KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
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LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
VITALIS
HEFTE
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LUFTKREUZ NOR...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
VITALIS
HEFTE
PANTENBURG
LUFTKREUZ NORDPOL DIE SCHNELLSTEN STRASSEN F Ü H R E N ÜBER D E N P O L
VERLAG MURNAU
SEBASTIAN
-MÜNCHEN
LUX
- I N N S B R U C K - ÖLTEN
Reich des „Großen Bären' TX7eit im Norden, eigentlich schon jenseits der bewohnten Welt, ist der blaugrüne, offene Ozean zu Ende. Auch das Land weicht mehr und mehr zurück, bis zuletzt nur noch einige öde, von ewigem Packeis blockierte Inseln die letzten Vorposten der Groß-Kontinente bilden. Den Raum um die Nordachse der Erde umspannt zwar immer noch Meer, aber es ist bedeckt von einem Panzer treibenden Eises, großer und kleiner Schollen und riesiger Felder. Dieses Treibeis ist viele Meter stark. Unter den ständig driftenden Eisfeldern finden sich viele, die groß genug wären, um kilometerlange Landebahnen für Flugzeuge darauf einzurichten. Die kühnen Seefahrer, die zum ersten Male in die Unendlichkeit des Polareises blickten, nannten dieses Meer den „Geronnenejn Ozean", in den niemand eindringen könne. Sie hatten nichts eiligeres zu tun, als die Steven ihrer gebrechlichen Fahrzeuge alsbald wieder in die entgegengesetzte Richtung zu wenden, den bewohnten und wärmeren Zonen zu. Wer der erste unter ihnen war, der bis in die Arktis vordrang, wissen wir nicht; aber es liegt nahe, anzunehmen, daß es Nordbewohner — Wikinger aus Skandinavien oder Schottland — gewesen sind. Die früheste Entdeckungsgeschichte der Polarwelt verzeichnet aber auch einen Seefahrer aus dem Mittelmeer: den Kauffahrer Pytheas aus „Massilia", dem heutigen Marseille, der uns aus der Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. die erste Kunde von einer Fahrt in den Eisozean überliefert hat. Wo das Inselland Thule lag, das er hoch im Norden erreicht haben will, wissen wir nicht. Man vermutet, daß es eine der FaröerInseln jenseits der Nordspitze Englands oder daß es Island gewesen sei. , Diesem nördlichsten Teil der Erde hat man den Namen Arktis — Bereich des „Großen Bären", des Polargestirns — gegeben. Die Arktis dehnt sich in ungeheurem Rund um den Nordpol. Um ihn als Achsenpunkt wiederum dreht sich die Welt. Das eisstarrende Polarmeer ist das Reich der beißenden Kälte, wilder Stürme, aber auch unerhörter Naturschönheiten. Im langen Polarwinter geistert das Strahlenspiel des Nordlichtes über den nördlichen Himmel. In
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immer neuen Formen und Farben erlebt es der Bewohner der Nordpolarkuppel. Im kurzen Sommer geht viele Wochen lang die Sonne überhaupt nicht unter. Die Forscher, die dort oben weilen, können in dieser Jahreszeit nachts um 24.00 Uhr im Freien ohne künstliche Beleuchtung die Buchstaben eines Buches genau so klar erkennen wie um 12 Uhr mittags. Der Nordpol ist ein merkwürdiger Ort. Er liegt nicht auf festem Land, weil es im Umkreis von vielen hundert Kilometern nicht einmal irgendein Inselchen gibt. Das Meer ist mit seinen Treibeismassen am Nordpol in beständiger Bewegung; deshalb hat vermutlich bisher noch kein Mensch genau an der Stelle des Pols gestanden. Weil dort kein Land, sondern ewig treibende Eismassen sind, kann man diesen Punkt wohl auch kaum einwandfrei bestimmen. Aber an dem ungefähr richtigen Endpunkt der Erdachse sind inzwischen schon viele Menschen gewesen. Als erster der amerikanische Poleroberer Robert Peary (1909), vielleicht auch sein erbitterter amerikanischer Wettbewerber Frederick Cook im Jahre zuvor. Dann die Russen, die 1937/38 aus der Luft landeten, später amerikanische Flieger, und dann wieder Russen. Wer genau auf dem Nordachspunkt der Erde steht, wird erleben, daß es dort nur eine einzige Himmelsrichtung gibt. Wohin er auch seinen Blick wenden mag, es muß stets nach Süden sein. Genau so ist es mit den Winden, sie haben immer die gleiche Richtung, pämlich ebenfalls Süden. Wenn es jemandem gelänge, sich ein ganzes Jahr genau auf dem Pol aufzuhalten, so würde er noch eine andere ungewöhnliche Feststellung machen: daß es dort im Ablauf des Jahres nur einen einzigen Tag und nur eine einzige Nacht gibt. Als Nacht erschiene ihm der halbjährige Winter; der halbjährige Sommer entspräche dem Tag. Im Nordpolsommer sinkt die Sonne zu keinem Zeitpunkt unter den Horizont, ebensowenig wie man erleben wird, daß sie im Winter über den Horizont kommt. Indes ist es doch nicht so, daß im Winter nur pechschwarze Nacht herrscht. Die Sterne gleißen nämlich in unwahrscheinlicher Helligkeit, und der kalte Silbermond wandert wochenlang über den Himmel. Zur Erhellung des Dunkels tragen auch die phantastischen Vorhänge des Polarlichtes bei, die in unirdischen Farben, schimmern. Diese Strahlenbündel kommen in Höhen zwischen achtzig und tausend Kilometern durch 3
Sonneneinflüsse zustande. Das ist erst seit knapp einem Menschenalter bekannt, aber hinter die letzten Geheimnisse um dieses geisterhafte Polarlicht ist man immer noch nicht gekommen. Vor einem Menschenalter galt die Arktis nur als feindliche, Furcht einflößende Zone. Forscher und Entdecker, die sich in den Hohen Norden wagten, setzten stets ihr Leben ein, und viele von ihnen büßten ihren Wagemut mit dem Tode. Heute freilich haben die sportgestählten Polarfahrer kaum noch etwas zu befürchten. Sie lernten, mit der arktischen Natur fertig zu werden. Die bitteren Erfahrungen der Vorgänger sind nicht ohne Nutzen geblieben; zudem stehen den heutigen Arktisexpeditionen die modernsten Hilfsmittel der Technik zur Verfügung. Es ist jedoch ein weiter, verlustreicher und enttäuschender Weg gewesen von den ersten Nordmeerfahrern bis zu den Verkehrsfliegern unserer Tage, die mit pfeilschnellen Maschinen in Minuten Strecken zurücklegen, zu denen die Polarfahrer noch vor vier Jahrzehnten ebensoviele Tage gebraucht haben.
Erster Polarfahrer — ein Nordmann Ottar von Haalogaland gilt als der erste, der in der nachchristlichen Zeit eine Fahrt in den Norden gewagt hat. Er wollte einmal sehen, was hinter dem Nordkap Europas liegen mochte, und er geriet bis an die Grenze des Treibeises. Dieser Wiking lebte in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts als Bauer und Meerfahrer an der Küste des heutigen Troms. Damals hieß dieser Teil Norwegens „Haa-Loga-Land"; das heißt „Land der hohen Flammen", weil man hier das Nordlicht beobachten kann. Ottar fühlte sich selber als der nördlichste Weiße, und das schrieb er auch an den englischen König jener Zeit, Alfred den Großen. In diesem uns überlieferten Bericht erzählt er, daß er das meist recht stürmische Nordkap mit seinen Drachenschiffen umrundet habe und daß er schließlich bis ins Weiße Meer vorgedrun-, gen sei. Vermutlich wollte Ottar von Haalogaland in diesen unbekannten Gebieten Beute machen, nicht nur in den neuen, ergier bigen Jagdgründen mit dem zahllosen arktischen Meergetier, den Walrossen, Seehunden, Walen und Eisbären, sondern auch bei den vielleicht dort wohnenden Menschen. Der erste Wunsch ging in E r 4
füllung, der zweite nicht; denn Ottar betrat nirgends das Land und bemerkte nichts von einer Besiedlung. Der Nordmann Ottar war klug genug, die Kiele seiner Flottille recht bald wieder wenden zu lassen, sobald der kurze Sommer dem Ende zuging. Er erkannte, daß es nicht ratsam war, die Sperre des treibenden Eises, in die er nördlich und östlich des Nordkaps geraten war, zu durchstoßen. Nach Ottar segelte rund hundert Jahre später ein anderer Landsmann in das arktische Meer: Erik der Rote. Er steuerte westwärs und stieß an der Südküste Grönlands ins Große Eis. Auch in diesen Breiten war das Meer ungeheuer reich an wertvollen Seesäugern, die Felle, Tran und Fleisch in Hülle und Fülle lieferten. i Was den roten Erik lockte, war die grönländische Küste, die damals noch weite Strecken eisfreien Landes und grüner WeiderJ aufwies. Da der sehr jähzornige und rauflustige Wiking aus seiner isländischen Heimat ausgewiesen worden war, blieb ihm nichts anderes übrig, als den Treibeisgürtel zu durchsegeln und in Südgrönland mit seinen Gefährten und deren Familien eine Kolonie zu gründen, die mehr als drei Jahrhunderte bestanden hat. Eriks Sohn — Leif Eriksson — segelte später noch weiter. Er landete an der Nordostküste des heutigen Kanada. Deshalb gilt Leif als der eigentliche Entdecker Amerikas, obwohl ihm und seinen Gefolgsmännern wie auch später Columbus niemals klar gewesen ist, daß sie einen neuen Erdteil entdeckt hatten. Heute sind auf dem Boden jenes verschollenen kleinen Wikingcrreiches in Grönland Funk- und Radarstationen eingerichtet mit modernen Flugplätzen und langen, betonierten Startbahnen. Hier erfolgt die Zwischenlandung der großen Silbervögel, die in brausendem Flug nach Norden, Osten und Westen über die Arktis fliegen.
Der Globus wies den Weg nach Norden Nach dem verwegenen Vorstoß des Haalogaländers Ottar in das eisgefesselte Meer und nach Eriks des Roten Koloniegründung verging mehr als ein halbes Jahrtausend, ehe wieder kühne Seefahrer nach Norden aufbrachen. In dieser Zeit hatten die Entdecker schon, eine ziemlich genaue Vorstellung von der Welt des höchsten Nordens 5
und viel weiter gesteckte Ziele. Sie beabsichtigten nicht mehr undi nicht weniger, als von Europa über das Polarmeer in dJe Länder zu segeln, die auf der „anderen Seite" des Nordpols liegen mußten. Diese Arktisforscher kamen nicht zufällig auf diesen Gedanken. Als die großen Seefahrer nach der weltbewegenden Wiederentdekkung Amerikas durch Columbus im 16. und 17. Jahrhundert endgültig bewiesen hatten, daß die Erde wirklich eine Kugel sei, hatte nach allen Himmelsrichtungen die Eroberung der außereuropäischen Erdteile durch den weißen Mann begonnen.
Das Nordkap Europas — der scharfgeschnittene Bug unseres Erdteils
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So fanden die reichen Handelsherren Europas und ihre wagemutigen Seefahrer endlich auch die Seewege zu den sagenhaften Schatzländern des Fernen Ostens, nach Indien und China, die man bisher nur über die Landenge nahe der Nilmündung oder auf dem Landwege quer durch Südasien hatte erreichen können. Um in jene reichen Erdstriche zu gelangen und die durch die Türken unterbrochenen Handelsbeziehungen mit ihren Bewohnern wieder aufzunehmen und auf diese Weise den mittelmeerischen und arabischen Zwischenhandel mit seinen beträchtlichen Zwischengewinnen auszuschalten, konnte man künftig zwei Wege wählen. Der eine führte um die Südspitze Afrikas, das Kap der Guten Hoffnung, herum; auf der anderen viel weiteren Route war das sturmumtoste Kap Hoorn, die Südspitze Südamerikas, zu umfahren. Man konnte von Europa aus also südwestlichen oder südöstlichen Kurs setzen. Es waren mit den schwerfälligen hölzernen Segelschiffen des 16. und 17. Jahrhunderts unglaublich beschwerliche und lange Reisen. Fast die Hälfte des ganzen Erdumfangs mußten die Seeleute auf solchen Fahrten zurücklegen. Doch was bringt der Mensch nicht alles zustande, wenn es darum geht, Ehren und Ruhm, Reichtum und Ansehen zu gewinnen! Die Wikinger waren nur nach den Gestirnen gefahren, nach Gefühl und Erfahrung. Die Seefahrer der Neuzeit benutzten Kom-, passe, Sextanten und Seekarten, um ihre Fahrtrichtung und den jeweiligen Schiffsstandort zu bestimmen. In den Zeiten jener ersten Weltumsegier bekamen die Seekapitäne sie als großartige neue Hilfsmittel der Schiffsführung in die Hände. Aber die Seekarten reichten bald nicht mehr aus, da man feststellen mußte, daß unter der Voraussetzung der Kugelgestalt der Erde folgerichtig jede Karte ungenau sein mußte. Eine Karte kann stets nur eine ebene Fläche sein; jedes Stück Land oder Meer auf der Erde aber hat eine gewölbte Oberfläche. Der dadurch entstehende Meßfehler auf der Karte war ziemlich belanglos bei kleinen Teilstrecken; wenn man jedoch einige tausend Seemeilen weit von einem Kontinent zum anderen segeln wollte, machte sich die Wölbung der Erde recht erheblich bemerkbar. Ganz besonders, wenn es galt, die nächsten Wege zwischen sehr weit voneinander liegenden Orten auf der Erde ausfindig zu machen. Mit dieser entscheidenden Frage hatten sich nunmehr die Fern-
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Seefahrer, die Geographen und Kartenzeichner der Neuzeit zu befassen. Unter ihnen war ein Mann, der sich sagte, daß Karten allein nicht genügen könnten, wenn die ganze Welt dem Verkehr erschlossen werden sollte; man mußte die Erde im Kleinen genau so sehen, wie sie im Großen in der Wirklichkeit war. So entwarf Martin Behaim aus Nürnberg als erster eine Weltkugel in Kleinstausgabe, einen Globus, der allein die Gestalt der Erde unverzerrt wiedergeben kann. Das war um die Wende zum 16. Jahrhundert. Auf dem Globus erst erkannte man, wie die Weltteile zueinander lagen, wenn man auch über ihre Verteilung und ihre Umrisse jnl jener Zeit großenteils nur Vermutungen anstellen konnte. Was die Arktis betrifft, so ist es erstaunlich, daß Martin Behaim sie, ohne eine Ahnung von ihrem Aussehen haben zu können, immerhin ziemlich richtig auf seinen ersten Globussen angedeutet hat. Er hat nämlich um den Pol ein großes Binnenmeer eingezeichnet, das von einer Landmasse eingeschlossen wird. In großen Zügen entspricht diese Anschauung der Wirklichkeit. Es war ein Vorteil, daß diese sinnbildhafte Kleinstausgabe die Erde ohne die irreführenden Verzerrungen wiedergab, die bei jeder Karte unvermeidlich sind. Und schon bald machten die seefahrenden Eroberer der Erde und ihre mächtigen Auftraggeber, Handelsherren, Fürsten und Könige, eine Entdeckung, die dann J a h r hunderte lang die Menschheit auf der Nordhalbkugel der Erde bewegt hat; sie ist gerade in unserer Zeit wieder von größter Bedeutung geworden. Das Globusbild wies nämlich deutlich darauf hin, daß die nächsten Wege von Europa zum Stillen Ozean, zu den damals reichsten Ländern der Erde, über den Norden führten — nicht nach Osten und nicht auf den eben erst gefundenen neuem Ozeanstraßen nach Westen, sondern über die Arktis. Als eine verbindende Klammer umgeben die Nordteile der größten Kontinente der Erde — die Nordküsten Europas, Asiens und Nordamerikas — den eisbedeckten Nördlichen Ozean.
Suche nach Durchfahrten im Polarmeer Diese für das 16. Jahrhundert verblüffende Feststellung machten! sich zunächst die Engländer und die Niederländer zunutze. In jener Zeit waren Spanien und Portugal noch immer die stärksten See-l 8
mächte der Erde, und keine andere Nation sollte ihnen die Herr^ schaft zur See streitig machen. Was entdeckt war, wollten sie ganz allein besitzen und ausbeuten; was noch nicht bekannt war, dahin sollte keine andere Macht Zugang haben. Den aufkommenden jungen Seemächten des Nordens blieb also nichts weiter übrig, als ganz neue Wege in die ferne Welt zu suchen. Nur der Norden war noch unbefahren, un