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William Voltz
Meister der Dimensionen von William Voltz Dragon - Sohne der Wüste Heft - Nr. 2 Von Balam, einer Welt...
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Meister der Dimensionen von William Voltz Dragon - Sohne der Wüste Heft - Nr. 2 Von Balam, einer Welt in einer fremden Dimension, nimmt die Gefahr für Atlantis ihren Ausgang. Cnossos, der Dimensionsforscher von Balam, hat eine Möglichkeit entdeckt, dem sterbenden Volk der Balamiter eine neue Lebenschance zu bieten. Cnossos hat sich das Ziel gesteckt, den Abgrund von Zeit und Raum zu überbrücken, der zwischen den verschiedenen Welten und Dimensionen existiert. Um seinen Plan zu verwirklichen, geht er völlig skrupellos vor. Rücksicht auf das Leben anderer intelligenter Wesen kennt er nicht - er greift nach Atlantis. Und so kommt es, daß auf der kontinentgroßen Insel, die das Nordmeer und das Südmeer voneinander trennt, gespenstische, unerklärliche Dinge geschehen. Unter den rund zwei Millionen Atlantern - zu ihnen gehören Menschen, Sternenfahrer und seltsame Lebewesen aus dem Kosmos -, die als erste mit den unheimlichen Phänomenen konfrontiert werden, ist Dragon. Der junge Wissenschaftler, Sohn eines Sternenfahrers und einer Eingeborenen, versucht die Gefahr zu bannen, die Atlantis droht. Doch zwei Gegenspieler treten auf: Dragons Rivale um die Gunst der schönen Mura - und der MEISTER DER DIMENSIONEN
Die Hautpersonen des Romans: Dragon - Ein Totgeglaubter kehrt zurück. Cnossos und Gnotor - Sie überspringen den Abgrund zwischen den Dimensionen. Bhutor - Dragons Rivale. Flotox - Dragons Freund. Tobos - Ehemaliger Rat von Atlantis. Arkh Tronfrohs - Ein Vampir leistet Hilfe.
1. Aus dem Buch der Drachen: »Am Ende eines Weges steht immer ein Drache.«
* Lange bevor die ersten bewohnbaren Planeten in unserer Galaxis entstanden, lebten bereits die ersten Drachen. Die Legende berichtet, daß diese mächtigen Wesen aus den dichten Gaswolken des Kohlensack-Nebels
hervorgegangen sind. Damals gestattete ihnen ihr Metabolismus noch den Aufenthalt im freien Weltraum. Ein mit einem Energieaggregat vergleichbares Organ ließ sie gleichermaßen große Hitze und große Kälte ertragen. Bei den Drachen, wie wir sie heute kennen, ist dieses Organ verkümmert, nur noch das Speien von Feuer erinnert daran. Im Laufe der Zeit veränderten die Drachen ihre Angewohnheiten. Sie siedelten sich auf den wilden Planeten an, den sogenannten Drachenwelten, und entwickelten eine eigene Raumfahrt. Mit ihren riesigen Schiffen flogen sie quer durch die Galaxis. Dabei be-
Meister der Dimensionen nutzten sie eine großartige Methode, um ihr Volk vor der Dezimierung zu bewahren. Sie verteilten ihre Eier auf allen bewohnten Planeten der Galaxis. Auf diese Weise war ein großer Teil der Nachkommenschaft immer gesichert. Auch während der Herrschaftszeit der Riesen erlitten die Drachen keine nennenswerten Verluste, obwohl die Riesen Jagd auf die Dracheneier machen ließen und hohe Belohnungen für ihre Auffindung aussetzten. Drachen sind sehr anpassungsfähig. Normalerweise können sie ungehindert nur auf ihren düsteren Welten in den Drachenburgen leben, doch die Drachen, die auf anderen Welten aus ihren Eiern schlüpften, gewöhnten sich schnell an die neue Umgebung. Besucher aus dem Volk der Drachen, die nicht auf Atlantis ausgeschlüpft sind, werden blind und verlieren ihr logisches Denkvermögen bis zu dem Augenblick, da sie wieder an Bord ihres Schiffes gehen und in den Weltraum starten. Die Drachen haben ein besonders gutes Verhältnis zu den Trollen, von denen sie während der langen Reise oft beraten werden. Da die Trolle eigentlich Nomaden sind, ist es nicht verwunderlich, daß man sie in erster Linie an Bord von Drachenschiffen findet. Die Drachen sind ein stolzes und unabhängiges Volk. Sie besitzen einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Auf vielen Welten werden sie zu Richtern berufen. Es ist sehr schwer, die Freundschaft eines Drachen zu erringen, aber wenn man einmal sein Vertrauen gewonnen hat, kann man sich auf ihn verlassen wie auf kein anderes Wesen. Wahrscheinlich wird es noch Drachen geben, wenn alle anderen Völker unser Galaxis längst ausgestorben sind.
* Das erste Gefühl; das Cnossos nach seinem Erwachen aus tiefer Bewußtlosigkeit empfand, war der Eindruck unerträglicher Helligkeit. Er schloß geblendet die Augen
3 und blieb bewegungslos liegen. Die Luft, die er atmete, war warm und hatte einen salzigen Geruch. Um ihn herum summten und schwirrten kleine Tiere, wie es sie auf Balam nicht gab. Es ist gelungen! dachte er mit einem Gefühl tiefer Befriedigung. Vorsichtig öffnete er die Augen und ließ das Licht nur durch einen Schlitz eindringen. Allmählich gewöhnte er sich an die Helligkeit. Er lag in hohem Gras. Als er den Kopf drehte, entdeckte er Gnotor. Sein Assistent war noch bewußtlos und lag bewegungslos am Boden. Obwohl er nur einen Ausschnitt ihrer Umgebung sehen konnte, wußte Cnossos, daß sie auf Chron herausgekommen waren. An Bord des Forschungsschiffes in der Dimension A mußte inzwischen ein Chaos ausgebrochen sein. Cnossos bezweifelte, daß einer der balamitischen Raumfahrer überleben würde. Doch das war ihm gleichgültig. Der Sprung durch den Objekttransporter in die Nachbardimension war gelungen. Sie befanden sich auf Chron, der Parallelwelt des dritten Planeten ihres eigenen Systems. Cnossos' Hände tasteten umher und berührten den Metallkasten, in dem die Unterlagen für den Bau der Dimensionsbrücke untergebracht waren. Unwillkürlich atmete er auf. Dieses Material war unersetzlich. Er benötigte es, um mit Hilfe der Chroniter die Dimensionsbrücke zu errichten, über die alle Balamiter in diese Dimension gelangen sollten. Erst jetzt hob Cnossos den Kopf. Sie lagen auf einem flachen Hang oberhalb der Küste. Die Stadt der Chroniter war von hier aus nicht zu sehen, aber ein paar vereinzelt in der Landschaft stehende Gebäude bewiesen Cnossos endgültig, daß er sein Ziel erreicht hatte. Er blickte zum Meer hinab und sah die mit Schaumkronen bedeckten Wellen gegen den hellen Strand rollen. Welch ein Unterschied zu den stinkenden Tümpeln von Balam dachte er. Ein paar Schiffe, deren Besitzer große
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Stoffetzen an eine Stange gebunden hatten, um den Wind als Antrieb auszunutzen, schaukelten auf dem Wasser. Am Strand lagen ein paar Chroniter und ließen sich von der Sonne bescheinen. Gnotor blickte sich um. Unwillkürlich hielt er den Atem an. Cnossos sah ihn verständnisvoll an. »Eine wunderschöne Welt, nicht wahr?« »Ein Paradies!« bestätigte Gnotor. »Auf dieser Welt werden wir Balamiter einmal leben.« Cnossos richtete sich jetzt zu voller Größe auf. Die chronitische Gestalt, die er angenommen hatte, wirkte noch unvollkommen, aber da niemand in der Nähe war, brauchte er nicht zu befürchten, als Fremder erkannt zu werden. Chroniter, die vom Strand zum Hang hinaufblickten, würden bestenfalls eine Silhouette sehen. Cnossos atmete tief die reine Luft ein. »Die Eroberung dieses Planeten rechtfertigt alle Anstrengungen und Opfer.« Gnotor kniete noch neben ihm. »Wie gehen wir jetzt vor?« fragte er. Cnossos blickte zu den einsamen Gebäuden auf den anderen Hügeln hinüber. Dort würden sie bestimmt geeignete Opfer finden. »Wir brechen auf!« entschied Cnossos. Die beiden Balamiter verließen den Platz an der Küste und wanderten landeinwärts.
* Jokanmer ließ den Sonnenschutz hochschnellen und öffnete das Fenster. Er war ein großer, breitschultriger Atlanter mit einem schönen, etwas weich wirkenden Gesicht. Er drehte sich langsam um. Terapa lag noch auf dem Bett und schlief. Das Sonnenlicht ließ den nackten Körper des Mädchens bronzefarben schimmern. »Terapa!« sagte Jokanmer zärtlich. Er würde niemals bereuen, sie als Gefährtin gewählt zu haben. Sie waren in dieses Ferienhaus abseits von Muon gekommen, um die Tage der Einsamkeit gemeinsam zu
verbringen. Über dem kleinen Haus wehte das Banner der Liebe, ein weithin sichtbares Zeichen für alle Atlanter, daß hier ein junges Paar ungestört bleiben wollte. Jokanmer ging zum Bett und setzte sich auf die Kante. Er begann das Mädchen zu streicheln, bis es erwachte und sich auf den Rücken drehte. »Küß mich!« forderte sie ihren Gefährten mit geschlossenen Augen auf. Er beugte sich zu ihr hinab. »Wir müssen aufstehen«, sagte er nach einer Weile. »Oder möchtest du verhungern?« Er stand auf und warf ihr die Kleider zu, mit denen sie im Baderaum verschwand. Noch nie war Jokanmer das Leben so schön erschienen. Er war glücklich. In diesen Tagen dachte er nicht einmal an seine Arbeit, die ihm früher so viel bedeutet hatte. Ungeduldig wartete er, daß Terapa aus dem Baderaum zurückkehren würde. Nachdem er das verspätete Frühstück eingenommen hatte, ging er wieder zum Fenster und blickte hinaus. Etwa hundert Schritte vom Ferienhaus entfernt standen zwei Männer und sahen zu ihm herüber. Da Jokanmer gegen die Sonne blickte, konnte er nicht erkennen, wer es war. Aber sicher hatten die beiden Atlanter inzwischen das Banner der Liebe gesehen und würden sich zurückziehen. Vielleicht waren es Bewohner eines benachbarten Gebäudes. Als die beiden Fremden jedoch keine Anstalten machten, sich zurückzuziehen, fragte Jokanmer sich ärgerlich, ob er nicht hinübergehen und sie auf ihr schlechtes Benehmen aufmerksam machen sollte. Ob es Arbeitskollegen waren, die ein paar wichtige Fragen an ihn richten wollten und sich genierten, bis zum Haus zu kommen? überlegte Jokanmer. Er verneinte seine eigene Frage. Keiner seiner Kollegen wäre gekommen, um die Tage der Einsamkeit zu stören. Auch die Möglichkeit, daß es Sternfahrer waren, die die Regeln von Muon nicht kannten, schloß Jokanmer aus. Fremde Sternfah-
Meister der Dimensionen rer verließen nie den Stadtkern. Er hörte Geräusche im Hintergrund. Terapa war aus dem Baderaum gekommen. Sie trug eine um die Taille gegürtete Tunika, die ihre zierliche Figur unaufdringlich betonte. Für einen Augenblick vergaß Jokanmer die beiden Fremden unweit des Ferienhauses. »Komm her!« sagte er. Sie glitt in seine Arme. Als Jokanmer sie wieder losließ und ins Freie blickte, sah er zu seinem Erstaunen, daß die beiden Unbekannten sich langsam dem Ferienhaus näherten. Dabei hatte Jokanmer den Eindruck, daß sich die beiden irgendwie seltsam bewegten. »Sieh dir das an!« forderte er Terapa auf. »Die beiden Kerle besitzen nicht den geringsten Anstand. Sie kommen direkt hierher.« »Ob sie das Banner nicht gesehen haben?« fragte das Mädchen. Ihr Gefährte schüttelte den Kopf. »Sie haben es gesehen! Ich werde eine Erklärung von ihnen verlangen. Schließlich möchte ich mit dir allein sein.« Terapa schmiegte sich an ihn. So standen sie am Fenster und beobachteten die Annäherung der Männer. Jedesmal, wenn er die beiden zwischen Büschen und Bäumen auftauchen sah, verstärkte sich Jokanmers Überzeugung, daß etwas mit ihnen nicht in Ordnung war. Aus seinem Ärger wurde Beunruhigung. Eine Drohung schien plötzlich über dem Land zu liegen. Jokanmer machte sich von seiner Gefährtin los. »Ich gehe hinaus!« sagte er entschlossen. Sie hielt ihn fest. »Warte!« Ihre Stimme zitterte. »Sieh dir die Arme des rechten Mannes an.« Jokanmer blickte wieder aus dem Fenster. Einer der Fremden hielt die Arme angewinkelt, so daß deutlich erkennbar wurde, daß er zwei verschieden lange Arme besaß. Den Eindruck der Unfertigkeit, den die Unbekannten auf Jokanmer machten, wurde dadurch noch verstärkt. Er küßte Terapa auf
5 die Stirn und verließ das kleine Haus. Draußen herrschte Windstille, die Luft wirkte plötzlich drückend, und vor der Sonne ballte sich eine dunkle Wolke zusammen. Jokanmer versuchte, ein Gefühl tiefen Unbehagens von sich abzuschütteln. Er schloß die Tür hinter sich. Er sah die Fremden jetzt zwischen den Bäumen unweit des Hauses auftauchen. Zweifellos hatten sie ihn entdeckt. Sie kamen direkt auf ihn zu. Jokanmer fragte sich erstaunt, warum er ihre Gesichter nicht sehen konnte. Fast hatte er den Eindruck, daß die Männer weiße Masken trugen, doch das war sicher auf die ungünstigen Lichtverhältnisse zurückzuführen. Die Kleidung der Ankömmlinge sah fremdartig aus und hing schlaff an ihren Körpern. Vielleicht waren es doch Sternfahrer. Jokanmer hörte Terapa am Fenster aufschreien. »Ihre Gesichter, Jok! Sie haben keine richtigen Gesichter!« Voller Entsetzen stellte Jokanmer fest, daß seine Gefährtin recht hatte: Die beiden Männer hatten formlose Gesichter, in denen Nase, Lippen, Wangen und Augenbrauen nur andeutungsweise existierten. Nur die Augen schienen voll ausgebildet zu sein. Unwillkürlich mußte Jokanmer an die geheimnisvollen Vorgänge denken, die sich in den letzten Tagen in Muon ereignet hatten. Gegenstände verschiedenster Art, Pflanzen, Tiere und Atlanter waren auf geheimnisvolle Weise verschwunden. Immer wieder hatten Frauen und Männer davon berichtet, daß sie sich von fremden Mächten beobachtet fühlten. Jokanmer wich langsam zur Tür zurück. Er hatte das sichere Gefühl, daß er Terapa gegen eine schreckliche Gefahr beschützen mußte. Hilfe konnte er nicht mehr herbeirufen. Er stieß die Tür auf und stolperte rückwärts in das Haus. »Schließ das Fenster!« rief er seiner Gefährtin zu.
6 »Was … wer ist das, Jok?« »Ich weiß es nicht«, entgegnete er gefaßt, »aber ich glaube nicht, daß es sich um Freunde handelt. Es sind Fremde, die keine guten Absichten haben. Wir dürfen sie nicht ins Haus lassen. Er blickte sich im Raum um und ergriff nach kurzer Überlegung eine Schaufel. Er umklammerte sie mit einer Hand und nahm neben der Tür Aufstellung. »Wenn sie ins Haus eindringen und mich überwältigen, mußt du zu fliehen versuchen«, sagte er zu Terapa. Er hörte die Schritte der Männer draußen im Sand. Dann wurde es still. Unwillkürlich hielt er den Atem an. Sie standen vor der Tür und lauerten. Jokanmer bekam einen trockenen Hals. Seine Hände zitterten. Die Bedrohung war jetzt spürbar wie ein körperlicher Schmerz. Etwas unglaublich Fremdes und Bösartiges stand draußen vor der Tür und wartete auf eine Möglichkeit, das Haus zu betreten. Wieder wurden Schritte hörbar. Sie schleichen um das Haus! dachte Jokanmer. Er trat einen Schritt zurück, so daß er das Fenster sehen konnte, aber Terapa hatte den Sonnenschutz heruntergezogen, so daß er nicht ins Freie blicken konnte. Die Schritte verklangen. »Sie sind jetzt auf der Rückseite des Hauses«, sagte Terapa. »Nur ruhig«, sagte er zuversichtlich. »Ich werde schon mit ihnen fertig, wenn sie nicht freiwillig verschwinden.« Bisher hatten die beiden Männer noch nichts unternommen, was sie als Feinde ausgewiesen hätte, doch Jokanmer wußte, daß er sich auf sein Gefühl verlassen konnte. Er spürte ganz deutlich, daß etwas Grauenerregendes in der Nähe war. Plötzlich schlug jemand mit der Faust gegen die Tür. Terapa stieß einen Schrei aus und Jokanmer zuckte zusammen. »Aufmachen!« rief eine dumpfe Stimme. »Wir wissen, daß jemand im Haus ist.« Diese Stimme! dachte Jokanmer, während die Furcht unaufhaltsam alle seine anderen Gefühle verdrängte. Diese unglaublich frem-
William Voltz de Stimme! Wer immer vor der Tür stand, sprach zwar perfekt die Sprache der Atlanter, aber seine Stimme besaß keine Seele. Seine Stimme drückte nichts aus, sie war kalt und drohend. Jokanmer nahm allen Mut zusammen. »Über diesem Haus weht das Banner der Liebe!« gab er zurück. »Sie haben es gesehen. Sie dürfen uns nicht stören. Verschwinden sie endlich.« Er hörte ein herausforderndes Lachen. »Öffnen Sie!« rief die Stimme. Zu seinem Entsetzen spürte Jokanmer, daß etwas Fremdes Gewalt über ihn bekam. Er sträubte sich mit all seiner verstandesmäßigen Kraft gegen den inneren Drang, auf die Tür zuzugehen und sie zu öffnen. Sie beeinflussen mich! dachte er verzweifelt. »Los! Öffnen Sie endlich!« Jokanmer machte einen Schritt, dann noch einen. Tränen schossen ihm in die Augen, denn in seinem Unterbewußtsein begann er bereits zu ahnen, daß seiner Gefährtin und ihm ein schreckliches Schicksal bevorstand. »Du mußt fliehen, Terapa!« rief er. »Versuche, durch das Fenster zu entkommen.« »Ich kann nicht, Jok!« gab sie mit brüchiger Stimme zurück. »Etwas … etwas hält mich fest.« O, nein! dachte Jokanmer. In blinder Wut holte er aus und hieb mit der Schaufel gegen die Tür. Der Stiel brach ab. Jokanmer sah, daß er die Hand ausstreckte und nach dem Türöffner griff. Alles geschah sehr langsam, aber mit unaufhaltsamer Regelmäßigkeit. Wir sind verloren! schoß es ihm durch den Kopf. Er drehte den Türknauf herum und zog die Tür auf. Vor ihm stand einer der Männer. In seinem formlosen Gesicht brannten zwei dunkle Augen und zogen Jokanmer sofort in ihren Bann. Die Blicke des Mannes, die eine zügellose
Meister der Dimensionen Gier ausdrückten, wanderten an Jokanmer vorbei ins Innere des Hauses und blieben schließlich an Terapa hängen, die totenblaß geworden war. Der Fremde lachte. »Ein chronitisches Pärchen, Gnotor«, sagte er spöttisch. »Wie reizvoll für uns. Denken Sie doch einmal darüber nach, ob Sie der Kerl oder das Mädchen sein möchten!« Was immer diese Worte bedeuteten, sie verhießen nichts Gutes. Die Angst saß Jokanmer wie ein Kloß in der Kehle, doch er fand einen Augenblick zu sich selbst zurück und warf sich auf den Mann, der vor ihm stand. Da geschah etwas Unheimliches. Einer der Arme des Unbekannten verformte sich, wurde lang und dünn und schlang sich wie das Ende einer Peitsche um Jokanmers Hals. Jokanmer bekam keine Luft mehr und faßte sich mit beiden Händen an die Kehle. »Nur nicht so aggressiv«, ermahnte ihn der Fremde. Jokanmer spürte, daß er wieder beeinflußt wurde. Der Arm des Mannes nahm wieder die ursprüngliche Form an. Jokanmer schwankte ins Haus zurück. Nun tauchte auch der zweite Fremde auf. _ »Da Sie mir die Wahl überlassen, möchte ich gern das Mädchen sein«, sagte er. »Wie Sie wünschen, Gnotor. Schneller als wir hoffen konnten, haben wir zwei geeignete Exemplare gefunden. Wir werden sie studieren und dann ihr Aussehen annehmen. Auf diese Weise können wir unauffällig in die Stadt gelangen. Dort sehen wir uns um.« »Und die beiden Chroniter?« »Wir werden sie töten müssen. Es wäre doch zu peinlich, wenn sie plötzlich zweimal in der Stadt herumlaufen würden. Ich glaube nicht, daß jemand auf Chron Verständnis dafür haben würde.« Jokanmer besaß längst keinen eigenen Willen mehr. Er nahm die Worte der beiden Männer nur unbewußt wahr. Seine Liebe zu Terapa verlieh ihm noch so etwas wie persönliches Leben, aber mehr als ein Gefühl unendlicher Trauer um seine Gefährtin resultierte daraus nicht.
7 Die Unbekannten betraten die Hütte und verschlossen die Tür hinter sich. »Wir werden vom Glück begünstigt«, sagte der größere der beiden Männer. »Diese Chroniter sind harmlose Wesen, die nicht ahnen, was ihnen bevorsteht.« Er wandte sich an den jungen Atlanter. »Sage mir deinen Namen.« »Jokanmer!« »Jokanmer«, wiederholte der Mann langsam und betont. »Cnossos gefällt mir zwar besser, doch es wird einige Zeit dauern, bis ich diesen Namen wieder offiziell tragen kann.« Er durchquerte den großen Innenraum. »Wir müssen uns gut umsehen, Gnotor«, sagte er. »Immerhin besteht die Möglichkeit, daß uns jemand Fragen stellt, wenn wir in Gestalt dieser beiden Chroniter in die Stadt kommen.«
* Aus dem Buch der Trolle: Die Trolle sind die Nomaden der Galaxis. Obwohl sie keine eigenen Raumschiffe besitzen, ist der größte Teil dieses Volkes ständig auf Reisen. Die Trolle halten sich hauptsächlich an Bord der großen Drachenschiffe auf, denn mit den Drachen verbindet diese Wesen eine unauslöschliche Freundschaft. Ohne Hilfe der Trolle hätten die Drachen wahrscheinlich niemals eine Raumschiffzivilisation von solchen Ausmaßen entwickelt. Solange man zurückdenken kann, lebten die Trolle an Bord von irgendwelchen Raumschiffen. Es ist deshalb schwer, etwas über ihre Herkunft zu erfahren. Zwei Theorien sind in diesem Zusammenhang erwähnenswert. Die eine sieht in den Trollen ein durch Mutation aus Schiffsungeziefer hervorgegangenes Volk, die andere bezeichnet sie als Wesen, die den Sprung von einer anderen Galaxis in unsere Milchstraße geschafft haben. Ein Atlanter, der die Freundschaft eines Trolls gewonnen hat, kann sich glücklich schätzen, denn man schreibt diesen Wesen
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eine Reihe wunderbarer Fähigkeiten zu. Sie können bestimmte Ereignisse bis zu einem gewissen Maß beeinflussen, was man allgemein als »Wundertätigkeit« bezeichnet, aber sich weitaus besser durch übersinnliche Kräfte erklären läßt. Trolle können sich auf sichtbaren Energiestrahlen fortbewegen, vor allem auf Sonnenlicht. Einzelne Angehörige dieses Volkes gelten als launisch, herrschsüchtig und starrköpfig, gleichzeitig aber auch als gutmütig und verständnisvoll. Die Trolle trugen in erster Linie dazu bei, daß die Herrschaft der Riesen beendet werden konnte. Trolle und Riesen sind unversöhnliche Gegner, ihr gegenseitiger Haß wird nur noch vom Haß zwischen Riesen und Drachen übertroffen. Kein Sternfahrer würde es wagen, die Bitte eines Trolls, an Bord kommen zu dürfen, abzuschlagen. Die Trolle treffen sich alle hundert Jahre einmal auf einem geheimen Planeten irgendwo in der Galaxis, um ein paar Tage gemeinsam zu verbringen.
2. Noch bevor die DIKEYABAN landete, erhielt Bhutor über Funk die Nachricht, daß Tobos einen Schlaganfall erlitten hatte. »Sie wissen, was das bedeutet«, sagte Kapitän Altrox. »Der alte Mann ist den Anstrengungen nicht mehr gewachsen. Er wird Neuwahlen ausschreiben lassen. Nachdem Sie dieses Schiff unbeschadet zurückgebracht haben, wird Ihr Ansehen bei den Atlantern noch steigen. Sie werden zum neuen Ersten Rat gewählt werden.« Ein wenig fassungslos blickte Bhutor auf die Instrumente und versuchte seine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Nachdem er sich auf geschickte Weise Dragons, seines Rivalen, entledigt hatte, kam ihm das Schicksal zu Hilfe und machte ihm den Weg in die Regierungsspitze von Atlantis frei. Auch wenn Tobos überlebte, würde er die Regierungsgeschäfte kaum wieder aufnehmen.
»Ich habe bei dieser Mission einen Mann aufgeben müssen, der zu unseren fähigsten und beliebtesten Mitarbeitern zählte«, sagte Bhutor mit gesenktem Kopf. »Wie könnte ich unter diesen Umständen auch nur daran zu denken wagen, die Position Tobos' einzunehmen?« Die Wissenschaftler protestierten heftig und beschworen Bhutor, diese Einstellung zu ändern. »Sie wollten Ihr Leben aufs Spiel setzen, um ihn zu retten«, sagte Kapitän Altrox. »Doch Sie mußten einsehen, daß das Schiff und die Besatzung wichtiger waren als das Leben eines einzelnen Atlanters. Sie haben sich vorbildlich verhalten.« »Wir werden dafür sorgen, daß der Rat alles erfährt!« rief einer der Energieforscher. Diese Narren! dachte Bhutor verächtlich. Sie überboten sich geradezu mit Lobeshymnen. Sie würden seine Wegbereiter sein. Dragon tot und Tobos schwer erkrankt! Jetzt gehörte Mura ihm. Als die DIKEYABAN ein paar Schreie später landete, wimmelte es im Raumhafen von Atlantern. Altrox blickte durch die Sichtluke. »Man wird Ihnen einen triumphalen Empfang bereiten«, prophezeite er. »Die Atlanter brauchen jetzt jemanden, auf den sie sich verlassen können. Für die Bewohner von Muon sind Sie bereits der neue Erste Rat.« Obwohl er es kaum erwarten konnte, einen Blick auf die Menschenmenge zu werfen, ging Bhutor nur zögernd zur Sichtluke. Niemand sollte denken, daß er auf einen solchen Augenblick nur gewartet hatte. Die Anzahl der draußen versammelten Atlanter überraschte ihn. Obwohl es regnete, standen schätzungsweise einhunderttausend Frauen und Männer auf dem Landefeld. Bhutor war trotz seines unstillbaren Ehrgeizes Realist genug, diese Situation richtig einzuschätzen. Die Atlanter kamen nicht allein, um ihren wahrscheinlichen neuen Ersten Rat zu sehen, sondern sie suchten eine Antwort auf alle ungelösten Fragen. Die Angst vor unerklärlichen Ereignissen hatte
Meister der Dimensionen sie hierher getrieben. »Es wird am besten sein, wenn ich mich heimlich aus dem Schiff entferne«, sagte Bhutor. »Diese Enttäuschung dürfen Sie den wartenden Atlantern nicht bereiten«, meinte Altrox. Er sah Bhutor prüfend an. »Sie werden doch nicht angesichts der auf Sie zukommenden Verantwortung Ihr Selbstbewußtsein verlieren.« »Das nicht«, versicherte Bhutor. »Aber ich muß so schnell wie möglich mit Tobos sprechen und Instruktionen von ihm entgegennehmen.« Entgegen seiner Ankündigung hatte er nicht vor, sich von dem kranken, alten Mann irgendwelche Vorschriften machen zu lassen. Er kannte nur ein Ziel: Der Wahltermin mußte vorverlegt werden. Bhutor wollte möglichst schnell Erster Rat werden. Dann würde er den Kartos-Berg hinaufsteigen, um die Goldene Fee zu besuchen.
* Tobos lag in seinem halbdunklen Zimmer und hörte das Plätschern des Regenwassers, das aus einem defekten Teilstück der Abflußanlage in den Hof floß. Mura kniete neben ihm und hatte ihren Kopf gegen seine Brust gepreßt. Sie schluchzte leise. Vor einem Schrei war die Nachricht eingetroffen, daß Dragon nicht vom Flug der DIKEYABAN zurückkehren würde. Für Tobos, der halbseitig gelähmt in seinem Bett lag, war diese Nachricht ein neuer schwerer Schock, aber noch schwerer war Mura davon getroffen worden. Niemals würde Tobos ihr versteinertes, totenblasses Gesicht vergessen, als sie ihn nach Eintreffen der Unglücksbotschaft angesehen hatte. Erst jetzt löste sich allmählich ihre Starre, und sie konnte ihrem Schmerz Ausdruck verleihen. Das Schlimmste für den Ersten Rat war seine Hilflosigkeit. Er war zu einem passiven Zuschauer degradiert worden, unfähig, die Ereignisse zu beeinflussen oder irgendwelche Anordnungen zu geben.
9 Der Gesundsprecher kam herein, doch Tobos schickte ihn wieder weg. »Mura«, sagte er sanft. »Du mußt versuchen, damit fertig zu werden. Du bist noch viel zu jung, um dich in dieser Weise zu quälen.« Die antwortete nicht, sondern preßte sich nur fester gegen ihn. Warum konnte er ihr ausgerechnet in einer solchen Situation nicht beistehen? fragte er sich verzweifelt. Alles schien sich gegen Atlantis und ihn verschworen zu haben. Er dachte an die düsteren Prophezeiungen der Goldenen Fee. »Aber, ich kann nicht glauben, daß Dragon nicht mehr lebt«, sagte Mura schließlich. »Niemand hat ihn gesehen. Vielleicht blieb sein Beiboot unzerstört, und er wurde von einem anderen Schiff an Bord genommen oder ist auf einer anderen Welt gelandet.« »Du darfst dich nicht an solche unsinnigen Hoffnungen klammern, mein Kind.« Er wußte, daß sie auf diese Weise ihr Leid nur vergrößern würde. »Es ist besser, die Dinge so zu sehen, wie sie sind.« Sie hob plötzlich den Kopf. Tobos erschrak vor dem Ausdruck in ihren Augen. »Bhutor hat ihn getötet!« stieß sie haßerfüllt hervor. »Er ist dafür verantwortlich!« Er sah sie bestürzt und erschüttert an. »Du weißt nicht, was du redest, Mura! Das darfst du nicht sagen. Bhutor hat alles getan, um ihn zu retten, dessen bin ich ganz sicher.« Sie richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf. Wie sie da im Halbdunkel vor ihm stand, erschien sie Tobos zart und zerbrechlich, obwohl er wußte, daß sie einen ausgeprägten Willen besaß. »Ich gehe jetzt, Vater!« sagte sie. Bevor er einen Einwand erheben konnte, verließ sie das Krankenzimmer. Tobos rief einen der Ärzte zu sich. »Jemand soll sich um meine Tochter kümmern!« ordnete er an. »Sie ist völlig verwirrt. Ich möchte verhindern, daß sie irgendwelche Dummheiten begeht.«
10 »Sie müssen jetzt vor allem an sich denken, Tobos«, ermahnte ihn der Mediziner. »Ihre Tochter ist jung und gesund. Sie sind es, der jetzt Hilfe braucht.« Tobos schloß einen Moment die Augen. Er mußte sich beherrschen, um nicht aufzubrausen. »Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe.« Verärgert ging der Arzt hinaus. Tobos lag da und dachte nach. Es waren immer wieder dieselben Probleme, die ihn beschäftigten. Er wurde in seinen Gedanken unterbrochen, als ein anderer Mediziner hereinkam. »Bhutor ist eingetroffen. Erster Rat.« Tobos nickte erleichtert. »Er soll hereinkommen.« »Denken Sie daran, daß Sie alle Anstrengungen und Aufregungen vermeiden müssen, wenn Sie wieder gesund werden wollen.« Tobos lächelte spöttisch. »Sie sagten es bereits! Doch jetzt soll Bhutor endlich kommen.« Schritte klangen auf. Bhutor betrat das Krankenzimmer. Äußerlich hatte er sich nicht verändert, aber Tobos sah plötzlich, daß sein Stellvertreter von einer Aura der Autorität und Arroganz umgeben wurde. Er fragte sich, warum ihm das heute zum erstenmal auffiel. Hatte er erst schwer erkranken müssen, um diese Anzeichen erkennen zu können? Oder kamen sie bei Bhutor erst jetzt richtig zum Vorschein? Bhutor deutete eine knappe Verbeugung an. »Ich bin bestürzt, Erster Rat!« »Lassen wir das!« winkte Tobos ab. »Wir sind erwachsene Männer und wissen beide, daß wir uns in der jetzigen Situation nicht mit theoretischen Erörterungen beschätigen dürfen. Es geht um das Schicksal von Atlantis. Ich habe Ihnen bisher aus gutem Grund verschwiegen, was ich bei meinem letzten Besuch bei der Goldenen Fee erfahren habe, doch nun muß ich Sie informieren.« Bhutor runzelte die Stirn und sah ihn abwartend an. Mit knappen Worten schilderte
William Voltz Tobos ihm, was sich während des letzten Besuches auf dem Hochplateau des KartosBerges zugetragen hatte. »Sie kennen die Ereignisse der letzten Tage«, schloß Tobos. »Alles, was geschieht, scheint die Worte der Goldenen Fee zu bestätigen.« »Ich glaube nicht an solche Prophezeiungen!« Bhutor hob trotzig den Kopf. »Wir haben uns schon immer zu sehr auf die Goldene Fee verlassen, anstatt unser Schicksal in die Hände zu nehmen. Ich werde die Fee besuchen und ihr klarmachen …« Er unterbrach sich, denn ihm war klargeworden, daß er einen nicht wiedergutzumachenden Fehler begangen hatte. Es war mehr als unschicklich, in Gegenwart des Ersten Rates so zu sprechen, als wäre die Nachfolge bereits geklärt. Tobos lächelte schmerzlich. »Natürlich«, sagte er matt. »Sie werden neuer Erster Rat sein.« Bhutor blickte sich im Zimmer um. »Wo ist Mura?« erkundigte er sich ausweichend. »Wenn ich dieses Haus besuche, möchte ich sie zumindest begrüßen.« »Gehen Sie ihr aus dem Weg!« empfahl ihm Tobos. Er versuchte sich aufzurichten, doch das gelang ihm nicht. »Wir wollen uns jetzt über einen Wahltermin einigen.« »Sie bestimmen den Termin, Erster Rat!« Tobos' Blicke schienen durch ihn hindurchzusehen. »Wir wählen Sie in zwei Tagen zu meinem Nachfolger«, verkündete er.
* Die Drachen trafen sich im größten Raum des Schiffes, um zu beraten. Da viele von ihnen nicht auf Atlantis ausgeschlüpft waren, konnte die Versammlung nicht vor dem Schiff auf dem Landefeld stattfinden. GulfSutor eröffnete die Sitzung. Er wurde von Kladdisch und Hardox flankiert, die erst vor wenigen Tagen erwachsen geworden und an Bord gekommen waren. »Drachenberater Flotox hat sich in eine
Meister der Dimensionen Kiste eingeschlossen und will sie nicht mehr verlassen«, eröffnete Gulf-Sutor die Versammlung. »Er ist voller Trauer wegen des Todes von Dragon. Kladdisch und Hardox teilen diese Trauer, aber sie wissen auch, daß sie nichts ändern können, wenn sie ihr Leben ändern.« »Ja«, bestätigte Hardox. »Dragon hat uns aufgezogen. Wir sind ihm zu Dank verpflichtet.« Beifälliges Gemurmel wurde laut. Sechsundzwanzig Drachen - die gesamte Besatzung des riesigen Schiffes - hatten sich in der großen Halle versammelt. Der Lärm ihrer knarrenden Stimmen klang bis in die Korridore hinaus. »Aber wir können für Dragon nichts mehr tun«, fügte Kladdisch hinzu. »Vielleicht können wir seinem Freund Flotox helfen.« Gulf-Sutor formte den langen Hals zu einem S und hockte sich auf die stämmigen Hinterbeine. Auch er war auf Atlantis aus dem Ei geschlüpft, deshalb fühlte er sich mit den hier lebenden Wesen besonders verbunden. »Wir werden Flotox einen Vorschlag unterbreiten«, verkündete er. »Da der Troll jetzt ohne Freund ist, wird er Atlantis verlassen wollen. Wir werden ihm anbieten, an Bord unseres Schiffes zu bleiben und an der Langen Reise teilzunehmen.« »Es gibt keinen besseren Drachenberater!« rief Kladdisch. »Wir wollen mit ihm reden!« Gulf-Sutor griff nach einer neben ihm stehenden Metallkiste und hob sie hoch. »Flotox!« rief er. »Mußt du immer so schreien?« fragte ein empört klingendes Stimmchen aus der Kiste. »Könnt ihr mich nicht in Ruhe lassen?« Gulf-Sutor schüttelte die Kiste. »Aufhören, du Ungeheuer!« schrie Flotox. »Ich werde öffnen!« Der Kistendeckel wurde von innen aufgeklappt, und Flotox' zerknittert aussehendes Gesicht blickte über den Rand. Seine Äuglein funkelten zornig. Gulf-Sutor stellte die Kiste wieder ab, so
11 daß Flotox herausklettern konnte. »Wir wollen uns mit dir unterhalten!« Gulf-Sutors Augen blickten starr auf den Zwerg hinab. »An Bord unseres Schiffes reiste schon lange kein Drachenberater mehr. Da du deinen Freund verloren hast, könntest du uns auf der Langen Reise begleiten.« Flotox stemmte die Ärmchen in die Seite. »Dragon lebt!« schrie er. »Das ist sehr unwahrscheinlich«, entgegnete Gulf-Sutor behutsam. »Ich habe mein größtes Wunder vollbracht!« behauptete Flotox. »Dragon wird zurückkehren.« »Du willst uns also nicht begleiten?« erkundigte sich Jackmur, ein alter, fetter Drache. Flotox schüttelte entschieden den Kopf. »Ich bleibe in Muon und warte auf Dragons Rückkehr.« Die Drachen waren enttäuscht, aber sie erhoben keine weiteren Einwände. »Vielleicht änderst du deine Meinung noch«, sagte Gulf-Sutor abschließend. »Unser Schiff bleibt noch ein paar Tage auf dieser Welt. Es wird dir immer offenstehen.«
* Als Bhutor das Krankenzimmer verließ, fühlte er sich unbefriedigt. Irgendwie hatte er sich das entscheidende Zusammentreffen mit Tobos anders vorgestellt. Der alte Mann machte einen verbitterten und sogar zynischen Eindruck, und was noch schlimmer war er schien Bhutor jetzt zu durchschauen. Bhutor blieb im Vorraum stehen und sammelte sich. Er hatte allen Grund zur Zufriedenheit. Tobos hatte sich längst mit seinem Schicksal abgefunden und erschöpfte sich in mehr oder weniger geistreichen Sticheleien. Was zählte, war die Festsetzung des Wahltermins. Selbst Bhutor hatte nicht daran geglaubt, daß Tobos bereits in zwei Tagen zurücktreten würde. Der Energieforscher verließ den Vorraum und fragte die Ärzte, ob sie Mura gesehen
12 hätten. »Sie ist einen Schrei vor Ihrer Ankunft aufs Dach hinaufgegangen«, wurde ihm gesagt. Bhutor zögerte, doch dann siegte sein Verlangen nach dem Mädchen über seinen Verstand, und er stieg die breite Treppe zum Dach hinauf. Er öffnete den Verschlag. Kühler Wind fuhr ihm ins Gesicht, und dicke Regentropfen machten sein Haar in wenigen Augenblicken naß und strähnig. Er sah Mura mitten auf dem Dach stehen. Sie hatte das Gesicht gegen den Regen erhoben und bewegte sich nicht. Ihre Kleider klebten am Körper und ließen Bhutor die weiblichen Formen erkennen. Er zitterte vor Aufregung und Verlangen. In diesem Augenblick erkannte er, daß er sie niemals aufgeben würde, daß sie ihm wertvoller erschien als alle anderen Frauen, deren Gunst er bisher hatte erringen können. Er kletterte auf das Dach hinaus, ohne daß sie ihn sehen konnte. Von hinten schlich er auf sie zu und schlang plötzlich die Arme um sie, so daß sie sich nicht wehren konnte. Zu seinem Erstaunen schrie sie nicht und machte auch keine Anstalten, sich aus seiner Umklammerung zu befreien. »Mura!« rief er wie von Sinnen. Scheinbar willenlos ließ sie sich von ihm auf den Boden ziehen, doch als er sich über sie wälzte, hob sie plötzlich einen Arm, und Bhutor sah ein Messer in ihrer Hand. Der Arm fuhr herab, und die Klinge bohrte sich tief in Bhutors Schulter. Er schrie auf und wälzte sich seitwärts. Wie eine Katze kam sie ihm nach. Ihre Augen waren weit geöffnet, das Gesicht glänzte vor Nässe. Sie stürzte sich auf ihn, doch Bhutor traf mit einem gezielten Tritt ihre Hand mit dem Messer. Die Waffe klirrte auf den Boden. Bhutor ergriff sie und warf sie über das Dach. Dann richtete er sich auf. Blut quoll aus seiner Wunde und vermischte sich mit dem Regen. Schweratmend stand Mura ihm gegenüber.
William Voltz »Du hast ihn umgebracht!« keuchte sie. Wut und Enttäuschung vernebelten seine Sinne, dazu kam noch der bohrende Schmerz der Stichwunde. »Ja«, krächzte er triumphierend. »Ich habe dafür gesorgt, daß er diese Welt nicht wiedersehen wird. Früher oder später wirst du mir gehören, Mura, und ich werde immer das Bewußtsein haben, daß Dragon dich niemals besessen hat.« Ihr irres Lachen gellte in seinen Ohren. »Du wirst mich niemals bekommen, Bhutor!« rief sie leidenschaftlich. »Ich bringe mich um, bevor ich dir gehöre. Aber er hat mich besessen, das schwöre ich dir.« Der Haß erstickte seine Stimme. Wäre er nicht verletzt gewesen, hätte er sich in diesem Augenblick auf sie gestürzt. Noch einmal kreuzten sich ihre Blicke, dann huschte Mura davon. Bhutor taumelte hinter ihr her, besann sich aber noch rechtzeitig, daß er in diesem Zustand nicht nach unten in den Innenraum gehen konnte. Er suchte die flachste Stelle des Daches und sprang in den Hof hinab. So brauchte er nicht zu fürchten, daß er gesehen wurde, wenn er zu seinem Haus schlich. Aus dem Buch der Einhörner: Die Einhörner kommen von einem Eisplaneten in den äußersten Bezirken unserer Galaxis. Ihre Heimatwelt war vor Jahrhunderten einmal ein blühender Planet, bis er von einem vorbeiziehenden Himmelskörper aus der Bahn gerissen und von seiner Sonne entfernt wurde. Ein paar Einhörner flohen in den Weltraum, andere lebten in den wenigen Lebenszonen ihrer Welt weiter und gewöhnten sich an die sinkenden Temperaturen. Einhörner sind gefühlvolle Wesen, die wegen ihres extremen Körpergeruchs jedoch von den anderen Völkern gemieden werden. Auf Atlantis leiden sie sehr unter der für sie ungewohnten Hitze. Statistische Beobachtungen haben ergeben, daß die Einhörner ein aussterbendes Volk sind. Die Riesen töteten sie zu Tausenden, präparierten ihre wunderschönen Felle und benutzten sie als Mäntel. Ein Riese be-
Meister der Dimensionen nötigte zwölf Felle für einen Mantel. Einhörner sind Künstler und werden in der Raumfahrt als Navigatoren geschätzt, denn sie besitzen einen übernatürlichen Sinn für kosmische Koordinaten und Bewegungsabläufe. Die Angehörigen dieses Volkes sind ausgesprochen friedlich, ihre Bereitschaft, mit allen anderen Völkern in Freundschaft zu leben, kann man schon fast als Opportunismus bezeichnen. Die Einhörner in Atlantis wohnen in einem Getto. Es wird nicht gern gesehen, wenn sie sich von dort entfernen, obwohl die Toleranz der Atlanter groß genug ist, daß sie Einhörner auch außerhalb des Gettos akzeptieren. Einhörner leben in großen Familien zusammen, aber es gibt auch Einzelgänger, die sich von den anderen absondern. Dem Pulver, das aus den Hörnern dieser Wesen gewonnen wird, schreibt man eine lebensverlängernde Wirkung zu, die jedoch wissenschaftlich nicht belegt ist. Verarmte Einhornfamilien sind daher dazu übergegangen, dieses Gerücht zu schüren und die Trophäen verstorbener Familienmitglieder teuer zu verkaufen. Eines der berühmtesten Einhörner war zweifellos Ruthor Dassonk'Ohran, das zu den Architekten gehörte, die Muon bauten.
3. Beim Anblick der im Weltraum treibenden Leiche vergaß Dragon einen Augenblick lang alle anderen Probleme. Der Unbekannte trug keinen Schutzanzug, aber seine Kleidung und sein Aussehen wiesen ihn als Atlanter aus. Dragon verwarf seinen ersten Verdacht, daß es sich bei diesem Mann um ein Besatzungsmitglied der DIKEYABAN handeln könnte. Niemand an Bord des Forschungsschiffes hatte Tunika und Schnürstiefel getragen. Es konnte sich also nur um einen bei einer früheren Katastrophe umgekommenen Raumfahrer handeln.
13 Wie kam er ausgerechnet in dieses Gebiet? An einen so großen Zufall wollte Dragon nicht glauben. Er ahnte, daß dieser Mann etwas mit den seltsamen Ereignissen der letzten Tage zu tun hatte. Entschlossen, zumindest dieses Rätsel zu lösen, überprüfte Dragon seinen Schutzanzug. Dann stellte er in der Kanzel des Beiboots einen Druckausgleich zum Weltraum her. Er befestigte die Sicherungsleine seines Schutzanzugs am Pilotensitz, rollte sie auf und öffnete dann die Kanzel. Er stieß sich mit den Füßen ab und schwebte in den Weltraum hinaus. Dabei verlor er das Orientierungsvermögen, und ihm wurde schwindlig. Nach einer Weile jedoch gelang es ihm, seinen Flug zu stabilisieren, und die Leiche kam wieder in sein Blickfeld. Er glitt vorsichtig darauf zu und umkreiste sie. Dabei sah er, daß der Körper merkwürdige Verletzungen aufwies. An verschiedenen Stellen, vor allem im Gesicht, schien die Haut des Toten bis auf die Knochen gedrückt worden und dann aufgeplatzt zu sein. Dragon hatte solche Wunden noch nie gesehen. Gerüchte, die er in Zusammenhang mit den Vampiren gehört hatte, kamen ihm in den Sinn, aber er verwarf diese Gedanken schnell wieder. Die Vampire hatten noch keinen Atlanter angerührt. Der Tod dieses Mannes mußte eine andere Ursache haben. Es sah so aus, als wäre der Atlanter durch den Einfluß fremdartiger Energie gestorben. Das konnte bedeuten, daß er etwas mit den Energieausbrüchen auf Ero und in diesem Gebiet zu tun hatte. Dragon packte den Toten an einem Arm. Dann flog er mit ihm zum Beiboot zurück. Es bedeutete ein hartes Stück Arbeit, den Leichnam so im Boot unterzubringen, daß er während des Fluges nicht störte. Dragon stellte dabei fest, daß der Tote eine ID-Plakette trug, wie alle wahlfähigen Atlanter sie besaßen. In Muon würde sich der Name des Toten schnell feststellen lassen, dann konnte man eruieren, wie er in den Weltraum gelangt war.
14 In Muon! schoß es Dragon durch den Kopf. Mit einem Schlag wurde er sich wieder seiner verhängnisvollen Lage bewußt. Er befand sich in einem Beiboot, das durch einen Energieausbruch aus seiner Bahn gerissen worden war. kannte seine neue Position nicht und besaß kein funktionsfähiges Funkgerät. Die Chance, daß ihn ein anderes Raumschiff finden und an Bord nehmen würde, bestand nicht. Dragon stellte die normalen Druckverhältnisse wieder her, ließ Sauerstoff in die Kanzel strömen und überprüfte alle Instrumente, die noch funktionierten. Dann öffnete er seinen Helm und ließ sich in den Pilotensitz sinken. Er dachte an Bhutor. War die DIKEYABAN zerstört worden, oder befand sie sich längst wieder auf dem Flug nach Atlantis? Der Gedanke, daß sein Rivale nach Muon zurückkehren und ihn für tot erklären lassen könnte, bereitete Dragon mehr Sorgen als alles andere. Was würde mit Mura geschehen, mit Flotox und all seinen anderen Freunden? Flotox würde sicher wieder in den Weltraum gehen. Und Mura? Würde sie nicht im Laufe der Zeit dem hartnäckigen Werben Bhutors nachgeben? Dragon ballte die Hände zu Fäusten, wenn er daran dachte, daß Bhutor dieses wunderbare Mädchen in die Arme schließen könnte. Er gab sich einen Ruck. Er durfte sich nicht aufgeben. Vielleicht gab es eine Möglichkeit, Atlantis mit diesem kleinen Raumschiff zu erreichen. Es kam ganz auf die derzeitige Position an. Dragon besaß keine guten navigatorischen Kenntnisse, und der größte Teil der Instrumente, die ihm Aufschluß hätten geben können, funktionierte nicht mehr. Trotzdem begann er mit der Arbeit. Nach einer Weile verspürte er Hunger und Durst. Das erinnerte ihn daran, daß er nur einen Notvorrat an Bord hatte. Er untersuchte den Toten, aber dieser Mann besaß nichts außer seiner Kleidung und der IDPlakette. Dragon fand sich damit ab, daß er
William Voltz nicht mehr viel Zeit hatte. Wenn es ihm nicht gelang, Atlantis in den nächsten sechs Tagen zu erreichen, war er zum Tode verurteilt. Er setzte die Positionsberechnungen fort. Immer wieder mußte er von vorn beginnen, weil er einen Fehler gemacht hatte. Doch er ließ sich nicht entmutigen. Schließlich begannen seine Augen zu brennen. Er war so übermüdet, daß die Zahlen und Schriftzeichen, die er auf das Papier gekritzelt hatte, vor seinen Augen verschwammen. Sein Kopf sank vornüber. Er schlief sofort ein.
* Mit steigendem Entsetzen beobachtete Jokanmer, wie der Fremde, der sich Cnossos nannte, sich in sein Ebenbild verwandelte. Damit nicht genug, nahm der widerliche Gnotor allmählich das Aussehen Terapas an. Diese Entwicklung war schlimmer als alle Alpträume, die Jokanmer jemals erlebt hatte und er hätte wahrscheinlich den Verstand verloren, wenn ihn die beiden Eindringlinge nicht hypnotisch kontrolliert hätten. Jokanmer wußte nicht, was schrecklicher war: Die Nähe dieser beiden unheimlichen Fremden oder die Veränderung, die mit ihnen vorging. Auch ein Atlanter mit weniger Phantasie als Jokanmer sie besaß, hätte sofort vermutet, daß die Unbekannten verkommen und bösartig waren. Jokanmer wagte nicht daran zu denken, was sie beabsichtigen mochten. Cnossos und Gnotor schienen mit der Entwicklung zufrieden zu sein. Wenn sie nicht ihre sinnlos wirkenden Fragen wiederholten, vertrieben sie sich die Zeit mit obszönen Spaßen. Der Gipfel dieser makabren Vorstellungen war eine Umarmung, die sie mit ihren unfertig wirkenden Körpern ausführten. Erschüttert mußten Jokanmer und Terapa zusehen, wie ihre Gefühle in schlimmster Form beschmutzt wurden. Jokanmer wagte
Meister der Dimensionen nicht mehr mit seiner Gefährtin zu sprechen, weil er fürchtete, daß ein einziges Wort eine Katastrophe auslösen könnte. Terapa litt noch mehr unter dem Terror der Fremden als Jokanmer. Jedesmal, wenn Jokanmer versuchte, die Antworten auf die Fragen der Fremden zu verweigern, geriet sein Bewußtsein in die hypnotische Klammer von Cnossos und Gnotor. Danach blieb ihm nichts anderes übrig, als alle Auskünfte zu geben, die sie von ihm haben wollten. Die Situation schien der Phantasie eines Irren entsprungen zu sein, sie besaß etwas Unrealistisches und Übernatürliches, aber Jokanmer wurde immer wieder in schmerzhafter Weise daran erinnert, daß alles um ihn herum wirklich geschah. Allmählich perfektionierten Cnossos und Gnotor ihr Aussehen, so daß Jokanmer Schwierigkeiten bekam., zwischen Gnotor und Terapa zu unterscheiden. Gnotor machte sich einen Spaß daraus, mit Terapa ins Badezimmer zu gehen, um Jokanmer erraten zu lassen, ob seine richtige oder die falsche Gefährtin zuerst herauskam. Noch konnte Jokanmer feststellen, wer Terapa war, aber er wartete voller Entsetzen auf den Augenblick, da ihm das nicht mehr möglich sein würde. Der ständige geistige Druck, der auf ihn ausgeübt wurde, ließ ihm nur wenig Gelegenheit zum Überlegen, trotzdem begriff er, daß Cnossos und Gnotor keine Atlanter sein konnten. Er hatte auch noch nie von Sternfahrern mit ähnlichen Fähigkeiten gehört. Ein Hauch eisiger Kälte schien die beiden Unbekannten zu umwehen, Jokanmer schloß daraus, daß sie von sehr weit herkamen, vielleicht sogar aus einer anderen Galaxis. Der Gedanke an eine Flucht war in den Gehirnen Jokanmers und Terapas vorzeitig ausgelöscht worden. Jokanmer verlor jeden Zeitbegriff, aber er ahnte, daß die Tage der Einsamkeit für seine Gefährtin und ihn bereits abgelaufen waren. Unter hypnotischem Zwang machte er Cnossos gegenüber eine entsprechende Bemer-
15 kung. Das schien den Unheimlichen zu alarmieren. »Wir haben nicht mehr viel Zeit«. sagte er zu Gnotor-Terapa. »Wenn wir in Muon als das Pärchen auftreten wollen, müssen wir jetzt in die Stadt aufbrechen.« Gnotor-Terapa sah ihn abschätzend an. »Ich kann keine Unterschiede mehr feststellen. Du gleichst ihm bis aufs Haar. Lediglich die Stimme entgleitet noch ab und zu deiner Kontrolle, aber das läßt sich mit einer Erkältung erklären.« Um sich möglichst schnell an die neue Rolle zu gewöhnen, unterhielten sie sich ausschließlich in der Sprache der Atlanter und duzten sich, wie Jokanmer und Terapa es auch getan hätten. Gnotor-Terapa drehte sich langsam um die eigene Achse, als wollte er sich vor Cnossos-Jokanmer zur Schau stellen. »Und wie sehe ich aus?« »Gut«, sagte Cnossos-Jokanmer zufrieden. »Nur deine Bewegungen wirken nicht so graziös wie die des Mädchens. Du darfst nicht so große Schritte machen und mußt die Arme beim Gehen leicht anwinkeln. Dann mußt du die Schultern zurücknehmen und den Kopf heben.« Gnotor-Terapa durchquerte den Innenraum des Ferienhauses. »So ist es schon besser!« lobte CnossosJokanmer. »Du willst es also wagen?« »Ja, wir brechen auf. In der Stadt werden wir bald mehr über die Atlanter und ihre Regierung erfahren.« Die Blicke der falschen Terapa fielen auf die beiden jungen Atlanter. »Was geschieht mit ihnen?« Cnossos-Jokanmer lächelte grausam. »Wir können sie nicht zurücklassen oder mitnehmen. Sie wären in jedem Fall eine Gefahr für uns.« »Du willst sie töten und beseitigen?« »Ja!« Jokanmer stieß einen Schrei aus. Trotz seiner Benommenheit hatte er den Sinn der
16 Unterhaltung genau verstanden. Schützend stellte er sich vor seine zitternde Gefährtin. Die Angst um Terapa löste ihn aus dem hypnotischen Druck, und er stürzte sich auf Cnossos-Jokanrner, als dieser auf ihn zukam. Es entwickelte sich ein kurzer, aber erbarmungsloser Kampf, bei dem Jokanmer von Anfang an unterlegen war, denn Cnossos setzte seine gestaltwandlerischen Fähigkeiten ein. Schließlich lag Jokanmer vor seinem Ebenbild am Boden. Inzwischen war Gnotor über die schreiende Terapa hergefallen. Jokanmer lag am Boden, der Fuß des Fremden drückte ihm die Luft ab. Er hörte die Schreie Terapas und unternahm einen letzten verzweifelten Versuch, seinem Peiniger zu entkommen. Doch Cnossos verstärkte den Druck und hielt Jokanmer mühelos fest. So starb Jokanmer ohne jeden Trost und völlig verzweifelt bei dem Gedanken an seine Gefährtin und an das Schicksal von Atlantis. Nur wenige Augenblicke, nachdem er erstickt war, hörten auch die Schreie des Mädchens auf. Die beiden Balamiter sahen sich an. »Erledigt!« stellte Gnotor lakonisch fest. »Begrabe sie hinter dem Haus und beseitige alle Spuren.« Gnotor-Terapa schleifte die beiden Leichen hinaus und grub ein Loch in den weichen Boden. Inzwischen beobachtete Cnossos-Jokanmer die Umgebung, um zu verhindern, daß sie bei ihrer makabren Arbeit gestört wurden. Doch niemand näherte sich der Hütte, auf der das Banner der Liebe flatterte. Es war früh am Morgen, die Brandung war heute so stark, daß Cnossos-Jokanmer sie auch hinter dem Haus hören konnte. Die Helligkeit dieser Welt und ihre frischen Winde machten ihm nichts aus, aber er hatte sich noch immer nicht richtig daran gewöhnt. Er umrundete abermals das Haus. Bisher war alles sehr einfach gewesen; der schwierigste Teil der Aufgabe stand ih-
William Voltz nen noch bevor. Gnotor tauchte auf. »Fertig!« informierte er Cnossos-Jokanmer. Cnossos-Jokanmer begab sich hinter das Haus, um sich davon zu überzeugen, daß sein Begleiter alle Spuren verwischt hatte. Die Grabstelle war kaum zu sehen, bald würde der Wind Sand und Blätter darüber geweht haben. Die beiden Balamiter durchsuchten das Haus, um auch dort alle Hinweise auf einen doppelten Mord zu beseitigen. »Klettere auf das Dach und hole die Fahne herunter!« befahl Cnossos-Jokanmer zum Abschluß. »Der Chroniter …« Er biß sich auf die Unterlippe. Solche Fehler durften in Muon nicht passieren. »Der Atlanter hätte das auch getan«, verbesserte er sich. Als Gnotor-Terapa diesen Auftrag ausgeführt hatte, rollte Cnossos-Jokanmer die Fahne zusammen und steckte sie in den Gürtel. »Gehen wir«, sagte er zu Gnotor-Terapa. Arm in Arm verließen die beiden Balamiter den Platz, wo sie das Liebespaar getötet hatten. Jeder Atlanter, der sie. sah, mußte sie für ein glückliches Paar halten.
* Bhutor stieß die Tür hinter sich zu und lehnte schweratmend dagegen. Kraftlos sank er zu Boden. Er hatte viel Blut verloren. Wie ein Verbrecher war er durch die Stadt geschlichen. Obwohl er mehreren Atlantern begegnet war, hatte ihn glücklicherweise niemand erkannt. Allmählich gewann er sein logisches Denkvermögen zurück. Er begriff, daß er sich zu einem schweren Fehler hatte hinreißen lassen. Mura schien zu ahnen, daß er für Dragons Tod verantwortlich war. Sie hatte versucht, ihn zu töten. Bhutor stöhnte. Was sollte er tun, wenn das Mädchen mit ihrem Vater über den Zwischenfall sprach? Doch je länger er darüber nachdachte, de-
Meister der Dimensionen sto unwahrscheinlicher erschien es ihm, daß sie das tun würde. Sie würde Rücksicht auf den Kranken nehmen, der durch jeden weiteren Schock sein Leben verlieren konnte. Außerdem war das Mädchen viel zu stolz, um ihren Vater in einer solchen Situation um Hilfe zu bitten. Bhutor war froh, daß er dieses Haus allein bewohnte. So konnte er sich wenigstens in Ruhe erholen. Er richtete sich mühsam auf und schleppte sich in den Baderaum. Dort reinigte er die Wunde und verband sie. Glücklicherweise war die Verletzung nicht gefährlich. Obwohl er am Ende seiner Kräfte war, reinigte Bhutor noch die blutverschmierte Tür, bevor er sich auf sein Bett fallen ließ und sofort einschlief. Als er erwachte, waren neun Schreie vergangen. Es hatte aufgehört zu regnen, draußen war Nacht. Bhutor erhob sich von seinem Lager. Der Verband war blutdurchtränkt und mußte erneuert werden. Nachdem er das erledigt hatte, bereitete er sich eine kräftigende Mahlzeit zu. Er konnte seinen Arm bereits wieder einwandfrei bewegen. Wenn er seine am Hals geschlossene Tunika anzog, würde niemand etwas bemerken. Von dem Nachfolger eines Ersten Rates erwartete man, daß er sich vor seiner Wahl zu Meditationen zurückzog. Es würde also niemand in Muon Anstoß daran nehmen, wenn er sich nicht in der Öffentlichkeit zeigte. Er brauchte sich um nichts zu kümmern, denn es war die Aufgabe des amtierenden Ersten Rates, alle Vorbereitungen für die Wahl zu treffen. Tobos war zwar krank, aber er würde seinen Pflichten nachkommen. Bhutor begab sich auf das Dach seines Hauses. Es war warm und dunstig. Bald würde die Sonne aufgehen.
* Vier junge Atlanter trugen Tobos auf einer Liege in den großen Versammlungssaal des Rates. Die vierzehn Räte, die bereits ein-
17 getroffen waren, erhoben sich, um den Regierungschef zu begrüßen. Bhutor war vor einem Viertelschrei angekommen. Er wußte, daß sein Gesicht blaß war, aber niemand würde auf den Gedanken kommen, daß dies auf eine Verletzung zurückzuführen war, die ihm die Tochter des Ersten Rates zugefügt hatte. Bhutor verhielt sich schweigend, wie es dem Ritual entsprach. Das Dach der Versammlungshalle hatte sich geöffnet, so daß Sonnenlicht hereinfiel. Die Halle besaß einen runden Querschnitt und durchmaß etwa neunzig Fuß. Die Wände waren mit kostbaren Fellen bespannt. In der Mitte des Raumes befand sich eine maßstabgerechte Nachbildung des Sonnensystems. Mosaikbilder von Angehörigen der verschiedensten Sternenvölker waren in den Boden eingelassen. Die Räte saßen in goldenen Sesseln und trugen ihre kostbarsten Gewänder. Innerhalb des Versammlungsraums gab es so gut wie keine technischen Einrichtungen. Auch der ehrgeizige Bhutor wurde jedesmal von einer gewissen Wehmut und Ehrfurcht ergriffen, wenn er diesen Raum betrat. Etwas von der Größe längst verstorbener Räte war zwischen diesen Wänden zu spüren, und jeder, der hier sprach, dämpfte unwillkürlich seine Stimme. Die vier jungen Atlanter, die Tobos hereingetragen und vor seinem Sitz abgestellt hatten, zogen sich schweigend zurück. Die große Tür glitt geräuschlos zu. Obwohl das Dach geöffnet war, drang kein Geräusch von draußen herein. Das verdankte man einem architektonischen Trick von Dassonk'Ohran, den nachzuahmen bisher niemand fähig gewesen war. Tobos wartete, bis die Räte wieder Platz genommen hatten. Bhutor studierte sorgfältig das Gesicht des alten Mannes. Er suchte nach irgendwelchen Hinweisen, die ihm Aufschluß geben konnten, was Tobos erfahren hatte. Ihre Blicke trafen sich, aber Bhutor er-
18 kannte weder Haß noch Groll in den Augen des Greises, eher Sorge und Müdigkeit. Er weiß nichts! dachte er erleichtert. Tobos war der einzige Atlanter, der zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine Wahl noch verhindern konnte. Aber sicher wäre er nicht hierher gekommen, wenn er das vorgehabt hätte. Ein dumpfer Trommelwirbel ertönte. »Normalerweise müßte ich mich jetzt erheben«, sagte Tobos mit überraschend klarer Stimme. »Aber Sie wissen alle, was mir widerfahren ist und haben sicher Verständnis dafür, wenn ich liegenbleibe. Ich hoffe, daß ich mich in ein paar Monden wieder erholt haben werde.« Es war ihm anzumerken, daß ihm das Sprechen nicht leichtfiel. Bhutor begrüßte diesen Umstand, denn er würde die Zeremonie verkürzen helfen. Der Nachfolger Tobos' fühlte sich angespannt und unsicher wie schon lange nicht mehr. Dieses Gefühl würde sich erst legen, wenn die Wahl vorüber war. Es störte ihn nicht, daß die anderen seine Nervosität bemerkten. Schließlich war es nur natürlich, wenn ein junger Wissenschaftler in einem solchen Augenblick aufgeregt war. »Wir sind zusammengetroffen, um einen neuen Vorsitzenden zu wählen«, fuhr Tobos fort. »Mein Gesundheitszustand erlaubt mir nicht, in dieser kritischen Situation alle Aufgaben zu erfüllen. Deshalb werde ich dem Rat einen Nachfolger vorschlagen.« Bhutor fühlte, wie sich alle Blicke auf ihn richteten. Es kostete ihn einige Anstrengung, ruhig auf seinem Platz sitzenzubleiben. »Atlantis braucht eine starke Hand und einen klugen Kopf«, fuhr Tobos fort. »Die Prophezeiungen der Goldenen Fee verheißen eine schwierige Zukunft.« Er hob einen Arm und winkte Bhutor. »Kommen Sie zu mir, Bhutor. Verwirrt erhob sich der Energieforscher. Was Tobos jetzt tat, war ungewöhnlich. Normalerweise hätte Tobos ihn jetzt vorstellen müssen. Was bedeutete dieses Vorgehen? fragte
William Voltz Bhutor sich alarmiert. Zögernd ging er zu Tobos. Tobos ergriff seine Hand. »Dieser Mann wird mein Nachfolger sein!« hörte Bhutor den Greis sagen. »Ich schlage ihn zur Wahl vor und zweifle nicht daran, daß der Rat meiner Empfehlung folgen wird.« Alle Sorgen fielen von Bhutor ab. Er richtete sich auf und begegnete den Blicken der anderen Räte. In keinem der Gesichter erkannte er Ablehnung. »Wer gegen diesen Mann etwas vorzubringen hat, möge es jetzt tun!« forderte Tobos die Versammlung auf. Schweigen. Tobos wartete länger als üblich war, so daß Bhutor sich argwöhnisch fragte, ob der Greis vielleicht gehofft hatte, daß jemand ein Veto einlegen würde. »Ich stelle fest, daß Bhutor, Energieforscher in Muon, von diesem Kreis anerkannt wird.« Er nickte Bhutor zu, aber er lächelte nicht. »Wir wollen mit der Wahl beginnen.« Bhutor mußte in einem der Sessel Platz nehmen. Die Räte nahmen hintereinander Aufstellung. Jeder von ihnen ergriff ein Messer. Bhutor wußte genau, was jetzt passieren würde, obwohl er noch niemals an einer Wahl teilgenommen hatte. Raftos, nach Tobos der älteste Rat, trat vor Bhutor. Er war fast blind und mußte nach Bhutors Arm tasten. Bhutor wappnete sich. Die Messerspitze bohrte sich in seinen Unterarm. Raftos war ungeschickt und stach tiefer, als eigentlich notwendig gewesen wäre. Als er das Messer zurückzog, kamen ein paar Bluttropfen aus der frischen Wunde. Mit einer Fingerspitze tupfte Raftos das Blut ab und preßte es an seine Lippen. »Das Blut eines Atlanters - ich schmecke es!« sagte er. Die zwölf anderen Männer folgten seinem Beispiel. Bhutor erduldete die Schmerzen. Er wußte, daß sie der Beginn seiner Herrschaft über Atlantis waren. Schließlich mußte er zu Tobos gehen.
Meister der Dimensionen »Ich bin zu schwach«, sagte der zurückgetretene Erste Rat. »Deshalb bitte ich darum, auf die Probe verzichten zu dürfen.« Bhutor stand wie versteinert da und blickte auf den Greis hinab. Das war fast eine Beleidigung, denn Tobos wäre durchaus in der Lage gewesen, ein Messer zu halten und Bhutor eine kleine Wunde beizubringen. Bhutor ging mit ein paar Schritten zu Raftos und riß dem alten Mann das Messer aus den Händen. Mit einer blitzschnellen Bewegung schnitt er sich den Unterarm auf, so daß das Blut herausschoß. Er hielt den Arm über Tobos Gesicht, bis das Blut darauf tropfte. »Schmecken Sie das Blut eines Atlanters!« rief er. »Das Blut eines Atlanters!« rief Tobos gequält. »Ich schmecke es.« Bhutor drehte sich um und schwankte auf den Sitz des Ersten Rates zu. Er ließ sich hineinfallen. Jetzt war es geschafft. Niemand konnte seine Wahl noch anzweifeln. Er hob einen Arm. »Die Wahl war sehr anstrengend. Lassen Sie mich jetzt bitte allein.« Auch das gehörte zu den Regeln, so daß er nicht befürchten mußte, daß einer der Räte Anstoß daran nehmen würde. Er wartete, bis alle Atlanter die Halle verlassen hatte, dann ließ er das Dach zugleiten. Es war ein seltsames Gefühl, allein und als Erster Rat im Versammlungsraum zu sitzen. Jahrelang hatte er davon geträumt, doch statt des erwarteten Triumphs fühlte er eher eine gewisse Leere und Einsamkeit.
* Aus dem Buch der Riesen: Jahrhundertelang beherrschte das Volk der Riesen unsere Galaxis. In ihrem abgelegenen System hatten sich diese wilden und grausamen Wesen unbeobachtet entwickeln können. Die Legende berichtet, daß eines Tages die riesigen Flotten der Riesen überall in der Galaxis auftauchten und die Planeten anderer raumfahrender Völker überfielen.
19 Der Angriff erfolgte so unerwartet und mit solcher Wucht, daß der Widerstand der Verteidiger zusammenbrach. Die Riesen errichteten ein Imperium des Schreckens und begannen mit der systematischen Ausrottung aller Völker, die ihnen gefährlich erschienen. Ganze Stämme und Familien mußten ihre Welten verlassen, um auf öden Planeten Schutz zu suchen, wo die Riesen sie nicht vermuteten. Nur allmählich organisierte sich überall in der Galaxis Widerstand. Das war vor allem ein Verdienst der Drachen und Trolle. Schließlich begannen die Riesen untereinander um die Macht zu kämpfen, und ganze Flotten rieben einander auf. Ihr Imperium begann zu zerbröckeln, aber sie waren immer noch stark genug, um jeden offenen Angriff abzuwehren. Irgendwann entdeckten die Drachen jedoch das Heimatsystem der Riesen, sammelten ihre Schiffe und griffen es an. Die fürchterlichste Schlacht, von der die Legende berichtet, entbrannte. Sie dauerte über sieben Monde lang, dann hatten die Drachen gesiegt. Der Verlust ihrer Heimat traf die überall in der Galaxis verstreuten Riesen schwer, ohne ihre Zentrale verloren sie schnell die Kontrolle über ihr Imperium. Die Völker, die sie jahrhundertelang unterdrückt hatten, begannen zu revoltieren, um sich endlich aus der Sklaverei zu befreien. Die Kämpfe dauerten noch einmal Jahrhunderte, aber sie endeten mit einer Niederlage der Riesen, die sich von diesem Schlag nie richtig erholen konnten. Obwohl sie schon lange zur Bedeutungslosigkeit verurteilt sind, beherrschen die Riesen noch immer die Phantasie der Sternenfahrer und der Völker der Galaxis. Der Zeitausrufer von Muon ist nur ein Beispiel, wie tief der Haß gegen die ehemaligen Unterdrücker noch in den Völkern verwurzelt ist. Sternenfahrer, Drachen und alle anderen Intelligenzen rächten sich in schrecklicher Weise an den Riesen.
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William Voltz
Es ist nicht bekannt, wieviel Welten heute noch von Riesen beherrscht werden, aber sicher liegt ihre Zahl nicht über einem halben Dutzend. Die Raumschiffe der Riesen fliegen nur noch fernab aller Hauptlinien. In der Galaxis findet sich niemand bereit, Handel mit den ehemaligen Herrschern zu treiben. Versucht man zu ergründen, weshalb dieses Volk so eroberungssüchtig und machthungrig werden konnte, muß man weit in die Vergangenheit seiner Evolution zurückgehen. Wie kein zweites Volk mußten sich die Riesen im Kampf gegen eine feindliche Umwelt behaupten, bevor sie ihren Heimatplaneten endlich beherrschten. Die Abgelegenheit ihres Sonnensystems, durch die ein Kontakt mit Sternfahrern bereits in den Anfängen der Riesenzivilisation vermieden wurde, mag ein anderer Grund sein. Die Riesen hielten sich lange für das einzige intelligente Volk innerhalb der Galaxis und reagierten mit entsprechender Grausamkeit, als sie das Gegenteil erfuhren. Riesen sind nahezu unsterblich, zäh und furchtlos. Davon zeugt auch der Satz, der noch heute über den Hauptschleusen alter Sternfahrerschiffe steht: TÖTE EINEN RIESEN ZWEIMAL!
4. Mura erschrak, als sie das Krankenzimmer betrat. Sie sah, daß ihr Vater sich aufgerichtet hatte und den Tisch zu erreichen versuchte. Sie rannte zu ihm, um ihn zu stützen. »Die Ärzte haben dir verboten, dich zu überanstrengen, Vater.« Der Greis stieß eine Verwünschung aus. »Hilf mir zum Tisch!« stieß er hervor. »Ich kann jetzt auf die Anordnungen der Ärzte keine Rücksicht nehmen, denn ich glaube, daß ich eine Erklärung für alle rätselhaften Ereignisse gefunden habe.« Mura spürte seine fieberhafte Erregung und wagte keinen weiteren Widerspruch. Nachdem er am Tisch saß, begann er in seinen Unterlagen zu wühlen und Formeln aufs Papier zu schreiben. Mura beobachtete ihn
voller Mitleid. Seit der Wahl Bhutors zum Ersten Rat hatte er sich völlig verändert. Insgeheim befürchtete Mura, daß auch der Verstand ihres Vaters gelitten hatte. Trotzdem bewunderte sie seine Energie, mit der er gegen die Krankheit kämpfte. »Ich muß sofort mit Bhutor sprechen!« Sie war so in Gedanken versunken, daß sie unwillkürlich zusammenzuckte, als er sie jetzt ansprach. »Hörst du nicht?« fuhr er sie ungeduldig an. »Ich möchte, daß du Bhutor hierher bestellst. Ich muß mit ihm reden.« Allein die Erwähnung des verhaßten Namens ließ Mura zögern. Sie preßte die Lippen zusammen und starrte ihren Vater an. »Mir scheint, daß du dich sträubst«, stellte er erstaunt fest. »So groß kann doch deine Abneigung gegen ihn nicht sein, daß du ihn nicht im Interesse unseres Volkes hierher bestellen würdest.« »Natürlich«, sagte sie matt und wandte sich der Tür zu. »Mura«, sagte er sanft. Sie blieb stehen. »Ich weiß alles, was auf dem Dach vorgefallen ist, Mura«, hörte sie ihn sagen. »Ich schickte dir einen der Ärzte nach, und er beobachtete dich und Bhutor auf dem Dach. Danach erstattete er mir Bericht.« Sie sah ihn mit offenem Mund an. »Und trotzdem hast du …« Ihre Stimme versagte. »Ja. Ich bin ein alter und kranker Mann, der den Anforderungen nicht mehr gewachsen ist. Gerade in der jetzigen Krise brauchen wir einen energischen und entschlossenen Mann wie Bhutor.« »Du siehst ihn nicht, wie er wirklich ist. Oh, Vater! Auf dem Dach benahm er sich wie ein wildes Tier.« Er schüttelte den Kopf. »Du hältst ihn für den Mörder Dragons. Ich habe mit Kapitän Altrox und ein paar Männern des Forschungskommandos gesprochen. Bhutor ist über jeden Verdacht erhaben.« »Ich werde ihn jetzt rufen«, sagte sie ton-
Meister der Dimensionen los. Sie ging in das Büro ihres Vaters und schaltete die Sprechverbindung zur Forschungsstation ein. Über den mit der Sprechanlage gekoppelten Bildübermittler warf sie ihre Jacke, denn sie wollte Bhutor weder sehen, noch von ihm gesehen werden. Doch es meldete sich nicht Bhutor, sondern einer seiner Assistenten. »Hier spricht die Tochter von Tobos«, sagte sie. »Tobos möchte Bhutor sofort sprechen und bestellt ihn deshalb in seine Wohnung.« Es dauerte einige Zeit, so daß Mura vermutete, daß der Wissenschaftler erst mit Bhutor sprach, bevor er ihr antwortete. »Bhutor ist jetzt mit den bekannten Problemen beschäftigt. Er hat keine Zeit.« Das war eine Beleidigung, aber Mura ließ sich verwirren. »Mein Vater glaubt eine Lösung gefunden zu haben.« Nun sprach Bhutor selbst. »Es erstaunt mich, daß ausgerechnet du hier anrufst«, sagte er ärgerlich. »Dein Vater sollte doch wissen, daß ich jetzt keine Zeit habe.« Die Verbindung wurde unterbrochen, und Mura kehrte ins Zimmer zurück. »Er kommt später, sobald er Zeit hat.« »Hm!« machte der alte Mann. Er war völlig in seine Berechnungen vertieft. Sie setzte sich auf sein Bett und wartete. Schließlich wedelte er triumphierend mit einem Zettel. »Für mich bestehen keine Zweifel mehr, daß es zu einer Dimensionsverschiebung gekommen ist!« rief er. »Damit lassen sich alle Ereignisse erklären, was bei den anderen Theorien nicht der Fall ist.« Sie sah ihn verständnislos an. »Wir leben nur in einer von vielen Dimensionen«, erklärte er. »Normalerweise berühren sie einander nicht, aber diesmal muß es durch irgendwelche enormen Energieausbrüche dazu gekommen sein, daß wir vorübergehend in den Einfluß einer anderen Dimension gerieten. Inzwischen haben die
21 Phänomene ja wieder aufgehört, was bedeuten kann, daß die Grenze zwischen den Dimensionen sich wieder stabilisiert hat.« Seine Augenbrauen verengten sich. »Alles, was aus Muon verschwunden ist, muß sich jetzt in einer anderen Dimension befinden. Überlege einmal, welche Perspektiven sich daraus eröffnen!« »Welche denn?« »Nun, so wie Dinge aus unserer Dimension in die andere verschwanden, können doch auch Dinge aus der anderen Dimension in die unsere gekommen sein. Es wäre eine wissenschaftliche Sensation, wenn wir einen solchen Gegenstand finden könnten.« Er merkte, daß sie seine Begeisterung nicht teilte. »Du glaubst mir nicht?« »Es klingt alles ziemlich phantastisch!« »Was ist phantastischer als die Wahrheit?« Er hieb mit einer Faust auf den Tisch. »Wenn dieser Ignorant nicht zu mir kommen will, dann werde ich eben zu ihm gehen.«
* Bhutor hatte das farbige, dreidimensionale Bild Muras, das hinter dem Schreibtisch in die Wand eingelassen war, eingeschaltet und betrachtete es mit glänzenden Augen. Der Teil der Wand, an dem das Bild hing, war verschiebbar und zeigte normalerweise eine Karte von Atlantis. Nur wenn er sicher sein konnte, daß er nicht gestört wurde, sah Bhutor sich das Bild an, von dessen Existenz niemand außer ihm etwas wußte. Er schloß die Augen und ließ seiner Phantasie freien Lauf. »Jetzt werde ich dich bekommen«, murmelte er. »Weder Stolz noch Haß werden dir helfen.« Er würde sich an ihr für den Hochmut rächen, mit dem sie ihn behandelt hatte. Niemand durfte auf diese Weise mit Bhutor, dem neuen Ersten Rat, umspringen. Bhutor war Psychologe genug, um zu begreifen, daß
22 er sich Mura vor allem wegen ihrer ablehnenden Haltung gefügig machen wollte. Seine gekränkte Eitelkeit verlangte nach Bestätigung. Er hörte ein Geräusch im Eingang und fuhr herum. Mit hochrotem Gesicht stand er da, bereit, jeden zu bestrafen, der es gewagt hatte, den Ersten Rat unangemeldet zu stören. Da stand Tobos auf einen Stock gestützt in der Tür und ließ seine Blicke von Bhutor zu Muras Bild und wieder zurückwandern. Bhutor war so betroffen, daß er im ersten Augenblick völlig außer Fassung geriet. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht damit, daß der Greis in der Lage sein würde, hierher zu kommen. »Tobos!« stammelte er. »Sie … Sie haben sich schon erholt?« Tobos lächelte ohne Wärme. »Würden Sie die Freundlichkeit haben, das da« - er deutete auf Muras plastisches Bild - »abzuschalten. Es irritiert, finden Sie nicht?« Bhutor trat an einen Schreibtisch und nahm ein paar Schaltungen vor. Das Bild erlosch, die Wand mit der Karte von Atlantis darauf schob sich darüber. Jetzt erst gewann Bhutor die Kontrolle über sich zurück. »Auch ein Vorgänger des Ersten Rates muß die Höflichkeitsformen wahren und sich anmelden, bevor er ins Zimmer seines Nachfolgers eindringt«, sagte er trotzig. »Das Bild beweist im übrigen nur, wie sehr ich Ihre Tochter liebe.« »Ja«, bestätigte Tobos matt. »Aber Ihre Assistenten fanden nichts dabei, mich ohne Anmeldung einzulassen.« »Was wollen Sie?« erkundigte Bhutor sich frostig. Tobos sah sich nach einem Platz um und ließ sich schließlich in einen Sessel sinken. Die Anstrengung ließ ihn heftig atmen. Widerwillig bewunderte Bhutor die Willenskraft des alten Mannes. »Ich bin auf eine interessante Spur gestoßen«, erklärte Tobos nach einer Weile. Er
William Voltz griff in die Tasche seines Umhangs und zog ein paar beschriebene Papiere hervor. »Natürlich sind diese Berechnungen sehr oberflächlich, denn ich habe nicht die Kraft, um alles exakt zu machen. Ich will auch nur einen Denkanstoß geben.« Zögernd nahm Bhutor die Unterlagen in Empfang. »Ich werde Sie überprüfen lassen«, versprach er. Tobos schüttelte den Kopf. »Ich möchte mit Ihnen darüber diskutieren, denn ich will sicher sein, daß sie meine Theorie zumindest als diskussionswürdig anerkennen.« Gegen seinen Willen ließ sich Bhutor am Tisch nieder. Der Alte war ihm lästig, doch er konnte sich offiziell noch nicht gegen ihn stellen, denn Tobos besaß überall in Muon Freunde. »Sie denken an eine Dimensionsverschiebung!« rief Bhutor überrascht, nachdem er einen Blick in die Unterlagen geworfen hatte. »Oder an eine Berührung verschiedener Existenzebenen«, bestätigte Tobos. »Sie kennen ja die alte Theorie von den Parallelwelten.« »Aber das ist doch lächerlich!« »Wirklich?« fragte Tobos drängend. »Diese Theorie liefert als einzige eine Erklärung für alle Zwischenfälle.« Bhutor gestand sich ein, daß zumindest diese Behauptung nicht zu widerlegen war. Die Theorie von einer Berührung der Dimensionen besaß etwas Faszinierendes, aber weil Tobos auf den Gedanken gekommen war, widerstrebte es Bhutor, sie anzuerkennen. »Wie sollen wir Nachforschungen in dieser Richtung anstellen?« erkundigte sich Bhutor. »Wir haben keine Möglichkeit, eine Parallelwelt auch nur rechnerisch zu ermitteln.« »Das ist richtig!« stimmte der Greis zu. »Ich gehe jedoch davon aus, daß wahrscheinlich nicht nur aus unserer Existenzebene Lebewesen und Gegenstände in eine
Meister der Dimensionen andere verschwunden sind, sondern daß es zu einem Austausch gekommen sein muß.« Bhutors Augen weiteten sich. Der Wissenschaftler in ihm erwachte, und er vergaß den Groll, den er gegen den Kranken hegte. »Sie meinen, daß Objekte aus einer anderen Dimension in Atlantis sein müssen?« »Nicht unbedingt in Atlantis, aber irgendwo auf dieser Welt.« Bhutor lachte auf. »Wir werden sie nicht finden, auch wenn wir danach suchen würden.« »Das mag sein«, gab Tobos zu. »Trotzdem möchte ich vorschlagen, daß wir in dieser Richtung Nachforschungen anstellen. Vielleicht hilft uns der Zufall.« Nicht einmal Tobos ahnte, wie nahe er mit seinen Vermutungen der Wahrheit kam.
* Als Dragon zum erstenmal wieder seine Heimatwelt durch die Kanzel des Beibootes sah, erlitt er fast einen Schock. Nachdem all seine Anstrengungen endlich von Erfolg gekrönt waren, mußte er feststellen, daß er noch sehr weit von Atlantis entfernt war. Er hatte die Position gefunden, aber nun stand ihm noch ein Flug bevor, von dem er nicht wußte, ob er ihn überstehen konnte. Die Notvorräte waren längst aufgebraucht, Durst und Hunger quälten den jungen Atlanter. Wenn ihn sein kleines Raumschiff nicht im Stich ließ, würde er noch drei oder sogar vier Tage brauchen, um sein Ziel zu erreichen. Dragon fragte sich, ob er bei Ankunft im Sonnensystem überhaupt noch bei Bewußtsein sein würde. Hoffentlich besaß er dann noch die Kraft, eine Landung durchzuführen. Immerhin sah er sein Ziel jetzt vor sich. Die sterile Luft an Bord konnte nicht verhindern, daß der entstellte Leichnam des unbekannten Atlanters allmählich in Verwesung überging. Der üble Geruch war eine weitere Belastung für Dragon. Es hätte jedoch zuviel Kraft und Zeit gekostet, den To-
23 ten über Bord zu werfen. Außerdem wollte Dragon ihn als Beweis mit nach Atlantis bringen. Wenn die DIKEYABAN nicht zerstört worden war, mußte sie längst in Muon gelandet sein. Alle würden annehmen, daß Dragon den Tod gefunden hatte. Der junge Wissenschaftler preßte die Lippen aufeinander. Das wäre so richtig nach dem Geschmack Bhutors, dachte er. Obwohl er entkräftet war, begann er mit neuen Berechnungen. Vielleicht gab es einen noch günstigeren Kurs als den zunächst eingeschlagenen. Ein paar Schreie konnten entscheidend sein, ob Dragon tot oder lebendig im Sonnensystem ankommen würde. Im Weltraum leuchteten keine Energiezungen auf, aber das mußte nicht unbedingt bedeuten, daß sie endgültig erloschen waren, denn durch die Kanzel konnte Dragon nur einen Ausschnitt seiner Umgebung beobachten. Hatten die Forscher an Bord der DIKEYABAN (sofern sie überlebt hatten) inzwischen herausgefunden, wodurch die Energieerscheinungen ausgelöst wurden? Da er annahm, daß sein Beiboot in jedem Fall länger existieren würde als er und vielleicht später einmal gefunden wurde, legte Dragon eine Tonspule in das kleine Aufnahmegerät an den Kontrollen. »Hier spricht Energieforscher Dragon, Mitglied der Untersuchungskommission der DIKEYABAN«, begann er. »Nachdem Kommandant Bhutor mich mit dem Beiboot zu sinnlos erscheinenden Messungen ausgeschickt hatte, wurde ich von fremden Energien erfaßt und durch den Weltraum geschleudert. Ich kam weit vom Kurs ab, aber jetzt ist es mir gelungen, die Position meines Heimatplaneten herauszufinden. Die Hoffnung, daß ich ihn noch lebendig erreichen kann, ist gering, deshalb will ich alles, was ich weiß, auf diese Tonspule sprechen.« Er gab einen exakten Bericht über die Vorkommnisse in der Nähe des zweiten Pla-
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William Voltz
neten, denn er hoffte, daß die Wissenschaftler, die diese Spule einmal abhören würden, Rückschlüsse aus seinen Angaben ziehen konnten. »Wenn die DIKEYABAN Atlantis erreicht haben sollte, ist Bhutor für meinen Tod verantwortlich, denn er hat anscheinend nichts unternommen, um das Beiboot zu finden und zu bergen. Bhutor darf nicht Erster Rat von Atlantis werden.« Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: »Meine letzten Worte sind an meine Freunde gerichtet. Ich bedanke mich bei Flotox für all die kleinen Wunder, die er für mich begangen hat. Einen besseren Freund wie den Troll kann sich ein Atlanter nicht wünschen. Ich grüße auch die beiden Jungdrachen Kladdisch und Hardox, sofern sie noch nicht zur Langen Reise aufgebrochen sind. Mein besonderer Gruß aber gilt Mura, der Tochter des Tobos. Ich hätte sie gern zu meiner Gefährtin gemacht. Wenn ich sterben muß, werden sich meine letzten Gedanken auf sie konzentrieren.« Dragon schaltete ab. Er versiegelte die Tonspule und hängte sie an gut sichtbarer Stelle neben der Schleuse auf, so daß jeder, der hereinkam, sie sofort sehen mußte. Doch noch hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben, daß er es sein würde, der diese Spule in Muon abhören konnte. Er blickte aus der Kanzel. Sein Zielplanet war noch nicht größer geworden, aber Dragon glaubte bereits einen blauen Schimmer wie einen leuchtenden Kranz um den Lichtpunkt in der Schwärze des Alls zu erkennen. Von hier aus sah der Planet winzig und bedeutungslos aus, aber alles, was Dragon beschäftigte, geschah dort auf dieser Welt.
* Aus dem Buch der Elfen: Die Elfen kommen aus dem Doppelsonnensystem Summerrond, wo sie sieben von
achtundzwanzig Welten besiedelt haben. Sie sind in der gesamten Galaxis bekannt für ihre Schönheit und ihre Liebeskünste. Bevor sie auf andere Welten kamen, wurden die Elfen oft von Sternfahrern besucht. Die Sternfahrer nahmen große Strapazen auf sich, um nach Summerrond zu fliegen. Es dauerte lange, bis sich die ersten Elfen entschlossen, ihre Heimatwelten zu verlassen und an Bord von Raumschiffen zu gehen. Heute gibt es Elfen fast auf allen Welten, die von Raumschiffen angeflogen werden. Auch auf fremden Planeten leben die Elfen unter sich und gehen niemals eine feste Bindung mit Angehörigen anderer Völker ein. Während der Regierungszeit von Alchmos mußten die Elfen Atlantis vorübergehend verlassen, denn Alchmos sah in ihnen eine Gefahr für die Zivilisation. Inzwischen sind sie zurückgekehrt und zu einem festen Bestandteil Muons geworden. Kein ernsthafter Forscher glaubt noch an die Theorie, daß die Elfen die Moral der Atlanter gefährden könnten. Es gibt sogar gegenteilige Meinungen, die davon ausgehen, daß die Elfen sich schon oft als Ventil bei sozialen Spannungen bewährt haben. Die Elfen sind sich äußerlich so ähnlich, daß es schwerfällt, sie voneinander zu unterscheiden. Arbeit jeder Art ist ihnen verhaßt. Auf ihren Heimatwelten führen sie ein sorgloses Leben. Sie haben niemals eine eigene Technik entwickelt und befinden sich so in absoluter Harmonie mit ihrer natürlichen Umwelt. Irgendwie gelang es ihnen, dieses Leben auch auf fremden Welten fortzusetzen. Man muß den Berichten Glauben schenken, daß es Elfen auch auf Planeten gibt, in denen die Natur von der Technik erstickt wurde. Im Gebiet der Elfen heben sich soziale Unterschiede auf, dort zählt der noch nicht wahlberechtigte Jüngling nicht weniger als der Erste Rat. Die Elfen schenken ihre Gunst jedem, der ernsthaft daran interessiert ist. Die Raumfahrer erzählen viele Geschichten über diese zarten Wesen. Es gibt zahlrei-
Meister der Dimensionen che Raumschiffe, die den Namen von Elfen tragen. Einen besseren Beweis für die Beliebtheit eines Volkes kann es eigentlich nicht geben.
5. Jokanmer-Cnossos und Terapa-Gnotor hatten sich unmittelbar nach ihrer Ankunft in Muon in das für das junge Paar bestimmte Haus zurückgezogen und waren nur selten herausgekommen. Die beiden Balamiter wollten erst sicher sein, daß sie sich, ohne aufzufallen, unter den Atlantern bewegen konnten. Sie nutzten diese Pause, um weitere Informationen über diese für sie fremdartige Gesellschaft zu sammeln. Vor allem für die politischen Nachrichten interessierte sich Jokanmer-Cnossos sehr. »Dieser Bhutor ist der richtige Mann für unsere Zwecke«, sagte Cnossos zufrieden. »Er scheint ehrgeizig zu sein. Wahrscheinlich hat er schon lange darauf gewartet, die Position von Tobos zu übernehmen.« Unwillkürlich wurde Cnossos an sein Verhältnis zu Orob, dem längst gestorbenen Projektleiter auf Balam, erinnert. »Wir werden dem neuen Ersten Rat von Atlantis einen Besuch abstatten«, entschloß sich Cnossos. Terapa-Gnotor meldete Bedenken an. »Ist es dafür noch nicht zu früh?« Cnossos verneinte. »Wir dürfen nicht länger warten. Die Atlanter haben Forschungskommandos gebildet, um das Geheimnis der rätselhaften Energieausbrüche zu ergründen. Früher oder später wird ein Wissenschaftler auf die Idee kommen, daß alle Erscheinungen etwas mit den Parallelwelten zu tun haben könnten. Es ist besser, wenn wir die Atlanter mit der Wahrheit konfrontieren, denn es wird dann unsere Wahrheit sein.« In diesem Augenblick klopfte jemand gegen die Tür des Hauses. »Da ist jemand draußen!« sagte Gnotor alarmiert.
25 Jokanmer-Cnossos blieb ganz ruhig. »Na und?« fragte er gelassen. »Wahrscheinlich ein Nachbar oder ein Freund des jungen Paares. Du wirst hingehen und öffnen.« Es war Terapa-Gnotor anzumerken, daß er es vorgezogen hätte, wenn Cnossos die Tür geöffnet hätte, doch der balamitische Projektchef, der die Gestalt eines jungen Atlanters jetzt vollkommen verkörperte, ließ sich in einem Sessel nieder und streckte behaglich die Beine aus. Das Klopfen wiederholte sich. »Es wird Zeit!« sagte Cnossos streng. »Oder willst du, daß wir Mißtrauen erregen?« »Nein«, brachte Gnotor hervor und bewegte sich auf den Eingang zu. »Du bist ein junges Mädchen!« ermahnte ihn Cnossos. »Bewege dich entsprechend.« Gnotor gab sich einen Ruck und ging leichtfüßig auf die Tür zu. Als er sie öffnete, standen draußen zwei Mädchen. Sie lächelten ihm freundlich zu und versuchten an ihm vorbei in die Wohnung zu blicken. »Terapa!« sagte eines der Mädchen in drohend-scherzhaftem Ton. »Du hast uns deinen Gefährten jetzt lange genug vorenthalten.« Gnotor wußte nicht, wen er vor sich hatte, vermutete aber, daß es Freundinnen jenes Mädchens waren, das er jetzt verkörperte. »Jokanmer ist krank!« sagte er schroff. »Ich hoffe, daß ihr euren Besuch noch einmal wiederholen könnt, wenn es ihm besser geht.« Die Mädchen waren irritiert, sie sahen sich fragend an. »Nun«, sagte eine von ihnen bedauernd, »vielleicht kommen wir noch einmal vorbei. Grüße Jokanmer von uns und wünsche ihm alles Gute.« Sie drehten sich abrupt um und gingen davon. Gnotor sah ihnen nachdenklich nach. Hoffentlich hatte er keinen Fehler begangen. »Da waren zwei Mädchen«, sagte er nach seiner Rückkehr ins Haus. »Sie wollten offenbar …«
26 Jokanmer unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Ich habe alles angehört. Wir brauchen uns wegen der beiden keine Sorgen zu machen, doch es wird Zeit, daß wir uns um den Ersten Rat von Atlantis kümmern. Wir können nicht weiter so zurückgezogen leben, wie wir es während der vergangenen Tage getan haben. Sicher wird Jokanmer bereits an seinem Arbeitsplatz vermißt.« »Ich bereite alles für unseren Aufbruch morgen vor«, sagte Gnotor. »Es gibt keine Vorbereitungen«, erwiderte Cnossos. »Wir gehen sofort!« Gnotor war überrascht, aber er wagte keinen Widerspruch. Cnossos erklärte seinem Vertrauten nicht, daß es seine innere Unruhe war, die ihn zum schnellen Handeln trieb. Wahrend der wenigen Tage, die sie innerhalb der Stadt Muon gelebt hatten, war der Wunsch, alle Balamiter nach Atlantis zu bringen, in Cnossos übermächtig geworden. Er würde als größter Held und Wissenschaftler in die balamitische Geschichte eingehen, wenn es ihm gelingen sollte, die Dimensionsbrücke zu bauen und eine Invasion einzuleiten. Zweifellos würde das balamitische Volk in dieser herrlichen Umgebung genesen. Hier konnte es neue Kräfte sammeln und den Vorstoß auf weitere Parallelwelten vorbereiten. Cnossos sah unzählige, von Balamitern beherrschte Planeten vor sich. Mit all diesen Eroberungen würde sein Name unauslöschlich verbunden bleiben. Seine Gedanken kehrten in die Wirklichkeit zurück. Wenn das, was er sich erträumte, jemals Wahrheit werden sollte, mußte er sich ganz auf seine Aufgabe konzentrieren und durfte keine Fehler begehen. Die beiden Balamiter verließen das Haus, das im Randgebiet der Stadt errichtet worden war. Arm in Arm schlenderten sie zum nächsten Tragband und ließen sich ins Stadtzentrum transportieren. Cnossos wußte inzwischen, daß Bhutor den größten Teil seiner Zeit in den For-
William Voltz schungsstätten außerhalb Muons verbrachte, doch dort wollte er den Ersten Rat nicht überraschen. Er brauchte Zeit und Ruhe, wenn er Bhutor beeinflussen und überzeugen wollte. Zu diesem Zweck war es besser, wenn sieBhutor in dessen Privatwohnung aufsuchten - auch auf die Gefahr hin, daß sie dort längere Zeit auf ihn warten mußten. Vor einem der großen Vergnügungszentren im Stadtinnern hielt Cnossos einen alten Mann an. »Ich möchte meiner Gefährtin das Haus des neuen Ersten Rates zeigen, habe aber gehört, daß er nach seiner Wahl umgezogen ist. Vielleicht können Sie mir helfen.« »Wer sagt Ihnen denn, daß Bhutor umgezogen ist?« fragte der alte Atlanter erstaunt. »Bhutor wohnt noch immer in der Straße der Blumen am achten Kanal.« Cnossos bedankte sich und zog Gnotor mit sich fort. »Das war raffiniert!« bewunderte TerapaGnotor seinen Vorgesetzten. »Auf diese Weise konnte er keinen Verdacht schöpfen.« »Wir hätten ihn auch beeinflussen können«, gab Cnossos gleichmütig zurück. »Doch das hätte uns unnötig aufgehalten.« Da Kanäle und Straßen ausgeschildert waren, fiel es den Balamitern nicht schwer, die Straße zu finden, in der Bhutor wohnte. »Sein Haus hat wahrscheinlich bestimmte Kennzeichen«, hoffte Cnossos. Sie gingen langsam die Straße entlang, bis Gnotor auf einem der Häuser die Flagge von Atlantis wehen sah. »Da ist es!« sagte Cnossos zufrieden. »Die beiden jungen Atlanter vor dem Eingang sind wahrscheinlich eine Art Ehrenwache.« Cnossos und Gnotor fanden auf der anderen Straßenseite ein kleines Restaurant, von dessen Veranda aus sie Bhutors Haus gut beobachten konnten. »Wir können nicht ewig hier sitzenbleiben!« meinte Cnossos. »Aber ich möchte zumindest wissen, ob er oft Besuch erhält.« Sie warteten zwei Schreie, ohne daß jemand erschien.
Meister der Dimensionen »Wahrscheinlich werden alle Regierungsgeschäfte in den öffentlichen Gebäuden abgewickelt«, vermutete Cnossos. Gegen Abend wurde die Ehrenwache abgelöst. Zwei andere Männer postierten sich vor dem Eingang von Bhutors Haus. Ein paar berauschte Sternfahrer betraten das Restaurant und machten soviel Lärm, daß Cnossos sich gestört fühlte. »Wir brechen auf!« entschied er. »Aber wir können nicht sicher sein, ob Bhutor zu Hause ist!« wandte Gnotor ein. Cnossos antwortete nicht. Er hatte seine Entscheidung getroffen. Sollte Bhutor noch nicht eingetroffen sein, würden sie eben auf ihn warten.
* Den ganzen Tag über war Bhutor von einer unerklärlichen Niedergeschlagenheit gequält worden, und das Gefühl verstärkte sich noch, als er sich am späten Abend auf den Nachhauseweg begab. Innere Stimmen schienen ihm Warnungen zuzuflüstern, bis er schließlich zögernd stehenblieb und sich fragte, ob es unter diesen Umständen überhaupt einen Sinn hatte, wenn er seine Wohnung aufsuchte, um sich zur Ruhe zu legen. Den ganzen Tag hatten die Energieforscher und er über Tobos' Theorie diskutiert, ohne daß sie einen Schritt weitergekommen waren. Sie wußten einfach zu wenig über diese Dinge. Bhutor fragte sich, ob er Santhalia, seine Lieblingselfe, aufsuchen sollte. Sie verstand es fast immer, ihn aufzuheitern. Merkwürdigerweise fühlte er sich trotz seiner Niedergeschlagenheit stark von seinem Zuhause angezogen. Er runzelte die Stirn und fragte sich, was mit ihm los war. Er mußte seine Nerven besser unter Kontrolle bekommen. Vielleicht tat ihm frische Luft gut. Er verließ die Bahn und ging zu Fuß weiter. Je näher er der Straße der Blumen kam, desto größer wurde seine Unruhe. Dabei gab es überhaupt keinen Grund da-
27 für, daß er sich solche Sorgen machte. Schließlich hatte er in den letzten Tagen fast alles erreicht, was er sich wünschte. Dragon war im Weltraum geblieben, Tobos war zurückgetreten und hatte ihm Platz gemacht, so daß er jetzt der mächtigste Mann von Atlantis war, und Mura würde früher oder später seinem hartnäckigen Werben nachgeben. Aber da war noch etwas, eine unaussprechliche Drohung, die wie ein dunkler Schatten über ihm und der Stadt lag. Bhutor faßte sich an den Kopf. War das der Preis, den er für die Verantwortung bezahlen mußte? Hatte er sich überschätzt? Er schüttelte unbewußt den Kopf und ging weiter. Diese vorübergehenden Stimmungen durften ihn nicht beeinflussen. Er erreichte die Straße der Blumen und ertappte sich dabei, daß er sich immer wieder umblickte, als bestünde die Gefahr, daß jemand hinter ihm nachschleichen könnte. Doch er sah nur ein paar harmlose Passanten, die zu diesem späten Schrei zu ihren Wohnungen unterwegs waren oder ein Restaurant besuchen wollten. Das Haus, in dem Bhutor wohnte, wurde von farbigen Lichtern angestrahlt. Auf dem Dach brannten geruchlose Fackeln. Der vertraute Anblick kam Bhutor zum erstenmal unheimlich vor. In den Flammen der brennenden Fackeln glaubte er seltsam verzerrte Gestalten tanzen zu sehen. Häßliche Fratzen schienen ihn aus der Dunkelheit heraus anzustarren. Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die Ehrenwache. Scheinbar unbeeindruckt von allen geheimnisvollen Ereignissen standen die beiden jungen Atlanter zu Füßen der mächtigen Steinköpfe auf den Sockeln neben dem Eingang. Bhutor stellte fest, daß er Herzklopfen hatte. Ärgerlich über sich selbst passierte er den Eingang seines Hauses. Es war, als fiele ein dunkler Mantel auf ihn herab. Irgend etwas Körperloses umschloß ihn und ließ ihn nicht mehr los. Instinktiv rang er nach Atem. So stand er im Vorhof, der Panik nahe und
28 vom Gedanken an eine rasche Flucht beseelt. Fast wäre er auf die Straße zurückgestürzt und hätte sich der Lächerlichkeit preisgegeben, doch eine stärkere Kraft als sein eigener Wille bannte ihn auf den Platz, an dem er sich gerade befand. Die Atemnot wurde so stark, daß er glaubte ersticken zu müssen. Dann kam einer seiner Assistenten aus dem Haus, um ihn zu begrüßen. Der Mann schien nichts von dieser drückenden Atmosphäre zu spüren. Bhutor war erleichtert, ihn zu sehen. »Alles in Ordnung?« krächzte er. »Ja, Erster Rat. Sie haben Besuch!« »Besuch?« stieß Bhutor alarmiert hervor. »Um diese Zeit? Wer ist es? Warum haben Sie ihn eingelassen?« »Ein junges Paar, das sich nicht abweisen ließ und wichtige Informationen für Sie hat.« »Wegschicken!« befahl Bhutor. Seine Stimme überschlug sich fast. Er zitterte. »Ich will sie nicht sehen.« »Ich soll Ihnen bestellen, daß es um die Dimensionssache geht«, sagte der Atlanter. Bhutor schluckte. Er wischte sich über die Stirn und spürte, daß sie mit Schweiß bedeckt war. Seine Beine drohten nachzugeben. Wer in Muon wußte etwas von Tobos' Theorie außer den Wissenschaftlern? Hatte Tobos nicht geschwiegen? Undenkbar! »Ich werde mit ihnen reden«, sagte Bhutor gepreßt. Unwillkürlich suchte er nach einem Grund, seinen Assistenten in ein Gespräch zu verwickeln, doch bevor ihm etwas Passendes einfiel, hatte der Mann sich bereits wieder zurückgezogen. Bhutor stand allein im Vorhof. Die erleuchteten Fenster kamen ihm wie bösartig starrende Augen vor. Das Gefühl einer drohenden Gefahr verdichtete sich. Aus Ahnung wurde Gewißheit. Wie betäubt stolperte Bhutor in sein Haus. Er wußte, daß er nicht mehr umkehren konnte, selbst wenn er es gewollt hätte. Das
William Voltz war äußerst merkwürdig. Unbekannte Mächte schienen Besitz von ihm zu ergreifen. Er durchquerte die Korridore und Räume, bis er sein Büro erreicht hatte. In seinem Haus war es noch nie laut zugegangen, aber jetzt herrschte hier eine unerträgliche Stille. Die Wände schienen sogar das Geräusch seiner Schritte in sich aufzusaugen. Bhutor versuchte sich gegen irgend etwas Schreckliches zu wappnen, aber er vermochte sich nicht zu konzentrieren. Als er die Tür zu seinem Büro öffnete, atmete er unwillkürlich auf. Was immer er zu sehen erwartet hatte, traf nicht zu. Vor ihm saßen zwei junge Atlanter, ein Mann und ein Mädchen, und lächelten ihm entgegen. Doch die Erleichterung des Ersten Rates war nicht von langer Dauer. Kaum, daß er die Tür hinter sich zugedrückt hatte, kehrten die Ängste mit doppelter Intensität zurück. Die beiden jungen Atlanter sahen ihn seltsam an, mit einer unerklärlichen Gier und Lüsternheit in den Augen. »Sie sind also Bhutor«, stellte der männliche Atlanter fest. »Ich habe schon Bilder von Ihnen gesehen, aber ich habe mir Sie irgendwie anders vorgestellt.« Etwas an dieser Stimme war unangenehm, ein besonderer Reiz, der Bhutor einen Schauer über den Rücken trieb. Er sah das Mädchen noch breiter lächeln, aber diese Freundlichkeit wirkte unpassend, genauso, als hätte ein Totenschädel gegrinst. Unwillkürlich machte Bhutor einen Schritt zurück und streckte eine Hand nach dem Türöffner aus. Doch sein Arm fiel zurück. Eine Kraft, die stärker war als ein eigener Wille, zwang ihn zum Stehenbleiben. »Wer sind Sie?« brachte er hervor. »Und was wollen Sie?« Der junge Mann stand auf. Seine Bewegungen wirkten einstudiert. »Setzen Sie sich, Bhutor! Wir werden ein langes Gespräch miteinander führen.« Bhutor blinzelte. Es widerstrebte ihm, den Befehl des jungen Mannes auszuführen, aber er besaß nicht die Willenskraft, sich dagegen aufzulehnen.
Meister der Dimensionen Der Fremde ließ sich auf dem Platz hinter dem Schreibtisch nieder, wo sonst Bhutor zu sitzen pflegte. Bhutor mußte auf dem Besuchersitz Platz nehmen. »Wir sind keine Atlanter«, eröffnete der Unbekannte das Gespräch. »Wir haben nur dieses Aussehen angenommen, um kein Aufsehen zu erregen und um niemanden zu erschrecken. In Wirklichkeit sind wir Balamiter und kommen aus einer anderen Dimension.« Diese so leichthin ausgesprochenen Worte versetzten Bhutor einen Schock. Aus einer anderen Dimension! wiederholte er in Gedanken. So phantastisch das auch klang, Bhutor zweifelte keinen Augenblick an der Wahrheit der Behauptung. Da war etwas an den beiden Fremden, was ihn an ihrer Offenheit nicht zweifeln ließ. Der junge Mann schwieg, als wollte er Bhutor Zeit lassen, sich von seiner Überraschung zu erholen. »Dann stimmt es also doch!« brachte der Erste Rat endlich hervor. »Tobos hat recht behalten.« »Tobos ist Ihr Vorgänger?« erkundigte sich der Fremde. »Dann hat er also etwas geahnt? Sehr erstaunlich! Aber Sie brauchen sich keine Gedanken zu machen. Wir kommen als Freunde und haben uns absichtlich sehr zurückhaltend verhalten, damit keine Panik entsteht.« »Freunde?« echote Bhutor. »Sie haben Atlanter entführt und alle möglichen Dinge geraubt.« Das Wesen aus einer anderen Dimension lächelte. Es fiel Bhutor auf, daß nur der Mann sprach, das Mädchen schien eine untergeordnete Rolle zu spielen. »Mein Name ist Cnossos«, stellte sich der Unbekannte vor, dann deutete er auf das Mädchen. »Das ist Gnotor. Wir haben niemanden entführt, sondern nur Versuche unternommen, die zur Kontaktaufnahme unbedingt notwendig waren. Allen verschwundenen Atlantern geht es gut. Sobald die Dimensionsbrücke fertig ist, werden sie in ihre
29 Heimat zurückkehren können.« »Dimensionsbrücke? Was ist das?« »Eine energetische Verbindung zwischen den Parallelwelten. Wir haben alle Unterlagen mitgebracht, um sie bauen zu können. Es wird bald ein Tor zwischen den Dimensionen geben, so daß Balamiter und Atlanter sich gefahrlos besuchen können.« »Und wie sind Sie hierher gekommen, wenn es diese Dimensionsbrücke noch nicht gibt?« Nachdem Bhutors Angst sich allmählich legte, begann sein Verstand wieder mit gewohnter Schärfe zu arbeiten. Das, was er als Gefahr gesehen hatte, stellte sich jetzt als wissenschaftliches Problem dar. »Eine gute Frage«, gab Cnossos zu. »Wir wollten die Dimensionsbrücke nicht ohne Zustimmung der Atlanter bauen, denn wir waren nicht sicher, ob Ihnen an einer Verbindung mit unserer Welt gelegen ist. Deshalb kamen wir über den einseitig funktionierenden Objekttransporter hierher.« Bhutor bekam große Augen. »Sie können also nicht zurück?« »Nur über die Dimensionsbrücke!« Der Erste Rat war beeindruckt. Die Fremden schienen entschlossene Wissenschaftler zu sein, die den Mut zum Risiko hatten. Es war lächerlich, in ihnen eine Gefahr zu sehen. Was wollten zwei Balamiter in Atlantis ausrichten? Bhutor nahm an, daß es nur die Fremdartigkeit der Balamiter war, die ihn zunächst erschreckt hatte. »Unsere Galaxis ist nicht so bevölkert wie die Ihre«, fuhr Bhutor fort. »Wir mußten feststellen, daß wir die einzigen intelligenten Bewohner unserer Milchstraße sind. Deshalb taten wir alles, um aus der äonenlangen Isolation herauszukommen. Wir suchten den Kontakt zu anderen Intelligenzen. Sie können sich nicht vorstellen, was es für uns bedeutet, mit Atlantern zu sprechen.« »Sie kennen unsere Sprache!« »Wir haben Sie beobachtet«, gestand Cnossos freimütig. »Das mußten wir tun, denn wir wollten nicht, daß es gleich zu Beginn der Kontaktaufnahme zu Komplikatio-
30 nen käme.« Das alles klang sehr vernünftig, überlegte Bhutor. Es war auch vernünftig, daß die Fremden zu ihm, dem Ersten Rat, gekommen waren. In Bhutors Gehirn formten sich bereits wieder Pläne, wie er diese phantastische Entwicklung für seine Zwecke nutzen konnte. Er war der Atlanter, der den ersten Kontakt hergestellt hatte, er würde die sensationelle Neuigkeit in Muon verkünden. Eine Erklärung für alle Phänomene der letzten Tage war gefunden. Bhutor würde mit dieser Erklärung die Atlanter von allen Ängsten und Ungewißheiten befreien. Er sah sich bereits in der Rolle des Retters und des Helden. Doch zuvor mußte er mehr von diesen Fremden aus einer anderen Dimension erfahren. »Erzählen Sie mir alles!« forderte er Cnossos auf. »Ich will Einzelheiten wissen.« Er bekam einen umfassenden Bericht, ohne zu ahnen, daß die Balamiter nichts über ihre wahren Absichten verrieten. Er spürte jetzt auch nicht mehr, daß er hypnotisch beeinflußt wurde. In Gedanken beschäftigte er sich bereits mit dem Bau der Dimensionsbrücke. Er hatte nur unklare Vorstellungen davon, wie sie aussehen könnte, aber er sah sich bereits davor stehen und die ersten Balamiter mit einer großen Geste empfangen. Dieses Bild löste einen ehrfürchtigen Schauder in ihm aus. Hier war die Chance für ihn, seinen Namen unsterblich zu machen. Er zwang sich jedoch zu realer Denkweise. Es war klar, daß bei einem so schwerwiegenden Problem nur alle fünfzehn Räte gemeinsam eine Entscheidung herbeiführen konnten. Aber er zweifelte nicht daran, daß sie ihn unterstützen würden. »Sie haben sicher viele Fragen!« stellte Cnossos fest. »Wir sind bereit, sie alle zu beantworten.« Bhutor sah ihn nachdenklich an. »Ich möchte Sie beide in Ihrer wirklichen balamitischen Gestalt sehen!« Cnossos wurde sehr ernst.
William Voltz »Ich würde vorschlagen, daß Sie darauf verzichten. Der Anblick wäre sicher sehr unangenehm für Sie und könnte Sie abschrecken. Unser Aussehen entspricht nicht Ihrem Schönheitsideal.« »Trotzdem!« beharrte Bhutor. »Es interessiert mich.« »Sie könnten Vorurteile bekommen!« »Bestimmt nicht!« Cnossos schien noch immer zu zögern. Für Bhutor war es nicht erkennbar, daß der Fremde nur eine genau einstudierte Rolle spielte. »Da wir nicht wollen, daß schon zu Beginn unserer Zusammenarbeit irgendwelche Dinge zwischen uns stehen, werden wir Ihren Wunsch erfüllen«, sagte Cnossos. Bhutor wartete gespannt, was nun geschehen würde. Zu seinem Entsetzen sah er die beiden Körper vor seinen Augen zerfließen. Sie verformten sich zu einer unkenntlichen Masse aus Protoplasma. Mit einem Aufschrei sprang Bhutor von seinem Platz. Vor ihm krochen zwei widerlich aussehende Gestalten über den Boden, die leise winselten und eine schleimige Spur hinterließen. Bhutor wußte nicht, daß die Balamiter willkürlich irgendeine Gestalt angenommen hatten. Weder Cnossos noch Gnotor dachten daran, Bhutor ihr wahres Aussehen zu offenbaren. »Aufhören!« keuchte Bhutor. »Sofort aufhören! Es genügt.« Die beiden Körper begannen sich zu stabilisieren und nahmen wieder ihr ursprüngliches Aussehen an. Mit blassem Gesicht kehrte Bhutor an seinen Platz zurück. »Wir hatten Sie gewarnt!« erinnerte ihn Cnossos. Bhutor hörte ihn kaum. Seine hochfliegenden Pläne hatten einen Dämpfer bekommen. Konnte er es wagen, solche Kreaturen nach Atlantis kommen zu lassen? Die unterschwellig noch immer spürbare Furcht vor den Fremden aus der Paralleldimension begann wieder zu wachsen. »Ich weiß nicht, ob es unter diesen Um-
Meister der Dimensionen ständen möglich sein wird, die Zustimmung des Rates zu erhalten«, sagte er schwerfällig. Cnossos lächelte. Er schien überhaupt nicht enttäuscht zu sein, sondern mit solchen Einwänden gerechnet zu haben. Bhutor sah, wie der Fremde die Schalttasten auf dem Schreibtisch drückte. Ein Teil der Wand glitt zurück. Muras Bild leuchtete auf. »Lassen Sie das!« rief Bhutor zornig. »Das geht niemand etwas an!« »Ihre Freundin?« erkundigte sich Cnossos. »Sie wird es einmal sein!« erklärte Bhutor widerwillig. »Noch weigert sie sich.« Cnossos und Gnotor begannen sich in einer für Bhutor unverständlichen Sprache zu unterhalten. Während er verwirrt zuhörte, überlegte der Erste Rat verzweifelt, wie er die beiden Fremden wieder loswerden konnte. Die monströse Gestalt, in der sie sich gezeigt hatten, konnte er nicht vergessen. Die Balamiter beratschlagten noch immer, als Bhutor sich langsam erhob und in Richtung der Tür davonschleichen wollte. »Warten Sie!« erklang Cnossos' Stimme. »Wir werden Ihnen auch in dieser Beziehung helfen. Sie müssen nur Geduld haben.« Wie erstarrt blieb Bhutor stehen. Er spürte, daß fremde Geisteskräfte ihn wieder unter Kontrolle bekamen. Die Chance verstrich ungenutzt. Cnossos stellte sich vor Muras Bild und betrachtete es eine Zeitlang. Schließlich wandte er sich zu Bhutor um. »Sie müssen diese Frau sehr lieben«, stellte er fest. Bhutor antwortete nicht. Er sah den Balamiter mit finsterem Gesicht an. »Ich werde Ihnen jetzt meine Freundschaft beweisen«, verkündete Cnossos. Wieder begann sein Körper vor den Augen des Ersten Rates zu zerfließen. Bhutor glaubte bereits, daß der Balamiter wieder seine Urgestalt annehmen würde, doch Cnossos entwickelte schon bald weibliche Formen. Bhutor blickte von Muras Bild zu Cnos-
31 sos. Der Balamiter begann Mura zu imitieren. Er verwandelte sich allmählich in Mura. Mit offenem Mund sah Bhutor zu. Er war unfähig, seinen aufgewühlten Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Das Mura-Ding stabilisierte sich, Cnossos nahm die letzten Verfeinerungen vor. Als er sich zu Bhutor umwandte, war er Mura. Das Bild über dem Schreibtisch schien körperlich geworden und herabgestiegen zu sein. Bhutor stöhnte ungläubig. »Hören Sie auf!« brachte er endlich hervor. »Lassen Sie mich in Ruhe. Warum quälen Sie mich so?« Das Mura-Ding lächelte verführerisch, dann sagte es mit Muras Stimme: »Aber Bhutor, freust du dich nicht, daß ich endlich zu dir gekommen bin?« Sie schritt mit wiegenden Hüften auf ihn zu. Bhutor fühlte, daß ihm der Schweiß ausbrach. Er konnte seine Blicke nicht von dieser Gestalt wenden, die wie Mura aussah, von der er aber wußte, daß es ein Monstrum war. »Geh weg!« keuchte er. Sie sah ihn aus unergründlichen Augen an, dann schürzte sie die Lippen, als wollte sie ihn küssen. »Stören dich die Kleider?« fragte sie mit sanfter Stimme. »Sie passen natürlich nicht zu mir, denn sie waren für einen Atlanter gemacht - für Jokanmer.« In Bhutors Schädel begann es zu dröhnen. Er glaubte den Verstand zu verlieren. Plötzlich streckte das Mura-Ding beide Arme aus. »Komm zu mir!« flüsterte sie heiser. »Komm her, Bhutor!« Bhutors Atem ging stoßweise, seine Augen traten hervor. Er war wie von Sinnen. Seine Hände krallten sich in seine Tunika, aber das Bild verschwand nicht vor seinen Augen. Sie machte einen Schritt auf ihn zu, Verlockung und Herausforderung zugleich. »Bhutor!« rief sie. »Ich habe lange genug auf dich gewartet. Warum kommst du nicht
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zu mir? Ich will, daß du mich küßt.« »Nein!« ächzte er. »Du bist nicht Mura! Du bist … ein … Ungeheuer!« Sie glitt in seine Arme. Sie war warm und verströmte einen angenehmen Duft. Bhutor schloß die Augen. Alles um ihn herum begann sich in einem wahnsinnigen Wirbel zu drehen. »Küß mich!« hauchte das Mura-Ding. Nein! dachte er. Ich will nicht! Unglaubliches Entsetzen drohte ihn zu ersticken. Gleichzeitig stieg ein überwältigendes Verlangen in ihm hoch. Er riß das Mura-Ding in die Arme und grub seine Zähne in ihre weichen Lippen. Er umschlang sie mit beiden Armen und preßte sie an sich. »Mura!« Seine Stimme klang hohl. Während er das Mura-Ding umarmte, gellte Gnotors Gelächter durch den Raum.
* Aus dem Buch der Zyklopen: Es gibt Gelbe, Schwarze und Braune Zyklopen, aber man unterscheidet sie nicht nur nach ihrer Hautfarbe, sondern auch nach ihrem Wuchs, denn es gibt Zwerg-Zyklopen und Riesen-Zyklopen. Sie leben in allen Gebieten der Galaxis und besitzen neben den Sternfahrern die zweitgrößte Handelsflotte unserer Milchstraße. Alle Zyklopen haben ein drittes Auge auf der Stirn; es befähigt sie, in verschiedene Dinge hineinzusehen. Zyklopen sind fleißig, ehrlich und treu. Sie waren noch nie in irgendwelche Kriege verwickelt. In den letzten Jahrzehnten hat sich ihre Handelsflotte verkleinert, denn sie können mit den raffinierten Geschäftsmethoden der Sternfahrer nicht konkurrieren. Sie sind auf vielen Welten ansässig geworden und haben Farmen aufgebaut. Während des Krieges mit den Riesen wurden vor allem die Riesen-Zyklopen verfolgt und geächtet, obwohl sie in keiner Weise mit den Riesen verwandt sind. Zyklopen sind talentierte Dolmetscher, sie sprechen oft Dutzende von galaktischen Sprachen.
In Atlantis spielen die Zyklopen eine untergeordnete Rolle.
6. Die großen hageren Gestalten in den wallenden Samtgewändern bewegten sich lautlos durch die nur spärlich beleuchtete Zentrale des großen Schiffes. Vor wenigen Augenblicken hatte der Kommandant das zweite Stadium der Metamorphose - die Verpuppung - eingeleitet und dadurch für nicht unbeträchtliche Aufregung gesorgt. Arkh Tronfrohs, Stellvertretender Kommandant und Chefnavigator an Bord des Vampirschiffs, hatte jetzt den Platz des Kapitäns eingenommen und blickte auf den Abblendschirm, wo sich der dritte Planet der kleinen gelben Sonne abzeichnete. Arkh Tronfrohs besuchte dieses System nicht zum erstenmal, und er beglückwünschte den Kapitän, der sich einen günstigen Zeitpunkt für das zweite Stadium ausgesucht hatte und sich nicht der Helligkeit dieses Planeten auszusetzen brauchte. »Landekurs einschlagen!« zirpte Tronfrohs. Seine Stimme lag gerade noch im oberen Hörbereich eines Atlanters. In diesem Augenblick sah er es. Es war nur ein winziger Lichtpunkt, aber den erfahrenen Blicken des Chefnavigators entging nicht, daß er sich bewegte. Es mußte ein winziges Raumschiff sein, das offenbar vom Kurs abgekommen war und sich bereits wieder vom dritten Planeten entfernte. Arkh Tronfrohs wußte, daß das Lichtpünktchen in wenigen Augenblicken wieder erlöschen würde. Die Vampire kümmerten sich niemals um die Angelegenheiten anderer Intelligenzen, und Arkh Tronfrohs wäre der Tradition seines Volkes wahrscheinlich auch diesmal treu geblieben, wenn er nicht durch die unerwartete Metamorphose des Kapitäns in eine gewisse Erregung versetzt worden wäre. So wandte er sich im Sitz um und machte den Zweiten Navigator auf die Erscheinung aufmerksam.
Meister der Dimensionen »Ein Beiboot!« stellte Ofron Targalan fest. »Wer immer es steuert, muß vergessen haben, daß man sich mit solchen Schiffen nicht zu weit von seiner Heimatwelt entfernen sollte.« »Stellen Sie fest, ob ein Mutterschiff in der Nähe ist. Ich kümmere mich inzwischen um die Landevorbereitungen.« Targalan lächelte verständnisvoll und entblößte dabei zwei fingerlange Schneidezähne, die bisher unter seiner herabhängenden Oberlippe verborgen geblieben waren. Unwillkürlich mußte Arkh Tronfrohs daran denken, daß er seine Schneidezähne bereits hatte abschleifen lassen, denn auf vielen Welten empfanden die Eingeborenen Abscheu vor diesem Anblick, und mit Wesen, die sich fürchteten, ließ sich nicht vernünftig reden oder handeln. Vielleicht war ein Vampir im dritten Stadium tatsächlich gefährlich, aber in diesem Zustand wäre sicher kein Angehöriger von Arkh Tronfrohs' Volk auf die Idee gekommen, eine andere Welt zu betreten. »Kein Mutterschiff in der Nähe!« rief Targalan. »Wir ändern den Kurs!« entschied der Stellvertretende Kommandant. »Ich möchte mir das Beiboot aus der Nähe ansehen.« Die in der Zentrale hin und her huschenden Gestalten glitten jetzt auf ihre Plätze. Insgesamt hielten sich dreiundvierzig Vampire an Bord auf, sechzehn von ihnen hatten sich inzwischen verpuppt. Bis zum Ende der Reise würden nur noch vier oder fünf Raumfahrer aktiv sein, gerade genug, um das Schiff auf der Heimatwelt zu landen. Arkh Tronfrohs würde zu diesen wenigen Vampiren gehören. Er mußte mit der Verpuppung warten, bis die Heimatwelt erreicht war. Das Manöver, mit dem der Vampir den Kurs des Schiffes änderte, wäre auch von erfahrenen Sternfahrern als elegant bezeichnet worden. Vorsichtig näherte sich das große Schiff dem Beiboot. »Es entfernt sich tatsächlich wieder von dem dritten Planeten«, bestätigte Targalan.
33 Die weiße Haut seines Gesichts schimmerte unter der Kapuze hervor, die er sich über den Kopf gezogen hatte. »Der jetzige Kurs würde es sogar aus dem Sonnensystem tragen.« »Hm!« machte Arkh Tronfrohs nachdenklich. Normalerweise hätte er nach Feststellung dieser Tatsachen umkehren müssen. Aber irgend etwas an dieser Sache interessierte ihn. Mit dem Instinkt eines Kaltoven erfaßte er, daß er eine bedeutende Entdeckung gemacht hatte. »Wir gehen noch näher heran!« ordnete er an. »Wir funken das kleine Schiff an. Ich bin gespannt, ob man uns antwortet.« Geduldig führte Targalan alle Schaltungen aus. Ein dritter Vampir bediente die Funkanlage. Das große Vampirschiff hatte sich dem Beiboot inzwischen soweit genähert, daß es mit bloßem Auge durch die Sichtluken zu erkennen war. Arkh Tronfrohs stellte fest, daß es sich um ein atlantisches Schiff handelte. Wie alle Schiffe der Atlanter war auch dieser Typ den Schiffen der Sternfahrer nachempfunden. Die Tatsache, daß es sich um ein atlantisches Schiff handelte, machte seinen Kurs, der direkt aus dem Sonnensystem hinausführen mußte, noch rätselhafter. »Keine Antwort!« sagte Targalan. »Entweder schläft der Pilot, oder er will nicht antworten.« »Wir gehen noch näher heran!« befahl Arkh Tronfrohs. »Lassen Sie ein Beiboot klarmachen. Ich will mir das kleine Schiff aus der Nähe ansehen.« Er verließ seinen Platz und überließ Targalan die Schiffsführung. Wenige Augenblicke später betrat er den Hangar und begann mit der Kontrolle eines der Beiboote. Es war ein ovales Flugobjekt, vor allem für Landungen in unwegsamen Gebieten fremder Welten geeignet. Doch aus diesem Grund hatte Tronfrohs die Wahl nicht getroffen, denn ihn interessierte nur die doppelte Magnetleine des Beiboots. Er stieg ein und ließ sich ausschleusen. Es
34 fiel ihm nicht schwer, das Beiboot zu finden. Sofort flog er darauf zu. Er stellte jetzt fest, daß das fremde Schiff sich langsam um die eigene Achse drehte. Als es dabei mit der Kanzel ins Sonnenlicht geriet, konnte Arkh Tronfrohs ins Innere blicken. Er sah zwei Männer im Schiff liegen. Einer war vor den Kontrollen zusammengesunken, der zweite lag hinter dem Sitz und war köperlich völlig entstellt. Der Vampir steuerte sein Kaltovenschiff dicht an das Beiboot heran und katapultierte die Magnetleinen. Wie große Schlangen wickelten sie sich um den Metallkörper und hielten ihn fest. Tronfrohs schaltete die Funkanlage ein. »Ich bringe das fremde Schiff an Bord!« kündigte er an. Targalan schien einen Moment so überrascht zu sein, daß er nicht wußte, was er sagen sollte. »Kein Fremder soll eines unserer Raumschiffe betreten!« zitierte er dann einen Kaltovenspruch. »Ich habe damit gerechnet, daß Sie mir das vorhalten würden«, lächelte Tronfrohs. »Natürlich werde ich die Vorschriften einhalten. Die beiden Männer, von denen einer mit Sicherheit nicht mehr am Leben ist, werden auch im Hangar an Bord ihres Schiffes bleiben, so daß die Vorschriften gewahrt sind. Ich werde an Bord des Beibootes gehen, auch wenn es dann ziemlich eng sein wird. Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen.« Es ging Targalan weniger um die Vorschriften, das wußte auch Arkh Tronfrohs. Wie jeder Vampir hatte Targalan Angst, daß ein Fremder einen Vampir im zweiten oder dritten Stadium der Metamorphose sehen könnte. Doch die verpuppten und geflügelten Vampire hielten sich in streng abgeschlossenen Räumen des Schiffes auf, so daß sie noch nicht einmal den Besatzungsmitgliedern auffielen. Die Angst seines Volkes, im Stadium der Metamorphose von Fremden gesehen zu werden, ging auf ein schreckliches Unglück
William Voltz vor unzähligen Jahren zurück. Damals war ein Raumschiff auf einer Kaltovenwelt gelandet, und die ausgeschleuste Mannschaft entdeckte zufällig eine riesige Gruft mit verpuppten und geflügelten Vampiren. Im grellen Licht der Scheinwerfer verloren die Vampire sofort die Orientierung, und als sie in wilder Flucht davonrasten stürzten sie ausnahmslos in das nahegelegene Meer, wo sie ertranken. Im Verlauf der Jahrhunderte war diese Geschichte ausgeschmückt worden, so daß auch ein nüchtern denkender Vampir wie Tronfrohs nicht mehr unterscheiden konnte, was Dichtung und Wahrheit war. Sicher erschien ihm nur, daß es einmal zu einem Unglück gekommen war, aus dem man die Konsequenzen gezogen und bestimmte Vorschriften entwickelt hatte. Arkh Tronfrohs wartete, bis der Druckausgleich hergestellt war, dann kletterte er aus dem Beiboot und ging zu dem fremden Schiff hinüber. Als er in die Kanzel blickte, bestätigte sich sein Verdacht, daß einer der Männer tot war. Sein Körper war von schrecklichen Wunden bedeckt. Der zweite Atlanter war bewußtlos oder ebenfalls tot. Arkh Tronfrohs untersuchte die kleine Schleuse und stellte fest, daß es einen Mechanismus gab, mit dessen Hilfe man sie von außen öffnen konnte. Als es ihm gelungen war, wich er unwillkürlich zurück, denn unerträglicher Gestank schlug ihm entgegen. Die Luft im Innern der Kanzel war von Leichengeruch völlig verpestet. Tronfrohs packte den Fremden an den Armen und zog ihn heraus. Die Vorschriften hatte er völlig vergessen. Der junge Atlanter hatte noch einen Funken Leben in sich.
* Als Dragon zu sich kam und die Augen aufschlug, befand er sich nicht mehr an Bord seines Raumschiffs, sondern in einem großen halbdunklen Raum, in dem es sehr still war. Er fühlte sich noch sehr schwach,
Meister der Dimensionen trotzdem hob er den Kopf, um festzustellen, wo er sich befand. Neben ihm stand eine hochgewachsene, in einen schwarzen Umhang gehüllte Gestalt, von der nur das bleiche Gesicht zu sehen war. »Wer sind Sie?« flüsterte Dragon mühevoll. Die Gestalt bewegte sich und beugte sich zu ihm herab. Ihre Bewegungen wirkten geschmeidig und mühelos. Als Dragon das Gesicht über sich sah, erschrak er. Es erinnerte ihn an eine Totenmaske. Die Augen waren Kugeln wie aus mattem Glas. »Ich bin Arkh Tronfrohs«, sagte ein zirpendes Stimmchen, das Dragon gerade noch verstehen konnte. »Sie befinden sich an Bord des von mir befehligten Schiffes.« »Sind Sie ein Vampir?« entfuhr es Dragon. »Ja.« »Aber Vampire nehmen keine Fremden an Bord ihrer Schiffe!« Tronfrohs lächelte. »Diesmal haben wir eine Ausnahme gemacht. Sie waren völlig entkräftet, als wir Sie an Bord holten, doch Sie werden sich jetzt schnell erholen. Ihr Begleiter ist tot.« »Ich weiß«, sagte Dragon. »Wo fanden Sie mich?« »Im Sonnensystem«, erklärte Tronfrohs bereitwillig. »Da befinden wir uns auch jetzt noch. Sie waren im Begriff, am dritten Planeten vorbei wieder in den Weltraum zu fliegen, als wir Sie entdeckten.« Dragon wurde von einem Gefühl tiefer Erleichterung und Dankbarkeit durchflutet. »Sie haben mir das Leben gerettet!« »Wir taten es eigentlich aus Neugier«, gestand der Vampir. Er richtete sich wieder auf. »Sobald Sie sich erholt haben schleusen wir Sie mit Ihrem Beiboot wieder aus. Ihren toten Freund müssen Sie mitnehmen.« »Das habe ich auch vor!« rief Dragon grimmig. Je stärker er sich fühlte, desto ungeduldiger wurde Dragon. Er wurde das Gefühl nicht los, daß Arkh Tronfrohs ihn nur zum
35 Zwecke der Unterhaltung an Bord des Vampirschiffs festhielt. Doch Dragon war nicht nach Konversation zumute. Er wollte zurück nach Atlantis, um Mura wiederzusehen und um festzustellen, ob die DIKEYABAN von ihrem Flug zurückgekehrt war. Außerdem mußte er das Rätsel des toten Atlanters lösen. »Sie sind noch nicht kräftig genug«, sagte der Vampir jedesmal, wenn Dragon seine drängenden Fragen stellte. Tronfrohs kam in regelmäßigen Abständen in den Hangar, brachte Dragon Essen und unterhielt sich mit ihm. Je länger er mit ihm zusammen war, desto sympathischer wurde Dragon dieses Wesen. Doch alles Verständnis konnte seine Ungeduld nicht bremsen. »Ich kann nicht länger warten!« sagte er schließlich zu Arkh Tronfrohs. »Ich werde mein Beiboot startklar machen und Ihr Schiff verlassen.« »Ich verstehe!« zirpte der Vampir. »Ich hätte Sie gern einmal bei Licht betrachtet«, meinte Dragon lächelnd. »Im Grunde genommen sind wir uns immer nur im Halbdunkel begegnet.« »Ja«, sagte Tronfrohs. »Mein Volk scheut das Licht.« Er trat zurück, eine hagere, hoch aufgeschossene Gestalt in einem dunklen Umhang. Dann hob er einen Arm zum Abschied, und aus einem der weiten Ärmel rutschte eine wachsbleiche, knochige Hand. »Ich danke Ihnen und Ihren Freunden«, sagte Dragon, der bereits in der Schleuse seines Schiffes stand. Er zog den Helm seines Schutzanzugs über den Kopf, um den Geruch der Leiche nicht einatmen zu müssen. Als er noch einmal aufblickte, war Arkh Tronfrohs bereits aus dem Hangar verschwunden. Dragon startete sein Beiboot. Als es in den Weltraum hinausschoß, sah Dragon »unter« sich eine riesige blau weiße Kugel: seine Heimatwelt. Erst jetzt wurde er sich der Tatsache völlig bewußt, daß er am Leben war. Ausdauer und Glück hatten ihm das Leben gerettet.
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Nicht zuletzt aber ein Vampir mit dem Namen Arkh Tronfrohs.
* Nahezu unbemerkt landete das Beiboot am Rande des großen Landefelds. Dragon stieg aus, versiegelte die Kanzel und entfernte sich von dem kleinen Schiff. Er hatte seinen Schutzanzug abgelegt und atmete die Luft in tiefen Zügen ein. Seit Sonnenaufgang hatte der Riese dreimal geschrien, so daß der junge Atlanter fast noch den ganzen Tag vor sich hatte. Obwohl seine Sehnsucht nach Mura groß war, beschloß er zunächst einmal festzustellen, ob das Drachenschiff Gulf-Sutors schon gestartet war. Dort konnte er sicher erfahren, was sich in den vergangenen Tagen ereignet hatte. Vor allem interessierte er sich dafür, ob die DIKEYABAN von ihrem Flug zurückgekommen war. Dragon kletterte auf einen der großen Schutzwälle, die man überall dort aufgeworfen hatte, wo Raumschiffe mit besonders lautstarken Triebwerken starten und landen sollten. Von seinem Platz aus konnte er einen großen Teil des Raumhafens überblicken. Er sah drei Drachenschiffe, darunter auch das von Gulf-Sutor. Erleichtert machte Dragon sich wieder an den Abstieg. Seit Verlassen des Beiboots war er sich ein bißchen wie ein Fremder vorgekommen, doch jetzt hatte er etwas Vertrautes entdeckt. Wenn Gulf-Sutors Schiff noch nicht gestartet war, konnte Dragon hoffen, Flotox anzutreffen. Als Dragon sich dem Schiff näherte, stellte er fest, daß sich keiner der Drachen im Freien aufhielt. Das konnte bedeuten, daß der Start kurz bevorstand. Die Hauptschleuse stand jedoch noch offen. Dragon stieg die Rampe hinauf. Im Eingang stand ein ihm unbekannter Jungdrachen und starrte ihn neugierig an. »Ich bin Dragon!« rief der junge Atlanter. »Berichte Gulf-Sutor von meiner Ankunft.« Der Drache gähnte gelangweilt.
»Ich bin Beobachter«, erklärte er. »Kein Nachrichtenübermittler.« Dragon stieß eine Verwünschung aus. Er wußte, daß es sinnlos war, dieses Wesen zu überreden, deshalb zwängte er sich an ihm vorbei ins Innere des Schiffes. Nun stand er vor einem Labyrinth gewaltiger Gänge, in denen er sich wahrscheinlich nur schwer orientieren konnte. Er kehrte zur Schleuse zurück. »Ich bin der Freund von Drachenberater Flotox!« sagte er. Der Drache brummte. »Das hättest du gleich sagen können!« Er watschelte ins Schiffsinnere und war gleich darauf aus dem Blickfeld des Atlanters verschwunden. Es dauerte einige Zeit, dann hörte Dragon ein Rumoren. Der riesige Gulf-Sutor schob sich durch die Gänge. Wie alle ausgewachsenen Drachen konnte er wegen seiner Größe nicht alle Teile des Schiffes betreten. Kladdisch und Hardox, die beiden von Dragon großgezogenen Jungdrachen, folgten Gulf-Sutor zur Schleuse. Gulf-Sutor streckte den Hals zur Schleuse heraus und blickte Dragon aus seinen kleinen Augen an. »Was ist los?« erkundigte er sich mürrisch. »Ich bin wieder zurück!« rief Dragon. »Das sehe ich!« entgegnete Gulf-Sutor lakonisch. »Dann ist es ja gut!« Er zog den Hals zurück und machte Anstalten, sich wieder ins Schiffsinnere zurückzuziehen. »He!« rief Dragon. »Wo ist Flotox?« »Ohne Flotox' Nörgelei wären wir längst gestartet!« erklärte Kladdisch. »Er hat uns mit allen möglichen Tricks aufgehalten, weil er glaubte, daß du uns noch brauchen könntest.« Ein Gefühl der Dankbarkeit durchströmte Dragon. Seine Freunde hatten ihn also nicht aufgegeben. »Und wo ist er jetzt?« fragte er. »Wenn du deine Augen aufmachen würdest, könntest du mich sehen«, sagte ein
Meister der Dimensionen grollendes Stimmchen irgendwo in der Nähe. »Aber du Schwachkopf hast dich ja noch nie durch ein besonderes Wahrnehmungsvermögen ausgezeichnet.« Dragon fuhr herum, doch er konnte den Troll nicht sehen. Da streckte Gulf-Sutor abermals den Hals aus der Schleuse und beugte den Kopf bis auf den Boden vor Dragons Füßen. Flotox, der im Nacken des Riesendrachen gekauert hatte, rutschte über die Halswirbel bis auf den Boden hinab, wechselte dann auf einen Sonnenstrahl über und glitt in Dragons Hände. »Wo hast du dich wieder herumgetrieben, du einfältiger Halunke?« keifte er, ohne dabei ein gerührtes Schniefen unterdrücken zu können. »Du bist das Licht nicht wert, das auf dich herabscheint. Irgend jemand, der stärker ist als du, sollte dich einmal richtig verprügeln, damit du lernst, dich wie ein erwachsener Atlanter zu benehmen.« Dragon drückte seinen Daumen auf die Nase des Zwergs und bewegte ihn hin und her. »Laß das!« schrie Flotox entrüstet. »Geht das schon wieder los? Kaum bist du in meiner Nähe, fängst du auch schon an, mich zu quälen.« Er war so gerührt, daß ihm ein paar Tränen über die runzligen Wangen liefen. »Du brauchst nicht damit zu rechnen, daß ich auch nur ein einziges Wunder für dich tun werde. Dragon.« Hardox brachte den Tragkorb heraus und stellte ihn neben Dragon. »Was?« fragte Dragon erstaunt. »Du willst nicht mit den Drachen auf die Lange Reise gehen?« »Ich würde gern«, seufzte Flotox. »Doch einen Dummkopf wie dich kann ich nicht allein lassen.« Dragon schnallte den Tragkorb auf den Rücken und setzte Flotox hinein. Inzwischen waren die Drachen wieder im Schiff verschwunden. Dragon trat in die Schleusenkammer. »Ich danke euch!« schrie er ins Schiffsinnere.
37 Dann stieg er die Rampe hinab. »Ist die DIKEYABAN zurückgekommen?« erkundigte er sich. »Ja«, sagte Flotox. »Bhutor sagte in seinem Bericht aus, daß du das Schiff in einem Beiboot verlassen hattest, um Messungen vorzunehmen. Bei dieser Arbeit hätte eine fremdartige Energieentwicklung das kleine Schiff vernichtet und dich getötet.« »Bhutor!« sagte Dragon grimmig. »Er wurde inzwischen zum Ersten Rat gewählt!« »Was?« »Ja«, bestätigte der Troll. »Tobos ist schwer erkrankt, so daß Bhutor jetzt die Regierungsgeschäfte führt. Er hat für den sechsten Schrei eine sensationelle Erklärung angekündigt. In Atlantis wartet man schon gespannt darauf, denn das Gerücht, daß Bhutor eine Erklärung für alle Phänomene der letzten Zeit gefunden haben soll, hält sich hartnäckig.« Dragon blieb stehen. Er hatte nicht damit gerechnet, daß Bhutor so schnell Erster Rat werden könnte. Doch nun war es geschehen. Tobos war krank. Dragon war Realist genug, um zu erkennen, daß das für ihn große Schwierigkeiten bedeutete. »Mura!« rief er. »Was ist mit Mura?« »Ich weiß es nicht«, gab der Troll zu. »Aber ich nehme an, daß sie noch immer bei ihrem Vater wohnt.« »Bhutor hat mich absichtlich im Weltraum zurückgelassen«, berichtete der junge Wissenschaftler. »Er hoffte, daß ich nicht zurückkommen würde. Doch nun bin ich da und habe etwas Interessantes mitgebracht.« »Nicht so hitzig!« verwies ihn Flotox. »Bhutor genießt große Popularität. Du würdest dir nur schaden, wenn du solche Vorwürfe gegen ihn öffentlich erhebst.« »Und was soll ich tun?« »Ich schlage vor, daß du dich mit Tobos in Verbindung setzt. Als ehemaliger Erster Rat hat der alte Mann immer noch großen Einfluß.« Dragon, der sich seine Rückkehr anders
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vorgestellt hatte, gab sich keine Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. Natürlich hatte der Zwerg recht. Solange er keine Beweise gegen Bhutor besaß, konnte er nichts gegen ihn unternehmen. Dragon zog die Identitätsplakette aus der Tasche, die er dem Toten im Beiboot abgenommen hatte. »Wir müssen feststellen, wer das ist«, sagte er. »Dann haben wir vielleicht einen Beweis.«
* Aus dem Buch der Sternfahrer: Obwohl zahlreiche andere Völker (Drachen, Riesen, Vampire, Zyklopen usw.) ebenfalls die Raumfahrt entwickelt haben, versteht man unter dem Sammelbegriff »Sternfahrer« ausschließlich Wesen, die ein humanoides Aussehen haben. Zwar gibt es auch bei den Sternfahrern die verschiedenartigsten Völker, doch die gemeinsame Körperform, der gleiche Metabolismus und nicht zuletzt die Ähnlichkeit der Mentalität sind für die Zugehörigkeit entscheidend. Es bestehen kaum Zweifel daran, daß die ersten Sternfahrer aus einer anderen Galaxis kamen. Ein immer wieder begangener Gedankenfehler ist die Annahme, daß die Sternfahrer sich auf vielen Planeten unserer Milchstraße angesiedelt hätten. Das trifft nicht zu. Die Sternfahrer haben sich lediglich immer wieder mit den Eingeborenen der verschiedensten Planeten vermischt, so daß neue Völker entstanden, die den Sternfahrern sehr ähnlich sind. Auch die Atlanter entstanden aus einer Verbindung von Sternfahrern und Eingeborenen. Obwohl sie einem Urvolk entstammen, sind die Sternfahrer alles andere als eine verschworene Gemeinschaft. Zwar gibt es so gut wie keine Kriege zwischen ihnen, aber sie versuchen sich mit allen möglichen Tricks die Herrschaft in den verschiedensten Gebieten der Galaxis streitig zu machen. Es gibt sogenannte Familien und Gilden, die
mit anderen Gruppen Handelskriege führen. Vermutlich sind die Sternfahrer, wenn sie sich zusammenschließen sollten, das mächtigste Volk innerhalb der Galaxis. Da sie jedoch sehr freiheitsliebend sind, wurden nur wenige Fälle bekannt, in denen sie andere Völker unterdrückten. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, über alle galaktischen Verbindungen der Sternfahrer zu berichten. Uns interessiert in erster Linie Atlantis, das von den Sternfahrern gegründet wurde. Auch heute noch ist Atlantis ohne sie undenkbar. Die aus Sternfahrern und Eingeborenen hervorgegangenen Atlanter sind zwar zu einem eigenständigen Volk geworden, aber man muß sich ernstlich fragen, ob ihre Zivilisation ohne die Sternfahrer fortbestehen könnte. Nach kosmischen Maßstäben ist das Volk der Atlanter noch jung, und es verdankt alle Fortschritte in erster Linie den Besuchern aus dem Weltraum. Von den anderen Völkern werden die Atlanter als Angehörige der Sternfahrer anerkannt. Die Legende berichtet, daß der erste Sternfahrer vor achttausend Jahren auf der dritten Welt unseres Sonnensystems gelandet ist. Niemand kann diese Angabe nachprüfen, es können genausogut fünfzehntausend oder sechstausend Jahre seither vergangen sein. Der Sternfahrer, angeblich hieß er Jamaiosan, landete mit seinem Raumschiff auf dem Nordkontinent. Er fand Gefallen an den Eingeborenenfrauen. Zusammen mit seiner Familie und ein paar hundert Wilden zog Jamaiosan sich auf die große Insel zurück, die menschenleer war. Er und seine Leute errichteten ein paar stählerne Kuppeln, deren Trümmer atlantische Wissenschaftler bei Ausgrabungen in der Nähe Muons entdeckt haben wollen. Männer und Frauen aus Jamaiosans Familie gingen enge Bindungen mit den Eingeborenen ein. Bald wurden die ersten Atlanter geboren. Jamaiosans Familie verließ den dritten Pla-
Meister der Dimensionen neten nach zwölf Jahren, und er berichtete allen Sternfahrern, die er während seiner Flüge traf, von der paradiesischen Welt, die er entdeckt hatte. So landeten immer wieder Raumschiffe auf der dritten Welt der kleinen gelben Sonne. Eine Handelsstation wurde gegründet, was den Planeten auch für andere Völker interessant machte. So entstand allmählich Muon. Alle Sternfahrer sehen Atlantis als eine Art Heimat an. Es ist erstaunlich, daß sie dabei nicht mit den Atlantern in Konflikt geraten. Dieses Volk hat jedoch früh gelernt, in kosmischen Maßstäben zu denken. Heute landen und starten fast täglich Raumschiffe in Atlantis. Die Anwesenheit von Angehörigen fremder Völker wird als normal angesehen. Reisende, die große Teile der Galaxis besucht haben, wissen zu berichten, daß Atlantis einer der lebendigsten Stützpunkte in der Milchstraße ist. Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden die Atlanter auch die anderen Kontinente ihrer Welt besiedeln. Jamaiosan hat die von ihm gegründete Zivilisation nie mehr wieder besucht. Über sein Schicksal ist nichts bekannt. Die Sternfahrer durchkreuzen das All meistens in kleinen Verbänden, zu denen sich die Gilden und Familien zusammenschließen. Obwohl sie angeblich von einer anderen Galaxis kommen, besitzen sie heute keine Triebwerke, die ihnen einen Flug über das große Nichts zwischen den Sterninseln gestatten würden. Warum das so ist, vermochte bis heute niemand zu klären. Besonders erstaunlich ist, daß die Sternfahrer an ihren alten Traditionen und Gewohnheiten festhalten. Ihre Treue zu alten Gepflogenheiten rettete wahrscheinlich ihre seltsame Zivilisation bis in die heutigen Tage. Während des Krieges gegen die Riesen erlitten vor allem die Sternfahrer große Verluste. Kein anderes Volk kämpfte so ent-
39 schlossen und mutig gegen die Unterdrücker. Ganze Familien und Gilden wurden im Verlauf der Kämpfe ausgerottet. Viele Sternfahrer mußten schließlich auf einsame Planeten fliehen und das Ende des Krieges abwarten. Zweifellos sind die Sternfahrer die Verbreiter menschlichen Lebens innerhalb der Galaxis. Nur die Drachen können auf eine ähnliche Vergangenheit zurückblicken wie die Sternfahrer. Man schätzt, daß es allein in unserer Galaxis dreihunderttausend Sternfahrerschiffe gibt. Die berühmtesten Familien und Gilden tragen die Namen Oberiahn, Kalaylissan, Fermenthilan, Dragon und Jamaiosan. Auch heute noch kommt es vor, daß Sternfahrer und Eingeborene unserer Heimatwelt sexuelle Bindungen eingehen. Natürlich gibt es auch Verbindungen zwischen Sternfahrern und Atlantern. Kinder, die aus solchen Verbindungen hervorgehen, werden in der Regel später Sternfahrer. Viele Sternfahrer haben versucht, auf paradiesischen Welten seßhaft zu werden, doch immer erwies sich der Lockruf der Sterne als stärker. Fast könnte man meinen, daß die Sternfahrer einer unerklärlichen Macht folgen, daß sie berufen sind, für den Fortbestand menschlichen Lebens in der Galaxis zu sorgen. Einer der drei Schwüre der Sternfahrer lautet: »Leben und Leben verbreiten!«
7. Tobos hatte sich von Mura den Sessel vor die Bildübertragung stellen lassen, denn er wollte auf keinen Fall die angekündigte Rede Bhutors versäumen. Da Bhutor eine Erklärung über die Phänomene der letzten Zeit abgeben wollte, hoffte Tobos, daß sein Nachfolger über die Dimensionstheorie sprechen würde. Mura kam herein. Sie wirkte noch immer schön und anziehend, doch die Sorgen um
40 ihren Vater und die Trauer um Dragon hatten ein paar Linien in ihrem Gesicht entstehen lassen, die man vorher nicht gesehen hatte. »Vater«, sagte sie zärtlich, »du hast noch einen halben Schrei Zeit. Warum ruhst du dich nicht ein bißchen aus?« »Da fragst du noch?« brummte Tobos. »Ich bin gespannt, was Bhutor zu berichten hat. Hoffentlich hat er inzwischen Vernunft angenommen. Nun, die Aufregungen der vergangenen Tage waren sicher zu viel für ihn.« »Du verteidigst ihn noch immer!« stellte sie voller Bitterkeit fest. Er räusperte sich durchdringend. »Vielleicht verteidige ich gar nicht ihn sondern mich.« Sie sah ihn erstaunt an. »Ich habe mich so lange für ihn eingesetzt, daß ich jetzt nicht mehr zurück kann«, versuchte er seiner Tochter zu erklären. »In Bhutor sah ich fast so etwas wie einen eigenen Sohn. Ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst, aber ich war ihm in vielen Dingen sogar hörig.« »Du tust mir leid, Vater!« »Er ist nicht ausschließlich schlecht«, fuhr der Greis fort. »Man muß nur an das Gute in ihm glauben.« Mura wechselte das Thema. »Du hast die Ärzte weggeschickt! Das hättest du nicht tun sollen. Du wirst sie noch brauchen, auch wenn du schon wieder gehen kannst.« Er winkte ärgerlich ab. »Sie sind nur eine Belastung für mich. Mit ihrer Fürsorge regen sie mich auf. Sie behandeln mich wie jemand, der bereits mit dem Leben abgeschlossen hat. Aber ich denke nicht daran, jetzt schon aufzugeben. Ich habe das Gefühl, daß es noch viel Arbeit für mich geben wird.« Sie wußte, daß es sinnlos war, ihm zu widersprechen, wenn er sich in dieser Stimmung befand. Tobos konnte sehr starrsinnig sein. Der alte Mann fieberte der Übertragung
William Voltz von Bhutors angekündigter Rede entgegen. Mura hatte sich vorgenommen, sich Bhutor weder anzusehen noch ihm zuzuhören. Doch jetzt, wenige Augenblicke vor dem Beginn der Rede, zweifelte sie, ob sie ihren Entschluß verwirklichen konnte. Es sah so aus, als hätte Bhutor doch mehr Einfluß auf sie als sie zugeben wollte. »O nein!« stieß sie hervor. Tobos drehte sich erschrocken im Sessel um. »Was ist mit dir, Mura?« »Es ist nichts! Nur die Nervosität.« Er lächelte verständnisvoll und winkte sie zu sich. »Setz dich zu mir!« forderte er sie auf. »Nein, nicht auf den Stuhl, sondern auf meine Knie, wie du es früher immer getan hast. Wenn ich auch ein kranker alter Mann bin, so werde ich dein Gewicht schon ertragen können.« Er strich über ihr Haar. »Es wird alles gut werden«, sprach er ihr Trost zu. Der Bildschirm wurde hell. Ein Energieforscher kündigte an, daß Bhutor in wenigen Augenblicken mit der angekündigten Rede beginnen würde. Tobos wußte, daß jetzt alle Atlanter und auch viele Sternfahrer gespannt vor den Bildschirmen sitzen würden. Die Ereignisse der letzten Tage hatten Nervosität und Furcht ausgelöst. Die Menschen warteten darauf, daß der neue Erste Rat sie davon befreien würde. Als Bhutors Gesicht auf dem Bildschirm erschien, klammerte sich Mura unwillkürlich an ihren Vater. »Sieh ihn dir an!« forderte Tobos sie auf. »Er hat sich verändert. Irgend etwas ist mit ihm vorgegangen.« Sie zwang sich, das verhaßte Gesicht anzusehen - und erschrak. Bhutor hatte sich tatsächlich verändert. Seine Augen lagen tief in den Höhlen und glänzten fiebrig. Das Gesicht war fleckig, die Lippen ausgetrocknet und aufgesprungen. »Er scheint krank zu sein!« befürchtete
Meister der Dimensionen Tobos. »Atlanter!« rief Bhutor, und beim Klang seiner Stimme zuckte Mura zusammen. »Zum zweitenmal nach meiner Wahl spreche ich zu euch, diesmal aus einem besonderen Anlaß.« Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, aber seine Augen blieben ernst. »Ihr alle wißt, was uns in letzter Zeit beunruhigt hat. Menschen und Gegenstände verschwanden, im Weltraum kam es zu seltsamen Energieausbrüchen, und viele von uns fühlten sich von Unsichtbaren beobachtet. Seit ein paar Tagen ist davon nichts mehr zu spüren.« Er machte eine Pause, um seinen nächsten Worten größeren Nachdruck zu verleihen. »Alle unsere Bedenken waren unnötig. Es gibt eine Erklärung für alle Ereignisse.« Seine Stimme hob sich: »Wir haben Besuch aus einer anderen Dimension.« Tobos fuhr im Sessel hoch, und Mura rutschte von seinen Knien. »Ich ahnte es!« stieß der alte Atlanter hervor. »Warum hat er mich nicht gerufen?« »Bevor ich näher darauf eingehe, muß ich ein paar grundsätzliche Erklärungen abgeben«, fuhr Bhutor fort. »Jeder von uns hat bereits von den Theorien gehört, daß weitaus mehr als die uns bekannten Dimensionen existieren. Jede Dimension setzt in letzter Konsequenz das Vorhandensein einer weiteren Dimension voraus. Und in jeder Dimension kann es Sterneninseln, Sonnen und Planeten geben, Parallelwelten sozusagen. Es erscheint unmöglich, daß es zwischen den einzelnen Dimensionen Berührungspunkte geben könnte. Und doch ist es ein paar kühnen Forschern aus einer Nachbardimension gelungen, Kontakt zu uns aufzunehmen. Zwei dieser Männer sind zu uns gekommen. Sie haben das Tor zwischen den Dimensionen aufgestoßen.« »Unglaublich!« flüsterte Tobos erschüttert. »Es ist unfaßbar.« »Vater, was bedeutet das alles?« fragte Mura verwirrt. »Warte!« rief Tobos, der sah, daß Bhutor
41 weitersprechen wollte. »Die beiden Besucher sind als Freunde gekommen«, verkündete Bhutor. »Sie haben sich in unsere Macht begeben, denn ohne unsere Hilfe können sie nicht mehr in ihre Heimat zurück. Ein Objekttransporter, der nur in eine Richtung arbeitet, hat sie von ihrer Welt auf die unsere geschleudert. Sie hätten auch eine Dimensionsbrücke bauen können, eine ständige Verbindung zwischen unseren Welten, doch das wollten sie ohne unsere Zustimmung nicht tun. Bei all den Experimenten, die sie durchführen mußten, beobachteten sie natürlich unsere Welt. Dadurch wurden die Gefühle ausgelöst, die wir alle kennen und die uns so unangenehm waren. Die Fremden holten Gegenstände aus unserer Dimension in die ihre, um sie zu studieren. Allen Atlantern, die sie geholt haben, geht es gut. Sobald wir gemeinsam eine Dimensionsbrücke gebaut haben, werden diese Männer und Frauen nach Atlantis zurückkehren. Aber auch wenn wir den Bau der Dimensionsbrücke ablehnen sollten, was ich nicht hoffe, werden wir unsere Verschwundenen wiedersehen. Man wird sie mit dem Objekttransporter zu uns schicken, obwohl das gefährlich sein könnte.« Bhutor holte tief Atem und fuhr dann schnell fort: »Die Besucher bedauern zutiefst, daß ein Atlanter, nämlich Dragon, durch ihre Versuche den Tod gefunden hat, aber sie konnten nicht ahnen, daß wir in den Weltraum starten und die Energieausbrüche aus unmittelbarer Nähe untersuchen würden.«
* Dragon, der zusammen mit Flotox in einem Restaurant am Rande des Raumhafens saß und von dort aus die Übertragung verfolgte, starrte mit finsterer Miene auf den Bildschirm. Gerade war sein Name gefallen. Bhutor hatte ganz öffentlich von seinem Tod gesprochen. »Glaubst du die Geschichte von den Besuchern aus der anderen Dimension?« wand-
42 te Dragon sich an den Troll. »Ich weiß nicht, was ich glauben soll«, antwortete Flotox. »Aber auch ein Dummkopf wie du sollte erkennen, daß sich damit alle Ereignisse erklären lassen.« »Die Fremden entschuldigen sich nur für einen Toten«, sagte Dragon nachdenklich. »Aber ich habe eine Leiche aus dem Weltraum mitgebracht. Da stimmt etwas nicht.« Er warf ein paar Münzen auf den Tisch und schnallte den Korb mit dem Troll darin auf den Rücken. »Willst du die Rede nicht zu Ende hören?« fragte Flotox überrascht. Dragon schüttelte den Kopf. Er wog die Identitätsplakette in den Händen. »Wir müssen so schnell wie möglich herausfinden, wem sie gehört.« Er verließ das Restaurant. Zu seiner Erleichterung waren die Straßen fast völlig verlassen. Fast alle Atlanter sahen oder hörten Bhutor, der mit einer unglaublichen Erklärung begonnen hatte. Dragon hatte plötzlich das Gefühl, daß es nicht gut war, wenn zu viele Atlanter von seiner Rückkehr erfuhren. Da war etwas im Gang, das zu einer Gefahr für ganz Atlantis werden konnte. Mit der Bahn fuhr Dragon ins Stadtzentrum. Er versteckte den Troll in seiner Tunika und warf den Korb weg, weil er damit zu sehr aufgefallen wäre. Flotox nörgelte wegen des unbequemen Aufenthaltsorts, doch darauf konnte Dragon jetzt keine Rücksicht nehmen. Er hoffte, daß ihn niemand erkannte. Durch mehrere Seitenstraßen erreichte er schließlich das Identitätsamt. Wegen der Übertragung war nur ein Schalter besetzt; der Atlanter, der dahinter stand, hatte beide Ellenbogen aufgestützt und blickte auf ein kleines Übertragungsgerät. Dragon warf die Identitätsplakette auf den Tisch. »Stellen Sie bitte fest, wem sie gehört. Ich habe sie gefunden und möchte sie zurückgeben.« Ärgerlich über die Störung, warf der Beamte Dragon einen bösen Blick zu, ergriff
William Voltz die Plakette und verschwand damit in einen anderen Raum. Dragon drehte das Übertragungsgerät auf dem Schalter herum, so daß er Bhutors Gesicht sehen konnte. »… sind noch erschöpft und müde, später werden sie zu euch sprechen und diese Erklärung noch einmal selbst wiederholen«, sagte der Erste Rat gerade. »Sie haben alle Unterlagen für den Bau der Dimensionsbrücke mitgebracht. Nachdem ich mit ihnen gesprochen habe, muß ich sagen, daß es ausgesprochen vertrauenswürdige Wesen sind.« Das Sprechen schien Bhutor anzustrengen. Manchmal hatte Dragon den Eindruck, einen Fremden vor sich zu sehen. »Wir Atlanter werden nicht länger auf die Sternfahrer angewiesen sein, sondern können endlich eigene Wege gehen«, beschwor Bhutor das Bild einer Zukunft, in der die Atlanter zusammen mit den Fremden von Dimension zu Dimension reisen würden. »Den Balamitern ist Egoismus fremd. Sie sind bereit, alle Errungenschaften mit uns zu teilen. Sobald diese Rede beendet ist, wird der Rat zusammentreten, dann werden wir über alle weiteren Maßnahmen beraten.« Die Tür des hinteren Raumes öffnete sich. Dragon sah den Atlanter mit der Plakette in den Händen zurückkommen. »Eines ist gewiß!« klang Bhutors Stimme noch einmal auf. »Niemand in Atlantis braucht sich noch Sorgen zu machen.« Der Mann warf die Plakette auf den Tisch und schaltete das Übertragungsgerät ab. »Wo haben Sie sie gefunden?« fragte er. »In der Nähe des Raumhafens«, log Dragon. Der Atlanter sah ihn mißtrauisch an. »Die Plakette gehört dem Mann, der im Verlauf der mysteriösen Zwischenfälle zuerst verschwand«, sagte er. »Sie gehört Tarkon!« »Ist ein Irrtum ausgeschlossen?« »Natürlich!« Dragon fuhr herum und stürzte auf die Straße. Dort blieb er wie benommen stehen. Die Fremden hatten versichert, daß alle ver-
Meister der Dimensionen schwundenen Atlanter in ihrer Dimension in Sicherheit seien. Aber Dragon hatte Tarkon tot und völlig entstellt im Weltraum gefunden. Etwas stimmte da nicht. Entweder Bhutor oder die Besucher logen. Dragon überlegte, was er tun sollte. Er mußte Tobos einen heimlichen Besuch abstatten und ihm von seiner rätselhaften Entdeckung berichten. Dragon zog Flotox aus dem Umhang. »Was hältst du davon?« Der Zwerg nieste laut. »Nicht nur, daß ich in diesem stickigen Kleid stecken muß - jetzt soll ich auch noch nachdenken!« beklagte sich Flotox. »Aber wenn man einen solchen Ausbeuter als Freund hat, darf man sich über nichts wundern.« »Zur Sache!« ermahnte ihn Dragon. »Ich wittere Unheil!« erklärte der Troll. »Unheil und Lüge.« Seine klugen Äuglein verschwanden fast völlig hinter den Lidern. »Du bist in großer Gefahr, Dragon. Du besitzt den Schlüssel zur Wahrheit, deshalb wird man dir nachstellen, sobald man weiß, daß du zurückgekehrt bist.«
* Aus dem Buch der Vampire: Von allen Völkern, die mit ihren Raumschiffen Atlantis besuchen, wissen wir über die Vampire am wenigsten. Sie verlassen ihre Raumschiffe nie und kümmern sich grundsätzlich nicht um die Angelegenheiten anderer Intelligenzen. Als Handelspartner werden sie wegen ihrer Ehrlichkeit und Großzügigkeit gerühmt. Über kein anderes Volk gibt es derartig viele Gerüchte. Sternfahrer berichteten von geheimnisvollen Planeten, auf denen die Vampire in verfallenen Gebäuden hausen, allerdings in anderer Gestalt. Zyklopen brachten Bilder von geflügelten Ungeheuern nach Atlantis, bei denen es sich angeblich um Darstellungen von Vampiren handeln soll.
43 Auch über die Raumschiffe der Vampire ist so gut wie nichts bekannt. Sie können bewegungslos am Himmel stehen und dann plötzlich mit ungeheurer Beschleunigung verschwinden. Die Vampire nennen sich selbst Kaltoven. Als Handelsgüter bieten sie in der Regel Schmuck und seltene Minerale an. Nur selten arbeiten sie als Nachrichtenübermittler. In Atlantis kaufen die Vampire lebende Tiere, bestimmte Pflanzensorten und eisenhaltige Minerale. Viele Wissenschaftler versuchten daraus Rückschlüsse zu schließen, doch eine glaubwürdige Erklärung fand bisher niemand. Der Anblick eines Vampirs kann einem Menschen Furcht einflößen, obwohl die meisten dieser Wesen dazu übergegangen sind, sich ihre langen Schneidezähne abschleifen zu lassen. Über die Rolle der Vampire während des Krieges gegen die Riesen gibt es nicht viel zu berichten, damals wie heute verhielten sich die Kaltoven neutral. Die Vampire fliegen zwei Schiffstypen: kugel- und diskusförmige. Kein einziger Sternfahrer kann bisher von sich behaupten, bewußt eine Vampirwelt betreten zu haben. Auf Fragen aller Art antworten die Kaltoven ausweichend, aber höflich. Werden sie zu sehr bedrängt, besuchen sie die entsprechende Welt nicht mehr.
8. »Meine Ahnungen haben sich bestätigt«, sagte Tobos zu Mura. »Allerdings hätte ich niemals damit gerechnet, daß intelligente Wesen aus einer anderen Dimension zu uns kommen würden. Wie mag es ihnen nur gelungen sein, die Stabilität der Dimensionen zu beeinflussen?« »Du glaubst also, was Bhutor gesagt hat?« fragte sie erstaunt. »Ja«, bestätigte Tobos. »Ich ahnte von Anfang an, daß es zu einer Berührung zweier Existenzebenen gekommen sein mußte. Daß es allerdings in so dramatischer Form geschehen würde, wagte ich nicht einmal zu
44 hoffen.« Mura sah ihren Vater verständnisvoll an. »Als Wissenschaftler begrüßt du sicher diese Entwicklung. Aber ich traue Bhutor nicht. Warum hat sich keiner der Fremden gezeigt?« »Du hast doch gehört, daß sie erschöpft sind!« Da sie sich völlig auf ihr Gefühl verließ, konnte ihr Vater sie nicht überzeugen. Mura spürte, daß irgend etwas nicht in Ordnung war. Allein die Veränderung Bhutors gab ihr zu denken. »Es wäre gut, wenn du mit deinen Freunden sprechen würdest«, schlug sie vor. »Bhutor allein darf nicht entscheiden, was geschehen soll.« »Ich bitte dich!« rief Tobos empört. »Als ich noch Erster Rat war, hätte ich es nicht geduldet, wenn sich jemand in die Regierungsgeschäfte eingemischt hätte. Genau das schlägst du jetzt vor.« »Diesmal geht es um Atlantis!« Tobos dachte nach. Er gestand sich ein, daß Bhutors Erklärung viele Fragen offenließ, aber das war bei einem so ungewöhnlichen Ereignis nicht erstaunlich. Der Greis dachte an die Prophezeiungen der Goldenen Fee. Konnte die Dimensionsbrücke nicht die Rettung vor der angekündigten Katastrophe sein? Tobos bedauerte, daß er nicht mehr dem Rat angehörte. »Ich muß mit den beiden Fremden zusammentreffen«, sagte er zu seiner Tochter. »Ich bin sicher, daß Bhutor mir eine solche Bitte nicht abschlagen wird.« Sie blieb skeptisch. »Er will den wissenschaftlichen Triumph für sich allein.« »Wenn ich mich nur richtig bewegen könnte!« klagte Tobos. »Du kannst es kaum abwarten, die beiden Fremden zu sehen«, erkannte Mura. »Du fieberst einer solchen Begegnung geradezu entgegen.« »Wahrscheinlich kann ich heute nicht schlafen«, gab er zu. »Ein so erregendes Er-
William Voltz eignis muß jeden Forscher in seinen Bann ziehen.« Mura hörte ein scharrendes Geräusch und blickte zur Tür. Zu ihrer Überraschung sah sie dort einen Troll stehen. Sie fragte sich, wie der Zwerg hereingekommen war. »Bist du Flotox?« erkundigte sie sich, da es ihr schon immer schwergefallen war, die Trolle voneinander zu unterscheiden. Der nur handgroße Zwerg watschelte auf sie zu. »Natürlich bin ich Flotox«, erklärte er beleidigt. »Wenn du das nicht erkennen kannst, mußt du auf beiden Augen blind sein. Aber ich habe Dragon schon immer vor dir gewarnt. ›Sie ist nicht in Ordnung, Dragon!‹ sagte ich. ›Nimm dich vor ihr in acht.‹ Aber er hat noch immer keine Vernunft angenommen.« »Wer ist das?« rief Tobos, der über die Störung ärgerlich war. »Dragons Troll!« erwiderte Mura. Ihr Herz machte einen Sprung. Sie zwang sich zur Ruhe. »Er redet als … als wäre Dragon noch am Leben.« Tränen schossen ihr in die Augen. »Natürlich lebt er!« verkündete Flotox säuerlich. »Holzköpfe werden uralt, wußtest du das nicht? Ich werde jetzt …« Bevor er weitersprechen konnte, hob sie ihn hoch und drückte ihn so fest an sich, daß er keine Luft mehr bekam. »He!« japste er verzweifelt. »Willst du mich erdrücken, du närrisches Ding?« Sie wirbelte um die eigene Achse und jauchzte. Tränen der Erleichterung liefen über ihre Wangen. »Du machst mich naß!« schrie Flotox. »Wenn du mich nicht sofort auf den Boden setzt, vollbringe ich ein schlimmes Wunder und lasse dir eine Knollennase wachsen. Dann sieht Dragon dich bestimmt nicht mehr an.« »Dragon lebt! Dragon lebt! Hast du gehört, Vater?« rief Mura, die es immer noch nicht fassen konnte. Tobos richtete sich mühsam in seinem Sessel auf.
Meister der Dimensionen »Ich weiß nicht, ob wir ihm glauben können«, sagte er argwöhnisch. »Dragon ist mit seinem Beiboot im Weltraum zurückgeblieben und wahrscheinlich bei einer Explosion getötet worden.« Die Tür sprang mit einem Knall auf. Mura fuhr herum. Dragon trat herein. »Flotox spricht die Wahrheit!« sagte er. »Ich bin noch am Leben.« Tobos und seine Tochter starrten den späten Besucher an wie eine Erscheinung. Den scharfen Augen des Mädchens entging nicht, daß Dragon sich verändert hatte. Sein Körper wirkte schlanker und knochiger, in sein Gesicht hatten sich harte Linien eingegraben, und in den Augen loderte ein unheimliches Feuer. Der Anblick Dragons ernüchterte das Mädchen. Sie erkannte, daß er als Kämpfer zurückgekommen war. Seine Haltung drückte Entschlossenheit aus. »Ich mußte heimlich hierher kommen!« rief Dragon bitter. »Es kann sein, daß man mich zu töten versucht, wenn man erfährt, daß ich Atlantis doch noch erreicht habe.« Tobos' Augen begannen zornig zu funkeln. »Das sind schwere Anschuldigungen, Dragon! So sehr Mura und ich mich freuen, daß Sie noch am Leben sind, müssen wir sie doch bitten, eine genaue Erklärung abzugeben, bevor sie anderen Atlantern Mordabsichten unterstellen.« Dragon machte ein paar Schritte auf Mura zu und ergriff sie an der Hand. »Bhutor hat bereits auf Ero versucht mich umzubringen«, erklärte er. »Damals schwieg ich noch. Bei der zweiten Expedition hat er mich ohne Grund in einem Beiboot ausschleusen lassen. Ich sollte Messungen vornehmen, die man auch von Bord der DIKEYABAN aus hätte durchführen können. Die Energieausbrüche im Weltraum dienten ihm als Vorwand, mich allein zurückzulassen.« »Die Besatzung der DIKEYABAN ist anderer Ansicht«, widersprach Tobos. »Das
45 Beiboot war verschwunden. Jeder mußte annehmen, daß es zerstört wurde.« »Bhutor hätte nach mir suchen lassen müssen«, beharrte Dragon. »Das sind so schwere Anschuldigungen, daß Sie dafür Beweise brauchen!« Dragon richtete sich auf. Er zog eine IDPlakette aus dem Umhang und warf sie Tobos zu. »Zumindest kann ich beweisen, daß Bhutor gelogen hat. In seiner Ansprache behauptete er, daß alle verschwundenen Atlanter in Sicherheit und am Leben seien.« Tobos drehte die Plakette in den Händen. »Wem gehört sie?« »Tarkon!« »Dem Atlanter, der zuerst verschwand?« »Ja!« stieß Dragon hervor. »Ich fand seine Leiche total entstellt im Weltraum.« Mit brennenden Augen blickte der Greis auf die Identitätsplakette. Er konnte nicht glauben, was er gerade hörte. Wenn Dragons Angaben stimmten, war Bhutor der Lüge überführt. Dann erhob sich die Frage, ob die Besucher wirklich so harmlos und vertrauenswürdig waren, wie Bhutor behauptete. »Ich werde mich von der Wahrheit Ihrer Behauptungen überzeugen«, entschloß sich Tobos. »Mura, bring meine Sachen. Dragon und ich werden zum Raumhafen fahren. Ich will mir den Toten ansehen.« »Das ist zu anstrengend für dich!« protestierte das Mädchen. Er lächelte schwach. »Aber Kind! Hier geht es nicht um das Wohlbefinden eines alten Mannes, sondern um das Schicksal unseres Volkes.« Sie warf Dragon einen hilfesuchenden Blick zu, doch der junge Atlanter nickte nur stumm. »Dann werde ich euch begleiten!« sagte sie trotzig. »Ihr seid alle drei Holzköpfe!« bemerkte Flotox mißmutig. »Ich frage mich, wieso ich seit meiner Ankunft auf Atlantis dazu verdammt bin, mit Schwachsinnigen zusammenzuleben.« Er schloß entsagungsvoll die Augen.
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William Voltz
»Und mein bester Freund ist der schlimmste von allen.« Dragon packte ihn am Zipfel seiner Jacke und hob ihn hoch. »Strapaziere dich nicht!« befahl er. »Es kann sein, daß du deine Kraft noch für ein Wunder brauchst.« »Pah!« machte der Zwerg. »Verdammt will ich sein, wenn ich auch nur ein winziges Wunder für dich vollbringe.«
* Zur gleichen Zeit, als Dragon das Haus des Tobos betrat, erhielt Bhutor von einem Sternfahrer die Nachricht, daß Dragons Gleiter am Rande des Raumhafens gelandet war. Von Dragon selbst, so erfuhr der Erste Rat, fehlte jede Spur. Im Gleiter lag die Leiche eines Atlanters. Der Schock, den diese Nachricht in Bhutor auslöste, wich schnell maßloser Wut und Enttäuschung. Was Bhutor für unmöglich gehalten hatte, war eingetreten: Der verhaßte Rivale war zurückgekommen. Wie hatte Dragon das fertiggebracht? fragte sich Bhutor. Er erstattete den Balamitern, die er in seinem Haus verborgen hielt, in aller Eile Bericht. »Ich arbeite nur mit Ihnen zusammen, wenn dieser Dragon aus dem Weg geschafft wird!« sagte er mit schriller Stimme. Cnossos, noch immer in der Gestalt von Mura, sah ihn nachdenklich an. »Sie wollen doch nicht ernsthaft von uns verlangen, daß wir einen Mord begehen? Das entspricht nicht unserer Mentalität. Wir sagten Ihnen doch schon, daß wir friedfertige Wissenschaftler aus einer anderen Dimension sind.« Er wandte sich an Gnotor und redete in balamitisch auf ihn ein. Daraufhin verließ Gnotor, der inzwischen die Gestalt eines jungen Atlanters angenommen hatte, Bhutors Haus durch einen Hinterausgang. »Wohin geht er?« erkundigte sich Bhutor mißtrauisch.
»Zum Raumhafen!« erklärte Cnossos knapp. Wieder hatte Bhutor das Gefühl, daß ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde, daß er nicht mehr Herr über seine Entscheidungen war. Aber die Furcht, daß durch Dragons unvermutete Rückkehr eine für ihn ungünstige Entwicklung eingeleitet werden konnte, überwog im Augenblick sein Mißtrauen gegen die beiden Balamiter. »Ich glaube, es wird allmählich Zeit, daß wir uns den Atlantern zeigen«, meinte Cnossos. »In dieser Gestalt?« fragte Bhutor bestürzt. Cnossos-Mura lachte dämonisch. »Warum nicht?« »Das würden Tobos und Mura mir niemals verzeihen!« »Nur keine Aufregung!« beruhigte ihn Cnossos. »Ich werde die Gestalt eines Atlanters annehmen. Doch vorher wollen wir uns noch über diese Goldene Fee unterhalten, von der Sie mir erzählt haben.« Bhutor ließ sich in einen Sessel fallen. Um diese Zeit hätte er eigentlich mit dem Rat eine Sitzung abhalten müssen, doch er hatte sich wegen der Ereignisse entschuldigen lassen. »Es ist Ihnen sicher klar, daß die Goldene Fee mit ihren Prophezeiungen den Bau der Dimensionsbrücke verhindern kann«, sagte Cnossos. »Ich sehe nicht ein, warum«, entgegnete der Atlanter. »Schließlich wissen nur Tobos und die Räte etwas von den Erklärungen der Goldenen Fee.« »Ich traue diesem Tobos nicht«, gestand der Balamiter. »Wenn er auch krank ist, so scheint er doch großen Einfluß zu haben. Sollte er sich gegen den Bau einer Dimensionsbrücke entscheiden, könnte er mit den Prophezeiungen der Goldenen Fee argumentieren. Es muß unter allen Umständen verhindert werden, daß die Fee noch weitere Prophezeiungen macht.« Bhutors Gesicht verfinsterte sich. »Ich war noch nie damit einverstanden,
Meister der Dimensionen daß der Erste Rat sich von dieser Kreatur beraten läßt.« »Sie sagten, daß sie nur den jeweils amtierenden Ersten Rat empfängt?« »Das ist richtig!« »Vielleicht sollten Sie sie einmal besuchen.« »Ich habe keine Lust«, erklärte Bhutor. »Es gibt jetzt wichtigere Dinge zu tun.« Der Balamiter lachte häßlich. »Alles ist wichtig«, sagte er. Er begann sich zu verformen, und Bhutor, der ihn aufmerksam beobachtete, wußte, daß er in wenigen Augenblicken eine andere Gestalt angenommen haben würde.
* Aus dem Buch der Eingeborenen: Die Rolle der Eingeborenen bei der Entwicklung von Atlantis wird allgemein unterschätzt. Als Jamaiosan (oder wie immer der erste Sternfahrer hieß, der auf dieser Welt landete) sie fand, waren sie zwar Wilde, die in Höhlen hausten und ausschließlich von der Jagd lebten, aber sie besaßen zweifellos schon eine gewisse Intelligenz. Die Eingeborenen, die noch heute auf dem Nord- und Südkontinent leben, sind in ihrer Evolution weiter fortgeschritten, sie haben das Feuer entdeckt und so etwas wie eine soziale Struktur entwickelt. Niemand vermag zu sagen, ob die Sternfahrer den Anstoß dazu gaben. Kinder, die aus Verbindungen zwischen Sternfahrern und Eingeborenen hervorgingen, nennen sich Atlanter. Sie gründeten Muon. Zwischen den Atlantern und den Eingeborenen besteht eine große zivilisatorische Kluft. Eines Tages werden die Atlanter auf ihrer Insel nicht mehr genügend Platz haben, dann werden sie auf die großen Kontinente übersiedeln und sich ihrerseits mit den Eingeborenen vermischen. Es ist noch nicht abzusehen, wie sich die Atlanter danach entwickeln werden. Da sie eine eigene Raumfahrt besitzen, ist
47 es möglich, daß sie eines Tages diese Welt verlassen und die Eingeborenen sich selbst überlassen werden. In der Sprache der Atlanter, die gleichzeitig die Sprache der Sternfahrer ist, heißen die Eingeborenen »Trongas«. Expeditionen, die die Hauptkontinente dieser Welt durchforschten und Stationen errichteten, berichteten davon, daß sie oft von Trongas angegriffen wurden. Natürlich fiel es ihnen nicht schwer, diese Angriffe mit ihren überlegenen Waffen abzuwehren. Die Eingeborenen leben in Höhlensystemen, wo sich immer mehrere Sippen zusammenschließen. Einzelne Sippen sind dazu übergegangen, aus Pflanzen und Steinen primitive Behausungen zu errichten. Die Trongas sehen menschenähnlich aus, haben ungewöhnlich lange Arme und gehen gebückt. Von den Sternfahrern und den Atlantern unterscheiden sie sich in erster Linie dadurch, daß sie am gesamten Körper behaart sind. Sie haben eine primitive Sprache, die aus Knurr- und Grunzlauten besteht.
9. Tobos' Gleiter drehte sich langsam um die eigene Achse. Dragon, der als Pilot fungierte, deutete aus dem offenen Seitenfenster auf den Raumhafen hinab. »Dort unten steht mein Gleiter!« rief er. Tobos' Haar wurde vom Wind zerzaust. Sein sonst so blasses Gesicht war jetzt rot vor Erregung. Mura beugte sich vom Rücksitz nach vorn, um etwas sehen zu können. »Landen Sie!« befahl Tobos. »Ich will mir den Toten ansehen.« Der Gleiter sank tiefer und landete wenige Augenblicke später in der Nähe des Beiboots der DIKEYABAN. Dragon sprang heraus und half Tobos beim Aussteigen. Es war erstaunlich, wie gut der Greis sich bereits wieder auf den Beinen hielt. Mura warf ihrem Vater besorgte Blicke zu, aber er ignorierte sie. Auf Dragon gestützt, näherte sich der ehemalige Erste Rat von Atlantis dem Beiboot.
48 Als sie noch ein paar Schritte davon entfernt waren, blieb Dragon bestürzt stehen. »Sie ist weg!« stieß er ungläubig hervor. Tobos hob verwirrt den Kopf. »Weg? Was meinen Sie?« »Die Leiche! Ich sehe von hier aus, daß sie sich nicht mehr im Beiboot befindet.« Er ließ Tobos einfach stehen und rannte auf den Flugkörper zu. Mit einem schnellen Griff riß er die Kanzel auf. Seine Befürchtung bewahrheitete sich. Der Tote war verschwunden! Dragon stand einen Augenblick wie betäubt da. Mit geschlossenen Augen überlegte er, was geschehen sein könnte. Inzwischen war Tobos herangehumpelt. »Nun?« krächzte er. »Ich kann mir denken, daß Sie nun annehmen, ich hätte Sie zum Narren gehalten«, sagte er bitter. »Aber das ist nicht so. Jemand hat die Leiche aus dem Beiboot geholt.« Er kletterte in die Kanzel und riß die Tonspule ab, die er während des Fluges besprochen und dann neben der Schleuse befestigt hatte. Er übergab sie Tobos. »Sie können sich diese Spule anhören. Ich habe sie während des Fluges besprochen,« Tobos wog sie nachdenklich in der Hand. »Ich kann mir denken, welchen Inhalt die Spule hat. Die Frage ist nur, ob Sie sie wirklich im Weltraum besprochen haben oder erst hier auf der Erde.« »Vater!« rief Mura entrüstet. Dragon sah den Greis mit brennenden Augen an. »Eines Tages werden Sie wissen, daß Sie mir glauben müssen und nicht Bhutor.« Mit einem Ruck wandte er sich ab und ging quer über das Landefeld davon. Mura wollte ihm nachgehen, doch Tobos hielt sie fest. »Willst du deinen kranken Vater allein hier stehenlassen?« »Du tust ihm unrecht, Vater!« Er drückte ihre Hand. »Ich glaube ihm«, sagte er zu ihrem Erstaunen. »Ich glaube ihm, und ich weiß, daß Atlantis von einer schlimmen Gefahr be-
William Voltz droht wird.« »Warum hast du ihn dann nicht unterstützt?« »Er muß zornig und voller Haß sein, wenn er Erfolg haben will. Man wird ihn zu töten versuchen, deshalb soll er glauben, daß er völlig auf sich allein gestellt ist. Er muß wachsam und ständig auf einen Angriff gefaßt sein.« »Das ist unmenschlich!« Die Lippen des Alten zogen sich zusammen. »Ich war Erster Rat von Atlantis. Ich darf nicht an das Wohlergehen einer Einzelperson denken, sondern muß immer das Schicksal unseres Volkes vor Augen haben.«
* Der Anstieg zum Kartos-Berg war Bhutor seit seiner Jugend bekannt, aber zum erstenmal ging er den schmalen Pfad bis zum Steilfelsen. Es würde der erste Besuch des Ersten Rates bei der Goldenen Fee sein und wahrscheinlich auch sein letzter. Die Gedanken des Atlanters waren verworren, er konnte sich über seine Beweggründe nicht klarwerden. Nur dunkel erinnerte er sich an ein Gespräch mit Cnossos. Der Besuch bei der Goldenen Fee, so hatte der Balamiter sich ausgedrückt, war notwendig, wenn Bhutor Erster Rat bleiben wollte. Bhutor hatte die Ratsmitglieder von seinem Vorhaben unterrichtet, denn sie warteten bereits ungeduldig darauf, daß er eine Versammlung einberief. Die vierzehn Räte, die mit ihm die Regierung von Atlantis bildeten, wollten jetzt endlich die beiden Besucher aus der anderen Dimension sehen. Cnossos und Gnotor waren bereit, sich den Fragen der Räte zu stellen. Sie hatten Bhutor zu verstehen gegeben, daß sie auch den Kontakt mit der Öffentlichkeit wünschten. Zweifellos bemühten sie sich um ein gutes Verhältnis zu den Atlantern. Bhutor hatte sich längst entschlossen, den Bau einer Di-
Meister der Dimensionen mensionsbrücke zu befürworten. Er hoffte, daß er im Rat die erforderliche Mehrheit für seine Absichten finden würde. Alles hing davon ab, wie das Gespräch zwischen den Räten und den Besuchern ausgehen würde. Trotz seiner Entschlossenheit fühlte Bhutor einen Zwiespalt in sich. Verschiedene Ereignisse hatten nachhaltiges Entsetzen in ihm ausgelöst. Die Fähigkeiten der Balamiter erschreckten ihn immer wieder, und in einem Winkel seines Unterbewußtseins spürte er, daß er nicht immer Herr seines Willens war. Er versuchte das alles mit der Fremdartigkeit der Balamiter zu erklären. Verstandesmäßig sah er keinen Grund, die Wünsche der Besucher nicht zu berücksichtigen. Nicht zuletzt mußte er auch daran denken, seine neue Position zu festigen. Wenn das Projekt mit der Dimensionsbrücke gelingen sollte, würde er große Popularität erlangen, so daß er den Schatten Tobos' nicht mehr zu fürchten brauchte. Obwohl er egoistisch und unmoralisch war, fühlte Bhutor sich doch mit Atlantis verbunden. Er hätte wissentlich nichts tun können, was der Insel und dem auf ihr lebenden Volk geschadet hätte. Seit seinem ersten Zusammentreffen mit den Balamitern wurde er jedoch das unterschwellige Gefühl nicht los, daß Atlantis Gefahr drohte. Er hatte beschlossen, die Entwicklung aufmerksam zu beobachten, so daß er seine Pläne sofort ändern konnte, wenn es sich als notwendig erweisen sollte. Bhutor hatte den Steilfelsen erreicht. Es war später Nachmittag, vor einem halben Schrei war starker Wind aufgekommen. Er bewegte die Strickleiter, die vom Hochplateau herabhing. Bhutor wußte, daß Tobos regelmäßig hierher gekommen war. Der Platz schien irgend etwas von der Persönlichkeit des alten Mannes angenommen zu haben, so daß der Erste Rat sich wie ein Fremder fühlte. Er blickte nach oben. Am Rand des Hochplateaus war nichts zu sehen. Tobos hatte von Leuchterscheinungen gesprochen, die den
49 Willen der Fee bekundeten, den Besucher zu empfangen. Vielleicht hatte der Greis sich das auch nur eingebildet. Bhutor konnte jedenfalls nichts erkennen. Lehnte die Goldene Fee seinen Besuch ab? Unwillkürlich umklammerte er den Knauf seines Schwertes. Er wußte nicht, warum er es angelegt hatte. Hier gab es nichts, was er zu fürchten brauchte. Nach Tobos' Worten war die Fee das harmloseste Wesen, das man sich vorstellen konnte. Bhutor packte die Strickleiter und zog daran. Wieder blickte er nach oben, aber er erhielt kein Signal. Er begann mit dem Aufstieg. Während er nach oben kletterte, fragte er sich erstaunt, wie ein so alter Mann wie Tobos diesen schweren Weg geschafft hatte. Hatte der Greis etwa gelogen? Gab es vielleicht keine Goldene Fee? Bhutor hätte dem ehemaligen Ersten Rat zugetraut, alle sogenannten Prophezeiungen selbst erfunden zu haben. Voller Unruhe kletterte er weiter, wobei er sich immer wieder mit den Füßen von der Felswand abstieß. Von unten hatte die Wand nicht besonders hoch gewirkt, aber wenn man an ihr hochstieg, erwies sich das als eine Täuschung. Bhutors Ehrgeiz ließ es nicht zu, daß er eine Pause einlegte. So erreichte er schnell den Rand des Hochplateaus. Er packte einen Felszacken und zog sich auf das flache Land hinauf. Tobos hatte ihm nie gesagt, wie es hier oben aussah. In seiner Phantasie hatte er sich groteske Dinge ausgemalt. Das gesamte Plateau war von farbenprächtigen, ungewöhnlich großen Pflanzen bedeckt, deren Blüten einen intensiven und angenehmen Geruch verströmten. Radgroße Blätter raschelten im Wind, hauchdünne Samenfäden trieben an Bhutor vorbei. Nachdem seine Augen sich an die Farbenpracht gewöhnt hatten, begann Bhutor nach der Goldenen Fee Ausschau zu halten. Auch von ihr wußte er nicht, wie sie aussah, aber sie mußte sich irgendwo im Innern dieses
50 Blütendschungels aufhalten. Bhutor überzeugte sich davon, daß das Ende der Strickleiter fest an einen Felszacken gebunden war, dann bewegte er sich auf die Wand aus Pflanzen zu. Zu seinem Erstaunen bildeten sie plötzlich eine Gasse, so daß er ungehindert passieren konnte. Trotzdem blieb er mißtrauisch, denn es konnte sich um eine Falle handeln. Er sah jedoch schnell, daß er sich getäuscht hatte, denn die Gasse schloß sich nicht wieder hinter ihm. Der Rückzug wurde ihm nicht versperrt. Nach hundert Schritten hatte er eine Lichtung erreicht, in der eine riesige Blüte stand, deren Kelch jedoch verschlossen war. Sein Instinkt sagte ihm, daß die Goldene Fee ganz in der Nähe war. Irgend etwas hielt ihn davon ab, sich dem Mittelpunkt der Lichtung zu nähern. Es war, als existierte eine unsichtbare Sperre. Bhutor schüttelte zornig den Kopf. Von so etwas ließ er sich nicht aufhalten. Als er auf die Lichtung vordringen wollte, ringelten plötzlich zwei Lianenenden heran und wickelten sich um seine Knöchel. Bevor er sich von seiner Überraschung erholt hatte, gab es einen Ruck und er verlor das Gleichgewicht. Er fing den Sturz mit den Händen ab, dann riß er das Schwert heraus. Mit zwei wuchtigen Hieben durchtrennte er die Lianen und richtete sich wieder auf. Argwöhnisch blickte er sich um. Seine Vorsicht war angebracht, denn jetzt schnellten von allen Seiten Lianen auf ihn zu. Bhutor hieb auf sie ein. Sobald er sie traf, zogen sie sich blitzschnell zurück. Vor ihm am Boden wanden sich abgetrennte Lianenstücke wie Schlangen. Sie schienen nichts von ihrer Lebendigkeit verloren zu haben. Während er sich gegen die Lianen verteidigte, wich er immer weiter zurück zum Zentrum der Lichtung. Dann hörten die Angriffe plötzlich auf. Schweratmend blieb Bhutor stehen. »Goldene Fee!« rief er. »Ich bin Bhutor, der Erste Rat und Nachfolger des Tobos.
William Voltz Warum läßt du mich angreifen?« »Warum kommst du mit einer Waffe?« fragte eine zarte Stimme hinter ihm. Er fuhr herum und sah die Goldene Fee inmitten der Blüte stehen, die sich jetzt zu ihrer ganzen Pracht entfaltet hatte. Das faszinierende fremdartige Gesicht mit den großen Augen zog Bhutor sofort in seinen Bann. Die Fee besaß einen goldfarbenen Körper, wie Bhutor ihn sich nicht ebenmäßiger hätte vorstellen können. »Der Hauch des Todes begleitet dich«, klagte die Fee. »Das Unheil schwebt wie eine dunkle Wolke über dir.« »Ich bin der neue Erste Rat!« rief Bhutor trotzig. »Genau wie meine Vorgänger habe ich das Recht, dich zu besuchen.« »Dieses Recht erwirbt man nicht gleichzeitig mit der Position«, erklärte sie. »Es ist eine Frage der geistigen Einstellung, ob man das Hochplateau betreten darf. Hier oben ist ein Platz des Friedens.« Er konnte die Blicke nicht von ihr wenden. »Du wirst mich ebenso anerkennen, wie du meine Vorgänger anerkannt hast!« »Wirf das Schwert weg!« forderte sie ihn auf. »Niemals!« Er merkte nicht, daß er jetzt schrie. »Ich will diesen tückischen Pflanzen nicht hilflos ausgeliefert sein.« Unwillkürlich hob er die Waffe. »Ich will wissen, was hinter deinen Prophezeiungen steckt! Entsprechen sie der Wahrheit? Was wird geschehen, wenn ich eine Dimensionsbrücke bauen lasse?« »Ich kann dir nicht antworten«, sagte sie traurig. »Ich will dich nicht länger sehen.« Er beobachtete, wie der Blütenkelch sich allmählich, zusammenfaltete und dann über der Goldenen Fee schloß. Sie war verschwunden. Deutlicher konnte sie nicht mehr sagen, daß sie keinen Kontakt mit dem neuen Ersten Rat wünschte. Bhutor preßte die Lippen aufeinander. So ließ er sich von niemand in Atlantis behandeln, auch von der Goldenen Fee nicht. »Öffne die Blüte!« rief er drohend.
Meister der Dimensionen »Komm heraus und sprich mit mir. Ich habe viele Fragen, auf die du mir antworten mußt.« Die große Blüte zitterte, ihre Wände beulten sich aus, so daß deutlich zu sehen war, wie die Fee sich in ihrem Innern bewegte. Aber der Kelch öffnete sich nicht mehr. Bhutors Augen verengten sich. »Ich warne dich!« rief er. Durch den Blütenwald rings um ihn schien ein ahnungsvolles Stöhnen zu gehen oder war es nur der Wind, der sich in den großen Blüten verfing? Bhutor hatte den Eindruck, von unsichtbaren Augen beobachtet zu werden. Das machte ihn nur noch trotziger. Er hob das Schwert. »Zum letztenmal: Komm heraus!« Doch die Blüte bewegte sich jetzt nicht mehr. Bhutor stieß einen unartikulierten Schrei aus. Er machte einen Schritt auf die Pflanze zu und holte weit aus. Dann stach er zu. Er bohrte die Schwertspitze tief in die Blütenwand und fühlte, daß er etwas Weiches berührte, Pflanzensaft spritzte ihm entgegen und brannte auf seiner Haut. Er riß das Schwert heraus und stieß abermals zu. Ein tausendfältiger Aufschrei entrang sich dem Blütenwald, aber Bhutor nahm das Geräusch nur unbewußt wahr. Ein wilder Rausch kam über ihn und er hieb wie ein Wahnsinniger auf die Riesenblüte ein. Da brach die Blüte auf, ihre Blätter hingen in Fetzen herab, und im Mittelpunkt kauerte die Goldene Fee. die aus zahlreichen Wunden blutete. Bhutor lachte irre und drang auf die tödlich verletzte Pflanze ein. Seine Stiefel stampften die Blüte nieder. Wie durch einen Nebel sah er, daß die Fee sich aufzurichten versuchte, daß sie sich an den Blütenrand klammerte und hochzog. Der Atlanter erkannte, daß ihre Beine mit dem Blütenboden verwachsen waren. Er hob das Schwert zum entscheidenden Schlag. Als er die Beine der Fee durchtrennte, erlosch etwas in ihm, und er stieß einen un-
51 menschlichen Schrei aus. Die Fee sank vor ihm zusammen und bewegte sich nicht mehr. Bhutor wandte sich ab. Seine Augen suchten die Schneise, durch die er bis zur Lichtung vorgedrungen war, aber es gab sie nicht mehr. Innerhalb weniger Augenblicke war der Wald in sich zusammengesunken, die Blüten hatten sich geschlossen und vertrockneten blitzschnell. Als Bhutor die Stelle erreichte, wo die Strickleiter befestigt war, gab es auf dem Hochplateau nur noch nackten Fels ..
* Aus dem Buch der Atlanter: Tag um Tag war Jamaiosan über die große Insel gewandert, hatte sie Schritt für Schritt durchmessen, als müßte er all den fruchtbaren Boden unter sich spüren. In seiner Phantasie sah Jamaiosan die Stadt vor sich, die hier einmal entstehen würde. Jamaiosan war schon alt, und wahrscheinlich würde er auf dieser Welt seine letzten Kinder zeugen. Wenn er an seine neue Gefährtin dachte, spielte ein freundliches Lächeln um seine Lippen. Sie war bestimmt keine Schönheit und verströmte außerdem den typischen Geruch eines Höhlenwesens, aber sie war anhänglich und überraschend zartfühlend. Er war jetzt schon viel zu lange auf dieser Welt, überlegte Jamaiosan nachdenklich. Der Ruf der Sterne wurde in seinem Innern immer deutlicher. Bald würde er ihm nicht mehr widerstehen können. Er versuchte sich vorzustellen, wie eines Tages die Nachkommen seiner Nachkommen jene Stadt bevölkern wurden, die er in der Phantasie vor sich sah. Wahrscheinlich reichte auch das Vorstellungsvermögen eines Sternfahrers nicht aus, um sich davon ein genaues Bild zu machen. Jamaiosan wanderte weiter und erreichte die Küste. Er hörte das Wasser gegen die Felsen klatschen. Im Verlauf von Jahrhunderten würde es tiefe Höhlen in den Stein
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waschen. Vielleicht würde diese Insel eines Tages sogar wieder von der Oberfläche dieses Planeten verschwinden. »Alles ist vergänglich!« rief Jamaoisan. »Deshalb werde ich dich Atlantis nennen, die vergängliche Insel.« Jamaiosan fühlte den Druck vieler Jahre auf sich lasten, ein Gefühl, das sich im Weltraum leichter ertragen ließ als auf einem Planeten. Weiter wanderte der Sternfahrer Jamaiosan, bis er endlich bei Anbruch der Dunkel-
heit das große Raumschiff erreichte, in dessen unmittelbarer Nähe sie ihr Lager aufgeschlagen hatten. Seine Gefährtin kam auf ihn zu und rieb zufrieden knurrend ihren Kopf an seiner Hüfte. Er strich ihr gedankenlos über die Haare, während seine Blicke den Nachthimmel nach einem Stern absuchten, dessen Planeten er noch nicht besucht hatte …
ENDE
Mit Cnossos und Gnotor befindet sich die Vorhut der balamitischen Eroberer bereits auf Atlantis. Die beiden Wesen, die nach Belieben ihre Gestalt verändern können, verfolgen konsequent ihr Ziel, das in der Invasion von Atlantis gipfelt. Es fehlt nicht an warnenden Stimmen, doch die Warnungen verhallen ungehört, und das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Es kommt zum UNTERGANG VON ATLANTIS … UNTERGANG VON ATLANTIS so lautet auch der Titel des nächsten DRAGON-Bandes. Autor des Romans ist ebenfalls William Voltz.