Band 2
Notruf von Terra Gehirnwäsche für Rex Corda! Mit
schlossenheit
allen Mitteln versuchen die O-
eines einzigen...
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Band 2
Notruf von Terra Gehirnwäsche für Rex Corda! Mit
schlossenheit
allen Mitteln versuchen die O-
eines einzigen Mannes, das ist
rathonen, jeden Widerstand auf
die Ausgangssituation für Rex
der Erde im Keime zu ersticken.
Corda im Kampf gegen die O-
Aber sie haben nicht mit dem Mut
rathonen.
und den Fähigkeiten Rex Cordas
terstützung können die Laktonen
gerechnet. Ihm gelingt es, sich
sein. Aber auch sie muß er erst
aus dem tödlichen Bann eines
für sich gewinnen. Sein Versuch
semibiotischen
zu
ist mit einem ungeheuren Risiko
befreien. Sein nächstes Ziel ist
verbunden. Erscheinen die Fein-
die Bildung einer Untergrundbe-
de der „Featherheads" zu früh,
wegung. Er will die Erde und die.
dann ist die Vernichtung der Erde
Menschen unseres Planeten vor
nicht mehr zu verhindern. M.
dem
Untergang
Wegener schildert in „Notruf von
retten. Überragende technische
Terra", was in diesen alles ent-
Mittel im Einsatz gegen die Ent-
scheidenden Stunden geschieht
fast
Conductors
sicheren
und
Seine
Tapferkeit
einzige
Un-
Die wichtigsten Personen: Rex Corda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . wird höchster Repräsentant der USA Will Rimson . . . . . sein Freund, sucht Cordas verschollene Geschwister Nukleon . . . . . . . . . . . . . . der telepathisch begabte Hund, hilft ihm dabei Thorp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ein recht merkwürdiger Geselle Sigam Agelon . . der Kommandeur der Orathonen, hat Schwierigkeiten
Sie empfingen die zermürbenden Hiebe der orkanartig tobenden Luft mit der Gelassenheit von Männern, die an extreme Notfälle gewöhnt waren. Das Raumschiff der Fremden kam unter betäubendem Krachen und Bersten herunter. Eine Sandwolke schoß zum Himmel empor. Sie riß mächtige Gesteinsbrokken mit sich. Der Tod raste über die Erde. Das Inferno kam von den Sternen, und es ließ sich mit den schwachen Kräften einer geschlagenen Menschheit nicht mehr aufhalten. Terra, seit wenigen Tagen zum Spielball zwischen den Fronten einer galaktischen Kriegsführung unvorstellbaren Ausmaßes geworden, erlebte eine Periode der „Einäscherung." Die Erde, Heimatwelt von annähernd 9 Milliarden Menschen, war unversehens zwischen die titanischen Mühlsteine zweier Fremdmassen geraten, die sich mit beispielloser Erbitterung bekämpften. Nur einer stellte sich ihnen entgegen: Rex Corda! Sein Ziel war es, die Erde vor der Versklavung und Vernichtung zu retten. * Rex Corda hatte sich beim ersten Orgeln der niederbrausenden Raumschiffteile rein instinktiv geduckt. In seinen blauen Augen zeigte sich keine Regung. Jenseits der hochwuchtenden Berge flammte es grell auf. Lohende Feuer-
strahlen rasten vom Himmel, griffen wie die ultrahellen Arme einer Nova nach allen Seiten und schleuderten eruptiv die Trümmer des Orathonenschiffes zurück. Rex Corda blickte zu Ga-Venga, in dessen Augen es fröhlich blitzte. Die drei Laktonen lagen mit unbewegten Gesichtern in ihren PneumoSitzen. Ga-Venga, der zwischen Laktonen und Menschen als Dolmetscher fungierte, trug seine übliche schwarze Kleidung, aus der ein schreiend roter Brustkeil hervorstach. Der Kynother fand die augenblickliche Situation geradezu köstlich. Selbst dann noch, als der Gluthauch einer titanischen Explosion den Gleiter packte und wie eine Feder durch die Luft wirbelte. „Ich finde das keineswegs komisch", sagte Rex Corda mit verweisendem Kopf schütteln zu dem amüsiert lächelnden Kynother. Ga-Venga stolzierte wie ein Pfau durch die Sitzreihen. Den Laktonen schenkte er keine Beachtung. Erst als der Sonnengleiter jäh wegsackte, griff er haltsuchend um sich. „Ich mag solche Situationen. Aber man darf wohl kein Terraner sein, um das zu begreifen, wie?" „Dieser Zwerg raubt mir noch den letzten Nerv", stöhnte Oberst Polley. „Können Sie ihn nicht bei nächster Gelegenheit hinauswerfen, Senator?" Rex Corda, Senator und Vorsitzender des einstigen US-Verteidigungsaus-
schusses, winkte müde ab. Der Sonnengleiter näherte sich Colorado-Springs. „Was ist eigentlich NORAD?" erkundigte sich Ga-Venga neugierig. . Rex Corda deutete mit der Hand voraus, wo Colorado-Springs langsam in die Aufnahme-Optik rückte. „Sie werden alles an Ort und Stelle erfahren", sagte er kurz. * Sie waren zu viert gekommen. In ihren Händen hielten sie hochwertige energetische Strahlwaffen. Sie nannten sich Orathonen, und in ihrer Gestalt glichen sie von weitem einem Menschen. Nur aus der Nähe zeigten sich die Unterschiede. Ihre Schädel waren von feinen blauschwarz schillernden Federn bedeckt. Olivgrüne Haut spannte sich über ihre quadratischen Gesichter. Die Orathonen entstammten einer Oligarchie, die mehr als 3600 bewohnte Planeten umfaßte. Sie waren expansionslüstern und von dem unbändigen Willen nach totaler Herrschaft besessen. Aber sie hatten auch viele Feinde. Ihre ärgsten: die Laktonen. Die Erde war für die Orathonen nur Mittel zum Zweck. Man würde sie restlos ausbeuten, man würde gewaltige Transmitterstationen auf ihrer Oberfläche errichten, dem Planeten alles rauben, was er besaß, dem Zentralgestirn SOL die Energie entziehen, die benötigt wurde, um die gewaltigen Bedürfnisse der Flotte zu sättigen. Rex Corda war die Ruhe selbst. Abel Th. Emerson, Kommandant des NORAD, hatte ihn hergerufen, weil die Orathonen dringend nach einer maßgebenden leitenden Persönlichkeit verlangt hatten. Emerson selbst wurde kalt übergan-
gen. Ein Orathone verhandelte nur mit höchsten Leuten der Regierung, wobei auch diese ihm keineswegs als gleichrangig galten. Daß das „Verhandeln" nur in einseitiger Richtung erfolgte, war klar. Die Orathonen wollten nur ihre Bedingungen diktieren, weiter nichts. Das war nichts als eine routinemäßige Formsache, die auf allen Planeten bisher reibungslos abgelaufen war. Man unterwarf sich und hatte seine Ruhe, denn der Mammut-Technik dieser überlegenen Rasse hatte man nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Die vier Orathonen standen drohend vor Rex Corda, der sich äußerlich gelassen gab. Ihre Simultanübersetzer baumelten vor der Brust. Die Geräte besaßen winzige Lautsprecher zur Wiedergabe umgeformter elektrischer Impulse. „Sie sind Rex Corda?" dröhnte es leicht verzerrt aus einem der Gerate. „Ja, natürlich. Ich dachte, Sie wissen das", bestätigte Corda. „Wir haben von Ihnen gehört. Sie verkörpern in diesem Kontinent die höchste Gewalt?" „So kann man es nennen. Ich bin der Nachfolger des Präsidenten, der jetzt..." Ein Orathone trat einen drohenden Schritt vor. Die langläufige Strahlwaffe ruckte hoch. Das energetische Abstrahlfeld begann bedrohlich zu flimmern. „Ich warne Sie! Sind Sie befugt, für den Kontinent zu sprechen, oder nicht?" „Selbstverständlich", sagte Corda kalt. „Da Sie jedoch auf meine Erklärungen verzichten, nun ja ..." Er machte eine unbestimmte Handbewegung. „Welche Staatsform haben Sie hier eine Diktatur?" „Nein. Unser Land wird demokratisch regiert."
„Es wurde", bemerkte der Orathone eisig. „Sie sollten die feinen Unterschiede beachten, Terraner. Ihre Staatsform wird hiermit für ungültig erklärt." Rex Corda betrachtete die grünen Gesichter. Sie, die Orathonen, wollten diesen galaktischen Krieg gewinnen. Terra mußte nun dazu herhalten, sie mit Rohstoffen und Energien zu beliefern, so lange bis der Planet restlos ausgelaugt war. Rex Corda haßte diese grünen, arroganten Gestalten mit den federnbedeckten Schädeln. Er ließ sich jedoch nichts anmerken. Aus dem Simultanübersetzer kam wieder ein knackendes Geräusch. „Weshalb sind Sie anders?" Rex Corda verstand den Sinn dieser Frage nicht sofort. „Wie bitte?" „Wir haben festgestellt, daß Sie anders sind. Nennen Sie uns den Grund!" Flüchtig dachte er an seine nur schwach entwickelten Fähigkeiten, die Gefühle anderer Menschen zeitweilig wahrzunehmen. „Ich verstehe Sie nicht. Mir ist nicht bewußt, daß ich anders bin." „Wir werden das noch feststellen. Hüten Sie sich jedoch, uns zu belügen." „Was haben Sie vor?" fragte Corda rasch. Langsam griff er in die Tasche, holte eine Zigarette aus der Schachtel und schob sie zwischen seine Lippen. Die Orathonen sahen sich an. Rex Corda wich ihren drohenden Blicken nicht aus. Einer der Federköpfe trat blitzschnell vor und entriß ihm die Zigarette. „Was ist das?" fragte er scharf. „Eine Zigarette", erklärte Rex Corda spöttisch. „Wir zünden sie an und genießen den Rauch, den wir inhalieren." Einige Sekunden lang herrschte ganz
offensichtlich Verblüffung. „Sie verseuchen absichtlich Ihre Atmungsorgane", stellte einer der Orathonen fest. „Wenn Sie glauben, sich auf diese Art durch Selbstmord der Verantwortung entziehen zu können, so irren Sie sich. Wir werden das in unserer Gegenwart nicht dulden." „Sie mißverstehen mich. Das ist eine terranische Angewohnheit, die wir nur sehr schlecht ablegen können. Wir bilden uns ein, daß es uns bekommt." „Sie lügen. Sie verfolgen einen ganz bestimmten Zweck mit dieser Methode. Sie sind primitiv und denken unlogisch. Gewaltsames oder absichtliches Inhalieren von Rauch muß sich auf den Organismus eines Sauerstoff-Atmers schädigend auswirken. Sind Sie deshalb anders?" Rex Corda verbarg seine Belustigung hinter einem betont starren Gesicht. Der Orathone hatte die Zigarette zerbrochen, zerkrümelte den Tabak und betrachtete ihn mißtrauisch von allen Seiten. „Wir werden das in unseren Laboratorien untersuchen lassen. Sollte sich herausstellen, daß Sie mit Hilfe dieser Stäbe einen Anschlag auf uns planten, ist Ihr Leben verwirkt." Rex Corda mußte wohl oder übel seinen gesamten Zigarettenvorrat abliefern. Dann sah der Orathone ihn scharf an. „Wir benötigen Energien und Rohstoffe, um unsere Flotte zu versorgen. Wir benötigen die Hilfe Ihres Landes. Daher haben wir beschlossen, Sie zum wirtschaftlichen Aufbau zu verpflichten. Wenn Sie ablehnen, so ist das Ihre Sache. Es wäre aber ausgesprochen töricht, den Anordnungen und Wünschen eines Orathonen nicht nachzukommen. Nehmen Sie an! - Würden Sie für die ganze Erde sprechen?" Rex Corda wurde von widerstrebenden Gefühlen hin und her gerissen.
Schließlich konnte er nicht die Regierung aller Länder übergehen, selbst wenn die Erde vorerst besiegt war. Machte er sich jedoch zum Sprecher für die Erde, so würde man ihm das als Überheblichkeit auslegen und ihm nie verzeihen. Andererseits gab es keinen Ausweg. Die Orathonen erkannten niemanden als gleichberechtigt an. Und wenn er ablehnte, tat man ohnehin, was man wollte, nur mit noch größerer Rücksichtslosigkeit. Sekundenschnell hatte er sich entschieden. Natürlich mußte man offiziell mit ihnen zusammenarbeiten, jedenfalls konnte man ihnen das sagen. Rex Corda kannte die Mentalität des irdischen Menschen. Er würde sich nie kampflos versklaven lassen. „Ja", sagte er daher gepreßt und mit einem' gewissen Schuldgefühl. „Mir bleibt keine andere Wahl. Ich spreche für die Erde." Ein geringschätziger Blick traf ihn. „Das war Ihr Glück. Sie haben reichlich lange gezögert." „Es ist nicht einfach, große Entscheidungen zu treffen", sagte Corda. Die vier Orathonen verzogen die Gesichter. „Einer aus Ihrer Rasse hat auch nicht gezögert, Fusionsbomben auf Ihre Städte zu werfen. Wir haben das bei der Landung gesehen. Einige Ihrer Städte bestehen nur noch aus erstarrten Lavaseen. Und da fällt Ihnen eine belanglose Entscheidung schwer? Sie sind reichlich primitiv." „Vielen Dank. Hoffentlich werden wir Sie eines Tages vom Gegenteil überzeugen können", sagte Rex Corda doppelsinnig. Die Orathonen nahmen von den Worten keine Notiz. Sie hatten keine Angst vor den neun Milliarden Menschen, die die Erde bevölkerten. „Sie werden von uns zum wirtschaft-
lichen Aufbau verpflichtet. Betrachten Sie sich in Zukunft als Organisator über Ihre anderen Mitbürger. Aber bilden Sie sich nichts darauf ein. Sie werden nur das tun und ausführen, was wir Ihnen übermitteln. Außerdem werden Sie durch unsere Hilfsvölker ständig überwacht. Sie haben ja für die ganze Erde gesprochen." Die vier Orathonen gingen wortlos. Rex Corda wandte sich mit hängenden Schultern ab. Die Orathonen hatten das tief in den Berg gebaute NORAD-Massiv verlassen. General Emerson empfing Corda mit interessiertem Gesichtsausdruck. Rex Corda erzählte ihm mit kurzen Worten, was vorgefallen war. Er schloß: „Tut mir leid, General, ich sah keine andere Möglichkeit. Sie kennen diese Burschen nicht. Sie sind hart und berechnend. Was aus uns wird, ist für sie völlig belanglos. Nur ihr Krieg mit den Laktonen zählt - sonst nichts. Ihre einzige Sorge ist der Nachschub, denn sie haben ganz offensichtlich Transportprobleme. Der Teufel mag wissen, wie weit ihr Heimatplanet von der Erde entfernt ist." Emersons schwere Gestalt straffte sich. „Mich haben diese Halunken glatt übergangen. Heißt das, daß ich damit als Kommandant des NORAD abgesetzt bin?" „Das heißt, daß man mich als Organisator des wirtschaftlichen Aufbaus verpflichtet hat, General. Welche Konsequenzen das zur Folge hat, kann ich vorläufig noch nicht sagen. Sie sollten sich jedoch mit der Tatsache befreunden, daß auch ich nur eine Marionette bin, die von orathonischen Fäden gelenkt wird. Mir kommt es darauf an, eine wirksame Widerstandsbewegung zu organisieren. Und das kann ich so am besten. Wir müssen mit den Wölfen
heulen, wenn wir jemals wieder frei sein wollen." Emersons Gesicht verschloß sich. „Und was wird aus den Laktonen, die sich im NORAD aufhalten? Wenn man sie entdeckt, dürfte unsere letzte Stunde geschlagen haben." „Wir müssen sie eben verstecken. Ich habe vor, einen gegen den anderen auszuspielen. Die Laktonen sind mir genauso sympathisch wie die Orathonen, obwohl ich erstere noch für wesentlich toleranter halte. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß sie ebenfalls unsere Gegner sind, wenn wir uns auch mit ihnen - wenigstens vorläufig verbünden werden." „Sie spielen ein riskantes Spiel, Senator", schnaufte Emerson. „Wenn Sie der Ausdruck nicht beleidigt, würde ich sagen, Sie intrigieren." Rex Corda lachte. Es klang unecht. „Nennen Sie es ruhig so. Zufällig stimmt es. Gut, wir intrigieren also. Aber zur Zeit bleibt uns gar nichts anderes übrig. Es hätte noch schlimmer werden können." „Ach! Sie sehen die derzeitige Lage wohl als besonders rosig an, was?" „Wie man es nimmt", erwiderte Rex Corda. „Stellen Sie sich einmal vor, eines dieser beiden Völker wäre über die Erde hergefallen und hätte sie besetzt. Nur, um die Terraner auszulöschen, damit man neuen Lebensraum gewinnt." „Was meinen Sie damit?" „Damit meine ich, daß uns dann keine Chancen geblieben wären. So aber kann uns geschicktes Intrigieren dazu verhelfen, die Erde zu einem späteren Zeitpunkt zu befreien und von den Aggressoren zu säubern. Es wird noch eine Weile dauern, aber immerhin - wir können hoffen." Th. Emerson lachte bitter auf. „Sie sind ein unverbesserlicher Optimist, Senator. NORAD galt bisher als
uneinnehmbare Festung, als die strategische Planungsstelle der USA. Und jetzt - sehen Sie sich um. Augenblicklich haben wir Laktonen und Orathonen als ungebetene Gäste in unseren Räumen. Und wir können sie nicht einmal hinauskomplimentieren." „Das ist auch nicht notwendig", versicherte Rex Corda. „Eines Tages werden sie gehen, oder sollte ich besser sagen: gegangen werden? Vorläufig jedoch müssen wir dieses Spiel mitmachen, General, so schwer es uns auch fällt." Emerson schüttelte den Kopf. Es fiel ihm sichtlich schwer, daran zu glauben. Sein Blick fiel auf den großen Wandkalender. Auf der Erde schrieb man den 19. Juni 1992 n. Chr. * NORAD, Zentralgefechtsstand des Nordamerikanischen Luftverteidigungskommandos, galt seit den 60er Jahren als der Garant für die amerikanische Sicherheit. Diese Festung ruhte auf 941 gigantischen Spiralfedern, von denen jede einzelne schon eine Tonne wog. Vier Jahre lang hatte der CheyenneBerg unter den Sprengungen der Baukommandos gedröhnt. Man hatte 360 000 Kubikmeter Granit aus dem Berg gekarrt und so eine atombombensichere Unterkunft für das elektronische Gehirn Amerikas geschaffen. Die Nord- und Südportale waren später zusätzlich mit Doppelschleusen abgesichert worden. Jetzt trugen die mächtigen Spiralfedern elf grün und gelb gestrichene Gebäude, deren Länge 180 Meter betrug. Selbst im Glutofen atomarer Gewalten war der 426 Meter unter hartem Granit liegende Gefechtsstand unverwundbar.
Immer noch wurde im NORAD alles mit peinlicher Sorgfalt überprüft. Dazu gehörten vor allem Besucher. Einer von ihnen hieß Will Rimson. In seiner Begleitung befand sich ein Deutscher Schäferhund. Der diensthabende Sicherheitsbeamte begann hörbar zu schnaufen. Er sah Rimson mitleidig an. „Zu wem wollen Sie - zu Senator Corda persönlich? Nicht zu fassen! Wo haben Sie denn Ihre Identitätskarte?" Will Rimson blieb in steifer Haltung stehen. Der Schäferhund, der auf den eigentümlichen Namen Nukleon hörte, sah den Diensthabenden vernichtend an. Will zeigte hastig seine leeren Hände. „Entschuldigen Sie bitte", meinte er verlegen lächelnd. „Ich habe keine Identitätskarte. Wenn vielleicht mein Ausweis..." Er brach verwirrt ab, als er das belustigte Gesicht seines Gegenübers sah. „Mann, Sie haben einen erstaunlichen Humor. Und Sie glauben, Senator Corda wird Sie so ohne weiteres empfangen, was? Reichen Sie Ihr Gesuch schriftlich in doppelter Ausfertigung ein. Ich werde dann sehen, was ich für Sie tun kann." Will Rimson, ein mittelgroßer Mann, Sechsundsechzig Jahre alt, Professor der Physik, lachte jetzt spöttisch. Das schien den Diensthabenden immer mehr zu verwirren. „Immer den korrekten Dienstweg einhalten, Leutnant, wie? Tun Sie einem alten Mann den Gefallen, und vermitteln Sie mir sofort ein Gespräch mit Rex Corda. Er ist mein Freund, wenn Ihnen das etwas sagt." Der Leutnant wurde merklich blaß. Anschließend gab er sich einen Ruck. „Das kann jeder behaupten, Sir. Ich bin nicht befugt, Personen ohne IDKarte hineinzulassen. Außerdem kämen Sie nicht weit."
Verlegen lachend erklärte er: „Gut, ich werde das Vorzimmer anrufen." Während der Leutnant ein paar kurze Sätze in das Videophon sprach, sah Will Rimson sich um. Vor ihm wuchteten die gewaltigen Panzerschleusen hoch. Jedes der Tore wog dreißig Tonnen. Die graugrüne Farbe ließ es militärisch und streng erscheinen. Der Leutnant salutierte. Verwunderte Blicke trafen den alten Wissenschaftler. „Eintritt genehmigt, Sir. Darf ich zuvor noch fragen, wie Ihr Hund heißt?" „Wie bitte? Ach so. Nukleon, das ist die Bezeichnung für die Elementarteilchen, die im Atomkern auftreten. Wenn Sie jetzt vielleicht mal das Tor zur Seite nehmen könnten, mein Freund." Der wachhabende Leutnant war einem Schock nahe. Er verstand immer noch nicht, daß ein alter Mann mit einem merkwürdigen Hund ohne jede Formalität einfach vorgelassen wurde. Er hatte nicht einmal eine ID-Karte! Aber seit die Orathonen hier ein- und ausgingen, war ohnehin eine Menge passiert, was das menschliche Begriffsvermögen bei weitem überstieg. Die mächtigen Tore öffneten sich. Will Rimson sah sich ungeniert um. „Danke, mein Freund", murmelte der seltsame Mann. „Ich finde schon allein weiter." „Aber Sir! Senator Corda befindet sich..." Er brach ab und blickte hilflos auf den Schäferhund. Leutnant Baker hätte darauf geschworen, daß der Hund grinste. Aber das war natürlich Unsinn. Will Rimson marschierte mit selbsterständlicher Gelassenheit durch den vierzehn Meter breiten Tunnel, der wie eine blanke Röhre wirkte. Er erreichte die erste Abzweigung
nach einer Viertelstunde. Er blieb stehen. Er wußte, daß er zur Zeit von tausend unsichtbaren Augen belauert wurde. „Na, Alter, wohin gehen wir jetzt?" fragte er. Der Hund wedelte mit dem Schwanz. Nukleon war kein gewöhnliches Tier, er war eine Mutation und besaß positive telepathische Fähigkeiten. Auffordernd reckte er die Schnauze nach vorn. Will Rimson lächelte. Nukleon würde Rex Corda finden, selbst wenn der Senator noch fünfzig Kilometer entfernt sein sollte. Als das helle Leuchten der polierten Röhre sie im nächsten Gang empfing, blieb Nukleon abrupt stehen. Unter der Decke schwebte ein Etwas, das unter normalen Verhältnissen nie hier im NORAD hätte sein dürfen. Der Ätzer senkte sich langsam herab. Er sah aus wie ein fliegender, pelzüberzogener Teppich. Nur waren seine seitlich herabhängenden Fransen keineswegs harmlos. Das nur mit niedriger Intelligenz ausgestattete Tier konnte eine Säure verspritzen, die selbst widerstandsfähiges Metall angriff und schnell zerfetzte. Der Ätzer schwebte näher. Will Rimson schwitzte plötzlich, obwohl in dem langen Stollen eine angenehm kühle Temperatur herrschte. * Die allgemeine Weltlage sah zur Zeit mehr als niederschmetternd aus. Die Orathonen hatten ihre Riesenschiffe in der Nähe aller großen Städte gelandet. San Franzisko lag im Zangengriff zweier schwarzdrohender Hantelschiffe. Die Laktonen waren geflohen; hinaus in die Schwärze der Unendlichkeit. Aber sie würden wiederkommen. Und sie würden eine noch größere
Flotte mitbringen. In San Franzisko schrieb man den 19. Juni 1992. Die Zeit: 11 Uhr 32. In den Häusern schwitzten die Menschen. Die ganze Stadt schien wie ausgestorben zu sein. Niemand hatte gewagt, die Orathonen anzugreifen, die in transparenten Schwebegleitern kreuz und quer durch die Straßen flogen. Danach waren sie ganz plötzlich verschwunden. Immer noch lagen die vielen Hantelschiffe stumm und drohend vor den Randbezirken der Stadt. Sie überragten die meisten Wolkenkratzer um mehr als das Dreifache. Um 11 Uhr 40 wurde es unversehens um die beiden Schiffe lebendig. Die schweren Panzerschleusen öffneten sich und spien Tausende von fremden Wesen aus. Daß es sich um keine Orathonen handelte, war auf den ersten Blick ersichtlich. Die Whims, ein grillenähnliches Hilfsvolk der Orathonen, von der Größe eines ausgewachsenen Durchschnittsmenschen, plünderten wahllos die Geschäfte. Schaurig klang ihr Pfeifen durch die menschenleeren Straßen. Sie verständigten sich untereinander mit schrillen, hohen Pfeiflauten, die nahe an der Ultra-Frequenz lagen. Die aufrecht gehenden Insektenwesen hielten spiralartige Waffen in ihren unförmigen Klauen, die rastlos hin und her geschwenkt wurden. In ihren scheinbar wahllosen Beutezügen lag jedoch Methodik. Sie vernichteten nicht sinnlos, sondern trugen ihre Beute haufenweise zusammen. Einige der furchterregenden Wesen hatten erstaunlich schnell herausgefunden, wo die wichtigsten Verwaltungszentralen zu finden waren. Sie erbrachen die Panzerschränke des Patentamtes, raubten sie aus und brachten die Unterlagen zu den beiden
Hantelschiffen. Keine Stadt wurde von ihnen verschont. Überall dort, wo sich orathonische Raumschiffe befanden, schwärmten die Hilfsvölker aus, nachdem die Orathonen selbst nur eine kurze Besichtigung vorgenommen hatten. Einige bewaffnete Terraner, die ihnen Widerstand entgegensetzten, wurden von mehreren Stellen zugleich eingekreist. Sie starben in der fürchterlichen Vernichtungsglut unbekannter Waffen. Die Whims, ein übellauniges, gefühlskaltes Insektenvolk, kannten keine Gnade. Sie erschossen nicht wahllos, aber sie töteten selbst dann, wenn sich die „Aggression" lediglich in passivem Widerstand zeigte. Auf der Erde begann man sehr schnell zu begreifen, wozu die Streifzüge der Whims dienten. Sie besorgten Unterlagen und Material für die Orathonen. Patente wanderten in die Raumschiffe, wurden dort ausgewertet und analysiert. Jede Erfindung, jeder technische Vorteil, den Terraner entwickelt hatten, wurde von den Orathonen in den Computern gespeichert. Die Erde mußte erhalten bleiben. Es gab keine mutwilligen Zerstörungen, denn der Planet wurde in wenigen Tagen zu einem gigantischen Nachschublager ausgebaut. Zögernd nur wagten sich die Menschen wieder auf die Straße. Den Kreaturen der Fremden wich man aus, wo immer man konnte, denn sie waren unberechenbar. Stillgelegte Fabriken nahmen ihre Produktion wieder auf, nachdem orathonische „Berater" für eine immens hohe Produktions-Zuwachsrate gesorgt hatten. Auf der Erde begann sich das Leben langsam wieder zu normalisieren. Nur, die Menschen waren nicht mehr allein.
Ein unwahrscheinlich starkes Heer gnadenloser Extraterrestrier leitete die steigende Produktion, und es wachte gleichzeitig über jeden einzelnen Menschen denn die Orathonen waren mißtrauisch. Dafür begann sich ein utopischer Wunschträum der Menschheit langsam zu realisieren. An allen Küsten entstanden titanenhafte Anlagen. Die Nahrungsmittelindustrie wurde auf Algen umgestellt. Unermeßliche Reichtümer kamen aus dem Meer. Die Orathonen stellten der Menschheit zur Verfügung, was notwendig war. Niemand brauchte vorerst mehr zu hungern. Einige Völker begannen zögernde Sympathien für die Orathonen zu hegen, und das war ein entscheidender Fehler, denn die augenblicklichen Herrscher über die Erde dachten nicht im entferntesten daran, Beweise einer ohnehin nicht vorhandenen Toleranz zu zeigen. Sie hatten alles absolut logisch berechnet. Und bisher waren ihre Rechnungen immer aufgegangen. * Nukleon knurrte warnend, doch der Ätzer umkreiste sie nur einmal. Dann schien er die Gegenwart der beiden Lebewesen bereits vergessen zu haben. Er kehrte zurück und blieb flatternd dicht unter der Decke hängen. Will Rimson schluckte erleichtert. Er verzichtete gern auf eine weitere Begegnung mit diesem grauenhaften Wesen. „Die Orathonen haben anscheinend nur Monster in ihren Schiffen. Sie müssen die schlimmsten Planeten entvölkert haben", brummte er mißmutig. Zwanzig Minuten später saß er Rex Corda gegenüber.
„Es ist eine Schande, was zur Zeit mit der Erde geschieht", sagte der alte Wissenschaftler. „Kann man denn von hier aus gar nichts gegen diese Halunken unternehmen?" „Leider nein, Will. Jedenfalls können wir es zu keinem offenen Kampf gegen die Orathonen kommen lassen. Du weißt, daß Atomwaffen nach dem letzten kurzen Krieg in aller Welt verboten wurden." „Afrika soll noch welche haben", warf Rimson hoffnungsfroh ein. „Wenn man die Organisation Africaine dazu bewegen könnte..." „Es ist hoffnungslos. Die OA hat sich abseits gestellt. Sie würde eher mit den Orathonen sympathisieren als mit uns. Zwecklos, daß wir darüber diskutieren. Du solltest das wissen, Will." „Hm." Rimson schaute zur Decke. Über ihm summte die Klimaanlage. „Ich bin aus einem anderen Grund gekommen, mein Sohn. Ich will dir helfen, so gut ich das vermag. Was hat ein alter Mann in meiner Position noch zu verlieren, eh?" „Sein Leben zum Beispiel", meinte Rex Corda ungewöhnlich ernst. „Pah!" Will Rimson winkte ab. Er rieb seine dürren Finger. Ein Geräusch erklang, als wenn Pergamentpapier knisterte. „Schön. Sein Leben also. Aber dieser Einsatz rechtfertigt wohl alles, nicht wahr? Was weißt du übrigens über den Verbleib deiner Geschwister, Senator?" „Höre um Gottes willen mit dem Senator auf, Will. Kim und Velda sind vermutlich von den Laktonen entführt worden. Wo sie sich zur Zeit aufhalten, kann kein Mensch sagen." „Und die drei Laktonen hier im NORAD - was wissen die?" forschte der alte Wissenschaftler. „Sollte Ga-Venga uns nicht weiterhelfen können?" Rex Corda beugte sich über seinen Schreibtisch. Seine Augen verdüsterten
sich. Der Aufruhr seiner Gefühle verriet sich in seinen zuckenden Mundwinkeln. „Bekoval weiß angeblich nichts", sagte Corda. ,,Wie sollte er auch. Die Laktonen haben offensichtlich nicht nur meine Geschwister verschleppt, sondern vielleicht Tausende Amerikaner. Das war ihre Art, sich über unsere Zivilisation und Kultur zu informieren. Es muß noch sehr viele Laktonen geben, die auf der Erde zurückgeblieben sind. Vielleicht erwischen wir eines Tages einen, der über Kim und Velda Bescheid weiß." „Du weißt, daß Kim und Velda ein wissenschaftliches Geheimnis in sich tragen, das Walter Beckett ihnen hypnotisch eingepflanzt hat? " „Natürlich, Will! Ein Teil dieses Wissens liegt in mir - und ich habe keine Ahnung, um was es sich handeln könnte!" „Beckett ist tot!" „Ich weiß auch das, Will!" „Rex, ich werde mich auf die Suche nach deinen Geschwistern machen. Sie müssen nicht unbedingt entführt worden sein. Irgendwo in Miami gibt es vielleicht eine Spur." Der Alte räusperte sich nachhaltig. „Du kannst mich nicht begleiten?" „Leider nein, Will. Ich habe mehr als genug zu tun. Wenn wir die Featherheads schnell loswerden wollen, dann müssen wir..." Er stockte, weil Nukleon heftig aufsprang und laut knurrte. Will Rimson griff nach dem Halsband des Hundes. Warnend sah er Rex Corda an, um dann unvermittelt zu nörgeln: „... keine Verwendungsmöglichkeit für einen alten Mann habt, gehe ich wieder. Ich dachte, ich könnte hier eine interessante wissenschaftliche Tätigkeit bekommen. Wirklich schade." Die Tür hatte sich lautlos geöffnet. General Th. Emerson war eingetreten. Er hatte nur noch die letzten Worte
gehört. Von da an hatte Will Rimson es sehr eilig, wieder zu verschwinden. Nukleon trottete mit gesenktem Kopf hinter ihm her. „Ein seltsames Paar", meinte Emerson verdrießlich. „Gute Freunde von mir", versicherte Corda. „Ich kenne Rimson seit meiner Jugendzeit. Er ist ein etwas sonderbarer Mensch, aber leider haben wir keine Verwendung hier für ihn. Er wollte mich nur besuchen." Emerson ging nicht auf Rex Cordas Worte ein. Stirnrunzelnd sah er in Rex Cordas seltsame blaue Augen. Sie schienen nur aus blauen Pupillen zu bestehen. Es gab kein Weiß darin. „Ich habe vorhin mit Protectopolis ein Gespräch geführt. Ich weiß jetzt, daß Sie der höchste überlebende Politiker und damit Repräsentant unseres Landes sind. Ich war anfangs nicht sehr erbaut davon, daß Sie hier in NORAD den Regierungssitz errichten wollen. Jetzt sieht das natürlich anders aus. Meinen herzlichen Glückwunsch übrigens." „Danke, General, es liegt kein Grund zur Freude vor!" Rex Corda blickte sinnend auf die Wand. Er würde hier in NORAD unter den Augen der Orathonen und Laktonen gegen alle beide kämpfen, bis die Erde von diesen Invasoren befreit war. Er lachte kurz auf. Dabei mußte man noch die eigenen Gegner voreinander verstecken. Es war eine verteufelte Situation. Von da ab wurde NORAD die amerikanische Zentrale der Untergrundbewegung gegen die Invasoren. * Das Gespräch war unbemerkt geblieben, was den Inhalt betraf. Noch hatten die Orathonen es nicht geschafft,
überall Abhöranlagen zu installieren, obwohl das bei ihrer bemerkenswerten Mikrotechnik kein schwieriges Unternehmen für sie war. Aber sie beobachteten Will Rimson, als er NORAD verließ, zu seinem winzigen Gleiter ging und in südwestlicher Richtung davonflog. Sie wollten mehr über den Mann erfahren, der dabei gewesen war, als Rex Corda sich von dem semibiotischen Conductor befreite. Der bedeutendste lebende Politiker des amerikanischen Kontinentes unterschied sich in einigen Punkten wesentlich von anderen Terranern. Warum das so war, hatten die Orathonen bisher noch nicht herausgefunden. Daher wurde auf Will Rimson ein Schatten angesetzt. Man mußte erfahren, was der alte Mann im Auftrage Rex Cordas herausfinden sollte. Rimson ahnte nichts davon. Obwohl man ihn von Denver, wo das nächste Hantelschiff lag, fraglos geortet hatte, ließ man seinen Gleiter unbehelligt. Der alte Wissenschaftler legte die Strecke in etwas mehr als dreieinhalb Stunden zurück. Schon von weitem sah er das riesige Hantelschiff, das am Rande der ehemaligen Stadt Miami lag. Es sah aus wie ein mathematisch genau berechneter doppelter Kugelberg von schwarzer, glänzender Farbe. „Das ist natürlich Pech für uns, Alter", sagte Rimson zu Nukleon. „Wenn die Herren gerade schlechte Laune haben, spielen sie mit ihrer Feuerorgel und holen uns herunter. Wir sollten lieber vorher landen. Was meinst du?" Einem Zuschauer hätten sich vermutlich die Haare gesträubt, als der Hund ganz selbstverständlich nickte. Nicht so Will Rimson. Er wußte, daß Nukleon ihn verstand.
Mit einem Handgriff ließ er den Gleiter aus seiner bisherigen Flughöhe von 25 Metern absacken. Das von Sonnenbatterien angetriebene Fahrzeug senkte sich auf seinen Kufen dem Boden entgegen. Sanft setzte es auf. Will Rimson hatte eine kleine Mulde gewählt, in der man das Fahrzeug nicht auf Anhieb würde erblicken können. Zwei abrasierte Palmen reckten ihre leblosen Stümpfe anklagend in den Himmel. Der fauchende Luftstrom des abgestürzten Laktonenschiffes hatte sie geköpft. Will Rimson blickte sich um. Hier, in den Randbezirken von Miami, standen noch ein paar rußgeschwärzte, zerfallene Ruinen. Die Stadt selbst war im Glutorkan des explodierenden Schiffes vernichtet worden. Man konnte vom diesseitigen Ende bis nach Palm Beach hinübersehen, ohne mit den Blicken auf ein Hindernis zu stoßen. Vormals hatten hier weiße Villen gestanden, sie versanken in einem unvorstellbaren Inferno, das über Miami herabkam. Rimson machte einen riesigen Bogen um das Hantelschiff. Er stieg über lose Steine und geschwärzte Trümmer, bis er an eine glasig wirkende Fläche kam. Der Boden war derart stark verbrannt worden, daß er eine glatte, polierte Fläche bildete. Weiter vorn standen die traurigen Überreste eines Palmenhaines. Nukleon knurrte warnend. Rimson ließ sich sofort zu Boden fallen, obwohl die spärlichen Überreste nur eine ungenügende Deckung boten. Da sah er sie. Sie waren so groß wie ein Mensch, aber ihr Anblick wirkte furchteinflößend. Nie hatte Rimson ähnliche Gestalten gesehen. Auf Anhieb hätte man sie für gigantisch vergrößerte Heuschrecken halten
können, wenn nicht dieser gnadenlose Blick gewesen wäre. Sie waren intelligent, das stand für den atemlos schauenden Mann völlig außer Frage. Zu viele Merkmale verrieten, daß sie logisch dachten und handelten. Sie waren aber auch unberechenbar, stellte Rimson erschreckt fest. Er mußte damit rechnen, von ihnen getötet zu werden, wenn sie ihn hier entdeckten. Die drei Gestalten kamen genau auf ihn zu. Ihre Facettenaugen schimmerten kalt und gefühllos. Die Klauenhände trugen spiralige Gegenstände, die sie ab und zu auf den Boden richteten. Jedesmal stieg von dort eine leichte Rauchwolke kräuselnd nach oben. Will Rimson preßte sich tiefer in die muldenartige Vertiefung, in der er lag. Sein rechter Fuß tastete etwas Gezacktes ab. Ein klaffendes Loch, in dem sein Schuh hängenblieb. Hastig griff er mit den Händen nach unten und zerrte einen Stein zur Seite. Etwas polterte dumpf, gleich darauf hörte er ein leises Wimmern. Ganz offensichtlich befand sich unter ihm ein halbverschütteter Keller. Und darin befand sich ein Mensch! Verzweifelt versuchte Will mit den Beinen das enge Loch zu vergrößern. Er glaubte nicht, daß er es schaffen würde, bis die insektenähnlichen Gestalten heran waren. Er wunderte sich, daß sie ihn noch nicht erblickt hatten. Sein rascher Blick flog zu Nukleon. Der Hund half mit der Pfote, die Trümmer beiseite zu räumen. Ein größerer Brocken löste sich von selbst und polterte in die Tiefe. Will Rimson ließ sich fallen. Gleich darauf folgte Nukleon. Oben erklangen die dröhnenden Schritte der Insektenwesen. Sie mußten das Loch entdeckt haben. Rimson hielt die Luft an, als er das kalte, abweisende Gesicht sah, das sich
gleichgültig über das Loch beugte und flüchtig hinuntersah. Anschließend unterdrückte er gewaltsam einen Schrei, denn der Whim richtete seine spiralige Waffe nach unten. Ein grelles Zischen ertönte. Ein blauer Blitz breitete sich aus, und in dem Keller begann es durchdringend nach zerpulvertem Gestein zu riechen. Knapp zwei Meter neben ihm war der energetische Schuß in den Boden gefahren. Die Whims gingen mit ausdruckslosen Gesichtern weiter. Rimson ahnte nicht, daß sie zur Zeit die Aufgabe hatten, die Toten zu zerstrahlen, die halb unter Trümmern begraben lagen. Offensichtlich wollte man keine Seuchen aufkommen lassen. Die Featherheads schienen an alles gedacht zu haben. Der alte Wissenschaftler sah sich um. Anderthalb Meter über ihm klaffte ein gezacktes Loch, durch das genügend Tageslicht hereinfiel, so daß er sich orientieren konnte. Nukleon sprang winselnd an ihm hoch. Anschließend lief er wieder zu dem wimmernden Etwas hinüber. In dem halbzerfallenen Keller saß ein Junge, der leise vor sich hinweinte. Rimson legte ihm die Hand auf die schmale Schulter. Der Junge zuckte erschreckt zurück. „Keine Angst, mein Kleiner", murmelte Will. „Wir werden schon wieder herauskommen. War das euer Haus?" Der Knabe nickte stumm. Tränen zogen eine Schmutzspur durch sein Gesicht. „Wo sind deine Eltern?" Die Hand des Jungen deutete nach unten. Will Rimson begann krampfhaft zu schlucken. „Na, es wird schon wieder werden", versuchte er zu trösten. „Ich glaube, diese scheußlichen Insekten sind wei-
tergegangen. Wie heißt du denn?" „Thorp." „Aha. Und wie noch?" „Einfach Thorp. Der andere Name fällt mir nicht mehr ein." Der Junge schluchzte trocken. Rimson murmelte etwas von temporärem Gedächtnisschwund und daß es unter den herrschenden Umständen nicht weiter verwunderlich sei. Dann half er Thorp auf die Beine und ging mit ihm unter das helle Licht, das von oben hereinfiel. Will Rimson sah, daß der Junge leicht verletzt war. Ein paar blutige Kratzer durchzogen sein Gesicht. Das Hemd war an der Schulter zerrissen, ein paar Knöpfe fehlten. Mit dem Ärmel seiner Jacke wischte er ihm die Blutspuren aus dem Gesicht. Jetzt sah Thorp schon etwas besser aus. Nur die bleiche Hautfarbe gab Rimson zu denken. Er erinnerte sich nicht, jemals einen so blassen Knaben gesehen zu haben. Er wollte ihn nicht weiter fragen, was aus seinen Eltern geworden war. Der Kleine hatte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einen Schock erlitten, der nur langsam abklingen würde. Rimson verzichtete darauf, den Keller näher zu untersuchen. Hier gab es ohnehin keine Überlebenden mehr. Gestein war herabgepoltert und hatte fast alles verschüttet. In der Ecke stand ein Schrank, der unter der Last der Gesteinstrümmer zusammengebrochen war. Rimson schob ein paar schwere Steine unter die Öffnung, so daß man wieder ins Freie gelangen konnte. Als er zögernd einen Blick riskierte, sah er sie. Die drei Whims hatten ihm den Rükken zugewandt. Ihre Schalenpanzer glitzerten im Schein der wärmenden Sonne.
Sie standen vor dem winzigen Sonnengleiter und betrachteten ihn. Selbst aus dieser Entfernung konnte Will das hohe Pfeifen vernehmen, die schrillen Töne, mit denen sie sich unterhielten. Schaudernd kroch er wieder zurück. Nukleon hielt lauschend den Kopf nach oben. Als die Luft rein war, deutete er mit der Schnauze auf den gezackten Einstieg. Sie verließen den Keller und kletterten nach oben. Weiter hinten verschwanden die drei Whims zwischen den Ruinen. Ihre gelegentlichen Strahlschüsse kündeten davon, daß sie weitere Opfer des Schiffsabsturzes entdeckt hatten. „Wohin gehen wir jetzt?" fragte der Junge. Seine blasse Gesichtsfarbe trat im hellen Tageslicht noch deutlicher hervor. Rimson fragte sich, wie lange der Junge wohl dort im Keller gewesen sein mochte. „Wir werden ein oder zwei Tage hierbleiben, dann fliegen wir wieder zurück. Hast du Hunger?" Thorp schüttelte verneinend den Kopf. Er schlenderte beim Gehen stark mit den mageren Armen. „Nein. Unten im Keller waren noch Gläser mit Früchten drin. Die habe ich alle aufgegessen." „Die Gläser?" fragte Will lachend. „Ein Mensch kann keine Gläser essen", sagte der Junge bestimmt. „Seine Verdauungsapparate sind nicht darauf eingerichtet." „Natürlich nicht." Rimson wunderte sich über diese Antwort. Er war etwas verwirrt wegen dieser mit allem Ernst vorgebrachten Feststellung, schrieb sie aber dem Schock zu, den der Junge erlitten hatte. Die Sonne brannte jetzt heißer vom Himmel herab. Die Ruinen warfen gespenstische Schatten, und die zersplitterten Palmen wirkten wie Riesenfinger,
die drohend in den Himmel wiesen. Miami war eine Stadt des Todes, ein gigantischer Trümmerhaufen, den das abstürzende Schiff verursacht hatte. Es mußte alles furchtbar schnell gegangen sein. Etwas später erreichten sie den eigentlichen Absturzort. Die Erde hatte sich wulstförmig nach oben gewölbt. Vor dem Krater war ein hoher Wall entstanden, den abschmelzendes Gestein gebildet hatte. Rimson behielt den Jungen an der Hand und kletterte das erstarrte Erdreich hinauf. Der Untergrund war hart wie Stahl. Dann hatten sie den Rand erreicht, und er blickte in den Krater. Der alte Mann erschrak. Annähernd sechshundert Meter tief gähnte der Riesenschlund. Zur Mitte hin waren die Gesteinsund Erdmassen zu einer glasigen Schicht verschmolzen. Zuerst glaubte Rimson, es sei natürliches Grundwasser, das den Krater ausfüllte, aber das fließende Gestein hatte es gar nicht erst eindringen lassen, so schnell war es erstarrt. Dennoch wirkte es wie ein gewaltiger schweigender See. Ganze Häuser mußten unter den abschmelzenden Sandmassen begraben sein. Das laktonische Schiff war wie eine Bombe auf Miami gefallen; eine Bombe, deren Sprengkraft sich nur in Superlativen ausdrücken ließ. Will Rimson ballte wütend die Fäuste. Sie, die Nichtmenschlichen, kämpften um die absolute Vormachtstellung in der Galaxis. Sie trugen ihren grauenhaften Krieg bis zu den entferntesten Planeten hin. Die Betroffenen waren diesmal die Menschen. Was ging es sie an, was Laktonen und Orathonen miteinander hatten? Tausende Unschuldiger mußten sterben, nur weil es einer technisch weitaus
überlegenen Rasse gefiel, ihre Expansionsgelüste über bewohnten Planeten zu befriedigen. Er empfand eine unbändige Wut auf die Fremden. Er, Will Rimson, würde ihnen Schaden zufügen, wo er nur konnte, das schwor er sich in diesen Minuten. Als er hochblickte, gewahrte er drei schnelle Schweber, die in atemberaubender Fahrt über die zerstörte Stadt glitten. Und dann brach die Hölle los. Er sah noch das wilde Aufglosen annähernd lichtschneller Strahlbahnen, hörte das grelle Jaulen gewaltsam verdrängter Luftmassen und begann dann sinnlos zu schreien. Will Rimson warf sich flach auf den Boden. Seine vom ultrahellen Leuchten geblendeten Augen sahen sekundenlang überhaupt nichts. Erst nach einer ganzen Weile konnte er Einzelheiten unterscheiden. Aus den drei Schwebern brach ein langer Flammenstrahl, der nicht nur thermische Auftreffenergien von unvorstellbaren Ausmaßen entwickelte, sondern dazu noch die Hitze einer Sonne mitbrachte. Und diese lohenden, strahlenden Bündel schossen pausenlos auf die Erde. Sie stachen senkrecht vom Himmel herunter, schlugen ein und liefen dann in schnurgerader Richtung parallel zueinander her. Rimson bemerkte, daß die glühenden Furchen nur an der Küste entlangliefen. Einen Reim darauf konnte er sich nicht machen, weil die ganze Aktion völlig unlogisch erschien. Die drei Schweber wendeten. Ihre Strahlbahnen liefen blitzschnell den Boden entlang; diesmal genau auf den gähnenden Riesentrichter zu. Nukleon begann warnend zu knurren, und Rimson griff haltsuchend um sich. Zwei Kilometer trennten ihn noch von
den glühenden Schlangenlinien, die den Boden entlangrasten. Thorp war ruhig stehengeblieben, er zeigte keine besondere Angst. Da stoppten die Schweber jäh, drehten im Neunzig-Grad-Winkel ab, um anschließend wieder um hundertachtzig Grad zu wenden. Obwohl Rimson nicht begriff, was das Ganze zu bedeuten hatte, sah er doch in einem Punkt klar. Die Orathonen schmolzen ein annähernd vier Quadratkilometer großes Gelände förmlich ein. Immer neue Strahlschüsse fegten in den blasenwerfenden Boden. Gierige, glutflüssige Finger aus brodelndem Sand zuckten nach oben. Die Erde kochte und zischte wie Metall in einem gigantischen Schmelztiegel. Schon jetzt drang der glutheiße Atem anscheinend sinnloser Zerstörung bis zu Rimson herüber. Thorps Augen bekamen jetzt einen ängstlichen Schimmer. „Laß uns hier weggehen", bat er weinerlich. Rimson nickte automatisch. Nur schwer konnte er seinen Blick von dem faszinierend-schaurigen Schauspiel losreißen. Es erschien ihm wie eine eindrucksvolle Demonstration orathonischer Stärke. Die ganze Fläche leuchtete in gespenstischem Rot. Energiefontänen zischten weiterhin nach unten und schlugen in ein Feuermeer nie gesehenen Ausmaßes. Die Hitze begann unerträglich zu werden. „Was wollen sie nur?" murmelte Rimson. „Sie tun doch nie etwas Sinnloses. Irgendeinen Grund muß es doch haben." Sie hetzten auf dem oberen Kraterrand weiter. Glutheißer Wind begann zu rauschen. Heiße Ausläufer kochender Luft schoben sich näher. Die Boote drehten ab und verschwan-
den in Richtung des Hantelraumers, wo sie landeten. „Was ist denn jetzt schon wieder?" murmelte der alte Wissenschaftler. Erneut war er stehengeblieben. Aus dem Hantelraumer strebten acht Punkte hervor und fegten in Richtung Atlantik davon. Schweber - von ganz anderer Bauart als die vorherigen. Sie besaßen die Form eines Tropfens, der gerade im Fallen begriffen war. Sie stoppten so abrupt, daß es Rimson die Sprache verschlug. Er schätzte die durchkommenden Andruckskräfte auf mindestens zwanzig Gravos. Einen Menschen hätte der abrupte Beharrungseffekt fraglos zerquetscht. Sie mußten über Andruck-Neutralisatoren verfügen, die solche Effekte mühelos ausglichen. Die Tropfen senkten sich nun im Zeitlupentempo nach unten, bis sie dicht über der Oberfläche des Wassers hingen. Gleichzeitig zogen sich weiße Fäden herab, die das Wasser berührten und eilig über die leichten Wellen liefen. Rimsons Mund hatte sich unbewußt geöffnet. Wollten die Fremden etwa das Meer verseuchen? Er sah, wie die Fäden immer stärker wurden und dabei gleichzeitig in die Höhe wuchsen. Weite weiße Ringe bildeten sich auf dem Wasser, die annähernd einen Meter hoch wurden. Weitere Fäden verbanden die einzelnen Ringe - sie liefen strahlförmig nach allen Seiten auseinander. Das Ganze sah aus wie die grotesk wirkende, mißglückte Nachbildung eines riesigen Spinnennetzes. Dabei geschah zur selben Zeit noch mehr. Aus dem Hantelraumer kroch ein schwarzes Ungetüm, das einen halben Meter über dem Boden schwebte. Es hielt auf die jetzt erstarrte Fläche zu, die
man kurz vorher noch mit energetischen Strahlen beschossen hatte. Sie mußte immer noch kochend heiß sein. Das schwarze Etwas erinnerte Rimson in seiner Unförmigkeit lebhaft an einen vorgeschichtlichen Saurier. Es war alles andere als das. Grünlicher Schaum bedeckte die erstarrte Fläche in Sekundenschnelle. Das Ding spritzte nach allen Seiten Schaumstoff. Er erstarrte, sowie er mit dem Boden in Berührung kam. Vielleicht lag das aber auch an der Luft, überlegte Will. Er mußte sich anstrengen, um die blitzschnell wechselnden Vorgänge folgerichtig zu erfassen. Dort, jenseits der jetzt grünen Fläche, veränderte sich die Oberfläche des Meeres in atemberaubender Schnelle. Die wie Spinnennetze anmutenden Muster unbekannter Materialien waren jetzt schon kilometerweit ins Meer vorgedrungen. Jedesmal gab es einen weiteren Kreis, der mit einem langen weißen Faden verbunden wurde. Will schätzte die Anzahl auf annähernd fünftausend. Das Erstaunlichste an diesen Vorgängen war die wahnwitzige Schnelligkeit, mit der alles vor sich ging. Sein Blick kehrte vom offenen Meer wieder zum Land zurück. In den vergangenen zwanzig Sekunden war dort aus dem Nichts praktisch eine kleine Stadt entstanden. Nur die Dächer auf den langgestreckten Häusern fehlten noch. Und die Fenster. Das hatte man offenbar nicht berücksichtigt. Rimson schalt sich einen alten Narren. Natürlich hatten die Orathonen das berücksichtigt. Sie taten nie etwas Unlogisches. Da der gespenstischen Szenerie die Menschen fehlten, wirkten die plötzlich entstandenen Hallen und Häuser tot und unheimlich.
„Nun sieh dir das an", meinte Rimson zu dem Jungen. „Ist es nicht unheimlich, was die alles können? Das grenzt ja fast an Zauberei." Der Junge nickte. „Sie sind besser als wir", meinte er schwärmerisch. „Sie können alles, was sie wollen." Will Rimson wandte sich ärgerlich ab. „Gerade du hättest allen Grund, sie zu hassen. Schließlich sind sie doch an allem schuld, nicht wahr?" Statt einer Antwort erwiderte Thorp: „Ich glaube, dort entsteht eine Fabrik. Wo man so alles bestellt, was benötigt wird, wissen Sie." „Und was hat das mit den weißen Ringen auf dem Meer zu tun?" „Weiß nicht." Der Kleine zuckte die schmalen Schultern. „Vielleicht fangen sie damit Fische." Will Rimson lachte. Es klang gezwungen. Die Schweber waren noch immer an der Arbeit. Pausenlos wurde der grünliche Schaumstoff versprüht. Ebenso rasch wuchsen weitere Hallen aus dem Boden. Es war klar, daß es sich nur um die titanischen Anlagen unbekannter Fabriken handeln konnte. Thorp hatte wahrscheinlich recht. Die Verbindung der maritimen Anlagen mit den Gebäuden auf dem Land konnte nur einen Sinn haben. Die Anlage diente der Gewinnung der verschiedensten Produkte, die dann in den Gebäuden auf dem Land verarbeitet werden mochten. Was war einfacher für die Invasoren, als sich die benötigten Nahrungsmittel aus dem Meer zu holen? „Komm, wir gehen weiter", sagte Will, als erneut Gegenstände aus dem Hantelschiff schwebten. Es waren Ätzer, wie Rimson gleich darauf erkannte. Sie verteilten sich in
der Luft und strebten nach verschiedenen Richtungen davon. Eine der wie fliegende Teppiche anmutenden Kreaturen näherte sich bedrohlich schnell dem Krater. Nukleon hatte sich auf die Hinterpfoten gesetzt und beäugte die fliegenden Monster scharf. Der Ätzer schenkte ihnen jedoch keine Beachtung. Nachdem er ein paar Kreise gedreht hatte, flog er in großer Höhe über den Krater hinweg. „Gott sei Dank!" brummte Rimson. Er sah dem teuflischen Ding mit gemischten Gefühlen nach. Thorp ging mit gesenktem Kopf weiter. Noch immer war sein kleines Gelaicht bleich und blutleer. Etwas seltsam Starres lag in seinem Blick, wenn er in die Ferne sah oder wenn er einen Blick auf die drohende Masse des Hantelraumers warf. Rimson gab ihm ein Stück Schokolade. Thorp griff danach, steckte sie hastig in den Mund und schluckte sie unzerkaut herunter. „Kennst du dich in Miami aus?" forschte der alte Mann. Thorps Hand wies anklagend auf die Trümmer. „Jetzt nicht mehr. Man sieht ja keine Straßen und keine Häuser. Und Menschen sind auch nicht mehr da", setzte er nachdenklich hinzu. „Was wollen Sie eigentlich in Miami, Sir?" „Du brauchst mich nicht Sir zu nennen. Ich heiße Will Rimson." „Rimson. Aha. Ich kannte mal einen, der hieß Ramson. Aber der war schon ganz alt. So ungefähr zweihundert, glaube ich." Will Rimson lächelte unmerklich. Die Phantasie des Knaben begann sich langsam zu regen. Er freute sich, daß der Junge endlich auftaute und seine Sorgen vergaß. „Sie haben mir immer noch nicht gesagt, was Sie in Miami eigentlich wol-
len, Mister Rimson. Ist das ein Geheimnis?" „Nein. Ich suche einen Jungen und ein Mädchen." Er sah sich hastig um. „Die Laktonen haben sie entführt, und wenn meine Vermutungen richtig sind, halten sie sich irgendwo in Miami auf, zumindest in der Umgebung." „Spannend. Und warum suchen Sie die beiden?" Rimson wollte gerade antworten, sah dann aber ein, daß der Junge noch nicht begreifen konnte, was man unter suggestiver Einpflanzung verstand. Außerdem hätte er den Sinn doch nicht verstanden. So sagte er: „Es sind Geschwister meines Freundes. Ich habe versprochen, sie zu suchen. Verstehst du das?" „Natürlich, nur, ich glaube, Sie werden da wenig Glück haben, Mister Rimson. Die Laktonen sind nämlich alle tot, weil ihr Schiff abgeschossen wurde." „Ach! Und wer hat dir gesagt, daß ihr Schiff abgeschossen wurde?" hakte Rimson sofort ein. „Keiner. Aber ich kann ja denken, nicht? Und ich habe mir eben gedacht, daß man einfach umkommt, wenn man mit so einem großen Schiff abstürzt. Das muß ja so sein, nicht, weil die Hitze so furchtbar groß ist und alles verbrennt." „Ja, die Hitze ist groß. Aber vielleicht sind sie vorher ausgestiegen und haben sich später irgendwo verborgen. Wer will das schon wissen." Sie waren weitergegangen. In ihrem Rücken wuchs eine gigantische Fabrik. Jedenfalls deuteten alle Anzeichen darauf hin, daß es eine Fabrik wurde. Die kreisrunden Felder auf dem Wasser, die flachen, langen Gebäude ... Rimson blieb ruckhaft stehen. Plötzlich war er ganz sicher. Er wußte, welchem Zweck die titanische Anlage diente.
Die Orathonen begannen, das Meer auszubeuten. Sie gingen streng wissenschaftlich und nach mathematisch exakten Grundsätzen vor. Sie brauchten Verpflegung, Nachschub und Material aller Art, denn sie bereiteten sich auf die große Schlacht vor. Und diese Schlacht würde in naher Zukunft in nächster Nähe der Erde toben. Das schien eine unumstößliche Tatsache zu sein. Will Rimson schauderte. Diese Kreaturen von fernen Planeten nahmen dem Menschen seine Heimat, zerstörten sie in mörderischen Raumschlachten und beuteten den Planeten brutal aus. Ihre Zukunftsversion sah grauenhaft aus. Zunächst würde die Menschheit am allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung teilhaben. Aber das war nur ein kurzer Moment. Nach dem Aufschwung würde die Erde verarmen, ausgebeutet und leer, vielleicht sogar noch verwüstet oder verbrannt. Rimsons Stirn hatte sich umwölkt, krampfhaft biß er die Zähne zusammen. Erst als der Junge seine Frage zum drittenmal wiederholte, schrak er auf. „Sehen Sie es, Mister Rimson?" Eine kleine, schmutzige Hand wies nach vorn, wo ein noch gut erhaltenes Gebäude stand. Es sah wie ein Hotel aus. Rimson gab sich einen Ruck und verdrängte die deprimierenden Gedanken an die unmenschliche Fremdmasse. „Ein Hotel. Dort stehen ja auch noch andere Häuser. Hoffentlich bekommen wir da etwas zu essen." Er wandte sich um und sah zurück. Ihm war etwas eingefallen. Der Sonnengleiter befand sich jetzt außer Sichtweite, aber da war etwas, das ihn stutzig machte. Die Whims hatten seinen Gleiter betrachtet, mit kühlem Interesse. Dann aber waren sie achtlos weitergegangen, ohne sich um das Gefährt zu kümmern.
Etwas stimmte nicht! Etwas schien hier völlig unlogisch zu sein. Aber was war es? fragte sich Rimson verzweifelt. * Lautlos schwebten die Wächter durch die Tiefbunkeranlage des NORAD. Drei Ätzer waren zurückgeblieben, um die Gänge und einzelne Räume zu überwachen. Offensichtlich hatten die Orathonen Argwohn geschöpft. Sie schienen Senator Corda nicht zu trauen. General Abel Th. Emerson öffnete die Tür nur einen Spalt breit. „Drei dieser verdammten Federköpfe wollen Sie sprechen, Sir. Vorsicht! Diesmal scheint einer dabei zu sein, der eine sehr hohe Funktion bekleidet. Jedenfalls hat er mich wie einen räudigen Hund angesehen." „Danke, General." Rex Cordas kantiges Gesicht verschloß sich. Die Lippen bildeten zwei schmale Striche. Im nächsten Moment wurde die Tür aufgestoßen. Drei Orathonen betraten den Raum. In der Hand des einen drohte der lange Lauf einer überschweren Thermwaffe. Die Orathonen schienen sich nur dann wohl zu fühlen, wenn ihre Fäuste schwere Strahlwaffen umklammerten. Wieder war das trichterförmige Abstrahlrohr auf Rex Corda gerichtet, der sich um ein spöttisches Lächeln bemühte. Einer der Orathonen grüßte mit knapper, beherrschter Geste. Er trat zusammen mit einem zweiten leicht zur Seite, um dem massigen Orathonen Platz zu machen, der einen blitzenden Stab in der Hand trug. Corda kannte diesen Orathonen. Er hatte ihn bereits gesehen. Er hatte das Verhör geleitet, dem er unterworfen worden war.
Er strahlte ungewöhnliche Kraft und Energie aus. Rein äußerlich unterschied er sich schon durch die auffällige Kleidung und sein geradezu herausforderndes Benehmen. Soviel kalte Überlegenheit hatte Rex Corda noch nie in einem Gesicht gesehen. Er wußte mit plötzlicher Sicherheit, daß er sich grundlegend getäuscht hatte, wenn er glaubte, daß die Orathonen ernsthaft für ihre Sicherheit fürchteten. Sie waren so grenzenlos überlegen, daß ein Widerstand überhaupt nicht in Betracht kam. Der Orathone trug einen grellroten Umhang, der das silberne Hemd darunter fast verbarg. Seine kräftigen Beine steckten in weichen, leuchtend roten Stiefeln. Die ebenfalls leuchtend grüne Hose bildete einen krassen, fast schon zu scharfen Kontrast. Seine Augen sahen stolz und unnahbar an Rex Corda vorbei. Und doch glaubte der junge Senator ein unmerkliches Funkeln der Neugierde darin zu bemerken. Dieser Orathone war darüber informiert, daß der semibiotische Conductor, der Rex Corda während des Verhörs eingepflanzt worden war, restlos versagt hatte. Rex Corda war sich darüber klar, daß man ihn bis jetzt ungeschoren gelassen hatte, weil man herausfinden wollte, wo der Grund für dieses Versagen lag. War dieser Orathone jetzt zu ihm gekommen, um das Rätsel zu lösen? Die Simultangeräte knackten leise. „Bieten Sie Sigam Agelon einen Platz an, Senator!" Rex Corda wies auf einen Schreibtischsessel, der die einzige Sitzgelegenheit im Raum bot. Gleichzeitig trat er zur Seite, um Agelon Platz zu machen. Er fragte sich, weshalb die Orathonen den Namen dieses einen Mannes mit solcher Betonung aussprachen. „Sigam Agelon ist der Kommandeur der in diesem Sonnensystem versam-
melten Flotte", fuhr der Orathone fort, während Sigam Agelon den Senator nicht aus den Augen ließ. „Der Flottenkommandeur möchte sich darüber informieren, welche Maßnahmen Sie getroffen haben, um die Wirtschaft Ihres Einflußbereiches anzukurbeln!" Ein scharfer Blick flog zu Rex Corda hin. Der Senator wich dem Blick nicht aus. Ein unmerkliches Lächeln kräuselte seine Lippen. Seine mutierten Sinne erfaßten etwas von der Emotionalsphäre des Orathonen. Während die beiden Begleiter Sigam Agelons unerschütterliche Kolosse der Selbstsicherheit waren, lebte einige Unsicherheit in dem Flottenkommandeur. Die Unsicherheit bezog sich auf ihn Rex Corda! Corda sah, daß Sigam Agelon unter seinen Umhang griff, eine hauchdünne Folie hervorholte und sie dem größeren seiner Begleiter überreichte. Corda fühlte die stechenden Blicke der Orathonen auf sich gerichtet. „Nun?" forschte der Orathone. „Wir stellten eine Frage!" Rex Corda hängte die Daumen in seinen Gürtel und sah sich gleichgültig im Raum um. Er verzichtete auf eine Antwort. Doch beachtete er genau, was sich in dem grünen Gesicht des Agelon abspielte. Die Reaktion erschütterte ihn in seinen Grundfesten. Sigam Agelon hatte nichts als ein gleichgültiges Lächeln für sein Verhalten übrig. Rex Corda hatte zumindest Ärger erwartet. Er wollte provozieren. Er mußte es tun. Der Zorn riß ihn dazu hin. Doch das Verhalten der Orathonen ernüchterte ihn schlagartig. Plötzlich wurde er sich bewußt, daß der Krieg zwischen diesen gigantischen galaktischen Völkern über Zeiträume gehen mußte, nach denen alle Kriege der Erde nur Sekunden gedauert haben konnten. Die Situation war nicht neu für die
Orathonen. Sie kannten sie von wahrscheinlich einigen tausend Welten vorher, die sie erobert - und vernichtet hatten. „Die Zeit war zu knapp. Niemand wäre in der Lage gewesen, die Verwüstungen, die Sie während Ihrer Invasion angerichtet haben, in so kurzer Zeit zu beseitigen! Sie haben ein Chaos verursacht; es aufzuheben, dauert etwas länger! Sie müssen mir schon etwas Zeit lassen!" Sigam Agelon ließ die Augenlider müde fallen. Er erhob sich und ging zu den beiden Orathonen hinüber. Ein geringschätziges, grimmiges Lächeln zuckte über seine Lippen. „In dieser Anlage befinden sich Laktonen!" behauptete der kleinere der Begleiter Agelons plötzlich. Rex Corda hatte sich genügend in der Gewalt. Obwohl er erschrak, zuckte er mit keiner Wimper. Er sah den Orathonen erstaunt an. „Wo befinden sie sich, Senator?" fragte der zweite Begleiter. Jetzt lachte Rex Corda. Er antwortete nicht. „Wir wissen, daß sich Bekoval hier befindet!" „Wer ist das?" erkundigte sich Corda mit größter Kaltblütigkeit. „Wir sind auch darüber informiert, daß sich der Kynother Ga-Venga hier aufhält!" „Wie nett! Und wo?" Die Orathonen sahen sich kurz an. „Wir warnen Sie, Senator! Wir haben Ihnen eine Aufgabe gestellt: kurbeln Sie die Wirtschaft Ihres Landes mit allen Mitteln an, und beseitigen Sie alle Mißstände, die die wirtschaftliche Voraussetzung beeinträchtigen könnte! Wir werden uns nicht lange mit Ihnen aufhalten, falls Sie Schwierigkeiten machen!" „Das ist mir durchaus klar", nickte Rex Corda.
„Sie werden, öffentlich hingerichtet werden, sobald wir Anzeichen dafür entdecken, daß Sie mit Laktonen zusammenarbeiten!" Rex Corda zündete sich eine Zigarette an. Die Featherheads machten keine Einwände. „Sie werden der erste sein, der erschossen wird, wenn wir hier Laktonen finden. Sollten Sie entgegen unseren Weisungen handeln, werden Sie alle getötet." „Das sagten Sie bereits", erwiderte Corda kalt und abweisend. Angesichts der drohenden Strahlwaffen nahm er mit größter Kaltblütigkeit Platz. Die jähe Veränderung in den Gesichtern der Orathonen entging ihm nicht. Wahrscheinlich hatte es noch niemand gewagt, sich vor dem edlen Flottenkommandeur und dritten Sohn Moga Agelons unaufgefordert zu setzen. Rex Corda erhielt die demütigende Quittung für sein Verhalten schon eine Sekunde später. Ein heller Schein brach aus dem Thermostrahler, fraß sich röhrend und annähernd lichthell durch die Luft und verwandelte ein Stück seines Schreibtisches in glutende Ascheteile. Rex Corda zuckte mit keiner Wimper. Ohne ein weiteres Wort stand er auf. Stirnrunzelnd sah er auf die kleinen auflodernden Flammen, die noch an dem verbrannten Holz tanzten. Beißender Rauch stieg vom Schreibtisch auf. „Ersticken Sie das Feuer!" befahl der Orathone, der geschossen hatte. „Dazu bin ich leider nicht in der Lage", erklärte Corda. „Ich würde Ihnen empfehlen zu gehen. Vermutlich wird hier alles ausbrennen, dank Ihrer Unvorsichtigkeit." Sigam Agelon nahm von dem aufsteigenden Rauch keinerlei Notiz. Als der Strahler hochruckte und ein.
Zeigefinger auf den Feuerknopf drükken wollte, verstärkte sich nur der Glanz seiner zwingenden Augen. Da ließ der Orathone die Waffe sinken. Spöttisch sah er Rex Corda an. „Sie hatten Glück, Terraner. Dem edlen Flottenkommandeur und dritten Sohn des Moga Agelon verdanken Sie Ihr Leben." Er wartete ab, bis Sigam Agelon sich umwandte und aus dem Raum schritt. Dann erst folgten ihm die anderen. Hart fiel die Tür ins Schloß. Rex Corda atmete auf. Ein Griff zum Videoschirm verband ihn mit General Emerson. Corda sah die verblüfften Augen in dem breiten Gesicht. „Fragen Sie nicht, General, man kann uns vielleicht mit Spezialgeräten noch hören. Haben Sie einen Feuerlöscher da?" „Natürlich. Hängt in Ihrem Raum denn keiner?" Corda grinste jetzt erleichtert. „Nein. Hier ist nur eine automatische Berieselungsanlage. Ich konnte sie glücklicherweise vorher abschalten, sonst hätte es ein Unglück gegeben." „Das verstehe ich nicht", murmelte Emerson betroffen. „Nicht? Stellen Sie sich bitte die Reaktion unserer liebenswerten Freunde vor, wenn man sie plötzlich berieselt hätte. Nicht auszudenken! Ein Sigam Agelon - und von primitiven Halbwilden mit gewöhnlichem Wasser bespritzt. Nun - eine immerhin mehr als befremdende Situation, die es erfordert hätte, mich sofort zu erschießen. Schicken Sie jemand mit dem Feuerlöscher, General?" „Ich komme selbst." Eine Minute später war der Brand gelöscht. General Emerson hatte persönlich das Feuer erstickt. Er sah Rex Corda in die Augen. „Sie wissen genau, daß Sie Ihr Leben
riskieren, wenn Sie die Orathonen in irgendeiner Form beleidigen oder sie verächtlich machen. Was haben Sie wirklich vor, Sir?" „Was ich vorhabe, nun ..." Rex Cordas Blick wurde seltsam starr. Jedes Leben schien in den blauen Augen zu erlöschen. „Ich habe natürlich vor, den Orathonen selbstlos und treu zu dienen. Sie sind unsere Freunde, General, merken Sie sich das. Sie wollen nur unser Bestes." „Aber ... ich verstehe nicht", murmelte Emerson hilflos. „Sie verstehen schon, General. Die Orathonen beherrschen ihre Gefühle besser als wir. Sie wollen nur nicht zeigen, daß sie uns freundschaftlich verbunden sind. Zudem sind wir Primitive gegen sie. Sie sind wahre Meister", fügte Corda mit Nachdruck hinzu. General Emerson fiel von einer Bestürzung in die andere. „Sie sagten aber doch ..." „... daß sie uns mögen. Selbstverständlich. Oh, der Schreibtisch brennt ja immer noch." Rex Corda ließ sein Feuerzeug aufspringen und hielt es an das Holz. Unten an der Ecke kräuselte noch immer leichter Rauch nach oben. Das stark erhitzte und trockene Holz fing sofort Feuer. Der Schaum aus dem Löscher hatte den unteren Teil nur ungenügend bedeckt. Emerson war der Verzweiflung nahe. Cordas verworrene Rede und sein anschließend fraglos wenig intelligentes Handeln ließen nur eine Deutung zu. Die Orathonen hatten seinen Geist durch noch unbekannte Mittel vorübergehend ausgeschaltet. So benahm sich kein normaler Mensch! Aber es kam noch schlimmer. Als Emerson mit der bloßen Hand nach den züngelnden Flammen schlug, packte Corda mit kurzem Griff sein Hand-
gelenk. „Gut so, General. Versuchen Sie zu löschen. Der ganze Schreibtisch wird sonst noch ein Opfer der Flammen." Gleichzeitig zog er den nur schwach widerstrebenden General weiter von der Brandstelle fort. Emerson versuchte sich loszureißen, aber irgend etwas in den Augen Rex Cordas lähmte seine Bewegungen und hemmte seine Entschlußkraft. Eine Art Gleichgültigkeit überkam Emerson. Mit starren Blicken sah er auf die untere Hälfte des Schreibtisches, die schnell verkohlte. Er hustete, als der Qualm immer dichter wurde. Die anlaufende Klimaanlage begann mit dem Absaugen des Rauches. Kurz danach war die Vorderfront verbrannt. Corda ließ den besorgt blikkenden General los. „So, jetzt können Sie richtig löschen, mein Freund. Die Gefahr dürfte vorbei sein." „Hören Sie", schnaufte Emerson, aber Corda winkte müde ab. „Schon gut. Sie werden mich vermutlich für verrückt halten. Ich kann es Ihnen in keiner Weise verübeln, General“ „Ich verstehe immer noch nicht." „Das ist gleich erklärt. Die Orathonen hatten nämlich etwas vergessen." „Ach!" Rex Corda stieß mit dem Stiefel an den Schreibtisch. Verkohltes Holz fiel zu Boden. Es knirschte unangenehm. „Das hier." Er hob einen kleinen, unscheinbaren Gegenstand vom Boden auf, der aus dem verkohlten Holz gefallen war. „Wissen Sie, was das ist?" Emersons ratloses Gesicht besagte mehr als alle Worte. Natürlich konnte er sich keinen Reim darauf machen. Rex Corda lächelte verächtlich. „Das hier ist ein kompliziertes Mikrofon, und zwar eine Meisterleistung
auf dem Gebiet orathonischer Mikrotechnik. Besser noch: ein Tonband, das man zu jeder Zeit beliebig abspielen lassen kann. Ich bemerkte rein zufällig, daß es an den Schreibtisch geheftet wurde, als einer der Featherheads darauf schoß. Es hätte jedes Wort und jedes Geräusch aller künftigen Gespräche aufgezeichnet und bei Bedarf an die orathonischen Schiffe übermittelt." General Emerson war blaß geworden. Seine Finger umklammerten das kaum stecknadelgroße Stückchen Metall, das so unscheinbar aussah. „Und Sie sind sicher, Sir, daß..." „Völlig sicher. Ich kenne mich da aus. Offenbar scheut man noch davor zurück, Abhöranlagen ganz öffentlich bei uns zu installieren. Warum das so ist, weiß ich nicht. Aber ich denke, dieser Beweis dürfte die letzten Zweifel beseitigen, oder?" „Sie spielen mit dem Feuer, Sir. Ich hoffe, Sie sind sich dessen bewußt", sagte Emerson. Cordas Lächeln wirkte gefroren. „Kaum, General. Ich habe den Schreibtisch absichtlich verbrennen lassen. Niemand kann darin eine böse oder vorsätzliche Absicht erkennen. Vergessen Sie nicht, daß wir in unseren Räumen drei Laktonen und Ga-Venga versteckt halten. Man wird alle Räume genauestens durchsuchen, wie man mir versicherte." „Um Gottes willen! Und wenn die Laktonen gefunden werden?" „Dann wird man uns erschießen. Nette Aussichten, nicht wahr? Aber keine Angst, man wird sie bei uns nicht finden." „Und wo halten sie sich auf?" „Das erfahren Sie später. Dann ist es immer noch früh genug. Sollte man Sie einem Hypno-Verhör unterziehen, wissen Sie von nichts." „Das sind ja nette Aussichten", brummte Emerson wenig begeistert.
„Hoffentlich kommt es nicht soweit. Dann würden sie sicher erfahren, daß mir bewußt ist, daß sich hier irgendwo Laktonen verborgen halten." Er sah sich um, ob die Tür gut geschlossen war. Dann sprach er leise und flüsternd weiter: „Sind Sie sicher, daß hier nicht noch mehr Mikrofone verborgen sind?" „Bestimmt nicht. Ich habe die Burschen keine Sekunde aus den Augen gelassen. Sie sind unheimlich intelligent, aber diesmal war die Sache in meinen Augen zu plump eingefädelt. Hier gibt es keine weiteren Abhöraiv lagen, wenigstens in diesem Raum hier nicht." Emerson nickte mißmutig. „Wir sollten die Laktonen ausliefern. Den Orathonen erweisen wir damit einen Dienst und sind sie gleichzeitig los." „Irrtum", widersprach Rex Corda. „Man würde uns nicht mehr trauen, obwohl man das ohnehin kaum noch tut. Die Laktonen sind für uns die einzigen Trümpfe im Spiel um die Erde. Wir brauchen ihre Hilfe dringend." „Ich weiß nicht, was Sie mit der Hilfe von Schiffbrüchigen anfangen wollen, Sir. Glauben Sie, daß die Laktonen noch eine Macht darstellen?" „Sie brauchen nicht ironisch zu werden, General. Ja, sie tun es. Sie stellen eine Macht dar, die der Erde ums Hundertfache überlegen ist." Emersons Gesicht lief rot an. „Sie vergessen, daß die Burschen geflohen sind. Sie befinden sich längst wieder auf ihrer Welt und drehen Däumchen. Ansonsten werden sie sich hüten, nochmals in diesem Bereich der Galaxis aufzukreuzen. Der Schock, den die Orathonen ihnen versetzt haben, dürfte noch lange unangenehm nachklingen. Das ist meine Meinung." „Okay. Unsere Erde muß gerettet werden. Egal wie und unter welchen
Umständen. Dazu ist mir jedes Mittel recht. Selbst Verrat, Intrige und Korruption. Deshalb werden wir die Laktonen zurückpfeifen." „Zurückpfeifen", ächzte Emerson. „Sagten Sie zurückpfeifen? Sie tun gerade so, als hätten wir es mit Schoßhündchen zu tun." „Das sind sie auch bald. Nur - sie wissen es noch nicht. Und ehe sie es erfahren, dürfte es für sie zu spät sein." Die Ruftaste des Videos sprach an. Ein hoher Offizier war am Apparat. „Sir, man durchsucht alle Räume des NORAD. Draußen vor dem Südportal sind schwerbewaffnete Schweber aufgefahren. Ihre Geschütze drohen in die großen Portale. Was sucht man denn eigentlich bei uns?" „Einige Laktonen, glaube ich. Die Orathonen haben es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, daß hier welche versteckt sein müssen." „Wenn hier Laktonen wären, hätten wir sie schon längst den Gegnern ausgeliefert", erboste sich der Offizier. „Sie sprechen mir aus der Seele", erwiderte Corda kaltblütig. „Ich weiß auch nicht, weshalb man auf die Idee verfallen ist, wir hätten hier Laktonen versteckt. Ach ja, wenn Sie die Herren treffen, vergessen Sie nicht zu sagen, daß sie im Ölreservoir nachsehen sollten. Das wäre ein vorzügliches Versteck für entflohene Laktonen." Rex Corda schaltete ab. Das Bild aus dem dreihundert Meter entfernten Raum flimmerte und erlosch dann. „Weshalb betonten Sie das mit dem Ölreservoir, Sir, wenn ich fragen darf?" erkundigte sich General Emerson. Rex Cordas blaue Augen lächelten. Emerson war jedesmal auf das neue von den irisierenden Pupillen fasziniert. „Ganz einfach. Weil sich dort die Laktonen befinden." „Sie haben einen außergewöhnlich makabren Humor. Sie wissen, daß wir
alle erschossen werden, wenn man..." „Natürlich. Das ist mir heute schon mehrmals angekündigt worden. Machen Sie sich nichts daraus. Das Leben meiner Mitarbeiter ist mir sehr viel wert. Niemand wird die Laktonen dort finden." General Abel Th. Emerson war außer sich. Er fand, daß Rex Cordas Spiel entschieden zu weit ging. Andererseits bewunderte er den Mann, der seiner Sache so unheimlich sicher war. Corda war ein Mensch, der genau wußte, was er riskieren konnte, ohne bestimmte Regeln ernstlich zu verletzen. Emersons Hochachtung vor dem neuen Präsidenten wuchs. Im Raum flammten die kleinen Bildschirme der Außenbeobachtung auf. Rex Corda hatte sie mit einem kurzen Griff eingeschaltet. Die Orathonen hatten eine ganze Armee ihrer bewaffneten Hilfsvölker aufgeboten. Es war nicht ersichtlich, ob die Streitmacht den Laktonen galt oder lediglich dafür bestimmt war, Sigam Agelon zu schützen. Vor dem großen Portal patrouillierten sechs Bronze-Roboter. Emerson begann krampfhaft zu schlucken. Die kybernetischen Konstruktionen besaßen außer ihrer Gefühlskomponente ein typisch menschliches Aussehen. Sie konnten sogar lachen. Abgesehen von den unberechenbaren Whims waren die flexiblen BronzeRoboter die weitaus gefährlichsten Geschöpfe. Sie waren hochintelligent. Unter ihren menschlich anmutenden Schädeln verbargen sich vollpositronische Gehirne. Emerson war nicht mehr vom Bildschirm wegzubekommen. Seine Finger schraubten an der Vergrößerung herum. Kleine, hüpfende Tiere rückten ins Bild. Auf ihrem känguruhähnlichen Körper saß ein kleiner Kopf mit einer
weißen Pelzkappe. Zwei schwarze Knopfaugen sahen genau in die versteckt angebrachten Aufnahmelinsen der Kamera. „Nett sehen sie aus", meinte er, zu Rex Corda gewandt. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie gefährlich werden können. Ob sie giftig sind?" Rex Corda warf nur einen flüchtigen Blick auf die Schirme. „Hüpfer", murmelte er. „Mir ist nicht ganz wohl in meiner Haut. Sie laufen jetzt den Tunnelgang vom Süd- zum Nordportal entlang." Emerson wand sich unbehaglich. Sein Erregungszustand äußerte sich sichtbar in heftiger Transpiration. Die Orathonen durchkämmten den ganzen unterirdischen Komplex, was mehrere Stunden in Anspruch nahm. Endlich zogen sie mit ihren Hilfsvölkern wieder ab. Sie hatten nichts gefunden. Erleichtert stieß Emerson die Luft aus. „Ich habe selten so geschwitzt wie eben. Vielleicht haben die Laktonen bereits etwas gemerkt und sind verschwunden. Wenn man so intensiv sucht und nichts findet, scheint es mir fast unmöglich, daß sie noch hier sind. Was ist Ihre Ansicht dazu!" Rex Corda wanderte in dem Raum auf und ab. Als Emerson hochblickte, sah er in die blauen Augen des Präsidenten. Sie schienen zu lächeln. „Ich glaube, wir können sie wieder herausholen." „Herausholen?" stammelte Emerson. „Wo - herausholen?" „Aus dem See natürlich. Sie wissen, daß wir im NORAD einen See aus fast vier Millionen Liter Dieselöl angelegt haben? Er versorgt die Aggregate zur Stromerzeugung mit Kraftstoff." „Äh . .. dann sind die Laktonen tot?"
„Keine Spur. Weshalb sollten sie? Sie befinden sich dort in einer Kugel mit eigener Sauerstoffversorgung. Und diese Kugel liegt in vier Meter Tiefe in dem Ölsee. Genial, nicht wahr?" General Emerson wandte sich erschüttert ab. Er war keines Wortes mehr mächtig. Corda hatte mit einer Kaltblütigkeit und Unverfrorenheit gehandelt, die in keiner Weise mehr zu überbieten war. * Der Junge stieß einen leisen Schrei aus. Seine schmutzige Hand wies nach vorn. „Ein Mann!" rief er, „dort vorn ist er eben gelaufen." Will Rimson blieb sofort stehen und spähte angestrengt voraus. Dort, wo das Hotel stand, war plötzlich ein Mann zwischen den Ruinen aufgetaucht. Augenblicke später jedoch war er spurlos verschwunden. Rimson sah nur noch, daß er eine seltsame Kleidung trug. Nukleon hatte einmal warnend geknurrt, dann sprang er dem Fremden nach. Rimson und der Junge liefen hinterher. Nukleon war' mit erhobenem Kopf vor einem dunkel gähnenden Loch im Boden stehengeblieben. „Der Mann ist dort unten." Thorp zeigte gestikulierend in die verschüttete Öffnung eines ehemaligen Kellers. Rimson warf einen kleinen Stein hinunter. Ein polterndes Geräusch ertönte, danach herrschte wieder Ruhe. „Hallo", brüllte Will. „Sie können unbesorgt heraufkommen, wir haben nicht die Absicht, Ihnen etwas zu tun." Keine Antwort. Alles blieb still. Will Rimson sah sich um. Der Mann hatte ganz offensichtlich Angst. Da er aber anscheinend einer der wenigen
Überlebenden von Miami war, würde er vermutlich einige Hinweise auf gewisse Vorgänge geben können. In dem Hotel schien es ohnehin keine Leute mehr zu geben. Es sah aus der Nähe trostlos und verlassen aus. Der Junge wollte sich durch das Loch zwängen, er entwickelte plötzlich einen ungeheuren Mut. Rimson hielt ihn am Arm zurück. „Hiergeblieben. Du gehst da nicht hinunter. Vielleicht erschießt, er dich sonst, falls er bewaffnet ist." „Mich erschießt keiner", verteidigte der Junge seinen Eifer. „Wer würde schon auf einen wehrlosen Jungen schießen?" „Egal. Du bleibst jedenfalls hier. Wenn..." Rimson brach fluchend ab. Einzelne Steine lösten sich und polterten in ,die Tiefe. Von unten kam ein leiser Schmerzensschrei herauf. Plötzlich bebte die ganze Kellerdekke. Sie schwang in harten, intervallartigen Vibrationen, wie Rimson erschreckt feststellte. Und das Seltsamste: die Vibration ging direkt von der Stelle aus, an der Thorp stand. Der Junge begann zu hüpfen, wie es schien, gegen seinen Willen. Nukleon machte plötzlich einen scheuen Bogen um den Jungen, als fürchte er sich vor ihm. Da brach ein Teil der Decke ein und stürzte herab. Rimson konnte sich nur durch einen schnellen Sprung retten, sonst wäre er unweigerlich hinabgestürzt. Leise schimpfend sah er, wie es Thorp gelang, ebenfalls noch rechtzeitig auf das andere Ende zu springen. Der Junge hatte einen Satz von mindestens drei Metern aus dem Stand heraus gemacht. Eine Staubwolke aus losem Mörtel
und Verputz strebte nach oben und hüllte alles ein. Von dem Fremden war immer noch nichts zu sehen. „Schnell!" befahl Rimson, „hilf mir, die Trümmer beiseite zu räumen. Der Mann liegt vermutlich darunter und erstickt." Thorp sah sich abwesend um. Er schien die auffordernden Worte nicht gehört zu haben. „Er hat rosa Zähne", flüsterte er. „Wer hat rosa Zähne?" fragte Will verblüfft. „Der Mann. Ich habe sie ganz deutlich gesehen," „Quatsch. Vielleicht blutet er. Außerdem - wir haben ihn doch vorhin nur von hinten gesehen. Wie kannst du dann wissen, daß er rosa Zähne hat?" Rimson dachte sekundenlang daran, daß es sich um einen schiffbrüchigen Laktonen handeln konnte, aber er verwarf den Gedanken wieder. Einen Laktonen hätten die orathonischen Hilfsvölker längst aufgestöbert und getötet. „Ich habe ihn aber trotzdem gesehen", beharrte Thorp auf seinem Standpunkt. „Und auch seine rosa Zähne." „Na schön. Dann räume wenigstens jetzt die Trümmer beiseite. In spätestens drei Minuten ist der Mann mit den rosa Zähnen nämlich tot." Will Rimson begann wie ein Wilder zu arbeiten. Er hatte gerade ein zwei Quadratmeter großes Feld abgeräumt, als er erschreckt zurückfuhr. Ein Mann sprang aus der Öffnung. Rimson sah nur ein entsetztes Gesicht mit weit aufgerissenen Augen und einen ungemein breiten Körper. Der Mann sprang an ihm vorbei und wollte fliehen. Er kam knappe fünf Meter weit. Nukleon sprang ihm mit einem mächtigen Satz ins Kreuz. Der Fremde fiel der Länge nach zu Boden. Seine Hand tastete im Liegen zum Gürtel, wo eine kleine Waffe
steckte. Angesichts der drohend gefletschten Zähne des Hundes, der sich über ihn beugte, unterließ er es jedoch, die Waffe zu ziehen. Sein Gesicht verzerrte sich. „Zurück, Nukleon!" befahl Rimson. Der Hund gehorchte sofort. „Wenn Sie zur Waffe greifen, kann ich keine Garantie übernehmen", sagte Will drohend. „Der Hund würde Sie bei der geringsten aggressiven Bewegung zerreißen. Weshalb sind Sie weggelaufen?" Rimson war zwei Schritte von dem Fremden entfernt, der eine dunkelgrüne Kombination trug. Am Brustteil blitzte das Symbol eines winzigen Raumschiffes, das auf die Sonne zuflog. Der Fremde sah durchaus einem Menschen ähnlich, auch seine Gesten unterschieden sich nur wenig von denen der Amerikaner. Als er aber die Lippen hochzog, erkannte Rimson, daß es kein Terraner war. Ein Laktone! Ein Wortschwall ergoß sich über Rimson, der kein Wort der singenden Sprache verstand. Der Laktone besaß auch keinen Simultanübersetzer. Die Verständigung würde deshalb mehr als schwierig werden. Obwohl Rimson nicht zum erstenmal die Bekanntschaft dieser Fremdrasse machte, empfand er dennoch ein unbeschreibliches Gefühl, dem Vertreter einer anderen Rasse gegenüberzustehen. Es war ein Gefühl, das sich einfach nicht in Worten ausdrücken ließ. Zu viele Empfindungen stürmten dabei auf ihn ein. Die frühere Meinung von Wesen, die anderen Sternen entstammten, war durch die gegebenen Tatsachen längst überholt. Die landläufige Ansicht, Fremde konnten nur wie abscheuliche Monster aussehen, hatten die Laktonen gründlich revidiert. Sie sahen wie Men-
schen aus. Allein ihre rosa Zähne unterschieden sie. Davon abgesehen, gab es auch heute auf der Erde noch Völkerstämme, die eher von anderen Planeten hätten stammen können als die Laktonen selbst. Ihre Mentalität war der der Orathonen fast gleichzusetzen. Sie betrachteten einen Terraner grundsätzlich abschätzig. In ihren Augen war der Mensch ein primitiver, halbzivilisierter Barbar mit dem Benehmen eines etwas fortgeschrittenen Urmenschen. Kein Laktone hätte einen Finger gerührt, um einem Menschen zu helfen, der in Bedrängnis war. Jetzt war die Lage anders. Dieser Laktone hatte viel von seiner Überheblichkeit eingebüßt. Er war ein Gejagter, den die Orathonen gnadenlos töten würden, wenn sie ihn entdeckten. Er war von seinem Volk abgeschnitten und auf die Hilfe der Terraner angewiesen. Daran änderte selbst seine hervorragende Waffe nichts. Er war allein, ohne Hilfe, ohne Freunde. Will Rimson schüttelte den Kopf. Er hatte kein Wort verstanden. Dafür sah er den Haß in den Augen des Jungen, der den Laktonen wütend anstarrte. Will Rimson konnte sich das erklären, weil die Laktonen indirekte Schuld am Tod seiner Eltern hatten; denn schließlich war es eines ihrer Schiffe gewesen, das auf Miami gestürzt war. Es war eine gespannte Atmosphäre, in der es förmlich knisterte. Hier der Junge, der den Laktonen haßte, dann Nukleon, der ständig einen Bogen um den Jungen machte, und schließlich der Laktone, der sie alle drei nicht ausstehen konnte. Dennoch war einer auf den anderen angewiesen, außer Will Rimson vielleicht, der auch allein seinen Weg ge-
funden hätte. Will bemerkte, daß der Laktone den Jungen besonders haßerfüllt anstarrte. Das schien auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Er verströmte einen herben, etwas bitteren Geruch, der Will Rimson an ein Ätzmittel erinnerte. Dieser Geruch war für alle Laktonen typisch. Ihre starke Adrenalin-Ausschüttung hatte sie schon oftmals den Orathonen in die Hände gespielt, wenn die Jumper auf ihrer Fährte waren. Rimson sah den Laktonen an, deutete auf sich und sagte dann: „Ich bin Rimson." Er sprach die Worte langsam und deutlich. Der Laktone hob eine Hand hoch und deutete zurück. „Ichrimson", sprach er in einem Wort nach. „Hat wohl keinen Sinn", brummte Will. Er machte noch einen Versuch. Neugierig musterte er dabei das kleine Gerät, das in die Gürtelschnalle der laktonischen Kombination eingearbeitet war. Er konnte sich die Funktion nicht erklären, nahm aber an, daß es sich um ein Kommunikationsmittel handelte. Wahrscheinlich war es eine kombinierte Sende- und Empfangsanlage, denn die oberen Enden wiesen zwei kurze silberne Drähte auf, die etwa fünf Zentimeter lang waren. Der Laktone zeigte sich von Wills fragendem Gesicht nicht sonderlich beeindruckt. Dennoch schien er zu wissen, was der alte Mann meinte. Sein Zeigefinger tippte an die Brust. „Chantol!" stieß er hastig hervor. Dann verschloß sich sein Gesicht. Im nächsten Moment lag er flach am Boden. Ein Schweber überflog in großer Höhe das Hotel. Als er die drei Menschen bemerkt hatte, zog er einen weiten Kreis und
kam gleichzeitig tiefer. „Hoffentlich schießen sie den Laktonen ab", keuchte der Junge. „Ich gönne es ihm." Will Rimson war entsetzt. „Hör auf zu winken", brüllte er. „Du machst sie ja auf uns aufmerksam." Blitzschnell fuhr er herum. Der Laktone hatte sich erhoben und begann in heller Panik zu rennen. Sein Ziel war das Hotel. Wahrscheinlich hoffte er, dort ein geeignetes Versteck zu finden. „Bleib hier, Nukleon", sagte Rimson, als der Hund ihn fragend ansah. „Er muß selbst wissen, was er tut. Jedenfalls hat es keinen Zweck, ihn jetzt aufzuhalten." „Die werden ihn sowieso abschießen", meinte der Junge verächtlich. „Er ist ja nur ein Laktone." Rimson sah stirnrunzelnd auf den Schweber, der den Flüchtling jetzt verfolgte. Lange grübelte er darüber nach, was Thorp mit dem Wörtchen „nur" gemeint haben konnte. Der Schweber schenkte ihnen keine Beachtung. Lediglich der fliehende Laktone interessierte ihn. Das war wiederum ein Punkt, der Will Rimson zu denken gab. Wußten die Verfolger, daß es ein Laktone war? Weil er sofort flüchtete? Ganz sicher nicht. Etwas anderes mußte hierbei wesentlich bedeutungsvoller sein. Vom Schweber löste sich ein gleißender Punkt, der in die Ruinen einschlug und die Steine nach allen Seiten hochspritzen ließ. Flüssiges Gestein begann zu kochen und verschmolz zu zähen Tropfen. Noch hundert Meter trennten den Laktonen von dem weißen Gebäude. Die Schußbahn lief blasenwerfend in schnurgerader Richtung hinter ihm her, eine glutflüssige Furche in den Boden reißend.
Der Laktone hatte das hallende Tosen in seinem Rücken vernommen und die eruptiv hochwirbelnden Steine gesehen. Er lief jetzt in irrsinnigem Tempo und im Zick-Zack-Kurs. Will Rimson staunte über die Kräfte, die in dem Körper steckten. In wilden Sprüngen rannte der Flüchtling auf die weiße Mauer zu. Kein Terraner hätte dieses höllische Tempo auch nur eine Minute lang durchgehalten. Die lohenden Flammenbahnen kamen näher. Da hatte der Laktone das offenstehende Fenster des Gebäudes erreicht. Aus dem Laufen sprang er mit weitausgebreiteten Armen im Hechtsprung hinein. Der nächste Treffer streifte das Dach und riß es in einer blendenden Feuerwolke herunter. Die Luft war erfüllt vom maßlosen Röhren der Einschläge. Die Vorderwand bog sich unter dem Aufprall thermischer Energien nach vorn und stürzte ein. Der nächste Strahlschuß fetzte die übrigen Wände auseinander, die in Rauch und Flammen vergingen. Dann drehte der Schweber ab. Er hatte ganze Arbeit geleistet. Lautlos verschwand er in Richtung der neu entstehenden Fabrikanlagen in der Nähe des Ozeans. Thorp atmete erleichtert auf. „Den hat es erwischt. Irgendwie freut mich das, Mister Rimson." „Mich nicht", gab Will bissig zurück. „Ich finde die ganze Sache höchstens rätselhaft. Die Orathonen sind wohl deine Freunde, was?" „Äh, - das nicht. Aber wenn sie den Laktonen ordentlich einheizen, bewundere ich sie. Sind da, wo Sie herkommen, eigentlich auch noch Laktonen?" „Wieso?" „Nun, wenn man sie den Orathonen meldet, kann man vielleicht Geld dafür kriegen."
„Du solltest dich schämen, Thorp. Man liefert keine hilflosen Wesen an einen Gegner aus. Merke dir das gefälligst. Das ist gemein und eines Menschen nicht würdig." „Aber wenn sie uns doch alle vernichten wollen", sagte Thorp. „Sie töten doch alle Menschen." „Sie führen untereinander Krieg. Aber ich habe noch nie gesehen, daß die Laktonen mutwillig einen Terraner umgebracht haben." Rimson rieb sich mit der rechten Hand den Hals. Die Hitze, die von dem geschmolzenen Gestein aufstieg, war, kaum noch zu ertragen. Will warf einen bedauernden Blick auf den formlosen verbrannten Klumpen, der vormals ein Hotel gewesen war. Jetzt stand kein Stein mehr auf dem anderen. Es war ausgeschlossen, daß der Laktone das Inferno überlebt hatte. Es mußte ihn in gerade dem Moment getroffen haben, als der erste Schuß einschlug. Hundert Meter weiter setzte Rimson sich auf einen Stein. Die Sonne brannte vom Himmel, es war drückend heiß, und der leichte Wind, der vom Ozean herüberwehte, brachte den heißen Atem der Vernichtung mit. Das Hotel, oder das, was noch davon übrig war, befand sich nicht mehr weit entfernt. Nukleon warnte schon wieder. Der Hund lag scheinbar schläfrig in der Sonne, aber das linke Auge blinzelte ständig zu Rimson hin. Der alte Wissenschaftler sah sich ratlos um. Die Gefahr konnte keinesfalls ihm gelten, sonst hätte Nukleon sich anders benommen. Also mußte für einen Dritten Gefahr bestehen, zumindest aber ein kommendes Unheil. Der Schäferhund mit seinen telepathischen Fähigkeiten hatte bisher noch niemals versagt.
Als Will Rimson weit vor sich auf den Boden blickte, blieb er wie gelähmt sitzen. Aus dem Kellerfenster des zerstörten Hotels sah eine teuflisch lachende Fratze heraus. Ein Arm mit einer zerfetzten Uniformjacke schob sich an dem Gesicht vorbei. Rimson begann innerlich zu stöhnen, als die Waffe hochruckte. Er kannte sie. Die Laktonen nannten das flache Ding einen Smash. Es war eine höllische Situation für einen alten Mann. Da schwenkte der Arm des Laktonen jäh herum. Das Ausschußrohr für die superschnellen Projektilnadeln wanderte von seinem Körper weg und zeigte jetzt auf den Jungen. Der Junge begann in unwahrscheinlich schneller Erfassung der Lage zu rennen. Da krümmte sich der Zeigefinger. Zischend fauchte das Projektil aus dem bleistiftlangen Lauf. Der kleine Junge schrie gellend auf. Anschließend erfolgte die Detonation in dem schmächtigen Körper. * Rex Corda, höchster politischer Repräsentant und neuer Präsident des amerikanischen Kontinents, hatte mit unüberbietbarer Kaltblütigkeit die Laktonen kommen lassen. Zur Zeit befanden sich Bekoval, GaVenga und die beiden anderen in seinem Arbeitszimmer. Die wenigen Eingeweihten hatten die „Taucherkugel" mittels einer Leine aus dem Ölsee gefischt. Alle vier befanden sich bei bester Gesundheit. Ga-Venga hatte selbst in dieser haarsträubenden Lage nicht seinen Humor verloren. Seine Sprach-
kenntnisse hatten sich noch verbessert. Er sprach perfekt, nur mit einem kleinen Akzent. „Meine Hochachtung", sagte er gerade. „Dieser Nervenkitzel war Balsam für meine Seele. Langsam beginne ich, Sie zu bewundern, Terraner. Es gibt wohl nicht viele, die so sind wie Sie?" „Vielleicht doch. Gibt es eigentlich Situationen, in denen Sie auch ernst bleiben können?" fragte Rex Corda ironisch. Der Kleine stolzierte in unnachahmlich mokanter Weise um den halbverkohlten Schreibtisch. Wieder blies er imaginäre Stäubchen von seiner tiefschwarzen Uniform. Anschließend lachte er selbstgefällig. „Bekoval bietet Ihnen seine Hilfe an. Wir haben lange beratschlagt. Zeit genug hatten wir ja. Übrigens: Sie sollten das Öl anwärmen lassen. Es war ungemütlich kalt dort unten." „Ich werde gelegentlich daran denken", versprach Rex Corda. „Ich lasse es anbrennen, dann dürften Sie auf Ihre Kosten kommen." Ga-Venga hüstelte völlig unmotiviert. Seine Rechte bewegte sich sinnlos durch die Luft. „Immer noch der unschlagbare Humor, wie? Haha. Aber ich habe wohl genug geredet. Bekoval wollte Ihnen einen Vorschlag machen." „Da Sie ihn ja gut kennen, können Sie ruhig beginnen. Ich nehme an, es handelt sich dabei um eine konkrete Angelegenheit." „Hmm. Die Laktonen bieten Ihnen ihre Hilfe an." „Aha. Also ein abstrakter Vorschlag. Fragen Sie Bekoval, wie er sich das vorstellt. Wenn mich nicht alles täuscht, ist er zur Zeit mehr auf unsere Hilfe angewiesen als wir auf seine. Hoffentlich hat er das gebührend berücksichtigt." Ga-Venga räusperte sich. Verlegen
sah er auf seine Hände. „Die Laktonen sind mächtig, Präsident. Auch wenn es zur Zeit den Anschein hat, daß sie verloren wären. Wenn sie ihre Hilfe anbieten, so ist das mit einem Freundschaftspakt identisch, den niemand sonst der Erde bieten kann!" „Lassen Sie hören!" Ga-Venga schien diesmal keine Übersetzung zu benötigen. Bekoval hatte ihm offensichtlich alle Vollmachten erteilt. Jedenfalls deutete alles darauf hin, daß sie sich in der Kugel sorgfältig abgesprochen hatten. „Ich spreche praktisch für das laktonische Reich, Sir." „Ach! Wie wir uns gleichen. Und ich spreche praktisch für die Erde; jedenfalls maße ich mir das an. Ein seltsamer Zufall, nicht wahr?" „Darüber kann ich mir kein Urteil erlauben", antwortete Ga-Venga steif. Seinen Humor schien er abgelegt zu haben. „So, Sie sprechen also für das laktonische Reich. Weiß Bekoval denn, was Sie sagen? Sie könnten beispielsweise genau das Gegenteil von dem erzählen, was er beabsichtigt." „Sir!" rief Ga-Venga empört. „Man würde mir den Hals umdrehen. Bekoval versteht in dieser Richtung keinen Spaß." „Ich auch nicht. Wenn Sie jetzt nicht bald auf den Kernpunkt Ihres Gespräches kommen, verschwinden Sie wieder im Ölsee. Dieses Mal aber ohne Taucherglocke, mein Freund. Was also haben Sie zu bieten? Fassen Sie sich kurz und unterlassen Sie Ihre albernen Faxen. Mir ist nicht zum Spaßea zumute." Ga-Venga zuckte zusammen. Diesen Ton war er bisher nicht gewöhnt. Als er leicht zu grinsen begann, warf Rex Corda ihm einen scharfen, verweisenden Blick zu. Da sank der Kynother
förmlich in sich zusammen. „Bekoval beabsichtigt, einen Spruch an die laktonische Flotte zu senden." „Sie meinen die Helden, die vor der orathonischen Übermacht so kopflos geflohen sind, ja?" vergewisserte sich Corda trocken. Ga-Venga schluckte peinlich berührt. Er nickte zustimmend mit dem Kopf. Bekoval selbst stand vor dem Schreibtisch. Seine Augen wanderten von einem zum anderen. Die beiden übrigen Laktonen hielten sich still im Hintergrund. „Sie dürfen den Laktonen keine Feigheit vorwerfen, Sir. Dieser Krieg dauert schon Jahrtausende. Er wird mit einem Ausmaß an Material und Kämpfern geführt, das jedes menschliche Begriffsvermögen weit übersteigen dürfte. Mal sind wir, dann wieder die Orathonen im Vorteil!" Der Kynother räusperte sich wieder. Er sagte ein paar Worte zu Bekoval, der mit gespanntem Gesichtsausdruck auf Rex Corda sah. Der Präsident hielt zur Zeit alle Trümpfe in der Hand. Er beabsichtigte nicht, sich von den Laktonen bevormunden zu lassen. Diese Herrschaftsrasse, die in der Weite der Galaxis einige tausend Sonnensysteme kontrollierte und wahrscheinlich auch einige Völker brutal unterdrückte, war augenblicklich entschieden im Nachteil. Sie hatten nicht zu fordern, sondern zu bitten! Corda wußte, daß dieser Zustand nicht lange anhalten würde. Schon morgen konnten sie wieder auftauchen und bei ihrer Auseinandersetzung ganze Planeten verwüsten. Außerdem waren ihm die Laktonen zu freundlich. Im Grunde ihrer Herzen jedoch waren sie in etwa den Orathonen gleichzusetzen. Ihr Ziel war ebenso die bedinguftgslose Unterwerfung der Erde und deren restlose Ausbeutung. Sie wa-
ren kalt, gefühllos und glaubten sich grenzenlos überlegen. Rex Corda bot sich die gegebene Situation geradezu an. Sie sollten wissen, daß sie augenblicklich zu gehorchen hatten, keinesfalls aber zu bestimmen. Dennoch erkannte er in wenigen Augenblicken die ganze Situation. Die Laktonen wollten ihre Flotte rufen, die irgendwo in den Tiefen des Alls auf der Lauer lag. Er sah nur noch nicht klar, wie Bekoval das bewerkstelligen wollte. Ga-Venga hüstelte schon das dritte Mal. Der zwergenhafte Kynother hatte seine zur Schau gestellte Überlegenheit abgelegt wie die Laktonen auch. Sie waren völlig in der Hand der Terraner. Bekoval redete ein paar schnelle Worte zu Ga-Venga. Der Kynother übersetzte sofort. „Was wir Ihnen zu sagen haben, Sir, ist von allergrößter Wichtigkeit. Bekovals Vorschlag ist völlig uneigennützig. Sein Ziel ist die Vernichtung der orathonischen Flotte. Gelingt ihm das, haben Sie für Ihren Planeten nichts zu befürchten. Wir wollen ihn nicht. Wir haben genügend andere Welten. Wir wollen nur den Tod aller Orathonen, um uns vor diesen kosmischen Mördern für alle Zeiten zu sichern." „Ihre gegenseitigen politischen Anschuldigungen sind für mich vollkommen unmaßgeblich", sagte Corda. „So, wie ich Sie einschätze, haben Sie genau die gleichen Absichten wie die Orathonen." „Wir bieten Ihnen aber einen Vorteil an, Sir. Wir schließen einen Pakt mit der Erde, ein Bündnis auf rein freundschaftlicher Basis. Dazu aber ist dringend erforderlich, daß wir einen Spruch an die Flotte absetzen." „Wie haben Sie sich das vorgestellt mit Ihren kleinen Taschensendern vielleicht?"
„Natürlich nicht. Die Flotte dürfte Lichtjahre entfernt sein. Die Reichweite der kleinen Sender ist bis auf wenige Lichtsekunden begrenzt. Zudem durchdringen die schwachen Sendeenergien niemals den Hyperraum, wenn Sie sich unter diesem Begriff etwas vorstellen können." Der letzte Satz klang wieder überheblich. Rex Corda ließ sich seinen Ärger nicht anmerken. „Wir sind noch nicht durch den Hyperraum geflogen", sagte er kalt, „aber unseres Wissens dürfte es sich dabei um einen fünfdimensional gekrümmten Überraum handeln, in dem die herkömmlichen Gesetze der Physik ihre Gültigkeit verlieren. Um in den mehrdimensionalen Raum einzudringen, ist annähernde Lichtgeschwindigkeit erforderlich. Der Transitions-Effekt dürfte vermutlich in dem Augenblick eintreten, wenn die Masse des Schiffes unendlich zu werden droht. Aber erzählen Sie weiter. Im übrigen dürfen Sie versichert sein, daß unsere Wissenschaftler nicht mit schlafmützigen Tölpeln identisch sind." Ga-Venga war überrascht. Der Kynother hatte keinesfalls mit einer Präzisierung seiner Vorstellungen über den Hyperraum gerechnet. Sein Selbstbewußtsein war soeben mit ein paar hingeworfenen Worten lädiert worden. „Alle Achtung!" murmelte er. „Wir müssen also auf einer überlichtschnellen Trägerwelle einen hochgradig parallel gebündelten Lichtstrahl absetzen. Selbstverständlich ist das nur mit einer hochwertigen Hyperanlage zu erreichen. Ich glaube nicht, daß Sie über einen derartigen ..." „Nein, wir haben keinen, sonst hätten wir nämlich auch schon den überlichtschnellen Raumflug. Eines setzt das andere voraus." „Natürlich, Sir." Er wandte sich wieder dem Laktonen
Bekoval zu. Sie wechselten ein paar schnelle Sätze. „Bekoval sagt, daß ich die Unterhaltung weiterführen soll. Er selbst versteht noch nicht alles, es würde nur unnötige Mißverständnisse geben." „Bitte sehr. Schließlich haben Sie Vorschläge zu unterbreiten. Lassen Sie also hören." Ga-Venga sah sich stolzgeschwellt um. „Bekoval will versuchen, in ein orathonisches Schiff einzudringen, um von dort aus den überlichtschnellen Spruch an die Flotte abzusetzen." Rex Corda war einige Sekunden lang sprachlos. „Wissen Sie, was Sie da sagen? Sie wollen in ein orathonisches Raumschiff eindringen? Ich vermisse Ihre bestechende Logik. Sie kämen nicht einmal bis in unmittelbare Nähe des Schiffes. Sie haben wohl die Jumper vergessen, was?" „Das nicht. Aber es gibt leider keinen anderen Weg. Bekoval will als Preis sein Leben einsetzen; egal wie das Unternehmen ausgeht. Die Hauptsache ist, der Spruch kommt durch." Corda warf dem Laktonen einen respektvollen Blick zu. Ihm schien sehr viel daran zu liegen, obwohl ein Unternehmen dieser Art von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Außerdem war es mehr als fraglich, ob der Laktone auf diesem Weg etwas erreichen würde. Wenn die laktonische Flotte geflohen war, würden nicht ein paar einfache Worte genügen, sie wieder zurückzuholen. Jedenfalls konnte Corda sich das kaum vorstellen. Ga-Venga schien betrübt. „Wir werden eine entsprechende Verkleidung wählen und uns in das Schiff einschleichen. Unsere Agenteneinsätze sind gefürchtet. Wir haben schon oft
Erfolge auf diesem Weg erzielen können." „Sie vergessen Ihre starke AdrenalinAusschüttung. Jeder Jumper würde Sie auf eine Meile „orten". Ich fürchte, daraus wird nichts." „Auch dagegen ließe sich etwas unternehmen. Beispielsweise könnte man die Jumper durch geruchneutralisierende Mittel irreführen. Unser Hauptproblem bleiben indessen die Bronze-Roboter. Sie sind weitaus am gefährlichsten. Man kann ihnen nur in seltenen Fällen entkommen." Ga-Venga unterbrach sich. Er sah den völlig abwesenden Gesichtsausdruck des Präsidenten, der gar nicht mehr zuzuhören schien. „Sir! Sie versprachen, uns anzuhören. Wir empfinden es als beleidigend, wenn wir Ihnen Probleme vortragen, die Sie in keiner Weise ernst zu nehmen gewillt sind." Rex Corda war aufgestanden. Automatisch hatte sein Zeigefinger die Bildschirme der Außenerfassung aktiviert. Stirnrunzelnd sah er die ruhelos hin und her marschierenden Gestalten zweier Bronze-Roboter, die vor dem großen Südportal patrouillierten. Als er sich umwandte, lag ein harter Zug um seine schmalen Lippen, der keinen Widerspruch duldete. „Ihre Sache ist vollkommen aussichtslos. Ein Selbstmordunternehmen, weiter nichts. Sie schaffen es nicht. Die Möglichkeiten eines Erfolges stehen etwa eins zu zehn Milliarden." „Wir haben ..." „Ich weiß. Sie haben keinen Erfolg", sagte Corda abweisend. „Dabei fällt mir ein, daß Sie noch im Besitz der Agentenausrüstung sind. Sie werden mir diese Sachen bitte aushändigen." „Sie sind ein kühler Rechner, Sir", warf Ga-Venga ein. „Haben Sie etwa die Absicht, uns den Orathonen aus..."
Corda ließ ihn nicht ausreden. „Sie sollten mich langsam kennen, Kynother", erwiderte er kalt und schneidend. „Ich rechne genauso kühl wie Sie. Von Auslieferung kann keine Rede sein, solange Sie sich anständig benehmen. Wollten wir nicht ein Bündnis schließen?" Als er den zustimmenden Blick Bekovals bemerkte, fuhr er fort: „Na also! Ich werde Ihnen helfen, die laktonische Flotte zu holen. Ich werde in das orathonische Schiff gehen, und ... schweigen Sie gefälligst, Ga-Venga, ich weiß genau, was ich sage. Für Sie ist diese Aktion ohnehin mit Selbstmord identisch. Ich werde als Bronze-Roboter in das Schiff gehen. Verstehen Sie?" Bekoval und die anderen Laktonen sahen sich an. In ihren Blicken lag Bestürzung. „Das wollen Sie wirklich tun, Sir? Wir danken Ihnen im Namen des laktonischen Imperiums." „Hoffentlich denken Sie in nächster Zukunft auch noch so", murmelte Corda so leise, daß es nur Ga-Venga verstehen konnte. Bekoval kam näher. Seine kräftige, untersetzte Gestalt schob sich an die Schirme heran. Er empfand plötzlich tiefe Sympathie für den Terraner, obwohl er sich immer noch grenzenlos überlegen wußte. Sinnend sah er dann hinaus. „Sie könnten ein laktonischer Agent sein", murmelte er. Ga-Venga übersetzte die leisen Worte. Die beiden anderen Laktonen standen immer noch reglos im Hintergrund. Corda wußte nur, daß einer von ihnen Paro hieß. Offensichtlich standen sie aber in der Rangordnung unter Bekoval. Paro war mit seinen 37 Jahren ein außergewöhnlich junger Laktone, was bei der hohen Lebenserwartung fast
einem Jugendlichen gleichkam. Dennoch war der Spezialagent ein As der laktonischen Abwehr und, obwohl auf dem Planeten Lithalon geboren, noch schwerer gebaut als ein Laktone. Er verstand von der geführten Unterhaltung mehr als Bekoval. Paro bemühte sich, Englisch zu lernen, was man von Fatlo Bekoval keinesfalls behaupten konnte. Paro versteckte seine Sympathie für die Terraner hinter einem betont gleichgültigen Gesicht. Er überprüfte gerade den winzigen Mikro-Dolmetscher, der eine verkleinerte Ausgabe der Simultanübersetzer orathonischer Fabrikation war. Sie hatten die Ausrüstung einem orathonischen Agenten abgenommen, der gefallen war. Ein kleiner, handlicher Magnet-Smash gehörte dazu. Paro kam näher, Rex Corda überragte ihn um genau zehn Zentimeter. Corda sah dem Laktonen fragend in die hellen Augen. Bekoval machte eine schnelle Handbewegung. Der Lithalon-Geborene durfte sprechen. Selbst hier, in dieser Situation, herrschte immer noch der angeborene Kastengeist. Paro sprach schleppend und langsam. Er überlegte jedes Wort, ehe er es aussprach. „Sie sind sehr mutig. Auf Lithalon wären Sie schon Schwertträger der ersten Klasse. Wir werden Ihnen alle Unterstützung geben, die Sie benötigen, um sich in dem orathonischen Raumschiff zurechtzufinden. Das Wichtigste sind die Roboter hier." Paros ungewöhnlich breiter Brustkorb hob sich. Tief holte er Luft. Sein Zeigefinger wies auf den Bildschirm. Einer der Bronze-Roboter war stehengeblieben. Seine menschlich wirkenden Augen blickten genau in die Aufnahmelinsen der Optik. Dann verzog sich der Mund.
Das bronzefarbene Etwas lachte spöttisch. Es sah abscheulich aus. „Man hat den Eindruck, als könnten sie uns sehen", meinte Corda. „Dabei ist das ausgeschlossen. Ich frage mich, aus welchem Grund er jetzt wohl lacht." „Das ist sehr einfach", meldete sich Ga-Venga. „Er weiß, daß er beobachtet wird, und deutet mit seinem Lachen an, daß wir wissen, daß er es weiß. Eine furchtbar komplizierte Sprache haben Sie. War das eben richtig ausgedrückt?" „Sinngemäß ja. Sie wollen damit zum Ausdruck bringen, daß der Roboter die Aufnahmelinsen entdeckt hat und sich nun über uns lustig macht. Wir sollen merken, daß er davon überzeugt ist, beobachtet zu werden." „Die Roboter sind vollpositronisch. Unterschätzen Sie diese Dinger niemals", warf Paro ein. Seine tiefe Stimme dröhnte. „Sie sind eher mit Androiden zu vergleichen als mit ausgesprochen kybernetischen Konstruktionen. Der Flottenkommandeur Sigam Agelon kann sie selbst nicht leiden, weil sie zuviel eigene Initiative entwickelt haben." „Interessant. Ich habe Sigam Agelon kennengelernt, was ist das für ein Mann?" Zum erstenmal sah Corda den schwergebauten Mann lachen. „Er hat einen Verweis von der Familie erhalten und muß eine disziplinarische Strafe als Kommandeur abbrummen. Bringen Sie ihn mit, wenn Sie den Funkspruch absetzen, Sir", rief er aus, „wenn Sie ihn der laktonischen Flotte in die Hände spielen, wird man Ihnen vermutlich zum Dank ein paar Planeten schenken. So hoch wird er nämlich bei uns eingeschätzt." „Ich werde gelegentlich daran denken", versicherte Corda. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, hätte ich gern den kugelförmigen Sternhaufen Herkules. Das Klima dort soll sehr
gesund sein." Unvermittelt wurde er ernst. Nur GaVenga bog sich vor Lachen. Dieser Terraner war köstlich, er hatte Sinn für Humor. „Erklären Sie mir bitte nun die Einzelheiten", bat Rex Corda. „Daß uns keine Regiefehler unterlaufen dürfen, steht außer Frage. Das Unternehmen scheitert an der geringsten Kleinigkeit, bedenken Sie das bitte." Paro und Bekoval erklärten die Funktionsweise des orathonischen Simultanübersetzers. Die nächsten vier Stunden verbrachte man damit, anhand von Skizzen und Zeichnungen das Innere eines Orathonenschiffes darzustellen und die Bedienung für den überlichtschnellen Hypersender zu erklären. Rex Corda prägte sich jedes Detail ein. Die „Offensive Orathon" konnte anlaufen. Nach den präzisen Erklärungen der laktonischen Spezialisten, die genauestens mit den Räumlichkeiten eines Orathonenschiffes vertraut waren, konnte es kaum Pannen geben. Der verwegene Plan wurde in allen Einzelheiten festgelegt. Nur ein Zweifel konnte ihn zunichte machen. Niemand wußte, daß dieser Zufall eben von dem kleinen unscheinbaren Simultanübersetzer abhing. Die Orathonen hatten ihn wohlweislich präpariert. Das war der erste, nicht miteinkalkulierte Faktor in einem Spiel um die galaktische Macht. Rex Corda mußte sich verraten, sowie er in das orathonische Schiff eindrang. * Der hallende Schuß wirbelte den Körper durch die Luft. Dann schlug er dumpf dröhnend auf den Boden. Will Rimson war so entsetzt wie
noch nie in seinem Leben. Ein Laktone hatte einen kleinen hilflosen Jungen kaltblütig ermordet! Das war eine himmelschreiende Gemeinheit. Nur ein äußerst übler Verbrecher konnte so handeln. „Faß, Nukleon", schrie Rimson außer sich vor Wut. Aber zum erstenmal in seinem Leben gehorchte Nukleon nicht. Er blieb reglos sitzen. Selbst die Detonation hatte ihn nicht dazu bewegen können, seinen Platz zu verlassen. Er sah, wie der Laktone sich aus dem kleinen Fenster zwängte. Der Junge war tot, daran konnte es keinen Zweifel geben. Still und reglos lag er ein paar Meter weiter zwischen Sand und Steinen. Rimson warf dem Hund einen wütenden Blick zu, dann stürmte er vor und warf sich trotz seines Alters auf den Laktonen, der jetzt das Freie erreicht hatte. Ein Blick in die zwingenden Augen des Nichtirdischen ließ Rimsons erhobenen Arm in der Luft verharren. Sekundenlang überlegte er, warum er nicht einfach zuschlug. Da hatte der Laktone ihn erreicht. Er hielt Will die Oberarme fest und redete in der fremden Sprache auf ihn ein. Rimson wollte sich losreißen, aber den Kräften des unter einer einskommafünf Gravitation Aufgewachsenen hatte er nichts entgegenzusetzen. „Da gibt es keine Entschuldigung, Sie Monster", fauchte er, „Sie haben ihn ermordet - einen kleinen, wehrlosen Jungen. Ich hasse Sie!" Wieder redete der Laktone auf ihn ein. Als Rimson nicht verstand, fühlte er sich plötzlich vorwärtsgeschoben. Will sah, daß der Fremde ihn zu der Stelle hindrängte, wo Thorp lag. Er schloß die Augen. Er konnte den Anblick nicht ertragen. Der Laktone wartete geduldig, nur
hielt er den Wissenschaftler noch immer im festen Griff seiner muskulösen Arme vor sich. Da öffnete Rimson endlich die Augen. Thorp lag in unnatürlich verrenkter Stellung vor ihm. Das bleiche Gesicht war verschmutzt, der rechte Arm befand sich in einer abgewinkelten Lage, die, anatomisch gesehen, unmöglich war. Der Laktone vergewisserte sich, ob Rimson fliehen wollte. Dann ließ er ihn los. Mit steifen Schritten ging er voraus. Hart vor dem Toten blieb er stehen. Sein Finger war auf die hingestreckte Gestalt gerichtet. Rimsons Blick-klärte sich. An der Einschußstelle klaffte ein gezacktes Loch, aus dem bläuliche Flammen schlugen. Unter der zerfetzten und verbrannten Kleidung schimmerten blanke Kontakte und silbernes Metall. Die Hände des Laktonen fetzten die versengte Kleidung herunter. Noch immer schlugen blaue Flammen aus dem klaffenden Einschußloch. Das rechte Bein des Jungen begann zu zucken. Rimson hatte längst erkannt, daß es sich hier um kein biologisch abhängiges Lebewesen handelte. Das, was da vor ihm lag, war eine ausgereifte technische Superkonstruktion, einem Menschen bis ins kleinste Detail genauestens nachgebildet. Der „Junge" war in den orathonischen Werkstätten kybernetischer Technik entstanden, ein Produkt der Abwehr, ein Agent, der ihn auf Schritt und Tritt belauerte und seine Beobachtungen an die orathonischen Schiffe funktechnisch übermittelte. Will Rimson starrte mit fassungslosen Blicken auf das Etwas, das noch immer zuckte. Der Anblick war zermürbend. Die genial konstruierte Gestalt be-
wegte noch einmal den Mund, die Lippen versuchten Worte zu formen. Offensichtlich war das vollpositronische Gehirn noch nicht restlos zerstört. Die Nervenbahnen empfingen noch immer unkontrolliert gesteuerte Impulse vom Hirn. Will Rimson sah den Laktonen an. Er empfand eine niegekannte Dankbarkeit für den Fremden. Dadurch, daß der feinfühlige Laktone so schnell reagiert hatte, war ein teuflisch geplanter Agenteneinsatz der Orathonen gescheitert. Sie waren unheimlich intelligent! Rimson wunderte sich, wie geschickt die Falle gestellt war, in die er blindlings gelaufen war. Es war doch ein Zufall, daß er gerade jenen Weg über den Ruinenkeller genommen hatte, daß gerade in diesem Augenblick drei Whims auftauchten und ihn in Deckung zwangen, so daß er zwangsläufig im Keller Schutz suchte. Wie aber, wenn er einen anderen Weg genommen hätte? Gab es keine Fehler in der Planung orathonischer Abwehr? Will Rimson wußte nicht, daß man den Roboter in der Gestalt eines mitleiderregenden Kindes ganz einfach in den Keller teleportiert hatte. Er hätte es auch nicht ahnen können. Schaudernd wandte er sich ab. Der Laktone hatte den Magnet-Smash erhoben und feuerte noch einmal. In einer fauchenden Detonation riß die vorbildlich gebaute Konstruktion auseinander. Dann fiel ihm siedendheiß etwas ein. Die Orathonen, die das Gebilde ständig unter Funkkontrolle hielten, mußten bemerkt haben, daß der Roboter vernichtet wurde. Sie würden jeden Augenblick mit einem Gegenschlag antworten. Der Laktone hatte sich abgewandt. Er lächelte. Dabei wurden erneut seine
rosa Zähne sichtbar. Rimson konnte sich jetzt einen Reim auf die Zusammenhänge machen. Er wußte, warum die beiden so grundverschiedenen Typen sich auf Anhieb gehaßt hatten. Der orathonische Robot-Agent hatte sofort erfaßt, daß er einen Laktonen vor sich hatte. Und der wiederum mußte es ebenfalls sofort bemerkt haben. Nur das „Wie" blieb Rimson ein Rätsel. Jetzt verstand er auch Nukleon, den Schäferhund, der sich so seltsam benommen hatte. Den Orathonen war es vermutlich durch die Einschaltung einer semibiotischen Komponente gelungen, den telepathisch begabten Hund in Zweifel zu wiegen. Der Laktone deutete mit der Hand voraus. Will Rimson verstand ihn sofort. Sie mußten von hier weg, wollte man nicht den Orathonen in die Hände fallen. Daß er seinen Gleiter zur Flucht benutzte, erschien ihm sinnlos. Man würde das Fahrzeug beobachten und sofort abschießen, wenn er startete. Sie rannten auf das ehemalige Hotel zu. Eine andere Möglichkeit zum Verstecken gab es nicht. Rimson verließ sich auf den Laktonen, der sich wieder durch den kleinen Einstieg des Fensters zwängte und in der dahinter gähnenden Dunkelheit verschwand. Bevor er selbst hineinkletterte, sah er sich noch einmal hastig um. Drüben rauchten die Trümmer der zerstörten Robot-Konstruktion. Von einem Schweber, wie Rimson ihn erwartet hatte, war nichts zu bemerken. Man schien bei den Orathonen keine Gewißheit zu haben, obwohl man versuchen würde, den R-Agenten anzufunken. Es gab noch eine Möglichkeit, sann
Rimson. Man drückte im Innern des Hantelschiffes ganz einfach auf einen Knopf und schickte eine atomare Kampfrakete an diesen Ort. Damit wären für die Orathonen alle Probleme gelöst. Rimson hielt sich mit den Händen an der zerstörten Fenstereinfassung fest. Der Laktone gab ihm von unten Halt, indem er ihn stützte. Der Keller war überraschend hell. Tageslicht flutete von mehreren Seiten durch die teilweise lose herumliegenden Trümmer. Nukleon folgte nicht. Er stand vor dem Kellerfenster. Sein Kopf mit dem weißen Stirnfleck wanderte unablässig in alle Richtungen. Er würde sich melden, sowie etwas auftauchte. Eine knappe Stunde saßen sie sich gegenüber. Rimson hatte versucht, sich dem Laktonen gegenüber verständlich zu machen. Mit Hilfe von in den Sand gezeichneten Figuren ergab sich eine primitive Verständigung. Das meiste mußte man sich allerdings zusammenreimen. Rimson hatte somit erfahren, daß der Laktone mit knapper Not und Mühe aus dem abstürzenden Raumschiff entkommen war. Seine Rettungskugel war nach der Landung sofort von den Whims entdeckt und vernichtet worden. Er selbst hatte vorher noch fliehen können. Dann erfuhr Rimson etwas, das ihn sichtlich um Fassung ringen ließ. Nach der zeichnerischen Darstellung des Laktonen ergab sich folgendes Bild: Zwei Laktonenschiffe waren unter Beschuß genommen worden, als ein landender Orathonenraumer sie entdeckt hatte. Der Laktone hatte seine ganze Hoffnung zur Flucht in diese beiden Schiffe gesetzt, die schwere Abwehrschirme er-
richtet hatten. Danach war einer der Raumer im Glutorkan entfesselter Gewalten urplötzlich im Katastrophenstart hochgeschossen, hatte seine lichtschnellen Triebwerke noch in Erdnähe eingeschaltet und die pausenlos feuernden Whims samt ihren Schwebern ins All mitgerissen. Sechzehn weitere Laktonen waren plötzlich aufgetaucht, zwei sich heftig sträubende Terraner mit sich zerrend. Sie verschwanden in dem zweiten Schiff, das sofort danach unter dem mörderischen Punktbeschuß startete. Der Laktone, der Will jetzt gegenübersaß, hatte es nicht mehr geschafft, das startende Schiff zu erreichen. So war er zurückgeblieben. Rimson glaubte, alles richtig verstanden zu haben. Wie elektrisiert sprang er auf. Umständlich fragte er an, wie diese beiden Terraner wohl ausgesehen haben mochten. Der Laktone benötigte eine Viertelstunde, um zu begreifen. Dann stimmte er lebhaft zu. Die beiden Terraner waren ein Junge und ein Mädchen, besser: eine junge Frau und ein Knabe, dessen Gesicht von dunklen Flecken übersät war. „Sommersprossen", sagte Rimson. Der Laktone sah ihn sprachlos an. Da wußte Rimson, daß es sich um die von den Laktonen entführten Geschwister Rex Cordas gehandelt hatte. Kim und Velda befanden sich nicht mehr auf der Erde. Daß sie noch lebten, stand also fest. Laktonen töteten keine wehrlosen Menschen. An der Echtheit der Aussage konnte kein Zweifel bestehen, denn der Laktone hatte seine Zeichnungen stark charakterisiert. Will Rimson fühlte sich plötzlich erleichtert. Er konnte Corda jetzt eine Nachricht bringen, die ihn wenigstens von der Ungewißheit über das Schicksal
seiner Geschwister befreite. Beide lebten, das allein war vorläufig entscheidend. Will klopfte dem verblüfften Laktonen anerkennend auf die breiten Schultern. „Ihr seid doch besser, als ich dachte", sagte er. „Jetzt müssen wir nur noch versuchen, ungesehen zu meinem Gleiter zu kommen. Nachts ist das natürlich genauso zwecklos wie am Tage. Die Featherheads werden Geräte haben, die wärmestrahlende Objekte anzeigen. Und wir strahlen nun einmal Wärme aus. Pech für uns." Er riskierte einen Blick zur Decke. Allzulange würden sich die größeren Brocken dort oben sicher nicht mehr halten. Eine leichte Erschütterung konnte die Kellerdecke zum Einsturz bringen. Zusammen mit dem Laktonen kletterte er dann ins Freie, nachdem sie sich nochmals überzeugt hatten, daß keine Whims in Sicht waren. Hinter ihnen polterten die ersten Steine in den Keller. Rimson war froh, rechtzeitig aufgebrochen zu sein. Immer noch brannte die Sonne mit aller Kraft vom Himmel. Die Welt um sie herum sah trostlos und öde aus. Es war nicht mehr die alte Erde. Seit die Fremden gelandet waren und alle Kontinente besetzt hatten, kam Rimson sich vor, als sei er auf einem fremden Planeten, dessen Bewohner er noch nicht kannte. Kein Vogel ließ sich blicken, selbst die kleinen Tiere, die sonst überall herumsprangen, hatten sich verkrochen. „Wir werden doch zu dem Gleiter gehen", meinte Will. Den Teilen des zerstörten Roboters warf er nur einen scheuen Blick zu, als sie daran vorbeikamen. Noch immer war nichts zu entdecken, das Nukleons Argwohn erweckt hätte. Der Hund lief vor ihnen her, mit schief
geneigtem Kopf, als lausche er auf etwas. Der Laktone, der sich Chantol nannte, blieb stehen. Er hielt Rimson am Arm fest, deutete zur Meeresküste und sagte: „Orathonen! Nicht - vorbei." „Natürlich nicht." Will Rimson hatte begriffen, Chantol meinte, sie sollten in möglichst großer Entfernung das orathonische Schiff passieren. Wenn sich ohnehin niemand um sie kümmerte, brauchte man das Schicksal nicht gerade herauszufordern, um schließlich durch einen dummen Zufall doch noch entdeckt zu werden. An Ruinenmauern, die einen halben Meter hoch waren und einigermaßen Deckung boten, schlichen sie weiter. Rimson spürte die Hitze, die Anstrengungen der letzten Stunden und die Aufregung. Sein verletzter Arm schmerzte. Er war entsetzlich müde. Aber er konnte sich jetzt kein weiteres Ausruhen mehr gönnen. Sie befanden sich nahe den feindlichen Schiffen. Plötzlich schreckte er zusammen. Ein leises Summen erklang, das rasch zu einem hohen Pfeifen anschwoll. Danach folgten mehrere kurze Töne, die auf eine Frequenz wechselten, die immer näher der Ultraschallgrenze kam und schmerzhaft wirkte. Will Rimson sah sich vorsichtig um. Als sein Blick auf den Laktonen fiel, atmete er erleichtert auf. Chantol deutete auf seinen in die Kombination eingelassenen Mikrosender. Das Pfeifen kam aus dem winzigen Gerät. Chantol riß das kleine Ding mit zwei Fingern aus der magnetischen Halterung und hielt es hoch. Eine Stimme sprach! Rimson verstand kein Wort. Offensichtlich erfolgten jetzt einige Anweisungen, denn Chantol begann in der Art
eines irdischen Menschen mehrmals mit dem Kopf zu nicken. Dann sah er den Alten an. Gleichzeitig sprach er ein paar kurze Sätze. Anschließend schwieg das Gerät. Der Laktone schob es in den Gürtel zurück. Er nahm einen spitzen Stein vom Boden hoch, scharrte mit dem Stiefel etwas Sand glatt und begann mit einer komplizierten Zeichnung. Rimson starrte ihn sprachlos an. Er erkannte die typischen Umrisse des amerikanischen Kontinents. „Wenn ich nur wüßte, was du meinst", brummte er, als der Laktone einige Punkte markierte und einen langen Strich zu zeichnen begann, der von unten nach oben lief. Er mußte ein phantastisches Gedächtnis haben. „Aha. Das soll wohl Miami sein. Hm. Zweifellos Mobile und das da drüben Kalifornien. Leider sehe ich immer noch nicht klar." Er schwieg eine Weile. Fasziniert sah er zu, wie Chantol auf seiner provisorischen Darstellung wieder mehrere Punkte einzeichnete. Für Rimson, der den Kontinent wie seine Hosentasche kannte, bedeutete es keine sonderliche Schwierigkeit, die passenden Namen zu den eingezeichneten Städten zu finden. „Verstehe. Das soll Los Angeles sein." Chantol zeichnete weiter. Zehn Minuten rätselte Will dann daran herum, was er mit dem kleinen Fleck inmitten des Landes meinte. Erst als der Laktone auf das Wasser zeigte und eine wischende Bewegung machte, kam Will Rimson die Erleuchtung. „Great Salt Lake", murmelte er betroffen. „Mann, du kennst dich ja besser aus als ich." Er fieberte vor Ungeduld, denn ihm war noch längst nicht klar, welchen
Zweck Chantol verfolgte. Als der Laktone dann weiter westlich einen Punkt eintrug, zog Will in Gedanken einen Strich von San Franzisko zu eben diesem Punkt. Beide Orte lagen auf gleicher Höhe. Folglich konnte es sich nur um die Stadt Denver in Colorado handeln. Der Weg, den Chantol gewählt hatte, war zwar etwas umständlich, aber auf diese Art und Weise hatte er Denver genauestens markiert. Rimson wußte nur noch immer nicht, welchen Zweck das alles hatte. Chantol zog um Denver einen Kreis. Darunter machte er einen kleinen Pfeil, der genau nach Süden wies. „Das ist ja Colorado Springs", murmelte Will verblüfft. „NORAD. Beim Geist des Llano Estacado." Will Rimson grinste über das ganze Gesicht. Die Zusammenhänge wurden immer klarer. Auch der Laktone zeigte seine rosa Zähne. Das ernüchterte den alten Wissenschaftler für Sekunden. Der Nichtirdische wollte vermutlich nach Colorado Springs, noch genauer ausgedrückt: er wollte ins NORAD. Und dieser plötzliche Wunsch konnte nur aus dem eben erfolgten Gespräch entstanden sein. Will deutete mit dem Zeigefinger auf den Laktonen, dann auf den Pfeil im Boden. Chantol nickte mit dem Kopf. Auch das hatte er bereits den Menschen abgesehen. „Du willst zu Bekoval, was?" fragte er. Wieder ein heftiges Nicken. „Bekoval ich. Fatlo Bekoval." Der Rest erfolgte wieder in der fremden Sprache, die Rimson nicht verstand. „Vor euch kann man Angst bekommen", meinte er. „Ihr scheint euch hier besser auszukennen als wir selbst. Ein geradezu beängstigendes Einfühlungs-
vermögen besitzt ihr. Okay, wenn wir den Gleiter heil erreichen, fliegen wir hin. Ich habe nämlich genau das gleiche Ziel." „Ziel - ja." Chantol wies auf den Pfeil. Weiter rechts, am Atlantischen Ozean, war in den wenigen Stunden eine grünlich schimmernde Fabrik entstanden, deren titanischer Anblick deprimierend wirkte. Rimson konnte die Anzahl der aus dem Boden gestampften Komplexe nicht einmal annähernd abschätzen. Ebenso waren weite Teile des Meeres von den weißen Kreisen bedeckt. Zur Zeit befand sich kein Diskus in der Luft. Dennoch war es ausgeschlossen, daß man sie nicht beobachtete. Die Orathonen waren nicht zu unterschätzende Gegner. Sie dachten grundsätzlich logisch und berechnend, das hatte der Kinder-Roboter bewiesen. Will Rimson hätte ohne die Hilfe des Laktonen nie bemerkt, daß sich in seiner Begleitung ein orathonischer Spezial-Agent befand, der jede seiner Bewegungen scharf beobachtete. Will zeigte auf den Gleiter, der jetzt sichtbar wurde. Sie mußten ihre Deckung verlassen, wenn sie ihn erreichen wollten. Immer wieder sahen sie sich um. Südwestlich von ihnen lag das gigantische Hantelschiff; eine drohend schwarze Masse, die furchterregend anzusehen war. Rimson wurde das Gefühl nicht los, daß die Orathonen nur warten wollten, bis sie den Gleiter erreicht hatten. Dann würde drüben vielleicht ein kleiner Blitz aufzucken und den Gleiter zerfetzen. Es war eine bedrückend scheußliche Situation. Der Laktone schien Rimsons Furcht nicht zu teilen; entweder kannte er die Reaktion seiner Feinde und wußte, was sie unternahmen, oder er verstand es,
seinen Selbsterhaltungstrieb zu neutralisieren. Rimson traute ihm das durchaus zu. Jetzt kam das Stück offenen Geländes. Der Laktone blieb am Rande der Steinwüste noch einmal stehen und spähte vorsichtig nach allen Seiten. Alles blieb erdrückend still. Rimson hatte sich auf den Boden gelegt und begann im Schleichtempo auf den Steinen zu robben. Chantol schüttelte ablehnend den Kopf. Er machte mit den Händen eine Bewegung, die Rimson nicht begriff, sie wohl aber auf seine Art auslegte. Demnach war es egal, ob sie aufrecht gingen, liefen oder am Boden entlangkrochen. Die Orathonen besaßen derart feine Geräte, daß nicht einmal eine Maus ungesehen bis zum Gleiter hätte vordringen können, ohne entdeckt zu werden. Rimson stand fluchend auf. Ein Gefühl unbeschreiblicher Angst schnürte ihm die Kehle zu und ließ seine Worte heiser und krächzend ertönen: „Ganz logisch. Ich bin ein alter Trottel. Natürlich kann man ihnen so nicht entgehen." Der Sonnengleiter war nun noch dreißig Meter entfernt. Deutlich sah man den oberen Teil aus der Mulde ragen. Die Kufen waren nicht auszumachen. Bestand nicht die Möglichkeit, daß in der Mulde ein paar Whims lauerten? Rimson verfluchte seinen Leichtsinn, den Gleiter gerade dort abgestellt zu haben. Aber es war die beste Möglichkeit gewesen. Zudem hatte er nicht mit dieser ungewöhnlichen Entwicklung gerechnet. Nukleon trottete ruhig vor ihnen her. Wenn sich dort in der Mulde ein Lebewesen aufhielt, hätte es der Hund längst gemerkt. Dann hatten sie den Sonnengleiter erreicht. Noch immer war nichts Ver-
dächtiges zu bemerken. Rimson glaubte jetzt, daß sie den Orathonen tatsächlich unentdeckt entkommen waren. Wenn das nicht der Fall war, handelten sie seiner Ansicht nach unlogisch. Mit einem Satz sprang er in den Gleiter hinein. Chantol und Nukleon folgten sofort. Die Sonnenbatterie war bis zur Grenze ihrer Kapazität aufgeladen. Der Gleiter hob ab und schwirrte davon. Rimson wagte sich nicht höher als zwei Meter über den Boden. Unebenheiten und größeren Trümmerbrocken wich er geschickt aus. Dann schob er den stufenlosen Fahrthebel bis an den Anschlag nach vorn. Der Andruck preßte sie in die Sitze. Der Gleiter raste wie ein Phantom über dem Erdboden dahin, bis er aus dem Sichtbereich des Orathonenraumers verschwand. Dann erst atmete Will Rimson erleichtert auf. Niemand hatte ihnen Beachtung geschenkt. Wahrscheinlich hatten sie dem alten Mann nicht zugetraut, daß er die Orathonen überlisten konnte. Die Maschine zog jetzt etwas nach obert. Will ging auf eine Flughöhe von zwölf Metern. Das war immer noch die beste Art, einer Ortung zu entgehen. So wenigstens dachte er. Im Orathonenschiff aber begann ein kleines Gerät zu summen. Ein Bildschirm flammte auf und zeigte den Gleiter, der in wilder Flucht davon stob. Ein Schreiber hielt unerbittlich den Kurs des flüchtenden Sonnengleiters fest. Will Rimson hatte keine Ahnung, daß man ihn mit modernsten technischen Geräten kontrollierte. Erst als das Orathonenschiff aus dem optimalen Sichtbereich verschwand, glaubte er sich endgültig in Sicherheit. Das war genau zu dem gleichen Zeitpunkt, als die Ätzer sich lautlos in die
Luft erhoben und dem kleinen Flugboot folgten. Sie würden erst dann angreifen, wenn das Ziel des Gleiters einwandfrei feststand. Die Orathonen hatten alles mit peinlicher Sorgfalt einkalkuliert. Es gab bei ihnen keine Berechnungsfehler. * „Und Sie glauben, daß das Gerät auf mehrere tausend Kilometer Entfernung einwandfrei funktioniert?" fragte Rex Corda. „Dafür garantieren wir", versicherte Ga-Venga. „Wir sind der Ansicht, daß es einigen Laktonen gelungen ist, sich zu verbergen. Wir werden sie anrufen, natürlich nur ganz kurz, und sie auffordern, in die Nähe zu kommen. Übrigens: Sie sagten vorhin etwas von Geheimagenten der USA, die Sie ebenfalls herbeordern wollen. Da ich annehme, daß Ihre Agenten ebenfalls über einige technische Kostbarkeiten verfügen, können Sie unseren Mikrosender gleich benutzen und erproben. Er dürfte auf jedes terranische Gerät ansprechen." Rex Corda war von der Idee nicht sonderlich begeistert. „Vermutlich machen wir dadurch nur die Orathonen auf uns aufmerksam. Sie würden unseren Sender anpeilen und genau wissen, daß sich hier im NORAD Laktonen verborgen halten. Das erscheint mir einigermaßen riskant." Diesmal lächelten Bekoval und Paro zugleich. „Sie vergessen, daß wir uns seit langem im Kriegszustand befinden. Die Orathonen haben eine Spezialfrequenz. Unsere Sender jedoch erzeugen bei ihnen eine Überlappungszone, die auf ihre Gehörnerven äußerst schmerzhaft wirkt. Ein Orathone würde sich sofort abwenden, wenn er diese Impulse vernimmt. Übelkeit ist die Folge. Sie haben noch
keine Gegenmaßnahmen dazu ergreifen können. Sie glauben gar nicht, wie kompliziert das ist, was sich in einigen Worten ausdrücken läßt." „Ich kann es mir annähernd vorstellen, obwohl ich es auf Anhieb nicht begreifen würde." „Im gleichen Augenblick, da wir zu senden beginnen, schalten sich in den Raumschiffen die automatischen Peiler aus. Das ist eine zusätzliche Sicherheitsmaßnahme. Bevor man sie aktiviert, sind unsere Sendungen längst beendet. Wir benötigen nicht einmal Raffersprüche." „Genial", staunte Corda in ehrlicher Bewunderung. „Hoffentlich sprechen sie auf die Geräte terranischer Fertigung tatsächlich an." „Ganz sicher. Ich gebe jetzt den Impuls an unsere Leute durch. Sie werden mich in fast allen Teilen der Welt hören können." Bekoval drückte auf die Gürtelschnalle in seiner Uniform. Ein Gerät, wie es auch Chantol trug, löste sich aus der magnetischen Halterung. Anschließend sprach der Laktone hastig einige Worte in das Gerät. Die Antwort kam umgehend. Sie fiel ebenso kurz aus. Sekunden später meldeten sich noch zwei Laktonen. Sie schienen sehr weit weg zu sein. „Was haben sie geantwortet?" fragte Rex Corda gespannt. „Einer wird voraussichtlich schon bald in der Nähe eintreffen. Natürlich unter der Voraussetzung, daß er den Orathonen entgeht. Die beiden anderen halten sich in Australien auf. Vorerst besteht keine Möglichkeit, daß sie hier erscheinen." „Australien", murmelte Rex Corda verblüfft. „Es ist unwahrscheinlich, wie gut Sie sich auf der Erde auskennen. Sie scheinen alle Kontinente im Kopf zu haben, einschließlich der genauen Lage
unserer Städte." „So ist es", nickte Bekoval, als handele es sich um die natürlichste Sache der Welt. „Ich könnte Ihnen beispielsweise den ganzen Planeten aus dem Gedächtnis aufzeichnen. Wir haben bei der Annäherung an Ihre Welt eine Schablone angefertigt, die uns hypnomechanisch eingepflanzt wurde. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn wir die ganze Erde kennen." Rex Corda entgegnete nichts darauf. Die Menschheit hatte ohnehin noch viel zu lernen, wollte sie erst einmal annähernd den technischen Stand der Laktonen erreicht haben. Sie waren den Terranern in allem unabschätzbar weit voraus. Außerdem brachten es ihre Einsätze auf den verschiedenartigsten Welten mit sich, daß sie sich sofort anpaßten und jeder Lage gewachsen waren. Zehn Minuten später hatte Corda mit Hilfe des laktonischen Sende- und Empfangsgerätes versucht, amerikanische Sonderagenten zu erreichen. Seine letzten Zweifel an der Funktionstüchtigkeit der Apparate wurden beseitigt, als umgehend die Bestätigungen einliefen. Und das Hervorragendste dabei war: die Orathonen hatten keine Ahnung davon, was sich direkt unter ihren Augen abspielte. Siebzehn terranische Agenten machten sich auf den Weg ins NORAD. Sie würden als Wissenschaftler, als Spezialisten und als harmlose Touristen kommen, um den Kampf gegen die Invasoren aufzunehmen. Rex Corda sah sich um. Er hatte die Mikrogeräte laktonischer Fertigung am Körper versteckt. Paro übergab ihm zur Sicherheit und für dringende Fälle Bekovals Zwergsender. Der Laktone besaß noch ein gleichwertiges Ersatzgerät. „Alles weitere dürfte dann klar sein. Ich gehe in das Raumschiff; die Räum-
lichkeiten sind mir, so glaube ich wenigstens, genügend vertraut." „Sind Sie hundertprozentig sicher, daß Sie den Hypersender bedienen können?" fragte Bekoval über Ga-Venga, „oder sollen wir Ihnen nochmals eine detaillierte Schilderung geben?" „Nein, danke! Ich weiß Bescheid. Nur ein geeigneter Zeitpunkt muß noch abgewartet werden. Ich hoffe jedoch, daß sich der bald ergibt." Rex Corda drückte auf eine winzige Taste. Der ebenfalls im NORAD anwesende Atomwissenschaftler und Physiker John Haick hatte verstanden. Er war in alle Einzelheiten des Planes eingeweiht, ohne daß die Laktonen etwas davon ahnten. „Ich werde jetzt gehen. Anschließend kommt jemand, der sich um Sie kümmern wird. Sie müssen leider wieder in Ihr Versteck unter dem Ölsee. John Haick wird Ihnen behilflich sein und Ihnen auch Lebensmittel besorgen. Ein anderes Versteck wird vorbereitet!" Bekoval streckte Corda impulsiv die Hand entgegen. Paro schlug ihm in freundschaftlicher Absicht auf die Schulter. „Wir werden Ihnen das nie vergessen", brummte der Laktone. „Jedenfalls wünschen wir Ihnen alles Glück zum Gelingen des Unternehmens." Rex Corda winkte freundlich zurück. Er war durchaus nicht sicher, daß das Unternehmen gelingen würde. Eine dumpfe Ahnung blieb, ein Gefühl, daß irgendwo in der Planung ein Fehler lag. Er beschloß, noch einmal eingehend über jeden einzelnen Punkt nachzudenken, bevor er in das Schiff eindrang. Zunächst aber mußte einmal einer der Bronze-Roboter überwältigt werden. Rex Corda griff zu der kleinen Waffe. Der Magnet-Smash würde ihm helfen, das positronische Gehirn des Roboters kurzzuschließen. Wenn das
schnell geschah, konnte kaum etwas schiefgehen. An der Tür drehte er sich noch einmal um. „Vergessen Sie die Planeten nicht", meinte er, „Sie wissen schon - ich meine den kugelförmigen Sternhaufen im System Herkules. Ich habe eine ausgesprochene Schwäche für dieses Gebiet." Anschließend verschwand er, leise auflachend, auf dem langen Gang. Hundert Meter weiter begegnete er John Haick. Der Atomwissenschaftler, Rex Cordas bester Freund, grüßte vorbildlich. Corda grüßte ebenso zurück. Die beiden Männer blinzelten sich kurz zu. Dann setzte jeder seinen Weg fort. Ein eventueller Zuschauer hätte nichts Auffallendes daran feststellen können. Die meisten Männer im NORAD kannten sich untereinander. Und daß jemand den neuen Präsidenten grüßte, war eine selbstverständliche Angelegenheit. Nur, daß jemand ihm zublinzelte, schien nicht mehr so ganz selbstverständlich. Eine Viertelstunde später befand sich Rex Corda vor dem großen Portal. Er war im Freien. * Der Ätzer kam rasend schnell näher. Seine klar umrissene Aufgabe bestand darin, den Gleiter zum Absturz zu bringen und die drei Insassen zu töten. Er besaß nur eine geringe Intelligenz, deshalb wurde sein Erinnerungsvermögen von dem orathonischen Schiff in Miami durch ultrakurze Funkimpulse ständig angeregt. Hätte man das auch nur für zehn Minuten unterlassen, dann hätte der Ätzer seine Aufgabe vergessen und sich den Dingen zugewandt, die sein eigenständiges Interesse erweckten. Das be-
stand ausschließlich in der Suche nach Nahrung, die es auf dieser Welt überreichlich gab. Die Reizimpulse aktivierten jedoch ständig und ununterbrochen sein Erinnerungsvermögen. Jeder neue Impuls machte ihn auf den fliehenden Sonnengleiter aufmerksam. Darüber vergaß der Ätzer sein Nahrungsproblem. Rimson bemerkte nichts, was ihn ernsthaft beunruhigen konnte. Gewiß, die Gleichgültigkeit der Orathonen gab ihm die ganze Zeit über zu denken, denn schließlich hatten sie einen ihrer besten und unauffälligsten Agenten verloren. Immerhin - vielleicht gab es auch Augenblicke, in denen die orathonische Wachsamkeit nachließ - und einen solchen Augenblick hatte der Zufall ihm gewiesen. Diese Annahme hielt Rimson so lange für richtig, bis er eines besseren belehrt wurde. Der Sonnengleiter überflog in dreißig Meter Höhe den Mississippi und nahm Kurs auf die Quachita-Mountains in Richtung Oklahoma. Querab lag Hot Springs. dahinter die ehemalige Stadt Little Rock. Der Laktone saß neben ihm im schwenkbaren Drehsessel. Will Rimson bemerkte nach einem flüchtigen Seitenblick, daß Chantol schlief. Wenigstens erweckte er diesen Eindruck. Will war mit der Anwesenheit des laktonischen Mannes schon so vertraut, daß er sich kaum noch Gedanken darüber machte. Noch vor einem halben Jahr wäre er beim bloßen Anblick eines Nichtirdischen, kopflos davongerannt. Jetzt gehörten die Fremden fast schon zum alltäglichen Bild. Es war erstaunlich, wie schnell man sich den jeweiligen Situationen anpaßte. In der Nähe von Woodword, als der Gleiter gerade den North Canadian River überquerte und auf den dahinterliegenden Cimarron zuflog, erschien der
Ätzer plötzlich. Rimson erkannte noch das kleine Nest Liberal, dann riß es ihn förmlich aus dem Pilotensessel. Wie ein Schatten tauchte der Ätzer auf, näherte sich von der Steuerbordseite und schlug klatschend gegen den Gleiter. Es gab einen harten Ruck. Rimson entglitt die Kontrolle; der Gleiter ging im Sturzflug auf den Cimarron hinunter. Der Laktone war bei dem Anprall erwacht, mit einem Satz sprang er auf, torkelte und griff dann haltsuchend um sich. Rimsons Hand tastete sich wieder zum Steuer. Er riß die Gabel hoch. Fast senkrecht schoß der Gleiter in den Himmel. Der Ätzer hatte sich an den Scheiben festgesaugt und breitete sich nun in fließender Bewegung weiter aus. Aber noch hatte er keine Säure verspritzt, offensichtlich suchte er erst nach einem festeren Halt. Will Rimson riß mit verzweifelten Bewegungen den Gleiter herum, während der Laktone seine kleine Waffe zog. Der Gleiter fiel wie ein Stein dem Erdboden zu. Kurz vor dem unvermeidlich scheinenden Aufprall wurde er wieder hochgerissen und in eine scharfe Linkskurve gelegt. Durch die wilden Schüttelbewegungen war es dem Ätzer nicht gelungen, sein tödliches Gift zu verspritzen, das selbst Metalle auflösen konnte. Aber er saugte sich fest. Der Laktone sprang nach hinten, als der Gleiter einen Moment reglos in der Luft hing. Mit den Händen öffnete er unter Beachtung aller Vorsicht eine kleine Luftklappe. Dann nahm er den Smash in die rechte Hand, schob sie hinaus und zielte auf das teuflische Gebilde. Er wußte, daß
man einen Ätzer töten mußte, wollte man sicher vor ihm sein. Es gab keine andere Abwehr. Seine linke Hand machte eine beschwichtigende Bewegung zu Rimson hin. Der verstand diesmal sofort. Waagerecht steuerte er den Gleiter bei immer noch höllischem Tempo durch die Luft. Chantol drückte ab. Ein helles Zischen ertönte. Der Ätzer krümmte sich unter dem Einschlag der Projektilnadelgeschosse zusammen. Seine rechte Seite hob sich etwas an. Der Laktone schoß noch einmal, so gut das bei der rasenden Fahrt möglich war. Wieder saß der Schuß. Rimson merkte es, als der Ätzer sich zu lösen begann und wie ein Vorhang an der Seite des Gleiters flatterte. Er rief dem Laktonen eine Warnung zu. Dann ließ er den Gleiter abkippen, der jetzt senkrecht zu Boden raste. Der Ätzer wurde durch die plötzliche Beschleunigung gezwungen, auch seine andere Seite von dem Metall zu lösen. Sich hilflos überschlagend, torkelte er durch die Luft. Will Rimson stöhnte laut auf. Der Schreck über das abscheuliche Monster legte sich nach einigen tiefen Atemzügen. Aber er hatte nicht mit der Mentalität dieser Wesen gerechnet. Noch immer fuhren die Aktivierungsimpulse unermüdlich in das Hirn des Ätzers. Er griff wieder an, obwohl die Projektilnadeln ihn schwer verletzt hatten. Er konnte nicht anders, der Funkimpuls zwang ihn dazu. Diesmal klatschte er sofort an die vordere Sichtscheibe, als der Gleiter wieder hochzog. Rimson sah überhaupt nichts mehr. Der Gleiter war auf einen Blindflug nicht eingerichtet. Jetzt zeigte sich, daß der Ätzer trotz seiner bedrohten Lage
Säurespuren abgegeben hatte. Das Dach und die Seitenfenster sprachen auf die Vollsichtdruckleiste nicht mehr an. Das Material wurde nicht transparent, sondern milchig trüb. Die Sicht verbesserte sich nur unmerklich, blieb also völlig unzureichend für den alten Wissenschaftler. Aus den Fransen, die fast die ganze vordere Sichtscheibe bedeckten, quoll eine zähe Flüssigkeit in dicken Tropfen hervor. Rimson schrie gellend auf. Das widerstandsfähige Metall begann sich sofort zu verformen und seine Struktur zu ändern. Das Glas warf sich blasenwerfend nach oben, es wurde weich und nachgiebig und drückte sich an den ersten Stellen ein. Der Gleiter befand sich jetzt zwanzig Meter über der Erde. Will Rimson war nicht mehr in der Lage, das Fahrzeug zu halten. Ein Sturz aus dieser Höhe würde sie alle töten. Da fiel der erste Säuretropfen in die vorderen Pilotensessel. Es begann, störend zu qualmen. Rimson rieb sich die Augen, als ätzender Rauch das Innere des Gleiters auszufüllen begann. Während er sich über den Sessel nach hinten abrollte, drückte er mit dem Fuß schnell noch die Steuergabel nach unten. Schräg schoß der Gleiter auf ein Gebüsch nahe am Ufer des Cimarron zu. Diesmal sprang der Laktone hilfreich ein. Er griff über Wills Schulter und dirigierte den Gleiter wieder in eine waagerechte Lage. Jetzt befand er sich noch höchstens zwei, drei Meter über dem Boden. Will bedeutete dem Laktonen hinauszuspringen. Chantol riß das Schott auf. Im Hechtsprung warf er sich nach vorn. Der Laktone verschwand laut auf-
klatschend in den Fluten des Cimarron. „Verflucht", murrte Rimson. „Hätte er denn nicht warten können - na, egal..." Er versuchte den Gleiter noch aufzusetzen, aber eine Kufe berührte bereits vorzeitig den Boden. Gefährlich schlitternd raste das Fahrzeug mit dem daranhängenden Ätzer auf ein Gebüsch zu, durchschlug es und blieb dann wie ein rotierender Kreisel liegen. Will Rimson sprang mit einem wilden Satz hinaus. Die Säure neben ihm zischte und brodelte wie ein Geisir. Nukleon flog einem Schatten gleich hoch über seinen Kopf. Er landete auf allen vieren. Will Rimson schrie unbewußt auf. Gebüsch und hohes Gras kamen auf ihn zu. Er überschlug sich haltlos einige Male, ehe die Äste seinen Sturz abbremsten. Benommen blieb er eine halbe Minute so liegen. Vorsichtig befühlte er seine Glieder. Es schien alles heil zu sein. Zwanzig Meter weiter befand sich der Sonnengleiter. Auch ein Nichtfachmann hätte gesehen, daß das Fahrzeug nur noch bedingt flugtüchtig war. Will Rimson erhob sich leise schimpfend. Nukleon war sofort an seiner Seite. Nur der Laktone war wie vom Erdboden verschluckt. Dafür begann sich nun der Ätzer von dem Fahrzeug zu lösen und langsam umherzufliegen. Will sah die angerichteten Zerstörungen. Der Gleiter rauchte an einzelnen Stellen noch unter der Einwirkung einer teuflischen Säure, der nicht einmal härtestes Metall ernsthaften Widerstand entgegensetzen konnte. Er sah sich um. Dadurch, daß er den Gleiter nochmals herumgerissen hatte, befand er sich fast wieder am Ausgangsort seines Sturzfluges. Zwölf Meter vor ihm wälzte der Ci-
marron seine Wassermassen zu Tal. Rimson kauerte sich eng in das Gebüsch, als der Ätzer hoch über ihn hinwegflatterte. Er suchte die Menschen! Aus der Vogelperspektive bot sich ihm ein wesentlich größerer Überblick als in geringer Höhe. Die Ufer des Flusses waren nicht dazu geeignet, ein gutes Versteck vor dem rasenden Tier zu bieten. Es konnte nicht lange dauern, dann mußte der Ätzer sie entdecken. Der Rest würde ein einziger Schrekken sein. Es gehörte keinerlei Phantasie dazu, sich auszumalen, was dann passieren mußte. Das Metall hatte das deutlichste Beispiel gegeben. Rimson wagte es nicht, den Namen des Laktonen zu rufen, weil er fürchtete, der Ätzer würde ihn sofort bemerken. Er wußte nicht, ob Chantol schwimmen konnte. Wenn das nicht der Fall war, mußte der Nichtirdische ertrunken sein. „Komm, Alter, ich habe etwas entdeckt", flüsterte Will seinem Hund zu. Für seine 66 Jahre entwickelte er immer noch eine erstaunliche Aktivität. Buschinseln und abgerissene Äste trieben den Fluß herunter. Der Cimarron führte mehr Wasser als zu normalen Zeiten. Auf dem Bauch liegend, schob Rimson sich weiter dem Ufer zu. Dann, als die nächste Buschinsel hinabtrieb, warf er einen gehetzten Blick nach oben. Der Ätzer kreiste wie ein beutegieriger Adler hoch über dem Wasser, aber er befand sich weiter unterhalb des Verstecks von Rimson. Der Alte reckte seine Glieder, dann stahl sich ein hartes Grinsen um seine Mundwinkel. Lautlos glitt er ins Wasser und schwamm langsam auf die nur fünfzehn Meter entfernte Buschinsel zu. Der Cimarron war nicht ausgesprochen kalt, aber die Temperatur genügte,
um schon nach wenigen Sekunden Rimsons Glieder schwer wie Blei werden zu lassen. Jetzt machte sich sein Alter bemerkbar. Fluchend zog er sich an dem verfilzten Gestrüpp hoch und kroch in das kleine Dickicht. Nukleon schob ihn mit der Schnauze weiter. Ohne eine Bewegung zu verursachen, kroch Rimson in ein überhängendes Strauchgewirr, das wie eine kleine Höhle wirkte und gegen Blicke von oben schützte. Durch die überall vorhandenen Ritzen suchte er den Cimarron ab. Der Laktone war und blieb verschwunden. Er mußte ertrunken sein. Langsam blieb der Gleiter zurück. Immer weiter trieb die Buschinsel den Cimarron hinunter. Ein alter Mann und ein Hund warteten darauf, daß das Monster endlich verschwinden würde und sie den Heimweg antreten konnten. * Ein Mann stolperte am Ufer des Cimarron entlang, dessen Fluten er gerade entstiegen war. Seine dunkelgrüne Uniform tropfte vor Nässe. Chantol Canotar, Spezial-Agent der laktonischen Abwehr, hatte sich selbst dem alten Mann nicht vollständig zu erkennen gegeben. Jetzt überschattete er die Augen mit der Hand. Der Ätzer zog weite Kreise. Chantol hatte gesehen, daß Rimson und der Hund sich auf die treibende Buschinsel retten konnten. Sie würden ihren teilweise deformierten Gleiter wieder benutzen können, wenn der Ätzer erledigt war. Chantol Canotar war dabei, sich auf sein größtes Abenteuer vorzubereiten. Nie zuvor hatte ein Laktone das gewagt, was er nun zu tun beabsichtigte.
Eine kurze Überprüfung ergab, daß der Smash intakt war, Wasser konnte der Waffe nichts anhaben. Ebenso war sein kleiner Sender noch in Ordnung. Chantol, mit den Gebräuchen orathonischer Methoden hinlänglich vertraut, spreizte die Beine und begann mit den Armen zu winken. Anschließend lief er in wahnwitzigem Tempo fünfzig Meter weiter. Der Ätzer reagierte genauso, wie der laktonische Agent es erwartet hatte. Er senkte sich nieder und schoß rasend schnell auf den Nichtirdischen zu. Der Agent wartete kaltblütig ab, bis das unheimliche Tier heran war. Dadurch, daß es verletzt war, würde sein Vorhaben nur erleichtert werden. Chantol drückte den winzigen Stift des Mikrosenders ein. Das Gerät arbeitete mit voller Kapazität. Die ausgestrahlten Funkimpulse auf der SubUltrawelle neutralisierten die gesteuerten Fernimpulse zur Aktivierung des Erinnerungsvermögens. Der Erfolg trat umgehend ein. Der Ätzer vergaß seine Aufgabe, er sah in dem Wesen nicht mehr den Feind, den er laut Befehl töten mußte. Vielmehr wurde er jetzt völlig ratlos. Sein Nahrungstrieb erwachte wieder, aber Wesen dieser Größe waren nicht gerade seine bevorzugte Spezialität. Chantol steckte den Smash ein. Das Tier reagierte ganz normal. Es war jetzt ein Wesen mit geringer Intelligenz, obwohl es immer noch äußerst gefährlich war. Es konnte sich trotz allem blitzschnell auf ihn werfen und seine tödliche Säure in alle Richtungen verspritzen. Der Agent ließ den Stift eingedrückt. Auf den orathonischen Schiffen würde man nicht merken, daß der Ätzer hilflos und der Kontrolle entglitten war. Das Tier schwebte jetzt einen Meter über dem Boden. Da hob sich plötzlich die rechte, pelz-
bedeckte Seite und schlug nach dem Laktonen. Chantol stolperte; etwas schien nicht ganz so zu funktionieren, wie er gedacht hatte. Wütend kam der Laktone auf die Beine, griff um sich und bekam die seitwärts herabhängenden Säurefäden, die an Fransen erinnerten, zu fassen. Dann schlug er mit der linken Hand so hart auf das Monster ein, wie er nur konnte. Sein Hieb traf das ohnehin kleine Gehirnzentrum des Ätzers und lähmte es. Hilflos torkelte das Riesentier hin und her, flatterte über den Boden und versuchte, in die Luft zu kommen. Der laktonische Agent griff nochmals zu, verkrallte sich in dem Pelz des Ätzers und warf sich über das Tier. Der Mut der Verzweiflung gab dem ohnehin schon starken Laktonen noch mehr Kräfte. „Du wirst mich jetzt dahin bringen, wo man mich erwartet", knirschte er mit zusammengepreßten Zähnen in seiner Sprache. Er versuchte, das Mikro-Gerät so zu schalten, daß er das Gehirn des Ätzers damit beeinflussen konnte. Aber das gelang nicht. Er konnte nur die Reizimpulse des orathonischen Gerätes neutralisieren. Noch immer lag er über dem Ätzer. Seine Stiefel trommelten über das pelzbezogene Fell. Die Fransen, die tödliche Säure verspritzten, konnten ihm zur Zeit nicht gefährlich werden. Der laktonische Spezial-Agent befand sich haargenau im toten Winkel der Säurefäden. Dann drückte er den Kopf des Atzers tief nach unten. Das Tier floh in panischem Schrecken mit seiner ungewohnten Last. Dicht über dem Boden raste es flatternd und torkelnd dahin. Aber es gehorchte dem kraftvollen Druck der fremden Gewalt, wenn auch nur mit größtem Widerwillen. Es flog
weiter. Zum erstenmal grinste der Laktone. Er hatte das erreicht, was noch niemand vor ihm geschafft hatte. Er hatte einen Ätzer bezwungen und beherrschte ihn ganz nach seinem Willen. Es war ein grimmiges Lachen, das der Laktone ausstieß. Die Orathonen würden sich in den nächsten Stunden wundern. Chantol Canotar, Spezial-Agent von Lakton, wußte nicht, daß er in den sicheren Tod flog. * Vor den Toren des NORAD herrschte eine Emsigkeit, die Rex Corda nie erwartet hätte. Die kleinen Bildschirme im Innern hatten die Geschehnisse nur teilweise übermittelt, weil sie jeweils nur einzelne Ausschnitte erfaßten. Die Bronze-Roboter kümmerten sich nicht um ihn. Corda sah die Hilfsvölker der Orathonen, die in der Nähe des NORAD die Umgebung absuchten. Man mußte etwas Verdächtiges bemerkt haben. Die Jumper liefen eilig hin und her, begleitet von schwerbewaffneten Whims, die einen abscheulichen Anblick boten. Zehn Minuten später berührte John Haick Corda am Oberarm. „Alles okay", flüsterte er ihm zu. „Du weißt, was ich damit meine, ja?" „Gut. Bleibt es dabei - kommst du mit nach Denver?" fragte Rex Corda. „Natürlich. Wir werden..." Er unterbrach sich und starrte mit offenem Mund in Richtung des Gebirges. Ein Ätzer torkelte durch die Luft, landete klatschend und flatternd am Erdboden und versuchte, wieder in die Luft zu kommen.
Jenseits der großen Tore waren die Whims stehengeblieben. Die spiraligen Waffen in den Schuppenklauen drohten herüber. Mit dem Ätzer stimmte etwas nicht! Noch schneller als die Whims aber reagierten die Bronze-Roboter. Sie mußten in Sekundenbruchteilen erfaßt haben, daß der Ätzer der orathonischen Kontrolle entglitten war. Rex Corda erhielt den Beweis für ihre rücksichtslose Gesinnung. Ohne sich davon zu überzeugen, ob das Tier vielleicht verletzt war, eröffneten die Bronze-Roboter das Feuer und schossen es ab. Aus dem drehbaren Waffenkranz der menschlich wirkenden Schädel schossen zwei gleißende Impulsbahnen. Sie hieben die Luftmassen auseinander und bohrten sich in den hilflosen Ätzer, den die freiwerdenden Energien förmlich zerpulverten. Rex Corda hätte einen schalen Geschmack im Mund. Fraglos waren die Ätzer bösartige Kreaturen, aber das war eine Eigenschaft, zu der ihre Umwelt sie gezwungen hatte. Im Grunde genommen waren sie nicht schlechter als ein Orathone, ihr Daseinszweck kannte nur zwei Bedingungen: Nahrungssuche und Vermehrung. Es war ein biologisch notwendiger Faktor, um den ewigen Kreislauf zu erhalten, weiter nichts. Jedes Wesen hatte ein Recht auf sein Dasein. Rex Corda wollte sich gerade wortlos abwenden, als aus dem Gestrüpp in dreihundert Meter Entfernung lautes Geschrei aufklang. Zwei Jumper waren die Urheber des geckernden Gebrülls. Sie benahmen sich, als tollten sie in sinnloser Spielerei herum. „Komisch", meinte Corda. „So habe ich sie noch nie gesehen. Was haben sie nur?" „Vielleicht haben sie ein Tier ent-
deckt. Hier gibt es ja noch allerlei davon. Schlangen zum Beispiel, oder ..." John Haick fuhr herum, als die Schleusentore zurückschwangen. Zwei der im NORAD ständig anwesenden Orathonen erschienen. Ihre Federköpfe glänzten aufdringlich hell im Schein der Nachmittagssonne. Sie sahen sich bestürzt an. Ein scharfer Blick flog zu Rex Corda hinüber, der in keiner Weise reagierte. Die Bronze-Roboter kamen auf sie zu. Offenbar hatten sie die Orathonen über Funk informiert. Die beiden Federköpfe rannten los. Drüben, hinter dem Gestrüpp, blitzte es kurz und blendend auf. Einer der umstehenden Whims ließ seine Waffe fallen, drehte sich einmal um seine Achse und krachte dumpf zu Boden. Seine Facettenaugen waren weit aufgerissen. Das Projektilnadelgeschoß war unterhalb des Chitinpanzers in den Körper eingedrungen und dort detoniert. Der Whim lebte noch. Einer der Orathonen zog im Laufen seine Strahlwaffe. Die beiden Bronze-Roboter kamen geschmeidig herangelaufen. Ihre Gesichter verzogen sich ständig, wenn sie nach allen Seiten blickten. Die schwenkbaren Drehkränze auf dem oberen Schädel - nicht größer als ein flacher Teller und kaum von der Kopfform abweichend - rotierten schußbereit. „Sie müssen etwas anderes entdeckt haben", meinte Rex Corda nach einer Weile. „Bei einem harmlosen irdischen Tier würden sie niemals solch ein Geschrei machen." Was dann kam, verschlug ihnen sekundenlang die Sprache. Die Orathonen hatten das Gebüsch erreicht. Da sprang eine Gestalt auf und rannte auf die Federköpfe zu. Chantol Canotar befand sich in heller Panik. Der Ätzer hatte den laktonischen
Agenten auf freiem Feld abgeworfen und war allein weitergetorkelt. Damit hatte der Laktone seinen mutigen Einsatz verloren. Seine starke Adrenalin-Ausschüttung hatte augenblicklich die Jumper auf den Plan gerufen. Sie hatten ihn gewittert und schließlich gestellt. Niemand vermochte dem Laktonen noch zu helfen, der nun den einen Orathonen ansprang und ihn rücksichtslos zu würgen begann. Die anderen standen zögernd daneben. Chantol griff nach dem Strahler seines Gegners, aber in der Aufregung entglitt ihm die Waffe und flog zu Boden. Er konnte sie nicht erreichen, ohne den orathonischen Offizier loszulassen. Dann aber hätte man ihn sofort erschossen. „Eine scheußliche Situation." John Haick schüttelte sich. Ihm war höchst unbehaglich zumute. Fieberhaft überlegten Corda und er, wie sie dem Laktonen helfen konnten. Sie fanden keine Möglichkeit. „Was werden sie mit ihm machen?" fragte Haick. „Augenblicklich gar nichts. Sonst müßten sie nämlich den Offizier gleich mit erschießen. Der Laktone hält ihn wie in einer Zange fest." Mittlerweile hatte sich ein großer Halbkreis um die beiden gebildet. Der Laktone hielt sich ständig so, daß selbst ein Scharfschütze ihn nicht erreichen konnte. Er befand sich in ständiger drehender Bewegung, dabei den entsetzten Orathonen von einer Seite zur anderen zerrend. Lange konnte das aber nicht gutgehen. Einmal würde der Laktone ermüden. Corda sah, wie die Whims sorgfältig mit ihren Spiralwaffen auf seinen Kopf zielten. Aber sie schossen nicht. Sie warteten schweigend und in aller Ruhe
auf ihren Augenblick. Da ließ der Orathone sich plötzlich fallen. Noch im Sturz wurde er von den kräftigen Armen wieder aufgefangen und unerbittlich festgehalten. Ein Whim hatte jedoch den Moment geschickt ausgenutzt. Er visierte kurz an und drückte dann auf den Feuerknopf seiner Waffe. Der laktonische Agent wurde ins Bein getroffen. Rauch quoll von seiner tief grünen Uniform auf. Der synthetische Stoff fing zwar kein Feuer, aber er begann langsam zu glimmen. Chantol schlug in heller Verzweiflung nach der Glut. Der Strahlschuß hatte sein Bein glatt durchschlagen. Wahnsinnige Schmerzen durchzuckten seinen Körper, vor seinen Augen wallten rote Nebel. In einer weiteren drehenden Bewegung riß sich der Orathone los. Chantol Canotar sah sich plötzlich allein. Er blickte in die drohenden Mündungen etlicher Strahlwaffen. Da ließ der Agent seine kleine Waffe fallen. Er hatte verloren, es gab keinen Ausweg mehr. Die Whims zerrten ihn fort und stießen ihn unter Mißhandlungen weiter, bis er vor den Orathonen stand. Diesmal betrug die Distanz vier Meter. Es gab keinen Überraschungsangriff mehr. Rex Corda ging die paar Meter zu der Versammlung hinüber. Er hörte, wie die Orathonen mit dem laktonischen Agenten laute Worte wechselten. Natürlich verstand er kein Wort. Der Laktone schwieg jetzt erbittert. Rex Corda schob sich an den Orathonen heran, der ihm am nächsten stand. Der Featherhead drehte sich herum. „Hören Sie", begann Corda, aber er wurde sofort unterbrochen. Das Simultan-Gerät auf der Brust des Orathonen
krächzte, weil die Worte zu hastig ausgesprochen wurden. „Sie haben sich aus den internen Angelegenheiten unserer Familie herauszuhalten, Terraner", erklang es kalt und drohend. „Dieser Agent wird erschossen. Wenn Sie sich nicht augenblicklich entfernen, werden wir veranlassen, daß man mit Ihnen genauso verfährt. Es ist Hochverrat, wenn Sie den Laktonen schützen wollen. Haben Sie uns verstanden?" Rex Corda nickte mit ausdruckslosem Gesicht. „Ihre Angelegenheiten interessierenmich nicht. Ich wollte Ihnen lediglich mitteilen, daß ich die Absicht habe wegzufahren. Sie können mich in den nächsten ein bis zwei Tagen nicht erreichen. Das nur zu Ihrer Information. Sigam Agelon hat mich aufgefordert, die anlaufende Wirtschafts-Produktivität zu überwachen. Sie können bei ihm anfragen, wenn Sie mir nicht glauben. Im übrigen wird er sich über Ihren Erfolg freuen. Einen laktonischen Agenten kann man nicht alle Tage erschießen." Corda hatte erwartet, nun zurückgehalten zu werden. Aber die Anspielung auf den Delinquenten hatte keinen Eindruck gemacht. Nicht einmal der Hinweis, daß er die Angelegenheit an höchster Stelle melden wollte. Offensichtlich kam der Befehl, gefangene Laktonen zu erschießen, von oben, das hieß, von Sigam Agelon selbst. Das Verhör hatte nur eine Minute gedauert. Es war nicht mehr als eine reine Formsache. Rex Corda sah dem Freund nachdenklich in die Augen. „Sie sind Bestien. Man sollte sie ebenfalls erschießen." Dann bestiegen sie den Jeep, der sie nach Denver bringen sollte. Gerade als John Haick anfuhr, brüllte
es jenseits des NORAD auf. Cordas Gesicht verschloß sich, der Mund bildete einen feinen Strich. Man hatte den Laktonen ohne lange Verhandlungen einfach erschossen. * Will Rimson wagte erst nach einer ganzen Weile hinauszuschauen. Zu seiner grenzenlosen Verwunderung war der Ätzer verschwunden. Die Buschinsel trieb nahe am Ufer vorbei. Von dem Laktonen war immer noch nichts zu entdecken. Ebenso mußte der Ätzer den Rückflug angetreten haben, als seine Beute spurlos verschwunden war. Rimson wollte ins Wasser springen, um wieder an Land zu schwimmen, doch dann unterließ er es und sprach wieder mit seinem Hund: „Wir werden noch eine Weile warten, Alter. Weshalb sollen wir uns unnötig dem Wasser aussetzen, wenn es anders auch geht. Dort vorn ragt ein Ast über den Gimarron, der uns ohnehin festhält. Meinst du nicht auch?" Rimson lachte, als der Hund wieder mehrmals mit dem Kopf nickte. „Du verstehst mich schon, Alter. Hoffentlich funktioniert der Gleiter noch." Wieder nickte Nukleon. „Du Optimist", brummte Will. „Dich kann wohl nichts erschüttern, was?" Nukleon hörte den feinen Unterschied zwischen einer fragenden Verneinung oder Bejahung unbedingt heraus. Diesmal schüttelte er den Kopf hin und her. Da streifte die Buschinsel den überragenden Ast, drehte sich einmal langsam im Wasser herum und blieb hängen. „Komm, Alter! Wir steigen aus.
Siehst du den Ätzer noch? Nein - na okay. Du hättest es sicher längst bemerkt." Dennoch sah Rimson sich nach allen Seiten um. Aber es war nichts zu entdecken. Es gab keinen Ätzer mehr. Daß der Laktone in einem beispiellosen Einsatz sein Leben gewagt hatte und mit dem Ätzer fortgeflogen war, hatte Rimson nicht bemerken können. Die Buschinsel hatte die meisten Vorgänge seinem Blick verborgen. Unberührt stand der Gleiter am selben Platz. Zwar waren die Scheiben verschwunden, und das Metall hatte sich an einigen Stellen völlig verformt, aber Rimson glaubte nicht, daß die Antriebsmechanik des Gleiters in Mitleidenschaft gezogen war. Soweit war die Säure nicht vorgedrungen. Er probierte den Anlaß-Schalter. Sofort begann es zu summen. Da fiel Will Rimson etwas ein. „Hm. Wir sollten nicht ins NORAD zurückfliegen, Alter. Man kann nie wissen. Besser wäre es wohl, wir gingen nach Denver. In der Stadt kann man sich besser verbergen als dort draußen. Und wenn wir von der richtigen Seite einfliegen, wird uns nicht mal das orathonische Schiff orten. Wir müssen nur rechtzeitig zur Landung ansetzen." Nukleon hörte interessiert zu. Jedenfalls erweckte er ganz den Eindruck. Will Rimson blieb mit dem Gleiter diesmal so dicht über dem Boden, wie das Gelände es gerade noch zuließ. Die Motoren arbeiteten einwandfrei. Nur der scharfe Fahrtwind nahm ihm mitunter die Sicht. Mit mäßiger Fahrt glitt er über den Boden dahin. Als Denver in Sicht kam, drückte er den Gleiter noch tiefer hinab. Es war später Nachmittag. Da tauchte der nächste Ätzer auf. Will Rimson begann beim Anblick des Monsters zu stöhnen. Sie schienen es auf ihn abgesehen zu haben. Diese
Biester waren überall in der Welt. Unter ihm glitt eine Wiese dahin. Rimson dachte sekundenlang daran, wie es wäre, wenn es die Invasoren nicht geben würde. Die Erde war eine prächtige Welt, ein Planet von großer Schönheit. Aber sie hatte sich verändert. Seit diese Ungeheuer aus den Tiefen des Alls über sie hergefallen waren und ihre Bewohner zwangen, so zu handeln, wie die Invasoren es wollten, hatte der Planet seinen Glanz eingebüßt. Alles sah plötzlich grau und trist aus. Selbst die Wiese mit ihren leuchtenden Blumen. Der Ätzer kam näher. Will Rimson seufzte tief auf. Langsam ließ sich der Gleiter die wenigen Meter absacken und setzte zur Landung an. Er hatte geahnt, daß etwas dazwischenkommen würde. Es war alles zu glatt gegangen. Aus der Ferne drohte das schwarze Hantelschiff der Orathonen herüber. Es war die Verkörperung des Bösen, das sich zwischen Realität und irriger Träumerei bewegte. Es war ein zermürbender Hieb - seelisch und körperlich. Rimson gelang es noch, das Fahrzeug zu verlassen, dann stürzte sich der Ätzer mit flatternden Schlägen darüber und begrub es unter sich. Zusammen mit Nukleon rannte er an den ersten Häusern vorbei, die in den Randbezirken von Denver lagen. Will Rimson sah ein paar verstörte Menschen, aber er kümmerte sich nicht darum. Dann, als er den Vorort erreichte, ging er langsam. Er hatte jetzt nur noch Hunger. Nukleon ging es vermutlich genauso. * Das am Rande der Stadt hochwuchtende Gebilde erinnerte an eine über-
dimensionale Hantel. In dem Orathonenschiff schien alles Leben erstorben. Rex Corda hätte gern gewußt, welcher Art die Beschäftigung war, mit der sich die Fremden die Zeit vertrieben, denn daß sie untätig herumsaßen, konnte er sich nicht vorstellen. Die Riesenschleusen standen weit offen. Da die Orathonen Sauerstoffatmer waren und die irdische Atmosphäre alle erforderlichen Zusammensetzungen besaß, die der fremde Organismus benötigte, hatte man auf zeitraubende Ein- und Ausschleusungsvorgänge verzichtet. Helles, gelbes Licht breitete sich nach allen Seiten aus. Niemand kümmerte sich um sie. Die Orathonen glaubten, daß kein Mensch es wagen würde, sie anzugreifen. Selbst der massivste Angriff wäre auch mühelos zurückgeschlagen worden. „Wie spät ist es jetzt?" fragte Rex Corda. Hoch über ihnen drohten die schwarzverbrannten Schlünde der Triebwerksdüsen, von denen jede einen Durchmesser von vierzehn Metern besaß. Rex Corda machte zwölf gewaltige Rohre aus, die im Verbindungsarm der Kugeln saßen. Vermutlich waren auch hier die überlichtschnellen Triebwerke eingebaut. John Haick sah stirnrunzelnd auf seine Uhr. Über Denver legten sich die ersten Schatten der Dunkelheit. Bläßlich vergrub sich die Sonne im östlichen Dunst. „Halb acht! Es wird Zeit!" Er kniff die Augen zusammen und starrte zu dem Raumgiganten hinüber, hinter dessen Sichtluken gelbes Licht aufflammte. Bis auf achthundert Meter waren sie herangekommen, nahe genug, um die Wölbung der gigantischen Kugeln dennoch steil über sich zu sehen. Knapp
hundert Meter vor ihnen begann der dichte Kordon der Wachen, die das Schiff abschirmten. Scharen von Jumpern bewegten sich zwischen den frischen Grasspitzen, die sich aus dem verkohlten Boden schoben. Harmlose Wächter, wie es schien, da sie waffenlos waren. Doch Rex Corda unterschätzte dieses Sklavenvolk der Orathonen keinesfalls. Hüpfer hatten keine andere Aufgabe, als Laktonen zu stellen. Einen besseren Schutz konnten die Featherheads nicht wählen. Jeder Laktone mußte sich auf Grund seines Geruchs im Netz der empfindlichen Geruchssinne der Jumper verfangen. Plötzlich packte Rex Corda den Arm des Freundes. „Hinter uns!" John Haick drehte sich vorsichtig um. Und jetzt sah auch er den Roboter, der sich durch die Trümmer der Villen heranarbeitete. Ab und zu blieb er stehen und sah sich suchend um. „Das ist die Chance, auf die wir gewartet haben!" grinste Rex Corda. Wie ein Schatten löste er sich aus seinem Versteck, das ihn auch gegen Sicht von oben schützte. John Haick folgte dem Freund, der sich äußerst geschickt dem Roboter näherte. Rex Corda war blaß. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn, ein Gefühl, das ihn von der zu bewältigenden Aufgabe zurückhalten wollte. Doch der Senator stemmte sich gegen dieses Unbestimmbare, das ihn beschlich. Er wollte und mußte in das Schiff. Es gab keine andere Möglichkeit. Rex Corda war nicht der Mann, der etwas auf unbestimmbare Gefühle gab. Er achtete mehr auf die Fähigkeiten, die nach dem Verhör im Orathonen-schiff aufgebrochen waren. Jetzt kam es ihm vielleicht zugute, daß die Featherheads ihn für kurze Zeit ins Schiff schleppten. Er hoffte, daß es ihm dadurch etwas leichter wurde, sich zu orientieren.
Er lächelte grimmig, als er daran dachte, was in seinem Gehirn vorgegangen war, nachdem die Grünhäutigen ihm einen semibiotischen Sender eingepflanzt hatten. Seine sich befreienden Extrasinne hatten dieses unheimliche, halblebende Wesen aus seinem Kopf vertrieben. Sie hatten es nicht in ihrer Nähe geduldet. Seitdem meldete sich das Besondere in ihm immer häufiger. Er war ein Positiv-Mutant, als solcher auch von der Mutanten-Polizei erfaßt. Man nannte ihn Empath, obwohl seine Fähigkeiten vor der Invasion gering gewesen waren. Jetzt fiel es ihm bedeutend leichter, die Gefühle eines anderen Menschen zu erfassen. Zuweilen gelang es ihm sogar, einen Teil seiner eigenen Gefühle auf einen anderen Menschen zu übertragen. Rex Corda schüttelte die Gedanken unwillig ab und konzentrierte sich auf den Roboter. Er konnte sich in die Ruine einer Villa schleichen, die bei der Landung des Orathonenschiffes in Flammen aufgegangen war. John Haick atmete hinter ihm. Er war erregt. Hart und polternd näherten sich die Schritte des Bronze-Roboters. Jetzt trennte ihn nur noch eine dünne Mauer von ihnen. Rex Corda sah ihn hinter einem Mauerrest hervorkommen und zu dem Fragment einer Garage hinübergehen. In der metallenen Hand trug der Roboter eine kleine Spule, an der Corda die gleichen Zeichen entdeckte, die ihm bei den verblüffenden Holografen der Gefiederten auch aufgefallen waren. Er vermutete, daß der Roboter eine Aufzeichnung bei sich trug, die er ins Schiff bringen wollte. Rex Corda hob den Magnet-Smash und zielte sorgfältig auf den Nacken. Bekoval behauptete, ein Treffer an dieser Stelle verursachte den gefährlichsten Elektroschock für den Roboter. Langsam krümmte er den Finger. Unter Johns Füßen knirschte ein
Stein. Der Roboter wirbelte herum. Er ließ sich blitzschnell in die Hocke fallen. Gleichzeitig zog Rex Corda durch. Zischend raste die Nadel auf den Roboter zu. Sie drang genau unter der Stirn in das positronische Gehirn ein, das schlagartig zusammenbrach. Einige schrecklich lange Sekunden hockte der Bronze-Roboter aufrecht. Auf seinem verblüffend menschlichen Gesicht zeichnete sich keine Bewegung ab. Jeden Augenblick konnte der Tod aus dem Drehkranz in seinem Kopf schlagen und Rex Corda zerschmettern. Dann plötzlich neigte sich der Roboter langsam und fiel mit dumpfem Krach vornüber auf die Trümmer. Rex Corda sah sich erregt um. Niemand war zu sehen. John Haick drängte ihn zu dem Roboter. Sie packten ihn und zerrten ihn in den Schutz der Gesteinstrümmer. Und jetzt kam der schwierigste Teil der Aufgabe. Sie mußten den Roboterkopf herunternehmen und seine Kopfschale für Rex Corda präparieren. Das andere war nicht so entscheidend wichtig, da die Orathonen die Bronze-Roboter bekleideten. Eine einfache Kombination schmiegte sich fest an die metallenen Glieder des Roboters. Es würde genügen, wenn Corda diese Kombination anlegte. Mit fliegenden Fingern tastete Rex Corda die Achselhöhlen des Roboters ab. Dort saß der Kontakt, der den Nakken des Bronze-Roboters aufbrechen würde. John Haick beobachtete die Umgebung. Niemand schien Verdacht geschöpft zu haben. Bis jetzt war alles ruhig. War es dem sterbenden Roboter nicht mehr gelungen, einen Informationsspruch an seinen übergeordneten Computer zu senden?
Leise klickend öffnete sich der Nakken. Das plastische Metall hatte vorher keine Fugen erkennen lassen, jetzt öffnete es sich wie unter dem Messerschnitt eines Chirurgen. Rex Corda griff in den kleinen Spalt. Er fand die Kontakte, die Bekoval ihm angedeutet hatte, sofort. Jetzt brauchte er den Kopf nur noch nach hinten in den Nacken zu ziehen und ihn leicht zu drehen, dann konnte er ihn von dem metallenen Körper abziehen. John Haick leckte sich die Lippen. „Verflucht, sie können etwas, die Grünhäutigen! Sie können wirklich etwas!" sagte er leise. Rex Corda hob den Kopf. Er war sehr ernst. „Hast du wirklich geglaubt, daß sie irgend etwas bauen würden, das uns nicht sofort und auf den ersten Blick zeigt, wie sehr wir ihnen unterlegen sind?" John grinste abfällig. „Warten wir es ab! Vielleicht sind wir ihnen doch auf diesem Gebiet etwas überlegen!" „Du meinst beim Einsatz unserer Agenten?" Haick nickte. Rex Corda antwortete nicht, doch sein angespanntes Gesicht verriet dem Freund, daß ihre Meinungen auseinanderliefen, ja, sich sehr scharf widersprachen. „Sie sind sieggewohnt", versetzte Re.x Corda. „Das macht sie vielleicht etwas überheblich und etwas unvorsichtig, mehr aber auch nicht. Wir haben nur eine winzige Chance, wir müssen die Tatsache ausnutzen, daß sie sich sicher fühlen! Das heißt, wir dürfen nicht zu früh entdeckt werden!" Rex Corda tastete das Innere des erschreckend lebendig wirkenden Roboterkopfes ab. Geschickt löste er die Bauteile heraus. Er ließ nur noch die
winzigen Funkzellen und die Linsen im Kopf, dann versuchte er, ihn anzulegen. Es ging überraschend schnell. Das flexible Material gab ein wenig nach. Rex Corda kniff die Augen zusammen, um sich an den Blick durch die scharfen Linsen des Roboters zu gewöhnen. Die Bilder schienen vor seinen Augen zu schwanken. John Haick zerrte dem zerstörten Roboter die Kombination herab und half dem Freund in die Verkleidung. „Wenn ich nicht die Trümmer des Roboters hier liegen sehen könnte", sagte John Haick, „dann könnte man Angst vor dir bekommen. Du bist von einem echten Roboter nicht mehr zu unterscheiden. Auch die Figur stimmt annähernd! In dieser Maske solltest du bis ins Schiff kommen können!" * Ein heißer Schauer überlief seinen Körper, als er die Metallplastikwand des gigantischen Raumschiffes berührte. Er glaubte, die neugierigen Augen der unzähligen Jumper vor dem Raumschiff auf sich gerichtet zu fühlen. Klang ihr Geckern und Kreischen nicht ganz wie eine Warnung? Aus dem Inneren des Raumschiffes kam ein dumpfes Vibrieren. Es wurde lauter und schwoll an, bis es urweltlich dröhnte. Das Licht in der Schleuse begann merklich schwächer zu werden. Rex Corda schwang sich entschlossen in die Schleuse. Er wußte nicht, was diese Geräusche aus dem Inneren des Giganten zu bedeuten hatten, aber er war sicher, daß sie keinen Start ankündigten. Die Jumper reagierten nicht. Sie ließen ihn passieren. Er hatte Glück gehabt, daß ihm keiner von ihnen zu nahe gekommen war. Sie alle hatten die stolze, selbstbewußte Gestalt für einen
Roboter gehalten. Jetzt - im Inneren der Bodenschleuse - wußte Rex Corda sich unter der Aufsicht der elektronischen Wächter. Überall konnten Bildschirme verborgen sein, überall konnten sich Aufnahmesysteme einschalten. Mit jedem Schritt konnte er sich verraten. Er drehte sich um und sah zurück. Da die Kugel fast zu ebener Erde mit dem Boden abschloß, hatten die Featherheads nur eine kurze Rampe als Verbindungsstück ausgefahren. Die meisten anderen Hantelraumer standen auf Teleskopfederbeinen mit imponierend breiten Auflagetellern. Dieser Raumer jedoch hatte sich direkt mit den Kugeln in den Boden der Erde gegraben. Corda hatte bei der gegenüberliegenden Kugel Reparaturtrupps ausgemacht, die an den Federbeinen beschäftigt waren. Das Schiff mußte während der kurzen Schlacht über Terra einen Treffer erhalten haben. Rex Corda straffte die Schultern. Seine Hand schloß sich fest um die Spule, die er dem zerstörten Roboter abgenommen hatte. Das jetzt starre Metall der Roboterhaut kratzte auf seinen Wagen. Erwünschte, er hätte eine Möglichkeit, das Metall so zu bewegen, wie es die Roboter taten. Nur zu leicht konnte er sich durch sein starres Gesicht verraten. Er zuckte zusammen, als hastige Schritte hinter ihm hörbar wurden. Sekundenlang kämpfte er mit sich. Es drängte ihn dazu, sich umzudrehen, nachzusehen, was sich ihm näherte. Er widerstand. Mit dröhnenden Schritten stampften zwei Orathonen an ihm vorbei. Sie zeigten kein Interesse für ihn. Sie beachteten ihn nicht einmal. Er starrte ihnen durch die Linsen nach. Sie schwangen sich in einen offenen Gleiter, der neben der Schleuse stand, und flogen nach Süden davon. Rex Corda atmete auf.
Er wandte sich um und durchquerte die Schleuse. Er versuchte, sich an das zu erinnern, was ihm Bekoval über das Innere des Raumschiffes gesagt hatte. Natürlich hatte der Laktone keine Schwierigkeiten gehabt, ihm das Schiff zu schildern. Die Wracks von Hunderten Schiffen dieses Typs waren den Laktonen nach den großen Schlachten in der Galaxis in die Hände gefallen. Sie kannten sich ebenso gut in den Schiffen der Gefiederten aus wie diese sich in den laktonischen Raumern. Rex Corda durchquerte das massige Trennschott der Schleuse. Auf der oberen Schottleiste blinkten zahlreiche violette Lampen. Von irgendwo kam ein ständiges, beruhigendes Summen. Rex Corda zögerte nur kurz, bevor er weiterging. Ein kühler, langer Gang nahm ihn auf. Aus unergründlichen Quellen flutete Licht; manchmal gleißend hell, dann wieder schwächer. Mehrere Orathonen hielten sich auf dem Gang auf, sie arbeiteten vor den Instrumententafeln, die in die Wände des Ganges eingelassen waren. Sie beachteten den „Roboter" nicht. Der blitzende Gang reflektierte das Licht von allen Seiten, es schien, als schreite er in einer Röhre entlang, die kein Ende nehmen wollte. Weiter vorn schien sie regelrecht ineinanderzulaufen. Corda zählte jeden Schritt. Nach dreißig Metern mußte laut laktonischer Information ein Schacht kommen. Bekoval hatte ihn als Antigrav bezeichnet, der ihn linksseitig nach oben tragen würde. Als er die Abzweigung sah, blieb er unwillkürlich stehen. Eine wilde Schar kam kreischend auf ihn zu und stob nach allen Richtungen auseinander, als sie den Bronze-Roboter bemerkte. Corda erschrak. Für Augenblicke hat-
te er ganz die Trops vergessen, affenähnliche kleine Tiere mit einem brandroten Pelz. Sie gehörten ebenfalls zu den orathonischen Hilfsvölkern, nur wußte Corda nicht, wozu sie dienten. Sie waren verspielt und schienen harmlos. Meist tollten sie herum, dann aber saßen sie wieder ganz ernsthaft da und palaverten. Vermutlich waren sie semiintelligent. Von den kleinen Tieren drohte ihm keine Gefahr, sie hatten den AntigravLift dazu benutzt, ihren Spieltrieb ungehindert befriedigen zu können. Kreischend tobten sie um seine Beine. Rex Corda kümmerte sich nicht um sie. Ruhig, als sei es ganz selbstverständlich, betrat er den Schacht. Für einen Sekundenbruchteil stockte ihm der Atem. Der Schacht war glatt, ohne jede Verzierungen oder Maschinen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl, in eine Röhre zu treten, die keinen Anfang und kein Ende besaß. Rex Corda mußte sich nur auf die Worte Bekovals verlassen. Für einen Terraner erschien die Angelegenheit ohnehin unbegreiflich. Aufhebung der gravitationsmechanischen Kräfte! Corda stieg in den glatten Sehacht. Sofort erfaßte ihn eine unbekannte Kraft, für die er ebensowenig eine Definition fand wie für alles um ihn herum. Er schwebte ganz sanft nach oben. Als die vierte Etage langsam an ihm vorbeiglitt, folgte er dem Rat, den Bekoval ihm gegeben hatte. Er warf seinen Oberkörper nach vorn und ließ sich fallen. Sofort darauf versuchte er, sich aufzurichten. Es gelang. Er stand jetzt in einem weiteren Gang, der zur Sendeanlage des großen Schiffes führte.
Corda hatte selbst nach den detaillierten Schilderungen der Laktonen keine rechte Vorstellung von einer überlichtschnellen Hyper-Sendeanlage. Und was eine fünfdimensionale Überlicht-Träger-Welle war, konnte er sich nur höchst unklar vorstellen. Weiter vorn tauchte ein kleiner Jumper auf. Das känguruhähnliche Tier saß auf den Hinterbeinen und blickte ihm ruhig entgegen. Seine schwarzen Knopfaugen leuchteten im Widerschein der gleißenden Lichtbahnen. Corda musterte das Tier argwöhnisch. Er wußte, daß es in Sekundenschnelle einen Laktonen aufspüren konnte. Aber die Adrenalin-Ausschüttung eines Menschen war gering, sie steigerte sich nur, wenn er sich in einem hochgradigen Erregungszustand befand. Und das war bei Rex Corda nicht der Fall. Aber er kannte die Jumper doch noch nicht genug. Sie reagierten auch auf andere Effekte. Das kleine Tier war jetzt eng an den Boden gepreßt sitzen geblieben, als der vermeintliche Bronze-Roboter weiter marschierte. Seine Stiefel dröhnten über den glatten Metallboden. Der Jumper hob witternd die Nase hoch. Rex Corda wunderte sich über das eigenartige Benehmen des kleinen Tieres. Er wußte nicht, daß der Jumper seinen Geruch „geortet" hatte. Die kleinen Mengen Schweiß, die seinen Körper bedeckten, sagten dem feinfühligen Tier mehr als genug. Das hier war kein Bronze-Roboter! Schrill aufkreischend, sprang der Jumper in die Höhe. Rex Corda fluchte leise. Mit einem schnellen Satz sprang er vor. Seine Rechte griff zu und bekam den Jumper am pelzbedeckten Genick zu fassen.
Mit der anderen Hand hielt er ihm die Schnauze zu. Der Jumper zappelte. Aber sein Strampeln nützte nichts. Die Hände hielten ihn unerbittlich fest. Corda sah sich um. Er brachte es nicht fertig, das kleine Tier mit einem Hieb zu töten. Es war nur eine harmlose Kreatur, die ihre Pflicht erfüllte und ihren Herren diente. Vier Meter weiter befand sich auf der rechten Seite ein offenes Schott. Den Jumper eng an den Körper gepreßt, sah Rex Corda in den Raum. Wenn Bekovals Darstellung stimmte, mußte es sich um ein Ersatzteilmagazin handeln. Sie stimmte. Geräte und technische Apparaturen aller Art lagen herum. In dem Raum herrschte ein heilloses Durcheinander. „Sei still, Freund", knurrte Corda leise. „Du weißt ohnehin, was hier gespielt wird. Später wird man dich schon finden." Er zog an einem in der Wand eingelassenen Knopf. Seine Vermutung erwies sich als richtig. Die orathonische Technik basierte in gewisser Hinsicht auf denselben Grundsätzen wie die irdische. Es war ein Schrank, der mit konisch zulaufenden Hohlkörpern angefüllt war. Rex Corda räumte ein paar der kleinen Dinger beiseite. Dann hob er den Jumper hoch und setzte ihn in das Fach hinein. Sein Protestgeschrei verhallte ungehört, als Corda die Klappe zuschob. Ersticken konnte der Jumper vorläufig nicht, wenn ihm auch die Dunkelheit nicht behagen würde. Später würde man ihn sicher entdecken. Vorsichtig trat Rex Corda wieder aus dem Raum heraus. Der Gang lag leer und verlassen vor ihm. Zu dieser Zeit herrschte nicht viel Betrieb in dem orathonischen Raumschiff. Die Laktonen
hatten behauptet, ein großer Teil der Besatzung ruhe jetzt. Aber Rex Corda fühlte sich dadurch nicht sonderlich beruhigt. Die Haupt- und Kommandozentrale lag in der anderen Kugel der gigantischen Hantel. Dort herrschte jetzt weitaus mehr Betrieb. Sorgfältig zählte Rex Corda die Zahl der abzweigenden Nebengänge. Sie wuchs verwirrend an. Er lief Gefahr, die Orientierung zu verlieren. Er glaubte, bereits kilometerweit gelaufen zu sein. Die Gänge und die Schotts glichen sich wie ein Ei dem anderen. Sie waren kahl, die Wände in den meisten Fällen unverkleidet. Unter der Decke liefen dicke Kabelstränge und schwitzende Kühlrohre entlang. Das Schiff machte den Eindruck, als sei es in höchster Eile und unter Einsparung aller verschönernden Arbeiten zusammengesetzt worden. Ein typisches Kriegsschiff, das auf allen Luxus verzichtete. Der nunmehr Jahrtausende währende Krieg zwischen den beiden galaktischen Giganten hatte ihre Denkart geprägt. Aus einem Seitengang näherten sich harte Schritte. Sie hallten von den nackten Wänden wider. Corda schien das trockene Knallen der Hacken auf dem Boden wie dröhnende Hammerschläge in seinem Schädel. Unwillkürlich verlangsamte er seine Schritte. Da bog der Urheber der Geräusche auch schon auf den Hauptgang ein! Ein Orathone! Seine blauschwarzen, enganliegenden Federn auf dem Schädel schimmerten seidig im hellen Licht. Wie funkelnde Blutstropfen leuchteten die roten Zeichnungen in seinen Tränensäcken. Rex Corda fühlte, wie eiskalte Ruhe ihn durchströmte. Schon der Größenunterschied von annähernd dreißig Zentimetern gab ihm eine psychologische Überlegenheit ge-
genüber dem Orathonen, der nur die bisher beobachtete Durchschnittsgröße von 1,65 Meter hatte. Der Orathone beachtete den Unterschied jedoch nicht. Für ihn war er nicht ungewöhnlich. Es gab genügend Größenunterschiede bei den Robotern. Die Featherheads bauten die unterschiedlichsten Robotertypen, um sie in ihrer Wirkung möglichst auf die verschiedenen Sklavenvölker der eroberten Planeten abzustimmen. Der Gefiederte blieb stehen mit einem erwartungsvollen Ausdruck auf seinem olivgrünen Gesicht. Rex Corda verkniff die Augen. Er starrte durch die Linsen, die das Bild des Invasoren verzerrten, da er sie nicht justieren konnte. „Nur nichts anmerken lassen!" dachte er kalt. Er, der Bronze-Roboter, hatte sich dem Orathonen in einer Situation wie dieser vorzustellen, indem er die Buchstaben- und Zahlengruppen nannte, unter denen er im zentralen Computer registriert war. Die Situation war ungefährlich. Er konnte sich ganz auf das Übersetzungsgerät verlassen, das er dem von amerikanischen Gangstern getöteten laktonischen Agenten abgenommen hatte. Rex Cordas Rechnung enthielt nur einen Irrtum. Obwohl Bekoval das Gerät eingehend untersucht hatte, hatte sich ein kleiner Fehler eingeschlichen. Rex Corda konnte diesen Fehler nicht erkennen, dafür war er viel zu wenig über die Laktonen und Orathonen informiert. Der Featherhead blieb vor dem Mann stehen, der sich in der Maske eines Roboters in das Raumschiff geschlichen hatte, in der Absicht, die Laktonen zum Angriff zu verleiten, sobald es gelungen war, dafür günstige Voraussetzungen zu schaffen. Die Laktonen sollten in dem Augenblick über die Grünhäutigen
herfallen, in dem deren militärisches Potential am geringsten war. Rex Cordas Gestalt straffte sich. Er sah dem Orathonen durch die Linsen hindurch starr in die Augen. Der Fremde streckte schon die Hand nach der Bildtonaufzeichnung aus, die Rex Corda zur Tarnung bei sich trug. Es schien, daß er genau auf den richtigen Mann getroffen war. „BCR - 432", gab er sich zu erkennen. Der Orathone hob die Augenbraue ein wenig. Dann sah Rex Corda in das maßlos bestürzte Gesicht seines Gegenübers. Etwas war falsch, etwas war im krassen Gegensatz zur Planung abgelaufen. Was aber war falsch an dem Registrationszeichen? Cordas Schweißausbruch kam überraschend. Natürlich fand er nicht heraus, was er falsch gemacht hatte. Ein orathonischer Bronze-Roboter besaß immer eine Zahl mehr in seinem Code als Buchstaben. Rex Corda hätte eine Zahl mit vier Ziffern nennen müssen, um nicht erkannt zu werden. Seine Kleidung machte ihn nicht als Menschen kenntlich. Nichts an ihm verriet die Maske. Es war nur sein Erkennungszeichen gewesen. Der Orathone schaltete blitzschnell. Seine Hand zuckte nach vorn, nicht aber, um nach der Meldung zu greifen, sondern nach der energetischen Strahlwaffe. Rex Corda zögerte eine halbe Sekunde lang. Seine Reaktionen verlangsamten sich unter dem Schock. Dann jedoch brachen die parapsychischen Mächte seines mutierten Hirnes sich mit niegekannter, maßloser Gewalt eine Bahn. Rex Corda selbst taumelte unter dem unkontrollierten Ausbruch seines sich befreienden Sonderhirns. Der Senator drang in die emotionelle Sphäre seines Feindes ein. Er empfing
eine Ahnung von der erschreckenden Kälte, die den Orathonen beherrschte. Und er stöhnte unter dem tobenden Einfall heftigster Angstgefühle in dem Orathonen. Es dauerte nur eine knappe Sekunde, bis Rex Corda begriff, daß er selbst es war, der diesen Sturm in dem Featherhead verursachte. Bohrende Schmerzen rissen durch seinen Kopf. Sie ließen das Bild des Orathonen vor seinen Augen verschwimmen. Hilflos stand der Gefiederte vor dem vermeintlichen Roboter, dessen unbewegliches Gesicht ihn mit panischer Angst erfüllte. Mit niederschmetternder Plötzlichkeit erfaßte der Orathone, daß nicht ein rebellierender Roboter vor ihm stand, sondern ein verkleideter Mensch! Die Kinnlade sackte ihm herab. In seinin Augen stand nacktes Entsetzen. Seine Hände flogen zum Kopf hoch, sie preßten sich an die Schläfen, unter denen das Blut wie rasend durch die Adern schoß. Die schwere Strahlwaffe polterte auf den Boden. Rex Corda fühlte, wie sich sein Hirn ebenso plötzlich, wie es aufgebrochen war, wieder verkapselte. Der Schweiß lief ihm in Strömen das Gesicht herab. Die Haut juckte heftig unter der Berührung mit dem Metall des RobotKopfes. Der Orathone, der in die Knie gebrochen war, tauchte schreiend aus der Hölle der Emotionen auf. Wild um sich blickend, griff er zu seiner am Boden liegenden Waffe und versuchte, sie aufzuheben. Rex Corda warf sich über ihn. Seine Faust fuhr mit aller Kraft auf den Nakken des Orathonen herab. In dem Schlag lag aller Haß des Terraners gegen den gnadenlosen Feind. Doch das reichte noch nicht! Der Orathone brach zwar schlagartig zusammen, aber auf dem Boden wälzte er sich herum und versuchte, Rex Corda mit einer ge-
schickt angesetzten Beinzange zu fällen. Corda schlug noch einmal zu. Sein zweiter Hieb saß besser. Der Orathone erschlaffte. Rex Corda sah sich erregt um. Doch niemand konnte den Zwischenfall bemerkt haben. Sie waren allein auf dem weiten Gang. Corda glitt lautlos bis zur nächsten Gangabzweigung und schob sich dort langsam um die Ecke. Auch hier war niemand zu erkennen. Er wartete ab, ließ einige Minuten verstreichen. Doch alles blieb still. Er kehrte zu dem bewußtlosen Gegner zurück. Wenige Schritte weiter begann die „rote Zone". Drei lange rote Striche markierten sie. Er war am Ziel! Nur wenig weiter, am dritten Schott, mußte sich die Hyper-Sendeanlage befinden. Corda schleifte den bewußtlosen Orathonen über den Boden, bis er den Raum erreichte. Es störte ihn, daß zahlreiche orathonische Räume keine schließbaren Schotts besaßen. Wenn zufällig jemand vorbeikam, mußte man ihn unbedingt sehen. Der Raum maß etwa zehn mal zwölf Meter im Quadrat. Seine technische Ausstattung war derart kompliziert und sinnverwirrend, daß kein terranischer Spezialist sich damit zurechtgefunden hätte. Und er, Rex Corda, sollte noch einen scharf gebündelten Lichtimpuls aus den Hyper-Antennen jagen! Dabei war die Position der im All lauernden laktonischen Flotte nur annähernd bekannt. Wenn der Spruch sie nicht erreichte, war alles umsonst gewesen. Riesige Hologrammschirme zeigten die Stadt Denver bis zu den äußeren Randbezirken. Das Bild war so echt, wie eine dreidimensionale Projektion nur sein konnte.
Corda ließ sich von den flammenden Schirmen nicht beeindrucken oder verwirren. Die umlaufende Bildschirmgalerie war auf alle Fälle völlig unmaßgeblich für sein Vorhaben. Bekoval hatte ihm den Hypersender genau beschrieben. Summen und leises Pfeifen lag in der Luft. Der Funkraum war übermäßig warm. Rex Corda zerrte noch immer den Orathonen am Uniformkragen seiner Jacke mit sich. Dann ließ er ihn los, überzeugte sich jedoch vorher davon, daß der Mann immer noch bewußtlos war. Der Beschreibung nach konnte nur dieses monströse Gebilde der fragliche Sender sein. Er glich einem spitz zulaufenden Kegel, auf dessen oberer Kante golden schimmernde, spiralige Antennen zu erkennen waren. Der Hypersender unterschied sich vor allem durch seine tiefgrüne Farbe von den anderen Geräten und Maschinen, die ausnahmslos in hellem Silbergrau glänzten. An dem Unterteil war eine sinnverwirrende Skala mit leuchtenden Scheiben und ovalen Schaltern angebracht. Flackernde Zusatzschirme zeigten dreidimensionale Sternkarten mit dem getreuen Abbild farbenprächtiger Sonnen. Unter anderen Umständen hätte Rex Corda in ehrfürchtigem Schweigen Bewunderung empfunden. Jetzt war das anders. Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen, von der das Schicksal der gesamten Menschheit abhing! Corda ging langsam auf das komplizierte Gerät zu. Nach Bekovals Angaben bedurfte es einer fast unverständlichen Einjustierung. Doch der Laktone hatte mit seinem vorbildlichen Gedächtnis einen Großteil des Unternehmens gesichert. Corda drückte rasch hintereinander
zwei ovale Schaltungen nieder, die klikkend einrasteten und nun in hellem Blau aufleuchteten. Die Sende-Energien standen bereit. Anschließend drückte er die Taste zur vierdimensionalen Entzerrung gesteuerter Hyper-Impulse. Als er die unverständlichen Symbolzeichen eingab, ertönte ein leises Summen. Die spiraligen Antennen des oberen Teiles drehten sich. Eine hellblaue Linie zeigte auf dem Zusatzschirm noch einmal die Koordination an. Sie stimmten überein, wenn ein roter Strich den blauen berührte. Das geschah jetzt. Der Spruch konnte abgesetzt werden. Corda war so in seine Aufgabe vertieft, daß er den Orathonen übersah, der langsam wieder zu sich kam. Die maßlos entsetzten Augen in dem Gesicht des Featherheads besagten mehr als alle Worte. Er wußte jetzt, daß jemand sich in das Schiff eingeschlichen hatte, nur um einen Spruch aus den Hyper-Antennen zu jagen. Und daß dieser Spruch an die laktonische Flotte ging, war dem Orathonen klar. Folglich konnte es sich also nur um einen Laktonen handeln, der die Verkleidung eines Bronze-Roboters gewählt hatte, um ungehindert ins Schiff zu gelangen. Rex Corda jagte aus dem Gedächtnis die Symbole in die Tiefen des Alls. Irgendwo dort draußen - Bekoval hatte es als Flottensektor Süd 21b bezeichnet - würden jetzt die vollautomatischen Peiler die Strukturerschütterungen der Impulse orten und einpeilen. Der Spruch wurde automatisch aufgezeichnet. Langsam versuchte der Orathone, sich auf dem Boden fortzubewegen. Da hatte Rex Corda ihn bemerkt. Ruhig, als hätte er ihn nicht gesehen, wandte er sich wieder seiner Aufgabe zu. Nur noch einige Symbole waren
durchzugeben. Für einen Menschen waren sie unverständlich, aber ein vollautomatischer Hyperpeiler konnte sie mühelos entziffern. Die Flotte Laktons wurde aufgefordert, so schnell wie möglich wieder im Sol-Raum zu erscheinen. Alles weitere würden die verantwortlichen Flottenkommandeure veranlassen. Im Widerschein der blinkenden Geräte sah Rex Corda das leicht verzerrte Spiegelbild des Orathonen, der sich langsam heranschlich. Corda wandte sich blitzschnell um, hob in der Drehung seinen Arm - und schlug zu. Der Orathone wurde von der Wucht nach hinten gerissen. Schwer krachte der Körper in einen der umlaufenden Bildschirme. Ein grellblauer Blitz flammte auf, irgendwo schlug funkenspeiend eine Sicherung durch. Es roch nach verschmorten Isolationen. Corda kümmerte sich nicht weiter um den Bewußtlosen. Der Spruch hatte die Hyper-Antennen verlassen, seine Aufgabe war damit erfüllt. Jetzt mußte er nur versuchen, das Schiff zu verlassen, und unauffällig hinauszukommen. Bevor er sich abwandte, drückte er auf die Ovalschalter der Hyperanlage. Die Antenne fuhr in ihre vorherige Stellung zurück, die Energien flossen ab. Leise summend erstarb der Arbeitsrhythmus der hochwertigen Sendeanlage. Rex Corda hastete aus der Funkzentrale. Im Schiff klangen Geräusche auf. Offenbar hatte man die durchschlagende Sicherung auch an anderen Stellen bemerkt. Wieder im Hauptgang, besann er sich darauf, daß er ein Bronze-Roboter zu
sein hatte. Folglich hatte er sich auch dementsprechend zu benehmen. Gelassen ging er weiter, bis er den Schacht des Antigravs erreichte. Von unten scholl Rufen und helles Geckern herauf. Rex Corda erkannte drei Jumper, die gerade in die Aufwärtsbahn des Schachtes sprangen und sich nach oben tragen ließen. Sie konnten ihn noch nicht gesehen haben. Schnell trat er zurück und ging mit langen, weit ausgreifenden Schritten ein paar Meter in rückwärtiger Richtung den Gang entlang. Er mußte abwarten, bis die Jumper oben waren. Ihr feines Geruchsempfinden würde ihn sofort entlarven; der andere Jumper hatte das nur allzu deutlich bewiesen. Außerdem bestand die Möglichkeit, daß die Jumper in eine andere Etage wollten. Doch diesmal schien sich alles gegen ihn verschworen zu haben. Die Jumper sprangen aus dem Lift und rannten auf ihn zu. Corda schritt ihnen genau entgegen. Aufschreiend sprangen die kleinen Wesen zur Seite. Sie hatten noch nichts bemerkt. Erst als er sich kopfüber in den Schacht fallen ließ, reagierten sie. Sein Körpergeruch war ein untrügliches Merkmal für ihre empfindlichen Nasen. Sie sprangen ihm nach. Rex Corda sah, wie sie in den Schacht kugelten und herabgesegelt kamen, dabei stießen sie warnende Schreie aus. Die Antigrav-Bahn trug ihn nach unten. Der Schacht war erfüllt vom heiseren Kreischen und Geckern der kleinen Gestalten. Er hatte jetzt keine Zeit mehr zu verlieren, wenn er noch aus dem Schiff kommen wollte. Schon von weitem erkannte er die
typischen Umrisse eines Bronze-Roboters, der im hellen Schein der verborgenen Lampen gleißte und flimmerte. Rex Corda begann innerlich zu stöhnen. Was anfangs so leicht ausgesehen hatte, entwickelte sich nun immer mehr zu seinem Nachteil. Der andere Bronze-Roboter stand kurz vor dem Antigrav-Schacht, als Corda aus der unsichtbaren Bahn heraustrat und eiskalt auf ihn zuging. Er fragte sich verzweifelt, ob die kybernetische Konstruktion ihn erkennen würde. Wenn der Roboter etwas merkte, gab es keinen Ausweg mehr. Dann wurde das Schiff zur Falle! Auf gleicher Höhe mit dem Roboter erreichte ihn ein Funkimpuls. Der Mikro-Dolmetscher übersetzte zwar sofort, aber eben diese kleine Zeitspanne war schon zuviel. Ein positronisches Gehirn benötigte nur Sekundenbruchteile, um die Daten zu verarbeiten. Es konnte im selben Augenblick den Impuls zurückgeben. Rex Corda reagierte auf die Funkanrede nur eine halbe Sekunde zu spät. Diese relativ kurze Zeit hatte dem anderen Bronze-Roboter jedoch schon genügt, um zu erkennen, daß mit der Konstruktion seines Gegenübers etwas nicht stimmte. Er vertrat Rex Corda den Weg und blickte ihn an. Corda sah in zwei Linsen, die in reinstem Goldton schimmerten. „Aus", dachte er, „vorbei!" Im gleichen Moment warf er sich mit dem Mut der Verzweiflung nach vorn. Der harte Anprall erschütterte ihn so stark, daß er fast das Gleichgewicht verlor. Aber er gab ihm eine weitere Sekunde Vorsprung. Er rannte auf die noch immer offenstehenden Schleusentore des Hantelraumers zu. Dabei hoffte er, daß der Bronze-Roboter von seinem eingebauten schwenkbaren Waffendrehkranz keinen
Gebrauch machen würde. Die hochenergetischen Strahlbahnen mußten fraglos das Metall des Ganges in glutflüssigen Brei verwandeln. Der Roboter bewertete diesen möglichen Schaden als zu hoch, da er Corda auch so keine Chance zuerkennen konnte. Cordas Rechnung ging in einem Punkt auf. Der Roboter schoß nicht. Aber er war wesentlich schneller in seinen Bewegungen als ein Mensch, der außerdem noch durch den Panzer im Laufen behindert wurde. Zum anderen besaß er ein positronisches Gehirn, dessen Reaktionsfreudigkeit unübertrefflich war. Im gleichen Augenblick, als der Bronze-Roboter in dem Wesen einen laktonischen Agenten zu erkennen glaubte, rannte er hinter der Gestalt her. Ein kurzer Funkimpuls ging an das elektronische Schottensystem, das sich jetzt anschickte, die große Doppelschleuse hermetisch von der Außenwelt abzuschließen. Rex Corda lief um sein Leben. Schwitzend erkannte er hinter sich den wahnsinnig schnell laufenden Roboter, dem er nicht mehr entkommen würde. Und vor ihm bewegten sich die Schleusentore leise summend aufeinander zu. Sie schnitten ihm den Weg nach draußen ab. Der Bronze-Roboter schlitterte an ihm vorbei, glitt über den fugenlos glatten Metallboden und versperrte ihm so den Ausgang. In spätestens zwanzig Sekunden mußten sich die Schotts endgültig geschlossen haben. Rex Corda bremste seinen schnellen Lauf auf dem glatten Untergrund. Er hatte nicht die Absicht, noch einmal gegen die Roboterkonstruktion anzurennen. Nur eine Möglichkeit blieb ihm noch.
Er mußte, auf dem Boden entlangschlitternd, versuchen, wie ein Geschoß aus der Schleuse zu schießen. Im Schutz der Dunkelheit und im Freien glaubte er mehr Bewegungsfreiheit zu haben als in dem hellen, beengenden Gang. Vor seinem Gesicht tauchte ein schwarzer, drohender Schatten auf. Gleich darauf ertönte ein dumpfer Knall. Rex Corda erkannte, über den Boden auf die Schleuse zurutschend, ein behaartes Wesen, das sich mit den Zähnen in seiner Kombination verbissen hatte und an ihm zerrte. Der Roboter kippte seitlich weg. Rex Corda hörte den dumpfen Fall nicht mehr. Die Schotts hatten sich geschlossen. Es war buchstäblich in letzter
Sekunde gewesen. Er befand sich im Freien. „Nun, Senator", hörte er eine vertraute Stimme. „Wie hat dir das gefallen? Übrigens: Nukleon hat mir keine Ruhe gelassen. Er hat mich förmlich in das Schiff hineingezogen. Man könnte meinen, du ständest in telepathischer Verbindung mit ihm. Ein kluger Hund, nicht wahr?" „Das kann man wohl sagen", keuchte Rex Corda erschöpft. Es gab einen kurzen Ruck. Unter ihm heulte ein Motor auf. Mit scharfer Beschleunigung setzte sich der Sonnengleiter in Bewegung. Rex Corda konnte nur hoffen, daß die Erde am Ende der großen Schlacht noch leben würde.
ENDE
Orathon: Staatsform: Oligarchie (Vorherrschaft einer kleinen Gruppe). An der Spitze des gigantischen Staates steht die Familie Agelon. Sie herrscht mit diktatorischer Gewalt über ein Reich von 10000 Sonnensystemen und 15000 bewohnten Planeten. Moga Agelon: Oberhaupt der Familie. Ein 60jähriger Mann, eine Persönlichkeit magischen Aussehens. Ihm haben sich alle unterzuordnen. Moratha: Planet, ist die wirtschaftliche Zentrale des orathonischen Reiches. Khara: Planet, auf dem die politische Zentrale des Reiches ist. Aussehen der Orathonen: Menschenähnlich, was Größe und Form der Gliedmaßen anbetrifft. Ihre Haut jedoch ist olivgrün. Der Kopf eines Orathonen ist von enganliegenden, sehr feinen Federn bedeckt. Daher auch ihr Spitzname: Featherheads oder „die Gefiederten". Die Farbe der Federn ist überwiegend blauschwarz oder bräunlich gelb, seltener rötlich bis hellblau und grün. Im Alter werden die Federn stumpfgrau. Sie fallen nicht aus. Gesicht der Orathonen: Die Form ist oft quadratisch. Das Gesicht wirkt immer gedrungen und zuweilen gutmütig, obwohl die Orathonen das auf keinen Fall sind. Größe: Durchschnittliche Größe dieser Rasse ist 1,65 m. Die Orathonen bevorzugen bequeme, weiche Kleidung. Jacken und Umhänge sind nur der Familie Agelon vorbehalten. Charakter: Orathonen sind sehr aggressiv. Angriff ist etwas Selbstverständliches für sie. Hier liegt eine Überbetonung Ihrer Grundinstinkte. Selbst ein „vernünftiger" Featherhead würde immer aggressiv bleiben. Zudem sind „die Gefiederten" noch energisch, selbstbewußt, zielstrebig und egoistisch. Lakton: Staatsform: Mischung aus Demokratie und Monarchie. An der Spitze des Staates steht der Schenna. Er gilt als unsterblich. Im allgemeinen mischt er sich nicht in die Politik seines Volkes ein, gibt aber von Zeit zu Zeit allgemeine Richtlinien. Schenta: Hofrat, der aus vier Adligen besteht. Er gilt als Sprachrohr des Schenna. Durch den Hofrat erfahrt die Regierung der Laktonen, welche politischen
Richtlinien beachtet werden sollen. Regierung: Die Regierung der Lakionen besteht aus dem Sternenrat, in dem die verschiedenen Vertreter der einzelnen Sonnensysteme sind. Dazu gibt es den Raf der Sektoren. (Sektor - sechs bis zwölf bewohnte Planeten). Das Parlament: Sitz der Abgeordneten de einzelnen Planeten. Aus diesem Gremium wird die eigentliche Regierung gestellt. Gesetzesweg: Um ein Gesetz in Lakton zu verabschieden, muß folgender Weg eingehalten werden: Regierung - Sterrenrat - Rat der Sektoren - Regierung Schenna -Regierung. Herrschaftsbereich der Laktonen: Lakton umfaßt einen Spiralarm von 400 bewohnten Planeten. Auf dem zentralen Planeten Ferga ist der Sitz des Schenna. Auf Lakton selbst sitzen Regierung und Räte. Zur Zeit der Handlung herrscht Lakton noch über 3000 Systeme mit 7000 Planeten. Aussehen der Laktonen: Sie sind sehr menschenähnlich, was Größe und Farbe der Haut, der Haare und der Augen betrifft. Besonderer Unterschied: sie haben rötliche Zähne. Die Laktonen haben einen herben Körpergeruch. Charakter: Sehr stolz und selbstbewußt. Sie sind keine harmlosen Blender, sondern echte Gegner, die stets brandgefährlich sind.