Devra Newberger Speregen
Mission to Mars Roman zum Film
scanned by Jamison corrected by ~DeltaCain
Kapitel 1
HOUSTO...
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Devra Newberger Speregen
Mission to Mars Roman zum Film
scanned by Jamison corrected by ~DeltaCain
Kapitel 1
HOUSTON, TEXAS - 4. Juli 2020 »T minus zehn, neun, acht. . . Klar zur Zündung! Fünf, vier drei, zwei, eins... Zündung! Und los!« NASA-Astronaut Phil Ohlmyer blinzelte in die späte Nachmittagssonne eines herrlichen Sommertags. Sein Blick war auf einen kleinen roten Lichtstreifen geheftet, der emporraste und sich in den Himmel bohrte. Doch plötzlich verschwand der rote Strahl, und eine kleine Explosion erschütterte den kristallklaren blauen Himmel. Ohlmyer beobachtete, wie Rauch und Trümmer sich in der Luft verteilten und sanft wieder zur Erde schwebten. Ehe er noch reagieren konnte, sah er sich von einer Schar lachender Kinder umgeben.
»Ich bin dran! Ich bin dran!«, schrien die Kinder. »Nein, ich! Onkel Phil, Onkel Phil! Darf ich auch mal? Ich will auch mal!« Lachend entledigte sich Ohlmyer eines besonders hartnäckigen Kindes und erhob sich von den Knien. Neben ihm stand ein Raketenwerfer, den er aus einer leeren Bierflasche konstruiert hatte. Er warf einen Blick auf die restlichen Feuerwerkskörper, dann auf die lärmenden Kinder. »Komm schon, Onkel Phil! Bitte!« Grinsend fuhr Ohlmyer mit den Fingern durch sein blondes Haar. »Langsam, Freunde! Bitte! Das Zeug hier ist ziemlich gefährlich. Und ich bin ein hoch spezialisierter Fachmann.« Die Kinder stöhnten enttäuscht. »Okay, okay!«, gab Ohlmyer lachend nach. »Onkel Phil wird noch eine Rakete zünden...« Aus dem Augenwinkel sah Ohlmyer, wie sich eine hoch gewachsene, durchtrainierte Gestalt näherte. Es war die junge Astronautin Renee Cote, die ein neues Sixpack in der Hand hielt. Er winkte ihr zu, und sie warf ihm lächelnd ein eisgekühltes Bier zu. Ohlmyer fing die Flasche am Hals auf und wandte sich wieder den Kindern zu. ». . . sobald er mit Auftanken fertig ist«, vollendete er den Satz. Renee Cote schüttelte den Kopf und ging lachend an Phil und den Kindern vorüber. Die attraktive Französin schritt über den weitläufigen Rasen, die restlichen fünf Flaschen unter den Arm geklemmt.
Es überraschte sie, was für ein Andrang auf Luke Grahams Party zum 4. Juli herrschte. Diesen Sommer hatte sich Luke selbst übertroffen. Aber dieses Jahr gab es auch weit mehr zu feiern als den Geburtstag der Nation. Renee mochte vielleicht aus Frankreich stammen, aber an diesem 4. Juli hatte sie vor, ganz groß zu feiern. Alles, was bei NASA Rang und Namen hatte, war da - Astronauten, Ingenieure, Mechaniker und natürlich Dutzende von Familienangehörigen. Countrymusik tönte aus mehreren über den Hof verteilten Lautsprechern, und überall hingen Trauben von roten, weißen und blauen Ballons. Krepppapier in denselben Farben schmückte die Tische, und der Duft von Gegrilltem lag in der Luft. Renee ließ ihren Blick durch den riesigen Garten der Grahams schweifen, über die Gäste, die herumspazierten oder Frisbee spielten, bis er an einem großen Banner hängen blieb, auf dem »BON VOYAGE, MARS EINS!« stand. Ihre dunklen Augen glitzerten in der Sonne, als sie das Banner anstarrte und - für den Bruchteil einer Sekunde - über die bevorstehende bon voyage nachdachte. Schließlich kehrte sie in die Gegenwart zurück und setzte ihren Slalom durch die für das Picknick ausgebreiteten Decken fort, um zum Grill zu gelangen. Auf dem Weg dorthin hörte sie, wie Nick Willis sein Bestes gab, um ein hübsches Mädchen zu beeindrucken. Renee biss sich auf die Lippen, um
nicht über seine ungeschickten Bemühungen zu lachen. »Wir werden schon sechs Monate brauchen, um den Mars zu erreichen«, sagte er. »Dann bleiben wir ein Jahr oben, dann wieder sechs Monate für den Rückweg. Das sind zwei Jahre.« Renee grinste und warf ihrem Freund eine Flasche zu. Er fing sie mit der rechten Hand auf und legte den linken Arm um die schlanke Taille der jungen Schönheit. Wenn Phil Ohlmyer die Antithese eines NASA-Traummannes war, dann war Nicholas Willis das genaue Gegenteil. Willis, knapp über zwanzig, hätte sich gut auf dem Werbeplakat einer Rekrutierungskampagne gemacht. Und er wusste das besser als jeder andere. »Was ich sagen will, ist«, säuselte er weiter, »dass mir diese Nacht ganz besonders in Erinnerung bleiben wird. Schließlich wird es die allerletzte Nacht hier auf der Erde sein, verstehst du?« Das hübsche Mädchen löste sich aus seinem Griff und lachte. »Vergiss es, Nick«, sagte sie und ging davon. Jetzt konnte sich Renee das Lachen nicht mehr verkneifen. Ehe sie ihren Weg in Richtung auf den vom Grill aufsteigenden Rauch fortsetzte, bemerkte sie gerade noch Willis' gleichmütiges Achselzucken. Geschickt duckte sie sich vor einem durch die Luft fliegenden Federball und trat an den Grill, wo sich ein ganzes Schwein am Spieß drehte. Sie
verteilte die restlichen Bierflaschen und beteiligte sich an der Unterhaltung ihrer Kollegen. Unter den Astronauten, die um den Grill herumstanden, befand sich auch Woody Blake, ein großer, schlaksiger Mann, der sich für die Party mit Cowboyhut und Hawaii-Hemd herausgeputzt hatte ganz zu schweigen von der Schürze, auf der »Küss den Chefkoch« stand. Woody grinste von einem Ohr zum anderen, während er sich abwechselnd seiner Bierflasche und dem Begießen des Schweins widmete. Renee reichte die letzte Flasche Sergej Kirov, der aufmerksam ein paar Kinder beobachtete, die ein paar Meter weiter Federball spielten. »Hey, Woody«, sagte Sergej, nachdem er sich mit einem Kopfnicken bei Renee bedankt hatte. »Unsere Mars-Eins-Mannschaft fliegt erst zehn Tage, nachdem ihr mit Mars Zwei in unserem Basiscamp gelandet seid, wieder zur Erde zurück. Das wird ein ziemlich langes Rendezvous.« Grinsend begoss Woody das Schwein. Zischend tropfte die fettige Flüssigkeit in die Flammen. »Worauf willst du hinaus, Sergej?«, fragte er freundlich. Der russische Kosmonaut lächelte. »Vielleicht solltest du einen Baseballschläger mitnehmen«, empfahl er. »Na? Amerikanischer Baseball? Unsere beiden Mannschaften könnten um die Sonnensystem-Meisterschaft spielen.«
Woody lachte. »Also wirklich. Die Hälfte eurer Mannschaft besteht doch aus Ausländern. Wir würden euch platt machen.« »Nein, nein, die Mannschaften sind gleich stark«, widersprach Sergej. »Drei Männer, eine Frau. Gleiches Handikap.« Er grinste Cote sarkastisch an, die ihm eine Grimasse schnitt. Woody blickte gerade rechtzeitig von dem Schwein auf, um zu sehen, wie seine Frau mit einer Platte mit Maiskolb en auf sie zukam. »Sieh dich vor, Sergej, du sprichst von meiner Frau. Terri ist zufällig ein wahnsinnig guter Shortstop.« Dr. Terri Fisher blieb vor ihrem Mann stehen und küsste ihn liebevoll auf die Wange. Dann wirbelte sie zu Kirov herum. »Schnelle Würfe, keine Steals, Schläger meldet seine eigenen Schläge an«, legte sie ungerührt fest. »Machen tausend Dollar die Sache interessant?« Kirov war wie vor den Kopf geschlagen. Einen Augenblick lang starrte er Terri an, dann wandte er seinen Blick zu Cote. »Eh bien«, erwiderte Renee gelassen. »Der Gewinner bekommt alles.« »Gut.« Terri lächelte Kirov selbstgefällig an. »Bring was zum Spielen mit«, konnte sie sich nicht verkneifen hinzuzufügen. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und ging mit den Maiskolben weiter. Sie hörte, wie die anderen hinter ihr anfingen, Kirov aufzuziehen.
Ein breites Grinsen legte sich über Woodys Gesicht, als er seiner Frau nachblickte. »Wisst ihr, was das Traurige daran ist?«, fragte er die anderen. »Technisch gesehen habe ich den höheren Rang. Aber wenn wir auf Mars Zwei wenigstens ein bisschen Frieden haben wollen, werde ich wohl ziemlich oft >Ja, Liebes< sagen müssen.« Alle lachten, obwohl sie wussten, dass Woody und Terri sich so nahe standen, wie das bei einem Paar nur möglich war. Terri schwankte mit ihrem schweren Tablett, als eine Bande lärmender Kinder vorbeitobte. Indem sie sich geschickt durch die Gruppe hindurchlavierte, entging sie einer Maiskolben-Katastrophe und stellte die Platte auf einen der Picknicktische neben eine Reihe von Behältern mit Kartoffelsalat, gebackenen Bohnen und Kohlsalat. Ein paar Ehefrauen der anderen Astronauten waren damit beschäftigt, die Behälter immer wieder neu anzuordnen. Terri schnappte ein paar Fetzen der Unterhaltung auf, als sie die Maiskolben abstellte. Sie sprachen über sie. »Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll, dass die NASA ein Ehepaar gemeinsam auf so eine Mission schickt«, meinte eine der Frauen. Aus dem Augenwinkel sah Terri, wie ein andere Frau zu ihr herüber blickte und warnend eine Augenbraue hob. »Das ist nicht persönlich gemeint, Terri«, meinte die erste Frau verlegen. »Es ist nur, naja, es ist
irgendwie komisch für die, die hier zurückbleiben müssen.« Terri bemühte sich, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. »Sämtliche Untersuchungen zeigen, dass ein Ehepaar auf diesen langen Fahrten für Stabilität sorgen wird«, erklärte sie ihnen. Eine der Frauen kicherte. »Dann haben die aber ein paar von den Ehepaaren, die ich kenne, nicht untersucht«, scherzte sie. Die anderen Frauen lachten, während Terri nur höflich lächelte. Sie hatte nicht viel mit ihnen gemeinsam und fühlte sich in ihrer Nähe meist unwohl. Ruhig entschuldigte sie sich und ging zum anderen Ende des Tisches, um die Platten zurechtzuschieben. Sie spürte die Blicke der anderen auf sich gerichtet, deshalb gab sie vor, großes Interesse an einer übervollen Schüssel mit gebackenen Bohnen zu haben. »Hat jemand Jim McConnell gesehen?«, fragte eine der Frauen. »Ich glaube nicht, dass er kommt«, antwortete eine andere. »Mein Gott, der arme Mann. Wie geht's ihm?« »Er ist total fertig, soweit ich gehört habe«, tratschte die erste Frau. »Kann weder schlafen noch essen. Geht jeden Tag an ihr Grab.« Terri musste sich anstrengen, um den letzten Teil zu verstehen. »Es heißt, er könnte seinen Platz bei der Mission verlieren.«
Terri spürte, wie ihr Blut zu kochen begann, während die Frauen sich das Maul über ihren Freund zerrissen. Offenbar war ihnen nicht klar, dass Terri sie hören konnte. »Es ist wirklich traurig und so tragisch«, fuhr eine Frau fort. »Da gehst du nichts Böses ahnend zur Routineuntersuchung, und - peng!« »Und das nach all den Jahren Ausbildung. Es war ihr großer Traum.« »Muss ziemlich komisch für Luke Graham sein, meint ihr nicht auch? Jetzt wird er in den Geschichtsbüchern stehen.« Terri konnte es nicht mehr mit anhören. Für diese Frauen war das alles so dramatisch... wie eine Seifenoper im Fernsehen. Für Terri jedoch war es nur allzu real. Es war ihr Leben. Sie steckte eine große Serviergabel in eine Platte mit Kohlsalat und entfernte sich so weit wie möglich von den Frauen. Sehnsüchtig blickte Debra Graham ihren Mann an, der mit dem Rücken zu ihr neben der Garage in der Einfahrt stand und wartete. Sie beobachtete ihn eine Weile, froh, dass er sie nicht bemerkt ha tte. Sie ließ den Moment auf sich wirken, nahm alles, was an ihm wundervoll war, tief in sich auf und vertraute es ihrem Gedächtnis an, um zwei ganze Jahre lang davon zehren zu können. Diese starken Arme und Schultern... seine glatte dunkle Haut... das schiefe Grinsen . .. Leise trat sie hinter ihn und legte ihm sanft die Hand auf die Schulter.
»Er kommt nicht, Luke«, sagte sie traurig. Luke sah seine wunderschöne Frau an und antwortete mit einem leichten Nicken. »Jim hat das hier genauso verdient wie wir«, meinte er ruhig. »Alle seine Freunde sind hier.« Er machte eine Pause. »Und es ist mein letzter Abend.« Debra schluckte schwer. »Auch dein letzter Abend mit uns«, erinnerte sie ihn. Ihre wundervollen dunklen Augen glänzten im Sonnenlicht. Luke berührte zärtlich ihre Wange, dann legte er einen Arm um ihre Taille. Sie drängte sich an ihn, und er hielt sie noch fester, während er sie auf die Stirn küsste. »Ich liebe dich, Deb«, flüsterte er. »Ich liebe dich auch«, hauchte sie in seine Brust. Sie schob sich ein Stück von ihm fort und blickte in sein Gesicht. »Aber vielleicht solltest du noch ein bisschen Zeit mit Bobby verbringen.« Lukes einziger Sohn hatte seinen Vater während der ganzen Vorbereitungen wirklich stolz gemacht. Erst sieben Jahre alt, hatte Bobby auf die Abreise seines Vaters wie ein sehr viel älteres, reiferes Kind reagiert. Dennoch konnte ein Siebenjähriger in einer Situation wie dieser nicht unbegrenzte Kräfte aufbringen. Seine Abwesenheit würde schlimm für den Jungen sein, das wusste Luke. »Mach ich«, versprach er. »Wo steckt er?« »Oben in seinem Baumhaus«, antwortete Debra. Luke drückte seiner Frau noch einen zarten Kuss auf die Stirn, dann machte er sich auf den Weg in
den Garten. Damals hatte er die Schaukel und das Baumhaus für Bobby auf der anderen Seite des Gartens gebaut, so dass er sich jetzt einen Weg durch die Partygäste bahnen musste. Er lächelte Ohlmyer zu, der immer noch mit den Kindern Raketen abschoss. Langsam näherte er sich dem Baumhaus am hinteren Ende des Gartens - aber nicht ohne vorher Willis zu bemerken, der mit einem umwerfend schönen Mädchen auf einer Decke lag. »Der Weltraum ist so einsam«, erzählte Willis dem Mädchen gerade. »So kalt. Aber ich schätze, meine Erinnerungen werden mich warm halten...« Luke schüttelte den Kopf und lachte. Willis war ein hoffnungsloser Fall. Schließlich erreichte er den Spielplatz. Luke ergriff die Leiter und kletterte hinauf. Bobby saß auf einer hölzernen Plattform neben seinem Teleskop. Das Herz tat Luke weh, als er seinen Sohn sah. Bobby sah so einsam aus. Bobby blickte kurz hoch, dann drehte er Luke den Rücken zu und blickte in den Himmel hinauf. »Und wer soll mir jetzt abends im Bett vorlesen?«, fragte er leise. Die Frage überraschte Luke. Offenbar konnte Bobby die Rolle des großen Jungen nicht mehr durchhalten. »Das macht Mommy«, antwortete er. Bobby fuhr herum und starrte Luke zornig an. »Ich will aber, dass du das machst!«, platzte er mit zitternder Stimme heraus. Der Junge bemühte sich
mit aller Kraft, nicht zu weinen. »Jetzt werden wir unser Buch nie zu Ende kriegen!« Luke wusste nicht, was er sagen sollte. Ihm war klar, dass dies für Bobby sehr schwer war - es gab keine Möglichkeit, einen Siebenjährigen auf so etwas vorzubereiten. Zwei Jahre ohne Kontakt mit seinem Vater waren eine lange Zeit. Luke räusperte sich und kämpfte gegen seine eigenen Tränen an. »Pass mal auf, ich sag dir was«, fing er an. »Ich hab auch schon darüber nachgedacht. Und ich hab mir überlegt, wie war's, wenn ich mir ein eigenes Buch mitnehmen würde?« Bobby sah ihn an. »Und jeden Abend, egal, wo ich bin, lese ich ein Stück weiter«, fuhr Luke fort. »Und dann weiß ich, dass du und Mommy, egal, wo ihr seid, auch in dem Buch lest. Dann ist das so, als ob wir immer noch zusammen lesen. Ich weiß ja nicht, wie es dir geht aber ich will unbedingt wissen, wie der alte Ben Gun auf diese Insel gekommen ist. Was meinst du?« Bobby brachte ein Lächeln zustande und nickte ein bisschen. Plötzlich war Luke so stolz auf seinen Sohn wie nie zuvor. Ganz schön viel Mut für so einen kle inen Kerl, dachte er. »Prima«, sagte er und rückte näher an seinen Sohn heran. »Kannst du mich mal umarmen?« Bobby beugte sich vor und schlang seine kleinen Arme fest um den Hals seines Vaters. Luke erwiderte die Umarmung, erfüllt von einem Gefühl des Stolzes und der Liebe, wie er es noch nie
empfunden hatte. Er würde Bobby mehr vermissen als alles andere. Im Stillen fragte er sich - zum millionsten Mal -, wie er es aushallen sollte, so lange von seiner Familie getrennt zu sein. Seine Gedanken wurden durch das Geräusch eines näher kommenden Autos unterbrochen. Er spähte über das Geländer des Baumhauses und konnte ein Stück der Straße erkennen. Der offene Jeep bog gerade von der Straße in die Auffahrt der Grahams ein. Seinen Sohn immer noch fest an sich gedrückt, seufzte Luke erleichtert auf. Ein strahlendes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Jim war doch noch gekommen. Debra erwartete ihren letzten Gast auf dem Rasen vor dem Haus. Sie spürte einen Kloß im Hals, als Jim McConnell müde aus dem Jeep stieg und auf das Haus zukam. Er hielt etwas in der Hand. Eine Flasche Champagner. Jim war mit Anfang vierzig ein gut aussehender Mann. Doch während der vergangenen zwei Jahre, seit Maggies Diagnose, war er extrem gealtert. Immer hatte er denselben Gesichtsausdruck - traurig, distanziert und einsam. Nie verschwanden die dunklen Ringe unter seinen Augen. Seine Kleider waren ständig zerknittert, als hätte er darin geschlafen. Erleichtert eilte Debra ihm entgegen und lief direkt in seine zur Begrüßung geöffneten Arme. Sie war so glücklich, dass er sich entschlossen hatte, zu
kommen. Ihr war klar, wie sehr es Luke verletzt hätte, wenn er es nicht getan hätte. Sie umarmte ihn fest, spürte förmlich seinen Schmerz. »Wir hatten schon Angst, du würdest nicht kommen«, sagte sie. McConnell grinste. »Ich habe euren Grill gerochen«, erwiderte er. »Da konnte ich nicht anders.« »Da draußen in Galveston?«, scherzte Debra. »So ungefähr«, meinte McConnell. Dann schwieg er. Einen Moment blickte er Debra an, bis er schließlich die Worte fand, nach denen er gesucht hatte. »Das ist sein Abend, Deb«, meinte er sanft. »Ich wollte ihm das nicht verderben.« »Verderben?«, entgegnete Debra schockiert. »Er hat die ganze Zeit Ausschau nach dir gehalten und ist dabei fast verrückt geworden.« Über ihre Schulter hinweg sah McConnell, wie Luke auf sie zukam, einen Arm um Bobby gelegt. Sekunden später waren sie nur noch ein paar Schritte voneinander entfernt. Die beiden Männer blickten sich an, wechselten einen Blick, der keiner Worte bedurfte. Sie standen sich näher als Brüder, hatten alles gemeinsam durchgemacht, und jetzt, nun - dies war etwas, was sie nicht teilen würden. Dafür hatte das Schicksal gesorgt. Sie brauchten keine Worte, um einander zu verstehen. Das Band zwischen ihnen war so stark, als wären sie als Brüder auf die Welt gekommen.
Lukes Lächeln war ein Trost. »Los, komm mit«, forderte er seinen Freund auf. »Eine Menge Leute hier werden sich verdammt freuen, dich zu sehen.«
Kapitel 2 Bei Einbruch der Dunkelheit, nachdem die letzten Gäste gegangen waren, saß Luke auf dem Boden neben dem Grill und trank mit Jim und Woody ein Bier. Er ließ den Blick über den Garten schweifen und bemerkte, dass sich eine Ecke des Banners mit »BON VOYAGE, MARS EINS!« gelöst hatte und leise gegen den Baum schlug, an dem es befestigt war. Woody nahm ein Stück Holz und schob es in die Flammen. Die drei Männer sahen zu, wie rote und gelbe Funken zu den Sternen aufstoben. »Ich wünschte, wir würden alle mitgehen«, brach Woody das Schweigen. »Zusammen.« Der Nachdruck in Woodys Stimme überraschte die anderen - sogar Woody selbst. Sie schwiegen verlegen, bis Luke leise lachte. »Dann hast du ein schlechtes Gedächtnis«, meinte er. »Denk doch mal daran, wie wir in der zweiten Woche von unserem Lunartraining drauf waren.«
Im Licht des Feuers sah Luke, wie Woody die Augen verdrehte. »Oh, Mann, du willst doch wohl nicht wieder damit anfangen...« Luke lachte lauter. »Ich versuche mich nur zu erinnern. Mal sehen«, fuhr er fort, »wer von uns hat da oben am schlechtesten abgeschnitten?« »Du kannst es wohl einfach nicht lassen...« »Oh, Mann, drei Commander auf demselben Schiff?«, meinte Luke und dachte darüber nach, wie es wäre, wenn Woodys Wunsch in Erfüllung ginge. »Wenn man uns zusammen zum Mars schicken würde, gab's gar nicht genug Treibstoff, um all diese Egos vom Boden heben zu können!« Woody lachte. »Quatsch«, entgegnete er. »Wir wären 'ne tolle Mannschaft gewesen.« »Dazu wäre es nie gekommen«, schaltete sich McConnell in die Unterhaltung ein. »Ich war immer mit Maggie zusammen in einem Team, und meistens waren wir nur Schreibtischtäter. Ihr wisst schon: Systeme, Nutzlast. . .« »Jetzt hört euch den an!«, frotzelte Luke. »Unser Titelblattheld!« »Genau; wer hat denn das ramponierte Block II Shuttle gelandet?«, fragte Woody. »Und wer hat bei den Tests auf dem Mond am besten abgeschnitten?«, legte Luke nach. Endlich erschien ein Lächeln auf Jims Gesicht. »Okay, ich hab ein bisschen Staub aufgewirbelt«, meinte er. »Aber den ersten Fuß auf den Mars setzen? Nein, das ist was für Typen, die ihre
Doktorarbeit darüber geschrieben haben, wie man den Planeten kolonialisieren könnte.« Dabei warf er Luke einen viel sagenden Blick zu. »Und für Typen, die als Kind zu viel ScienceFiction-Romane gelesen haben und immer noch kleine Flash-Gordon-Raumschiffe um den Hals tragen«, fügte er an Woody gewandt hinzu. Scherzhaft griff er nach Woodys Hals, doch der schlug ihm lachend auf die Finger. »Du hast dieselben dämlichen Science-FictionBücher gelesen wie ich!«, wehrte sich Woody. »Du bist bloß nicht Manns genug, Schmuck zu tragen!« Er zog sein geliebtes Flash-Gordon-Raumschiff aus dem Hemdkragen und ließ es spöttisch an der Kette baumeln. Die drei Männer brachen in Gelächter aus. »Du hättest Flash wohl gerne!«, stichelte Woody. »Du weißt genau, dass du scharf auf ihn bist. Aber du kriegst ihn nur über meine Leiche!« Luke griff nach Woodys Arm und hielt ihn fest, damit McConnell sich die Kette schnappen konnte. Es gelang Woody, sich zu befreien, und die beiden rangelten miteinander wie kleine Jungen. McConnell, der die beiden beobachtete, wurde plötzlich von seinen Gefühlen übermannt. »Mein Gott, sie hätte euch beiden Spinner bestimmt gerne noch mal gesehen«, meinte er leise. »Nur noch ein einziges Mal.« Er versuchte zu lächeln, doch seine Traurigkeit überwältigte ihn. Er spürte, wie sein Gesicht zu brennen begann, und sein Brustkorb hob und senkte
sich krampfhaft. Vergeblich bemühte er sich, Haltung zu bewahren. Die Gefühle, die ihn den ganzen Abend - eigentlich schon den ganzen Monat - bedrängt hatten, waren stärker. Woody streckte tröstend die Hand aus, doch es nützte nichts. McConnell stand hastig auf und ging fort. Besorgt blickten sich Woody und Luke an. Doch sie wussten, dass es keine Worte gab, die ihn hätten trösten können. Das Leben hatte ihrem Freund miserable Karten zugeteilt, und es gab nichts, was sie oder jemand anderes hätten tun können. Kurz darauf stieg Woody in seine alte Corvette und startete den Motor. Luke und McConnell, der seine Fassung zurückgewonnen hatte, standen neben dem Wagen. Es war Zeit für den großen Abschied. »Hey, Woodrow, war's nicht endlich mal Zeit, das Ding da einem Museum zu vermachen?«, witzelte Luke, der genau wusste, dass diese Corvette nach Terri Woodys zweite große Liebe war. Als Antwort trat Woody das Gaspedal durch. Der aufheulende Motor klang voll und rund, und Woody warf seinen Freunden ein schiefes Grinsen zu. »Geht doch nichts über einen Verbrennungsmotor, Jungs.« Die Männer lachten. Woody blickte zu McConnell hinüber, und sein Gesicht wurde ernst. »Jim«, fing er an. »Wenn es jemals...wenn es irgendwas gibt, das Terri und ich tun können...« Jim schüttelte den Kopf. »Mir geht's ganz gut«, entgegnete er. »Wirklich. Aber trotzdem, danke.«
Woody griff nach Lukes Hand. Ihr nächstes Wiedersehen würde auf dem roten Planeten stattfinden. »Wir sehen uns auf dem Mars«, meinte er und spürte einen Kloß im Hals. »Lös nicht gleich alle Geheimnisse des Universums auf einmal, hörst du? Lass denen, die nach euch kommen, auch noch was übrig.« Luke grinste. »Ich werde sehen, was ich tun kann. Und du vergiss nicht, frisches Bier mitzubringen.« Woody lächelte. »Klar.« Luke war einerseits traurig, Woody fortfahren zu sehen, andererseits jedoch war er froh über die Gelegenheit, endlich mit Jim allein zu sein. Er hatte den ganzen Abend darauf gewartet, mit seinem Freund zu reden - es gab etwas, was er Jim unbedingt sagen wollte. Wahrscheinlich hätte er sogar am nächsten Morgen gar nicht zu der Mission aufbrechen können, wenn er das nicht hätte loswerden können. Luke holte tief Luft, dann sprach er es aus. »Das hätte deine Mission sein sollen, Jim«, fing er leise an. »Deine... und Maggies.« Jim blickte den Rücklichtern der Corvette nach, die sich auf der Straße entfernten. Regungslos stand er da und hörte Luke zu. »Keiner von uns hat sich so sehr gewünscht, zum Mars zu fliegen, wie ihr beide«, fuhr Luke fort. »Nicht einmal Woody. Zwölf Jahre habt ihr auf
diese Chance gewartet, habt dafür gearbeitet und trainiert...« »Das ist jetzt alles vorbei«, unterbrach ihn Jim. Seine Trauer stieg wieder in ihm hoch, und er kämpfte um seine Fassung. »Wenn Maggie nicht krank geworden wäre wenn du nicht aus dem Rotationsverfahren ausgestiegen wärst, um sie zu pflegen ...« McConnell sah ihm direkt ins Gesicht; in seinen Augen lag eine Mischung aus Wut, Trauer und Mitleid. Luke spürte, dass sich Jim nicht weiter auf dieses Thema einlassen wollte, doch er gab nicht nach. »Nein, ich will dir das sagen. Ich muss es sagen«, beharrte er. Er schluckte, dann fuhr er fort. Jetzt oder nie. »Ich wollte bei Mars Eins dabei sein. Verdammt noch mal, ich habe bei jedem einzelnen Schritt auf dem Weg dorthin mit dir darum gekämpft! Noch nie in meinem Leben habe ich jemanden so unbedingt ausstechen wollen. Aber nicht so ... nicht auf diese Art.« Luke schwieg. Sein Herz raste. So lange hatte er sich danach gesehnt, mit Jim darüber zu reden. Doch es war nie der richtige Zeitpunkt dafür gewesen. Außerdem sprach Jim nicht gern über das, was mit Maggie passiert war. Mit jedem Wort, das ihm unbeholfen über die Lippen kam, fühlte er sich etwas mehr erleichtert. Er war froh, dass es endlich draußen war.
»Jim, ich würde das alles sofort aufgeben, wenn uns das Maggie zurückbringen könnte.« McConnell sackte der Unterkiefer herunter. Mit einem Kloß im Hals schaute er zu Boden. Er traute seiner eigenen Stimme nicht, doch irgendwie fand er die Worte für eine Antwort. »Das weiß ich«, sagte er. »Das brauchst du mir nicht zu sagen.« Plötzlich wusste er, dass er seine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle behalten könnte, wenn er nur noch einen Moment hier bei Luke bliebe. Es war Zeit zu gehen. Zeit für den Abschied. »Der Mars gehört jetzt dir«, konnte er noch sagen. Er blickte zu seinem Freund auf und brachte sogar ein Lächeln zustande. »Hol ihn dir.« Luke nickte. Die Situation war für beide schwierig, so viel war klar. »Pass auf dich auf.« »Ja, du auch.« Eine Sekunde lang hielten sie die Hand des anderen fest, drückten sie, dann ließen sie sich wieder los. Luke drehte sich um und ging langsam zur Haustür hinüber. Da drin warten noch mehr schwierige Abschiede, dachte er. Debra stand im Türrahmen. Er trat durch die Tür, und sie umarmten sich. Luke brachte es nicht fertig, sich noch einmal zu Jim umzudrehen. Jim jedoch blickte Luke nach, als er ins Haus ging und in Debras wartende Arme sank. Als die Haustür ins Schloss fiel, öffnete er die Tür seines Jeeps. Doch ehe er einstieg, schaute er zum Himmel
auf. Sein Blick ruhte auf einem kleinen, rötlichen Punkt, der gleichmäßig leuchtend seine Bahn zog. Eine wilde Mischung verschiedener Gefühle tobte in ihm, und alles, woran er denken konnte, war Verlangen, Bedauern, verlorene Liebe und das, was nie sein würde.
Kapitel 3 MARS: EBENE VON CYDONIA - ACHT MONATE SPÄTER Luke schwang den Geologenhammer hoch über den Kopf und ließ ihn auf das mehrschichtige Sedimentgestein niedersausen. Der Hammer, der sich dank der geringen Anziehungskraft auf dem Mars mühelos handhaben ließ, zertrümmerte die Oberfläche. Rötlicher Staub wirbelte auf und bedeckte Lukes Raumanzug. Luke hielt den abgesplitterten Felsklumpen dicht vor sein Visier und betrachtete ihn aus der Nähe. Gerade wollte er eine weitere Probe losschlagen, als sein Funkgerät knisterte. Es war Cote. »Luke, hörst du mich?«, ertönte ihr französischer Akzent durch den Lautsprecher. »Ja, Renee.« »Luke, ich habe gerade die Ares-8 online, und, na ja, wir dachten, das willst du dir bestimmt mal ansehen.«
Luke starrte das Funkgerät an - er konnte die Aufregung in Renees Stimme hören. Er unterbrach seine Arbeit nur ungern, aber Renees rätselhafte Nachricht machte ihn neugierig. »Verstanden«, erwiderte er und machte sich auf den Weg zu seinem ATV-Erkundungsfahrzeug. Luke lenkte den einsitzigen ATV durch die breiten Valles Marineris zurück zum Mars-EinsBasiscamp. Die gigantische Größe der Valles Marineris war erschreckend - auf der Erde hätten sie sich von New York bis nach Los Angeles erstreckt. Während er über die felsige Oberfläche "des Planeten fuhr, fragte er sich, was die Ares-8 wohl gefunden haben mochte. Im Basiscamp stieß Luke auf Kirov, Willis und Cote, die bereits vor den Monitoren der Ares-8 saßen und voller Ehrfurcht auf die Videobildschirme starrten. Luke blickte auf einen der Monitore und erstarrte mitten in der Bewegung. Dann trat er näher heran, weil er dachte, dass ihn vielleicht seine Augen getäuscht hätten. Vor sich auf dem Monitor sah er das Bild eines großen, von Geröll und Staub bedeckten Berges, doch was ihn wirklich verblüffte was ihm sprichwörtlich den Atem raubte -, war eine weiße Bergkuppe, die sich auf einer Länge von etwa zwei Dritteln des Bergkamms durch das Geröll bohrte. Das Weiß stand in deutlichem Kontrast zu dem typischen rostorangefarbenen Geröll, das den Berg umgab. Luke beugte sich weiter vor, um besser
sehen zu können. Die Oberfläche der seltsamen Kuppe war eigenartig glatt, aus vielen Flächen zusammengesetzt, die eine gewisse Symmetrie erkennen ließen. »Was, zum Teufel, ist das?«, fragte Luke, wie betäubt von dieser Entdeckung. »Keine Ahnung, Boss«, antwortete Cote. »Wo ist das?«, wollte Luke von ihr wissen. Er bemerkte, dass sie mit den anderen Blicke austauschte; jetzt erst fiel ihm auf, dass sie alle verstohlen grinsten - als ob sie ein Geheimnis miteinander teilten, das er noch nicht kannte. »Das wird dir nicht gefallen«, antwortete Willis. Luke konnte seine Erregung nicht verbergen. »Kommt schon! Was ist daran so lustig? Gebt mir die Koordinaten. « Er beugte sich vor, um die digitale Anzeige zu lesen, doch Cote streckte die Hand aus und bedeckte sie scherzhaft. »Breite einundvierzig Grad Nord, Länge neun Grad West«, verkündete sie. Luke runzelte die Stirn. »Die Ebene von Cydonia. Und?« Die anderen grinsten immer noch und warfen sich viel sagende Blicke zu. Langsam dämmerte es ihm... »O nein«, sagte Luke. »Ihr wollt doch wohl nicht sagen...« Als die anderen Lukes ungläubige Miene sahen, dröhnte lautes Lachen durch die Kabine.
»Oui, exactement«, sprudelte Renee aufgeregt hervor. »Das ist Kirovs Schuld, er hat den Sektor für heute ausgesucht.« »Hey, komm schon!«, wehrte sich Kirov. »Wir haben die wissenschaftliche Pflicht, das Ding da zu überprüfen.« Luke übernahm die Ares-8-Fernsteuerung von Cote. Er bemühte sich, ein schärferes Bild zu bekommen, doch die Auflösung wurde nicht besser. »Toll. Das ist einfach toll. Die erste Anomalität, auf die wir stoßen, und sie liegt genau an dem einzigen Ort, der die NASA garantiert wie einen Haufen Idioten dastehen lässt! Habt ihr eine Ahnung, wie viele Bücher schon über diesen verdammten Berg geschrieben worden sind?« »Das Ding haben bestimmt die Ägypter da hingestellt«, witzelte Re nee. »Nein, die Amazonen«, widersprach Kirov lachend. »Nein, das waren die kleinen grünen Männchen!« Willis hatte der Versuchung nicht widerstehen können. Luke schüttelte den Kopf, ohne den Blick vom Monitor zu wenden. Er bemühte sich immer noch um eine bessere Bildauflösung. »Und das alles nur, weil ein paar lausige Krater zufällig wie Augenhöhlen aussehen«, murmelte er. »Wenn das hier rauskommt, wird jeder Ufo-Spinner auf der Erde in den Sechs-Uhr-Nachrichten seinen
Senf dazugeben wollen. Los jetzt, Leute, lasst mal was hören. Ist das ein Schlackenkegel?« Kirov starrte über Lukes Schulter auf den Monitor. »Nein, zu glatt. Zu eckig. Vulkanische Aufwölbung?« Cote schüttelte den Kopf. »Keine Spalten, keine Einsturzkrater.« »Eine Aufwölbung ist es mit Sicherheit«, meinte Luke. »Aber vielleicht nicht vulkanisch...« Er brach mitten im Satz ab und beugte sich näher zum Bildschirm. »Schaut euch die Farbe an«, sagte er und zeigte auf den Monitor. »Und wie das Ding glänzt. Ich könnte schwören, dass das Eis ist...« »So weit im Süden?«, fragte Renee zweifelnd. »Unmöglich«, widersprach Willis. »Auf diesem Breitengrad kann es kein Eis geben. Es sei denn...« Seine Stimme erstarb, als ihm klar wurde, was er sagen wollte. Er wirbelte zu Luke herum, der von seinem Platz aufge sprungen war und nach seiner Ausrüstung griff. »Oh, mein Gott!«, keuchte Willis. Luke hatte die Lage bereits im Griff. »Wie weit ist es von hier entfernt?«, fragte er den Russen. »Sechzehn Kilometer nordöstlich«, antwortete Kirov. »Wir brauchen zwanzig Minuten bis dorthin.«
Luke nickte. »Zuerst schicken wir eine Nachricht an die Zentrale. Dann sehen wir uns das Ding mal an.« Eilig stellte die Mannschaft einen Bericht für die Kommandozentrale der Mission zusammen. Während des Mittagessens zeichneten sie eine kurze Nachricht auf und schickten sie über den Telekommunikations-Kanal ab, dann legten sie ihre Raumanzüge an und eilten hinaus, um das viersitzige Erkundungsfahrzeug für die kurze Fahrt zu besteigen. Die vier Astronauten kletterten durch die Heckluke in den Wagen und schlössen sie von innen. Luke und Renee überprüften sofort ihre Bildschirme; als alles eingestellt war, legte Luke den Gang ein. Staub wirbelte auf, als sich das Fahrzeug in Bewegung setzte, vorbei an dem zylinderförmigen Wohnmodul und fort vom Basiscamp. ORBIT DER ERDE, KONTROLLRAUM DER MARSMISSION (KRMM) IN DER INTERNATIONALEN WELTRAUMSTATION (ZEITVERZÖGERUNG 20 MINUTEN) Von seinem Platz am zentralen Steuerpult an Bord der Internationalen Weltraumstation aus blickte Capsule Communicator Jim McConnell mit verhaltener Erregung auf das Bild seines Freundes auf dem Hauptbildschirm.
»Das ist wirklich eine anomale Formation«, fuhr Luke in der aufgezeichneten Videobotschaft fort. »So etwas haben wir bis jetzt noch nie gesehen. Es scheint eine kristalline Struktur zu haben, zumindest von dem Blickwinkel aus betrachtet, den uns Ares-8 bietet.« Jims Freund grinste in die Kamera. »Wir versuchen hier oben nicht durchzudrehen«, fuhr Luke fort. »Aber wir glauben, dass dies durchaus eine Extrusion einer tiefer gelegenen Wasser führenden Schicht sein könnte. Und wenn wir Recht haben .. .« Luke und seine Mannschaft wechselten leuchtende Blicke, ». . . dann haben wir den Schlüssel für eine permanente Kolonisation durch Menschen gefunden.« Gemurmel breitete sich im Kontrollraum aus. Techniker, Flugingenieure und Wissenschaftler gleichermaßen konnten sich angesichts einer solchen Entdeckung kaum noch beherrschen. McConnell jedoch gab sich reserviert und professionell, obwohl er genauso aufgeregt war wie der Rest der Mannschaft. »Sagen Sie den Geologen und Hydrologen, dass das hier Vorrang hat«, wies er einen Techniker an. »Dringlichkeitsstufe eins.« Der Techniker nickte und war im nächsten Augenblick verschwunden. McConnell blickte wieder auf den zentralen Bildschirm. Luke und die anderen grinsten immer noch breit. McConnell wusste, dass der Mannschaft auf dem Mars nur allzu
klar war, wie diese Nachricht hier einschlagen würde. »Auf jeden Fall werden wir rausgehen, um uns das Ding aus der Nähe anzuschauen und zu versuchen, eine Vorstellung von seiner Zusammensetzung zu bekommen«, fuhr Luke fort. »Wenn ihr diese Nachricht erhaltet, müssten wir bereits vor Ort sein.« McConnell atmete tief ein und ließ die Luft langsam wieder ausströmen. Das waren wirklich unglaubliche Neuigkeiten. MARSOBERFLÄCHE, CYDONIA
EBENE
VON
Das Erkundungsfahrzeug schoss in Richtung der Ares-8 über die Ebene, die wie ein Irischer Setter immer noch treu in Position stand und ihr Ziel im Auge behielt. Als das Fahrzeug die Ares-8 erreichte, brachte Luke es zum Stehen und kletterte mit den anderen hinaus. Vor ihnen leuchtete die geheimnisvolle Formation blendend weiß in der Sonne. »Mein Gott. ..« Kirov fand als Erster die Sprache wieder. Wie sie es zuvor auf dem Monitor in ihrer Unterkunft gesehen hatten, waren die Facetten eben und glatt, wie auf dem Reißbrett entworfen. Die seltsame Kuppe bohrte sich am diesseitigen Ende der Flanke durch die obere Geröllschicht des großen
Berges - ein einzelner spitzkuppiger Riese, der sich gut drei Kilometer von links nach rechts erstreckte. Langsam gingen die Astronauten auf den großen Berg zu. Schon nach ein paar Schritten empfingen sie über die Kopfhörer ihrer Funkgeräte Störsignale in Form eines sehr tiefen, sehr leisen abgehackten Tons. »Hört ihr das auch?«, fragte Luke. »Ja«, antwortete Cote. »Was ist das?« »Hört sich an, als wäre unsere Antenne nicht mehr in Phase«, meinte Willis. »Kriegst du das hin?«, fragte Luke »Ich kriege alles hin.« »Angeber«, konterte Luke lachend. »Renee, Sergej, lasst uns die Radarkanone rausholen und nachsehen, woraus das Ding besteht.« INTERNATIONALE WELTRAUMSTATION, KORRIDOR AUSSERHALB DES KRMM Ray Beck, der Chef des NASA-Mars-Programms, scheuchte eine Gruppe männlicher und weiblicher Botschafter verschiedener Hautfarben und Nationalitäten durch die Korridore der belebten Internationalen Weltraumstation. Sie waren aufgeregt wie Schulkinder. Beck war Mitte fünfzig, ein hart gesottener PR-Profi mit Bürstenschnitt. Er vergaß niemals, um was es ging. Vor der Tür zum KRMM blieb er stehen.
»... und das ist der Kontrollraum der MarsMission«, erklärte er der aufmerksamen Gruppe. »Ich habe erfahren, dass gerade ein Missionsbericht vom Basiscamp Mars Eins eingetroffen ist vielleicht interessieren Sie sich ja dafür.« Er öffnete die Tür und führte seine Herde hinein. Der Tumult im Kontrollraum war noch viel aufregender, als die Botschaftergruppe es sich je ausgemalt hatte. Noch immer herrschte Euphorie wegen Lukes Nachricht. Die Botschafter waren schwer beeindruckt von den vielen Mitarbeitern, und vor allem von dem riesigen Bildschirm, auf dem der Rest der Videobotschaft von Mars Eins zu sehen war. Durch ein großes Fenster auf der anderen Seite des Raums erblickten sie das Schiff Mars Zwei, das in seinem Dock auf seine eigene Marsmission wartete, die in acht Monaten beginnen sollte. Die Botschafter schössen Fotos wie überdrehte Touristen. Der nigerianische Botschafter warf einen Blick auf McConnell, der immer noch wie angewachsen auf seinem Platz an der Hauptkonsole saß und einer Gruppe Techniker mit ruhiger Stimme präzise Befehle erteilte. »Der Mann da drüben - ist er hier der Chef?« Beck lächelte nachsichtig. »Nein, das ist Jim McConnell, der CAPCOM, unser Verbindungsmann zu den Astronauten«, erklärte er. »Jim hat von Anfang an zum bemannten Marsprogramm gehört. Einer unser echten Pioniere.«
»Wird er auch mit zum Mars fahren?«, fragte der Botschafter. »Äh, nein«, antwortete Beck. »Weiter als bis hier kommt er nicht.« Auf dem Hauptbildschirm hatten Luke und seine Mannschaft ihr Mittagessen beendet und räumten die Reste und das Geschirr fort. »Das wäre so ungefähr alles«, sprach Luke in die Kamera. »Wir werden einen weiteren Bericht schicken, sobald wir zurück sind.« Auf dem Bildschirm räusperte sich Renee und warf Luke einen Blick zu. »Ach ja, richtig!«, fuhr Luke fort und drehte sich wieder zur Kamera um. »Noch was. Heute ist ein besonderer Tag für einen guten Freund von uns, und ich weiß, dass er jetzt gerade da unten ist.« McConnell hielt in seiner Tätigkeit inne und schaute besorgt zum Bildschirm hinauf. Was hatte Luke vor? »Na ja, er kann solche Sachen nicht ausstehen«, erklärte Luke. »Deshalb werde ich seinen Namen nicht erwähnen...« McConnell seufzte erleichtert. ». . . denn das Letzte, was ich tun möchte, ist, jemanden wie Jim McConnell in Verlegenheit zu bringen.« McConnell zuckte zusammen. O nein! Bevor er protestieren konnte, erschien Kirov auf dem Bildschirm. Er hielt einen Napfkuchen in den Händen, in dem eine Kerze steckte. Sekunden später
gab die Mars- Eins-Mannschaft eine sehr laute und sehr falsche Version von »Happy Birthday« zum Besten. »Na los, ihr Schlafmützen da unten, singt mit!«, rief Luke auf dem Bildschirm. Plötzlich sang der ganze Kontrollraum einschließlich ein paar der Botschafter - mit Ausnahme von Ray Beck. Beck stand stocksteif da, offenbar abgestoßen von solch unprofessionellem Betragen. »Hey, Ray!«, rief Luke in die Kamera. »Jetzt schau ihn dir mal an! Er ist doch bestimmt knallrot im Gesicht und hat dieses Ich-bin-ja-keinSpielverderber-Grinsen aufgesetzt, oder?« Gereizt blickte Beck zu McConnell hinüber, der tatsächlich hochrot angelaufen war und ein Ich-binkein-Spielverderber-Grinsen aufgesetzt hatte. »Und jetzt schaut euch mal Ray an!«, fuhr Luke erbarmungslos fort. »Der sieht bestimmt aus, als wollte er sagen: >Das gehört nicht zum Missionsplan!massiv