist gleich das Maximum erreicht«, flüsterte er seiner rothaarigen Begleiterin zu, »wir haben Sie 28 �
fast in der Tasche!« »Aber dort im Unterholz gibt es doch keine Hütte«, flüsterte die Rothaarige zurück. »Eben, die Hütte war ihnen zu unsicher«, erwiderte Claron leise. »Parker ist doch nicht auf den Kopf gefallen. Er will diesmal besonders schlau sein!« »Fertigmachen!« warnte die Rothaarige ihre Mitstreiterinnen, »Feuerüberfall auf die Bodensenke. Es wird gnadenlos geschossen!« »Und was wird aus Jill?« flüsterte Claron der Rothaarigen zu. »Jill darf uns nicht stören, nur das Ziel allein entscheidet. Und das heißt: völlige Vernichtung der beiden Gegenagenten!« Joe Claron überprüfte sicherheitshalber noch einmal die Stärke des Peilstrahls. Nach wenigen Sekunden war er sich seiner Sache vollkommen sicher. Dort unten in der Bodensenke mußten die Gesuchten sich befinden. Dann waren auch bereits Umrisse zu unterscheiden. Gruppiert um ein fast völlig niedergebranntes Feuer, von dem nur noch etwas glühende Asche zurückgeblieben war, erkannten Joe und Judy drei Gestalten, die sich zum Schlafen niedergelegt hatten. »Feuer…!« kommandierte die Rothaarige entschlossen. Und sie war die erste, die den Abzugshahn ihrer Maschinenpistole hart durchriß!
* Die Antwort war erschreckend. Die Amazonen samt Joe Claron preßten sich entsetzt gegen die feuchte Erde und suchten nach einem geeigneten Unterschlupf. Die Antwort bestand nämlich aus einer Geschützsalve, deren Granaten pfeifend und jaulend heranzischten. Untermalt wurde dieses unheimliche Geräusche vom Prasseln von Panzerketten und von Maschinengewehrfeuer. Dazwischen immer wieder Geschützfeuer, das die Trommelfelle der Ohren zu zerreißen drohte. Hinzu kamen die Einschläge. Erdschollen wirbelten durch die Luft. Der beißende Geruch von Qualm, Rauch, Feuer und Pulverdampf strich über das Gelände. Die vier Amazonen und ihr männlicher Begleiter wußten nach der ersten Schrecksekunde schon, daß sie es zumindest mit einer halben, kampfstarken Division zu tun hatten. Dieser Gegenangriff wurde derart konzentriert und entschlossen geführt, daß nur noch schnelle Flucht helfen konnte. Die vier Amazonen kamen dem Absatzbefehl der Rothaarigen sofort nach. Hastig zogen sie sich zurück. Sie schossen nicht mehr. Sie hielten sich die Ohren zu, liefen, stolperten, rutschten aus, fielen hin, rafften sich 29 �
wieder auf und erreichten endlich völlig entkräftet den zurückgelassenen Wagen. Joe Claron und die Rothaarige warfen sich förmlich ins Fahrerhaus. Die vier übrigen Amazonen behinderten sich gegenseitig, als sie den hinteren Teil des Wagens bestiegen. Dann gab Joe Vollgas, zumal gerade in diesem Augenblick tieffliegende Düsenjäger angriffen und aus allen Rohren schossen, wobei sie die Raketen natürlich nicht vergaßen. In einem wahren Höllentempo setzte die Mannschaft sich ab, erreichte die Uferstraße und ließ sich zurück nach Pahokee karren. Die vier Mädchen waren völlig entnervt. Sie sprachen nicht miteinander. Sie starrten sich entsetzt an und wischten sich den feuchten Schmutz von den Wangen. Die Rothaarige rauchte nervös eine Zigarette nach der anderen. Joe Claron schaute immer wieder in den Rückspiegel und wartete auf die Verfolger. Endlich brach er das Schweigen. »Damit war nicht zu rechnen«, stieß er hervor und holte tief Luft, »sie müssen die ganze Zeit auf uns gewartet haben!« »Aber gleich solch eine Armee aufzubieten! Wenn wir nicht so schnell gewesen wären, hätten sie uns erwischt!« »Was wird der Chef dazu sagen?« fragte die Rothaarige sich halblaut
und drückte die gerade angerauchte Zigarette schon wieder nervös aus. »Er wird einsehen müssen, daß wir da nichts machen konnten«, sagte Joe Claron, »aber feststeht, daß dieser Parker unser größter Feind ist!« »Wir müssen ihn so oder so aus dem Weg räumen«, erklärte die Rothaarige und nickte. Dann hielt sie plötzlich warnend den Finger hoch und fügte hinzu: »Jetzt ist es wieder vollkommen ruhig. Sie scheinen uns aus den Augen verloren zu haben!« »Gott sei Dank!« meinte Joe Claron erleichtert und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Das war eine Falle, wie sie im Buche steht!« * »Was war denn das für ein Krach?« erkundigte sich Mike Rander, als Josuah Parker wieder in den Bungalow zurückkehrte. »Hörte sich ja an, als sei eine Armee zum Angriff angetreten.« »Sie kommen mit Ihrer Vermutung Wirklichkeit überraschend der nahe«, antwortete der Butler. »Ich hatte mir die Freiheit genommen, ein Schlachtentonband abzuspielen und es über einen Lautsprecher zu verstärken!« »Wie bitte?« Mike Rander sah seinen Butler erstaunt an. »Ich sah mich gezwungen, die Nachtruhe an diesem stillen Seeufer etwas zu stören«, entschuldigte sich 30 �
der Butler. »Miß Jill war so freundlich, ihren Peilsender draußen am Gitter des Badezimmers zu befestigen. Mit anderen Worten, Sir, das Erscheinen der Amazonen und ihrer Helfershelfer war nur eine Frage der Zeit. Diese Zeit erlaubte ich mir zu nutzen. Ich fand Tonband, Verstärker und Lautsprecher in der Halle eines Beat-Schuppens, wie sich diese Etablissements zur Zeit nennen. Ich entlieh mir die Geräte und setzte sie ein.« »Und woher hatten Sie das Schlachttonband?« Rander grinste wie ein Schuljunge, dem ein besonders guter Streich gelungen ist. »Dieses Band befindet sich stets in meinem kleinen Spezialkoffer«, erläuterte der Butler. »Sie wissen, Sir, daß ich gewisse Überraschungen liebe!« »Sind die Amazonen denn auch aufgetaucht?« »Sie erschienen mit einer Pünktlichkeit und Promptheit, Sir, die schon etwas Rührendes an sich hat! Nach dem Abspielen des Bandes verlor ich leider jeden Kontakt zu den Gegnern, da sie es vorzogen, sich in aller Eile zurückzuziehen.« »Der ›Herr der Welt‹ wird schäumen, wenn er von dieser neuerlichen Pleite erfährt«, meinte der junge Anwalt, »wir machen uns von Tag zu Tag unbeliebter, Parker.« »Und den ›Herrn der Welt‹ damit immer unvorsichtiger, Sir! Er wird,
um bei Ihrem Bild zu bleiben, von Tag zu Tag ärgerlicher auf Sie und auf meine bescheidene Wenigkeit werden. Aus diesem Ärger heraus erwarte ich Blößen, die er sich geben wird. Darf ich übrigens am Rande fragen, wie es unserem Gast geht?« »Miß Carvon schläft bereits«, erwiderte der Anwalt, »gleich nach dem Drink sackte sie weg. Sie liegt drüben im Gästeschlafzimmer.« »Ungesichert, Sir?« erkundigte sich der Butler. »Ich habe mir erlaubt, sie mit einer Handschelle zu schmücken«, antwortete Mike Rander, seinen Butler parodierend. »Wenn Sie uns verlassen will, wird sie das Bett mitnehmen müssen, an dem ich sie festgebunden habe.« »Dann sollte man sich entschließen, Sir, die junge Dame nach Psychodrogen abzusuchen.« »Wie stellen Sie sich das vor?« »Sie müssen sich in irgendeinem Geheimbehälter befinden, Sir.« »Und wie groß stellen Sie sich diesen Behälter vor?« »Da die Amazonen in dauerndem Kontakt mit ihrer Zentrale stehen, dürfte der Vorrat nicht besonders groß sein. Ich möchte annehmen, daß ein aufgebohrter Ring, ein Medaillon oder ein Geheimversteck in einem Schuhabsatz ausreichen müßte.« Die beiden Männer betraten das Gästezimmer, in dem ihr blonder 31 �
Gast tief und fest schlief. Über einem Sessel hing ihr Lederanzug, der keinerlei Taschen aufwies. Auf dem Nachttisch befand sich nicht der geringste persönliche Gegenstand. Neben dem Bett standen die halbhohen, schwarzen Lederstiefel. Parker untersuche diese Stiefelchen sehr genau. Währenddessen spielte Mike Rander mit dem Gedanken, nach dem kleinen Kettchen zu greifen, das sich am Hals der Frau verschoben hatte. »Sir, ich glaube, das Geheimnis bereits entdeckt zu haben«, sagte Parker und deutete auf den linken Stiefel, »dieser Absatz läßt sich bewegen. Wenn Sie sich freundlichst einen kleinen Moment gedulden würden!« Während der Butler noch redete, löste er den Absatz, um ihn dann über einen starken Stahlstift vom Schuh zu lösen. Der Absatz war hohl. In der kleinen Ausbohrung befand sich eine kleine Metallröhre, die keinerlei Aufschrift aufwies. Der Deckel war abzuschrauben. Parker tat es natürlich und schüttete dann vier rosa Dragees in seine geöffnete Hand. »Das dürften die gesuchten Psychodrogen sein, Sir«, meldete er anschließend, »ich kann zu meinem Leidwesen allerdings nicht sagen, um welche Pharmaka es sich handelt. Das müßte man einem Fach-
mann überlassen.« »Wir werden ja sehen, wie Miß Carvon morgen auf den Entzug reagieren wird«, gab der junge Anwalt zurück, »wenn Sie recht haben, Parker, wird sie morgen durchdrehen!« Sie untersuchten den zweiten Absatz, der sich auch abdrehen ließ, doch die Ausbohrung war leer. Wahrscheinlich hatte sie den kleinen Peilsender enthalten. Die beiden äußerlich so ungleichen Männer verließen das Gästezimmer und gingen zurück in den großen Wohnraum. »Ist mit weiteren Überraschungen zu rechnen?« meinte Mike Rander, um dann langanhaltend zu gähnen, »ich hätte gegen ein paar Stunden Schlaf absolut nichts einzuwenden.« »Wenn Sie erlauben, werde ich den ersten Teil der Nachtwache übernehmen«, antwortete der Butler, »ich möchte annehmen, daß der Rest der Nacht ruhig verlaufen wird. Die Gegner müssen sich erst erneut formieren.« Mike Rander wünschte seinem Butler eine ruhige Nacht und zog sich zurück. Josuah Parker zündete sich eine seiner spezialangefertigen Zigarren an, entspannte sich und sah dem Rauch seiner Zigarre zufrieden nach. Er war soweit zufrieden. Die ersten Mordanschläge waren abgewehrt worden. Doch das bedeutete noch keineswegs den Sieg über 32 �
diesen wahnsinnigen Gangster, der sich »Herr der Welt« nannte und alles tat, um es auch zu werden. Parker dachte an die Abenteuer auf Exuma Island, als es ihm zusammen mit seinem jungen Herrn gelungen war, die Verschwörung gegen die Staaten zunichte zu machen. Er dachte an jenen Feuerzauber auf der Insel in der Bermuda-Kette, der die Pläne dieses Wahnsinnigen so gründlich zerstört hatte. Er dachte aber auch an die Geldgeber und Auftraggeber dieses Supergangsters, die eine empfindliche Schlappe hatten einstecken müssen. Würden sie sich nach dieser Riesenpanne auf Exuma Island erneut mit ihm in Verbindung setzen? Würden sie neue Fäden spinnen? Würden sie sich neue Anschläge einfallen lassen? Nun, damit war durchaus zu rechnen. Doch im Grunde war es gleichgültig, wer diesen wahnsinnigen Gangster finanzierte. Es galt, ihn unschädlich zu machen. Und es galt vor allen Dingen herauszubekommen, mit welchen Mitteln er sein Amazonenkorps dirigierte und seinen Willen zwang. * Am anderen Morgen war Jill Carvon gereizt und nervös. Nach ihrem ausgedehnten Aufent-
halt im Bad machte sie einen fahrigen Eindruck. Sie sah durch Mike Rander und Josuah Parker hindurch. Sie starrte durch das große Fenster hinaus auf den See und brach plötzlich in ein haltloses Weinen und Schluchzen aus. »Ein heißer Kaffee wird Ihnen mit Sicherheit Erleichterung schaffen«, sagte der Butler, der das Frühstück servierte. Sie hörte überhaupt nicht zu. Sie fingerte bereits seit einigen Minuten ungetarnt an ihrem Absatz herum, schleppte sich dann mit müden, schlaffen Gliedern hinüber zur großen Couch und legte sich nieder. Ihr Atem ging flach und schnell. Sie fuhr sich immer wieder über die schweißnasse Stirn und schüttelte den Kopf, als Parker ihr eine Tasse Kaffee servieren wollte. »Oder sollten Sie vielleicht ihre Drogen vermissen?« fragte der Butler sie unvermittelt und zeigte ihr die Tabletten. Jill Carvon stand blitzschnell auf. Sie fiel den Butler förmlich an. Sie drängte ihn gegen die Wand und griff verzweifelt nach den rosa Dragees. »Sie gehören mir. Sie gehören mir!« schrie sie aufgebracht. »Ich will sofort meine Dosis haben!« Erst als Mike Rander eingriff, gelang es, sie zurück zur Couch zu bringen. 33 �
»Wieviel, wenn man fragen darf, brauchen Sie denn pro Dosis?« erkundigte sich der Butler. »Zwei!« stöhnte sie, »warum quälen Sie mich? Bitte, nur zwei Dragees… Bitte, schnell…! Ich habe unerträgliche Kopfschmerzen.« »Seit wann nehmen Sie die Dragees?« fragte Mike Rander. »Seit… seit… Monaten…!« stammelte sie und weinte, »geben Sie mir die Dragees!« »Von wem bekommen Sie die Dragees?« fragte der Anwalt ungerührt weiter. »Sie kommen mit der Post«, antwortete sie schnell und sah ihn flehend an, »jede Woche sechzehn Dragees! Sie kommen immer pünktlich!« »Und wer ist so fürsorglich, sie Ihnen zu schicken?« Josuah Parker schaltete sich ein. »Der Chef. Der ›Herr der Welt‹!« »Wie lauten die Absender der Päckchen?« »Es gibt keine Absender. Fragen Sie doch nicht! Geben Sie mir meine Dragees! Ich habe unerträgliche Kopfschmerzen!« »Eine letzte Frage, Miß Carvon, dann sind Sie erlöst! Wie lange reichen zwei dieser Dragees?« »Vierundzwanzig Stunden«, antwortete sie, »nur vierundzwanzig Stunden! Bitte… Aahhhh…!« Parker hatte ihr zwei der vier Dragees gereicht, die sie sofort im Mund
verschwinden ließ. Sie ließ sich zurück auf die Couch sinken und schloß die Augen wie ein erschöpftes, aber jetzt zufriedenes Kind. Mike Rander und Josuah Parker blieben neben der Couch stehen und beobachteten das Mädchen. Schon nach wenigen Minuten stellte sich die erste Reaktion ein. Sie öffnete die Augen, die nun wieder strahlten. Ihre Gesichtshaut, eben noch grau und schlaff, straffte sich zu jugendlicher Frische. Sie richtete sich auf und sah Rander und Parker kalt und abschätzend an. Sie schlüpfte wieder zurück in die Rolle der Amazone. Sie schien völlig vergessen zu haben, daß sie gerade noch gebettelt hatte. »Wie lange wollen Sie mich hier festhalten?« fragte sie den Anwalt. »Sie können in knapp einer Stunde losfahren«, antwortete der Anwalt. »Einer unserer Bekannten wird Sie nach Palm Beach bringen.« »Glauben Sie etwa, mich aushorchen zu können? Lächerlich! Aus mir bekommen Sie kein Wort heraus!« »Was in der Tat auch nicht mehr notwendig wäre«, gab der Butler höflich zurück. »Mr. Rander und meine bescheidene Wenigkeit wissen bereits, was zu wissen nötig ist.« »Sie bluffen doch nur!« »Sie waren ungemein mitteilungsfreudig«, sprach der Butler weiter, »Sie verlangten derart nach gewis-
sen rosa Dragees, daß Sie sich beeilten, uns Informationen zu liefern.« Sie starrte den Butler fragend an. Dann wollte sie sich wieder wie eine Wildkatze auf ihn stürzen. Mike Rander hielt sie zurück und schüttelte den Kopf. »Das müssen ja wahre Wahnsinnspillen sein«, sagte er dann. »Wie sind Sie denn an diesen komischen Amazonenverein gekommen, Miß Carvon?« »Ich werde schweigen…!« war die stolze Antwort. »Sie werden solange schweigen, wie die Dragees wirken«, erwiderte der Anwalt, »sobald die Wirkung nachläßt, haben Sie Kopfschmerzen und sind nur noch ein menschliches Wrack…! Wie konnten Sie in die Abhängigkeit solcher Mittel kommen…?« »Ich denke, wir sollten Miß Carvon etwas Ruhe gönnen«, sagte der Butler, »ach richtig, beinahe hätte ich es vergessen… In der vergangenen Nacht hatten Mr. Rander und meine Wenigkeit Besuch… Amazonen versuchten den Bungalow zu stürmen, doch sie mußten sich bald wieder zurückziehen. Ich war so frei, Ihren Peilsender anderswo unterzubringen. Mir ging es darum, Ihre Nachtruhe nicht zu stören!«
Stiefelabsatz. Bestürzt nahm sie zur Kenntnis, daß das Tablettenröhrchen fehlte. Tiefe Niedergeschlagenheit erfaßte sie. Sie wußte, daß sich die letzte Dosis in der Hand der beiden Männer befand. Sie wußte, daß sie nur noch einen guten Tag und die halbe Nacht ohne Schmerzen verbringen konnte. Dann begannen die unerträglichen Qualen, die schlimmer als eine mittelalterliche Folter waren. Vor diesen Schmerzen fürchtete sie sich. Sie sah sich im Wohnraum um, sah durch die Terrassentür hinaus ins Freie und spielte mit dem Gedanken, eine Flucht zu versuchen. Doch dann gab sie dieses Vorhaben gleich wieder auf. Es waren die beiden Dragees, die sich im Besitz der beiden Gegner befanden. Sie mußte sie zurückhaben. Um jeden Preis. Ohne sie getraute sie sich nicht, etwas zu unternehmen. Das Telefon geriet in ihren Gesichtskreis. Sie horchte zur Tür hinüber. Die Stimmen von Mike Rander und Josuah Parker waren zu hören. Sie hielten sich wahrscheinlich in der kleinen Kochküche auf. Eine günstige Gelegenheit, mit ihrer Kontaktstelle zu sprechen. Sie wählte die Geheimnummer * und wartete ungeduldig darauf, daß Als Jill Carvon allein war, kontrol- die Gegenseite sich endlich meldete. Erleichtert atmete sie auf, als sie lierte sie zuerst noch einmal ihren �
die harte, aber dennoch irgendwie vertraute Stimme hörte. »Hier ist Jill Carvon«, berichtete sie leise, aber hastig, »ich befinde mich in der Gewalt von Mr. Rander und Mr. Parker…! Ja, hier draußen am See…! Man läßt mich nicht frei. Allein und ohne Hilfe komme ich nicht weg. Wann kann ich mit meiner Befreiung rechnen?« Jill hörte einen Moment zu und nickte wiederholt. Sie ließ sich immer wieder sagen, daß sie nicht reden durfte. Und sie versprach Schluß mit sich zu machen, falls man sie zur Polizei bringen würde. »Aber wird man mich denn nicht herausholen?« fragte sie schließlich. »Das kann noch etwas dauern«, sagte die vertraute Stimme, die einer Frau gehörte, »ich muß meine Gruppe erst wieder neu aufbauen…! Auf keinen Fall darf meine Adresse verraten werden! Wir melden uns bestimmt…!« »Halt… noch etwas… sie haben die Dragees gefunden…!« Jill war dieses Geständnis ungemein schwer gefallen, denn es war oberstes Gesetz, daß gerade dieses Dragees niemals in die Hand eines Gegners fallen durften. »Wie war das…?« Die vertraute Stimme wurde hart wie Stahl. »Die Gegner besitzen die Dragees…? Wie war das möglich? Nein, keine Erklärungen…! Jetzt muß gehandelt werden. Wir kommen sofort!«
»Und bringt mir eine neue Dosis mit«, bat Jill, die bereits an den nächsten Tag dachte, »laßt mich nicht hängen…! Bitte, denkt an meine Dragees…!« Sie legte auf und ging zurück zum Terrassenfenster. Sie fühlte sich endlich wieder stark und unbesiegbar. Die vertraute Stimme hatte sie nicht nur beruhigt, sie hatte ihr auch neue Kraft eingeflößt. Sie wandte sich überhaupt nicht um, als Josuah Parker den Wohnraum betrat, sich höflich verbeugte und dann das kleine Tonbandgerät mitnahm, das neben dem Kamin gestanden hatte. Dieses Gerät war eingeschaltet gewesen und hatte die Unterhaltung wenigstens von Jills Seite aus mitaufgezeichnet. Zu dieser Aufzeichnung gehörten natürlich auch die typischen Knackgeräusche der Telefonwählscheibe. Anhand dieses typischen Knackens war es fast kinderleicht, die Telefonnummer zu identifizieren. Doch daran dachte Jill Carvon nicht. »Hat sie was gemerkt?« fragte Rander, als sein Butler zurück in die Küche kam. »Sie drehte sich noch nicht einmal um, Sir…! Sie scheint sich ihrer Sache vollkommen sicher zu sein…!« »Desto besser. Parker… Brown muß bald hier sein… Er kann die kleine Carvon dann mitnehmen. Dadurch haben wir unsere Hand-
lungsfreiheit zurückgewonnen…!« »Die wir meines Erachtens, Sir, ungemein dringend benötigen«, gab der Butler zurück. »Ich fürchte, die Amazonen des ›Herrn der Welt‹ werden bald erscheinen, um endgültig reinen Tisch zu machen. Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, so sollte man den Bungalow räumen und im Boot irgendein Versteck auf dem See beziehen…!« * Das Motorboot lag im dichten Schilf. An Bord befanden sich Mike Rander, Jill Carvon und Josuah Parker. Die attraktive Blondine lag auf einer Luftmatratze und starrte in den Himmel. Mike Rander beobachtete mit einem Fernglas jene Uferstrecke, an der der gemietete Bungalow lag. »Unsere Vorsicht scheint etwas übertrieben gewesen zu sein«, sagte er zu Josuah Parker. »Die Gegenseite rührt sich nicht!« »Ich würde mich ungemein freuen, Sir, wenn dem so ist«, erwiderte der Butler. »Allerdings rechne ich mit dem Gegenteil. Die Amazonen werden sich melden… Sehr nachhaltig sogar…!« Obwohl Jill Carvon jedes Wort mitbekam, sagte sie kein Wort. Sie schien jedes Interesse an ihrer Umwelt verloren zu haben. Es ging auf zehn Uhr zu.
Es war heiß geworden. Die Luft flimmerte bereits vor Hitze. Ein Mückenschwarm produzierte einen beharrlichen, grellen Summton, der an den Nerven sägte. Plötzlich richtete der Butler sich auf. »Ich glaube, Sir«, meldete er beherrscht und ruhig, »daß die Amazonen sich rühren…!« »Wo denn…?« Rander nahm das Glas hoch und beobachtete den freistehenden Bungalow. »Darf ich Ihre Aufmerksamkeit auf die höheren Regionen lenken?« »Wohin…?« Rander sah seinen Butler irritiert an. »Auf die Luft, Sir«, präzisierte der Butler, »wenn mein Gehör mich nicht täuscht, befindet sich eine Sportmaschine im Anflug auf das Seeufer!« »Tatsächlich…!« Rander hatte das Ziel aufgenommen. Über den Spitzen des nahen Dschungelwaldes tauchte eine schnelle, einmotorige Sportmaschine auf, die jetzt schon das Seeufer erreicht hatte und hinüber zu den Hotels flog. Dort kurvte sie herum und flog parallel zum Strand, bis sie sich dem freistehenden Bungalow näherte. Hier wurde erneut eine Kurve geflogen. Die Sportmaschine verschwand wieder hinter dem Wald, um dann plötzlich wie aus dem Nichts über dem Bungalow zu erscheinen. »Sie schmeißt einen Kanister 37 �
ab…!« rief Mike Rander, der durch sein Glas alles genau verfolgte. Er hatte seinen Satz noch nicht ganz beendet, als dieser Kanister durch das Dach des Bungalows schlug. Bruchteile von Sekunden später platzte der Bungalow wie eine Pappschachtel auseinander. Ein Feuer- und Rauchpilz schoß dunkelschwarz zum Himmel empor. Erst dann war die harte Explosion zu hören. »Die zieren sich aber wirklich nicht«, meinte Anwalt Rander und sah seinen Butler an. »Mann, Parker, Sie hatten wieder einmal die richtige Nase!« »Sie beschämen mich, Sir«, antwortete der Butler. »Sehen Sie, Sir, die Maschine macht wahrscheinlich einige Luftaufnahmen…!« »Und jetzt dreht sie ab…!« Mike Rander verfolgte durch ein Glas die Kursmanöver der schnellen Maschine, die bereits abdrehte, um dann wenig später hinter dem Wald zu verschwinden. »Haben Sie das mitbekommen, Miß Carvon?« fragte Rander, sich an die Blondine wendend. »Ihr Freundinnen nehmen keine Rücksicht auf Sie…! Es macht ihnen überhaupt nichts aus, wenn Sie ebenfalls mit draufgehen…!« Jill Carvon hatte sich aufgerichtet und sah zu dem auseinandergeplatzten Bungalow hinüber, dessen Trümmer jetzt brannten. Sie zuckte
die Achseln, um sich dann wieder gleichgültig niederzulegen. »Man sollte die kleine Verschnaufpause nutzen, Sir…!« mahnte der Butler. »Genau, Parker, setzen wir uns vom See ab…! Hier wird der Boden zu heiß. Sobald Brown eingetroffen ist, verschwinden wir…!« Als sich das Motorboot dem Ufer näherte, hatte sich vor dem zerbombten Haus eine dichte Menschenmenge versammelt. Die Löschpolizei war bereits damit beschäftigt, die brennenden Trümmer abzulöschen. »Wenn Sie erlauben, Sir, lege ich drüben an dem Hotelsteg an«, sagte Josuah Parker. »Tun Sie, was Sie für richtig halten, Parker…!« Mike Rander zündete sich eine Zigarette an und beobachtete die Blondine, die wie in Trance auf der Matratze lag und in die Luft starrte. Die Dragees, die sie zu sich genommen hatte, mußten einen erstaunlichen Wirkstoff enthalten. Es machte dem jungen Mädchen überhaupt nichts aus, daß es normalerweise längst unter Trümmern des Bungalows liegen mußte. Als Parker das Boot festgemacht hatte, kam ihnen ein drahtiger, fast zierlicher Mann von fünfzig Jahren entgegen. Mr. Brown, der Chef der geheimen staatlichen Dienststelle, nickte dem Anwalt knapp zu, um sich dann Jill Carvon zu widmen. »Das ist sie also…!« stellte er fest, 38 �
»meine Leute warten drüben an der Uferstraße. Wir nehmen sie gleich mit nach Palm Beach. Ein Ärzteteam wartet bereits…!« Dann deutete er hinüber, wo hinter den Bäumen und Sträuchern die Rauchsäule deutlich zu sehen war, »geht das auf das Konto der Amazonen?« »Der ›Herr der Welt‹ ist äußerst hartnäckig«, erwiderte der Butler, »er scheut weder Kosten noch Mühen, Sir…!« »Haben Sie Neuigkeiten auf Lager?« erkundigte sich Mike Rander. »Nichts…!« war die Antwort Browns, »Sie und Ihr Butler sind das einzige Bindeglied zwischen meiner Dienststelle und diesem Gangster. Hoffentlich reißt diese Verbindung nicht ab…!« »Ich glaube nicht«, sagte Mike Rander, »dank Parker besitzen wir eine Telefonnummer… Mit ihr müßte sich eigentlich etwas anfangen lassen. Falls Ihre Leute herausfinden, welche Person sich hinter der Nummer verbirgt…!« * Das Blumengeschäft konnte keineswegs viel abwerfen. Es lag in einer sehr stillen Seitenstraße von Palm Beach und wurde von den Touristen mit Sicherheit übersehen. Die Auslage war nur spärlich. Die meisten Blumen wirkten leicht angetrocknet
oder verblüht. Eines stand schon vor dem Betreten des Geschäftes fest: die Besitzerin verstand herzlich wenig von Blumen. Sie war übrigens knapp vierzig Jahre alt, korpulent und wirkte bereits matronenhaft. Sie hatte breite Hüften, stämmige Beine und die Figur eines Preisringers in der Schwergewichtsklasse. Sie hieß laut Firmenaufschrift am Schaufenster Ann Sheerer. Sie wußte sofort, wen sie vor sich hatte, als sie den Vorhang zur Seite schob und den Laden betrat. Man merkte es an ihrer Reaktion. Ihr Gesicht spiegelte eine Mischung aus Überraschung, Sorge und Angst wider. An Sheerer war die Besitzerin des Telefons, das Jill Carvon vom Bungalow aus zum Klingeln gebracht hatte. Mr. Browns Spezialisten hatten die Geheimnummer leicht identifiziert. »Was kann ich für Sie tun?« erkundigte sich Ann Sheerer. Sie hatte sich inzwischen wieder gefaßt und unter Kontrolle. »Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum«, sagte Mike Rander, »wir möchten uns mit Ihrem Chef arrangieren…! Es hat keinen Sinn, daß wir uns gegenseitig das Leben schwer machen. Dabei springt für keinen von uns etwas heraus…!« »Ich verstehe nicht, wovon Sie reden!« Ann Sheerer schüttelte 39 �
gespielt erstaunt den Kopf. »Sind Sie sicher, daß Sie mich meinen?« »Absolut sicher. Jill Carvon rief sie an…! Sie hatte keine Ahnung, daß wir ihr Gespräch abhörten…« »Sie kann Sie getäuscht haben, dieses Mädchen von dem Sie gerade sprachen…!« »Sie sind ihre Kontaktstelle, Miß Sheerer«, redete Mike Rander weiter, »Sie sind die Leitstelle für die Amazonen… Ich möchte wetten, daß Sie über einen direkten Draht zum ›Herrn der Welt‹ verfügen.« »Ich verstehe immer weniger…!« Ann Sheerer sah den Anwalt aufmerksam an. »Na gut, verständlich, daß Sie nichts zugeben wollen. Aber richten Sie Ihrem Boß aus, daß wir uns mit ihm vergleichen wollen… Wir sind es satt, von attraktiven Mädchen gehetzt zu werden…« »Wo kann man Sie erreichen?« fragte Ann Sheerer zurück, »werden Sie in Palm Beach bleiben?« »Vorerst ja…!« »Ich werde Sie anrufen, wenn Sie mir Ihre Telefonnummer zurücklassen.« »Aber bitte keine Mätzchen oder Tricks«, warnte der Anwalt, »noch einmal, wir sollten uns verständigen…!« »Darf ich fragen, wo sich Jill Carvon aufhält, die mich angeblich angerufen haben will?« »Sie befindet sich in Sicherheit«,
erwiderte der Anwalt, »sie besitzt übrigens nur noch zwei Dragees…! Nicht mehr besonders viel, wie…?« »Falls sich die geplante Übereinkunft hinauszögert, Miß Sheerer, könnte es zu einem zweiten körperlichen Zusammenbruch der jungen Dame kommen…!« Parker hatte sich in die Unterhaltung eingeschaltet und deutete während seiner Worte eine leichte Verbeugung an, »in der bereits erlebten Katerstimmung neigt Miß Carvon dazu, hemmungslos zu reden…!« »Sie werden bald von mir hören«, versprach Ann Sheerer. »Bestellen Sie der jungen Dame, daß ihr bald geholfen wird…!« »Und bestellen Sie Ihrem ›Herrn der Welt‹, daß er seine weiblichen Henkersknechte zeitweilig aus dem Verkehr zieht«, sagte Mike Rander, »schließen wir so etwas wie einen Waffenstillstand…!« * »Womit rechnen Sie, Parker? Setzt die Sheerer sich nun ab, oder wird sie scheinbar mit uns verhandeln…?« »Ich rechne, Sir, mit Verhandlungen, die allerdings darauf hinauslaufen werden, Sie und meine bescheidene Person in eine tödliche Falle zu bringen.« »Browns Leute stehen bereit«, sagte Rander nachdenklich, »sie 40 �
werden die Sheerer nicht aus den Augen lassen… Ihr Telefon wird überwacht und ihre Kunden…!« »Auch ihr Funkgerät, Sir?« »Hat sie denn eins?« »Ich möchte das mit letzter Sicherheit annehmen, Sir. Ich bemerkte die dünne Fahnenstange auf dem Dach ihres Blumengeschäftes. Ich bin fast sicher, daß Miß Sheerer sich nur auf dem Umweg über Funkwellen mit ihrem Chef in Verbindung setzen kann.« »Hoffentlich denkt Brown auch an solche Möglichkeiten«, antwortete Mike Rander, »wird die Sheerer sich an den Waffenstillstand halten?« »Solange, Sir, bis sie herausgefunden hat, wo wir Miß Jill Carvon angeblich versteckt halten…!« »Dann sollten wir doch etwas für die Henkerinnen tun, oder?« »Nichts lieber als das, Sir…! Man könnte die Amazonen endlich einmal nachhaltig dezimieren, womit ich natürlich nur meine, daß man sie hinter Schloß und Riegel bringt.« Rander und Parker befanden sich auf der Uferpromenade, wo der Verkehr durcheinanderquirlte. Mittag war längst vorüber, und Mike Rander verspürte Hunger. Sie machten nicht viel Umstände. Sie überquerten die Straße und nahmen in einem kleinen, italienischen Restaurant Platz. Josuah Parker, der sich auf allen Speisekarten der Welt besonders gut auskannte, bestellte
eine leichte Speise. Dazu ließ er einen ebenfalls leichten roten Landwein servieren. Eine dunkelhaarige Serviererin brachte das Essen und den Wein. Sie wünschte den beiden Gästen einen guten Appetit und zog sich zurück. »Versuchen wir erst mal den Wein«, sagte Mike Rander lächelnd zu seinem Butler, »trinken wir darauf, daß wir den Supergangster bald schnappen können. Mit ihm werden wir dann auch diese weiblichen Henker los, die er uns auf den Hals geschickt hat…!« * Als Josuah Parker erwachte, fühlte er sich nicht besonders wohl. Er hatte Kopfschmerzen, sein Mund war wie ausgetrocknet. Er richtete sich wegen der Kopfschmerzen vorsichtig auf und fühlte dabei nach seiner Stirn. Sie glühte wie im Fieber. Wie durch einen dichten Gazeschleier nahm er die Umgebung wahr. Wenn ihn nicht alles täuschte, befand er sich in einem kahlen, nackten Raum, dessen Decke, Wände und Boden aus Beton bestanden. Ihn fröstelte plötzlich. Er hatte das Gefühl, daß dieser Raum eine tödliche Kälte ausstrahlte. Vorsichtig rieb er sich die Augen. Sie schmerzten. Die normale Sehfähigkeit wollte und wollte sich nicht 41 �
einstellen. Trotz der Übelkeit zwang er sich hoch, stellte sich auf seine Beine und marschierte an der Wand entlang. Er wollte seinen Kreislauf so schnell wie möglich wieder in Ordnung bringen. Diese Therapie war hart, aber gut. Nach der dritten Durchwanderung seines Gefängnisses stärkte sich die Sehkraft. Der Kopfschmerz ließ ein wenig nach. Die Gedankentätigkeit stellte sich wieder ein. Während er nach Universal-Regenschirm und schwarzer Melone griff, die in der Mitte der Zelle auf dem Boden lagen, überdachte er die Ereignisse vor seinem Tiefschlaf. Er mußte sich scharf konzentrieren, um die Einzelheiten zusammen zu bekommen. Wie war das noch gewesen…? Sein junger Herr und er hatten das italienische Restaurant aufgesucht und zu einer leichten Speise einen roten Landwein bestellt. Danach war das gerissen, was man gemeinhin den Film nennt. Von diesem Zeitpunkt an, als sein junger Herr und er sich zugeprostet hatten, von diesem Zeitpunkt an versagte das Erinnerungsvermögen. Doch das, was sich danach ereignet hatte, ließ sich ja leicht rekonstruieren. Der rote Landwein hatte mit Sicherheit ein sofort wirkendes Einschlafmittel enthalten. Das durfte man unterstellen. Nachdem Mr.
Rander und er eingeschlafen waren, hatte man sie wahrscheinlich diskret durch eine Hintertür geschafft und in einen Wagen verfrachtet. Demnach mußte die dunkelhaarige Serviererin ebenfalls eine der Amazonen gewesen sein…! Parker konnte der Organisation des Supergangsters seine Anerkennung nicht versagen. Dieser Mann arbeitete erstaunlich schnell. Er stellte sich stets blitzschnell auf die Situation ein. Und seine jungen Damen waren nicht weniger geschickt und schnell. Sie übernahmen jede gewünschte und geforderte Rolle. So hatten sie es zum Beispiel verstanden, sich Zutritt zum Restaurant zu verschaffen. Es war nämlich ausgeschlossen, daß Mr. Rander und er rein zufällig ein Lokal betreten hatten, dessen Leitung von dem Gangster kontrolliert wurde. Nein, zumindest eine der Amazonen hatte sich unter die Bedienung geschmuggelt und dafür gesorgt, daß die beiden verhaßten Gegner überwältigt werden konnten. Josuah Parker machte sich wieder einmal keine Illusionen. Diesmal würden die Amazonen aufpassen. Diesmal ließen sie bestimmt keinen Fluchtversuch zu. Die Ereignisse auf Exuma Island hatten sie ja schließlich gewarnt. Josuah Parker dachte an seinen jungen Herrn. Ob er sich in einem ähnlichen Ver42 �
ließ befand? Es war anzunehmen…! Oder hatten diese weiblichen Henker schon gehandelt? Parker nahm seinen Fußmarsch durch die Zelle wieder auf und beruhigte sich. Er konnte es sich einfach nicht vorstellen, daß sein junger Herr vielleicht schon nicht mehr lebte. Daran wollte er lieber erst gar nicht denken! Parker lenkte sich ab, während er marschierte. Er kontrollierte seinen UniversalMit Befriedigung Regenschirm. nahm er zur Kenntnis, daß man seine vielen Geheimnisse nicht entdeckt hatte. Und ebenso zufrieden war er, als er seine Taschen durchsuchte. Gewiß, man hatte ihm die Schußwaffe abgenommen, doch Brieftasche, Zwiebeluhr, Zigarrenetui, Pillenschachtel und sonstige Utensilien hatte man ihm gelassen. Für den Butler bedeutete das ein erster Lichtblick. Nur er allein wußte ja schließlich um die Doppelbödigkeit dieser Dinge, die ihm schon oft geholfen hatten. Als er laute Schritte jenseits der Eisentür hörte, ließ er sich schnell wieder auf dem Boden nieder. Die Gegenseite brauchte ja nicht zu wissen, wie weit er sich bereits erholt hatte. Knarrend öffnete sich die Tür. Ann Sheerer, die Blumenhändlerin, stand vor ihm. Boshaft lächelnd schaute sie auf den Butler hinunter. »Was… was ist passiert, wenn man
höflich nachfragen darf?« erkundigte er sich. »Das werden Sie sehr schnell merken, Parker«, gab Ann Sheerer zurück. »Ich fürchte, ich befinde mich in der Hand der Amazonen…!« »Ihre Befürchtung trifft zu, Parker.« Ann Sheerer lächelte breit und siegessicher. Sie stemmte wie eine Marktfrau die Hände in die Hüften und genoß ihre Überlegenheit. Parker hatte die allgemeine Lage längst sondiert. Es war ausgeschlossen, schon jetzt einen Befreiungsversuch zu unternehmen. Hinter Ann Sheerer standen nämlich zwei Amazonen, die schwarze Lederkleidung trugen. Sie trugen aber auch einen handlichen Revolver. Parker zweifelte nicht einen Moment daran, daß sie mit diesen Waffen umgehen konnten. »Wie geht es meinem jungen Herrn?« stellte der Butler seine nächste Frage. Er sorgte dafür, daß sie klagend und gebrochen kam. Wie gesagt, die Gegenseite brauche nicht informiert zu werden. »Ihr Chef schläft noch«, berichtete Ann Sheerer. »Der kommt später an die Reihe.« »An welche Reihe, wenn diese Frage gestattet ist?« »Sie werden uns unabhängig voneinander sagen, wo sich Jill Carvon befindet.« »Ist das der Waffenstillstand, den 43 �
Sie uns versprochen haben?« entrüstete sich der Butler, »ich stelle fest, daß Sie sich keineswegs an die getroffenen Vereinbarungen halten.« »Überlegen Sie sich, wo Jill Carvon ist«, sagte die Sheerer kühl, ohne auf Parkers Klage einzugehen, »je schneller Sie reden werden, desto weniger Ärger werden Sie bekommen…!« »Und wenn ich nun beabsichtige, die Aussage zu verweigern?« »Sie werden sehr schnell reden, Parker, sehr schnell sogar…!« »Ich fürchte wieder einmal, daß die Chancen nicht sehr groß sind.« »Gut, daß Sie es so sehen, Parker…!« »Wie geht es Miß Holcomb…?« »Die ist zurückgezogen worden… Versager kann der Chef nicht brauchen, Parker. Jetzt leite ich das Unternehmen…!« »Und wo befindet sich Mr. Joe Claron?« »Den werden Sie bald von einer anderen Seite kennenlernen, Parker. Also, entscheiden Sie sich…! In drei Minuten sind wir wieder zurück. Dann sollten Sie das Versteck der kleinen Carvon nennen!« »Wollen Sie sie umbringen?« »Schon gut möglich, daß wir sie nicht mehr brauchen.« »Wegen der rosa Dragees, die sie ungewollt verriet?« »Kein Kommentar«, lautete die Antwort der Sheerer. Sie nickte den
beiden Amazonen kurz zu, »denken Sie an die drei Minuten. Sie vergehen sehr schnell…!« * Parker war wieder allein. Er war allein und ihm standen nur drei Minuten zur Verfügung. Bis dahin mußte ihm etwas einfallen. Er traute Ann Sheerer jede Grausamkeit zu. Sie schien die Leitung der Außengruppe der Amazonen übernommen zu haben. Sie brannte bestimmt darauf, sich zu bewähren und auszuzeichnen. Sie wollte ihre rothaarige Konkurrentin mit Sicherheit ausstechen. Dementsprechend würden also auch ihre Methoden sein. Parker entschloß sich schon wegen der Kürze der Zeit zu einem harten Vorgehen. Er öffnete sein Zigarrenetui und wählte mit Sorgfalt einen der pechschwarzen Torpedos aus. Er schraubte sie auseinander. Und erst jetzt zeigte sich, daß diese Zigarre nichts anderes war als ein Atemgeräten miniature. Er entnahm dem Etui eine zweite Zigarre und legte sie unter die linke Schuhsohle. Dann lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Betonwand und wartete auf das Erscheinen der drei Frauen. Sie ließen nicht lange auf sich warten. 44 �
Schon wieder waren die schnellen und harten Schritte zu hören. Dann knarrte die Tür. Ann Sheerer und ihre beiden Begleiterinnen traten ein. Langsam kamen sie auf ihn zu. Ann Sheerer bewegte sich wie eine Megäre. In der Hand hielt sie eine wippende Stahlrute. Damit wollte sie den Butler wahrscheinlich in die richtige Aussagestimmung versetzen. Die beiden jüngeren Frauen zeigten wiederum ihre Schußwaffen, um den Butler in Schach zu halten. »Also, Parker, haben Sie sich entschieden?« Die Sheerer musterte den Butler aus kleinen, bösen Augen. »Ich habe mich in der Tat entschieden«, antwortete der Butler und zertrat gleichzeitig und unauffällig die Zigarre unter seiner Schuhsohle. Die Wirkung war erregend. Die drei Frauen sahen nichts, dafür wurden aber ihre Schleimhäute fürchterlich gereizt. Sie husteten wie auf ein geheimes Kommando hin, sie schnappten nach Luft, torkelten plötzlich durcheinander, um dann, wie von einem unsichtbaren Blitz gefällt, zu Boden zu sinken. Parker atmete derweil durch seine Zigarre. Somit schützte er sich vor dem starken Reizgas, das sich im Bunker befand. Dieses Reizgas war selbstverständlich nicht tödlich, doch es reichte vollkommen aus, selbst körperlich starke Personen für Stunden in einen besonders entspannenden Tiefschlaf zu versetzen.
Josuah Parker sammelte die Schußwaffen der beiden jungen Damen ein, verließ den Betonbunker und schloß von außen nachdrücklich ab. Dann machte er sich auf die Suche nach seinem jungen Herrn. Er fand schon nach wenigen Metern auf dem fast dunklen Kellergang eine zweite Eisentür, die sich aufriegeln ließ. Parker atmete erleichtert auf, als er seinen jungen Herrn entdeckte, der sich gerade die Augen rieb und gähnte. »Sir, es ist angebracht, möglichst schnell aufzustehen«, sagte der Butler zu dem jungen Anwalt. »Lassen Sie mich noch ‘nen kleinen Moment schlafen«, gähnte Mike Rander zurück. Er rollte sich wie ein Igel auf dem Betonboden zusammen und wollte tatsächlich weiterschlafen. »Sir, ich bedaure ungemein, doch das darf ich nicht zulassen«, sagte der Butler und rüttelte seinen jungen Herrn wach, »Sie und meine bescheidene Wenigkeit befinden uns in der Hand der Amazonen…!« Das Stichwort Amazonen belebte den müden Anwalt. Er richtete den Oberkörper auf und starrte den Butler an. »Die Amazonen waren so frei, uns zu verschleppen«, erläuterte der Butler, »im Augenblick besteht eine echte Chance, ihnen entkommen zu können!« 45 �
Parker mußte kräftig nachhelfen, bis sein junger Herr endlich auf den Beinen stand. Dann zog und zerrte er ihn weiter durch den Kellergang, bis sie vor einer Treppe standen, die steil hinauf ins Obergeschoß führte. »Vorsicht…!« flüsterte der Butler seinem jungen Herrn zu, als er Stimmen hörte. »Wenn Sie erlauben, gehe ich erst einmal allein voraus, Sir…!« Mike Randers Kopf war klarer geworden. Er hatte inzwischen begriffen, um was es ging. Er nickte und sah seinem Butler nach, der sich vorsichtig weiter nach oben stahl, um dann hinter einer Tür zu verschwinden. Parker sah von der Tür aus, die er bereits passiert hatte, in einen sehr modern und nett eingerichteten Salon hinein, dessen große und breite Fenster hinaus aufs Meer führten. An den Tischen saßen junge Damen, durchweg in netten Sommerkleidchen. Sie schrieben, lasen, spielten Brettspiele oder langweilten sich nur. Sie sahen aus wie die Mitglieder eines Pensionats. Das Durchschnittsalter der jungen Damen betrug höchstens zwanzig Jahre. Von Waffen war nichts zu sehen. Dennoch wurde der Butler nicht etwa leichtsinnig. Er wußte ja nur zu gut, wie schnell diese jungen, gut erzogenen Mädchen sich in wilde Raubkatzen verwandeln konnten.
Darauf wollte er es unter keinen Umständen ankommen lassen. Er pirschte sich zurück zu Mike Rander, der ihn fragend ansah. In Stichworten, unter Verzicht auf barocke Ausdrucksweise, informierte der Butler seinen jungen Herrn. »Wir müssen die Mädchen nach unten in den Keller schaffen«, sagte Mike Rander, »nur dann haben wir unsere Ruhe…!« »Ich erlaube mir, Ihnen beizupflichten, Sir…! Man könnte sie durch einen imitierten Aufschrei aus dem Salon locken…!« »Dann schreien Sie mal, Parker! Sie schaffen das bestimmt!« Parker und Mike Rander pirschten sich zur Treppe zurück, gingen nach unten und bauten sich an der Wand seitlich neben der Treppe auf. Nachdem Mike Rander die Tür seiner Zelle weit geöffnet hatte, produzierte der Butler solch einen Schrei, daß selbst Mike Rander zusammenzuckte. Parker durfte vollauf zufrieden sein. Oberhalb der Treppe war Fußgetrappel zu hören. Sekunden später waren die ersten Amazonen bereits auf der Treppe und rannten nach unten. Der Rest folgte. Sie liefen alle an den beiden Männern vorbei und interessierten sich ausschließlich für die geöffnete Bunkertür. Mike Rander und Josuah Parker 46 �
beeilten sich, über die Treppe nach oben zu gelangen. Sie warfen die Tür ins Schloß und sicherten sie durch den Vorlegebalken, der wie geschaffen dazu war. Erst dann sahen sie sich dankbar und erleichtert an. »Das hätte ins Auge gehen können«, meinte Anwalt Rander, »sehen wir erst mal nach, ob wir endlich allein sind, Parker!« Sie kontrollierten die Räume des Bungalows und durften endgültig aufatmen. Die Amazonen befanden sich ohne Ausnahme im Keller. Sie konnten vorerst nicht mehr gefährlich werden. »So, jetzt ist Brown wieder an der Reihe«, sagte Mike Rander, nachdem er sich eine Zigarette angezündet hatte, »er soll uns diese kriegerischen Mädchen so schnell wie möglich vom Hals schaffen. Wissen Sie, Parker, wonach ich mich sehne?« »Ich glaube, Sir, Ihren Wunsch erraten zu können, zumal ich ähnliche Wünsche hege!« »Ich sehne mich nach handfesten, männlichen Ganoven«, redete der junge Anwalt weiter, »nach Gangstern, bei denen man weiß, woran man ist.« »Ich möchte doch sehr hoffen, Sir, daß diese glücklichen Tage bald kommen werden«, gab der Butler zurück… Sie trafen sich am Rande der Stadt in einer Raststätte.
Mr. Brown, klein, schlank, zäh, sah ungemein zufrieden aus. Als er Mike Rander und Josuah Parker sah, nickte er strahlend. »Präzisionsarbeit«, lobte er. »Die Amazonen befinden sich bereits hinter Schloß und Riegel. Natürlich nicht in einem regulären Gefängnis. Unsere Ärzte glauben, daß sie wie Kranke behandelt werden müssen!« »Stehen all diese Frauen unter dem Einfluß von Drogen?« »Das ist mit Sicherheit zu vermuten«, erklärte Mr. Brown. »Aber gehen wir doch ‘runter zum Strand. Dort sind wir unter uns und können uns ungestört unterhalten!« Mr. Brown, Mike Rander und Josuah Parker benutzten den kleinen Pfad seitlich der Raststätte und betraten den Strandstreifen unterhalb des Highways. Hier gab es viel Sand, Disteln, Strandhafer und kleine, moorige Tümpel, die von Schilf umgeben waren. Diese Strandpartie, zu weit außerhalb der Stadt, war für den normalen Badebetrieb noch nicht erschlossen worden. »Sind die Dragees inzwischen analysiert worden?« wollte Mike Rander wissen. »Die Chemiker sind noch bei der Arbeit. Teilergebnisse liegen bereits vor.« »Und?« »Eine völlig neue Zusammensetzung, die uns bisher unbekannt 47 �
war.« »Gibt es ähnliche Psychodrogen hier, in den Staaten?« »Natürlich, denken Sie an LSD, Rander, die Droge, mit der sie eine Art künstlichen Wahnsinn, eine Art Schizophrenie erzeugen können!« »Natürlich, und ob uns dieses LSD bekannt ist«, erwiderte Mike Rander, »wir hatten in einem Kriminalfall damit zu tun. Uns reicht es noch heute, nicht wahr, Parker?« »Es handelte sich um einen interessanten Fall, Sir«, räumte der Butler ein. Dann wandte er sich an Mr. Brown und fuhr fort: »Die Bestandteile dieser rosa Droge können also eine Wesensveränderung herbeiführen?« »Im Falle Jill Carvon ist das bereits erwiesen!« Brown nickte. »Die Personen, die diese Pillen nehmen, geraten in eine völlige Abhängigkeit. Sie sind psychisch leicht beeinflußbar. Man kann sie zu Handlungen verführen, die sie normalerweise niemals begehen würden. Die Wirkung der Dragees scheint tatsächlich nur vierundzwanzig Stunden vorzuhalten, dann müssen neue Pillen genommen werden. Und jetzt kommt die raffinierte Zusammensetzung. Nach Entzug der Dragees stellen sich unerträgliche Kopfschmerzen ein. Sie müssen einen Menschen halb wahnsinnig machen. Er giert und verlangt nach neuen Dragees, erhält sie und spurt wieder wie ein
dressierter Hund. Einmal aus Angst, er könnte die Dragees nicht mehr bekommen, zum anderen aus der labilen Stimmung heraus!« »Kann man unter dem Einfluß dieser rosa Dragees zum Mörder werden, Sir?« »Scheint so, Parker, scheint so! Anders kann ich mir nicht vorstellen, warum nette, junge Mädchen plötzlich zu Megären werden. Sie stehen nach der Einnahme der Dragees neben ihrem normalen Ich.« »Sollen die Ärzte damit herumexperimentieren«, schaltete Mike Rander sich ein. »Versuchspersonen sind ja jetzt ausreichend vorhanden.« »Das kann man wohl sagen, Rander. Außer dieser Jill Carvon haben wir noch neun Amazonen festgenommen!« »Aber einschließlich dieser Ann Sheerer, Brown, was mich ungemein beruhigt. Diese Frau war mir unheimlich!« »Frei sind noch die Rothaarige und dieser Joe Claron!« zählte Mr. Brown weiter auf, »und nach Lage der Dinge werden sie die nächsten Angriffe führen!« »Oder völlig untertauchen, Sir, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Der ›Herr der Welt‹, um einmal bei dieser Umschreibung eines wahnsinnigen Gangsters zu bleiben, weiß doch inzwischen, daß das Geheimnis der Dragees früher 48 �
oder später bekannt wird. Warum soll er jetzt noch angreifen? Nur dazu, um seine Rachegelüste zu befriedigen? Es wäre, offen gesagt, zu schön, Sir, um wahr zu sein!« »Diese Befürchtung habe ich auch«, gestand Mr. Brown. »Wir haben einen Teilerfolg geschafft! Aber im Grund sind wir noch keinen einzigen Schritt naher an diesen ›Herrn der Welt‹ herangekommen. Wir haben noch nicht einmal die geringste Ahnung, wo er sich aufhalten könnte. Ich bezweifle, ob die festgesetzten Amazonen das überhaupt wissen.« »Es existiert vielleicht noch die Funkbrücke zwischen der Sheerer und dem Supergangster, Sir!« »Meine Spezialisten sitzen bereits vor dem Gerät der Sheerer. Wir fanden es in ihrer Nähmaschine. Ein raffiniert getarnter Sender und Empfänger. Wenn der ›Herr der Welt‹ sich meldet, besteht eine Möglichkeit, ihn anzupeilen!« »Und wenn nicht?« Mike Rander sah seinen früheren Chef an. »Dann haben wir mit Zitronen gehandelt, Rander. Dann müssen wir uns etwas Neues einfallen lassen. So oder so. Wir müssen diesen Hallow ausräuchern, bevor er sich tatsächlich zum Herrn wenigstens eines Teils dieser Welt aufschwingt!« »Sir, ich hege große Befürchtungen«, sagte Butler Parker, als er zusammen mit seinem jungen Herrn
zurück nach Palm Beach fuhr. »Die bewußten Dragees gehen mir einfach nicht aus dem Sinn. Hinzu kommt die fast beiläufige Bemerkung Mr. Browns, der Gangster Herbert Hallow könnte sich tatsächlich zu einem Teilbeherrscher der Welt aufschwingen.« »Sehen Sie da etwa einen Zusammenhang?« Rander ahnte, worauf sein Butler hinaus wollte. Er wandte sich etwas zur Seite und schaute seinen Butler an, der den Leihwagen in Richtung Stadt steuerte. »Wer die rosa Dragees in Mengen besitzt, Sir, könnte sie auf mannigfaltige Art und Weise an Personen heranbringen, die ahnungslos sind, für die es aber kein Entrinnen mehr gibt.« »Dieser Hallow kann sich ganze Völkerscharen unter den Nagel reißen und sie herumkommandieren«, pflichtete der Anwalt seinem Butler bei. »Erinnern Sie sich an den Gangster, Parker, der die menschlichen Roboter losschickte? Hier wäre es noch schlimmer, noch totaler. Hier ist ein Gangster nicht scharf auf Geld, hier will ein Gangster sich tatsächlich zum ›Herrn der Welt‹ aufschwingen!« »Ich versuche während der letzten Minuten, Sir, herauszubekommen, wer der Lieferant dieser Dragees sein könnte. Herbert Hallow selbst kann sie nicht herstellen! Er muß die also geliefert bekommen, um es 49 �
noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen.« »Sie denken an die Lieferanten der Raketen auf Exuma Island?« »Ich freue mich, Sir, daß unsere Ansichten sich wieder einmal decken«, antwortete der Butler, »da die Raketen versagt haben, da neue Abschußbasen sehr schwer herzustellen sind, haben die fernöstlichen Lieferanten möglicherweise umgeschaltet und sich auf die chemische Kriegsführung umgestellt.« »Sie glauben, daß Brown das befürchtet?« »Ich denke, Sir, daß er diese Möglichkeiten konsequent durchdacht hat!« »Dann kann ich sein Interesse verstehen!« Rander zündete sich eine Zigarette an, »helfen wir Brown also weiter! Aber wie, Parker, aber wie? Die Verbindung zu Hallow ist abgerissen. Wie gesagt, wir haben nicht die leiseste Ahnung, wo er stecken könnte!« »Ich glaube nach wie vor, Sir, daß Mr. Hallow sich auf einer Insel befindet«, antwortete der Butler, »schon allein wegen der Drogen!« »Wie soll ich das verstehen?« »Mr. Hallow, der ›Herr der Welt‹, wie er sich zu nennen beliebt, ist auf den Nachschub an Dragees angewiesen. Diese Pharmaka, Sir, können ihm nicht per Post zugeschickt werden. Dieses Risiko wäre zu groß, wenn ich nur auf den Zoll hinweisen
darf. Darf ich Ihre Aufmerksamkeit noch einmal auf Exuma Island hinlenken?« »Schön, lenken Sie, Parker, aber sagen Sie mir endlich, worauf Sie hinaus wollen.« »Mr. Hallow, um bei seinem richtigen, bürgerlichen Namen zu bleiben, wurde von dem bewußten, fernöstlichen Staat per Unterseeboot versorgt. Ein relativ einfaches Verfahren, ohne großes Risiko einer Entdeckung. Warum soll man nicht bei diesem Verfahren geblieben sein?« »Schön, angenommen, Hallow befindet sich auf einer Insel«, gab der junge Anwalt ironisch zurück, »davon haben wir leider eine Menge anzubieten. Wollen Sie jedes Inselchen abklappern und untersuchen lassen? Darüber vergehen doch Jahre!« »Sir, ich erlaube mir, noch einmal auf Exuma Island hinzuweisen.« »Soll das etwa heißen, daß Ihrer Meinung nach Hallow sich wieder auf dieser Insel befindet?« »Ein besseres Versteck könnte er überhaupt nicht wählen, Sir.« »Das müssen Sie mir erst mal begründen, Parker«, antwortete der restlos verblüffte Mike Rander. »Exuma Island ist eine tote Insel. Wenigstens nach dem angeblichen Vulkanausbruch, Sir, der ja in Wirklichkeit nur die Vernichtung der Intercontinental-Raketen bedeutete! Feriengäste sind auf dieser Insel 50 �
nicht mehr anzutreffen. Die englischen Behörden, die für Exuma Island zuständig sind, haben kein Interesse mehr an diesem Fleckchen Erde. Von den Eingeborenen einmal ganz zu schweigen, die die Insel nach dem Vulkanausbruch mit Sicherheit meiden.« »Okay. Sie sprechen aber eben von dem Zoll. Wie sollen die rosa Dragees dann in die Staaten geschmuggelt werden?« »Auf dem Umweg über Kuriere, Sir! Denken Sie an die Amazonen! Als Touristen getarnt, die von den Bermudas kommen, sind sie durchaus in der Lage, begrenzte Mengen dieser Dragees in die Staaten einzuschmuggeln!« »Eine ziemlich gewagte Hypothese«, sagte Mike Rander, der allerdings sehr nachdenklich geworden war, »ziemlich gewagt, Parker, aber nicht schlecht! Der Gangster kehrt dorthin zurück, wo man ihn mit Sicherheit nicht vermutet! Wir sollten Brown verständigen!« »Sir, darf ich mir erlauben, davon abzuraten?« »Welche Gründe haben Sie dafür?« »Mr. Brown würde die Insel gründlich und nachhaltig untersuchen lassen. Mr. Hallow und seine Mitarbeiter aber würden sofort wieder mittels eines U-Bootes verschwinden und sich dann endgültig ein anderes Asyl aussuchen. Zwei Männer allein aber haben größere
Chancen, ungesehen die Insel zu erreichen.« »Womit wir wieder einmal auf eigene Faust vorgehen. So etwas hatte ich fast schon erwartet, Parker! Aber gut, riskieren wir es. Falls wir Pech haben, sind wir wenigstens nicht blamiert!« »Ihr Einverständnis voraussetzend, Sir, werde ich mir dann erlauben, für ein geeignetes Verkehrsmittel zu sorgen.« »Okay, lassen Sie sich was einfallen, Parker. Wann soll diese Reise denn Ihrer Meinung nach losgehen?« »In der kommenden Nacht, Sir, falls Ihnen dieser Termin genehm ist.« »Einverstanden«, schloß Mike Rander, »ich bin gespannt, was wir auf dieser vertrackten Insel finden werden!« * »Sieht ganz vertrauenerweckend aus«, meinte Anwalt Rander am folgenden Abend. Er stand vor dem Hangar und betrachtete die einmotorige Reisemaschine, die statt Räder Schwimmer aufwies. »Ist der Pilot in Ordnung?« »Ich denke doch, Sir!« »Wo ist der Mann? Den möchte ich mir erst mal aus der Nähe ansehen.« »Er erlaubt sich, vor Ihnen zu stehen, Sir!« 51 �
»Sie wollen diese Maschine fliegen? Das soll doch wohl ein Witz sein, oder?« »Sir, ich scherze keineswegs. Ich habe in der Tat die Absicht, diese Maschine nach Exuma Island zu fliegen!« »Ja, Mann, können Sie denn das überhaupt?« »Ich bin mir einigermaßen sicher«, sagte der Butler würdevoll, »als ich seinerzeit einmal der Butler des Herzogs von Bentley war, hatte ich die Ehre und den Vorzug, den Herzog bei seinen ausgedehnten Flügen begleiten zu dürfen. Bei dieser Gelegenheit erwarb ich den Pilotenschein.« »Davon haben Sie mir aber noch nie erzählt«, gab der Anwalt mißtrauisch zurück. »Es ergab sich bisher leider nicht, Sir. Ich möchte aber sagen, daß Sie sich mir anvertrauen dürfen!« »Sie haben doch überhaupt keine Praxis!« »Sie wird sich während des Fluges hoffentlich wieder einstellen, Sir. Zudem habe ich mir das Handbuch für die? Fliegerei durchgelesen und besitze zudem noch die Betriebsanleitung zu dieser Maschine. Rein theoretisch müßte der Flug zu einem vollen Erfolg werden.« »Ihr Wort in Gottes Ohr«, seufzte Mike Rander auf, »werden Sie die Insel auch wirklich finden, Parker?« »Sir, die Maschine besitzt einen
Radiokompaß«, gab der Butler gemessen zurück, »wenn ich mit ihm auch nicht sonderlich vertraut bin, so dürfte er doch im Prinzip so wie alle übrigen Kompasse funktionieren. Darf ich Ihnen beim Einsteigen helfen?« »Besitzen Sie auch wirklich das Pilotenexamen?« »Sir, darauf kann ich jeden Eid leisten!« Mike Rander war und blieb mißtrauisch. Er saß neben seinem Butler, dessen Hände im Moment viel zu tun hatten. Mike Rander wartete darauf, daß der Motor ansprang. Josuah Parker übrigens auch, doch davon sagte er sicherheitshalber nichts. Er wollte seinen jungen Herrn nicht unnötig beunruhigen. »Ich denke, Sir, ich werde in der Gebrauchsanweisung ein wenig nachlesen«, sagte er endlich, als der Motor nach wie vor stumm blieb. »Wenn Sie sich einen kleinen Moment gedulden würden.« Mike Rander schnappte nach Luft. Diese Art des Starts hatte er natürlich nicht erwartet. Auf der anderen Seite faszinierte ihn das Studium, dem der Butler sich hingab. Er suchte und verglich, er kontrollierte und verwarf, er kippte Hebel und bewegte Schrauben, er zog Knöpfe heraus und drückte andere wieder hinein, kurz, er war voll beschäftigt. Und plötzlich dröhnte der Motor 52 �
sogar auf. »Es ist nur eine Frage der Konzentration«, sagte Parker durch die Bordsprechanlage, »wenn Sie einverstanden sind, werde ich jetzt den Start einleiten.« »Aber doch nicht mit dem Buch in der Hand«, schrie der Anwalt gequält auf. »Nur aus Gründen der Sicherheit, Sir«, beruhigte der Butler seinen jungen Herrn, »falls erforderlich, kann ich dann schnell ein wenig nachschlagen und nachlesen.« Die Maschine rollte an. Sie wurde schneller und schneller. Der Rumpf vibrierte. Die Tragflächen schüttelten sich. »Wann heben wir denn endlich ab?« brüllte Mike Rander seinem Butler zu, »haben Sie vergessen, daß wir in einem Flugzeug und nicht in einem Auto sitzen?« Nun, Josuah Parker hatte es nicht vergessen. Ohne jede Vorwarnung riß er die Maschine von der Betonpiste hoch. Mike Rander wurde hart und brutal in den Sitz zurückgezwängt. Er rang nach Luft und vermißte die Lichter der Stadt. Er sah über sich nur noch den abendlichen Himmel, über den sich bereits die Nacht ausbreitete. »Mann, wir sind doch keine Rakete!« schrie er entsetzt. »Keineswegs, Sir!« kam die ruhige und würdevolle Antwort des But-
lers, »Sie hätten mich daran keineswegs erinnern brauchen. Mir ging es nur um etwas Höhe, die ich zu gewinnen trachtete!« Er hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als die Maschine keine Fahrt mehr hatte. Sie war deutlich überzogen worden. Sie nahm es übel und rutschte über das hintere Leitwerk ab. »Wir stürzen ab. Parker… Aufpassen!« Mike Rander hielt sich krampfhaft fest. Er war nicht mehr sonderlich beruhigt, als er die Lichter der Stadt sah. Diese Lichter waren nämlich beängstigend nahe. Zu nahe sogar! »Ich werde mir jetzt erlauben, Sir, ein wenig nachzudrücken«, verkündete der Butler vom Steuerknüppel her. »Ich muß ehrlich sagen, daß die Maschine ungemein willig reagiert!« Mike Rander riß weit die Augen auf. Er hatte allen Grund dazu, denn das Bürohochhaus mit seinen erleuchteten Fenstern kam unwahrscheinlich schnell näher. Es raste direkt auf die Maschine zu. Ein Zusammenstoß schien unvermeidlich. »Parker. Parker!« röchelte Mike Rander und schloß ergeben die Augen. Er wartete auf den Aufschlag. »Ich leite nun eine Steilkurve ein«, erklärte der Butler seelenruhig. Nun, von einer Linkskurve konnte 53 �
kaum gesprochen werden. Im Messerflug wischte die schnelle Maschine an der Kante des Hochhauses vorbei und gewann freie Bahn. Sowohl Parker als auch Rander entging, daß im Hochhaus arbeitende Angestellte einem Herzinfarkt nahe waren als die Maschine so dicht vor ihren Fenstern auftauchte, um dann plötzlich seitlich wegzuwischen. »Steigflug, Sir. Ich hoffe, Sie genießen die Schönheit dieses Fluges.« »Ja! Wirklich schön!« murmelte Mike Rander, verdrehte die Augen und stieß einige erschreckte Rufe aus, als die Maschine auf einen Sendemast zujagte. Mike Rander dachte an die soliden Drahtverspannungen, die den hohen Stahlmast hielten. Daran mußten sie mit tödlicher Sicherheit hängen bleiben. »Ich werde im Tiefflug ausweichen«, verkündete der Butler freudig, »Sie sollten sich keineswegs Sorgen machen, Sir. Platz ist ausreichend vorhanden.« Der Motor stellte die Nase nach unten und begann mit dem Tiefflug. Mike Rander stöhnte entsetzt auf, als nur knapp einen halben Meter neben der rechten Spitze der Tragfläche ein sehr solides Stahlseil auftauchte. Hatte Parker es überhaupt gesehen?
»Diese Seile können in der Tat äußerst tückisch sein«, meinte der Butler und zog die Maschine um das nächste Abspannseil herum, »beachten Sie bitte die Gängigkeit der Ruderanlage. Ein wirklicher Genuß, diese Maschine zu fliegen!« »Ein Genuß? Ein Erlebnis!« heulte der junge Anwalt auf. »Mensch, Parker, gewinnen Sie endlich die See. Ich möchte meinen Puls nicht überfordern!« »Die See!« Parker deutete stolz auf den Atlantik, in dem sich die schnell untergehende Sonne spiegelte. »Ich nehme jetzt Kurs auf die bewußte Insel!« »Habe wir eine Bordapotheke?« stöhnte Mike Rander. »Befinden Sie sich möglicherweise nicht in Ordnung?« fragte der Butler besorgt zurück. »Mir ist schlecht. Mir ist hundeelend!« Mike Rander entkrampfte sich etwas und wischte sich die dicken Schweißperlen von der Stirn. »Sagen Sie mal im Vertrauen, Parker, wann Sie zuletzt in einer Maschine gewesen sind. Als Pilot, meine ich?« »Oh, Sir, das dürfte schon einige Jahre her sein«, erwiderte der Butler gemessen, »wenn ich mich recht erinnere, muß das vor dem Zweiten Weltkrieg gewesen sein. Ich war damals noch ein junger Mann!« »Waas…?Vor dem Zweiten Weltkrieg…?« 54 �
»Worauf haben Sie denn da Ihren Flugschein gemacht?« »Auf einem abenteuerlichen Gefährt, Sir. Nun, der Flug für das Examen dauerte dafür auch nicht länger als drei Minuten!« Worauf Josuah Parker sich wunderte, daß sein junger Herr in eine wohltätige Ohnmacht fiel! * »Parker, sind Sie auch sicher, daß wir auf dem richtigen Kurs sind?« erkundigtes sich Mike Rander nach rund dreieinhalb Stunden Flugzeit. »Meiner Schätzung nach müßten wir längst in der Gegend der ExumaInseln sein.« »Wenn ich den Kompaß richtig interpretiert habe, Sir, müßten Sie und meine bescheidene Person auf richtigem Kurs liegen«, erwiderte der Butler. »Leider läßt sich wegen der Dunkelheit nicht sehr viel erkennen!« »Na, das Licht reicht aber vollkommen aus, um eine Insel ausmachen zu können. Haben wir noch ausreichend Sprit?« »Die Benzinuhr, Sir, ist leider ausgefallen!« »Warum bin ich nicht in Chikago geblieben?« sagte Mike Rander und warf seinem Butler einen anklagenden Blick zu, »warum habe ich mir Ihre Pilotenlizenz nicht zeigen lassen?«
»Die Inseln, Sir!« meldete der Butler in diesem Augenblick, »nein, nicht vor uns. Ich fürchte, weit links vom Kurs!« »Na, immerhin, man wird ja mit der Zeit bescheiden«, sagte der Anwalt, »hoffentlich sind das die Exuma-Inseln!« »Sir, ich muß gestehen, daß mich der Anblick einer Insel, gleich zu welcher Inselgruppe sie gehört, außerordentlich erfreut und animiert. Ich werde mir erlauben, diese Inselkette anzufliegen!« »Von mir aus! Mir ist alles egal!« Mike Rander schickte ein Stoßgebet zum nächtlichen Himmel hoch und griff dann nach dem Glas, um die Inseln besser erkennen zu können. Zum Glück der beiden Sportflieger schien der Mond. Er meinte es außerordentlich gut. Er beleuchtete tatsächlich eine Kette kleiner und kleinsten Inselchen, die alle vulkanischen Ursprungs waren. Welche Insel das gesuchte Exuma Island war, ließ sich selbstverständlich nicht feststellen. »Ich werde die Inseln der Reihe nach abfliegen«, schlug der Butler vor. »Ich wünsche mir, wir wären schon glücklich unten«, stöhnte Mike Rander, der an die Prozedur der Landung dachte. »Sie wissen natürlich überhaupt nicht, wie man solch eine Maschine wassert, wie?« »Sir, durch Erfahrung läßt sich vie55 �
les lernen«, verhieß der Butler. »Sicher, falls man dann noch Gelegenheit hat, das Gelernte auch anzuwenden«, orakelte der Anwalt. »Moment, Parker, dort unten brennt ein Licht. Es ist plötzlich aufgeflammt!« »Eine Magnesiumfackel, Sir, falls meine Augen mich nicht unnötig täuschen!« »Scheint uns zu gelten, wie?« »Sir, ich werde das Licht anfliegen«, verhieß der Butler, »vielleicht erwarten Sie und meine bescheidene Person einige Überraschungen.« »Wieso vielleicht? Diese Überraschungen werden mit Sicherheit kommen«, murmelte der Anwalt, der natürlich nur an die Landung dachte, »gehen Sie nicht zu niedrig, Parker. Denken Sie an die Vulkanberge und an die Palmwipfel!« »Sie können sich wie stets fest auf mich verlassen, Sir!« Nach diesem optimistischen Ausspruch senkte der Butler die Nase der Sport- und Reisemaschine, um das Licht anzufliegen, das tatsächlich schon wegen seiner fast grellen Helle nicht mehr zu übersehen war. »Das ist… das ist doch Exuma Island!« stellte Mike Rander während der Kurveneinleitung fest. »Parker, das ist die gesuchte Insel! Sie sind fast ein Genie. Ein ganzes sind Sie erst, wenn Sie uns heil auf den Boden gebracht haben! Auf der
Insel muß was los sein!« »In der Tat, Sir, ich bin außerordentlich überrascht!« Parker nahm erfreut zur Kenntnis, daß sie sich tatsächlich über Exuma Island befanden. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Der charakteristische Vulkankegel, der durch die höllische Explosion am Rand abgetragen worden war, ließ sich leicht wiedererkennen. »Das Licht brennt dort oben auf dem Vulkanhang!« Josuah Parker neigte die Maschine etwas zur Seite, um besser sehen zu können. »Und dort, Sir, glaube ich bereits einen langen Landungssteg zu erkennen, der in die Lagune hinausführt.« »Wir haben’s geschafft«, jubilierte der Anwalt, der in diesem Moment aber nicht an die noch bevorstehende Landung dachte. »Die erwarten eine Maschine…« »Vielleicht die Maschine, die die Kuriere der Amazonen befördert, Sir. Darf ich Sie an den Luftangriff erinnern, der auf den Bungalow am Ufer des Okeechobee geführt worden ist? Um diese Maschine könnte es sich unter Umständen handeln!« »Dann ist auch geklärt, wie die Dragees in die Staaten gebracht werden. Parker, wollen wir jetzt landen? In der Lagune vielleicht. Die scheint mir groß genug zu sein!« »Ich werde es gern versuchen, Sir!« »Oh!« murmelte der Anwalt und erinnerte sich plötzlich wieder der harten Tatsachen. »Vielleicht steigen 56 �
wir besser mit dem Fallschirm aus. Das ist mir immer noch sicherer, Parker!« »Sir, rein theoretisch betrachtet, beherrsche ich die erforderlichen Landemanöver«, behauptete der Butler würdevoll, »das Niedergehen wird möglicherweise nicht gerade klassisch zu nennen sein, doch zu Boden kommen wir bestimmt!« »Natürlich«, antwortete Mike Rander und verdrehte ergeben die Augen, »es ist ja noch kein Flieger oben geblieben! Gut, riskieren wir es!« Die nächsten Minuten waren für ihn die Hölle. Parker drückte die Maschine auf die Lagune hinunter, er ließ sie zuerst auf dem linken, dann auf dem rechten Schwimmer herumtanzen. Parker gelang es, sie wie einen flachen Kieselstein immer wieder auf der Wasseroberfläche hochhüpfen zu lassen. Und schließlich, als Krönung dieser Landung, zischte die Maschinen auf ihren Sandstrand und blieb neben einer Palme stehen. »Ich hoffe, Sir, Sie waren mit mir zufrieden«, meinte der Butler, nachdem der unbeschädigte Propeller stand, »ich hoffe, dieser kleine Ausflug durch die Lüfte bereitete Ihnen einiges Vergnügen!« Mike Rander öffnete die Tür und stieg aus. Doch er hatte die Tragfähigkeit seiner zitternden Beine überschätzt.
Wie vom Blitz getroffen, sackte er in sich zusammen und schluchzte trocken auf! »Reine Freudentränen«, sagte er wenig später, nachdem er sich endlich etwas erholt hatte, »ich kann’s vor Freude gar nicht fassen, wieder auf sicherem Boden zu stehen.« »Die Magnesiumfackel«, erinnerte der Butler seinen jungen Herrn, »falls Sie es noch nicht gesehen haben sollten, Sir, sie ist inzwischen erloschen.« »Gönnen Sie mir noch einen Moment der Ruhe«, antwortete der Anwalt und brachte seine zitternden Glieder langsam wieder unter Kontrolle. »Sie können ja inzwischen das Gepäck ausladen!« Josuah Parker ließ sich nicht lange nötigen. Er barst förmlich vor Arbeitseifer. Das Abenteuerfieber hatte ihn wieder gepackt. So fühlte er sich außerordentlich wohl: er mußte die Witterung neuer Gefahren und Überraschungen in die Nase bekommen, dann verwandelte er sich sofort wieder in einen jungen Mann. Parker hatte an viele Dinge gedacht. So enthielt die Maschine nicht nur seinen Spezialkoffer. Nein, sie enthielt ein Schlauchboot, handliche Feuerwaffen, Gerät aller Art und ein tragbares Funkgerät. Parker brachte all diese Schätze erst einmal in Sicherheit. Er verbuddelte das Schlauchboot im weichen, 57 �
weißen Sand der Lagune, er versteckte die Gerätschaften im dichten Unterholz und legte dann die beiden Lasten zurecht, die für seinen jungen Herrn und für ihn gedacht waren. »Sir, ich bin bereit«, sagte er dann, sich an Mike Rander wendend, »wenn ich mir einen bescheidenen Rat erlauben darf, so sollten wir die Lagune tunlichst verlassen. Es ist damit zu rechnen, daß das Landemanöver von den Hängen des Vulkans beobachtet worden ist.« »Nur weg von diesem Vogel!« Rander deutete auf die treue Maschine, die natürlich völlig unschuldig war. Er riß seine Traglast an sich und verschwand schleunigst im dichten Unterholz. Josuah Parker warf dem Flugzeug einen dankbaren Blick zu, um dann seinem Herrn zu folgen. Sie schlugen aus Gründen der Sicherheit zuerst einmal eine weiten Bogen, erreichten den Rand des Sumpfgeländes und marschierten dann von hier aus durch dichtes Unterholz zum Hang des Vulkans. Mike Rander, der vorausging, blieb plötzlich stehen. Mit einer schnellen Handbewegung brachte er den Butler dazu, sich in Deckung zu begeben. Er selbst verschwand hinter einem dichten Strauch. Josuah Parker brauchte nicht lange zu warten, bis er den Grund für diese Warnung erfuhr.
Er hörte leise Stimmen! Sie waren nicht besonders laut. Sie gehörten wahrscheinlich zwei Männern, die sich in einer Sprache unterhielten, die er nicht verstand. Bald darauf tauchten diese zwei Männer auf. Sie trugen weite Uniformen, die an Schlafanzüge erinnerten. Und sie trugen kurzläufige Maschinenpistolen, die besonders scharf und giftig aussahen. Sie waren und sie blieben ahnungslos. In einer zwitschernden Stimme miteinander redend, kamen sie dicht an den Verstecken von Mike Rander und Josuah Parker vorbei. Bald darauf waren sie in Richtung Sumpf verschwunden. »Ich atme auf«, flüsterte Rander seinem nachgekommenen Butler zu, »endlich haben wir es wieder mit Männern zu tun. Direkt eine Wohltat! Hoffentlich bleibt es dabei. Von den Amazonen habe ich die Nase gründlich voll!« »Meiner bescheidenen Ansicht nach muß es sich um Chinesen gehandelt, haben«, stellte der Butler fest, »damit dürfte der erste Teil meiner Voraussage eingetroffen sein, Sir! Der ›Herr der Welt‹ hat sich erneut auf Exuma Island eingenistet!« »Stöbern wir ihn auf! Von mir aus kann’s weitergehen. Ich bin zu allen Schandtaten bereit, Parker. Hauptsa58 �
che, ich brauche vorerst nicht zurück in die Maschine!« Die beiden Männer nutzten die Nacht, um sich am Hang des Vulkans hochzuarbeiten. Sie waren und blieben äußerst vorsichtig. Sie durften als sicher unterstellen, daß die Landung der Maschine beobachtet worden war. Sie hatten gerade eine kleine Verschnaufpause eingelegt, als plötzlich weit unten von der Lagune her eine dumpfe Explosion zu hören war. Eine Stichflamme erhellte die Nacht. »Die Maschine!« Mike Rander freute sich wie ein Kind. »Parker, sie haben die Maschine gefunden und in die Luft gesprengt. Diesen beiden Chinesen sollte man direkt eine Orden überreichen!« Parker sah seinen jungen Herrn zweifelnd an. Er konnte sich nicht recht vorstellen, warum Mike Rander sich wie ein beschenktes Kind freute…! * »Wollen wir wirklich bis ‘rauf zum Kraterrand?« fragte Mike Rander, als sie nach zwanzig Minuten erneut eine Pause einlegten. »Keineswegs, Sir, falls Sie damit einverstanden sind. Man würde Sie und meine bescheidene Wenigkeit ‘ dort erwarten.« »Das denke ich nämlich auch«, meinte der Anwalt, »die Gangster
werden damit rechnen, daß wir zuerst einmal den Krater untersuchen!« »Wenn Sie einverstanden sind, sollten wir jetzt nach rechts abbiegen und uns parallel zum Kraterrand halten. Ich denke an den Steilfelsen und an den unterirdischen Kanal, durch den seinerzeit U-Boote in den Krater hineinfuhren.« Mike Rander war einverstanden. Der Weg war mühsam und schien kein Ende zu nehmen. Der Anwalt wunderte sich wieder einmal über die Zähigkeit seines Butlers, der weiß Gott nicht mehr als junger Mann zu bezeichnen war. Parker gefügte über eine Fitneß, die einen Sportler hätte schamrot werden lassen. Müdigkeit kannte er nicht. Er schritt zielsicher aus, sein Tempo war gleichmäßig. Und darüber hinaus mußte er noch das erstaunliche Sehvermögen einer Eule besitzen. Er entdeckte rechtzeitig jedes Hindernis, fand immer die richtigen Pfade und ersparte so unnötige Umwege. »Ich denke, Sir, daß ich mir nun etwas Ruhe gönnen darf«, sagte er schließlich, als sie die Außenseite des Vulkans erreicht hatten, jene Seite also, die steil zum Meer abfiel. »Es empfiehlt sich, hier erst einmal Beobachtungsposten zu beziehen. Dazu ist es meiner bescheidenen Ansicht nach erforderlich, diesen Posten mehr als gut zu tarnen.« Die beiden Männer hatten Zeit, 59 �
etwas für diese Tarnung zu tun. Sie überhasteten nichts. Sie nahmen sich Zeit. Sie schleppten Lavabrocken heran und bauten sich eine Art Unterschlupf, der vollkommen natürlich aussah. Alles ging sehr gut, bis Mike Rander das Pech hatte, daß ihm ein Lavabrocken aus der Hand glitt, über den Hang polterte und dröhnte, um dann aufklatschend im Wasser zu landen. Diese Geräusche waren stark genug, um die Brandung zu übertönen. Mike Rander und Josuah Parker gingen in Deckung. Und sie taten gut daran, denn plötzlich flammte ein starker und gebündelter Scheinwerfer auf, der den steilen Hang Meter für Meter ableuchtete. Es dauerte nicht lange, bis dieser Lichtstrahl auch in die Nähe ihres Versteckes kam. Jetzt mußte es sich zeigen, ob Mike Rander und sein Butler gut gearbeitet hatten. Nun, der Suchscheinwerfer glitt völlig desinteressiert über ihr steinernes Versteck hinweg und tastete weitere Geländeflecke ab. Die beiden Männer konnten aufatmen. »Wenn Sie erlauben, werde ich die erste Wache übernehmen«, sagte der Butler. Er sprach sehr leise. »Mit anderen Worten, ich soll mich hinlegen und schlafen, wie?« »Ein Mann in Ihrem Alter, Sir,
braucht noch viel Schlaf«, stellte der Butler fest, »ich bitte sehr, mir diese Vertraulichkeit verzeihen zu wollen!« »Schon passiert«, sagte Rander und rollte sich in dem engen Versteck zusammen. »Aber unternehmen Sie nur ja nichts auf eigene Faust, ist das klar?« »Ich werde mich an Ihre Richtlinien zu halten versuchen«, gab der Butler zurück. »Exkursionen dürften sich zur Zeit aber auch nicht lohnen, Sir. Nach der Landung und Vernichtung der Maschine, Sir, dürften die Gangster jede Art von Arbeit eingestellt haben. Sie müssen ja erst herausbekommen, wer gelandet ist!« Nachdem Mike Rander eingeschlafen war, nahm Parker sein Nachtglas vor die Augen und suchte den schmalen Uferstreifen und das dahinter liegende Wasser sorgfältig ab. Nach seiner Theorie mußte sich dort wieder ein U-Boot befinden. Oder aber zumindest ein unauffällig aussehender Frachter, der in der Nähe ankerte. Da es von Viertelstunde zu Viertelstunde immer heller wurde; ließen sich draußen vor der Insel Einzelheiten unterscheiden. So zum Beispiel auch die Umrisse eines Frachters von rund 8000 Tonnen, der im freien Wasser ankerte und, was seine Farbe anbetraf, einen bejammernswerten Eindruck machte. Das mußte das neue Hauptquar60 �
tier des Supergangsters Herbert Hallow sein, der sich wahnsinnigerweise der »Herr der Welt« nannte. Diese Lösung war nicht schlecht. Wahrscheinlich befanden sie sich drüben auf dem Dampfer rechtlich gesehen auf exterritorialem Boden. Damit war er für die einschlägigen Behörden unangreifbar. Zudem konnte er seine Position beliebig verändern. Eine bessere Zentrale hätte ich Herbert Hallow überhaupt nicht wünschen können. Die Frage war nur, warum ein Teil der Besatzung die Insel bevölkerte. Die Frage war, warum dieser Frachter ausgerechnet vor Exuma Island vor Anker gegangen war. Wozu wurde diese einsame Insel benötigt? Sollten etwa erneut Raketenabschußrampen gebaut werden? * Ein Außenborder hatte den Frachter verlassen und hielt auf die Insel zu. Durch das Glas waren die Insassen dieses Bootes gut zu erkennen. Es war inzwischen Tag geworden, und die Sonne leuchtete jede Einzelheit klar aus. In dem großen und soliden Außenborder saßen neben dem Mann am Motor noch zusätzlich acht Matrosen. Auch sie trugen blaue Schlafanzüge, die irgendwie an Uniformen erinnerten. Bewaffnet waren die Männer nicht, doch das hatte nichts
zu sagen. Auf der Insel befand sich mit Sicherheit ein Waffendepot. »Das gilt uns«, sagte Mike Rander, der das Boot ebenfalls durch sein Glas beobachtete, »sie wollen die Insel durchkämmen, Parker! Sie trauen dem bisherigen Frieden nicht!« »Ich glaube nicht, Sir, daß wir etwas zu befürchten haben«, erwiderte der Butler, »dieses Versteck hier erscheint mir äußerst sicher.« »Wie lange wollen wir hier am Hang bleiben?« »Bis gegen Spätnachmittag, Sir, falls ich dies vorschlagen darf. Bis dahin müßte die Suchaktion eingestellt worden sein.« »Gut, warten wir also! Wird verdammt langweilig werden. Sehen Sie mal, Parker, die halten genau auf den früheren Unterwasserkanal zu. Ob die ihn wieder freigeräumt haben?« »Falls ja, Sir, müßte man schleunigst etwas dagegen unternehmen.« »Dazu gehört Sprengstoff!« »Ich war so frei, einige Kilo davon mitzunehmen, Sir!« »Zum Henker, wie sind Sie denn daran gekommen?« Rander sah seinen Butler belustigt an. »Vor dem Abflug, Sir, sprach ich in einer Filiale der Küstenwache vor!« »Mann, Sie haben ein staatliches Depot beraubt?« fragte der Anwalt entrüstet. »Ich habe mir den Sprengstoff nur 61 �
entliehen, Sir. Zudem hinterließ ich eine genau spezifizierte Quittung und den Hinweis, man möge sich mit Mr. Brown unterhalten, dessen Telefonnummer ich auf der Quittung hinterließ. Ich hoffe sehr, daß er etwaige Fragen schnell klären wird.« »So etwas ist Butler ausgerechnet bei einem Anwalt«, stöhnte Mike Rander auf. Dann wechselte er das Thema und deutete hinüber auf den Frachter, »würde es in Ihre Vorstellungen hineinpassen, Parker, wenn wir den Frachter daran hinderten, seinen Ankerplatz zu verlassen?« »Selbstverständlich, Sir, Sie würden einen meiner brennenden Wünsche erfüllen!« »Sehen Sie, so großzügig bin ich. Behalten wir etwas Sprengstoff zurück, es genügt ja, wenn wir die Schiffsschraube wegsprengen oder nur verbiegen!« »Für diesen Zweck kann ich mit einer handlichen und wasserdichten Spezialmine dienen«, sagte der Butler. »Stammt die auch aus dem Depot der Küstenwache?« »Sie lag dort nutzlos herum, Sir, deshalb war ich so frei, sie gleich mitzunehmen.« Die Unterhaltung wurde leider unterbrochen, denn es war deutlich zu sehen, daß vom Rand des Vulkans aus strahlenförmig die Suchtrupps ausschwärmten, um die not-
gelandeten Flieger zu suchen. Jetzt kam es darauf an. Würden Mike Rander und sein Butler unentdeckt bleiben? Entgingen sie den suchenden Augen? Hatten sie ihr Versteck gründlich genug getarnt? Ihr Leben hing davon ab! Die Situation wurde von Minute zu Minute immer kritischer. Einer der Suchtrupps kam direkt auf sie zu. Es handelte sich um drei Männer, die ihre Arbeit gründlich erledigten. Sie untersuchten praktisch jeden Stein. »Das geht niemals gut«, flüsterte Mike Rander seinem Butler zu, »sie werden uns mit Sicherheit entdecken, Parker.« »Ich fürchte, Sir, ich muß mich Ihrer Auffassung anschließen«, erwiderte der Butler, »man sollte die Initiative ergreifen, bevor die drei Männer aktiv werden.« »Und wie? Sobald wir den ersten Schuß abfeuern, ziehen wir alle übrigen Trupps auf uns!« »Ich werde mich bemühen, Lärm tunlichst zu vermeiden«, sagte der Butler und steckte seine zusammenlegbare Gabelschleuder zusammen, die er einer seiner vielen Taschen entnommen hatte. * Parkers Geschosse bestanden aus kleinen Glaskapseln, die er der Pillendose entnahm. Er ging ungemein 62 �
sorgfältig damit um. Er behandelte sie noch vorsichtiger als rohe Eier. Dann legte er die erste Glaskapsel in die Lederschlaufe, visierte einen der drei Männer an, der offensichtlich den Befehl über die Gruppe hatte und zog die beiden Gummistränge an. Unhörbar sirrte das erste Glasgeschoß durch die Luft. Es landete genau auf der linken Wange des Mannes, der zusammenzuckte und dann lautlos und ohne Umschweife in sich zusammenbrach. »Ausgezeichnet«, lobte Mike Rander seinen Butler. Dann warf er einen kleinen Stein aus dem Versteck heraus. Er kollerte weit rechts vom Versteck auf den Boden. Die übrigen Männer der Gruppe, die sich gerade um ihren Partner kümmern wollten, wurden sofort abgelenkt. Mißtrauisch änderten sie die Richtung. In diesem Augenblick schickte der Butler bereits die zweite Glaskapsel auf die Luftreise. Ein erneuter Volltreffer! Der Getroffene griff sich überrascht an die Wange, um dann ebenfalls lautlos in sich zusammenzubrechen. Der dritte und gleichzeitig letzte Mann dieser Suchgruppe wollte Alarm schlagen, als sein Nebenmann ebenfalls lautlos zu Boden ging. Er nahm seine Maschinenpistole hoch und wollte einige Warn-
schüsse in die Luft feuern. In diesem Augenblick landete das dritte Geschoß. Es bestand im Gegensatz zu den beiden Glaskapseln aus einem soliden Stein, der genau seine Schläfe traf. Wie von einem Fausthieb getroffen, sackte der Mann zu Boden. Er kam nicht mehr dazu, die Warnschüsse abzufeuern. »Sir, darf ich Sie bitten, mir bei der Bergung der drei Männer zu helfen«, sagte der Butler. Während er noch redete, wollte er das Versteck verlassen. In diesem Augenblick passierte es! Ein Schuß peitschte los. Das Geschoß schlug dicht neben Parkers Gesicht in den Boden. Scharfkantige Steinsplitter sirrten durch die Luft. Bevor der Schütze einen zweiten Schuß abzufeuern vermochte, hatte Mike Rander bereits eingegriffen. Sehr nachhaltig sogar. Er hatte den vierten, nachkommenden Mann im letzten Moment noch gesehen. Mike Rander, der seine Schußwaffe längst entsichert in Händen hatte, genierte sich nicht, diesen zweiten Schuß zu verhindern. Der Schütze brüllte auf, verlor seine Pistole und fiel zu Boden. »Ich erlaube mir, Ihnen meinen tiefen Dank auszudrücken, Sir«, sagte der Butler, der sehr wohl wußte, daß sein junger Herr ihm das Leben gerettet hatte. »Ich fürchte aller63 �
dings, Sir, daß der eigentliche Tanz jetzt erst beginnen wird!« * Worin der Butler sich keineswegs getäuscht haben sollte. Angelockt durch die Schüsse, zogen die übrigen Trupps sich zusammen und hielten auf das Versteck zu. »Ich werde für einige Verzögerung sorgen, Sir«, sagte der Butler, der nach wie vor viel von seiner Gabelschleuder hielt. Diesmal verschoß er zwei Papprollen, die er seiner Hosentasche entnommen hatte. Nachdem diese beiden Papprollen aufgeschlagen waren, breitete sich zischend ein dichter, milchigweißer Nebel aus. Josuah Parker und sein junger Herr setzten sich ab. Doch sie begingen keineswegs den Fehler, den Hang hinunterzulaufen. Sie nahmen bewußt ein Risiko in Kauf, als sie gegen alle Regeln der Logik ihren Gegnern entgegenliefen. Natürlich sorgten sie für Deckung, nutzten die dichten Nebelschwaden aus, dennoch spielten sie mit ihrem Leben. Um die Täuschung auch akustisch zu unterbauen, verschoß der Butler mit seiner Gabelschleuder einige weitere Papprollen, die weit unten am Hang aufschlugen. Sie strömten keinen Nebel aus, sondern detonier-
ten mit lautem, berstendem Klang. Es hörte sich so an, als schossen die Flüchtenden aus allen Rohren zurück. Dieser Trick verleitete die Verfolger, blindlings nach unten zu stürmen. Mike Rander und Josuah Parker, fest gegen den Boden gepreßt, wären fast zu Stolpersteinen für die Verfolger geworden, so dicht liefen sie an ihnen vorbei. Sie liefen in ihrer Hast vorbei, aber sie entdeckten die Gesuchten nicht. Nach knapp zehn Minuten befanden Mike Rander und sein Butler sich fast in Sicherheit. Sie hatten den Rand des Vulkankraters erreicht und konnten sich eine kleine Verschnaufpause leisten. »Die wären wir erst mal los«, sagte Mike Rander aufatmend, »bis sie den Rest der Insel abgekämmt haben, ist es dunkel!« »Zeit genug, Sir, sich den Rest des Kraters anzusehen, wenn Sie erlauben.« »Natürlich, Parker, bringen wir auch das hinter uns! Sensationen verspreche ich mir aber nicht davon! Die Explosionen seinerzeit dürften alles zerstört haben. Die englischen Behörden berichten ja ausführlich darüber.« Mike Randers Skepsis war nicht übertrieben. Der Krater, der einstmals die Abschußrampe und die unterirdischen Anlagen beherbergt hatte, war 64 �
zerstört. Es führte kein Weg mehr nach unten. Gewaltige Erdmassen, Felsbrocken und Steintrümmer hatten die Öffnung zugeschüttet. »Na, jetzt wissen wir wenigstens, daß hier für uns nichts zu holen ist«, meinte Mike Rander, nachdem er die Trümmer ausgiebig besichtigt hatte. »Bleibt der Kanal! Aber auch der wurde doch durch die Explosion zugeschüttet!« »Bleibt demnach nur noch der Frachter, Sir. Wenngleich ich mir Gedanken darüber mache, warum die Besatzung überhaupt gelandet ist, warum sie so hartnäckig die Insel abkämmt. Sie muß ein neues Geheimnis bergen.« »Was vermuten Sie denn, Parker?« »Ein Laboratorium großen Stils, Sir!« »Wegen der rosa Dragees?« »In der Tat, Sir! Ich könnte mir nämlich vorstellen, daß die Auftraggeber Mr. Hallows ihm hier eine Herstellungsanlage für die Psychodroge einrichten. Von Exuma Island aus sollen die Dragees oder das flüssige Mittel in die Staaten gebracht werden.« »Und wo vermuten Sie dieses Labor, nachdem der Vulkan sich als Niete erwiesen hat?« »In einem Teil des Unterwasserkanals, Sir!« »Worauf warten wir dann noch?« fragte der junge Anwalt lächelnd, »sehen wir uns den Kanal mal aus
der Nähe an! Aber vergessen Sie nicht Ihr Funkgerät! Wir sollten an Brown einen Funkspruch absetzen!« »Das wird sofort geschehen, Sir…!« Parker machte das kleine, aber leistungsstarke Gerät betriebsklar und setzte dann in regelmäßigen Abständen seinen Spruch ab. Er wartete nicht auf eine Bestätigung, diese Zeit nahm er sich nicht. Er bearbeitete die Morsetaste und wiederholte seinen Spruch. Er hatte das Gefühl, daß die Zeit mehr als kostbar war. Dann schaltete er das Gerät auf einen Dauerpeilstrahl um und verbarg es geschickt unter Steintrümmern weit oben am Rand des Vulkantrichters. Mehr konnte er im Augenblick nicht tun. Jetzt kam alles darauf an, daß die Dienststelle des Mr. Brown präzise arbeitete. * Sie nutzten die Mittagssonne, um sich zurück zum Sumpf zu pirschen. Auch diese Taktik erwies sich als durchaus erfolgreich. Die müden und lustlosen Suchtrupps hatten inzwischen die restliche Insel durchkämmt und nichts gefunden. Weniger aufmerksam zogen sie sich zum Vulkankegel zurück. Wahrscheinlich waren die Männer zu der Überzeugung gekommen, daß die beiden Eindringlinge sich abgesetzt hatten, 65 �
daß sie sich überhaupt nicht mehr auf der kleinen Insel befanden. Rander und Parker hatten keine Schwierigkeiten, den Suchtrupps aus dem Weg zu gehen. Nachdem sie passiert waren, konnten Mike Rander und sein Butler sich wieder relativ ungezwungen bewegen. Sie fanden die gesprengte Maschine. Sie bestand nur noch aus rauchgeschwärzten Trümmern, ein Anblick, der Mike Rander ausgesprochen heiter stimmte. »Was machen wir jetzt?« fragte er seinen Butler. »Wir müssen warten, bis es dunkel wird. Vorher können wir das Schlauchboot nicht ausgraben.« Josuah Parker pflichtete seinem jungen Herrn wieder einmal bei und sorgte anschließend für das leibliche Wohl. Er hatte nahrhafte Notrationen anzubieten, die noch nicht einmal schmeckten. Den Rest des Tages verbrachten sie schlafend oder wachend in einem sicheren Versteck, ganz in der Nähe des Flugzeugwracks. Als die Dämmerung nahte, wurden die beiden Männer wieder aktiv. Josuah Parker beschäftigte sich eingehend mit seinen diversen Sprengladungen, während Mike Rander sich um das Boot kümmerte. Als plötzlich die Dunkelheit einfiel, wie es in diesen tropischen Breiten der Fall ist, waren sie startklar. »Wir bringen zuerst mal die
Lagune hinter uns«, sagte Mike Rander, »anschließend rudern wir um die Felsnase herum und können uns dann entscheiden, was wir zuerst angreifen wollen.« »Haben Sie bestimmte Vorstellungen, Sir?« »Mich interessiert der Frachter. Genauer gesagt, mich interessiert die Schiffsschraube. Ich will den Kahn an die Kette legen. Sonst entwischt uns Herbert Hallow ein zweites Mal!« »Meine bescheidene Person interessiert sich für den Unterwasserkanal, Sir.« »Dann werden wir gleichzeitig, aber getrennt arbeiten«, schlug der Anwalt weiter vor, »gut, daß Sie ein kleines Tauchgerät mit eingepackt haben. Ist das auch aus dem Depot?« »Sir, es ist erstaunlich, was in staatlichen Depots untergebracht ist«, lobte der Butler nachträglich die Ausstattung der Küstenwache. »Wir werden das in unserem nächsten Bericht rühmend erwähnen«, gab der Anwalt ironisch zurück, »hoffentlich hält Brown seine schützende Hand über uns, Parker, sonst sind wir geliefert!« Sie trugen das recht schwere, dafür aber solide Schlauchboot zum Wasser und verstauten ihre Utensilien. Mike Rander wunderte sich wieder einmal, an was alles sein Butler gedacht hatte. Dieser Mann war mehr als eine Perle, er war ein kost66 �
bares Juwel. Anschließend ruderten sie möglichst geräuschlos aus der Lagune. Sie sorgten dafür, daß sie vom Mondlicht nicht angestrahlt wurden. Sie hielten sich dicht am Ufer und später dicht unterhalb der steil abfallenden Felsen. Diese Bootspartie verlief ohne Zwischenfälle. Hinter der Felsnase, die weit ins Wasser hineinragte und an der sich die Brandung rieb, legten sie eine Pause ein, um sich über ihre verschiedenen Wege klar zu werden. »Ich brauche die Haftmine«, sagte der Anwalt, der sein Atemgerät ausprobierte. »Bleiben Sie im Schatten der Steilhänge, Parker. Kümmern Sie sich nicht weiter um mich!« »Sir, ich gestehe, daß ich Sie recht ungern gehen lasse!« »Keine Sorge, ich gehe ja nicht, ich schwimme!« tröstete der Anwalt seinen besorgten Butler. »Passen Sie lieber auf sich selbst auf, Parker. Riskieren Sie nicht zuviel!« Mike Rander ließ sich vorsichtig ins Wasser gleiten, griff nach der Haftmine und benutzte dann die Kraft der Schwimmflossen, um sich langsam, aber sehr sicher an den Frachter heranzuarbeiten. * Josuah Parker blieb vorerst im Schlauchboot. Er nutzte den aufkommenden
Wind aus. Er spannte seinen Universal-Regenschirm auf und benutzte ihn als improvisiertes Segel. Das Schlauchboot machte daraufhin gute Fahrt. Er brauchte nur noch für den richtigen Kurs sorgen. Später, als er sich langsam der nächsten Felsspitze näherte, klappte er den Regenschirm wieder zusammen. Nun mußte er sehr vorsichtig sein. Er kam in die Nähe des ehemaligen Unterwasserkanals. Er konnte sich lebhaft vorstellen, daß dieser Restkanal sehr genau bewacht wurde. Falls er natürlich das enthielt, womit der Butler fest rechnete. Da kam auch schon die zweite Felsspitze in Sicht. Erfreulicherweise trieb der aufkommende Wind dichte Regenwolken vor sich hin. Der Mond versteckte sich, sein Licht wurde schwächer. Parker konnte sich an die Lage des Unterwasserkanals noch recht gut erinnern. Er mußte sich etwas einfallen lassen, um ungesehen an ihn herankommen zu können. Dazu gehörte es, die Aufmerksamkeit etwaiger Wachen gründlich abzulenken. Der Butler kippte den kleinen Außenborder ins Wasser. Er nahm die beiden Ruder zur Hand und dirigierte das Schlauchboot nahe an die Brandung heran, deren Donnern die Trommelfelle beleidigte und deren Sog bereits stark zu spüren war. Dann erst, praktisch im letzten 67 �
Moment, startete der Butler den kleinen Motor. Er war überrascht, wie gedämpft der Motor nur zu hören war. Das Donnern der Brandung verschluckte jedes andere Geräusch. Mit sehr viel Glück, aber auch Mut und Geschicklichkeit brachte er das Boot durch die schwere Brandung an den schmalen Uferstreifen heran. Gewiß, das Boot hatte jede Menge Wasser übernommen, er selbst war patschnaß, aber das alles störte ihn überhaupt nicht. Nachdem der Butler seine Spezialladung geborgen hatte, richtete er das Boot auf die offene See aus und gab Vollgas. Das Schlauchboot peitschte los. Es wurde von der Brandung erfaßt, drohte umzuschlagen und hatte dann das Glück, von einer ablaufenden Woge mit ins offene Wasser gerissen zu werden. Außerordentlich zufrieden sah der Butler dem Schlauchboot nach. Es hatte freies Wasser erreicht und brauchte sich nicht mehr mit der Brandung abzukämpfen. Es nahm Fahrt auf und preschte in die vorgesehene Richtung. Parker hoffte, daß es früher oder später entdeckt wurde. Entweder optisch oder akustisch. Befand es sich noch weiter draußen auf See, mußte das Geräusch des Außenborders trotz der starken Brandung zu hören sein. Nach einer kurzen Bestandsauf-
nahme setzte der Butler sich in Marsch. Er wirkte schon recht skurril, wie er so seinem Ziel entgegenschritt. Selbstverständlich trug er seine schwarze Melone, selbstverständlich hatte er auch jetzt nicht auf seinen Universal-Regenschirm verzichtet. Hinzu kam eine schwere Schultertasche, in der sich Sprengstoff, die notwendigen Zünder und sonstige Überraschungen verbargen. Plötzlich flammte oberhalb vom Uferstreifen ein Scheinwerfer auf. Doch er galt nicht ihm. Der Lichtfinger tastete sich durch die Dunkelheit hinaus aufs Wasser. Wahrscheinlich suchte er verzweifelt nach dem Boot, das sich unaufhaltsam von der Insel entfernte. Wenig später dröhnte ein starker Motor auf. Parker wußte, was das zu bedeuten hatte. Der Außenborder, der die Seeleute am Morgen auf die Insel gebracht hatte, lief aus, um die Verfolgung aufzunehmen. Und dieses schwere Boot schoß förmlich aus dem Felsen heraus als sei es dort abgesprengt worden. Mit anderen Worten, wenigstens ein Teil des alten Kanals mußte demnach noch vorhanden sein. Doch der Butler hatte sich geirrt. Es war keineswegs der Kanal, an den er die ganze Zeit über gedacht hatte. Es war eine natürliche Felsenhöhle, die im Lauf der Jahrtausende 68 �
vom Wasser ausgespült und ausgebrochen worden war. Und die schwere Explosion im Vulkankrater schien ein übriges dazu getan zu haben, um diese Höhlung auszuweiten. Parker stand nämlich unvermittelt und ohne Übergang seitlich neben dieser Höhle, in die das Wasser hinein, und wieder herausströmte. Die Bewegung der Brandung war hier nicht sehr stark. Sie ließ sich ohne Risiko überwinden. Weit hinten in der Höhle aber brannte Licht. Zwei Tiefstrahler erhellten eine Art Kai, der jetzt leer war. Hinter dem Kai lauerte die unergründliche Dunkelheit. Parker konnte diese Höhle zu Fuß nicht betreten. Sie war nur auf dem Wasserweg zu erreichen. Sollte er ins Wasser springen und sich bis zum Kai durchkämpfen? Er spürte wenig Lust dazu. Er suchte nach dem passenden Vergleich, bis er ihn gefunden hatte. Glich diese Höhle nicht einem Wespennest, das er ausräuchern wollte? Wenn dem so war, so gab es doch ausreichend Möglichkeiten, das zu tun. Auf der anderen Seite waren die Seeleute in der Höhle gelandet worden, um dann später oben auf dem Vulkan zu erscheinen. Gab es von dort aus eine Möglichkeit, in das Innere dieser Höhle einzudringen?
Die Wahrscheinlichkeit war groß, groß war aber auch die Wahrscheinlichkeit, daß solch ein Zugang hermetisch abgesperrt war. Parker entschloß sich für die unstrapaziöse Methode. Er investierte seinen gesamten Vorrat an Sprengstoff. Er brachte geduldig und geschickt diese höllische Ladung seitlich an der Einmündung zur Höhle an. Er suchte sich fachmännisch den richtigen Punkt aus. Da es sich um vulkanisches Gestein handelte, das durch die vorausgegangene riesige Explosion schon etwas gelockert worden war, durfte er auf die Ladung bauen. Nachdem er den Zünder angebracht hatte, setzte er die kleine Zeituhr in Bewegung und brachte sich erst einmal in Sicherheit. Er wußte ja nicht, wie diese Ladung wirken würde. Drei Minuten verstrichen. Parker kontrollierte die Zeit anhand seiner Zwiebeluhr. Als der Sekundenzeiger die vierte Minute ankündigte, zwang er sich zur Ruhe. In wenigen Sekunden mußte sich zeigen, ob er den richtigen Punkt erwischt hatte. Er hatte ihn erwischt! Der vom Staat entliehene, gut verdämmte Sprengstoff platzte mit Donnergetöse auseinander. Gleichzeitig damit rutschte das poröse Gestein nach. Ein Erdrutsch grollte und donnerte, ließ den Boden erzit69 �
tern. Dann ein Rauschen, als zische ein Düsenjäger über die Insel, dann ein Reißen und Bersten, als würde die Erde sich auftun. Parker beobachtete fasziniert dieses Schauspiel. Staubwolken verdunkelten das restliche Mondlicht. Eine Flutwelle rauschte durch die Brandung und brachte sie zum Kochen. Parker wäre beinahe von dieser Welle erfaßt worden. Er konnte sich gerade noch vor ihr retten. Nachdem das aufgebrachte Wasser sich verlaufen hatte, pirschte der Butler sich durch den Staub zurück an die Höhle. Sie existierte nicht mehr. Der Zugang war eingestürzt. Die Brandung nagte wütend an dem neuen Uferstück und suchte nach einem Zugang, der aber wirklich und tatsächlich nicht mehr vorhanden war. Parkers Rechnung war somit aufgegangen. Wer auch immer sich hinter dem Kai befand, war eingeschlossen. Er hatte nur noch die Möglichkeit, sich über den geheimen Zugang am Hang zu retten. Falls dieser Zugang nicht auch verschüttet worden war… * Mike Rander grinste, als er weit hinter sich die dumpfe Detonation hörte. Sie sagte ihm zu. Sein Butler hatte den Sprengstoff
zweckentfremdet angewendet. Und wie er Parker kannte, hatte er bestimmt ganze Arbeit geleistet. Mike Rander nahm den Kopf hoch und war froh, daß er sich dem Frachter von der offenen Seeseite her näherte. Nach dieser Explosion stand die Besatzung des Frachters bestimmt an der Reling und beobachtete die Insel. Sie rechnete bestimmt nicht mit einer zweiten Explosion. Rander hatte es nicht mehr weit. Es wurde Zeit, daß er das Tauchgerät benutzte. Den Rest der Strecke wollte er sicherheitshalber unter Wasser zurücklegen. Er hatte es nicht gern, wenn man ihn bei der Arbeit störte. Sanft glitt er unter die Wasseroberfläche. Er zog die schwere Haftmine hinter sich her. Und machte schon bald die dunkle Fläche der Bordwand aus. Ohne Hast oder Unsicherheit wechselte er die Richtung und näherte sich der Schiffsschraube. Auf Licht mußte er leider verzichten, doch sein Tastgefühl war gut ausgebildet. Er fand die Schraube und zögerte nicht lange. Er brachte die Haftmine an der Nahtstelle zwischen Schraube und Welle an, drückte den Zünder ein und machte sich schleunigst davon. Als er auftauchte, lag der Frachter schon weit hinter ihm. Zu seiner Überraschung merkte er, daß der 70 �
Frachter Fahrt aufgenommen hatte. Nicht viel zwar, aber er lief langsam ab. Er dachte sofort an die Haftmine. Sie war bestimmt schon längst weggewirbelt worden. Enttäuscht und auch ein wenig wütend sah er zum Frachter hinüber. Sollte ausgerechnet er Pech haben…? In diesem Moment, Mike Rander hatte seine Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, krachte es. Eine weiße Wassersäule schoß hoch in die Luft. Sie machte sich im Licht des frei werdenden Mondes gut aus. Dann ruckte der Frachter aus dem Kurs, um in einem wilden Zick-Zack eine Art Halbkreis zu beschreiben. Es war geschafft…! Der Frachter lag an der Kette. Gleich mußten die Maschinen abgestellt werden. Der Frachter war bewegungsunfähig geworden. Zwischendurch tauchte der Anwalt immer wieder kurz auf, um den Frachter zu beobachten. Er lag längst breitseits zur Insel und trieb in der Dünung. Was sich an Bord abspielte, konnte er natürlich nur ahnen. Er konnte sich aber lebhaft die Panik vorstellen, die dort herrschte. Die Insel kam nur langsam näher. Mike Rander mußte sich ordentlich anstrengen, um die Strecke zu schaffen. Sie zehrte an seinen Kräften. Von Minute zu Minute merkte er immer mehr, wie abgekämpft er
war. Gefahr bestand für ihn selbstverständlich nicht. Dazu war er zu durchtrainiert. Er war jedoch ausgepumpt, als er endlich die Felsnase vor sich hatte. Die Brandung schüttelte ihn noch einmal gründlich durch, dann hob sie ihn hoch und warf ihn an Land. Mike Rander brachte sich hinter einem Felsen vor der Brandung in Sicherheit und wartete erst einmal ab. Als er das Gefühl hatte, daß ihn keine Falle erwartete, holte er die kleine Silberpfeife hervor, die an einer Halskette hing und stieß einige Pfiffe aus, die allerdings für ein normales Ohr überhaupt nicht zu hören waren. Nur Parker konnte sie hören, falls er den Frequenzumwandler ins Ohr gesteckt hatte. Schon nach wenigen Pfiffen flammte für Bruchteile von Sekunden dicht am Strand ein kleines, blaues Licht auf. Mike Rander schmunzelte. Das war sein Butler, der gehört und sich nun gemeldet hatte. Damit war das Unternehmen eigentlich beendet…! * »Der Frachter treibt langsam auf die Insel zu«, stellte der Butler fest und sah seinen jungen Herrn an. 71 �
»Wahrscheinlich wird die Besatzung gleich in die Boote gehen…!« »Sie ist schon dabei«, antwortete Mike Rander, der durch sein Nachtglas schaute, »der Frachter wird drüben, jenseits der ehemaligen Höhle, stranden…!« »Und somit Mr. Brown zur Verfügung stehen«, gab Mike Rander lächelnd zurück, »was wollen wir mehr, Parker. Die Höhle ist geschlossen, der Frachter kann nicht weg!« »Es geht um Mr. Herbert Hallow, Sir, den ›Herrn der Welt‹«, berichtigte der Butler, »ich kann nur hoffen, daß er sich entweder in der Höhle oder auf der Insel befindet.« »Verlangen wir mal nicht zuviel«, warnte der Anwalt, »ich bin schon jetzt zufrieden, Parker. Haben Sie übrigens den Landzugang der Höhle entdecken können?« »Bisher nicht, Sir, er scheint verschüttet worden zu sein! Bisher sind keine Wachen in Erscheinung getreten! Ich habe mir den Vulkanhang oberhalb der Höhle genau angesehen, allerdings war das Licht nicht besonders gut!« »Bleiben wir erst mal bei dem Frach…!« Mike Rander konnte den Satz nicht beenden. Draußen vor der Insel platzte der Frachter nämlich auseinander. Er sprang buchstäblich aus dem Wasser und löste sich in Trümmer auf, die noch einige Zeit umher-
trieben, um dann nacheinander im Wasser zu verschwinden. »Die Boote…!« Josuah Parker deutete auf die See hinaus. Mit bloßem Auge waren die Rettungsboote zu erkennen, die der Insel zustrebten. »Der Kahn ist absichtlich in die Luft gejagt worden«, sagte Mike Rander enttäuscht, »man wollte wohl verhindern, daß die Behörden sich an Bord umsehen…!« »Wir werden bald Besuch bekommen, Sir…!« warnte der Butler. »Ich könnte mir vorstellen, daß die Mannschaft ungemein aufgebracht ist. Vielleicht sollte man sich zeitweilig zurückziehen…!« »Und wohin?« »Zur Lagune, Sir, dort müßten Mr. Browns Leute zuerst erscheinen, falls sie überhaupt kommen…!« Die beiden Männer beeilten sich, von dem schmalen Uferstreifen wegzukommen. Sie waren wirklich nicht scharf darauf, der Besatzung des verschwundenen Frachters in die Arme zu laufen. Da sie diesmal kein Gepäck bei sich hatten, kamen sie schnell voran. Wegen des fehlenden Schlauchbootes mußten sie zwar einige Umwege in Kauf nehmen, doch das störte sie nicht weiter. Sie befanden sich immerhin in Hochstimmung. War es ihnen doch gelungen, Herbert Hallow eine zweite Riesenschlappe beizubringen. Der ›Herr der Welt‹, wie er sich nannte, hatte wieder einmal 72 �
zurückstecken müssen. »Schade, daß wir nicht wissen, was sich in der Höhle befindet«, meinte Anwalt Rander später, als sie die Lagune erreicht hatten, »ich wette, die dortigen Anlagen, die Sie vermuten, Parker, sind restlos verschwunden, wenn Brown hier auftaucht.« »Das befürchte ich in der Tat ebenfalls, Sir…!« »Nein, nein, Sie brauchen mich gar nicht so anzusehen«, entschied der Anwalt, »für uns ist dieses Unternehmen erst einmal beendet. Heller Wahnsinn, es allein zu versuchen. Ich weiß genau, was Sie mir vorschlagen wollen.« Parker merkte am Ton seines jungen Herrn, daß er erst gar keinen Versuch zu machen brauchte, ihn umzustimmen. Diesmal hätte Mike Rander abgelehnt. Zu Recht übrigens, denn die Übermacht war wirklich zu groß. Gegen die Masse der Gegner hätten sie überhaupt keine Chance gehabt. »Wir warten auf Brown«, meinte Rander dann ruhiger und weniger entschieden, »er muß ja bald kommen! Dann kann er sich um das Labor kümmern, das Sie vermuten, Parker…!« »Höchstwahrscheinlich wird Mr. Brown nur noch traurige Überreste vorfinden«, antwortete der Butler, »aber ich beuge mich selbstverständlich Ihrer Entscheidung, Sir…!« »Na bitte…!« sagte Mike Rander in
diesem Augenblick, »für eine Alleintour wäre es auch schon zu spät…! Was sagen Sie jetzt? Kann man sich auf meinen ehemaligen Chef nun verlassen oder nicht…!« Er grinste und deutete auf die See hinaus. Mit bloßem Auge waren die beiden Korvetten zu sehen, die sich der Lagune näherten. Zwei kleine Schnellboote preschten bereits heran. Und in der Luft sirrte ein Hubschrauber, der sich wie ein Nachtfalter dem Strand näherte! »Unser Peilsignal«, redete der Anwalt weiter, »es klappt doch wieder mal wie am Schnürchen, Parker…! Bald wissen wir, was wir eigentlich genau verhindert haben…!« * »Wir sind und bleiben nur auf Vermutungen angewiesen«, erklärte Mr. Brown Stunden später, als es bereits hell geworden war, »die verschüttete Höhle war leer…! Nichts zu finden! Alles weggeräumt, verbrannt und vernichtet…!« »Lassen sich wenigstens gewisse Rückschlüsse tätigen, Sir?« erkundigte sich der Butler. Sein junger Herr, er und Mr. Brown befanden sich an Bord einer britischen Korvette, die Kurs auf Key West genommen hatte. »Es muß sich um eine chemische 73 �
Anlage gehandelt haben«, redete Brown weiter, »diese Rückschlüsse lassen sich durchaus treffen… Mehr aber auch nicht. Was da hergestellt wurde oder werden sollte, läßt sich nur vermuten!« »Rosa Dragees, wie?« Rander sah seinen ehemaligen Chef fragend an. »Natürlich, Rander, das war und bleibt unsere große Sorge…! Wann wird Hallow den nächsten Versuch wagen? Was weiß er? Kann er in Zukunft auf eigene Faust arbeiten?« »Womit wir bei Hallow wären…!« »Den haben wir leider nicht gefunden!« Brown schüttelte bedauernd den Kopf, »wir haben die Insel Zentimeter um Zentimeter abgesucht, er war nicht zu entdecken.« »Demnach läuft er noch frei herum! Und das ganze Theater beginnt erneut, Brown.« »Läßt sich nicht ändern, Rander! Ich bin außerordentlich zufrieden! Wir haben Zeit gewonnen. Hallow braucht Monate, um wieder neu zu beginnen! Diese Zeit müssen wir natürlich nutzen!« »Über dieses Thema reden wir später«, sagte Mike Rander abwehrend, »was wurde aus der Besatzung des Frachters?« »Unangreifbar…! Der Kapitän, ein gerissener Chinese, sprach von einem Maschinenschaden und von einer nachfolgenden Kesselexplosion. Er und seine Leute waren ungemein friedlich und höflich. Sie
wußten natürlich weder etwas von der Höhle, noch haben Sie jemals den Namen Hallow gehört… Kann man nichts machen. Sie gehen mit dem nächsten Schiff zurück nach Ostasien!« »Und haben hoffentlich endgültig die Nase voll, hier Mätzchen zu machen«, warf der Anwalt ein. »Ist wohl anzunehmen, Rander.« Brown nickte und lächelte, »dank Ihrer Mitarbeit, Rander und Parker, dürften die Rotchinesen endgültig kalte Füße bekommen haben.« »In Zukunft steht also wohl nur noch Herbert Hallow auf der Speisekarte«, meinte Anwalt Rander, »hört sich trostreich an, Brown! Mit ihm werden Sie ja wohl allein fertig werden!« »Vielleicht, ist aber nicht sicher. Glauben Sie wirklich, er wird Ihnen das verzeihen, Rander? Er haßt sie, wie man nur einen anderen Menschen hassen kann. Zweimal ist ihm die Tour gründlich verdorben worden. Dafür wird er sich mit Sicherheit rächen!« »Womit sich das Rad wieder dreht!« »Sie sind praktisch gezwungen, weiter mitzumachen. Wie denken Sie darüber, Parker?« »Ich pflichte Ihnen selbstverständlich bei, Sir«, gab der Butler sofort zurück, »erst nach Mr. Hallows Verhaftung wird Mr. Rander sich wieder seiner Anwaltskanzlei widmen 74 �
können.« »Genau darauf habe ich gewartet«, empörte sich Mike Rander, »habe ich überhaupt noch ein Privatleben?« »Im Augenblick bestimmt nicht. Aber hören Sie, was ich von Palm Beach mitbringe. Die Ärzte haben die Dragees inzwischen analysiert. LSD ist gegen diese Zusammensetzung so harmlos wie ein Lutschbonbon, verstehen Sie?« »Welche Wirkung?« Mike Randers Frage fiel sehr knapp aus. »Nach Einnahme dieser Dragees wird die Persönlichkeit grundlegend verändert. Sie ist völlig abhängig von der weiteren Einnahme dieses Mittels. Unter der Einwirkung der Droge lassen sich eine Art posthypnotischer Befehle programmieren! Der Mensch wird zum willenlosen Objekt. Wollen Sie ernsthaft, daß Hallow dieses Mittel in Massen verbreitet? Es braucht doch wohl kaum Fantasie, um sich die verheerenden Folgen vorzustellen, oder?« »Schon gut, schon gut, Brown, wir machen natürlich weiter!« Mike Rander winkte resigniert ab. »Sie haben mich in der Zange. Aber sagen Sie uns wenigstens, wo dieser Hallow zu finden ist!« »Wir haben die festgenommenen Amazonen gründlich verhört. Wir haben alle Tricks des Verhörs angewandt, wir haben Psychologen und Ärzte zu Rate gezogen und fast so etwas wie Gehirnwäschen vorge-
nommen. Es war nichts zu erfahren, weil die Mädchen einfach nichts wissen!« »Hat sich das Funkgerät der Sheerer wenigstens mal gemeldet?« »Nichts, Rander, nichts!« »Weiß man wenigstens, wie viele Amazonen noch frei herumlaufen?« »Das allerdings… eine genaue Zahl liegt natürlich nicht vor, aber aus den Aussagen der festgesetzten Amazonen geht hervor, daß wenigstens noch ein Dutzend dieser mörderischen Damen frei herumläuft.« »Nicht zu glauben! Dann geht es also wieder los!« Mike Rander schüttelte sich fast, »dann darf man nach wie vor keinem netten Mädchen trauen!« »Tut mir leid für Sie, Rander, aber so sieht es aus! Gehen Sie den jungen Damen vorerst tunlichst aus dem Weg.« »Herrliche Aussichten«, knurrte der junge Anwalt. »Das Leben wird von Minute zu Minute immer schöner!« * »Ein Ferngespräch!« meldete die Zentrale des Hotels, als Mike Rander abgehoben hatte. »Hier Mike Rander… Mit wem spreche ich…?« »Mit Herbert Hallow…!« antwortete eine neutrale Stimme, »ich glaube, daß dieser Name Ihnen 75 �
etwas sagt, Mr. Rander.« »Der ›Herr der Welt‹«, sagte Rander ironisch. »Welch eine Ehre…! Sie wollen mir doch bestimmt keine Freundlichkeiten sagen, oder?« »Da irren Sie sich aber sehr, Mr. Rander, Sie irren sich sehr«, antwortete der Mann, der sich Herbert Hallow nannte, »ich möchte Ihnen meine Anerkennung aussprechen… Und das ohne jede Ironie…! Ihre Arbeit draußen auf Exuma Island war ausgezeichnet. Damit meine ich natürlich auch Ihren Butler! Er ist wohl auf den Gedanken gekommen, der Insel noch einmal einen Besuch abzustatten, nicht wahr?« »Stimmt haargenau…!« »Männer wie Sie und Ihren Butler könnte ich brauchen. Warum arbeiten Sie nicht für mich? Sie könnten unermeßlich reich werden…!« »Soll das ein ernsthaftes Angebot sein?« »Natürlich, Mr. Rander. Sie haben mir bewiesen, wie gut Sie sind. Warum wollen Sie Ihre Kenntnisse nicht in Gold aufwiegen lassen?« »Mit größenwahnsinnigen Gangstern arbeiten wir niemals zusammen«, lautete Mike Randers Antwort. »Sie wollen mich beleidigen«, sagte Hallow und lachte leise auf, »ob das sehr klug ist, wird sich in der Zukunft zeigen! Überlegen Sie sich mein Angebot einmal gründ-
lich…!« »Sie wollen Parker und mir doch nur eine Falle stellen. In Wirklichkeit möchten Sie uns so schnell wie möglich aus dem Weg räumen. Was macht übrigens Ihre chemische Anlage, Ihr Labor…? Hoffentlich besitzen Sie noch ein paar Dragees…!« »Ich bin versorgt, Mr. Rander. Mit Dragees und mit anderen Überraschungen.« »Ihre Auftraggeber waren wohl sehr großzügig, wie?« »Ich habe mich von ihnen getrennt… Sie können Schlappen nicht verwinden. In Zukunft arbeite ich allein…« »Ohne Ihre Amazonen?« »Ich umgebe mich gerade mit neuen Mitarbeitern. Mit Profis… Ich habe einsehen müssen, daß Amateure nicht durchhalten…! Ich werde Sie gegen Mittag noch einmal anrufen… Ach, das wollte ich Ihnen noch sagen, es ist sinnlos, mich ausfindig machen zu wollen… Aber das wissen Sie inzwischen ja selbst, nicht wahr?« »Moment, hängen Sie noch nicht ein«, sagte Mike Rander, »ist Ihr Angebot wirklich ernst gemeint?« »Ich scherze niemals…!« kam die gelassene und irgendwie heitere Antwort, »und ich erinnere noch einmal an das Vermögen, das Sie bei mir verdienen können.« »Auf welche Art und Weise müßte 76 �
man solch ein Vermögen dann verdienen, Mr. Hallow?« »Darüber werden wir uns dann in aller Ruhe unterhalten…!« »Sind die restlichen Amazonen noch auf uns angesetzt?« fragte Mike Rander schnell. »Sie brauchen bis zu meinem nächsten Anruf nichts zu befürchten, Mr. Rander. Sollten Sie jedoch ablehnen, werde ich Sie und Ihren Butler gnadenlos bekämpfen.« »Haben Sie denn das bisher nicht getan?« wunderte sich Mike Rander laut. »Vielleicht nicht konzentriert genug!« lautete die Antwort, »aber das wird sich dann gründlich ändern. Sie hören wieder von mir…!« Nachdem es in der Leitung geknackt hatte, legte Mike Rander auf und trat hinaus auf den Balkon des Hotelzimmers. Er zündete sich eine Zigarette an und dachte über das Telefongespräch nach. Natürlich hatte man es mit einem Verrückten zu tun. Der Mann gab sich scheinbar gelassen, tat so, als hätten ihm die beiden Niederlagen nichts ausgemacht, in Wirklichkeit aber mußte er doch vor Wut kochen. Von wo aus mochte dieser Hallow angerufen haben? Das Problem war, daß man nicht wußte, wie dieser Mann aussah. Gewiß, es existierten da einige Aufnahmen, die aber im Grund völlig wertlos waren. Diese
Fotos waren viele Jahre alt. Hallow aber hatte sein Äußeres inzwischen gründlich gewandelt. Und nach der ersten Niederlage auf Exuma Island hatte er sein Aussehen gewiß erneut verändert. Wie ließ solch ein Mann sich fassen…? Mike Rander wandte sich ab und wollte zurück ins Hotelzimmer gehen. Genau in diesem Augenblick zerplatzte der Verputz dicht neben seinem Gesicht. Geistesgegenwärtig ließ er sich sofort zu Boden fallen und kroch ins Zimmer zurück. Er wußte, was das Zerplatzen des Verputzes zu bedeuten hatte. Hallow dachte nicht daran, so etwas wie einen Waffenstillstand eintreten zu lassen. Seine Henker lagen bereits wieder auf der Lauer. Es war uninteressant, von woher dieser Schuß abgefeuert worden war. Interessant war nur, daß Hallow im Gegensatz zu seinen lässigen und ironischen Worten darauf brannte, ihn und seinen Butler aus dem Weg zu räumen. Mike Rander dachte an Josuah Parker. Hoffentlich befand er sich zu dieser Zeit nicht auch schon im Visier eines Mörders…!? * Nun, Josuah Parker schien keineswegs gefährdet, als er zurück zum � 77 �
Hotel lustwandelte. Er hatte sich ein wenig die Füße am Strand vertreten und wollte seinen jungen Herrn nun zum Dinner abholen. Auch Parker beschäftigte sich innerlich mit dem Supergangster Hallow. Auch Parker bedauerte es ungemein, daß dieser Mann nicht zu fassen war. Er achtete nicht weiter auf den alten Herrn, der auf einer Bank der Promenade saß und in einer Zeitung las. So entgingen ihm auch die wachsamen Augen des Mannes, der den Butler nicht aus den Augen ließ. Als Parker ihn passiert hatte, faltete der weißhaarige, alte Herr seine Zeitung zusammen und folgte dem Butler. Dieser würdige, alte Herr holte wenig später einen Kugelschreiber aus der Tasche und hantierte gedankenverloren damit herum. In Wirklichkeit wartete er nur auf die günstige Gelegenheit, den Butler zu ermorden. Parkers Rettung bestand darin, daß er plötzlich einen Spielball vor seinen Füßen auftauchen sah. Dieser Ball rollte durch das Tor eines Grundstückes und reizte den Butler, ihn zurück in den Garten zu kicken. Was Josuah Parker umgehend besorgte, bevor er sich innerlich zur Ordnung rufen konnte. Er handelte aus dem Instinkt heraus, denn in Jugendjahren hatte er das Spiel auf
dem grünen Rasen sehr geliebt, ein Spiel, das in den Staaten kaum betrieben wurde. Parker beugte sich also vor und trat gegen den Ball In diesem Augenblick löste der Mörder hinter ihm die tödliche Ladung, die durch Preßluft angetrieben wurde. Es handelte sich um eine Nadel, deren Spitze mit einem indianischen Pfeilgift getränkt war. Parker ahnte davon nichts…! Die Nadel zischte über ihn hinweg und bohrte sich in ein Plakat, das an einer Bretterwand zu sehen war. Parker kickte den Ball zurück auf das Grundstück, hörte hinter sich Schritte und nickte dem weißhaarigen älteren und jetzt sehr enttäuschten Herrn zu, der ihn überholte und dann in einer Seitenstraße verschwand. * Parker hörte aufmerksam zu, als Mike Rander von dem Schuß berichtete und ihm den Aufschlag an die Wand zeigte. »Wir sind von Mördern umgeben«, sagte Mike Rander schließlich, »ab sofort müssen wir wieder auf höchste Wachsamkeit schalten, Parker. In den Städten, gleich, wie sie aussehen, sind wir niemals in Sicherheit. Wir sollten für schnelle Luftveränderung sorgen. Ich bin sicher, daß Hallows Leute 78 �
uns folgen werden…« »Was schlagen Sie vor, Sir…?« erkundigte sich der Butler. »Das werde ich Ihnen im Wagen erzählen. Wir fahren sofort los…! Viel einzupacken haben wir ja nicht. Ich traue diesen Hotels nicht. Ich habe das Gefühl, daß unsere Unterhaltungen belauscht werden…! Es gibt da eine Menge Tricks…!« Während Mike Rander und Josuah Parker sich bereit machten, um Palm Beach zu verlassen, beugte sich in der Tiefgarage des Hotels ein Monteur über einen Buick und hantierte am Motor herum. Er arbeitete schnell und konzentriert. Er brauchte nur wenige Minuten, um einen kleinen, viereckigen Kasten an der Batterie anzuschließen. Mann zog er sich in einer dunklen Ecke der Garage den Overall aus und fuhr als Zivilist mit dem Lift hinauf in die Hotelhalle. Er hatte an jenem Wagen herumgebastelt, den Josuah Parker für sich und seinen jungen Herrn von einem Staatenverleih für Autos gemietet hatte. Dieser Wagen konnte in jeder größeren Stadt an die Filiale des Verleihs zurückgegeben werden. Dieser
Wagen konnte aber auch zum Sarg für Mike Rander und Josuah Parker werden… Falls sie nämlich nicht mißtrauisch waren und sehr aufpaßten! Zu diesem Zeitpunkt machte sich eine ältere Dame bereit, eine Autopanne zu simulieren. Sie wartete darauf, daß Mike Rander und sein Butler hilfsbereit anhielten. Für diesen Zweck hielt sie ein Schrotgewehr mit abgesägtem Lauf bereit. Und etwa zu dieser Zeit wurde ein kleiner Hubschrauber klargemacht, der eine Napalmbombe abwerfen sollte. Und zwar genau auf jenen Buick, in dem Mike Rander und Josuah Parker saßen. Für den Fall nämlich, daß der Buick samt Insassen wider allen Regeln der Logik die eingeplanten Hindernisse überwand. Davon ahnten Mike Rander und Josuah Parker überhaupt nichts, als sie mit dem Lift hinunter zu ihrem Mietwagen fuhren. Sie freuten sich darauf, diese Stadt endlich verlassen zu können. Diese Stadt, in der sich die weiblichen Henker des »Herrn der Welt« eingenistet hatten…!
ENDE
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