ERNST F. LÖHNDORF F
OLD JAMAICA RUM Historischer Roman
ex libris
KAPTAIN STELZBEIN 2010
L I N G E N V E R L A G - K...
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ERNST F. LÖHNDORF F
OLD JAMAICA RUM Historischer Roman
ex libris
KAPTAIN STELZBEIN 2010
L I N G E N V E R L A G - KÖL N
Anlage: Schutzumschlag (Doppelklick auf das Buch)
VORWORT In Deutschland war man bisher wenig oder nur unzureichend über die wahren Geschehnisse, die in diesem Buch erzählt werden, informiert. Dabei handelt es sich wirklich um keine alltäglichen Dinge, sondern um Taten, die an die besten Romanzen von R. L. Stevenson erinnern - mit dem Unterschied, daß sie buchstäblich wahr sind. Von einer Reihe kunterbunt zusammengewürfelter Außenseiter: Abenteurer, Bukanier, Piraten, Gelehrter und Seefahrer französischer, holländischer, britischer und dänischer Nation, wurde während eines ganzen, sowieso erstaunlichen Jahrhunderts fast zehn Jahrzehnte lang auf der blauen tropischen »Main« und den edelsteinbunten Inseln des heutigen Westindien richtige, bis in unsere Epoche nachwirkende Weltgeschichte gemacht! Was diese Männer damals leisteten, ist gewiß ebenso großartig wie die Taten der von uns bestaunten spanischen Konquistadoren, die übrigens auch nicht alle nur sanfte Lämmlein waren. Alle in diesem bunten, vom Pulsschlag der blauen See und dem Rascheln der Kokospalmen durchwehten Werk erwähnten Figuren sind keine Geschöpfe der allzu blühenden Phantasie eines Tropendichters, sondern sie haben wirklich gelebt. Gelebt hat zum Beispiel der biedere Pierre Legrand, der auf hoher See mit achtundzwanzig Mann aus seinem Ruderboot heraus eine riesige goldgefüllte spanische Galeone enterte. Gelebt hat der galante Sieur Ravenau de Lussan, der »Versaillespirat«, auch die Gestalt des Laurent, des Levasseur, eines William Dampier, Penn,Venables, Mansfield, Henry Morgan, Rock Brasiliano, Esquemelin und andere sind nicht frei erfunden; ebensowenig wie ihre Taten. Es war ein erstaunliches Kapitel der Weltgeschichte,bunter und abenteuerlicher als die tollste Phantasie. Der Verfasser
HISPANIOLA . . . Aus kobaltblauem, dort wo Riffe und Sandbänke tückisch lauern, smaragdenem oder jadegrünem Ozean stoßen Ketten inund übereinandergeschachtelter, riesiger brauner, violetter, rötlicher Berge in das seidige Türkis des Tropenhimmels. Haiti! - oder mit dem romantischen Namen aus jenen schrecklich schönen Zeiten, als John Silvers Stelzbein über die ausgedörrten Planken klapperte, sein struppiger Papagei unermüdlich »Pieces of eight! Pieces of eight!« kreischte, bezopfte mahagonibraune britische, holländische und französische Tars, die goldenen Ringe in den Ohrläppchen baumeln hatten, zum »Klickklack« des Gangspills heiser das Lied von den »Fünfzehn Mann auf des Toten Kiste und yoho und 'ne Pulle Rum« grölten: die Insel Hispaniola! In der kurzen, traumschnell vom Licht zum Dunkel hinübergleitenden Abenddämmerung plätschern und klatschen die Wogen ihr melancholisches Lied oder brüllen es laut, wenn der Orkan mit seinen schwarzen Wolkentürmen, über die sich das bläuliche Astwerk der Blitze breitet, einherrast. Hispaniola fließt, gleich einem verzerrten Riesenkamm in hitzezitternden, flimmernden Dünsten auf der Kimm schwankend, zusammen und wieder auseinander. Unaufhörlich! Und es ist, als ob die Schatten stolzer dreideckiger Schatzgaleonen, raubvogelartiger Piratensegler und »Flieboots«, menschenbeladener, waffenblitzender Enterboote, und von braunen Indios gepaddelter Piraguas über das verzauberte Meer huschten! Es ist, als ob die Geister der Ermordeten, der im Kampf Gefallenen, am Fieber Krepierten und am Suff Zugrundegegangenen aus kühlen Fluten emportauchten und ihr altes Dasein in sekundenschneller, bunter Phantasmagorie abermals durchlebten! Noch einmal flammt es im Westen auf. Grelle Feuer, blutiges 7
Rot, giftiges Grün und loderndes Gelb, durchtaumeln die sinkende Sonne und stürzen sich dann in den kühlen Ozean. Es wird still und friedlich über den befreit aufseufzenden Wassern. Die zarte köstlichblaue Schale der Nacht wölbt sich über den Horizont. Die Sterne der Tropen bohren sich in den schwarzen Samt, und es ist, als fielen sie herab, blitzend und kreisend, um plötzlich ganz tief hängenzubleiben. Und dahinter zieht's sich gleich Silberstaub und Goldpuder in gewundenen Arabesken durch die Bläue. Des Mondes Barke schwebt über der See. Die Insel Hispaniola und das nördlicher liegende felsige Tortuga verwandeln sich in schwarze, von sprühendem Licht umflossene Scherenschnitte eines Märchenspiels. Während der stille Nachtzauber über der See milde streichelnd sich ergießt und Myriaden Infusorien die dunkle Tiefe in grünleuchtenden Bändern durchgaukeln, schauern die Palmen am Strand in der Brise leise zusammen. Ihre spitzen, harten, befiederten, lackglänzenden Wedel knistern leise, und es ist, als ob längst verklungene Stimmen vorüberwehten. Stimmen, deren Besitzer einst im roten Golde wühlten und weinesschwer im Chor grölten: »Westward ho! And Rum below! At the Don's we'll go! Yoho, blow the Main down!« . . . Und andere Stimmen flüsterten aus dem dunklen Gebirge, den dunklen Wäldern, den vom Silberspeerlichte des Mondscheins durchstochenen Büschen der Gärten. Flüchtige Tritte enteilen, leise Wehrufe zittern, und das grauenvolle Röcheln der großen, auf der Menschenjagd dahintrabenden, längst vermoderten Bluthunde stört gespenstisch die Stille . . . Plötzlich ertönt ein Summen fern überm Meer. Wird zum musikalischen Dröhnen und sieghaften Orgeln, das die Luft in Schwingungen versetzt. Das Flugboot von Jamaika kommt heran, schwebt mit abgedrosselten Motoren im Gleitflug nach 8
unten, wassert - und aller Spuk vergangener Jahrhunderte hat sich, gleich einer schillernden Seifenblase platzend, im Nu verflüchtigt. Ruhig breitet die geheimnisvoll schöne Tropenwelt ihren weich strahlenden Frieden über den einstigen Schauplatz wildromantischer Taten. Taten von gestern! Taten erfüllt von Blut und Tod, aber auch solche, die zart wie poetische Träume waren. Man kann es fast nicht glauben, daß es diese Gegend ist, die »Spanish Main«, wie die alten englischen Seefahrer den westindischen Archipel nannten, über die im Jahre 1604 der damalige venezianische Gesandte in London folgenden Bericht an die Regierung seiner Republik schickte: »In Westindien eroberten die Spanier zwei Schiffe, schnitten den Matrosen die Hände, Füße, Nasen und Ohren ab, schmierten sie mit Sirup ein und fesselten sie an Bäume, um sie von Moskitos und anderem Ungeziefer quälen zu lassen . . .« Welch reicher schriftstellerischer Stoff liegt allein in diesen prosaisch brutalen Worten! Kosend schmiegen sich die kleinen Wellen der Spanischen Main gegen glitzernde, krabbenwimmelnde Sandgürtel. Sprühen in weißschäumenden Brechern gegen nackte, schwarzglänzende, triefende Steilküsten und baden die Wurzeln einzelner kühner Kokospalmen. Im Bananenhain rauscht zärtlich der Wind durch die prächtigen, zerschlissenen Riesenblätter. Millionen Zikaden singen ekstatisch ihr schrill metallisches und doch süßes Naturlied. Schwere Düfte von feuchtem, sattem Erdreich und von unsichtbaren Blumen zittern in der Luft. Über der Stadt untermalt sich der Himmel rosenrot, Lichtpünktchen aus Hütten und Villen an den Hängen winden den Bergen blitzende Diademe und Diamantschnüre um die Stirn. Eine Gitarre klimpert irgendwo zum todestraurigen Negersong. Brünstig schreit ein Esel. Streichelndes Summen naht, und erstirbt wieder mit den fächerförmig aufblitzenden Scheinwerfern eines Autos auf weißer Landstraße. Draußen in der Bucht pustet ein einsamer, abenteuernder Wal, Boniten sausen als grünumloderte Spindeln aus dem Wasser und klatschen ins Meer zurück. 9
Ein großer Dampfer mit drei Reihen übereinanderliegender rötlicher Bullaugen fährt weit draußen vorüber. Gleich dem Drachen einer chinesischen Traumszene auf gemaltem Ozean! Meine Pfeife brennt, und einschläfernd wirkt das Aroma des honigfermentierten Tabaks. Und so sitze ich und rauche. Oben leuchten die Gestirne. Schnuppen fallen in sanften Bogen zur Erde. Hinter mir geht manchmal, von kaum merklichem Windhauch, ein zärtliches Geflüster durch die Haine. Blumenduft und salzigfauler Strandgeruch umklammern mich. Und zu meinen Füßen raunen unermüdlich die Meereswellen. Habe ich nicht schon einmal gelebt unter diesem funkelnden Tropenhimmel? Lang, lang ist's her! Long long ago, als die Piraten das wilde Lied von Rum und gelbem Fieber sangen, als die spanischen Schatzgaleonen, beladen mit Silber und Gold und köstlichen Gewürzen, ihren gefährlichen Kurs über die spanische Main segelten . . . Die Wellen rufen mir's zu, die Wellen erzählen und plaudern davon, die Sterne blitzen es in silberner Schrift, und alle Geräusche, die da in der Nacht verborgen leben, wispern mir's zu. Auf der glatten Fläche der Bucht aber sehe ich im Geiste die Taten früherer Generationen an mir vorüberziehen. Und so will ich euch erzählen, was das Wasser mir zugerauscht, was die Palmen bebten, die Gestirne am Himmel schnörkelten und der Meeresspiegel - gleich der Kristallkugel des Hellsehers mir zeigte: »Yoho, blow the Main down!«
INTERMEZZO » . . . he, das lügst du in deinen dreckigen Bart hinein, sacre goddam!« schrillt es, und ebenso plötzlich dröhnt der antwortende tiefe Baß: »Und ich will dir die Lüge mit zehn Zoll Eisen in die Gurgel zurückjagen, du Sohn eines Haifisches!« Füße scharren, Schemel poltern. Dumpf fällt ein gefüllter Zinnkrug um. Der rotschillernde Inhalt kriecht dickflüssig über den Tisch, tropft langsam und zäh auf den Boden. 10
Alle sind wir aufgesprungen und umdrängen die beiden Streithähne, die friedlich beisammengesessen und jetzt ihre spanischen Raufdegen gezogen haben. Barbassou, Wirt und Händler in einer Person, schiebt sich gewichtig in den Vordergrund. Der Zipfel der rotseidenen Nachtmütze, ohne die er noch nie gesehen wurde, baumelt ihm auf die eckige Schulter. Im dunklen, lederartigen Gesicht glitzern die tiefliegenden Augen, während er böse raspelt: »Schert euch raus, wenn ihr euch umbringen wollt! Denkt an unsere Statuten!« Der mit der Baßstimme reckt seine kleine, breite Gestalt und lüpft sich am Hosenbund. »Das mußt du schon uns überlassen, Bruder Barbassou! - Ich täte dir ja liebend gern den Gefallen, aber draußen ist's wahrhaftig zu finster!« »Und wenn du etwa glaubst, daß ich warte, bis die Sonne aufgeht, so bist du doppelt und dreifach ein Lügner!« keift beinahe hysterisch der andere, ein semmelblonder, stoppelbärtiger Kerl mit blassen Fischaugen, dessen elegantes Rapier seltsam von der Bukaniertracht absticht. »Versöhnt euch im Herrn, meine Lieben!« will der fromme Pierre, der täglich mehrmals betet und auch Predigten vom Stapel läßt, vermitteln. »Laß sie, laß sie, Barbassou, altes Faß! Sie sollen's aber rasch austragen, denn ich möchte weiterwürfeln. Hätte gewiß viermal sechs Augen geworfen, aber da haben die Dummköpfe den Becher umgeschmissen!« grollte einer aus dem Haufen, sekundiert von Beifallsgegrunze. Eine kleine Affäre! Mein Gott, das kommt sehr häufig auf Tortuga vor. An plötzlichen gewaltsamen Tod sind die Männer gewöhnt und sehen ihm als etwas Natürlichem entgegen. Ob an Land oder auf den Wogen der Main - egal - aber wenn möglich, nicht in den Quemaderos der Spanischen Inquisition! »Auf dem Tisch wird's wohl am schnellsten vonstatten gehn! Wir fechten, bis einer genug hat oder wenigstens herunterpurzelt !« dröhnt doppelsinnig die Baßstimme. »Und fair play! Fair play, ihr Männer!« schrillt der Semmelblonde, der nicht sonderlich große Sympathien genießt. 11
Rasch ist die Tischplatte von hindernden Gegenständen geräumt. Beide Kämpfer springen auf die erhöhte Arena. Und kreuzen die Degen. »Barbassou, gib du das Zeichen!« Barbassou nickt gelassen. Es ist lähmend still geworden. Als ob Natur und Kreatur den Atem anhielten, um auf den eigenen pochenden Herzschlag zu lauschen. Eine Stille, die bestimmt nur meine Ohren schlug, denn langsam erst, dann immer rascher und voller lösen sich die Geräusche aus der Luft, und ich höre wieder: das ferne Rauschen der Brandung und noch weiter weg kurzes Rindergebrüll. Dazu das schnelle Atmen der Männer und das Brutzeln saftiger Steaks in Barbassous großer Kupferpfanne. Auch Zischen und Knallen von brennenden Scheiten. Und deutlich gluckst es, als ein Bukanier seinen Humpen leert . . . Und nun Barbassous leidenschaftslose Worte: »Fertig? Eins, zwei - los!« Klirrend gleiten die dünnen Klingen aneinander vorbei. Und Degenkorb schmettert gegen Degenkorb. Der Semmelblonde ist durch den Ruck beinahe vom Tisch gestürzt. Vielleicht wäre es besser für ihn gewesen, denn dann . . . Der Tisch bietet einen engbeschränkten Kampfraum. Und da beide Streiter sichtlich von Punktilios und anderen Finten keine Ahnung haben, sondern einfach wie wütende Bullen aufeinander losstochern, so kann dieser so merkwürdig ausgetragene Ehrenhandel nicht sehr lange dauern. Jeder bietet, da keiner recht ausweichen oder gar zurückspringen kann, dem andern ein zu gutes Ziel. Sie werden sich gegenseitig umbringen! Schade, der Breitschultrige mit dem schwarzen Bart ist ein netter Bursche! denke ich und stopfe vorsichtig die zerbrechliche holländische Tonpfeife. Abermals klirrt es, Keuchen und Schmettern, das auf- und abschwillt, langsam oder rasend schnell, und dann kommt das befreite »Ah!« aus dem Zuschauerkreis. Ich lasse die glühende Holzkohle, die ich eben auf den Tabak legen wollte, fallen. Denn alle haben wir's gesehen! Der Semmelblonde hat den Degen des andern tief in der Kehle sitzen. Er knickt halb zusammen, seine 12
konvulsivisch nach der tückischen Klinge greifenden Hände erhaschen sie, klammern sich darum, nun öffnen sich die kraftlosen Finger wieder. Und er plumpst schwer auf den Boden. Phlegmatisch steigt der Schwarzbart vom Tisch, putzt die Waffe an den Kleidern des andern ab, der reglos und stumm, nach einigen wenigen Zuckungen, in einer immer größer werdenden Blutlache liegt. Stößt die Klinge in die Scheide. Spricht: »Barbassou, einen Rum zur Herzstärkung, if you please!« Der Bann, der über der Scene gelegen hat, ist zerbrochen. Stimmen schwirren fluchend und lachend, staunend, drohend und beglückwünschend durcheinander. Von vielen Seiten wird dem Sieger zugetrunken. Er leert einen ihm entgegengehaltenen Humpen, streckt dann die Hand nach dem Rumglas aus und sagt mit gemütlicher Entschuldigung: »Wißt ihr, ich bin ja ein großer Halunke, wie fast alle von uns, aber mit Absicht habe ich noch nie gelogen!« Eintönig murmelt Pierre, der bei dem Getöteten kniet, Gebete. Barbassous Negersklaven streuen weißen Sand auf die dunkle Lache und schleppen die Leiche hinaus, um sie - »aber ja nicht zu dicht an den Hütten!« schärft Barbassou ihnen ein - zu vergraben. Pierre folgt ihnen. Und das bunte Lebensrad, an dessen Speichen alle Menschen sich krampfhaft festhalten, um dennoch eines Tages unweigerlich ins sogenannte Nichts hinausgeschleudert zu werden, dreht sich weiter. Immer weiter . . . TORTUGA-BILDER »Wir lagen vor Port Royal Und hatten Gelbfieber an Bord! Yoho, blow the Main down!« brüllen nun wieder die Bukanier, verwilderten Pflanzer und ehrlichen Seeräuber in Barbassous toller Kneipe ihren Chor. Zinnhumpen und große grüne Glaspokale wurden von braunen sehnigen Fäusten umklammert, hochgeschwungen, und rot gießt 13
sich der starke Spanierwein in ausgedörrte, immerdurstige Kehlen. Einige Pokale aus getriebenem Silber oder Gold fangen die Lichtstrahlen der von der räucherigen Decke hängenden, einst auf spanischen Schiffen benutzten eisernen plumpen Laternen, in denen dicke Wachskerzen brennen. Goldrotgolden, mit einem darin eingewirkten St. Jago, drapiert ein erobertes Banner seine leuchtende Pracht über dem Kamin. Unwirklich, bizarr, ein buntfarbenes, von harten Schlaglichtern überzacktes und violetten warmen Schatten getöntes Gemälde, wie es keine Phantasie auf die Leinwand zaubern könnte: so sieht's in Barbassous Laden allabendlich und oft auch am Tage aus. Ein bewegliches, leidenschaftliches, Tod und Leben in sich bergendes, schillerndes, jetzt aufflammendes, dann in dunklen, satten Tönen halberlöschendes und abermals in grellen Tinten blitzendes Bild! Das ich nun seit Monaten sehe und in dem ich selber mitspiele und das mich in kaleidoskopischer Fülle wie mit tausend unsichtbaren Fesseln an dieses wunderbar freie, sorglose Dasein schmiedet. Da sitzen wir: die Ausgestoßenen, die kühnen Abenteurer und Glücksritter, die Enttäuschten und in der Zivilisation zu Unrecht Bestraften, untermischt mit einzelnen Berufsmördern, Dieben, Fälschern und sonstigem Gelichter aus fast allen europäischen Nationen, denen sich zugesellten: herkulische Neger, ewig fröhlich das Weiße ihrer Augäpfel rollend, ewig mit tanzender Energie geladen, ewig bereit, die schwerste körperliche Arbeit auszuführen. Und Mulatten, deren Haut einen Stich ins Grünliche hat, goldbraune Indios mit sanften Tieraugen, Sambos und elfenbeinfarbene Quadronen und Oktronen. Da sitzen wir um die schwergezimmerten Tische auf den Bänken und singen oder erzählen, rauchen das köstliche Kraut Tobago und trinken, töten manchmal einander und trinken weiter. Dicken, sämigen Malaga, der als Nachgeschmack teuflisches Kopfweh spendet; herben Xeres und topasgelben sirupsüßen Taragona. Weine, die mit Blut bezahlt, von spanischen Galeonen und Transportern auf tropischer See oder aus den weißen 14
schimmernden Siedlungen der Spanier auf Hispaniola unter Einsatz des Lebens und nur selten im Tauschhandel erworben werden. - Trinken auch schäumend moussierenden Kokostoddy oder den kühlenden Pflanzensaft »Sangaree« und nippen alten, wunderlieblich duftenden oder auch jungen, selbstdestillierten und die Kehle versengenden, penetrant stinkenden Rum. Trinken! - Der eine viel, der andere wenig, ja, es gibt unter uns, die wir wohl die seltsamste Gesellschaft der Welt darstellen, sogar strikte Nichtalkoholiker! Ebenso wie wir Künstler, Gelehrte und sogar abtrünnige Geistliche in unsern Bukanierreihen haben. Doch davon später . . . Die bei der Rinderjagd und dem Fleischtrocknen buchstäblich und absichtlich in Tierblut getauchten und als eine Art Uniform von vielen Küstenbrüdern mit Stolz getragenen Segeltuchhosen und -hemden glänzen stumpf in rostbraunen und schwärzlichen Schattierungen. Sie knistern wie steife Papprüstungen, wenn ihre Träger sich jäh bewegen. Andere, besonders der ständig zur See fahrende Teil von uns, gefallen sich teilweise in hohen, gelben Stulpenstiefeln, spanischen Halskrausen, geschlitzten, bunt mit Seide gefütterten Wämsern mit Puff ärmeln. Andere wieder laufen halbnackt. Von phantastischen Hüten trauern verraufte, geknickte Straußenfedern, an hornigen Fingern schimmern matte breite Reifen, in denen die Schmucksteine gleich roten, grünen, blauen und violetten Augen aufglühn. Blitzend schaukeln große flache oder kleine rundliche Ringe von den Ohren bärtiger Männer. Manch einem hängt an dicker, prahlerischer Goldkette eine Schaumünze um oder die auf Elfenbein gemalte Miniatur einer schönen Frau, die in Ohnmacht fallen würde, wenn sie wüßte, an wessen breite, haarige Brust das Schicksal ihr zartes Konterfei schleuderte . . . Es sind auch wahre Dandys unter uns, parfümiert und geschniegelt; gespornt, mit mächtigen Perücken, stolzieren sie einher. Und Duellanten, stets auf der Lauer nach einem Opfer, wandern gespreizt unter Palmen und zwischen Bananenbüschen, als wären sie an den Taxushecken und regenbogenschimmernden Wasser15
künsten von Versailles. Es gibt auch welche, die aus irgendeinem Grunde sich geschworen haben, nie wieder eine Frau anzurühren! Auch haben wir tieffromme Männer unter uns, und Männer, die den ganzen Tag die Fauna und Flora studieren, oder vor Schiffskarten sitzen, Sternkarten zeichnen oder mit dem Jakobsstab astronomische Berechnungen machen. - Und Poeten haben wir, die unsere Lieder dichten, und Handwerker und Pflanzer - alles Männer, denen entweder daheim etwas schief ging oder die dem Rufe »Westward ho« nicht standhalten konnten. Und alle, alle, auch die größten Puritaner - ich weiß nicht, wie es jeder mit seinem Gewissen abmacht - sind die eisernsten, unverwüstlichsten Kerle der Welt und bilden unter dem Namen Bukanier, Flibustier oder Brüder der Küste einen losen, halb auf See, halb auf dem Land lebenden, ewig den Spaniern Abbruch tuenden Männerstaat. Natürlich gibt's Frauen unter uns, meist Mestizinnen oder Sambomädels, hübsche, aber verlotterte Geschöpfe mit kecken Liedern, provozierenden Tänzen und unersättlichen Gurgeln. Mit goldenen Ketten und Geschmeiden pfauenartig beladen, leisten sie dem, der mag, Gesellschaft. Das ist Tortuga, der Staat, in dem Gesetzlose sich ihre Gesetze schufen, der Staat, dessen bloße Erwähnung bei den Spaniern dazu dient, ihre unartigen Kinder mäuschenstill und brav zu machen . . . »Westward ho! At the Don's we'll go And rum below, yoho! . . .« Draußen, gleichsam von der breiten weitoffenen Tür eingerahmt, stehen schlanke Palmen mit spitzen, gefiederten Wedeln und struppigen Kronen. Tanzt der phosphoreszierende Reigen der Feuerfliegen und Coyucos. Schmeichelt Mondlicht um seidige Blattrispen. Schimmern weiße Blüten gegen tintenblauen Hintergrund. Kämpfen die süßen, betäubenden Düfte der blühenden, leidenschaftlichen Natur mit den aus der Kneipe peitschenden Dünsten von Tabak, Alkohol und Wachslichtern, Ofenbrodem und Patschuli. 16
Welche Trauer- und Lustspiele wären wohl Will' Shakespeare eingefallen, wenn er die tropische Spanische Main, die Inseln Hispaniola, Tortuga, die kühnen Schiffe und deren Männer geschaut hätte . . .?
LE SIEUR ALEXANDRE OLIVIER ESQUEMELIN D'HONFLEUR Im Osten, über gläserner Meeresdünung, wallt es grau, verschwommen an den oberen Rändern, gegen den noch heftig funkelnden Sternenhimmel. Wird heller, färbt sich hellgrün. Gelber und rosiger Schimmer schießt dazwischen. Zauberschnell entwickelt sich alles zu einem karmingoldenen Tumult. Und königlich taucht die nackte, blendende Schulter der Sonne empor, jagt ihre Strahlen über Meer und Inseln, wo eben noch das tiefblaue, silberverzierte Kleid der Nacht geleuchtet und grünliches Fahl geisterte. Und über der Spanischen Main steht in tropischer Schönheit der neue Tag. Indigoblau wogt die See. In den Palmen kreischen Papageien, schwingen sippenweise in bunten Girlanden über grüngefleckte Zuckerrohrfelder, großblättrige Tabakpflanzen, starre Speerbündel der Maisstauden. Fallen tönend zurück, ins aufraschelnde Gefieder der Palmen. Aus Barbassous Laden torkeln singend ein paar Unentwegte, steuern Zickzack nach dem Ufer, wo die schnellen, wendigen, halbgedeckten Longboote, einige holländische, französische, englische Kauffahrer und eine gekaperte, aber nicht mehr segelfähige spanische Galeone ankern. Beiboote gleiten von Bord nach Land. Wie Käfer, die über ein blauseidenes Tuch krabbeln. Aus den Hütten und unter den aus vier Pfählen und einem Dach darüber bestehenden Kochplätzen hervor ringeln Rauchwolken gen Himmel. Versiegen im Goldnetz der Sonne. Es ist heiß, aber der salzige Geschmack des Ozeans und die aufkommende leichte Brise erfrischen. Ah, wie wohl das tut! Wie 17
liebe ich doch den lockenden Ruch der See und den romantischen der Schiffe und den von tausend unerfüllten Träumen vollen, warmen, üppigen Duftatem der Tropen! Drüben liegt Hispaniola: ein abenteuerlich geformter Riesensmaragd, in den einzelne unregelmäßige Facetten aus Saphir, Gold, Karneol und Jaspis eingesprengt sind. Die kleine südliche Vorinsel ruht auf dem Wasser wie ein Amethyst. Aus einer Hütte dringt schon das Getinkel und Schwirren von Gitarrensaiten, eine glockenhelle Frauenstimme singt »La Golondrina«, das alte Lied vom letzten Maurenkönig, als er Granada verlassen mußte . . . Ein schwarzer Sklave hackt einem Huhn, das gewiß zum Frühstück dienen soll, den Kopf ab. Leiser summt nun die Stimme, und plötzlich bleibe ich stehen, denn tiefer, grollender Männerbaß brüllt lauthals los. - Gitarre und Sängerin schweigen. Und Will Forster, der Mann aus Devonshire, der dort in der Hütte wohnt, tobt nach einer fast endlosen Reihe von Flüchen, die selbst bei Tortuga immer wieder Staunen und beinahe Erröten erregen, im Endfurioso: »Und wenn du mich noch einmal mit deinem blutigen Geklimper weckst, so will ich dir das Herz rausgravieren, du verdammte Tochter von einer Negerin und sieben Spaniern!« Schrill lacht die Frau. Eine Kochpfanne klatscht aus der Tür zu Boden. Und ehe die breiten Blätter einer Bananenpflanzung mich umhüllen, höre ich noch die mächtige, wundervolle Stimme Forsters im klagenden Schmelz: »O Darling, du herrliche Frau! O komm in den Garten, dort perlt der Tau! . . .« Forster ist ein toller Bursche. Gewöhnlich sind seine Worte mit unflätigen Flüchen durchsetzt, und auf See, bei Unternehmungen gegen die Dons, wird er - aus dunklen Gründen, über die er sich ausschweigt - zur wütenden verbissenen Bulldogge, die weder Pardon nimmt, noch gibt. Aber - und welcher Zwiespalt in dieser Menschenseele - in geruhsamen Stunden an Land dichtet und 18
komponiert er die zartesten Liebessonette, die ich je gehört habe. . . Seltsam ist dieser Männerstaat Tortuga! Aber was ist eigentlich im Leben preisenswert und schön, wenn nicht das Ausgefallene, Unerhörte? Bin ich doch deswegen hergekommen! Bis ins rauchige, neblige Schottland drang der Nimbus der Tortugamänner, und so lief ich denn dem alten kahlköpfigen Domine davon, dem ich als schlechtbezahlter und noch schlechter gefütterter »Usher« half, dickköpfigen Kindern Lateinisch und des Königs Englisch beizubringen. Lief zur See. Und kam glücklich, nachdem ich zwei Jahre auf einer Fregatte in des »Königs Eigen« gedient, nach mannigfachen Erlebnissen nach Tortuga. Da ich beim Kapern der »Nuestra Señora de las Gracias« - die hernach in Flamman aufging - scheint's leidlich gut dreingeschlagen habe, so darf ich bleiben . . . In einem Zuckerrohrfeld fällen fröhliche Neger unter Aufsicht eines breitschultrigen, mitarbeitenden holländischen Pflanzers mit schweren Messern das rauschend zusammensinkende Caña. Irgendwo grölt jemand nach Rum. »Ho, bring die Buddel, Mercedes!« Ein Musketenschuß knallt dumpf im Gebirg', wo die Jäger hinter verwilderten tückischen Rindern her sind. Stöhnend versiegen die zahllosen Echos. Verwunderlich, wie rasch sich hier unter heißer Sonne alles vermehrt! Wie leidenschaftlich das Leben hier blüht und wächst, und wie leidenschaftlich es stirbt! Da haben die Dons, als sie diese Inseln entdeckten, einige Rinder ausgesetzt, und jetzt sind riesige Herden daraus geworden, die Hunderten und Tausenden Nahrung geben und die Mittel, im Tauschhandel gegen Boucan und Häute die nötige Munition im endlosen Kampf gegen die Spanier zu erwerben. Langsam schreite ich weiter. Bergan. Weiß selber nicht, wohin. Frei, so frei ist der Mensch hier, wie er es in Europa nicht sein kann! Gedanken, denen ich keine rechte Form geben kann, durchkreuzen mein Gehirn. Ob bald wieder eine Fahrt gegen einen spanischen Geleitzug in 19
Aussicht steht? Ich sinne über dickbäuchige Galeonen mit geschnitztem Vorder- und Achterkastell, blutroten, mit Heiligen bemalten Segeln, gewaltigen starren, mit Gold und Silber bestickten Bannern, und denke an Gold- und Silberbarren, goldene Münzen - Acht-Realen-Stücke -, von uns »Pieces of eight« genannt. Grübelnd komme ich auf ein Maniokfeld. Am Rande sitzt auf gefällter Palme ein Mann, der zu den sonderbarsten dieser absonderlichen Küstenbrüder gehört. Schlank, mittelgroß, den sehnigen Leib in schwarzer spanischer Hoftracht, in weißer Halskrause, den schmalen Degen an der Seite. Auf den Knien liegt ihm ein Bündel handlich geschnittener Pergamentblätter. Er schreibt. Neben ihm stehen Tintenkapsel, Streusandbüchse, liegen gespaltene Truthahnkiele. Langsam schaut er hoch. Ein Lächeln überfliegt das gebräunte, spitzbärtige Gesicht, und die grauen Augen leuchten grüßend auf. »Ah, mon vieux Mac, mein Freund! Spaziergang? Poesie treiben oder unglücklich verliebt, wie?« ruft er in dem hauptsächlich spanischen, mit französischen, holländischen und englischen Floskeln verbrämten Idiom, das in der Spanischen Main gangbar ist. »Setz dich!« Eine elegante Handbewegung weist mir einen Platz neben ihm an. Er legt seine Blätter beiseite, nachdem er liebevoll Sand auf die letzten noch feuchten Zeilen gestreut, errät meinen Blick und lacht: »Mais, was willst du? Man muß irgend etwas tun. Zum Plantagenbestellen oder Boucanmachen, tauge ich nicht. Also schreibe ich!« »Hm, was denn nur?« »Ventre Saint gris - wie der gute König Henry, der allen Franzosen nicht nur ein Huhn im Topf gönnte, sondern es ihnen auch verschaffte - in guter Laune zu sagen pflegte. Mordioux! Ich schreibe ein Buch. Das verrückteste und spannendste Buch, das je gedruckt wurde, wenn le Bon Dieu es gestattet, daß ich am Leben bleibe, wieder nach la belle France heimkehre und dort einen Buchhändler finde!« 20
»Ein Buch? Was für ein Buch? Ich verstehe dich nicht, Alexandre Olivier Esquemelin!« »Aus Honfleur! mußt du dazusetzen. Denn dort stand meine Wiege! - Eh bien oder bueno! ein Buch über Hispaniola, Tortuga, Port Royal, über die Bukanier und Piraten oder die Brüder der Küste, wie sie jetzt heißen, und denen wir beide anzugehören die gewiß nicht alltägliche Ehre haben! Ein Werk von dem, was war, was ist und - wie gesagt, wenn es le Bon Dieu erlaubt - von dem, was da kommen wird. Ich habe schon eine ganze Menge geschrieben!« lacht er gut gelaunt. »Oh - das möchte ich auch!« entfährt mir's sehnsüchtig, und ich weiß auf einmal, warum mich so oft halbfertige Gedanken plagen. Schreiben, das ist's . . . Er schlägt sich auf die Knie. »So tue es doch, Confrere! Niemand hindert dich, niemand zensiert dich! Und keiner von den andern wird auf die gleiche Idee kommen, zumal die meisten ja weder lesen noch schreiben können! - Und die Konkurrenz? Meine Person? - Ha, Alexandre Olivier Esquemelin wird es sich leisten können!« »Aber ich verstehe nicht mehr genügend Latein!« »Fichtre, redet der Mann von Latein? Wozu denn, ventre de biche! - Schreib doch, wie dir der Schnabel gewachsen ist, mein Alter!« »Also in des Königs Englisch?« »Vraiment, caramba! Wir sind auf Tortuga und nicht in London, Edinburgh oder an der Sorbonne! Und wenn unsere Bücher jemals beendet werden sollten . . . bis dahin, dünkt mich, wird man vielleicht schon mehr in den Sprachen, die das Volk redet, drucken und weniger in Latein!« »Beim heiligen Dunstan, das will ich tun, das ist vortrefflich!« »Natürlich! - Und nun wollen wir an des Leibes Notdurft denken!« lacht er wieder und greift nach dem neben ihm liegenden Schnappsack. »Maisbrot, gebratene Schweinerippen, Markknochen, Bananen und für jeden eine junge Kokosnuß in dem Stadium, wenn sie mit köstlicher Crème gefüllt ist!« 21
Wir langen zu, und der lebhafte Franzose plaudert dazwischen und unterstreicht seine Worte mit markanten Gesten. »Siehst du das Haus dort oben?« Er deutet nach dem höchsten Felsgipfel der Insel. »Ja. Ich war aber noch nicht droben. Barbassou sagt, es sei halb zerfallen, und die Leitern und Treppen, auf denen es allein erreichbar ist, teilweise weggefault.« »Oui! Der alte Barbassou hat recht. - Ah, der hat was erlebt, wenn er nur nicht so ungallisch mundfaul wäre!« »Was ist's mit jenem Haus?« frage ich und werfe einen abgenagten Knochen ins Gebüsch. »Es hieß früher der >Taubenschlag< und war das Hauptquartier und Château meines Landsmannes aus Saint Kitts, Monsieur Levasseur. Weißt du, als die ersten Küstenbrüder, es waren fast nur Männer aus der Bretagne und Normandie, denen sich wenige Briten, Holländer und entlaufene Sklaven zugesellten, ihre illegalen Rinderjagden nach Boucan auf Hispaniola drüben abhielten, vergaßen sie selbstverständlich nicht, die Spanier zu bekämpfen, nachdem diese den Kampf begonnen hatten. Es hieß, wie auch heute noch: du oder ich! Eines Tages siegte die Übermacht der Dons, und die überlebenden Bukanier zogen sich hierher nach Tortuga zurück, um von neuem der Jagd zu obliegen. Denn auch hier wimmelte es schon von wildem Vieh! Die daheim Bauern gewesen, pflanzten Tabak, Mais, Caña und Maniok, die anderen gingen in Booten zur See und kämpften. Aber die Dons landeten auf Tortuga mit Heeresmacht. Die braven Bukanier wurden abermals totgeschlagen, von Bluthunden zerrissen oder bildeten als gefangene Häretiker das Brennholz eines Scheiterhaufens bei irgendeinem Autodafé. Die flüchten konnten, flüchteten natürlich nach Hispaniola zurück; in den Bergen und Wäldern dieser großen Insel kann man sich besser verstecken. Sie sammelten sich dort racheschnaubend und landeten des Nachts in Booten auf Tortuga. Und ließen die dortigen Dons, wie es bei uns heißt, >aus der großen Tasse< trinken, sandten sie, wie ihr Briten es nennt, zu >Davy Jones' Locker, das heißt, sie schmissen sie ins Wasser . . . 22
Seither betrat kein Spanier - es sei denn als Gefangener oder Renegat - diesen freien Boden, wo wir freien Männer wohnen. Das alles spielte sich in den letzten Jahren ab! Nun, dieser Levasseur - kein Mensch weiß, woher er plötzlich auftauchte war ein sonderbarer Bursche, aber auch ein sehr heller Kopf. Der Mann hatte Verstand, mon vieux! Von Haus aus strenger, unbeugsamer Kalvinist, machte er aus einer Gemeinde gottloser, blutdürstiger, rachebesessener Piraten einen religiösen Staat. Wie er das anfing, möchte ich gerne wissen. - Natürlich wurden die Spanier weiter bekämpft, aber vor und nach dem Gefecht wurde hübsch lange gebetet, fromm gesungen und Gott gedankt. Ventre Saint gris, es muß ergötzlich gewesen sein! Diese Kontraste! Levasseur hatte auch mal die Fortifikationskunst studiert. Die Wälle und Batterien, deren Bronzeschlünde uns heute gegen Überfall schützen, sind nach seinen Entwürfen erbaut! Und wahrhaftig, als eine starke Kriegsflotte der Dons vor Tortuga aufkreuzte und eine tolle Beschießung anfing, mußten sie sehr bald mit langer Nase und verbundenen Köpfen abziehen! Geheimnisvoll wie Levasseur kam, so verschwand er wieder. Man weiß nicht, ob er mit seinen gesammelten Pieces of eight nach Frankreich heimkehrte, oder ob er in der Takelage einer spanischen Galeone mit einem Strick um den Hals an der Sonne dörrte. Vielleicht fiel er im Kampf, oder die Inquisition röstete ihn in den Quemaderos, oder vielleicht ist er auch ins Kloster gegangen. Ein Thema, um darüber zu schreiben, nicht wahr, mon vieux boy aus dem kalten Schottland! O là! Von ihm stammt auch die Einteilung, der Code, unseres Inselreiches. Wie du weißt, wurden die Bauern, die daheim was ausgefressen hatten und in die Spanische Main kamen, Pflanzer; andere, dazu gehören viele entlaufene Sklaven, gehen auf die Boucanjagd, und wir Restlichen, die wir Seebeine haben, treiben, wenn wir's nicht zu kritisch betrachten, ein bißchen ehrlichen Seeraub. Und es ist sonderbar, es hat sich noch viel von den Levasseurschen Bräuchen erhalten, allerdings ist's ja nicht lange her, daß sie eingeführt wurden. 23
Heute, und ich finde es so besser, wie? gibt es keinen Zwangsgottesdienst mehr. Wer aber beten und predigen will, der kann das nach Herzenslust tun. Predigt nicht Pater Hilarius jeden Sonntag von der Kanzel vor leeren Bänken oder höchstens witzemachenden Zuschauern, und verkündet der schwarze Pierre nicht den Untergang der Welt und das Tier mit den vielen Köpfen? - Aber sonst ist eine gewisse Ordnung geblieben. Und die französischen, holländischen und britischen Schiffe, die dort unten ankern, laufen zwar auf hoher See Gefahr, gekapert zu werden, aber im Hafen sind sie heilig. Und da sie gute Geschäfte machen und wir auch - unsere Häute und Dörrfleisch und Rum gegen ihre Munition, Musketen, Handgranaten und Wein - so kommen sie immer wieder. - Eigentlich kann man uns gar nicht Piraten nennen, denn unsere Länder liegen fast immer im Kriege mit den Dons. Und ich sage dir, mon vieux, erinnere dich daran, was dir Alexandre Olivier Esquemelin heute erzählt hat, die Zeit ist ganz nah, wo wir einen französischen Gouverneur hier haben werden und trotzdem unser freies Leben weiterführen. Der liebe Gott will nicht, daß die neuentdeckten Länder nur den Dons verliehen sind, wie diese gerne behaupten! Daß dem Don ausschließlich die Neue Welt gehören soll, diese wunderbaren Inseln, Gestade und herrlichen Meere und niemand anders daran teilhaben soll, ist an und für sich schon Gotteslästerung! El Rey Fernando und la Reina Isabel haben damals, als Kolumbus Zipangu suchte und Amerika fand, ein böses Gesetz erlassen! Das Gesetz dünkelhafter Nimmersatte! Und deswegen stehen Franzosen, Holländer und Briten fast immer im Kampf gegen die Dons, die sich auch der verfluchten Inquisition bedienen und oft unbeschreiblich grausam sind. Mordioux, das soll nicht etwa heißen, daß alle Spaniolen Schufte sind. Im Gegenteil! Aber ihre Gesetze sind schuftig. Man muß ihnen daher Manieren beibringen, über die Verteilung der Neuen Welt! Voilà!« . . . »Ich habe vorhin Forster singen hören!« sage ich nach einer stummen Pause träumerisch. 24
Esquemelin lacht: »Siehst du, der ist auch eine Pflanze, die nur bei uns gedeihen kann! Totschläger und Blutsäufer, er mag schon triftige Gründe haben, denn nichts geschieht ohne Anlaß ! - und gleichzeitig ein Mann, der die sentimentalsten, süßtriefenden Liebessonette macht! Zwei Seelen in einer Brust! Hei, abgesehen von Forster, wir haben Kerle unter uns, wie du weißt, um die uns die größten Königreiche beneiden! Und wir werden stärker! Eines Tages, wer weiß wann? - gehört die Neue Welt nicht nur oder nicht mehr den Dons, wenn sie so weitermachen wie jetzt. Gesetze ihrer Könige! Pah! Bei uns auf Tortuga ist jeder ein König, wenn er Lust hat, sich diesen Titel zu verleihen!« Ich zünde meine Pfeife an. Esquemelin atmet auf, dann holt auch er seine Tonpiep aus dem Schnappsack, und gemeinsam rauchen wir das köstlich duftende Kraut, das die Indios Tobago oder Tabaco nennen. »Der Mann, der dies den Indios absah und das Zeug nach Europa brachte, war fürwahr ein grandioser Kerl!« »Eher ihm als irgendwelchen kriegerischen Königen gebühren Denkmäler!« »Walter Raleigh soll's gewesen sein!« »Ja, und statt ihm ein Denkmal zu setzen, haben sie ihm im Tower den Kopf abgehauen!« »Vielleicht hat er zu sehr mit der Queen poussieren gewollt oder war zu ehrgeizig und ließ sich in Verschwörungen ein. Quien sabe?« »Qui, von allzu starkem Poussieren ist schon mancher zu Fall gekommen. Cherchez la femme! sagt man bei uns. Hinter allem steckt eine Frau!« . . . Gitarrenklänge schwebten plötzlich aus der Pflanzung, ertönen voller und kommen rasch heran. Und zwei Boukanier in ihren Blutkleidern, gefolgt von zwei mit Brokat herausgeputzten Mulattinnen, treten auf die Lichtung. »He, Mac, goddam, bist du aber früh aufgestanden!« ruft der eine, ein Mann aus Bristol, der aus England flüchtete, weil er den Liebhaber seiner Frau totschlug. 25
Sein Kumpan, ein breiter, helläugiger Holländer aus Enkhuizen, brummt: »Und Olivier ist ja auch da, sacre verdoomd!« Laut lachen die beiden Mädels. »Wohin, Brüder?« erkundigt sich der Franzose. »Nach Janviers neuer Hütte! Wir wollen ein Picknick machen und seinen neuen Rum ausprobieren. Ein Becher Kokosmilch und ein tüchtiger Schuß Rum drin schmeckt wie Mutterbrust!« »Er hat uns Truthahnbraten, Markknochen, Bananen, mit Zukker bestreut und in Butter gedämpft, versprochen!« sagt der holländische Gourmet und leckt im Vorgeschmack seine Lippen. »Bon, dann seid ihr ja zu beneiden!« »Kommt doch mit, ihr beiden Hübschen!« lockt die junge reizende Pepita und blitzt mich verheißend an. »Wie viele seid ihr denn, Tom?« Der Engländer knallt seiner Schönen gutmütig mit der Hand auf den Achtersteven: »Janvier, seine Inez und hier Piet und Pepita und ich mit der Juana!« »Na, da seid ihr gut verteilt, und Mac und ich würden nur als überflüssige Räder am Karren wirken!« sagt der menschenkluge Olivier. Pepita zieht ein Mäulchen. Ich weiß, seit Tagen hat sie's auf mich abgesehen, und ich bin nicht abgeneigt. Entweder ist sie auf meine Pieces of eight scharf, oder es ist Liebe, man weiß das bei diesen Mädchen nie so recht, auch Liebe währt bei ihnen nie lange . . . Lebhaft denke ich an das Duell auf Barbassous rundem Tisch in einer heißen Nacht. Um Weiber sind hier auf dieser Insel schon viele Männer in ihren Stiefeln gestorben. - Deswegen, um noch mehr Unheil zu verhüten, dürfen sie nie auf die Schiffe und nie an Beratungen teilnehmen. Darin sind unsere Satzungen sehr streng! Warnend stößt Olivier mich in die Rippen. »Vielleicht kommen wir nach!« sage ich beiläufig und blinzle Pepita zu. »All right!« Wieder schwirren und klingen die Gitarren, und die Vier wandern fröhlich weiter, verschwinden dann hinter den Bananenstauden. 26
»Pierre Legrand hat einen Kaperzug vor!« sagt Esquemelin nach einer Weile. »Das wäre!« »Oui, ich denke, in drei Tagen haben manche von uns wieder Planken unter den Füßen. Wir brauchen endlich große Schiffe und wollen uns ein paar von den Dons holen! Machst du mit, mon grand enfant?« »Allemal!« »Bon, ich werd's ihm sagen. Er hat die Auswahl, aber Pierre hört auf mich!« Genießerisch blase ich den Tabacorauch durch die Nase. »Tobago ist Speise der Seele!« Fröhlich lacht er: »Und ein Mann, der solche Worte findet, überlegt sich noch, ob er schreiben soll!« »Beim großen Dunstan! Ich will's wirklich tun!« »Bravo! Pergament kannst du von mir kriegen! Aber jeder schreibt für sich, und verglichen wird nichts, mon vieux!« »In Ordnung, Olivier!« Er schraubt die Tintenkapsel zu, wirft sie nebst Streusandbüchse und Truthahnkielen in den Schnappsack. »Komm, wir wollen zum Hafen. Pierre Legrand sucht sich seine Leute nachher bei Barbassou aus.« Langsam gehen wir nach der Küste. Wo das unendliche Meer bläut und schäumt. Über uns schwirren wie große Edelsteine die Papageien. Im Blattgrün funkelt das Sonnenlicht . . .
DIE ARTIKEL WERDEN VORGELESEN ». . . und du, Jacques! Und du dort, Paul, und auch der Slim! Ferner Joseph mit Bill, Honoré, Xavier, Frédéric, Pepe!« zählt Pierre Legrand die Namen an den Fingern her. Dann wendet er sich an Esquemelin, der pfeiferauchend an Barbassous rundem Tisch sitzt: »Natürlich auch unser gelehrter Historiker. Du gehst doch mit, Olivier?« 27
»Selbstverständlich, mein Alter! Und tu mir den Gefallen, mustere auch Mac hier an!« Legrand blitzt mich aus scharfen Augen an: »Nun?« »Wenn du mich gebrauchen kannst, Käpten?« »Bist schon dabei! Wen Olivier empfiehlt, der ist gut. Olivier, schreib die Namen auf!« Esquemelin legt die Pfeife weg. Seine Truthahnfeder kratzt über Pergament. Bald sind wir aufgeschrieben. Achtundzwanzig Mann, jeder zwischen zweiundzwanzig und dreißig. Kühne, abgehärtete Feuerfresser, Kerle, die den Satan an den Hörnern zupfen würden. Kerle, die stets guter Laune sind! Achtundzwanzig Mann wollen im halboffenen Longboot in die Spanische Main schiffen und den plötzlichen Orkanen trotzen. Und eine große spanische Galeone, gegen die das Boot wirklich nur eine Nußschale ist und die zwischen sechzig und dreihundert bewaffnete, gedrillte, kriegsgewohnte, tapfere Soldaten - außer der Mannschaft - an Bord hat, angreifen, nehmen und behalten. Aber die Bukanier haben schon ganz andere Dinge geleistet. In dieser Beziehung schreiten sie würdig in den Fußstapfen des großen Francis Drake! Keiner von uns denkt über den tollkühnen Plan nach. Tortuga braucht größere Schiffe, um Handel mit Europa treiben, und um die spanischen Flotten in der Spanischen Main erfolgreich im Großen bekämpfen zu können. Und deshalb werden wir uns diese Schiffe holen, die außerdem den Holzbauch voller Barren aus Nombre de Dios, Pieces of eight, Perlen von Santa Maria und Munition und Wein haben. - Westward ho! Barbassou und seine Gehilfen haben alle Hände voll zu tun. Rum und Spanierwein verschwinden zauberschnell in durstigen Kehlen. Gitarren fangen an zu klimpern. Würfel klappern, Ochsenrippen prasseln über offenem Feuer. La petite Marmite, Markknochen, das Leibgericht der französischen Tortugamänner, und andere gute Sachen riechen köstlich aus brodelnden Töpfen. Aber Legrand ruft nach einem tüchtigen Trunk: »Olivier, lies nach altem Brauch die Artikel vor!« 28
Esquemelin holt aus der Blechbüchse ein abgegriffenes Büchlein, räuspert sich. »Herhören, Messieurs! Nachher könnt ihr Markknochen aussaugen und weitersaufen!« Der Lärm versiegt rasch. Draußen gackert eine Henne aufgeregt triumphierend. Und Esquemelin beginnt eintönig: »1. Wenn eine Gemeinschaft freier Brüder der Küste sich zu einem Unternehmen zusammengetan hat, so soll jeder, solange die Fahrt dauert, den Befehlen ohne Mucks gehorchen. 2. Von der Prise erhält - falls nicht anders beschlossen - der Kapitän und Anführer einundeinenhalben Anteil. Der Pilot, der Bootsmann, der Böttcher und jeder Kanonier einundeinenviertel Anteil. Der Rest wird, entsprechend der Kopfzahl, ehrlich verteilt. 3. Falls ein Kerl entläuft, oder falls er ein nützliches Geheimnis erkundet und dies für sich allein behalten will, so soll er mit einem gefüllten Pulverhorn, einer Muskete, einem Beutel voll Schießschrot und einer Pulle Wasser auf einsamer Insel maroniert, das heißt ausgesetzt werden. 4. Wenn ein Kerl einen andern grundlos arg prügelt, so soll dies nach Mosis Gesetzen gesühnt werden; er soll daher vierzig weniger einen schwere Hiebe auf den bloßen Buckel kriegen. 5. Wenn ein Kerl etwas stiehlt, das allen gehört, so soll er entweder erschossen oder auch maroniert werden. 6. Der Kerl, der im Schiffsraum spaßeshalber seine Feuerwaffe abschießt oder eine Pfeife raucht, die keinen Deckel hat, oder der unter Deck ein offenes Licht trägt oder sich nach zwei Glasen - neun Uhr abends - noch an Deck besäuft, soll maroniert oder erschossen werden. 7. Der Kerl, dessen Waffen unsauber und nicht gebrauchsfähig sind, und der seinen Dienst schlecht versieht, soll nach gemeinsamer Beratung zwischen Kapitän und Mannschaft entsprechend bestraft, oder falls keine Einigung erzielt wird, gekielholt, das ist mittels zweier Taue unter dem Kielschwein des in voller Fahrt laufenden Schiffes von vorne nach achtern entlanggezogen werden. Wenn er nach dreimaligem Verfahren noch lebt, so soll man ihn für unschuldig halten. 29
8. Der Kerl, der einer anständigen Frau gegenüber, sollte eine solche vorhanden sein, ohne deren Erlaubnis üble Mätzchen macht, soll sofort erschossen werden. 9. Wer im Kampf den rechten Arm verliert, soll 800 Pieces of eight erhalten und außerdem für die Dauer seines Krankenlagers täglich einundeinenhalben Pieces of eight. 10. Wer den linken Arm verliert, soll 600 Pieces of eight erhalten, nebst einundeinenhalben Piece of eight für die Krankheitsdauer. 11. Wem irgendein Körperglied infolge Verwundung dauernd gelähmt bleibt, der soll 400 Pieces of eight erhalten. 12. Verliert einer das rechte Bein, so erhält er 500 Pieces of eight sowie einundeinenhalben Piece of eight tägliches Genesungsgeld. 13. Verliert er das linke Bein, so erhält er 400 Pieces of eight und einundeinenhalben Piece of eight tägliches Genesungsgeld. 14. Verliert er ein Hauptlicht, das heißt ein Auge, so erhält er 100 Pieces of eight und ein Piece of eight tägliches Genesungsgeld, bis er wieder aus den Händen des Wundarztes entlassen ist. 15. Verliert er beide Hauptlichter, so soll er das übliche Genesungsgeld und eine von Kapitän und Mannschaft festzusetzende Summe nicht unter 1000 Pieces of eight erhalten. 16. Verliert er einen Finger, so soll er 100 Pieces of eight und ein Piece of eight tägliches Genesungsgeld erhalten. Jeder weitere Finger wird mit 100 Pieces of eight vergütet. 17. Der Verlust einer Hand wird genau wie der eines Armes vergütet. 18. Verliert ein Kerl beide Arme oder beide Beine und sollte er am Leben bleiben, so soll er die Summe nicht unter 15 00 Pieces of eight und das übliche Genesungsgeld erhalten.« Esquemelin macht eine kurze Pause, spricht dann weiter: »Allons vamonos, Messieurs, Gentlemen, Mynheers und Señores. Unterschreibt nun ein jeder noch die Musterrolle, wenn ich bitten darf. Mich dürstet!« 30
Der Reihe nach treten wir an den Tisch und nehmen die Truthahnfeder zur Hand. Fast alle malen nur ein Kreuz an die Stelle, die Oliviers Finger weist. Er flüstert noch einige Minuten mit dem knebelbärtigen Legrand. Der nickt, und Olivier verkündet: »Die Artikel treten in Kraft zehn Stunden vor dem Anbordgehen. Haltet euch also am dritten Tage ab heute nüchtern. Heut' und morgen könnt ihr euch noch besaufen. Die Küstenwache ist bereits verstärkt, weder Schiff noch Boot darf ab heute die Insel verlassen. Niemand soll den Spaniern drüben auf Hispaniola zutragen, was wir vorhaben. Bon!« Musterrolle und Artikel verschwinden in Legrands Blechbüchse. Barbassou und sein Neger schleppen eine ungeheure Terrine Rumpunsch herbei. Ein langer Bursche tritt in den Türrahmen und pfeift gellend auf zwei Fingern. Fernes Gekreisch, Lachen und Juchhe branden auf, kommen rasch näher. Und die Mädels von Tortuga in ihrem besten Samtund Atlasstaat drängen bunt herein in die geräumige Schankstube. Gitarren klimpern. Gesang und Würfelgeklapper. Leise und laute Gespräche, Scherze und Prahlereien. Küssen und Humpengeklirr, Parfüm und Blumenduft und Patschuli und Fettbrodem vermischen sich zum bunten, herrlichen Gewoge, das ich, so Gott will, noch oft erleben werde. Denn sattsehen und satthören kann ich mich daran nie . . . Esquemelin schwingt mir seinen Humpen entgegen: »Auf Pieces of eight und dicke Prisen! Fortuna sei hold!« Lauter tönen die Instrumente der Fröhlichkeit, schrillen und dröhnen Stimmen, und nun singt der Chor. Singen die Franzosen, Holländer und Engländer das alte Lied der jungen Küstenbrüder: »Westward ho! And Rum below! At the Dons we'll go! Yoho! Yoho, yohoiho!« . . . 31
LA BRUNA . . . ein Tag und eine Nacht sind verstrichen. Mir tut der Kopf mächtig weh. Sangaree, Toddy, Rum und schwere spanische Weine hinterlassen ihre Spuren! Eine halbe Stunde Schwimmen im Hafen würde guttun! Aber die Haie sind zu frech und unberechenbar. Unsere Neger fürchten sich zwar mitnichten vor diesen bösen Bestien, doch ist der schwarze Pompey, einer der Kühnsten und Lustigsten, erst vorige Woche als »Ragout fin noir« in einen Haifischmagen gewandert. Aber Spazierengehen, das kann man. Das wird mein Gehirn auslüften und die guten Vorsätze zurückbringen. Oh, meine Mutter, wo bist du und was tust du jetzt? Denkst du an deinen ungeratenen Sohn? Wo der Bergpfad in die Plantagen mündet, begegnet mir eine Bukaniergemeinschaft. Blutbekrustet, aber singend und tanzend während des Marsches, treiben sie eine Eselsherde, schwer mit Häuten und gleich im Gebirge getrocknetem und gesalzenem Boucan beladen, vor sich her. »He, Mac, sind Barbassous Fässer schon leer?« »Keine Sorge, Petit Jean! Barbassou hat noch Stoff genug für eure durstigen Schlünde!« »Vive Barbassou! Vive le bon vin et vivent les femmes!« Fröhlich ziehen sie weiter. Auf der schattigen Veranda eines Häuschens sitzt einer am plumpen Tisch und markiert eine große Seekarte. »Die Fahrt des Magelhaes um das böse Kap! Tierra del Fuego! Sieh nur, Mac, wäre das nicht was für uns? Kommt Zeit, kommt Rat!« lacht der graubärtige Mann behaglich, und dann trinken wir einen kühlenden Becher Toddy. Nachher schlage ich ihm freundschaftlich auf die Schulter und wandere weiter. Eine leuchtende, sonneumflossene Gestalt kommt aus der Ferne näher. Grellrote Pluderhosen, nackte Fußknöchel, gelbe weiche Schuhe, ein blaues Jäckchen mit weißer Schärpe, in der ein 32
kleines Arsenal steckt. Das braune, falkenscharfe Gesicht halb vom weißen Turbantuch umrahmt. Ali er Rachman, der Algerier! Seine Vorväter waren weise Männer an der Medresse in Granada und wurden von »los Reyes catolicos« vertrieben. Flüchteten in die wüste Berberei. Ihre Enkel und Söhne leben der Rache. Als Mittelmeerpirat begann Ali seine reifere Laufbahn, und das Schicksal schleuderte ihn nach Tortuga. Es wundert mich jetzt, daß Pierre Legrand ihn nicht angemustert hat. Ali er Rachman, ein unversöhnlicher Feind der Dons, ist tapfer und ritterlich und ein vorzüglicher Seemann. Jetzt steht er vor mir. Seine großen Löwenaugen sind heute blutiggeflammt, haben stieren Glanz. Aschfahl die Lippen. Ich weiß Bescheid, weiß nur nicht, wo er es herhat, was er da für Zauberzeug geraucht oder geschluckt hat! Haschisch? Er starrt mich an, seine Hand zuckt nach dem waffenschweren Gürtel, zuckt leer zurück. Ein Lächeln überfliegt das braune Gesicht, und langsam, wie ein Mondsüchtiger, ohne mich mehr zu sehen, schreitet Ali an mir vorbei. Ist in einer anderen Welt. Im Lande seiner Väter. Andalusien! Und ich höre ihn deutlich die spanischen Worte in einer Art Singsang sprechen: »Oh, sie ist schön wie der Mond in der Nacht des Ramadan! Ihr Wuchs gleicht der Dattelpalme! Ihre Brüste sind Moscheenkuppeln, ihre Zähne Perlen, ihre Lippen bittersüße Frucht. Ihr Gang ist der der Gazelle, und schwer wie Sandsäcke ist ihr köstlich Gesäß!« . . . Noch ein seltsames Liedchen in der kehltönig weinenden Fistelstimme der Kabylensprache! - Dann verstummt er. Leuchtend taucht Ali er Rachman in dem grünen Glanz der Pflanzung unter. Kopfschüttelnd gehe ich weiter und trete bald in Francesco Bellinis gemütliche, von einer Veranda und Tabakpflanzen umgebenen Hütte. Bellini aus dem schönen Florenz wurde vom hochlöblichen, weisen Rat jener Stadt eingesperrt, gestäupt und mit üblem Brandmal auf der Schulter gezeichnet. Bellini ist Maler. Seine 33
Frauen sind natürlich, grazil, sind fröhlich bacchantisch und nicht büßende Magdalenen. Susanna im Bade und dergleichen. Sondern singende und liebende Frauen, denen die blanke Sinnenlust aus den Augen flammt! Deren winkende Hände und lachende Lippen deutlich den Gesang des Blutes verkünden. Das darf man nicht malen dort im alten Europa! Nicht öffentlich. Wer nackte Frauen auf die Leinwand zaubert, hat ihnen ein unsichtbares und dennoch unverkennbares frommes mythisches Mäntelchen auf den schönen Leib zu klecksen. Das wissen alle großen Künstler in Holland, Frankreich, Deutschland, Spanien und Italien. Und halten sich daran. Sind zwar arme Genies mit beschnittenen Flügeln, aber Hunger tut weh, und jeder will leben. Bellini ist ein Rebell! Er pinselt, was sein Genius ihm vorschreibt, und wurde deshalb wegen Ketzerei, teuflischer Unzucht und anderer aus der Luft gegriffener Verbrechen bestraft. Als er wieder freikam, sprach er seinen Fluch über die Alte Welt aus, schnitt dem übelsten seiner Richter den Hals ab und kam nach vielen Irrfahrten nach Tortuga. War zuerst Pirat, dann Bukanier und ist jetzt Pflanzer, aber in der Hauptsache Maler. Die Schiffe bringen ihm Leinwand, Pinsel und Farben. Ein Indiomädel kocht ihm und reibt seine Farben an. - Manchmal, wenn er das Brandmal auf der Schulter zu arg spürt, betrinkt er sich und macht dann eine Expedition der Raubboote mit. Wütet wie Simson unter den Dons. Meist aber sitzt er zufrieden vor seiner Staffelei. Malt die lustigen Pepitas, Juanas und wie sie alle heißen! Verdient schwere Pieces of eight damit und verschenkt diese wieder. Die Kapitäne und die modellsitzenden Mädels selber kaufen gerne seine köstlichen Gemälde. Er ist glücklich, denn er hat's erreicht. Für europäische Prüderie kam er einige Jahrhunderte zu früh in die Welt der Farben und Pinsel, aber wie es so oft der Fall ist, die Ausgestoßenen, die Piraten, Bukanier und Kurtisanen bringen ihm Verständnis entgegen . . . »Salve Francesco!« ist mein Gruß, als ich in das luftige, helle Atelier eintrete. 34
Der glattrasierte hagere Mann sitzt vor einer Staffelei. Auf dem Podium dehnt sich »La Bruna«, die schönste Mestizin von Tortuga und vielleicht der ganzen Spanischen Main! La Bruna, deren Blick die Sinne verwirrt! La Bruna, um deretwillen schon viele Männer auf Tortuga das Leben ließen . . . In goldbrauner samtweicher Nacktheit sitzt sie auf einem mit rotem Brokat bedeckten Schemel und raucht ein Cigaro - eine Hülse zusammengerollter Tobagoblätter, wie's die Indios machen. Sie lächelt mir zu. »Du kommst ungelegen, Fratello Mac!« brummt der Maestro und klatscht einen Pinsel Farbe an die Leinwand. »Ungelegen! Sonst könnten wir einen trinken und La Bruna würde vielleicht tanzen!« »Ich gehe gleich wieder, Francesco. Morgen stechen wir in See unter Legrand. Eine Galeone holen!« »Pieces of eight! Bringt Pieces of eight für mich mit!« tönt es gierig von den roten Lippen der wunderschönen Frau. Bellini schüttelt den Kopf: »Blödsinniger Goldhunger! Tiere! Doch sag, wenn ihr Glück habt - man kann ja nie wissen, vielleicht findet ihr Leinwand, Farben und dergleichen an Bord. Das bringst du mir mit. Ich male dir ein Bild dafür!« »Und Pieces of eight sollst du mitbringen! Und Schmuck und seidene Kleider und Stoffe und Schuhe. Ich würde mich erkenntlich zeigen, Muchacho mio!« tönt lockend die weiche Stimme der Bruna. »Tiere! Tiere sind's alle!« murmelt der Italiener und pinselt weiter. »Sieh mal her, Mac, was fällt dir an dem Bilde auf, soweit es fertig ist?« Ich betrachte das Gemälde. »Du hast sie von der Hinterseite gemalt. Man sieht nur das über die Schulter zurücklächelnde Gesicht - und keine Brüste und . . .« »Ebbene, ebbene! Warum immerzu Brüste! Tiere! Mierda! Die Weiber haben auch andere Rundungen. Und deswegen ist der Hauptpunkt meines Bildes der - per bacco, wie sagt ihr Seeleute noch?, ja, also der Achtersteven der schönen Bruna. - Ein 35
goldbraunes, rosig angehauchtes Gedicht. Ich habe diese Ansicht schon in der Malschule zu Florenz vertreten, daß das Schönste am Weibe das Gesäß ist. Und wegen dieser mit Künstleraugen betrachteten Perspektive haben sie mich eingesperrt. Nur weil ich hübsche Frauen von hinten male. Aber ich sage euch beiden, es wird eine Zeit kommen, wo die Menschen hinter Schönheit nicht immer gleich Gemeinheit suchen. Maledetto. Feigenblättchen ! Pah! Weg mit den Feigenblättchen!« Gurgelnd lacht la Bruna. Dann nippt sie an einem funkelnden Glaspokal. Mir fällt die Begegnung mit Ali er Rachman ein, und rasch wiederhole ich Wort für Wort. Der Maestro springt auf die Füße. »Was, der Ali? Santo Dio, das habe ich hinter dem Mauren nicht vermutet, daß er kunstsinnig ist. Wo steckt er?« »Auf dem Wege nach der Siedlung. Hatte scheint's Haschisch geraucht!« »Bei der Madonna!« schreit Bellini. Der Pinsel fliegt in die Ecke, die Palette klatscht zu Boden, und schon ist er hinaus, rennt den Pfad hinab. Wir hören ihn rufen: »Ali! Ali!« Stille. La Bruna lacht, schlüpft dann in das Brokatkleid, und ich muß ihr helfen, es zuzuknöpfen. »Der kommt nicht wieder. Wenn er nicht so herrlich malte und wenn ich nicht das Bild haben möchte, so wäre ich nicht hier. Launen hat er wie ein Maultier. Und von Galanterie keine Ahnung! Wenn eine Frau schön ist, so malt er, und sonst kümmert er sich nicht um die Schönheit. Nur malen, malen. Er ist verrückt!« sprudelt es über die roten Lippen. »Er ist ein großer Künstler!« »Bueno! Unzweifelhaft! Und ich bin eine schöne Frau! Oder?« »Ich habe noch nie eine schönere gesehen!« antworte ich und brauche nicht zu lügen. Und denke an Pepita, die . . . Wenn Pepita mit einem Vogel zu vergleichen wäre, so würde ich sagen, sie ist ein Buchfink. Und La Bruna? Ein prächtiger, schillernder Colibri! 36
Sie springt wieder auf die Füße, der Brokat rauscht, und nun schmiegt sie sich fest an mich, ihre Augen sind dicht vor den meinen. Es sind herrliche Augen! Dunkle, große Augen, in denen goldene Lichter huschen wie im tiefen Brunnenschacht, in den Sonnenstrahlen fallen. »Gibt's solche Frauen, wie ich es bin, in deiner Heimat? Wie heißt sie doch noch?« »Schottland! Dort gibt's viele schöne Frauen, aber anders als du, Bruna! Blond und rosig!« »Scotlanda? - Ein kaltes Land, sicherlich. Blond und rosig? Ich bin golden, bin lebendes Gold, und unter dem Golde schimmern Rosenblätter, sagte Bellini nicht zu mir, sondern zu dem, was er gemalt hatte, und statt einer Liebeserklärung mischte er Farben. Caramba!« Ich muß sehr lachen. Ihre Arme - wie kam es nur? - liegen auf einmal um meinen Nacken. Ihr Mund ist eine Blume. Und duftet . . . »Morgen muß ich zur See!« sage ich. Denke an wilde Gefahren, die mich bedrohen und vielleicht, es ist sogar möglich, töten werden. Und diese Frau? Verzogen, gewöhnt, alle Wünsche erfüllt zu sehen. Aus einer Laune heraus liebt sie mich nun. Wie lange? Vielleicht nur eine Stunde . . . »Morgen geht's in See!« »Morgen! Heut ist heut! Komm, Querido, komm! - Was andere mit Koffern voller Pieces of eight und einer halben Schiffsladung Häute bezahlen und es nicht immer bekommen, denn ich tue nur, was ich will - das ist nun dein. Umsonst. Muchacho mio!« Und während draußen die Papageien kreischen, fern die Brandung orgelt, sich das Sonnenlicht in den Raum stiehlt und der Besitzer des Hauses den haschischtrunkenen Ali sucht, umfängt mich der Taumel der Sinne. Schlägt wie ein bunter, duftender Blumenregen in den Armen der wunderschönen Frau über mir zusammen. Ganz ferne orgelt das Meer. - Und schweigt. Ist ausgeschaltet von der Sehnsucht zweier armer Menschen nach dem unfaßbar Göttlichen. Nur Atemzüge zittern durch das Gemach. Sonst 37
ist's ganz still, und grüngoldene Kringel wirft die Sonne gegen die hellen Wände. Über uns um uns, in uns ist Schicksal, ist ein Gott, der alles, was wir taten und tun müssen, im voraus aufgezeichnet hat. Tausend unsichtbare Blüten duften auf Tortuga. Tausend Nachtigallen schlagen in unseren Herzen. Welten versinken. »Bruna, oh, Bruna . . .« FLIEBOOT Auf der Spanischen Main, über das von scharfer Brise gepeitschte Ultramarin und die schneeweißen Schaumkämme schaukelt ein langes, schmales Fahrzeug. Ein starkgekieltes Boot, dessen leicht erhöhter, überdeckter Bug die zischenden Wogen durchschneidet. Dessen winziger Klüver prall wie ein Brett schräg gegen den Wind steht, während das große, vom niedern, umlegbaren Mast bis an das ebenfalls überdachte Heck reichende Segel sich weit über die Leeseite bauscht. Um zu verhüten, daß die Steuerbordseite unter Wasser gedrückt wird, sitzen wir in Luv auf den Ruderbänken. Achtern führt Pierre Legrand die Steuerpinne. Achtundzwanzig Männer sind wir, und Pierre, der steuert, hält gleichzeitig scharfen Auges Ausguck. Die Hälfte von uns schläft, zusammengekauert, im Sitzen. Ihre Köpfe wackeln grotesk hin und her. Manchmal verliert einer das Gleichgewicht und erwacht im letzten Moment. Blinzelt umher, setzt sich zurecht und schnarcht weiter. Esquemelin summt ein Lied von schwarzäugigen Mädchen in Honfleur. Xavier pfeift den Refrain. Sanft schlingernd stampft das Boot rhythmisch, gleich einer Schaukel, hinab in die stillen Täler und wieder nach oben auf die glitzernden Hügel der Spanischen Main. Das dunkle Segel brummt und vibriert. Und es zischt, gurgelt, murmelt, schnalzt und braust hohl das Wasser. Regenbogenschimmernde Schaumfetzen, die der Bug zerschnitt und der Luftzug zerriß, prasseln 38
achteraus. Nässen mit harten Schlägen unsere in der Tropenhitze jedesmal rasch wieder trocknenden, mit heller Salzkruste bedeckten Gesichter. Vier Tage liegen hinter uns. Zuerst begleitete uns die violette, prächtige Silhouette des fernen Hispaniola an Backbord, dann verloren wir es aus der Sicht. Gestern kam die Insel wieder steuerbords über die dunstige Kimm. Versank abermals im weißen Kielwasserstreif, als wir zweimal über Stag gegangen. Achtundzwanzig Männer auf der Suche nach einer spanischen Galeone oder Karavelle mit Hunderten Soldaten an Bord. Achtundzwanzig »Teufel«, wie die Dons uns nennen, in einem dreivierteloffenen Boot, das sie, ihre Waffen, die zehn Eschenriemen, zwei Wasserfäßchen und Boucanproviant kaum faßt. So schaukeln wir über den Ozean, Gier im Herzen, Flüche oder Gesang auf den Lippen. Wir grübeln fieberhaft: kommt der verdammte Geleitzug, von dem Spione Kunde nach Tortuga gebracht? Kommt er bald in Sicht? Oder fahren wir, was ja so leicht geschehen kann, aneinander vorbei? Trotz des sprühenden Schaums, der uns fortwährend übergießt, ist es drückend heiß. Die Duchten sind kaum anzufassen, und der Zoll Wassers, der am Boden steht, ist warm. Kühlt dennoch unsere nackten hornigen Füße. Schuhe hat keiner weder mit noch an. Die feinen Wämser, Samthosen, malerischen Stiefel, Seidenstrümpfe und Sonstiges sind auf Tortuga geblieben. Wir haben Arbeitskleider an. Weite, kaum bis zur halben Wade reichende geteerte Segeltuchhosen, an der Brust weit offene Hemden mit aufgekrempelten oder abgeschnittenen Ärmeln. Sonst nichts. Um die Hüften den breiten Gürtel mit dem schweren Entersäbel, oder wie der Engländer es neckisch nennt, dem »schneidenden Mädel« (Cutlaß). Zwei Pistolen, Dolch und Enterbeil. Auf den Köpfen die roten Zipfelmützen à la Père Barbassou. Oder lebhaft bunte turbanartige Tücher. Die pompöse künstliche Lockenpracht, die weißgepuderten Perücken sind ebenfalls zu Hause geblieben. Wer jetzt noch eine Frisur hat, trägt das eigene geteerte, hinten mit einem Schiemannsgarn39
bändel schweineschwanzartig zusammengebundene Haar auf den Rücken baumelnd. Pierre Legrand verachtet alle Mode, sei es Zopf oder Perücke. Er hat das Haar kurz geschoren und ein gelbrotes Seidentuch darumgewunden. Mit der braunen kräftigen Rechten steuert er, und seine blinzelnden ruhelosen Augen wandern ununterbrochen über den Horizont. Esquemelin ist verstummt. Dann plötzlich: Mac mon vieux, hast du angefangen, die Pergamentblätter, die ich dir neulich gab, zu bekritzeln?« »Nein, Olivier! Erst zurückkommen von dieser Fahrt, dann will ich . . .« »Auch ein Modus operandi! Aber du scheinst beinahe nicht zu glauben, daß wir zurückkommen, he?« lacht er gutmütig. Eben fuhr das Boot sausend in die Tiefe eines Kessels. Hier unten herrscht Windstille, das Segel klatscht. Bläschen prickeln und gurgeln. Empor geht's wieder, und wuchtig drückt die Brise gegen das Tuch. Schwabb! ein Brecher kam über. Fluchend schöpft jemand das Wasser aus. Ein Schläfer kollert uns zwischen die Füße, bleibt dort zusammengekrümmt in der Pfütze liegen. Und schnarcht behaglich weiter. Ich bin Olivier die Antwort schuldig geblieben. Wir müssen auf die bisherige Leeseite rutschen, die zur Luv wurde, weil Legrand das Steuer umlegte. Möwen kreischen eleganten Flugs. Der Himmel ist fleckenlos, hellblau. Die Sonne fast weiß, schmerzhaft strahlend. Und so fahren wir dahin. Achtundzwanzig Männer - über die Spanische Main.
EL SANTO NIÑO Fünfter Tag. Die Brise flaut ab, füllt aber immer noch kräftig das Segel. Wir haben eben gegessen: Boucan, Kokosnüsse, nebst Rum mit Wasser. 40
Unsere Stimmung ist gedrückt, denn man muß annehmen, daß der Geleitzug, den die Spione von Puerto del Principe gemeldet, in dunkler Nacht an uns vorbeigefahren ist . . . Zur Enttäuschung kommt noch die Erschöpfung. Fünf Tage und Nächte kauernd sitzen, ohne jemals richtig die verkrampften Glieder ausstrecken zu können, ist, wie Esquemelin sich ausdrückt: »Ein cauchemar! Eine cochonnerie!« Und wenn Flaute käme, so müßten wir rudern. Schwächer wurde die Brise. Jean kratzt am Mast, um sie wieder hervorzulocken. Im Westen glänzt der Himmel grün, schweflig und violett. Dazwischen huschen alle möglichen Farbschattierungen, in deren Zentrum die sinkende Sonne grell verblutet. Über der See flammt es wie gemünztes Gold. Schaum wird zu Rosengirlanden. Möwen, goldumrandete Märchenvögel, unwahrscheinlich weiß. Die braunen Gesichter der Männer kupfrig. Da schreit am Steuer der lange François wildjauchzend: »Segel ho ! Eins, zwei, drei Segel ! - Vier ! - Und noch mehr !« Wie ein Schlag durchzuckt es uns. Die Schlafenden sind plötzlich hellwach. Und schon kommandiert Legrand: »Schmeiß die Schoot los, Jean! Los das Fall, du, Olivier! Klüver runter, Mac!« Rauschend sinkt das Großsegel, seufzend der kleine Klüver. Zupackende Hände bergen das Tuch noch im Herabfallen. Das Flieboot schwankt stark. Gierig starren sie gen Westen, - wo die Sonnenscheibe gleich einer Blutorange langsam ins Meer sinkt. Und dort, vor dieser glänzenden versickernden Lichtquelle, ziehen Schiffe dahin ! Wir erblicken nur ihre Spieren und oberen Segel. Legrand klettert affengeschickt den stumpfen Mast hoch, hält sich oben mit der eisernen Kraft seiner das Rundholz umklammernden Schenkel, späht durch das auseinandergezogene Teleskop. Rutscht wieder herab, flucht kurz über einen Splitter in der Hand und verkündet : »Sie sind's ! Sieben große Kasten . . . !« Sieben Galeonen und Karavellen mit zusammen mehr als tausend bewaffneten Männern und Dutzenden von Bronzeschlünden, 41
Hunderten Musketen hinter festungsartig hoch auf dem Wasser schwankenden hölzernen Mauern. Und ein kleines, schmales Flieboot mit achtundzwanzig halbnackten Männern. Heißt das nicht, Gott und den Teufel versuchen? Unser Gott ist das rote Gold, das weiße Silber und die blanken Pieces of eight. Um diese zu holen und ein Schiff dazu, sind wir ausgefahren. Ließen uns von der unbarmherzigen Sonne anbraten, vom Fieber schütteln, vom Tau durchnässen. Fünf Tage und fünf Nächte hintereinander. Und nur des Goldes wegen? Vielleicht auch aus überschäumender Lebenslust und aus Romantik . . . Und gleich ist's soweit! Die Brise starb, wie so oft des Nachts in diesen Breiten. »In zwei, drei Stunden sind sie mit uns auf gleicher Höhe!« sagt Legrand. Die Sonne verschwindet. Die Nacht breitet sich köstlich aus. Blau und Silber. Das Wasser glitzert. Grünflammende Schatten schießen unheimlich in der Tiefe hin und her. Haie! Eine Schule Delphine stürmt gleich einer auf- und niedertauchenden, hörbar schnaubenden Dragonerschwadron in Kabellänge an uns vorbei, verschwindet in dunstiger, tiefer, unendlicher Ferne. Gelbe, unruhige Pünktchen blinzeln im Westen. Die Lichter der Flotte! »Macht euch langsam fertig, mes enfants!« Entersäbel werden geprüft, ob sie leicht aus der Scheide gleiten, Pulver auf die Pfannen geschüttet und neue Zündhütchen gesetzt, die Hosen umgekrempelt. Einige werfen die Hemden ab, bieten die nackten, muskelstrotzenden Oberkörper dem Sternenlicht dar. Jean spuckt in die schwieligen Hände. »Herhören!« Wieder spricht Legrand: »Mes enfants, wir werden eines der Schiffe - das letzte in der Reihe - überraschen. Ihr wißt, was das heißt! Siegen oder sterben! Meine Braven, damit wir besser kämpfen können und müssen, wollen wir, ehe wir an Bord klettern, das Boot unter unseren Füßen absaufen lassen. Hat jemand was dagegen?«*) *) Historisch
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Stumm schauen wir uns an. Sternenschein liegt auf den dunklen Gesichtern. Und dann peitscht ein Schrei über das eintönige Sausen der See. »Pieces of eight! Pieces of eight! Wir holen sie uns! Und den Kasten dazu!« »Brav!« nickt Legrand. Ich habe eine sonderbare Leere im Magen. Sind wir verrückt? . . . Pepe, der Proviantmeister, verteilt Rum mit Wasser. Das Sausen des Meeres verstärkt sich. Die Nachtbrise frischt auf, und hohl klatschen die Wogen. Der Klüver wird gehißt, langsam taumelt das krängelnde Boot in Fahrt. Steuerbords schäumt es blendend weiß auf, breitet sich über die Kimm, und plötzlich schiebt sich der Mond aus den Fluten. Legt eine herrliche Silberstraße darüber. Eine Straße, der ich folgen möchte, friedlich schaukelnd, pfeiferauchend, übers Meer, bis in alle Ewigkeit . . . Weit weg blinzeln die Augen der Schiffe. Blinzeln bösartig rotunterlaufen. Ein Schiff, zwei und mehr. Das siebente ist am entferntesten. Und dieses soll unser werden! Ob die Dons scharfen Ausguck halten? Eine Stunde verstreicht. Qualvoll langsam. Über uns gleißt das Wunder der Milchstraße. Auch eine Straße der Romantik, der ich . . . Der Mond schwebt wie ein riesiger Opal über dem Ozean und seine Lichtbahn wird länger und mächtiger. Die Schiffe kommen näher. Zeitweilig blinken die Segelpyramiden, und es ist, als ob stille Schwäne übers Meer strichen. Einer, zwei, sechs. Und hinten, weit hinten, der siebente. Auf den halten wir zu. »Wir müssen rudern! Sacré!« knurrt Legrand. Sechs lange wippende Eschenriemen, jeder von vier kräftigen Armen bewegt, stoßen nun das Boot durch flüssiges Silber. Es tropft, gleitet und schäumt von den Ruderblättern, und dort, wo sie ein- und austauchen, breiten sich wirbelnde, langsam vergehende Kreise. Nach einer halben Stunde ziehen wir die Riemen ein. Dwars ab 43
gleiten die dunklen Rümpfe mit hellschimmernden Segeln und winkenden Lichtern vorbei. Einer, drei und mehr. Und weit, weit hinten der siebente. Eine weitere halbe Stunde höchstens, und wir werden entern und . . . Pepe verteilt abermals Rum mit Wasser. Schweiß läuft mir den Rücken hinab, beizt in meinen Augen und schmeckt salzig auf den Lippen. Meine Hose klebt an der Ducht. »Klüver runter! Mast umlegen!« befiehlt Legrand. Das Boot schwankt direkt im Kurs des anpeilenden Dons. Die anderen sind längst vorbei, werden wieder Zauberschwäne, die uns das schmale, hohe Hinterteil zukehren. Mächtig wächst der siebente uns entgegen. Hoch - wie wollen wir da hinauf? - ragt sein Bord. Die Wasser gleißen und schillern, aber wir liegen nicht mehr in der grellen Mondbahn. Ob die Dons guten Ausguck halten? Wir flüstern nur noch. Haben die Enterbeile in der Rechten, ziehen die Gürtel strammer. Jean klemmt probeweise seinen Dolch quer zwischen die Zähne. Minuten nur noch. Dekaden! Jahrhunderte! Äonen! Unsäglich quälend langsam. Dunkel drohend ist die Silhouette des großen Schiffes, das schräg auf uns zukommt. Etliche helle Mondkleckse liegen in der Takelage. Grell leuchten die Lampen, und am Vordersteven schäumt eine Silbermähne. Ob die Dons wohl scharfen Ausguck halten? Oder verdauen sie gerade das Abendbrot? Hohl stöhnt die See. - Jetzt! Legrand und noch einer ziehen die Propfen aus den Bodenplanken. Langsam strömt das Wasser ein, netzt bald unsere Fußknöchel, schmatzt und klatscht beim Schwanken des Fahrzeugs, steigt. Wasser, Wasser, steige, steige. Wir werden dich dennoch narren! Gemächlich torkelt das Schiff heran. Mächtig und düster, wie ein drohender Turm, neigt es sich uns entgegen. Und ich möchte laut schreien, schreien und . . . Minuten werden Welten, die im Wogenklang vergehen. Über uns wirbeln die Sterne. 44
Oh! . . . Eine hohe Wand, gegen die das Wasser brandet, und in deren Gebälk es ächzt und laut knarrt, wuchtet vor uns. Dann über uns. Legrand läßt keine Sekunde die Pinne los. Hart an uns streicht es rauschend vorbei, ein Luftzug fächelt, der Sog zieht uns an, stößt uns wieder zurück. Doch dann hängt das Boot, wird mitgerissen! Klebt wie das Waljunge am Busen der Mutterkuh an der schwarzen Plankenwand. Der dumpfe Schlag des eindringenden Enterbeils, das uns am Schiff festhält, geht unter im Rauschen und Rascheln der Wogen, Knarren und Poltern des hölzernen Schiffsleibes. Unser Boot ist dreiviertel voll Wasser, jeden Augenblick kann es absacken. Schon klettern wir an den breiten, ausladenden Erkern, Kanten und Schnitzereien - kaum daß wir die Enterbeile als Halt benützen müssen - das Vorderkastell hoch. Gurgelnd versinkt das Boot in der Tiefe. Achtundzwanzig barfüßige, schwerbewaffnete Männer, die ihr Leben in den Händen tragen, schwingen sich gespensterhaft an Deck. Ein Ausguck, der friedlich auf der Taurolle schlief, stöhnt kurz auf, als ein Messer in sein Herz fährt. Mittschiffs ist leiser Gesang. Gitarrenakkorde und Plaudern. Das Deck ist fast leer, nur eine Gruppe Matrosen vergnügt sich dort. Nirgends ein Posten. Die Dons wähnen sich so sicher wie in der Hosentasche des lieben Gottes. Nochmals raunt Legrand seine Befehle, die wir auswendig wissen. Zwei Mann klappen die Vorderkasteiluke zu, schlagen leise die Keile ein. Bleiben als Wachen stehen. Wir andern huschen in lautlosen Sprüngen die Treppe nach unten aufs Mitteldeck. Entsetzt fahren die spanischen Matrosen auseinander. Enterbeil und Säbel wüten schnell und tödlich unter ihnen. Ein paar halberstickte Schreie, Keuchen und Poltern. Einige entkommen, purzeln wimmernd die Leitern in den Raum hinab, und gleich knallen die Lukendeckel hinter ihnen zu, werden die Keile festgetrieben. Der Rest ist tot und ergibt sich mit schreckstarrenden Gesichtern. Rasch werden Fesseln angelegt. 45
Wie Höllenspuk sind wir aus dem Meere tauchend an Bord gefallen, wie entsetzliche Dämonen müssen wir den armen Kerlen erscheinen. Die Angst hat ihnen die Sprache verschlagen. Wir legen sie nebeneinander an Deck, stellen die Wachen neben sie und an die Luken. Man raunt den Gefangenen zu, ja keinen Laut von sich zu geben, denn sonst . . . Auf dem Hinterkastell lacht jemand gedämpft. Dann knallt ein Schuß und eine Stimme stöhnt: »Ayuda! Los diablos son aqui! Ai, Mama!« Ich bin unter denen, die mit Legrand und Esquemelin das Achterdeck emporstürmen. Dunkle Gestalten taumeln uns entgegen. Scharf schmettert Stahl gegen Stahl. Einige entsetzte Schreie. Noch ein Pistolenschuß. Dumpf fallen Körper auf die Planken und im Meer klatscht es mehrmals vernehmlich auf. - Stille. Dann das Knarren der Rahen, Ächzen der Balken, Summen der Leinwand, Wogenschnalzen und Windsausen, durch die Mondnacht wehend, ein Ganzes, eine Symphonie von tiefer, unaussprechlicher Traurigkeit. Lachend steht Jean am Ruder, bindet es fest. Ist alles ein Traum? Nein! Denn wir sind Herren des Schiffes, was die Decks anbetrifft. - Die in der Kajüte müssen taub oder betrunken sein! Halblaut ruft Legrand über Deck: »Laßt die Kerls unten nur klopfen. Und sollten sie die Luken wirklich aufkriegen, so gebt's ihnen auf die Köpfe!« Dumpfes Geschrei und Gepolter unter Deck verkündeten, daß die Eingeschlossenen sich ihrer Lage bewußt wurden und nun versuchten, die Freiheit zu erringen. Das wird ihnen nie gelingen! Selbst wenn sie die Lukendeckel zerbrächen, könnte nur immer einer auf der schmalen Leitertreppe an Deck kommen, und diesem eins auf den Kopf zu geben, wäre Kinderspiel. Vollständig haben wir aber das Schiff noch nicht. Es ist eine große Karavelle mit drei Masten, und sicher sind Hunderte von Soldaten unter Deck eingesperrt . . . Alles ging so rasch, viel, viel schneller, als ich es hier beschreiben kann. 46
Noch zählen wir ein Dutzend - die andern halten Wache an den Luken. Und das gespenstische Schattenspiel der Tropennacht, das wilde Tun der Männer, die aus dem Meere tauchten oder, wie die Spaniolen denken müssen, vom Himmel fielen, geht weiter. Die Fortsetzung wird sich bei Licht abwickeln. Pistolen schußbereit in den Fäusten, Dolchmesser zwischen den Zähnen, so laufen wir hinter Legrand in die Kajüte hinab. Ein uns entgegenkommender Aufwärter schreit, fällt dann jammernd auf die Knie. »Misericordia! Misericordia!« Ein Entersäbelhieb läßt ihn verstummen, er rollt vornüber aufs Gesicht. Ach, Pepe, war das nötig? . . . Krachend fliegt die Tür auf, und hinter Legrand drängen wir hinein. Fünf von uns fassen in den Gängen Posto; eine in den Schiffsbauch führende Luke wird eilends zugemacht. Bei feenhafter Kerzenbeleuchtung sitzen sie in der Kajüte am runden Tisch. Vier knebelbärtige, in Samt und Seide gehüllte Caballeros und ein weißgekleideter Mönch, der in seinem Sessel eingenickt ist, spielen Karten und nippen Wein. Sind halb angetrunken. Der Mönch zuckt hoch. Und alle starren sie uns an, als ob wir Gespenster wären! Der Mönch schlägt Kreuz nach Kreuz. Legrand stürzt auf den einen los, dem an goldener Kette ein goldenes Schaf oder ein Widder auf die Brust baumelt und der am reichsten gekleidet ist. Leise murmelt der Padre Gebete, läßt die Perlen seines Rosenkranzes durch die zitternden Finger rollen. Einer der anderen greift mechanisch nach dem gefüllten Pokal, läßt ihn fallen, und dunkelrot ergießt sich der Wein über das kostbare Damasttischtuch. »In manus tuas!« flüstert der Priester bebend. »Señor, rindese Usted, mi jente tiene el barco! Somos muchos! Rindese, ó la muerte!« brüllt Legrand und setzt dem Goldgeschmückten die Pistole auf die Halskrause. Der Spanier erhebt sich halb, sinkt zurück. Die andern, von unseren Waffen bedroht, rühren sich nicht, glotzen uns alle an. Stumm, ohne Seufzer. Endlich kommt es über die blassen Lippen des ernüchterten 47
Kommandanten: »Que nos salva Jesuchristo! - Son diablos estos ó quienes son?« Breit lachte Legrand: »Nein, Señor, wir sind keine Teufel. Nur ehrliche Tortugamänner! Ihr Schiff ist mit großer Übermacht von uns genommen. Jeder Widerstand ist Selbstmord. Die Luken sind verkeilt, und alle Ihre Soldaten unter Deck eingeschlossen. Ergeben Sie sich, Señor!« Leben kommt in die Dons. »Caracho!« flucht einer und langt nach einer Pistole, die auf einem Tischchen liegt. Ein Hieb mit der flachen Säbelklinge läßt den Mann ächzend zurücksinken. Er hält sich den Arm, beißt die Zähne zusammen. »Rindese, Caballero«, fordert Legrand wieder ernst und drohend diesmal. Der Kommandant beißt sich die Lippen blutig. »Ist das Schiff wirklich genommen? Ehrenwort, Señor?« Legrand nickt: »Auf Ehrenwort eines französischen Tortugakavaliers, Señor Commandante!« Mannigfache Gedanken spiegeln sich in dem stolzen, blassen Gesicht des Spaniers. Scharf zieht er den Atem ein. Im Gebälk rumort es. Ein Heimchen singt, die Kakerlaken rennen. An Deck wimmert jemand leise. Und wieder kommt es über die Lippen des Mannes, der seinem König eben ein Schiff verlor: »A buena querra, Señor. Wenn es so steht, übergebe ich mich und appelliere an die französische Menschlichkeit. - Was haben sie mit meinen Leuten vor, Caballero?« Legrand läßt die Pistole sinken. Er verbeugt sich. »Wir werden euch alle wohlbehalten auf Hispaniola an Land setzen!« »Parola de honor?« »Mein Wort! - Bitte, legen Sie den Degen ab, die übrigen Herren auch. Der Padre kann seine geistlichen Waffen behalten. Und dann bitte ich Sie, Señor, mir an Deck zu folgen!« Olivier flüstert mir zu: »Mordioux, was sagst du dazu, Mac? Wirst du das aufschreiben?« »Und ob!« antworte ich leise, und meine Augen verschlingen das unwirkliche und doch so wahre Bild vor mir: die blassen Spanier, die halbnackten Bukanier . . . 48
»Jean und Xavier! Ihr bewacht die übrigen Herren hier. Sammelt die Degen ein! »Señor Commandante, bitte folgen sie mir!« Der Don verbeugt sich leicht. Legrand verbeugt sich ebenfalls, und einander bekomplimentierend gehen sie hinaus: der geschniegelte, stolze Spanier und der halbnackte, schweißbedeckte Freibeuter. Gefolgt von uns. Einer nach dem andern steigen wir über den armen Teufel weg, der in einer Blutlache im Korridor liegt. - Pepe, ach Pepe, war das denn nötig? . . . Wir treten in die mondhelle Tropennacht. »Bill, ans Ruder! Kurs: Osten zu Norden! Aber laß den Kasten nicht durchgehen und aus dem Winde fallen!« »Osten zu Norden, allright!« wiederholt Bill. Dem Spanier entringt sich ein Seufzer. Schmerzlich tief. Er überblickt das Deck, sieht deutlich die im hellen Mondlicht sich abzeichnenden stillen Gestalten seiner gefallenen Leute, sieht die paar Gefesselten und die wenigen schwerbewaffneten Brüder der Küste, die Wache stehen. »Señor! Um der Madonna willen! Wie viele seid ihr denn?« Legrand lacht: »Achtundzwanzig, Señor!« »Madre de Dios, ich habe meine Ehre verloren! - Wissen Sie, daß ich über hundert Musketiere und Arkebusiere habe, und viele Seeleute dazu?!« »Unter Deck, Señor. Und hilflos!« »Caballero, Sie sind ein - ihr seid Teufelskerle!« ertönt ein widerwilliges Lob von den Lippen des Spaniers. Legrand verbeugt sich: »Ich warne Sie aber, Señor. Machen Sie keine Torheiten, und rufen Sie Ihre Leute ja nicht zum Widerstand auf. Es wäre nutzlos, und um Sie sollte es mir leid tun!« Sein Pistolenhahn knackt. Der Don richtet sich auf. Unsäglich verächtlich spricht er langsam : »Señor, Sie haben mir durch eine Lüge die Ehre gestohlen, aber ich habe Ihnen mein Wort gegeben!« »Bueno! Dann kommen Sie!« Hinter den beiden her gehen wir an die erste Luke. Dumpf poltert es unten. Der eine Wachthabende lacht: »Hörst du, Pierre, wie sie singen?« 49
Der Kommandant bückt sich, klopft mit der Faust auf die Deckel. »Silencio! El Commandante Don Alonzo de Guzman habla! Hört!« Unten wird es still. Und nun spricht der Spanier, während seine Augen uns tödliche Blitze zuschleudern, Wort für Wort nach, was Legrand ihm vorsagt: »Legt eure Waffen in die Kammer und geht schlafen. Bei Sonnenaufgang wird einer nach dem anderen an Deck gelassen. Man hat uns ehrenwörtlich versprochen - und ich hege keinen Zweifel, daß dies Versprechen gilt - uns auf Hispaniola an Land zu setzen!« Dumpfe Gegenfrage ertönt, und geduldig erklärt der Don nochmals das gleiche. Endlich haben sie verstanden und es wird ruhig unter Deck. Nur noch ein leises Summen, wie von einem eingeschlossenen Bienenschwarm. An den anderen Luken wiederholt sich alles. Erklärung. Frage und Antwort. Stille. Don Alonzo wird in die Kajüte zurückgeführt. Er sinkt in seinen Sessel, faßt sich wiederholt an die Stirn. »Señores, es ist unglaublich!« »Aber wahr!« sagt Olivier leise und wie mitfühlend. »Ich werde Sie und Ihre Offiziere sowie den Padre in der Kajüte bewachen lassen. Sie mögen schlafen oder Karten spielen oder trinken. Es soll Ihnen an nichts fehlen. - Pepe?« »Mon Capitaine?« »Mit Xavier und Francois bewachst du die Señores. Beleidigt sie nicht, aber laßt sie auch nicht aus den Augen, ja?« »Bon! - Bon! - Bon!« Legrand, Esquemelin und wir anderen gehen an Deck. Ich sehe noch, zurückblickend, wie der Kommandant brütend, mit zerquältem, schweißbedecktem Gesicht am Tisch sitzt. Sehe seine Hände sich krampfhaft schließen und öffnen. Armer Teufel! Und stehe an Deck. Schwitzend, staunend, von herrlichem Triumph erfüllt, vor Freude wie betrunken, stehe ich mit den anderen im Mondlicht. Plötzlich bricht Legrand in donnerndes Gelächter aus. Und wir 50
lachen mit. Und Rudersmann und die Posten überall - alles lacht. Das frohe, unbekümmerte Gelächter der Tortugamänner, die den Einsatz gewonnen haben, brandet über die Karavelle, deren Segel klatschen und deren Rahen ächzen. Legrand wischt sich die Tränen aus den Augen. »Kinder, das ist einfach toll! Dieser Kasten, wie heißt er noch?« Sein Blick fällt auf die reich geschnitzte, bunte Figur an der Kampanjetreppe: »Ah, El Santo Niño! - Dieses Heilige Kind gehört uns! Uns! Und keiner der Unsern hat nur einen Kratzer abbekommen. Nom de Dieu, ist so was schon dagewesen?« Jean ruft: »Vive Legrand!« Und »Vive Legrand!« schreien wir alle. »Und nun, mes enfants, haltet gute Wacht, ich werde für Wein und Essen sorgen. Aber besauft euch nicht. - Ich will den Kommandanten fragen, was das Heilige Kind geladen hat. Hoffentlich Gold und Silber!« »Hei, Pieces of eight! Pieces of eight! Goldene Eskudos! Goldene Achtrealenstücke!« brüllte Jean, und abermals dröhnt Legrands gutmütiges Lachen übers Deck. Das Heilige Kind steuerte seinen neuen Kurs, der es von den anderen Schiffen, die außer Sicht sind, entfernt. Lustig klatschen die Wellen, tief brummen die Segel, der Sog murmelt geschäftig. Überm Meer gleißt der Mond, funkeln die Gestirne der Tropen. Heiliger Dunstan! Ist's Wahrheit, oder träume ich in den Armen der Bruna auf Tortuga? . . . Der Rudermann singt: »En avant mes bons amis! Tititumtata, tatatumtata!« Ein spanischer Bedienter - sie haben ihn sicher in der Anrichte oder sonstwo versteckt aufgefunden - kommt aus der Kajüte. Er bebt am ganzen Leibe vor Angst, trägt in den zitternden Händen volle Schüsseln und Flaschen und - oh, sagte ich nicht einmal, daß Tabak die Speise der Seele sei? Und mußten wir nicht unsere Pfeifen entbehren während der langen Bootsfahrt? 51
Jener Bediente hat auch ein Körbchen mit krausem Tabak und langen holländischen Tonpfeifen. Das verdanke ich sicher Esquemelin, der mit Legrand in der Kajüte steckt. »Her damit, Muchacho!« Der Mann blickt mich aus großen Augen an. Ich wähle eine Pulle Wein, etwas Gebäck und eine Pfeife nebst Tabak. Der Mann eilt in die Kajüte und kommt mit einer brennenden Kerze zurück. »Brauchst keine Angst zu haben. Wir tun euch nichts, wenn ihr vernünftig seid. Werden euch bald an Land setzen!« »Der Heiligen Jungfrau sei gedankt!« murmelt der Muchacho, und geht dann weiter an die Verteilung. Ich nehme einen tiefen Schluck. Zünde dann die Pfeife an. Ah! Ah! Der Rudermann hinter mir trinkt aus einer Flasche. »Alicante!« sagt er vergnügt aufstöhnend. »Alicante!« Vorne tinkelt eine Gitarre, und einer singt ein süßes Provenceliedchen. Die Wellen klatschen, die Rahen stöhnen, und das Mondlicht wühlt wie besessen in einer tiefen, ungeheuren Gruft voll gemünzten Silbers . . .
PIECES OF EIGHT! . . . Hispaniola liegt seit sechs Stunden an Steuerbord. Voraus prangt purpurschattig die Felsbastionen von Tortuga. Unsere Gig hält, einen Schaumstreifen wie frischgefallenen Schnee in der Kielbahn, tief unter prallem Segeldruck auf die Bukanierinsel zu. Die kleine Nußschale hat schwere Ladung. Säcke, Kisten mit Delikatessen und Wein von El Santo Niño. Dazu starke Segeltuchbündel voller Pieces of eight, Gold- und Silberbarren und sogar einige Rollen Malerleinwand, die ich für Bellini mitgenommen habe. Ich schnitt sie an Bord einfach aus dem Rahmen; der Mann aus dem heiteren Florenz mag die Heiligen überpinseln oder die Rückseite bemalen. Die Gig ist so voll, daß Esquemelin und ich kaum Platz haben. 52
Zwischen uns beiden türmt sich die Ladung. Gute Brise weht, und nach zwei Stunden werden wir wohl in den Hafen laufen. Der Franzose hockt im Bug und raucht Pfeife. Ich, im Heck, steuere und rauche Pfeife. Von Zeit zu Zeit prosten wir uns lächelnd aus den Flaschen zu, deren jeder eine neben sich hat. Auch wechseln wir miteinander zuweilen über die Kisten hinweg Scherzreden. »Du, die werden Augen machen, sacre Dieu!« brüllt er, heute schon zum zwanzigsten Male. Ich muß immer wieder lachen. Und singe dann anzüglich: »Westward ho! Yoho!« Olivier feixt: »Von wegen! Eastward ho! fährt die ganze lustige Bande auf El Santo Niño. Nach Osten, nicht nach Westen!« »Bereust du's?« »Ach wo! Meine Zeit in der Spanischen Main ist noch nicht abgelaufen. Und es gibt Fische - Fische - verflucht! Wie heißt euer englisches Sprichwort doch?« »Es sind noch ebenso viele Fische in der See, wie herausgenommen wurden. Das hieße in unserem Fall, daß noch viele spanische Schatzschiffe und Abenteuer die schwere Menge auf uns warten!« »Ja, so ist's! Und ich wünsche den Burschen Glück und guten Wind und gute Ankunft!« Er stopfte die Pfeife, lehnte sich aus dem Wind, um Feuer zu schlagen. Und so fahren wir auf das ragende Tortuga zu. Eine kleine Gig voller Leckerbissen und Gold und Silber. Der französische Historiker Alexandre Olivier Esquemelin aus Honfleur und ich. - Die andern? Heiliger Dunstan! Hei, das ist eine kostbare Geschichte! Und heute noch, beim Niederschreiben, muß ich schmunzeln, und meine Feder hüpft mutwillig übers Pergament . . . Doch hört nur: Tag. Beigedreht schwankte das knarrende Heilige Kind in unserer guten Obhut auf gläsernblauer Dünung. Der Himmel war ein helles, mit dichten Weißgoldfäden durchwobenes Netz. Und die Luft heiß, so heiß, daß der Teer zwischen den Planken hervorkochte. 53
Einer der Unsern saß mürrisch neben dem festgebundenen Steuerrad. Ein anderer hockte ebenso mißmutig auf Ausguck im Mastkorb. Sonst waren die Decks und Kastelle des El Santo Niño gespenstisch leer. Die Dons: Kommandant, Offiziere, Padre, Wundarzt, Soldaten, Kanoniere und Matrosen und was sie sonst noch sein mochten, waren kunterbunt unter Deck eingesperrt, nachdem die Entwaffnung und Sicherstellung aller tödlichen Geräte beim ersten Morgengrauen stattgefunden. - Ich denke immer noch an die Gesichter der Kerle, als sie unsere geringe Zahl sahen. - Schade, daß Bellini nur Frauen malt, sonst müßte er mir das Bild anfertigen! Und wir übrigen sechsundzwanzig - denn zwei weilten ja an Deck - wühlten im Golde! Tauchten unsere nackten teerbeschmierten Arme bis an die Achseln in Fässer, die randvoll blitzender Pieces of eight waren! Griffen Hände voll heraus, ließen sie, dabei kindlich lachend, als Goldregen zurückklirren. Betrachteten staunend die Stapel unscheinbarer matter Goldbarren und die Stapel grauer zinnartiger Silberingots. Bogen spaßeshalber das weiche Metall aus der Fassung. Sangen, jubelten, schrien, knallten einander die Fäuste auf die Schultern und tanzten umher. Es war märchenhaft. Noch nie hatte einer von uns soviel Gold und Silber auf einmal gesehen! Denkt doch nur: achthunderttausend blanke Pieces of eight! Wir zählten sie zwar nicht gleich, aber die Aussagen des Kommandanten und seine Bücher logen nicht. Dazu fast zweitausend schimmernde Perlen - worunter recht ansehnliche - von Santa Margarita! Und viele Dutzende Arrobas (Maultierladungen) Gold- und Silberbarren. War es denn möglich? . . . Oh, mich hat die Freiheit und der süße Zauber der tropischen Palmengestade in die Spanische Main gelockt, wird mich immer und ewig gefangenhalten. Die verbissene, blutvergießende Jagd der Menschen nach Gold kann ich dagegen nur teilweise verstehen. Jedoch hier an Bord dieser auf so unwirkliche Art ein54
genommenen Prise, wo ich das gleißende Metall fässervoll und stapelweise vor mir sehe und das tollmachende, goldene Klirren und Klingeln in den Ohren habe, da packt auch mich die unheilvolle Magie dieses seltsamen Menschheitsfluches. Gold! Gold! Pieces of eight ! Hei ! wie das kungelte und tönte ! Und blitzte und glänzte ! Und wie gewichtig und erregend es sich anfaßte! Oro y Plata, del mundo nuevo . . . Jean und drei andere hatten trotz der nicht ernstgemeinten Flüche Legrands eine der Tonnen umgeworfen. Klingend und rotaufglühend rollte es nach allen Seiten, schäumte an den engen niedern Wänden empor, rauschte hell zurück und dann - wälzten sich die vier Burschen wie spielfrohe Kinder im Golde. Badeten in Goldstücken. Und Legrand, dessen Hand schon an der Pistole zuckte, ließ sie wieder sinken und er grinste, als er die kindlichfrohen Gesichter der Männer sah. »Nom de Dieu ! Nom de Dieu !« frohlockte Esquemelin eintönig und merkte gar nicht, daß er dabei mechanisch an der erkalteten Pfeife sog. »Für meinen Anteil kauf ich mir ein Schloß in Devonshire!« schrie Bill laut. Ein anderer : »Nach Paris ! Nach Paris !« François : »Im Haag zwischen den Tulpenfeldern lebt sich's auch nicht schlecht! Verdoomd, wenn ich's nicht tue!« Ein dritter, mit verzückten, in weite Fernen blickenden Augen : »Samt und Seide und Perlen und Geschmeide sollst du tragen und mich dafür nicht mehr verlassen. Ah, du, du!« . . . Der vierte: »Mutter, liebe Mutter, nun kann ich dir's schön machen, und du verzeihst mir« . . . Goldstücke sangen und tönten die ganze Zeit unter den schweren Körpern der Männer, die sich darin wälzten. Das Schiff stöhnte, schwankte hin und her, und es war heiß, heiß - und die Kugellampen strahlten gelbes Licht über das rotaufglühende Gold. Verwandelten alles in eine phantastische, schimmernde Hölle. Ich seufzte, denn auf einmal beschlichen mich merkwürdige Ge55
danken. Ich war weder traurig noch froh und spürte, wie eine dumpfe Gleichgültigkeit gegen das Gold in mich einzog und wie etwas anderes, Schöneres, immer leuchtender von meiner Seele Besitz ergriff. Und wußte plötzlich : was ist alles Gold der Erde gegen die Schönheit des ewig wechselnden Meeres der Tropen? Und gegen ein Glas Wein in lustiger Gesellschaft, eine Pfeife Tabak bei einem guten Buch, oder ein lachendes, blitzäugiges Frauenantlitz? Könnt ihr mir das sagen? . . . Ich stopfe meine Pfeife, und meine Hände zittern nicht beim Feuerschlagen. Und beginne zu qualmen. Und schreite langsam der Schwelle zu, mich zieht's hinauf in die frische Luft, in den Glanz des Naturgoldes am heitern Himmel. Ich will die Möwen sehen und das Meer. - Das Geld in der Schatzkammer ist unser, das läuft ja nicht mehr weg. Aber ununterbrochen wechselt das Zauberkleid der Natur, und schade um jeden Augenblick, den man dabei versäumt. »He, Mac, das bißchen Oro scheint dich ja nicht sonderlich aufzuregen?« staunt Legrand; seine Augen glitzern wie im Fieber. »Es sieht sich sehr hübsch an, soviel auf einem Haufen ! Und klingelt lustig! Aber nun habe ich's gesehen und schätze, daß man zwar gegen Gold alles geeigneten Orts zu kaufen vermag. Aber essen oder trinken kann's keiner!« »Kaltblütiger junger Teufel!« schmunzelt Esquemelin, bückt sich dann und wühlt wie behext in Pieces of eight. »Geht denn keiner mit nach oben? Die beiden an Deck wollen gewiß auch den Schatz sehen !« Ich steige über die Schwelle, und da niemand antwortet, gehe ich weiter durch den engen Korridor und klettere die Leitertreppe hoch an Deck. Das ganze war unheimlich ! Dieses Schiff, außer jenen Männern die wie Meeresphantome die Dons überrumpelt hatten und die jetzt der Goldrausch in seinen Klauen hielt, schien ausgestorben zu sein. Bis auf die zwei Wachehaltenden und mich! Und dennoch steckten fast zweihundert Menschen im untersten Raum. Ohne Waffen zwar, aber voll Haß und Zorn gegen uns, schmiedeten sie gewiß Pläne, wie sie die Schmach abwenden könnten. Und wenn es ihnen gelänge, sich zu befreien? Die Eroberer er56
götzten sich ja zeitvergessen am teuflischen Golde ! - Und wenn jene uns dann durch ihre Übermacht einfach erdrückten? Oder wenn es einem Fanatiker gelänge, zur Pulverkammer vorzudringen, das Schiff und alle in die Luft zu jagen ! Don Alonzo de Guzman, dessen goldenes Schaf - es ist der hohe Orden des Goldenen Vlieses - jetzt an Legrands Brust baumelt, traute ich's zu. Und es wäre nicht das erste Mal, daß solches auf hoher See geschähe . . . Der Mann neben dem Ruder blickt erwartungsvoll empor. »Nun?« knurrt er und Gier flammt lichterloh in seinen Augen. »Geh nur runter und schau dir's selber an. Pieces of eight und Barren. Gold und Silber, genug, sich darin zu wälzen !« Ein Schrei! Wilde Freude, noch durchzittert von Unglauben. Und dann stürzt er mehr, als daß er klettert, die Lukentreppe hinab. Der Ausguck kommt aus dem Mastkorb an Deck. Er hat etwas gemerkt. »Was gibt's Mac, hat die Kuh goldene Zitzen?« »Eine ganze Kammer voll!« brüllte ich zurück. Er schleudert seine rote Zipfelmütze in die Luft, tanzt wie ein Verrückter umher. Ich warne: »Warte lieber, bis du abgelöst wirst, das Gold läuft ja nicht davon. Denke an unsere Statuten. Legrand versteht keinen Spaß in solchen Sachen. Bleib an Deck !« Er stößt den Musketenkolben wütend gegen die Planken: »So soll der Hurensohn, der mich ablöst, sich beeilen. Verdammter Dreck !« Fortan spähte er, statt übers Meer, unverwandt nach der Luke, die zum Schatzgewölbe hinabführte. Ich holte mir eine Pulle Claret aus der Kajüte und schlug ihr den Hals ab. Damit und mit meiner qualmenden Pfeife setzte ich mich behaglich neben das Steuer. Prachtvoll war's, derart zu sitzen, zu rauchen, träumen und trinken, während El Santo Niño sanft schlingerte und die Musik des hölzernen Schiffsleibes, der Segel und des Meeres einen einlullte. Ungefähr jede dritte Minute brüllte der empörte Ausguck: »Kommt denn noch keiner von dem faulen Pack? He?« 57
Am Heck flatterte und knallte an Stelle des niedergeholten mächtigen gelbrotgoldenen Banners von Castilia und Leon die kindliche, aber von düsterer Tradition gezeichnete Flagge der freien Brüder der Küste. Weißer Totenkopf und gekreuzte Knochen auf schwarzem Grunde. Wenn ich könnte, so würde ich meine eigenen Farben in der Spanischen Main hissen: auf weißem Grunde eine vielfarbene, seltsam schöne Blüte. Die Blume der Romantik, die alle Poeten und die Bücher blau nennen, während sie doch in Wirklichkeit - für den, der sie fand ! - in allen bunten Tönungen glüht und funkelt . . . Bumm! - Joseph, dem die Zeit zu lang wurde, hatte vor Ungeduld und Wut seine Muskete losgeknallt. Grinste nun nach mir zurück. Und richtig: wie Figuren eines Puppenspiels auf St. Bartholemew's Fair zu London schnellten hintereinander Legrand, Esquemelin und Jean aus der Luke. »Versuchen die Dons Unsinn?« »Nein, nein, Pierre!« beruhigte ich, und Joseph brüllte dazu: »He, Pierre, mir ist mal aus Versehen - weißt du, ich stampfte den Kolben zu sehr auf - die Kanone losgegangen. Ich halte nämlich Wache. Dienst ist Dienst, Gold ist Gold und Rum ist Rum !« »Das kannst du deiner Großmutter erzählen, alter Filou! Aber marsch, schau, daß du runterkommst, Gierschlund. Sieh dich unten satt!« erwiderte Legrand. Joseph sauste wie der Blitz die Treppe hinab, rannte über Deck, dann die Kampanjetreppe hoch und tauchte ins Luk. Kopfüber schien es mir. »Prost! A votre santé, messieurs!« Ich nahm einen Schluck, qualmte weiter. Hellauf lachte Esquemelin. Legrand schaute mich belustigt an, warf einen Blick über die See und nach den oberen Segeln. »Bist der Jüngste von uns und doch der Vernünftigste. Macht dir denn das Gold nichts aus, Mann? Wirst du nicht verrückt dabei?« »Ein bißchen, Käpten, ein bißchen. Ich bin eben noch zu jung. Wenn ich älter werde, wird's wohl ärger kommen!« 58
»Wer? Was?« »Der Golddurst. Vorerst bin ich zufriedener mit Palmen, Blumen, Früchten, einem Kuß roter Lippen nebst einem guten Schluck und viel Freiheit. Freiheit wie auf Tortuga.« Die drei setzten sich. Ich reichte die Pulle, und sie ging reihum. Jean sprang auf, eilte in die Kajüte und kehrte mit Tonpfeifen und dem Kraut Tobago zurück. Alle stopften sie und schlugen Feuer. Rauchten vergnügt. Und das Heilige Kind schaukelte mit leichter Backbordschlagseite beigedreht in der sterbenden Brise. »Feines Schiff!« brummte Legrand nachdenklich. »Prachtvoll!« stimmte Jean bei. »Auf Tortuga werden sie uns festlich empfangen!« meinte Olivier. Legrand: »Tortuga? Hm, ja, hm!« Jean: »Jaaa! Hm!« Esquemelin: »Was ist mit euch los?« Wieder ging die Pulle herum und kehrte leer zu mir zurück. Da brummte Legrand : »Der Kasten hat genügend Schätze an Bord, um uns alle zu wohlhabenden, sogar reichen Männern zu machen. Bar Gold und Silber sind rar in Frankreich!« Jean: »Vraiment, mon Capitaine?« Olivier nahm die Pfeife aus den Lippen: »Ich verstehe euch nicht ganz !« »Comment donc !« »Mais oui ! Bin ich denn ein Rätselrater und Sterndeuter?« »Wir wollen erst mal die Dons loswerden, dann halten wir Schiffsrat. - Übrigens, bei den Gefangenen sind etliche gepreßte holländische und französische Seeleute. Tüchtige Burschen, die liebend gerne mitmachen würden, schätze ich!« »Aber bis Tortuga können wir diese Wanne doch allein bedienen! Wir sind doch Seeleute. Und könnten im Notfalle unter Reffs segeln ! - Das Schiff ist ein vorzüglicher Segler, wie ihr alle schon gemerkt habt. Don Alonzo sagte mir, daß ein Sturm während der letzten Woche die sieben auseinanderbrachte, und erst gestern hat er den Konvoi wieder eingeholt und sei glatt an ihm vorbeigesegelt !« 59
»Was hältst du von dem Don?« »Nun, der übliche Schlag. Spanischer Aristokrat, für den Mindergeborene zwar leutselig behandelt werden können, aber im Grunde genommen doch Dreck sind. Blaues Blut. Ich möchte ihm mal in die Kaldaunen pieken, ob es wirklich blau herauskommt. Stolz wie ein Eisblock. Wir haben ihn überrascht, sonst . . .« »Komischerweise meint er, ich sei ein Lügner, weil ich ihm erzählte, daß wir das Schiff mit Übermacht gekapert hatten. Verrückt wäre es gewesen, ihm zu sagen, daß wir nur achtundzwanzig tüchtige Tortugamänner sind!« »Mordioux ! und als er die Übermacht sah, hätte er uns am liebsten massakriert, wenn's noch geklappt hätte!« »Und falls er an die Pulverkammer könnte . . .«, mischte ich mich ein. Herzhaft lachte Legrand: »Und Schiff und Mannschaft samt Ratten, Heimchen und Kakerlaken in die Luft sprengte? - Er würde es fertigkriegen, aber die Pulverkammer liegt achtern unter uns, und die Zwischengänge und Schotten sind zu gut verbarrikadiert. Außerdem halten jetzt drei Mann unten Wache, die ich mit Mühe und Not von den Goldhaufen fortlotste !« »Was willst du eigentlich mit den Dons beginnen? An Land setzen, sagtest du schon. Aber wo?« Legrand angelte ein Kreidestück aus der Hosentasche, malte mit wenigen Strichen die Konturen der Insel Hispaniola auf die Planken. Dazu die Windrose. »Seht her, Maaten, das ist Nord, dort Süd. Und wir schwimmen jetzt ungefähr hier, wo ich den Punkt mache. Eben auf dem Kurs, den die Konvois von Puerto del Principe auf Kuba nach Europa segeln. Nun denke ich, wenn wir die Kerle an der Westküste der Insel auskippen, so können sie sich nicht beklagen. In wenigen Tagen haben sie ihre Siedlungen erreicht, und wir liegen inzwischen auf anderem Bug eastward ho !« »Nach Tortuga !« bestätigte Esquemelin. »Tortuga? Hm, sagte ich nicht eastward ho?« . . . Langsam zerbrach die Spannung, denn eben stiegen die anderen, 60
mit Ausnahme der untengebliebenen Wachen, an Deck. Zweiundzwanzig halbnackte, barfüßige Kerle, deren Augen noch irr leuchteten, deren Hände zuckten und die schwer keuchten. Sie waren an Deck gekommen, denn unter uns herrschte eine zwanglos schöne Disziplin, die fast jeden Befehl überflüssig machte. François, der Quartiermeister, hielt einen gewaltigen Schlüssel in der Rechten. - »Hier, Pierre, ich habe die Bude unten abgeschlossen. Man wird sonst noch verrückt von dem Gefunkel!« brummte er. »Recht so, mein Alter. Es soll keiner zu kurz kommen. Ehrlich, gemäß den Statuten, geteilt! Aber jetzt müssen wir dieses Heilige Kind wieder vor den Wind bringen. Jean, du gehst ans Ruder. Halte direkt Nord!« Jean trat ans Steuer. Wir andern gingen zu den Brassen und Schoten. Legrand kommandierte : »Hart backbord, Jean!« Die oberen Segel begannen zu flappen, stellenweise bauschte sich das Tuch. »Ree! Ree! Ree!« brüllte Legrand. Und mit Macht legten wir uns in die Falle, holten die Schothalsen herein. Knarrend schwangen die ungefügen Rahen herum. Und nun noch die Klüver, Spanker und Stagsegel übergeworfen angeholt. Nach einer halben Stunde fieberhafter Arbeit, die bei vollzähliger Mannschaft nur fünfzehn Minuten gedauert hätte, furchte El Santo Niño durch die plätschernden Wogen. Nordkurs. Bill ließ den Aufwärter, der solange in der Anrichte eingesperrt war, wieder frei. Er mußte leichten Wein austeilen. Nachher wurde er in die Kombüse geschickt zum Kochen. Die Dons im Raum unten hatten ein Fäßchen Wasser und einige Säcke Hartbrot bekommen. Damit mußten sie sich begnügen. Diät würde dem Kommandanten und seiner Kajütenclique nur gut tun. Legrand und François nahmen den Proviantbestand auf. Das Schiff war ja für Hunderte Menschen auf lange Fahrt ausgerüstet. Waffen und Munition fanden sich im Überfluß. Und unter Deck dräuten auf jeder Seite hinter den verschlossenen Stückpforten zwölf Bronzekanonen ansehnlichen Kalibers. Auf dem Hinterkastell stand eine Drehbasse, mit der man alle Decks 61
bestreichen konnte. Wir luden sie voll Traubenschuß, und Xavier, unser Meisterkanonier, setzte sich mit brennender Lunte daneben. Rauchte seine Pfeife und klatschte sich des öfteren vergnügt auf die nackten Schenkel. Jetzt sollten die Dons nur mal versuchen, auszubrechen . . . Und die Minuten, Stunden, Tage, Nächte der Spanischen Main versanken hinter uns in der unsichtbaren Sanduhr der Weltgezeiten. Eines Nachmittags liefen wir eine niedliche Bucht der Insel an. Sämtliche Dons wurden an Deck gelassen. Die Drehbasse und unsere Musketen drohten vom Vorder- und Achterkastell. Die Spaniolen mußten sich selber an Land rudern. Zwei Langboote fuhren so oft hin und her, bis sie alle drüben auf dem Sandstreifen standen. Proviant bekamen sie mit, auch zehn Musketen nebst Munition, um auf die Jagd zu gehen. Don Alonzo durfte sogar seinen Toledanerdegen behalten. Das goldene Schaf gab ihm Legrand allerdings nicht zurück, sondern lachte ihn aus, als er es verlangte. Der dicke Padre - der ein gemütlicher Mann war, obwohl ich ihm bei einem Inquisitionsgericht nicht in die Hände geraten möchte - segnete uns. Und viele der Dons, die bis zum letzten Augenblick gedacht hatten, wir würden sie alle abschlachten, riefen uns ihren Dank zu und schmetterten ein »Viva!« nach dem andern in die warme Luft. Etliche fluchten aber und schalten uns Häretiker und Zauberer und Mordbande, obwohl die meisten von uns als Franzosen getaufte Katholiken waren. - Laß sie schimpfen, an ihrer Stelle würde ich wohl auch so handeln! dachte ich und blickte weiter über Bord. Und fand es mitnichten hübsch von Don Alonzo de Guzman, daß er, wenige Ruderschläge von der Karavelle entfernt, eine Muskete ergriff und rasend vor Wut und Scham versuchte, unseren guten Papa Legrand abzuknallen, der pfeifend und schmunzelnd über die geschnitzte Reling lehnte. Die Kugel sauste über seinen Kopf weg. Wir schrien vor Wut und machten Miene, ein Rottenfeuer auf das Boot zu eröffnen, und einige der darin sitzenden Dons wollten ihrem Kommandanten zu Leibe. Aber Legrand schmetterte 62
sein gesundes, unbekümmertes Lachen, schwenkte den Hut - er hatte sich nämlich aus dem Kleidervorrat der Kajüte herrlich elegant herausgeputzt - und machte eine spöttische Verbeugung. Darauf vergaßen wir das Schießen, weil wir so lachen mußten. Das Boot fuhr der Küste zu, und dann sahen wir, wie Don Alonzo sich hoch aufrichtete, ins Wams griff, eine kleine Pistole zog - wo hatte er sie nur her? - und sie rasch an die Stirn setzte. Mit dem Knall klatschte er über Bord. Die Dons hielten an, schauten gestikulierend und schnatternd ins Wasser. Aber er mußte wohl wie ein Stein gesunken sein. Auch hier an der Küste gab es Haie! Jene ruderten weiter, und wir waren sie los. »Idiot! Half das ihm oder seinem König?« brummte Esquemelin an meiner Seite. Mit Hilfe der zehn Franzosen und Hollandmänner, die von den Dons mit Freuden zu uns übergewechselt waren - aber trotzdem noch gut im Auge behalten wurden - brachten wir El Santo Niño wieder vor den Wind. Und hielten in die offene See hinaus. Es war ein balsamischer Abend. Da wurde der Schatz an Deck gehievt und unseren Statuten gemäß - die Esquemelin nochmals vorlas - geteilt. Es war ein fieberhaftes Vergnügen. Etliche der Männer weinten vor Freude. Andere fluchten vor sich hin. Das Teilen dauerte bei Lampenlicht die ganze Nacht. Legrand war gewissenhaft und keiner meckerte. Wie ich denn früher oder später nie eine Schiffsmannschaft gesehen habe, die so schön harmonierte! Meine Pieces of eight, die Gold- und Silberingots, hätte ich nur mit einigen Mauleseln forttransportieren können. Und die neuen Matrosen bekamen jeder einige Händevoll Pieces of eight und das Versprechen weiterer. Und dann geschah das Tollste! Ich sehe es noch heute vor mir. Die Sonne war gerade aufgegangen, küßte die einzelnen Goldhaufen, die einem jeden vor den Füßen lagen, leuchtete auf den muskelkauenden, leidenschaftlichen Gesichtern unter den roten Nachtmützen. Und Legrand, in spanischer Tracht, den Federnhut auf seinem 63
kurzgeschorenen Haar - nur war er barfuß - wie er plötzlich ganz gemütlich sagt: »Mes enfants, wir haben jeder genügend Gold, um bis ans Ende unserer Tage in Freuden zu leben! Mich dünkt daher, wir steuern weiter nach Osten. Oder will einer von euch nach Tortuga zurückfahren und dort mit den andern, die in diesem Unternehmen nicht ihr Fell zu Markte getragen haben, teilen? - Ich für meine Person bin geneigt, heimzufahren. Nach la belle France. Was meint ihr dazu, he?« Verblüfft schauten wir einander an. Esquemelin fiel in lautes, lustiges Gelächter, zerbrach dabei seine Pfeife an der Reling. Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Die ganze Zeit schmunzelte Pierre Legrand und ließ spielend etliche Pieces of eight durch seine Finger klingeln. Und ich merkte, wie er diese rauhen, blutschuldbeladenen Männer, die auf ihre Art gute Kerle waren, bezaubert hatte. Durch das Wörtchen Heimat. Und konnte es nicht verstehen, denn meine Heimat ist dort, wo es mir gefällt und wo man mich anständig behandelt, sei es unter Weißen oder Schwarzen. Die Hautfarbe macht keinen Unterschied. Einige stießen verzückte, unartikulierte Laute aus, andere fluchten freudig. Ihre Augen blitzten, Köpfe nickten eifrig, Seufzer verwehten. Der riesige François trat vor, grinste wie ein Lateinschüler, der eine gute Note anstatt des Lineals auf den Achtersteven empfing, und sagte: »Käpten, wir wollen, wie es der Brauch erheischt, als freie Brüder der Küste darüber abstimmen!« »Bon! Tut das, meine Freunde! Aber beeilt euch. Vielleicht kriegen wir was auf die Mütze, vielleicht auch nicht. Seht ihr dort die geschwänzten Wolken vor die Sonne streichen? Die gefallen mir nicht!« . . . François patschte auf seinen nackten Sohlen in die Kajüte und kam mit einem silberbestickten Hut Don Alonzos zurück. Sprach vergnügt: »Jeder Mutter Sohn, der mit dem Käpten nach Frankreich segeln und dort ein lustiges Kavaliersleben führen will, der schmeiße ein Goldstück in den Deckel des Dons! Wer nach Tortuga zurück will und dort ein lustiges Leben führen möchte, der schmeiße keines. En avant! Go ahead!« 64
Als erster warf er selber ein Piece of eight in den Hut. Ging dann von einem zum anderen. Achtundzwanzigmal. Auch zu Pierre Legrand. Die neuen Matrosen schauten zu, als ob sie die Maulsperre hätten. François beendete seine Runde, zählte bedächtig und warf einzeln die Goldstücke auf des Käptens Haufen. »Sechsundzwanzig sind dafür. Zwei dagegen!« verkündete er. Legrand lachte: »Brav. Und die zwei? Der eine ist sicher Mac, und ich kann ihn verstehen, denn er will noch was hier draußen erleben, und an seiner Stelle würde ich's ebenso machen. Die Santo Niño ist nicht das letzte Schiff, das von Tortugamännern gekapert wurde. - Aber sagt an, wer ist der zweite?« Esquemelin stieß wieder sein fröhliches Gelächter aus: »C'est moi, mon vieux!« »Du, Olivier?« »Oui! Warum auch nicht? Es fällt mir zwar verflucht schwer, nicht jetzt schon die Chance beim Wickel zu nehmen, weil sie vielleicht nicht wiederkommt und ich eines Tages in der Takelage eines Dons wie ein Räucherhering dörre. Aber ich will noch eine Weile hier draußen bleiben. Geschichte erleben, und sei es auch nur das, diesen von Romantik besoffenen Mac zu hüten! Doch glaubt mir's: hier draußen in der Spanischen Main wird jetzt europäische Geschichte gemacht und die künftige Welteinteilung gestaltet. Und das soll ich mir entgehen lassen?« »Alexandre Olivier Esquemelin, du bist verrückt oder schon am frühen Morgen besoffen !« schrie Jean. »Das heißt das Glück mit einem Fußtritt beiseite zu stoßen!« murmelte ein anderer. »Laß ihn, jeder muß wissen, was er tut!« meinte Bill. Legrand: »Schade, jammerschade! Wir hätten euch so gerne bei uns gehabt. Aber jeder ist seines Schicksals unwillkürlicher Schmied. - Wir werden Tortuga so dicht ansteuern, daß ihr beide die Insel in der kleinen Gig gefahrlos erreichen könnt. Und unsere guten Wünsche begleiten euch, und so bald wird 65
keiner von uns die alten Kameraden, mit denen wir die Santo Niño genommen haben, vergessen!« »Sacré, du bist ein Mann, Pierre!« sagte Olivier gerührt, und der Normanne lachte : »Natürlich bin ich kein Frauenzimmer, altes, gutes, dämliches Tintenfaß!« Er verbarg seine eigene weiche Stimmung, indem er rief: »Mes enfants, der Ernst des Lebens geht weiter. Verstaut jetzt eure goldenen und silbernen Klamotten. Wir haben eine lange und nicht ungefährliche Fahrt vor uns. Aber eine alte Negermammie hat mir erst vor zwei Wochen dreimal hintereinander aus einem Hühnerfedernfetisch geweissagt, daß ich als reicher Mann in meine Heimat zurückkehren werde. Und nun ist die Chance da. - Olivier und Mac werden die aufgeregten, empörten Gemüter auf Tortuga beschwichtigen. Sehen möchte ich's - ja, was die für Gesichter schneiden. La la! - Der Schiffsrat hebt hiermit die Sitzung auf. An die Arbeit, Freunde! Eastward ho!« . . . Und so ist es geschehen. Und nie wieder hatte ich bessere Kumpane als jene eisernen Tortugamänner, die ein Mischmasch von Franzosen, Holländern und einigen Engländern bildeten und mit denen wir die Santo Niño genommen haben. Und um es vorauszuschicken, die Santo Niño hat Frankreich erreicht. Was dort aus den anderen wurde, weiß ich nicht. Ob sie ihr Geld lustig und schnell vertaten oder weise einteilten. Pierre Legrand aber lebt als zufriedener, angesehener, wohlhabender Mann in seiner Normandie. Die letzten Stunden an Bord der Karavelle versuchten Pierre und die anderen ununterbrochen, uns umzustimmen. Vergeblich. In blendender Mondnacht, mit Hispaniola schwarzgezackt am Horizont, halfen sie uns, die Gig flottzumachen und unsere Schätze darin zu verstauen. Füllten das Boot mit Wein und anderen Leckerbissen, soviel nur hineinging. Und schlugen uns abwechselnd auf die Schultern, schüttelten uns die Hände, küßten uns umschichtig schmatzend auf die Wangen, soweit es Franzosen waren - denn die Holländer und Briten kennen nicht diesen Brauch unter Männern - und wünschten uns ein übers andere Mal bonne chance und Good luck! 66
Als ich in die Gig hinabturnte, wollte es mir fast leidtun, und beinahe wäre ich wieder umgekehrt. Esquemelin war in gleicher Stimmung. Er sprach kein Wort. Wir setzten das Segel und sahen dann, wie das Heilige Kind hinter uns langsam über Stag ging; hörten noch die Abschiedsrufe, bis die Entfernung zu groß wurde. Sahen aber noch geraume Zeit die mächtige Karavelle mit ihren Segeln wie einen schwarzen Vogel über das silberschäumende Meer dahinziehen und endlich ganz klein verschwinden. Und blieben noch lange stumm, in Gedanken versunken. Das Meer rauschte, plauderte und flüsterte, und es war mir manchmal, als ob die Wasser ununterbrochen »Dummkopf! Dummkopf!« raunten. Und manchmal spritzte es erschauernd empor . . . Drüben lag Hispanolia mit seinen dunkelblauen und schwarzen Bergmassiven. Plötzlich stimmte Olivier das alte Lied an: »Nur der erste und der zweite zurückefuhr! Von achtundzwanzig diese einzigen nur ! Yoho, blow the Main down !« »Hör auf, alte Unke ! Du tust grad, als ob die andern sechsundzwanzig ertrunken oder umgebracht worden wären. Dabei segeln sie heim. Heim !« Die Brise frischte auf und mächtig rauschte das Meer.
JAHRE VERGINGEN Heute ertönt Mestizen- und Sambogesang. Musik dazu: klappernd, weinend und wehmütig, unsägliches, längst vergangenes Leid schwarzer Menschen verkündend. Dann wieder voll rasender Lebenslust, klagende, gedehnte, keck heischende Schreie dazwischen und eintönig rhythmisches Händeklatschen. Im Hintergrund dumpfes Rasseln steinchengefüllter Kalebassen. Flötengequiek: Beitrag von uns befreiter, afrikanischer Sklaven, Töne aus der geheimnisvollen Wildnis des schwarzen Erdteils, wo 67
mächtige Ströme lautlos durch den Urwald ziehen, und wo schwarze Zauberer in Vollmondnächten die unsagbaren Zeremonien des »Dschu-Dschu« ausüben . . . Auf der Bühne singen sie jetzt spanisch: »Cuando viene el pagaré, pagaré? Mujer de malos sentimientos!« . . . Eintöniger Negersong löst die melancholische Frage ab: »Dschella boum o babio! Dschella boum o babio Helele! Helele! Helele! Lululu! Lululu! Lululu!« Und wieder folgt eine spanische Seguidilla: »Tus ojos son estrellas, Tu boca es una rosa! Querida de mi alma Tu eres mi hermosa!« Und plötzlich ein flotter französischer Bukaniermarsch: »En avant, mes bons amis! Tititumtata, tatatumtata!« Und nun ein süßes vierstimmiges Frauenquartett: »Shun the hustle of the bay Haste, virgins, come away! Haste to the mountains brow, Leave oh leave Tortugas below! Haste, oh breathe a purer air, Virgins fair and pure as fair!« . . . Die das singen, sind zwar keine »Virgins«, sondern das krasse Gegenteil, aber das Lied streichelt die Erinnerung der anwesenden Briten, und mancher denkt wohl an seine Mutter und drängt eine Träne zurück. Und greift in die Tasche. Blitzend und klirrend regnen Pieces of eight auf die Bühne. 68
Braune, olivgelbe und von der Tropensonne kupferrote, einst weiße Gesichter, die vergnügt, begeistert und hingerissen, je nach Temperament, zum Podium emporstarren. Wo la Bruna, la Juanita, la Pepita und andere sich mit vorgeschobenen Leibern winden und wunderbar geschmeidig tanzen, Tamburine schlagen und uns spöttisch anlachen oder anlocken. Wo Sambos ihre Instrumente schütteln, daran zupfen, darauf donnern und darüberstreichen. Theater. Vaudeville unter den Brüdern der Küste auf Tortuga vor Hispaniola! - Warum auch nicht! Weshalb sollen wir kein Theater haben? Wenn mehr Engländer hier wären, so würden wir sicher Shakespeare aufführen! Denn wir haben die Lust und die Künstler dazu. Zwar Dillettanten, aber sie sind begeistert, und mancher gewiß auch begnadet! Und wir haben die Kulissen, von kunstsinnigen Händen, die zwischendurch auf der Spanischen Main Cutlaß, Dolch und Pistole führen, gemalt. Wir haben die Musikanten, die sich an ihrer eigenen, von Afrikas Zauber seltsam durchhauchten Melodie berauschen, und Komponisten, die neben der Jagd auf die Dons auch Zeit für ihre Notenhefte finden. Phantastisch? Weshalb? Kommen nicht viele, denen die alte Welt zu eng geworden, zu uns in die Spanische freie, wilde Main? Und nicht immer die Schlechtesten. Langsam hat sich das Leben hier draußen geändert. Es sind größtenteils keine Hütten mehr, die Tortugas Felsenstrand umsäumen, sondern reizende, weißgetünchte Häuser spanischen Stils. Ein Gouverneurspalast, Warenschuppen sind da, der Handel blüht neben der Piraterei. Und, um bei der Wahrheit zu bleiben: Mord und Totschlag, Eifersucht, Raub, Duelle und ähnliche Schreckensdinge, die den Menschen, wo immer er auch hinflüchtet, unweigerlich begleiten, gedeihen ebenfalls auf Tortuga. Es sind gute Kerle unter uns, aber auch unsäglich blutdürstige Schurken. Tortuga ist ein Staat, eine »Nation« derer, die ihre eigenen Gesetze schufen, die der persönlichen Freiheit nicht im Wege stehen. Wir wollen Menschen sein und keine Nummern. Und 69
wenn wir andere Menschen umbringen und berauben sollen, dann machen wir das für uns und nicht auf sanktionierten Befehl größenwahnsinniger Herrscher. Solche Freiheit zog naturgemäß viel Gesindel aus aller Herren Länder in die Spanische Main. Pack schlägt sich, Pack verträgt sich, lautet das alte Sprichwort. Aber Pack bringt auch einander um. Die Schlimmsten leben nie lange, denn man muß an die Zukunft denken. Und wer das nicht tut, den preßt das unabwendbare, vorgezeichnete Schicksal in die ihm vorgeschriebenen Bahnen. Nicht nur um Pieces of eight, um Weiber, die von einem Kerl zum andern taumeln, dem Goldglanz nach, um Eroberungen und Kanonengeknall geht es hier draußen. Die paar Üblen vielleicht wären sie gar nicht übel, wenn man sie nur richtig behandelt hätte? - sterben und töten einander ohne Sang und Klang. Es treten neue Schufte auf die Szene, oft zehn für einen, aber auch sie gehen. Und eines Tages und nach Jahrzehnten, vielleicht werden es Jahrhunderte und Jahrtausende sein - falls die Menschheit sich nicht vorher selber ausrottet - ist der stille, beschauliche Frieden da, der jeden Sterblichen an den ihm gebührenden Platz stellt. So denke ich unklar und unfertig, während auf dem Podium dort die Mädels tanzen. Unklar sind meine Gedanken und irgendwie prahlerisch, empfinde ich. Denn ich, ach, ich bin ja einer der Tollsten, die nur dem Augenblick, nur dem Heute und nicht dem Morgen leben. Nach mir die Sintflut! denke ich und weiß doch, daß es nicht recht ist. Aber wer kann seine Natur umkrempeln? - Träume ich, oder? Donnerndes Beifallklatschen, Pfiffe und Getrampel lohnen den Tanzenden. Sogar Pistolenschüsse schmettern gegen die Decke des großen Schuppens. Und warum nicht? Sie sind ja nicht gezielt, sondern drücken ungebundene Freude aus. Jahre sind verstrichen, seit ich zu jenen Unsterblichen gehörte denn unsterblich sind sie bereits durch die Fama geworden und werden es durch Esquemelins Feder und vielleicht die meine 70
noch mehr werden, die unter Legrand »El Santo Niño« eroberten. Als wir damals mit der Gig landeten, haben die anderen entsetzlich geflucht, weil sich auf Schiff und Beute warteten, die unseren Gesetzen gemäß geteilt werden mußten. Beinahe hätte man uns trotz unseres Anerbietens, die Schätze zu teilen, den Hals abgeschnitten und totgeschlagen. Doch die geschmeidige Zunge Oliviers wußte der in und vor Barbassous Kneipe stattfindenden Versammlung der Küstenbrüder die Episode des Heiligen Kindes so geistreich humoristisch vorzutragen, daß sie schließlich Gott sei Dank alle in ein ungeheures Gelächter und Beifallsgebrüll ausbrachen, uns auf die Schultern hoben und hochleben ließen. Trinksprüche auf Legrand und seine achtundzwanzig wurden ausgebracht und Sonette an Ort und Stelle gedichtet. Wir durften unsere Prisengelder behalten. Und ein Gelage hub an, das vier Nächte und Tage ohne Unterbrechung dauerte, es wurden viele Markknochen ausgesaugt, Ochsen und Schweine verzehrt, und der Wein floß in allen Farben und in Strömen. Das alles bezahlten Esquemelin und ich, wie es sich schickte. Den Rest bekamen die lustigen Mädels in den Schoß geworfen, und zum Schluß hatten wir alle einen Kater, dessen letzte Nachwehen bei mir erst nach tagelangem Kopfweh vergingen . . . Ja, seither sind Jahre vergangen. Schiffe haben wir uns geholt, andere kamen freiwillig aus England, Frankreich und den niederländischen Staaten. Auch Pieces of eight und andere Dinge wurden von uns geholt. Viele Männer, an die wir gewöhnt waren, starben auf hoher See, zierten die Rahen der Dons, verfaulten in den unterirdischen Kerkern der Inquisition, oder manche fuhren auch nach Hause. Neue sind aus allen Ecken Europas gekommen. Die Juanas, Pepitas und wie sie alle sich nennen, heißen immer noch mit den gleichen Namen, aber es sind meist andere. Ihre Vorgängerinnen sind längst verstorben und verdorben, oder günstigenfalls streichen sie in der Finsternis als häßliche Hafenhuren um die Wasserfrontkneipen, oder kochen für Junggesellen oder sind fromme Betschwestern geworden, mit denen sich der 71
Padre begnügt, denn er hat wenig Zuspruch in seiner winzigen Kapelle. Der fromme Pierre wurde von den Dons gefangengenommen, und jener andere, der immer von dem »kommenden Tier mit den vier oder fünf Köpfen« - ich weiß die Zahl nicht genau - prophezeite, fiel in einem Duell am Strande. Nur la Bruna ist noch da. Sie ist immer noch sehr schön. Mich hat sie damals, als wir zurückkehrten, kaum eines Blickes gewürdigt, und da ich es seit jener Stunde in Bellinis Hütte nicht anders erwartet habe, mache ich mir verdammt wenig daraus. Und handle, wenn das Blut in mir den Sang der Leidenschaft singt, ketzerisch nach dem Sprichwort von den vielen Fischen, die noch in der See sind, trotzdem so viele schon herausgenommen wurden und werden. Ich bin jung und leichtsinnig. Es gibt, beim heiligen Dunstan! wirklich einige anständige Damen auf Tortuga! Pflanzerfrauen, die aus Frankreich kamen. Und selbst der größte Rowdy macht einen Kratzfuß und zieht den Hut vor ihnen, denn unter uns gilt immer noch der Paragraph aus den »Artikeln«, der das sagt: Wenn ein Kerl einer anständigen Frau gegenüber - falls eine solche vorhanden ist ohne ihre Erlaubnis Mätzchen macht, so soll er erschossen werden. - Und es wurden einige erschossen, und seither rührt niemand mehr diese Damen auch nur in Gedanken an. Frankreich streckt die Hand nach Hispaniola aus. Frankreich hat auch uns Schutz zugesagt und sogar einen »Gouverneur« nach Tortuga entsandt. Monsieur de la Place, ein geschickter, abenteuerlicher Versailleskavalier, der die Handelsinteressen seines Landes vertritt und sich sonst in nichts einmischt. Er muß nicht nur sehr oft ein Auge, sondern sogar beide zudrücken. Das Lilienbanner weht über Tortuga, aber wenn die Brüder der Küste in Kaperschiffen und ganzen Flotten auslaufen (Flieboots haben wir nicht mehr nötig) -, so weht der Jolly Roger, das schwarze Tuch mit dem Totenkopf und Gebein, am Heck. Frankreich hat auch versucht, seine im letzten Jahrhundert von den Dons auf grausamste Weise ausgerottete Kolonie auf der Halbinsel Florida wieder zu errichten, kam aber davon ab und landete in der Mündung des Riesenstromes, den die amerika72
nischen Indios Mississippi nennen, und dort entsteht Le nouvel Orleans . . . John Bull setzte sich in Virginien fest. Die große Insel St. Kitts wurde zwischen England und Frankreich brüderlich geteilt. Penn und Venables eroberten jene andere große Insel, die sie Jamaika tauften, und riefen, da sie von den Dons arg bedrängt wurden und die neue Kolonie nicht halten konnten, die Tortugaleute und die Freibeuter der Spanischen Main zu Hilfe. Flugs folgten diese dem Ruf, setzten sich in Port Royal, einem Hafen, der bald unserem Tortuga den Rang abgelaufen haben wird, fest und fuhren von dort aus in Flotten oder einzeln gegen die Dons. Geschichte wurde gemacht und ununterbrochen geschrieben. Zeitweilig herrscht beschworener Friede zwischen Spanien einerseits und Frankreich und England andererseits. Aber die Brüder von der Küste und die Piraten von Port Royal kümmern sich den Teufel darum, scheren sich nicht um die Protestnoten, die in Paris und London auf den grünen Tisch hageln - und auch nicht um die milden diplomatischen Vorwürfe von Monsieur de la Place und seinem britischen Kollegen in Port Royal. Der Friede dauert ja auch nie lange. Und das Motto ist: Gott hat die Neue Welt nicht nur den Dons geschenkt, sondern andere sollen auch teilhaben! In Europa werden jeden Tag von privater Hand Schiffe ausgerüstet, die in die Spanische Main fahren, und die Leute werden angemustert unter dem Slogan: »No prey no pay« - keine Beute, keine Heuer - und sie wissen's genau und heuern doch an . . . »Ai Ai! Ai! Caray, caray! Margarita no quiere bailar Conmigo, solamente contigo! Ai! Ai! Ai! Que caray!« singt der Chor auf der Bühne in Spanisch, der Lingua franca der Spanish Main. Die Instrumente klingen, rasseln, dröhnen und weinen. Und malerisch gekleidete Küstenbrüder klatschen Beifall, trin73
ken zwischendurch aus ungeheuren Humpen den spanischen, mit Blut bezahlten Wein. Unter den Lustigsten sitzt Esquemelin und patscht den Takt auf seinen Schenkeln. Blauer Tabaksqualm unterwölkt den Plafond. Draußen rauscht das Meer. Zwei Pflanzer gerieten in Streit - Gott weiß warum -, versöhnen sich wieder und küssen einander die Wangen. Ein degenklirrender Dandy, von Beruf Zuhälter, Duellant und Spieler, streicht durch die Sitzreihen und wartet, daß er über ein unwillkürlich vorgeschobenes Bein stolperte, um dann den Eigentümer besagten Gliedes zum tödlichen Waffengang aufzufordern, ihn am nächsten Morgen umzubringen oder, wenn er an den Unrechten kam, selber abgeschlachtet zu werden . . . Ein französischer Bukanier, dessen Augen wie festgeleimt nach den Personen auf der Bühne starren, lutscht dabei laut schmatzend seinen geliebten, überm Feuer gerösteten Ochsenmarkknochen. Ein paar andere langen unbekümmert in eine große mitgebrachte Schüssel scharfgewürzten Salmagundy-Ragoûts. Und ununterbrochen klagt und tost die Musik, die Mädels tanzen, locken oder verweigern sich in pantomimischer Geste. Sporen klirren an Klappstiefeln, die nie die schwitzende Seite eines Pferdes umklammert haben. Einige Piraten lieben es nämlich, an Land in Sporen einherzustolzieren. Und wer sich einen Ring durch die Nase ziehen will, kann es auch tun . . . Pause in der Vorstellung. Und eine tiefe Stimme brüllt mir zu: »He, Schoolmaster and Santo-Niño-Boy, come and see me to morrow! I've finished some verse, damned fine stuff. Bloody damned beautiful! I want you to write them down on some bleeding paper !« Das war William Forster, der finstere und unergründliche Mann, dessen Mund abwechselnd Unflat trieft, oder süße Sonette lispelt und wundervoll singt. »Allright, I'll be coming, Bill !« Ich nehme mir bei diesen Worten vor, auch Bellini zu besuchen. Bellini hat sich vorläufig von Gesäßen, die schwer wie Sandsäcke sind, abgewandt und malt 74
Seestücke, Küstenlandschaften mit einsamen Palmen, die von der Meeresbrandung bespült werden, Flieboote und buntgekleidete, mit Dolchen in den Zähnen an spanischen Schiffen hochkletternde Piraten. Alles das malt er, und es ist schade, daß das Klima die Bilder so rasch mit Schimmel bedeckt. Man kann ihn abwischen, aber er kommt immer wieder. Und manchmal Ameisen, die Rahmen und Leinwand über Nacht samt und sonders auffressen. Auch will ich William Dampier besuchen, denn er gedenkt bald Tortuga mit Port Royal zu vertauschen, wo er mehr Freunde hat. Dampier sammelt Schmetterlinge und Käfer, stopft bunte Vögel aus, trocknet und preßt Pflanzen und beschreibt alles auf seine Art, die himmelweit von den trockenen und komischen Darstellungen der spärlichen, in Europa über die Naturwissenschaften vorhandenen Bücher absticht. - Und Dampier wird sich einen Namen machen ! Ali er Rachman wird mir morgen auf dem Wege durch das goldumschäumte Plantagengrün nicht mehr begegnen. Ich nehme an, daß er schon in Allahs siebentem Himmel weilt, von sternäugigen Huris bedient und . . . lebendig bei einem Auto da Fe, mit spitzer, teufelsbemalter Mütze und im San-Benito-Kittel verbrannt wurde . . . Er und etliche andere wollten das Stück, das wir uns mit Pierre Legrand geleistet, nachmachen. Aber die Dons auf der Galeone waren wachsam, und Alis Leute, die aus dem sinkenden Boot enterten, wurden im erbitterten Kampf entweder erschlagen oder gefangen nach Puerto Bello gebracht. Und so erging es schon vielen und wird es noch mehreren ergehen, bis . . . Ach, ich möchte in einigen hundert Jahren wiederkommen, um zu sehen, wie es in der Spanischen Main dann zugeht . . .
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SEHNSUCHT NACH EINEM HUND ». . . sie halten untereinander auf beste Ordnung. Jedem ist strengstens untersagt, von den Prisen auch nur das Geringste eigenmächtig zu behalten. Die Beute wird gleichmäßig nach den Artikeln verteilt, und die Brüder leisten einen Eid, von allem, was sie finden mögen, nichts zu unterschlagen. Wird jemand dabei ertappt, daß er diesem Gelübde nicht gehorcht, so wird er sofort aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Untereinander sind die Brüder höflich und hilfsbereit, und wenn einer etwas braucht, so wird ihm mit größter Freigebigkeit von den anderen gegeben. Wenn die Brüder ein Fahrzeug oder Boot gekapert haben, werden zuerst die Gefangenen an Land gesetzt und nur etliche zur Bedienung und Hilfeleistung zurückbehalten. Aber auch diese werden nach zwei Jahren entlassen!« . . . »Stop it, hör auf, hör auf !« rufe ich. Esquemelin, der, entgegen seiner Absicht, mir dies eben aus seinem Manuskript vorlas, klappte beleidigt die Pergamentblätter zusammen. »Schwindel, alles blutiger Schwindel! Sonntagsschullehren!« bekräftige ich erbittert und denke an das, was gewesen ist und nicht wiederkommt. »So behauptest du, daß ich lüge? Soll ich dir mal«, Esquemelin faßt an den Degen. »Nein, alter Freund! Verzeih, daß ich mich ungeschickt ausgedrückt! Ich wollte sagen, daß es mal so war, wie du da aufgeschrieben hast, aber heute . . .« »Ja, seit der gute lustige Pierre Legrand mit der Santo Niño nach Dieppe segelte, hat sich draußen bei uns allerlei verändert und nicht immer zum Besten. Da hast du vollkommen recht, mein Alter!« »Gestern haben sie die Karavelle >La virgen de las siete espadas< eingebracht. Und was geschah unterwegs mit der überlebenden Mannschaft?« »Jeder Mutter Sohn mußte über die Planke laufen. Abgemurkst! - Hm, das hätten wir nicht getan! Denn Lustmörder sind wir 76
mitnichten. Pah, es ist viel Gesindel hier auf Tortuga. Ärgeres Gesindel als unsereins !« »Ho, Olivier, sie bringen aber rasch einander um!« Er lacht. »Viel zu langsam, wenn du den Nachschub bedenkst. Tortuga ist zum Müllhaufen Europas geworden! - Sag, möchtest du nicht wieder mal eine lustige Fahrt mitmachen?« »Unter wem?« »Bartholomew Portuguez oder Rock Brasiliano!« »Zuviel Blut! Es riecht zu sehr nach Blut auf ihren Schiffen. Mir genügt die kurze Fahrt, die ich vor einem halben Jahr mit Portuguez machte. Unsere Speigatten sprudelten damals Blut, nachdem wir die Galeone >Jesuchristo< genommen hatten.« »Hm, aber der Holländer Rock ist doch kein unebener Bursche! Ein bißchen verdüstert, gewiß, aber Gott weiß, was an ihm verbrochen wurde und was er zu rächen hat! Glück hat er ja nie sonderlich bei all seiner Verwegenheit!« »Schlechtwetterrock und Jonas nennen ihn seine Freunde, weil er bei jedem Unternehmen Stürme und Orkane hat!« »Oui, merkwürdig, aber wahr. - Also hast du keine Lust?« »Olivier, weißt du, manchmal kommt mir die ganze Spanische Main - die ich doch so sehr liebe - wie ein Blutteich vor!« »Ja, es wird viel von dem Stoff hier draußen vergossen. Zu Recht oder Unrecht. Mordioux!« . . . Dies Gespräch fand in Esquemelins bequemer Hütte statt. Unsere Pfeifen qualmten lieblich, und Alicante schillerte in prächtigen Glaspokalen. Nach einer Weile schob er mir ein dickleibiges Buch hin. »Da! Etwas ganz Kostbares! Ist 1605 in Barcelona erschienen. Also noch nicht allzulange her. Bald darauf kam die französische Übersetzung in Paris heraus. Lies es, mon vieux, dann kommst du auf andere Gedanken.« Neugierig schlug ich den Deckel zurück und buchstabierte : »Las aventuras del ingenioso hidalgo de la figura triste, Don Quijote de la Mancha. De Miguel Cervantes de Saavedra!« Olivier lenkte ab: »Montbars wird bald mit seiner Crew zurückerwartet. Würdest du bei dem an Bord gehen?« 77
»Weiß nicht. Erst neulich hat er eines seiner Schiffe verloren, und die ganze Mannschaft hängt im Hafen von Cartagena mit Stricken um die Hälse in der Sonne!« »Oder bei Greaves, den die Jungen Redlegs nennen?« »Schon eher! Aber der ist ja noch auf See!« »Oder bei dem ehrenwerten, höchst noblen Kavalier aus Versailles, dem abenteuerlichen galanten Sieur Ravenau de Lussan?« »Du machst mir die Wahl schwer, Olivier. Irgendwann und sicher recht bald muß ich doch wieder für eine Weile auf See und See und Salzbrise aus erster Hand riechen. Denn wer nicht Pflanzer oder deren Assistent werden will, der muß sich die Pieces of eight woanders holen. - Einer hilft dem andern, hast du vorhin vorgelesen, alter Schönfärber. Wie schön war doch das Leben hier, als noch Legrand von Tortuga ausfuhr!« »Krächzrabe, wo ist deine Zuversicht geblieben? Und wenn du keine Pieces of eight mehr hast, so habe ich noch eine Menge davon.« »So schlimm ist's noch nicht, aber bald!« »Ho, weißt du noch, wie du damals Legrand gesagt hast, daß der Golddurst bei dir erst später kommen würde, wenn du älter seist? - Eh bien, jetzt bist du ein Mann mit Haaren auf der Brust und . . .« »Dieses Buch, das du mir da eben gegeben hast, ist mir mehr wert als manche Kiste voll Dublonen!« »Ich glaub dir's beinahe! Wein, Weib, ein Lied, eine Pfeife Tabak sind deine Viereinigkeit. - Doch sag mal, ist die schöne Isabella noch bei dir, mein Alter?« »Seit acht Tagen wohnt sie bei deinem großmäuligen Landsmann, dem Venard. Oder ist er Flame?« »Aus Antwerpen! Und du hast ihn noch nicht über den Haufen geschossen?« »Wozu denn? Würde das die Sache ändern? Isabella ist ein freier Mensch und kann gehen und kommen, zu wem sie will!« »Mordioux, du bist ein merkwürdiger Bursche. Manchmal kann ich dich nicht verstehen, Mac!« »Und ich mich selber nicht !« 78
Unverwandt schaute er mich an. Die Pfeifen qualmten. Es war still zwischen uns geworden . . . Vor wenigen Tagen fand dieses Gespräch zwischen Olivier und mir statt. Ich verabschiedete mich dann und ging den Weg hinab zur Wasserfront; wo es heute, will mich dünken, fast ebenso viel Kneipen gibt wie zu Bristol am Kai. Tortuga ist - ich meine die Siedlungen - seit damals gewachsen. Im Eiltempo. Und allerlei ist geschehen. Zum Beispiel versuchten die Dons, denen wir ein Dorn im Auge sind, weil wir ihnen unermeßlichen Schaden zufügen, die Insel zu erobern und uns auszurotten. Was ihnen beinahe gelungen wäre! Wir flüchteten schon vor der in dunkler Nacht gelandeten Übermacht in die Boote und Fahrzeuge. Häuser gingen in Flammen auf, zwei große ankernde Schiffe brannten wie Fackeln und erleuchteten die Wasserfrontstraße, so daß wir deutlich sehen konnten, wie die Dons brüllend in die Kneipen stürmten und unsere Mädels mit Hussah und Hollah jagten. Aber noch in derselben Nacht kehrten wir zurück. Die Dons zechten oder schliefen, und wir kamen wie die wütenden leibhaftigen Teufel und richteten unter den sich geistesgegenwärtig aufrappelnden und rasch ernüchterten, zähe kämpfenden Spaniern ein grausiges Blutbad an. Kein einziger von ihnen blieb am Leben, obwohl etliche Offiziere Lösegeld boten. Kein einziger kehrte nach Hispaniola heim! Mehrmals noch versuchten sie im Laufe der Zeit die Insel wieder zu nehmen, aber wir waren auf der Hut. Belagerungen und Beschießungen nützten ihnen nicht viel. Einmal nahmen wir in dunkler Nacht zwei der belagernden Galeonen, und da wir sie nicht halten konnten, steckten wir sie in Brand. An alles dies dachte ich, als ich von Esquemelins Hütte nach der Wasserfront schritt. Ich machte einen Umweg, denn gerade diese Ecke der Insel ist so wunderschön. Ich kam an einen schmalen Sandstreifen, zwischen den felsigen Ufern. Eine lauschige kleine Bucht, deren Wellen zärtlich lispelnd den Strand küssen. Unter Büschen und Palmen und - wie mir schien - sämtlichen Blumen der Welt steht dort eine Hütte. 79
Mitten in und unter Blumen. Jasmin duftet in Hunderttausenden Blüten, und andere Blumen verströmen ebenfalls ihren zarten Hauch. Gelächter, Becherklang und Liedfetzen ertönten, und zu spät fiel mir ein, daß er ja dort wohnte. Er, zu dem Isabella gegangen! Ganz so kaltblütig, wie ich mich Olivier gegenüber ausgab, bin ich doch nicht. Die Sache wurmte mich gewaltig, aber trotzdem sagte mir die Vernunft, die ich in Schottlands Nebeln samt der Muttermilch eingesogen, daß es am besten sei, den Unbeteiligten zu spielen. Mich um eine Hafendirne mit tödlichen Waffen in einem sogenannten Duell zu schlagen - Schauspiele, die man auf Tortuga jeden Tag mindestens einmal genießen kann - fiel mir nicht ein. Wenn eine Frau grundlos, ohne vorherige Aussprache, nur der Abwechslung halber, über einen »andern Bug geht«, dann soll man sich nicht darüber aufregen und sagen »good riddance«, gut daß sie fort ist! Aber Mann bleibt Mann, und die Episode war doch nicht ganz spurlos an mir vorübergegangen, da ich kein Talent zum Zyniker habe. Mädels von Isabellas Sorte gibt es ja genügend auf unserer Insel. Rasch wollte ich den Pfad zurückeilen, aber schon hatte mich die zechende Gesellschaft in der Jasminlaube erspäht. »Hallo, Mac! Komm, lege dich breitseits, laß fallen Anker und Leinen und trinke einen mit uns. Isabella ist auch hier!« schrie Venard, und die übrigen lachten aus vollem Halse. Ruhig ging ich hin. Setzte mich auf die Bank, die ein Negerboy mir unterschob. Griff nach dem Kelch, den er gefüllt vor mich stellte. Und betrachtete Venard, Isabella und die vier andern. Begegnete ruhig, mit leichtem Lächeln, ihren teils höhnischen Blicken. Alle waren sie schon angetrunken, was in diesem Klima rasch geht. Isabella - noch war es nicht lange her, daß sie mir unter Küssen zugeflüstert, ich sei der einzige Mann in der Welt! sah mich herausfordernd an. Lehnte sich dann vornüber, dem riesigen Venard zu und wühlte in seinen brandroten dichten Haaren. Und bot ihm ihren lachenden Mund. Schmatzend erwiderte er die Liebkosung, und dabei schauten mich vier Augenpaare abwägend an. 80
»Sie küßt recht gut, Venard, nicht wahr?« sagte ich und nahm einen Schluck Sangaree. Verblüfft ließ der ungeschlachte Kerl die Frau los und antwortete wie ein Schuljunge dem Lehrer: »Vortrefflich, ja!« Isabella warf mir einen bösen Blick zu; die Vier lachten lautlos. Und Isabella forderte den Rotköpfigen auf: »Komm!« Fluchend küßte er sie wieder und wieder, während die Vier sich erst gegenseitig beschauten, dann mich, und schließlich stumm orakelhaft die Köpfe schüttelten. Jetzt rief der Riese: »Isabella bleibt bei mir, merke dir das, kleiner Federfuchser Mac!« »Ja, das sehe ich! Bin nicht blind geworden vom Schreiben! Aber sie kocht miserabel. Neulich machte sie mir ein Salmagundy, daß ich hinterher fast vor Bauchgrimmen krepiert bin!« sagte ich brutal und fühlte dabei, daß die Atmosphäre sich verdichtete. Ganz plötzlich. Wie vor einem Gewitter. »Tag und Nacht! Die ganze Nacht bleibt sie bei mir!« knurrte er mit der Hartnäckigkeit der Trunkenen. »Mögt ihr viel Spaß aneinander haben!« antwortete ich und mußte dazu, gegen meinen Willen - denn es war gefährlich mutwillig lachen. »He, bist du gar nicht eifersüchtig?« brüllte Venard halb erstaunt, halb drohend. »Warum denn?« Wieder warf mir Isabella einen Blick zu. Häßlich und giftig! Laut lachte er, und da fauchte sie wie eine Katze, zeigte die weißen, ebenmäßigen Zähne und krümmte die Krallen. »Läßt du dir das bieten, Venard?« Ich stopfte meine Pfeife. »Reich mir einer Feuer!« Der Negerboy brachte mir eine glühende Kohle und ich fing an zu qualmen. »Wieso?« staunte Venard, der wie alle überlebensgroßen Muskelmenschen nicht sonderlich viel Verstand besaß. Und ich fühlte innerlich, was Isabella beabsichtigte, und wünschte mich tausend Meilen nach Lee oder Luv. Eine verachtete und scheinbar nicht beachtete Frau ist gefährlich! 81
Besonders auf Tortuga. Und Isabella sann auf meinen Tod! Auf Tortuga ist's so. Leidenschaft und Haß regieren schrankenlos, und einen Mittelweg gibt es ebensowenig wie in den Tropen eine Morgen- oder Abenddämmerung. Und der Tod geht um unter den Küstenbrüdern auf Tortuga. Fast täglich fällt einer im Duell, wird in der Trunkenheit erschlagen, niedergeknallt, erdolcht oder wegen seines Goldes beraubt und ermordet. Dagegen haben wir noch keine Gesetze, die wirklich respektiert werden, trotz Anwesenheit von Monsieur de la Place und des Lilienbanners. Unsere Gesetze treten erst in Kraft, wenn wir an Bord sind, und sind dann allerdings sehr streng. »Entweder legst du ihn um, oder du bist kein Mann!« forderte die wunderschöne Megäre jetzt. Und als er die Augen aufriß und ein hilfloses Gesicht schnitt, da umarmte sie ihn heiß. Drängte ihren herrlichen Leib eng an den seinen und flüsterte ihm anfeuernde Worte ins Ohr. Trieb Evas Spiel, das seit Erschaffung der Welt bisher noch jeden Mann zu Falle brachte . . . »Mac, verdufte lieber!« raunt mir einer der Vier zu, und seine Freunde nickten heftig, während die bärtigen Lippen Rauchwolken ausstießen. Isabella aber hatte ihr Ziel erreicht. Venard entwand sich ihren Armen, schleuderte sie zur Seite und ragte drohend über den Tisch. Seine Augen loderten. Ich habe solche Augen, seit ich in der Spanischen Main weile, schon oft gesehen und werde es noch öfter tun. An Land, auf dem Wasser und auf schwankenden Schiffen und in winzigen Booten. Aber nie waren sie solcherart auf mich gerichtet. Blanker, erbarmungsloser Mord flackerte in den Augen des Flamen. Angetrunken, unzurechnungsfähig, blutdürstig und liebestoll durch die alten Künste einer schönen Kokotte. - Nein, so wie Venard hat mich in meinem Leben noch niemand angeschaut, denn das, was sie einen »Ehrenhandel« nennen und was meiner Meinung nach einfach konzessionierter Mord ist, bei dem der Stärkere siegen muß, ist eine Erfahrung, die meinem bunten Leben bisher fehlte. 82
»Du hast eine Dame beleidigt, dreckiger Schuft!« brüllte er und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Dame? Wo ist eine solche?« mußte ich Tor antworten und sprach damit mein Todesurteil aus. Denn ich bin kein Held, sondern eher ein bißchen feige oder vorsichtig. Isabellas Gesicht war verzerrt, daraus bleckte mir haßvoller Triumph entgegen. Und falls ich vorher vielleicht noch, wenn ich geschickt gewesen wäre, Gnade hätte von ihr erwarten können, jetzt nicht mehr! Und in allen Büchern habe ich gelesen und es auch oft selbst erlebt: prügle, liebe, schelte und streichle Frauen. Alles kannst du mit ihnen tun, aber verachte sie nie. Denn das vergessen sie nicht, und eines Tages, du denkst gar nicht mehr dran, legen sie dir die Rechnung vor, und sie wird bitter sein . . . Venard war aufgepeitscht und bedurfte keines weiteren Antriebs. Er zog das Messer, wog es auf der flachen Hand. Und er konnte, wie ich wußte, auf diese Weise ein dreißig Meter entferntes Ziel treffen. Samuel, einer der Vier, ein bärtiger Kerl, der früher Bukanier war und, seit dieses Handwerk auf Tortuga fast nicht mehr ausgeübt wird, zu den Piraten überging, stellte sich unvermutet zwischen uns. »Fair play, Venard! Sonst kriegst du's mit uns Vieren zu tun!« warnte er, und seine Freunde nickten. Und knackten mit den Pistolenhähnen. Und selten habe ich solch köstliche Musik gehört wie dieses prosaische, harte Metallgeräusch ! »Gut, dann wollen wir fechten. Kavaliersmäßig!« knurrte das Ungetüm, und Isabellas Gelächter klang wie eine geborstene Schiffsglocke. Mir war sehr flau zumute. Mit Spaniern kämpfen und aus fremdem Mutwillen zum Duell aufgefordert werden, sind zwei verschiedene Dinge! Und ich las in den Augen der Vier, daß sie glaubten, ich würde keine Chance haben. Fühlte aber auch, daß sie für ehrlich Spiel einstanden. »Gut. Dann am besten gleich!« Ich klopfte vorsichtig meine 83
Pfeife aus und hoffte inständig, daß keiner das Zittern meiner Hand sähe. Und lachte dröhnend. Auch Venard lachte. Trat hin und her, reckte den breiten, gewölbten Brustkasten, und ich mußte plötzlich an jene ungeheuren afrikanischen Menschenaffen denken, von denen uns befreite Neger schaurige Geschichten erzählen. Wie diese Ungeheuer bei Vollmond aus dem Urwald hervorbrechen auf die Lichtungen, wo die goldschimmernden Ströme ziehen - und wie sie sich mit den Fäusten laut dröhnend auf den mächtigen Brustkasten trommeln . . . »Pistolen?« fragte einer der Vier. »Bah, das ist zu langweilig und geht zu rasch. Fechten wollen wir!« lachte der Riese. Rannte ins Haus und kam mit seinem Raufdegen zurück. Bei der langen Reichweite Venards und meiner Unkenntnis des à-la-mode-Fechtens, das ein Stoßen und Punktieren ist, standen meine Aussichten gleich Null. »Ich wette jeweils zwanzig Pieces of eight gegen eines, daß Mac heute zu Davy Jones' Locker geht!« sagte Samuel kaltblütig. Er wollte mir damit keinen Tort antun, mich auch nicht entmutigen - es war nur so seine Art. Ehrlich bereit, dafür zu sorgen, daß Venard keine Tricks vom Stapel ließ, aber ebenfalls bereit, auf meinen mutmaßlich in Bälde stattfindenden Tod zu wetten und daran zu verdienen. Auf Tortuga ist man so. Samuels Freund Carmand hielt gegen ihn und setzte auf mich! Nicht weil er dachte, ich würde gewinnen, sondern aus sauberem Sportsgeist setzte er je zwei Goldstücke gegen Samuels vierzig. »Darf ich meinen Entersäbel nehmen?« Venard spottete: »Natürlich, meinetwegen kannst du einen Mastbaum verwenden. Nützen würde es dir doch nichts!« Seine Blicke suchten prahlerisch Isabella, während ich den halblangen, schweren, breiten, unmerklich gekrümmten Cutlaß, der in der Spanischen Main solch große Rolle spielt, aus der Lederscheide zog. Carmand, ein Tabakpflanzer, nickte mir unmerklich zu. Ahnte er, was ich tun wollte? - Da es unmöglich war, 84
gegen die große Reichweite des rothaarigen Ungetüms, das Isabella mit meiner Ermordung eine Augenweide darbringen wollte, anzukommen, hatte ich beschlossen, ihn beim ersten Streich zu unterlaufen, also alles auf eine Karte zu setzen. Ehe er richtig zustechen konnte - schlagen kann man mit einem Stoßrapier nicht - würde ich ihm die schwere Klinge an einer guten Stelle zu kosten geben. Oder auch nicht . . . »Mach dein Testament, geiziger Schotte !« schrillte die Frau. »Für dich hinterlasse ich nichts, Fer-de-Lance-Schlange!« »Los jetzt, meine Herzchen! Wir wollen nachher weiterzechen, also macht die Sache ab!« drängte der unmenschlich kalte Samuel. Und schritt voraus, jenem Sandstreifen zu, der die romantische Bucht umgürtet. Das Meer zischte zärtlich und in der Ferne donnerte die Brandung. Ach, noch nie ist die Natur so wunderschön gewesen wie heute. Noch nie war das Dasein so herrlich süß. Wie ein Dürstender nahm ich alles auf: Meer und Sonne, Palmen, die bunten Papageien und den Duft der Blumen. Denn bald würde es dunkel sein. Ewige Nacht. Für Venard oder für mich . . . Samuel zog mit dem Pistolenkolben zwei Striche durch den Sand. Innerhalb dieser mußten wir fechten. Venard stand bereit. Den langen, spitzen Stoßdegen in der Rechten. Er wippte auf den Fußballen. Seine Augen waren jetzt tödlich kalt. Wie merkwürdig! Er hatte mir nichts getan und ich ihm auch nichts, und trotzdem wollten wir einander umbringen. Wie sagte doch Olivier damals? Cherchez la femme . . . Ich zog das Hemd aus und war froh, daß ich nur leichtes Schuhwerk trug. Ich ließ den Cutlaß probeweise durch die Luft pfeifen. Er hatte einige Scharten im sogenannten ehrlichen Kampf erhalten. Aber heute . . . Das angstvolle Gesicht des Negerjungen starrte aus der Jasminlaube, und dann sah ich, innerlich schmunzelnd, wie er verstohlen den Pokal seines Herrn austrank. Isabella stand neben Carmand. Ihre Augen waren weit offen, das ganze Gesicht verzerrt. Was hatte ich eigentlich dieser Frau getan? Nichts anderes, 85
als daß ich ihr ungefähr zweihundert Pieces of eight und eine Menge kostbarer Kleider, Schühchen und Schmuck geschenkt. Und dafür ließ sie mich jetzt umbringen! Nutzlos waren alle diese Gedanken. Von den sechs Menschen hier wollten fünf meinen Tod. Drei davon nur aus Wettgier. Der Sechste, jener Carmand, war ein echter Sportsmann, er gönnte mir eine Chance. Leb wohl, du Insel mit deiner herrlichen Natur ! Farewell, Spanische Main. Mutter, Mutter, weine nicht, wenn ich nicht wiederkomme . . . »Fertig ! - Eins und zwei und - loooos !« hatte Samuel gesprochen, und beim letzten Wort sprang ich. Venards mir entgegenblitzendes Rapier fuhr mir zwischen Arm und Hüfte entlang, ich spürte einen leichten Schmerz. Ehe er die Waffe zurückziehen konnte, schmetterte ihm mein mit verzweifelter Wucht geführter Hieb schräg übers Gesicht. Aufheulend taumelte er. Und während ich noch erstaunt - die Waffe war mir entfallen - auf das über mir schwebende, plötzlich so blutige Gesicht starrte, drehte er sich im Kreise herum. Ein paarmal. Es sah schrecklich aus! Wankte immer mehr und krachte dann förmlich auf den Sand. Seine Beine zuckten merkwürdig, wie gebannt mußte ich hinsehen. Die Fersen trommelten. Und sein Gesicht war ein einziger roter, verschwommener Fleck. Immer noch trommelten seine Fersen auf den Sand. Endlich hörte diese mich faszinierende Bewegung auf. Ich schüttelte die widerliche Benommenheit von mir und sah staunend, daß er wirklich tot war. In die ewige Dunkelheit eingegangen war, die er mir zugedacht hatte. Samuel erhob sich eben von den Knien, wischte seine Hand ab . . . »Tot wie 'ne Fischschuppe ! Der Schädel regelrecht gespalten ! Hätte dir das nicht zugetraut, Mac. Gratuliere, trotzdem es mich 'ne schandbare Summe kostet. Vierzig Pieces of eight! Zahle sie aber gerne. Und ich kalkuliere, daß du jetzt die schöne Isabella wieder entern kannst? - Lehr mich einer die Weiber kennen, hoho!« Ich starrte umher. Ach, wie schön waren das Meer, die Küste, 86
die Palmen und Blumen! So schön und frisch und bunt und duftend wie noch nie! Und es ist nicht dunkel um mich geworden. Keine Nacht. Ich lebte, lebte! - Mutter, hörst du es in deinen Ohren summen? . . . Zusammenzuckend, spürte ich eine leichte Hand auf der Schulter, sog einen Duft ein, der nicht von Blüten stammte, und hörte eine weiche, süße Stimme : »Mac! Ich habe dich auf die Probe gestellt und du hast bestanden! Ah, Mac, ich hab dich so lieb, nur dich! Komm!« Samuel stieß einen halblauten Pfiff aus. Carmand lachte und Jaquy fluchte unflätig : »Je m'en fous« . . . Ich schaute in die braunen, goldgesprenkelten Augen der Mestizin. Und hob die Faust, wollte sie in das lockende, falsche Gesicht schlagen. Samuel hielt eisern meinen Arm fest, brummte mir ins Ohr: »Ist nicht englische Art, Weiber zu schlagen, old boy. Laß sie sausen!« Aufatmend ließ ich die Faust sinken. »Hast recht, oldtimer! Danke dir!« und betrachtete die Isabella von oben bis unten. Sie hielt meinen Blick aus. Hatte die Hände in die Hüften gestützt wie ein Fischweib vom Markte zu Billingsgate. »Pah!« lachte ich befreit und drehte auf den Fersen um. Schritt wie ein Mondsüchtiger nach der Laube. Stopfte die Pfeife, ließ sie vom Negerboy anzünden, klemmte sie zwischen die Zähne, das Buch von Cervantes unter den Arm, den blutigen Cutlaß noch in der Hand, und ging meines Weges. Hörte einen Aufschrei hinter mir und dann ein Rascheln und Reißen von Kleidern, ein Stampfen und Keuchen und dann wütendes Fluchen - wie wenn jemand von anderen festgehalten wird. Drehte mich aber mitnichten um. Und erst als ich tief in den Büschen war, setzte ich mich, warf Buch, Pfeife und Waffe ins Gras. Und mußte mich jämmerlich übergeben. Nachher saß ich lange und hatte große Sehnsucht nach einem Lebewesen, das Liebe mit Liebe vergilt und uneigennützig ist. Und beschloß, mir einen Hund anzuschaffen. Denn: gibt es etwas Treueres auf der Welt als einen Hund ? . . . 87
ROTBEIN Horch, wie die Wellen der Spanischen Main heute brausen! Sieh, wie sie gleich Kriegerhorden, von denen nichts sichtbar ist als die hochgehaltenen weißen und silbernen Schilde, in langen Wogen donnernd gegen das ächzende Schiff anrennen! Und wie dann diese Schilde an den hölzernen Wänden machtlos zerschellen, auseinanderstieben. Während langanrollend schon neue mit unermüdlicher Gewalt heranstürmen . . . Und wie es höhnisch in den tiefen blauen Tälern und den weißmarmorierten Grüften der See schnalzt und gluckst und zischelt! Wie der Wind den Schaum durch die Lüfte streut; gleich Händen voll Perlen . . . Frei, scheinbar ziellos, hin und her oder in grazilen Bogen auf und nieder wippend, schweben Möwen. Sturm pfeift, Wogen brausen, Schiffsplanken knarren, straff gespannte Wanten »singen«, die prallen, tiefgebauchten Segel brummen, und alles ist ein Konzertstück, das dem Manne, der breitbeinig auf der hohen Puup steht, baß behagt. Laut schmettert sein Lachen, er zerrt am braunen Bart, und dann stapft er mit den in hohen, weichen, auffallend roten Stiefeln steckenden Beinen breit hin und her. Das ist Greaves, genannt »Redlegs«, das Rotbein, unter dem ich als Quartiermeister seit acht Monaten segle. Auf dem Schnellsegler »Golden Main«, auf dem ich viel erlebt habe; Dinge, die mir nachdenkliche Stunden und sogar schlaflose Nächte und immerwährendes inneres Kopfschütteln verursachen. Denn ich bin kein Jüngling mehr. Seit Jahren bin ich hier draußen und lebe noch, während viele, viele andere in die dunkle Nacht hinaustraten. Vom scharfen Rum versengt, vom gelben Fieber geschüttelt, von spitzer Klinge oder schmetternder Kugel getroffen oder von würgender Schlinge beengt - so starben sie. Ich bereue es nicht, auf der »Golden Main« zu segeln. Lieber bei diesem wunderlichen, aber ehrlichen Rotbein als bei Bartholomew Portuguez oder dem rätselhaften, ständig von schlecht Wetter und anderen Naturkatastrophen verfolgten Niederländer. 88
Dem finsteren, unergründlichen Rock Brasiliano, dessen Lebensziel es ist, auf jede erlaubte oder unerlaubte Art die Dons zu bekämpfen, weder Mutter noch Kind, weder Vater noch Sohn zu verschonen. Sichtbare und unsichtbare Blutströme ergießen sich von den Inseln, dem Festland und von den Schiffen - wo immer nur Männer leben und handeln - in das blaue Wasser der Spanischen Main. Überall Blut. Und muß das so sein? Redlegs ist ein angenehmer Käpten. Seine Geschichte ist bekannt. Engländer von Geburt, geriet er schon als Kind nebst den Eltern in die Gefangenschaft der Dons. Da die Eltern katholisch waren, verschonte die Inquisition sie, und sie kamen als Plantagensklaven nach Barbados. Und gerne erzählt Rotbein, daß er einen guten Herrn gehabt - wie es deren unzählige unter den Dons gibt -, der seine Sklaven nie mißhandelte und ihm, dem kleinen Benny, eine sorgfältige Erziehung angedeihen ließ. Redlegs kann fließend spanisch und englisch und lateinisch, sogar etwas griechisch, kann lesen und schreiben, eine seltene Kunst unter den Küstenbrüdern im allgemeinen. Er dichtet sogar. Er ist mir sympathisch und ich ihm. Mehr kann man auf einem Schiff und von Menschen nicht verlangen . . . »Weißt du, Mac, wie's dann weiterging? - Don Eusebio, mein Patron und Wohltäter, starb plötzlich am gelben Fieber. Und da er vergessen hatte, mich dokumentarisch in Freiheit zu setzen, so nutzte das ganze Testament mir, dem Universalerben, einen Dreck. Ich war und blieb Sklave nach dem Gesetz. Und wurde mit dem anderen toten und lebenden Inventar auf einer Auktion unter dem Hammer angeboten und verschachert. Mein neuer Meister war ein Schinder ersten Ranges ! He, Billy, mein Söhnchen, fülle den Krug und die Humpen!« . . . Der Aufwärter rannte, und nachdem Redlegs mir zugetrunken und ich ihm, und wir dann beide Pokale wieder auf den Tisch gestellt, fuhr er fort: »Ich mußte, statt Gitarre zu klimpern, zwölf Stunden täglich hintereinander Zuckerrohr fällen! Und an Stelle gebratener Hühnchen bekam ich saures Manikobrot 89
und nüchternen Maisbrei und von beidem nicht genug. Und noch heute trägt mein Rücken die grauen Narben von den Aufseherpeitschen. Ausrücken war verflucht schwer oder unmöglich. Denn weißt du, Freund Mac, Barbados ist keine sonderlich große Insel, und die Dons haben dort 'ne Menge Bluthunde. Und diese kälbergroßen Bestien, gegen die du ohne Waffe wehrlos bist, stellen nicht etwa den Mann, auf dessen Spur sie gesetzt werden, sondern zerreißen ihn in Fetzen . . . Prosit, Mac! Sollst leben und mögen wir noch fette Prisen miteinander kapern! Bist ein guter Kerl, und deine Verse und Geschichten gefallen mir. Die Affäre mit El Santo Niño kann ich gar nicht oft genug hören. - Übrigens, Legrand lebt herrlich und in Freuden zu Dieppe. »Zum Wohle! Bibite, bibamus ex! He, Billy, nachfüllen!« Redlegs lachte wohlwollend, und ich sog an der Pfeife. Schließlich fuhr er fort: »Nun, manchmal kamen ja Schiffe binnen, aber natürlich waren es immer Spaniolen, und da war nichts zu machen. Bis eines Tages die Bark >Windrider< unter Käpten Harkins - merke dir den Namen, schreib ihn in deine Chronik, Mac, mein Junge! - Anker warf. Englisches Schiff und fast jeder Mutter Sohn darauf Brite. Prächtige Kerle mit mahagonibraunen Gesichtern und goldenen Ringen im Ohrläppchen und Meerweibchen tätowiert. - A propos, tätowieren, ich habe 'nen ganzen Palmenwald auf dem Rücken, 'ne Schlange um den Bauch und etliche andere nette Sachen eintätowiert. Mußt dir auch so was machen lassen, Mac, mein Junge! - Nun, der spanische Gouverneur fluchte nicht schlecht und sprühte vor Wut über die Frechheit des Englishmannes. Aber da gerade keine Kriegsschiffe in der Nähe waren, die Küstenbatterien sehr schwach und überdies drei Viertel der Soldatos del Rey catolico am Yellow Jack, dem gelben Fieber, darniederlagen, was wollte der dicke Don machen? Harkins traute der Sache übrigens auch nicht sehr, und anstatt zu landen und das ganze Nest auszuplündern, schickte er nur einen Parlamentär und bat um Frischfleisch, Früchte, Gemüse, 90
Medikamente und Wasser. Ansonsten er ganz Barbados in Klumpen schießen würde! Der Gouverneur seinerseits wußte nicht, daß auf der >Windrider< die halbe Crew, vom Gelben Jakob geschüttelt, stöhnend und kotzend in den Kojen und Hängematten lag. Und er erfüllte Harkins' Verlangen. Und in einem Doppelsack voll Mehl - ich bin fast erstickt, und als ich an Bord den Sack von innen mit dem Messer aufschlitzte und an Deck purzelte, muß ich wie ein Müllerknappe ausgesehen haben - well, in jenem Doppelsack feinsten spanischen Weizenmehls fiel ich auf die >WindriderWindriderWindrider< brachte ich eines Nachmittags innerhalb 91
einer Viertelstunde mit diesen meinen Händen um; erwürgte sie, und zwei andere, die schliefen, schmiß ich über Bord, und als sie erwachten, waren gerade die Haie dabei, kurzen Prozeß zu machen. Und nun erst wurde sich die gesamte Mannschaft klar, aus welcher Ecke der Wind pfiff. Keiner mochte Harkins. Denn er war auch grausam. Und man hatte es gern gesehen, daß ich ihm in den Weg trat, sooft ich konnte, und ihm den Kurs vermasselte. Und ich hatte so langsam den meisten Boys klargemacht, daß es nicht nötig und geradezu feig ist, wenn man zum Beispiel gefangene Dons, denen man erst Pardon versprochen, über die Planke ins Meer laufen läßt oder sie sonstwie abmurkst! Und daß es Weiber und Frauen gibt. Und einen Gott im Himmel! Die Boys waren ja etwas verwildert, sahen es aber bald ein. Und die das nicht wollten, die habe ich in der Folge umgebracht oder auf öder Insel maroniert. An einem schönen Nachmittag trat, ohne den Käpten zu fragen - was ja statutengemäß auch nicht nötig ist - der Mannschaftsrat zusammen. Und einstimmig wurde beschlossen, Harkins habe mit mir auf Leben und Tod zu kämpfen, wenn er weiter den Befehl führen wolle. Besiegte er mich, so blieb er Käpten, unterlag er, so wurde ich Käpten . . . Billy, mein Herzchen, füll nach! Auf deine Gesundheit, Mac, und auf gute Fahrt und reiche Prisen! Nun, der Zweikampf fand statt, und ich spießte Harkins auf meine Klinge. Und wurde Käpten. Und was für eine Mannschaft habe ich heute?« Er lachte, nahm die Pfeife wieder auf, tat ein paar Züge und schaute mich an. Ich klopfte meine Pfeife erst mal aus, ehe ich antwortete : »Eine Mannschaft, die sich vor nichts und niemandem fürchtet. Und anderseits sind's anständige, sittenreine, hilfsbereite, ja, ich möchte fast sagen - so komisch es auch klingt - guterzogene Burschen. - Wie hast du das nur fertiggebracht, Käpten Greaves? Dein Schiff ist ja fast 'ne Sonntagsschule, und wenn man bedenkt, was für eine Vergangenheit die meisten dieser Kerle 92
haben, so ist's ein Rätsel. Ein Wunder. - Sag, hast du von Levasseur gehört?« »Levasseur von Tortuga? Natürlich! Aber ganz so orthodox sind die Meinen nicht, verlange ich's auch nicht. Ich will nur eine gewisse Ordnung an Bord. Je zwangloser, desto besser. Und wenn nicht gerade gekämpft wird, so soll es anständig zugehen an Bord. Zu saufen erhält jeder genug, und wenn sich einer bis an die Augen vollsaufen will, so kann er das auch tun, wenn er unter Deck bleibt. Und der einzige, der offiziell sich auf diesem Schlitten hier zu fluchen erlaubt, ist Mister Greaves, genannt Rotbein. Verflucht und verdammt noch mal!« Er lachte herzlich. Dann: »Billy, fülle die Pokale, mein Kerlchen!« »Und die Zukunft?« fragte ich nach einer Weile. Redlegs sog an der Pfeife. Schickte dann den Jungen hinaus. Lehnte sich über den Tisch und sprach leise: »Dein Gesicht gefällt mir, Mac. Hab Gutes von dir vernommen und weiß, daß du den Mund halten kannst. Was ich dir jetzt erzähle, ahnt keiner und darf keiner vermuten. - Mac, weißt du, was meine Sehnsucht ist und wovon ich Tag und Nacht träume, und was ich tun möchte - wenn ich erst mal aus dieser verfluchten, goldgeschwängerten Spanischen Main heraus bin?« Noch näher neigte er sich und flüsterte noch vorsichtiger: »Bauer, Landmann will ich werden. In merry old England. - Will geruhsam nach getaner Arbeit und Inspektion meiner drei oder zwei Farmhelfer abends am Kamin sitzen und meine Pfeife rauchen und meinen Grog trinken, während die alte Dame eine Hammelkeule auf den gedeckten Tisch stellt. Bauer!« Er tippte mit der Hand auf meinen Arm: »Wenn du aber ein Wort davon vor der Zeit erzählst oder aufschreibst, so laß ich dir Sonnenlicht in den Bauch scheinen, Konfrater!« Drohend schaute er mich an. »Brauchst keine Sorge zu haben!« Behaglich grinste er: »Weiß ich! Wußte ich, Mac, sonst hätte ich's für mich behalten! - He, Billy, wo steckt der Junge? Sollen wir denn verdursten?« . . . Gleichzeitig mit Billy trat der wachhabende Pilot Wonderful ein. 93
»Käpten, drei Strich voraus an Steuerbord ist 'n Schiff zu sehen! Schätze, ein Don! Großer Pott. Mit Kurs aufs Festland. Schätze, daß er nach Neu-Granada macht. Cartagena! Wird 'ne Menge Soldados an Bord haben und Wein und Sonstiges. Scheint aus Spanien zu kommen!« leierte er. Rotbein sprang auf die Füße. »Danke, altes Walroß! Wenn's ein Don ist, so wollen wir ihn wohl nehmen!« . . . Die Mannschaft steht an der Steuerbordreling und späht leewärts. Noch weit weg, läßt sich dennoch ein großer Dreidecker erkennen. Redlegs ruft Befehle. Die Bootsmannpfeife schrillt und trillert. Die Trommel ruft auf Posten. Sechzig verwegene braune Gesichter, in denen seltsam die hellen braunen oder grauen Augen leuchten, starren zu Redlegs auf dem Achterkastell empor. Und ohne sich zu zieren, spricht er: »Jungens, ihr kennt unsere Art. Den Reichen plündern, den Armen verschonen. So halten wir's seit zwei Jahren und haben zusammen allerlei erlebt und unsere Koffer ganz hübsch mit Pieces of eight gefüllt. Kein Blut und Fluch Gemordeter klebt daran. - Seht, da vorne segelt eine dicke Galeone! Vermutlich mit einem Haufen Soldados zur Verstärkung der Landgarnisonen. Also so oder so, auf jeden Fall 'ne schwere Übermacht, wobei es auf fünf mehr oder weniger nicht ankommt. Da der Kasten bestimmt aus Europa kommt, so ist weder Gold noch Silber an Bord. Aber guter Proviant, treffliche Weine und allerlei nette Klamotten. Wollt ihr dafür das Leben einsetzen? Dann stimmt ab, meine Jungen!« Von Mann zu Mann schreitet der dürre Wonderful und einige sagen »Ja«, andere »Nein«, aber die große Mehrzahl ist für Ja. Redlegs nickt: »Allright, Boys. Ich brauche euch nicht zu erinnern: die sich wehren, müßt ihr totschlagen, denn sie gedenken euch das gleiche zu tun. Die um Pardon bitten, denen müßt ihr Pardon gewähren! Und nun lasset uns nach unserer Art beten!« Er nimmt die Zipfelmütze ab. Unten und neben ihm sinkt alles in die Knie. Er kniet selber und spricht mit tiefer Stimme das 94
vor, was ich, seit ich hier an Bord bin, schon oft hörte und von dem ich immer noch nicht weiß, ist's Blasphemie oder nur eine naive Bitte zum Allmächtigen? Hört nur, so beten wir unter Redlegs: »Westward ho, At the Dons we'll go! If the do not yield, The shall be killed, So the Lord it willeth! Amen!« Ich glaube, in der ganzen Welt gibt es solch merkwürdiges Gebet nicht wie dieses, das da heißt: »Nach Westen, auf die Dons wollen wir losgehen, und wenn sie nicht nachgeben, so werden sie umgebracht, falls Gott so will! Amen!« Schrill trillert die Bootsmannspfeife. Hart hämmert die Trommel. Auf einem Piratenschiff ist man immer mehr oder weniger gefechtsklar, und wir sind schnell bereit. Im Zwischendeck stehen die Kanoniere mit brennenden Lunten hinter ihren Kanonen. An Deck lauern Musketenschützen und Enterer. Und die großen Enterhaken, mittels deren sich ein Schiff unlösbar am andern festbeißen kann, sind hochgeklappt und bereit zum Niederfallen. Zusehends holen wir gegen den Fremden auf, sehen schon die Menschen dicht auf den Kastellen und in den Wanten, sehen Waffen blitzen, und vom Heck flattert das breite, goldrotgoldene Banner von Castilia und Leon. Plötzlich blüht dort drüben eine runde weiße Rauchblume auf. Ein Vollgeschoß reißt heulend einen Splitter aus unserem Mizzenmast, und nun dröhnt dumpf der Knall übers Wasser . . . Drei Stunden später. Alles vorbei. Die »Golden Main« hing mit ihren Enterhaken an der Reling der großen Galeone »Merced« verkrampft, deren Segel zerfetzt und deren Masten bedenklich abgesplittert waren. Unter Deck heulten die eingeschlossenen überlebenden Dons, grundlos bangend, um Misericordia. Das Deck war ein Schlachtfeld. 95
Stöhnende Verwundete, denen der »Sawbones«, unser Chirurg, tatkräftige Hilfe leistete, lagen unter dem Sonnensegel. Sawbones ist ein flachsblonder, langbeiniger Schwede, hat zu Upsala studiert und wurde wegen dummer Streiche relegiert; lief zur See und kam in die Spanische Main. Tote lagen umher. Über- und nebeneinander, ineinander verschlungen, in allen möglichen Stellungen. Einige lagen platt auf den Bäuchen, die Ellenbogen angezogen, und es sah aus, als wollten sie die Zähne in die Deckplanken schlagen. Andere reckten steife Arme, die blutgefärbte Waffen hielten, empor. Zerschellte Eisenhauben, zersprungene Kürasse, Degenstücke, schwarzer Pulverschleim, zerrissenes Tauwerk, Blöcke, Fensterglas, Holzsplitter und dazwischen leere Weinpullen. Eben sägte Sawbones einem rasch ohnmächtig werdenden Piraten das linke Bein unterm Knie ab. Stöhnende, keuchende, fluchende, lachende Piraten. Ein paar tranken Wasser aus spanischen Sturmhauben. Andere begannen die Toten über Bord zu werfen. Jedesmal klatschte es unten auf, und Haie schossen erregt hin und her. Stellenweise rötete sich das Wasser, blaute dann wieder nach. Wir haben fünf Tote, acht Schwerblessierte, und irgendwelche Kratzer hatte jeder von uns empfangen. Von den spanischen Soldados in ihren rotgelben Uniformen und leichten Brustpanzern wurden vierzig im Meer bestattet, wo die Haie Totengräber sind. Dazu kamen noch achtunddreißig Matrosen und »Caballeros de la fortuna« - junge Edelleute, die auf gut Glück in die Kolonien fahren. Der lebende Rest, eine erkleckliche Anzahl, die uns immer noch weit überlegen war, wurde unter Deck eingesperrt. Samt ihren Verwundeten und ihrem Chirurgen. Unser eigener hatte genug mit uns zu tun! Die »Merced« war ein schönes Schiff und hatte nach näherer Besichtigung gar nicht so stark gelitten, wie es scheinen konnte. Die meisten Vollkugeln unserer Breitseite waren über der Wasserlinie eingeschlagen. Chips, der Zimmermann, und seine Gehilfen waren am Kalfatern und Dichten. Auf dem Achterkastell der »Golden Main« hielten wir eine Be96
ratung ab. Es wurde beschlossen, die »Merced« nach Tortuga zu bringen und sie dort zu verkaufen. Pieces of eight fanden wir nur zwei Fässer voll. Truppenlöhnung! Aber riesige Mundvorräte und herrliche Weine, Stoff, Samen und Getreide. Unsere Stimmung war gestiegen, als wir die Untersuchung der »Merced« beendet hatten. Gemäß unseren Statuten wurden die Offiziere und Passagiere der »Merced« bis auf die nackte Haut ausgeplündert, während die Mannschaft ihr Eigentum behalten durfte. Es wurde beschlossen, alle Dons auf der nächsten spanischen Besitzung an Land gehen zu lassen. Die paar Boote konnte die »Merced« entbehren . . . Einige Matrosen, die unter Aufsicht standen, mußten uns bei der Arbeit helfen, und sie staunten, als sie uns umschichtig trinken, singen und beten sahen und hörten . . . Und jetzt halten wir Kurs auf Tortuga. Unermüdlich treibt Rotbein zur Arbeit an. Die Decks sind blankgewaschen und keine Blutflecke mehr zu sehen. Trübrote Brühe lief durch die Speigatts ins Meer und die Haie, die unten mitschwammen, gurgelten ihre Rachen damit aus. Fünfzehn spanische Matrosen unter Wonderful und einem halben Dutzend schwerbewaffneter Küstenbrüder sind auf die »Merced« übergesiedelt. Sie soll uns möglichst im Kielwasser bleiben, weswegen wir Segel kürzten. Falls feindliche Übermacht naht und sie nicht mehr entkommen können, so sollen sie die »Merced« anbohren und in Brand stecken und dann zu uns an Bord kommen. Während des Kampfes hat der Wind geschralt, und wir können ihn nun raumen lassen und guten Kurs nach Tortuga ansetzen. Vom Achterdeck ruft Redlegs: »He, Mac, komm in die gute Stube!« In den Lieken knallt die Brise. Unsere Leute sitzen auf den Luken und singen. Wein fließt in Strömen, Rosinen und Datteln und spanisches Backwerk munden. Und Redlegs' Piraten singen nicht mehr das alte Rumlied, sondern stimmen einen tiefen, choralähnlichen Gesang an, als ich die Treppe hinaufsteige. 97
Unter dem Sonnensegel liegen die Verwundeten mit ihren blassen oder fieberroten Gesichtern im Schlaf oder phantasieren. Scheu sind die spanischen Matrosen an der Arbeit. Wachen stehen breitbeinig vor der Luke, die zur Pulverkammer führt. Eine halbe Kabellänge ab schwankt die »Merced« hochbordig, wunderschön unter vollen Segeln, auf den Wellen. Das Banner des Santiago ist niedergeholt, und der Jolly Roger flattert. »He, Mac, komm doch endlich in die Kajüte!« ruft wieder das Rotbein. Er hat seine pulver- und blutbeschmierte Kleidung über Bord geworfen und die Tracht eines Hidalgo aus den Vorräten der »Merced« angelegt. Nur die roten Stiefel, die er fast nie ablegt, trägt er dazu. Sieht ungemein ehrbar aus, wie ein Gentlemanfarmer . . . »Pfeifen und Tabak. Und den leichten roten Wein, Billy, mein Schatz!« befiehlt er dem Jungen. Und nun sitzen wir, trinken einander zu, rauchen aus den weißen Tonpfeifen, strecken die Beine unter den Tisch. Und sprechen immer weniger. Zuletzt schweigen wir ganz. Rauchen und trinken und geben uns voll der wohltuenden Erschlaffung hin, die sich nun einstellt. Das Meer murmelt, das Schiff ächzt, und vor meinen inneren Augen spielen sich viele Geschehnisse ab. Kommen und gehen. Ununterbrochen.
MARGUERITE Gegen die Felsbastionen donnert im wütenden Anprall die Spanische Main. Hochauf spritzt der blendende Schaum. Die Kimm ist ganz nahe gerückt, und die unterm Himmel dahinjagenden Dünste sind so niedrig und dicht, daß stellenweise Land, Meer und Horizont ein Ganzes bilden. Tropischer, warmer, dichter Regen klatscht hernieder. Erdreich dampft würzig süß. Schwere, peitschende Tropfen zerschleißen die breiten Bananenblätter noch ärger. Schlagen Blüten von den Büschen, trommeln auf flache Dächer, nässen die weißen Mauern, daß sie grau werden. 98
Nasse Gestalten huschen in die vollen Kneipen. Auf den Schiffen, deren Spiere kaum sichtbar aus dem Wasserstaub ragen, ist's still. Die Tierwelt schweigt. Papageien und andere Vögel haben sich verkrochen. Nur am Strand, aus weißem Gischt und wirbelndem Nichts heraus, knarren ruhelose Stimmen ruheloser Möwen wie Geisterruf. Dumpf poltern abgerissene Kokosnüsse in den Hainen zu Boden. Seit Wochen bin ich wieder auf der Insel und schreibe oder liege im dämmernden Grün und träume von unwirklichen Paradiesen, wo der Mensch noch gut ist. Redlegs und seine fromme Schlagtotmannschaft sind wieder in See gestochen, nachdem die »Merced« gut verkauft und die Prisengelder verteilt worden waren. Er hat mir sehr zugeredet, wieder mitzufahren, aber ein wütender Fieberanfall packte mich und streckte mich aufs Bett, und Sawbones hat strikt verboten, daß ich an Bord käme. Esquemelin ist mit einer neuen Größe der Küstenbrüder, François L'Ollonois, über den befremdliche Gerüchte im Umlauf sind, auf einer Kaperfahrt. Bellini, der große, wunderliche Maler aus Florenz, ist gestorben, aber er hat schon einen Nachfolger gefunden, der in Pastell arbeitet und liebliche Miniaturen der Pflanzerfrauen macht. Und jener Bärtige, der damals auf der Veranda saß und so begeistert die Karte von des Magelhaes und die von Francis Drakes Weltumseglung zeichnete, schreibt jetzt Geschichte. Als Kommandant von acht Freibeuterschiffen griff er San Augustin auf Florida an, nahm es und segelt bereits wieder irgendwo in der Spanischen Main umher. Vielleicht ist er sogar ums »böse Kap« und an Tierra del Fuego vorbeigefahren, denn dieser Davis ist ein Mann, dem das Abenteuer, verbunden mit der Wissenschaft, mehr gilt als alle Pieces of eight der Welt. Seit einiger Zeit hören wir nichts mehr von ihm. Und William Dampier, Dichter, Naturalist und kühner Seemann, lebt jetzt nicht mehr auf Tortuga, sondern auf Jamaika zu Port Royal. Penn und Venables haben diese Insel für die Briten erobert. Auch auf Barbados, Trinidad mit dem herrlichen 99
Hafen von Port of Spain und anderen kleinen Keys in den Jardinillos, die Florida vorgelagert sind, faßten sie festen Fuß. Eine Massenauswanderung von Tortuga nach Port Royal setzte ein - besonders die Engländer vereinten sich mit ihren Landsleuten, und Port Royal ist jetzt ein ebensolcher Stützpunkt in der Spanischen Main wie unser Tortuga. Wird dieses, allem Anschein nach, überflügeln. Auch ich werde eines Tages dort hingehen. Vorläufig erhält Tortuga noch großen Nachschub an kühnen, guten Abenteurern und auch abgrundtiefen Schurken, Vollpiraten und Mördern. Ich stehe im kräftigen Mannesalter und lebe noch, nachdem ich viele, die ich kannte, sterben sah. Und ich bin immer noch allein. Und Isabella? Verdorben, gestorben! Wo? Quien sabe! Good riddance . . . Ich wollte mir mal einen Hund anschaffen, doch habe ich das vorläufig aufgegeben. Denn da ich inzwischen oft auf See gehe, würde ich es wohl kaum übers Herz bringen, das Tier während meiner Abwesenheit fremden Händen anzuvertrauen.Hunde sind dann so traurig, und haben eine besondere Art, ihren Kummer mittels Blicken auszudrücken, die mir, dem Küstenbruder, Federfuchser und Töter mancher Menschen in tollen Kämpfen, das Herz schwermachen würde. Und an Bord kann man einen guten vierbeinigen Kameraden nicht gut mitnehmen. Ich schreibe. Schreibe manchmal wie besessen. Eine alte, fette Negerin namens Sarah kocht für mich und versieht den Haushalt. Isabella hatte Nachfolgerinnen; Mädels, die meine gute Mutter nicht billigen würde, wie sie vieles oder alles hier draußen nicht billigen würde. Und es ist einsam um mich. Die paar Freunde, die ich hatte, mit Ausnahme Esquemelins, sind tot. Forster, der Dichter und Komponist süßer Sonette, wurde nebst seiner Crew auf See von den Dons besiegt, und da sie sich nicht ergaben, fielen alle schwerverwundet in Gefangenschaft und wurden, da sie sowieso im Sterben lagen, prompt an den Rahen aufgeknüpft. 100
Das Glück ist nicht immer bei den Brüdern der Küste. Aber merkwürdig oft, und das ist sonderbar. Wie es nur möglich ist, daß eine Handvoll Männer so oft gegen Hunderte schwerbewaffneter und kriegsgeschulter Spanier, hinter hohen Schiffsmauern verborgen und verbarrikadiert, den Sieg erringt? Daß unsere kleinen Fahrzeuge die riesigen Galeonen und Karavellen entern und erobern? Und daß wenige Dutzend von uns in weißen Tropenstädten landen, wo hinter befestigten Schanzen Hunderte bewaffneter, ausgebildeter Bürger und aber Hunderte - ja sogar Tausende - Soldaten sich verteidigen und dennoch besiegt werden? Wie kommt das nur, könnt ihr mir das sagen? . . . Vielleicht, weil wir entweder aus Abenteuerlust, aus Goldgier oder aus Rache kämpfen und fast jeder von uns ein Außenseiter ist! Die Dons kämpfen ja auch hier draußen in der Main für ihr Land und ihren König, und das Mutterland wird trotz des fast ewigen Kriegszustandes mit England oder Frankreich kaum angegriffen. Ist's das Klima, das wir besser vertragen als diese abgehärteten Soldados, oder stimmt's wirklich, was einige sagen, daß Männer, die unsere Gründe haben, besser und verbissener fechten als solche, die nur eine Kolonie verteidigen? Oder hat das rätselhafte, unabwendbare Schicksal längst beschlossen, jene Hunderttausende Indios, die von den Dons ausgerottet wurdenman denke an Cortéz, an die Pizarros und an andere - zu rächen? In diesem Fall bedient sich die Vorsehung der Küstenbrüder, Piraten und aus der Zivilisation Vertriebenen . . . Stunden- und tagelang grübele ich oft über dieses Problem und komme doch zu keinem Resultat . . . Horch, wie das draußen gießt! Wahre Wasserfälle stürzen aus den Schleusen des Himmels. Der Weg ist ziemlich weit, und trotz Wetterkleidung wurde ich bis auf die Haut durchnäßt - ansonsten ich nämlich einen Besuch bei Monsieur Flammarion und Familie machen möchte. Sie kamen vor einem Jahr nach Tortuga und haben heut die schönste Pflanzung hier, möchten aber, sobald die Lage reifer und klarer wird, hinüber nach Hispaniola, wo der Franzose langsam beginnt, auf der halben Insel sich festzusetzen. 101
Die Flammarions sind sehr liebenswerte Menschen und haben mit den Küstenbrüdern nichts gemein, sondern gehören jenem Cercle an, den wir spöttisch, aber ohne jede Bosheit »anständige Leute« nennen. Pflanzer und Beamte des Gouverneurs, der oft lachend sagt, daß die Eigenheiten der Küstenbrüder und Freibeuter ihm graue Haare machen! Ja, bei Flammarions ist's schön. Auch Esquemelin gehört zu den paar Bevorzugten, die dort Besuche abstatten dürfen und immer gern gesehen sind. Eine wunderbare, weiche Atmosphäre umfängt einen in dem gepflegten Pflanzerheim. Die Dame des Hauses hat ihren Salon, die Tochter klimpert auf dem Spinett oder der Harfe und singt dazu, eine Bibliothek ist vorhanden, und man steht mit Frankreich in Postverbindung. Marguerite Flammarion ist ein süßes, berückendes, schwarzäugiges, zierliches Geschöpf voll Esprit und Eleganz. Ob sie es weiß, daß ich mir einbilde, sie zu lieben? Ich denke ja, denn neulich lachte sie so frauenhaft weise, und Mama drohte mir nachher mit dem Finger und sagte mit unter vier Augen : »Monsieur Mac, Sie sind ein Ehrenmann und deswegen haben wir Sie gerne. Aber, oh, man spricht allerlei über eine gewisse Bruna, eine Pepita, Isabella und andere. Mein Mann und ich sind großzügig, sonst kann man nicht hier draußen leben, Monsieur! Enttäuschen Sie uns bitte nicht, es würde uns leid tun! Marguerite ist mit einem Officier du Roy verlobt!« . . . Das war sehr deutlich. Ich gehe nach wie vor hin, und die Freundschaft, die man mir entgegenbringt, ist die alte geblieben, aber . . . Nein, kleine Marguerite, brauchst keine Angst vor mir zu haben. Wenn du nicht von selber zu mir kommst. Aber das wird Gott sei Dank nie der Fall sein. Gott sei Dank, sage ich, auch mir würde es leid tun. Papa und Mama Flammarion sind so liebenswürdig, und es wäre eine schuftige Vergeltung ihrer uneingeschränkten Gastfreundschaft, wenn ich . . . Eine andere Pflanzerstochter, ein abenteuerliches schönes Geschöpf, ist ja schon mit einem Piraten ihren Eltern davonge102
laufen. Und einem Piraten übelster Sorte, der an Land einherging wie der Wolf im Lammfell. Er setzte sich einfach über die »Artikel«, die jede Frau an Bord streng verbieten, hinweg. Und rasch geschah, was vorauszusehen war. Bedenkt: fünfzig oder sechzig wilde, zusammengewürfelte Seeräuber auf einem Schiff, und der Anführer hat eine junge kecke und kokettierende Doña bei sich, und die andern haben keine. »He, Käpten, in den Artikeln steht, daß kein Weibsbild, falls es sich nicht um eine Gefangene gegen Lösegeld handelt, an Bord sein darf. Wir wollen aber ein Auge zudrücken, falls wir auch ein bißchen von deinem Kätzchen abkriegen!« so tobte fluchend und lachend der Mannschaftsrat auf hoher See. Der Käpten hat dazwischengeknallt; und binnen Sekunden entwickelte sich ein blutiger, wahnsinniger Kampf, an dem alles teilnahm. Die Kajütsgasten wurden überwältigt, und das »hübsche Kätzchen« wanderte von Hand zu Hand, bis sie in einem unbewachten Augenblick, geistig umnachtet, über Bord, den Haien sozusagen in den Rachen sprang. So geschehen an Bord des »Rover«. Die arme Kleine hieß Blanche Brissac, und ihre Eltern nahmen sich die Tragödie so zu Herzen, daß sie nach Frankreich heimfuhren. Und die Mannschaft des »Rover« holte der Teufel, nahm sie hinab in seine große Salzwasserkiste oder bewahrte sie für ein noch schlimmeres Los auf. Sie hatten nämlich keinen Piloten, keinen Navigator mehr und schwabbelten ziellos in der Main umher; die »Rover« wurde von einem französischen Kriegsschiff aufgegriffen, genommen, und jeder Mutter Sohn, der noch lebte, zierte alsbald die Rahen . . . Nein, brauchst nichts zu fürchten, Marguerite! Verfluchter Regen da draußen! Verdammtes, langweiliges Buch! - »He, Sarah, bring Wein!« Sie rollt herein wie eine schwarze holländische Treckschuit, wackelt mit Kopf und Achtersteven und glotzt possierlich. »Nix, Massah! Massah alles aussaufen! Dies schwarze Kind muß neuen Wein holen. Massah geben Geld!« »'s ist gut, Sarah. Hol welchen bei Barbassou. Hier ist Gold und 103
den Rest kannst du behalten!« Ich werfe ihr einige Pieces of eight hin. »Stell die Rumpulle auf den Tisch. Und die Kerze und neue Pfeifen und Fidibusse !« Die Alte beeilt sich, und ich stürze ein Gläschen des alten Jamaikarums hinunter. »Lauf rüber, sag der Josita, sie soll mir Gesellschaft leisten, ihre schönsten Klamotten anziehen und ihre Gitarre nicht vergessen!« »Oh, Massah, Josita jetzt nicht daheim! Heut' großer Tanz in allen Kneipen. Prisenschiffe gestern eingelaufen!« »Ach ja. Nun, dann eben nicht. Kannst schlafen gehen, wenn du Lust hast, Sarah!« Ich schlüpfe in den blautuchenen, mit Seesalz bekrusteten Wachtmantel, stülpe den alten Dreimaster auf den Schädel, stopfe den Zopf unter den Mantelkragen und steuere, gegen den Sturm Balance haltend, hinaus in den klatschenden Regen. Bin in der richtigen Stimmung! Zur Wasserfront habe ich nicht weit. Und in sämtlichen Kneipen, wo Tag und Nacht der Teufel los ist, solange noch ein Goldstück in den Taschen zechender Burschen klingelt, ist heut der Extrateufel los! Rote und gelbe Lichte zucken hinter den Butzenscheiben, leere Fässer liegen vor den Häusern. Ein Betrunkener, den eben der kräftige Fußtritt eines beleibten Wirtes an die Luft beförderte, saust aus »La ville d'Or« wie aus der Kanone geschossen an mir vorbei. Landet mit mächtigem Platsch in einer tiefen Pfütze. Rappelt sich fluchend auf, zieht die Pistole und knallt ein Loch in den Regen. Setzt sich dann wieder hin und streckt sich aus, der Länge nach. Schnarcht hörbar mitten in der Wasserlache. Morgen wird er das Fieber haben! Im tollen Rhythmus klimpern Gitarren, zirpen Mandolinen, rasseln Kalebassen, hämmern Trommeln. Spanische und französische, niederländische und englische Texte zu Melodien, die von Negern im dunklen Afrika geboren wurden. Drohend und eintönig oder grell aufreizend und wunderbar rhythmisch dazu. Eine Musik, die es in Europa noch nicht gibt! Vom Hafenbecken her laufen ein paar triefende Männer, tau104
chen in die Türen der Kneipen, die beim Öffnen goldene Schlaglichter auf die Nässe draußen schleudern. Bei Barbassou herrscht buntes Gewimmel. Alle Stühle und Bänke sind dicht besetzt. Manch einer hat seine Schöne auf den Knien. Die Musik klingt verwischt, ist sekundenlang gegen den übrigen Lärm unhörbar. Stimmengetöse, Gelächter und Fluchen. Tabaksqualm wogt hin und her wie Pulverschwaden auf einer eben genommenen Karavelle. Barbassou, älter, faltiger und weißhaarig geworden, die traditionelle rotseidene Nachtmütze auf dem Schädel, die kurze Lederschürze vor dem Bauch, erspäht mich und kommt mir händereibend entgegen. Er schafft mir Platz, denn bei ihm gehöre ich seit der Affäre Santo Niño zu den Ehrengästen, und es kommt ihm nicht darauf an, dafür einen andern vor die Tür zu werfen. Rasch steht ein Humpen Claret vor mir, eine Schale mit Tabak, eine neue Tonpfeife und ein Teller voll delikater Markknochen, deren Enden mit rotem Pfeffer bestreut sind. Ringsum brandet Getöse. Lachende, gerötete Gesichter unter Nachtmützen oder Federhüten tauchen ab und zu aus den Rauchwolken; Hände, die den Würfelbecher schütteln, verkrampfte Finger, die Spielkarten auf den nassen, weinbesudelten Tisch schmettern. Pieces of eight blitzen. Blasse junge Kerle lehnen über die Spieler, halten Augenzwiesprache mit aufgedonnerten Weibern, deren Zuhälter sie sind und für die sie menschliche Beute aussuchen. Mit einemmal sitzt eine junge bildhübsche Quadrone auf meinen Knien, lacht mich an und trinkt mit dem roten Schnabel aus meinem Humpen. Und bettelt mich an. Ich kenne sie und wundere mich, denn vor zwei Wochen war sie noch Zofe bei einer Pflanzersfrau, die allerdings im Rufe steht, ihre Sklaven mit Nadeln zu stechen und furchtbar zu prügeln. Und jetzt segelt die Kleine direkten Kurs vor die Hunde! Tortugabilder . . . »Verdammtes Aas, du mogelst! Deine Würfel haben Bleieinlagen!« heult eine kaum mehr menschliche Stimme, und eine andere schreit frohlockend: »Gagné! Gagné! Viermal sechs 105
Augen! Der höchste Wurf! Die hundert Goldstücke sind mein!« »Schenk mir ein Goldstück!« bettelt die Kleine und wippt auf meinen Knien, zerrt mich am Zopf, der mein eigener ist. »Für einen Kuß sollst du dreie kriegen, Marguerite!« »Ei, wie galant! Aber ich heiße Cécile! Da, nimm! Auf Kredit, weil ich dir traue!« und küßt mich, und ich fühle ihre frischen Lippen. In mir singt das Blut, und der alte Leichtsinn und der Drang nach Vergessenheit sind stärker als je. Heia, das Leben ist schön! . .. Ein donnernder Pistolenschuß! Geschrei, Tumult, und durch die minutenlange lähmende Stille - ehe das Getöse wieder losbricht - ein rauhes Stöhnen. Wie von einem, der stirbt. Dann schreit jemand: »Schmeißt den Betrüger vor die Tür. Kopfschuß, und verdient hat er ihn. Sagte ich nicht, die Würfel seien falsch? Da seht her! Blei darin!« Durch Qualm und Dunst sehe ich Barbassous Neger etwas hinausschleppen. Etwas Langes, Schlaffes. Ein anderer Sklave streut Sand auf die Stelle, wo . . . Die Gitarren setzen mit einem Marsch ein, die Stimmen brausen auf, die Würfel klappern von neuem, und harte Hände schmettern auf Tische. Qualm wogt, Gold blinkt tückisch, es riecht nach Menschen, nach Parfüms und Gebratenem, und darunter mischt sich der langsam abziehende scharfe Geruch des Schießpulvers. »Hast du Pieces of eight in der Tasche?« »Nein, aber komm mit, sollst noch mehr kriegen als nur drei. Und ein paar Pullen Wein nehmen wir längsseits!« »Ei wie fein, Macky!« jauchzt sie und umhalst mich wieder. Der junge Körper ist warm und fest unter der steifen Brokatschneppentaille. Und vor meinen Augen dreht sich alles, tanzt einen rötlichen Reigen. »Komm!« Ich nehme sie auf den Arm, trage sie durch das johlende Gewimmel. Einige trinken mir zu. Viele kenne ich. »Vive Mac! Und die Achtundzwanzig des Pierre Legrand!« Barbassou folgt mir. »Schon wieder fort?« »Mein Alter, du weißt, ich halte Wort! Hab' kein Geld mitge106
nommen. Gib mir einen deiner schwarzen Jungen und einen Korb Wein mit. Sarah kann ihn dann gleich bezahlen!« »Aber ja, aber ja, mein Freund! Kenne dich. Betrügst nicht, gehörst zum alten Tortugaschlag!« nickte er und geht nach der Küche, hinter der ein Keller in die Erde führt. Ich trage das vergnügt aufkreischende Geschöpf im Laufschritt durch den Regen nach meinem Haus und über die Schwelle. Auf dem Tisch brennt noch die Kerze. Sarah ist noch auf. »Sarah, hör, gleich kommt ein Boy von Barbassou mit Wein. Er bringt die Rechnung mit und du bezahlst ihn. Und deckst dann den Tisch!« »Gut, gut, Massah. Massah tun recht, nicht allein bleiben in solcher Nacht. Junges Blut wärmt!« Cécile schlüpft aus dem schweren klatschnassen Brokat, wobei ich die Nestel und Ösen auf ihrem Rücken aufmachen muß. Steht, eine lachende hellgoldene Statue, vor dem Tisch. Um den Hals schließt sich eng eine blutrote Korallenschnur. Wie schön sie ist, und wie bald ist sie beim Teufel! denke ich und hole einen Pudermantel, der, glaube ich, von der Karavelle »Los Reyes catolicos« stammt. Und zünde, während sie in das weite Kleidungsstück kriecht, das fertig gehäufte Holz im Kamin an. An die Heimat denkend, ließ ich mir von einem geschickten Maurermeister, der unter den Küstenbrüdern ist, diese Heizgelegenheit bauen. Und benütze sie an solchen Regenabenden wie heute, denn lange schon bin ich in der Spanischen Main, und mein Blut wird dünn, vom Schüttelfieber, das immer wiederkommt, verdorben. - Ich ziehe trockene Kleider an. Draußen höre ich Sarah mit Barbassous Jungen schwatzen. Mit übereinandergeschlagenen Beinen, - an einer Fußspitze baumelt ein nasser, zierlicher Pantoffel, - setzt sich die Kleine vor das flackernde Feuer. An den Wänden huschen gigantische Schatten auf und nieder. Der Wind heult im Schlot. Noch sechs lange Wachslichter zünde ich in den schönen Silberleuchtern an, die von einer Prise stammen. Wie auch das weiße Damasttischtuch und die prächtigen Pokale und das Silbergeschirr, mit dem Sarah nun den Tisch schmückt, einst auf einer 107
stolzen Galeone, die »El Santo Niño« hieß, durch die Meere fuhren. Ich hätte damals an Stelle des Tischgeschirrs auch Altargeräte aus purem Golde, mit Edelsteinen besetzt, haben können, doch hielt ich solches Tun für Sünde. »Wunderschön ist's bei dir, Macky. Hier möchte ich für immer bleiben!« »Na, so bleib, bis dich ein Jüngerer mir ausspannt! Brauchst dann aber nicht heimlich wegzuschleichen, denn ich bin ein Philosoph, weißt du.« Roter Wein funkelt in gläsernen Pokalen. Ich habe zwar Silberund Goldbecher, aber den Wein muß man sehen, wie er flüssig funkelt. Außerdem schmeckt er besser aus Gläsern. »A tu Salud, Hermosa!« sage ich scherzhaft. »A la tuya, Hombre!« Wir trinken einander zu, und es ist wie Feuer und Leben, das da in meine Kehle hinabrinnt. Schade, daß man nicht Wein trinken, küssen und Pfeife rauchen auf einmal kann! Die Frauen mögen das nicht so sehr . . . Der Kamin strahlt eine behagliche milde Wärme aus. Auf dem Dach trommelt der Regen, und weit weg murrt die Brandung. Ich gehe an die Truhe, krame darin und werfe dem Mädchen eine Handvoll Pieces of eight in den Schoß. Nach allen Seiten hüpfen und rollen die glänzenden Scheiben. »Oh, du bist ein Kavalier, und ich will dich die ganze Nacht dafür küssen!« Sie kniet auf den Boden und rafft gierig das Gold auf. Seltsam, daß alle hinter dem gelben Metall so her sind! Auri sacra fames - verfluchter Goldhunger! »Komm her, steh auf, Marguerite, und trink!« »Ich heiße doch Cécile!« »Ach ja!« Sie schaukelt wieder auf meinen Knien. Und die Kerzen leuchten feierlich schön, duften nach Bienenstöcken. Das Tischtuch schimmert wie Schnee auf dem Ben Nevis, an dessen Fuß ich geboren wurde. Die Gestalten auf Bellinis Bildern leben, treten aus satten Tönen rosig hervor. Und das Feuer knistert. 108
Ihre jungen Brüste sind goldbraun, sammetkühl und steil und liegen wie zwei Früchte in den Schalen meiner andächtigen Hände. Sehnsüchtig schauen mich die schwarzen Augen an, die roten Lippen nähern sich den meinen und . . . »Marguerite!« sagt nicht mein Mund, sondern meine Seele. Denn wozu braucht diese kleine Hure zu wissen, daß . . . Bumm! Bumm! Bumm! hallen drei dumpfe Kanonenschüsse. Und nun schrilles, gedämpftes, hysterisch unaufhörliches Gebimmel sämtlicher Schiffsglocken im Hafen. Dünn tönt es durch das Toben der Natur. Mit einem Satz bin ich auf den Füßen, fege das Mädel von meinen Knien. Dort sitzt sie verdutzt auf dem Boden und spricht halb zornig, halb lockend: »Mac, Mac, je te prie! Restez chez moi, mon Chou-Chou! Mac!« Alarm! Ich reiße die Muskete von der Wand, hänge das Bandolier mit der Munitionstasche um. Den Cutlaß an die Hüfte, Pistolen und Dolchmesser in den Gürtel. Wild gellen dort draußen die Glocken, nun knallen Musketen dazwischen, und endlich dröhnt, das Haus zum Erzittern bringend, eine Salve der Strandbatterie. Die Dons kommen! Haben sich wahrhaftig eine Nacht dazu ausgesucht! Eine Nacht! Hei! Draußen weht ein halber Orkan, aber die Soldatos und Marineros del Rey sind mitnichten feige. Durch den Orkan kommen sie und wollen uns mal wieder ausräuchern . . . »Paß auf die Kleine gut auf, daß sie nichts maust!« flüstere ich in der zugigen Veranda der schwarzen, aber jetzt im goldenen Lampenlicht grau vor Angst gewordenen dicken Sarah zu. Und renne hinaus in die triefende, peitschende Nacht, durch die fernes Wetterleuchten zuckt. Die Verteidigung von Tortuga ist sehr gut organisiert, und die Dons sollen uns nicht mehr, wie schon einmal, im Schlafe aus den Betten räuchern! Jeder von uns, der nicht grad ausgemustert hat, kennt seinen Platz. Der meine liegt in jener kleinen Bucht, wo das Haus in und unter Blumen steht, duftendem Jasmin, Passionsblüten und grell109
roten Becherwinden. Und wo im Garten, sechs Fuß tief in der Erde, der rotköpfige Venard schläft . . . Meine Genossen sind auch eben eingetroffen. Elf schwerbewaffnete Männer, holen wir keuchend Atem und bohren den Blick durch das Dunkel der Nacht und die Regenvorhänge aufs Meer, das heute wild in die Bucht schäumt. Bananenstauden gewähren einigen Schutz, was sehr wichtig für das Pulver auf unsern Musketen und Pistolenpfannen werden kann. Nichts zu sehen! Vom Hafen her und einem südlichen Punkt der Insel knattern Musketensalven, einzelne Schüsse dazwischen. Die Schiffsglocken sind verstummt. Also am Hafen und dort im Süden versuchen sie zu landen! »Brave Muchachos! Bei diesem Höllenwetter im offenen Boot auf See an einer Leeküste, fürwahr, das ist ein tolles Stück!« schreit neben mir einer durch das Getöse. Und ein anderer: »Ob sie's auch hier versuchen? Ist 'ne komfortable Bucht!« »Ruhig, Jungens! Laßt sie kommen. Seht ihr was?« Immer noch Musketensalven und durch die Pausen das donnernde, kurze Hallen der Batterien. Eine andere Küstenbatterie tritt in Aktion. Die Nacht ist fast schwarz und die Sicht sehr schlecht. Da! täusche ich mich oder sah ich wirklich etwas noch Schwärzeres als die Dunkelheit auf den zeitweilig phosphoreszierend aufleuchtenden Wogen am Eingang der Bucht? Peter, ein Pirat, der eine kleine Tabaksplantage besitzt, preßt meinen Arm. »Zwei Boote!« brüllt er und braucht und kann nicht flüstern, denn die See tobt furchtbar laut. Ich sehe sie nun auch. Manchmal verschwinden sie, dann heben sie sich wieder empor auf den blitzenden Kämmen der Brecher, ehe sie abermals versinken. Sie kommen langsam näher, Seegang und Windrichtung helfen dabei. In einer jener sekundenkurzen Pausen, die den Stürmen der Spanischen Main eigen sind, höre ich Ruderknarren. Am Westrand, wo eine ähnliche Bucht ins Land schneidet, knallen auf einmal Musketen, brüllt ein Neunpfünder, der dort aufgebaut ist. Also auch da versuchen sie's. Im Hafen schweigt die 110
Batterie, aber das Kleingewehrknattern geht weiter, und im Süden schießen sie auch noch. »Sacré, dort kommt ein drittes !« heult mir Jacques ins Ohr, und er hat recht. Meine Augen durchdringen nun die Dunkelheit besser, auch der Regen hindert die Sicht nicht mehr so, obwohl er unvermindert niederrasselt. Aber die Wogen, die jetzt tiefer aufgerührt werden, leuchten stärker, und der Schaum blitzt. Und schwarze Scherenschnitte sind die drei Boote. Vielleicht noch sechzig Längen entfernt. Und eines ist den andern voraus. Wieder höre ich Ruderknarren. Ob sie uns jetzt bemerken oder nicht, das ist gleich. Da ich der Anführer der Zehn bin, brülle ich so laut ich kann: »Zielt alle in der Reihe, wie wir stehen, auf das erste Boot. Und dann so rasch wie möglich geladen und nochmals losgepfeffert. Und dann auf sie mit Pistole, Dolch und Cutlaß, wenn sie gerade landen. Laßt sie nicht Fuß fassen, sonst geht es uns dreckig!« Im Süden knallt starkes Musketenfeuer. Im Westen auch, und dort brummt in Pausen der Neunpfünder. Am Hafen donnert noch mal eine einzelne Kanone. Welch eine Nacht! Der Orkan schleudert uns Sprühregen und Schaum in die Gesichter, und ich hege Befürchtungen wegen des Pulvers auf den Pfannen unserer Schußwaffen . . . »Jetzt!« brülle ich wieder. Das erste Boot ist ganz nah, ich erkenne die Gestalten darin. Wie eine riesige Schaukel schnellt es auf und nieder, schießt dabei näher und einmal ist's, als schwebte es grad über unsern Köpfen, während ein besonders großer Brecher es hochstemmt und dann im Sog ein Stück zurückreißt. Führwahr, die dort die Ruder führen, halb ersäuft und die Boote voll Wasser, sind Männer! Ich drücke ab. Glaube, nebst dem Rückstoß noch sieben oder acht unregelmäßige Schüsse zu hören, vernehme auch deutlich die saftigen Flüche jener, deren Musketen nicht losgingen. Im Boot schreien sie auf. Ganz dünn durch den Aufruhr des Meeres. Schon arbeite ich fieberhaft und lade wieder, verschütte dabei die Hälfte meines Pulvers. Seht! Es sind nur noch zwei Boote, wovon das eine ganz nahe 111
mit dem zurückziehenden Sog kämpft. Das hinterste ist weg. Umgeschlagen und . . . da! wie ein dunkler, sich überrollender Baumstamm ist es im Schaum zu erkennen; und ich bilde mir ein, Gestalten daran hängen zu sehen. Dann ist es verschwunden. Wieder drücke ich ab. Das Pulver verzischt, mit einem Fluch werfe ich die nutzlose Waffe fort, nehme in die linke eine Pistole, in die Rechte den Cutlaß und das Dolchmesser zwischen die Zähne. So habe ich's für den Nahkampf auf der Spanischen Main gelernt. Um das verschwundene Boot kümmert sich jetzt der liebe Gott. Wir haben keine Zeit dazu, denn mit einem Krach landet soeben das vorderste Boot. Halb flog es durch die Luft, halb balancierte es auf einem Wellenkamm, dessen Spitze uns alle wie mit nassen Armen um die Hüften peitschte, und schon sind wir mitten unter ihnen, haben den Vorteil, auf dem Lande zu stehen, während sie bis an die Knie im reißenden, zurückgurgelnden Wasser umhertaumeln. Pistolenschüsse blitzen auf, Säbel klirren, jemand schreit greulich, als werde er gepfählt . . . Ein Höllenspuk in dunkler Nacht! Und so rasch verflogen wie ein Traum! Dunkle Gestalten liegen plötzlich zu meinen Füßen, mehrere reißt der zurückflutende Sog seewärts in die Bucht. Erledigt . . . Das zweite Boot! Breitseits klatscht es auf den Sand. Die meisten Insassen werden herausgeschleudert, taumeln jetzt auf die Füße. »Santiago!« brüllt einer das spanische Feldgeschrei und schießt eine Pistole vor meinen Augen ab, daß ich halb geblendet zurückfalle. Ich sehe einen Säbel schimmern und erwarte den Hieb, denn ich kann nicht mehr ausweichen. Da knallt neben mir ein einzelner Schuß, und der Don sackt zusammen. Wie ein Wilder schlage und steche ich um mich, höre und sehe, daß die andern dasselbe tun. Wir sind durch unseren Stand im Vorteil gegen die halbersäuften Dons, die, ehe sie recht Fuß fassen können, der Reihe nach abgetan werden. Mit einemmal wird es ruhig um uns. Im Süden knallen noch Schüsse, aber nur vereinzelt. Der Westen ist still. Vom Hafen 112
weht Triumphgeschrei herüber. Dann prallen drei Raketen in die Luft. Ich keuche, die Lungen stechen, und sehe wie im Traum die zwei halbzerschmetterten Boote gleich gestrandeten Tümmlern auf dem Sande, von Gischt umbrandet daneben eine dunkle Gestalt, die sich qualvoll aufbäumt. Und ich höre Jacques stöhnen: »Oh, mon Dieu, mon Dieu! Maman!« Noch ein Gurgeln und Röcheln, das, so schwach es sein mag, dennoch den Aufruhr der Elemente übertönt. Und nun nur noch das Sausen des Sturms, das Brüllen der See draußen, und das unheimliche Zischeln, Prasseln und Rauschen in der Bucht. Dazu stöhnen die Blätter im Dickicht und trommelt der Regen. Noch ein paar Schüsse im Süden. Dann auch dort drei Raketen gespenstisch durch den Dunst leuchtend. Und fast gleichzeitig im Westen dasselbe. »Aufgepaßt, falls sich einer totstellt oder noch welche aus dem dritten Boot angeschwemmt werden!« rufe ich und starre seewärts. Nichts! Auch im kurzen, schwachen Schein der Raketen, die Peter eben zum Himmel hochließ, ist nichts zu sehen. Nur das geisterhafte Wogenschimmern und das Aufblitzen der Schaumkämme. Dann schreie ich auf! Denn eine Hand packt eisern meinen linken Fußknöchel, und gleichzeitig schlagen sich scharfe Zähne in meine Wade. Also einer noch nicht tot! - Ein Cutlaß saust nieder und erlöst mich von meinem Angreifer. Griff und Zähne lassen los. Schwarze Gestalten neben mir bewegen und beugen sich über andere schwarze Figuren, die, halb vom Wasser umspült, mit im Sog grotesk schlenkernden Beinen auf dem sanft geneigten Ufer liegen. Dann sagt eine Stimme: »Alle ausgelöscht!« Ich zähle ab: »François?« »Présent!« »Bill?« »Right here!« »Jean Marie?« »Oui!« »Peter?« 113
»Portverdeiske!« »Maurice?« »Présent!« »Jack?« »Here! And wounded in the thigh!« »Joseph?« »Présent et blessé. Bagatelle!« »Frédéric?« »Présent et blessé. Bagatelle!« Stille . . . »Und Jacques? Und Gaston?« »Gaston ist der halbe Schädel weggeschossen, er ist toter als ein Sargnagel. Und Jacques hat eben die Anker gelichtet. Er ist auf große Fahrt gegangen. Möge er gut Wetter haben und gut ins Port kommen! Aus!« . . . Gedämpft ertönt Triumphgeschrei, begleitet von sämtlichen bimmelnden Schiffsglocken vom Hafen her. Im Süden und Westen ist's ruhig, es ist zu weit weg. Nun brüllen auch wir wie verrückt: »Victoire! Victory!« Der Regen klatscht, das Meer stöhnt und rauscht, der Orkan heult wie tausend Gemarterte in der Hölle. In den Büschen ist ab und zu ein gewaltiges Aufrauschen, dann ein Prasseln. Von den toten Spaniern reißen wir die nassen Hemden ab und verbinden uns die Wunden. Jack flucht vor Schmerz. Ihn hat es am ärgsten erwischt. Die Wunde am Oberschenkel ist ziemlich tief. Dann untersuchen wir die Dons nach Papieren, finden aber nichts. Die einzigen Wertsachen sind einige Heiligenmedaillons und zwei silberne Rosenkränze. Ihre Besitzer sind oder waren Offiziere. Das Meer schwemmt noch zwei Ertrunkene aus dem einen Boot in die Bucht. Auch sie haben nichts bei sich. Im ganzen liegen sechzehn Leichen auf dem Strande. Zwei sind von den Unseren. Und der Rest? Draußen spielt die Spanische Main mit ihnen . . . »Ah, jetzt einen heißen Rum mit Limonadensaft und Zucker!« sagt jemand wollüstig. Da! Ein scheußliches, kurzes, singendes Aufheulen in der Luft 114
über uns, und mit lautem Krach schmettert eine Vollkugel in die Palmen. Dumpf dröhnt der entfernte Knall auf See draußen. »Sacré, diese Dons sind total verrückt! Schieß du mal 'ne Kanone auf 'nem schaukelnden Schiff ab, bei solchem Wetter! Entweder triffst du die Sterne oder die Kugel geht zufällig, wie eben jetzt, an Land oder sonstwohin. Außerdem läuft das Schiff voll, weil die See bei den Stückpforten hereinschlägt, wenn sie nicht mit der Drehbasse ballern. Aber das war grobes Geschütz eben! Na, die Burschen sind wütend, weil ihre Boote zum Teufel sind!« philosophiert Jean Marie laut und bedächtig. Weit draußen blitzt es rötlich auf, abermals weht der dumpfe Knall herüber, aber wo diesmal die Kugel hinsurrte, wissen wir nicht. Unsere eine Batterie, die den Standort der Schiffe ausgemacht hat, fängt an zu knallen. Etliche Male erwidern die Dons das Feuer, dann schweigen sie wie auch die Unseren. Es war nur Munitionsverschwendung. Nun, da die Erregung langsam weicht, fühle ich, vor Kälte schaudernd, daß ich keinen trockenen Faden auf dem Leibe habe. Und daß ich eben wieder Menschen in ein besseres Jenseits beförderte, die mir das gleiche tun wollten. Ah, kein Königreich für ein Pferd, aber beinahe soviel für eine Pfeife Tabak! »Peter, Mann, du wohnst doch in Venards Haus!« sage ich und spreche den Namen des toten Rotkopfs nur leise aus, es ist mir, als könne ich ihn wecken! - »Hol uns eine Pulle Rum! Das wird uns allen bei dem Sauwetter guttun!« Mit einem Jauchzer läuft der Angeredete den Hang hinauf und brüllt überschnappend: »At the Dons we'll go ! And Rum below! Yoohoho!« . . . Wir bugsieren die Toten, wobei uns selber das Wasser um die Hüften schäumt und uns die Füße vom Boden reißen will, zurück ins Meer. Jean Marie wird beinahe fortgespült. Der Sog 115
rollt sie hinaus und hinab in die nächtliche Tiefe. Unsere beiden Genossen erhalten das gleiche rauhe Seemannsbegräbnis, und ich hoffe, daß sie draußen irgendwo auf dem Grunde liegen, unter Korallen und Anemonen, und die Ruhe finden, die ihnen im Leben nicht beschieden war . . . Peter kehrt mit der Pulle zurück. Der Rum wärmt und macht gesprächig. Unsere Posten dürfen wir noch nicht verlassen. Aber der Orkan verstärkt sich von Minute zu Minute. Es ist eines der bösesten Unwetter, die ich je hier draußen erlebt habe. Laut braust und heult das Meer, und der Luftzug, der den dichten Regen waagrecht vor sich herschmettert, wirft uns fast auf den Rücken. Kein Boot kann in solcher See durchhalten, und Gott sei den Schiffen dort draußen gnädig! Da dröhnen, kaum hörbar durch das Toben der Elemente, drei Kanonenschüsse im Hafen, und nun dürfen wir gehen. Im Osten überspannt fast ununterbrochen ein Netz blauer Blitze den Horizont. Und tief murrt Donner überm Meer. Die anderen stapfen nach der Wasserfront, wo der Rest der Nacht - das weiß ich genau - in einer großartigen Zecherei verbracht wird, ehe sie sich tags drauf beim Wundarzt untersuchen und richtig verbinden lassen. So sind die Tortugamänner! Ich gehe heim. Heim, merkwürdiger Ausdruck! Sarah empfängt mich zitternd auf der Veranda. »Böse Dons fort, Massah?« »Ja, die kommen so bald nicht wieder, beruhige dich, Alte!« »O grâce à Dieu! The Lord be praised! Bendito sea Dios!« leiert sie in drei Sprachen und murmelt noch was heidnisch Afrikanisches, schlägt ein Kreuz, küßt ihren Rosenkranz und führt zuletzt einen Fetisch an die Stirn. Eine Kokosnuß knallt auf das Dach. Wie der Orkan tobt! Ich trete in die große Stube, wo noch die silbernen Leuchter mit den feierlichen, halb herabgebrannten Kerzen stehen. Ein Pokal liegt umgefallen auf dem Damast, und rot blutet der vergossene Wein. »Marguerite - Cécile?« 116
»O Massa, schlimme Buckramädel ist fortgelaufen. Hat gesagt, Massah sei kein Kavalier, der schöne Damen allein lassen!« plaudert die Alte, und ihre Augen kullern wie weißumrandete Kugeln. »Ho, also kein Kavalier!« »Oui! Yes, Massah. Caramba maldito Buckramädel nix gut für Massah. Ich holen Josita! Josita sicher jetzt zu Haus!« »Nix, laß nur! Und wenn die Cécile wiederkommt, so jage sie zum Teufel!« Ich muß lachen. Und leere durstig einen Pokal. »Buckramassah allein bleiben wollen?« »Ja, und du kannst eintörnen, geh zur Koje, Sarah!« Murmelnd an den Fetisch fassend, geht sie, und ich lehne die Waffen gegen den mit roter Glut angefüllten Kamin, werfe neues Holz auf. Ziehe die nassen Kleider vom Leibe und frottiere mich trocken. Schlüpfe in einen pompösen spanischen Schlafrock ein Beutestück von der Karavelle »El Cid ruy Diaz« - und es dünkt mich, daß wir Brüder der Küste doch im großen und ganzen recht behaglich leben . . . Die Bißwunde ist nicht schlimm. Ich wasche sie mit purem Rum aus und muß dabei auf einem Bein tanzen, weil es so brennt. So! Und nun eine Pfeife. Ah, Tabak, du bist fürwahr der Tröster der Seele und der Einsamen! Herbei nun, du sinnreicher Junker von der Mancha! Herbei, o Rosinante, und du, holdselige Dulzinea, den herrlich einfältig schlauen Sancho Pansa nicht zu vergessen! Mich gelüstet's, mehr über euch zu lesen! Ich setze mich vor den Kamin, lege den dickleibigen Schweinslederband auf die Knie, ziehe ab und zu an der Pfeife, nippe mal am Pokal vom köstlichen Roten aus des Cervantes leidenschaftlicher Heimat, und vergesse, vergesse, wo ich bin und wer ich bin, über der Lektüre vom Gastmahl des reichen Camacho . . .
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DREI WUNDER Also schreibe ich wahrheitsgemäß auf meine raschelnden Pergamentblätter über Geschehnisse, die nun jedermann weiß. Und was ist geschehen mit Greaves, dem gemütlichen, trinkfesten Rotbein und Anführer jener so seltsam betenden Schlagtotmannschaft von der »Golden Main?« Drei Wunder haben sich ihm offenbart! Hört nur: die Sehnsucht nach der satten, rauchenden Ackerkrume, den grünen Triften und wiederkäuenden Kühen, den Downs, wo der goldgelbe Ginster die Sandhügel bekleidet, den alten Eichenwäldern - und das Verlangen nach friedlichen Kaminabenden und dem lustigen Lachen pausbäckiger Squires - und der Hunger nach Ye Roastbeef of Old England wurden zu mächtig in dem biederen, samt all seinen guten und bösen Taten so sympathischen Rotbein! Und genau wie damals mir, vertraute er das Geheimnis seiner Absichten einem anderen Schiffsmaaten an und füllte ihm die Kiste mit goldenen Pieces of eight, zum Dank für sein verständnisvolles Zuhören. In einem Hafen der Spanischen Main, wo die Dons eine schimmernde, weiße Ortschaft aus Lehm und Indioschweiß erbaut haben - eine Stadt, über der jetzt die Flagge Englands weht, die sich von Piraten fast aller Herren Länder noch viel sagen lassen muß, aber stillschweigend, wie es manchmal britische Art ist, abwartet, was da komme im Schoße der Zukunft - dort desertierte Rotbein von seinem eigenen Schiff. Und er war willens, die erste beste sich bietende Passage auf einer alten Rumtonne von britischem Kauffahrer nach dem Lande seiner Sehnsucht zu riskieren. Aber jener Schuft, dem er die Seekiste mit Gold gefüllt, verriet und zeigte ihn an. Er wurde in das Calabous gesperrt, das Gericht der Freibeuter trat zusammen und verurteilte ihn nach den Artikeln zum Tode. Am nächsten Morgen sollte er durch Pulver und Blei ins Jenseits geschickt werden, und zwar wohl hauptsächlich deshalb, weil er sich hartnäckig weigerte, das Versteck 118
seines Schatzes anzugeben, ja, die Existenz eines solchen überhaupt ableugnete, sintemalen er immer redlich geteilt und sein eigenes Geld wieder verschleudert habe. Zur Folter, zu der es unter den Brüdern der Küste und den Freibeutern und Piraten nicht selten kommt, griff man zu seinem Glück nicht, weil man ihn trotz allem als tapferen Mann kannte, der den Dons großen Schaden zugefügt hatte. Während der tropischen Nacht zechten seine ungerechten Richter, an deren Händen viel unschuldig und unnötig vergossenes Blut klebt. Gegen den Strand schimmerten die seidig streichelnden Wellen. In den Plantagen tanzten die Arbeitssklaven, und über ihren Köpfen tanzten die Feuerfunken der Coyucokäfer; in den Kneipen tropfte Gitarrenton und brachten wilde Kerle einander um, während bemalte Huren dazu lachten. Und einsam saß Redlegs in seiner Zelle. Da geschah das erste Wunder!*) Ein Erdbeben erschütterte den Boden, so daß viele Häuser wackelten und einstürzten. Panikerfüllte, halbnackte Menschen irrten durch die schwelende Dunkelheit, heulten in den Straßen und kotzten ihre Trunkenheit von sich. Und die Schiffe im Hafen wurden von einer großen Woge erfaßt, die wie eine Springflut kam, und sie gegeneinanderschmetterte, daß alle Glocken kläglich bimmelten. Wie von mächtiger Faust gespalten, klaffte die dicke Mauer der Gefängniszelle weit auseinander, und Redlegs taumelte ins Freie. Eilte, im Wirrwarr und den Staubwolken unerkannt, nach der Wasserfront; fand ein Boot mit Rudern und stieß ab, hinaus auf die Spanische Main, deren blaue, schicksalsträchtige Wogen ihn weit barmherziger dünkten als seine einstigen Kumpane und jetzigen ungerechten Richter, die von dem Auri sacra fames man weiß, daß Redlegs gut lateinisch kann!- dem verdammten Goldhunger, besessen waren. Tagelang trieb er ohne Trinkwasser und Nahrung in seiner erbärmlichen Nußschale auf der blauen, unübersehbaren Weite. Da geschah das zweite Wunder. *) Historisch
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Fast verhungert, wurde er von einem Walfänger aufgefischt. Das temperamentvolle Rotbein hielt mit seiner Vergangenheit nicht hinter dem Berge, schimpfte wacker auf die Ungerechtigkeit der Welt und wurde an Bord ein allgemein beliebter Matrose, der kräftig mitruderte, wenn sie den mächtigen Leviathan der Tiefe jagten und ihm die Harpune ins Fell stießen. Als das Schiff nach einiger Zeit voll Tran und Barten nach England heimkehrte, wurde Greaves als Pirat ins Gefängnis gesetzt, und abermals machte man ihm den Prozeß. Doch diesmal gab es keine Farce, sondern er wurde vernommen von weisen Männern, die die Seele der Mitmenschen kannten und gütig beurteilten, soweit sie es durften. Redlegs verteidigte sich mit ehrlicher und glänzender Beredsamkeit und setzte die Richter durch seine lateinischen Zitate in helles Erstaunen. Und da geschah das dritte Wunder. Er konnte das Gericht davon überzeugen, daß er als Kaperkäpten nur spanische Schiffe enterte und plünderte, die Gefangenen anständig behandelt und seine Mannschaft wohl im Zaum gehalten hatte. Und da England mit den Dons im Seekrieg lag, wurde Rotbein freigesprochen. Ohne weiteres machte er seinen »Schatz« flüssig, denn schon von der Spanischen Main aus hatte er weise Geschäftsverbindung mit einem jener unbestechlichen britischen Handelshäuser angeknüpft, und nun lebt er zufrieden als Gentlemanfarmer, tut den Armen des Parish viel Gutes, ist hochangesehen, und niemand in seiner näheren Umgebung weiß, daß er einst Pirat gewesen. Im Kamin flackert das Feuer, er sitzt davor, streckt die Beine, raucht aus einer langen Pfeife, schlürft seinen Grog und sieht zu, wie die »Old Lady«, die noch recht nett und knusprig ist, eine mächtige kalte Hammelkeule auf den Tisch setzt. Von den Wandborden glänzt das Zinngeschirr, in den Fenstern nicken Blumen, und draußen flüstern die Hecken, duften Phlox und Rosen, rauschen die Eichen und Obstbäume, zirpen Grillen; an den Downs leuchtet der goldgelbe Ginster, und gegen die Steil120
küste prallt das grüne Wasser des Kanals, und es atmet die gute Mutter Erde . . . Also schrieb ich soeben in diese Chronika und tat kein Wort zuviel noch zu wenig darin, denn die Historie meines alten Freundes Käpten Rotbein, des »Moralpiraten«, ist jedermann bekannt und so wahr, wie daß die Sonne im Osten auf- und im Westen untergeht. Und so schön wie ein stiller, friedlicher Traum, wie ihn viele von uns in schimmernden Wünschen schauen und doch fast nie in Wahrheit umsetzen dürfen oder können. Salve, Rotbein! Von der nun fernen Tortuga und der rollenden Spanischen Main, die wir zusammen befahren haben und auf der auch heute noch viele dunkle, unheimliche und lichte, frohe Taten geschehen, grüße ich dich, dein alter Quartiermeister und Trinkkumpan von der »Golden Main«. Ich, Mac, der Federfuchser, der vom nebligen Schottland und den Schneehängen des Ben Nevis träumt und dennoch der leuchtenden, leidenschaftlich lebenden und tötenden Pracht der Tropen unrettbar mit Leib und Seele verfallen ist, grüße dich! Salve, et bibamus den funkelnden roten Wein! Und küssen wir rote Lippen und rauchen wir das Kraut Tobago, das am besten in Virginien wächst, und auf dessen blauen, geheimnisvollen schönen Wolken unsere guten und bösen Gedanken und Sehnsüchte reiten. - Bibite! . . .
AURI SACRA FAMES Rötlich gelb, nicht in dem in diesen Breiten seltenen Silberton, kommt der Mond. Und so grell auch sein Licht übers Meer schäumt - so lind und umschleiernd, das prangende, farbig orgiastische Farbenspiel des fiebrigen Tages ruhevoll beschwichtigend, breitet er seinen heilenden Zauber über die Spanische Main. Mondnacht kennt nur ein tiefes, wundervoll ruhiges Sammetschwarz: dazu ein zaubrische Geheimnisse kündendes Creme121
weiß wie altes Elfenbein. Und verschiedene Abstufungen weicher Bläue. Das Ganze besprenkelt, lasiert, bekleckst und umflossen von Altgold und schwachen Silbertönen. Diese milden Farben der Nacht lassen milden Gedanken ihren Lauf, und wunschkräftige Wachträume entstehen vor den Augen: formen sehnsüchtige Bilder, die einander ablösen, in taumelnder, langsamer Folge. Oder sich, stundenlang lockend, an des Menschen Seele klammern und ihn seinen Hoffnungen, Sünden und seinem Gott verbinden. So ruhig, feierlich still und doch voll verborgen klingender, heiterer Melodien ist die Tropennacht. Die weißen Frangipaniblüten mit ihren gelben Herzen sind erstaunliche Abkömmlinge von Bäumen, die wie zu Holz gewordene Sünden in knorpeliger, nackter Häßlichkeit diese Blumen als stumme, duftende Sühneopfer dem sternbesetzten Himmel entgegenstrecken. Ihr Duft ist nachts viel stärker als am Tage, und wer je den Frangipanigeruch eingeatmet hat, der weiß, wie herrlich er ist. Die mannigfach grünen Palmen sind nun schwarze, kraftvolle Tintenzeichnungen, sind Silhouetten, zwischen deren graziösen Wedeln und spitzen Blättern es goldrot sprüht. Und auf tiefschwarzem Grunde darunter malt der Mond bebende, sanftblau schimmernde Filigranmuster. Zart atmet der Passatwind von See her, spielt mit unsichtbaren Fingern in den Blättern, daß sie wie hellabgestimmte Kastagnetten rasseln. Die knallrot blühende, hellgrüne Agave zog ein dunkles Kleid über, und die heut nacht zu Tausenden am nickenden Dornenstengel ihre Kelche öffnenden Blumen, die die Spanier »Reina de la noche« (Königin der Nacht) nennen, scheinen wie aus mattiertem Silber gehämmert. In unmerklichem Kontrast schmelzen die Bergkonturen über in den Horizont. Eine glatte Kräuselung winziger, spielender Wellen läuft langsam, fortwährend sterbend und wiedererstehend, lautlos gegen den hellen Sand, über den Landkrabben nach den Kokoshainen 122
stelzen, und von dem der runde Buckel einer Riesenschildkröte sich urzeithaft abhebt. Voll trifft der lange, breite Lichtfächer Lunas auf den Strandgürtel, und gleichzeitig wird es in der Tiefe lebendig! Schimmert empor, wälzt sich; quirlt durcheinander. Ohne Rast und ohne Geräusch. Unendlich viele Goldstücke, Pieces of eight, aus den magischen Schatzkammern der träumenden See! Im Überfluß, wie sie die Gier der Menschen niemals in solcher Menge erobern und wieder verlieren wird! Gold, in dem es von Silber blinkt, von Rubinen, Smaragden, Amethysten und Saphiren funkelt, so verwandeln sich die kleinen spielenden Wellen! Ein Anblick, den ich oft schon erlebte, und immer wieder raubt mir seine Schönheit den Atem. Nichts könnte mich jetzt von meinem Sitz am Fuß der kühn zum Himmel stürmenden und oben mit schwerer Krone demütig sich neigenden Palme vertreiben . . . Königlich strahlt das weiche Blau des Himmels: tiefer getönt an den Rändern seiner Schale und hell wie Türkis und Perlglanz in des Mondes Nähe. Sterne leuchten. Wie ein Orden triumphiert das Südliche Kreuz, und sein Band, an dem es hängt - die Milchstraße - windet sich abwechselnd breit und schmal, aus lauter winzigen, prunkhaften, facettenreichen Diamantsplittern und Gold- und Silberstaub zusammengesetzt, von Horizont zu Horizont. Schattenhaft zirkeln die Fledermäuse auf der Nachtschwärmerjagd. Unter den Palmenkronen und über Kakteen, zwischen Bananenstauden, wo am Tage die lebenden Juwelen der Colibris summend zucken - da taumeln jetzt die geruhsamen Feuerkäfer märchenhaft schön. Im Gebüsch, Gras und von Zweig und Baum klingt das eintönig jauchzende Geigenkonzert der Zikaden. Nachtdüfte streicheln mit kühlenden Strömungen mir wunderbar erfrischend Wangen und Stirn und die nackte Brust. Weich, weich wie Seide und Daunen! Süß wie der Mutter Hand, die ihr Kind behütet . .. Stärker leuchtet der Ozean, wirft seine Pieces of eight an die Oberfläche. Machtvoller schwellen die Gerüche der träumenden 123
Insel, schneller rasseln die Kastagnetten der Palmwedel, und es ist, als ob ein altes, aber ewigjunges, blauschwarzes, goldensilbernes Märchen mich umfinge. Von einer Hütte her klingen leise Gitarrenakkorde, und eine dunkle, sehnsuchtsvolle Männerstimme singt . . . Stunden verstreichen. Langsam, zögernd und doch viel zu rasch für einen Menschen, der den Frieden erhaschte und ihn unrettbar mit dem Verschimmern der Gestirne wieder verlieren muß. Und so tropfen die Stunden der Tropennacht unaufhaltsam in den ewigen Schoß des gleißenden Meeres . . . Schritte knirschen über Sand und Muschelbruch. Zwei Gestalten, dunkelblau gegen das glitzernde Meer, auf das ihre schwarzen Schatten zitternd hinausgreifen, treten ins Blickfeld. Große Filzhüte, die die Freibeuter so gern an Land tragen, verleihen ihnen das Aussehen wandelnder Pilze. »Sind wir hier allein, Alter?« »Klar!« tönt die laute Antwort des Zweiten und: »Mac, der Schreiber, der hier nachts mit seinem romantischen Fimmel so oft herumgeistert, pennt in seiner Koje. Sein Dreimaster lag auf dem Verandatisch, hast du das nicht gesehen, Maat?« »Komisches Ding, dieser Dreimaster! Daß ein Mensch damit herumläuft! Irgendeiner in England soll's erfunden haben. Merkwürdig!« »Laß uns hier vor Anker gehen und die Sache richtig klarieren. - Aber erst einen Schluck Rum, mein Herzchen, ich spüre das verdammte Fieber, das ich mir auf dem Festland drüben geholt, schon wieder in meine Knochen schleichen. Du hast doch die Pulle mitgenommen, Maat?« »Hältst du mich für 'nen Prediger, daß ich's vergessen könnte, Maat?« Sie lassen sich auf einem aus dem Sande ragenden Wrackbalken nieder. Eine Flasche glänzt, wird hochgehoben, und dann höre ich's deutlich glucksen. »Belege, belege und mach Törn, Maat! Hast ja 'nen teuflisch guten Zug, aber laß mir auch was von der Gottesgabe übrig!« brummt der eine. 124
»Ah, Rum, Rum ! Ist doch was anderes als saure oder süße Donweine. Da, Maat, und verschluck aus Verseh'n die Pulle nicht!« Plötzlich merke ich, daß es kühl ist, denn ich habe zu lange hier draußen gesessen. Ein Blick nach den Sternen zeigt die Dämmerung an. Sie schillern schon im verstärkten Glanz, wie immer, wenn sie den Morgen verkünden und ehe sie blasser werden. Das unermüdlich vom Meer gemünzte Gold ist immer noch sichtbar, nur etwas dunkler, satter, und es scheint, als ob es unsäglich langsam versänke. Innerlich muß ich wegen der possierlichen Bemerkungen der Burschen über meine Kopfbedeckung lachen. Allerdings hat sich der Dreimaster noch nicht durchgesetzt, wurde vielleicht zu früh erfunden. Es fröstelt mich, und schon will ich mich bemerkbar machen, um noch einen Schluck Rum zu erhaschen, ehe die beiden Kumpane ihn ganz vertilgen. Aber eine innere Stimme hält mich ab, und so bleibe ich unbeweglich am Palmenstamm sitzen, dessen Schatten mit dem meinen verschmilzt. Gitarre und Sang sind verstummt. Da horche ich auf. »Also ist's ein richtiger Schatz, Maat?« »Wie oft soll ich's dir noch wiederholen ! Und nur weil du mein Freund bist, sollst du mir beim Bergen helfen!« »Auf 'ner Insel liegt er? Hm, das ist 'ne verflucht dumme Sache, wenn die andern keinen Wind davon kriegen sollen! Auf 'nem Eiland also sagtest du und 'ne ganze zugenähte Rindshaut voll Pieces of eight?« »Ja, auf einer Insel. Auf dieser Insel! Tortuga, du Esel!« »He, wenn es das wäre? Und wo?« . . . Sie sprechen nun gedämpfter, aber die stille Nacht läßt jedes Wort an mein Ohr dringen. Die Erwähnung eines Schatzes regt mich nicht sonderlich auf, aber ich habe ein Gefühl nebenbei, als ob etwas passieren würde. Etwas Übles! Wir Schotten von den Bergclans sind nicht umsonst bekannt wegen des »zweiten Gesichts«. »Oben im Taubenschlag! Hast du je von Levasseur gehört?« 125
»Der verrückte Franzose, der aus ehrlichen Bukaniern 'ne salbadernde Betgesellschaft gemacht hat! Und oben in der Ruine auf dem Felsgipfel wohnte?« »Den meine ich. Höre: als ich neulich dort oben herumkroch weiß selber nicht, wie ich darauf kam, denn ich laufe nicht gern stundenlang an Land herum und besonders nicht in 'ner Gegend, wo kein Grogladen ist! - nun, da kam mir ein Gedanke! Weißt du, Maat, man hat gehört, daß Levasseur zwar verschwunden ist, aber niemals wurde etwas über seinen Schatz laut. Er soll ja redlich mit seinen Leuten geteilt haben, wie's in den Artikeln festgelegt ist, aber als Anführer wird er wohl irgendwo 'nen Notgroschen für schlechte Zeiten beiseitegestaut haben, dachte ich!« »Maat, du bist klüger als 'n Rechtsverdreher. Hast einen guten Kopf unter deinem Hut!« »Laß mich weitererzählen! Aber erst reich mal die Pulle! - Ah, verflucht, hast nicht mehr allzuviel drin gelassen!« »Ho, ich hab noch 'ne zweite. Auf einem Bein steht sich's schlecht! Da!« Und wieder gurgelt es. Dann fliegt eine leere Flasche weit ins Meer, versinkt wie ein Goldklumpen. »Ich breche mir fast das Genick dort oben. Denn die Leitern und Treppen, die zum Taubenschlag führen, sind halb verfault. Mehrmals falle ich wieder runter, und das ärgert mich. Schließlich schaffe ich's aber doch und bin oben. Und stöbere in den Räumen umher, in die die Sonne scheint, weil das Dach längst der Teufel geholt hat. Und komme auch in den Keller! Hei, der alte Levasseur wußte, was gut schmeckt! Berge leerer Wein- und Rumpullen und auseinandergefallene Fäßchen liegen da. Erst habe ich Angst wegen der Giftschlangen, aber schließlich stöbere ich eifrig herum und finde - weiß der Böse, warum's noch niemand gefunden hat, denn ein Kind wäre darüber gestolpert, als ich erst mal die Abfälle ein bißchen zur Seite geräumt habe! - Reich mir die Pulle, Maat. Das Fieber schleicht mir ins Gebein!« Mit ungeduldigem Grunzen gibt der andere ihm die neue Flasche. 126
»Hei, das ist wie flüssiges Feuer und wie 'n Tritt von einem Maulesel!« lobt der erste nach einem langen Schluck und fährt dann fort : »Ich entdecke einen Ring, der in eine Steinplatte eingelassen ist. Mit Mühe hebe ich diese hoch und sehe darunter einen Keller, mehr ein Loch, weißt du!« »Voll Gold?« unterbricht der andere gierig. »Unsinn! Aber 'ne Ochsenhaut! Du weißt doch, daß die Bukanier aus solchen Häuten runde Behälter für Proviant nähen! Sind besser als Kisten und wasserdicht! - Na, da unten lag so ein großmächtiges Ding, und verdammt will ich sein - als ich einen Schlitz reinmache -, wenn es nicht voll Pieces of eight ist. Tausende, vielleicht Zehntausende!« »Donnerwetter !« »Ja, und es ist noch dort, ich habe die Steinplatte wieder draufgelegt und alles schön zugedeckt und meine Spuren verwischt. - Und da wir Schiffsmaaten sind und zusammen schon manche Kehle in der Spanischen Main abgeschnitten und manchen Tropfen Rum als Kameraden bei 'nem guten Rundgesang verschluckt haben, und weil ich jemand brauche, der mir hilft, den Schatz woanders zu verstecken - denn übermorgen sollen wir wieder in See stechen, und es könnte in der Zwischenzeit doch jemand die Nase dreinstecken - hab' ich an dich gedacht. Wir wollen's woanders vergraben!« »Hast recht gedacht, Maat, beim Teufel, du bist ein Schlaukopf erster Güte. Und wie steht's mit dem Teilen? Doch halb und halb?!« »Du bist verrückt! Ich hab den Schatz gefunden, und mir gehört er!« »Hm, weißt du noch, was in den Artikeln steht betreffs Teilung? Und betreffs Totschießen, wenn einer dem andern was verheimlicht, wenn es für alle ist?« »Komm mir nicht mit dem Gewäsch. Würdest auch verflucht wenig auf deinen Part kriegen, wenn die paar hundert Mann unserer Flotte sich darin teilten, verstehst du mich?« »Hm, ja. Aber wir sind doch gute Freunde! Also heraus damit, was ist mein Anteil, Maat?« 127
»Gib erst mal die Pulle. Das Fieber, ach das verfluchte Fieber kommt! - Ah, das schmeckt!« »Wieviel?« »Nun, ich habe an einen Viertelanteil gedacht!« »Nur ein Viertel? Und du willst mein Maat und Kumpan sein. Geizkragen, verdammter!« »Ein Viertel wird 'ne hübsche Summe ergeben, Maat. Und sozusagen gefunden! Und 's ist mehr, als du je auf einem Haufen gesehen hast und zu sehen kriegen wirst, und wenn du hundert Jahre auf Fahrt gehst!« »Maat, denk an die schönen Zeiten, die wir miteinander erlebt haben!« spricht der andere beschwörend. »Deswegen sollst du ja auch dein Teil kriegen!« »Gib mir die Hälfte, und die Krabben sollen mich fressen, wenn ich nicht mit dir durch dick und dünn gehe, Maat!« »Blödsinn! Bei einem Viertel bleibt's und basta!« »Sage ein Drittel, und ich will antworten >Topp! VernichterNau< heißt, schloß sich den Tortugaleuten an. Du hast ihn unter vielen anderen gesehen und nicht beachtet, oder vielleicht sahst du ihn auch nicht, denn meistens ist er auf kühnen Unternehmungen drüben auf Hispaniola, wo die Dons ihn bald kennen und fürchten lernten. Und als er neulich auf seinem ersten Schiff ausfuhr und ich an Bord, da warst du ja selber auf Freibeuterfahrt. - Schenk ein, mein Alter! Bei diesem Tropfen fühlt man sich, um einen deiner Ausdrücke zu gebrauchen, geborgen wie in des lieben Gottes Hosentasche!« Ich fülle nach. Hin und her läßt er nachdenklich spielerisch den Pokal kreisen, daß die »Milch Spaniens« schwappend aufschimmert. Und trinkt mit tastenden Schlucken. Tut wieder einige Züge aus der Pfeife. Leise kommt die dicke Sarah auf die Veranda: »Dies schwarze Kind noch was tun sollen, für Buckrahmassah?« »Nein, Sarah! Das schwarze >BuckrahkindDies, ihr Spanier, ist mein Dank dafür, daß ihr meinen Bruder umgebracht habt und ich mich, um den Hunger meiner Mutter zu stillen, als Sklave verkaufen mußte!< . . . So sagte er, und ich versichere dir, Mac, mein lieber Freund, mich überliefen Schauer, und mancher rauhe, männertötende Kerl an Bord bekreuzigte sich, wenn der Ollonois vorüberging und lachte, und wenn in seinen abgründigen schwarzen Augen noch abgründigeres Leid und blanke Menschen- und Gottesverachtung schillerten! Und so Furchtbares ich auf diesem Kaperzug erlebte, ich frage: wer wirft den ersten Stein auf diesen Menschen, der dem leibhaftigen Satan gleicht? - Ich nicht, denn es gibt noch Schlimmere, aber die sind hochgeehrt, weil sie heucheln und im Verborgenen wirken. Nein, ich nicht, nein! Und dennoch verachte ich ihn, und für mich ist er ein Scheusal, das die Erde beschmutzt. Aber - aber - ich werde wieder mit ihm segeln. Und du gehst mit, Mac, ja, du gehst mit!« Schwer atmend greift er nach dem Pokal. »Topp!« sage ich, denn was er erzählte, klang so abstoßend und dennoch irgendwie lockend, daß es mich packte. »Wann soll's sein, Olivier?« »Noch lange nicht! Er will den Gouverneur rumkriegen und, falls er das nicht schafft, selber eine Flotte, die er eigentlich von Monsieur de la Place geliehen haben möchte, aufstellen. Aber de 137
la Place kann nicht gut, trotz Kriegszustandes mit Spanien, offiziell einen notorischen Piraten unterstützen! Aber sagte ich nicht bereits, daß Diplomatie und die Gesetzlosen hier draußen in der wilden Main offenbar zusammenarbeiten müssen? Monsieur de la Place wird einen Ausweg finden, und vielleicht begeifert ihn nachher die Geschichtsschreibung der Zukunft und vergißt, daß er für diese Zukunft und Zivilisation geschafft hat!« »Freund, vor dir ziehe ich den Hut!« »Hast ja gar keinen auf. Wo ist denn dein Dreimaster?« Wir lachen und greifen nach den Pokalen. Hell klingt das Kristall. Und wie mildes, gedämpftes Feuer mit Blumenduft und Blütengeschmack schmeichelt die mit kostbarem Rum getaufte »spanische Milch« unseren Kehlen. Esquemelin langt in die weite Hosentasche, holt einen aus der großen Schwimmpfote des Albatros gefertigten wunderlichen Tabaksbeutel heraus. Wirft ihn auf den Tisch. »Stopfe! Echter Virginia! Besser und würziger als jeder andere Tabak der Welt! Und das paßt zu diesem Tropfen!« Während ich die Pfeife fülle, erzähle ich ihm stückweise das Erlebnis jener Nacht am Strande. »Das sieht dir ähnlich, mein Alter. Hast dich noch gar nicht darum gekümmert und weißt also nicht, ob's wahr ist oder nicht? Hei, du bist ein Kauz. Aber es wird schon wahr sein. Hast also nun einen Reservegroschen in Levasseurs altem Taubenschlag liegen! Nicht zu verachten! - Aber schenk ein, da wir nun mal Säufer geworden sind, wollen wir uns einen eleganten Spitz antrinken. Zwischen Suff und Suff und Säufer und Säufern bestehen nämlich Unterschiede. - Ja. Einen Rausch wollen wir uns zulegen von jener Sorte, der einem zuflüstert, wenn man aufpaßt: jetzt halt, keinen Tropfen mehr, sonst ist die Stimmung weg und du wirst zum Vieh! - Aber jeder kann's nicht!« Er summt einige Liedtexte. Die Kerzen brennen still, und unzählige Nachtmotten und ander Getier stürmen in die vermeintlichen Sonnen und klatschen tot oder verstümmelt auf den Tisch. Moskitos summen, und diejenigen, die nicht summen, 138
weil sie sich auf uns niedergelassen haben, stechen schändlich. Cocuyos schwenken wie grüne kleine Laternen, deren jede einen strahlenden Hof hat, unter den Palmen, und die Zikaden geigen so sehnsüchtig toll, und ganz weit weg pulsiert die Brandung an der Steilküste wie Tanztrommelschlag. Topasgelb, duftend ruht die spanische Milch in den Kelchen. Frangipanigeruch mischt sich mit dem des Weins und Rums, des heißen Wachses und der blauen Wolken von den virginischen Tabakplantagen. Und mit dem der vielen unsichtbaren Blumen auf Tortuga. »Vive la vie! Es lebe das Leben!« Klingklang! stoßen wir an . . .
KAHLKOPF ». . . weil du freiwillig sicher nicht angeheuert hättest und ich einen Quartiermeister dringend nötig brauche, so haben wir dich eben gepreßt! - Deine schwarze Hexe hat nichts gemerkt, als vier von uns dich in Decken wickelten, damit du nicht schreien konntest, und dich aus dem Bett holten!« Der diese Worte sprach, ist der in der Spanischen Main unter Freund und Feind gleich übel berüchtigte »Kahlkopf«. Einer der vielen auf eigene Faust operierenden Piraten in diesem freien, wilden und doch so wundervoll schönen Meer. Und wie gesagt, sein Ruf ist der allerschümmste! Und sogar auf Tortuga wird er nicht gerne gesehen, aber wenn er mit Prisen und geraubten Waren binnen kommt, dann findet er natürlich Freunde, denn auf Tortuga ist sogar der Teufel in Persona willkommen, vorausgesetzt, daß er irgend etwas mitbringt, das wir gebrauchen können. Welcher Nation dieser furchtbare Mensch angehört, weiß niemand, er läßt sich nicht darüber aus und spricht die hier übliche Lingua franca. Seine Mannschaft besteht größtenteils aus den blutigsten Halsabschneidern, die je die Häfen von Cardiff, Bristol, Lissabon, die Cinque Ports, Toulon, Brest, Marseille, Ge139
nua, Amsterdam und sogar das ferne Hamburg und die noch ferneren skandinavischen Häfen von sich gegeben haben. Und wie es mir eben Kahlkopf in dürren Worten beschrieb, so ist's geschehen. Ein schöner Rausch oder wie Olivier sagte, »eleganter Spitz« in spanischer Milch mit Rum und Virginiatabak verursachte eine äußerst angenehme Bettschwere, ich schlief ein und - erwachte an Bord eines verfluchten Raubschiffes . . . Und sitze jetzt in der mit himmelblauem Samt ausgeschlagenen mit gestohlenen kostbaren Altargeräten, silbernen Hängelampen und anderen Dingen geschmacklos ausgestatteten Achterkajüte jenem kahlköpfigen Schuft gegenüber und trinke seinen Wein. Ganz abgesehen davon, daß wir Tortugaleute Wasser nur zum Waschen nehmen und gewöhnlich gewaltige Mengen Alkohols verkonsumieren, ist mir nach diesem Transport und dem darauf erfolgten Einsperren - bis der Kasten, wie es nun der Fall ist, mit vollen Segeln auf unendlichem Meere schwamm schlecht geworden, und ein Schluck mag mir guttun. Lieber wäre es mir ja, ich tränke ihn in besserer Gesellschaft! Was mag Esquemelin nur denken und die dicke Sarah? Während sie sicher glaubt, daß ein Fetisch mich entführt habe, wird Olivier wohl zwei und zwei zusammenreimen und genau wissen, an welchem Bord ich unfreiwillig stecke. Aber was nützt mir das? ». . . Und wenn ich keine Lust habe, Käpten?« Er legt die qualmende Pfeife beiseite und grinst über das ganze blaurote, von vielen Pockennarben verunzierte, abscheulich aufgedunsene Säufergesicht: »Dann würden wir dich vielleicht bitten - weil wir unnötige Esser nicht schätzen - ein wenig über die Planken nach außenbords ins kühle Element zu spazieren und den Haifischen das Schreiben beizubringen, Schulmeisterlein!« Das war recht deutlich ausgedrückt, fürwahr! Kurz und süß wie sie bei uns daheim sagen. »Wohin geht die Fahrt, Kahlkopf?« »Hierhin, dorthin! Überall hin, wo Prisen auf dem Meere schwabbeln und auf uns warten! Wir sind wie Schmetterlinge, die den Nektar von Blume zu Blume suchen!« 140
»Feine, allerliebste Schmetterlinge, Donnerwetter! das muß ich wohl sagen; du hast 'ne Art, dich auszudrücken! Und wie lange soll diese süße Schmetterlingsgaukelei über den Blumen der blauen Spanischen Main dauern, if you please?« »Hm, sagen wir mal ein halbes Jahr!« »Und bringst du mich dann nach Tortuga zurück?« »Bei allen Teufeln, ja! Und sollst deinen Anteil an der Beute, unseren Artikeln gemäß, kriegen, als Unteroffizier und Quartiermeister. Hast einen guten Ruf als solcher und als Seemann auch, trotz deiner Federfuchserei. Und deshalb holten wir dich ja aus deinem Paradieslein heraus!« »Bekomme ich eine eigene Kajüte?« »Versteht sich, der Verschlag achtern, wo mein alter Piet hauste dein Vorgänger, weißt du, er starb an einem Stück Stahl, hahaha - ja, diese Unterkunft ist für dich bereit. Mit sämtlichen Klamotten und Waffen, Pfeifen und anderen Dingen, die er hinterließ und die nun dir gehören. Und falls du noch was brauchst, dann sag's, Kahlkopf ist ein großzügiger Mann, und seine Kleiderkammer ist voll!« »Kahlkopf, du hast mich jetzt gezwungen, bei dir anzumustern, aber den Eid leiste ich dir mitnichten und erlaube mir, da ich stets meine Gedanken auszusprechen pflege - wie du vielleicht schon vernommen hast - erlaube ich mir hiermit, dich einen verdammten hinterlistigen Hundesohn zu heißen. Und nun werde ich an Deck gehen und meinen Dienst antreten!« »Danke! Merci! Gracias! Thanks! Manga tak!« grinste er spöttisch in fünf Sprachen hintereinander. Jetzt sprechen zum erstenmal die beiden andern, phantastisch mit gelben Reitstiefeln, Seidenwämsern, Pluderhosen und Goldketten herausgeputzten Gestalten, die neben Kahlkopf sitzen und die ganze Zeit nichts anderes taten, als ihre Gläser auszutrinken und wieder zu füllen. Gleichzeitig sagen sie im rauhen Duett: »Gut, also die Sache ist vom Stapel gelaufen. Wollen nun alle selbander darauf eins trinken!« 141
Mich dünkt, daß der Sprecher doch nun bald genug getrunken haben muß . . . Kahlkopf weist auf die beiden: »Dies ist Raffzahn, mein zweiter Pilot. Der andere da heißt Jack. - Braddon, der erste Pilot, der seinen Dienst verdammt genau nimmt, hat Wache an Deck, wirst ihn ja gesehen haben!« Die beiden schütteln mir nacheinander die Rechte. Raffzahn sieht direkt verboten aus. Ist klein, von ungeheurer Schulterbreite, langatmig und trägt sein eigenes Haar lang wallend, das Gesicht ist verkniffen, aber dennoch vom Suff aufgedunsen wie eine Tomate, die nach zuviel Sonne zuviel Regen erhielt. Über einem Auge trägt er ein schwarzes Pflaster, und aus dem Munde ragen ihm ein paar gelbe Hauer, wie die Nager eines Eichhörnchens oder Bibers. - Ich nehme mir vor, ihn in meinen Aufzeichnungen genau zu beschreiben (was nunmehr geschieht), denn eine Historie bedarf der bunten, grotesken »Lichter«, um die Sache interessant und nicht zu trocken zu gestalten. Jack ist lang und dürr, sein schütterer Bart sieht aus wie Sargassogras, aber die Augen blitzen hell und scharf und beobachtend. Ein Mann, mit dem nicht zu spaßen ist und der richtige Seeaugen hat, demnach auch ein guter Seemann sein muß. Alkohol scheint er unmenschlich viel zu vertragen. Und der andere, der vorhin mit dem langen Messingteleskop über See spähte, als ich nach achtern gebracht wurde? Heißt Braddon und hat keine besonderen Merkmale, ist ein typischer Freibeuter, wie die ganze halbnackte, barfüßige, affengeschickte, braungebrannte, beturbante oder benachtmützte Höllencrew . . . Kahlkopf nimmt eine auf dem Tisch liegende Pistole. Schießt sie zu meinem Erstaunen gemütlich gegen den blauen Samtvorhang ab, und ich sehe jetzt, daß dieser schon eine Menge Löcher an der Stelle hat. Pulverqualm erfüllt die Luft, aber das stört diese Gesellschaft nicht. Der Käpten pflegt auf solch nette, lustige knallende Art seinen Kajütenjungen zu zitieren . . . Der krausköpfige Afrikaner steckt auch rasch den Kopf zur Kajüte rein und murmelt: »Massah!« 142
»Alicante, Rum, englisches Bier, Rosinen, Käse und Gebäck!« Der Neger verschwindet und bringt dann verblüffend schnell das Gewünschte. Und Kahlkopf hängt mir an der geflochtenen Schiemannsschnur die silberne Bootsmannpfeife um den Hals, deren schrille Töne auf manchen Piratenschiffen ebensolche Rolle spielen wie auf den Fahrzeugen von Königs Eigen. Quartiermeister auf einem Freibeuter sein, heißt: nach den Waffen sehen, sie bei Bedarf richtig verteilen, dafür sorgen, daß die Segel von den Meistern immer geflickt werden, dem Proviantmeister auf die Finger schauen, den Mittler zwischen Kajüte und Vordermast spielen und vor allem, sich Respekt und Freundschaft der Mannschaft durch gute Worte, oder wenn's nicht anders geht, Faustschläge und drohende Handspaken verschaffen. Ein netter Posten für einen Exschulmeister aus einer kleinen schottischen Gemeinde . . . Kahlkopf schenkt die hohen Silberbecher voll Wein. Ich greife zu, fülle meinen Magen mit Eßwaren, denn mindestens vierundzwanzig Stunden Fasten liegen hinter mir. »Bist auf einem Prachtschiff, Mac! Und sollst leben! Auf gute Prisen und kingende Goldfüchse!« tut Raffzahn mir Bescheid, und Jack brummt: »Allemal!« Die drei saufen wie Fische. Alles durcheinander: Weine, Bier und Rum. Von draußen ertönt gedämpfter Rundgesang: »At the Dons we'll go And Rum below ! Yoho, blow the Main down!« Auf diesem Kahn wird anscheinend erstaunlich viel getrunken und das macht mich nachdenklich. Mit einer beschwipsten Crew ist es leicht möglich, daß wir einem Don oder einem englischen oder französischen Kriegsfahrzeug vor den Bug scheren - und das wäre sicher das Ende. In Davy Jones' nasser Kiste oder als Schmuck an einer Rahennock! Allerdings, Braddon scheint ein Seemann zu sein, und auch das 143
Schiff ist gut. Wie sie mich vorhin nach der Kajüte führten, hab' ich mich umgesehen und überrascht gemerkt, daß Kahlkopfs »Barrel and tankard« (herrlicher Name für ein Schiff, und nur ein verrückter oder ein sehr humorvoller Mensch konnte ihm diesen englischen Wirtshausnamen »Faß und Humpen« geben) eines der bestgebauten Fahrzeuge ist, die ich je hier draußen gesehen! Schmal gebaut, niedrig auf dem Wasser liegend, scharf gekielt nach der Art, wie es die Wogen durchschneidet, und mit etwas nach hinten geneigten Masten, was wir »rakish« nennen. Unter vollen Segeln, von fern gesehen, muß dies Schiff einem wunderschönen, drohenden Raubvogel gleichen, der über blaue Wogen streicht. Und so was führt den lachhaften Namen »Barrel and tankard«. Übrigens sehr bezeichnend, denn die Mannschaft samt Achtergasten scheint volle Fässer und Humpen sehr zu lieben. Nun, dieses schwimmende Wirtshaus ist ein vorzüglicher Segler durch seine Bauart und macht gewiß zwei Meilen mehr als jede einzelne, die ein plumper Don zurücklegt. Also sind eigentlich nur die ebenso schnell wie wir segelnden französischen und englischen Fregatten zu fürchten, denn Kahlkopfs Ruf ist schlecht, und er bekommt keine Kaperbriefe ausgestellt, die seinem Handwerk eine Art halboffizielles Mäntelchen umhängen würden. Und ich sehe mich schon in Ketten, mit Teer von Kopf bis Fuß gebadet, an einem spanischen Galgen oder an der Nock einer Fregatte von des Königs Eigen baumeln . . . »Iß und trink, Mac, darfst dich heute ausruhen. Dein Dienst fängt um acht Glasen morgen früh, Glock vier an!« brummt der greuliche Kerl, dessen nackter blanker Schädel glänzt, während die dunklen kleinen Augen in dem bläulichen Pockengesicht mir zublinzeln wie die eines vollgefressenen trägen Hispaniola-Aasgeiers. Die beiden anderen sind schweigsame Typen. Um so mehr saufen sie. Der scheue Neger hat schon mehrmals, von Pistolenschüssen gerufen, neuen Stoff gebracht. 144
In der Kajüte ist's erstickend heiß und die Luft noch dazu voll Pulverqualm, der nur langsam am offenen Heckfenster Abzug findet, weil wir raume Brise haben. Und ich sehe durch das geöffnete Fenster das gewundene, schäumende, grellweiße Kielwasser wie eine zischende Schlittenbahn, über der kleine, funkelnde Prismen tanzen, sich durch das leuchtende Meeresblau dahinziehen . . .
ORKAN Das Leben geht seinen Gang oder, wie ich sagen möchte, es segelt seinen Kurs. Jener Nimbus, der mir als einer der Achtundzwanzig des Pierre Legrand anhaftet, verschafft mir die Achtung der wilden Kerle an Bord der »Tonneundhumpen«. Es sind auch ein paar ganz anständige Jungen darunter, die mir in langen, flüsternden Gesprächen während der balsamischen Passatnächte anvertrauten, daß sie mitnichten auf diesem Schiff bleiben wollen. Kahlkopf ist ein schlechter Seemann, und seine Laufbahn wird daher nur kurz sein. Raffzahn taugt auch nicht viel. Jack und Braddon sind Männer der Devonküste, sind Navigatoren, wie es keine besseren gibt, und ohne ihre Seemannskunst wären wir neulich, als der Orkan kam, mit Mann und Maus untergegangen. Diese verfluchten Stürme, die aus dem mexikanischen Golf geboren werden, sind nicht selten auf der Spanischen Main. Man ist ihnen ausgeliefert, denn sie kommen ziemlich schnell, obwohl ihre Anzeichen deutlich genug sind . . . Es war eine jener heißen, stickigschwülen Nächte, und schon am Tage war das Meer ölig, mit riesiger Dünung, und die Kimm war in der Runde nur ein einziger Dunst, und darüber hing der Himmel mit seltsamem bleigrauem Flimmern. Als die Dunkelheit eingetreten, blieb außer dem gelegentlich klumpenweiß grünlich aufleuchtenden Meeresschaum nichts in Sicht. Weder Himmel, noch Sterne und Horizont, nur eine schwarze, drohende, hohlbrausende Dunkelheit. 145
Kahlkopf und Raffzahn becherten in der Kajüte, und schon mancher gedämpfte Pistolenschuß war zu hören . . . Da wehte ein Glutatem übers Meer. Braddon, der heute nüchterne Jack und ich hatten schon längst die Köpfe zusammengesteckt und kamen überein, Tücher zu kürzen, auch Großsegel und Mizzen zu reffen. Meine silberne Pfeife schrillte, und Braddon brüllte seine Befehle. Hurtig wie Affen liefen die Leute ins Want, und dann hörten wir ihren taktmäßigen Gesang von oben in der Nacht zerflattern, wie sie, unsichtbar für uns, die Leinwand beschlugen. Andere, die an Deck geblieben, nahmen Geitaue und Schotfallen zur Hand, und ich setzte mich auf die Luke und sang ein altes, heulendes Chanty: »Sailing, a-sailing the waves, On top of the Spanish Main! After prices and golden treasure, And to fight and to reap and to gain! Yoho, blow the Main down!« Jedesmal, wenn ich »Yoho« brüllte, legten sie sich mächtig in die Taue und langsam, ruckweise stiegen die schweren Segel an ihren Enden, den Schoten, zur Rahennock empor. Und bald hatten wir Großsegel und Mizzen aufgegeit, so daß nur noch ihre Mitte, in die wir aber Reffs steckten, dem Winde die stark verkleinerte Fläche boten. Ein fernes, seltsames Summen kam näher und wuchs zum schrillen Pfeifen an. Und dann aus der schwarzen Nacht noch etwas Schwärzeres, das einen blinkenden Kamm trug und von Backbord bis Steuerbord unendlich breit heranrollte. El Huaracan! »Achtung, ihr Mannen, er kommt, er kommt! - herunter mit euch!« heulte Braddon, und meine Pfeife schrillte kläglich anund abschwellend, und die Männer glitten an Tauen und Webleinen nach unten. Und die Riesenwoge, die mit dem tobenden Aufruhr der ent146
fesselten Winde uns traf, brauste über alle Decks, schlug kurz und klein und nahm mit, was nicht niet- und nagelfest war. Und tauchte das Fahrzeug unter, schmiß es dann wieder hoch. Segel knallten aus den Lieken und flatterten zerfetzt davon. Das brave Schiff hielt stand und ritt nun, nach dem ersten Anprall, die Wogen oder wurde unter ihnen begraben und kam immer wieder herauf. Einmal klatschten Zweige und Astwerk an Deck, von irgendeiner Antilleninsel stammend. Seegang riß das Zeug bald wieder über Bord. Es war nicht mehr so stockdunkel, sondern ein fahles Licht schimmerte, und bengalische Blitze flammten, Donner murrten dumpf. Der Wind schrillte wie tausend Teufelsgeigen. Brecher fluteten krachend über, wir standen oft bis zum Halse im Wasser, das warm und tückisch versuchte, uns die Füße unterm Leibe wegzuspülen. Und wenn ihm das gelungen war, unsere Hände von den Strecktauen, wo wir uns eisern anklammerten, wegzureißen. Zwei Mann standen am Ruder, und Braddon schickte noch zwei dazu, so daß nun ihrer viere das wie ein Pferd nach beiden Seiten ausschlagende Steuer regierten. Die Masten bogen sich, das Focksegel war zerrissen, weggeflogen, aber Klüver, zwei Stagsegel und Mizzen wie Großsegel hielten noch. Braddons Befehle und meine Pfeife jagten beide Wachen nach oben, um festzumachen, was noch ginge, ehe es aus den Lieken riß. Es gelang, und dann hielten uns nur noch ein winziger Klüver und die aufgegeiten Mizzen und Großsegel steuerfähig gegen den Wind. Sowie wir keine Segel mehr hätten, würde der Kasten breitseits rollen oder der See das Heck zukehren und in beiden Fällen wäre das Ende da. Gekentert oder vollgeschlagen . . . Schäumende, brüllende Wassermassen kochten fortwährend über Bord der »Barrel and Tankard«. Und durch das Tosen der entfesselten Elemente klang ab und zu geisterhaft dünn der Gesang der beiden Zecher in der Kajüte. »Versoffene Schweine!« heulte mir Jack ins Ohr. Klatsch! kam der abgerissene Kamm einer Woge breitseits über, zischte dann 147
milchig um uns und schleuderte uns an den Tauen, mit denen wir uns längst festgezurrt, hin und her, ersäufte uns halb. Das Schiff schlingerte und stampfte wie toll, und ich wunderte mich, daß die in der Kajüte überhaupt noch mit der Pulle den Weg zum Munde finden mochten . . . »Ein Mannschaftsrat - wie üblich - würde - den beiden - Idioten die Absetzung - verkünden - es wäre für uns alle besser - wenn wir diesen - Sturm hinter - uns haben!« heulte ich ihm stückweise ins Ohr. Ein Blitz erleuchtete sekundenlang alles. Und ich sah, daß ich einen Fehler begangen hatte, denn Jack sah mich finster an und schüttelte den Kopf. Diese Orkane dauern meist nur einige Stunden, und allmählich besserte sich die Lage. Als der Morgen golden kam, rollte zwar noch mächtiger Seegang, und der Wind pfiff, aber wir konnten es wagen, ein paar Tücher mehr zu setzen, um so das Schiff stetiger zu legen. Auch wurden in stundenlanger schwerer Arbeit die in der Nacht davongeflatterten Segel und das zerrissene Tauwerk durch neues ersetzt, jedoch vorläufig nur aufgetucht. Dann gab's nichts mehr zu tun, und da die unmittelbare Lebensgefahr vorüber war, wurden die Piraten, die überhaupt die Arbeit nicht erfunden haben, sorglos und fingen an zu saufen. Das war so üblich auf Kahlkopfs »Faß und Humpen«, und wie schon gesagt, würde er deshalb nicht allzulange in der Spanischen Main als Schmetterling auf die Blumenjagd gehen.
DAS HEILIGENBUCH Sechster Tag nach dem Orkan. Gutes Wetter. Wir sichten eine Karavelle, deren Leinwand mit bunten Heiligen und Kreuzen durchwirkt ist. Sie regelt erbärmlich schlecht, ragt übers Wasser, wie ein Kastell über die Ebene von Estremadura ragen mag. Wir greifen an. Stundenlang währt der Geschützdonner. Die Dons verhöhnen uns, indem sie einen Mann - wahrscheinlich einen Gefangenen - am Rahennock aufhissen. Wir brüllten vor 148
Wut, während er mit strampelnden Gliedern sein Leben aushaucht. Die Dons schießen schlecht, alle ihre Voll- und Brandkugeln fliegen zu hoch, sie liegen mit ihrer Karavelle zu hoch auf dem Wasser und können die Geschütze nicht richtig auf uns einstellen. Braddons Meisterhand schwenkt die »Barrel and Tankard« in zierlichen Spiralen um den Don, und jedesmal kriegt er eine Breitseite aus zehn Kanonen. Dann wenden wir ihm wieder den Vordersteven zu, um ein kleines Ziel zu bilden. Hinter der hohen Reling lauern musketenbewaffnete Höllenkerle, deren jeder einzelne ein glänzender Scharfschütze ist. Sie putzen weg, was sich drüben zeigt. Endlich entern wir unter dem schrillen Geschrei der Piraten und dem »Santiago!« der Dons. Kahlkopf führt die »Bordpartie« und haust wie der Leibhaftige. Die übriggebliebenen Dons ergeben sich, und Kahlkopf nimmt ihre Parole entgegen, gibt ihnen die seine. Ich ersticke fast vor Zorn und Entsetzen, als alle diese nichtsahnenden Dons, nachdem sie vertrauensvoll die Waffen niedergelegt, wie eine Hammelherde zusammengetrieben und abgeknallt, erdolcht, erschlagen und dann über Bord geworfen werden . . . Unsere Verluste sind beträchtlich. Der Chirurg bekommt zu tun, aber die Burschen saufen schon wieder, so lange, bis ihnen in ankommender Ohnmacht die Pulle aus den Fingern fällt, wenn er ihnen Arme, Beine oder Finger abschneidet . . . Gold ist keines auf der Karavelle. Nur Wein, Geflügel, Trockenproviant und eine Menge Spaten und Schaufeln. Und sogar Pferde. Und wie sehen diese armen Geschöpfe, nach der langen Reise von Palos her, aus! Zum Erbarmen mager, nur wunden- und schwärenbedeckte Haut über Knochen gespannt, mit matten, traurigen Augen, verfilzten Mähnen, so stehen sie bis weit über die Hechsen im eigenen faulenden Unrat. Ratten, von denen es wimmelt, und groß wie Katzen! - rennen quiekend und pfeifend unter den Bäuchen der Rosse hin und her, 149
schnappen nach den mageren Beinen und hüpfen sogar frech auf die Rücken der armen Pferde. Putzen sich dort oben mit den Vorderpfoten ihre Schnurrbärte. Mit der Karavelle »Nombre de Dios« ist nicht viel anzufangen. Sie ist ein alter verrotteter Kahn, hat auch von unseren Geschützen zuviel abgekriegt - alles unter der Wasserlinie! - und beginnt daher zu sinken. Von den Flüchen Kahlkopfs angespornt, arbeiten wir bei der Übernahme der Ladung, soweit sie Wert für uns hat. Die Karavelle neigt sich heftig nach Steuerbord, im Raum schwappt träge das steigende Wasser, spült einzelne Leichen und ein paar Rattenkadaver hin und her. Jack und ich verständigen uns, nehmen unsere Pistolen und knallen drauflos, gutgezielt - und laden und schießen so lange, bis sämtliche vierzehn Pferde erlöst sind und nicht zu ersaufen brauchen. Kahlkopf blickt in den Raum hinab, sieht uns, sagt aber nichts. Was vielleicht sein Glück ist . . . Ich laufe nochmal in die große Donkajüte. Vielleicht finde ich ein paar Bücher, denke ich dabei. Es sieht toll aus: zerschlagene, aufgebrochene Truhen, Glassplitter, ein heruntergerissenes Kruzifix, ein Helm und anderes bilden ein wüstes Durcheinander. In einer Ecke aber, zwischen Truhe und Verschalung gerutscht heureka! - ein dicker Band. Ich hole ihn hervor, staune über die breiten goldenen, edelsteinbesetzten und inkrustierten Schließen des Buches. Heiligenlegenden, die ich mitnehmen werde, denn besser - wenn man so erpicht auf Lektüre ist wie ich - man hat über einen Heiligen zu lesen als gar nichts! Ich nehme daher eine alte, weinbesudelte Samtdecke und wickle den schweren Band darin ein. Eile an Deck. Es ist höchste Zeit, beim großen Dunstan! Unsere Leute haben schon die Enterhaken aus der Reling des Dons gebrochen, damit er uns nicht mit in die Tiefe nimmt. Die beiden Schiffe entfernen sich voneinander, und ich muß einen tüchtigen Sprung tun! Eine Reihe Männer steht auf unserer Reling, wo sie die Ratten, 150
die von der Karavelle zu uns hinüberwollten, totschlugen, denn wir haben dergleichen ekelhaft Geziefer genügend an Bord. »He, Mac, was hast du da in der Samtdecke versteckt?« schreit Kahlkopf von der Pump. »Ein Buch, Käpten!« Er lacht. Ungefähr eine halbe Länge trennt die beiden Fahrzeuge, zwischen denen das Wasser bläut und die spitzen Finnen der Haie Furchen ziehen. Die Brise ist zum Lispeln geworden. Wir stehen und sehen zu, wie die »Nombre de Dios« mit schwerer Schlagseite sinkt. »Schaut nur die Ratten, die Ratten!« schreit jemand, und wir sehen, wie drüben die Tiere zu Hunderten oder gar Tausenden auf die schräge Reling kommen. Deutlich hört man ihr Pfeifen. Und dann, wie auf Kommando, stürzen sie gleich einem breiten, viele Sekunden währenden grauschwarzen Bach über Bord. Und streben mit aus dem Wasser ragenden spitzen Schnauzen schnurgerade auf unser Schiff zu. Aber die Haie, die längst für die über Bord geworfenen blutigen Leichen in großer Zahl erschienen sind, fahren in dem Gewimmel hin und her, und nach einigen Minuten sind keine Ratten mehr da . . . Rauschend schloß sich eben der Ozean über der alten Karavelle. Ein Trichter entsteht, und als dieser sich auffüllt, klatschen einzelne Wrackstücke an die Oberfläche. »Steht bei den Brassen! - Hart Steuerbord das Ruder!« brüllt Braddon. Der Rudermann wiederholt eintönig: »Hart Steuerbord! Hart Steuerbord es ist !« Ich lasse meine Pfeife schrillen und wiederhole dann Braddons Worte. Das Schiff kommt langsam in den Wind. Jemand singt taktmäßig beim Tauziehen. »Recht so. Halt Kurs !« »Recht so. Kurs ist!« Da merke ich, daß ich den schweren Legendenband immer noch unter den Arm geklemmt trage. Und gehe nach achtern, wo ich im Zwischendeck meine kleine Kammer habe, die sehr primitiv 151
und mit Kakerlaken verseucht ist. An Deck hat Raffzahn den Befehl übernommen. Ich kann mich jetzt säubern und umkleiden. Ich wickle den Band aus und bewundere die kunstvollen Schließen, viele gemuggelte rote, grüne und blaue Steine glänzen. »Hei, Mac, da hast du einen guten Fund getan!« ruft neidisch der Koch, der, von der hinteren Proviantkammer kommend, die Nase in meine Kammer steckt. Gierig leuchten seine Augen. »Ein Heiligenbuch !« »Ha, aber mit Diamanten und Rubinen besetzt!« »Bist selber ein Diamant, alter Ragoûtjongleur!« lache ich, betrachte wieder die Steine und fahre mit dem Finger über ihre gerundeten, matten, halbdurchsichtigen Farbenhügel. Als ich mich genugsam erfreut, stecke ich meine Pfeife an und stelle mir einen Becher Wasser mit Wein an das Kopfende der Koje. Denke dabei an das, was ich heut gesehen: die brutale Ermordung der vertrauenden Dons, die armen Pferde und die frechen Ratten. Ich lege mich hin, weil es Abend geworden und ich als Quartiermeister ja keine Seewachen zu gehen brauche, sondern nur von Sonnenaufgang bis -Untergang an Deck sein muß. Zu einem Saufgelage in der Kajüte habe ich nicht die mindeste Lust. Ich hasse diesen verfluchten Kahlkopf und denke sehr oft darüber nach, ob es nicht möglich ist, allmählich die Mannschaft - wie es Redlegs seinerzeit gemacht - auf meine Seite zu bringen. Ich bin nicht für Duelle, aber einen Zweikampf mit Kahlkopf würde ich mit Wonne wagen. Auch weiß ich schon lange, daß ich mit Wohlgefallen und dabei Pfeife rauchend beobachten würde, wie man Kahlkopf und Raffzahn über Bord schmeißt . . . Ich bin zu müde, um den Heiligenband zu durchblättern. Und blase die Kerze aus, nachdem ich die Pfeife weggelegt. Von Deck klingt gedämpfter Chorgesang. Die Piraten ersäufen dort ihren Ärger über die magere Prise. Im Holzwerk knarrt und ächzt es, und gegen die Bordwand draußen höre ich deutlich das Glucksen und Murmeln der Spanischen Main.
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ARTIKEL FÜNF UND NEUNZEHN Und was ist weiter geschehen? ». . . du elende kahlköpfige Rumtonne von einem Menschenräuber!« stößt mir flackernder Zorn aus dem Munde. Ich keuche und versuche mich zu befreien. Jack und Raffzahn halten mich fest. Zwischen mir und dem höhnisch grinsenden Schiffer blinkt das Messer auf den Decksplanken, das ich ihm eben in den Wanst stechen gewollt. Bedauerlicherweise kam es nicht dazu. Sonst, beim großen Dunstan! ich hätte es liebend gerne getan. Mit Wonne! Und nun halten sie Gericht über mich. Im Halbkreis steht die Mannschaft. Braddon, der Wachthabende, geht unbekümmert an der Luvseite auf und ab, späht zuweilen nach den Segeln. Am Ruder steht ein blauschwarzer Neger mit riesigen Muskelwülsten auf nackten Armen und Leib. Zwei Mann treten auf einen Wink vor und fesseln mir die Hände auf den Rücken. Und Kahlkopf schreit : »Rum! Rum her, Gottverdammich!« Der Kajütenneger fällt fast über seine eigenen Füße, so schnell ist er wieder mit der Pulle da. Kahlkopf setzt sich gemütlich aufs Spill, nimmt einen langen Schluck und grunzt zufrieden. Weise befiehlt dann dieser männerkundige Halunke dem Proviantmeister, eine Blechmugg des feurigen Suffs pro Kopf an die Mannschaft zu verteilen. Raffzahn gibt mir einen Tritt in die Rippen, ehe er sich neben den Käpten setzt. Im Vordergrund, unter den wilden Gesichtern, entdecke ich das blasse, pickelübersäte des Kochs, dem ich dies zu verdanken habe. »Lasset uns nun richten!« hustet Kahlkopf. »Tritt vor, Barnabas, und wiederhole die Anklage gegen Mac. Es soll alles mit Recht und Fug gemäß den Statuten zugehen!« Der widerliche Essenverderber schiebt sich aus dem Halbkreis. Und spricht: »Mac, der Quartiermeister, hat ein Buch, das mit purem Gold und kostbaren Edelsteinen beschlagen ist, aus der 153
Beute für sich behalten. Ich bezichtige ihn des Diebstahls an der Genossenschaft dieses Schiffes!« »Lasset das Corpus delicti herumgehen, damit wir zu einem Modus operandi kommen!« meint salbungsvoll der Käpten, und ich staune darüber, daß dieses Vieh lateinisch kann. Der Heiligenband, den man aus meiner Kammer geholt hat, geht von Hand zu Hand. Matt, der Artilleriemeister, lacht geradezu heraus: »Und das Ding soll 'ne Kostbarkeit sein? Koch, du bist ebenso besoffen wie unser würdiger geschätzter Käpten!« Der nächste ist der Chirurg, ein kleiner, fetter, gelber Bursche, dessen Gesicht immer wie Schmalz glänzt. Auch er betrachtet den Band. Dann: »Ein bißchen Goldblech mit etlichen Dutzend Glassteinen dran! Wert: Vier Realen, gleich einem halben Piece of eight!« »'s sind köstliche wertvolle Edelsteine!« schreit der tückische Koch. Jemand pufft ihm in die Seite: »Halt die Klappe, Pudding!« Von einem zum andern wandert das Buch, und die Meinungen sind sehr verschieden. Einige lachen verächtlich, andere setzen finstere Mienen auf und stellen sich hinter den Kombüsenschurken. Kahlkopf trinkt Rum. Raffzahn glupscht mich böse an. Braddon macht seine Promenade. Ungefähr ein halbes Dutzend Männer sind mir wohlgesinnt. Der Rest haßt mich zwar mitnichten, aber sie glauben wirklich, daß die paar Halbedelsteine einen hohen Wert haben. Außerdem sehe ich ihren rumgeröteten Augen an, daß sie auf blutigen Sport und scheußliche Kurzweil erpicht sind, und ich soll das Opfer sein. Ich denke an Tortuga. An Esquemelin, an Sarah, an das Gold im Taubenschlag, an meine gemütliche Veranda und, heiliger Dunstan, hilf! - an meine Mutter. »Stimmt ab, Maaten!« fordert Kahlkopf, und auf seinen Befehl gießt - bildlich gesprochen - der Proviantmeister noch mehr Öl in das Feuer, das mich verzehren soll, indem er abermals die Muggen der Mannschaft mit jungem Rum füllt. Junger Rum ist 154
das teuflischste Getränk der Welt! Es macht binnen Minuten verrückt, erweckt Mord- und Blutgedanken. »Die für schuldig stimmen, treten nach Backbord. Die anderen bleiben stehen. Und du, Jack, zählst die Stimmen! «befiehlt Kahlkopf und säuft wieder. Murmelnd - etliche fluchen, andere streiten mit Freunden, die sie halten wollen - drängt und schiebt sich eine kompakte Masse barfüßiger, verwegen aussehender Höllenkerle nach Backbord. Jack zählt gewissenhaft, aber ein Mann, der in meiner Lage ist, kann das schneller! Und ehe er fertig ist, weiß ich auf den ersten Blick, daß ich geliefert bin, wenn nicht . . . »Siebenundfünfzig gegen sieben!« meldet Jack und fügt hinzu: »Ich bin für unschuldig!« »Und ich auch !« klingt der Baß Braddons, der seine Promenade keine Sekunde unterbrach. »Na und ich und Raffzahn sind für schuldig. Schuldig ist er also. Was soll mit ihm geschehen, sagt, Maaten!« »Die Artikel! Holt die Artikel und schaut drin nach!« kreischt der häßliche Koch, und einige grollen beifällig. »Pfui Teufel!« brüllt der kleine Chirurg, und ich möchte ihn darum umarmen. »Ihr seid vollkommen verrückt! Die Goldschließen und die paar Steinchen sind zusammen keinen Piece of eight wert!« verteidige ich mich. »Ich will das Buch haben, und das andere, was dran ist, könnt ihr euch meinetwegen an den Hut stecken, ihr habt's ja selber in der Kajüte des Dons liegenlassen!« Höhnisches Gelächter auf der einen Seite, zustimmendes Brummen von der anderen, unterlegenen, vernünftigen. »Sagst du!« meint einer. »Recht hat er!« »Maaten, es wird alles gerecht nach Küstenbrüderart gehandhabt. Schiffsmäßig und glatt. Mac wurde von der großen Mehrheit für schuldig befunden, und nun wollen wir weiter nach schiffsmäßiger Vorschrift handeln!« grinst der Käpten. Jack bringt die Blechbüchse aus der Kajüte, holt die Mannschaftsrolle und die Artikel heraus. 155
»Raffzahn, hier!« fordert der Käpten. Der Pilot mit dem Eichhörnchengebiß nimmt das Heft, blättert darin. Und zum Knarren der Rahen und dem Geplätscher der See liest er laut: »Artikel fünf: Wenn ein Kerl etwas stiehlt, das allen gehört, so soll er entweder erschossen oder maroniert werden! Artikel neunzehn: Wenn ein Kerl sich während des Dienstes an dem von allen gewählten Schiffsführer vergreift und ihm ans Leben will« - er wirft einen bezeichnenden Blick auf das Messer, das noch an Deck liegt - »so soll er entweder erschossen oder die Strafbestimmung dem Schiffsführer überlassen werden. Das ist alles, Maaten!« Er klappt das Heft zu. Sinkenden Mutes sehe ich, daß von dem kleinen Häuflein der mir Wohlgesinnten noch ein paar abbröckeln. Nun stehen nur noch fünf Mann an Steuerbord. Der junge Rum hat gewirkt . . . Kahlkopf wischt sich den Mund mit dem Handrücken, dann brummt er, wobei er abwechselnd die Mannschaft und mich anblinzelt: »Den Gesetzen ehrlicher Küstenbrüder zufolge wurde der Quartiermeister Mac Donald des Beutediebstahls an der Genossenschaft überführt. Und, Maaten, ich schlage vor, den Wortlaut von Artikel fünf an ihm auszuprobieren. Er soll« seine Stimme schwillt, wird triumphierend - »tunlichst bald mit einer Flasche Wasser, Angelzeug, einer Muskete und Schießbedarf auf einer einsamen Insel ausgesetzt, das heißt maroniert werden!« »Heuchler, verfluchter!« Ich spucke vor ihm aus. »Ja, aber Artikel neunzehn hast du vergessen, Käpten! Soll er so billig davonkommen?« schrillt der Koch, und überraschend antwortet Braddons tiefe Stimme: »Du Kombüsenschwein, das noch nicht mal 'ne richtige Suppe kochen kann, dich werde ich bei der nächsten Gelegenheit über Bord schmeißen!« »Belege, Belege, Braddon. Der Mannschaftsrat hat abgestimmt!« »Ein blutiges Theater ist's, das ihr da wegen einer alten Schwarte von Heiligenpostille aufführt!« meldet sich jetzt der brave Devonmann Jack. Aus dem Haufen der Männer, deren blitzende, mordgierige Augen mich schier verschlingen und die schon Angst haben, 156
um ihre Kurzweil zu kommen, tobt es : »Der Mannschaftsrat hat beschlossen und damit Punktum, Basta!« »Recht so, Maaten! Auf diesem Seeschiff geht alles in Ordnung und bester Übereinstimmung vor sich!« nickt Kahlkopf, und Raffzahn reibt sich zufrieden die Hände. Kahlkopf macht eine Kunstpause, steht auf und verkündet: »Ich will nach Artikel neunzehn richten und barmherzig sein: Der des Mordversuchs und Ungehorsams überführte Quartiermeister Mac Donald soll nicht den verdienten Tod erleiden, der ihm billigerweise zustünde. Kahlkopf ist nicht rachsüchtig, Maaten. Und so bestimme ich denn, daß dieser Mac Donald nackt an zwei Tauen, die an seinen Händen befestigt werden, am Bug über Bord gelassen und die ganze Schiffslänge am Kiel entlang bis nach achtern einmal gekielholt, das heißt entlanggezogen, und wenn Gott ihm das Leben lasse, gesundgepflegt werde. Bis eine einsame Insel in Sicht kommt, wo er laut Mannschaftsbeschluß, Artikel fünf, maroniert werde!« »Du Bestie!« kann ich nur knirschen und höre aus einem roten Nebel heraus vielstimmiges Beifallsgeschrei, dazwischen einzelne schwache Pfuirufe. Und dann einen Schuß. Noch einen, dem ein schwerer Fall folgt! Und höre Gebrüll und Stampfen und das Patschen nackter Fußsohlen auf Deck, und schmecke Pulverdampf. Dann murrende Stille, durch die plötzlich Kahlkopfs Worte dringen: »Er hat's heraufbeschworen. Alle habt ihr gesehen, daß er mich abknallen wollte, als er die Pistole zog. Freund Raffzahn kam ihm zuvor. Schmeißt das verreckte Aas über die Seite!« Ich reiße die Augen weit auf, alles dreht sich um mich wild im Kreise - denn ich bin kein Held, bin eher etwas feige, erinnert ihr euch? - und sehe nun die Mannschaft. Vor meinen Füßen liegt, aus einer großen Stirnwunde blutend, der kleine, dicke, fettige Chirurg, der sein Leben für das meine geopfert hat . . . Braddon spaziert finstern Gesichts hin und her. Raffzahn stopfte seine Pfeife. Einer aus der Mannschaft, ein ganz junger Kerl und Sohn guter Eltern aus der Gascogne, wird schneeweiß und beginnt zu kotzen. 157
Vier Fäuste packen den Leichnam, schleppen ihn zur Reling. Ein Schwung - und unten klatscht das Meer. »Kielholen! Kielholen!« schreit die Meute, die nun Blut geleckt hat. Ich habe einmal zugesehen, wie ein Mann dreifach gekielholt wurde. Er kam nach dem ersten Male bewegungslos, ohnmächtig und von den am Kiel in großer Zahl haftenden scharfkantigen Muscheln übel zerfleischt wieder an Deck. Wurde sofort wieder nach dem Bug geschleppt und wieder über Bord gelassen. Beim zweiten Emporkommen war er noch schlaffer und blutete am ganzen Leibe, aber vielleicht stak noch ein Fünkchen Leben in ihm. Doch ehe man Wiederbelebungsversuche anwenden konnte, mußte er zum dritten Male über Bord. Und war dann tot: Herzschlag und zuviel Wasser geschluckt. Ich schätze jenes Entlangschleifen des nackten Körpers unter Wasser am Kielbalken, je nach Größe des Schiffes, nach der Laune der an den Tauen ziehenden Crew und nach der Beschaffenheit der Muscheln, auf fünf Minuten Dauer. Und nach drei solchen Prozeduren ist wohl der ausdauerndste Mann tot. Kommt auch noch die Gefahr etwaiger Haie dazu. Eben hat man den toten Chirurgen über die Seite geworfen. Gewiß lockt er Haie an, denn diese Bestien haben eine wunderbare, meilenweite Blutwitterung. Manchmal bleiben sie dann stunden- und tagelang im Heckwasser . . . »Wann soll die Strafe vollzogen werden?« »Heut' gegen Abend! 'ne Stunde vor Sonnenuntergang!« antwortet Kahlkopf. Dann: »Gebt dem Quartiermeister zu essen und zu trinken, was er verlangt. Wir sind keine Unmenschen!« »Sperrt ihn in seine Kammer. Gefesselt und zwei Mann Wache!« knurrt Raffzahn. Und sie führen mich nach unten . . . Nach einer Weile kommt Jack. Brummt: »Mac, hast du einen Wunsch?« »Schmeiß Kahlkopf und den schurkischen Raffzahn ins Wasser! Aber versprich mir wenigstens, wenn ihr nach Tortuga zurückkommt, alles Esquemelin oder Barbassou zu berichten!« 158
»Mein Wort drauf! - Nimm die Sache nicht zu schwer, Mac, du wirst zwar bös von den Muscheln zugerichtet, aber ich glaube nicht, daß man nach einmaligem Kielholen schon ersäuft!« »Feiner Trost! Wenn nun die Kerle, die an den Tauen ziehen, absichtlich zögern?« »Wir werden die Sache schon richtig drehen. Die Meinung der meisten Leute ist nicht mehr so wild wie vor 'ner Stunde. Der Rumteufel ist aus ihren Köpfen verdunstet, und sie sehen's ein, daß die alte Heiligenpostille nichts wert ist. Der Koch ist an allem schuld!« »Und Kahlkopf und Raffzahn !« »Ja, wie kommt es nur, daß sie dich auf einmal so hassen?« »Weiß nicht. Vielleicht, weil ich ihre langweiligen Saufgelage nicht mehr mitmache. Du solltest auch mal einen Stopper einlegen, Jack, sonst hast du in einem Jahr das Delirium tremens und siehst Ratten und Mäuse dort, wo keine sind!« »Kahlkopf hat's! Neulich knallte er blindlings in die Kajüte, und als wir ihn dann fragten, was ihm fehlte, sagte er, daß 'ne weiße, mächtige Ratte vor ihm auf dem Tisch gesessen und sich den Bart geputzt hätte!« »Jack, wenn nicht bald was geschieht, so überraschen euch eines Tages die Dons oder sonstige Kriegsschiffe! Der Kasten wird schlecht geführt, und die Mannschaft ist fast Tag und Nacht besoffen!« »Ja, der Alte ist kein guter Seemann!« »Kippt den Lumpen über Bord. Und Raffzahn hinterher!« »Sie haben noch zu großen Anhang. Es wäre zu früh! - Schade, daß du maroniert wirst, Mac, eines schönen Tages könnten wir dich gebrauchen!« »Well, müßt eben allein zusehen. Und noch bin ich nicht maroniert! Erst muß ich das Ersäufen überstehen!« »Mut, alter Junge! Möchtest du jetzt was Gutes trinken oder essen? Oder rauchen?« »Stopf mir die Pfeife, Maat. Den Magen möcht' ich nicht gerne überladen, sonst trifft mich nachher unter Wasser der Schlag. Und ehe sie mich an Deck holen, Jack, gibst du mir zur Herz159
Stärkung eine Mugg voll Rum. Aber den guten, alten, zehnjährigen Port-Royal-Tropfen!« »Sollst du haben! Ich muß jetzt wieder nach oben. Einer der Wächter wird dir die Pfeifen stopfen und anzünden. Cheer up, altes Seepferd!« - Er geht, und ich höre ihn draußen ein paar Worte mit den Wachen sprechen. Dann kommt einer in die Kammer, stellt linkisch seine Muskete in die Ecke und setzt sich auf meine Kiste. »Füll mir die Pfeife, mein Junge!« Er blickt mich an. Es ist der kleine, schlanke Gascogner. In seinen Augen sehe ich wahrhaftig Tränen. - »Oh, Mac!« flüstert er halb erstickt. »Wär' ich doch bei Muttern geblieben! möchtest du wohl sagen, wie?« Er nickt. »Mach dir nichts draus, Junge, und bei der ersten Gelegenheit haust du ab von diesem blutigen Pott. Fährst heim, oder wenn du das noch nicht willst, so schau, daß du nach Tortuga kommst, und bestell einen Gruß von mir an Esquemelin oder an Barbassou. Sie sollen was für dich tun! Aber vielleicht bin ich früher bei ihnen als du!« »Comment? Was sagtest du?« »Nun ja! Am einmaligen Kielholen, wenn grad keine Haie in der Nähe sind, werd' ich wohl nicht draufgehen. Und nachher? Von einsamen Inseln in der Spanischen Main wurde heutzutage schon mancher Ausgesetzte wieder abgeholt, wenn ihn seine Freunde nicht vergaßen. Wir leben in Entdeckerzeiten, Junge!« prahle ich, und dabei ist mir so elend und flau in der Seele wie noch nie im Leben . . . »Die Mannschaft zeigt Reue!« »So?« rufe ich voll Hoffnung, doch schüttelt er nur traurig den Krauskopf: »Eine Abordnung von uns war beim Alten, aber er hat sie mit Pistolenschüssen rausgefeuert. Und dann ließ er Rum und Wein verteilen, und jetzt ist's ihnen wieder egal!« »Na ja, siehst du, Jüngelchen, so ist das Leben, und wankelmütig und gut ist der Mensch im allgemeinen. Sei ein netter 160
Kerl jetzt und stopf mir noch mal die Piepe und schlage dann Feuer. Mit gefesselten Händen läßt sich dies nicht gut tun!« Von Deck hallt Gesang. Einmal höre ich einen Schuß und dann die quarrende Stimme Kahlkopfs: »Hannibal, wo steckt der schwarze Schneeball? Hannibal, schaff Rum her, Rum her, du Sohn eines afrikanischen Zauberers, Rum!« Nach zwei Stunden werde ich wissen, ob ich noch lebe . . . Der Junge stiert vor sich hin. Füllt ab und zu meine Pfeife. Ich zähle wider Willen die Minuten. Sie sind mir noch nie so rasch verflossen, und doch so langsam - begreift ihr diesen Widerspruch? - wie heut. Draußen gurgelt das Wasser, das weit, weit weg die Küsten Süd- und Zentralamerikas und die Inseln und dazugehörigen Ozeane bespült und das man zusammenfassend die Spanische Main nennt. An Deck ertönt wieder Rundgesang. Das alte Lied von den Dons und dem Rum . . . Schritte. Jack tritt ein, hat eine Blechmugg in der Hand, der ein starker, wunderbarer Duft entsteigt. Mit den gefesselten Händen führe ich das Gefäß zum Munde, trinke in kleinen Schlucken und denke dabei, daß jeder Schluck mein Leben um soundsoviel Jahre verlängern möge. Und mildes Feuer durchströmt meine Glieder, glüht wohlig im Leibe und stärkt meinen Geist gegen das, was da komme. Der Junge weint. »Bleib hier, brauchst nicht zuzusehen!« sage ich ihm und stehe langsam auf, denn es ist soweit. Er fällt vornüber auf die Koje, beißt in die Decken, und sein Körper bebt und zuckt. Zwischen Jack und dem anderen klettere ich nach oben. Und wieder sehe ich alles mit ganz anderen Augen an: das blaue Meer, die goldene Sonne, Möwen und Rahen, Masten und Stengen, Want und Tauwerk und brummende Segel! So deutlich, so verklärt und so wunderschön . . . Sie warten auf ihr Schauspiel. Alle Mann sind auf dem Vorderkastell versammelt. Nur Braddon und der Rudergänger verblieben achtern. Alle schweigen und schauen mich neugierig an. 161
»Bindet ihn los !« knurrt Kahlkopf, der rauchend auf dem Ankerspill sitzt. Die Enden zweier langer, dünner Taue - sie sind naß, weil man eben die Länge um den Schiffsbauch herum ausmaß - werden an meinen Handgelenken festgebunden. Die anderen Enden nehmen je sechs kräftige Kerle in die harten Fäuste, und befriedigt merke ich, daß unter diesen »Tauziehern« einige mir Gutgesinnte sich befinden. Sie werden also nicht über Deck schreiten, sondern galoppieren! hoffe ich. Und streife, ehe sie mir die Anhängsel befestigen, die Kleider ab, stehe nackend da und fühle den warmen Kuß der Sonne und das laue Streicheln der schwachen Brise. »Raus, aufs Bugsprit!« brummt Kahlkopf, und ich gehorche. Die eine Leine wird mit dem losen Ende unter dem Klüverbaum wieder nach oben geholt, und die Männer greifen wieder zu. Das Schiff liegt stetig und macht langsame Fahrt. »Los, sei ein Mann. Jump!« brummt Jack dicht hinter mir. Noch ein tiefes, schlürfendes, trinkendes Umherblicken! In die Gesamtrunde. Dort ist die Sonne, sind zierliche Schäfchenwolken, deren Vließ vergoldet ist; glänzt das blaue, so blaue Meer. Und unten ist die schäumende, sanfte Bugmähne und davor und darunter die bläschenwerfende, blaue, in goldenen und violettschwarzen und grünen Schichten sich staffelnde Tiefe. Haie sehe ich keine. Ich lasse mich fallen, nachdem ich eine langen Atemzug getan. Und plumpse hinab, fühle, wie ich untersinke, weil man an meinem Fuß im letzten Moment ein Stück Eisen befestigt hat, eine Vorsorge, die mir zustatten kommt, denn der Auftrieb des Wassers, den ich nicht brauchen kann, um nicht schon am Bug hängenzubleiben und zu ersaufen, während sie vergeblich an den Tauen ziehen, wird dadurch ausgeschaltet. Krampfhaft schließe ich Mund und Augen, und das Wasser ist merkwürdig warm, und dann ist ein Ziehen in meinen Armen. Plötzlich ein furchtbar schmerzhafter Anprall. Der Vordersteven hält mich, noch bin ich nicht unterm Kiel. Und sie ziehen, reißen ruckweise, als wollten sie mir die Arme ausreißen! 162
Oh, meine Mutter, denkst du an mich, und klingt es dir jetzt in den Ohren? . . . Plötzlich läßt der Widerstand, der mich an den Steven preßte, nach, ich bin nun wirklich unter dem Schiff, und es reißt mächtig an meinen Händen. Ich rutsche ruckweise am Kiel entlang. Spüre Stiche, Schnitte, Knüffe und Schläge, wie mit einem Hammer. Oh, ich kann nicht mehr. Luft! und brülle auf. . . Wasser quillt schmerzhaft in meine Lunge. Warm und salzig und furchtbare Qual erzeugend. Purpurnes Leuchten um mich, Schmerzen in und am Körper, und dann wird der Purpur zu goldenen, donnernden Flammen. Und wunderbar still wird's auf einmal, und die Schmerzen und die Atemnot lassen nach, ich brauche überhaupt nicht zu atmen, möchte nur schlafen, schlafen und in diese hallende, goldpunktierte und geflammte Nacht, hinter der jetzt schwarze Schatten heranjagen, eingehen. Und dann weiß ich nichts mehr . . . Aber wieder durchschießen mich Schmerzen, und durch die Nacht wogt es dunkelrot und . . . »Sachte, sachte !« höre ich aus weiter Ferne eine dünne Stimme. »Laßt ihn nicht länger Kopfstehen, das Wasser ist nun aus ihm herausgelaufen! Legt ihn hin, sachte, sachte! Und pumpt! Pumpt mit seinen Armen!« klingt's weit und fast tonlos. Ah, wie mein Körper schmerzt! Wenn ich nur die Augen öffnen könnte. Ertrunken bin ich also nicht, das weiß ich jetzt irgendwie. Und auch die Stimme kommt mir bekannt vor. »Ja, Maaten, das Herz schlägt. Das verdankt er dem Rum, den er vorher getrunken! - Beide Arme ausgerenkt. Reich mir einer die Rumpulle!« Feuer sickert durch meine zusammengepreßten Zähne in den Schlund, ich muß furchtbar husten und dabei tut mein ganzer Leib weh. Werde aber wacher und kann endlich die Augen aufmachen. Und sehe verschwommen die Gesichter Jacks und Braddons dicht über mir. Und noch ein paar andere im Hintergrunde, wo die Lampe vom Deckbalken schwingt und sie mit goldenen Medaillons einrahmt. 163
»Trink langsam, Mac!« Abermals fließt Feuer in mich, und wieder quält mich ein Hustenanfall, aber es wärmt, ah, es wärmt, denn auf einmal wird mir bewußt, wie hündisch kalt mir ist. Mein ganzer Körper fliegt im Schüttelfrost, und die Zähne klappern wie Kastagnetten. »Kalt!« ächze ich. »Trink, trink, Maat. Nachher decken wir dich zu, mit 'ner Genèverpulle voll Heißwasser an den Fußsohlen. Mußt aber erst verbunden werden!« Und Braddons schwielige grobe Hände berühren mich wunderbar zart und sanft, wie die einer Mutter. Ich versuche mich aufzurichten, aber es geht nicht. Sehe aber meine Umgebung nun deutlicher und auch die blutenden, klaffenden Schnitte auf Brust und Bauch und Schenkeln. Und meine Arme sind unbeweglich wie Bleiklumpen, und tun dabei höllisch weh. »Beiß die Zähne zusammen, Mac. Wir wollen deine Arme wieder einrenken, ehe die Geschwulst kommt!« Eine Hand packt die meine, eine andere meine Schulter, und dann schlägt wieder schmerzensreiche Dunkelheit über mir zusammen. Jack sitzt am Kopfende der Koje, als ich erwache, und beobachtet mich aufmerksam. »Besser jetzt, alter Maat !« »Hm ja. Bin ich schwer zerschnitten?« »Es geht. Die Arme haben wir dir auch wieder eingekugelt. Es war ein schweres Stück Arbeit, weil du so bewegungslos wie ein Tiefseelot dalagst. Hast ein paar böse Schnitte über Brust und Bauch und auch am Schenkel und viel Blut verloren. Aber Braddon versteht sich drauf und hat dich gut verarztet. Einige Tage weiter und du kannst wieder tanzen. Trink jetzt. Alter Rum ist die beste Medizin und erweckt Tote!« »Mich friert, Jack !« »Dabei ist's heiß wie in der Hölle, und du bist gut eingewickelt. Trink, Rum ist Gottestau und verschafft dir neues Blut!« »Ja, gib« . . . ich kotze auf einmal Seewasser und Rum in langem Würgen heraus. Und muß trotz allem Elend schmunzelnd an 164
den Zaubertrank denken, den Don Quijote in der Schenke braute . . . »Schluck mal wieder einen Tropfen. Jetzt ist der Magen sauber!« Er hält mir einen Pannikin an die Lippen, und willenlos schlürfe ich. Dann: »Was sagt die Mannschaft?« »Die ist jetzt zufrieden und meint, es sei Genüge geschehen, und wenn du gesund bist, so sollst du auf 'ner guten Insel maroniert werden. - Sag, kannst du nicht schlafen?« »Will's versuchen. Mir tut so ziemlich alles weh!« »So probier's! Ich lasse dir den jungen Froschesser, den Gascogner, als Krankenschwester hier. Und alle paar Stunden schaut einer von uns nach dem Rechten. Du mußt das Fieber loswerden!« »Welcher Kurs liegt an?« »Östlich! Werden zwar noch etliche Male umlegen, aber in der Hauptsache soll's östlich bleiben. Richtung Madeira und Salvagesinseln Martin Vas!« Er geht. Die Lampe mit ihren dünngeschabten Hornscheiben leuchtet goldgelb. Das Wasser rauscht und gurgelt. Der junge Franzose sitzt auf meiner Kiste, äugt manchmal nach mir hin und blättert dann weiter in einem großen, schweren Buch. Die goldenen Schließen und Halbedelsteine sind nicht mehr daran. Ich muß sehr lachen, und das Lachen tut meinem Leibe zwar noch weh durch die Erschütterung, aber meiner Seele tut's wohl. Schlecht ist mir auch noch. Denn ich habe einige Pinten der salzigen Spanischen Main verschluckt. Einmal höre ich an Deck die Glocke. Vier Doppelschläge. Und singend ruft die Stimme des Ausgucks: »Acht Glasen und alles wohl!« Später fahre ich jäh aus der Betäubung, die mich umfangen hält. Der Junge sitzt noch da. »Was war das?« Er lächelt : »Der Alte! Er hat eben nach Rum geknallt! Schlaf nur, es ist nichts, Mac!« Wirre Träume umgaukeln mich. Huschen bunt an mir vorbei. 165
Hübsche Bilder, dann wieder Gespenster mit bleckenden Mäulern. Tanzende Skelette, die mit den Knochen klappern. Und dann werfen sie mich hohnlachend ins Meer, und Haie schießen heran, sperren die Rachen mit den fünffachen Reihen gezackter Zähne auf . . . »Hilfe!« Mit einem Schrei komme ich zu mir. Und bin naß am ganzen Leibe. Über mir hängt Braddons Gesicht. »Hast geträumt!« Er hält mir den Rumbecher an den Mund. »Trink!« Ich gehorche. Denn - ich weiß nicht, ob's richtig ist, Esquemelin behauptet das Gegenteil - an den Küsten und auf den Inseln und Gewässern der Spanischen Main, wo immer es Küstenbrüder und Freibeuter gebe, kuriert man jede Krankheit mit Rum und gibt auch den Verwundeten davon. Und einer, der keinen Rum mehr trinken will, der steht dicht vor Davy Jones' großer Kiste. So sind meine Erfahrungen. Und da ich nicht krank sein möchte und noch keine Lust habe, in Davy Jones' Kiste zu kommen, und leben, leben möchte . . . Deshalb trinke ich jetzt den duftenden alten Rum . . .
RAFFZAHN Vier Wochen nach dem Kielholen: Braddons Kunst, meine kräftige Natur und der duftende Rum haben mich wiederhergestellt. Alle Wunden, die mir die Muscheln gerissen, sind vernarbt. Dienst brauche ich keinen zu machen, sondern sitze meist im Arrestlokal unten in der Vorpiek. Es ist heiß und finster darin wie in einem Backofen, aber Braddon und Jack haben mir eine Lampe und eine Matratze gebracht, und über Hunger oder Durst brauche ich nicht zu klagen. Und nun will ich genau erzählen, wie alles kam: Also ich saß in der Vorpiek, hätte auch an Deck Spazierengehen können, doch tat ich's fast nur nachts. Denn ein Teil der Mannschaft betrachtete mich immer noch wie einen Aussätzigen, und nachts war 166
nur die Segelwache an Deck, die anderen soffen, sangen und randalierten. Nach Kahlkopfs und Raffzahns Anblick empfand ich nicht die leiseste Sehnsucht. Und war ihnen sehr verbunden, daß sie mich in Ruhe ließen. Doch muß man zugeben, daß es ein merkwürdig gefährliches und prekäres Dasein für mich war, solange ich an Bord der »Barrel and Tankard« sein mußte. Und wird auch verstehen, daß ich, trotzdem ich mir eigentlich nichts Gutes davon versprach, von Tag zu Tag größeres Verlangen nach jener wüsten, unbekannten Insel im Weltmeer, wo ich maroniert werden sollte, bekam. Ostkurs. Manchmal ging es über Stag und einige Stunden nördlich. Dann wieder Ostkurs. Braddon war überzeugt, daß der Alte die Salvageinseln, eine wüste Felsengruppe einsam im Südatlantik, südlich von Madeira, auf dem Kurs der Schiffe, die Mar-Dulce und Buenos Aires ansteuern, besuchen würde. Er und Jack schwuren auch, daß sie mir ein paar mehr Sachen als nur die obligate Wasserpulle, Muskete, Angelzeug und Schießbedarf verschaffen würden. Machten auch heimlich ein großes Bündel parat, das nicht nur meine Aufzeichnungen, Pergament, Tintenkapsel und Truthahnfedern, sondern auch manche gute Gurgel- und Magenatzung enthielt . . . Und eines Tages war's so weit. Heureka! Tags zuvor hatten wir Regen und warmen Nebel, dann klarte es auf, und die letzte Nacht wurde feenhaft. Jene leuchtende Sternengruppe, die man »Magellanwolken« nennt, stand im Süden, und wenn das Schiff schlingerte, so sah es aus, als ob funkelnde Girlanden zwischen den Masten baumelten. Der neue Tag war etwas diesig anfangs, und träge, lange Dünung rollte lautlos dahin, als man mich an Deck holte. Das erste, was ich sah, waren ungefähr zwei Seemeilen ab drei kleine, nackte, schwarze Felseninseln, gegen die das Meer silbern anschlug. - »Martin Vas!« sagte Jack. Dann: »Dreh dich um, Maat!« 167
Ich tat so und sah in ziemlicher Nähe eine große Insel, gleich einer phantastischen hohen Felsenburg, gegen die der Schwall brüllend und schäumend anrannte. »Trinidad! Aber nicht das Trinidad in den Antillen mit dem schönen Hafen Port of Spain, das die Engländer haben. Hier diese Insel ist . . .«, er schwieg und machte ein ernstes Gesicht. Neugierig umdrängte uns die Crew. Ein paar lachten grimmig, und einer rief: »Da drüben wird dich der Satan holen, Juwelendieb!« Braddon, der die Wache hatte, kam von der Puup, schüttelte mir die Hand und wünschte mir Glück. Dann ging er wieder nach achtern. Kahlkopf schaute durch ein Teleskop nach der Insel. Dann setzte er es ab und rief: »Rasch ins Boot mit ihm. Sonst laufen wir auf, wenn wir hier zu lange herumschwabbeln. - Sind seine Klamotten bereit?« Raffzahn kam angetorkelt, trug eine Wasserpulle, Muskete, zusammengerolltes Angelzeug und eine Jagdtasche. - »Da, nimm! Damit kannst du dir drüben ein Königreich gründen!« lachte er. Er stank nach Rum. Die Gig wurde ausgeschwungen und zu Wasser gelassen. Sie schaukelte auf der mächtigen Dünung, sechs Mann saßen drin, hielten die Ruder hoch, und der siebente, »Mac«, stemmte mit dem Bootshaken ab. »Ich gehe mit. Will sehen, ob unser feiner Quartiermeister auch gute Unterkunft findet!« lachte Raffzahn und schwang sich über die Reling. Rutschte am Tau ins Boot, als der Schwall es gerade gegen die Schiffswand preßte. Ein paar riefen mir nach : »Gut Glück, Mac«, andere : »Zur Hölle wirst du fahren!« Kahlkopf grinste: »Die mag er drüben finden, Maaten, verlaßt euch drauf, ich kenne den Platz und hab' ihn nicht zum Spaß ausgesucht! - He, Jack? Raffzahn?« »Aye, aye!« »Vorsicht beim Landen, sonst werdet ihr in Trümmer geschlagen und ersauft!« 168
»Aye, aye!« Die Ruderblätter tauchten taktmäßig ein, und die Gig schoß, stark schaukelnd, auf hoher Dünung der Insel zu. Laut brüllte die Brandung. Und ich hörte Seevögel, die in dichten Wolken zu Zehntausenden um die Insel flatterten, hell und mißtönend kreischen. Trinidad stieg immer höher aus dem Ozean, in wilden unheimlichen Formen stand es da. In der Mitte ragte ein Zuckerhut; rechts und links andere gezackte drohende Felsriesen, stellenweise senkrecht in den Ozean abstürzend, von Wolken, die hin und her wallten und anscheinend im ewigen Kreislauf um die Gipfel zogen, umspielt. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Schwarz und rot, braun und kupfrig türmten sich da vor mir die bizarren Felsen, und nirgends war ein Fleckchen Grün. An einer Stelle standen viele Reihen mächtiger Basaltsäulen wie gigantische Orgelpfeifen, die einen Steilhang besetzt hielten und bis weit hinaus ins Meer reichten. Und zwischen ihren Korridoren und Säulenkatakomben zischte und hallte und spritzte es. Von einer roten Felsenwand stürzte ein schmaler blinkender Wasserlauf. Also verdursten würde ich nicht. Korallen, die das Wasser grün färbten, und herausragende klotzige Blöcke halfen uns durch ihre Stauung, den kleinen Sandstreifen, der dort inmitten grauenvoller Abstürze klaffte, anzupeilen. Aber es war ein sehr gefährliches Unternehmen. Die Ruderer konnten das nicht sehen, da sie meerwärts und nach dem Schiffe blickten, aber Jack, Raffzahn und ich erblickten alles. Jacks Gesicht war verkniffen, ununterbrochen kauten seine Backenmuskeln, und an den Schläfen traten die Adernstränge hervor. Raffzahn grinste. Und mir war sonderbar zumute. Diese mitten im warmen Ozean und unter einer heißen Sonne liegende Insel strahlte eine fühlbare, drohende Kälte aus! Zehntausende weißer, schwarzer und gescheckter Seevögel saßen auf Felsriegeln über den Abgründen und brüteten, und andere ungezählte Massen schwirrten kreischend hinaus aufs Meer, zir169
kelten im Bogen und kehrten zurück, flogen wieder hinaus . . . Eier und Fleisch würde ich auch haben! Ich schielte nach dem großen Bündel, auf dem Jack saß, und wunderte mich, was wohl alles darin sei und was Raffzahn dazu sagen würde. Nun kamen wir nur sehr langsam vorwärts. Schwall und rasender Sog ruckten das Boot hin und her. Ein paarmal klatschte ein Brecher über, und ich schöpfte mit der Kelle, so rasch ich konnte, das eingedrungene Wasser ins Meer zurück. Jack steuerte mit zusammengepreßten Lippen. Und ich dachte verloren und zusammenhanglos an das Schiff, das da hinten auf der glatten Dünung schaukelte. Der Sandstreifen näherte sich. Aber auch hier rannte das Meer, das draußen so glatt atmete, in donnernden, spritzenden Brechern gegen die Küste an*). »Rudert, Jungens, legt euch in die Riemen, daß sie sich biegen!« gellt Jacks Stimme durch Möwengeschrei, Donnern, Zischen und Grollen. Im Bogen setzt uns der Schwall unsanft aufweichen Grund, und wieder brüllt Jack : »Raus, all hands ; und das Boot raufziehen!« Schon sind wir über die Seite - nur Raffzahn bleibt faul sitzen packen die Duchten, daß unsere Knöchel weiß aus der gebräunten Haut vorspringen und schieben, zerren, während der wütende Sog an unseren Hüften reißt. Und schaffen es! Der nächste Schwall umspülte nur unsere Waden, und dann hatten wir das Fahrzeug auf dem muschelbesäten, mit einigen zappelnden Fischen bedeckten Sand geborgen. Wir wischten uns den Schweiß aus den Augen, während Raffzahn gemütlich aus dem schiefsitzenden Boot kletterte. »Segne meine Seele, hier möcht' ich nicht wohnen!« sagte einer. Und sie schauten die furchtbaren Felsen an, schauten auch mich an und blickten scheu aufs Meer. Dann nickten sie mir zu, und es waren, wie ich jetzt erst sah, alles Leute, die mir wohlwollten. Unbeschreiblich laut toste die Brandung. Draußen tanzte das *) Auszug aus dem jetzigen »South Atlantic Dictionary«: Die Brandung des ungehemmt gegen diese unheimliche Insel anstürmenden Südatlantik schlägt über einzelne, 200 Fuß senkrecht aus dem Meer steigende Klippen mit ihrem Schaum glatt hinweg.
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Schiff wie ein Korken auf der blauen, ruhigen Dünung, und die drei Felsenbrocken Martin Vas, die in der Ferne so verloren lagen, waren mit stiebendem Silber geschmückt. Unbekümmert schritt Raffzahn an Land, kletterte über Steine und erstarrte Lava von dunkelroter und stumpfschwarzer oder kupfernblinkender Farbe. Watete durch bunte, schillernde Schlacken. - Trinidad ist ein erloschener Vulkan und wahrscheinlich der über Wasser gebliebene Rest des Innenkraters. »Hier, legt das Bündel dort in Luv jener überhängenden Felsen. Raffzahn braucht's nicht zu merken!« sagte Jack, und die Männer nickten verständnisvoll. Und ihrer zwei verstauten das Bündel. »Mich deucht, je eher wir uns in unser Boot machen und ruhig Fahrwasser gewinnen, desto besser. Und je weiter wir dann mit dem Schiff von der Insel weg sind, um so gesünder. Sonst läuft uns allen der Hals voll Wasser!« brummte einer und zeigte nach einer kleinen finsteren Bucht, wo ein altes, muschelbekleidetes Wrack zeitweilig schwappend aus dem Wasser tauchte. Mechanisch stolperte ich ein Stück hinter dem verschwundenen Raffzahn her. Einer der Piraten, ein wilder Kerl, der sich spaßeshalber »Lord Jim« nennen ließ, murmelte ein paar Worte in Jacks Ohr und kam mir dann nach. Eben ging unter lautem Knattern, das Brandungsdonner und Möwenkreischen scharf übertönte, von karmesinroter Steilwand eine Geröllawine nieder. Einzelne Brocken sausten eine halbe Kabellänge von uns singend durch die Luft, mitten zwischen die seltsamen Orgelpfeifen aus Basalt. Und stellenweise flatterte brauner Staub hoch. Unermüdlich kreisten und wogten die dunklen Wolken eng um die unheimlichen Gipfel, während sonst überall blauer, vergoldeter Himmel sich ausspannte. Während meines ganzen langen Aufenthaltes auf dieser verfluchten Insel, die einer erstarrten Hölle mit unheimlichen Bewohnern gleicht, habe ich keinen einzigen Tag erlebt, an dem nicht diese rätselhaften dunklen Wolken - die aber kein Vulkanrauch sind - um die roten und schwarzen Felsenzacken gleich einem ewigen Fluch ihr seltsames wogendes Spiel trieben und 171
an dem nicht tagtäglich und allnächtlich von Zeit zu Zeit kurze Regenschauer herabschütteten! Könnt ihr das verstehen? Ich mitnichten. Die Handbücher für den Seemann erwähnen's zwar, wissen aber auch keine Erklärung . . . Der »Lord« hatte mich eingeholt. Felsblöcke entzogen uns der Sicht der anderen. »Mac, wir drücken alle miteinander beide Augen zu und sagen nachher an Bord, 'ne Steinlawine hätte ihn gekillt. - Da!« wieder knatterten an anderer Stelle Felsbrocken aller Größen zu Tal. »Da, siehst du! Schlag ihm in aller Ruhe, aber doch fix, den Schädel ein. Dort vorne ist er hingegangen!« sagte der Lord. Die Brandung donnerte ihre Zustimmung, und Möwen kreischten häßlich. »Ja! Ja! Hei!« Ich ließ »Lord Jim« auf einem runden Steinbuckel sitzen und stolperte weiter. Kein Gras, keine Blume. Stellenweise giftgrüne, schleimige Kriechflechten, einige runde, ebenfalls giftgrüne, stagnierende Teiche und überall die sonderbarsten Felsformationen in metallisch kupfrigen, roten, sattbraunen und tiefschwarzen Tönen. Dazwischen graue oder schwarze Asche und in allen Farben schillernde Schlacken. Und die Schatten der Gipfelwolken über den sonnenbeschienenen Boden geisternd. Es war sonderbar und furchterregend. Mehrmals watete ich durch Asche und sah vor mir seine Fußstapfen. Dann kam ich wieder an einen der scheußlichen Teiche. Er wurde von einer Wasserader gespeist. Ringsum standen verschiedene karge, flechtenbewachsene, mannshohe, aufrechte Baumreste. Versteinert oder so von Schlacken umkleidet, daß sie wie petrifiert aussahen. Vielleicht waren es aber gar keine Bäume. Dort traf ich Raffzahn. Er blickte genießerisch umher. Ohrenbetäubend hallte die Brandung, kreischten Möwen und tobten Echos. Drüben rollte ein Steinschlag nieder. Düster grelle, unwirkliche Farben bleckten und strahlten in der Runde. »Ho, du Schuft, hier wirst du dich wohlfühlen! Schätze, daß du 172
binnen drei Wochen übergeschnappt bist, wenn dich inzwischen der Teufel nicht geholt hat!« höhnte er brutal. Ich aber dachte an die seltsamen Worte, die mir »Lord Jim« eben gesagt. Und gedachte auch des kleinen Chirurgen von der »Barrel and Tankard«. Und dachte an meine Leiden beim Kielholen und an die Ungerechtigkeit an Bord, deren böser Geist und Spiritus rector dieser verfluchte Höllenhund und Saufkumpan Kahlkopfs war. Ehe er sich's versah, schlug ich ihm mit einem geschwind aufgerafften runden Schlackenstück auf den Schädel. Er wankte und fiel dann mit blutüberströmtem Gesicht ohnmächtig zu Boden. Tot war er nicht. Oh nein, das wollte ich mitnichten. Raffzahn sollte mir auf dieser schrecklichen Insel Gesellschaft leisten! Als Seemann hat man immer die Taschen voller Schiemannsgarnbändel, und ich war genügend damit versehen, um den bewußtlosen schlaffen Schuft in halb aufrechter Stellung an einen der versteinerten Stümpfe binden zu können. Mochte er, wenn er erwachte, brüllen und schreien. Niemand würde ihn hören, denn eine menschliche Stimme trägt auf dieser Insel, wo die Natur so unbeschreiblich tobt und Echos nieversiegend hin- und herjagen, nur wenige Schritte weit. Langsam ging ich zum Anlegeplatz zurück. Die Sieben schauten mir erwartungsvoll entgegen, und »Lord Jim« blinkerte mit einem Auge. »Hast du Raffzahn nicht gesehen, Mac?« »Ja, das, was von ihm übrig ist. Dort hinten liegt der Schuft, vom Steinschlag zermalmt. Ihr könnt ja die Reste mit an Bord nehmen, wenn ihr wollt!« log ich eisern und wußte genau, daß jene wußten, ich lüge. Jack schaute zu Boden, und »Lord Jim« rief, von beistimmendem Nicken der anderen unterstützt: »Wir haben's alle gesehen, stimmt's nicht, Maaten? Nur der Steuermann Jack hier war nicht dabei!« »Aye, aye!« »Also laßt uns machen, daß wir an Bord kommen, wenn das Schiff hier auf den Legerwall gerät, ist's verloren!« 173
Im gleichen Augenblick knallte dumpf ein Kanonenschuß durch das Donnern der Brandung. Wir schauten alle seewärts, und dort an Bord blühte wieder ein weißer Rauchball über Deck. Dann kam der Knall - und nochmals! Am Mizzen stiegen bunte Wimpel empor. »Wir sollen an Bord. So schnell wie möglich!« rief Jack. Er umarmte mich, und ich flüsterte ihm ins Ohr : »Er ist nicht tot, nur gefesselt, will ihn als Diener erziehen!« Alle drückten mir die Rechte, und jeder sagte dazu der Reihe nach: »Wir kommen oder lassen dich holen!« Nun stemmten sie ihr Bot in den Schwall, sprangen hurtig hinein und griffen nach den Rudern. Arbeiteten wie die Wilden, um das Fahrzeug von der Küste freizukriegen, wurden immer wieder zurückgeschwemmt, und mehrmals blieb mir das Herz stehen, als es aussah als sollten sie dort draußen an den im Wasser liegenden Blöcken oder zwischen den Orgelpfeifen zerschellen. Sie kamen aber frei, und nach einer Stunde ungefähr sah ich, wie das Boot hochgehievt wurde. Die »Barrel and Tankard« drehte in den Wind und entfernte sich schaukelnd mit geblähten, schimmernden Segeln. Ich blickte ihr nach, bis sie nicht mehr zu sehen war. Ging dann zu meinem Teerleinenbündel. Öffnete es und freute mich kindlich über den Inhalt. Das waren alles Dinge, die ich gut gebrauchen konnte : Schlafdecken, mehrere große Pullen alten Rums, viel Tabak, etliche Pfeifen, Feuerzeuge, eine kleine Axt, ein Cutlaß, Messer, Pistole. Viel Zwieback und Boucan und eine große, in gesalzene Leinwand eingenähte Speckseite; auch zwei runde, mächtige, in Leinen genähte Goudakäse. Und mein Schreibzeug, ein kleiner Spiegel, Nähzeug und dergleichen. Es war ein ansehnliches Bündel, und Kahlkopf mochte es wohl gesehen haben - auch Raffzahn - aber beide dachten wohl, daß es mir nicht viel nützen würde. Ich entkorkte eine Rumpulle : »Auf gut Glück und baldige Befreiung!« sprach ich zu mir und trank dann einen guten Schluck, und es wurde mir sehr wohl. Zündete auch eine Pfeife mit Virginia an. Als Gewaffen hing ich Beil, Pistole, Messer und Cutlaß an den Gürtel, auch die Jagdtasche, in die ich einige Zwiebäcke, 174
etwas Munition, eine Rumpulle - denn solches kann man immer gebrauchen -, Tabak, Pfeife und Feuerzeug tat. Alles andere rollte ich in das Bündel, band die Schnur darum und ließ es liegen. Es war mir ganz fidel zumute, doch muß ich sagen, daß mir der Kopf brummte und die Ohren hallten, weil die Brandung, die unglaublich hoch fast überall anprallte, diesen furchtbaren Lärm machte. Es war wie zahlreiche, ununterbrochene Gewitter, voll tiefen Donnergedröhns, und dazwischen das laute Zischen und Prasseln an den Basaltsäulen. Vogelgekreisch, ab und zu eine hellknatternde Steinlawine, und von allen Seiten hallende, ruhelose Echos! Die Luft ist feucht auf der Insel und nicht übermäßig heiß. Von der Hitze, die draußen unter der glitzernden Sonne auf dem die Insel umgebenden Tropenmeer herrscht, merkt man hier nicht viel. Vorerst erfüllte mich das wunderbare Gefühl, ganz frei und mein eigener Herr zu sein. Ich pfiff sogar ein Liedchen, während ich mich auf den Weg machte, die nähere Umgebung etwas zu erforschen. Stellen, wo die Steine niedergingen, oder andere, die mit ähnlichem zu drohen schienen, vermied ich. Es ist ein phantastisches Reich, diese Insel Trinidad! Ausgebrannter Vulkan, Überbleibsel von dessen früherem, im Meere verschwundenen oder in die Luft gesprengten Riesenkrater, ragt es auf, in der Grundfarbe schwarz, mit großartig gezackten oder vertikalen Felsen und Abgründen, in denen die See brüllt, und überall sind bunte, grelle Farben in die Grundierung eingesprengt. Grün und rot, blutend und kupfern. So grell, wie kein Maler Farben auf seiner Palette findet. Unzählige, unaufhörlich donnernde, kreischende, heulende, singende, polternde, nie abreißende Echos, die hin und her und dann wild im Zickzack und im Kreise wirbeln . . . Ich erwog den Gedanken, mir die Ohren zu verstopfen, denn bei diesem unaufhörlichen Getöse könnte man vielleicht allmählich verrückt werden. - Fand aber im Laufe der Zeit, daß man den Lärm zwar hört, aber nicht mehr so laut, und zwischen175
durch auch andere Geräusche unterscheiden kann - und daß alles nicht so schlimm ist, wie es die ersten acht Tage aussieht. Denn an die Natur gewöhnt sich des Menschen Ohr, weil er selber von der Natur abstammt. Der Ozean, der draußen in leichten Wellen oder bei Windstille in blauer, schwacher Dünung blaut, rast hier gleich wilden Riesenpferden mit weißglitzernden Mähnen gegen Trinidad und die drei vorgelagerten Inseln Martin Vas. Ohne Pause, denn es ist der Atem des gewaltigen Südatlantik, der durch nichts mehr gehemmt wird, ehe er gegen die Küsten von Santos oder das Flachgestade von Mar Dulce stößt. Allenthalben, wo winzige, unzugängliche Buchten sich kesselartig öffnen, liegen Schiffstrümmer, halbe und viertel Schiffe, uralt, muschel- und tangbedeckt. Dies ist Trinidad, die Insel, die fürwahr dem Thronsessel des Fürsten der Finsternis gleicht, den er sich hier im Meere errichtet hat . . . Ich fand den Bach, dessen Kaskade sich über unerklimmbare dunkelrote Felsenmauern herabstürzt und sich unten in einige Rinnsale teilt, die entweder ins Meer oder in die grünen, flachen Tümpel fließen. Das Wasser ist klar, schmeckt aber leicht nach Schwefel, ist infolgedessen gesund und heilsam. Also hier sollte ich wohnen! Maroniert bleiben, bis man mich vielleicht holen käme. Es könnten dies aber nur Freunde sein, denn jedes andere Schiff, das der Zufall in die Nähe bringt, wird der gefährlichen Gegend schleunigst zu entfliehen trachten. Wasser hatte ich also, Nahrung an Seevögeln und Eiern, solange erstere brüten und letztere nicht überbrütet sind; dazu meinen kostbaren Proviant in der Persenning und genügend Muscheln und sogar Fische, die teils zerschmettert, teils noch zappelnd vom Schwall auf den kleinen Strand geworfen werden. Nur eine Unterkunft mußte ich suchen. Holz zum Feuermachen ist überreichlich vorhanden, denn es scheint, als ob alle Wracks des Südatlantik nach Trinidad geschwemmt und dort angespült würden. Aber irgendeine Höhle mußte ich finden. Denn während draußen 176
auf hoher See ein fleckenloser Himmel strahlt, speien die ewigen Wolken, die wie gebannt Satans bunten, zum Himmel steigenden Thronsitz umwallen, täglich und nächtlich kurze, aber ergiebige Regenschauer aus. Eine Höhle, eine Höhle! Vielleicht fand ich darin sogar einen Schatz, denn wenn Kahlkopf die Insel kennt, so werden auch andere um ihre Existenz wissen. Und einen besseren Platz, um blutbeflecktes Piratengold zu verbergen, gibt es auf allen Meeren nicht. - Aber damals, als ich die Höhle suchte, hätte ich alle Schätze Indiens nicht gegen mein Häuschen auf Tortuga eingetauscht und denke auch heute nicht viel anders*). Raffzahn lehnte, gut angebunden, an seinem Stamm. Wütend schaute er mir entgegen und brüllte: »Was soll das heißen, du Miststück!« Gemächlich setzte ich mich auf einen Lavablock. Eben war ein kurzer Regenschauer niedergestoben. Ich stopfte mir genußreich eine Pfeife, prostete dem Schurken mit der Rumflasche zu. Als die Pfeife richtig brannte, unterbrach ich ihn, der unflätig weitergetobt hatte: »Das Schiff ist abgefahren und längst außer Sicht. An Bord denken sie, der Steinschlag hätte dich zerschmettert. Und nun bleibst du schön gefesselt, bis du vernünftig wirst. Ich suche derweilen eine Höhle. Morgen früh mach' ich dich los, und dann kannst du mit mir den Zweisiedler spielen. Wenn du aber Mätzchen versuchst, dann, mein Junge, verlaß dich drauf, schlage ich dir den Schädel richtig ein. - Ihr habt mich so weit gebracht!« »Hund! Schwein! Sau!« kreischte er. »Deine zoologischen Kenntnisse sind schlecht. Ein Hund ist ein sehr kluges Tier, und auch das Schwein oder die Sau ist nicht so dumm wie viele Menschen, und außerdem nützlich. Also kannst du mich mitnichten beleidigen!« Ich blies die Rauchschwaden aus Mund und Nase und schrie dann weiter - denn man muß auf Trinidad schreien, wenn man auch nur in kurzer *) In unserer Zeit wurden verschiedentlich Privatexpeditionen ausgerüstet, um angeblich auf Trinidad von Piraten vergrabene Schätze zu suchen. Man fand auch Spuren von planmäßig angelegten Grabungen usw., aber sonst nichts. Die Insel, auf der nur mit großer Lebensgefahr zu landen ist, behält ihr Geheimnis.
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Entfernung gehört werden will: »Eine Nacht ohne Essen und Trinken und ein gelegentliches Regenbad werden dich weich machen. Morgen bringe ich dein Frühstück. Aber ohne Rum. Und dann werden wir weiter reden und sehen!« Sein blutbekrustetes Gesicht verzerrte sich. Er geiferte und bleckte seine absonderlichen Zähne. Ich aber dachte wieder an das Kielholen, an den kleinen Chirurgen und war von eisiger Ruhe und ohne Mitleid. Klopfte die Pfeife aus, zog nochmals seine Fesseln fester an und ging dann, ohne mich umzusehen, davon. Es war hoch am Mittag. Satans Felsenthronsessel ragte blutrot und nachtschwarz aus auf- und niederdippenden Wolken. Für einen Fußgänger ist die Insel sehr groß und in den meisten Teilen unzugänglich. Nach Stunden wußte ich, daß es außer jenen giftgrünen Flechten keinerlei Vegetation gibt. Vielleicht war der Südstrand besser, aber die Erforschung würde Tage dauern, und ich mußte sehr auf der Hut sein vor den ohne Anzeichen willkürlich herabknatternden Steinlawinen, deren Einzelteile Hausgröße haben. Hunger spürte ich noch nicht, als ich endlich, unweit des Teiches, an dem ich Raffzahn gelassen, höher oben eine nette, etwa fünfzehn Yards tiefe, mit feinem Sande bedeckte Höhle entdeckte, die ich sofort als vorläufiges Heim beschlagnahmte. Ich schleppte, schleifte und rollte mit viel Mühe den Inhalt meines Bündels und etliche Wrackplanken hinauf. Inzwischen wurde es rasch dunkel. Bald hatte ich ein trauliches Feuer flackern, lag auf über den Sand gebreiteten Decken im Höhleneingang und paffte. Der Holzrauch beizte in den Augen. Regen rieselte ein Viertelstündchen. Ich trank ein Nösel Rum, beschloß aber, mit dieser Kostbarkeit sehr Haus zu halten. Wilde Tiere oder Eingeborene brauchte ich nicht zu fürchten. Denn diese Insel ist - das fühlte ich - verlassen und verflucht. Die Seevögel waren zur Ruhe gegangen, nur die Brandung tobte und die Echos. Weit draußen schimmerte das ruhige Meer unterm herrlichen Sternenhimmel. 178
Ich wickelte mich in eine Decke und schlief auch wirklich rasch ein. Es herrschte tiefe Nacht, als ich emporschreckte. Über der Insel, so weit ich sie überblicken konnte, lagerten sattblaue und weißschimmernde Schatten. Der Gischt blitzte. Und eine große Unruhe war in mir. Hatte ich nicht im Schlaf einen gräßlichen Schrei gehört? Die Brandung rauschte, donnerte, orgelte. Echos rollten von allen Seiten, einmal knatterten Steine, und flimmernd stieg der Staub hoch. Es war, als ob eine unsichtbare Kraft mich zwänge, aufzustehen. Den blanken Cutlaß in der Rechten, kletterte ich mit wildem Herzpochen hinab, dorthin, wo Raffzahn am Rundteich seine Sünden beschaute, falls er noch ein Gewissen hatte. Von der Höhle bis an jenen Teich ist es nicht weit, aber so viele Felsklötze, Aschengruben, Löcher und andere natürliche Hindernisse liegen dazwischen, daß ich auf halbem Wege innehielt und mich ausruhend hinsetzte. Und lauschte. Nur das Donnern der See und die Echos! Einmal war es allerdings, als hörte ich ein feines, sonderbares Knistern. Aber das war Täuschung. Plötzlich verstärkte sich mein Unbehagen, und ich glaubte, daß ich nicht mehr allein sei, sondern irgend jemand mich in böser Absicht belaure oder beschleiche. In allernächster Nähe. Ich fuhr herum, und mein Herzschlag setzte sekundenlang aus, denn dort saß, kaum zwei Schritte von mir, auf dem Schlackenhügel ein widerliches Geschöpf. Dann erkannte ich es: eine Krabbe von gut einundeinhalb Fuß Breite oder Länge, mit viereckigrundem safrangelbem Panzer, der im Sternenlichte krankhaft schimmerte. Mit riesigen Scheren, die auf- und zuklappten. Die langen Fühler wippten, zitterten tastend, und knopfartige Stielaugen starrten mich wissend, aufmerksam an. Ein unangenehmer, scharfer Geruch drang mir in die Nase. Und jetzt setzte sich das Untier in Marsch, stelzte auf mich los. Ich erwachte aus meiner Erstarrung. Der Cutlaß krachte in die safrangelbe, mit Auswüchsen und Höckern versehene Panzer179
schale. Das widerliche Geschöpf stieß einen hellen, dünnen, seltsamen Laut aus, die Scheren zuckten ein paarmal, während aus der klaffenden Panzerschale die Gallerte quoll. »Pfui Teufel, was für ein Zeitgenosse bist du! Mit deiner Schere könntest du ja einem Mann den Arm glatt abkneifen!« murmelte ich. Und fuhr abermals herum. Da war ja noch eine! Und dort balancierte eine dritte, und drüben saß die vierte und fixierte mich teuflisch. Lauter über einen Fuß lange und breite Riesenkrabben, die mich anstarrten und sich plötzlich, wie auf Geheimbefehl, alle auf mich zu in Bewegung setzten*). Binnen einer Minute hatte ich sie zerschlagen. Aber es kamen noch mehr. Von überall her kamen sie, wie sonderbare, zum Fürchten aussehende Myrmidonen Satans herangestelzt. Das seltsame Knistern, das mit dünnem Klang den Brandungsdonner durchschnitt, rührte von den Steinchen her, die unter ihnen wegrollten, wenn sie sich bewegten. Als sie ihre toten Artgenossen sahen, fielen sie darüber her, balgten sich, und ich sah, wie ihre Kneifzangen mühelos eine dicke Panzerschale zerdrückten. Nein, ich möchte keinen Finger oder Arm zwischen den Waffen dieser Bestien haben! Mir wurde schlecht, und beinahe hätte sich mein Magen umgestülpt, denn ich dachte auf einmal siedendheiß an Raffzahn. Jener Hilfeschrei im Traum, das war er gewesen! Ich eilte nach dem Teich, erlegte unterwegs eine Menge der mich angreifenden, immer zahlreicher werdenden Tiere, und schließlich war es mir nur mittels einiger Sprünge und fortwährenden Tötens möglich, den Teich zu erreichen. Was ich dort sah, war so schrecklich, daß ich fast die Waffe fallen ließ, um erschüttert die Hände vors Gesicht zu schlagen. Ich stand auf einem eckigen, dicken, kurzen Basaltstück, das die Krabben nicht erklimmen konnten, und schaute . . . *) Die großen safrangelben Krabben sind die einzigen Tiere mit Ausnahme der Möwen auf Trinidad und existieren auch heute noch in Mengen, da die Insel unbewohnbar ist und sehr selten von Wissenschaftlern besucht wird. Sonst kümmert sich niemand um diese Portugal gehörende phantastische Insel im Südatlantik. Auch die Schatzsuche hat schon vor dem Kriege ausgesetzt.
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Raffzahn stand nicht mehr in Fesseln halb aufrecht an den versteinerten Stamm gebunden. Er war überhaupt nicht mehr da. Dort, wo er, nachdem die Schnüre durchgekniffen waren, hingestürzt, da wogten jetzt sich hebende, ruckweise quirlende, knisternde Safranleiber, klickten gewaltige Zangenscheren . . . Nein, von Raffzahn war nichts mehr zu sehen, das, was von seinem sterblichen Leibe übriggeblieben, war bedeckt von Dutzenden und Hunderten von Riesenkrabben. Und es knisterte und stank säuerlich, und das Meer orgelte, und die Echos zuckten hallend nach allen Seiten und kamen und gingen wieder. Sternenlicht erhellte alles, und die Schatten der ruhelosen Wolken dort oben waren tintenschwarz auf dunkelblauem Grunde. »Vergib, Mensch, vergib! Denn das habe ich nicht gewollt!« flüsterte ich, und Tränen rannen aus meinen Augen, als ich wie behext dorthin stierte, wo unter sich balgenden Höllengeschöpfen die Überreste meines Freundes verborgen lagen. Freundes? Gewiß! Sicher hätten wir uns ausgesöhnt, wären in dieser furchtbaren, gigantischen, uns gefangenhaltenden Satanslandschaft Freunde geworden. Zu spät! Ich fing an zu kotzen wie ein Schiffsjunge in der Biscaya. Rings um meinen erhöhten Stand lauerten einige Dutzend Teufelsgeschöpfe unbeweglich, ihre Stielaugen auf mich gerichtet und die Panzerleiber auf den Stelzbeinen hochgereckt, und es schien mir, als könne ich ihre schrecklichen Gelüste, die für sie ganz natürlich waren, spüren . . . Mit einem Satz war ich unten, der Cutlaß krachte durch Panzer, Gallerte spritzte, Scheren flogen abgehauen davon, dünne, unirdische Töne sickerten über das Toben der Elemente, es stank, und einmal durchjagte mich ein starker Schmerz, als eine Zange ein Stück Fleich aus meiner Wade kniff. Ein Hieb, und das Untier war erledigt. Dann war ich durch, traf nur noch einzelne der Krabben, die mich alle annahmen, denen ich aber einfach aus dem Wege ging, denn laufen können sie mitnichten. Noch in innerer Erregung zitternd, saß ich nachher auf den Decken, hatte das Feuer geschürt, daß es purpurne Schlaglichter 181
in den Höhlengrund warf. Und verband mein ziemlich verletztes Bein. Langsam beruhigte ich mich und wußte, die Bestien konnten nicht zu mir vordringen, weil ein für sie unüberbrückbarer glatter Lavariegel eine Sperre bildete. Außerdem schützte gewiß das Feuer. Mit bebenden Händen führte ich die Rumpulle zum Munde und trank lange. Nachher füllte ich die Pfeife. Und lag rauchend am Feuer, starrte hinaus über die wilde, rollende Brandung auf das ruhige, leuchtende Meer und dachte darüber nach, ob er wohl sehr gelitten hatte . . . Fröstelnd erwachte ich, als der Tag längst angebrochen war. Zögernd stieg ich hinab an jenen fürchterlichen Ort. Die Riesenkrabben von Trinidad sind Nachttiere wie ihre Artgenossen, jene kinderkopfgroßen Landkrabben der Antillen, die mit ihren Scheren mühelos Kokosnüsse zertrümmern, um an das süße Innere zu gelangen. Keine einzige war mehr zu sehen, und von denen, die ich getötet, lagen nur einige Panzerreste, Beine und Scherenstücke umher. Und dort am grünen Weiher fand ich, was von Raffzahn übriggeblieben war. Knochen und Knöchelchen, der von eisern kneifender Scherenzange zertrümmerte leere Schädel, etliche Metallknöpfe und Kleiderfetzen, auch die Schuhe. Eine metallene Tabaksdose und die Pfeife, ein Messer, ein silberner Fingerhut und ein winziger Kompaß - alles ziemlich zerstreut auf der schwarzen, starren Lava. Ich wuchtete einen Lavablock aus der Asche und sammelte die Überreste, warf sie dann alle in das entstandene Loch. Kantete den Block wieder drüber. Zog den Hut und sprach ein Gebet für Raffzahn und eines für mich. Im Gebet ist oft Trost. Genau wie im Rum, oder noch mehr. Das spürte ich und ging zwar nachdenklich, aber ohne innere Angst nach der Höhle, wo ich mein Frühstück bereitete und dem Trost Gottes mit einem Schluck alten Jamaikarums frische Brise in die Segel gab. 182
Satans Thronsessel, die Insel Trinidad, an deren Falten ich einsam und insektenklein hauste, ragte buntfarben zum Himmel, und oben wogten Wolken um rote und schwarze zerklüftete, unersteigbare Zinnen. Vögel kreischten, Steinschlag polterte und krachte. Der Ozean brach seine mächtigen Wogen tosend an der schrecklichen Steinküste, und ringsum hallten die ruhelosen Echos . . .
MEERMAID Männer, die, vom Ollonois auf winzigen Sandkeys (Inselchen) in der Jardinillossee vor Florida maroniert, nach wenigen Tagen oder Wochen elend zugrunde gegangen wären, wenn de Lussan und Edward Mansfield von Port Royal sie nicht zufällig entdeckt und gerettet hätten, erzählten mir einst auf Tortuga, daß sie kleine Muscheln in eine Grube legten, um die tägliche Zeitrechnung nicht zu verlieren. Das habe ich mitnichten nötig, denn ich besitze Schreibmaterial und mein Kalender besteht aus einem Tintenstrich auf einem Pergamentbogen. Heute, wo ich die weiße Meermaid aus der tiefen roten Bucht zu mir emporlächeln sah und fast verrückt geworden und hinab in den Tod gesprungen wäre, zählte ich einundneunzig Striche. Drei Monate . . . Hei, ein Meerweibchen? fragt ihr . . . Nun, ja: allmählich hatte ich gewisse Landbeine bekommen. Ich hütete mich nur, nachts woanders als in meiner Höhle zu schlafen, weil man vor den großen Safrankrabben wirklich nicht sicher ist. Ich glaube bestimmt, daß ein eingeschlafener Mann, der von ein oder zwei Dutzend dieser infernalischen Geschöpfe gleichzeitig angegriffen wird, nicht mehr davonkommt, weil der plötzliche Blutverlust zu groß ist . . . Nun, nachdem ich die Landbeine bekommen hatte, ging ich oft dreist auf Erkundung aus. An die Geräusche der Natur hatte ich mich etwas gewöhnt. Und der ich anfangs überhaupt nur den Brandungsdonner, Steinschlag, Seevögelgekreisch und to183
bende Echos vernahm, konnte bald neben diesen Lauten auch das Rollen eines Steinchens, das teuflische Knistern der Krabben und das Geprassel meines Feuers vernehmen. Die Nordseite der Insel, wo ich gelandet, hatte ich erforscht so weit wie möglich, denn der größte Teil ist wegen Steilheit, Steinlawinen oder Abgründen und tiefen Aschenlöchern unerkundbar. Im Süden und Osten ist's auch nicht besser. Nur der Westen ist ein wenig zugänglicher, es gibt dort sogar angeschwemmtes Erdreich, auf dem einige traurige, sehr zerzauste und kaum lebensfähige Büsche zu einer üblen Existenz verurteilt sind. Auch ein Bach ist dort und stellenweise Flachstrand, dem Riffe und Korallen vorgelagert sind. Es wimmelt dort von angeschwemmten Treibgütern : Wrackteilen und dergleichen. Leider keinerlei Proviantfäßchen oder so. - Hier südlich der Insel verläuft der Kurs der Europaschiffe nach dem Kap der Guten Hoffnung und weiter nach dem Goldlande Calicut, Zipangu, den Gewürzinseln und anderen Wunderplätzen, von denen Marco Polo, später Vasco da Gama und etliche andere, darunter auch Francis Drake, erzählt haben. An dieser Westseite von Trinidad ist's also ein wenig netter, obwohl man es mitnichten schön nennen darf, denn diese verfluchte Insel ist ein Wahrheit gewordener Alptraum. Und da ich das Gefühl habe, nur im Norden könnte eventuell ein Schiff in Sicht kommen, blieb ich geruhsam in meiner ersten Höhle wohnen, anstatt im Westen eine neue Wohnung zu suchen. Apropos, dort entdeckte ich unweit vom Strande drei übermannshohe, von Menschenhand errichtete Steinpfeiler und fand auch etwas weiter davon eine Hacke, deren Stil zwar abgefault, aber die gewiß nicht älter als zwei Jahre war. Der Gedanke, daß Piraten oder sonstige Küstenbrüder auf dieser Insel, die, wie ich schon sagte, die allergeeignetste wäre, um einen illegalen Schatz zu verbergen, gelandet und ein Depot von Pieces of eight gebaut haben, liegt nahe. Doch maß ich dem weiter keine Bedeutung bei, man kennt ja meine Einstellung, und ich hätte mit Freuden den größten Schatz gegen ein Tönnlein alten Rum - meine Pullen gingen 184
leider zur Neige - oder eine sonstige Proviantergänzung eingetauscht! Gewiß hungerte ich mitnichten, obwohl die Brutzeit der Fregattvögel und Albatrosse und anderer mächtiger Seevögel beendet war und nur noch wenige Nachzügler an unzugänglichen Stellen hockten. Jedoch hatte ich tüchtig unter den Eiern aufgeräumt und mir probeweise - ich weiß ja nicht, wie es ausschlägt - einige Tausende in verschiedenen, von der Natur geschaffenen Felsentrichtern und Mulden in Kalkbrühe eingelegt . . . Übrigens verteidigen sich die Tiere bis aufs äußerste, wenn man ihre Brut zu rauben versucht. Und ein Flügelschlag von einem Albatros oder einer Fregatte, beides Vögel, die gute dreieinhalb Yards klaftern, wirft einen starken Mann um, als ob's ein Holzkegelchen wäre. Von den Albatrossen hatte ich ungefähr ihrer dreihundert getötet, sie aufgeschnitten und ausgenommen, mit Salz bestreut es gibt Salz in den verdunsteten Seewasserteichen - und über Feuer und Rauch boucaniert. Des feuchten Klimas wegen, da es jeden Tag etliche Male regnet, mußte ich besagtes Dörrfleisch an Schiemannsgarnbändern in eine zweite Höhle hängen, die den Krabben nicht zugänglich ist, und alle paar Tage ein großes Feuer darin anzünden, um den Schimmel abzutöten. Man sieht daraus, daß ich auf meiner Insel nicht müßig ging. Und zum Nutzen und Frommen etwaiger Nachfolger will ich sagen, daß Albatrosse und Fregatten sehr zähe und tranig sind und daß von den also getrockneten am besten die Brustteile schmecken. Wenn man sie mit Speck kocht . . . Muscheln, darunter große und eßbare, wirft das Meer eigentlich ununterbrochen auf den schmalen Sandstreifen. Ich fand genügend, um jeden Tag davon zu leben, falls es nötig gewesen wäre. Doch man muß dieses schmackhafte Strandgut immer rasch ernten, und am frühen Morgen ist nichts mehr da, weil die Krabben kommen und nur zertrümmerte Schalen übriglassen. Ebenso geht es mit den Fischen. Der Schwall wirft wohl jeden Tag allein an der kleinen Sandstelle 185
dreißig Fische aus, die halbtot oder noch springlebendig sind. Lauter fette, gutschmeckende armlange Burschen einer Makrelenart. Im eigenen Fett über langsamem Feuer gebraten, sind diese Fische ein Gericht, nach dem man sich wohl die Finger abschleckt! Ich habe ausgeklügelt, daß die Sache folgendermaßen vorgeht: ganz kleine Fische existieren keine rund um Trinidad, weil der starke Wogenprall auch bei draußen ruhigster See sie einfach totschlägt. Den großen, starken tut es keinen Schaden, aber solchen, wie eben beschrieben, die es in Menge hier in dem südlichen Meere gibt und die ihre Freßgier zu weit in die tobende Gewalt des Schwalls und Sogs treibt, so daß sie unweigerlich an den Klippen zerschellen oder an den Strand geworfen werden. Auch diese Fische muß ich immer rasch sammeln. Am Tage holen die Seevögel sie und des Nachts die großen Krabben. Es gibt - und das ist keine Lüge! - so viele dieser Riesenkrabben auf Trinidad, daß es nachts stellenweise sehr gefährlich ist, spazierenzugehen. Ich habe probiert und erlebt, daß eine Krabbe, der ich eine zolldicke eichene Wrackplanke hinhielt, diese vor Wut, weil sie nicht an mich gelangen konnte, an der Stelle, wo ihre Zangenschere zupackte, zersplitterte. Gewiß schmecken diese Schaltiere gar nicht übel, und an einem vermögen sich zwei Männer zu sättigen. Aber ich brachte es nicht fertig, mal eine zu rösten oder zu sieden, weil ich an Raffzahn denken mußte und mir selber wie ein Kannibale vorkam . . . Aber die Geschichte mit der Meermaid sollt ihr nun hören: auf einer meiner Klettereien hatte ich mich bös verstiegen. Und sah über mir dräuende glatte schwarze und rote Steilwände wie wunderbare, von jähen Klüften gespaltene Mauern. Zu beiden Seiten Abgründe, aus denen knallgrüne, brennendrote und lackschwarze Steinnadeln ragten, Schlackenhalden und erstarrte Lava wie sanftgewellter Meeresschlag. Weiter vorne war die See, und an einer Stelle spritzte kein Schaum, der sonst überall emporrauscht und unglaublich hohe Klippen überrieselt. Dort schien eine Bucht zu sein. 186
Weiter in die Höhe konnte ich nicht mehr, ausbiegen auch nicht, aber vielleicht fand sich dort näher dem Meere zu ein Abstieg. Und wie ich überhaupt da hinauf gekommen bin, ist mir heute noch ein Rätsel. Es sei denn, mich trieb der dunkle Drang, der mich manchmal rätselhaft beherrscht: jene furchtbaren, unnahbaren, etliche tausend Fuß hohen roten und schwarzen, von Dünsten umwallten Zinnen - Satans Thronsitz - zu erklimmen und erkunden . . . Ich rutschte, kroch und sprang, und jede Minute hätte ich in eine Höllenspalte stürzen können. Ich nahm mir fest vor, wenn ich glücklich herabkäme, nie wieder solche Torheit zu begehen, und heureka! das Gelände besserte sich, ich entdeckte wirklich eine Chance, ziemlich ungefährdet über einen kantigen, im Guß geronnenen und erkalteten Schlackenhang nach unten zu kommen. Und da nun meine Retirade ziemlich gesichert schien, klomm ich erst mal näher an den Küstensaum, um hinabzuspähen, ob es dort eine Bucht gäbe. Nach einer Viertelstunde lag ich dicht am Abgrund, nur von einer natürlichen, dreißig Zoll hohen Lavabrüstung, wie in einem Amphitheater, vor dem Absturz in die schauerliche Tiefe gesichert. Schauerliche Tiefe!, obwohl es höchstens hundertundfünfzig Fuß von der senkrecht abstürzenden Wand bis zum Wasserspiegel sein mögen . . . Und ich dankte Gott, daß die Lavabrüstung mich vor dem Abrutsch bewahrte, denn mir wurde schwindlig. Denkt euch eine länglichrunde Bucht. Ein Kessel von vielleicht zweihundert Fuß an der breitesten, respektive längsten Stelle und kaum dreißig an seiner engsten, die einen langen Flaschenhals in Verbindung mit dem Meere bildet. Sonst ragen überall glatte, wie polierte, senkrechte karmoisinfarbene Felsen um diese Kesselbucht in die Höhe. Draußen an beiden Seiten spritzt der donnernde Schwall jäh sinkend und steigend im unendlichen Rhythmus zweihundert Fuß hoch und darüber, schleudert kompakte, vom Winde abgerissene Schaummassen durch die Luft, 187
so daß sie weißblitzend herabstürzen und, unten im Kessel sich auflösend, in blitzendem Regenbogen vergehen. Und denkt euch das tiefe, tiefe Wasser, in diesem Kessel vom Widerschein der roten Wände bestrahlt, als eine rote, von grünlichblauen und goldenen und violetten Lichtern durchzitterte Fläche! Die keine Welle schlägt, sondern, vom draußen wuchtenden Schwall zusammengepreßt, ununterbrochen gleich einer öligen Masse mit saugendem, schmatzendem Geräusch auf- und niederschwappt. Und dort unten, beim großen Dunstan!, winkte und lächelte aus rosigem Kessel herauf, auf- und niedertauchend, eine schwimmende Meermaid*). Tief unten, aber deutlich und scharf sich abzeichnend, sah ich sie ohne Zweifel! Ein weißes, rosigbestrahltes, vollbusiges Weib, die Haare von hellstem Weißgold! Sie schwamm dort unten aufrecht im Wasser, tauchte ab und zu bis an die Hüften heraus, lächelte und lächelte und schien auch zu winken . . . Es überrieselte mich kalt und heiß. Ich lehnte mich über die Lavabrüstung, starrte hinab und wartete darauf, daß das Meerweib nun auch zu singen begänne . . . Und war so durcheinander im Brägen und gleichzeitig voller heißer Sehnsucht nach irgendeinem Wesen, welches menschlich oder menschenähnlich sei, daß nur ein winziges Restchen meiner Vernunft mich davor behütete, mit einem Kopfsprung der Meerfrau an den weißen Busen zu stürzen! Ich legte die Hände trichterförmig vor den Mund und rief sie an. Aber die Brandung donnerte, und im roten Kessel unten schwappte das rotschillernde Wasser, und jenes üppige Meerweib lächelte stumm und wiegte sich auf der gleichen Stelle. Ich weiß nicht, wie lange ich hinabgeschaut und was meine Gedanken waren, was für Unsinn ich ihr zugebrüllt! Gott, der überall ist, bewahrte mich vor dem Schlimmsten. Denn das Wasser unten schwappte einmal besonders hoch und dann naturgemäß wieder zurück, und die weißrosige Frau *) Man bedenke, daß der Erzähler sich im 17. Jahrhundert befindet, einer für die einfachen Menschen „wunderreichen" Zeit!
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tauchte sekundenlang hoch aus dem sich bildenden Trichter. Ich sah plötzlich, daß sie keine Beine, auch keinen Fischschwanz hatte. Sondern dicht unterm Nabel war eine hölzerne Querleiste, um die ein dunkles Tau sich in die Tiefe spannte . . . Es fiel mir wie Schuppen von den Augen, und ich wußte nun, daß jene winkende, wunderschöne, vollbusige Meermaid nur die weißgestrichene Gallionsfigur eines Schiffes war. Ob das ganze Wrack durch den engen Eingang in die Bucht geworfen wurde und dort unten in der Tiefe liegt oder ob nur ein Trümmerstück sich unter Wasser am Korallengezack verfing und gleichzeitig das Tau, welches jemand, um vielleicht ein in Seenot ausgesetztes Boot daran zu halten, um das untere Ende der Figur geschlungen hatte? Jedenfalls ist das Tau unter Wasser verankert, und die Holzfigur strebt nach oben und wiegt sich und winkt und lächelt an der Oberfläche und wird durch die Bestrahlung, den seltsamen Ort und des Ausgesetzten Phantasie zum Meerfräulein, dem er sich fast an den tödlichen Busen gestürzt hätte. Glücklich kam ich hinab und suchte meine Wohnhöhle auf, wo ich Erbsensuppe mit Speck und Albatroseinlage aufsetzte. Dann meine Pfeife rauchte, denn Tabak hatte ich noch für viele Monate und brauchte einstweilen mitnichten zu sparen. Und ein Nösel Rum schlürfte, denn nach diesem Abenteuer hatte ich einen heilsamen Schluck der Gottesgabe bitter nötig . . .
LOBLIED Tabak ist Seelenmanna und Ambrosia der Philosophen, Denker und Phantasiereichen! Rum, alter, jahrelang in Tonnen gelagerter und dann in Korbflaschen gefüllter Jamaicarum, ist Nektar und Lethe in der Spanischen Main und sicher bald über die ganze Welt, denn es gibt nichts, das dies Getränk an Köstlichkeit überträfe! Dank dir, Freund Braddon, der du mit deinen klobigen Händen so weich meine Wunden heiltest! Dank dir, Freund Jack, und 189
der Himmel behüte dich davor, daß du einst weiße Ratten und Mäuse siehst, wo keine sind! Dank euch beiden Devonmännern für den alten Rum, den ihr mir hergeschmuggelt . . . Hier auf meiner Insel - denn wer macht sie mir streitig? - in meiner vom Feuer angenehm durchmollten Höhle, umtobt von Echos und vom Lärm der Brandung, Seevogelkreischen und Steinschlagknattern, besucht von den Schemen der Erinnerung, geneckt von den Wunschträumen der Zukunft und bedroht vom Düster der Gegenwart, da sitze ich und schlürfe den dunkelgoldenen, wonnesam duftenden Rum und rauche dazu das Kraut aus Virginien. Und während ich also schlürfe und vorne im Eingang der Höhle das wärmende Feuer karfunkelrot glüht - auf dieser verfluchten Satansinsel im einsamen Meer, die mir trotzdem Nahrung und Leben und Unterkunft schenkt - sehe ich mannigfache Bilder vor wunschkräftigem Auge: Schwarze und weiße Sklaven (englische und französische Staatsverbrecher für die westindischen Plantagen), wie sie das Caña (Zuckerrohr) mit schwertartigen Machetemessern fällen. Die purpurn bereifte Art und die andere hellgrün und golden bereifte Art. Und wie Esel und Maultiere, die so gerne die Schwertblätter und das ausgepreßte hollunderartige Rohr fressen, mit den schweren rauschenden Bündeln zur Mühle ziehen. Und wie ein anderer Esel geduldig mit verbundenen Augen um die Presse im Kreise läuft. Halbnackte Männer füttern die Querzähne der Maschine mit den Zuckerrohrstäben, und dick fließt der Saft aus dem Trichter und lockt Bienen und Wespen herbei, und kleine nackte Bübchen tunken die Finger ein und schlecken sie strahlend ab. Und aus dem süßen Saft wird entweder die Form der Miniaturzuckerhütchen von dunkelbrauner Farbe mit muschelbruchartigem Glanz - oder es destilliert daraus der junge, das Gehirn des unweisen Trinkers versengende, in wahnsinnigen Aufruhr versetzende und nachher seinen Magen umstülpende Rum. Rum! Der, in Eichentönnchen gefüllt, jahrelang lagert und dann duftend und milde wird und wunderbar schmeckt und des Men190
schen Seele und Gemüt heilt und aussieht, als hätte er das Licht und den funkelnden Tau schillernd in sich aufgefangen . . . Rum! Wäre ich ein Dichter wie weiland Forster auf Tortuga, so würde ich viele Loblieder über den Rum schreiben. Schönere und schrecklich süßere als die Ilias. Und auch das Kraut Tobago würde ich besingen, und zwar jenes am meisten, das in Virginiens, von wilden Indios umschlichenen Plantagen mannshoch wächst und mit seinen entzückendschönen rosa Blütendolden, die leise duften, diese Pflanze zu einem wahren Schmuckstück der Natur macht . . . Hoch über mir ragt Satans Thron schwarz und rot aus wirbelnden Dünsten zum blauen Himmel. Die Brandung brüllt, Steinlawinen rasseln manchmal endlos, und draußen ist der Ozean glatt. Und blau und golden und leer. Kein Segel darauf. Ganz leer, leer . . .
SILBERBARREN AUS PERU Wieder habe ich den Westrand besucht. Dort stehen die drei Steinpfeiler. Ihre Kanten sind nach der Windrose ausgerichtet. Nord und Süd und West weisen ins Meer, und Ost zeigt seitwärts, einem Hange zu. Dort liegt auch die alte Hacke. Mühsam stieg ich bergauf und dachte wehmütig, daß meine Schuhe, die durch die Kletterei über die Lavafelder der Insel stark mitgenommen sind, nun bald von den Füßen fallen und ich aufs Barfußlaufen beschränkt werde. Ohne Mühe fand ich eine Höhle, ähnlich der meinen, die in einer Steilwand klafft. Im Innern standen drei riesige Eichenholztruhen, mit schweren Eisenbändern und Schlössern gesichert. Auf jeder lag ein blanker Totenschädel. Auch ein nettes Tönnlein stand in der Ecke, dessen Spund mich bei weitem mehr anlockte als jene großmächtigen Truhen. Weshalb ich ihn vorsichtig herausstemmte und als Inhalt - freudig überrascht - guten spanischen Rotwein entdeckte, 191
meinen Becher füllte und einen Tropfen schluckte. Alles andere mochte warten. Endlich tat ich die Totenköpfe, die ein humorvoller Pirat gewiß draufgelegt, herunter und brach mit der Axt die Schlösser auf. Ich hatte angenommen, daß die Truhen Pieces of eight enthalten würden, es waren aber nur aufeinandergestapelte Ingots; Silberbarren, grauschwärzlich patiniert. Jeder von Spannenlänge, etwa drei Zoll breit und einen dick. Und alle mit dem Prägestempel der San Louis Potosiminen von Peru und Bolivia versehen. Silberbarren! - Ich nahm mir die Mühe, sie zu zählen, doch beileibe nicht gleich. Und fand, daß es genau Viertausendundzwölf sind. Ein beträchtlicher Schatz, um den gewiß mancher arme Indio wie das liebe Vieh verreckte, etliche spanische Kehlen geschlitzt wurden und mancher Mutter Sohn, für den im fernen Europa gebetet wird, aus der blauen unergründlichen Tasse der Spanischen Main trinken gemußt . . . Jene Kerle, die den Hort hier versteckten, werden eines Tages wiederkommen und mich entweder mitnehmen oder, wenn sie entdecken, daß ich die Truhen aufbrach und ihren Wein trank, mich aus Wut umbringen. Ich faßte daher den Entschluß, die Westküste zu meiden, sobald ich das Fäßchen abtransportiert habe. Nahm mir auch vor, künftig mein Feuer abends abzublenden. Denn diejenigen, die mich zu suchen kommen - ich meine die Richtigen! - werden warten, bis es Tag ist. Aber dann fiel mir ein, daß der Schatz dem verhaßten Kahlkopf gehören mag. Er hat doch geprahlt, er kenne die Insel, und hat mich gewiß an der Nordseite ausgesetzt, damit mich die Krabben fressen oder Trübsinn mir den Garaus mache . . . Der Gedanke, daß die Silberbarren des Halunken bluttriefendes, zusammengemordetes Besitztum sind, festigte sich in mir. Und im Laufe mehrerer Wochen schaffte ich den Schatz, der so unscheinbar aussieht, in meine Vorratshöhle. In die leeren Kisten legte ich die Totenköpfe. Und die Zeit verging. Im allgemeinen ein Einzelgänger, sehnte ich mich doch oft nach irgendeiner Gesellschaft. Wenn ich nur 192
einen Hund oder einen Papagei hätte! Derartige Vögel gibt es aber nicht auf Trinidad, und der Versuch, eine junge Fregatte zu zähmen, mißlang aufs kläglichste. Das arme Tier verhungerte mir unter den Händen, weil ich es nicht richtig kröpfen konnte. Mehr als mir lieb, mußte ich zuweilen an La Bruna, Josita, Isabella und andere Schöne denken, und glühende Sinnenträume plagten mich. Auch meiner Bücher gedachte ich wehmütig, und ob Esquemelin noch lebe! Denn es sind ja schließlich nur Monate vergangen, jedoch, wenn man allein auf einer Insel wie dieser maroniert ist, so gleichen die Tage Monaten und ein Monat wird zum Jahr. Daß ich nicht verrückt wurde, verdanke ich gewißlich nur meiner Schreibkunst. Sie nimmt viel Zeit in Anspruch, und dabei vergesse ich alles Bedrückende und erlebe still beschauliche Freude. Gegen Ende des sechsten Monats hatte ich nur noch eine halbe Pulle Rum und zwei Pullen Spanierwein aus dem Fäßchen, die ich für Krankheit aufspare. Mein Tabakvorrat ist zwar noch beträchtlich, aber eines Tages wird die Stunde kommen, da ich das letzte Krümelchen in die Pfeife stopfe. Ersatz gibt es keinen, Seegras wächst mitnichten hier. Speck und Käse und Hülsenfrüchte sind längst alle. Die Pièce de résistance ist boucanisierter, nicht sonderlich mundender Albatros, Muscheln und Fische. Die Eier sind verfault. Üble Zeiten nahen, und Schwermut nebst Verzweiflung beginnen ihre drohenden Häupter im Hintergrunde der Gegenwart zu erheben . . . Neulich wehte der Vater aller Orkane. Auf meiner Insel war es wie die brüllende Hölle. Und zwar durch den schreckenerregenden Aufruhr, den er erzeugte. So fürchterlich hat die hier nie ruhige Brandung noch nicht getobt! Sie knallte und donnerte und zischte schaurigschön durch das matte Leuchten der Nacht, und große kompakte Schaumfetzen flogen wie schwere Tücher bis vor den Eingang meiner Höhle. Unten, wo sonst der Sandstreifen ist und seitlich die natürlichen Wunderkathedralen und Säulengänge der Basaltgebilde stehen, wiegte sich grünlich phosphoreszierendes, aufschäumendes Meer. Von draußen kamen die 193
mächtigen Brecher herangerollt und klatschten gegen die Insel, als wollten sie sie zerreißen. Ein Halbmond schimmerte zeitweilig kläglich durch zerfetzte schwarze Wolken, streute hellgelben matten Schein auf den Aufruhr. Die drei Felseneilande Martin Vas waren fast die ganze Zeit unter Gischt verborgen. Blitze zuckten, aber ich hörte keinen Donner, weil die anderen Elemente jeden Laut durch ihren Lärm verschluckten. Ich saß trocken am Feuer meiner Höhle und war der Güte des Schicksals dankbar. Einmal stand ich auf und eilte hinab. Vor dem Lavariegel, der meine beiden Höhlen gleich einer künstlichen, schwarzpolierten Lavamauer umgibt, staute sich spukhaft häßlich Satans Myrmidonengewimmel! Im Schein der blauen Blitze und dem Fahlgold des zeitweise hervortretenden Mondes leuchtete immer wieder das grausige Bild hell auf, und mein Herz klopfte schneller, und die Rechte stahl sich an den Cutlaß. Dort draußen, dicht vor mir und eng nebeneinander, ihre Stielaugen teils auf mich, teils gegen den jähen, glatten, unerklimmbaren Absturz gerichtet, wimmelten, so dünkte es mir, sämtliche Riesenkrabben der Welt. Belagerten mich und hatten die Absicht, mich lebendig in kleine Happen zu zerreißen und aufzufressen. Es waren nicht Hunderte, sondern wirklich Tausende, und ein ängstlicher Mann, der unüberlegt handelt, wäre diesen Bestien, deren Augen schwach phosphoreszierten, einfach in die Scheren gerannt, weil der Anblick ihn kopflos, verzweifelt und wahnsinnig gemacht hätte. Nun bin ich zwar, wie man sich erinnern mag, etwas ängstlich und feige, aber mitnichten unüberlegt und rasch . . . Nie in meinem Leben möchte ich solchen Anblick nochmals haben. Bedenkt: der höllische Lärm in der Runde, der meine Ohren plagte, und dazu der Anblick der aufgerührten, immer mehr die flachen Stellen der Insel ersäufenden See mit ihren ungeheuren Brechern und das Spritzen und geisterhafte Leuchten, die sekundenlangen blauen und roten Blitze vor tiefschwarzer, 194
dunkler Wolkennacht ! Und vor mir, soweit ich nach rechts und links schauen konnte, bis zur unruhigen Wassergrenze, die langsam näherrückte, hinab, jene gespenstischen safrangelben, unförmlichen Bestien, von denen ich wußte, daß sie Raffzahn erbarmungslos gefressen haben. Auf ihren hohen Spinnenbeinen balancierten sie, und ihre schweren Zangenscheren bewegten, öffneten und schlossen sich taktmäßig. Natürlich hatten sie's in erster Linie nicht auf mich abgesehen, sondern waren von der See, die alles überschwemmte, aus ihren Schlupfwinkeln verjagt worden. Es sind ja Landkrabben, die zwar auch des öfteren ins Wasser gehen, aber nur in stilles. Nun suchten sie andere Plätze, und während sie woanders weiterkamen, die Schräghänge emporkletterten und wahrscheinlich zu Hunderten vom Geröllschlag zerschmettert wurden, führte bei mir kein Weg vorbei. Die senkrechte Wand hielt sie auf. Aber sie witterten gewiß auch die ziemlich stinkenden, getrockneten Albatrosse nebenan - witterten und sahen nun auch mich. Ich sorgte mich, daß sie schließlich aufeinander- und übereinanderklettern und so eine Art Brücke bilden würden, über die dann die andern Tausende sich mühelos auf mich stürzen konnten. Dann wäre ich binnen Minuten zu Boden gerungen und auf gräßliche Art ums Leben gebracht worden, und nur etliche Knöpfe und dergleichen von mir übriggeblieben. Gott sei Dank sind diese bösen Geister von Trinidad nicht so ameisenklug! Stundenlang starrten wir uns im Scheine der Blitze und des zeitweiligen Mondes gegenseitig an, und ich hätte voll grauser Neugierde viel darum gegeben, ob sie wohl daran dachten, wie ich schmecken mochte, und ob ihnen dabei das Wasser im Rachen zusammenlief . . . Da ich stets einen erheblichen Holzvorrat in der Höhle habe, konnte ich sie mit Feuerbränden und auch, indem ich mich über den Wall beugte, mit Cutlaßhieben traktieren. Unterließ es aber bald, denn es war unschön anzusehen, wie die Verwundeten und Toten von ihren Genossen gefressen wurden, so daß nur die Panzer und Scheren übrigblieben. 195
Ich ging in den Hintergrund der Höhle und zündete mir eine mit Deckel versehene, gegen den Luftzug geschützte Schiffspfeife an, setzte mich aber bald wieder trotz des an mir zerrenden Sturmes auf den Lavawall und beobachtete die Teufelstiere. Der kommende Tag war trüb, wolkenverhängt und regensatt, und das wilde Meer sah drohend aus. Aber die Krabben verschwanden, hatten wohl einen Weg gefunden, der sie zu neuen Schlupfwinkeln führte. Am Nachmittag des zweiten Orkantages hellte der Himmel sich auf und greller Sonnenschein glühte über dem Wellenchaos. Doch flaute der Sturm erst während der Nacht ab, und es dauerte noch weitere zwei Tage und Nächte, bis die aufgeregte blaue Fläche draußen wieder zur gläsernen, glattwogenden Dünung wurde. Mein Strand war wieder trocken. Prächtige Fische, Muscheltiere und Treibholz lagen dort wie auf gedecktem Tisch. Ich habe mir während meines Aufenthalts auf der Insel immer wieder ausgemalt und vorgestellt, was ich tun würde, wenn ein rettendes Schiff mich holen käme . . . Ob ich einen tollen Freudentanz aufführen, mich heiser schreien, Freudenfeuer anzünden, Muskete und Pistolen losknallen oder in die Knie sinken und beten würde? Nun schwoite eine Woche nach dem Orkan an einem schönen Mittag draußen, ungefähr an der Stelle, wo seinerzeit die »Barrel and Tankard« beigedreht war, ein ähnliches Schiff mit dunkler Flagge im Mizzentop an der Gaffel aus dem Winde. Ein Kanonenschuß brummte. Dann kam ein Boot über die See gefiert und von taktmäßigem Rudern getrieben nach meinem Strand gesteuert. Und dann, o well . . . Ich rieb mir die Augen, dann stopfte ich meine Pfeife, drittens nahm ich einen guten Schluck Rum, und sodann schlenderte ich nach dem Strande. Und dachte eigentlich nichts Besonderes und Wunderbares, nur hoffte ich, daß es Esquemelin sei, der mich holte, und daß ich baldmöglichst auf Tortuga auf meiner Veranda sitzen und im Cervantes lesen möge . . . Der Bootssteuerer wußte Bescheid mit dem Fahrwasser. Sie 196
brauchten aber eine volle Stunde, bis sie heran waren. Vor Freude warf ich meinen Hut in die Luft, als ich meinen guten Braddon von der »Barrel and Tankard« erkannte und auch noch ein paar andere sah, darunter den jungen, weichherzigen, zum blutigen Piraten so schlecht taugenden Gascogner. Dennoch war das Schiff draußen nicht die »Faßundhumpen«, war nicht Kahlkopfs Kahn, von dem ich hoffte, daß er längst in der Hölle schmore. Ich watete, als ich's ungefährdet tun konnte, ihnen einige Yards entgegen, und als dann auf Braddons Befehl die Männer ihre Ruder ins Boot schmissen, als dieses hoch über mir auf dem Schwall wie eine Schaukel herunterkam und er abermals brüllte: »All Hands über Bord und angepackt!«, da half ich kräftig mit, die Gig außer Gefahr aufs Trockene zu pullen. Dann schüttelten wir uns stumm, einander leuchtenden Auges anschmunzelnd, die Rechte und knallten uns mit der andern Hand gegenseitig auf den Buckel und lachten . . . Auch die andern kamen dran, und die Frenchies, darunter der kleine Gaston, umarmten mich und küßten mir schmatzend die Wangen, nach ihrer merkwürdigen Sitte. Und alle waren wir sichtlich, ohne viel Worte, ein Herz und eine Seele . . . »Wo ist Kahlkopf und die >Barrel and Tankard