Nr. 394
Mit den Kräften des Geistes Der Zweikampf der Vertauschten von H. G. Francis
Nun, da Atlantis-Pthor mittels d...
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Nr. 394
Mit den Kräften des Geistes Der Zweikampf der Vertauschten von H. G. Francis
Nun, da Atlantis-Pthor mittels der neuen eripäischen Erfindung aus dem Korsallo phur-Stau befreit werden konnte, kommt der »Dimensionsfahrstuhl« auf seiner vor programmierten Reise der Schwarzen Galaxis unaufhaltsam näher. Es gibt nichts, was die Pthorer und Atlan, ihr neuer König, tun könnten, um den fliegenden Weltenbrocken abzustoppen und daran zu hindern, die Schwarze Galaxis zu erreichen – jenen Ort also, von dem alles Unheil ausging, das Pthor im Lauf der Zeit über ungezählte Sternenvölker brachte. Wohl aber existiert die Möglichkeit, noch vor Erreichen des Zieles die gegenwärti ge Situation in der Schwarzen Galaxis, die allen Pthorern unbekanntes Terrain ist, zu erkunden – und Atlan zögert nicht, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Ihm geht es darum, schwache Punkte des Gegners zu entdecken, mit dem sich die Ptho rer bald werden messen müssen. Dabei gibt es auf Pthor selbst noch Konflikte auszutragen. Wir meinen speziell den Konflikt zwischen S. M. Kennon und Grizzard. Letzterer der beiden Männer kann sich nicht damit abfinden, in den Körper eines Krüppels versetzt worden zu sein. Er kämpft dagegen an MIT DEN KRÄFTEN DES GEISTES …
Mit den Kräften des Geistes
3
Die Hautpersonen des Romans:
Sinclair Marout Kennon und Grizzard - Die Vertauschten setzen ihr Duell fort.
Strezzo - Grizzards ergebener Diener.
Dartun - Kennons Gefolgsmann.
Tullam, Bushmi, Uson und Metax - Vier Wesen mit parapsychischen Kräften.
1. »Ich übernehme das«, sagte der Dalazaare Haazar und lief los, bevor Kennon-Axton ihn aufhalten konnte. Der Terraner stand unter einem Baum, der am Rand der Senke der Verlorenen Seelen wuchs. Etwa hundert Meter von ihm entfernt erhoben sich die ersten Hütten einer Sied lung aus dem Sand der steppenartigen Land schaft. Davor befand sich offenbar eine Quelle. Sinclair Marout Kennon konnte sie nicht sehen. Er sah nur die Büsche und Bäume in der näheren Umgebung der Quelle, und er vernahm das Rauschen des Wassers. Ihn überraschte, daß sich niemand in der Nähe der Quelle aufhielt, um sie zu bewachen. Offenbar befürchtete niemand in der Sied lung, daß irgend jemand Wasser stehlen könnte. Sinclair Marout Kennon, der jetzt in dem gut gewachsenen Körper Grizzards lebte, hatte Durst. Ein langer Marsch lag hinter ihm. In einem Felsengewirr mitten in einem wüstenartigen Gebiet hatte er den Zugor ver steckt, mit dem er die FESTUNG verlassen hatte. Er hatte sich entschlossen, waffenlos und ohne Fluggerät die Senke der Verlore nen Seelen aufzusuchen. Haazar, der sich ihm als Diener und Hel fer angeboten hatte, hatte darauf bestanden, zumindest ein Messer mitnehmen zu dürfen. Dieses trug der Dalazaare jetzt in der Hand, als er sich der Quelle näherte. Kennon sah ihn, als er sich durch die Büsche schob und sich über das Wasser neigte. Ein Schuß durchbrach die Stille. Haazar richtete sich auf. Er wandte sich Kennon zu. Dieser sah, daß ihn ein Geschoß mitten in die Brust getroffen hatte. Ein zweiter Schuß
traf den Dalazaaren. Haazar stürzte rück lings in die Quelle. Sinclair Marout Kennon stand wie ge lähmt unter dem Baum. Einem ersten Ge danken folgend, wollte er fliehen, doch we nig später erfaßte er, daß er damit einen töd lichen Fehler begehen würde. Wenn er weg lief, würde ihn die nächste Kugel treffen. Er löste sich aus dem Schatten des Bau mes und ging langsam auf die Quelle zu. Et wa zehn Meter von der Quelle entfernt blieb der Terraner stehen. Er hob die Arme, um anzuzeigen, daß er unbewaffnet war. Einige Minuten verstrichen, dann trat eine humanoide Gestalt aus einer der Hütten her vor. Sie hielt eine Waffe in den Händen, die Kennon an eine altertümliche Muskete erin nerte. Damit winkte der Schütze Kennon zu und gab ihm so zu verstehen, daß er näher kommen sollte. Kennon-Axton folgte dem Befehl. Als er einige Schritte gegangen war, sah er, daß er sich geirrt hatte. Zwischen den Bäumen und Büschen verbarg sich keine Quelle. Hier trat ein unterirdischer Fluß an die Oberfläche und verschwand nach einigen Metern wieder in einer trichterförmigen Öffnung. Das Was ser schoß schäumend und gischtend dahin. Von Haazar war nichts mehr zu sehen. Die Strömung hatte ihn mitgerissen. Der Schütze näherte sich Kennon. Am ge genüberliegenden Ufer blieb er stehen und spähte zu ihm herüber. Er hatte ein dunkles, scharfgeschnittenes Gesicht. Über den grünen Augen befanden sich zwei weitere, die jedoch so klein waren, daß Kennon sie erst jetzt bemerkte. Der Schütze kleidete sich mit Fellen verschie denster Art, die er jedoch nach einem be stimmten Muster zusammengestellt hatte, so daß sich ein harmonischer Eindruck ergab. Der Schütze rief Kennon etwas zu, was
4 dieser nicht verstand. Der Terraner gestiku lierte, um ihm zu verstehen zu geben, daß er in friedlicher Absicht kam. Der Schütze deutete auf sich und rief: »Korta!« Der Terraner antwortete: »Ken.« Jetzt zeigte Korta aufs Wasser. Er legte seine Waffe in den Sand und setzte sich. Kennon Axton kniete sich hin, tauchte die Hände ins Wasser und trank, ohne den ande ren aus den Augen zu lassen. Als Kennon seinen Durst gelöscht hatte, setzte er sich ebenfalls. Korta erhob sich, ließ seine Waffe liegen, und holte einen Dreizack aus einem Gebüsch hervor. Damit trat er an das Wasser, blickte einige Sekun den lang hinein und stieß dann zu. Er holte eine armlange Garnele aus dem Wasser. Er legte sie auf einige Blätter, die er von den Büschen abriß, trennte sie der Länge nach auf und beträufelte sie mit dem Saft einer Frucht, die er von dem herabhängenden Zweig eines Baumes ablöste. Dann winkte er Kennon zu sich heran und hielt ihm das erlegte Tier hin. Zögernd nahm der Terraner das Angebot an. Er wußte nicht, ob er es riskieren durfte, etwas von dem weißen Fleisch zu essen, doch dann sah er, wie Korta ihn anblickte. Er begriff, daß er essen mußte, wenn er sein Gegenüber nicht tödlich beleidigen wollte. Kennon riß sich einige Fleischstücke aus der Schale heraus und schob sie sich in den Mund. Sie lösten sich auf seiner Zunge förmlich auf und schmeckten so gut, daß er augenblicklich erneut zugriff. Korta lächelte und redete freundlich auf ihn ein. Er nahm die andere Hälfte der Gar nele und verzehrte sie schmatzend. Als sie gegessen hatten, erhoben sich die beiden Männer. Korta nahm den Arm Kenn ons und führte ihn in die Siedlung. Diese war überraschend groß. Kennon sah, daß die Hütten am Rand der Siedlung unbewohnt waren. Danach aber folgten Ge bäude, in denen vielköpfige Familien hau sten. Überall herrschte geschäftiges Treiben.
H. G. Francis Männer, Frauen und Kinder arbeiteten an hölzernen Maschinen, deren geniale Kon struktion Kennon verblüffte. Nach einiger Zeit fiel ihm auf, daß es hin ter ihm immer ruhiger wurde. Er blickte zu rück und bemerkte, daß die Bewohner der Siedlung die Arbeit einstellten und ihm in einigem Abstand folgten. Plötzlich kehrte das Unbehagen zurück, das ihn erfüllt hatte, als er sich der vermeint lichen Quelle genähert hatte. Wieder hatte er das Gefühl, in eine Falle zu tappen. Am liebsten wäre er umgedreht und aus der Siedlung geflohen. Doch er wußte, daß er das nicht mehr konnte. Kennon konzen trierte sich mit allen Sinnen auf das, was vor ihm lag. Die Bewohner dieser Siedlung soll ten ihm als Hebel dienen, mit dem er sein ei gentliches Problem aufbrechen wollte. Kennon sah in Grizzard seinen gefährlich sten Feind. Er war überzeugt davon, daß Grizzard noch nicht aufgegeben hatte, sei nen Körper zurückzugewinnen. Grizzard lebte in dem verkrüppelten Kennon-Körper, und er hatte bisher nur überlebt, weil ihm die Porquetor-Rüstung zur Verfügung stand. Kennon-Axton hatte die FESTUNG ver lassen, um sich in der Senke Verstärkung zu holen. Er war entschlossen, sich eine Haus macht aufzubauen, mit der er sich gegen Grizzard behaupten konnte. Er war zugleich davon überzeugt, daß er seinem Widerpart mit dieser Idee weit voraus war. So konnte er hoffen, Grizzard in einigen Tagen oder Wochen mit einem ganzen Heer von Helfern zu überraschen und einen endgültigen Sieg über ihn zu erringen. Korta und Kennon erreichten einen von Hütten umsäumten Platz, in dessen Mitte sich zwei Baumstämme erhoben, die ihrer Laubkronen beraubt waren. Vor einem der beiden Stämme kauerte ein zwergenhaftes Wesen, das mit einem metallenen Gurt und einer Kette an den Stamm gefesselt war. Vom anderen hing lose die Kette herab. Kennon begriff augenblicklich. Er fuhr herum und wollte sich zur Flucht wenden, doch Korta hielt ihn fest, und die Bewohner
Mit den Kräften des Geistes der Siedlung bildeten eine Mauer, die er nicht durchdringen konnte. Der Terraner zwang sich zur Ruhe und drehte sich wieder um. Das zwergenhafte Wesen hatte sich erho ben. Es musterte ihn mit verengten Augen, als taxiere es seine Kräfte. Der Zwerg hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem ver wachsenen Originalkörper. Er war etwas kleiner. Kennon schätzte, daß er nur etwa 1,20 Meter groß war. Er hatte einen tonnen förmigen Körper, dünne Beine und schwächlich wirkende Arme. Ein schlohwei ßer Bart reichte ihm bis zum Gürtel hinab. Der Kopf war kahl. Die Haut, die die Schä delplatte bedeckte, sah schwärzlich ver brannt aus, während sie am übrigen Körper rosig hell war. Kennon fiel auf, daß der Zwerg nur drei Finger an jeder Hand hatte. Die Füße, die ihm übermäßig lang erschie nen, wurden durch ein Gelenk unterteilt. Einem Wesen wie diesem war Kennon niemals zuvor begegnet. Er erschauerte. Eine unheimliche Bedro hung ging von dem Zwerg aus. Kennon war klar, daß er gegen ihn kämpfen mußte, und er zweifelte daran, daß er sich gegen ihn be haupten konnte. Der Terraner atmete einige Male durch. Er glaubte zu wissen, was er zu tun hatte. Daher ging er zu der Kette am freien Baum und blieb daneben stehen. Herausfordernd lächelte er dem Zwerg zu. Noch durchschaute Kennon den Sinn des Kampfes nicht. Er glaubte jedoch, daß der Sieger seine Freiheit wiedergewinnen wür de. Daher glaubte er auch, daß er erste Ver bündete für sich erringen würde, wenn es ihm gelang, den Zwerg zu bezwingen. Korta kam zu ihm. Ein breitschultriger Mann begleitete ihn. Er trug einen Eimer mit glühenden Kohlen, einen Amboß und einen Hammer. Korta legte ihm die Hände auf die Schul tern und blickte ihm in die Augen, während der andere ihm einen Metallgürtel umwarf, die Kette darin verankerte und dann ein glü hendes Glied einfügte. Einer der anderen
5 Männer goß Wasser über das Eisen und kühlte es damit ab. Dann traten Korta und der Schmied von Kennon-Axton zurück. Der Kampf konnte beginnen. Kennon schloß die Augen und konzen trierte sich. Als er die Ketten des anderen klirren hörte, öffnete er die Augen wieder. Der Zwerg griff an. Unter seiner Lederjacke holte er eine Axt und ein Schwert hervor, das er teleskopartig auseinanderziehen konnte. Derart bewaffnet stürzte er sich auf Kennon.
* Grizzard stoppte die Porquetor-Rüstung. Er glaubte, die Hitze nicht mehr ertragen zu können, die in der Rüstung herrschte. Er drehte sich mehrere Male langsam um sich selbst. Er befand sich am Rand der Senke der Verlorenen Seelen. Der Boden war san dig. Nur an wenig Stellen wuchs ein wenig Gras, und nur vereinzelt erhoben sich Bäu me und Büsche aus dem Sand. Doch das störte Grizzard nicht. Im Gegenteil. In die sem übersichtlichen Gelände fühlte er sich wohl, weil er glaubte, hier nicht überrascht werden zu können. Niemand hielt sich in seiner Nähe auf. Er öffnete die Rüstung und kroch heraus, um sich die Beine zu vertreten. Dann machte er ein paar gymnastische Übungen, um den Kreislauf zu aktivieren. Danach setzte er sich in den Schatten eines Baumes und über legte. Doch schon nach wenigen Minuten wurde er aufgeschreckt. Er hörte einen Ast bre chen, fuhr herum und sah einen bärtigen Mann, der auf ihn zu rannte. Er begriff. Der Bärtige hatte sich an ihn herange schlichen und hoffte nun, ihn überrumpeln zu können. Grizzard war klar, daß er es auf die Rüstung abgesehen hatte. Er sprang auf und kletterte in die Rüstung. Dabei blickte er über die Schulter zu dem anderen zurück. Entsetzt erkannte er, daß er nicht schnell genug war.
6 Grizzard wühlte sich förmlich in die Öff nung hinein und riß die Verschlüsse hinter sich zu. Dann war der Bärtige auch schon heran. Er warf sich gegen die Rüstung und stürzte sie um. Grizzard hatte sich jedoch gefangen. Er wußte, daß er jetzt die besseren Chancen hatte. In aller Ruhe sicherte er die Ver schlüsse, so daß sein Gegner sie nicht mehr öffnen konnte. Dann bediente er die Steuer anlage der Rüstung. Mit einer Armbewe gung schleuderte er den Bärtigen einige Me ter weit weg und richtete sich auf. Er drehte sich, bis er den anderen sehen konnte. Der Bärtige hockte im Sand und blickte ängstlich zu ihm auf. Grizzard stutzte. Er hatte diesen Mann schon einmal gesehen, wußte jedoch nicht, wo das gewesen war. »Wer bist du?« fragte er. »Was willst du?« »Ich bin Strezzo«, antwortete der andere. »Kennst du mich nicht?« Plötzlich erinnerte Grizzard sich. Diesen Mann hatte er bei den Flußpiraten gesehen. »Doch, ich weiß, wer du bist«, sagte er daher. »Du solltest dir keine Hoffnungen machen. Die Rüstung kannst du nicht steu ern. Du bist zu groß.« »Meinst du?« entgegnete Strezzo. »Ich glaube nicht. Wollen wir es einmal auspro bieren?« Grizzard lachte schallend. »Für wie dumm hältst du mich?« fragte er. »Du glaubst doch wohl nicht, daß ich die Rüstung verlassen werde? Du würdest mich sofort umbringen.« »Ich schwöre dir …«, begann der Pirat, doch Grizzard unterbrach ihn. »Lassen wir das«, sagte er. »War das al les, was du von mir willst?« Der Bärtige legte den Kopf zur Seite und blickte ihn prüfend an. »Ich habe den Eindruck, daß du einen Helfer gebrauchen kannst«, sagte er. »Du bist zwar mächtig in deiner Rüstung, aber es gibt verschiedene Dinge, für die du Hilfe be nötigst. Etwa beim Essen oder beim Trin-
H. G. Francis ken.« Grizzard war überrascht. »Du willst mein Diener sein?« fragte er. »Wieso? Du führst ein freies und ungebun denes Leben am Fluß. Weshalb willst du das aufgeben und dich mir anschließen?« »Um ehrlich zu sein – ich habe Krach ge habt«, gestand Strezzo. »Daraufhin war es besser für mich, zu verschwinden, weil mir sonst ein Messer im Rücken sicher gewesen wäre.« »Ich verstehe«, sagte Grizzard. »Ich bin einverstanden. Du kannst mich begleiten und verschiedene Dinge für mich erledigen. Wenn du zeigst, daß man sich auf dich ver lassen kann, werde ich dafür sorgen, daß du ein angenehmes Leben hast. Wenn ich mei ne Aufgaben in der Senke der Verlorenen Seelen erfüllt habe, werde ich zur FE STUNG zurückkehren. Meine Freunde wer den mich begleiten und dort ebenso ange nehm leben wie ich.« »In der FESTUNG?« fragte Strezzo, und seine Augen leuchteten auf. »Du willst mich mitnehmen?« »Ich werde dich prüfen. Alles, was ich verlange, ist Treue. Bist du treu, dann steht dir die FESTUNG offen.« »Ich habe nichts zu verlieren«, erwiderte Strezzo. »Hier draußen wartet ein Leben voller Gefahren und Ungewißheit auf mich. Besser als bei dir kann ich es kaum treffen. Ich bin dein Freund und Diener.« Porquetor hielt ihm die Stahlhand hin, und der Pirat schlug mit der Faust dagegen. »Was hast du vor?« fragte Strezzo. »Mein Name ist Grizzard. Man hat mir meinen Körper gestohlen und mich gezwun gen, in diesem verkrüppelten Körper zu exi stieren, in dem ich jetzt lebe.« »Das hört sich seltsam an«, erwiderte der Pirat. »Es hört sich verrückt an«, gestand Griz zard ein, »aber es ist die Wahrheit. Ich bin einer der Schläfer in der Senke der Verlore nen Seelen gewesen. Als ich aus dem Schlaf erwachte, wohnte ich in diesem verwachse nen Körper, in dem ich jetzt bin.«
Mit den Kräften des Geistes »Und du weißt, daß es nicht der richtige ist?« fragte Strezzo zweifelnd. »Es ist absolut sicher. Hast du von Atlan gehört?« »Er ist der neue König von Pthor.« »Nun gut. Atlan hat mir bestätigt, daß ich mich nicht irre. Er kennt den Mann, der ei gentlich in diesem Körper leben müßte, und er weiß, daß ein Tausch stattgefunden hat.« Diese Worte schienen den Piraten zu überzeugen. Er nickte. »Also gut«, sagte er. »Und was hast du vor?« »Ich will meinen Körper zurückhaben. Doch das ist nicht so einfach. Der Körper dieb will meinen Körper behalten, in dem er jetzt lebt, weil dieser gesund ist, jung und leistungsfähig. Um ihn sich für alle Zeiten zu sichern, will er mich töten.« »Das liegt auf der Hand. Ich würde ver mutlich ähnlich handeln.« »Ich auch«, antwortete Grizzard. Er überlegte einige Sekunden lang. Dann deutete er auf einen Busch in der Nähe. »Weißt du, ob die Beeren an dem Busch eßbar sind?« fragte er. Der Pirat ging zu dem Busch hin und kehrte mit einigen Früchten zurück. Er ver zehrte einige Beeren und hielt Grizzard die anderen hin. »Du kannst sie essen«, erklärte er. »Sie sind sehr bekömmlich.« Grizzard drehte sich in seiner Rüstung herum und öffnete sie. Er streckte dem Pira ten eine Hand entgegen. In der anderen, die Strezzo nicht sehen konnte, hielt er einen Dolch. Damit wollte er zustoßen, falls sein neuer Gefährte versuchen sollte, ihn aus der Rüstung zu ziehen. Doch Strezzo tat nichts dergleichen. Er überreichte Grizzard die Beeren und zog sich einige Schritte weit zu rück. »Du hast mir noch immer nicht gesagt, was du tun willst«, bemerkte der Pirat. »Was willst du in der Senke der Verlorenen See len?« Er kicherte. »Glaubst du, daß du deine verlorene Seele
7 dort wiederfindest?« »Sei nicht albern«, erwiderte Grizzard ab weisend. »Ich habe nicht meine Seele verlo ren, sondern meinen Körper.« »Vielleicht aber ist deine Seele in deinem Körper geblieben?« Grizzard stutzte. Für einen kurzen Mo ment wollte er sich ernsthaft mit diesem Ge danken beschäftigen, dann sah er, daß die Augen Strezzos belustigt funkelten, und ihm wurde klar, daß der Bärtige noch immer nicht so recht an das glaubte, was er ihm er zählt hatte. Er konnte es ihm nicht verdenken. Ihm selbst war die Wahrheit über eine lange Zeit hinweg absurd erschienen, so daß er ge glaubt hatte, alles nur zu träumen. »Was werde ich tun?« erwiderte er nach denklich. »Nun, ich habe die FESTUNG mit der Absicht verlassen, mir Freunde zu si chern, die mir in meinem Kampf gegen das Ungeheuer helfen werden, das eigentlich in diesem Körper leben müßte. Es müssen mächtige und kampffreudige Freunde sein. Sie müssen allen anderen überlegen sein und vor nichts zurückschrecken. Sie müssen mir bedingungslos ergeben sein. Und ich erwar te, daß sie meine Befehle ausführen, ohne zu fragen.« »Du suchst keine Freunde, du suchst eine Söldnertruppe.« »So könnte man es auch bezeichnen.« Strezzo hielt Grizzard die Hand hin und rieb den Daumen am Zeigefinger. »Der Name Söldner leitet sich von Sold ab«, erklärte er. »Wie steht es denn damit? Bist du in der Lage, deine Privatarmee auch zu entlohnen?« »Da wird's schwierig«, gab Grizzard zu. »Was, du hast kein Geld?« fragte Strezzo entsetzt. »Glaubst du, du findest jemanden, der bereit ist, für dich zu sterben, wenn du ihm seine Seele nicht ein wenig vergolden kannst?« »Wärst du denn bereit, für Geld zu ster ben?« Strezzo lächelte verschmitzt. »So ist es auch wieder nicht, Herr«, er
8 klärte er. »Mich lockt das angenehme Le ben, zumal ich die Gewißheit habe, daß an dere vor mir kämpfen werden.« »Ich verstehe«, sagte Grizzard. »Nun steht noch lange nicht fest, daß es überhaupt zu einem Kampf kommt. Wahrscheinlich werden wir Kennon so schnell überwältigen, daß er gar keine Möglichkeit hat, sich zu wehren.« »Baut er sich keine Hausmacht auf?« Grizzard schüttelte den Kopf. Dann fiel ihm ein, daß Strezzo das nicht sehen konnte. »Nein, bestimmt nicht«, erklärte er. »Du brauchst keine Angst zu haben, daß ich mei nen Freunden nichts bieten kann. Sie werden in der FESTUNG Quartier beziehen und sorglos leben. Sie werden alles haben, was sie benötigen. Nur Geld kann ich ihnen nicht geben, aber dafür haben sie ohnehin keine Verwendung.« »Das hört sich schon besser an«, entgeg nete der Pirat. Er streckte den Arm aus und zeigte in Richtung Mittelpunkt der Senke. »Dort leben viele seltsame Geschöpfe. Man che von ihnen sind so gewaltige Kämpfer, daß alle anderen sich ihnen unterordnen müssen. Nur die aber kommen für dich in Frage. Du wirst etwas tun müssen, um über haupt erst mit ihnen ins Gespräch zu kom men.« Grizzard ging weiter bis zu einem Hügel. Von hier aus konnte er einen Teil der Senke übersehen. Weiter nördlich ging das savan nenartige Land in fruchtbarere Gebiete über. Er vermutete, daß sich den Bewohnern dort wesentlich bessere Möglichkeiten für eine ausreichende Ernährung boten als hier am Rand. Er glaubte, davon ausgehen zu kön nen, daß die Stärkeren der ehemaligen Schläfer sich die besten Gebiete erkämpft hatte. Daher beschloß er, gleich bis in die fruchtbaren Landstriche vorzustoßen. »Alle, die hier leben, haben Probleme«, sagte Strezzo, der ihm gefolgt war. »Wenn du mit deinen zukünftigen Freunden reden willst, mußt du zuvor wenigstens eines ihrer Probleme lösen.« »Genau das habe ich vor«, antwortete
H. G. Francis Grizzard.
2. Sinclair Marout Kennon-Axton wich dem angreifenden Zwerg aus. Er sprang zur Sei te, und die Axt verfehlte seine Schulter. Au genblicklich schnellte sich der Zwerg zu rück. Er duckte sich tief und streckte seine beiden Waffen weit nach vorn. Er lachte herausfordernd und hüpfte von einem Bein aufs andere, um sein Gegenüber zu verhöhnen. Die Bewohner des Dorfes drängten sich um den Kampfplatz. Für sie war der Kampf eine willkommene Ab wechslung in ihrem täglichen Einerlei. Wieder griff der Zwerg an. Dabei tat er so, als wolle er Kennon das Messer in die Brust stoßen, bereitete damit jedoch nur einen Hieb mit der Axt gegen den Kopf vor. Im letzten Moment erfaßte der Terraner die Finte. Er riß den Arm hoch und fing damit die Axt ab, die ihn sonst mit verheerender Wucht getroffen hätte. Der Schaft der Waffe schlug gegen seinen Unterarm. Kennon schrie vor Schmerz auf. Er stieß seinen Geg ner mit dem Knie zurück und schleuderte ihn in den Sand. Blitzschnell war der Zwerg wieder auf den Beinen. Mit einer geschickten Handbe wegung schleuderte er die Axt auf Kennon. Dieser ließ sich in die Knie fallen und ent ging dem Geschoß dadurch. Er fühlte, daß der Stahl ihm durch die Haare fuhr. Zu spät hob er die Hände. Er konnte die Axt nicht mehr fangen. Sie fiel weit hinter ihm in den Sand – unerreichbar für ihn. Kennon blickte zu ihr hinüber. Dann wur de ihm siedendheiß bewußt, daß der Zwerg abermals versucht hatte, ihn mit einer Täu schung zu überrumpeln. Er warf sich zur Seite – und das Messer schoß dicht an ihm vorbei. Obwohl der Zwerg ebenso wie er mit Ket ten gefesselt war, hatte er es geschafft, sich ihm in Bruchteilen von Sekunden geräusch los zu nähern. Geschickt stellte er ihm ein Bein, und Kennon stürzte zu Boden. Der
Mit den Kräften des Geistes Zwerg versuchte, sich über ihn zu werfen, doch seine Kette war nicht lang genug. Er erreichte die Brust des Terraners nicht. Ken non schlug die Hand mit dem Messer zur Seite, packte sie mit der anderen und hielt sie so fest, daß der Zwerg die Waffe fallen ließ. Kennon glaubte bereits, den Kampf ge wonnen zu haben, als sein Gegner ihm die Handkante wuchtig gegen den Arm schlug, so daß er die Hand mit dem Messer nicht halten konnte. Laut knurrend versuchte der Zwerg, das Messer aufzuheben, doch Ken non stieß ihn zurück. Er richtete sich halb auf, und der andere griff erneut an. Mit aller Macht versuchte er, Kennon in die Defensive zu drängen. Der Terraner ließ ihn kommen. Er zog die Beine an und fing den Zwerg mit den Füßen ab. Kraftvoll schleuderte er ihn zurück. Jetzt hatte er genügend Zeit, auf die Beine zu kommen. Doch kaum stand er, als sein Gegner erneut angriff. Als der Zwerg kam, fing er ihn ab, stieß ihn zurück, legte mit der Kette eine Schlinge und warf sie ihm über den Kopf. Bevor der Zwerg es verhindern konnte, zog die Schlin ge sich zu. Der Zwerg stand wie erstarrt. Die Kette lag nicht so eng um seinen Hals, daß er nicht mehr atmen konnte, behinderte ihn aber er heblich. Er konnte Kennon nicht mehr errei chen, wenn dieser vor ihm zurückwich, wäh rend Kennon sich ihm jederzeit nähern konnte. Wütend versuchte er, die Kette zu lösen. Es gelang ihm nicht. Kennon nahm das Messer auf, ging auf den Zwerg zu, packte ihn an der Schulter und setzte ihm die Messerspitze an die Keh le. Ängstlich versuchte sein Gegner zurück zuweichen, doch Kennon hielt ihn fest. Er überraschte ihn vollkommen, als er ihm eine weitere Schlinge über den Kopf warf, so daß der Zwerg auch die letzte Chance verlor, sich aus eigener Kraft zu befreien. Jetzt blieb ihm nur noch eine Möglichkeit. Er warf sich herum und setzte zur Flucht an.
9 Wenn es ihm gelang, auf die andere Seite des Baumes zu kommen, war er außer Reichweite. Hier konnte er sich von den Schlingen befreien und weitere Angriffe vorbereiten. Kennon ließ es jedoch nicht so weit kom men. Er stellte ihm ein Bein, so daß er zu Boden stürzte. Dann bückte er sich und stieß die Messerklinge durch ein Hosenbein sei nes Gegners tief in den Boden. Der Kampf war zu Ende, denn nun konnte der Zwerg weder vor noch zurück. Er lag ausgestreckt auf dem Boden. Kennon blickte zu Korta hinüber. Dieser gab ihm mit einem Handzeichen zu verste hen, daß er zurücktreten sollte. Er gehorchte. Der Schmied betrat den Kampfplatz. Er trug eine Zange in den Händen. Kennon streckte ihm die Kette entgegen. Doch der Schmied beachtete ihn nicht. Er stieß den Zwerg mit dem Fuß an und durchtrennte die Kette, als er sich erhoben hatte. »Moment mal«, sagte Kennon verblüfft. »Ich habe den Kampf gewonnen, nicht er.« Die Bewohner der Siedlung zerrten den Zwerg aus dem Kreis und trieben ihn schimpfend davon. Korta kam zu Kennon. Er klopfte ihm an erkennend auf die Schulter. Jetzt kamen die anderen Frauen und Männer zu ihm. Sie lachten und betasteten seine Muskeln. Sinclair Marout Kennon begriff. Er hatte gar nicht um seine Freiheit gekämpft. Den Dorfbewohnern ging es einzig und allein darum, einen möglichst starken und ge schickten Kämpfer zu finden. Er hatte die Aufgabe, für ihre Unterhaltung zu sorgen. Diese Aufgabe hatte der Zwerg bislang wahrscheinlich zu ihrer Zufriedenheit er füllt. Jetzt hatte er versagt, und sie jagten ihn davon. Kennon blickte sich verzweifelt um. Überall sah er lachende Gesichter. Die Vier äugigen hatten ihren Spaß gehabt, jetzt wandten sie sich wieder ihrer Arbeit zu. Der Terraner streckte Korta die Kette ent gegen. »Du glaubst doch wohl nicht, daß ich das
10 mitmache?« fragte er. »Ich bin nicht hier, um für euer Vergnügen zu sorgen.« Korta blickte ihn an und lächelte. Er hatte nichts verstanden. Anerkennend nickte er ihm zu. Dann wandte er sich ab und ging da von. Wenig später kam eine junge Frau mit ei ner dampfenden Schale. Sie setzte sie vor Kennon ab und reichte ihm einen hölzernen Löffel. Ein angenehmer Geruch stieg Kennon in die Nase. Er war hungrig, und er sagte sich, daß es unvernünftig war, auf eine Stärkung zu verzichten. Er nahm die Schale und pro bierte die Suppe. Sie war kräftig und enthielt Fleischstücke, die gut schmeckten. Als er die Schale geleert hatte, lehnte er sich gesättigt gegen den Baumstamm, an den er gefesselt war. Etwa eine halbe Stunde verstrich. Ein seltsam süßlicher Geruch stieg ihm in die Nase. Kennon blickte sich um. Er war allein. Niemand kümmerte sich um ihn. Er hob die Hände an das Gesicht und merkte, daß er selbst diesen Geruch aus strömte. Augenblicklich wurde ihm klar, daß die Suppe dafür verantwortlich war, die er ver zehrt hatte. Aber noch machte er sich keine Sorgen. Er nahm als Tatsache hin, daß diese Speise eine solche Wirkung hatte, ohne dar aus etwas abzuleiten. Das änderte sich, als ein riesiger Vogel über der Siedlung erschien. Das Tier hatte eine Flügelspannweite von etwa fünf Me tern. Auffallend war der lange, scharf gebo gene Schnabel. Der Vogel kreiste über der Siedlung. Ken non blickte zu ihm hinauf, während ihm mit aller Deutlichkeit bewußt wurde, daß er eine leichte Beute für das Tier war. Er sah sich nach einer Deckungsmöglichkeit um, aber es gab keine. Zugleich fiel ihm auf, daß die Be wohner der Siedlung sich in die Hütten zu rückzogen. Einige Frauen rannten aufgeregt hinter ihren Kindern her, nahmen sie auf die Arme und flüchteten mit ihnen. Der Raubvogel senkte sich herab. Su-
H. G. Francis chend glitt er über die Dächer der Hütten hinweg, bis er Kennon entdeckte. Er stieß einen schrillen Schrei aus. Der Terraner zog sich bis an den Baum stamm zurück. Seine Hände umklammerten die Kette, die seine einzige Waffe darstellte. Doch jetzt erschien sie ihm wie ein unnützes Spielzeug. Er glaubte nicht, daß er sich da mit ausreichend gegen das riesige Tier ver teidigen konnte. Seine Haut roch noch stärker als bisher. Ihm fiel es wie Schuppen von den Augen. Man hatte ihm die Suppe gegeben, damit er durch den Geruch den Raubvogel anlock te. Der Zweikampf mit dem Zwerg war kaum mehr als ein Zwischenspiel gewesen. Es war bedeutungslos gewesen. Zum erstenmal bereute Kennon, sich nicht ausreichend bewaffnet zu haben, als er die FESTUNG verlassen hatte. Der Vogel stürzte sich auf ihn herab.
* Als Grizzard und Strezzo eine Anhöhe überwanden, sahen sie eine festungsartige Anlage. Sie bestand aus Holz und Felsstei nen und erhob sich direkt vor dem Eingang zu einer Schlucht. In etwa einem Kilometer Entfernung lag ein Glaspalast, der jedoch völlig zerstört war. »Wer auch immer darin geschlafen hat«, sagte Strezzo, »der lebt jetzt hier oder in der Festung da drüben.« Er zeigte zu einem an deren Bau hinüber, der ähnlich angelegt war. Auch er ließ erkennen, daß seine Bewohner die größten Anstrengungen darauf richteten, Feinde abzuwehren. »Unter diesen Umständen wird man uns nicht willkommen heißen«, fuhr der Pirat fort. »Ich fürchte, daß sie uns zum Teufel ja gen, ohne mit uns zu sprechen.« »Warten wir erst einmal ab«, empfahl Grizzard. Auf dem Vorgelände der Festung arbeite ten monströse Wesen auf Feldern und in Gartenanlagen. Mit ihrem unteren Körperteil
Mit den Kräften des Geistes ähnelten sie großen Schnecken. Sie glitten mit wellenförmigen Bewegungen über den Boden. Über diesem Körper aber erhoben sich zwei Rümpfe mit je zwei kräftigen Ar men, die sich unabhängig voneinander be wegten. Die beiden Rümpfe vereinigten sich an ihrer Oberseite mit zwölf dünnen Mus kelsträngen, die einen birnenförmigen Kopf trugen. Aus diesem ragten mehrere unter schiedlich geformte Fühler empor, von de nen einige mit augenartigen Gebilden be setzt waren. »Wir versuchen es«, sagte Grizzard. »Ich kann mir zwar nicht vorstellen, daß diese Wesen besonders kampfstark sind, es könnte jedoch sein, daß sie über einige Fähigkeiten verfügen, die uns völlig fremd sind. Sie könnten gerade deshalb äußerst wirksam sein.« Sie gingen weiter. Als sie eine kaktusähnliche Pflanze er reichten, die zwischen zwei Hügeln wuchs, schoß diese plötzlich fingerlange Stachel auf sie ab. Die Geschosse prallten wirkungslos am Panzer der Rüstung ab. Ein Stachel aber fuhr Strezzo durch den Oberarm. Er schrie gellend auf und brach zusam men. Wimmernd wälzte er sich auf dem Bo den hin und her. Seine Hand versuchte, den Stachel zu ergreifen und herauszuziehen, doch sie zuckte nur unkontrolliert. Grizzard deckte seinen Begleiter mit der Rüstung ab. Er hörte, daß weitere Stachel gegen den stählernen Rücken prallten, wo sie nicht die geringste Wirkung erzielten. Er ergriff das Ende des Stachels und zog ihn mit einem Ruck heraus. Strezzo krümmte sich stöhnend vor ihm auf dem Boden. »Du ahnst nicht, was das für Schmerzen waren«, sagte er. »Ich dachte, ich müßte sterben.« »Achte darauf, daß du in meiner Deckung bleibst«, riet Grizzard ihm, »dann kann dir nichts passieren.« »Diese Bestien«, sagte Strezzo fluchend. »Es ist unmenschlich, einen derartigen Wächter aufzustellen.«
11 Grizzard lächelte. »Sie haben ein Recht auf Sicherheit«, er widerte er. »Irgendwie müssen sie sich ver teidigen. Und warum nicht mit dem Kaktus? Es sind keine Menschen. Daher denken und fühlen sie anders als wir. Du darfst ihnen al so keine Unmenschlichkeit vorwerfen.« »Wenn ich einen solchen Panzer hätte wie du«, sagte Strezzo ärgerlich, »würde ich auch kluge Reden schwingen.« »Du hast wahrscheinlich recht«, bemerkte Grizzard. »Ich werde also still sein.« »Oh«, rief Strezzo beschwichtigend. »So habe ich es nicht gemeint. Du bist der Herr. Rede nur zu, nur erlaube mir, hin und wieder meinen unmaßgeblichen Kommentar dazu zu geben.« Er duckte sich, und Grizzard sah, daß ei nige Stacheln an seinem Kopf vorbeischos sen. »Ich gehe jetzt weiter«, verkündete er. »Paß auf.« »Worauf du dich verlassen kannst«, rief Strezzo und klammerte sich an ihn. Grizzard blickte zu der festungsartigen Anlage und den Gärten hinüber. Alle Be wohner, die auf dem Vorfeld gearbeitet hat ten, waren verschwunden. Feuchte Spuren auf dem Boden wiesen darauf hin, daß sie in die Festung geflüchtet waren. Als er sich dieser näherte, stellte er fest, daß sie sich über einem Hohlweg erhob, der den einzigen Zugang zur Schlucht bildete. Zu beiden Seiten der Festung stieg das Land an. Wer aus der Schlucht kam, mußte unter der Festungsanlage hindurchgehen. Etwa zehn Meter von einem aus dicken Stämmen gefertigten Tor entfernt blieb Grizzard stehen. Er hob einen Arm und winkte zur Festung hinüber, doch dort regte sich nichts. »Hier wirst du nichts erreichen«, sagte Strezzo. »Sie werden nicht herauskommen, um dir die Hand zu schütteln. Sie betrachten dich als Feind.« Grizzard blickte in den Hohlweg. Dieser kam ihm vor wie eine Falle. »Wir haben kei ne andere Wahl«, sagte er. »Wir müssen in
12 die Schlucht gehen, wenn wir Freunde fin den wollen – oder wir müssen große Umwe ge in Kauf nehmen.« Leise fluchend folgte ihm Strezzo. Sie schritten unter der Festungsanlage hindurch und sahen, daß diese an der Unterseite eini ge Öffnungen hatte. »Wenn wir zurückkommen, werden sie uns heißes Fett über den Kopf gießen«, sagte Strezzo. »Warten wir es ab.« Grizzard beschleunigte seine Schritte, so daß der Pirat laufen mußte. Überraschender weise protestierte Strezzo nicht gegen die schnelle Gangart. Die Schlucht war nur etwa dreißig Meter breit und wurde immer enger, je weiter sie kamen. Der Weg führte steil in die Tiefe, so daß Grizzard bereits glaubte, er werde in ei ner Höhle enden. Doch dann weitete sich die Schlucht plötzlich zu einem weiten Tal mit zahlreichen Schlafpalästen, die zumeist in mitten von baumbewachsenen Oasen stan den. Zwischen den Oasen befanden sich grü nende Felder, die sorgfältig bearbeitet wa ren. Verblüfft blieb Grizzard stehen. »Ich hatte eigentlich erwartet, ein lebens feindliches Land zu sehen«, sagte er. »Es muß doch einen Grund haben, daß am ande ren Ende der Schlucht diese Festungsanlage ist, und daß die Schneckenwesen mit nie mandem Kontakt haben wollen.« »Du hast recht«, bemerkte Strezzo. »Dies hier sieht friedlich aus – jedenfalls nicht so, als ob dies die Heimat von gefährlichen Monstern wäre.« Grizzard antwortete nicht. Ihm fiel auf, daß nirgendwo ein lebendes Wesen zu sehen war. Auf den Feldern hätte jemand sein müssen, der dort arbeitete. In der Senke der Verlorenen Seelen gab es kei ne landwirtschaftlichen Maschinen, die ih ren Bewohnern die Arbeit abnahmen. Wer hier lebte, war auf sich allein angewiesen. Grizzard wußte, daß Atlan sich intensiv mit dem Versorgungsproblem für die etwa zweihunderttausend Wesen in der Senke der
H. G. Francis Verlorenen Seelen beschäftigte. Noch aber war keine Lösung in Sicht. Es gab noch zu viele andere Probleme auf Pthor, mit denen der neue König von Atlantis sich herum schlagen mußte. Wer überleben wollte, mußte sich um sich selbst kümmern, mußte versuchen, dem Bo den landwirtschaftliche Produkte abzurin gen. Dazu war eine intensive Pflege des Bo dens und der heranwachsenden Pflanzen notwendig. Vorsichtig ging Grizzard weiter. Er war ständig darauf gefaßt, angegriffen zu wer den. »Man hat die Bewohner dieses Tals vor uns gewarnt«, sagte er zu seinem Begleiter. »Etwas anderes ist wohl nicht möglich, oder man müßte jemanden sehen.« »Das ist es nicht«, entgegnete Strezzo. »Irgend etwas liegt in der Luft. Ich spüre es.« »Eine Gefahr?« fragte Grizzard. »Von welcher Seite?« Sie näherten sich einer Oase, in deren Mitte sich ein schimmernder Turm erhob. »Du brauchst keine Angst zu haben«, fuhr Grizzard fort. »Ich werde so ziemlich mit jedem Gegner fertig. Wir sind nicht hier, weil wir uns herumschlagen, sondern weil wir Freunde finden wollen.« Der Pirat gab ein paar unbestimmbare Laute von sich. Grizzard drehte sich zu ihm um und erstarrte vor Schreck. Aus einer Bodenfalte, die etwa hundert Meter von ihnen entfernt war, stieg ein rau penähnliches Wesen auf. Es war etwa zwan zig Meter lang und fünf Meter hoch und be wegte sich auf dichtbehaarten Beinen voran. Es hatte drei riesige, facettenartige Augen, zwischen denen ein mit Zähnen bewehrter Saugrüssel hervorwuchs. »Wie willst du dem beibringen, daß wir nur Freundschaft suchen?« rief Strezzo stammelnd. »Lauf weg«, schrie Grizzard ihm zu. »Ich versuche, das Biest aufzuhalten.« »Das schaffst du nie«, erwiderte der Pirat, während er zur Oase flüchtete.
Mit den Kräften des Geistes Grizzard sah, daß die Raupe sich durch die Flucht nicht ablenken ließ, sondern un beirrt auf ihn zustrebte. Das war ihm nur recht. In seiner Rüstung fühlte er sich sicher. Er glaubte, auch mit einem solchen Gegner fertig werden zu können. Er streckte die stählernen Arme aus und wartete. Die Raupe kroch keuchend und schmat zend auf ihn zu. Aus ihrem Saugrüssel tropf te eine Verdauungsflüssigkeit. Grizzard war jetzt alles klar. Er war davon überzeugt, daß diese Raupe nur zu bestimmten Tageszeiten auf Raubzug ging und die Bewohner des Tales ansonsten in Ruhe ließ. Für ihn war sicher, daß die monströsen Wesen in der Festung am Aus gang der Schlucht wußten, welch gefährli cher Räuber im Tal lebte, und sie alles taten, um ihn hier zu halten. Auf diese Art und Weise sicherten sie sich selbst gegen Über fälle ab. Als die Raupe nur noch wenige Meter von Grizzard entfernt war, richtete sie sich eini ge Meter hoch auf. Sie schob sich weiter voran. Grizzard-Porquetor wich zurück, weil er nicht von den Fleischmassen begraben werden wollte. Plötzlich krümmte sich die Raupe zusam men. Der Saugrüssel weitete sich trichterför mig aus und senkte sich blitzschnell über Grizzard herab. Dieser versuchte, ihm zu entkommen, doch das gelang ihm nicht. Der Trichter stülpte sich über ihn. Er fühlte sich emporgerissen. Wild schlug er mit Armen und Beinen um sich, doch damit richtete er nichts aus. Entsetzt erkannte er, daß er sich auf dem Weg in den Magen der Raupe befand.
3. Sinclair Marout Kennon hatte häufig in seinem Leben Situationen erlebt, die aus weglos erschienen. Dennoch hatte er nie mals aufgegeben. Jetzt aber war er ohne jede Hoffnung. Er glaubte nicht daran, daß er den Kampf mit
13 dem Raubvogel überleben würde. Er sprang zur Seite, um nicht schon beim ersten Angriff von den messerscharfen Fän gen durchbohrt zu werden, und flüchtete hinter den Baumstamm, an den er gefesselt war. Der Vogel prallte hart auf, konnte sich nicht abfangen und stürzte kopfüber in den Staub. Kennon glaubte, dadurch einen klei nen Vorteil zu haben, sah sich jedoch ge täuscht. Er schwang die Kette um den Kopf und wollte sie dem Vogel über den Schädel schlagen, doch das Tier wich zu schnell vor ihm zurück. Er drehte den Kopf zur Seite und blickte ihn mit einem Auge an. Ein dro hendes Zischen kam aus dem Schnabel. Der Vogel überragte Kennon um mehr als zwei Meter. Das Tier drückte den Kopf flach auf den Boden, während es das Hinterteil in die Hö he streckte. So näherte es sich dem Terraner Zentimeter um Zentimeter. Kennon wich hinter den Baumstamm zurück. Das Tier folgte ihm, so daß er zur Seite ausweichen mußte. Die Kette zwang ihn näher an den Stamm heran, um den sie sich wickelte. Plötzlich erkannte Kennon den Plan des Raubvogels. Dieser trieb ihn um den Stamm herum, so daß die Kette immer kürzer wur de. Zugleich verringerte sich Kennons Spiel raum mehr und mehr. Es war abzusehen, daß er schließlich überhaupt nicht mehr aus weichen konnte. Er sprang auf den Vogel zu und stieß mit dem Fuß nach dem Schnabel. Das Tier wich aber nicht zurück, sondern drang weiter vor. Kennon tat, als wolle er zurückspringen, schnellte sich dann aber nach vorn. Es ge lang ihm, auf den Kopf des Vogels zu sprin gen. Hier konnte er sich allerdings nicht hal ten, denn der Vogel schleuderte ihn sofort in die Höhe. Die Kette bremste den Flug und warf ihn wieder auf den Boden zurück. Kennon fiel so unglücklich, daß er für Se kunden am ganzen Körper gelähmt war. Er lag im Sand und blickte mit geweiteten Augen auf den Schnabel, der über ihm schwebte. Verzweifelt bemühte er sich, die Kontrol
14 le über seinen Körper zurückzugewinnen, doch die Muskeln gehorchten seinen Befeh len nicht. In diesem Moment flog ein Speer über ihn hinweg und bohrte sich in die Spitze des Schnabels. Der Raubvogel fuhr kreischend zurück. Er warf den Kopf hin und her und schüttelte den Speer ab. Endlich gelang es dem Terraner, wieder auf die Beine zu kom men. Mühsam richtete er sich auf. Er blickte über die Schulter zurück und sah einen hochgewachsenen Mann, der in leuchtend weiße Felle gekleidet war. Breit beinig stand der Fremde vor einer der Hüt ten. Seine Hände lagen an einem Gürtel, der mit blitzendem Metall und funkelnden Edel steinen beschlagen war. Jetzt näherte er sich Kennon. Mit dunkler Stimme sprach er auf den Raubvogel ein, der widerwillig zurückwich. Schließlich duckte sich der Vogel und sprang auf die Spitze des Baumstamms, an dem der Zwerg gefesselt gewesen war. Er breitete die Flügel aus und ließ sich flatternd fallen. Um Zentimeter strichen die Flügel an Kennon vorbei, und schwerfällig erhob sich der riesige Vogel in die Luft. Er stieg höher und höher und kreiste über der Siedlung, wobei er immer wieder laute Schreie aus stieß. Der Terraner wandte sich dem Mann in den weißen Fellen zu. Er sah, daß er zu den Vieräugigen gehörte. Allerdings waren seine Augenbrauen so buschig, daß die kleinen Zusatzaugen kaum zu sehen waren. Die anderen Bewohner der Siedlung drängten sich zwischen den Hütten zusam men. Sie blickten zu dem Weißen hinüber und beobachteten jeden seiner Schritte. Die meisten von ihnen schienen nicht verstehen zu können, daß er Kennon gerettet hatte. »Viel länger hättest du nicht warten dür fen«, sagte der Terraner. »Ich danke dir.« Der Weiße trat dicht an ihn heran. Er überragte ihn deutlich. Kennon sah, daß sei ne Augen einen eigentümlichen Farbton hat ten, der sich zwischen grün und grau beweg te.
H. G. Francis »Sie wußten nicht, daß du aus der FE STUNG kommst«, erwiderte der Fremde. Er sprach Pthora. »Hätten sie es gewußt, hätten sie es nicht soweit kommen lassen.« »Aber du weißt, daß ich aus der FE STUNG komme.« »Ich weiß es. Du gehörst zu dem Kreis je ner, die Atlan seine Freunde nennt.« »Du bist gut informiert«, sagte Kennon überrascht. »Woher weißt du das alles?« Der Weiße zuckte mit den Schultern. Da mit schien das Thema für ihn erledigt zu sein. Er hob die rechte Hand und schnippte mit den Fingern. Der Schmied eilte herbei und befreite Kennon. »Meine Hütte gehört dir«, erklärte der Weiße. »Komm mit. Ich möchte den Wein der Freundschaft mit dir trinken.« Kennon begleitete ihn. Als sie die Hütten erreichten, sah er Korta, der zwischen den anderen Neugierigen stand. Zwei blutige Striemen zogen sich quer über sein Gesicht. Sie waren ein deutliches Zeichen dafür, daß er gezüchtigt worden war. Der Weiße bewohnte eine zweistöckige Hütte, die die anderen allerdings nicht über ragte, da sie in einer Mulde stand. Ein Steg führte zu dem oberen Geschoß hinüber, das grob aus Baumstämmen zusammengefügt und mit getrockneten Blättern verhängt wor den war. Auch der Innenraum war einfach einge richtet. Er enthielt nur einige ausgehöhlte Kürbisse, einen Hocker, Messer, Speere und eine Holzplatte, die an der Wand lehnte. Der Boden war mit Fellen dick ausgelegt. Der Weiße setzte sich auf den Boden. Kennon ließ sich neben ihm nieder. Eine dunkelhaarige Frau erschien und stellte eine Schale mit Früchten zwischen ihnen ab. »Das Leben ist schwer in dieser Gegend«, sagte der Weiße. »Wir wären längst wegge zogen, wenn wir wüßten, wohin wir uns wenden sollen.« »Ich könnte für einen Teil deiner Männer sorgen«, eröffnete ihm Kennon. »Ich bin auf der Suche nach Kämpfern, die bereit sind, für mich einzutreten. Sie werden alles be
Mit den Kräften des Geistes kommen, was sie zum Leben benötigen, und noch soviel dazu, daß sie ihre Familien satt bekommen.« »Das ist nicht das, was wir wollen«, erwi derte der Weiße. »Ich habe ein anderes Ziel. Vielleicht hast du schon von mir gehört? Man nennt mich Dartun.« »Tut mir leid«, antwortete Kennon. »Ich hörte deinen Namen zum erstenmal.« Der Weiße lächelte ungerührt. »Nun, das macht nichts«, sagte er. »Wichtig ist allein das Ziel, das wir uns ge setzt haben. Ich möchte, daß du für uns ar beitest, damit wir es erreichen.« »Du bietest mir ein Geschäft an?« Der Weiße nickte. »Wir werden etwas für dich tun«, erläu terte er, »obwohl wir bereits viel für dich ge tan haben. Und du wirst etwas für uns tun.« »Was habt ihr für mich getan?« »Wir haben dir das Leben gerettet. Das ist sehr viel.« Sinclair Marout Kennon verzichtete auf eine Antwort. Er wußte, daß es sinnlos ge wesen wäre, mit Dartun zu diskutieren. Fraglos hatte er ihm das Leben gerettet, aber erst nachdem die anderen Vieräugigen ihn in Lebensgefahr gebracht hatten. »Was kann ich für dich tun?« fragte er da her. Dartun nahm einige Früchte und verzehrte sie. »Es tut mir leid, daß Korta deinen Gefähr ten getötet hat«, sagte er. »Korta ist der Hü ter der Quelle. Er fühlte sich in hohem Maße für sie verantwortlich – und für die Garne len, die darin leben.« »Was hat das mit dem Dalazaaren zu tun?« Dartun blickte ihn durchdringend an. »Korta hat die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß hin und wieder etwas ins Wasser fällt, wovon die Garnelen leben können«, erklärte er. Kennon wurde fast übel. Er begriff. »Ich weiß, wie dir zumute ist«, fuhr Dar tun fort. »Vergiß jedoch nicht, daß wir unter Bedingungen leben müssen, wie sie schlim
15 mer und härter nicht sein können. Sie sind menschenunwürdig.« Seine Stimme steigerte sich. »Niemals zuvor ist mein Volk derart be leidigt worden«, verkündete er. »Man sollte uns nicht mit den Monstren vergleichen, die in weiten Teilen der Senke leben. Wir sind anders, und wir ertragen es nicht, so leben zu müssen. Hätte ich nicht ein gewisses Ver ständnis für die Schwierigkeiten, die Atlan zu bewältigen hat, so hätte ich längst zum Sturmangriff auf die FESTUNG aufgeru fen.« Kennon erschrak. Er wurde sich dessen bewußt, daß weder Atlan, noch einer seiner Freunde damit rechnete, daß sich ein solcher Angriff organisieren würde. »Was erwartest du von mir?« fragte der Terraner. »Du sollst den neuen König von Pthor da zu veranlassen, uns zu unserer Heimat zu bringen. Wir wollen auf die Welt zurück, von der wir gekommen sind.« Die Augen veränderten ihre Farbe. Jetzt sahen sie weder grau noch grün, sondern rot aus. Sie verdunkelten sich mehr und mehr, und das Gesicht Dartuns verzerrte sich. Ken non spürte die Leidenschaft, die hinter den Worten des Weißen stand. »Atlan ist fest entschlossen«, erwiderte Kennon, »alle jene Welten zu besuchen, auf denen Pthor bisher gewesen ist. Er will sich bemühen, das Unrecht wiedergutzumachen, das dort geschehen ist. Fraglos wird er auch deine Welt berühren, und er wird euch in die Heimat zurückbringen.« »Wann wird das sein?« »Das weiß ich nicht.« »Es wird deine Aufgabe sein, uns so schnell wie möglich dorthin zu führen. Ich werde dir alles über unsere Welt sagen, und du wirst Atlan zwingen, Pthor dorthin zu steuern. Dafür tun wir, was du von uns ver langst.« Kennon hatte das Gefühl, der Boden wer de unter ihm weggezogen. Schlagartig be griff er. Er war nie ernsthaft in Lebensgefahr ge
16 wesen. Die Vieräugigen hätten auf keinen Fall zugelassen, daß der Raubvogel ihn zer riß. Sie hatten alles von vornherein so insze niert, daß sie glauben konnten, ihn zu ihrem Werkzeug formen zu können. Er blickte Dartun an. »Ich denke, ich kann viel für euch tun«, sagte er. »Zuvor aber werdet ihr mir helfen, mein Problem zu lösen. Ich brauche eine kampfstarke Truppe, die mich schützend umgibt, und mit der ich meinen Feldzug ge gen Grizzard führen kann. Sobald Grizzard tot ist, beginnt der Flug in die Heimat.« »Einverstanden«, erwiderte Dartun, der sichtlich erleichtert zu sein schien. »Allerdings habe ich vorher noch eine Be dingung«, erklärte Kennon. Dartun schien überrascht zu sein. »Wie soll ich das verstehen?« fragte er. »Nun, ich muß wissen, ob ihr mir wirk lich etwas zu bieten habt. Ich kann es mir nicht leisten, mich mit schwachen Helfern auf eine Auseinandersetzung mit meinem Todfeind einzulassen.« Der Weiße lachte. »Wenn ich dich richtig verstanden habe, dann legst du es darauf an, von einigen mei ner Leute verprügelt zu werden«, entgegnete er. »Nun gut, dieses Vergnügen sei dir ge gönnt.« »Wenn deine Leute gut sind, ist es kein Vergnügen«, entgegnete Kennon. »Wirst du deinen Feind angreifen?« fragte der Weiße. »Das wird nicht nötig sein«, erwiderte der Terraner. »Ich weiß, daß er früher oder spä ter in eine schwere seelische Krise geraten wird. Und dann wird er zuschlagen – um jeden Preis.« Dartun blickte an ihm vorbei zum Steg hinüber. Kennon drehte sich um. Er sah, daß zwei Dellos sich dem Haus näherten. Sie machten einen verschüchterten Eindruck. Ih nen war anzusehen, daß die überstandenen Kämpfe mit den Invasoren einen Schock bei ihnen hinterlassen hatten. Am Eingang blie ben sie stehen. Respektvoll blickten sie den Vieräugigen an. Der Terraner kannte sie
H. G. Francis nicht, aber er merkte, daß er ihnen recht gut bekannt war. »Wo seid ihr gewesen?« fragte Dartun. »Wir haben lange auf euch gewartet.« »Später werden wir dir alles erklären«, beteuerte einer der Dellos. »Zunächst aber müssen wir dir etwas sagen.« Da er Kennon dabei anblickte, forderte ihn dieser auf, weiterzusprechen. »Wir haben Porquetor gesehen«, erklärte der Dello. »Du weißt, wen ich meine? Den anderen, jenen, mit dem du getauscht hast.« »Ich verstehe. Was ist mit ihm?« »Er ist auch hier in der Senke, und es scheint, daß er Verbündete sucht. Jetzt ist er unterwegs in das Gebiet der Mächtigen, das selbst die Invasoren gemieden haben.« »Die Mächtigen?« fragte Kennon über rascht. »Wer sind die Mächtigen? Ich habe nie von ihnen gehört.« Die beiden Dellos zuckten mit den Schul tern. Sie konnten seine Frage nicht beant worten. Kennon erhob sich. »Es geht los«, sagte er zu Dartun. »Du hast es selbst gehört. Der andere geht zum Angriff über. Er will sich die besten Kämp fer holen, die es auf Pthor gibt.«
* Grizzard schlug wütend um sich, doch seine Fäuste trafen nur weiches, nachgiebi ges Fleisch. Er spürte, wie er in der Speise röhre nach unten rutschte. Immer wieder versuchte er, sich irgendwo zu halten. Es ge lang ihm nicht. Allmählich wurde ihm die Luft knapp. Eine ätzende Flüssigkeit drang durch die Öffnungen der Rüstung. Panik kam in Griz zard auf. Er spürte, daß er nicht mehr lange durchhalten würde. Ein Schließmuskel öffnete sich vor ihm. Er stürzte und fiel auf etwas Weiches. Er hatte den Magen der Raupe erreicht. Die Schleimhäute preßten sich an ihn, und Ma gensäure spritzte zu ihm herein. Grizzard hörte, wie das Herz der Raupe
Mit den Kräften des Geistes schlug. Er versuchte zu atmen, doch kaum hatte er den Mund geöffnet, als ihm die Kehle zu brennen begann. Die Säure drang ihm über die Lippen. Er spuckte sie aus. Jetzt warf er sich mit aller Energie gegen die Magenwand, krallte die Stahlfinger hin ein und zerriß sie, bevor sie ihn zurück schleudern konnte. Das Herz des Tieres schlug heftiger. Grizzard wühlte sich durch das zuckende Fleisch. Er arbeitete sich verzweifelt voran und spielte alle Kräfte der Porquetor-Rü stung aus. Plötzlich wurde es hell vor ihm, und mit einer letzten Anstrengung durch brach er die Haut der Raupe. Licht fiel durch die Sehschlitze der Rü stung, und frische Luft strömte durch die Öffnungen herein. Grizzard kämpfte sich frei. Er stürzte auf den Boden. Die Säure brannte auf seiner Haut, so daß er glaubte, sie löse sich auf. Wie durch einen Schleier beobachtete er, daß die Raupe flüchtete. Grizzard schaltete mit bebenden Händen, bis es ihm endlich gelang, die Rüstung auf zurichten. Er drehte sich um sich selbst, bis er einen Teich entdeckte. Er rannte darauf zu und warf sich hinein. Die Rüstung sank so fort bis auf den Grund. Grizzard riß die Ver schlüsse auf und kroch aus der Rüstung. Wild nach Atem ringend tauchte er auf. Dann warf er sich im Wasser hin und her, um die Säure abzuspülen. Strezzo erschien am Ufer. Fassungslos blickte er auf ihn herab. »Du scheinst schwer verdaulich zu sein, Herr«, sagte er. Grizzard hielt sich nur mühsam über Was ser. Strezzo ergriff einen herumliegenden Ast und streckte ihn Grizzard hin. Dieser packte ihn, und ließ sich ans Ufer ziehen. Erschöpft sank er ins Gras, und erst jetzt merkte er, was er getan hatte. Die Rüstung lag auf dem Grund des Tei ches, und er selbst war dem ehemaligen Piraten hilflos ausgeliefert. Sekundenlang blickten sich die beiden Männer in die Augen. Auch Strezzo war
17 sich seiner Macht bewußt. Er strich sich mit dem Handrücken über die Lippen und lä chelte. Er löste sich von Grizzard und sprang kopfüber ins Wasser. Wenig später tauchte er mit der Rüstung wieder auf. Sie war zu schwer für ihn, und er sank wieder mit ihr in die Tiefe. Unter Wasser kämpfte er sich bis ins flache Wasser vor und schleppte sie schließlich bis ans Ufer. »Eine Wäsche konnte ihr nicht schaden«, meinte er. Der Pirat wälzte die Rüstung her um, so daß die Öffnung nach oben zeigte. »Nun, Herr?« fragte er. »Willst du nicht wieder einsteigen?« Von dieser Sekunde an wußte Grizzard, daß er sich wirklich auf Strezzo verlassen konnte. Er lächelte. »Wir sind Freunde«, erklärte er. »Das werde ich dir niemals vergessen.« Strezzo legte den Kopf schief. Er winkte ab. »Von Freundschaft wollen wir gar nicht reden«, erwiderte er listig. »Ich habe jedoch gehört, daß es in der FESTUNG tolle Mäd chen gibt. Vielleicht könntest du da ein gu tes Wort für mich einlegen?« Grizzard lachte. »Ich werde dafür sorgen, daß du keinen Grund hast, dich zu beklagen«, versprach er und kletterte in die Rüstung. Strezzo ver schloß sie von außen, soweit dies möglich war, und Grizzard sicherte sie von innen. Dann erhob er sich. Von der Raupe war nichts mehr zu sehen. »Wo bist du gewesen?« fragte Grizzard. »In der Oase«, antwortete der Pirat. »Es lohnt sich nicht, dorthin zu gehen. Alles ist zerstört. Die früheren Bewohner scheinen geflüchtet zu sein. Hier ist gekämpft wor den.« »Also hat gar nicht die Raupe die Bewoh ner vertrieben, sondern die Invasoren waren es.« »Wahrscheinlich.« »Ich will mir die Oase ansehen.« Strezzo schien damit gerechnet zu haben. Kommentarlos wandte er sich um und ging
18 los. Grizzard folgte ihm. Als er die Oase erreichte, sah er, daß tat sächlich alles in Trümmern lag, was vorher in mühseliger Arbeit errichtet worden war. Auch von dem Schlafpalast, der sich in der Mitte der Oase erhob, war kaum noch etwas geblieben. Das aber hatte Grizzard aus der Entfernung nicht sehen können. »So wie hier sieht es wahrscheinlich in weiten Teilen von Pthor aus«, sagte er. »Die Situation ist günstig für dich«, ent gegnete Strezzo. »Die Bewohner der Senke werden froh sein, wenn jemand kommt, der ihnen ein leichteres Leben bietet.« »Davon gehe ich aus.« Grizzard hörte, wie ein Stein hinter ihm zu Boden polterte. Er fuhr herum. Strezzo schrie auf. Nur etwa drei Meter von ihnen entfernt stand ein monströses Wesen. Es glich einer Garnele, hatte jedoch kein Außenskelett, sondern eine weiche, schimmernde Haut. Der Rumpf ruhte auf sechs stämmigen Bei nen. Der Vorderteil des Körpers ragte senk recht in die Höhe und endete in einem run den Gebilde, aus dem acht Tentakel hervor wuchsen. Sie umrahmten eine Vielzahl von winzigen Augen, die wie geschliffene Dia manten funkelten. Darunter ragte ein Schna bel hervor, der geeignet schien, auch härte stes Material zu zertrümmern. »Tut mir nichts«, rief das Wesen wim mernd in pthorischer Sprache. »Bitte, ver schont mich. Ich verspreche euch, daß ich alles tun werde, was ihr von mir verlangt.« Grizzard war so verblüfft, daß er laut auf lachte. Strezzo grinste nur. Beide waren erschrocken zusammenge fahren, als sie das Wesen gesehen hatten. Es schien stark und ein übermächtiger Kämpfer zu sein. Und nun flehte es um Schonung, ob wohl es in der Lage zu sein schien, alles in die Flucht zu schlagen, was sich ihm in den Weg stellte. »Wir haben nicht vor, dir irgend etwas zu tun«, beteuerte Grizzard. »Ich danke dir, Fremder. Ich habe gehört, daß du Freunde suchst. Du willst ihnen ein
H. G. Francis leichteres Leben bieten?« »Das ist richtig. Allerdings suche ich Freunde, die kämpfen können.« »Damit kann ich nicht dienen. Ich bin – um ehrlich zu sein – ein Feigling.« »Wer von sich selbst behauptet, daß er ein Feigling ist, kann schwerlich ein Feigling sein«, entgegnete Grizzard. »Ich bin es«, antwortete das monströse Wesen. »Ich weiß, ich sehe so aus, daß alle Angst vor mir haben, aber mir wird schon schlecht, wenn ich Waffen klirren höre. Ich tauge nicht für dich, aber ich kenne jeman den, der mächtiger ist als alle anderen in der Senke.« »Bist du sicher, daß du das beurteilen kannst?« fragte Strezzo spöttisch. »Ich weiß, wovon ich rede.« Das Wesen streckte einen Tentakel aus und wies nach Norden. »Geht in dieser Richtung weiter. Bald werdet ihr auf die Moosons stoßen, und dann werdet ihr wissen, daß ich die Wahr heit gesagt habe. Niemand ist mächtiger als die Moosons. Wenn du sie für dich gewin nen kannst, wirst du alle deine Feinde besie gen.« Grizzard fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen. Er spürte, daß sein Gegen über die Wahrheit gesagt hatte. »Warum forderst du mich dazu auf?« fragte er. »Ich tue dir nichts. Was hast du davon, daß du mich zu den Moosons schickst?« »Ich fühle mich ihnen verbunden«, ant wortete das seltsame Wesen. »Lange Zeit habe ich unter ihnen gelebt. Daher weiß ich, daß es eine Legende bei ihnen gibt. In ihr heißt es, daß eines Tages ein Mächtiger auf tauchen wird, der ihren Kräften widersteht.« »Ich verstehe«, sagte Grizzard. »Du meinst, ich könnte dieser Mächtige sein.« »Du bist der erste, den die Raupe nicht bezwingen konnte«, erwiderte das seltsame Wesen und wirbelte die Tentakel durch die Luft. »Ich habe gesehen, was passiert ist. Du mußt dieser Mächtige sein.«
4.
Mit den Kräften des Geistes »Vielleicht können diese Mächtigen wirk lich kämpfen«, sagte Dartun. »Meine Män ner können es auch. Ich glaube sogar, daß sie noch besser sind.« »Das werden wir sehen«, erwiderte Ken non und verließ die Hütte. Der Weiße folgte ihm. Er pfiff auf den Fingern, und von allen Seiten kamen Män ner und Frauen herbei. Er wartete, bis etwa hundert Personen um seine Hütte versam melt waren, dann hielt er eine Ansprache. Kennon verstand kein Wort, doch der Ton fall, in dem Dartun sprach, verriet ihm eini ges über den Inhalt seiner Ansprache. Eben so erriet er etwas aus den Reaktionen der Zuhörer, die immer wieder laut auflachten. Schließlich wandte sich der Weiße ihm lä chelnd zu. »Ich habe ihnen erklärt, daß du Kämpfer suchst«, bemerkte er. »Und ich habe ihnen gesagt, daß du an ihren kämpferischen Qua litäten zweifelst. Es belustigt sie, das zu hö ren.« »Offensichtlich«, antwortete der Terraner ungerührt. »Hoffentlich haben sie in einigen Minuten auch noch ihren Spaß.« »Davon bin ich überzeugt.« »Nun gut, dann sage deinen beiden besten Kämpfern Bescheid. Sie sollen gegen mich antreten.« Dartun rief etwas in die Menge, und zwei Männer drängten sich nach vorn. Sie waren beide größer als Kennon. Sie hatten lange Haare und Bärte, die ihnen bis an die Gürtel herabreichten. Herablassend blickten sie den Terraner an, und einer von ihnen trat in den Kreis, der sich inmitten der Zuschauer gebil det hatte. »Ich sagte, beide sollen kämpfen«, be merkte Kennon. Dartun lachte und schüttelte verständnis los den Kopf. Er gab dem zweiten ein Zei chen, ebenfalls in den Kreis zu gehen. »Ich will keine Einzelkämpfer«, erklärte er dem Weißen. »Ich will Männer, die sich aufeinander abstimmen, die sich beim Kampf helfen und unterstützen, und die da durch ihre Kräfte vergrößern. Ich glaube dir
19 ohne weiteres, daß die beiden mich besie gen, mich interessiert jedoch nur, wie sie es tun.« »Du wirst es erleben«, erwiderte Dartun selbstbewußt. Er pfiff auf den Fingern. Die beiden Kämpfer stürzten sich auf Kennon. Dieser beherrschte den Grizzard körper mittlerweile in jeder Hinsicht. Er wußte den Körper optimal zu nutzen. Als er in seinem verwachsenen Körper gelebt hatte, war er körperlich wehrlos ge wesen. So war er von frühester Jugend auf an gezwungen gewesen, sich mit geistigen Waffen zu wehren. Als er seinen Körper je doch im Feuer einer thermonuklearen Ab wehrkanone verloren hatte und in einen Ro botkörper übergewechselt war, hatte er unter anderem auch ein Dagor-Training mitge macht, das ihn zu einem perfekten Kämpfer gemacht hatte. Diese Kampftechnik beherrschte er jetzt auch noch. Als die beiden Männer ihn angriffen, tän zelte er leicht zur Seite, schnellte sich plötz lich hoch und streckte beide gleichzeitig mit den Füßen nieder. Seine Hacken schlugen krachend gegen ihre Köpfe und schleuderten sie zu Boden. Sie blieben bewußtlos liegen. Die Zuschauer schrien entsetzt auf. Dar tun blickte Kennon erbleichend an. Der Terraner stand neben den beiden be wußtlosen Männern und strich sich den Staub von den Hosen. »Ich habe nicht die Absicht, euch meine Kampftechnik zu demonstrieren«, sagte er enttäuscht. »Mir wäre es lieber, wenn ihr mir zeigen würdet, was ihr könnt.« »Sie haben sich überraschen lassen«, be teuerte Dartun. »Sie sind sonst viel besser. Du hast sie nur durch einen dummen Zufall besiegt.« »Na schön«, entgegnete Kennon. »Versuchen wir es noch einmal. Wecke die beiden auf und gib ihnen zwei Gehilfen zur Seite. Die vier sollen mir zeigen, daß sie mehr können als gut schlafen.«
20 Dartun schrie auf die Männer und Frauen ein. Einige Frauen schleppten Wasser herbei und kippten es über den Bewußtlosen aus, bis diese zu sich kamen. Zwei weitere Kämpfer kamen hinzu. Sie waren ebenfalls deutlich größer als Kennon. Einer von ihnen hatte riesige Fäuste. »Sieh dich vor«, bat Dartun. »Du hast sie gereizt. Sie sind wütend und beleidigt. Ver zeih mir, wenn sie dir weh tun.« »Wir werden es ertragen«, erwiderte Ken non. Er wandte sich dem Weißen zu, als die vier Männer überraschend angriffen. Kennon duckte sich und schnellte sich zwischen ihnen hindurch. Sie rannten an ihm vorbei, während er sich hinter ihnen aufrichtete. Ärgerlich schnaufend fuhren sie herum und griffen erneut an. Der Terraner sprang einen von ihnen mit den Füßen zuerst an und betäubte ihn mit ei ner blitzschnellen Schlagkombination. Zwei warfen sich auf ihn, um ihn seitlich zu packen. Er krallte sich an sie, und während er zu Boden stürzte, riß er sie mit. Sie prallten mit den Köpfen aneinander. Einer von ihnen sank bewußtlos zusammen, der andere preßte die Hände stöhnend vor das Gesicht. Der vierte Gegner versuchte, zu Kennon vorzudringen, doch dieser rollte sich zur Seite. Dann fuhren seine Hände und Ellenbogen auf die Gegner nieder und streckten sie zu Boden, bevor auch nur einer von ihnen einen Schlag anbringen konnte. Dartun und Kennon blickten gleicherma ßen bestürzt auf die vier kampfunfähigen Männer. Der Weiße war enttäuscht, weil ihm aufging, daß er unter diesen Umständen kein Geschäft mit Kennon und Atlan ma chen konnte, der andere, weil er begriff, daß er mit diesen Männern keine Streitmacht aufbauen konnte, mit der er gegen Grizzard kämpfen konnte. Kennon blickte Dartun an. Er sah, daß dem Weißen die Tränen der Enttäuschung und der Wut in die Augen stiegen. »Ich werde sie töten lassen«, erklärte der Weiße mit zornbebender Stimme. »Es sind jämmerliche Versager, die Schande über uns
H. G. Francis alle bringen.« »Ich halte das für übertrieben, Dartun«, erwiderte Kennon. »Deine besten Kämpfer haben versagt. Es tut mir leid, aber unter diesen Umständen werden wir nicht zusam menarbeiten.« »Könntest du es nicht wenigstens versu chen?« fragte Dartun. »Für meine Männer ging alles ein wenig schnell. Wer konnte auch ahnen, daß du dich so behende bewe gen kannst, daß selbst unsere kleinen Augen dir nicht folgen können?« Kennon begriff. Die Vieräugigen nahmen Bewegungsabläufe offenbar mit den beiden Augenpaaren unterschiedlich wahr. Wäh rend sie mit den großen Augen so sahen wie er selbst auch, vermochten sie mit den klei nen Augen schnelle Bewegungsabläufe bes ser zu verfolgen. Doch auch das hatte ihnen nichts geholfen, da sie in ihren Reaktionen zu langsam waren. »Es tut mir leid, Dartun«, sagte er nieder geschlagen. »Ich wäre froh gewesen, wenn ich Kämpfer gefunden hätte, denen ich ver trauen kann. So geht es nicht. Ich werde euch verlassen.« Dartun glich einem Häuflein Elend. Er tat Kennon leid, da dieser nachfühlen konnte, was er fühlte. Der Weiße sehnte sich nach seiner Heimat. Er hatte gehofft, sie mit Ken nons Hilfe zu erreichen. »Warte«, rief er und hielt Kennon am Arm fest. »Geh nicht. Ich werde dir helfen. Ich weiß, wo du Kämpfer finden kannst, die alles aus dem Felde schlagen.« Er blickte ihn beschwörend an. »Ich sage die Wahrheit«, beteuerte er. »Gar nicht weit von hier leben Wesen, denen alle aus dem Wege gehen, weil sie sich vor ihnen fürch ten. Sie könnten gerade richtig für dich sein.« Er blickte auf die noch immer bewußtlo sen Männer. »Es tut mir leid, daß es so gekommen ist«, fuhr er fort. »Glaube mir, ich selbst ahnte nicht, daß wir so schwach im Vergleich zu dir sind.« Kennon überlegte kurz.
Mit den Kräften des Geistes »Ich werde versuchen, euch zu helfen«, sagte er dann. »Wir werden zusammenarbei ten. Ich benötige Männer, die nach meinem Feind suchen. Ich weiß jetzt, daß er eben falls in der Senke der Verlorenen Seelen ist. Offenbar hat er Verbündete gefunden, die wirklich mächtig sind. Ich muß wissen, wo er ist und wohin er sich wendet. Ich benötige Späher, die ausschwärmen und mir sofort Nachricht geben, wenn sie ihn finden. Dazu sind deine Männer gut geeignet.« Die vier Augen Dartuns leuchteten auf. Er ergriff die Arme Kennons. »Ich danke dir«, sagte er. »Wir werden dir helfen. Du kannst dich auf uns verlassen. Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht.«
* Grizzard lenkte die Porquetor-Rüstung zu einer Felsnadel, die sich aus dem völlig ebe nen Land wie ein Zeigefinger erhob. Als er sie erreicht hatte, sah er, daß Stufen in den Stein geschlagen worden waren. Sie führten nach oben. Er stieg bis zur Spitze der Nadel hinauf. Strezzo folgte ihm. Das monströse We sen, das ihnen den Weg gewiesen hatte, war bei einer Oase zurückgeblieben, die ihm er trägliche Lebensbedingungen bot. »Da ist der Palast«, sagte der Pirat und zeigte auf ein gläsernes Gebilde. Es sah aus wie ein Pilz und stand auf einer Insel, die in einem nierenförmigen See lag. Überall in der Nähe des Sees befanden sich Siedlungen aus primitiven Hütten und Zelten, von denen jedoch nahezu alle zer stört worden waren. Die Spuren heftiger Kämpfe waren unübersehbar. Um so auffal lender war, daß auf der Insel selbst alles in takt zu sein schien. »Das Tentakelmonster könnte recht ha ben«, bemerkte Strezzo. »Sieh dir die Insel an. Dort scheint niemand gekämpft zu ha ben.« »So sieht es jedenfalls aus.« Eine Holzbrücke führte zur Insel hinüber.
21 Auch sie wies keinerlei Zerstörungen auf. »Seltsam«, sagte Grizzard. »Warum ha ben die Invasoren dort nicht gekämpft? Ha ben sie gar nicht erst versucht, die Insel zu stürmen? Oder gab es keinen Grund für sie, mit denen auf der Insel zu kämpfen?« »Du meinst, die Mächtigen der Inseln sind Freunde der Invasoren?« fragte Strezzo. »Sieht es nicht so aus?« Strezzo schüttelte den Kopf. »Du irrst dich. Hätten die von der Insel den Invasoren geholfen, dann wären Kämpfe in den Siedlungen nicht nötig gewesen.« Grizzard nickte. Er wurde sich dessen be wußt, daß man ihn von der Insel her sehen konnte. Die Rüstung schimmerte silbern hell und mußte Aufmerksamkeit erregen. »Wir steigen wieder ab und gehen über die Brücke«, entschied er. »Dann werden wir ja sehen, was geschieht.« Strezzo zog den Kopf ein. »Hast du etwas dagegen, wenn ich mich zunächst in einem sicheren Versteck ver krieche?« fragte er. »Ich würde ganz gern sehen, was passiert, bevor ich ein Risiko eingehe.« »Du kannst hier bleiben«, antwortete Grizzard. »Wenn ich dir ein Zeichen gebe, kommst du nach. Wenn es anders läuft, als ich mir vorstelle, kannst du dich aus dem Staub machen.« Strezzo zupfte sich den Bart. In seinen Augenwinkeln bildeten sich zahllose Lach fältchen. »Ich bewundere dich immer wieder, Herr«, sagte er, »weil es dir so vorzüglich gelingt, meine innersten Gefühle und Wün sche zu formulieren.« Grizzard wandte sich wortlos ab und stieg die Stufen hinunter. Dann marschierte er auf den See zu. Er erreichte ihn an der Stelle, an der die Brücke begann. Hier blieb er stehen und wartete etwa zwei Minuten. In dieser Zeit erschienen nach und nach etwa zwanzig monströse Gestalten am ande ren Ende der Brücke. Sie blickten zu ihm herüber. Grizzard fielen dabei vor allem vier Wesen auf, die in ihrem Aussehen einen
22 Terraner an Hamster erinnert hätten. Sie wa ren allerdings wesentlich größer als terrani sche Tiere dieser Art. Grizzard schätzte, daß sie eine Höhe von etwa vier Metern erreich ten, als sie sich auf den Hinterbeinen auf richteten. Sie hatten langes, zottiges Fell. Ih re Beine steckten in leuchtend roten Hosen, die an den Seiten mit allerlei Metallteilen verziert waren. Die anderen Wesen in ihrer Umgebung waren auch nichthumanoid. Keines von ih nen besaß eine derartige Ausstrahlung wie die vier hamsterähnlichen Wesen. Grizzard zweifelte keine Sekunde daran, daß dies die Moosons waren, von denen das Tentakelwe sen gesprochen hatte. Nur sie konnten die Mächtigen sein. Überraschend für ihn war, daß er keinerlei Waffen an ihnen sah, während alle anderen Wesen irgend etwas bei sich hatten, was sie als Waffe benutzen konnten. Grizzard spürte, daß er am Ziel war. Er war entschlossen, herauszufinden, was die Macht der Moosons ausmachte, und er wollte die Moosons auf seine Seite bringen, um sie gegen Kennon zu führen. Daß es Schwierigkeiten mit Kennon geben würde, war für ihn sicher. Grizzard ging los. Er bewegte sich lang sam und ruhig, um einen selbstsicheren Ein druck auf die Moosons zu machen. Sie soll ten auf keinen Fall glauben, daß er sie an greifen wollte. Als Grizzard etwa zehn Me ter weit gegangen war, sah er, daß die Moo sons unruhig wurden. Sie redeten miteinan der und gestikulierten heftig. Er ging weiter. Die Moosons wandten sich ihm wieder zu und kamen ihm etwa fünf Meter weit entge gen. Dann verharrten sie auf der Stelle und blickten ihn mit großen, schimmernden Au gen an. Einige Sekunden verstrichen. Grizzard marschierte weiter. Die Brücke erzitterte und dröhnte unter seinen Füßen. Und wie derum wurden die Moosons unruhig. Einer von ihnen stieß einen schrillen Schrei aus. Sie wichen einige Schritte weit zurück.
H. G. Francis Grizzard konnte sich ihr Verhalten nicht erklären. Er führte es auf die Legende zu rück, von der er gehört hatte, und er fragte sich, ob es irgendwann in der Vergangenheit der Moosons eine Erscheinung gegeben hat te, die ihm glich. Er näherte sich dem Ende der Brücke, als die monströsen Wesen aus der Nähe der Moosons verschwanden und sich fluchtartig in das Innere der Insel zurückzogen. Etwa fünf Meter von den Moosons ent fernt blieb Grizzard stehen. Er blickte ange strengt durch die Schlitze des Helms. Auch jetzt bemerkte er keine Waffen an den riesi gen Wesen. Er hoffte, daß die Moosons die Initiative ergreifen würden, doch sie verhiel ten sich zunächst ruhig. Sie blickten ihn an und machten weder Anstalten, ihn auf die Insel einzuladen, noch ihn von der Brücke zu vertreiben. Grizzard zögerte, sie anzusprechen, weil er befürchtete, Schwäche zu beweisen, wenn er ihre Sprache nicht beherrschte. Etwa zehn Minuten verstrichen, ohne daß etwas geschah. Hin und wieder meinte Griz zard zu spüren, daß ihn etwas berührte. Ihm schien, als streiche etwas unendlich Feines über seinen Nacken und seinen Rücken, aber er maß diesem Gefühl keinen besonderen Wert bei. Schließlich kam er zu der Überzeugung, daß die Moosons nichts tun würden. Daher hob er beide Arme und streckte sie ihnen entgegen. Sie reagierten augenblicklich und eilten auf ihn zu. Scheu berührten sie seine Stahlhände. Dabei redeten sie in einer Spra che auf ihn ein, die er nicht verstand. »Ich verstehe euch nicht«, erklärte er in Pthora. Seine Worte riefen größte Aufregung bei ihnen vor. Sie schwatzten miteinander und stießen schrille Schreie aus. Aus ihrem Ver halten schloß er, daß sie sich freuten. Schließlich, als sie sich ein wenig beru higt hatten, wichen sie zur Seite und gaben ihm gestenreich zu verstehen, daß er zu ih nen auf die Insel kommen sollte. Grizzard folgte ihrer Einladung jedoch
Mit den Kräften des Geistes nicht sofort, sondern wandte sich um und winkte zur Felsnadel hinüber. Strezzo, der das Geschehen von dort aus beobachtet hat te, winkte zurück und rannte auf die Brücke. Die Moosons gaben Grizzard zu verstehen, daß sie mit ihm einverstanden waren. Sie warteten, bis Strezzo bei ihnen war. Dann führten sie Grizzard und ihn ins Innere der Insel. Als sie den Glaspalast erreichten, der kei nerlei Spuren von Zerstörung zeigte, sah Grizzard, daß die Helfer der Moosons ein Essen für ihn vorbereitet hatten. Auf einer etwa zwanzig Meter langen Tafel türmten sich Speisen und Getränke aller Art. Selbst in der FESTUNG hatte Grizzard keinen so reichlich gedeckten Tisch gesehen. Ihm lief das Wasser im Munde zusam men. Gleichzeitig aber wurde ihm bewußt, daß er die Rüstung nicht verlassen durfte. Die Moosons ahnten nicht, wie er wirklich aus sah, und er befürchtete, daß sie sich spontan von ihm abwenden würden, wenn er sich ih nen in seiner verwachsenen Gestalt zeigte. »Das solltest du dir nicht entgehen las sen«, rief Strezzo begeistert. »Meine Güte, derartige Delikatessen habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.« Er öffnete die äußeren Verschlüsse der Rüstung. »Komm heraus«, forderte er Grizzard auf. Die Moosons beugten sich über ihn und klopften behutsam gegen die Rüstung. Ent setzt erkannte Grizzard, daß er sich geirrt hatte. Sie wußten, daß er in der Rüstung steckte. »Komm heraus«, rief einer der Moosons mit schwerer Stimme. Er hatte sichtlich Mü he, diese Worte zu formulieren. Grizzard entschied sich, der Aufforderung zu folgen. Er öffnete die Rüstung. Strezzo streckte ihm die Hände entgegen und half ihm heraus. Voller Unbehagen versuchte Grizzard, auf die Sitzbank vor der Tafel zu steigen. Es ge lang ihm nicht, weil er zu klein und zu schwächlich war. Der Pirat half ihm.
23 Grizzard schämte sich seines verwachse nen Körpers. Er konnte sich nicht vorstellen, daß die Moosons ihn noch respektierten, nachdem sie gesehen hatten, wer er wirklich war. Doch sie taten es. Sie ließen sich ihm ge genüber auf die Bank sinken und reichten ihm Schalen, die mit gegrilltem Fleisch und Früchten gefüllt waren. Zögernd griff Griz zard zu. Ein zweibeiniges Wesen, das einen Vo gelkopf und seltsame Greifzangen hatte, nä herte sich ihm und reichte ihm einen Becher, mit einer angenehm duftenden Flüssigkeit. Danach entfernte es sich einige Schritte weit, stockte plötzlich, als sei es gerufen worden, kehrte zurück und blieb in demüti ger Haltung an der Tafel stehen. Etwa eine Minute verstrich, dann wandte sich das Vo gelkopfwesen ab und eilte davon. Strezzo nahm eine Frucht, legte sie aber sofort wieder hin, als habe er sich die Finger daran verbrannt. »Verdammt«, sagte er. »Sie können mei ne Gedanken lesen. Pausenlos geben sie mir Befehle. Wie soll man das nur ertragen?« Grizzard fiel das Stück Fleisch, das er zum Munde führen wollte aus den Fingern. Schlagartig begriff er, worauf sich die Macht der Moosons begründete. Die Moosons waren parapsychisch be gabt. Mit ihren besonderen Kräften lenkten sie ihre Helfer auf der Insel. Mit ihren psio nischen Fähigkeiten hatten sie die Invasoren von der Insel abgehalten und vielleicht gar in die Flucht geschlagen. Ihn, Grizzard, aber beurteilten sie nicht nach seinen körperlichen Kräften. Sie be handelten ihn voller Ehrfurcht und Respekt, weil er für ihre mentalen Kräfte unerreichbar war. Das war die einzig denkbare Erklärung! Grizzard fühlte, daß ihn die Erregung zu übermannen drohte. Er wurde sich dessen bewußt, was diese Entdeckung bedeutete. Er war einem Geheimnis auf die Spur ge kommen, das bisher nur Kennon gekannt hatte. Niemand sonst wußte, daß der ver
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wachsene Körper über derartige Fähigkeiten verfügte. Grizzard machte sofort eine Einschrän kung, als er so weit mit seinen Überlegun gen gekommen war. Atlan, so meinte er, mußte er ausnehmen. Oder sollte selbst er nichts von dieser Unempfindlichkeit gegen paranormale Kräfte wissen? Von einem plötzlichen Hungergefühl ge trieben, stopfte Grizzard in sich hinein, so viel er nur konnte. Dabei beobachtete er die Moosons. Allmählich ging ihm auf, was es für sie bedeutete, daß sie ihn mit ihren be sonderen Kräften nicht erreichen konnten. Aus ihrem Verhalten schloß er, daß ihnen noch niemals zuvor jemand begegnet war, der ihnen in dieser Weise widerstand. Und dann wurde ihm klar, über welche Macht mittel er plötzlich verfügte. Die Moosons ordneten sich ihm unter. Sie verehrten ihn als übermächtiges Wesen. Al so würden sie ihm auch gehorchen, wenn er ihnen befahl, für ihn zu kämpfen. Sie würden jeden Widerstand für ihn be seitigen, bis Sinclair Marout Kennon hilflos vor ihnen stand. Und vielleicht waren sie sogar in der La ge, mit ihren parapsychischen Fähigkeiten einen Körpertausch herbeizuführen, der Kennon wieder in seinen verwachsenen Körper zwang. Grizzard hätte am liebsten laut gejubelt. Mochte Kennon aufbieten, was er wollte, gegen die Moosons war er machtlos.
5. Sinclair Marout Kennon fuhr aus dem Schlaf auf, als Dartun seine Hütte betrat. »Einige meiner Späher sind zurück«, er klärte der Weiße. »Sie haben schlechte Nachrichten für dich.« Kennon war sofort hellwach. »Heraus damit«, forderte er. »Schnell.« Dartun begann mit einer umständlichen Schilderung der Schwierigkeiten, die seine Späher zu überwinden gehabt hatten, bis sie endlich in das Gebiet vorgedrungen waren,
auf das es dem Terraner ankam. Kennon un terbrach ihn nicht, obwohl er ungeduldig war. »Dein Feind befindet sich auf einer Insel, die von mächtigen Wesen, den Moosons, be herrscht wird«, berichtete der Weiße end lich. »Wie es heißt, verfügen diese Wesen über Zauberkräfte. Sie können andere mit ihrem Willen beeinflussen. Niemand kann ihnen widerstehen. Was sie wollen, ge schieht.« »Und was ist mit ihm?« fragte Kennon. »Sie behandeln ihn voller Ehrfurcht. Sie unterwerfen sich ihm. Es scheint, daß ihre Zauberkräfte bei ihm versagen.« Der Terraner stöhnte auf. Dartun hätte ihm das nicht zu sagen brau chen. Er hatte es schon vorher gewußt, schließlich lebte Grizzard in seinem Körper, der schon vor Jahrhunderten mentalstabili siert worden war! Diese Schutzmaßnahme war für ihn als USO-Spezialist ergriffen worden, um ihn für parapsychisch begabte Gegner unangreifbar zu machen. Jetzt schlug diese Operation voll auf ihn zurück, denn der Grizzardkörper war nicht mentalstabilisiert. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Kennon diese Tatsache als unwichtig eingeordnet, da Grizzard die besonderen Fähigkeiten des verkrüppelten Körpers nicht kannte. Jetzt sah alles anders aus. Für Kennon war klar, daß Grizzard das letzte Geheimnis des Kennonkörpers entdeckt hatte. Sein Verhal ten bei den Moosons zeigte, daß er es für sich nutzen wollte. Grizzard hatte sein Mutantenkorps gefun den. Kennon hatte das Gefühl, auf schwankendem Boden zu stehen. Seine Suche nach ei ner schlagkräftigen Truppe war bisher fehl geschlagen. Alles, was er gefunden hatte, waren die Vieräugigen. Die aber hatten sich als klägliche Kämpfer erwiesen. Sie gegen die neuen Freunde Grizzards aufzubieten, wäre sinnlos gewesen. Kennon griff nach dem Arm Dartuns. »Weißt du, ob es irgendwo in der Senke
Mit den Kräften des Geistes noch andere Zauberer gibt?« fragte er. »Hast du irgend etwas gehört von Wesen, die über geheimnisvolle Kräfte verfügen?« Der Weiße schüttelte den Kopf. »Ich muß dich enttäuschen«, sagte er. »Die Moosons sind die einzigen.« Kennon sank auf sein Lager zurück. Doch im nächsten Moment schoß er schon wieder hoch. »Rufe alle deine Späher zurück«, rief er. »Sie dürfen nicht in der Nähe der Moosons bleiben.« »Warum nicht?« fragte Dartun verstört. »Wie willst du sonst herausfinden, was sie beabsichtigen?« »Zurück mit ihnen«, befahl Kennon mit schriller Stimme. »Verstehst du denn nicht? Die Moosons erfassen deine Späher mit ih ren Zauberkräften. Sie lesen ihre Gedanken und ermitteln auf diese Weise, wo ich bin. Dadurch werden sie nicht zu Helfern, son dern zu Feinden, die mich verraten.« Der Weiße zuckte erschreckt zusammen. »Du hast recht«, erwiderte er stöhnend. »Sie verraten dich.« Er sprang auf und stürmte aus der Hütte. Kennon hörte, daß er seinen Männern Be fehle erteilte. Eilige Schritte zeigten ihm an, daß einige Leute das Dorf verließen. Kennon wußte, daß es bereits zu spät war. Wenn die Moosons telepathische Fähigkei ten hatten, dann mußte er davon ausgehen, daß sie mittlerweile wußten, wo er war. Er verließ die Hütte und ging zu einem Brunnen, um sich zu waschen und zu trin ken. Dartun kam zu ihm. »Was wirst du tun?« fragte er. »Wir müssen uns auf den Angriff vorbe reiten«, antwortete Kennon. »Wir müssen Mittel und Wege finden, die Moosons zu tö ten, bevor sie uns erreichen. Das geht nur, wenn wir Waffen bauen, die über eine große Entfernung hinweg tödlich wirken.« Dartun bewies ihm, daß er über ein be trächtliches Wissen verfügte. Er versuchte, Kennon einige Waffen zu schildern, die in Frage kamen, scheiterte jedoch an sprachli chen Schwierigkeiten.
25 »Es müssen einfache Waffen sein«, be merkte der Terraner. »Fallen kommen in Frage. Wir könnten sie im Vorgelände er richten.« Kennon blickte nachdenklich zu Boden. Ihm wurde klar, daß alle Planungen sinnlos waren, solange er nicht wußte, über welche Fähigkeiten die Moosons verfügten. Er hatte genügend Erfahrungen mit Mutanten, daß er sich keine Illusionen über seine Erfolgsaus sichten im Kampf mit ihnen machte. Er wehrte sich gegen die aufkommende Resignation, weil er nicht wahrhaben wollte, daß er im Grunde genommen schon dadurch besiegt war, daß es Grizzard gelungen war, die Moosons für sich zu gewinnen. »Wir wissen zu wenig über die Wesen der Senke«, sagte er. »Deshalb müssen wir Spä her in alle Bereiche der Senke aussenden. Sie sollen Informationen über alle einholen, die hier leben. Überall sind Dellos als Hel fer. Sie müssen befragt werden. Vielleicht finden wir auf diese Weise Kämpfer, mit de nen ich mich gegen die Moosons behaupten kann.« »Eine gute Idee«, lobte Dartun. »Ich wer de sofort einige Männer dafür abstellen, wenn …« Er blickte Kennon fragend an. »Ich ver spreche dir, daß ich mit dir zu Atlan gehen werde«, erklärte der Terraner. »Ich werde mich für dich einsetzen und dir helfen. Ich werde versuchen, Atlan dazu zu bewegen, Pthor zu deiner Heimat zu lenken. Du wirst bei den entscheidenden Gesprächen dabei sein.« Der Weiße hob beide Hände. »Ich danke dir«, sagte er. »Mehr brauchst du mir nicht zu versprechen. Ich glaube dir. Ich weiß, daß du nicht mehr tun kannst. Wir werden gemeinsam kämpfen.« Kennon antwortete nicht. Die Worte Dar tuns klangen ihm zu übertrieben und erin nerten ihn allzu deutlich an die Lobreden über die stärksten Männer des Stammes. Der Weiße eilte davon. Kennon sah, daß er mit einigen Dellos sprach. Diese waren während der Kämpfe mit den Krolocs zur
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FESTUNG geflüchtet, waren aber nun in die Senke der Verlorenen Seelen zurückgekehrt. Kennon ging davon aus, daß das überall in der Senke der Fall war, in der etwa zweihun derttausend Geschöpfe aus allen Bereichen des Universums lebten. Sie alle waren ir gendwann in der Vergangenheit aus ihrer Heimat nach Pthor entführt worden. Daher bot die Senke ein nahezu unerschöpfliches Reservoir an exotischen Entitäten, über die bislang so gut wie nichts bekannt war. Ken non hielt es für durchaus wahrscheinlich, daß es in der Senke noch andere Wesen gab, die parapsychisch begabt waren. Er wußte jedoch, daß es nahezu unmöglich war, sie innerhalb kurzer Zeit zu finden und für sich zu gewinnen. Kennon ging an den Rand der Siedlung und setzte sich auf einen Hügel. Nachdenk lich blickte er auf das Land hinaus. Auf der Savanne vor der Siedlung ästen antilopenar tige Tiere. Einige sechsbeinige Wesen be wachten sie, so daß sie nicht flüchten konn ten. In etwa vier Kilometern Entfernung be gann ein dichter Wald. Aus ihm erhoben sich die Ruinen einiger Glaspaläste. Kennon schüttelte verzweifelt den Kopf. Eine Möglichkeit, die Siedlung gegen An griffe von Wesen mit parapsychischen Fä higkeiten zu schützen, gab es nicht. Ihm blieb nichts anderes als die Flucht. Davor aber schreckte er zurück. Einmal in seinem Leben war er geflüchtet. Diese Flucht hatte ihn seinen Körper gekostet. In der tosenden Glut eines Thermostrahlers war er zu Asche verbrannt. Seitdem war Sinclair Marout Kennon nicht mehr geflüchtet. Er war nicht mehr da zu fähig gewesen. Der Schock von Lepso wirkte noch nach Jahrhunderten nach.
* Strezzo tippte Grizzard an. »Ich soll dir etwas sagen, Herr«, bemerkte er unterwürfig. Er blickte den Verwachsenen bewundernd an. »Die Moosons sind deine
Diener. Sie wollen alles für dich tun, was du verlangst. Sie haben nur einen Wunsch: Sie wollen sich für dich aufopfern.« Grizzard wollte ihn fragen, woher er das wußte, hielt diese Frage jedoch zurück, weil er sich die Antwort selbst geben konnte. Die Moosons hatten Strezzo diese Information gegeben, weil er für ihre parapsychischen Impulse empfänglich war. Somit diente der Pirat als natürlicher Translator. Die vier Moosons saßen Grizzard gegen über auf der Bank und blickten ihn mit leuchtenden Augen an. »Sie sollen für mich kämpfen«, entgegne te er. »Du kennst meinen Feind. Ihn will ich vernichten, und die Moosons sollen es für mich tun. Sie sollen ihn jedoch nicht töten, sondern ihn mit ihren mentalen Kräften aus meinem Körper vertreiben.« »Sie sind einverstanden«, antwortete Strezzo, kaum daß er zu Ende gesprochen hatte. »Sie fragen, wann wir aufbrechen.« »Sofort«, erklärte Grizzard.
* Tullam war glücklich. Eine Legende war wahr geworden. Das hatte niemanden mehr überrascht als ihn, den ewigen Zweifler. Wenn Bushmi, Uson und Metax von jenem gesprochen hatten, der kommen und ihren Kräften widerstehen würde, hatte er stets geschwiegen. Er wußte, wie sehr sie den Glauben an diese Legen dengestalt brauchten, um mit dem Tren nungsschmerz fertig zu werden. Die drei hatten es nie verwunden, daß man sie aus der Moosongemeinschaft herausgerissen hatte. Für sie war es unendlich schwer, unter Umständen zu leben, wie sie es jetzt muß ten. Ihnen fehlten die Massen, in denen sie anonym sein konnten. Für ihn war das etwas anderes. Schon auf Mooson war er ein Einzelgänger gewesen. Dort hatte er als Außenseiter der Gesell schaft gegolten. In der Senke war er der An führer. Ohne ihn wären die anderen drei hilf los gewesen.
Mit den Kräften des Geistes Doch jetzt war Grizzard gekommen. Er hatte ihren mentalen Kräften widerstanden, und er hatte Tullam die Verantwortung ab genommen. Aber nicht nur deshalb war Tullam glück lich. Ihn erfüllte vor allem die Tatsache mit angenehmen Gefühlen, daß es Grizzard wirklich gab. Bis zum heutigen Tag hatte Tullam sich nicht vorstellen können, daß Le bewesen existierten, die den Moosonfähig keiten widerstanden. Für Tullam und die drei anderen Moosons war es, als sei ein Gott zu ihnen gekommen. Tullam beobachtete Grizzard, der ihm ge genüber saß und Obst verzehrte, und er wun derte sich darüber, wie klein er war. »Ich hätte einen Riesen erwartet«, über mittelte Metax. »Ihr nicht auch?« »Sei still«, befahl ihm Tullam, und Metax gehorchte wie üblich sofort. Unterwürfig wartete er darauf, daß die anderen ihre Ge danken austauschten. »Wir werden für ihn kämpfen«, verkünde te Uson. »Warum brechen wir nicht gleich auf? Je früher der Kampf beginnt, desto bes ser.« »Wir müssen erst einmal herausfinden, wo der Feind Grizzards ist«, stellte Bushmi fest. Ihn vergnügte, daß die anderen darauf noch nicht gekommen waren. »Du hast recht«, erwiderte Tullam unwil lig. Er mochte das psionische Gelächter Bushmis nicht. »Würde es euch stören, wenn ich etwas dazu sage?« fragte Metax schüchtern. »Durchaus nicht«, erwiderte Tullam. »Vielleicht ist es wichtig.« »Es ist wichtig«, beteuerte Metax. »Ich habe einige Späher erfaßt, die sich in der Nähe der Insel herumgetrieben haben. Ich habe sie abgehorcht. Daher weiß ich, wo Kennon zu finden ist. Kennon ist der Dieb, den wir bekämpfen sollen.« »Das hast du gut gemacht«, lobte Tullam und schob Metax einen Brocken gegrilltes Fleisch hin. Er wußte, daß Metax auf solche Zeichen der Anerkennung besonders positiv reagierte.
27 Tullam bemerkte, daß Grizzard aufstand. »Können wir etwas für dich tun?« fragte er, und Strezzo übermittelte seine Worte. »Ich würde gern wissen, welche Fähigkei ten ihr habt«, antwortete Grizzard. »Erst wenn ich das weiß, werden wir angreifen.« »Ich kann die Gedanken aller lebenden Wesen erfassen«, erklärte Tullam. »Aber das können die anderen auch. Dann können wir jeden dazu veranlassen, das zu tun, was wir wollen. Notfalls können wir sogar errei chen, daß jemand das Leben einstellt, wenn wir wollen.« »Sollen wir es dir beweisen?« fragte Uson eilfertig. »Bei Strezzo könnten wir es dir am besten zeigen. Er stirbt bestimmt nicht frei willig, sondern nur weil wir ihn dazu brin gen.« Der Pirat sprang schreiend auf. Er streckte den Moosons abwehrend die Hände entge gen. »Nein, nein«, rief er. »Nicht. Das dürft ihr nicht.« Bushmi schnippte mit den Fingern, und Strezzo fiel wie vom Schlag getroffen um. »Er hat das Leben eingestellt«, erläuterte Bushmi erheitert. Grizzard stürzte sich auf ihn und versuch te, ihn wieder aufzurichten. Hilfesuchend blickte er die Moosons an. Er wußte nicht, wie er sich mit ihnen verständigen sollte. »Es scheint ihm nicht zu gefallen«, sagte Metax verwundert. »Wir wecken Strezzo wieder auf«, be stimmte Tullam. »Wir benötigen ihn als Übersetzer. Also – gebt euch Mühe.« »Es war töricht von dir, ausgerechnet Strezzo als Demonstrationsobjekt zu neh men«, sagte Uson tadelnd zu Bushmi. »Du hättest einen anderen auswählen können, je manden, der nicht so wichtig ist.« Danach wandte er sich Strezzo zu und überschüttete ihn mit psionischen Energien. Der Pirat stöhnte, schlug die Augen auf und griff sich ans Herz. Dann erfaßte er, was ge schehen war, und fiel in Ohnmacht. Doch die Moosons gönnten ihm keine Ruhepause. Sie aktivierten seinen Kreislauf und stimu
28 lierten sein Nervensystem. Strezzo wachte wieder auf. Er erhob sich und blickte sich verwirrt um. Dann schüttelte er sich wie ein Hund, der aus dem Wasser kommt. »Ihr Bestien«, sagte er zornig. »Das macht ihr nicht noch einmal mit mir.« Er rannte plötzlich los und stürmte auf die Brücke zu. »Strezzo«, rief Grizzard. »Keine Angst. Es passiert nicht noch einmal.« Der Pirat rannte weiter bis an die Brücke. Hier blieb er stehen und hüpfte von einem Bein aufs andere, als stehe er auf einer glü henden Herdplatte. Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen und kehrte hüp fend und tanzend zur Grizzard zurück. »Wie fühlst du dich?« fragte dieser be sorgt. »Großartig«, antwortete der Pirat. »Weitaus besser, als ich mich in meinem er sten Leben gefühlt habe.« Er beugte sich vor und blickte Grizzard lachend in die Augen. »Ich habe soeben eines der größten Rätsel unserer Existenz gelöst«, erklärte er. »Ich weiß jetzt, daß es ein Leben nach dem Tode gibt.« Grizzard erschauerte. Strezzo hatte keine Lachfältchen in den Augenwinkeln. Seine Augen sahen gläsern und leer aus. Nicht der Pirat hatte diese Worte gesagt, sondern einer der Moosons war es gewesen. Grizzard hatte kein Ver ständnis für die Scherze des hamsterähnli chen Wesens. »Laßt ihn in Ruhe«, befahl er. »Ich will nicht, daß ihr ihn quält.« Augenblicklich belebten sich die Züge Strezzos. Verwirrt blickte er Grizzard an. »Was war los, Herr?« fragte er ängstlich. »Habe ich geschlafen?« »Es ist alles in Ordnung«, antwortete Grizzard. »Ich will, daß wir aufbrechen.« »Die Moosons sind einverstanden«, erwi derte Strezzo. »Sie wollen nur noch ihre Kampfkleidung anlegen.« Die vier Moosons eilten davon. Nach et-
H. G. Francis wa fünf Minuten kehrten sie zurück. Sie tru gen jetzt keine Hosen mehr, sondern nur noch breite Gürtel mit mehreren Taschen und Schultergurte. »Wir sind bereit«, erklärten sie durch den Mund Strezzos. Grizzard zögerte. Er zweifelte daran, daß er die Moosons immer kontrollieren konnte. Sein Kampf galt Kennon. Was aber würde geschehen, wenn die Moosons sich während des Kamp fes vergaßen und über Unbeteiligte herfie len? Grizzard wurde sich der grenzenlosen Macht bewußt, die er mit den Moosons ge wann. Zugleich aber erkannte er auch die Gefahren, auf die er sich einließ. Er fürchte te, ihnen nicht gewachsen zu sein. Die Moo sons verehrten ihn. Er aber war sicher, daß er nicht jener war, von dem in ihren Legen den die Rede war. Daher befürchtete er eine Katastrophe für den Fall, daß die Moosons die Wahrheit erkannten. Aus allen Richtungen näherten sich die Helfer der Moosons. Einige hatten eine ent fernt humanoide Gestalt, einige sahen insek toid aus und einige schienen für ein Leben im Wasser geschaffen zu sein. Grizzard be obachtete voller Unbehagen ein Geschöpf, das wie ein riesiger Aal aussah. Es war etwa sieben Meter lang und schob sich mit schlangenförmigen Bewegungen über den Boden. Aus seinem Rücken ragten gelbe und rote Federbüsche hervor. Die winzigen Augen lagen in tiefen Falten verborgen. Das Geschöpf richtete sich vor Grizzard bis in Augenhöhe auf und öffnete das Maul vor ihm. Grizzard blickte auf zwei Reihen mes serscharfer Zähne. »Laßt uns aufbrechen«, bat er. »Je eher wir alles hinter uns haben, desto besser.«
6. Dartun stürzte atemlos in die Hütte, in der Sinclair Marout Kennon saß. »Wir haben Erfolg«, schrie er. »Meine Späher haben Helfer für dich gefunden. Vie
Mit den Kräften des Geistes le Helfer.« Der Terraner sprang auf. »Ist das wirklich wahr?« fragte er zwei felnd. »Es ist wahr«, beteuerte der Weiße. »Komm mit. Ich zeige sie dir.« Er zerrte Kennon aus der Hütte. Er war so aufgeregt, daß er vollkommen vergaß, wür devoll aufzutreten. Ihm kam es nur darauf an, Kennon zu zeigen, welch wertvollen Dienst er ihm geleistet hatte. Die beiden Männer eilten zu einem Hügel in der Nähe der Hütte. »Von da oben kannst du sie sehen«, ver kündete Dartun. Als Kennon den Hügel erstiegen hatte, hielt er überrascht den Atem an. Aus dem inneren Bereich der Senke der Verlorenen Seelen näherte sich eine Heerschar von etwa zweihundert fremdartigen Wesen, wie sie ihm noch niemals zuvor begegnet waren. Er sah vogelähnliche Geschöpfe mit mächtigen Schwingen, menschenähnliche Riesen, die fast fünf Meter groß waren, Echsen, Vielbei ner und Insektoide. Quallenähnliche Ge schöpfe schwebten über den Boden dahin. Einige Geschöpfe trugen gepanzerte Raum anzüge. Kennon konnte sich vorstellen, daß sie unter ganz besonderen Schwierigkeiten litten. Da sie in der Sauerstoffatmosphäre von Pthor nicht existieren konnten, mußten sie von den Vorräten zehren, die sie bei sich trugen. Wenn sie keinen Nachschub erhiel ten, erstickten sie. »Ist das nicht phantastisch?« rief Dartun. »Da hast du alles, was du brauchst. Unter diesen Fremden sind Kämpfer aller Art. Mit ihrer Hilfe schlägst du alles in die Flucht, was sich in deine Nähe wagt.« »Das wird sich zeigen«, erwiderte Ken non zurückhaltend. Er teilte den Optimismus Dartuns nicht, beurteilte seine Lage nun aber nicht mehr so schlecht wie zuvor. Jetzt hatte er immerhin die Möglichkeit, Grizzard und seine Helfer an vielen Fronten anzugreifen. Er glaubte nicht daran, daß die Moosons in der Lage waren, so viele unter schiedliche Intelligenzwesen gleichzeitig
29 hypnosuggestiv zu beeinflussen. »Deine Leute haben gute Arbeit gelei stet«, sagte er und führte den Weißen vom Hügel herunter. »Komm. Wir wollen uns an sehen, was unsere Helfer können. Danach werden wir eine Kampftaktik ausarbeiten, mit der wir die Moosons überraschen.« Die Bewohner der Siedlung liefen der Heerschar der Fremden entgegen. Aufgeregt schwatzten sie miteinander. Dartun lächelte zufrieden. Er glaubte, sein Versprechen er füllt zu haben. Als Kennon den Rand der Siedlung er reichte, wartete die Kampftruppe bereits auf ihn. Ein Dello kam ihm freudestrahlend ent gegen und berichtete von seinem Erfolg. »Ich habe mit jedem einzelnen von ihnen gesprochen«, erklärte er, »soweit das mög lich war. Alle wissen, um was es geht. Und alle sind bereit, alles zu geben.« Kennon betrachtete einige der fremdarti gen Gestalten. Sie alle machten einen furch terregenden Eindruck. Kennon glaubte nicht, daß er auch nur einen von ihnen in direktem Zweikampf besiegen konnte. »Du hast gute Arbeit geleistet«, sagte er. Dann ging er zu jedem der Fremden hin, um ihn zu begrüßen. Einige von ihnen sprachen ihn an, doch er verstand sie nicht, da ihm auch ihre Gestik fremd war. Er bemühte sich jedoch, freundlich zu ihnen zu sein, da er wußte, wie sehr er auf sie angewiesen war. Die meisten der Fremden waren größer und massiger als er. Der größte war fast fünf Meter hoch. Er hatte vier säulenartige Beine, die einen tonnenförmigen Körper trugen. Auf ihm thronte ein Echsenkopf mit ausla denden Kiefern. Eine zottige Mähne reichte weit über den Rücken herab. Der kleinste der Fremden überragte Ken non nur wenig. Er war humanoid, hatte je doch einen Vogelkopf mit scharf geboge nem Raubtierschnabel. Allen war gemein sam, daß sie intelligent waren. »Bist du zufrieden?« fragte Dartun. »Allerdings«, antwortete Kennon. »Das ist mehr, als ich erwarten durfte.« Ein schriller Pfiff ertönte. Der Weiße fuhr
30 erschrocken herum. »Was ist los?« fragte Kennon. Er sah, daß einige Männer auf einem Hügel standen. Sie winkten erregt zu ihnen herüber. »Grizzard kommt«, erklärte Dartun. »Er greift an.« Bestürzt blickte Kennon ihn an. »Das ist zu früh«, sagte er. »Wir sind nicht vorberei tet.« »Du mußt kämpfen«, erwiderte Dartun. »Du hast keine andere Wahl.« Kennon eilte zu dem Hügel hinüber, auf dem die Männer Dartuns standen. Er kletter te hinauf und blickte nach Norden. Von dort her näherten sich Grizzard und seine neuen Freunde. Der Terraner erkannte seinen Geg ner mühelos an der blitzenden Rüstung. Die vier Moosons gingen neben ihm. Sie über ragten ihn weit. Kennon war ratlos. Er konnte Grizzard nur die bunte Schar seiner Helfer entgegenschicken, doch er wußte, daß das nicht ausreichte. Diese Lö sung befriedigte ihn nicht. Er glaubte nicht daran, daß er eine Chance hatte, die Moo sons zu besiegen, durfte sich seine Zweifel den anderen gegenüber jedoch nicht anmer ken lassen. Er kehrte zu Dartun zurück. »Wir werden sie schlagen«, behauptete er und setzte ein zuversichtliches Lächeln auf. Er winkte den Dello zu sich heran. »Du wirst sie führen. Sie sollen Grizzard und sei ne Helfer vertreiben. Dabei ist nicht notwen dig, daß sie sie umbringen. Es genügt, wenn sie ihnen eine gehörige Tracht Prügel ver passen.« Der Dello hob die geballten Fäuste. »Wir werden siegen«, entgegnete er. Dann drehte er sich um und rief der Kampftruppe etwas zu, was Kennon nicht verstand. Die fremdar tigen Wesen wurden unruhig. Auch sie schienen nicht damit gerechnet zu haben, daß der Kampf so bald beginnen würde. Doch sie schreckten davon nicht zurück. Sie schlossen sich dem Dello an und eilten Griz zard entgegen. Kennon wollte ebenfalls mitgehen, doch
H. G. Francis Dartun hielt ihn fest. »Du darfst nicht kämpfen«, erklärte er. »Darauf wartet Grizzard nur. Wir sind zah lenmäßig weit überlegen. Das muß genügen. Da spielt es keine Rolle, ob du dabei bist oder nicht.« Kennon sah ein, daß er recht hatte, den noch widerstrebte es ihm, andere für sich kämpfen zu lassen und selbst nichts zu tun, zumal er seinen Helfern kaum mehr bieten konnte als Versprechungen. Dartun ließ jedoch nicht zu, daß er sich den Kämpfern anschloß. Er zog ihn zu dem Hügel, von dem aus er das Schlachtfeld übersehen konnte. Die beiden Kampfgruppen stürmten auf einander los. Kennon sah, daß sich auch Grizzard zurückhielt. Der Mann in der Por quetorrüstung verharrte auf einer Anhöhe. Die vier Moosons blieben bei ihm. In ihnen sah der Terraner seine eigentli chen Gegner. Die Kampfgruppen prallten aufeinander. Die meisten der Fremden brüllten und lärm ten, während sie aufeinander einhieben und sich gegenseitig zu Boden zu werfen such ten. Innerhalb von wenigen Sekunden bildete sich ein derartiges Durcheinander, daß Ken non nicht mehr wußte, wer eigentlich für wen kämpfte. Die Helfer Grizzards waren von den anderen nicht mehr zu unterschei den. Doch schon bald blieben einige der Ge stalten gefesselt oder bewußtlos auf dem Kampffeld liegen. »Siehst du es?« schrie Dartun begeistert. »Wir gewinnen. Die anderen haben keine Chance.« Tatsächlich schien es, als könnte Kennon Grizzard zurückschlagen, doch dann bewie sen die Moosons ihre wahre Stärke. Als sich die Überlegenheit der Helfer des Terraners allzu deutlich zeigte, griffen sie ein, und plötzlich war der Kampf vorbei. »Was ist los?« rief Dartun entsetzt. »Warum kämpfen sie nicht mehr?« Die Helfer Kennons standen wie erstarrt
Mit den Kräften des Geistes auf dem Kampffeld. Einige Sekunden ver strichen, dann setzten die meisten von ihnen sich auf den Boden. Sie blickten zu Grizzard und den Moosons hinüber. »Wir haben verloren«, sagte Kennon. »Die Moosons zwingen ihnen ihren Willen auf.« Porquetor und die vier parapsychisch be gabten Wesen setzten sich in Bewegung. Sie schritten auf die Siedlung der Vieräugigen zu. »Ich muß weg«, sagte Kennon. »Ich kann nicht hier bleiben. Wir haben verloren.« Dartun hielt ihn mit beiden Händen fest. »Und was wird aus uns?« fragte er be stürzt. »Haben wir auch alles verloren? Ich habe getan, was in meiner Macht stand. Wie konnte ich wissen, daß die Moosons über derartige Zauberkräfte verfügen?« Sinclair Marout Kennon lächelte müde. »Du brauchst dir keine Sorgen zu ma chen, Dartun. Ich werde mit Atlan reden, so fern mir das noch möglich ist. Ich werde al les tun, damit er Pthor zu eurer Heimat führt. Doch das kann ich nicht, wenn ich bleibe. Ich muß vor Grizzard fliehen. Vielleicht fin de ich irgendwo jemanden, der sich gegen die Moosons behaupten kann.« »Und wenn du keinen findest?« Kennon zuckte mit den Schultern. Darauf wußte er keine Antwort. »Ich wünsche dir viel Glück«, sagte der Weiße. Kennon drehte sich um und eilte davon. Dartun blickte ihm nachdenklich nach, bis er ihn aus den Augen verlor.
* Sinclair Marout Kennon fühlte, daß etwas nach ihm griff, während er aus der Siedlung der Vieräugigen flüchtete. Es war, als schie be sich eine unsichtbare Hand unter seine Kleidung und lege sich um sein Herz, um es langsam und unbarmherzig zusammenzu drücken. Vor seinen Augen begann es zu flimmern. Er konnte nur noch mühsam atmen. Die Bei-
31 ne wurden ihm schwer, so daß er nur noch langsam vorankam. Er war sich dessen bewußt, daß es die Moosons waren, die ihn mit ihren psioni schen Energien einzufangen versuchten. Kennon kämpfte gegen die aufkommende Panik an. Er wußte, daß er den Moosons da durch am meisten Hilfe leistete, daß er mit seinen Gedanken auf ihre Angriffe reagierte. Sie konnten ihn nicht sehen, aber sie erfaß ten seine Gedanken, und daher fiel es ihnen um so leichter, ihn zu halten, je mehr er an sie dachte. Mit aller Kraft versuchte er, sich abzulen ken und nicht auf das zu reagieren, was in ihm geschah. Das erforderte eine geradezu unmenschliche Anstrengung. Er spürte, wie sehr die psionischen Energien das Herz ein schnürten und damit Sauerstoffnot im Herz muskel bewirkten. Heftige Schmerzen über fluteten seine linke Körperseite, und die Brust wurde ihm so eng, daß er kaum noch atmen konnte. Dennoch schaffte Kennon es, an etwas anderes zu denken. Er schirmte sich ab, so weit es ihm möglich war, und konzentrierte sich auf eine hyperphysikalische Theorie, die in sich einige paramentale Überlegungen barg, wie sie für Nichtterrestrier kaum ver ständlich war. Je mehr er sich darauf konzentrierte, desto freier wurde er. Dabei war er sich dessen be wußt, daß die Moosons sich leicht auf ihn einpeilen konnten, wenn sie seinen Überle gungen folgten. Doch das war offenbar zu schwierig für sie. Sie ließen von ihm ab. Nur hin und wieder spürte er ihre tastenden Vor stöße, die ihn jedoch nicht ernsthaft gefähr deten. Kennons Zuversicht stieg. Das Verhalten der Moosons bewies ihm, daß diese es nicht gewohnt waren, auf Wi derstand zu stoßen. Kennon zweifelte nicht daran, daß die Mutanten der terranischen Mutantenkorps ihn eingeholt und überwäl tigt hätten. Die Moosons aber schienen glücklicherweise nicht so stark zu sein wie sie.
32
H. G. Francis
Als Kennon etwa fünf Kilometer von der Siedlung der Vieräugigen entfernt war, blieb er stehen und blickte zurück. Er war am Rand der Senke entlanggelaufen. Jetzt woll te er sich ihrer Mitte zuwenden, denn nur dort konnte er hoffen, Helfer zu finden, die sich gegen die Moosons behaupten konnten. Bei der Siedlung Dartuns war alles ruhig. Nichts deutete darauf hin, daß dort noch ge kämpft wurde. Grizzards Sieg schien voll kommen zu sein, abgesehen davon, daß er sein wichtigstes Ziel nicht erreicht hatte.
* Dartun erwachte wie aus einem Traum. Verwirrt blickte er sich um. Er kauerte auf einem Hügel mitten in der Siedlung. Zwi schen den Häusern saßen und lagen Männer, Frauen und Kinder, denen es ähnlich erging wie ihm. Auch sie schienen nicht zu wissen, wo sie waren. Dann aber sah Dartun vier riesige Gestal ten, zwischen denen Grizzard in seiner Por quetorrüstung ging. Sie entfernten sich vom Dorf. Er erinnerte sich wieder an das, was geschehen war, und ihm dämmerte, daß die Moosons dafür verantwortlich waren, daß er sich so hilflos fühlte. Von den mehr als zweihundert Helfern, die Kennons Streitmacht ausgemacht hatten, waren nur noch wenige da. Die meisten von ihnen schienen ins Innere der Senke zurück gekehrt zu sein. Einige Minuten verstrichen. Während die ser Zeit verschwanden die Moosons und Grizzard aus dem Sichtfeld Dartuns, der mehr und mehr zur Wirklichkeit zurückfand. Er erhob sich und verließ den Hügel. Er fragte einige Männer und Frauen nach den Dellos, doch niemand war in der Lage, ihm Auskunft zu geben. Schließlich erreichte er den Rand der Siedlung. Hier fand er zwei Dellos. Sie saßen im Sand und blickten ins Leere. Bei ihnen kauerte ein achtbeiniges, echsenähnliches Wesen. Es verzehrte die Äste eines Baumes. Krachend zersplitterte das Holz zwischen den kegelförmigen Zäh-
nen. Dartun sah sieben andere Wesen, die sich von der Siedlung entfernten. Sie liefen nach Norden und kehrten in die inneren Bereiche der Senke zurück, aus denen sie gekommen waren. Dartun stieß einen der Dellos an. »Hilf mir«, befahl er. »Ich möchte, daß dieser Fremde mich trägt.« Er zeigte auf das Echsenwesen. »Ich will zur FESTUNG.« »Ich versuche es«, erwiderte der Dello zö gernd. Er erhob sich und ging zu dem Ech senwesen hin. Er kniete vor ihm nieder und sprach leise auf es ein. Das fremdartige Ge schöpf beachtete ihn zunächst nicht, antwor tete schließlich jedoch mit einigen Lauten, die Dartun unverständlich waren. Der Dello schien jedoch zu wissen, was gemeint war. Er redete weiter, wobei er eine seltsame Mi schung aus Pthora und fremden Sprachen benutzte. Schließlich wandte er sich Dartun wieder zu. »Du willst, daß die Echse dich auf dem Rücken zur FESTUNG trägt. Warum?« »Bis zur FESTUNG ist es weit«, antwor tete der Weiße. »Ich würde mehrere Tage benötigen, wenn ich auf jede Hilfe verzichte, bis ich dort bin. Ich muß aber schnell dort hin kommen. Deshalb soll die Echse mich tragen. Ich werde dafür sorgen, daß sie reichlich belohnt wird.« Dartun wußte nicht, was er tun mußte, so bald er die FESTUNG erreicht hatte. Er hoffte, daß er irgend etwas finden würde, womit er die Echse ausreichend belohnen konnte. Das Wesen warf den Kopf hin und her und winkte ihm mit einer Tatze. »Du sollst dich auf den Rücken setzen«, erklärte der Dello. Dartun kam der Aufforderung nach. Er klammerte sich mit den Händen an einige schuppenartige Auswüchse. Die Echse streckte sich und rannte los. Sie stürmte so schnell voran, daß der Weiße fast von ihrem Rücken gefallen wäre. Dartun hielt sich fest und wartete ab. Er
Mit den Kräften des Geistes war überzeugt davon, daß sie früher oder später langsamer laufen würde, doch er täuschte sich. Sie stürmte mit unverminder ter Geschwindigkeit weiter. Stunde um Stunde verstrich, ohne daß sie Ermüdungser scheinungen zeigte. Die FESTUNG kam in Sicht, bevor die Dunkelheit hereinbrach.
* Grizzard befand sich in euphorischer Stimmung. Er sah, wie der Angriff der Hilf struppen Kennons zusammenbrach, ohne daß er selbst etwas tun mußte. Die Moosons übernahmen es, Kennons Streitmacht zu zer schlagen. »Und wo ist Kennon?« fragte Strezzo, als der Kampf beendet war. »Das werden wir bald wissen«, entgegne te Grizzard. Er marschierte zusammen mit Strezzo auf die Siedlung zu. Dabei ging er mitten durch die Gruppen der fremdartigen Wesen hindurch, die tatenlos auf der Ebene standen. Die Moosons veranlaßten immer wieder einige von ihnen, sich abzuwenden und zu entfernen. »Warum jagen sie nicht alle auf einmal in die Flucht?« fragte Strezzo. »Das wäre doch viel besser.« Grizzard machte einen respektvollen Bo gen um ein schlangenähnliches Wesen. »Vielleicht können sie sie so besser kon trollieren«, sagte er. »Ich weiß es nicht. Wir werden die Moosons fragen.« Er erreichte die Siedlung. Die Männer, Frauen und Kinder saßen oder lagen auf dem Boden. Sie blickten ins Leere. Auf Grizzard wirkten sie wie Puppen. Er sprach einige von ihnen an, erhielt je doch keine Antwort. Einer der Moosons kam zu ihm. Er er kannte Tullam, den Zweifler. »Ich werde dir helfen«, versprach der Mooson. »Wir haben sie voll unter Kontrol le. Ohne uns geht nichts.« »Ich will wissen, wo Kennon ist«, erklärte Grizzard. »Um ihn geht es. Die anderen in
33 teressieren mich nicht.« Einer der Vieräugigen erhob sich plötz lich. Er blickte Grizzard an. Er hatte weißes Haar, das ihm bis fast an die Hüften reichte. »Was kann ich für dich tun?« fragte er. Grizzard wiederholte seine Frage nach Kennon. Wortlos stieg der Vieräugige auf einen Hügel und zeigte nach Westen. Griz zard sah eine humanoide Gestalt, die etwa fünf Kilometer von ihm entfernt war. »Das ist er«, erklärte der Weißhaarige. »Er entkommt uns nicht«, teilte Tullam durch den Mund Strezzos mit. Kennon verschwand hinter einer Boden welle. »Wenn wir uns beeilen, haben wir ihn noch vor Einbruch der Dunkelheit«, sagte Grizzard. »Wir wollen keine Zeit verlieren.« Tullam versetzte den Vieräugigen wieder in Trance und rief die anderen drei Moosons herbei. »Wir könnten ihn mit unseren geistigen Kräften einfangen«, sagte er zu Grizzard. Dieser schüttelte den Kopf, nachdem Strezzo die Worte übermittelt hatte. »Wir holen ihn ein«, erwiderte er. »Das ist jetzt kein Problem mehr. Ich will ihn vor mir haben, wenn wir ihn packen.«
* Kennon blieb vor dem Eingang einer Höhle stehen. Aus dem Dunkel kam ihm ein stabförmiges Wesen entgegen. Es war etwa anderthalb Meter hoch und schwebte auf ei nem blau schimmernden Energiefeld. Das obere Ende des Rumpfes verschwand im Nichts. Kennon blickte es verwirrt an. Er glaubte, einer optischen Täuschung zum Opfer zu fallen. Doch als das Wesen nur noch etwa zwei Meter von ihm entfernt war, sah er, daß er sich nicht geirrt hatte. Was auch immer sich über dem stabförmigen Rumpf erhob, es war nicht zu sehen. So konnte der Terra ner nicht feststellen, ob sein Gegenüber einen Kopf oder Arme hatte. Das obere En de des Stabes wurde allmählich transparent
34 und schien ins Nichts hineinzureichen. »Komm herein«, sagte das seltsame We sen in einer Sprache, die Kennon jedoch mü helos verstand, ohne sie einordnen zu kön nen. »Die Moosons sind dir auf den Fersen. Du kannst ihnen nicht entkommen. Es sei denn, daß wir dir helfen.« »Danke«, entgegnete Kennon. »Ich wäre dir dankbar für deine Hilfe.« Das Stabwesen wich zurück. Er folgte ihm, plötzlich schloß sich die Felswand hin ter ihm. Verblüfft drehte er sich um und blickte auf das Gestein. Es sah aus, als sei es schon seit Jahrtausenden dort. »Wer bist du?« fragte Kennon. »Man nennt mich Sthoron«, antwortete der Stab. »Laß dich nicht täuschen. Das ist nur ein optischer Trick. Die Moosons halten wir damit nicht zurück.« Sthoron schwebte lautlos in einen schräg in die Tiefe führenden Gang hinein. Das Energiefeld, auf dem er sich bewegte, ver breitete soviel Licht, daß Kennon genügend sehen konnte. Er folgte dem geheimnisvol len Wesen. »Warum hilfst du mir?« fragte er. »Ich hasse die Moosons«, antwortete Sthoron. »Genügt das?« »Vorläufig – ja. Später würde ich gern mehr wissen.« »Du wirst mehr erfahren. Vielleicht.« Der Felsstollen mündete in eine Höhle, an deren Wandungen leuchtende Scheiben klebten. Sie pulsierten und strahlten ein bläuliches Licht aus, in dem Kennon eine Reihe von einfachen Hütten ausmachte, die um einen unterirdischen Bach errichtet wa ren. Vor ihnen brannten offene Feuer, über denen die Bewohner der Hütten Fleisch gar ten. Es waren humanoide Gestalten, die vor den Hütten saßen. Die meisten von ihnen glaubte Kennon als Dalazaaren einstufen zu können. Doch als er sie aus der Nähe sah, merkte er, daß er sich getäuscht hatte. Sie hatten nicht zwei Augen wie die Dalazaaren, sondern eine Vielzahl von facettenartigen Gebilden, die ihr ganzes Gesicht bedeckten. Sthoron verharrte vor einem der Feuer.
H. G. Francis »Nimm Platz«, forderte er Kennon auf. Dieser setzte sich, blickte jedoch voller Unbehagen zu dem Felsgang hinüber, durch den er in die Höhle gekommen war. Er er wartete, dort Grizzard oder die Moosons zu sehen. »Du bist in Sicherheit«, behauptete das stabförmige Wesen. »Die Moosons werden nicht kommen. Sie wissen nicht, wo du bist.« Kennon wollte eine Frage stellen, doch Sthoron fuhr fort: »Diese Männer lenken die Moosons von uns ab. Und die Decke über uns hilft ihnen dabei. In ihr verbirgt sich ein Mineral, das die Moosons mit ihren geisti gen Kräften offenbar nicht durchdringen können.« Kennon blickte überrascht auf. Ihm war kein Material bekannt, das gegen parapsy chische Kräfte abschirmte. »Dann kennst du die Moosons schon län ger«, sagte er. »Du weißt, wer sie sind.« »Ich weiß es«, erwiderte Sthoron. »Sie haben lange auf Kosten meines Volkes ge lebt. Sie haben uns ausgelaugt, so daß für uns selbst nichts mehr blieb. Mit ihren be sonderen Fähigkeiten haben sie mein Volk unterjocht und gezwungen, ausschließlich für sie zu arbeiten, bis eines Tages Pthor auf unserem Planeten erschien und den Schrecken noch steigerte.« Kennon schwieg und wartete ab. Er wußte nicht, ob Sthoron die Wahrheit sagte. Er zweifelte, da unklar blieb, wie die Moosons auf die Heimatwelt des stabförmigen We sens gekommen waren. Einige Minuten verstrichen, dann fuhr Sthoron fort und gab Kennon eine Antwort auf die unausgesprochene Frage. »Ein Raumschiff landete auf Thol. Die vier Moosons wurden von Maschinen her ausgetragen. Wir haben es beobachtet. Wir dachten, sie seien tot, aber wir irrten uns. Als das Raumschiff wieder startete, begann für uns der Alptraum: Ich glaube, die Moo sons sind von einer fremden Macht von ih rem Planeten entführt worden, die erst nach dem Start merkte, mit wem sie sich da ein
Mit den Kräften des Geistes gelassen hatte. Wahrscheinlich wähnte sich diese Macht während des Raumflugs in großer Gefahr. Daher hat sie die Moosons kurzerhand hinausgeworfen.« »Das hört sich plausibel an«, entgegnete Kennon. »Aber was soll jetzt geschehen? Die Moosons werden mich weiterhin su chen. Grizzard gibt nicht so ohne weiteres auf. Er hat gesehen, daß ich in eine Boden falte gegangen, aber nicht wieder daraus hervorgekommen bin. Früher oder später wird er mir folgen.« »Er wird dich nicht finden.« Das Energie feld, auf dem Sthoron schwebte, veränderte seine Farbe und wurde violett. »Das bringt ihn in Schwierigkeiten. Die Moosons wer den an ihm zweifeln.« Damit verriet das stabförmige Wesen, daß es so gut wie alles über Grizzard und seine Abmachungen mit den Moosons wußte. Kennon stellte keine Fragen. Er ahnte längst, worauf sich die Macht Grizzards über die hamsterähnlichen Wesen gründete. Es konn te nur daran liegen, daß er mentalstabilisiert war und sich damit dem Einfluß der Moo sons entzog. Daraus ergaben sich für Ken non weitere Konsequenzen. Grizzard kannte nun einen der Vorzüge des Kennonkörpers und wußte ihn zu nutzen. Doch das war kein Grund für ihn, sich mit diesem Körper abzu finden. »Habt ihr euch nicht gegen die Moosons gewehrt?« fragte Kennon. »Das haben wir getan. Wir haben sogar einen Krieg ihretwegen geführt. Wir haben herausgefunden, daß die Moosons Schlan gen für göttliche Wesen halten, wobei es ei ne Reihe von Gottheiten mit unterschiedli cher Bedeutung für sie gibt. In unserem Lan de gab es keine Schlangen. Deshalb mußten wir sie aus einem anderen holen. Das aber war nicht ohne Krieg möglich. Als wir die Schlangen hatten, haben wir sie den Moo sons gezeigt. Sie änderten ihr Verhalten. Sie taten, was wir wollten. Leider ertrugen die Schlangen unser Klima nicht. Sie starben bald, und die Moosons gerieten wieder au ßer Kontrolle.«
35 »Ich verstehe«, sagte Kennon. Er lächelte. »Damit willst du mir sagen, daß ich versu chen soll, eine Schlange zu finden. Ich soll sie den Moosons zeigen. Damit hätte ich dann schon fast gewonnen.« »Danach brauchtest du nur noch mit Griz zard fertig zu werden. Die Moosons werden untätig bleiben, oder sie werden auf ihre In sel flüchten, auf der sie vor Schlangen sicher sind.« »Wieso sollten sie flüchten?« fragte Ken non überrascht. »Zuweilen lebt es sich ohne Gottheit bes ser«, antwortete das stabförmige Wesen.
7. Grizzard blieb stehen. Überrascht blickte er sich um. Er stand am Rand einer Senke, die etwa zehn Meter tief war, und die nichts enthielt außer einigen Steinen. »Wo ist er geblieben?« fragte er und dreh te sich nach den Moosons um. Die setzten sich hinter ihm auf den Boden. »Wir wissen es nicht«, antworteten sie durch den Mund Strezzos. »Er müßte hier sein. Hier haben wir ihn verloren.« »Hier ist er aber nicht«, erwiderte Griz zard gereizt. Er eilte bis auf den Grund der Senke die einen Durchmesser von etwa fünfzig Metern hatte. Nervös suchte er den Boden nach Spu ren ab. Die Moosons wollten ihm folgen, doch er wies sie zurück, da er fürchtete, daß sie die Fußabdrücke Kennons zerstören wür den. Im feinen Sand zeichnete sich ohnehin kaum etwas ab, da ein leichter Wind die Spuren verwehte. So blieben Grizzard nur wenige Anzeichen. Er konnte zu wenig durch die Schlitze seiner Rüstung sehen und kroch aus ihr hervor. Wenig später schon entdeckte er einen Grashalm, der abgeknickt war. Aus seiner Form leitete er eine Spur ab. Zu seiner eige nen Überraschung fand er zwei Abdrücke, die er vorher übersehen hatte. Und wieder um zog er aus ihnen Schlüsse, auf die er frü her nie gekommen wäre.
36 Verdutzt verharrte er auf der Stelle. Er hatte nie ein kriminalistisches Talent gehabt. Jedenfalls erinnerte er sich nicht daran. Doch das hatte nur wenig zu bedeuten. Seine Vergangenheit lag für ihn im Dunkel, und nur vereinzelt gab es Lichtblicke. »Was ist los? Warum machst du nicht weiter?« rief Strezzo. Grizzard fuhr zusammen. Mit einer Geste gab er dem Piraten zu verstehen, daß alles in Ordnung war, und daß er ihn nicht stören sollte. Er kroch über den Boden an der Spur entlang, bis er vor einem Felsen kauerte, der mehrere Meter hoch war. Hier endete die Spur. »Komm mal her«, befahl Grizzard. Strez zo gehorchte. Er eilte zu ihm. »Glaubst du, daß Kennon auf den Felsen geklettert ist?« fragte Grizzard und richtete sich auf. »Wozu sollte er das getan haben?« Strez zo stieg an dem Felsen hoch, entdeckte nichts Besonderes an ihm und kam wieder herunter. »Dann ist er in den Felsen gegangen.« Der Pirat schüttelte den Kopf. »Du machst dich über mich lustig«, sagte er. Grizzard kehrte zu seiner Rüstung zurück und stieg hinein. Dabei rief er die Moosons zu sich. »Was ist mit dem Felsen los?« fragte er. »Wir sind uns darüber nicht einig«, erwi derte Tullam. »Uson glaubt, daß er gar nicht da ist, aber das stimmt nicht. Er ist da.« Grizzard überlegte kurz. Dann marschier te er zu dem Felsen, holte aus und schlug die rechte mit voller Kraft dagegen. Das Gestein brach auseinander, und ein Höhleneingang wurde frei. Die Moosons schrien auf. »Wir haben ihn«, rief Strezzo. »Er ist da drinnen.« Grizzard schlug abermals zu und entfernte weitere Felsbrocken. Dann stieg er über ei nige Steine hinweg und betrat den Spalt, der sich vor ihm aufgetan hatte. Strezzo folgte ihm. Die Moosons blieben zurück. Für sie
H. G. Francis war der Stollen im Fels zu eng. Grizzard blieb stehen und blickte zu ihnen zurück. »Wenn er wirklich irgendwo hier unten ist, dann versucht er vielleicht, durch eine andere Öffnung zu entkommen. Stellt euch oben auf der Anhöhe auf, von wo ihr einen guten Überblick habt, und packt ihn, wenn er sich sehen läßt. Er darf nicht noch einmal entkommen.« »Du kannst dich auf uns verlassen«, erwi derte Metax unterwürfig. Er ging soweit, Strezzo, der seine Worte übermittelte, zu mehreren Verbeugungen zu zwingen. Grizzard eilte nun in den Felsstollen. Er spürte, daß er dicht vor dem Ziel war. Ken non war in eine Falle gelaufen, aus der es keinen Ausweg mehr für ihn gab. Er zitterte vor Erregung. Dieses Mal wür de ihm niemand mehr in die Quere kommen. Er würde Kennon mit Hilfe der Moosons aus seinem Körper vertreiben und ihm keine Chance geben, ihn zurückzugewinnen. »Da vorn ist jemand«, flüsterte Strezzo ihm zu. »Hörst du? Sie schreien.« Tatsächlich vernahm Grizzard die Schreie von fremdartigen Wesen. Sie waren schrill und zeigten ihm an, daß man ihn bemerkt hatte. Er stürmte noch schneller voran als bisher. Als sich die Höhle vor ihm weitete, ent deckte er Kennon, der vor ihm zurückwich und über eine in den Stein geschlagene Treppe flüchten wollte. Ein stabförmiges Wesen glitt Grizzard-Porquetor entgegen. Etwa zehn humanoide Gestalten folgten ihm. »Sei vorsichtig«, rief Strezzo, der hinter ihm blieb. Grizzard marschierte furchtlos weiter. Er fühlte sich in seiner Rüstung sicher. Das stabförmige Wesen bildete einen Arm. Diesen streckte es dem Gepanzerten entgegen. Grizzard holte mit dem linken Arm aus und schmetterte ihn kraftvoll gegen das seltsame Geschöpf. Er fürchtete, damit wenig zu erreichen, weil der Stab keinerlei Anstalten machte, dem Hieb auszuweichen.
Mit den Kräften des Geistes Doch dann traf seine Hand den schlanken Körper und schleuderte ihn hinweg. Griz zard beobachtete, daß der Stab etwa zehn Meter entfernt von ihm gegen die Wand flog, auseinanderbrach und zu Boden stürz te. Die humanoiden Gestalten zögerten. Mit offensichtlichem Entsetzen blickten sie zu dem getöteten Stab hinüber. Sie sahen, wie das blaue Energiefeld sich verfärbte und all mählich erlosch. Grizzard wartete. Er wollte nicht angrei fen, bevor sicher war, daß man sich ihm ent gegenstellte. Doch plötzlich schrien die Humanoiden wütend auf und warfen sich auf ihn. Grizzard steuerte die Porquetorrüstung. Die stählernen Arme wirbelten durch die Luft. Die Fäuste trafen und fegten die Geg ner hinweg. Doch diese rafften sich immer wieder auf und griffen erneut an. Strezzo hatte einen Knüppel gefunden. Diesen ließ er über dem Kopf kreisen und schlug damit zu, sobald sich einer der Höh lenbewohner in seine Nähe wagte. Grizzard marschierte voran. Er sah Ken non am Ende der Treppe stehen und warten. Der Terraner schien zu glauben, daß sich der Kampf doch noch wenden könne. Er gab den Höhlenbewohnern noch Chancen. Seine Haltung steigerte den Zorn Grizzards. Wuchtig schlagend bahnte er sich seinen Weg durch die Höhle. Er nahm keine Rück sicht mehr und versuchte, seine Fäuste so einzusetzen, daß seine Gegner kampfunfähig wurden. Es gelang ihm, mehrere so zu tref fen, daß sie bewußtlos liegen blieben. Kennon eilte die Treppe hinab auf Griz zard zu, als sich einige Männer an die Rü stung hängten und versuchten, sie umzustür zen. Es gelang ihnen nicht. Der Terraner rannte zu einem Feuer, über dem an einem Eisengerät ein Topf hing. Er nahm ihn an sich und schüttete Grizzard den kochenden Inhalt entgegen, erzielte damit jedoch kei nerlei Wirkung. Strezzo schleuderte ein Stück Holz nach ihm, verfehlte ihn jedoch knapp. Kennon
37 flüchtete zu einem Holzstapel. Er ergriff einen Baumstamm, der etwa zwei Meter lang war. Damit stürmte er auf Grizzard zu. Er rammte ihm den Baumstamm vor die Brust. Die Porquetorrüstung neigte sich nach hinten. Kennon holte erneut aus, um sie end gültig umzustoßen. Er wußte, daß darin sei ne einzige Chance lag. Strezzo erkannte die Gefahr. Er warf sich von hinten mit aller Kraft ge gen Grizzard und fing ihn auf diese Weise ab. Die Rüstung richtete sich wieder auf. Kennon wich zurück. Er hörte, daß Grizzard in seiner Rüstung höhnisch lachte. Die Höhlenbewohner warteten ab. Sie hatten die Kraft des Stählernen gespürt. Jetzt war ihnen nur recht, wenn Kennon allein versuchte, den Kampf zu entscheiden. Der Terraner wies auf Strezzo. »Haltet mir ihn vom Leib«, rief er. Doch sie verstanden ihn nicht. Tatenlos sahen sie zu, als Strezzo und Grizzard gemeinsam an griffen. Kennon sprang zur Seite. Er hielt den Baumstamm noch immer in den Armen. Als Grizzard auf ihn zurannte, stieß er ihm das Holz zwischen die Beine. Er hoffte, daß der Stählerne darüber stolpern werde. Doch er irrte sich erneut. Der Baumstamm zersplitterte, ohne daß Grizzard sein Marschtempo verringerte. Kennon rettete sich mit einem Sprung an ihm vorbei. Grizzard reagierte nicht schnell genug, aber der Pirat hieb ihm die Faust in den Nacken. Kennon stürzte zu Boden Strezzo warf sich über ihn, kam jedoch zu spät. Der Terraner wälzte sich zur Seite und empfing ihn mit einem geschickt angesetz ten Hieb. Er traf den Piraten am Hals und betäubte ihn. Grizzard fuhr herum. Kennon raffte sich auf und flüchtete in die Höhle hinein. Griz zard folgte ihm. Der Terraner nahm allerlei Gegenstände vom Boden der Höhle auf und schleuderte sie auf die Rüstung, obwohl er damit kaum etwas erreichte. »Helft mir doch«, rief er den Vieläugigen zu, doch sie standen wie gelähmt da und ta
38 ten nichts. Kennon rannte in der Höhle hin und her. Er suchte nach einer Flüssigkeit, mit der er die Sehschlitze der Rüstung verschmieren konnte. Darin sah er seine letzte Chance. Wenn Grizzard nichts mehr sehen konnte, war er hilflos. Als Grizzard dichter und dichter an ihn heranrückte, entdeckte Kennon endlich einen Topf mit einer dunklen Flüssigkeit. Er wollte nach dem Gefäß greifen, als sich ihm die Höhlenbewohner plötzlich in den Weg stellten. Er wollte sie zur Seite stoßen, doch sie wichen nicht. Kennon flüchtete zur Treppe. Verzweifelt blickte er sich in der Höhle um. Er stand völlig allein. Nirgendwo lag et was, was er als Waffe gegen Grizzard und Strezzo hätte einsetzen können. »Jetzt erwischen wir ihn«, sagte der Pirat, wobei er sich der Treppe näherte. »Ich blei be hier unten, damit er nicht ausweichen kann. Geh du die Treppe hoch.« Porquetor-Grizzard antwortete nicht. Die Rüstung marschierte klirrend auf die Treppe zu. Kennon wich zurück. Er wußte nicht, wohin die Treppe führte, aber ihm blieb kein anderer Ausweg mehr. Als er das Ende der Treppe erreicht hatte, sah er, daß ein Felsgang schräg nach oben führte. Leuchtende, quallenähnliche Wesen klebten am Gestein und verbreiteten ein we nig Licht. Ein Holzfaß stand wenige Schritte von ihm entfernt in einer Felsnische. Einer plötzlichen Idee folgend, rannte Kennon zu ihm hin und stürzte es um. Es war so schwer, daß er es kaum bewegen konnte. Einige Meter von Kennon entfernt erschi en Grizzard im Gang. Der Terraner stieß das Faß an. Es rollte über den abfallenden Bo den auf die Rüstung zu. Strezzo schrie warnend auf. Grizzard er kannte die Gefahr ebenfalls. Wenn das Faß ihn traf, würde es ihn von der Treppe stoßen und in die Tiefe schleudern. Er lief dem Faß entgegen, holte aus und wuchtete das rechte Bein dagegen. Mit ei-
H. G. Francis nem ohrenbetäubenden Krachen zerbrach das Holz, und eine alkoholische Flüssigkeit schoß aus der Öffnung hervor. Die Höhlen bewohner schrien auf. Sie lösten sich aus ih rer Starre und griffen an. Es schien, als habe sie dieser Verlust schwerer getroffen als der Tod des stabförmigen Wesens. Strezzo flüchtete entsetzt die Treppe hoch zu Grizzard. Dieser erkannte die Gefahr und wandte sich den Höhlenbewohnern zu, die sich mit allerlei Gegenständen bewaffneten. Kennon stürmte den Gang hoch. Er glaub te, in der Senke wieder ins Freie zu kom men, in der er auf das stabförmige Wesen gestoßen war. Doch der Gang fiel plötzlich wieder ab und führte in die Tiefe. Neue Hoffnung kam in ihm auf. Hin und wieder blieb er stehen und horchte, doch weder von Grizzard noch von Strezzo war etwas zu hö ren. Kennon war sich darüber klar, daß irgendwo über ihm die vier Moosons auf ihn war teten. Einige Male glaubte er zu fühlen, daß sie mit ihren geistigen Kräften nach ihm griffen, doch geriet er nicht in ihren Bann. Schließlich stieg der Gang wieder an, und dann wehte Kennon ein kühler Wind ins Ge sicht. Er trat ins Freie hinaus. Es war dunkel. Die Nacht war hereingebrochen. Kennon atmete auf. Er glaubte, Grizzard entkommen zu sein. Er wartete ab, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, dann ging er langsam weiter. Hin und wieder verharrte er unter einem Baum oder in der Nähe eines Felsens. Dann wartete er einige Minuten lang und konzentrierte sich mit allen Sinnen auf seine Verfolger, doch nichts wies darauf hin, daß sie noch da waren. Es schien, als habe die Nacht Grizzard und seine Helfer verschluckt. Kennon sagte sich, daß er nicht weiter in die Senke der Verlorenen Seelen eindringen durfte, sondern versuchen mußte, zur FE STUNG zurückzukehren. Er glaubte, nach Südosten zu gehen, war sich dessen jedoch nicht sicher. Einige Male vernahm er Schreie hinter
Mit den Kräften des Geistes sich. Sie hallten durch die Nacht. Sie hörten sich an, als ob sie von jemanden kämen, der ihn verfolgte. Als Kennon etwa eine Stunde lang gelau fen war, wuchs die dunkle Wand eines Waldes vor ihm auf. Ratlos blieb er stehen. Er war sich darüber klar, daß es ein tödlicher Fehler gewesen wäre, mitten in der Dunkel phase in den Wald einzudringen. In der Sen ke wimmelte es von fremdartigen Wesen, die alle das gleiche Problem hatten. Sie hat ten Hunger. Viele der Fremden hatten eine völlig andere Mentalität als er. Daher mußte er damit rechnen, überfallen zu werden. In übersichtlichem Gelände konnte er sich be haupten, nicht aber im Wald, in dem er nur blind herumtastete. Er lief eine Weile am Rand des Waldes entlang, bis ihm bewußt wurde, daß er nicht mehr wußte, wohin er sich eigentlich wand te. Da er keinen Anhaltspunkt hatte, konnte er die Richtung nicht feststellen. Da er sich nicht restlos verirren wollte, setzte er sich in den Sand und wartete. Langsam verstrich die Nacht. Aus dem Wald hallte eine Vielzahl von fremdartigen Geräuschen zu ihm herüber. Er hörte die To desschreie von kleinen Tieren und das dro hende Gebrüll großer Räuber. Hin und wie der verspürte er ein leichtes Zupfen im Kopf. Er wußte es richtig zu deuten. Die Moosons suchten nach ihm. Für ihn war beruhigend, daß sie nicht wußten, wo er war. Sie näherten sich ihm nicht. Daher sah er auch keinen Grund, die Flucht fortzusetzen. Ab und zu legte er sich flach in den Sand und horchte in die Nacht hinaus. Er glaubte, die Nähe anderer Wesen fühlen zu können, doch die Nacht verging, ohne daß ihn je mand bedrohte. Als es dämmerte, erkannte der Terraner, daß er sich in falscher Richtung bewegt hat te. Er war nicht nach Südosten gelaufen, sondern nach Nordwesten. Damit hatte er sich der FESTUNG nicht genähert. Er hatte sich weiter von ihr entfernt und war tiefer in die Senke der Verlorenen Seelen vorgedrun
39 gen. Er befand sich an einem Wald, der un durchdringlich erschien. Das Unterholz wu cherte so dicht, daß es ihm wie eine Wand erschien. Nahezu übergangslos begann ein steppenartiges Gebiet, das mehrere Kilome ter breit war und das nach Südosten hin leicht anstieg. Etwa hundert Meter vom Waldrand ent fernt ragten die Reste eines Glaspalasts über die Baumwipfel hinaus. Kennon beschloß, sich nun wieder nach Südosten zu wenden und so rasch wie mög lich zur FESTUNG zurückzukehren. Er war jedoch kaum hundert Meter weit gegangen, als er sah, wie sich etwa anderthalb Kilome ter von ihm entfernt die vier Moosons aus dem Sand erhoben. Sie hatten flach auf dem Boden gelegen, so daß er sie nicht bemerkt hatte. Erschrocken blieb er stehen. Fast gleich zeitig spürte er, daß etwas nach ihm griff. Es war, als tasteten sich Tausende von haarfei nen Fingern in sein Gehirn. Er schrie ent setzt auf, wandte sich um und flüchtete in den Wald. Er brach in das Unterholz ein, verfing sich in Lianen und Zweigen, kämpfte sich wieder los, fand eine Lücke und wühlte sich weiter voran. Erst als er etwa fünfzig Meter weit gekommen war, fing er sich wieder und überwand die Panik. Er blieb stehen. Licht schimmerte durch die Bäume, das von den Wänden des Glaspalasts reflektiert wurde. Kennon ging langsam weiter. Das Unterholz war hier nicht mehr so dicht, so daß er leichter vorankam. Er sprang über einen Bach hinweg und erstarrte. Dann fuhr er herum und blickte auf das Wasser, in dem er eine Bewegung bemerkt hatte. Eine gelbe Schlange glitt ins Gebüsch. Sie war etwa anderthalb Meter lang. Auf dem Kopf hatte sie einen feuerroten Fleck. Kennon sah seine Chance. Er erinnerte sich daran, was das stabförmige Wesen ihm übermittelt hatte. Die Moosons hatten ein ei genartiges Verhältnis zu Schlangen. Sie sa
40 hen Gottheiten in ihnen, von denen sie eini ge liebten und andere fürchteten. Vorsichtig folgte er der Schlange. Er schob die Füße langsam voran, um so wenig Erschütterungen wie möglich zu verursa chen. Dennoch bemerkte die Schlange ihn. Sie wandte sich ihm blitzschnell zu und griff an. Sie versuchte, ihm die Zähne ins Bein zu schlagen. Kennon sprang zur Seite. Der Schlangen kopf stieß an seinem Bein vorbei. Er packte sie mit beiden Händen dicht hinter dem Kopf, so daß sie ihn nicht beißen konnte. Wütend ringelte sie sich um seine Arme. Sie warf den Kopf hin und her und versuchte, ihn mit den Zähnen zu erreichen, aus denen farbloses Gift tröpfelte. Kennon streckte die Arme aus und hielt sie weit von sich. So schritt er durch den Wald bis hin zum Glaspalast. Abermals hoffte er, sich gegen die Moosons behaupten zu können. Der Glaspalast war weitgehend zerstört. Nur der untere Teil schien noch in Ordnung zu sein. Kennon betrat ihn und setzte sich auf die Stufen einer Treppe. Von hier aus beobachtete er den Wald. Etwa eine Viertelstunde verstrich. Wäh rend dieser Zeit kämpfte die Schlange un aufhörlich um ihre Freiheit. Kennon ließ sie jedoch nicht los. Er fürchtete sich nicht vor Schlangen. Als Kennon schon glaubte, die Moosons hätten die Verfolgung aufgegeben, hörte er es im Unterholz krachen. Wenig später hall ten die Stimmen der Moosons durch den Wald. Und dann blitzte es auf, als Grizzard in seiner Rüstung unter den Bäumen hervor kam. Kennon rieb sich den Handrücken der rechten Hand vorsichtig an der Hose, so daß die Schlange ihn nicht mit ihren Zähnen er reichen konnte. Die Hand juckte. Er führte es zunächst auf die Erregung zu rück. Doch dann sah er, daß beide Hände feuerrot waren. Der Juckreiz wurde von Se kunde zu Sekunde stärker, bis er nahezu un erträglich wurde.
H. G. Francis Kennon erhob sich. Er ging Grizzard und den Moosons entgegen, wobei er die Schlan ge hoch über den Kopf hielt, so daß sie sie sehen konnten. Er preßte die Lippen zusam men. Am liebsten hätte er das Tier weit von sich geschleudert. Er glaubte, daß sie ein Gift verbreitete, das die Hautrötung und den Juckreiz verur sachte. Die Moosons kamen aus dem Wald her vor. Grizzard stand bereits in der Nähe des Glaspalasts ungedeckt neben einem Busch. Die hamsterähnlichen Wesen standen hochaufgerichtet am Waldrand. Sie blickten mit geweiteten Augen auf die Schlange. Kennon triumphierte. Das stabförmige We sen hatte die Wahrheit gesagt. Die Moosons hatten ein besonderes Verhältnis zu Schlan gen. Das Tier, das er in den Händen hielt, verdammte sie offenbar zur Bewegungslo sigkeit. Kennon näherte sich ihnen einige Schritte. Sie wichen scheu vor der Schlange zurück. Grizzard lachte laut und schrill. »Du Narr«, schrie er. »Nicht nur dein Körper hat Geheimnisse. Meiner ebenfalls. Ich erinnere mich deutlich. Ich bin von jeher allergisch gegen Schlangen gewesen. Wirf sie weg, wenn dir dein Leben lieb ist.« Kennon zögerte. Er fühlte, daß seine Beine schwer wurden. »Spürst du es nicht?« fuhr Grizzard fort. »Die Hände jucken. Doch so bleibt es nicht. Der Juckreiz kriecht die Arme hoch. Gleich zeitig röten sie sich. Es wird immer schlim mer. Bald erfaßt es die Brust, den Kopf – den ganzen Körper. Du möchtest dich über all kratzen, doch das hilft nichts. Solange ei ne Schlange in deiner Nähe ist, reagiert der Körper immer heftiger. Die Gefäße erwei tern sich. Der Blutdruck fällt – schließlich brichst du zusammen, und das Herz versagt. Du kannst tun, was du willst, aber du kannst es nicht verhindern. Wirf die Schlange weg, es ist deine einzige Rettung.« »Ich werde es nicht tun«, antwortete Ken non mühsam. Vor seinen Augen tanzten feu rige Lichter. Ihm fiel es immer schwerer,
Mit den Kräften des Geistes sich auf den Beinen zu halten. Er wußte, daß Grizzard die Wahrheit sagte. Er durfte die Schlange nicht länger festhalten. Mit letzter Kraft schleuderte er die Schlange von sich. Sie schlängelte sich da von und verschwand im Gebüsch. Kennon atmete einige Male tief durch. Ihm war, als habe er sich von einer Last be freit, die ihn fast erdrückt hätte. Er blickte auf seine Hände. Die Rötung ging bereits jetzt zurück. Grizzard lachte. Kennon hob den Kopf und sah ihn an. Die Moosons reckten sich. Einer von ih nen kam auf ihn zu. »Nein«, schrie der Terraner. »Laßt mich in Ruhe. Laßt mich.« »Du hast verloren«, teilte Grizzard ihm lachend mit. »In wenigen Minuten wirst du wieder in deinem alten Körper sein. Nie mand wird das jetzt noch verhindern kön nen. Moosons – geht ans Werk.« Aus dem Gebüsch kroch Strezzo hervor. Er blutete aus mehreren Wunden, doch das schien ihm nichts auszumachen. Zufrieden grinsend wiederholte er die Worte für die Moosons. Kennon drehte sich um. Er wollte in den Glaspalast flüchten, doch er kam keine drei Schritte weit. Dann überwältigten ihn die Moosons mit ihren psionischen Energien.
8. »He, wer bist du?« Kennon hatte das Gefühl, tief in seinem Innern getroffen zu werden. Er schlug die Augen auf. Ein blasses Gesicht mit rötlichen Augen beugte sich über ihn. »Meinst du mich, Herr?« »Natürlich. Wen sonst?« »Ich bin Axton … Lebo Axton«, antwor tete er wimmernd. Der andere lachte. »Du also bist Lebo Axton, der Krüppel, der …« Kennon-Axton bäumte sich auf. Er wehrte sich mit aller Kraft gegen das, was auf ihn eindrang.
41 »Nein«, sagte er. »Nein, ich bin nicht Le bo Axton. Ich bin Kennon. Ich bin kein Krüppel. Ich bin …« Der Arkonide stieß ihm den Fuß in die Seite und warf ihn zurück. Kennon-Axton blickte haßerfüllt zu ihm auf. »Verschwinde«, sagte der Arkonide. »Niemand will dich sehen. Du bist ein Dieb. Niemals zuvor hat jemand ein derart ab scheuliches Verbrechen begangen wie du.« Kennon-Axton richtete sich mühsam auf. Er saß in einer Pfütze, und die Hände, mit denen er sich abstützte, versanken im Schlamm. »Ich habe kein Verbrechen begangen. Ich habe meinen Körper verloren und einen an deren gewonnen, aber ich selbst habe nichts dazu getan. Es geschah, ohne daß ich es wollte.« »Du lügst.« Der Arkonide stieß ihn zu rück. Kennon-Axton fiel in die Pfütze. Er versank immer tiefer in ihr. Vergeblich ver suchte er, an ihre Oberfläche zurückzukeh ren. So sehr er auch mit den Armen und Bei nen ruderte, es half ihm nichts. Das Wasser war grundlos. Allmählich wurde es dunkel um ihn, aber dennoch glaubte er, sich schreien zu hören. Doch als er schon meinte, ersticken zu müssen, wurde es schlagartig hell. Sein Ge sicht federte hoch. Kennon fühlte, daß ein warmer Wind über sein Gesicht strich. Vor ihm erhob sich eine etwa vier Meter hohe Gestalt. Sie hatte eine gewisse Ähn lichkeit mit einem Hamster. Aus großen, feuchten Augen blickte sie ihn an. Dieb! hallte es in ihm. Verschwinde. Keh re endlich in deinen Körper zurück. Kennon blickte zur Seite. Er sah die Por quetor-Rüstung, die am zertrümmerten Ein gang des Glaspalastes stand. Neben ihr kau erte Grizzard in dem verwachsenen Kennon körper auf dem Boden. Das schüttere Haar fiel ihm in die Stirn. Heftig zuckte das linke Lid. Kennon streckte die Arme aus. Er wollte etwas sagen, aber seine Stimme versagte.
42 Hinter Grizzard schien sich eine grüne Ne belwand zu erheben. Der Terraner konnte es nicht genau erkennen. Aus ihr traten drei weitere Moosons hervor. Ihre Blicke richte ten sich auf ihn. Dieb! Kennon fühlte, daß ihn etwas traf. Ein glühendheißer Dorn schien durch seinen Körper zu fahren. Er stürzte zu Boden, und vor seinen Augen wurde es vorübergehend dunkel. Dann schien der Boden unter ihm zu weichen. Er schien sich aufzulösen. Der Ab stand zwischen den Molekülen schien weiter und weiter zu werden, weil mehr und mehr Moleküle im Nichts verschwanden. Kennon suchte vergeblich nach Halt. Er versank in bodenloser Tiefe. Er hörte die Stimme Grizzards, die sich von ihm entfernte und dennoch verständlich blieb. »Weiter«, rief Grizzard. »Geht weiter zu rück, bis ihr ihn habt. Dann laßt nicht locker. Vertreibt ihn.« Kennon wußte nicht, was er meinte. Er fürchtete sich. Eisige Kälte durchdrang ihn, und irgend etwas zerrte an ihm, bis Schmer zen seinen Körper durchfluteten. Ihm war, als wolle ihn irgend etwas auseinanderrei ßen. Verzweifelt suchte er nach einem Halt. Plötzlich wähnte er sich wieder auf der Flucht von Lepso. Voller Entsetzen erkannte er, daß er sich dem Schlüsselerlebnis seiner Existenz näherte. Mit aller Kraft wehrte er sich dagegen, doch die Moosons trieben ihn unerbittlich voran. Er sah sich in der Space-Jet, in der er von Lepso flüchten wollte. Ein Medorobot des Raumschiffs verabreichte ihm eine kreis laufstabilisierende Injektion. Kennon hatte dieses Raumschiff nur einmal inspiziert. Da nach hatte er es jahrelang nicht mehr betre ten, um auf keinen Fall eine Entdeckung zu riskieren. Die Korpuskulartriebwerke liefen an. Der Robotpilot war für den Fluchtfall program miert. Wenn jemals ein USO-Spezialist über die Transmitterverbindung ankam, erfolgte ein sofortiger Notstart.
H. G. Francis Transmitter aber erzeugten Hyperwellen schocks, die leicht angepeilt werden konn ten. Das war nicht zu vermeiden. Kennon wußte, daß er sich in trügerischer Sicherheit befand. Wäre er auf einem anderen Weg in das Raumschiff gekommen, hätte er sich für lan ge Zeit darin verbergen können, ohne eine Entdeckung befürchten zu müssen. Er hätte einen günstigen Augenblick für den Start ab warten können. Jetzt mußte er starten, während auf Lepso die Alarmsirenen heulten. Er zweifelte nicht daran, daß die Gegenseite sich nun auf die Schockkurve einpeilte. Er schleppte sich in die Zentrale. Dort legte ihm ein Roboter einen Raumanzug an. Notstarts von Lepso waren und blieben ge fährlich, denn im freien Raum standen die schnellen Überwachungskreuzer des SWD. Deren Sperriegel mußte er erst einmal durchbrechen. Das Rumoren der Triebwerke steigerte sich zu einem dumpfen Donner. Die SpaceJet löste sich vorn Grund des Ozeans und stieg langsam in die Höhe. Als die ersten Lichtstrahlen das trübe Wasser durchdran gen, lag Kennon in einem Kontursessel hin ter der Zentralkontrolle. Die Jet stieß aus dem Wasser hervor und beschleunigte mit höchsten Schubwerten. Die Atmosphäre des Planeten Lepso wur de aufgerissen. Die Jet raste mit der hundert fachen Mündungsgeschwindigkeit einer al tertümlichen Schiffsgranate davon. Wilde Luftturbulenzen entstanden. In ihnen vergin gen vier anfliegende SWD-Gleiter. Sie wur den von den ins Vakuum einbrechenden Or kanböen erfaßt, mitgerissen und anschlie ßend zu Boden geschleudert. Kennon bemerkte kaum etwas von den Explosionen. Er sah die Stichflammen auf dem Hauptbildschirm aufzucken. Die SpaceJet raste mit überhöhter Geschwindigkeit in den freien Raum hinaus. Lepso wurde zur Halbkugel. Das Eintauchmanöver in den Linearraum würde den Kalupschen Kompensationskon
Mit den Kräften des Geistes verter bis zur Maximalleistung belasten. Es sollte bei viel zu geringer Anlauffahrt erfol gen, um die Jet möglichst schnell in den si cheren Schutz der Linearzone zu bringen. Als die Jet eine Geschwindigkeit von sie bentausend Kilometern pro Sekunde erreicht hatte, eröffneten zwei Wachkreuzer des SWD das Feuer aus ihren schweren Thermo kanonen. Kennon fühlte den harten Einschlag und die sengende Hitze, die plötzlich nach sei nem Raumanzug faßte. Glut – sonnenhelle Glut verbrannte seinen Körper. Er tauchte in eine Sonne, in der es nichts gab als unerträgliche, vernichtende Hitze. Er wollte schreien, aber er konnte nicht, denn seine Lippen, seine Zunge, die Luftröhre und die Lunge verwandelten sich in Asche … Und dann schrie er doch. Er schrie, daß ihn die Lungen schmerzten. Der Schock, den er beim Verlust seines Körpers erlitten hatte, traf ihn erneut mit verheerender Wucht. Kennon spürte, daß er sich von seinem Körper löste. Er verlor jeglichen Halt. Die psionischen Energien, die aus den Gehirnen der Moosons auf ihn herabfluteten, peitschten ihn aus dem Körper Grizzards heraus, trieben ihn weiter und weiter von ihm fort. Kennon wurde sich dessen bewußt, daß es nichts mehr gab, was ihn auffangen würde. Dieses Mal war kein Medoroboter da, der das Leben in seinem Gehirn erhielt. Nir gendwo wartete ein Team von Ärzten dar auf, sein Leben in einen anderen Körper ein zupflanzen. Das Nichts öffnete sich vor ihm. Der Schock war noch größer als jener, den er erlitten hatte, als er von Lepso geflo hen war. Doch dieses Mal stürzte er nicht in eine Krise. Die Gewißheit, vor dem sicheren En de zu stehen, mobilisierte alle in ihm woh nenden Kräfte. Sinclair Marout Kennon kämpfte gegen die Energien an, die ihn aus dem Körper Grizzards vertreiben wollten.
43
* Atlan blickte unwillig auf den Mann, den ein Dello zu ihm hereingeführt hatte. »Was gibt es denn?« fragte er. »Ich habe zu tun.« Er wurde sich dessen bewußt, daß der Dello es nicht gewagt hätte, ihn zu stören, wenn es nicht wichtig gewesen wäre. Gleichzeitig merkte er, daß er sich allzu sehr von seiner Arbeit hatte einspannen lassen. »Es tut mir leid«, sagte er. »Sicherlich ist es wichtig, was du mir zu berichten hast.« »Dieser Mann hat eine Botschaft für dich«, erwiderte der Androide und wies auf den Fremden, den er hereingeführt hatte. Der Mann kleidete sich in weiße Felle. Er hatte langes, weißes Haar und buschige Au genbrauen, in denen Atlan winzige Augen bemerkte. »Ich komme von Kennon«, eröffnete ihm der Fremde. »Mein Name ist Dartun.« »Was ist mit Kennon?« fragte der Arkoni de ungeduldig, als Dartun nicht weiter sprach. »Er ist in Gefahr.« Wiederum schien der Weiße der Ansicht zu sein, genug verraten zu haben. Atlan verschränkte die Arme vor der Brust. Gelassen blickte er Dartun an und wartete darauf, daß er fortfahren würde. Doch Dartun dachte nicht daran. Der Arkonide lächelte. »Du willst also ein Geschäft mit mir ma chen«, stellte er fest. »Kennon ist in Gefahr. Du willst eine Information verkaufen. Na schön. Das kann ich dir nicht verbieten. Du kannst dich in der FESTUNG umsehen. Vielleicht findest du irgend jemanden, der sich bereit erklärt, dir etwas für deine Infor mation zu geben.« Mit einer Handbewegung gab er ihm zu verstehen, daß er den Arbeitsraum verlassen sollte. Der Dello griff nach dem Arm Dar tuns. Dieser schüttelte ihn ärgerlich ab. »Kennon ist dein Freund«, rief er Atlan zu.
44 »Sicher ist er das«, antwortete dieser ge lassen. »Und?« »Er ist in Gefahr.« »Das sagtest du schon.« »Er wird sterben«, rief Dartun erregt. »Du wirst ihn nur um einige Minuten überleben.« Der Weiße zuckte zusammen. Mit beiden Händen fuhr er sich über die Augen. »Ich sage die Wahrheit«, beteuerte er dann. »Kennon befindet sich in einer tödli chen Gefahr. Er ist in den Händen der Moo sons, die über Zauberkräfte verfügen. Es geht um Sekunden.« »Um so erstaunlicher, daß du dir soviel Zeit läßt«, entgegnete Atlan. »Ich will ja gar nicht viel von dir«, rief Dartun. »Nur eine Kleinigkeit. Du sollst mich ja nur anhören.« »Geh endlich«, befahl der Arkonide. »Ich habe keine Zeit für einen derartigen Un sinn.« »Wenn ich gehe, stirbt Kennon.« »Es gibt noch eine andere Möglichkeit«, eröffnete ihm Atlan und blickte ihn durch dringend an. »Du könntest ganz schnell er zählen, was los ist und wo Kennon jetzt ist. Wir könnten Kennon helfen, und danach kommen wir dann zu dir und deinem Pro blem.« »Niemals«, antwortete der Weiße. »Führt ihn hinaus.« Zwei Dalazaaren traten hinzu. Sie packten Dartun an den Armen und führten ihn zur Tür. »Du mußt Kennon helfen«, schrie der Weiße Atlan über die Schulter hinweg zu. »Du darfst ihn nicht allein lassen.« »Wenn die Tür sich hinter dir geschlossen hat, hast du deine Chance verpaßt«, erklärte der Arkonide. »Ich werde reden«, beteuerte Dartun. Die Dalazaaren ließen ihn los. Er kehrte zu Atlan zurück. »Versteh doch, Atlan. Ich will dich nicht erpressen, ich möchte nur …« »Wo ist Kennon?« Dartun zuckte wie unter einem Peitschen hieb zusammen. Er wußte, daß er der Per-
H. G. Francis sönlichkeit Atlans nicht gewachsen war. Er kam sich klein und erbärmlich vor. Er wuß te, daß er nachgeben mußte, aber noch woll te er es nicht zugeben. Er wollte einen er neuten Versuch machen, Atlan zu einem Handel zu bewegen, dann aber blickte er ihm in die Augen. Der Atem stockte ihm. Nie zuvor war er einem Mann mit einer der artigen Kraft und Ausstrahlung begegnet. Er gab auf, weil ihm klar wurde, daß er tatsäch lich nur noch verlieren würde, wenn er wei terhin das Spiel spielte, das er begonnen hat te. »Grizzard jagt ihn«, erklärte er niederge schlagen. »Dabei hat er mächtige Verbünde te gefunden. Kennon fürchtet, daß sie in der Lage sind, ihn aus seinem neuen Körper zu vertreiben. Er hat die mächtigsten Kämpfer der Senke um sich versammelt und Grizzard entgegengeworfen, doch vergeblich. Die Moosons haben sie mit ihren Zauberkräften beeinflußt. Sie haben sich in den Sand ge setzt und nichts getan. Dann ist Kennon ge flüchtet. Ich weiß, daß Grizzard und die Moosons ihm gefolgt sind. Er ist ganz allein. Grizzard wird versuchen, ihn aus seinem Körper zu vertreiben oder ihn zu töten.« Atlan ließ sich nicht anmerken, was er dachte. Er zog die richtigen Schlüsse aus den Worten Dartuns. Er wußte, daß mit »Zauberkräften« nur parapsychische Kräfte gemeint sein konnten. »Ich werde ihm helfen«, sagte er. »Wir starten sofort. Unterwegs kannst du mir dann erzählen, was für ein Geschäft du mit mir machen wolltest.« Das Gesicht des Weißen erhellte sich. »Du weißt, was du wissen wolltest«, erwi derte er. »Dennoch interessiert dich mein Problem? Du hast es nicht nötig, darauf ein zugehen.« »Heraus damit«, forderte der Arkonide ihn auf. Er lächelte, während er sich erhob und Dartun zu verstehen gab, daß sie die FESTUNG verlassen würden. »Niemand kann mich erpressen. Das heißt jedoch nicht, daß mir egal ist, was dich bedrückt.«
Mit den Kräften des Geistes
* Sinclair M. Kennon schlug die Augen auf. Vor ihm stand Grizzard, der die Porque tor-Rüstung verlassen hatte. Die kleine, ver wachsene Gestalt beugte sich über ihn und blickte ihn mit wäßrigen Augen an. Das lin ke Lid zuckte unkontrolliert. Grizzard schrie auf. Er fuhr herum und stürzte sich auf einen der Moosons, der eini ge Meter von ihm entfernt stand. Er trom melte mit beiden Fäusten gegen den bepelz ten Leib des Riesen. »Warum verläßt er seinen Körper nicht?« schrie er. »Warum geschieht nicht endlich etwas?« Kennon richtete sich auf. Seine Hände glitten über seine Beine. Er lebte noch im mer im Grizzardkörper. Ihm war es gelun gen, den psionischen Energieschauern zu trotzen. Er hatte sich in dem besseren Kör per behauptet. Lautlos lachend blickte er zu Grizzard hinüber. Dieser erbleichte. Sein Gesicht ver zerrte sich. Er ballte die Hände zu Fäusten und stürzte sich auf ihn, doch Kennon ge lang es mühelos, die schwachen Arme zu halten. »Noch einmal«, schrie Grizzard. »Versucht es noch einmal. Es muß gelingen. Ihr wart schon dicht davor. Ich habe es ge fühlt. Nur ganz wenig hat gefehlt. Ich war schon fast wieder in diesem Körper.« Kennon verspürte einen Schlag. Er flog nach hinten. Sein Herz krampfte sich zusam men. Er schrie auf. Seine Finger krallten sich in die Brust. Er hatte nicht die Absicht gehabt, Griz zard zu verhöhnen. Er hatte nur aus einer unendlichen Erleichterung heraus gelacht. Doch der Schock wirkte noch nach, so daß er sich nicht mehr so in der Gewalt hatte wie zuvor. Er fühlte, daß er zu schwach war, einem weiteren Angriff standzuhalten. Noch ein mal wollte er sich aufbäumen. Er wollte et was sagen, um Grizzard zu beruhigen und
45 Zeit zu gewinnen, doch die Moosons gaben ihm keine Chance. Sie schleuderten ihn in das Nichts. Ken non wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war, als er Stimmen hörte. Er schlug die Au gen auf. Er befand sich in einem mit roten Stoffen ausgeschlagenem Saal. Ihm gegenüber saß ein rothaariger Mann in einem Sessel. Er hatte einen lindgrünen Teint und lange, schlanke Hände. Kennon wußte sofort wieder, wer das war. Cherenas Gortham war einer seiner gefähr lichsten Gegner als USO-Spezialist gewe sen. »Wir wollen uns nicht lange mit dir auf halten«, sagte Gortham. »Deine Verbrechen sind bewiesen. Es steht zweifelsfrei fest, daß du der Täter bist.« »Darf ich fragen, was man mir überhaupt vorwirft?« fragte Kennon. »Wenn ich richtig informiert bin, dann befinde ich mich gerade seit sieben Minuten an Bord der CHRATIS MA. Alles, was ich getan haben könnte, ist, die Luft in diesem Schiff geatmet zu haben.« Gortham legte den Kopf in den Nacken und lachte dröhnend. »Seit wann bist du ein Feigling, Sinclair Marout Kennon?« fragte er. »Ich weiß, daß du ein USO-Spezialist bist. Das genügt. Ich verurteile dich zum Tode. Werft ihn aus der Schleuse.« »Nein«, rief Kennon. »Ein Wort noch.« Der galaktische Waffenhändler gab seinen Helfern mit einer Handbewegung zu verste hen, daß die Verhandlung beendet war und daß er Kennon das Recht eines letzten Wor tes nicht gewährte. Vier Roboter traten auf den Verurteilten zu. Sie richteten ihre Energiestrahler auf ihn. Einer von ihnen zeigte auf das Schott. Kennon gehorchte. Er sah ein, daß es kei nen Sinn hatte, sich jetzt noch zu wehren. Zwischen den Robotern verließ er den Raum. Er schritt über einen Gang bis zu ei ner Schleuse. Hier wartete er, bis sich das innere Schleusenschott geöffnet hatte. Dann betrat er die Schleusenkammer.
46 »Sollen wir ihm nicht noch eins auf den Pelz brennen?« fragte einer der Männer Gor thams, die in der Nähe standen und zusahen, wie das Urteil vollstreckt wurde. »Du bist verrückt«, erwiderte ein anderer und lachte laut. »Kennon fliegt in einer Mi nute ins Weltall hinaus. Er hat keinen Raum anzug. Nur seine Kombination schützt ihn. In spätestens einer Minute ist er mausetot.« »Dennoch sollte man ihn …« »Sei nicht albern. Außerdem hat der Chef diesen Tod für ihn gewählt.« Das Schleusenschott schloß sich hinter Kennon. Hochaufgerichtet stand er in der Schleuse und wartete. Das Raumschiff war etwa vierhunderttausend Kilometer von ei nem Sauerstoffplaneten entfernt. Das äußere Schleusenschott glitt auf. Kennon wurde von der ausströmenden Luft mitgerissen, als die Waffenhändler den Antigravprojektor der Schleusenkammer auf Null stellten. Er wirbelte in den Weltraum hinaus. Innerhalb weniger Sekunden platzte die biologische Maske, die seinen Körper um gab, ab. Nur noch der Stoff der Kombination hielt sie. Seine Kopfhaut schälte sich mit den Haaren ab, und unter der Gesichtsmaske wurde das Gesicht eines Roboters erkenn bar. Sinclair Marout Kennon aktivierte das in seiner Vollprothese verborgene Fluggerät, um sich möglichst schnell von dem Raum schiff der Waffenhändler zu entfernen. Er sah, daß sonnenhelle Glut aus den Abstrahl schächten des Raumers flutete. Es beschleu nigte und verschwand in der Ferne. Kennon stürzte auf den Planeten zu. Ihm war, als wäre nicht nur das biologi sche Material, das ihn umgab, abgestorben, sondern er selbst auch. Er wußte, wo er war. Er kannte seine Situation, aber er schien nicht fähig zu sein, klar zu denken. Er wußte, daß ihm Schlimmeres bevor stand als der Verlust seines Körpers bei der Flucht von Lepso. Noch lebte er. Dabei war er nicht mehr als ein Gehirn, das in einem Robotkörper exi-
H. G. Francis stierte. Doch es lag in seiner Hand, ob er diese er barmungswürdige Existenz fortsetzen oder beenden wollte. Er stürzte auf einen Plane ten zu. Noch war er über dreihunderttausend Kilometer von ihm entfernt, aber die Distanz schmolz schnell dahin. Wenn er nichts tat, würde er in die Luft hülle stürzen und darin verbrennen. Das war dann das Ende. Die Versuchung, nichts zu tun, war groß. Voller Entsetzen dachte er daran, was ihm auf dem Planeten bevorstand. Er wußte, daß diese Welt bewohnt war. Er konnte auf ihr landen, mußte sich dann aber als Roboter durchschlagen, bis es ihm gelang, Verbin dung mit der USO aufzunehmen. Das konn te bedeuten, daß ihm einige qualvolle und demütigende Jahre bevorstanden. Er fühlte, daß er nicht die Kraft hatte, sie durchzustehen. Nichts haßte er mehr als Ro boter. Und jetzt sollte er sich wie eine Ma schine behandeln lassen? Es ist eine Lüge! Es ist eine Täuschung! hallte es in ihm. Irgend etwas in ihm schien zu explodie ren. Plötzlich sah er sein eigenes Gesicht vor sich. Es war das Gesicht des Körpers, in dem jetzt Grizzard lebte. Er sah die wäßri gen Augen, das zuckende Lid, die viel zu große Nase. Mit aller Deutlichkeit wurde ihm bewußt, daß man ihm den Sturz auf den Planeten und in die Hölle endloser Demütigungen als Ro boter suggerierte, um ihn zum Selbstmord in der Lufthülle des Planeten zu verführen. Er schlug um sich. Er glaubte zu sehen, wie die zerbröckelten Reste seiner Körper maske davonflogen. Dann schaltete er das Fluggerät ein, mit dem er den Sturz so kon trollieren konnte, daß er am Ende weich auf dem Planeten landete. Er wollte noch nicht aufgeben. Noch lohnte sich der Kampf. Er hörte einen Schrei. Die Szene wechselte. Es wurde hell. Und wieder sah er das Gesicht Grizzards über sich, das von abgrundtiefem Haß entstellt
Mit den Kräften des Geistes war. Einige Schritte von ihm entfernt stan den die vier Moosons. Er sah ihnen an, daß sie ratlos waren. Grizzard stiegen die Tränen in die Augen. Er richtete sich schluchzend auf. »Du bist abermals gescheitert«, sagte Kennon ohne das geringste Gefühl des Tri umphs. Er fühlte sich schwach, und er hatte Mühe, diese Worte über die Lippen zu brin gen. Grizzard wich vor ihm zurück. »Nun gut«, sagte er leise und stieg in die Porquetor-Rüstung. »Ich bin gescheitert. Du bist zu stark. Die Moosons können dich nicht aus meinem Körper vertreiben. Ich se he es ein.« Er schloß die Rüstung. Einige Minuten verstrichen, in denen Kennon sich ein wenig erholte. »Aber ich will nicht, daß du noch länger in meinem Körper lebst«, fuhr Grizzard fort. »Wenn ich dich schon nicht aus ihm vertrei ben kann, so sollst du auch keinen Genuß mehr an ihm haben. Hört mich, Moosons.« Aus dem Gras richtete sich Strezzo auf. Er wiederholte die Worte Grizzards. Die Moosons wandten sich der Rüstung zu. Sie beugten sich zu ihr herab. »Was sollen wir tun?« fragte Strezzo für sie. »Stellt sein Leben ein«, befahl Grizzard. »Das ist ein Befehl. Ihr werdet gehorchen?« »Wir werden dir gehorchen, Meister«, antwortete Strezzo. »Dann stellt sein Leben ein. Sofort!« Sinclair Marout Kennon erhob sich. Ver wirrt verfolgte er das Gespräch. Er wußte nicht, was Grizzard meinte, bis eine unsicht bare Hand nach seinem Herzen griff. Da erkannte er, daß die Moosons ihn töten wollten. Er wollte etwas sagen, doch der Druck wurde so stark, daß er keinen Laut mehr über die Lippen brachte. Er stürzte zu Bo den. Strezzo schrie auf. »Grizzard – dort«, rief er und zeigte nach oben.
47 Ein Zugor schwebte über die Wipfel der Bäume hinweg. Grizzard erkannte die hoch gewachsene Gestalt des Arkoniden Atlan, der zu ihm herabblickte. Zugleich erfaßte er, daß der neue Herrscher von Pthor das Ende Kennons in letzter Sekunde verhindern konnte. Wie von Sinnen schrie er auf die Moo sons ein, ohne sich dessen bewußt zu wer den, daß er sie damit nur von Kennon ab lenkte. »Tötet Atlan«, schrie er. »Stellt sein Le ben ein. Schnell. Beeilt euch.« Die Moosons zögerten. Sie sondierten das Gehirn Strezzos, um zu ermitteln, was ihnen der vermeintlich Mächtige befehlen wollte. Doch Strezzo war so durcheinander, daß er die Worte Grizzards kaum aufnahm. Er wehrte sich gegen den Gedanken, sich an der Ermordung Atlans zu beteiligen. Der Arkonide landete. Die vier Moosons begriffen, welchen Be fehl ihnen Grizzard gegeben hatte. Sie schleuderten Atlan ihre psionischen Energi en entgegen – und erreichten nichts. Sie versuchten, seine Gedanken zu erfas sen. Sie wollten ihn nach ihrem Willen len ken. Sie wollten ihn zwingen, wieder zu starten, doch nichts geschah. Entsetzt blickten sie sich an. Die Legenden ihres Volkes hatten ihnen das Erscheinen eines Mächtigen angekün digt. Sie hatten geglaubt, ihn in Grizzard ge funden zu haben. Nun sahen sie sich mit ei nem zweiten Mächtigen konfrontiert, der ebenfalls immun gegen ihre Kräfte war. Grizzard beobachtete die Moosons fas sungslos. Er ahnte nicht, daß Atlan ebenfalls mentalstabilisiert war. Der Arkonide beugte sich über Kennon. Als dieser die Augen öffnete, fuhren die Moosons herum und rannten ängstlich schreiend davon. Grizzard rief ihnen Befehle nach, doch Strezzo leitete sie nicht weiter. Er folgte den Moosons, da er fürchtete, von Atlan zur Rechenschaft gezogen zu werden. Er war das Werkzeug Grizzards gewesen. Ohne ihn wäre eine Befehlsübermittlung
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H. G. Francis
nicht möglich gewesen. Das waren Gründe genug, so meinte er, ihn zu bestrafen. »Es ist vorbei«, sagte Atlan. »Ich bin froh, daß ich noch im rechten Augenblick gekom men bin.« »Es ist nicht zu Ende«, erwiderte Grizzard mit schriller Stimme. »Ich werde ihn töten.« »Du wirst nichts tun«, sagte der Arkonide ruhig. »Wir können uns keine privaten Fehden leisten: Pthor rast auf die Schwarze Ga laxis zu. In dieser Situation müssen wir alle zusammenstehen.« »Ich ertrage es nicht, ihn sehen zu müs sen«, erklärte Grizzard. »Es ist nicht zu ändern. Kennon hat den Körpertausch nicht absichtlich herbeige führt. Dir ist es offensichtlich nicht gelun gen, den Tausch rückgängig zu machen, ob wohl du mächtige Helfer zur Seite gehabt hast. So geht es also nicht. Sei geduldig, mehr kann ich dir nicht raten. Ihr müßt mit einander auskommen, bis sich eine Lösung
ergibt.« »Was ist, wenn ich mich nicht füge?« fragte Grizzard hitzig. »Dann bin ich gezwungen, dich einzuker kern«, erklärte Atlan. »Ich habe keine ande re Wahl.« »Also gut«, sagte Grizzard. »Ich füge mich. Vorläufig lasse ich ihn in Ruhe. Das heißt jedoch nicht, daß ich auf meinen Kör per verzichte.« Atlan stützte Kennon, der zu schwach war, aus eigener Kraft zum Zugor zu gehen. Dartun und mehrere Dellos kamen ihnen entgegen und halfen dem Arkoniden. Kennon hatte das Gefühl, zum zweiten mal geboren zu sein.
E N D E
ENDE