John Barnes Orbitale Resonanz Roman Aus dem Amerikanischen von Martin Gilbert
KAPITEL EINS ...
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John Barnes Orbitale Resonanz Roman Aus dem Amerikanischen von Martin Gilbert
KAPITEL EINS ...............................................................
8. DEZEMBER 2025 Dr. Lovell bescheinigt mir schriftstellerisches Talent: also muß ich an diesem blöden Wettbewerb teilnehmen und habe dadurch noch ein paar Stunden mehr am Hals -; und in nicht einmal einem halben Jahr steht die Erwachsenen-Abschlußprüfung an. Die Leute von der Kultusbehörde glaubten, die Kinder von der Erde würden sich für das Leben im Welt raum interessieren, und deshalb haben sie diesen Spezial wettbewerb für uns anberaumt, der in den Schiffen, Häfen und Stationen stattfindet. Das ist natürlich nichts Neues für euch, liebe Leser; vielleicht wird dieser erste Absatz deshalb auch gestrichen. Ich hasse das - bei der Vorstellung, daß man meine Arbeit zusammenstreicht ohne vorher mit mir Rücksprache zu halten, möchte ich die Schriftstellerei am liebsten gleich wieder aufgeben. Wie dem auch sei, mein Name ist Melpomene Murray; ich bin dreizehn Erdenjahre alt und lebe auf dem Fliegenden Holländer, wo ich auch geboren wurde. Ich habe bereits achteinhalb Orbits hinter mir, die auf dem Fliegenden Hol länder als >Jahre< bezeichnet werden; weil sie aber unter schiedlich lang sind, werden sie doch nicht für die Zeit rechnung verwendet, wie ihr das mit den Erdenjahren tut. Vielleicht sollte ich einfach die >Liste mit nützlichen Fakten< transkribieren, die man uns vor dem Auftrag gege ben hat. Das wäre sicher so langweilig, daß ich beim Wett bewerb nicht vorrücken würde und etwas Neues schreiben müßte:
Wie die vier anderen Schiffe im Besitz der Nibon America, ist auch der Fliegende Holländer ein eingefan gener Aste-roid. Der Asteroid mit der ursprünglichen Bezeichnung Inoueia 1996 YT wurde im Jahr 2008 eingefangen; im Jahr 2011 ging die Besatzung an Bord, aber die Arbeiten sind noch längst nicht abgeschlossen. Der Fliegende Holländer hat eine Stammbesatzung von sieben tausendzweihundert Personen. Im Vojahr hatte sie noch bei achttausend gelegen, aber seitdem sind viele ältere Leute von Bord gegangen. Sechstausendsiebenhundert Menschen sind jünger als zwanzig Jahre, und sechstausendvierhundert sind im Schiff geboren worden. Die gesamte Besatzung belegt weniger als ein Prozent des nutzbaren Volumens des Schiffs. Wenn die Laderäume im Jahr 2059 fertiggestellt sind, werden sie ein Fassungsvermögen von über drei Kubikkilometern haben. Unser Orbit wird ständig moduliert - das heißt, die Trieb werke laufen immer und beschleunigen und verlangsamen uns abwechselnd -, so daß das Aphel immer in der Nähe des Mars liegt und das Perihel immer in der Nähe der Erde. Für den Antrieb des Schiffs sind acht MAM-Reaktoren mit einer Gesamtleistung von dreißigtausend Terawatt zuständig. Shit. Ich halte es nicht mehr aus. Ich streiche das später und mache erst mal weiter. Ich langweile mich schon selbst, und bis Freitag muß ich mindestens zwanzigtausend Bytes abgeliefert haben. Außer dem besagt die >Liste nützlicher FaktenPummel chen< genannt -, so ist doch niemand wirklich dick. Zum zweiten: das erste, was er an diesem Morgen tat, war, Randy Schwartz in Individueller Mathematik den Rang abzulaufen. Das war wirklich spaßig - Randy war seit fast einem Jahr Klassenbester in diesem Fach, und es ging eine regelrechte Schockwelle von ihm aus, als Dr. Niwara die Noten verlas. Zum dritten, und das war das eigentliche Problem, stammte Theophilus von der Erde.
Nicht, daß ihr jetzt glaubt, ich hätte etwas gegen die Men schen von der Erde, aber manchmal sind sie wirklich ätzend - zumindest die buroniki, corporados und plutocks, die während der einen Woche, die wir im Perihel stehen, hier heraufkommen. Sie führen sich immer auf, als ob sie sich auf einer Ausstellung befänden: »Ist es nicht erstaunlich, wie die Schwerkraft sich ständig verändert?« (Das tut sie überhaupt nicht, denn sie entspricht immer der Beschleuni gung des Schiffs im Hauptkörper und der Zentrifugalkraft im Pilz. Es hätte mich eher gewundert, wenn die Schwer kraft immer konstant geblieben wäre.) Auch die jugendlichen Touristen haben von nichts eine Ahnung. Theophilus traute ich jedoch etwas mehr zu, weil er Siedler und kein Tourist war, und bevor man hier hochkommt, muß man eine mindestens einjährige Intensivausbildung absol-vieren, um Anschluß an seinen Geburtsjahrgang zu finden; hier wird man nämlich schon im Alter von drei Jahren eingeschult, und der Jahresunterricht umfaßt 250 Tage mit jeweils zehn Stunden. (Diese Zahlen habe ich auch aus der >Liste nützlicher Faktenalt aussehen lassenoffensichtlich< beginnen.«
»Und nun«, sagte Miriam, »nähert sich ein chaotischer Prozeß der völligen Auflösung.« Theophilus hatte jetzt völlig die Bodenhaftung verloren und griff hektisch nach dem Handlauf, um sich daran festzuhalten. Er rumste gegen die Wand und das Geländer, bevor er sich wieder in die richtige Position brachte. So ging das den ganzen Weg bis zur Luftsporthalle. Diese befindet sich in der Nähe des Pilzzentrums, wo die Gravitation ungefähr ein zwanzigstel Gravo beträgt - noch immer viel höher als im Hauptkörper, aber viel niedriger als in den Klassenzimmern. Es hatte den Anschein, daß er zumindest ein wenig Weltraumerfahrung besaß; vielleicht hatte er reiche Eltern, die ihn auf die Spielplätze von Supra New York oder Supra Tokio geschickt hatten. Auf jeden Fall beherrschte er das Glideboard halbwegs, wenn er auch kaum beschleunigte und die Wände mied, die am meisten Spaß machen; er mußte die Füße in die Schlaufen haken und sich an den weenie-Leinen festhalten. Gerade schickte der Computer mir ein Memo und wies mich darauf hin, daß ihr sicher nicht wißt was eine weenieLeine ist, weil es auf der Erde nämlich keine Luftsporthallen gibt. Gut, also werde ich es erklären: eine Luftsporthalle ist ein schüsselförmiger Raum mit einem Basisdurchmesser von dreißig Metern. Der Boden ist in Abständen von vielleicht einem halben Zentimeter mit kleinen Löchern perforiert, aus denen Preßluft austritt, und man flitzt einen Zentimeter über dem Boden auf einem Glideboard umher: dieses Glideboard besteht aus Fiberglas von der Stärke eines Blatts Papier und ist einen Meter lang und dreißig Zentimeter breit. Es gibt zwei Schlaufen für die Füße, aber die meisten haken nur den linken Fuß ein, so daß sie mit dem rechten diverse Kunststückchen vollführen können, und für die absoluten
Flaschen gibt es dann noch die weenie-Leine, die an der Spitze des Bretts befestigt ist. Am anderen Ende ist ein Ring, an dem man sich festhält, um die Balance zu halten. Die meisten schneiden die weenie-Leine ab, wenn sie sechs sind. Ich hoffe, daß ich den Computer damit zufriedengestellt und euch hinreichend aufgeklärt habe, und ich hoffe wirklich, daß ich jetzt weitermachen kann. Weil ich endlich fertig werden will. Weil ich das Buch von vornherein nicht schrei-ben wollte. (Das wird später dann gestrichen.) Also zischten wir in der Halle umher, machten Rennen und Spiele, und Theophilus versuchte mitzuhalten, aber entwe der war er zu langsam, um die Wand hinaufzukommen, oder er bewegte sich nur vor und zurück und war den anderen bloß im Weg. Ein paar Mal überschlug er sich, weil er sich zu fest abgestoßen hatte, und flog mit dem Gesicht auf den Boden - nicht fest, weil er ziemlich langsam war, aber jedesmal schauten alle hin. »Melpomene.« Miriam ging längsseits. Sie betonte die zweite Silbe immer dann, wenn sie mir Vorhaltungen ma chen wollte. »Du bewegst dich ja gar nicht, sondern klebst an der Wand wie ein Erdschwein.« Sie sagte es gerade so laut, daß Theophilus es auch mitbekam; er überhörte es jedoch. Das machte mich wütend, und ich zog mich von Miriam zurück - ich schoß die Wand hinauf, schlug eine Rolle rückwärts durch den Raum und erreichte mit einem Wirbel die gegenüberliegende Wand. Beim Versuch, mir zu folgen, scheiterte Miriam wie gewöhnlich, wobei ihr Brett von der Wand abprallte und sie rotierend in die Mitte der Kammer driftete; dann sank sie langsam zu Boden. »Okay, Mel, es tut mir leid.« Ich haßte es, wenn man mich Mel nannte - auch heute noch. Es war fast so schlimm wie die >Mellyunzureichend an das soziale Neokonstrukt adoptiert istfast