KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN N \ I I B
I \ I) k I Li l R K U N D LI C II E HE I 11:
OTTO K R Ö S C...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN N \ I I B
I \ I) k I Li l R K U N D LI C II E HE I 11:
OTTO K R Ö S C H E
MEER-GESPENSTER VOM K R A K E N O C T O P U S U N D A N D E R E N KOPFFÜSSERN
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
M U R N A U • M L N C II 1 N • I N N S B R U C K - B A S E L
Gespenst im Morgengrauen (jemächlich glitt die ,Pequod' nordostwärts der Insel Java ZU. Ein milder Hauch trieb sie voran durch die heitere Bläue, sacht neigten sich vor der weichen Brise ihre drei schlanken Masten wie drei sanfte Palmen auf einer weiten Ebene. An einem solchen Morgen ruhte die See im durchsichtigen Blau der Frühe, ein ganz schwacher Wind wehte. Der lange, blanke Sonnenstreifen lag über dem Wasser wie ein goldener Finger, der Schweigen gebot. Weich, geheimnisvoll flüsternd, liefen die Wellen mit uns, und in dieser tiefen Stille der weiten Welt hatte Daggoo oben auf dem Großtop eine gespenstische Erscheinung. In der Ferne hob sich etwas Weißes aus dem Meer, hob sich langsam immer höher, bis es sich deutlich vom Blau unterschied und endlich wie eine abgestürzte Lawine vor unserem Bug schimmerte. Einen Augenblick strahlte es auf, dann längsam, langsam versank es wieder- und tauchte noch einmal auf im stillen Glanz. Ein Wal schien es nicht zu sein. Oder war es Moby Dick? dachte Daggoo. Wieder verschwand es, wieder stieg es empor, und nun durchfuhr alle Schläfer des Negers gellender Ruf wie ein Dolch: ,Da! Da springt er! Gerade voraus! Der Weiße Wal! Der Weiße
Wal!' Bald waren die vier Fahrzeuge auf dem Wasser, Ahabs Boot voran, und schössen pfeilschnell auf die Beute zu. Nach einer Weile glitt sie wieder in die Tiefe, und als wir mit laufenden Riemen auf ihre Wiederkehr warteten, da tauchte sie an derselben Stelle, wo sie untergesunken war, langsam auf. Für einen Augenblick hatten wir Moby Dick vergessen. Unser Blick war gebannt von dem wundersamsten Geheimnis, das die Meerestiefe bisher dem Menschen offenbart hat. Vor uns auf dem Meer trieb eine riesige 2
weiße Masse von schncefarbcnem Glanz . . . Von ihrer Mitte gingen zahllose Arme aus, die wie ein Schlangenknäuel sich wanden und entrollten, um blindlings alles zu packen, was das Unglück hatte, ihnen in den Griff zu kommen. Etwas wie ein Gesicht, eine Vorder- und Rückseite, war nicht zu erkennen, auch nichts, was auf Sinne und Empfindungen hindeutete. Das Weiße ließ sich von den Wellen schaukeln, unirdisch, ungestalt, eine formlose Erscheinung de» Lebens. Mit leise saugendem Laut entschwand es allmählich. Starbuck aber schaute noch immer auf das bewegte Wasser, in das es hinabgesunken war, und rief verstört: ,Lieber wäre ich Moby Dick begegnet, meinetwegen im Kampf, als dir, du weißes Gespenst!' ,Was war das, Sir?' fragte Flask. ,Der große Krake. Es gibt nicht viele, die ihn sahen und dann heimfahren dürfen, um zu Hause davon zu erzählen.' Ahab sagte nichts. Er wendete sein Boot und kehrte an Bord zurück. Die übrigen folgten, schweigend wie er."
Uraltes Tiervolk Was ist das für ein Wesen, dieser Krake, von dem so schaudernd-chrfürchtig die Rede ist in dieser Szene aus dem berühmten Walfänger-Roman „Moby Dick" von Hermann Melville? Ein Tintenfisch! Also ein Ungeheuer wie ein Menschenhai oder ein Riesenrochen? Nein, Tintenfische sind genau so wenig Fische wie die Walfische; aber während die Wale wirbeltragende Säugetiere sind, gehören die Tintenfische oder, wie sie wissenschaftlich heißen, die Kopffüßer, zu den knochenlosen Weichtieren. Sie sind entfernte Verwandte der Muscheln und Schnecken, aber die Verwandtschaft erkennt nur der Fachmann, der die inneren Organe dieser Tiere vergleicht. Äußerlich sind die Kopffüßer völlig anders gestaltet als Muscheln oder Schnecken. Anders auch als die im Meer und Süßwasser lebenden Muscheln und anders als die Schnecken, die außer dem Wasser auch das Land bevölkern, kommen die Kopffüßer nur im Meer vor. Über den ganzen Erdball sind sie verbreitet. In der Deutschen Bucht der Nordsee leben dreizehn Arten, in der Ostsee vier Arten, und zwar I
nur im Westteil dieses Meeres, dessen Salzgehalt nach Osten zu immer geringer wird. Im ganzen weist die Gruppe der Kopffüßer siebenhundertdreißig Arten auf. Das ist sehr wenig, gemessen an den zwanzigtausend Arten Muscheln und neunzigtausend Arten Schnecken, aber die geringere Artenzahl wird mehr als wettgemacht durch so vieles Interessante, was wir an ihnen zu beobachten haben. Die Weichtiere sind eine uralte Tiergruppe. Die ersten sicheren Lebensspuren entdeckten Forscher in den Gesteinsablagerungen des Erdaltertums, im Kambrium vor fünfhundertfünfzig Millionen Jahren, aber vielem deutet darauf hin, daß diese Kambriumtiere noch ältere, nicht mehr erhaltene Vorgänger hatten. Sie entstanden gewiß schon zu einer Zeit, als die Entwicklung des Lebens erst einen kurzen Weg hinter sich gebracht hatte, und dementsprechend ist ihr Körperbau noch sehr einfach. Wie es aber die geheimnisvolle Kraft der Natur versteht, innerhalb eines solch einfachen Körperbauplanes doch noch so erfinderisch zu sein, daß die Herkunft der betreffenden Tiere fast nicht mehr zu erkennen ist, dafür sind die Kopffüßer ein treffliches Beispiel. Die Weichtiere Muschel und Kopffüßer verhalten sich zueinander wie ein Handwagen zu einem Auto, die beide nur die Räder gemeinsam haben. Tatsächlich sind die Kopffüßer die höchstentwickelten Geschöpfe nicht nur unter den Weichtieren, sondern auch unter den wirbellosen Tieren überhaupt. Wir wollen den Vergleich noch weiter führen: Wie es bei den Autos vielerlei Typen gibt, vom wuchtigen Lastwagen bis zum schnittigen Rennwagen, so auch bei den Kopffüßern. — Nehmen wir uns zunächst einmal den schweren, ungeschlachten „Lastwagen" vor, den Kraken Octopus vulgaris, den „Gewöhnlichen Achtfuß".
Arme, die zugleich Füße sind Beim Octopus fällt uns der seltsame, fremdartige Körperbau, der allen Kopffüßern eigen ist, am stärksten auf. Deutlich sind die beiden Teile des Körpers voneinander abgesetzt: der dicke, sackförmige Rumpf und der durch die Augen so erregend gekennzeichnete Kopf, dem vorn acht lange Fangarme entsprießen. Die eigenartige Verbindung von Kopf und Fangarmen hat der Tiergruppe den Nam£n Kopffüßer gegeben. Wir würden also besser
Der Tintenfisch Octopus vulgaris, der „Gewöhnliche Achtfuß". Aufgenommen im Aquarium der Zoologischen Station in Neapel. 5
von Kopfarmen sprechen, doch benutzen manche Arten, so der Krake Octopus, ihre Arme auch als Füße zum Laufen auf dem Meeresgrund. Indessen sagt die Bezeichnung „Kopffüßer" noch etwas anderes aus: Sie soll ausdrücken, daß die Arme ein Organ sind, das sich aus einem Fuß, wie ihn noch die Schnecken und Muscheln haben, herausgebildet hat. Bei den jungen Kopffüßern gehen die Arme zu Beginn ihrer Entwicklung auch noch nicht von der Mundpartie des Kopfes aus, sondern liegen aufgereiht auf der Bauchseite zwischen Mund und After. Erst später wachsen die Arme nach vorn kranzförmig um den Mund herum. Dann verlagert sich auch der sogenannte Schlundkopf mit dem Mund und rückt in das Innere des Fangarmtrichters, von dem aus die Speiseröhre hinab in den Leibessack führt, der Magen, Darm, Nieren, Keimdrüsen und den —• nicht bei allen Arten vorhandenen — Tintenbeutel enthält.
Wasser als Raketentreibstoff Betrachten wir uns einmal ein Tier genauer: Umhüllt ist der Leibessadt von dem Mantel, einer Haut, die bei den Muscheln und Schnecken den Stoff für die Schale absondert. Den Kopffüßern — mit Ausnahme der Familie Nautilus — fehlt eine solche äußere Sdiale, sie haben auf der Rückseite unter der Mantelhaut nur noch einen verkümmerten Schalenrest, sie sind also nacktleibig. Und noch etwas fällt auf: Auf der Bauchseite liegt der Mantel dem Leibsack nicht dicht an, sondern bildet eine zum Hals hin offene Tasche, die von dem Tier geöffnet und geschlossen werden kann. In diese Tasche strömt das Meerwasser ein und umspült die Kiemen, die dem Wasser die Atemluft entnehmen. Das verbrauchte Wasser fließt aber nicht einfach wieder zur Tasche hinaus, sondern durchströmt erst noch jenes besondere Organ, den außen am Hals sitzenden Trichter, durch den auch Verdauungsreste, Eier und Fortpflanzungskcime sowie die schwarzbraune „Tinte" aus der Farbstoffdrüse nadi außen befördert werden. Schließlich ist die Trichterröhre auch die Düse, mit deren Hilfe sich die Kopffüßer nach dem Raketenprinzip sdiwimmend durch das Wasser bewegen. Unser Krake Octopus ist indes kein zünftiger Schwimmer. Er wohnt auf dem Meeresgrund, am liebsten in felsigem Gelände, 6
in einer Höhle oder Spalte, und bewegt sich im allgemeinen mit den Armen kriechend oder auch auf ihnen stelzend über den Boden. Muß er sich einmal schneller fortbewegen, etwa bei Bedrohung durch einen Feind, dann vermag er auch zu schwimmen. Er schließt die Bauchtasche und drückt das Wasser heftig durch die Trichterröhrc hinaus — und schon schießt er durch den so entstehenden Rückstoß wie eine Rakete nach rückwärts; dicht nimmt er dabei die Arme zusammen, um eine bessere Stromlinienform zu erlangen. Durch Verstellen des Trichters nach allen Seiten kann das Tier die Richtung seiner Schwimmbahn willkürlich ändern. Bei der Flucht stößt der Krake außerdem die Tintenwolke aus, die das Wasser in der Umgebung verdunkelt, dem Verfolger die Sicht nimmt und wohl auch seine Witterungsorgane lahmlegt. Die eigentlichen Schwimmer unter den Kopffüßern pumpen und stoßen sich ständig auf diese Weise durch das Wasser. Zum Beispiel Loligo, der Kalmar, und Sepia, der Gemeine Tintenfisch. Die Kalmare sind dank ihrer Trichter besonders schnelle und unermüdliche Schwimmer. Auch die Flossen helfen ihnen dabei. Man sagt aber, daß sie, wenn sie ein größeres Tempo vorlegen wollen, auf die Flossen ganz verzichten, sie um den Körper rollen und nur noch die Wasserdüse benutzen. So durchjagen sie rasch pumpend in ganzen Schwärmen dicht beieinander das Wasser. Genau wie ein Sdiwarm Stare und Strandläufer, führen sie blitzsdinelle und exakte Schwenkungen durch, ohne daß die einzelnen Tiere einander behindern. Wie die Befehlsübermittlung bei diesen wendigen „Exerzierübungen" vor sich geht, ist uns bisher sowohl für die Vögel wie für die Kalmare nodi unbekannt. Während die Kalmare ausschließlich Schwimmer sind, ruht Sepia auch gern am Boden und wühlt sich etwas in den Sand ein, indem sie mit dem Flossensaum, der um den ganzen Leibsack verläuft, Sand über sich wirft — genau wie wir es an Schollen und Flundern im Aquarium beobachten können. Der wellenförmig bewegte Flossensaum hilft dem Tier auch beim Schwimmen, und zwar vorwärts und rückwärts, je nachdem, ob die Wellenbewegung der Flossen von vorn nach hinten oder umgekehrt verläuft — immer aber setzt auch Sepia beim Schwimmen den Atmungstrichter in Tätigkeit. 7
Fliegende Tintenfische Die kräftige Trichterpumpe erlaubt einigen Kopffüßer-Arten, sich wie fliegende Fische über die Meeresoberfläche hinauszuschießen, um eine Strecke weit dahinzusegeln. Thor Heyerdalil, der mit seinem Floß „Kon-Tiki" von Peru nach Polynesien über den Stillen Ozean trieb, hat uns diese Flugmanöver sehr anschaulich geschildert: „. . . Da geschah es im Sonnenschein eines Morgens, daß wir alle einen blinkenden Schwärm von irgend etwas Unbestimmbarem sahen, das aus dem Wasser herausschoß und wie große Regentropfen durch die Luft sauste, während die See von den verfolgenden Dolfinen aufgewühlt wurde. Wir hielten es erst für einen Schwärm fliegender Fische. Wir hatten bereits drei verschiedene Arten davon an Bord bekommen. Aber als sich die Unbekannten näherten und vereinzelte Exemplare in anderthalb Meter Höhe über das F'loß segelten, da stieß einer Bengt vor die Brust und fiel mit einem Platsch aufs Deck. Es war ein junger Tintenfisch. Unsere Überraschung war groß. Als wir ihn in einen Segeltuchbottich mit Seewasser setzten, nahm er einen kräftigen Anlauf und schoß herauf gegen die Oberfläche. Aber in dem kleinen Bottich bekam er nicht genügend Geschwindigkeit, um mehr als halb aus dem Wasser herauszukommen. Es ist längst bekannt, daß der Tintenfisch gewöhnlich nach dem Raketenprinzip schwimmt . . . Aber es zeigte sich auch, daß verantwortungslose Tintenfischjünglinge, ein Leibgericht für viele große Fische, ihren Verfolgern entkommen konnten, indem sie auf die gleiche Weise in die Luft fuhren wie die fliegenden Fische. Sie hatten das Prinzip des Raketenfluges schon längst verwirklicht, bevor das menschliche Genie auf die Idee gekommen war. Sie pumpten das Seewasser durch sich, bis sie eine rasende Fahrt bekamen, dann steuerten sie schräg hinauf durch die Wasseroberfläche, indem sie die Hautfalten als Schwingen ausstreckten. Nach Art der fliegenden Fische segelten sie also im Gleitflug über die Wogen, so weit ihr Schwung sie trug. Seitdem wir darauf aufmerksam geworden waren, sahen wir sie oft vierzig bis fünfzig Meter weit dahinsegeln, vereinzelt oder in Rudeln von zwei bis drei Stück." 8
Bei der deutschen Tiefsee-Expedition, die mit dem Dampfer „Valdivia" ausfuhr, wurde dieser Krake, ein kleiner Verwandter der riesigen Meerkraken, gefunden und genau nach der Natur gezeichnet. 9
Nicht bei allen Kopffüßern ist der Trichter in der Lage, zu solch erstaunlichen Sprüngen anzutreiben. Die Wissensdiaft kennt einige Arten, bei denen die Trichterdüse nid« mehr zu funktionieren sdieint. Bei ihnen ist der Trichter so klein, daß er wohl nicht mehr zum Sdiwimmen dient. Dafür sind bei diesen Tieren die Kopfarme durch eine fast bis an die Armspitzen rcidiende Haut miteinander verbunden, so daß eine schirmartige Glocke entsteht. Mit ihr schwimmen sie wahrscheinlich nadi Art der Quallen, die ihre Glocken rhythmisch zusammensdilagen und wieder öffnen und so rückstoßend durch das Wasser rudern. Indessen ist das nur eine Vermutung, da es sich bei diesen Kopffüßern um Tiefseeformen handelt, deren Dasein uns noch so rätselhaft ist. (s. Abb. Seite 9).
Octopus baut aus Steinen ein Nest Am besten bekannt ist die Lebensweise unseres Octopus, da er sich recht gut im Seewasseraquarium hält. Octopus ist gelegentlich ein leidenschaftlicher Nestbauer. Wenn nämlidi sein liebster Aufenthalt, eine Felsspalte, nicht vorhanden ist, baut er sidi auf dem Meeresboden ein Versteck aus Steinen oder aus den Schalen der von ihm verspeisten Muscheln. In dem berühmten Aquarium von Neapel hat der Tierforscher Kollmann den Nestbau genau verfolgen können: „Den Steinhügcl bildeten Steine von der Größe eines Apfels bis zu der eines ansehnlichen Pflastersteins. Wenn das Tier in diesem Nest lag, war der Körper meist ganz verborgen, nur der Kopf ragte hervor, und die Arme lagen wie ein Kranz von Schlangen über der Öffnung. Das Lager schien dem Tier sehr zu behagen; ich habe nur einmal gesehen, daß der Krake es verließ, als ein Teil der Steine entfernt worden war. Zornig stieg er heraus, um sie aufs neue zusammenzufügen. Man hatte die teilweise Zerstörung vornehmen lassen, um zu sehen, wie dieser weidie, knochenlose Geselle sdiwere Steine herbeischleppt, und hatte namentlich einige der großen Steine in die Mitte des anstoßenden Beckens, also ziemlich weit abseits gelegt. Sobald die Zerstörer sich entfernt hatten, ging der Krake an die Arbeit. Er umklammerte jeden Stein, als ob er ihn verschlingen wolle, l :•
und drückte ihn fest an sich, so daß er zwischen den Armen beinahe verschwand. Nachdem er eine hinreichend feste Lage zu haben schien, lösten sich ein paar Arme, stemmten sich gegen den Boden und drückten den Körper samt seiner Last zurück. Faustgroße Steine wurden schnell und ohne Anstrengung fortgeschafft, die größeren erforderten mehr Mühe."
Wundersames Farbenspiel Kollmanns Angabe, daß der Krake wegen der Störung zornig wurde, gibt uns einiges zu bedenken. Im allgemeinen muß man mit solchen Urteilen über seelische Stimmungen — wie etwa Zorn, Freude, Trauer — bei Tieren sehr vorsichtig sein. Gewiß, aus dem Verhalten eines Hundes läßt sich klar ersehen, daß er von Gemütsbewegungen erfüllt ist, aber an anderen Tieren, etwa einem Frosch, kann man das keineswegs erkennen. Ist es also zulässig, von einem zornigen Kraken zu sprechen? Nun, bei ihm kann man in der Tat feststellen, daß auch er Gemütsempfindungen hat. Wir Menschen können vor Scham erröten oder vor Neid erblassen. Das Erröten und Erblassen ist, äußerlich gesehen, ein körperlicher Vorgang, eine Erweiterung oder Verengung der feinen Blutgefäße oder vermindertes Einströmen des Blutes. Sichere Ursache dieses körperlichen Geschehens aber ist die seelische Empfindung Scham oder Neid. Und etwas Ähnliches ist auch bei den Kopffüßern zu beobachten. Sogar an Kopffüßern, die in Museen in Weingeist aufbewahrt werden, nehmen wir noch eine feine violette oder bräunliche Sprcnkclung der Haut wahr. Das Farbenspiel der lebenden Tiere ist aber noch viel wundersamer. Je nach dem Zustand, in dem sie sich befinden, je nachdem, ob sie selbst angreifen oder angegriffen und gereizt werden, zeigen sie einen Wechsel leuchtender Färbungen. Der im Grunde weißlich glänzende, an manchen Stellen durchscheinende Körper kann in der Ruhe und Abspannung völlig abgeblaßt sein und nur ein rötlicher, gelber oder violetter Schimmer ist zu bemerken. Bei jeder Erregung aber ballt sich plötzlich da und dort eine Farbenwolke zusammen, lebhaft braun oder violett, in der Mitte flockig, an den Rändern durchsichtiger. Die Farbenwolken und Farbenstreifen fliegen über den Körper hin, vereini11
gen sich, breiten sieh aus und sind von einem blitzartigen Erglänzen und Irisieren der gesamten Haut begleitet. Lassen wir wieder Kollmann sprechen, der den Kampf eines Hummers mit einem Kraken beobachtet hat: „Das Tier hat die Fähigkeit, vom hellsten Grau bis zum tiefsten Braun seine Färbung zu wechseln, und diese ändert sieh dabei entweder schnell oder bleibt in irgendeiner Tönung bestehen; sie kann ferner nur am Körper auftreten oder nur an, den Armen, kurzum, der Krake scheint sein Kolorit (seine Färbung) vollständig zu beherrschen. Während der geschilderten Angriffe auf den Hummer war die ganze Haut dunkel, namentlich während des Kampfes. Die ganze Herrschaft über die Farbe wird, aber erst sichtbar, wenn der Krake den Feind kampflustig beschleicht oder dem Wärter einen Krebs zu entreißen sucht, oder wenn sie sich neckend verfolgen." Dieser Farbwechsel beruht auf einer nur bei den Kopffüßern vorkommenden Beschaffenheit der Farbstoffträger in der Haut und einem hochentwickelten Nervensystem. Die Farbstoffträger bestehen aus einer Zelle mit gelbem oder orangefarbenem, oder schwarzrotem Farbstoff, die von einem Muskel- und Nervenfaserkranz umgeben ist. Im Ruhezustand ist die Zelle eng zusammengezogen und der Farbstoff auf kleinstem Raum zusammengeballt — die Haut ist blaß. Auf einen Reiz hin aber können die Farbstoffzcllen blitzartig auf das Sechzigfache ausgedehnt werden und rufen so durch Kombination von verschiedenfarbigen und verschieden weit geöffneten Zellen das Farbenwunder hervor. So spiegeln sich auf der Flaut die Erregungen und Gefühle wider, die den Kopffüßer angesichts einer Beute, eines Feindes oder Partners durchfluten. Außerdem dient die Fähigkeit des Farbwechsels dazu, die bodenbewohnenden Kopffüßer in ihrer Färbung tarnend an den jeweiligen Untergrund anzupassen. Experimente haben das deutlich bewiesen. Einer Sepia legten Tierforscher in einem Glasaquarium verschiedenfarbiges Papier unter den Glasboden. Auf gelbem Papier wurde das Tier gelb bis orangefarben, aul grünem oder blauem laubgrün, auf rotem wieder orangefarben; alle Farben hatten einen Stich ins Graue. Auch unser Krake Octopus zeigte einen ähnlichen Farbwechsel, wenn man ihm bunte 12
Steine zum Bau seines Verstecks gab, seine Farben waren jedoch im ganzen noch bunter als bei der Sepia. Die Sepia erfaßt bei diesen Versuchen die Untergrundfarben zweifellos durch das Auge, doch kann ein Farbwechsel auch durch Berührungsreize eintreten. Sepia, die Krakenart Eledone und andere am Boden lebende Kopffüßer zeigen auf Sandboden eine helle Farbe, auf grobem Kies und Fels eine Fleckung — so wie dies auch bei Schollen und Flundern der Fall ist. Aus sehr eingehenden Versuchen weiß man, daß die Kopffüßer in diesen Fällen die Verschiedenheit des Untergrundes mit den Nerven der Fangarme wahrnehmen.
Oh, diese Augen! Das wichtigste Sinnesorgan der Kopffüßer bleibt aber das Auge. Es ist ein hochentwickeltes Organ; die Kopffüßer haben die relativ und absolut größten Augen innerhalb des gesamten Tierreiches. Während beim Mensehen die Augen nur ein vierzigstel Prozent des Körpergewichts ausmachen, nehmen sie bei den Kopffüßern ein halbes bis fünfundzwanzig Prozent des Körpergewichts ein. Die Augen der Tiefsee-Riesentintenfische Architheutis können fast vierzig Zentimeter Durchmesser haben. Im Bau ähneln die Kopffüßer-Augen sehr denen der Wirbeltiere. Sie liegen, von Knorpelkapseln umgeben, im Kopf und sind beweglich. Anders als bei den Säugetieren, bei denen Nah- und Fernsehen durch Formveränderung der Linse erfolgt, wird bei den Kopffüßern die Linse vor- und zurückgezogen wie bei einem Photoapparat. Durch eine Irisblende kann je nach der Lichtmenge die Pupille verändert werden. Besonders leistungsfähig aber ist die Netzhaut: Bei einem schnell schwimmenden Kraken enthält sie bis zu hundertfünfzehntausend lichtempfindliche Zellen, bei der Sepia noch bis zu zweiundsechzigtausend; der Mensch hat hundertzwanzigtausend bis hundertsechzigtausend, der im schwachen Sternenlicht der Nacht jagende Waldkauz sechshundertzwanzigtausend Sehzellen. Mit ihren guten Augen können die Kopffüßer nicht nur Hell-Dunkel und Richtungen, sondern auch Bilder sehen, mit ihnen unterscheiden sie auch die färben. I)
Das Auge ist das hervorstechendste Merkmal der Kopffüßer. Immer wieder wird der Blick des Beobachters zu ihm hingezogen, nicht zuletzt, weil es so seltsam funkelt. Flitterzellen in der Haut rufen dieses Funkeln hervor. Doppelt unheimlich wird dadurch der Eindruck. Der so seltsam weiche, knochenlose Körper mit den Schlangen der Fangarme daran, und aus ihm herausblickend ein scharf beobachtendes, funkelndes Auge — wahrhaft das Bild des fremden bösen Drachens aus dem Märchen! Bei vielen Kopffüßern in der lichtarmen oder gar lichtlosen Tiefsee ist das Auge zudem noch kugelig vergrößert, oder es sitzt sogar auf Stielen, so daß man von Teleskop-Augen spricht. Solche Augen sind jedoch keine Fernrohr-Augen, sondern nur zum Nahsehen geeignet. Nur eine einzige Kopf füßer-Art fällt ganz aus der Reihe. Ihre Augen sind so sehr verkümmert, daß das Tier blind zu sein scheint.
Was das Echolot verrät Der Leser wird fragen, wozu eigentlich Augen da sind für Geschöpfe, die meist in der ewigen Nacht der Tiefsee leben? Aber sie leben gar nicht immer dort unten. Zahlreiche Tiefsee-Kopffüßer kommen nachts in höhere Mecresschichten herauf. Hochseefischer stellten das fest, als sie ihre Fänge näher betrachteten. Überhaupt ist die Tiefscefauna wahrscheinlich weitaus weicher, als man bisher geglaubt hat. Das Echolot verrät uns, daß es in den Ozeanbecken in mehreren hundert Metern Tiefe eine merkwürdige „Geisterschicht" gibt, von der die Schallwellen des Lotes zurückgeworfen werden, obwohl der eigentliche Meeresgrund noch sehr viel tiefer liegt. Es ergab sich ferner, daß die rätselhafte Schicht nachts bis an die Oberfläche aufsteigt und vor Sonnenaufgang wieder in die Tiefe absinkt. Es kann sich also nicht, wie die Mecreskundler zunächst vermutet hatten, um eine reflektierende Grenze zwischen verschieden warmen und damit verschieden dichten Wasserschichten handeln, sondern es müssen dichte Schwärme von Lebewesen sein, die das Echo zurückwerfen — entweder Garnelen-Krebse oder Fische oder Kopffüßer. Die Kopffüßer gehören sicher zu diesen • schallreflektierenden Schwärmen. In großen Mengen kommen sie in den Meeren vor, denn zahlreiche Tiere ernähren sich von ihnen: Haie, Rochen, Thun: i
fische, Kabeljaus und andere Fische, Pinguine und Sturmvögel, Robben, Zahnwale, in großer Tiefe vor allem der gewaltige, bis zu dreiundzwanzig Meter lange Pottwal, dessen Speisezettel Professor E. W. Ankel genau untersucht hat: „Die Betrachtung des Mageninhaltes erweist den Pottwal als einen ausgesprochenen Nahrungsspezialisten. Er lebt fast ausschließlich von Tintenfischen; Haifische und Fische kommen nur als Gelegenheitsfänge vor. Bedenkt man die Mengen, die ein geöffneter Magen zeigt und die zum Betrieb eines so riesigen lebenden U-Bootes auch erforderlich sind, so muß daraus eine großartige Vorstellung abgeleitet werden. Enorme Mengen von Kopffüßern müssen in den Tiefen des Ozeans leben, riesige Schwärme von gewandt und rasch schwimmenden Tintenfischen ziehen dort unten geordnet dahin. Ihr Lebenslauf muß seine Gesetze haben, es muß Wanderungen geben, Ansammlungen und vieles mehr, wovon wir gar nichts wissen. Die Pottwale, befähigt zum Tauchen in die gleichen Tiefen, zum Aufspüren, zum Verfolgen und zum bang ihrer Beute, sind von ihr abhängig; sie können nur da leben, wo es Tintenfische gibt. Wenn die Tintenfische wandern, müssen die Pottwale diesen Wanderungen folgen." Daß der Pottwal bis zu fast tausend Meter tief hinab in das Meer taucht, dafür gibt es noch einen anderen Beweis: Im April 1932 wurde in der Nähe der Küste von Kolumbien ein beschädigtes Unterseekabel an die Oberfläche geholt, und in das Kabel verwickelt fand man einen vierzehn Meter langen Pottwal, der dort in 988 Meter Tiefe vor langer Zeit seinen Tod gefunden haben mußte.
Geheimnisvolles Leuchten in der Tiefe In solche Wasserabgründe dringt kein Sonnenschimmer mehr, da die normalen Lichtstrahlen des Tages nur bis etwa fünfhundert Meter Tiefe hinabreichen. Vielleicht dringen aber die dem Menschen unsichtbaren ultravioletten Strahlen noch tiefer, für die zum Beispiel Bienen und Ameisen empfänglich sind und vermutlich auch die Tiefseetiere. Aber ein anderes Licht leuchtet ganz sicher dort unten. Fs sind winzige bunte Lichtpünktchen, die in der Schwärze aufglimmen und wieder verlöschen — so wie bei uns in einer 15
Sommernacht die Glühwürmchen ihren grünfunkelnden lautlosen Reigen tanzen. Genau wie diese kleinen Leuchtkäfer unserer Gär-. ten und Wälder besitzen zahlreiche Tiefseetiere Leuchtorgane. Wenn Tiere leuchten, entleihen sie das Licht entweder von Leuchtbakterien, die in den Körper aufgenommen werden, oder sie erzeugen die Lichtquelle selber. Beide Leuchtarten kommen bei den Kopffüßern vor. Lampen aus Bakterienlicht tragen vornehmlich Kopffüßer, die die Flachsee bewohnen. Die jungen Kopffüßer nehmen hier frei im Meerwasser lebende Leuchtbakterien auf und siedeln sie in jenen Organen des Körpers an, die mit ihren Drüsenausscheidungen den Bakterien den besten Nährboden bieten. Man sagt, Wirt und Gast gehen eine „Symbiose" ein, das heißt eine Lebensgemeinschaft, die beiden Teilen Nutzen bringt. Einigen Kopffüßer-Arten ist es sogar gelungen, diese strahlenden Organe zu echten Leuchtkörpern auszugestalten und sie mit einer Linse und einem Reflektor zu versehen, die das Bakterienlicht noch verstärken. Die Tiefsee-Kopffüßer sind dagegen Selbstversorger. Sie erzeugen eigenes Licht, ohne die Mitwirkung von Leuchtbakterien. Den erforderlichen Leuchtstoff Luziferin — eine Verbindung aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Phosphor — bilden sie in Organen, die an den verschiedensten Stellen des Körpers sitzen: rund um die Augen, auf der Unterseite, an den Fangarmen. Auch sie besitzen an ihren Leuchtorganen Reflektoren und eine Linse, in die bisweilen zusätzlich Farbstoffzcllen eingelagert sind. Welch prachtvoll bunte Wirkungen damit erzielt werden, hat der Zoologe Karl Chun an einem Kopffüßer beobachtet, den er Lycotheutis diadema getauft hat: „Man glaubt, daß der Körper mit einem Diadem bunter Edelsteine besetzt ist. Das mittelste der Augenorgane glänzte ultramarinblau und die seitlichen wiesen Perlmutterglanz auf. Von den Organen auf der Bauchseite erstrahlten die vorderen in rubinrotem Glanz, während die hinteren schneeweiß oder perlmutterfarben waren, mit Ausnahme des mittelsten, das einen himmelblauen Ton aufwies. Es war eine Pracht." Lycotheutis diadema ist indes nicht nur ein leuchtendes Farbenwunder, sondern auch ein Beispiel für das Vorkommen von 16
Kopf der Sepia, die gern am Boden verweilt. Zwei der Fangarme sind spürend hochgereckt. Ihre Rückseite ist in Farbe und Zeichnung dem Sandgrund völlig angepaßt. 1.7
Leuchtorganen verschiedener Bauart an einem einzigen Tier: Vierundzwanzig Leuchtorgane zählt man bei ihr, sie funktionieren auf zehn verschiedene Weisen. Die Bedeutung der Leuchtorgane war lange Zeit ein Rätsel; heute glaubt man sie zu kennen: Die Lämpchen auf den Fangarmen der Kopffüßer wie auch auf den oft stark verlängerten Tastfäden vieler Tief Seefische sind Lockköder für die Beutetiere; die Lichter rund um die Augen sollen wahrscheinlich das Gesichtsfeld der näheren Umgebung erhellen; die Leuchten auf dem Körper wieder mögen Signale für die Artgenossen sein, um den Schwärm gemeinsam schwimmender Tiere zusammenzuhalten und um die Geschlechter sich finden zu lassen. Geradezu staunenswert aber ist ein Leucht-Trick, den manche Kopffüßer zu ihrem Schutz anwenden: Wie in der lichterfüllten Flachsee die Tintenfische sich mit einer Tintenwolke einnebeln, so stoßen diese Tiere in der Nacht der Tiefsee eine selbstleuchtende Tintenwolke aus, um den Verfolger zu blenden und zu verwirren.
Die saugkräftigen Arme Nach unserem Ausflug in die Tiefsee kehren wir noch einmal zu unserem Kraken Octopus zurück, um die letzte Seltsamkeit seines Körperbaus eingehender ins Auge zu fassen: die Fangarme. Wie der Name Octopus besagt (octo = acht, pus, podos = Fuß), hat er acht Füße oder Arme und gehört damit zur Ordnung der Oktopoden — im Unterschied zu der anderen großen Gruppe der Kopffüßer, der Ordnung der Dekapoden (deka = zehn), die zehn Fangarme haben. Auf der Innenseite sind die Fangarme mit zahlreichen Saugnäpfen besetzt, die bei diesem wie bei allen Achtarmern direkt auf den Armen sitzen, bei den Zehnarmern aber auf einem kleinen Muskelstiel. Sie wirken wie die Gummisaugplättchen an einer Glasscheibe: Hat der Octopus die Saugnäpfchen an seine Unterlage gepreßt, so zieht sich das Zentrum des Saugnapfes wieder zurück, so daß ein luftverdünnter Raum entsteht und der Saugnapf durch den Außendruck haften bleibt. Bei unserem Kraken tritt dazu noch die Kraft der muskulösen Saugnäpfe selbst, von denen jeder einzelne für sich tätig sein kann. 18
„Die Bewegungen der Saugnäpfe bestehen nidit nur im Festhalten und Loslassen", so besdireibt Kollmann ihre Wirkungsweise, „sie strecken sich auch vor und ziehen sich wieder zurück, auch wenn keine Beute gefaßt wird, schließen sich und öffnen sidi ganz oder zur Hälfte, und zwar auf der einen Seite mehr als auf der anderen. Jeder Saugnapf, ausgerüstet mit einem besonderen Muskelapparat und besonderen, nur für seinen Bereidi bestimmten Nerven, hat einen hohen Grad von Selbständigkeit. Während die einen sich festklammern, bleiben die übrigen frei." H. Jäger, der im Mittelmchr häufig mit Kraken in Berührung kam, sdiätzt die Haltekraft eines mannsfaustgroßen Tieres auf einen halben Zentner — um wieviel stärker muß die Kraft des bisher größten gefangenen, drei Meter langen Octopus gewesen sein!
Alte Seefahrer erzählen Angesichts soldt unheimlicher Riesen nehmen uns die phantastischen Berichte nicht mehr wunder, die seit Jahrtausenden durch die Erzählungen der Seefahrer und episdien Dichter geistern. So singt Homer von der Begegnung des Helden Odysseus mit der vielarmigen Skylla, dem schrecklichen, alles verschlingenden Meerungeheuer, das uns an eine Riesenkrake erinnert: ,,. . . sie selbst ist ein so greuliches Scheusal, daß niemand ihrer Gestalt sich freut, auch wenn ein Gott ihr begegnet. Siehe, das Ungeheuer hat zwölf abscheulidie Klauen, und sechs Hals' unglaublidier Läng', auf jeglichem Halse einen gräßlichen Kopf, mit dreifachen Reihen gespitzter, dichtgeschlossener Zähne voll schwarzen Todes bewaffnet. Bis an die Mitte steckt ihr Leib in der Höhle des Felsens, aber die Köpfe bewegt sie hervor aus dem schrecklidien Abgrund, blickt heißhungrig umher und fischt sich rings um den Felsen Meerhund' und Delphine, und oft noch ein größeres Seewild." Auch der Römc* Plinius erzählt von einem solchen Tierwesen, einem riesigen Polypen in der Hafeneinfahrt der spanischen Stadt Carteja, mit zehn Meter langen Armen, deren Dicke ein Mann nicht umspannen konnte, und einem Kopf von der Größe eines Fünfhundcrt-Liter-Fasses. Und auch das Mittelalter hat uns Be-
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richte ähnlicher Art überliefert, so der schwedische Erzbischof Olaus Magnus und der norwegische Bischof Erik Pontoppidan, die von Seeungeheuern schreiben „mit scharfen und langen Hörnern, wie ein Baum Wurzeln hat", welche „leicht viele große Schiffe, mit vielen starken Seeleuten bemannt, versenken können." Den „aufgeklärten" Menschen der Neuzeit erschienen diese alten Berichte als grobgesponnenes Seemannsgarn. Selbst dem Kommandanten der französischen Korvette „Alecton", Kapitän Bouyer, glaubte man nicht, als er 1861 daheim von der Begegnung mit einem dieser Ungeheuer erzählte. In der Nähe von Teneriffa war das Kriegsschiff bei ruhigem Wetter ganz dicht an ein riesiges, auf dem Wasser treibendes Tier herangekommen. Der Riese war fünf bis sechs Meter lang, ohne die acht furchtbaren, mit Saugnäpfen versehenen Fangarme. Seine Farbe war ziegelrot, und seine ungeheuren Augen zeigten eine erschreckende Starrheit. Das Gewicht des spindelförmigen Körpers mochte etwa vierzig Zentner betragen. Seine am Hinterende befindlichen Flossen waren abgerundet und von sehr großem Umfang. Die Matrosen versuchten das Tier mit einer Tauschlinge zu fassen und durch Schüsse zu töten; nach dreistündiger Jagd gewannen sie aber nur einzelne Teile von seinem Hinterende. Trotz der schriftlichen Versicherungen der ganzen Besatzung des Schiffes bezeichneten die „Fachleute" an Land die Begebenheit als „einen Fall von Massensuggestion". Heute aber dürfen wir das Abenteuer der Männer der „Alecton" mit Sicherheit als echt ansehen, und wir wissen auch, daß in den phantastischen Berichten der alten Geschichtsschreiber ein wahrer Kern liegt — denn es gibt den Großen Kraken wirklich. Der „Kon-Tiki"-Fahrer Thor Heyerdahl jedenfalls glaubte an die Existenz des Riesenkraken: „Das Seetier, vor de«j uns die Fachleute am meisten gewarnt hatten, war der Riesenkrake; denn er könne auf das Floß heraufklettern. Die Geographische Gesellschaft in Washington hatte uns dramatische Blitzlichtaufnahmen aus einer bestimmten Gegend des Humboldt-Stromes (eines kühlen, an der Westküste Südamerikas entlangziehenden Meeresstromes) vorgelegt. Dort hatten die schrecklichen Riesentintenfische in großen Mengen ihren Lieblingsplatz und kamen in der Nacht an die Oberfläche em20
por. Sie hatten Fangarme, die einem Riesenhai ein Ende machen und einem großen Wal einen Denkzettel geben konnten, und da/u zwischen den Tentakeln (den Greifarmen) versteckt einen teuflischen Raubschnabel wie ein Adler. Man brachte uns in Erinnerung, daß sie hier mit phosphorleuchtenden Augen in der Finsternis der Nacht dahintrieben, daß ihre Arme lang genug waren, um in jeden kleinsten Winkel auf dem Floß zu tasten, wenn sie es nicht für gut befanden, selbst an Bord zu kommen. Wir schätzten keineswegs die Zukunftsaussicht, einen kalten Arm um den Hals zu fühlen, der uns in der Nacht aus dem Schlafsack holen könnte. So verschafften wir uns jeder ein säbelartiges Machetemesser für den Fall, daß wir eines Tages erwachen sollten, umschlungen von tastenden Tintenfischarmen." Bei dieser Vorsichtsmaßnahme werden die Floßfahrcr gewiß auch an jenen alten Bericht gedacht haben, wonach ein Polyp in der Nähe von St. Helena mit seinen Armen einige Matrosen von einem Gerüst am Schiff herabholte. Eine Armspitze, die sich im Tauwerk verfangen hatte und abgehackt wurde, maß etwa sechs Meter und trug mehrere Reihen Saugnäpfe; die „Kon-Tiki"-Leute erinnerten sich vielleicht auch an einen anderen Fall, der sich an der Küste von Angola zugetragen hatte, wo so ein Ungeheuer ein Schiff an der Takelung in den Grund zu ziehen drohte. Diese Begebenheit ist in der Thomaskapelle von St. Malo auf einem Gemälde dargestellt.
Hinterlassene Narben Die Riesenkraken, gegen die sieh Heyerdahl und seine Gefährten wappneten, sind Tiefseebewohner der Gattung Architeuthis, sie werden bis zu zwanzig Meter lang. Von ihrer Existenz zeugen nicht nur die erwähnten Berichte, sondern auch die Pottwale, die solche Riesen in den Mecresabgründen nach heftiger Gegenwehr überwältigt und verschlungen haben. „Jeder Pottwalkopf", schreibt Professor Ankel, „zeigt kreisrunde Narben, die jeweils die Stelle anzeigen, wo ein Saugnapf eines sich wild wehrenden Tintenfisches gesessen hat. Die Saugnäpfe der Tintenfischarme sind sehr muskelkräftig und obendrein mit harten, scharfen Randleisten versehen, die tief in die 21
Nautilus, das „Perlboot", ein Nachfahre der Ammoniten = Tintenfische (nach Brehm).
weiche Haut des Pottwals einschneiden. Wir sahen Narben mit einem Durchmesser bis zu dem eines Tassenkopfes; bekannt geworden sind solche von doppelter Größe. Solche Saugnäpfe von zehn bis fünfzehn Zentimeter Durchmesser lassen auf Arme von sechs bis sieben Meter Länge schließen. Einzelne solcher Riesentintenfische oder Teile von ihnen sind, als Kunde von seltenen und in großen Tiefen lebenden Arten, gelegentlich auch frei gefunden worden, die meisten aber kennt man aus dem Magen von Pottwalen. Der Fürst von Monaco hat eine Reihe von neuen Arten aus dem Pottwalmagen beschrieben. Hier wird endgültig bewiesen, was die Betrachtung des Pottwal-Gebisses nur erschließen ließ: Es dient zum Fangen und Ergreifen, aber nicht zum Zerkleinern der Beute. Als wir den Magen eines frisch gefangenen Pottwals öffneten, fanden wir noch die Beute seiner letzten Stunden in Gestalt kaum beschädigter Tintenfische, darunter solche bis zu eineinhalb Meter Körperlänge und fünf Meter Armlänge. Die Zerlegung des Fraßes wird allein den Verdauungssäften überlassen. Nur zwei Hartteile des Tintenfischkörpers widerstehen der Verdauung: der zarte Rückenschulp (die verkalkte oder verhornte Schale) und die soliden hornartigen Beißkiefer. Zu Hunderten liegen die Kiefer im Mageninhalt und lassen die Zusammensetzung der Nahrung gut beurteilen. Kiefer von zwei bis drei Zentimeter Durchmesser waren in der Mehrzahl und lassen auf Tintenfische von dreißig bis fünfzig Zentimeter Länge schließen. Größere Kiefer sind selten; es sind schon solche von doppelter Faustgröße gefunden worden, die von Riesenformen stammen müssen."
Das Beutemachen Was diese Riesen mit ihren Fangarmen selber an Beute ergreifen und mit ihren gewaltigen Kiefern zerreißen, können wir nur ahnen — vielleicht sind es große Fische und Krebstiere, von denen wir noch nichts wissen, weil die Tiefsee noch zu viele Geheimnisse birgt. Gut sind wir dagegen über die Ernährung des Kraken Octopus unterrichtet. Seine Nahrung sind Muscheln, Krebse, Fische und auch Aas. Hat er die Beute gepackt und — manchmal, wie etwa einen 23
Hummer, erst nach längerem Kampf — überwältigt, so führt er sie zu dem am Grunde des Armkranzes gelegenen Mund und tötet sie mit einem aus den hinteren Speicheldrüsen ausgeschiedenen, raschwirkenden Gift. Dann beißt er mit den papageienschnabelartigen Kiefern ein Loch in den Krebspanzer oder in die Muschelschale und läßt aus den gleichen Speicheldrüsen eine eiweißzersetzende Absonderung hineinfließen, die das Fleisch auflöst und verflüssigt. In diesem Zustand kann es von dem Kraken leicht eingesogen werden. Etwa eine Stunde dauert es, bis eine Krabbe oder größere Muschel, äußerlich vorverdaut, leergesogen ist und der Krake das leere Gehäuse freigibt. Auch die Ernährungsweise der freischwimmenden Kalmare und ähnlicher Arten kennt man. Während die Kraken zu den Achtarmern zählen, gehören die Kalmare zu den zehnarmigen Kopffüßern, bei denen die beiden zusätzlichen Arme anders als die übrigen acht geformt und weit länger sind und aus einem glatten Stiel mit einer verdickten Spitze bestehen. Die Spitze ist mit Saugnäpfen oder bei gewissen Arten mit Fanghaken besetzt, die sich besser zum Festhalten weichhäutiger Beutetiere eignen. Die beiden Fangarme sind in der Regel in besondere Taschen zurückgezogen und werden nur bei Gebrauch wie ein Lasso vorgeschleudert. Erbeutete Fische übergibt der Kalmar den anderen acht Armen, beißt sie mit den Kiefern tot und nagt das Fleisch ab. Das Nagen besorgt die Radula, ein raspelartiges Organ, wie man es sehr schön im Aquarium an einer Wasserschnecke beobachten kann, wenn sie an den Glasscheiben den Algenrasen abweidet. Wieder anders ist das Beutemachen der Sepia, das der Zoologe H. H. Fischer beschrieben hat: „Der Gebrauch der Greifarme war mir ganz unbekannt, bis ich sie eines Morgens in Bewegung sah. In einer Abteilung des Aquariums lebte seit einem Monat eine mittelgroße Sepia, die während der ganzen Zeit nichts gefressen hatte. Man tat eine große lebende Stachelmakrele zu ihr, und dieser Fisch schwamm ohne Argwohn umher und näherte sich dabei dem Schlupfwinkel der Sepia. Kaum hatte sie ihn wahrgenommen, als sie mit einer erstaunlichen Schnelligkeit die Greifarme entfaltete und ausstreckte, die Makrele ergriff und an ihren Mund zog. Die Greif24
Das Gehäuse des Nautilus weist viele Kammern auf (A die Wohnkammer, a Gasfüllkammern). Deutlich ist die Führung des Sipho zu erkennen. arme zogen sich gleich wieder zurück und verschwanden, die übrigen Arme aber legten sich fest um den Kopf und das Vorderende des Opfers. Den so umschlungenen Fisch schleppte die Sepia trotz seines verhältnismäßig sehr großen Gewichts, leicht einherschwimmend, nach allen Richtungen, ohne sich auf den Grund oder auf den Felsblöcken auszuruhen. Erst nach einer Stunde ließ der Räuber den waagrecht gehaltenen (ausgebeuteten) Fisch fallen." Die Fangarme dienen also dem Kraken zu vielfältigen Zwecken: Er kann mit ihnen über den Meeresgrund stelzen, Steine zum Bau seines Verstecks herbeischleppen, Beute machen und mit ihnen Tastsinneseindrücke aufnehmen. Einige Kopffüßer leiten durch eine Rinne des Fangarmes auch die Fortpflanzungskeime zum Weibchen hinüber.
Auch Brutpflege kennen sie Mit Ausnahme des Kopffüßers Ocythoe, der lebende Junge zur Welt bringt, legen alle übrigen Kopffüßer ihre Eier an irgendeiner Unterlage ab. Über die Eiablage der Sepia liegen besonders gute Beobachtungen von dem holländischen Tierforscher L. Tinbergen vor: Die Sepia legt dabei ihre langarme zu einer Röhre 25
zusammen und bläst durch den Trichter das Ei in die Röhre hinein. Dann verlängert sie die Arme, und wieder wird das Ei durch den Trichter nach vorn geblasen, bis der Tangstengel oder ein anderer Halt erreicht ist. Geschickt biegt sie jetzt mit den Armspitzen die Eihülle in zwei Zipfel auseinander, legt sie um den Stengel herum, und das Ei hat einen festen Halt, damit es sich selbst bei starker Wasserströmung ungehindert zur Reife entwikkeln kann. Noch merkwürdiger ist das Verhalten des zwanzig bis dreißig Zentimeter großen Kopffüßers Argonauta, des „Papierbootes", der im Mittelmeer und in anderen warmen Meeren lebt. Sein Name Argonauta geht auf das Schiff Argo der griechischen Sage zurück, mit dem Held Jason und seine Gefährten die Argonautenfahrt unternahmen. Die Bezeichnung „Papierboot" weist darauf hin, daß die Weibchen aus Drüsen ihrer lappenförmigen Rückenarme ein Sekret absondern, das eine papierdünne, kahnförmige, spiralig eingerollte Schale bildet, in der sie die abgelegten Eier unterbringen und ausbrüten. Das Weibchen des Papierbootes Argonauta betreibt also eine regelrechte Brutpflege. Das tut auch der Krake Octopus, dessen Weibchen sich über den Eipaketen mit den zahlreichen Eiern — es sollen bis zu 100 000 sein — niederläßt, sie wie ein Drache seinen Schatz behütet und ihnen ständig mit dem Trichter frisches sauerstoffreiches Wasser zuführt. Bei dem Kraken Paroctopus apollyon dagegen hält das Weibchen die Eier mit seinen Armen umfaßt, bis die Jungen geschlüpft sind, dann stirbt es. Nach dem Ausschlüpfen der Jungen hört die Brutpflege zwangsläufig auf, denn die winzigen Jungen leben zunächst fcinige Wochen im Wasser und treiben wie Plankton dahin. Sind sie etwas herangewachsen, dann lassen sie sich auf dem Meeresgrund nieder, um fortan vorwiegend hier zu leben. Bis dahin aber haben die Fische gewaltig unter der jungen Brut aufgeräumt — denn wo käme die Welt auch hin, wenn aus 100 000 Eiern ebenso viele ausgewachsene Drachen entstehen würden!
Nautilus und die Ammonshörner Die achtarmigen und zehnarmigen Kopffüßer, der Krake Octopus, der Kalmar und die anderen, die auf den vorherigen Seiten an
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uns vorübergezogen sind, bilden die Unterklasse der Zweikiemer, d. h. sie haben in ihrer Mantelhöhle zwei Kiemen zum Atmen. Neben ihnen gibt es eine weitere Unterklasse von Kopffüßern: Vierkiemer, die zwei Paar Kiemen besitzen. Die zweite Unterklasse besteht aus einer einzigen Familie mit vier Arten, deren Name Nautilus ist, „Perlboot". Gegenüber den artenreichen Zweikiemern ist es also nur eine verschwindend geringe Minderheit, aber sie ist bedeutend als der letzte lebende Überrest einer uralten Kopffüßer-Familie, der Nautiliden, deren Ahnen bis tief ins Erdaltertum, in das Silur-Zeitalter, zurückreichen. Und eben weil Nautilus ein noch lebender Angehöriger eines so alten Geschlechtes ist, gibt er uns die Möglichkeit, Rückschlüsse zu ziehen auf Körperbau und Lebensweise seiner Vorfahren und deren seit sechzig Millionen Jahren, am Ende der Kreide-Zeit, ausgestorbenen Vettern, der Ammoniten. In keiner Sammlung von Versteinerungen fehlen die Ammoniten, die Ammonshörner; denn sie kommen in jeder erdgeschichtlichen Epoche vom Devon bis zur Kreide vor und bilden zudem die Schmuckstücke in jeder Sammlung. Es sind flache, zuweilen auch kugelige, spiralig aufgerollte Gebilde, die in ihrer Form an die Gehäuse der Posthorn- oder Tellerschnecken erinnern. So hält sie auch jeder unkundige Betrachter für Schnecken und ist verwundert, wenn ihm gesagt wird, daß es sich in Wirklichkeit um die Gehäuse ehemaliger Tintenfische handelt. Aber wie will man das behaupten, da doch nur die Gehäuse, nichts aber von den Weichteilen dieser angeblichen Tintenfische erhalten ist? Zudem ist bei den heute lebenden Tintenfischen doch gar kein solches Gehäuse vorhanden — mit einigen Ausnahmen. Nautilus liefert uns den untrüglichen Beweis, daß die Ammoniten keine Schnecken, sondern Tintenfische waren. Während alle anderen Kopffüßer, nämlich die Zweikiemer, nur verkümmerte Schalenreste unter der Mantelhaut auf dem Rücken aufweisen, hat Nautilus ein richtiges „Schneckenhaus", aus dem das Tier herausschaut und in das es sich wie eine Schnecke zurückziehen kann. Nautilus lebt im Gebiet zwischen den Philippinen und den Fidschi-Inseln in hundert und mehr Metern Tiefe auf dem Meeresgrund. Zur Nacht kommt er wie viele Kopffüßer an die Ober27
fläche. Die Eingeborenen fangen ihn gern, da sie das fünfundzwanzig Zentimeter große, porzellanweiße, rotgestreifte Gehäuse zu allerlei Schmuck- und Gebrauchsgegenständen verarbeiten. Das Gehäuse ist innen durch Scheidewände in eine Anzahl Kammern unterteilt, doch nur in der vordersten, der sogenannten Wohnkammer, steckt das Tier mit seinem Hinterleib und schaut mit dem fangarmbewehrten Kopf heraus (vgl. Abb. Seite 25). Nautilus hat übrigens noch eine zweite Besonderheit: Sein Mund ist nicht von einem einzigen Kranz von Fangarmen umstanden, sondern von zwei; den äußeren Kranz bilden achtunddreißig kleine Fangarme, den inneren vierundvierzig bis zweiundfünfzig, die er in Scheiden zurückziehen kann. Vier dieser Scheiden sind so breit, daß sie zusammen zu einer Kopfkappe werden, mit der Nautilus die Gehäuseöffnung wie mit einem Deckel verschließt, wenn er sich in sein Haus zurückgezogen hat. Die größte Zahl der den Mund umgebenden Fangarme ist mit Haftpolstern ausgestattet, mit einer klebrigen Absonderung, an der die Beutetiere hängenbleiben. Einen Tintenbeutel besitzt Nautilus nicht; den nötigen Schutz gegen Angreifer bietet ihm ja sein Gehäuse. Die Teilung des Gehäuses in mehrere Kammern — die Kammerung — bei Nautilus und den Ammoniten beweist allein noch nicht, daß auch die Ammoniten Kopffüßer gewesen sind; denn auch bei manchen Schnecken finden sich gekammerte Gehäuse. Was diese Schnecken aber nicht haben, ist der sogenannte Sipho des Nautilus, ein fadenförmiger Fortsatz des Hinterleibes, der alle Kammern bis ins Zentrum des Gehäuses, wie ein Kabel durchzieht. Jede Kammerscheidewand hat deshalb ein Loch, durch den der Sipho geführt ist (Abb. Seite' 25). Das von dem Sipho durchzogene Gehäuse läßt sich am ehesten noch mit der Schwimmblase der Knochenfische vergleichen. Die Schwimmblase ist wie ein Ballon; die Fische können ihn aufblasen, indem sie aus einer Gasdrüse ein Gemisch aus Sauerstoff, Stickstoff und Kohlensäure hineinpressen, sie können den Ballon auch verkleinern, indem sie Gas wieder absaugen. Auf diese Weise steigen oder sinken sie im Wasser. Ähnlich ist es beim Nautilus. Bei ihm ersetzt das Gehäuse den Ballon, er füllt es mit Gas, das von dem Sipho abgesondert wird. Da das Kalkgehäuse sich nicht deh2K
nen kann wie ein Ballon, sondern starr ist, erfolgt das Vergrößern oder Verkleinern in der Wohnkammer: Das Tier zieht den Hinterleib von der vordersten Kammerwand ab und schafft so einen zusätzlichen Gasraum: Es wird leichter. _Füllt es umgekehrt die Wohnkammer vollständig mit seinem Körper aus, so vergrößert sich sein spezifisches Gewicht. Außer Nautilus hat auch der zehnarmige Kopffüßer Spirula ein solch spiraliges, gekammertes, von einem Sipho durchzogenes und gasgefülltes Gehäuse, das jedoch innerhalb eines nacktleibigen Körpers liegt. Auch diese Gaskammer dient dem freischwimmend lebenden Kopffüßer als Schwebeapparat. Und schließlich besitzt auch die Sepia in ihrer kalkigen, unter der Rückenhaut gelegenen Schale — dem Schulp — ein Schwebeorgan, das jedoch nach einem anderen technischen Verfahren wirksam ist. Der Sepia-Rückenschulp, der in zoologischen Handlungen als Kalkspender für Käfigvögel verkauft wird, hat nämlich im Innern zahlreiche winzige Kämmerchen und bildet so eine schwammartig poröse Masse. Und wie in einem UBoot das spezifische Gewicht durch Ein- oder Auspumpen von Wasser in die Tauchzellen vergrößert oder vermindert wird, so daß das Boot sinkt oder steigt, geschieht es auch bei der Sepia: Sie pumpt Flüssigkeit in die porigen Kämmerchen des Rückenschulps ein oder pumpt sie aus ihnen heraus. Auch diese technische Einrichtung beweist, daß die Natur sozusagen mit leichter Hand vieles erfunden hat, was unsere Ingenieure erst mühsam ersinnen mußten. Wo wir ein gekammertes Gehäuse mit durchlöcherten Scheidewänden und einem Sipho antreffen, kann es nur das Gehäuse eines Kopffüßers sein; und da die „Schneckenhäuser" der Ammomten beides aufweisen, können sie nur Gehäuse von Kopffüßern gewesen sein. Ammoniten sind also keine Schnecken gewesen. Mit ihren Vettern, den Nautiliden, hatten sie Vorfahren mit länglichen, gestreckten Gehäusen. Vor etwa vierhundertfünfzig Millionen Jahren entsprossen diesen Vorfahren die Nautiliden, hundert Millionen Jahre später die Ammoniten, die in der Kreide-Epoche völlig ausgestorben sind. Nur von den Nautiliden rettete sich ein einziger Sproß bis in unsere Tage: Nautilus.
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Donnerkeile, Teufelsfinger, Rabenkegel . . . Die übrigen heute lebenden Kopffüßer erschienen in der Erdgeschichte erst verhältnismäßig spät: Die Zehnarmer in der Trias und im Jura, die Achtarmer in der Oberen Kreide. Neben ihnen trat zu Beginn der Jura-Epoche noch ein weiteres Geschlecht von Kopffüßern auf, das nach verhältnismäßig kurzer Zeit am Ende der Kreide wieder ausstarb, das aber in diesen hundertzwanzig Millionen Jahren einen wichtigen Bestandteil der damaligen Meeresticrwelt bildete: die Belemniten. Wie blühend dieses Geschlecht von Tintenfischen war, zeigen ihre versteinerten Überreste. Sie sind so häufig und so bekannt, daß der Volksmund ihnen vielerlei Namen gab. Donnerkeile, Teufelsfinger, Rabenkegel, Katzensteine heißen die schlanken, runden, z u gespitzten Steingebilde. Auch ihr wissenschaftlicher Name rührt von ihrer Gestalt her — belemnon heißt auf griechisch der Wurfspeer. Wie die' Belemniten im einzelnen ausgesehen haben, weiß man heute ziemlich genau, obwohl sich vollständig erhaltene Exemplare nur selten finden. Bei den meisten ist das stumpfe Ende zusammengedrückt. An diesem Ende befand sich nämlich eine trichterförmige Aushöhlung, in der die konisch geformte Schale des Kopffüßers, das Phragmokon, steckte. Bei völlig erhaltenen Belemniten zeigte sich, daß das Phragmokon durch Scheidewände gekammert ist, und bei sorgfältigem Anschleifen des Phragmokon-Kegels ergab sich, daß auch die Belemnitenkammern von einer feinen Röhre, einem Sipho, durchzogen waren. Aus einzelnen glücklichen Funden erschloß man noch weitere Eigentümlichkeiten: daß das Phragmokon sich nach vorn in einen Rükkenschulp fortsetzte, daß die Belemniten einen Tintenbeutel besaßen und daß ihre Fangarme mit kleinen Fanghäkchen ausgerüstet waren. Die mehrfach vorliegenden Funde von gebrochenen und wieder verheilten „Donnerkeilen" beweisen außerdem, daß die Arme von Weichteilen umschlossen waren, sonst wäre eine solche Heilung der „Knochenbrüche" nicht möglich gewesen. So läßt sich aus dem wenn auch spärlichen Fundmaterial mit Wahrscheinlichkeit schließen, daß die Belemniten nacktleibige Kopffüßer waren, die in ihrer Gestalt den heutigen Kalmaren glichen. Wie die JO
Kalmare haben sie gewiß in Schwärmen das Meer durchzogen — kleine, nur wenige Zentimeter lange Arten und andere Arten von weit über einem Meter Länge. Mit ihren Fangarmen jagten sie Fische und Krebse, und sie selber wurden zur Beute riesiger Ichthyosaurier und Haie.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bilder: Bavaria-Bilderdienst und Verlagsarchiv L u x - L e s e b o g e n 3 9 8 (Naturkunde) H e f t p r e i s 3 0 P f g . Natur- und kulturkundliche Hefte — Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1,80) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg — Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München — Herausgeber: Antonius Lux.
U)ie sie berühmt wurden . . . Unter dem Titel „ J u g e n d der W e l t — Aufstieg zum Ruhm" ist im V e r l a g der Lux-Lesebogen ein spannendes Buch erschienen, das aus d e n J u g e n d j a h r e n berühmter M ä n n e r und Frauen erzählt. Dramafisch b e w e g t sind diese 166 Jugend-Geschichten: W i e der j u n g e Edison im Packwagen eines fahrenden Eisenbahnzuges sein primitives chemisches L a b o r a t o r i u m einrichtet und d a b e i fast in d i e Luft fliegt, wie Kaiser Friedrich II. v o n Hohenstaufen als Strafjenjunge durch d i e Gassen Palermos streift, um das V o l k kennenzulernen, w i e der j u n g e Charles L i n d b e r g h seinen Traum v o n der O z e a n ü b e r q u e r u n g der Wirklichkeit n ä h e r b r i n g t , w i e der Jüngling A r t u r o Toscanini im g e b o r g t e n Frack mit a b g e schnittenen Hosenbeinen seine erste O p e r dirigiert oder w i e der Negerjunge W a s h i n g t o n Carver, der noch als Sklave g e b o r e n w u r d e , g e g e n unsägliche W i d e r s t ä n d e seine Ausb i l d u n g zum „ P f l a n z e n d o k t o r " erzwingt. Viele der Großen waren bereits als Kinder und Jugendliche berühmt durch das W u n d e r ihrer g e n i a l e n B e g a b u n g . A n d e r e w a r e n f r ü h vollendet und w u r d e n a b b e r u f e n , o h n e dafj sie d e n G i p f e l der Lebensreife erreichen durften. Besonders ergreifend sind die Jugendschicksale jener M ä n n e r und Frauen, d i e sich aus dem Dunkel der Armut, v o m inneren Feuer g e t r i e b e n , auf den Platz h e r a u f a r b e i t e t e n , auf dem wir sie heute b e w u n d e r n . Das Buch ist eine G a l e r i e grofjer V o r b i l d e r . Porträtzeichnungen und Lebensdokumente ergänzen das G e s a m t b i l d der Persönlichkeiten.
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