Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 657 Die Namenlose Zone
Panik auf der SOL von Hans Kneifel
Im Chaos des Zwe...
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 657 Die Namenlose Zone
Panik auf der SOL von Hans Kneifel
Im Chaos des Zwersterns
Es geschah im April 3808. Die endgültige Auseinandersetzung zwischen den Kräften des Positiven, hauptsächlich repräsentiert durch Atlan und die Solaner, und zwischen Anti‐ES und seinen unfreiwilligen Helfern, vollzog sich in Bars‐2‐Bars, der künstlich geschaffenen Doppelgalaxis. Dieser Entscheidungskampf geht überraschend aus. Die von den Kosmokraten veranlaßte Verbannung von Anti‐ES wird gegenstandslos, denn aus Wöbbeking und Anti‐ES entsteht ein neues Superwesen, das hinfort auf der Seite des Positiven agiert. Die neue Sachlage ist äußerst tröstlich, zumal die Chance besteht, daß in Bars‐2‐Bars nun endgültig der Friede einkehrt. Für Atlan jedoch ist die Situation alles andere als rosig. Der Besitz der Koordinaten von Varnhagher‐ Ghynnst, ohne die er nicht den Auftrag der Kosmokraten erfüllen kann, wird ihm nun ausgerechnet durch Chybrain vorenthalten. Ob er es will oder nicht, der Arkonide wird verpflichtet, die Namenlose Zone aufzusuchen. Inzwischen schreibt man Anfang Juni 3808. Während Atlan noch unterwegs ist, hat Zelenzo, der geheimnisvolle Verschwörer, der SOL‐Führung weitere Schwierigkeiten bereitet. Doch damit nicht genug – es erscheint der Zwergstern, und sein Auftauchen führt zur PANIK AUF DER SOL …
Die Hauptpersonen des Romans: Breckcrown Hayes ‐ Der High Sideryt versucht die SOL zu retten. Bjo Breiskoll, Sternfeuer und Federspiel ‐ Die Mutanten suchen nach Saboteuren. Tauter Flock, Friedo Branold, Jap Lyska und Dafne Joss ‐ Hayesʹ Begleiter beim Flug der TRAGEDY.
1. Breckcrown Hayes erkannte, daß er an einem entscheidenden Punkt angelangt war. Die Lage der SOL war wieder einmal äußerst kritisch. »Und was noch viel schlimmer ist«, brummte er mit heiserer Stimme, »ich weiß keinen Rat mehr.« Niemand hörte dieses Selbstgespräch des High Sideryt. Er war allein und machte sich dieses Geständnis. Breck hatte sich in seine Klause zurückgezogen, um einige Stunden Ruhe zu haben. Er fühlte sich so elend wie schon seit Jahren nicht mehr. Er wußte, daß alle Faktoren, die sein Leben bestimmten, sich am tiefsten Punkt getroffen hatten. Die SOL, die nahe dem Junk‐System schwebte, war noch immer nicht völlig instand gesetzt. Die Arbeiten wurden vorangetrieben, und die Rohstoffe, die man in schnellen Einsätzen von den Planeten geholt hatte, wurden eingelagert und verarbeitet. Wenigstens hier sah es ausnahmsweise nicht hoffnungslos aus! Die MJAILAM und Atlan waren und blieben verschwunden. Die Frage, welche Folgen Atlans Aktionen – falls er und seine Freunde noch lebten – auslösten, brachte mehr als nur starke Unruhe in die Besatzung. Ferner: Zelenzo und die »Erneuerer« – es war abzusehen, wann sich diese Gruppe zu einem dramatischen Problem entwickeln würde. Zelenzo war in der Wahl seiner Mittel alles andere als
zurückhaltend. Es hatte innerhalb der SOL schon immer unterschiedliche Meinungen gegeben, andere Ansichten und offenen Widerstand. Was Zelenzo betraf, so war dies kein offener, sondern raffiniert verdeckter Widerstand. Es gab keine Entwicklung, auch keine Anzeichen dafür, nicht einmal berechtigte Hoffnungen, daß sich an der gegenwärtigen Lage der SOL etwas änderte. Und dazu kam, daß Breckcrown Hayes immer mehr spürte, wie ihn die unbekannte Krankheit aushöhlte, wie seine Kräfte schwanden und die Schmerzen zunahmen. Dagegen halfen weder Ruhepausen noch Medikamente oder Alkohol. Trotzdem blieb der High Sideryt neben dem Barfach stehen und goß ein großes Glas halbvoll. Der honigartige Geruch des Getränks durchzog die Klause. Breck setzte sich in den schweren Sessel und streckte seine Beine ächzend aus. »Ich werde wohl als tragische Figur in die Geschichte der SOL eingehen«, sagte er und nahm einen kleinen Schluck. Er versuchte sich zu entspannen. Aber immer wieder ging sein Blick hinüber zum großen Bildschirm. Er war die einzige Verbindung mit der Hauptzentrale; im Augenblick war er stummgeschaltet, und Breck hatte die Aufnahmeoptik desaktiviert. Krank, geschwächt, unkonzentriert – Breck wußte, daß er ebenso aussah, wie er sich innerlich fühlte. Noch aber war sein Verstand nicht angegriffen. Mit aller Kraft, über die er verfügte, stemmte sich Breck gegen die Auswirkungen der Krankheit. Die Verantwortung, die er gegenüber der SOL hatte, würde er nur abgeben, wenn er zusammenbrach. Er wußte, daß er der beste Mann an diesem Platz war. Seine Arbeit hielt ihn aufrecht, und er widmete sich ihr mit der Verbissenheit, die ihn kennzeichnete. Breck wußte mit unumstößlicher Gewißheit, daß es in seinem Leben weder das große Glück noch etwas, das als »große Liebe« umschrieben werden konnte, geben würde.
Ihm blieb einzig die Pflichterfüllung. Und – wieder nahm er einen Schluck – ihm blieben die kritische Freundschaft zum Arkoniden und der feste Wille, stets und ständig das Beste für die SOL und ihre fast hundertköpfige Besatzung zu tun. Wo immer das Ziel der SOL wirklich lag; er hoffte, er war dabei, wenn sie es erreichte. In einem desaktivierten Bildschirm sah er sein Gesicht. Es zeigte ihm seinen inneren Zustand ebenso deutlich, wie es die von den SOL‐Würmern verwüstete Haut seines Gesichtes erkennen ließ. »Was soll ich tun?« fragte er in die Stille des abgeschlossenen Raumes hinein. Es gab keine Antwort. Er schloß die Augen und streckte sich aus. Noch ein letzter Schluck, dann war das Glas leer. Eine Spur von Ruhe und Entspannung überkam ihn. Der High Sideryt schlief nur langsam ein, denn seine Gedanken wirbelten unablässig um die Probleme, die so schwer wogen, daß er eigentlich nicht hätte schlafen können. In die tiefste Phase seines Schlafes hinein schrillten Sirenen und laute Warnsummer. Breckcrown fuhr hoch und hatte sekundenlang Schwierigkeiten, sich zu orientieren. Dann fiel sein Blick auf einen zweiten Bildschirm. Dieser zeigte eine blinkende Schrift. Zunächst dachte Breck, die ersten Worte lesend, daß es eine dringende Mitteilung aus der Zentrale sei, aber diese würde sich über SENECA gemeldet haben. Dann sprangen seine Augen auf die letzte Zeile. Zelenzo! Breck stieß einen kurzen Fluch aus. Er stemmte sich aus dem Sessel hoch und las die Botschaft mit vollem Bewußtsein. High Sideryt! Dies ist ein schriftliches Ultimatum. Ich und die Erneuerer verlangen, daß die SOL die gegenwärtige Position so schnell wie möglich verlässt. Überlaßt die MJAILAM ihrem Schicksal, kümmert euch nicht um den Arkoniden und seine verrückten Pläne. Wenn unsere Forderung nicht erfüllt wird, werden alle die Konsequenzen tragen müssen. Weg vom Junk‐ Nabel! Das war die letzte Warnung. Der nächste Schlag trifft voll.
Die Unterschrift kannte er schon. »Zelenzo«, sagte er in kaltem Zorn, »ich habe bisher alles überlebt. Ich stehe auch dich und deine Anhänger durch.« Er stand auf und wunderte sich nicht einmal darüber, daß es dem »Ruhigen« gelungen war, eine Botschaft in das Interkom‐Netz einzuschmuggeln. Vermutlich waren sämtliche Schiffsinterkome aktiviert worden. Es wäre auch zu schön gewesen, und daher wohl unmöglich, daß man ihm eine kurze Zeit der Ruhe gönnte, sagte er sich und schaltete den Terminal SENECAS ein und danach die Kommunikation mit der Zentrale. Lyta Kunduran schaute ihn verständnisvoll aus ihren großen grauen Augen an. »Wir haben das Ultimatum gelesen, Breck. Du auch?« »Natürlich. Das gesamte Schiff, denke ich.« »Nach unseren Rückmeldungen«, antwortete Bit, »haben wirklich alle Interkome sich eingeschaltet. Nicht einmal ich habe eine Vorstellung davon, wie es Zelenzo gelungen sein mag. Wir haben da einen verdammt cleveren Gegner.« »Ich weiß«, grollte Breck. »Ich bin in ein paar Minuten in der Zentrale.« »Eine überflüssige Frage«, meinte Lyta und schob mit beiden Händen ihr Haar in den Nacken. »Hast du vor, irgendwie auf dieses sogenannte Ultimatum einzugehen?« Er rang sich ein kurzes Lachen ab. »Nicht die Spur. Bis gleich.« Er nickte Bit kurz zu, ging hinüber zum Terminal des Bordrechners und fragte: »Sind dir irgendwelche Manipulationen aufgefallen? Kennst du den Aufenthaltsort von Zelenzo? Ist deine interne Suche nach den Erneuerer wenigstens von einem Teilerfolg belohnt worden?« Breck gestand sich ein, daß er wenigstens von SENECA eine positive Antwort erwartete, und wenn nicht, dann zumindest einen
Zuspruch. SENECAS Stimme kam aus den unsichtbaren Lautsprechern. Sie war wohlmoduliert, als sie sagte: »High Sideryt, es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen. Ich bin im Verlauf der einhundertneunzig Minuten, die zwischen deiner letzten Anfrage und der vorhergehenden verstrichen, ununterbrochen mit beträchtlicher Kapazität tätig gewesen. Kein Erfolg. Genau siebenunddreißig erfolgversprechende Spuren führten zu null Erfolgen oder Erkenntnissen. Es gibt keinen einzigen Hinweis darauf, wo sich die Erneuerer und dieser Zelenzo verstecken. Eines erscheint mir sicher: sie sind an Bord der SOL.« »Wären sie doch außerhalb!« entfuhr Breckcrown ein langer Seufzer. »Die Verantwortlichen danken dir. Verwende in der nächsten Periode mehr Kapazität für die Suche.« »Da meine Hilfe beim derzeitigen Fortschritt der Reparatur‐ und Verschönerungsarbeiten immer geringer in Anspruch genommen wird, kann ich dies versichern und auch garantieren«, entgegnete SENECA beflissen. »Gut. Ich bin in der Hauptzentrale zu erreichen.« »Das vermag ich auch ohne diesen Hinweis unschwer festzustellen«, erklärte SENECA. »Ende.« Breck tastete den Terminal nicht aus, wandte sich an einen seiner Robots und befahl: »Ein reichhaltiges Essen an meinen Platz in der Hauptzentrale. Veranlasse das Nötige.« »Verstanden!« sagte der metallene Diener und blieb unbeweglich stehen. Hayes betätigte die verschiedenen Schaltungen, passierte die Schleusen und befand sich binnen kurzer Zeit in der Zentrale. Es bedeutete in der gegenwärtigen Situation weniger als nichts, aber dennoch musterte er die Ziffern des Bordchronometers. »Fünfter Juni nullacht«, brummte er. »Ein Tag wie viele andere. Nur wenig freundlich.«
Im Laufe der langen Jahre und der unzählbaren Abenteuer, die das Schiff hinter sich hatte, bestand oft die Notwendigkeit für die generelle Bestandsaufnahme, die Breck jetzt vornahm. Wie war der Zustand des Schiffes? Bedrohte irgend etwas die Heimat der Solaner? Arbeiteten alle Systeme, Subsysteme und die unzähligen, von SENECA kontrollierten und gestützten Teilbereiche reibungslos? Schweigend, tief in Gedanken versunken, hakte der High Sideryt die verschiedenen Punkte ab. Vor rund einem Monat Bordzeit hatte der unbekannte Anführer der Erneuerer zum erstenmal von sich reden gemacht. Es fiel zusammen mit der Zeit, an der Atlan mit der MJAILAM in der Namenlosen Zone verschwunden war, selbstverständlich durch den Junk‐Nabel. Die Schäden an den verschiedenen Stellen des Schiffes waren so gut wie völlig behoben. Mindestens eintausend Solaner aller Qualifikationen, die halbe Menge von Robotern und andere Spezialisten arbeiteten an den letzten Handgriffen. Jedenfalls schien das Schiff voll raumflugtauglich und kampfbereit. Im Moment waren die Schutzschirme desaktiviert. Es würde nur noch Stunden, vielleicht einen Tag dauern, bis die betroffenen Sektoren der SOL wieder so aussahen wie fabrikneu – und ebenso funktionierten. Atlans Verdienst, sagte sich Breck. Das nächste Problem: Nachschub an Rohstoffen aller Art. Er ließ sich die letzten Meldungen und die entsprechenden Parameter geben und stellte mit Zufriedenheit fest, daß in diesen Minuten die letzten Schiffsladungen in den Hangars ausgeladen wurden. Er fragte in den Raum hinein: »Wie ist die Stimmung an Bord? Unverändert …« »… unverändert gereizt, hochgespannt. Ein starker Funken genügt, und alles detoniert.« »Ich weiß es. Leider.«
Der weitaus wichtigere Grund dafür, daß die Solaner unsicher und, aus dieser Stimmung heraus, nervös und panikbereit waren, konnte in der Position des Schiffes nahe der Sonne, der drei Planeten und dem weit aufgerissenen Schlund des Nabels definiert werden. Obwohl das Schiff schon Dutzende Male in weitaus lebensgefährlicheren Situationen »geschwebt« war, beunruhigten die mehr oder weniger gleichen Bilder auf den Ortungsschirmen die Mannschaft mehr als zu erwarten. Die rote Sonne, knapp dreizehntausend Lichtjahre vom Zentrum Barsʹ entfernt, mit den drei Planeten und dem Nabel zur Namenlosen Zone waren vergleichsweise normale stellare Objekte. Aus welchem Grund diese Konstellation in einem solch hohen Maß beunruhigend wirkte, konnte sich der High Sideryt nicht erklären. Er hielt inne. Eine verwegene, irrationale Überlegung schoß wie ein Blitz durch sein Gehirn. Die Solaner ahnten, daß der Schlund das Zeichen kommenden Verderbens war. Ein Nabel, der zwei völlig verschiedene kosmische Gesetzmäßigkeiten miteinander verband oder voneinander trennte; je nach Gesichtspunkt. Sie erwarteten förmlich, daß durch diese Öffnung das Verderben kam – kurzum: Das Element der Unsicherheit und der Erwartung des absoluten Schreckens war ungeheuer groß. Nunmehr, gestand sich Breck ein, verstand er diese Massenpsychose weitaus besser. Jeder einzelne Solaner, mit dem er sprach, würde sich vernünftig und einsichtig verhalten. Aber knapp hunderttausend Solaner – das war eine andere Sache. Hier galt das Gesetz der Masse. Sie waren von Äußerlichkeiten weitaus mehr zu beeinflussen als Einzelwesen oder kleine Gruppen. Hayes schüttelte den Kopf und versuchte, entsprechende Gedanken abzuschütteln. »Überflüssige Frage Nummer zwei«, sagte er. »Irgendwelche
Nachrichten von Atlan?« »Gar nichts.« »Ich verstehe. Das reizt die Erneuerer um Zelenzo zusätzlich.« »So ist es.« Der High Sideryt warf einen langen, schweigenden Blick auf die ortungstechnisch überzeugende Darstellung des Nabels. Lyta bemerkte den langen, nachdenklichen Blick und versuchte zu erklären: »Dieses unfaßbare Loch in einen anderen Kosmos, Breck, dieser Anblick quält viele Solaner. Die Darstellung heizt die negative Grundstimmung weiter an, zumal sich nichts an den Bildern und Analysen ändert.« »Du hast recht.« Breckcrown dachte: Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sämtliche Vorgänge, die unsere Lebenssicherung garantieren, zur vollen Zufriedenheit ablaufen. Die Gefahren von außen sind eingebildet, und deswegen, weil sie nunmehr aus dem Innern der Solaner kommen, sind sie gefährlicher als jede persönliche Bedrohung. Wie sehen für mich die unmittelbaren Konsequenzen aus? Er hatte keine Antwort auf seine eigenen Fragen. Aber als er tief nachdachte, wurde er durch äußere Einflüsse einer Antwort enthoben. Die Nahortung meldete sich. Und das, was aus dieser Zentrale kam, veränderte den gegenwärtigen Zustand des fragilen Gleichgewichts völlig. Genau in diesem Augenblick brachte ein Robot das Essen, das der High Sideryt geordert hatte. Die Maschine stellte das große Tablett genau auf den Platz ab, an dem Hayes stets saß. In einer Vielzahl von Schalen befanden sich die leckersten Speisen, in Bechern die entsprechenden Soßen und Getränke. Ruhig deponierte die Maschine das Tablett, faltete die Serviette kunstvoll und entfernte sich geräuschlos.
Niemand achtete auf diesen Vorgang. Jeder, der sich in der Zentrale befand, starrte mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund auf die Bildschirme. Unfaßbare Dinge bahnten sich an. 2. Alarm! Wechselnde Bilder auf den Schirmen! Stimmen, die sich überschlugen, Meßwerte, die sich im Verlauf von wenigen Sekunden drastisch änderten und um Zehnerpotenzen nach oben sprangen, verwandelten die farblichen Darstellungen auf den Uhren, Instrumenten und Displays in ein regenbogenartiges Feuerwerk. Dazu kamen die Wiedergaben im normaloptischen Bereich. »Nein! Das kann nicht wahr sein!« schrie Breckcrown Hayes. Die Überraschung, das Entsetzen, das Verblüffende der neuen Situation überraschte jeden Solaner gleichermaßen. Ein Gerät – SENECA oder einer der Spezialisten, oder wer auch immer – schaltete das Ortungsbild auf sämtliche Interkome und auf einen gigantischen Monitor in der Hauptzentrale. Fassungslos und schweigend, starr vor Verwunderung sahen die Solaner: DER NABEL WUCHS! Jene runde Öffnung, vielfarbig durch die Schaltungen der Computer dargestellt, in Wirklichkeit ohne große Helligkeits‐ und Farbunterschiede gekennzeichnet, dehnte sich aus! Der Durchmesser vergrößerte sich! Bis zu dieser Sekunde war der Nabel energetisch exakt vermessen worden. Sein Durchmesser betrug fast genau drei Kilometer. Jetzt nicht mehr. Er wuchs in atemberaubender Geschwindigkeit. Drei, vier oder fünf Sekunden lang beobachtete Hayes diesen unerklärlichen Vorgang. Dann schrie er:
»Schutzschirme an! Höchste Kapazität! Alle Schirme der Staffelung aktivieren. Bestätigung.« Ohne es selbst zu merken, ging er langsam rückwärts; unfähig, den Blick von den Schirmen zu nehmen. Der Nabel wuchs auf gespenstische Weise und in rasender Geschwindigkeit. »Verstanden!« Von SENECAS Schaltungen unterstützt, wurden die Projektoren der Schutzschirme aktiviert. Die geisterhaft phosphoreszierenden Schirme bauten sich auf. Aber die Gefahr, vor denen sie das Schiff beschützen sollten, war völlig anderer Natur. Die Innenseiten des Nabels, der wie ein riesiger Rundmuskel wirkte, erhellten sich plötzlich. Das Licht, das ganz plötzlich diesen winzigen Ausschnitt des Universums erhellte, war kalkweiß. Es wurde immer stärker, immer durchdringender. Binnen weniger Sekunden steigerte sich die blendende Helligkeit bis ins Unerträgliche. Es war, als ob sich aus dem unergründlichen Universum der Namenlosen Zone ein riesiger Leuchtkörper der undefinierbaren Schnittlinie näherte. Der Durchmesser des Loches wuchs an. Die Ortungszentrale gab die Zahlen der Vergrößerung durch. Sechs Kilometer … fünfzehn Kilometer … dreißig … neunzig … zweihundert … vierhundert. Zwei Sekunden später schrie jemand: »Eintausend Kilometer!« Abermals vergingen eine Handvoll Sekunden. Dann kam eine neue Zahlenangabe aus der Ortungszentrale: »Eintausendzweihundert!« »Tausendfünfhundert!« »Zweitausend!« Dann: Stille … niemand sprach. Als der Durchmesser zweitausend Kilometer betrug und sich darstellte als dünner Ring aus
schneeweißem Licht in der absoluten Dunkelheit und Schwärze, geschah lange Zeit nichts. Unbemerkt erreichte ein Service‐Roboter die Zentrale und öffnete bedächtig, jedoch mit exakten Bewegungen ein Fach im unteren Teil seines Körpers aus Metall und Plastik. »Zweitausend. Keine Änderung. Bewegung ist zum Stillstand gekommen!« Es vergingen abermals einige Sekunden. Dann schoß aus dem scharf strahlenden Ring ein gleißender Körper hervor. Er bewegte sich rasend schnell. Eine Sonne. Jedenfalls ein vergleichsweise großer, kugelförmiger Körper, stechend weiß, sonnenartig, sonnenähnlich – das »Ding« raste aus dem Nabel hervor, berührte mit flammenden Protuberanzen dessen Rand und näherte sich der SOL. Breckcrown Hayes stöhnte auf. »Eine Sonne! Sie kommt aus der Namenlosen Zone …« »Definition!« erscholl es aus den Lautsprechern. Es meldete sich die Ortungsabteilung. »Rasende Geschwindigkeit. Flugbahn entlang einer mathematisch exakten Geraden! Ein weißglühender Ball von knapp zweitausend Kilometern Durchmesser!« Es war ein gespenstischer Anblick. Schnell, von gewaltiger Leuchtkraft, rauschte ein zwergenhafter Stern in den Normalraum hinein. Viele Solaner, die diesen Vorgang über Interkom verfolgten, stöhnten auf und dachten, daß der unsichtbare, bis zum heutigen Tag nicht klar definierte Feind mit einer Sonne nach der SOL zielte; mit einem Weißen Zwerg. »Unfaßbar! Wir müssen sofort ausweichen!« rief jemand in der Hauptzentrale. Der Robot zog aus dem Fach eine Gestalt hervor. Sie ähnelte einer Kugel, mit stahlblauem Fell, etwa fünfzig Zentimeter im Durchmesser, deren Schnauze aus blauschimmerndem Stahl zu bestehen schien. Die Maschine setzte die Kugel auf dem Boden der Zentrale ab.
In diesem Augenblick kamen die ersten gesicherten Informationen aus der Ortungsabteilung. »Die Sonne ist vom Sirius‐B‐Typ.« »Zweitausend Kilometer Durchmesser! Zehntausend Kelvin Oberflächentemperatur!« »Die Dichte des Sterns ist sehr hoch. Wir haben noch keine genauen Messungen.« Breckcrown Hayes erkannte, daß es für die SOL besser war, diesem kosmischen Geschoß auszuweichen. Er gab an den Piloten einige kurze Anordnungen. Die Triebwerke der SOL wurden gestartet; die Schutzschirme waren bereits aufgebaut. Die Dichte dieses Körpers war hoch, sagte sich der High Sideryt, also würde auch die Gravitation groß sein. Mit großer Geschwindigkeit näherte sich der Weiße Zwergstern dem Schiff. Jetzt meldete sich SENECA. »Noch sind nicht alle Triebwerke synchron zu schalten. Trotzdem rate ich dringend zu einem Notstart. Die Messungen bestätigen, daß der Weiße Zwerg nicht nur der SOL gefährlich werden kann, sondern auch die Bezüge der Planeten zur Sonne Junk stark stören wird.« »Die Folgen?« rief Breckcrown. »Möglichweise wird der Nabel zerstört, und das bedeutet das Abschneiden von der Namenlosen Zone, in der die MJAILAM verschwunden ist.« In diesem Augenblick setzte sich die blaue Halbkugel in Bewegung und begann, am inneren Rand der Zentrale entlang auf den Sessel des High Sideryt zuzugleiten, einen Finger hoch über dem Bodenbelag. Fast niemand bemerkte die Maschine. 3. Eine Minute später wußten die Solaner, daß sie zum Handeln gezwungen wurden. Das Erscheinen der Sonne war nicht weniger
als ein Verhängnis. Mit allen schalt‐ und steuerbaren Triebwerken nahm die SOL – viel zu langsam – Fahrt auf. Schon begann die Gravitation an dem Schiff zu zerren. Die Geschwindigkeit der SOL wuchs, aber in einem derart geringen Maß, daß die Solaner, die beide Vorgänge beobachten konnten, den Atem anhielten. Der Nabel blieb weit geöffnet; in seinem Zentrum war wieder das absolute Schwarz der Namenlosen Zone zu erkennen. Die Geschwindigkeit, mit der die weiße Sonne auf einen Punkt zuraste, der zwischen dem Junk‐Gestirn und der SOL lag, war zu errechnen. Binnen weniger Stunden würde sie diesen Punkt erreicht haben. Wieder wandte sich Breck an SENECA: »Eine Analyse! Schnell!« Der Bordrechner reagierte sofort. Gleichzeitig schaltete er sämtliche Lautsprecher des Schiffes zu und schrieb seinen Text auf die Interkomschirme. »Wegen der noch nicht beendeten Reparaturen arbeiten nicht alle Triebwerke. Die Wirkung der Gravitation wird weiter zunehmen. Der Weiße Zwerg zieht die SOL an sich. Ich schlage vor, wenn kein Fluchtkurs möglich ist, einen Orbit um die Sonne einzuschlagen und die restlichen Schäden vordringlich zu beseitigen. Gleichzeitig muß versucht werden, die Sonne zu zerstören. Welche Methoden angewendet werden können, entzieht sich meiner Planung. Achtung. Ich erfahre eben durch die Ortungsgeräte, daß sich der Junk‐Nabel zu bewegen scheint. Ich melde mich wieder mit neuen Erkenntnissen.« Bjo Breiskoll drehte seinen Sessel herum und wandte sich an Breckcrown. »Was hast du vor – falls dir etwas eingefallen ist?« Breck schüttelte sich, als würde er aus der Tiefe seiner Überlegungen auftauchen. »Keine Ahnung«, sagte er. »Der Zwerg ist um einige Stunden zu
früh gekommen.« Bjo sah zwischen den Sockeln der Sessel den Robot heranschweben. Das Gerät blieb bewegungslos stehen, als es keine drei Meter von Breck entfernt war. Eine Klappe öffnete sich im Rückenteil, und ein projektorenähnlicher Arm klappte hervor. Er zielte einwandfrei auf Hayes. Mit einem Satz, der ihn weit nach vorn trug und aus dem völligen Stillstand katzenartig kraftvoll und geschmeidig war, sprang er aus dem Sessel und zog blitzschnell seine Waffe. Dann wirbelte er halb herum, stieß mit der Schulter Hayes zur Seite und feuerte auf die Öffnung der Maschine. »Achtung!« rief er scharf. Der Robot und Breiskoll feuerten gleichzeitig. Zwei Glutbahnen schnitten durch den Raum, aneinander vorbei. Die Maschine hatte dorthin gezielt, wo sich noch vor Sekundenbruchteilen Kopf und Oberkörper befunden hatten. Das metallene Feld zwischen zwei Bildschirmen barst in einer krachenden Explosion. Gleichzeitig löste sich die kleine Maschine in einer funkensprühenden Detonation auf. Bjo warf sich zur Seite und entging nur knapp einem Metallfetzen, der sich tief in die Lehne eines Sessels bohrte. Wütend schrie er auf: »Zelenzo! Das galt dir, Breck!« Ächzend stand Hayes auf. Er war zuerst gestolpert und dann zwischen Pulte und Sessel gefallen. Niemand half ihm dabei; jeder war mit Schaltungen und Berechnungen beschäftigt. Aber bei der Doppelexplosion fuhren kurz alle Köpfe herum. »Roboter! Löschen und wegbringen!« schrie jemand. Die Maschinen kamen aus ihren Bereitstellungsfächern und fingen mit ihrer Arbeit an. Die Bildschirme der Panoramagalerie sandten mittlerweile eine gewaltige weiße Lichtflut aus, die von dem komprimierten Stern kamen. Breckcrown Hayes kämpfte sekundenlang mit sich. Er hatte
begriffen, daß die Erneuerer ihn hatten töten wollen. Nur durch einen Zufall und die Aufmerksamkeit Breiskolls war er dem Tod entgangen. Er atmete tief ein und aus und fragte halblaut: »Danke, Bjo. Du und Sternfeuer, und meinetwegen auch Federspiel – habt ihr nicht einen Impuls aufgefangen? Wenigstens einen winzigen Impuls von diesem Zelenzo? Er bringt es noch fertig, die SOL von innen heraus zu zerstören.« Bjo schüttelte den Kopf. »Nein. Nichts, Breck. Er versteckt sich absolut perfekt.« »Ich halte viel von deinen Fähigkeiten. Wie schafft er das? Die Mitglieder seiner Organisation, die wir bisher gefaßt haben, kennen ihn nicht einmal.« Bedauernd hob Breiskoll die Schultern. Ratlosigkeit kennzeichnete nicht nur seine Überlegungen, sondern darüber hinaus auch die Situation innerhalb der SOL. »Tut mir leid. Ich würde dir gern eine positive Antwort gegen!« sagte Bjo. Auf dem Ortungsschirm zeichnete sich eine neue Entwicklung des beginnenden Dramas ab. Die schwach sichtbaren Konturen des Schlundes oder Nabels folgten der Sonne, deren Eigengeschwindigkeit abnahm, je mehr sie sich der Sonne des Junk‐ Nabels näherte. Es war denkbar, daß der Nabel den Weißen Zwerg einholen konnte. Was hatte dies zu bedeuten? Jedenfalls gab es innerhalb des Planetensystems jetzt zwei Sonnen. Die kleine rote Sonne wurde überstrahlt von dem stechenden Weiß des hochverdichteten Sterns. Weiße Zwerge, riefen sich die Astronomen ins Gedächtnis zurück, waren eine der möglichen Endstationen einer stellaren Entwicklung. Nachdem sich eine alternde Sonne in einen Roten Riesen verwandelt hatte, schrumpfte sie meist zu einem solchen Zwerg, der, obwohl kleiner als ein Mond, eine ungeheure Dichte und damit Anziehungskraft erhielt. Eine solare Implosion hatte stattgefunden.
Mit einem solchen Gegner hatte man es jetzt zu tun. Quälend langsam hatte das Raumschiff Fahrt aufgenommen. Es wurde direkt im rechten Winkel von der Bahngeraden des Weißen Zwerges weggesteuert. Der Pilot sagte: »Dieses ultradichte Ungeheuer macht uns zu schaffen, Sideryt!« »Schlimm?« »Ich glaube nicht, daß wir ihm entkommen. Ich arbeite bereits an der gerade noch vertretbaren Obergrenze der Kapazität. Es gibt eine verschwindend geringe Möglichkeit, daß …« SENECA schaltete sich ein. »Meine zweite Analyse ergibt, daß der Weiße Zwerg die SOL nicht entweichen läßt. Die Gravitation ist zu groß. Wir waren zu nahe heran.« »Eine Planetenbahn, ein Orbit um die Sonne?« »Das wird wohl daraus werden«, sagte der Pilot. »Warte noch einige Zeit. Wir versuchen unser Äußerstes.« Inzwischen lagen weitere Meldungen vor. Die Bahnen der Planeten wurden bereits gestört. Die Junk‐ Planeten I bis III wurden von den ersten, leichten Beben erschüttert. Es war zu befürchten, daß die planetaren Verhältnisse von Gravitation, Bahnradius und den verschiedenen »Gezeiten«‐ Bezügen ernsthaft gestört wurden. Der Effekt war vorläufig noch gering, würde sich aber in den nächsten Stunden oder Tagen verstärken. Überall wurde fieberhaft gerechnet, wobei »Ultra« der einzige unbekannte Faktor war. »Drohen die Planeten zu bersten, sich aufzulösen?« fragte Hayes. »Noch nicht. Es ist denkbar, aber nicht wahrscheinlich«, entgegnete SENECA. »Auch in diesem Fall ist die Analyse noch nicht endgültig.« »Danke.« Hayes fühlte tief in seinem Innern, daß nackte Verzweiflung nach ihm griff. Mühsam unterdrückte er das Zittern seiner Finger. Wieder einmal war der gigantische technische Organismus der SOL an einer
deutlichen Grenze angelangt? Der weißstrahlende Eindringling, von SENECA mit dem Kodenamen Ultra bezeichnet, konnte das Ende aller Bemühungen bedeuten. Er, Hayes, konnte nur Befehle geben und darauf hoffen, daß sie sinnvoll und wirksam sein würden. Er war, gestand er sich ein, ebenso wirkungslos wie ein nicht schaltbares Triebwerk. Er trat hinter den Piloten und legte ihm die Hände schwer auf die Schultern. »Versuche es mit jedem Trick, mit jeder Energieeinheit! Von mir aus sind nachher alle Triebwerke und jeder Antigrav‐Projektor reparaturbedürftig! Mich interessiert einzig und allein, daß wir aus dieser Falle entkommen. Wer sie aufgebaut hat, darüber können wir später diskutieren!« »Ich habe verstanden. Ich versuche es schon seit Minuten. Seit dieser weiße Ultra‐Satan aufgetaucht ist.« »In Ordnung. Machʹ weiter so.« Schwerfällig wie kaum je zuvor driftete die SOL mit mehr als der Hälfte aller möglichen Antriebskraft von dem Eindringling weg. Das kreideweiße, strahlende Licht auf den Bildschirmen nahm zu. Es beleuchtete jede Einzelheit in der Hauptzentrale und ließ jeden Solaner bleicher erscheinen. Die Angst sickerte langsam, wie ein narkotisierendes Gas, in den Verstand von Tausenden Menschen ein. Hayes hoffte, daß wenigstens vorübergehend die Angriffe Zelenzos gestoppt waren. Die Bedrohung war größer und dem Problem, das durch die Forderungen der Erneuerer entstanden war, übergeordnet. Er sah sich um und entdeckte an seinem Platz das Tablett mit dem bestellten Essen. Hayes beschloß, ein äußerliches Zeichen zu setzen und zu versuchen, den Solanern etwas von seiner scheinbaren Ruhe zu vermitteln. Jeder Schritt, den er zu seinem Platz zurücklegte, schickte einen stechenden Schmerzfunken in seinen Kopf und seine Wirbelsäule.
Er durchquerte mit energischen Schritten die Zentrale, setzte sich und begann sich der Mahlzeit zu widmen. Aber seine Sinne waren angespannt. Er lauschte auf jede noch so geringe Einzelheit, auf die Gespräche zwischen den Frauen und Männern an den Pulten und der Ortungsstation, auf die Durchsagen SENECAS und auf alles andere. Hoffentlich, sagte er sich, waren die Schäden im Junk‐System nicht so groß, daß der Verbindungstunnel oder Schnittpunkt zwischen Bars und der Namenlosen Zone zerriß oder geschlossen wurde. In diesen Minuten merkte er, wie sehr ihm Atlan fehlte, und wie wichtig für ihn die Gegenwart des Arkoniden an Bord war. Trotz aller verständlichen Differenzen: Atlan bedeutete einen starken stabilisierenden Faktor. Und noch mehr. Aber das ging die anderen nichts an. Langsam näherte sich Ultra der roten Sonne. Der Weiße Zwerg jagte nicht etwa auf der Ebene der planetaren Ebene dahin, sondern kam, von der SOL gesehen, von »schräg oben« auf den Mittelpunkt des Systems zu. Unverändert betrug der Durchmesser 1987 Kilometer. Inzwischen lagen auch die anderen wichtigen Daten vor. Potentiell bedeutet die gewaltige Gravitation des Weißen Zwerges für das System und die SOL eine absolut lebensbedrohende Gefahr. Wie die Schäden auf den Planeten und die Lage auf der SOL sich im einzelnen darstellen würden, war erst in Stunden abzusehen. Logischerweise galt: Je weiter die Planeten oder das Schiff von dem machtvollen Eindringling entfernt waren, desto geringer würden die Auswirkungen sein. Als Breck, scheinbar mit gutem Appetit – in Wirklichkeit zwang er sich, das Zeug herunterzuwürgen – etwa die Hälfte der reichlich bemessenen Portionen gegessen hatte, gab SENECA seine vorläufig letzte und weitaus präzisere Stellungnahme ab. »An alle! Die SOL wird es fertigbringen, um den Eindringling in einen Orbit
zu gehen. Ich habe keinen Zweifel daran, daß unsere Lage ungewöhnlich ernst ist. Nach allen vorliegenden Meßergebnissen schaffen wir es gerade, Ultra zu umrunden, aber in einer Bahn, die Spiralcharakter hat.« Die Solaner, die etwas von solchen Manövern verstanden, erstarrten. Sie verstanden die noch unausgesprochene Drohung. Von einem vollendeten Orbit zum anderen würde sich die Entfernung um einen bestimmten Betrag verringern. Der Endpunkt lag in einem unkontrollierten Absturz in das flammende Inferno. »Vorläufig ist mit etwa vierzig Stunden Bordzeit zu rechnen. Innerhalb dieser Frist sollten alle nur denkbaren Aktionen gesetzt werden«, sprach SENECA weiter. »Das ist die Lage; in diesem Punkt besteht nicht mehr die Möglichkeit eines Irrtums. Ereignisse, die außerhalb meiner extrapolatorischen Fähigkeiten liegen, können diese sehr genaue Schätzung negativ oder positiv verändern. Falls in dieser Hinsicht nichts geschieht, stürzt innerhalb einer Zeit, die kleiner als fünfzig Stunden ist, die SOL in den Weißen Zwerg Ultra.« Ein Schweigen des Entsetzens und der Angst breitete sich innerhalb des gesamten Schiffes aus. Nur Breckcrown Hayes aß, offensichtlich völlig ungerührt, weiter. In Wirklichkeit tobte in ihm ein lautloser, schmerzhafter Aufruhr. »SENECA!« sagte er. »Ich höre!« »Kannst du, zusammen mit dem Piloten und unter der Einschränkung der nur teilweise funktionierenden Triebwerke, die SOL in diesen makabren Orbit steuern?« »Selbstverständlich!« »Dann hilf ihm. Vielleicht schaffen wir es, aus der Kreisbahn wenigstens eine Tangente zu machen.« SENECAS letzte Antwort war nicht mehr als ein hauchdünner Trost. »Wenn es eine Möglichkeit gibt, werden wir sie wahrnehmen.«
Der High Sideryt hob den dickwandigen Kunststoffbecher und trank, ohne zu schmecken, was er wirklich trank. 4. Schon die ersten Worte des Dialogs zwischen den Frauen und Männern der Zentrale und SENECA, dazu die optisch aufbereiteten Informationen und Berechnungen der Ortungszentralen, hatten einen Großteil der Solaner förmlich elektrisiert. Es waren jene Arbeitsgruppen in den Fabrikations‐ und Reparaturhallen, die Techniker vor Ort, diejenigen, von denen die Steuerleitungen kontrolliert und repariert oder ersetzt wurden, die von ihnen abhängigen Roboter und ihre Chefs von Gruppen, die sich um die nötigen Instandsetzungsarbeiten kümmerten. Sie begriffen binnen verblüffend kurzer Zeit, daß jedes funktionierende Triebwerk mehr ein Gewinn für die SOL war und darüber ein Teil der Überlebenschancen. Sie alle verdoppelten sofort die Geschwindigkeit ihrer Arbeit. Sie gingen unvernünftige, in diesem Punkt der Entwicklung aber vertretbare Risiken ein. Sie sagten sich: besser ein schlecht funktionierendes Triebwerk als eines, das keinen Impuls von sich gab. Es waren Tausende Spezialisten und mehr als die doppelte Anzahl von Hilfskräften, die da versuchten, in einem Gewaltakt die SOL zu retten. In diesem Personenkreis waren weder Zelenzo noch einer seiner Anhänger zu suchen. Aber dennoch versuchten sie, weiterhin Druck auszuüben. Ihnen schlug der Haß vieler Solaner entgegen, und sie schadeten ihrer Sache geradezu in ausgesuchter Weise. Es war nicht einmal bekannt, ob der Chef der Erneuerer eine Frau oder ein Mann war, oder möglicherweise nicht einmal ein geborener Solaner.
Die SOL versuchte, vor dem Weißen Zwerg zu flüchten. Zusammen mit den Messungen der Ortungszentrale gab SENECA eine weitere vorläufige Analyse ab. »Der Weiße Zwerg Ultra scheint mit Sicherheit eine manipulierte oder gar künstlich hergestellte Sonne zu sein. Ihr energetisches Gefüge ist hochverdichtet. Daher auch die ungewöhnlich hohe Gravitation. Folgendes ist zu berechnen: Aus dem Fluchtkurs der SOL wird aufgrund der Anziehung Ultras eine Spirale. Der Spiralorbit wird um Ultra führen und bei jeder Umkreisung enger werden. Ich habe als ersten Richtwert eine Frist von rund vierzig Stunden Bordzeit ermittelt. Der Wert kann unterschritten oder überschritten werden, jedoch nicht in größerem Ausmaß.« Der High Sideryt fühlte, wie ihn die Kräfte zu verlassen drohten. »Hast du die Erfolge der Reparaturen mit in die Berechnung einbezogen, SENECA?« »An dem voraussichtlichen Ende werden auch größere Anstrengungen der Reparaturkommandos nichts Entscheidendes ändern können. Bestenfalls wird der endgültige Sturzzeitpunkt hinausgeschoben.« »Das höre ich«, brummte Breckcrown, »das muß ich auch glauben. Aber ich werde alles tun, um dieses berechnete Ende der SOL nicht eintreten zu lassen.« »Vierzig Stunden, mehr oder weniger«, sagte Bjo Breiskoll erschüttert. »Wir sollten uns schnellstens etwas einfallen lassen.« Wahrscheinlich hatten die Erneuerer um Zelenzo die Durchsage SENECAS gehört und verstanden. Wieder meldete sich Zelenzo. Die Stimme des Erneuerers – falls es sich wirklich um seine Stimme handelte – war elektronisch verzerrt. Sie hallte laut und mit effektvoller Echoschaltung durch die Räume und Decks der SOL. »Solaner! Jetzt habt ihr alle miterlebt, wie weit euch die Befehle des High Sideryt gebracht haben. Ins Innere einer Sonne, in den
Tod, in die Vernichtung des Schiffes.« Sternfeuer und Federspiel sahen einander in die Augen und schüttelten die Köpfe. Sternfeuer schrie wütend: »Zeige dich endlich, du Feigling, und verstecke dich nicht hinter deinen Schaltungen und Tricks.« Ungerührt sprach der Erneuerer weiter. »Ein alter und von Krankheit gezeichneter Mann, das ist euer Anführer. Er hat euch mitten in die tödliche Gefahr gebracht. Leider ist es den Erneuerern nicht gelungen, ihn seines Kommandos zu entheben. Die Gefahren, in denen wir alle umkommen werden, in diese hat er uns alle gesteuert. Zieht die Konsequenzen, Solaner! Wir, die Erneuerer, werden euch dabei helfen. Wir reden nicht von Lösungen, wir bieten sie an.« Die verfremdete Stimme brach ab. Vierzig Stunden! Für viele Insassen des Schiffes war diese Unterbrechung ein neuer Ansporn, um dem unausweichlich scheinenden Schicksal zu entgehen – wie schon so oft. Für einen Teil bedeuteten die Erkenntnisse der letzten Stunden tiefe Resignation und Verzweiflung. Und wieder für andere schienen tatsächlich die letzten Stunden ihres Lebens angebrochen zu sein. Welche Lösung, außer der Absetzung des High Sideryt, die nichts an der Situation ändern konnte, boten die Erneuerer an? Davon hatte Zelenzo nichts gesagt. Breck wandte sich an Sternfeuer. »Ich versuche, zusammen mit SENECA eine neue Lösung zu finden. Wir suchen sie immerhin. Ihr solltet euch vielleicht darum kümmern, wie wir diese Unruhestifter zum Schweigen bringen.« »Einverstanden.« Die Flugbahn der SOL im Junk‐System begann sich, obwohl nacheinander immer mehr Triebwerke dazugeschaltet und auf höchste Kraft geschaltet wurden, zu krümmen. Es trat genau das ein, was SENECA berechnet hatte. Die Todesspirale um Ultra nahm hier ihren ersten Anfang.
* »Ich verstehe nicht, warum es uns nicht gelingt, Zelenzo zu fassen«, murmelte Thala. »Oder kannst du mir das erklären?« »Die SOL ist groß, Mutter. Ich habe keine Erklärung.« »Obwohl du sonst so gut informiert bist.« »Sonst schon.« Im Mittelteil der SOL, besonders auf Wohndeck 14, waren die Solaner den direkten Informationen näher als an jeder anderen Stelle des Schiffes. Die Familie der Thermecks wohnte darüber hinaus auch lediglich achtzig Schritt von SOL‐City entfernt, also von den Räumen, in denen das Atlan‐Team zu finden war. Dennoch waren weder Thala Thermeck‐Sonnersy noch der Sohn Eldar klüger als alle anderen Solaner. »Warum nicht in diesem Fall? Die Frist bis zum Hitzetod muß doch die Erneuerer aus ihren Verstecken treiben!« Eldar fuhr durch sein wirres, strohblondes Haar und zuckte die Schultern. Er war ein Gegner von Atlans Aktivitäten, obwohl er wußte, worum es ging. Trotzdem fand er weder Zelenzo noch dessen Erneuerer sonderlich sympathisch. Es gab in diesem Moment weitaus wichtigere und sinnvollere Dinge als den nutzlosen Widerstand. »Du solltest diese Episode längst in dein Buch geschrieben haben«, meinte er. »Fraglich bleibt, ob jemand dieses Jahrtausendwerk jemals lesen wird.« Ihr »Buch«, die »Geschichte der SOL seit dem Auftauchen Atlans«, wuchs im Verborgenen, in den Speichern einer Schreib‐Lese‐ Positronik nämlich. Die Maschinerie wurde von Thala mit Begeisterung benutzt, obwohl sie sonst robotische Einrichtungen aller Art als Zumutung empfand. »Wir haben schon so viele Zwischenfälle überlebt«, meinte Thala
vorsichtig. »Vierzig Stunden sind eine Menge Zeit.« »Jedenfalls werden wir mit eigenen Mitteln diesem Gegner nicht ausweichen können«, beharrte er. »Vielleicht gelingt es, ihn zu vernichten.« Obwohl seine Erinnerung an Chart Deccon von tiefen Einsichten wenig getrübt war, hielt er dessen hartes Regime für weitaus sinnvoller für seine Heimat. Diese Heimat war unveränderlich die SOL. »Versuche nicht, mich davon zu überzeugen, daß an allem nur Atlan schuld ist!« »Ohne Atlan wären wir sorgenfrei wie Vögel im Solarium!« Thala hob die Schultern. Sie blieb sachlich und neutral. Für sie brachte eine Diskussion mit dem Achtzehnjährigen meist nur Ärger. Im Augenblick versuchte sie, herauszufinden, welche Möglichkeiten der SOL blieben, der tödlichen Falle zu entkommen. Beschwichtigend erwiderte sie: »Denkst du vielleicht daran, daß dein Vater an Bord der MJAILAM ist?« »Ohne Atlan wäre er nicht verschollen!« Thala winkte ab. Nicht einmal ihre häufigen und intensiven Kontakte zu früheren Arbeitskolleginnen aus den Robotabteilungen hatten ihr einen echten Informationsvorsprung verschaffen können, ebensowenig die Nachbarn im Wohndeck. Sie breitete in einer Geste halber Ratlosigkeit die Hände aus und erklärte: »Du kannst ja zusammen mit deinen klugen Freunden durch zusammengelegtes Wissen die SOL vor Atlans Machenschaften und vor Ultra zu retten versuchen.« Eldar Sonnersy stand auf und betrachtete scheinbar nachdenklich das blaugrau gefärbte Haar seiner Mutter. »Du hast recht«, sagte er. »Genau das versuche ich!« Er nickte und verließ den Wohnraum auf Deck 14 C.
* Etwa dreißig Minuten lang kontrollierte der High Sideryt jeden Bildschirm, jede einzelne grafische Darstellung auf den Monitoren, sprach mit SENECA und den Spezialisten in der Ortungsabteilung und mit dem SPARTAC‐Observatorium. Die Lage: Die SOL, mit ständig steigender Geschwindigkeit im unterlichtschnellen Flug, unfähig zum Ausweichen in eine noch so kurze Linearetappe, driftete noch immer von den beiden Sonnen im Zentrum des Junk‐Systems fort. Aus der Bahn war eine langgezogene Kurve geworden, deren rechnerisch projizierte und extrapolierte Spitze auf Ultra deuteten, die fremde Todessonne, die innerhalb der Bahn von Junk I auf die rote Sonne zuschwebte; klein und gefährlich und in kalkigem Weiß lodernd. Hayes fühlte sich heute so alt und hinfällig wie nie zuvor. Seine Krankheit, die niemand an Bord diagnostizieren konnte, machte seinen Körper schwach und lähmte ihn. Fast regungslos saß Hayes in seinem Konturensessel und dachte nach. Langsam hob er den Arm mit dem externen Element des Terminals. »SENECA. Ich brauche die gesamte Kapazität unserer Wissenschaftler. Die SOL schwebt auf Ultra zu, daran ist nichts zu ändern. Wir haben den Junk‐Nabel im Trubel der Ereignisse übersehen. Wo steckt er eigentlich? Wenn wir Ultra nicht angreifen können, gibt es mit Sicherheit eine andere Möglichkeit. Der Nabel.« Und nach einer Weile sagte er mit großer Zuversicht: »Es gibt immer eine Möglichkeit!« Nur einige Sekunden brauchte die Ortungsabteilung, um ihre vorübergehende Unaufmerksamkeit wiedergutzumachen. Auf dem großen Monitor wechselten die Bilder. Der energetisch vermessene und vergleichsweise unschwer neu anmeßbare Nabel wurde binnen kurzer Zeit entdeckt.
»Hier ist der Nabel! Erstaunlich!« Der Ring mit dem Durchmesser weniger als 2000 Kilometer lag wie eine Fessel oder die dünne Linie eines Äquators um die neue, weiße Sonne. Der Nabel bewegte sich zugleich mit dem Weißen Zwerg auf die rote Sonne zu. Die Darstellung sagte aus, daß entweder der ringförmige Übergang in die Namenlose Zone eng an der Chronosphäre des Sterns anlag oder daß sich Ultra im Nabel festgekeilt hatte. Beide Objekte steckten anscheinend unverrückbar ineinander. Breiskoll stöhnte auf und sagte stockend: »Für mich ist es jetzt klar, daß weder wir in die Namenlose Zone vordringen können, noch daß Atlan daraus in den normalen Raum vorstoßen kann.« »Die Sonne verstopft den Nabel wie ein riesiger Korken!« stellte Breck fest. »Es ist völlig unklar, was diese Konstellation bedeutet«, meinte Federspiel leise. »Atlan scheint verloren zu sein, ausgesetzt in der Zone dort hinter dem Nabel.« »Ich sage, es gibt eine Verbindung zwischen Ultra und dem Nabel!« rief Hayes. Die Aufregung innerhalb der Hauptzentrale und der Ortung hatte sich vorübergehend gelegt und einer grimmigen Entschlossenheit Platz gemacht. Immer wieder trafen neue Fertig‐Meldungen ein. Wieder hatten die Kommandos ein Triebwerk instand gesetzt, wieder wurde eine Steuerleitung freigegeben, wieder fuhr SENECA die volle Antriebsenergie in einen bestimmten Teil der Ringwülste. Aber die Zunahme an Antriebskraft war logischerweise nur sehr gering. Der Sprecher einer Forschergruppe meldete sich und bot an, ein bestimmtes Denkmodell weiter zu verfolgen. »Vielleicht gelingt es uns, auf dem Weg über die Einrichtungen im Innern der Planeten, den Nabel zu desaktivieren.« »Wir sind für jede Chance dankbar, und wenn sie noch so gering
ist!« erklärte Hayes kategorisch. Zwar kannte man die wahre Natur der Steuereinrichtungen und Energiestationen des Nabels nicht, wußte aber, daß sie sich in Junk II und Junk III befanden. Irgendwo im Innern des Planeten hervorragend versteckt und getarnt. Und völlig unzugänglich. »Hat schon jemand daran gedacht, einen Flugkörper mit Maximalwerten zu beschleunigen? Er hätte mittlerweile als Startgeschwindigkeit den Impuls, den die SOL im Moment besitzt. Eine Mehrstufen‐Startaktion?« erkundigte sich Sternfeuer. »Eine denkbare Alternative. SENECA! Rechne dieses Problem einmal durch. Mit Priorität!« »Verstanden. Eine nicht aussichtslose Überlegung.« Seit dem Augenblick, an dem der High Sideryt zum letztenmal einige ruhige Stunden gehabt hatte, war mehr als ein halber Tag vergangen. Die letzten Stunden des fünften Juni fingen an. »Ich werde es doch noch schaffen«, flüsterte Breckcrown Hayes zu sich selbst, »die SOL aus dieser verfluchten Klemme hinauszusteuern! Und wenn ich mich mit bloßen Händen ins Zentrum der Planeten graben müßte.« Hayes wußte, daß er gegenüber vielen Besatzungsmitgliedern zu einer tragischen Gestalt zu werden begann. Es war ihm gleichgültig. Die Zeiten und die Gelegenheiten änderten sich in schneller Folge, und damit zugleich die Bewertung. Ein Mensch, der heute noch als Held gefeiert wurde, konnte morgen ausgepfiffen und geächtet werden. Namenlose Solaner wurden binnen kurzer Zeit zu heroischen Gestalten. Und umgekehrt. Was einzig zählte, war Kontinuität. Er war das Sinnbild dieser Gleichmäßigkeit, und bisher hatte er sie zu Recht garantiert! »Alles klar, Hayes!« sagte er sich. Die Flugbahn der SOL krümmte sich stärker und stärker. Jetzt, nachdem fast hundertsechzig Grad der Bahn zurückgelegt worden waren, begann die Extrapolation auf die neue Sonne zu zielen. Der Vorgang war von allen erwartet worden; das Ende der SOL schien
unausweichlich zu sein. Mittlerweile begannen die Verantwortlichen damit zu rechnen, daß außer Zelenzo andere Solaner versuchen würden, die Situation durch Akte der Verzweiflung oder der Sabotage zu ändern. Einige Robots bauten sich außerhalb der Sicherheitsschotte auf. »Den Nabel desaktivieren … irgend etwas tun … etwas herausfinden«, sagte sich Hayes voller Verbissenheit. Gleichzeitig kontrollierte er sich; es würde sich nicht auszahlen, wenn er mit Gewalt einer Idee nachrannte, die der SOL nicht weiterhalf. Kurze Zeit später meldete sich wieder der Bordrechner. »SENECA für High Sideryt. Keine Schwierigkeit, folgendes Modell zu berechnen: Falls es innerhalb von weniger als fünfzehn Stunden gelingt, eine Fünfzehn‐Meter‐Space‐Jet mit dem Teilantrieb einer Korvette auszurüsten, sollte der Versuch riskiert werden. Wenn sämtliche schweren Einbauten entfernt werden, die Bewaffnung beispielsweise, kann die Jet kurzzeitig eine Beschleunigung erreichen, die sie aus der Gravitation entläßt. Der Gravitationssog der Sonne Ultra würde in diesem Fall kompensiert werden können. Dieser Start und der Flug können nur binnen der nächsten vierzehn Stunden durchgeführt werden. Dann ist die SOL so nahe an Ultra, daß der Versuch sinnlos wird. Die SOL‐Technik muß aber den Start unterstützen mit Bordmitteln: negativ gepolte Traktorstrahlen, Gegen‐Antigrav und andere Methoden. Die Belastung des Andrucks wird trotz der Neutralisatoren ungewöhnlich hoch werden. Ich empfehle ausdrücklich, diesen Versuch zu riskieren. Nach allen vorliegenden Informationen ist es die einzige Chance, die uns noch geblieben ist.« Hinter den ruhigen, klaren Worten SENECAS lag die furchtbare Wahrheit, die vom Ende der SOL und mehr als neunzigtausend Besatzungsmitgliedern sprach. »Ich habe verstanden«, grollte Breckcrown. »Also, Technische
Abteilung, Stabsspezialisten – wir packen diesen Plan frontal an. Sucht euch eine nicht mehr ganz neue Space‐Jet aus und baut sie um. Konzentriert eure ganze Kraft und allen Erfindungsreichtum darauf.« »Wir haben mitgehört. Ich denke, wir schaffen es!« lautete die Antwort. Eine andere Stimme schaltete sich ein. »SOL‐Zelle Eins. Hangar Nullneunzehn. Dort steht ein halb ausgeschlachtetes Wrack. Da sparen wir uns eine Menge Arbeit.« »Und jede Menge Zeit, Freunde«, sagte Breiskoll. »Name der Jet?« »Ich glaube, es ist die TRAGEDY.« Federspiel hob den Kopf und flüsterte: »Nomen est omen. Ausgerechnet!« Auf einen Großteil der angesprochenen Teams und Kommandos konnten sich die Stabsspezialisten verlassen. Einige Anrufe in der Hauptzentrale bestätigten, daß sich die Fachleute augenblicklich auf den Weg machten und ihre robotischen Helfer programmierten. In dem angesprochenen Hangar und den Werkstätten in dessen Nähe entwickelte sich zielgerichtete, schnelle Geschäftigkeit. Kaum jemand zweifelte ernsthaft daran, daß die TRAGEDY binnen weniger Stunden für diesen waghalsigen Einsatz perfekt vorbereitet werden konnte. »So weit, so gut«, sagte Breckcrown. »Die SOL ist unterwegs, die Jet wird umgerüstet, und jetzt brauchen wir nur noch ein Wunder.« Er stemmte sich aus dem Sessel hoch und betrachtete prüfend die Monitoren mit den Aufnahmen der Ortungsabteilung. Die eingeblendeten Ziffern und Buchstabengruppen veränderten sich laufend. Der Pilot sagte: »Ultra verdichtet sich unaufhörlich. Oder irgend etwas verdichtet ihn.« »Du hast recht, Brick«, entgegnete Hayes. »Etwas verdichtet den tödlichen Zwerg.«
Einige Minuten lang beobachteten sie alle schweigend und konzentriert die Veränderung, die mit dem Weißen Zwerg vor sich ging. Die Schlußfolgerungen waren alles andere als beruhigend. Während sich der Stern, der sich nun kaum mehr bewegte, weiterhin verdichtete, folgte der ringförmig anliegende Nabel der Bewegung. Die Bemerkung aus SPARTAC rief eine neue Welle von Panik hervor. Es war zu befürchten, daß die außergewöhnlich dicht kondensierte Materie der künstlichen Sonne noch mehr zusammengezogen wurde und auf diese Weise in kurzer Zeit kollabierte. Dann würde aus dem Weißen Zwerg ein Black Hole werden, ein Schwarzes Loch. Die Zeitangabe kurz bezog sich natürlich nur auf diesen Fall, nicht auf die normale Entwicklung eines Sterns, zu der es Äonen brauchte. »Und der Nabel folgt der Schrumpfbewegung, wie ich sehe«, sagte der Brick‐Zwilling. »Als Pilot der SOL habe ich wohl gerade einen der schwärzesten Tage erwischt.« »Vermutlich einen der letzten in deiner Karriere«, gab Sternfeuer zurück. »Wie groß ist der Durchmesser geworden? Oder, genauer: wie klein?« »Weniger als eintausendsiebenhundert Kilometer – inzwischen.« Die Ortung wandte sich an SENECA. »Bei welchem Durchmesser ist die kritische Grenze erreicht?« Der Bordrechner brauchte fast keine Zeit, um seine Rechnung bekanntzugeben. »Wenn der Prozeß sich weiterhin in derselben Geschwindigkeit abspielt, dann reichen die errechneten vierzig Stunden nicht mehr aus. Bei etwa fünfhunderttausend Metern Durchmesser kollabiert der Weiße Zwerg. In diesem Fall wird auch der Einsatz mit Hilfe von Space‐Jet TRAGEDY nichts mehr nützen.« Langsam hob Hayes seine Hände und starrte sie an, als würden sie nicht ihm gehören. Dann schlug er sie vor die Augen und blieb eine halbe Minute in dieser Haltung. Er bot das Bild eines Mannes, der
erkannt hatte, daß alles verloren war. Dann, ebenso langsam, begann sich seine Körperhaltung zu verändern. Er richtete sich auf, stellte seinen Körper kerzengerade, nahm die Hände herunter und schien sich völlig verändert zu haben. Mit der alten, befehlsgewohnten Stimme, um keinen Deut leiser, sagte er: »Ich habe Anlaß, damit zu rechnen, daß unsere Planung keineswegs glattgeht. Hört gut zu! Ich spreche zu allen Solanern! Der Hangar und der Umbau der TRAGEDY muß geschützt werden. Aus diesem Grund wird unser Team von Telepathen die Arbeiten abschirmen. Ich ahne, daß Zelenzos sogenannte Erneuerer zuzuschlagen versuchen. Deswegen wird der Hangar auch großräumig von Robotern und Sicherheitsleuten umstellt. Das sind keine Wünsche, sondern Anordnungen. Also: die Werkhalle wird abgeschirmt. Überdies ist damit zu rechnen, daß vereinzelte Solaner aus Panik oder Verzweiflung heraus versuchen wollen, mit der TRAGEDY zu flüchten, obwohl das absolut sinnlos ist. Auch das muß verhindert werden. Soviel in diesen Minuten. Wenn es Änderungen gibt, werde ich mich wieder an alle Solaner wenden. Danke. Herts?« Gallatan Herts, der bisher alle Ereignisse schweigend und mit schweißbedeckter Stirn verfolgt hatte, hob kurz die Hand. »Ich lege mich eine Stunde oder zwei aufs Ohr. Du hast das Kommando über das Schiff. Natürlich bin ich jederzeit zu erreichen.« Er nickte Federspiel, Sternfeuer und Breiskoll zu, die ihre Waffengurte umschnallten und die Zentrale verließen. »Ist klar, Breck. Nimm irgendein Medikament, damit du wirklich schlafen kannst!« antwortete Gallatan. Er blickte nicht gerade in Bewunderung, aber voller Achtung dem High Sideryt nach, der hochaufgerichtet aus der Zentrale in die Richtung der Klause stapfte. Woher nahm dieser kranke Mann
plötzlich die Energie? fragten sie sich alle. Dann wurde ihre Aufmerksamkeit abgelenkt. Der Weiße Zwerg und auch der Kreisring des Nabels schrumpften. Der Durchmesser betrug jetzt nur noch eintausendfünfhundert Kilometer. 5. Mehr als neunzigtausend Solaner befanden sich innerhalb der drei Schiffszellen. Für die überwiegende Mehrheit der Individuen galt trotz aller niederschmetternden und drückenden Informationen der Rhythmus des täglichen Lebens – die Stunden zwischen Bord‐Tag und Bord‐Nacht, zwischen Arbeit, Freizeit und Schlaf. Solaner starben und wurden geboren. Es gab jeweils Tausende, die aßen und tranken, solche, die arbeiteten, andere, die vor dem Interkom saßen und auf neue Nachrichten warteten, wiederum andere, die so taten, als gehe sie das bevorstehende Ende kaum etwas an – sie hofften inbrünstig, die Wahrheit verdrängend, daß die Schiffsführung sie auch wieder aus dieser hoffnungslos erscheinenden Lage herausmanövrieren würde. Die Buhrlos, deren Anzahl langsam abnahm, machten teilweise ihre lebensnotwendigen Weltraum‐Ausflüge, und an unzähligen Stellen des Schiffes beschäftigten sich Solaner damit, darüber nachzudenken, mit welchen Mitteln der Verzweiflung man die SOL von dem Weißen Zwerg hinwegbugsieren konnte. Wie stets in einer solchen statistisch relevanten Großgruppe gab es andere: Frauen und Männer, die alles andere als angepaßt reagierten. Die »Erneuerer«, die weiterhin versuchten, durch Sabotageakte die Mission der SOL scheitern zu lassen. Oder: Frauen und Männer, die von echter Panik erfüllt waren und zu jedem Mittel greifen würden, um aus der SOL zu flüchten. Sie wußten aber, daß die Flucht mit einem Kreuzer, einer Korvette oder
jedem anderen raumflugtauglichen Objekt eben dort enden würde, wo die SOL vermutlich endete – in der Gluthölle des Weißen Zwerges oder im alles verschlingenden Schwarzen Loch, der stellaren Fortentwicklung dieses mysteriösen Kleinsterns. Schließlich gab es sicher auch eine Gruppe von Menschen, die völlig unberechenbar reagierten. Unter der großen Belastung handelten sie so, wie sie es sich selbst niemals hätten vorstellen können. Sie drehten durch. Sie verhielten sich wie Wahnsinnige, fernab des Realitätsbezugs. Statistisch gesehen, war dies unter einer Menge von mehr als neunzigtausend Individuen völlig logisch. Sogar SENECA hatte die Prozentzahlen mehrmals ausgerechnet. Die Statistik log auch in diesem Fall nur bedingt: niemand ahnte, wer sich in den folgenden Stunden unangepaßt verhalten würde. Die Erfahrenen begannen schon jetzt mit den wahrscheinlichen Störungen zu rechnen und verhielten sich entsprechend. Zu einem der Brennpunkte wurde die riesige, perfekt ausgerüstete Werkhalle, in der die Mechaniker, Spezialisten, Roboter und Monteure die Jet wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm umgaben. Batterien von Tiefstrahlern erhellten jeden Quadratzentimeter der Halle und ließen erkennen, daß die Arbeiten in vollem Gang waren. Schon auf dem Weg zum Hangar hatte Bjo unablässig versucht, die gedanklichen Strömungen aufzufangen, in denen kommendes Unheil zu spüren war. In dem gigantischen, summenden und schwirrenden Wirrwarr aus Aufregung, Spannung und allen nur denkbaren menschlichen Gefühlen vermochte er überhaupt nichts festzustellen. Es war unmöglich, etwas zu erspähen. Falls sich in seiner Nähe ein potentieller Attentäter befand, würde er ihn nicht feststellen können. Selbst wenn da jemand war, dessen Identität mit Zelenzo gleichzusetzen war, der von sich selbst mit diesem Begriff dachte – auch er würde in dem chaotischen Durcheinander untergehen. Nur ganz langsam und mit unendlicher Anstrengung gelang es dem
Katzer, das gedankliche Hintergrundrauschen wegzuschieben und zum Teil zu ignorieren. »Habt ihr etwas gespürt?« wandte er sich, obwohl er die Antwort bereits ahnte, an Federspiel und Sternfeuer. »Nichts anderes als eine gewaltige Erregtheit!« antwortete Federspiel. Sternfeuer winkte nur schweigend ab. Breiskoll hielt einen der Sicherheitsleute am Arm fest und deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Seid ihr fertig? Kann niemand ohne sorgfältige Kontrollen in den Hangar oder die Reparaturhalle?« »Ich denke schon. Du kannst mir helfen, Bjo.« »Gern.« Die Hangarschleuse schloß an die Außenhülle beziehungsweise die Schleusenportale an. Die Werkhalle, nur durch ein Magazin und eine zweite Schleuse getrennt, lag direkt neben dem Hangar, dem Schiffsinnern zu. An diese beiden Räume aber schlossen sich, rechts, links, oben und unten in der Schichtung der Decks, mindestens acht andere Hohlräume an. Sie waren durch Dutzende kleiner Mannschleusen, Materiallifts, Antigravschächte und andere Öffnungen zu betreten. Bjo Breiskoll kontrollierte in den folgenden Stunden mit pedantischer Genauigkeit jeden einzelnen Durchbruch, Roboter wurden herbeordert und mit entsprechenden Befehlen versehen. Bestimmte Bereiche wurden verschlossen, und mit Alarmeinrichtungen versehen, zudem wurde SENECA von jeder Maßnahme verständigt. Eine Anfrage in der Zentrale ergab abermals ein bedrückendes Ergebnis. Obwohl mehr als zwei Dutzend Triebwerke repariert, schaltbar oder neu angeschlossen worden waren, reichte auch dieser Zuwachs an Energie nicht aus, um die Flugspirale mehr als um Hundertstel Grade positiv zu verändern. Die Solaner hatten bis zum endgültigen Sturz in den Stern nur eine Handvoll Minuten
gewonnen. Federspiel, im Augenblick ein Deck tiefer, winkte einen Truppführer der »SOL‐Polizei« zu sich heran. »Der High Sideryt befürchtet, daß auf die Arbeiter hier Anschläge durchgeführt werden könnten. SENECA hat die Wahrscheinlichkeit sehr hoch berechnet. Achtet unbedingt auf verdächtige Vorgänge und Personen. Sofort die Schockwaffen einsetzen, klar?« »Selbstverständlich. Wie weit sind sie?« Der Solaner machte mit dem Kopf eine Bewegung in die Richtung auf die abgesicherte Werkhalle. Beide Männer traten zurück, als eine schwere Schwebeplattform mit Triebwerksteilen aus der Korvetten‐ Reparatur‐Abteilung an ihnen vorbeidirigiert wurde. Schweißgeräte arbeiteten zischend, Nietroboter hämmerten in rasender Geschwindigkeit, das Summen einiger Schraubautomaten war ein Dauergeräusch. »Davon werde ich mich gleich selbst überzeugen«, knurrte Federspiel. Für Federspiel, Mitglied des Atlan‐Teams, bereitete es keinerlei Schwierigkeiten, die Postenkette und die wachsamen Roboter zu passieren. Die Werkhalle bot das Bild rasend schneller, sehr gut organisierter Arbeit. Die Jet war teilweise demontiert. Einige Verkleidungsteile waren hochgeklappt oder ganz entfernt. Mit kreischendem Lärm wurden Teile der Inneneinrichtungen herausgetrennt und entfernt. Teile der überdimensionierten Triebwerke waren bereits befestigt; neue Steuerleitungen wurden gelegt. In dem Wirrwarr krochen Techniker umher und sicherten Anschlüsse, Verbindungen und Befestigungen. Rauchwolken durchzogen die Bahnen der Tiefstrahler, die ultrahellen Schweißflammen blendeten. Freiwillige Helfer schleppten Teile hin und her, eine Maschine säuberte mit blinkenden Lichtern unaufhörlich den Boden im engen Umkreis der Jet. Das halbe Gerippe bot einen schauerlichen Anblick – nichts Besonderes unter normalen Bedingungen, aber unter der Bedrohung durch Ultra
kamen Angst, Träume und Phantasien hinzu und schufen diesen Eindruck. Von den Buchstaben des Kennzeichens waren nur noch TRA … zu erkennen. »Wie lange braucht ihr noch?« Federspiel mußte gegen den Lärm anschreien. »Nicht mehr als zehn Stunden. Wir sind vermutlich eher fertig. Neuigkeiten aus der Zentrale?« »Vor zwanzig Minuten betrug der Durchmesser von Nabel und Ultra dreizehneinhalbtausend Meter. Starke Hyperstrahlung kommt von der Sonne.« »Verdammt! Es wird knapp.« Aus einer Gruppe von Robotern, die anscheinend eben eine Arbeit beendet hatten und sich mit angewinkelten Werkzeugarmen zurückschoben, löste sich eine Gestalt im ölverschmierten Bordoverall. Federspiel kannte den Robotspezialisten flüchtig; es handelte sich um einen engen Freund der Thermeck‐Familie, genauer von Thala Sonnersy, der in der Nähe von SOL‐City wohnte. »Ja?« »Weißt du eigentlich schon, wer diesen Einsatz durchführt? Ich könnte mir denken, daß ein Robotspezialist gebraucht wird, weil sicher auch Maschinen mitfliegen.« Federspiel zuckte die Schultern. Er wußte es wirklich nicht. Die Entscheidung würde Breckcrown treffen. »Du bist Flock, nicht wahr? Irgendwie kenne ich dich.« »Richtig. Tauter Flock. Roboterspezialist. Ich möchte versuchen, euch irgendwie zu helfen.« »Am besten wird es sein«, erklärte Federspiel nachdenklich, »du wendest dich direkt an den High Sideryt. Vermutlich wird die Besatzung klein sein. Melde dich bald. Oder hast du mit den Robots noch lange zu tun?« Auf Federspiel machte Tauter Flock einen zuverlässigen, entschlossenen Eindruck. Seine Ausstrahlung, die der Mutant schwach wahrnahm, konnte er nur als grundlegend positiv und ehrlich definieren.
»Nicht mehr lange. Zwei Stunden etwa.« »Okay.« Im gleichen Augenblick, als sich Federspiel abwandte, erreichte ihn ein telepathischer Ruf seiner Zwillingsschwester. Gefahr! Irgend etwas geht hier vor! Wo bist du? Draußen, im Hauptkorridor! Ich komme. Federspiel ließ Flock stehen, warf sich herum und rannte zwischen Mechanikern, Schiffsteilen und Robotern auf das Hauptschott zu. In den Gedanken Sternfeuers hatte er erkannt, daß offensichtlich ein Anschlag mit maschineller Hilfe auf die Montagehalle seinen Anfang nahm. Auf halbem Weg zog er die Waffe, hörte vor sich aufgeregte Rufe und Flüche und spürte weitaus dringender den Hilferuf der Schwester. Federspiel schoß förmlich in den Korridor hinein. Flüchtig sah er, wie von rechts Breiskoll mit langen, raubtierartigen Sätzen heranglitt. Auch Breiskoll hielt den Strahler schußbereit in der Hand und stieß mit den Schultern andere, vor Schreck erstarrte Solaner zur Seite. Sekunden später sah und erkannte er den wahren Grund der Aufregung. Ein Attentäter war unterwegs. Er griff die Montagehalle der Space‐Jet an. Augenscheinlich hatte er sich hervorragend vorbereitet. Im Zickzack näherte sich durch den Zentralkorridor eine Schwebeplattform. Sie war von zwei verschiedenen Schutzschirmsystemen eingehüllt. Ein grünlich schimmernder Schirm hüllte sie halbkugelig ein, ein zweiter, phosphorfarbener bildete vor der Spitze der Plattform einen nach unten geneigten Spitzkegel. Ein Mann im geschlossenen Raumanzug saß vornübergebeugt im Steuersitz und umklammerte die Hebel der Lenkung. An beiden Seiten der Plattform waren gelbe Drehlampen befestigt, die ihre überaus hellen Strahlen nach allen Seiten warfen.
Eine Sirene erfüllte den Korridor mit ihrem gellenden Heulen. Eine Batterie von zehn aufgeblendeten Scheinwerfern stach in die Augen der Solaner, die dieses seltsame Gefährt anstarrten. Auf der Ladefläche war eine Kiste festgezurrt. Sie trug auf den Flanken das Zeichen eines gelbschwarzen Blitzes im rotflimmernden Feld. Explosivstoffe! Jemand schrie, dicht hinter Federspiel: »Roboter! Bildet eine Barriere quer durch den Korridor!« Eine andere Stimme erhob sich über dem Wirrwarr aus Flüchen und Fragen. »Schließt die Schleusen! Feuer frei auf diese Plattform!« Die Solaner versuchten, dem Angriff auszuweichen. Sie preßten, sich an die Wände des Korridors und rannten in die abzweigenden Gänge hinein oder rissen Türen von Wohnräumen oder Magazinen auf. Der unbekannte Steuermann dieses seltsamen Gefährts war von allem völlig unbeeindruckt. Er lenkte seine Plattform unter dem Funkeln der kreisenden Lichter, dem Dröhnen der Summer und dem Gellen der Sirene geradeaus weiter und auf den Eingang der Montagehalle zu. Federspiel ächzte, während seine Waffe ununterbrochen feuerte: »Ein Selbstmörder! Er kommt nicht durch, keine Frage …« Bjo, dicht neben ihm, hielt den tödlichen Strahler in beiden Händen und versuchte, die Antriebselemente der Plattform zu treffen. Die donnernden Entladungen seiner Waffe übertönten alle anderen Geräusche. Schuß um Schuß verließ die Projektmündung. Die Plattform kam in verhältnismäßig hoher Geschwindigkeit näher. Das Ziel des potentiellen Selbstmörders war ohne Zweifel der Eingang zu der Montagehalle, in der die TRAGEDY ausgerüstet wurde. Die Roboter hatten blitzschnell reagiert und bildeten eine Art eiserner Mauer quer durch den lichterfüllten, lärmerfüllten Korridor. In Breiskolls Rücken summten zischend die schweren Portale der Schleusen zu.
Inzwischen feuerten mindestens ein Dutzend Solaner auf die Plattform. In diesen Augenblicken erhob sich die Stimme Breiskolls. Jeder hörte sie. Fast jeder verstand die Warnungen, die der Katzer ausstieß. Die doppelten Schutzschirme absorbierten die Energie aus den Strahlern oder lenkten sie ab. Die Plattform kam in unveränderter Geschwindigkeit näher und zielte auf das zentrale Schott. Überall brachten sich die Solaner in Sicherheit. Das Chaos wurde nicht geringer. Schließlich waren es nur noch Sternfeuer, Federspiel und Breiskoll, die auf den Kamikaze‐Steuermann feuerten. Die Roboter erkannten die Gefahr, hoben ihre Projektor‐Waffenarme und begannen wie wild zu feuern. Unbeeindruckt schwebte die Plattform näher. Dann ertönte ein scharfes, bösartiges Summen. Der unbekannte Steuermann erhöhte die Geschwindigkeit. Die Roboter wichen nicht um einen Millimeter zur Seite, als sich ihnen die Plattform näherte. Die Spitze des HÜ‐Schirms bohrte sich zwischen zwei der metallenen, kegelförmigen Körper, schoß hindurch und schleuderte die schweren Maschinen klirrend und krachend zur Seite. Bjo warf seinen beiden Freunden einen warnenden Blick zu. Federspiel und Sternfeuer rannten und sprangen nach rechts und links auseinander und hielten inne, gingen hinter den Ecken der abzweigenden Gänge in Deckung. Aber jeder von ihnen feuerte weiter, auch wenn es deutlich zu sehen war, daß ihre Schüsse nichts ausrichteten. Der Platz zwischen der Plattform und dem stählernen Schott leerte sich. Bjo schrie: »Achtung! Das gibt eine gewaltige Explosion. Werft euch zu Boden! Haltet die Ohren zu! Achtung …« Es waren nur noch dreißig Meter zwischen der Metallplatte und dem Spitzkegel des Schutzschirms. Die Augen des Solaners hinter
der Sichtplatte des Raumanzuges schienen größer und größer zu werden. Ununterbrochen schlugen die Entladungen der Waffen in die Schirme. Noch fünfzehn Meter! Inzwischen hatte sich die Fläche geleert. Nicht einmal die Robots, die sich um hundertachtzig Grad gedreht hatten und mit höchster Kapazität weiterschossen, vermochten den selbstmörderischen Einsatz aufzuhalten. Der Gleiter kollidierte mit dem Sperrschott. Bjo Breiskoll hatte es geschafft, hinter sich ein schmales Schott zuzuwerfen. Er ließ sich nach einem weiteren Sprung flach zu Boden fallen und preßte die Hände gegen die Ohren. In dem winzigen Sekundenbruchteil vor der Detonation und den schweren Vibrationen fing er einen deutlichen Impuls auf. Er esperte das Bewußtsein Zelenzos! Es drückte Enttäuschung und Bedauern aus. Darüber nämlich, daß es nicht gelungen war, in die Werkhalle vorzustoßen. Dann detonierte mit einem entsetzlichen Schlag der Sprengstoff. Der Gleiter wurde zurückgeworfen, als die Schutzschirme gegen das Schott prallten. Flammen, die Fetzen des Gleiters, Feuer und Druckwelle breiteten sich nach allen Richtungen aus. Decken und Wände wurden verwüstet, im Boden und in der farbigen Stahlplatte entwickelte sich schmorend, rauchend und dröhnend ein System von Beulen und Kratern. Die Körper von Robots und Solanern wurden zur Seite geworfen. Der Gleiter hatte sich in eine unkenntliche Masse verwandelt, der Körper des Attentäters wurde bis zur Unkenntlichkeit zerfetzt. Breiskoll fühlte, wie hinter ihm das schmale Schott nach innen geworfen wurde. Die Vibrationen warfen den Körper des Katzers in die Höhe. Keuchend und halb betäubt kam er wieder schwankend auf die Beine und suchte seine Waffe. In seinen Ohren klingelte und summte es. »Wieder dieser … Zelenzo!« murmelte er, bahnte sich einen Weg durch die Trümmer und zerrte an dem verborgenen Schott, bis er es
mit einem harten Fußtritt aufsprengen konnte. Auf dem Korridor näherten sich Roboter, Löschkommandos, Rettungsteams und einzelne Arbeiter, die dem Inferno unverletzt entkommen waren. Die Brände wurden gelöscht. »Das war selbstverständlich ein geplanter Anschlag auf die TRAGEDY«, sagte Breiskoll und sah zu seiner Erleichterung Federspiel auftauchen. Binnen weniger Minuten wurden die wenigen ernsthaft Verletzten weggebracht. »Die Erneuerer?« fragte Federspiel und schüttelte den Kopf, um seine Benommenheit loszuwerden. »Mit Sicherheit. Ich habe Zelenzo geespert. Aber er war nicht der Selbstmörder auf der Plattform.« Auch ohne zusätzliche Befehle wußten die Sicherheitsleute, was zu tun war. Die vielen möglichen Eingänge und Materiallifte wurden noch besser bewacht und abgesichert. »Zuerst dachte ich, daß Zelenzo und seine Gruppe versuchen könnten, mit der TRAGEDY zu fliehen«, meinte Federspiel nach einer Weile. Sternfeuer stieß zu ihnen. Bjo antwortete: »Was er plant, können wir bestenfalls vermuten. Aber offensichtlich wollte er die Jet vernichten.« »Ihn muß panische Angst treiben!« sagte Federspiel. »Anders kann ich mir sein Vorgehen nicht erklären.« »Angst, Furcht, Panik«, brummte Bjo und bewegte sich langsam durch die Gänge und an den kontrollierten Schotten vorbei, »es muß sich natürlich nicht ausschließlich um Zelenzos Gruppe handeln. Auch andere Solaner sind an der psychologisch komplizierten Situation beteiligt.« »Unter anderem wir drei!« stimmte Federspiel zu. Die Arbeiten durften nicht behindert und nicht unterbrochen werden. Die Mutanten kontrollierten weiterhin sorgfältig sämtliche Aktivitäten rund um die Montagehalle, jeden Roboter und jeden Arbeiter. Stunde um Stunde verging, und schließlich kam Federspiel auf die Idee, auch das Innere der Jet einer genauen Kontrolle zu
unterziehen. * Zwanzig Minuten brauchte Breckcrown Hayes, um sich von dem Anfall zu erholen. Fieber, Hitze und Kälte und Schüttelfröste hatten ihn im erbarmungslosen Griff gehabt. Langsam kam er zu sich, im Schutz der Ruhe seiner Klause. Ein Robot versorgte ihn mit stärkenden Medikamenten, mit Getränken und Essen. Der High Sideryt blickte auf die Ziffern des Chronometers. Seit dem Beginn der Umbauarbeiten waren mehr als fünf Stunden vergangen. Der erste Kontakt mit der Zentrale: er erfuhr von dem Attentat auf die TRAGEDY. Wieder erwachte sein Pflichtbewußtsein; er sagte sich voller Starrsinn: »Ich zeige es denen! Ich werde mich selbst um die Jet kümmern. Und zwar sofort.« Es war, als würde neue Energie in seinen geschundenen Körper einströmen. Er warf sich eine Jacke um, schnallte die Waffen an den Gürtel und ging entschlossen in die Zentrale. »Gallatan«, sagte er rauh, »die Lage spitzt sich zu. Es wird dramatischer, als ich es mir vorgestellt habe. Jetzt versuchen sie, die TRAGEDY zu sprengen. Was sagt SENECA?« »Er kontrolliert die Roboter und jeden einzelnen Zugang in dem Hangar und der Werkhalle.« »Das ist mir nicht genug«, meinte der High Sideryt. »Ich werde nachsehen.« »Das wird zusätzliche Aufregung bringen.« »Oder das Gegenteil. Sie müßten eigentlich schon ziemlich weit sein. SENECA? Wie lange dauert der Umbau noch?« »Nicht mehr länger als neunzig Minuten!«, lautete augenblicklich die Antwort.
»Wenigstens eine gute Nachricht«, knurrte Breck. Bevor er die Klause verließ, waren zwischen ihm und der Biopositronik umfangreiche Verhaltensmuster besprochen worden. SENECA hatte die Entscheidung des High Sideryt aus Gründen, die kaum jedermann verständlich sein würden, akzeptiert und zum großen Teil gutgeheißen. Davon wußten Gallatan Herts und die Stabsspezialisten noch nichts. »Breiskoll und Federspiel haben sich gemeldet. Die Lage bei der TRAGEDY ist unter Kontrolle«, fügte Herts hinzu. »Wer soll eigentlich fliegen?« »Das werde ich zu gegebener Zeit erklären!« versicherte Hayes. »Der Durchmesser ist weiterhin geschrumpft, Breck!« sagte Brick halblaut. »Knapp unter eintausendzweihundert Kilometer.« »Das heißt, daß die Zeit drängt«, gestattete sich Breck zu sagen und setzte ein grämliches Lächeln auf. »Außerordentlich kompliziert, das alles!« sagte Gallatan resignierend. Breckcrown Hayes stapfte aus dem Raum. Er schwang sich auf eine bereitgestellte Schwebeplattform mit Spezialsitz und raste entschlossen davon, noch immer das schwer deutbare Lächeln auf seinen breiten Lippen. Seine letzten Worte waren in vielen Bereichen des Schiffes gehört worden. Als er direkt und auf dem kürzesten Weg durch Korridore und Rampen fegte, starrten ihm unzählige Solaner nach. Sie wußten in diesen Minuten nicht, was sie von den letzten Informationen zu halten hatten. Breck bremste den Sitz ab, als er Breiskoll vor dem Schott erkannte, das vom Feuer gezeichnet war. »Willkommen in der Werkstatt«, sagte Breiskoll. »Gallatan hat uns angerufen. Los, komm mit – wir untersuchen gerade die Jet.« »Habt ihr Grund dazu?« lautete die Gegenfrage. »Grund zur Furcht. Es ist verdammt ernst, Breck!« sagte Breiskoll. »Die TRAGEDY ist fast fertig.« Bjo und Hayes gingen schnell durch die verschiedenen
Sicherheitssperren hindurch, hinein in den Bereich der hellen Tiefstrahler. Unverändert wurde innerhalb und außerhalb der Jet gearbeitet. Kurz vor dem Raumfahrzeug drehte Breck den Kopf und fragte den Katzer: »Hast du irgendwelche Neuigkeiten oder Erkenntnisse über die Erneuerer?« Natürlich hatte der High Sideryt die letzten Spuren des Zerstörungsversuchs gesehen. »Nein. Nichts, was du nicht wüßtest. Die gesamte Lage ist von Unsicherheit, Furcht und Hoffnung gekennzeichnet.« Langsam ging der High Sideryt einmal um den diskusförmigen Flugkörper herum. Er sah, daß die Jet mit allen Änderungen und Modifikationen fast startfertig war. Im Innern kletterten Techniker mit Kopfhörern und summenden und tickenden Testgeräten umher. Ein dichter Kordon feuerbereiter Roboter umgab die TRAGEDY. »Sucht ihr etwas?« erkundigte sich schroff der High Sideryt. »Ich habe die Suche angeordnet«, entgegnete der Katzer. »Viele Solaner sind hysterisch. Es kann sein, daß irgend jemand versucht, noch verrücktere Aktionen zu starten.« »Einverstanden.« Als Breckcrown die Sprossen der Leiter packte und sich schwer dagegen lehnte, schrie jemand aus dem Inneren der Jet: »Halt! Schafft die Leute weg. Ich habe etwas gefunden …!« Augenblicklich rannten die Techniker davon, sprangen zwischen den stählernen Körpern der Robots in scheinbare Sicherheit. Breck und Breiskoll kletterten in die Jet. Breiskoll rief: »Was ist los?« »Ich glaube, ich habe eine Bombe entdeckt. Und vielleicht auch den Bombenleger.« »Und …?« »Er ist bewußtlos.« Der Katzer schob den High Sideryt zur Seite, schwang sich ins Innere des Flugkörpers und schlängelte sich in den Sektor hindurch,
aus dem der Solaner gerufen hatte. Andere Mechaniker zeigten Bjo die Richtung. Im Steuerzentrum, zwischen den Leitungen, Zuführungen und Teilen des überdimensionierten Triebwerks, hockte ein junger Solaner und deutete auf einen flaschenähnlichen Gegenstand, der mit breiten Kontaktbändern an einen der rohrförmigen Hilfsträger geklebt war. »Die Bombe? Bist du sicher?« fragte Breiskoll und starrte den etwa unterarmlangen Behälter an, der in einer grauen Folie steckte. Zehn Schritt von den Werkzeugen des Spezialisten entfernt lehnte, bewußtlos, ein etwa sechzigjähriger Solaner mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund gegen den Rest einer Trennwand. Mit einem kleinen Messer, dessen Schneide unsichtbar vibrierte, durchtrennte der Techniker die breiten Bänder. Bjo steckte seinen Kopf durch eine breite Lücke der Außenschale und rief hinunter in die Halle: »Ein paar Leute, bitte, die den Bewußtlosen abtransportieren. Einen Robot, der eine Bombe aus der Jet bringt und entschärft. Es eilt, Freunde!« »Wir kommen.« Der Techniker sagte zu Breiskoll: »Ich habe den Mann dort drüben gesehen, wie er diesen Zylinder befestigt hat. Ich fragte ihn, wozu dieses Teil gut sein sollte. Er gab keine Antwort, drehte sich um und versuchte, auf mich zu feuern. Ich war eine Kleinigkeit schneller.« »In Ordnung. Und wann soll die Bombe hochgehen?« »Das habe ich noch nicht herausgefunden. Der Mann muß hereingekommen sein, ehe ich mit dem Durchsuchen anfing. Also vor etwa zwanzig Minuten.« »Dann wird die Bombe wohl nicht gleich losgehen«, versuchte sich Bjo selbst zu beruhigen und zog sich zurück, als der Solaner aus der Jet hinausgeschleppt und die Bombe entfernt wurde. Nach flüchtiger Untersuchung wurde der Zylinder aus einer Schleuse in den Weltraum hinausgeschossen – und im Verlauf der nächsten
halben Stunde detonierte sie nicht. Wieder zogen sich fünf Spezialisten mit ihren Robotern und einer riesigen Plattform voller Werkzeuge zurück. »Fertig! Alle Tests durchgeführt!« riefen sie und winkten dem High Sideryt. An Bord stieg langsam die Spannung. »In einigen Stunden werden wir womöglich wissen, daß es sich um einen ›normalen‹ Wahnwitzigen, einen von Angst oder finsteren Träumen getriebenen Solaner handelt«, murmelte Breiskoll. Jemand schrie über die Lautsprecheranlage: »Noch etwa dreißig Minuten. Dann ist die TRAGEDY startbereit.« Der High Sideryt blickte auf die Uhr. »Rund sieben Stunden Arbeit. Das ist hervorragend! Damit wir zumindest wirkliche Chancen haben, Ultra und den Nabel zu besiegen, brauchen wir ebenso hervorragende Hyperingenieure, die auch zupacken können. Du weißt, was ich meine. Suchst du sie aus? Zusammen mit den Zwillingen?« »Einverstanden. Wer macht sonst noch mit?« »Drei Allzweckroboter«, sagte Breck nachdenklich. »Ich weiß selbst noch nicht genau, wonach und auf welche Weise gesucht werden muß. Ich weiß nur, daß die Zeit drängt und daß auf alle Fälle jeder Versuch unternommen werden muß. Jeder, sage ich, der einen Erfolg verspricht.« Bjo lachte kurz und humorlos. »Es ist höllisch schwer, das zu beurteilen.« Nur noch wenige Teams hielten sich im Umkreis der Space‐Jet auf. Die Roboter bildeten immer noch unverrückbar ihre Mauer um den Flugkörper. Im Innern der TRAGEDY arbeiteten nur noch drei Spezialisten an der Feinabstimmung der Schaltungen. Leise sagte Hayes zu Breiskoll: »Gallatan Herts hat die Verantwortung. Ich werde diesen Flug unternehmen. Es bleibt für die nächsten Minuten unter uns, verstanden?« Bjo schüttelte verwirrt den Kopf.
»Du?« »Ja. Ich bin mit SENECA einig. Es soll sonst niemand gefährdet werden. Ich werde mit der Zentrale alles absprechen und bin in einer halben Stunde dort oben im Pilotensitz. Übrigens: Ich werde es rechtzeitig allen bekanntgeben.« Bjo wußte mit Bestimmtheit, daß diese mehr oder weniger einsame Entscheidung von Hayes abermals Unruhe und Besorgnis innerhalb der SOL hervorrufen mußte. Es war unausweichlich. »Geht in Ordnung«, sagte er schließlich. »Ich besorge dir deine drei Fachleute. Ich sage ihnen nichts. Zumindest SENECA wird euren Erfolg nicht ganz hoffnungslos beurteilt haben.« Immerhin ging es um Atlan und die Besatzung der MJAILAM, sagte er und bat einen der Umstehenden, dafür zu sorgen, daß Tauter Flock sich mit Hayes in Verbindung setzen sollte. SENECA und auch Breckcrown schwiegen bis zum letztmöglichen Zeitpunkt. Die letzten, unbedeutenden Arbeiten an Bord der Jet waren beendet, und aus der Zentrale sprachen die Stabsspezialisten die nötigen Einzelheiten für den beschleunigten Start ab. Antigravfelder und Traktorstrahlen mußten, ebenfalls von SENECA gesteuert, koordiniert eingesetzt werden. Drei Vielzweck‐Roboter wurden in die Jet gebracht und verankerten sich dort mit ihren körpereigenen Traktorstrahlen im fast leeren Unterteil der TRAGEDY. Tauter Flock meldete sich bei Hayes in der Hauptzentrale und erhielt ohne Probleme und, was Breck betraf, gern die Erlaubnis, diesen Einsatz mitzufliegen. Er holte seinen Raumanzug, seine Waffe und fand sich im Vorraum des Hangars ein. Die TRAGEDY stand startfertig da; schärfstens bewacht von Robotern und Sicherheitskräften. Noch immer wußte niemand an Bord, wer den Flug leiten sollte. Zweifellos nicht Tauter Flock. Er kontrollierte noch einmal sämtliche Funktionen des Raumanzugs und setzte sich dann neben der Personenschleuse auf einen leeren Klappstuhl. Seine Miene schien auszudrücken, daß er
sich über die zu erwartenden Schwierigkeiten keine Illusionen machte. Rechts neben ihm war ein kleiner Interkom‐Monitor in der stählernen Wand eingebaut. Mehrere Scheinwerfer spiegelten sich schwach in der Bildfläche. Unaufhörlich wechselten die Bilder der einzelnen Berichte. Die Ortungsabteilung meldete sich in regelmäßigen Intervallen. Die Durchsagen ähnelten einander – bis auf die veränderten Zahlen. In der letzten Meldung der Schiffsführung an die Solaner hatte der Durchmesser von Nabel und Ultra noch eintausendeinhundert Kilometer betragen. Jetzt, als zwei weitere Gestalten in Raumanzügen, mit geöffneten Helmen, in die Schleuse kamen und sich umsehen, meldete ein aufgeregter Sprecher, daß sich Ultra mit einem überraschend kräftigen Ruck weiter zusammengezogen und kondensiert hatte. Eintausend Kilometer! »Wenn es in dieser Geschwindigkeit weitergeht«, sagte einer der beiden Männer halblaut, »dann brauchen wir nicht mehr zu starten, Frieda.« Tauter stand auf und sagte: »Ich habe richtig verstanden? Fliegt ihr auch mit?« »Ja. Breiskoll hat uns gebeten, und wir haben zugesagt. Ich bin Jap Lyska.« Die drei Männer kannten sich flüchtig vom Sehen. Keiner von den zwei Hyperingenieuren kannte aber den Leiter dieser Mission. Einige Sekunden nach ihrem letzten Wortwechsel hielt eine Schwebeplattform in der Montagehalle. Eine dritte Gestalt schwang sich aus dem Sitz und kam auf die Männer zu. Es war eine Frau, ebenfalls im Raumanzug, mit kurzem, schwarzem Haar. Sie hob grüßend den Arm und rief: »Ich bin Dafne. Dafne Joss. Ich fliege also mit euch dreien.« »Willkommen«, brummte Tauter. Dafne wandte sich an ihn. »Du weißt auch nicht, wer den Risikoflug leitet?« »Nein. Keine Ahnung. Ich weiß nur, daß wir schon zu lange
warten. Kommt noch jemand?« »Das weiß ich nicht«, bekannte Dafne. Sie schien sich völlig entspannt auf das bevorstehende Abenteuer zu freuen. Die Männer hingegen sagten sich, daß es ebenso gut ein Flug in den Tod sein konnte, trotz aller Sicherheitseinrichtungen und Schutzmaßnahmen. Dafne deutete auf die Jet und fragte: »Warum gehen wir nicht an Bord?« »Weil, mit gutem Grund«, gab Jap zurück, »wir noch nicht an Bord dürfen. Man hat mit weiteren Anschlägen zu rechnen. Immerhin haben sie vor kurzer Zeit am Triebwerk eine fernzündbare Bombe gefunden und außerbords geschossen. Ist besser so.« Seine letzten Worte wurden von einem scharfen akustischen Signal übertönt. Das Zeichen für eine Durchsage SENECAS flimmerte auf dem Interkom. Die Stimme der Biopositronik war in sämtlichen Räumen der SOL zu hören. Der Rechner erklärte: »Die Hauptzentrale, der High Sideryt und die Verantwortlichen lassen bekanntgeben, daß wegen der Schwierigkeiten der Mission der High Sideryt mit der Space‐Jet TRAGEDY starten und versuchen wird, den weißen Zwerg Ultra zu entschärfen. Der Start steht unmittelbar bevor.« Überrascht blickten die Wartenden einander an. Auch der Kette der Bewacher war anzusehen, daß jeder einzelne der Sicherheitsleute fast erschrocken über diese Information war. Leises Murmeln setzte ein. Zugleich hielt ein Gefährt vor dem Schott der Werkhalle. Mehrere Roboter und einige Bewaffnete eskortierten Breckcrown Hayes in die Hangarschleuse. »Die Überraschung dieses Monats«, sagte Dafne und blickte den High Sideryt an, als sähe sie ihn zum erstenmal. Er nickte den Wartenden zu. Auch er war vollständig ausgerüstet. Sein zerfurchtes Gesicht trug den Ausdruck eiserner Entschlossenheit. »Gehen wir an Bord«, sagte er kurz. »Es eilt. Sonst sabotieren sie
uns noch einmal.« Schweigend folgten ihm die vier Solaner. Sie waren mehr als skeptisch. Sie wußten noch nicht genau, was sie von dieser überraschenden Wendung zu halten hatten. Hinter ihnen wurde der Text der Durchsage leiser. Für sie war die Information mittlerweile bedeutungslos geworden. »Der High Sideryt, von vier Freiwilligen und drei Robotern begleitet, wird versuchen, die bedrohliche Situation für die SOL und ihre Besatzung zu klären. Es ist zu hoffen, daß es gelingt, durch Aufspüren und Zerstören oder Manipulieren der Schaltungen den Durchgang in die Namenlose Zone stabil zu halten und Ultra möglicherweise zu vernichten. Wir haben diese Meldung bewußt so spät wie möglich abgegeben, um die Sicherheit der TRAGEDY und der Besatzung nicht abermals zu gefährden.« Die größeren Schleusentüren schlossen sich. Die Roboter zogen sich zurück, dann folgten nacheinander die Sicherheitsleute. Die Raumfahrer kletterten durch die ausgeschlachtete Jet, die nur noch über einen einzigen Strahlprojektor als Abwehrwaffe verfügte. In den Sesseln unter der durchsichtigen Kuppel schnallten sie sich fest. Breck setzte sich vor die Kontrollen. Mit sicheren Griffen führte er die ersten Schaltungen aus und stellte den Kontakt zur Hauptzentrale und den Leitstellen der Projektoren her. Dann wandte er sich an die Solaner. Seine Stimme war noch immer von beängstigender Ruhe und kühler Sachlichkeit. »Ich weiß auch nicht genau, was wir finden werden. Ich weiß nur, daß wir alles daransetzen müssen, um der SOL zu helfen. Es geht um uns alle. Es gibt keine erkennbare Alternative. Falls es nötig wird – wer kann das lächerliche Geschütz bedienen?« Friedo Branold hob kurz die Hand und nickte. »Ich bin nicht ungeschickt«, erklärte er. »Rechnest du mit Angriffen?« »Ich rechne mit allem.«
Die einzelnen Schritte des Startvorgangs wurden mit großer Präzision ausgeführt. Der Hangar war leer, die Tiefstrahler schalteten sich aus, die Außenschleusen und eine Strukturlücke in den Schirmen öffneten sich geräuschlos. Mehr und mehr Energie floß in die Triebwerke, und dann schwebte die Jet in die Höhe, glitt langsam nach vorn und näherte sich der Lücke in den Schutzschirmen. Gleichzeitig griff ein Traktorstrahl nach dem Diskus, wirkten gebündelte Antigravfelder auf die Jet ein, kehrten sich in der Wirkung um, und als der High Sideryt die Fahrthebel ganz nach vorn schob und die Maschinen aufheulen hörte, wirkten alle unterschiedlichen Kräfte zusammen. Die Jet wurde von der SOL weggerissen und fortgeschleudert. Als sich die Filter über der Kuppel schlossen, weil das grelle Licht von Ultra in die Augen der Besatzung schlug, begann hinter ihnen die SOL zu schwanken und zu schaukeln. Die Längsachse des Kurses veränderte sich. In der TRAGEDY summten und jaulten die Andruckabsorber. Die Raumfahrer wurden fast hilflos in die Sitze gepreßt. Langsam kippten die schweren Sessel in eine waagrechte Lage. Die Beschleunigungswerte kletterten, während die Jet schräg von der mächtigen, zitternden SOL wegjagte, zunächst noch ziellos, aber von Ultra weg. Aus den Lautsprechern kam, durchsetzt von den vielen Kommandos der Leitstellen, eine Menge aufgeregter Rufe. »… Ausfall der Triebwerke in SZ‐Eins!« »SENECA! Reserveschaltungen!« »Du mußt verrückt sein! Das ist nicht wahr!« »Bestätigung. Die SOL schlingert!« »Achtung. Die Jet entfernt sich mit den errechneten Werten. Das hat geklappt.« »Dieser Zelenzo! Schon wieder!« Die Raumfahrer hörten und verstanden, während ihre Körper
gegen das steigende Gefühl der Schwere, Lähmung und Unbeweglichkeit ankämpfte, die Durchsagen. Das Licht der neuen Sonne zeichnete scharf die Umrisse in der Steuerkanzel nach. Quälend langsam vergingen die Sekunden der Startphase. Hinter der TRAGEDY schloß sich, von SENECA geschaltet, die Strukturlücke in den Schutzschirmen. Längst war die Jet aus dem gewaltigen Schlagschatten der SOL heraus und entfernte sich unverändert mit Höchstwerten der Beschleunigung. »Wieder volle Energie … keine Ahnung, wie sie sich in die Schaltungen eingeschlichen haben … Kurs wieder stabil. Korrektur: Die Annäherung an Ultra wird früher stattfinden.« »In der Zentrale … alles in Ordnung?« »Stört uns nicht.« Es gelang Dafne Joss, einen Blick auf den kleinen Ortungsmonitor der TRAGEDY zu werfen. Der Bildschirm war von Informationen in mehreren Farben übersät. Mit tränenden Augen erkannte sie, daß sich die vorher errechnete Kurslinie der SOL stark verändert hatte. Die Spirale erhielt eine neue Windung, die innerhalb der errechneten verlief. Die Stabsspezialisten und der Bordrechner mußten qualvolle Minuten durchgestanden haben, bis es ihnen gelang, die SOL wieder zu stabilisieren. Und vermutlich hatte Breiskoll wieder einmal die Saboteure entdeckt. Der High Sideryt führte einige Schaltungen durch. Der wahnsinnige Andruck hörte auf. Ächzend fragte Tauten: »Haben wir es geschafft?« »Wir schon. Aber die SOL hat ernsthafte Schwierigkeiten.« »Welches Ziel?« erkundigte sich Friedo. Die TRAGEDY führte ein kurzes Linearmanöver durch. Als sie sich wieder im Normalraum befand, schien für die Raumfahrer keine Gefahr mehr zu bestehen. Die Lage stellte sich, wenigstens für kurze Dauer, als stabil dar, stabil auf höchst gefährliche Weise. Im Zentrum des Junk‐Systems standen zwei Sonnen. Die rote
Sonne des Systems und die grelle, weitaus kleinere, umgeben von dem halb unsichtbaren Ring des Nabels. Die Bahnen der drei Planeten waren wieder stabil, die Welten selbst wurden nicht mehr von tektonischen Erschütterungen erfaßt. Der Rechner, der das Schlingern der SOL aufzeichnete, ließ erkennen, wie schwerwiegend sich der neue Sabotage‐Angriff ausgewirkt hatte. Die fünf Raumfahrer machten sich jetzt keine Gedanken mehr über die Psychologie derjenigen Solaner, die aus Angst alles versuchten, um ihren eigenen Tod herbeizuführen. Die TRAGEDY glitt jetzt mit mehr als halber Lichtgeschwindigkeit auf den zweiten Planeten des Systems zu. Junk II zeichnete sich als scharfes Echo auf dem Voraus‐Monitor ab. Die Blenden stellten sich wieder auf, einen anderen Lichtwert ein. Die Sessel kippten in die Normallage zurück. Die Geräusche der überlasteten Andruckabsorber wurden leiser. Breckcrown und seine Begleiter kontrollierten die Instrumente und Anzeigen. Die Jet war trotz der rasenden Arbeit und der Zwischenfälle technisch in perfekter Ordnung. »Ein Schritt weiter. Wir versuchen, Junk Zwo anzufliegen und dort etwas zu finden«, sagte Breck. »Ich setze voraus, daß jeder von euch die Informationen über das System genau kennt.« »Sonst wären wir nicht hier«, brummte Tauter Flock. In den Lautsprechern knackte es scharf. Ein Leuchtfeld flackerte in stechendem Rot. Voller Unruhe sagte Dafne: »Ein Anruf von der SOL. Dringend!« »Sprich du mit ihnen«, ordnete der High Sideryt an und beugte sich vor, um die neu erschienenen, blinkenden Impulse auf einem der Ortungsmonitoren genauer zu betrachten. Dann stöhnte er vor Wut und Enttäuschung auf. 6.
Dafne erkannte auf dem Bildschirm das Gesicht eines der Brick‐ Zwillinge. Der Pilot der SOL sagte scharf betont: »Das gilt euch! Aus dem Zwerg Ultra haben sich soeben drei Körper gelöst. Es ist unglaublich, daß trotz der hohen Gravitation drei eindeutig metallene Flugkörper den Zwerg verlassen können.« »Was? Drei Raumfahrzeuge?« Dafne richtete die Antenne der Ortung auf die fremde Sonne. Tatsächlich zeichneten sich, immer schärfer und größer werdend, drei unregelmäßig geformte Objekte ab. »Sie beschleunigen mit hohen Werten!« sagte Dafne alarmiert. »Unbegreiflich!« Brick rief: »Ich habe soeben Feuerbefehl erteilt. Gallatan ist derselben Meinung. Wir haben echte Schwierigkeiten, unsere Flugbahn stabil zu halten.« Aufmerksam und scheinbar durch nichts mehr zu erschüttern, verfolgte der High Sideryt Wortwechsel und Ortungsvorgänge. Schließlich sagte er: »Jetzt wissen wir immerhin, daß Ultra ein Kunstgebilde voller Überraschungen ist. Diese Flugkörper sind noch nicht sonderlich schnell, wie ich sehe.« Von der SOL zuckte ein haarfeiner Strahl hinüber zu einem heranschießenden Objekt. »Brick läßt die Fremden beschießen!« erklärte Dafne aufgeregt. Unverändert raste die TRAGEDY auf den zweiten Planeten zu. »Sie …« In einem grellen Blitz löste sich das Echo auf, das der SOL am nächsten war. Gleichzeitig erklang die Stimme SENECAS. »Wir haben die dringende Vermutung, daß diese unbekannten Objekte alles andere als eine freundliche Begrüßung darstellen. Die Jet und unser Schiff werden durch sie gefährdet.« Der Bordrechner behielt recht. Die zwei Flugkörper nahmen die SOL unter Beschuß. Schnell kamen sie näher und flogen
komplizierte Bahnen. Sie feuerten giftgrüne Strahlen auf die SOL ab, die in die Schutzschirme einschlugen und in Form langer Feuerbahnen darüber hinwegkrochen. Die Ortung der SOL übermittelte zwei undeutliche Vergrößerungen. Die Fremden wirkten eigenartig skurril; Fluggeräte, deren Hülle aus seltsamen Kurven, halbkugeligen Vorsprüngen und tiefen Linien zusammengesetzt waren. Sie sahen wie polierte Teile von Wurzeln aus oder wie Skulpturen einer absoluten fremden Kunst. Ihre Geschütze spien ununterbrochen Strahlen aus, aber die Kampfstrahlen konnten die Schirme der SOL nicht durchschlagen. Wieder feuerten die Projektoren des großen Schiffes. In geringer Entfernung verwandelte sich der zweite Flugkörper in einen Feuerball und einen Hagel aus Trümmern und Rauchfahnen, die nach allen Seiten auseinanderwirbelten. Das letzte Raumfahrzeug setzte die Geschwindigkeit abermals herauf, schlug einen Bogen und jagte mit einem Zickzackkurs davon, auf die TRAGEDY zu. »Sie verfolgt euch, Breck!« rief Gallatan. »Ihr Kurs richtet sich jetzt eindeutig auf euch.« »Das sehen wir. Wir weichen in die Linearetappe aus.« »Würden wir auch geraten haben. Unterschätzt die Fremden nicht. Sie haben unseren Schirmen sehr zugesetzt.« »Verstehe. Unser Ziel bleibt unverändert.« Der Umstand, daß aus dieser hochverdichteten Sonne von rund eintausend Kilometer Durchmesser drei Raumschiffe hervorgebrochen waren, konnte nichts Positives bedeuten. Es bestand kein Zweifel, daß sich der Angriff gegen die Solaner richtete. Mit großer Sicherheit hatte der Notstart der TRAGEDY diesen neuen Schritt der Unbekannten herausgefordert. Der glänzende Metallkörper verfolgte die Jet unverändert, und schließlich war das Bild auf dem Monitor klar und scharf. Keine sichtbaren Antriebseinheiten. Auch waren keine Luken oder
Bullaugen zu erkennen, es sei denn, die tief eingeschnittenen Linien und Doppellinien, die sich wie Maserung über die gerundeten, ineinander übergehenden Formen und Rundungen hinzog, würden diese Funktion übernehmen. Die größte Länge des Verfolgers betrug etwa siebzig Meter, der größte Durchmesser war mit fünfunddreißig Meter gemessen worden. Mit höchster Beschleunigung raste sie hinter der TRAGEDY her. »Viel Glück weiterhin!« kam es aus der Hauptzentrale der SOL. Jap Lyska erwiderte: »Danke! Mit unserem Geschütz haben wir gegen den Fremden keine Chance.« Die TRAGEDY führte eine weitere Linearetappe durch. Der Diskus tauchte unmittelbar vor dem Planeten Zwei auf, und Breckcrown programmierte einen Orbit. »Sie sind noch immer hinter uns her«, stellte Dafne nach einer Minute besorgt fest. Das Gefühl, zwar einem tödlichen Risiko entkommen zu sein, aber sofort wieder ein zweites einzugehen, wurde stärker und drängender. Die Raumfahrer blickten auf die Oberfläche von Junk II und dachten über die unzugänglichen, tief im Planeten versteckten Anlagen, von denen der Nabel versorgt und funktionsfähig erhalten wurde, nach. Die Energie bezogen die Geräte von der roten Sonne Junk. »Wie nicht anders zu erwarten«, meinte Tauter nach einer Weile. »Nichts zu sehen, nichts zu erkennen.« Die Durchschnittstemperaturen auf Junk II wäre mit rund elf Grad Celsius ermittelt worden; für kurze Zeit konnte die Luft von Solanern eingeatmet werden. Unter der Jet breitete sich die rötliche, aus Felsen, Sand und Geröll modellierte Landschaft des marsähnlichen Planeten aus. In den tiefen Spalten und Furchen sahen die Solaner, bedeckt von treibendem Nebel, das Grün von schütteren Wäldern und Buschzonen. »Achtung! Wir orten den Fremden! Er schlägt gerade eine Bahn um euren Planeten ein!« kam es von der SOL. »Das Ding aus Ultra
hat ebenfalls eine Linearetappe durchgeführt.« Breck stieß einen Fluch aus und sagte hart: »Hinunter!« Die Bahnen der drei Planeten verliefen dicht beieinander. Aber Junk I und der dritte Planet befanden sich an weit auseinandergezogenen Positionen. Die Jet wurde also zweifelsfrei von dem Fremdling verfolgt. Breck kippte die TRAGEDY, schob den Fahrthebel vor und jagte schräg hinunter auf die Oberfläche der rötlichen Welt. Friedo fragte: »Soll ich ans Geschütz gehen?« »Es kann auf keinen Fall schaden«, erwiderte Breck und aktivierte die Schirme der Jet ein zweitesmal. Ein Sturzflug begann, und noch immer befand sich der Fremde aus der Sonne irgendwo hinter der Krümmung des Planeten. Die ersten Schichten der Lufthülle rüttelten leicht an der Hülle der Jet mit den überdimensionierten Triebwerken. »Dafne, Jap! Versucht möglichst schnell, mit euren Geräten etwas zu orten. Wir haben kein Ziel, und vorläufig muß ich wohl versuchen, dem Fremden zu entkommen.« »Geht in Ordnung.« Es gab an Bord noch einige andere technische Möglichkeiten. Aber es war in diesem Moment noch völlig sinnlos und ungewiß, ob sie angewendet werden konnten. Schon von der Ortung der SOL waren Untersuchungen gemacht worden. Diese ersten Daten lagen vor und bildeten wichtige Punkte für die anschließenden Versuche. Die Hyperingenieure aktivierten ihre Untersuchungsgeräte und richteten die Antennen und Sonden auf den Planeten. Breck schlug einen Kurs ein, der die TRAGEDY weiter hinunter und in den Schutz von Hügeln und Bergen brachte. Tauter Flock schüttelte sich und hob beide Hände. Seine Finger zitterten leicht. Er schloß die Augen und murmelte: »Ich kann das nicht mit ansehen! Du wirst die Jet noch gegen einen Berg steuern, Breck!«
»Keine Sorge. Ich habe nicht die Absicht.« Vorerst schienen sie dem Fremden entkommen zu sein. Breck konzentrierte sich auf den Kurs, und Friedo suchte mit der Optik der winzigen Leitstelle den Verfolger, der sich noch immer nicht zeigte. Die TRAGEDY wurde geringfügig langsamer und huschte zwischen den hochragenden, von Stürmen und Kälte zerfressenen Gebirgspfeilern hindurch; wuchtigen Tafelbergen, in deren Spalten Buschwerk und Moos wuchsen. Der Schatten der Jet huschte rechts des Flugkörpers über Sand und Steine, über die Wälle von Einschlagkratern hinweg. Der Planet war grauenhaft öde. Es gab außer dem spärlichen Grün kein einziges Zeichen von Leben. Hin und wieder spiegelte sich im Wasser eines winzigen Tümpels oder eines schmalen Baches das rote Sonnenlicht. »Breck! Der Fremde taucht auf. Weit hinter uns. Er scheint uns bemerkt zu haben«, rief Friedo. »Keine Sekunde bleibt uns. Kein Moment Ruhe! Vielleicht kann ich sie abschütteln.« Breckcrown steuerte einen noch gefährlicheren Kurs. Er verringerte die Fluggeschwindigkeit noch einmal, ließ die TRAGEDY tiefer durchsacken und flog auf eine breite Spalte im Planetenboden zu. An den Rändern zeigten riesige Geröllhalden und herausgerissene Gesteinsbrocken von den schweren Planetenbahnen der letzten Stunden. Die TRAGEDY wurde in den riesigen Schatten einer Felsbarriere bugsiert und wartete dort schwebend zwischen den kantigen Wänden aus schwarzgeädertem Gestein. »Der Fremde bleibt auf gleicher Flughöhe!« lautete die nächste Bemerkung von Dame. »Kommt es näher?« »Nein«, rief Friedo. »Er schwenkt ab, mit großer Geschwindigkeit.« Das seltsame Objekt raste schräg über die zerfurchte Ebene nach Westen hinweg und entfernte sich tatsächlich von dem vorläufigen
Standort der Jet. Die Raumfahrer atmeten auf. Dame musterte die Zahlen und Symbole ihres Massedetektors und ließ die gespeicherten Informationen ausdrucken. Sie lächelte kurz und winkte Jap zu. »Hier. Da gibt es Hohlräume …« »Ich habe die gleichen Anzeigen«, sagte er nach einem langen Blick auf die Zahlenkolonnen. »Mehr als hundert Kilometer tief.« »Möglich, aber unwahrscheinlich!« murmelte Dafne. Der Fremde stieg wieder höher und flog einen riesigen Kreis. Schweigend bemerkten die Solaner, daß dieses große, funkelnde Raumschiff nach etwas zu suchen schien – nach ihnen oder möglicherweise auch nach den Schaltstationen. »Also«, meinte Dafne unruhig. »Etwa unterhalb des Gebiets mit dem riesigen Krater gibt es einen Hohlraum, mehr als hunderttausend Meter tief. Das ist beweisbar.« »Krater? Unter der ersten Anflugparabel?« fragte Breck zurück. Der Punkt lag mehr als zweitausend Kilometer in östlicher Richtung. »Ja. Zu Fuß kommen wir schwerlich dorthin«, schnappte Tauter. Der Fremde beendete seine dritte Suchkurve und landete hinter einer langgezogenen Barriere aus dunkelrotem Gestein, die sich hinter den flüchtigen Schleiern der Bodennebel halb verbarg. Die Entfernung betrug nicht mehr als rund hundertzwanzig Kilometer. »Ihr meint, daß ihr möglicherweise eine Schaltstation entdeckt haben könntet?« fragte Hayes vorsichtig. Friedo Branold verließ seinen Platz und las seine Geräte ab. Die Wissenschaftler verglichen die Daten ihrer Instrumente und die farbigen Linien und Kurven. »Das ist mehr als wahrscheinlich. Es deckt sich mit den Daten der SOL‐Fernortung«, antwortete schließlich Jap. »Die Probleme werden unüberwindbar«, sagte Tauter verzweifelt. »Zweitausend Kilometer weit entfernt, mehr als hundert tief … wir kommen niemals dorthin!« Breck widersprach, während er die Jet herumdrehte und in
mittlerer Geschwindigkeit ostwärts flog. »Irgendwann ist diese Station gebaut worden. Wie auch immer, jemand muß Material und Geräte und alles mögliche heruntergeschafft haben. Wenn es einen Eingang oder Stollen gibt, können wir ihn entdecken. Dann sehen wir weiter. Laßt eure Detektoren eingeschaltet.« Die TRAGEDY huschte auf das ferne Ziel zu. Breck versuchte, jede noch so kleine Deckung auszunutzen. Der Diskus schwebte dicht über dem Boden, wich den Hindernissen aus, wurde schneller und wieder langsamer und blieb häufig im Schatten von Bergen, Überhängen, Schluchtabrissen und Kanten. Wieder suchten die Solaner mit allen Bordmitteln den Himmel hinter ihnen ab, besonders in der Richtung, in der das »Ding« hinter dem Horizont verschwunden war. »Wir sind natürlich nicht sonderlich gut ausgerüstet«, erklärte Jap und sah nicht von den Instrumenten hoch. »Wir haben einen Transmitter«, erwiderte Breck. »Damit könnten wir Zusatzgeräte anfordern.« »Helfer, Roboter oder Geräte aus der SOL«, stellte Tauter fest. »Transmitterstrecke?« »Selbstverständlich.« Vor der TRAGEDY baute sich der zerfurchte, zum Teil bewachsene Wall eines Kraters auf. Es war noch nicht das Zielgebiet der Jet. Das Raumfahrzeug hatte erst die Hälfte der Entfernung zurückgelegt. Dafne erkundigte sich: »Was brauchen wir … nein. Ich habe lange genug nachgedacht. Finden wir erst einmal etwas heraus.« »Genauso wird es durchgeführt!« entschied der High Sideryt. Die TRAGEDY schwang sich über den Ringwall, glitt auf der anderen Seite wieder herunter und jagte dicht über dem Staub auf die Bresche der zweiten Gesteinsmauer zu. Dahinter erstreckte sich eine Dünenlandschaft, von einzelnen Vegetationszonen durchsetzt. Rasend schnell flogen die Merkmale des Geländes unter dem Diskus
vorbei, eine dünne Sandfahne erhob sich im Kielwasserwirbel. »Bin ich auf dem richtigen Kurs?« wollte Breck wissen. Dafne nickte und schränkte ein: »Ziemlich genau. Um den Punkt wirklich finden zu können, müssen wir mehr Höhe haben.« »Später.« Es dauerte nicht länger als eine halbe Stunde, bis sich die Jet über dem Zielgebiet befand. Breck zog den Diskus bis in eine Höhe von viertausend Metern hoch. Die Techniker machten neue Messungen und verifizierten alle ihre bisherigen Erkenntnisse. »Der Hohlraum, von dem starke Energieemissionen ausgehen, befindet sich in hundertzwanzig Kilometern Tiefe. Das ist die letzte, genaueste Messung«, gab Branold schließlich bekannt. Gleichzeitig sank die Jet wie ein Körper in einem Antigravschacht abwärts und wurde dicht über dem Boden abgefangen. Der High Sideryt lenkte sich bis zu einer Gruppe von runden, säulenartigen Felsen, an deren Fuß schüttere, von Windschliff verformte Bäume mit braunen und ledrig wirkenden Blättern hervorwuchsen. Die Landestützen fauchten heraus, die Teller preßten sich tief in den Sand. Klickend öffneten sich die Schlösser der breiten Gurte. Breck stand auf und preßte seine Stirn an das durchsichtige Material der Kuppel. Der Standort der TRAGEDY war gut gewählt. Von hier aus überblickte man ein großes, leeres Gebiet voller Felsen und leblosem Sandboden. Hayes lachte grollend auf und legte seine Hand auf die Waffenkolben. »Wir sind da. Findet ihr einen Eingang?« Dafne blickte ihn erstaunt an. »Schwerlich. Wir wissen nicht einmal, wo wir suchen sollen. Und selbst wenn unsere Geräte einen Eingang finden – wie gelangen wir bis in diese gewaltige Tiefe?« Hundertzwanzigtausend Meter: das hieß nichts anderes, als daß
dieser Planet einen glutflüssigen Kern besaß, der auf den absoluten Mittelpunkt der Welt konzentriert war. Es gab auf jedem anderen als diesem weitestgehend erkalteten Planeten einen heißen Magmakern, der nur wenige Kilometer unter der planetaren Kruste lag. Es mußte vermutet werden, daß Junk II eine künstlich geschaffene Welt war, oder eben ein ungewöhnlich alter Planet. Friedo murmelte: »Fangen wir unsere Suche an. Ich setze die Roboter ein.« »Denke an die schlecht atembare Luft!« Sie schlossen die Anzüge, schalteten die Helmfunkgeräte ein und öffneten die Laderäume. Die Rampe klappte herunter. Zögernd verließen sie die Jet. Vor ihnen schwebten die Roboter herunter, deren Programm von Tauter Flock genau auf die Notwendigkeiten des Vorhabens abgestimmt war. »Wir suchen zuerst nach irgendwelchen Hinweisen«, sagte Breck. »Ich riskiere einen kurzen Rundflug.« Er versuchte sich vorzustellen, wie an dieser Stelle ein getarnter, zusammengebrochener oder verwitterter Eingang aussehen konnte. Nach Geländemerkmalen dieser Art suchte er, als er mit Hilfe des Flugaggregats in wenigen Metern Höhe über die bizarre, kalte Szenerie schwebte. Die rote Kugel der Sonne schwebte vier Handbreit über dem südwestlichen Horizont, und deutlich modellierten Licht und lange Schatten die Erhebungen und Vertiefungen. Die Roboter, deren Reaktionen ebenfalls ein Suchauftrag steuerte, schwebten sternförmig auseinander. Dafne, Friedo und Jap richteten die Sensoren der Geräte auf einzelne Formationen und versuchten, einen Hohlraum zu entdecken. Eine Zeitspanne von hundertzwanzig Minuten verging in Ruhe und ohne jede Störung. Das Gelände, das nachweislich über den unterplanetarischen Höhlensystemen lag, ließ sich nicht seiner Geheimnisse berauben. Nicht ein einziges Echo von metallenen Strukturen, von irgendwelchen Toren oder Schleusen. Nichts. Die Hoffnung
schwand dahin. Breck schwebte auf Tauter zu, der leise mit den Robotern sprach und unentwegt die Funkkanäle wechselte. Hayes klappte seinen Helm auf, nahm einen tiefen Atemzug und sagte unbeeindruckt vom bisherigen Mißerfolg: »Ich fordere Hilfe an. Versucht weiter alles, um ein Loch zu finden.« »Du denkst an die Fremden aus der Sonne?« »Ja. Ich rechne damit, daß wir verdammt wenig Zeit haben.« Breck verschwand im Schiff, schaltete das Funkgerät wieder ein und sagte knapp: »Wir haben nicht angerufen, weil wir fürchten, geortet zu werden. Wir brauchen Hilfe, Gallatan!« Herts ließ sich in wenigen Sätzen die Größe des aktuellen Problems schildern. Er sagte schließlich: »Es müßte reichen, wenn eine Gruppe von Suchrobotern durch den Transmitter geht, zusammen mit einigen Robotikern. Grabgeräte und ähnliche große Maschinen können wir natürlich nicht durch dein Gerät schicken. Einverstanden – wir schicken sofort, was du brauchst. Aktiviere den Transmitter.« »Mache ich. Wie ist die Lage bei euch?« »Unverändert kritisch. Wir nähern uns diesem Ultra, und auch wir haben keine neue Idee.« »Dachte ich mir. Es geht los! Beeilt euch!« Er verließ die Kanzel und schaltete den kleinen Transmitter in dem leergeräumten Laderaum ein. Ein Funkbefehl brachte zwei Roboter zurück ins Schiff. Sie sollten beim Entladen helfen. Wenn Breck an eine Bedrohung durch den Fremden dachte, dann ließ er es sich nicht anmerken. Alle seine Bewegungen und Anordnungen waren von präziser Schnelligkeit. Als sich die Energiebalken des Transmitters berührten, nahm Breck die Feinjustierung vor und winkte den Maschinen, die über die Rampe heraufschwebten, von feinem rötlichen Staub bedeckt.
»Wenn hier Ladegut ankommt, stapelt ihr es unterhalb des Schiffes«, sagte er und stapfte schwer die Stufen zur Kanzel hinauf. Aus den Lautsprechern des Funkgeräts kamen leise, aufgeregte Stimmen. Er unterschied Kommandos und einzelne Namen. Dann übertrug die Anlage einen schmetternden Krach, der ihn zusammenzucken ließ. Schreie und Flüche gellten auf. »Was ist bei euch los?« donnerte der High. Sideryt. »Ich brauche keinen Lärm, sondern Hilfsgüter und Robots.« Nach einigem Zögern meldete sich die Transmitterabteilung. »Breck! Unser Transmitter ist detoniert. Wir haben die Hyperstrahlung von Ultra nicht einkalkuliert.« »Ist das bewiesen?« »Ja. SPARTAC hat uns einige Sekunden zu spät gewarnt. Es ist sinnlos, den Versuch zu wiederholen. Tut uns leid – ihr seid auf euch allein gestellt.« »Wieder einmal«, fauchte Breck und wandte sich enttäuscht ab. Was war zu tun? Zuerst schaltete er den Transmitter aus, schärfte den Robotern ein, auf Angriffe aus der Luft vorbereitet zu sein und weiter zu suchen. Er rief ins Mikrophon: »Tauter! Wie lange würde es dauern, ein Loch in den Boden zu brennen? Bestehen echte Chancen, daß wir so vorgehen können?« »Vorausgesetzt, die Energie reicht aus – es würde viele Tage dauern, unter Umstand einen halben Monat oder mehr.« »So lange?« »Nicht kürzer. Nicht im nennenswerten Maß. Wir haben noch immer die Hoffnung, irgendwo einen verborgenen Eingang zu finden. Die Hyperingenieure sind zuversichtlich.« »Und du – nicht?« Stumm schüttelte Flock den Kopf, dann hustete er und schloß den Helm seines Raumanzugs. Mühsam antwortete er: »Mein Optimismus war niemals besonders groß. Jetzt ist er völlig verflogen.« Nebeneinander kamen Jap und Dafne hinter einigen Felskegeln
hervor und schwebten auf die TRAGEDY zu. Teile ihrer Raumanzüge und die Geräte in ihren Händen funkelten rot im Sonnenlicht. Keine fünfzehn Meter von der Jet entfernt deuteten sie plötzlich in die Höhe. Auch die Roboter rissen ihre Waffenarme hoch. »Wir werden angegriffen! Dort! Das Ding hat sich geteilt …«, schrie Tauter und zog die Strahlwaffe. Der Kopf Breckcrowns ruckte in den Nacken. Er spähte zwischen den Felssäulen hindurch. Neun metallene Bruchstücke schwebten in einigen hundert Metern Höhe in einem weit auseinandergezogenen Halbkreis auf den Standort der Jet zu. Es war keine Vermutung – es waren die Einzelteile der raumtüchtigen Konstruktion, die sich geteilt hatte. »Schießt!« Tauter Flock rannte in die Jet hinein. Er schrie etwas von »Projektor« und duckte sich unter den Verstrebungen des Schottes. Fast gleichzeitig glitten die drohend aussehenden Bruchstücke näher und feuerten grüne Strahlen ab. Im aufstaubenden, kochenden Boden erschienen breite sich schlängelnde Einschlagspuren. Die schweren Waffen der Roboter donnerten röhrend auf. Glutbahnen schossen schräg aufwärts. Die Maschinen waren von Flock hervorragend programmiert worden, denn sie verständigten sich blitzschnell jeweils auf ein gemeinsames Ziel. Das erste Bruchstück des rätselhaften Fremden explodierte mit einem krachenden Geräusch, das über die Ebene hallte. Fragmente wurden hochgewirbelt und beschrieben lange Rauchbahnen, als sie zu Boden torkelten. Die Maschinen konzentrierten ihr Abwehrfeuer auf den zweiten Gegner, der inzwischen näher herangeglitten war. Auch er explodierte mit lautem Donnern und in einer gleißenden Feuererscheinung. Gleichzeitig traf einer der grünen Kampfstrahlen einen Roboter und vernichtete ihn. Die Detonation der SOL‐Maschine erzeugte
einen metertiefen Krater und eine riesige Fontäne aus Rauch, Flammen, Sand und prasselndem Geröll. Wenige Sekunden nach dieser gewaltigen Explosion holten die verbleibenden Maschinen einen weiteren Angreifer herunter. Er explodierte nicht in der kalten Luft, sondern raste davon, schlug eine Abwärtskurve ein und prallte jenseits einer Felsbarriere zu Boden. An der Aufschlagstelle erhob sich eine rote Wolke, in deren Innern es zuckte und loderte. Tauter Flock gab mit dem Bordgeschütz gezielte Feuerstöße ab. Der Projektor des Strahlengeschützes schwenkte herum. Nacheinander trafen die jaulenden, tobenden Feuerstrahlen drei Bruchstücke. Das erste explodierte, die beiden anderen schossen, obwohl Teile von ihnen absplitterten und überraschend langsam zu Böden wirbelten, auf die Jet. Mit häßlichen Lauten wurden Teile der Jet zerstört. Die durchsichtige Kuppel flog in einem Regen von messerscharfen Bruchstücken davon. Breckcrown Hayes stand da, gegen einen Felsen gelehnt, seinen schweren Strahler in beiden Händen. Er gab einzelne Schüsse ab, und jeder seiner Glutstrahlen schlug in die schimmernden Flächen der Angreifer ein. »Verdammt! Es sind zu viele!« knurrte der breitschultrige Mann und schoß weiter. Neben ihm schlug ein Strahl ein, riß einen Krater und hüllte ihn vorübergehend in einen Regen aus Geröll und Sand ein. Friedo Branold taumelte auf seinem Zickzackflug genau in die Bahn von zwei Kampfstrahlen. Mit einem kurzen, ächzenden Aufschrei starb der Hyperingenieur. Der brennende Raumanzug mit den explodierenden Aggregaten raste geradeaus weiter und wurde gegen einen Felsen geschmettert. Dort brannte er in einer Reihe von scharfen Explosionen aus. Es gelang Hayes, den Einschlägen der fremden Waffe auszuweichen. Über seinem Kopf zerbarsten Felsenstücke. Die Luft war erfüllt von bösartig summenden Splittern und vom ätzenden
Rauch des vergasenden Gesteins. Seine Strahlwaffe feuerte ununterbrochen auf den Angreifer, der an mindestens einem Dutzend Stellen brannte und torkelnd immer näher herankam. Dann löste sich auch dieser Bruchteil in einer gewaltigen Explosion auf. Kurz darauf schlugen mehrere Glutbahnen wieder in die Jet ein und sprengten Teile davon ab. Aber Flock gelang es, kurz nacheinander zwei Angreifer zu vernichten. Dann verwandelte ein weiterer Treffer diesen Abschnitt der TRAGEDY in glühenden Schrott. Der Projektor wurde in die Luft gewirbelt und fiel zwischen die Felsen. Ein Roboter summte heran. Auch er schoß ohne Unterbrechung schräg aufwärts. Hinter dem Robot schwebte, mit den Fußspitzen fast im Sand, Dafne Joss. Auch sie versuchte, sich gegen einen der übriggebliebenen Teilstücke zu wehren und feuerte schräg in die Höhe. Jeder zweite Schuß war im Ziel, aber das geschwungene Teilstück dieses tödlichen Puzzles kam unerbittlich, tiefer. »Hierher! Zu mir!« schrie der High Sideryt. Die Außenlautsprecher strahlten den Ruf aus, aber ihr Lärmen ging in dem Dröhnen der Energieentladungen unter. Dennoch verstand Dafne und fing ihren Aufprall am Felsen mit der linken Hand und der Schulter auf. »Jap ist tot. Dort draußen!« Tauter tauchte auf der Rampe auf. Hinter ihm drang eine fette Rauchwolke aus der Schleusenöffnung. Der Robotspezialist hatte seinen Raumhelm geschlossen und taumelte. Noch immer gab es zwei der Angreifer. Sie waren getroffen worden, schossen in unregelmäßigen Abständen aber weiter. Der von Flock programmierte Allzweckrobot vernichtete mit einem Fernschuß den vorletzten Gegner. »Jap und Friedo!« sagte Breck erschüttert, drehte sich langsam herum und sah, daß nur noch ein Robot übrig war. Er verfolgte die Glutbahnen aus der Waffe der Maschine, hob
bedächtig beide Arme mit der Waffe und hörte nicht auf zu schießen, ehe der letzte Gegner in einem langgezogenen Funkenregen abstürzte und zwischen den Felsen explodierte. Die Echos rollten hin und her, und dann entstand eine lähmende Stille. Breck spürte, wie sich die drohenden Vorboten eines neuen Schwächeanfalls näherten. Er sicherte seine Waffe, steckte sie zurück und lehnte sich schwer gegen den Felsen. »Drei Solaner sind übriggeblieben, und nur ein Roboter. Geht in die Jet und schaut nach, wie es steht.« Sie sollten nicht sehen, sagte er sich, wie ihn der Fieberanfall schüttelte und halb besinnungslos machte. Jetzt machte er sich Vorwürfe, daß er nicht einen gesunden, tatkräftigen Stabsspezialisten auf diese Mission geschickt hatte. »In Ordnung. Viel Hoffnung habe ich nicht«, sagte Tauter Flock in fast weinerlichem Tonfall. »Du hast eine feine Art, andere Menschen zu motivieren«, antwortete Dafne. »Los! Mehr Entschlossenheit, Partner!« Sie würden, wenn ihnen der unbekannte Feind Gelegenheit gab, ihre zwei toten Kameraden begraben. Im Moment gab es keine Zeit für Trauer. Langsam rutschte Breckcrown am Stein herunter, schürfte einige Teile der Rückenkonstruktion des Anzugs auf und streckte die Beine. Seine Hand tastete sich zum Regler der Anzugsversorgung. Er setzte den Sauerstoffanteil der Atemluft herauf und spürte die wohltuende Kühle. Er durfte nicht bewußtlos werden! Er mußte weitermachen! Als der Roboter sich herumdrehte, die Arbeitsarme senkte und ihm aufhelfen wollte, winkte der High Sideryt ab. Er brauchte keine Hilfe. Er fürchtete sich vor den nächsten Minuten. Dafne und Tauter würden aus der Jet zurückkommen und ihm berichten, was alles zerstört und unbrauchbar war.
7. Der aufgewirbelte Staub hatte sich gesenkt. Ein schneidend kalter Wind, der in kurzen Stößen kam, hatte sämtlichen Rauch nach Osten weggetrieben. Das riesige Areal aus Sand und Gestein lag still und unbewegt unter den Strahlen der sinkenden Sonne. Aber jetzt war hinter den fernen Gebirgen die neue Sonne Ultra hochgeklettert, und aus dem roten Licht wurde mehr und mehr ein kaltes, hartes Strahlen. Schauer aus kalkweißem, fast bläulichem Licht und die Partikel der harten Strahlung gingen auf Junk II nieder. Die Ruhe der Landschaft wurde nur von wenigen Staubwirbeln unterbrochen, die der Wind immer wieder rotieren ließ. Aus der Jet, am wartenden Roboter vorbei, kamen Dafne und Tauter. Der Robotspezialist schwankte und führte mit den Armen sinnlose Bewegungen aus. Mühsam bewegte sich Breck. Er packte einen kleinen Felsvorsprung über seiner Schulter und zog sich ächzend hoch. »Alles zerstört! Das Funkgerät – ausgefallen! Wir sind mitten auf einer fremden Welt gestrandet!« Tauter Flocks Stimme war schrill. Nicht mehr kontrollierbare Aufregung sprach aus ihm. Er blickte unablässig zwischen dem Robot, Dafne und dem High Sideryt hin und her. Sein Blick hatte etwas Unstetes. »Er hat recht«, erklärte Dafne weitaus ruhiger. »Möglicherweise findet sich noch ein kleines Funkgerät. Aber alle Einbaugeräte sind zerstört. Die Pulte sind förmlich zerfetzt.« Breck senkte den Kopf und murmelte dumpf: »Wahrscheinlich kann uns die SOL gerade noch hören, wenn wir die Anzuggeräte einsetzen. Danke. Wie sieht es sonst aus?« »Schlimm! Der Antrieb! Alles in Trümmern!« schrie Tauter und tastete nervös an seinem Anzug herum. Breck versuchte, das Zittern seiner Arme und Knie zu unterdrücken, und fragte Dafne:
»Ist es so?« »Ja. Wir sitzen fest. Der Antrieb ist weder von uns, noch«, sie deutete auf Flock, der seinen Roboter anblickte, als könne die Maschine ihm helfen, »von seinem angeblich hervorragend programmierten Mehrzweckrobot zu reparieren.« Sie unterbrach sich, näherte die Scheibe ihres Raumanzugshelms derjenigen Brecks, und dann fragte sie voller Besorgnis: »Breck! Was ist mit dir! Du siehst aus, als würdest du gleich zusammenbrechen.« Es gelang ihm, seiner Stimme einen kühlen, zuversichtlichen Eindruck zu geben. »Ich fühle mich nicht besonders gut. Kein Wunder nach all den Aufregungen. Was machen wir aus der Situation? Sie ist wohl ungewöhnlich negativ, nicht wahr?« Dafne überlegte einige Sekunden, dann griff sie nach links und schaltete Flocks Funkgerät aus. Er merkte es nicht und fuhr fort, auf den Roboter einzureden. »Breck«, sagte Dafne und legte kurz ihre Hand im schweren, Raumhandschuh auf seine Schulter. »Es ist ja richtig, daß du untertreibst, aber mir kannst du nichts mehr vormachen. Du bist krank. Und versuche nicht, mir das Gegenteil weismachen zu wollen. Klar?« Sie begegnete dem Blick seiner Augen. Sie ließen den Schmerz und die Trauer erkennen. Breck mußte die Situation, in der sich die drei Überlebenden befinden, genau so realistisch beurteilen wie sie – ihre Lage war so gut wie hoffnungslos. Sie fuhr fort: »Auf Tauter brauchen wir nicht mehr zu zählen. Er ist kurz davor, durchzudrehen.« »Hast du ernsthafte Gründe für diese Annahme, Dafne?« erkundigte er sich nachdenklich. »Ja. Du hättest ihn nicht mitnehmen sollen. Nun – wir müssen uns nach unseren Möglichkeiten richten. Hast du einen Vorschlag?« Er nickte und antwortete:
»Ja. Es bleibt uns nichts anderes übrig als weiterzusuchen. Vielleicht fällt dir ein anderer Weg ein? Mit der rein empirischen Suche nach einem Stollen oder Eingang werden wir wohl kein Glück haben.« »Kaum. Ich denke nach.« Breck spürte, daß wenigstens Dafne Joss ihm in diesen Minuten Wohlwollen und Vertrauen entgegenbrachte. Wie auf ein unhörbares Signal hin drehten sie sich beide halb herum und schauten Tauter Flock an. Er schien tatsächlich irgendwelchen Schaden genommen zu haben. Wodurch Flock in diesem Maß geschockt worden war, konnten sich weder Dafne noch Breck vorstellen. Der Robotiker schien in diesen Minuten nur einen einzigen Gesprächspartner zu akzeptieren. Er merkte nicht, daß sein Funkgerät abgeschaltet war. Wieder blickten sich Breck und Dafne in die Augen. Schließlich tastete Breck sich um, fand den groben Fels und klammerte sich daran fest. »Du mußt schnell nachdenken«, sagte er mit brüchiger Stimme. Das Fieber tobte in ihm. Vor seinen Augen flimmerte es; rote und schwarze Kreise begannen sich zu drehen. »Ist dir übel?« fragte Dafne. »Kann ich dir helfen?« Schwach schüttelte er den Kopf und stöhnte: »Nein. Ich muß das ganz allein …« Brecks Körper kippte schwer nach hinten. Er konnte nicht mehr weitersprechen. Hilflos schlug er wieder gegen den harten Stein, rutschte abermals daran herunter und kippte auf die Seite. Seine Krankheit schüttelte ihn. Sein Körper zitterte innerhalb des Raumanzugs und wurde von glühend heißen und eiskalten Schauern durchflutet. Er verlor das Bewußtsein, aber seltsamerweise sah er immer wieder vier verschiedene Bilder vor seinen Augen: Die rote Sonne, die weiße Helligkeit Ultras, Dafne Joss und den letzten Robot. Er war ohne Bewußtsein. Eine unbestimmte Spanne Zeit verging.
* Breckcrown Hayes kam zu sich. Er öffnete die Augen und blickte durch die Sichtscheibe des Helms. Zufällig, so sagte ihm der wieder einsetzende Verstand, lag sein Arm so vor dem Helm, daß er die Ziffern der Uhr sehen konnte. Mühsam entzifferte er Zahl um Zahl. Er begriff: An Bord der SOL schrieb man noch den sechsten Juni, die letzten Stunden dieses Tages. Mühsam rechnete er aus, daß er vier Stunden lang – mehr oder weniger – bewußtlos gewesen war. »O verdammt!« keuchte er und kam auf die Füße. Er setzte das Bild der neuen Welt wieder annähernd richtig zusammen und erinnerte sich an alles. Das Fieber war vorbei. Er fühlte sich mehr als schwach. Sein Blick, der zunächst ziellos umhergewandert war, fiel auf einen Gegenstand, auf eine Gestalt, die zwischen ihm und der zerstörten, zur Seite gekippten Jet lag. Ein Raumanzug! Er las den Namen und erkannte, daß er D. Joss hieß. Mit drei Schritten war er bei der regungslosen Gestalt und erkannte mit eisigem Schrecken, daß hier die Leiche von Dafne Joss lag. Schüsse aus dem schweren Blaster hatten sie getroffen. Einer durch die Sichtscheibe des Helmes, der andere durch die linke Seite des Brustteils. »Dafne. Tot. Der Robot?« murmelte der High Sideryt. »Nein. Es muß dieser wahnsinnige Flock gewesen sein.« Plötzlich litt er unter Luftmangel. Er öffnete den Helm und atmete die kalte, frische Luft von Junk II ein. Ohne genau zu begreifen, was es wirklich bedeutete, straffte er sich und ging auf die Jet zu. Auf der Rampe kauerte der Robotspezialist und hatte die Arme um seine Knie geschlungen, die er eng an die Brust gezogen hatte. Eine Hand hielt die Waffe. Unbeweglich schwebte der Robot neben dem Solaner. Breck raffte den letzten Rest von Selbstbeherrschung zusammen und sagte laut: »Tauter! Hast du Dafne umgebracht?«
»Sie hat versucht … sie sagte … sie findet nichts daran, die SOL zu verlassen und auf anderen Planeten zu suchen.« »Zu suchen«, grollte Breck. »Warum hast du sie getötet?« – Ein schauerlicher Verdacht breitete sich in ihm aus. Er dachte zwangsläufig an die Sabotageversuche der Erneuerer um Zelenzo. »Ich habe sie eliminieren müssen!« sagte Flock mit fester Stimme. »Du bist verrückt!« stellte Breckcrown fest. »Ich bin nicht verrückt«, erwiderte Tauter. Seine Stimme war die eines Kindes. Seine Augen irrten hinter der Sichtscheibe hin und her und blickten nichts und niemanden an. Breck begann zu begreifen, daß Tauter Flock auf dem besten Weg war, in den Wahnsinn zu fallen. Oder war etwa seine Selbstkontrolle schon völlig verlorengegangen? »Was hat Dafne getan?« fragte Breck. Seine Hand ruhte bereits auf dem Griff des Blasters. »Die Zeit verstrich. Langsam und ohne jeden Fortschritt. Nichts passiert, nichts geschieht. Wir sind allein. Er hatte recht – die SOL ist unter allen Umständen zum Untergang verurteilt.« »Wer ist er?« erkundigte sich drohend der High Sideryt. »Der Chef von uns.« »Euer Chef? Das kann«, Breck kontrollierte seine Gedanken und Überlegungen und kam zu keinem anderen Ergebnis, »doch nur Zelenzo sein.« Tauter Flock zog mit einer schnellen Bewegung seine Waffe, richtete den Lauf genau nach oben und drückte ab. Die Waffe funktionierte nicht. Es kam kein Feuerstrahl aus der Projektormündung. »Zelenzo! Unser oberster Erneuerer!« schrie Flock und warf seinen Strahler mit großem Kraftaufwand weit von sich. »Du bist also einer derjenigen Typen«, sagte Breckcrown in einer Ruhe, die jeden anderen vor Furcht halbwegs gelähmt hätte, »die nichts anderes im Sinn haben, als die SOL und damit sich selbst zu vernichten. Einer der sogenannten Erneuerer. Dein Chef ist
Zelenzo?« »Mein Chef? Ich habe keinen Chef. Ich habe nur Angst!« Breck war inzwischen wieder in der Lage, genaue Beobachtungen machen zu können. Er sah, daß die Hand des Robotspezialisten langsam am rechten Oberschenkel entlangkroch. Die Fingerspitzen des Handschuhs zeichneten dünne Spuren in den Belag aus rotem Staub, der auf dem groben, vergüteten Stoff des Raumanzugs sich abgelagert hatte. Breck sah aus dem oberen Rand des angeschnittenen Stiefels, zwischen breiten Haftbändern, das Vibromesser mit der breiten Schneide. Eine Frage drängte sich Breckcrown auf. Warum hatte Flocks Waffe nicht funktioniert? Er hatte deutlich das flimmernde, stechende Rot der Ladekontrollanzeige gesehen. »Angst? Ich habe nicht weniger Angst als du«, donnerte Breck. Er war ein wenig ratlos; mit Wahnsinnigen und deren Reaktionen hatten andere mehr Erfahrung. »Das ist kein Grund, andere Solaner hinterrücks zu ermorden. Ausgerechnet Dafne! Sie hat dir nichts getan! Sie versuchte nur, die SOL zu retten. Du bist ein Verbrecher. Ein Saboteur! Fast hunderttausend Menschenleben warten darauf, daß wir hier etwas erreichen!« Nur zur Hälfte übertrieb Breck mit Bewußtsein. Bodenloser Zorn loderte auf und erfüllte ihn. Dieser Irre! Ausgerechnet in den wenigen Stunden, in denen du nicht reagieren konntest, sagte ihm seine kalte Überlegung vorwurfsvoll. Die Hand Tauter Flocks hatte den Griff des Vibromessers erreicht. Der High Sideryt machte sich auf einen Angriff gefaßt. Er war bereit. Aber er kalkulierte auch jede andere Form unangepaßten Verhaltens mit ein. Deshalb war er nicht erstaunt, als Tauter aufsprang und zu schreien begann. Breck hörte das Geschrei sowohl über das System Außenmikrophon‐Innenlautsprecher als auch über die Helmfunkanlage mit. Er hoffte, daß sie es auch in der SOL verstanden, falls sie es schafften, die Verlorenen von Junk Zwei
abzuhören. »Du bist an allem schuld. Du und der Weißhaarige! Atlan! Die Solaner richten ihr Leben nach dem Fremden aus!« kreischte Tauter. In diesen Sekunden erfuhr Breck einiges über die innere Einstellung der Erneuerer und deren völlig schwachsinnigen Argumenten. Er tastete hinter sich und fand ein Teil der auseinandergesprengten Jet, einen gezackten Metallspeer von eineinhalb Meter Länge. Er wartete auf die nächste Aktion des verrückten »Erneuerers«. »Und du bist übergeschnappt!« sagte er mit dem Brustton der Überzeugung. »Und unheilbar krank!« fügte er hinzu. Schreiend griff Tauter Flock an. Der Robot rührte sich nicht. Darauf war er nicht vorbereitet, nicht programmiert. »Ja! Ich bin einer der Erneuerer! Du erfährst als erster, daß wir uns nicht mehr länger von euch und diesem … Atlan schikanieren lassen.« Er sprach Atlans Name aus, als sei der Arkonide ein überführter Verbrecher. Mit eingeschaltetem Messer kam Flock auf Breck zu. Breck zog den Paralysestrahler und wartete. Die Worte des Roboterspezialisten waren undeutlich, aber noch zu verstehen. Die Angst ließ ihn alle seine Geheimnisse herausschreien. »Und Breiskoll wird ebenso bestraft werden. Er hinderte Zelenzo daran, die Jet zu betreten.« »Wollte Zelenzo mich umbringen, ebenso wie du?« Der Finger Brecks krümmte sich um den Auslöser. Hemmungslos schleuderte Flock ihm die Anklagen entgegen. Er näherte sich langsam, er schwankte und rutschte immer wieder im Sand aus. Er besaß nicht mehr die volle Gewalt über seine Beinmuskulatur, schätzte Hayes. »Ich bringe dich um. Ich töte sie alle! Mich hat Zelenzo in die TRAGEDY geschickt. Ich räche die Erneuerer! Du und Atlan, ihr seid schuld, daß die SOL untergeht und vernichtet wird.«
Breck hob den Strahler, zielte auf die Brust des Herantorkelnden und zögerte noch, abzudrücken. Bis auf vier Meter war Tauter Flock herangekommen. Er schrie unkontrolliert weiter. »Zelenzo ist einer von uns. Ich weiß es genau. Er ist ein Fachmann für Robotertechnik. Aber er lüftet seine Maske nicht. Ich weiß nicht, wer sich hinter seiner Maske versteckt. Trotzdem tue ich, was mir befohlen wurde.« Der High Sideryt drückte ab. Gleichzeitig sprang Tauter nach vorn. Der Strahler wurde, obwohl der Schuß Flock in die Schulter traf, vom Messer zur Seite geschlagen. Der Kolben rutschte aus Breckcrowns Fingern. Breck sprang zur Seite und packte mit beiden Händen das Handgelenk Flocks. Er spürte durch das Material der Handschuhe einen Teil der Vibrationen des Messers. »High Sideryt! Du bist ein toter Mann!« kreischte Flock. Er drang auf Breck ein. Hayes ließ den Arm nicht los und versuchte, die Hand mit dem Messer gegen den Felsen zu schmettern. Keuchend und schwankend rangen die beiden Männer. Breck war geschwächt, und Flock schien tatsächlich wahnsinnig geworden zu sein. Klirrend schrammte die Schneide des Messers über den Stein und schnitt eine tiefe Furche. Breck bog den Arm zurück, riß sein Knie hoch und wehrte sich verbissen. Die Männer schwankten hin und her, immer wieder traf die Faust des High Sideryt den anderen Mann. Die Spitze des Messers zielte auf den Oberkörper Brecks, und schließlich, in dem wilden Kampf, drehte sich, vom eigenen Schwung mitgerissen, Tauter um seine Achse. Er stolperte, winkelte den Arm an und fiel. Breck hörte über Funk einen ächzenden Aufschrei. In dem Augenblick, als er seinen Strahler in der Hand hielt und feuern wollte, war Flock in sein eigenes Messer gefallen. Langsam und vorsichtig ging Hayes auf den zuckenden Körper zu, hielt die Waffe schußbereit und drehte den Robotiker mit
beträchtlichem Kraftaufwand herum. Tauter Flock war tot. Seine Hände krampften sich um das Messer, das sich zwischen den gekreuzten Haltegurten durch den Anzug in der Herzgegend gebohrt hatte. Breck löste die Finger vom Griff und schaltete das Vibromesser ab. Mühsam richtete sich Breckcrown Hayes auf, betrachtete lange den Toten und mußte sich sagen, daß der riskante Einsatz bisher nur entsetzliches Unglück hervorgerufen hatte. »Vier Tote, der ganze Erfolg«, murmelte er. Er steckte die Waffe zurück, hob die Schockwaffe auf und drehte das Helmfunkgerät auf Sendemaximum. Er sprach einen erklärenden Text und hoffte, daß man ihn in der SOL einigermaßen klar empfing und verstand. Schwermütige Gedanken und Überlegungen halfen ihm jetzt nicht. Noch weniger der SOL. Er mußte versuchen, sinnvoll zu handeln. Entschlossen stapfte er durch das zerwühlte, von Schrott übersäte und rußgeschwärzte Sandfeld hinüber zur Jet. Vielleicht war dort noch etwas Brauchbares zu finden. * Durch die riesigen Löcher in der Verkleidung der Jet strahlte die fremde Sonne herein. Der Roboter war Breck bis an den Anfang der Rampe gefolgt und blieb jetzt stehen. Breck bewegte sich schweigend durch die Jet. Tatsächlich war mehr zerstört, als er befürchtet hatte. An einen Start war unter keinen Umständen zu denken. Der Laderaum, in dem der Transmitter installiert worden war, schien unbeschädigt zu sein. Ohne recht zu wissen, was er damit bezwecken konnte, schaltete er den Transmitter ein. Die
Energieversorgung war offensichtlich in Ordnung. Die TRAGEDY war leicht gekippt. Die Mechanik von zwei Landestützen war schwer beschädigt. Breck streckte seinen Kopf aus einer Einschußöffnung, klappte den Helm auf und schrie: »Robot! Ich brauche dich. Einschränkende Programmierungen von Tauter Flock haben die Gültigkeit verloren.« Die Maschine gehorchte und schwebte über die Rampe herauf, blieb wieder stehen. »Mit dem Vibromesser! Rächer der Erneuerer!« brummte Hayes. Er war unschlüssig, von dem tragischen Schluß dieses seltsamen Geschehens tief deprimiert, und überdies fühlte er sich schwach und erschöpft. Ob sich dieser Zustand jemals ändern würde? fragte er sich. »Und was fange ich jetzt mit diesem Transmitter an?« Hinter ihm wartete regungslos der Roboter. Das Gerät war sendebereit. Die Leuchtfelder der Wahl‐Tastatur glimmten; trotz der Strahlenflut von Ultra war der Laderaum nicht sonderlich hell ausgeleuchtet. Breckcrown begann, halb spielend, auf die Tasten zu drücken und damit die Frequenz des Rufimpulses zu verändern. Nach einigen Schaltungen zuckte er zusammen und sagte scharf: »Halt! Das ist die Möglichkeit!« Er wagte nicht, an einen Erfolg zu denken. Er schaltete die Zahlen auf den Nullwert zurück. Möglicherweise, meinte er, bestand irgendwo eine Gegenstation. Vielleicht sogar auf der SOL. Er probierte langsam und konzentriert eine Schaltung nach der anderen aus. Vielleicht empfing er das Signal einer Gegenstelle. Er rechnete nicht damit, aber dies war die einzige Möglichkeit, die er sah. Es gab nichts anderes mehr auf diesem roten, weiß überstrahlten Planeten Junk Zwei. Nach einigen Minuten zerrte er aus den Halterungen eine Kiste voll Notrationen und erinnerte sich, während er sich vor dem Transmitter auf deren Deckel setzte, daß er eigentlich würgenden Hunger spüren mußte.
Während er weiter Taste um Taste drückte, aß er gedankenlos die Riegel der Konzentratnahrung, die er aus der Kiste herausgefischt hatte. Wieder eine neue Kombination. Eine andere Folge der wechselnden Ziffern. Eine neunte, fünfzehnte, zwanzigste, dreißigste. »Und selbst wenn ich zur SOL zurückgehen könnte«, murmelte er durch das fahle Sausen des Windes, der um die Trümmer der Jet strich, »wäre ich zufrieden.« Dann würde er innerhalb des Schiffes zumindest die Suche nach Zelenzo und dessen Anhängern führen können. Nein! Anderes war wichtiger: die SOL stürzte in die Sonne. Er verlor das Zeitgefühl. Irgendwann merkte er, daß eine Gegenstelle antwortete. Die Kombination der verschiedenen Leuchtfelder blinkte. Breck konnte es zuerst nicht glauben und sah schließlich voller Erstaunen ein, daß er tatsächlich ein Gegengerät gefunden hatte. Ein Zufall. Er verglich die Zahlen – es waren nicht die Kodierungen eines SOL‐ Transmitters. Er raffte sich auf, vergaß seine Müdigkeit und seine Beschwerden, drehte sich halb herum und sagte: »Du kommst mit mir. Du mußt mich stützen. Ich bin schwach und hinfällig und brauche deine Hilfe.« Der Robot kam heran und schob seine metallenen Arme unter die Achseln des High Sideryt. Die glühenden Schenkel des Bogentransmitters standen unverändert. Noch einmal versicherte sich Breck, daß sämtliche technischen Bedingungen unverändert gültig waren: Es konnte Selbstmord bedeuten, wenn er durch den Transmitter ging. Er schloß den Helm, kontrollierte alle seine Anzugsgeräte und schob in die Beintaschen des Raumanzugs noch einige der Nahrungsmittel‐Packungen. »Wer weiß?« sagte er zu sich selbst und ließ sich von dem Robot durch den Transmitter führen. Das Gegengerät stand an einem Ort, der völlig unbekannt war.
Es handelte sich mit hundertprozentiger Sicherheit nicht um die SOL. 8. Unter den sandbestaubten, zerschrammten Raumfahrerstiefeln erstreckte sich eine große, runde Fläche. Sie bestand aus metergroßen sechseckigen Platten, die aus Metall zu sein schienen. Aus den Fugen, zwischen den mehr als hundert Elementen, sickerte gelbes Licht ebenso wie aus den Zwischenräumen der Deckenelementen. Sie waren groß und rund; wie ein kuppelförmiges Netz bildeten sie eine große Höhle. Nur das Summen des Transmitters und das schwächere Geräusch des Robots neben ihm – das war alles, was Breckcrown hören konnte. »An Bord der SOL sind wir mit Sicherheit nicht!« sagte er halblaut. Er hob den Arm und musterte die Zahlenkombination und die Leuchtanzeige des Atemluftindikators. Die Luft war kühl und atembar. Rund um die gesamte Halle, zwischen Boden und Deckenkonstruktion, verliefen etwa brusthohe Pulte und würfelähnliche Aggregate. Ihre abgeschrägten, metallfarbenen Oberflächen waren von Instrumenten und Anzeigen überzogen. Vorsichtig machte Breck ein paar Schritte vorwärts. An mehr als einem Dutzend Stellen der Decke, knapp oberhalb der Schaltelemente, zogen sich einzelne runde Elemente zurück. Geräuschlos schoben sich gedrungene Projektoren hervor, ebenso lautlos bauten sich Energiefelder auf. Breck blieb in der Mitte der Halle stehen. Die Energiefelder bildeten eine zylindrische Absperrung, in deren Mitte sich die zwei Eindringlinge befanden. Dann öffnete sich dem Transmitter gegenüber die Wand. Eine Gruppe von sechs Robotern schob sich in die Halle. Sie wirkten entfernt humanoid, aber die Kopfteile und die
Arme verwischten diesen Eindruck; sie glichen einer wirren Ansammlung einzelner technischer Elemente, Hebeln und Kontakte. Hayes öffnete seinen Helm und sagte: »Robot! Vermutlich wirst du mir bei der Übersetzung helfen müssen.« »Wenn es möglich ist.« Die fremden Roboter bauten sich im Halbkreis um die Eindringlinge auf. Zwischen ihnen wurde ein Teil der Energiesperre halbtransparent. Darauf erschienen, während die Maschinen schnelle Summ‐, Pfeif‐ und Trillergeräusche ausstießen, farbige mathematische Symbole. Brecks Phantasie versagte, er sagte zu seinem Begleiter: »Verstehst du die Bedeutung der Signale?« »Ich werde sofort die Übersetzung errechnet haben.« »Los! Ich verstehe kein Wort.« Nach einigen Sekunden hob Breck die Hand. Übergangslos rissen Geräusche und Lichtsignale ab. Sein Roboter sagte langsam: »Sie wollen wissen, wer wir sind und woher wir kommen.« »Übersetze, was ich dir sage. Nicht mehr, und nicht weniger. Verstanden?« »Verstanden.« Breck erklärte, daß er der Kommandant der SOL sei, die in einer tödlichen Bahn um einen fremden Stern gefangen sei. Dann fragte er, wo er sich hier befände. Wieder übersetzte der Allzweckrobot. Er war in der Lage, die Symbolik der anderen Roboter richtig zu deuten. »Was wir hier wollen. Das bedeutet ihre Frage.« Auch jetzt versuchte Breck, so viel wie möglich zu verschweigen. Aber er ahnte, daß er mit dieser Taktik hier wenig Erfolg haben würde. Die nächste Übersetzung gab ihm recht. »Bevor die Roboter antworten, verlangen sie von dir eine eindeutige Identifizierung. Sie wollen eine klare Aussage und sind in der Lage, sagen sie, die Wahrheit zu erkennen. Was berechtigt
dich, hier einzudringen? Wer ist der Befehlshaber dieser Station? Sie haben mir zu erkennen gegeben, daß sie die Transmitter‐ Gegenstation kontrollieren.« »Jetzt wird es schwierig. Spätestens jetzt«, murmelte Hayes. »Nein. Übersetze das nicht!« Er überlegte. Die Wahrscheinlichkeit, daß er sich innerhalb des Junk‐Systems befand, war zumindest sehr groß. Natürlich gab es dafür keinerlei Beweise. Wenn dies so war, dann hatte Hidden‐X, als er sich noch ARCHITEKT nannte, diese Station erbauen lassen. Irgendwann in der Geschichte der Auseinandersetzung innerhalb dieser Galaxis war die Junk‐Nabel‐Station in die Hände von Anti‐ES oder eines seiner Handlanger geraten. »Frage sie, ob es einen Herrscher oder mehrere gibt. Wie viele Namen wollen sie hören?« Er war sicher, daß er nur die Chance für eine Antwort hatte. Was sollte er sagen? Es gab für ihn nicht den geringsten Hinweis. Auch diese Antwort hatte er erwartet: »Einen Namen.« Seine Gedanken überschlugen sich. Namen, Begriffe und Mutmaßungen wirbelten wild durcheinander. Seine Überlegungen hatten inzwischen einen hohen Grad an Irrationalität erreicht. Er geriet ins Phantasieren. Seine nächste »logische« Kette lautete etwa so: In der Endphase der Auseinandersetzungen und Kämpfe gegen Anti‐ES war der Junk‐Nabel auf unbekannte Weise stabilisiert worden. Zumindest, laut Chybrain, für einhundert Tage. Das konnte bedeuten, daß Chybrain der Herr dieser Station sein konnte. Und falls es sich so verhielt, unter welchem seiner Namen befehligte er die Roboter? Chybrain? Oder Cara Doz? Oder beides? »Sie warten nicht mehr lange«, erinnerte ihn sein Roboter. Hayes riskierte alles. Er faßte einen Entschluß und sagte laut: »Chybrain«, und nach einer kurzen Pause: »Cara Doz.«
Wieder blinkten die Signale auf. Sie waren augenscheinlich schärfer und farbiger. »Die Antwort ist richtig«, übersetzte sein Roboter. Sofort lösten sich die Energiefelder auf. Hayes atmete auf. Es war wirklich mehr ein reiner Glücksfall gewesen, ein Zufall, daß er die richtigen Namen genannt hatte. Wieder hörte er: »Die Roboter haben die Sperren aufgehoben. Wir sind frei. Du kannst von ihnen Auskünfte und Unterstützung verlangen.« »Ich habe Fragen. Was sind die Roboter?« »Es sind Außenstellen, mobile Schaltstationen einer zentralen Steuereinheit.« »Wo befindet sich die Station, in der wir stehen?« »Wir sind tief in der erstarrten Planetenkruste von Junk Zwei. Die Veränderung der Planetenbahn und die Beben sind natürlich registriert worden.« »Frage die Maschinen, was sie von den aktuellen Situationen innerhalb des Junk‐Systems wissen.« Nach wie vor wurden mathematische Symbole projiziert. Die fremden Roboter summten und wisperten und bewegten ihre Gliedmaßen. Also befanden sie sich tatsächlich in hundertzwanzig Kilometern Tiefe, dort, wo die Hyperingenieure die Hohlräume geortet hatten. »Ihnen ist nichts von der herrschenden Lage bekannt. Sie wünschen, von dir aufgeklärt zu werden.« »Das können sie haben!« Die Chancen für Breck und die SOL standen schlecht, aber sie wuchsen offensichtlich ein wenig. Breck sprach langsam und bedächtig und schilderte so genau wie möglich, was seit rund zwei Tagen geschehen war, und daß Lebewesen in tödlicher Gefahr waren. Als sein Roboter etwa zwanzig Minuten später den letzten Teil der Übersetzung geliefert hatte, besaßen die anderen Maschinen ein genaues Wissen über sämtliche Vorgänge. Jeder Begriff war
ihnen über Funk vermittelt worden. Sie kannten die Gefahren. Nach einer Pause, in der die Roboter vermutlich mit übergeordneten Rechnern korrespondierten, projizierten sie weitere Symbolspracheinheiten. Der High Sideryt blickte auf die Uhr; die Zeit lief ab, und er dachte an die Spirale, die sich jede Minute mehr verengte. »Was sagen sie?« Breck lehnte sich schwer gegen den stützenden Arm des Robots. Er fühlte, daß er zu lange nicht geschlafen hatte. Sein Körper schrie nach Ruhe und Entspannung. Er wartete auf den nächsten Fieberanfall und hoffte, er käme nicht. Wenn er wenigstens hier, als letzter Überlebender dieses tragischen Einsatzes, ein wenig Erfolg haben würde! »Sie haben erklärt, daß der Nabel kurz abgeschaltet werden kann.« Breck stöhnte auf. »Sie sollen ihn abschalten! Schnell!« Wieder dauerte die Antwort länger. »Sie dürfen den Nabel nicht manipulieren, wenn nicht feststeht, daß Atlan in Sicherheit ist.« Breck stieß ein kurzes, verärgertes Brummen aus. Natürlich war Atlan gefährdet, beziehungsweise wußte niemand, wo er sich befand, ob er noch lebte. »Wie das? Warum diese Einschränkung?« wollte er wissen. »Chybrain hat diesen Vorbehalt fest eingegeben. Das bedeutet für die Roboter, daß sie auf die Besatzung der SOL keinerlei Rücksicht zu nehmen brauchen.« Wieder einmal mußte Breckcrown mit einem leichten Gefühl des Neides und der Unterlegenheit feststellen, wie sehr Atlan mit Chybrain verbunden war. »Sage ihnen, daß ohne die Beseitigung der verdammten Sonne Atlan noch mehr gefährdet wird.« »Sie fragen zurück, wie sich diese logischen Zusammenhänge wirklich darstellen.«
»Also: Ultra, die Sonne, die im Nabel steckt, gefährdet alles und jeden. Wir müssen die Sonne vernichten oder meinetwegen in die Namenlose Zone zurückstoßen. Falls Atlan in der Namenlosen Zone ist, kann er auch nicht mehr an Bord der SOL zurück. Erkläre es diesen eisernen Kameraden!« »Sofort.« Er mußte in Kauf nehmen, daß er den Verwaltern der Schaltstation sagte, daß Atlan sich nicht in der SOL befand, ja, daß er verschollen war. Hoffentlich schränkte diese Auskunft durch die einmal erfolgte Programmierung den Handlungsspielraum der Roboter nicht noch mehr ein. Überdies wurden seine Knie schwach, und er wollte sich in einen bequemen Sessel fallen lassen. »Weißt du, wo Atlan ist – das fragen sie«, meldete sich der SOL‐ Allroundrobot wieder. Breck zuckte zusammen. Seine Argumente wurden immer dünner und fadenscheiniger. Er mußte lügen. Zwar würde er für die SOL noch ganz andere Dinge tun, aber es war in diesem Zeitpunkt fraglich, ob eine Lüge – oder eine falsche Antwort – nicht das Gegenteil hervorbrachte. Also log er, so gut er konnte. »Atlan ist in Farynt, um Hilfe zu holen. Er muß Chybrain unterstützen.« Die Frist der SOL näherte sich dem Ende. Eine Stunde mehr oder weniger … was sollʹs? sagte er sich. Am siebten, gegen Abend Bordzeit, wurde das Schiff in die Sonne hineingerissen. Er sagte: »Wirklich. Die Lage ist von Verzweiflung gekennzeichnet. Deswegen bin ich auch hier. Ich bin müde. Ihr könnt mir endlich einen Sessel anbieten und etwas Ruhe.« Sein Robot übersetzte zurück: »Die Roboter haben diese Information an die Zentrale Steuereinheit durchgegeben. Die Einheit scheint deine Information zu glauben. Sie hat versprochen, angemessen zu reagieren.« »Der Nabel wird also desaktiviert?«
»Das sagten sie. Wir sollen ihnen folgen.« In einer kleinen Kuppel, rund zweihundert Schritt entfernt, fand der High Sideryt etwas Ruhe. Ein Sessel, der viel zu groß für ihn war, wuchs aus dem Boden hervor. Dankbar setzte sich Breck und streckte seine schmerzenden Glieder aus. Sein Robot sagte: »In diesem Augenblick wird deine Bitte erfüllt.« Seine Lüge war geglaubt worden. Die unmittelbaren Folgen für ihn waren ihm in diesem Moment fast völlig gleichgültig. Er hoffte, daß man an Bord der SOL die richtigen Schlußfolgerungen zog – und auch dann richtig handelte, wenn er nicht in der Hauptzentrale saß. Wie lange allerdings die Schaltungen brauchten, das wußte er nicht. Er war auch zu erschöpft, um nachzufragen. 9. Die SOL befand sich im letzten Drittel der Todesspirale. Aus der geraden Fluchtbahn war eine weit ausgezogene Kurve geworden, die sich mehr und mehr krümmte und in einem Spiralorbit einmündete, der von Umkreisung zu Umkreisung, alle zweieinhalb Stunden zuerst, dann in kürzeren Abständen, enger wurde. Die Schutzschirme waren auf Maximalkapazität geschaltet worden. In diesen letzten Stunden schien innerhalb des riesigen Schiffes die Ruhe einer Begräbnisstätte um sich zu greifen. Jede Beobachtung, die von der Zentrale, von SPARTAC oder von der Ortungsabteilung gemacht und publiziert wurde, besagte immer nur das eine: Der Nabel umschloß Ultra. Ultra war bis auf einen Durchmesser von siebenhundertneunzig Kilometer geschrumpft. Schauer von Hyperstrahlung und von grellem Licht schlugen
gegen die gestaffelten Schutzschirme. Die Oberfläche Ultras begann sich plötzlich zu verändern. Auf der weißen, kreidigen Oberfläche erschienen dunkle Linien und verbreiterten sich wie Sprünge. Augenblicklich gab die Ortung Alarm: »Achtung! Der Durchmesser von Ultra nimmt zu!« Diese Meldung riß sämtliche Solaner mit. Vorübergehend waren alle Unterschiede vergessen und ausgelöscht. Sogar die Anhänger Zelenzos reagierten nicht. Der Durchmesser des Weißen Zwerges nahm in rasender Eile zu. Die Messungen ließen erkennen, daß sich auch der Nabel veränderte, sich ausdehnte, größer und größer wurde und mehrmals seine schwachen Farben auf den Bildschirmen änderte, ebenso wie die sichtbar gemachten Strukturen. »Triebwerke! SENECA? Das könnte unsere Chance sein!« »Ich habe die Kontrolle über fast neunzig Prozent aller Antriebseinheiten«, schallte die Stimme der Biopositronik durch die Korridore und die Säle. Ultra, der Weiße Zwerg, reagierte unerwartet, heftig und explosiv. Die zwergenhafte Sonne detonierte. Nicht so schnell wie eine klassische Explosion. Ultra blähte sich auf und wurde größer. Die Intensität des harten, grellen Lichtes nahm ab. Die Intensität der Hyperstrahlung stieg innerhalb von Sekunden um Zehnerpotenzen. Ein harter Stoß traf die SOL. Sie wurde von Ultra weggetrieben und in den Raum hinausgeschleudert. Es waren nur einige hundert Kilometer, und ihre Geschwindigkeit nahm zu, aber die gewaltige Kraft der Gravitation ließ nach. Ultra wurde größer und durchscheinender. Die Spuren der dunklen Sprünge verloren sich. Blitze und Protuberanzen zuckten und schlugen nach allen Seiten. Zum größten Teil verlor sich die Strahlung in der Namenlosen Zone, aber auch in der unmittelbaren Nähe der SOL wurden erstaunlicherweise
Werte gemessen. Die Geschwindigkeit der SOL wurde größer, weil die Fessel der Gravitation wich. Dann wurde das Junk‐System von der detonierenden Sonne mit gleißendem Licht erfüllt. Gleichzeitig schlug die Hyperstrahlung gegen die Schirme der SOL. Über die Schutzschirme fluteten gewaltige Lichterscheinungen in allen Farben. Die Triebwerke wurden hochgefahren, das Schiff trieb ab, wurde aber auch deshalb schneller, weil sich der Griff der Anziehung so gut wie völlig aufgelöst hatte. Der Glutball hatte sich rasend schnell vergrößert: von knapp tausend auf eineinhalbtausend und bis zweitausend Kilometer. Dreitausend … dann zerfetzte die Sonne Ultra. Die Strahlung wurde von den Schirmen bis auf winzige, unbedeutende Reste aufgefangen und richtete keinerlei Schäden an. Keinerlei ernsthafte Schäden. Mit auf Vollast gefahrenen Triebwerken, vibrierend und dröhnend, raste die SOL aus dem Einflußbereich des Glutballs hinaus, entfernte sich mehr und mehr aus dem Zentrum des Junk‐ Systems und war endlich wieder frei. »Ich habe wieder die völlige Kontrolle über die SOL!« verkündete SENECA deutlich. Gallatan Herts fing sich als einer der ersten. Er betrachtete die Bildschirme und bedauerte, daß auch diese Informationen aus zweiter Hand geliefert wurden. »Weiß jemand … kann jemand sagen, warum diese verdammte Sonne endlich explodiert ist, zwei oder drei Stunden vor unserem Tod?« »Wir wissen es nicht!« kam es aus der Ortungsabteilung. »Vielleicht ergeben spätere Berechnungen und Analysen etwas, das uns einige der Vorgänge erklärt.« »Das ist weniger wichtig. Hauptsache, wir sind gerettet.« Die Reaktionen innerhalb des Schiffes gingen von Erschöpfung bis
zur hellen Freude, die sich in halbwegs hysterischen Äußerungen zeigte. Eine Gruppe schrie und tanzte, die anderen versuchten sich zu betrinken, eine dritte Gruppe legte sich erschöpft schlafen, alle Diensthabenden starrten die Schirme an und verfolgten die Durchsagen und Informationen. Es war sicher: Die SOL war für den Augenblick gerettet. Die Ortung meldete nebensächliche Beobachtungen und Messungen: Die Bahnen der Planeten hatten sich wieder normalisiert. Die kurzen Beben hörten auf. Der Nabel erstrahlte, als der wilde Glanz der gigantischen Glutwolke vergangen war, wieder in der gewohnten Form seiner seltsamen energetischen Erscheinung. Gallatan Herts hob den Arm und rief: »Möglicherweise denkt jemand daran, daß die TRAGEDY auf Junk Zwo gelandet ist. Rüstet einige Suchkommandos aus und holt sie zurück. Schließlich haben wir Brecks letzte Nachricht abgehört, und sie klang nicht besonders aufmunternd.« »Es bereiten sich bereits drei Kommandos auf die Mission vor«, kam es aus den Lautsprechern. Herts knurrte: »Es sollte wohl nicht allzu schwer sein, die Jet zu finden. Wir haben das letzte Funkgespräch von Hayes angepeilt.« »Keine Sorge.« Die SOL bremste, nachdem sie beschleunigt hatte, ihre Fahrt wieder ab und hielt sich in achtungsvoller Entfernung von der roten Sonne und dem Schlund. Der Weg in die Namenlose Zone war frei – und auch der Weg aus der Namenlosen Zone hierher. *
Der schwere Sessel schaukelte, als sich Breckcrown Hayes langsam hochstemmte. Unter den Robotern, die sich an den verschiedenen Pulten in dem kleineren Schaltraum zu schaffen machten, entstand deutliche Unruhe. Aber es gab keinen Bildschirm, der die Vorgänge in anderen Teilen der Schaltstation oder gar von der Oberfläche zeigte. »Irgend etwas ist passiert«, sagte er voller Unruhe und wandte sich wieder an seinen Robot, der bisher unbeweglich neben ihm gestanden hatte. »Finde heraus, warum deine Kollegen so nervös sind.« »Sofort.« Die Maschinen wandten sich wie auf ein unhörbares Kommando von den Pulten ab, drehten sich herum und kamen mit erhobenen Armen auf Breck und die Metallgestalt zu. Wieder entstanden Zeichen der Symbolschrift auf einem Energieschirm. Der Allzweckrobot schwebte in die Höhe, beschrieb einen Halbkreis und baute sich vor Breck auf. »Die Zentrale Steuerung hat sich gemeldet. Die Roboter sagen, daß du ihren Chef belogen hast.« »Der Beweis ist schwierig zu führen«, erwiderte der High Sideryt. »In welcher Form?« Wieder begannen die Roboter, ihre gespenstischen Geräusche zu erzeugen. »Atlan ist nicht in Farynt. Er ist in der Namenlosen Zone verschollen. Sie werden dich bestrafen.« Mit einer schnellen Bewegung zog Breck seinen Strahler und richtete ihn auf den nächststehenden Robot. Er schrie: »Erstens habe ich nicht gelogen, und zweitens dürfen Roboter kein menschliches Leben vernichten.« »Das nicht«, übersetzte der Robot. »Aber sie können indirekt strafen, vernichten und töten.« Fünf Waffenarme deuteten auf den Roboter. Die Farb‐ und Formsymbole erloschen. Dann peitschten und donnerten die
Energiebündel aus den Projektoren, hüllten den Robot in zuckende und flackernde Feuer, blendeten Breck und durchschlugen an mehreren Stellen die Hülle der Maschine. Mit riesiger Hitzeentwicklung brannte der Robot aus. Die Steuereinheit hatte Breck nicht getötet, hatte ihm aber die wichtigste Hilfe entzogen. Sofort packten die Roboter Hayes an Schultern und Armen und schleppten ihn mit großer Geschwindigkeit durch den Korridor zurück in den Transmitterraum. »Ihr wollt mich …«, begann Hayes, aber die Ereignisse überstürzten sich förmlich. Der Transmitter war nicht abgeschaltet worden. Die Roboter zerrten und schoben ihn auf die Abstrahlfläche. Er erhielt einen Stoß und stolperte aus dem Gegengerät in der TRAGEDY heraus, fing sich an ausgeglühten Verstrebungen ab und stolperte. Mit einem peitschenden Geräusch schaltete sich der Transmitter ab. Der High Sideryt packte die Teile des Rahmens und zog sich restlos erschöpft in die Höhe. Er wandte den Kopf und sah halb blind, schwindelig vor Schwäche und Müdigkeit, direkt durch einen aufgerissenen Teil des Wracks in die fremde Sonne. Die Leuchtkraft von Ultra nahm zu, in rasender Eile. Er zwinkerte und versuchte, sich die Tränen der Erschöpfung aus den Augenwinkeln zu wischen, aber sein Handschuh schlug schwer gegen das Visier des Helmes. »Ultra … die Sonne … detoniert!« keuchte er. Mit einem letzten Rest von Selbsterhaltungstrieb duckte er sich, rollte sich in den Schatten, hinter die intakten Teile der Verkleidung, und suchte Schutz in einem dunklen Winkel. Wenn Ultra detonierte, dann war die SOL von dem furchtbaren Druck befreit. Durch die dünne Lufthülle fast ungehindert, hämmerte die Hyperstrahlung mit all ihren Normalphysik‐Komponenten auf die Oberfläche von Junk II herunter, als sie nach mehreren Minuten den
Planeten erreichte. Durch die geschlossenen Augenlider sah und spürte der High Sideryt die Lichtflut, die Raumstrahlung, die scheinbare Hitze und die farbigen Protuberanzen des riesigen Glutballs, der sich nahe dem Zentrum dieses Sonnensystems aufblähte. Die Besinnungslosigkeit griff nach ihm. Endlich hatte er Ruhe. Seine letzten, wirren Gedanken gehörten der SOL. Er hatte es tatsächlich geschafft, das Schiff zu retten. Er konnte es selbst nicht glauben – aber alles wurde jetzt gleichgültig. Breck hörte die Innenlautsprecher seines Anzugs nicht mehr. Er hörte gar nichts. Irgend jemand rief mit aufgeregter Stimme nach ihm und der TRAGEDY. * Drei Stunden brauchten die Suchkommandos, bis sie den Impuls des Wracks gefunden und den Metallschrott eingepeilt hatten. Dazu kam, daß das Wrack einigermaßen gut gegen Sicht aus der Luft versteckt zwischen den Felsen stand. Zwei Space‐Jets landeten auf der zerwühlten Fläche aus Sand, die an einigen Stellen von der Glutwolke leichte Spuren von glasartiger Schmelze erkennen ließ. Über dem Gebiet, in dem die TRAGEDY stand, erhob sich gerade wieder die dunkle Kugel der roten Sonne Junk. Eine der ersten Personen, die aus der nächstgelandeten Jet stiegen, war eine Frau, deren blaugraues Haar durch die Sichtscheibe zu erkennen war. Thala Sonnersy winkte und rief über Funk: »Ich habe die Jet gefunden. Aber es sieht schaurig aus.« »Wir kommen. Gefahr?« »Ich denke nicht. Es ist unnatürlich ruhig.« Zuerst fanden sie die Leichen der beiden Hyperingenieure, dann Dafne Joss, schließlich, nur fünfzehn Meter von der staubbedeckten
Rampe entfernt, Tauter Flock. Zuerst schwieg Thala, dann schrie sie laut: »Tauter! Ich habe es geahnt! Breck hat ihn umgebracht – oder es haben sich Dramen abgespielt. Melde dich, High Sideryt! Wo bist du?« Sie kniete neben dem Leichnam in den Sand, betrachtete schluchzend das Gesicht ihres Bekannten, und als sie sich wieder aufrichtete, ließ sie erkennen, daß auch ihr der Ausdruck des Wahnsinns in seinem Gesicht aufgefallen war. Roboter transportierten die Leichen in die Space‐Jets zurück. Aus zwei Richtungen näherten sich die Gruppen des Suchkommandos. Sie fanden Breckcrown Hayes in tiefer Bewußtlosigkeit, in Embryonalhaltung in einem Winkel des Wracks zusammengerollt. Die Sichtscheibe des Helmes war hochgeklappt. Breck sah grauenerregend aus; der kurze Moment, in dem ihn die Flut der Strahlung getroffen hatte, schien sein Gesicht verwüstet zu haben. Er erwachte erst wieder an Bord des Bergungsschiffs, als sich zwei Medorobots um ihn kümmerten. Wer hatte Ultra auf den Weg gebracht? Würde Breckcrown überleben – und wenn, waren seine Schäden nur körperlich, oder hatte auch sein Verstand ernsthaft gelitten? Zahllose Fragen bewegten die Solaner. Zelenzo schaltete sich wieder in die Kommunikation ein und erklärte hohnlachend, daß es Atlan gewesen sei, der für diesen chaotischen Rettungsversuch und die Opfer erwiesenermaßen verantwortlich sei. Als Thala Sonnersy bereits wieder im Apartment ihrer Familie war, gab SENECA durch, daß eine Space‐Jet durch den Nabel gekommen sei, eindeutig auf die SOL zusteuerte und sich über Funk gemeldet hatte. Ihr Mann, Brons, war am Funkgerät, und er forderte erregt die Führung der SOL auf, augenblicklich Atlan und der MJAILAM zu Hilfe zu eilen. Atlan war auf das Höchste gefährdet, und mit ihm alle seine Freunde, die diesen Einsatz mitgemacht hatten.
Die SOL müsse Hilfe in die Namenlose Zone entsenden. Höchste Eile war geboten. ENDE Von der SOL, die alle Mühe hat, sich dem gezielten Angriff des Zwergsterns zu entziehen, blenden wir um zur MJAILAM. Beim Versuch, durch den »Nabel« zur SOL zurückzukehren, scheitert Atlans Expeditionsraumschiff. Ort der Notlandung wird der PLANETOID DES SCHRECKENS … PLANETOID DES SCHRECKENS – unter diesem Titel erscheint auch Atlan‐Band 658. Autor des Romans ist Horst Hoffmann.