KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
A L B E R T VON H A L L E R
IM L ...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
A L B E R T VON H A L L E R
IM L A N D E DER Z I V I L I S A T I O N U N D DER H Ä U P T L I N G E
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
MURNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K • Ö L T E N
_Ln Monrovia, der Hauptstadt der Negerrepublik Liberia, zieht es mich immer wieder zur „Wasserseite". Wasserseite — so heißen sie alle, die Hauptgeschäftsstraßen der großen und kleinen Küstenorte hier im tropischen Westafrika. Auf dem Strand, an der Grenze von Meer und Land, haben sich seit Jahrhunderten die Händler aus den fernen Ländern mit den Händlern aus dem Dunkel der geheimnisvollen Urwälder getroffen. Zuerst wurde im Freien gehandelt, dann entstanden auf dem breiten, sandigen Ufer von Palisaden umzäunte Höfe. Schließlich gab es Hütten, Buden, Lagerhäuser am Strand: fremde Gesellschaften gründeten Faktoreien, und Kauf und Tausch wurden zum täglichen Geschäft. Die Wasserseite Monrovias läuft parallel der Mündung des Mesurado. Zu beiden Seiten der Straße reihen sich heute lückenlos die Kaufläden, zumeist fensterlose Hallen aus Beton und Wellblech, die zur Straße zu weit offen sind und dem Vorübergehenden den Blick auf die aufgehäuften Waren im dämmerigen Innern erlauben. So modern das auch alles geworden ist —• die alte Handelsstraße hat ihren anziehenden Reiz, Treffpunkt verschiede- \ ner Welten zu sein, nicht verloren.
Auf den schmalen Biirgersteigen drängt sich schwatzend und lachend die bunteste Menge. Braune und schwarze Gesichter in allen Farbtönen, kleine und große Gestalten in jeder denkbaren Bekleidung. Hier ist der zivilisierte Afrikaner ebenso zu sehen, beschuht und europäisch gekleidet, wie sein Bruder aus dem Busch im malerischen Überwurf. Drüben steigt ein Händler vom Stamme der Mandingo von seinem Lastwagen, in langem, weißem Gewand, den roten Fez der Mohammedaner auf dem Kopf, viel zu kleine Pantoffeln an den großen Füßen. Barfüßige Arbeiter in kurzen Hosen und zerflattcrnden Hemden tragen ihm die schweren Säcke mit Palmkernen zum Lagerhaus der deutschen Firma. Der Mandingo kauft die Früchte der wildwachsenden ölpalmen im Hinterland von den Eingeborenen auf und verkauft sie mit gutem Gewinn an die europäischen Kaufleute. Palmkerne sind in Liberia •der Exportartikel des kleinen Mannes. Einige Fantifischer fallen mir im Gedränge auf. Sie lassen ihre einzige Bekleidung, ein ungenähtes, weißgemustertes, blaues Gewand über die linke Schulter fallen, Brust und rechte Schulter bleiben unbedeckt — prachtvolle Gestalten. Elegante schwarze Damen werden von kleinen Dienerinnen begleitet, die ihre Einkäufe tragen. Frauen, nach einer verschollenen Mode gekleidet, oder die malerischen Lenden- und Schultertücher auf eine unbegreiflich geschickte Art um den Leib geschlungen, befördern ihre Waren auf dem Kopf. Vor mir geht, nein, schreitet eine barfüßige Frau mit dem graziösen Gang ihrer Rasse, auf ihrem K°pf ruht ein großes Tablett, darauf stehen eine Kiste, eine Feldflasche, ein Fläschchen, liegen einige Bananen und ein zusammengerollter schwarzer Regenschirm. Am Straßenrand hocken Frauen und Mädchen und verkaufen geröstete Erdnüsse, in öl gebackene Kuchen, Weißbrot, Bananen und fliegenumschwärmte Schweinefüße. Die Schneider haben ihre Nähmaschinen auf die Straße gestellt und sind unentwegt fleißig. Der Mann, der eben ein Säckchen mit Rohkaffee dem Syrer verkauft und sich dafür ein Stück Stoff eingetauscht hat, kann sich vor dem Laden sogleich die gewünschte kurze Hose nähen lassen. Auf der Wasserseite ist alles zu haben, was sich der Eingeborene wünscht —• was er benötigt, ebenso wie das, was ihn zu überflüssigen Ausgaben verlockt: Eisenwaren aus Deutschland, Textilien
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aus Amerika, Heringe aus England. . . Die Liste ist endlos, zumal auch Indien und Japan als Lieferanten auftreten. Aber auch für die schwarzen Damen und Herren in den großen amerikanischen Limousinen ist gesorgt: der neueste Fotoapparat aus Deutschland, die kostbare Schweizer Uhr, das modische Kleid oder Buschhemd aus den USA, Eisbox und Radio, Whisky und Bier oder was es auch immer sein soll. Im Gewühl taucht ein Häuptling aus dem Innern des Landes auf, aus dem Reich der niemals gerodeten Urwälder. Seine faltenreiche, farbig gestreifte Toga, seine goldbestickte Kappe, sein würdiger gemessener Gang, lassen auch dem Fremden keinen Zweifel, wer da des Weges kommt. Zwei seiner Frauen, das Reisegepäck auf dem Kopf, und einige Diener folgen ihrem Herrn. Sie gehen auch hier einer hinter dem anderen, in genau bemessenem Abstand, als wären sie auf schmalem Pfade im heimischen Busch. An der Straßenecke steht ein alter Mann in verschossenem gelbrotem Gewand und ruft leidenschaftliche Worte in die Menge. Er predigt. Neben ihm steht ein Zinnteller für milde Gaben und eine Glocke, mit der, er sich Gehör zu verschaffen sucht. Wahrscheinlich ist er Prediger einer Sekte, vielleicht der Gründer einer neuen afrikanischen Kirche. Als ich langsam vorbeigehe, schweigt er einen Augenblick und verneigt sich tief. Ich erwidere seinen Gruß. Die Wasserseite mündet auf einen von baufälligen Gebäuden und Hütten umsäumten Platz, der vom Mesuradostrom begrenzt wird. Hier landen die Eingeborenen in ihren schmalen Kanus, um die Erzeugnisse ihrer kleinen Gärten zum Markt zu bringen. Mein Blick schweift über die trägen, trüben Wasser des Mesurado. Wenn ich stromauf sehe, ist das jenseitige Ufer nur als ein schmaler Strich zu erkennen. Dort dehnen sich die sumpfigen Mangrovendickichte kilometerweit aus. Diese verkehrsfeindlichen afrikanischen Ströme verlieren sich im Unterlauf in toten Armen, Sümpfen, stehenden Gewässern, aber zwanzig, dreißig Kilometer oberhalb ihrer Mündung bilden Riffe und Wasserfälle ein unüberwindliches Hindernis für die Schiffahrt. Und auch die Einfahrt vom Meer aus ist nur geschickten und kundigen Bootfahrern vorbehalten, denn Brandung und Sandbänke schaffen ein gefahrvolles Fahrwasser. Das ist ein Land, das nicht leicht vom Meer aus erschlossen werden konnte. Es ist niemals kolonialer Besitz gewesen.
Das „Eiland der Vorsehung Mir gegenüber, mitten im Strom, liegt eine grüne Insel, das ,,Eiland der Vorsehung". Die riesigen Baumwollbäume, die dort stehen, haben ihr Laub jetzt in der Trockenzeit abgeworfen, aber die Stämme sind stark genug, um ein weit sichtbares Spiegelbild quer über den silbersehimmernden Fluß zu- werfen. Es ist genau so wie damals, als vor mehr als einem Jahrhundert auf jener kleinen Insel die seltsame Geschichte dieses verschollenen Landes begann,. Damals, im Januar 1822, brannte die Sonne wie heute Tag für Tag vom wolkenlosen Himmel. Der gleiche Einbaum, den ich vor mir sehe, mit dem gleichen Fetisch am Bug wurde von einem nackten Krumann mit schöngeschnitztem Paddel zum Ufer getrieben. Es hat sich seither wenig verändert am Flusse. So hat es die Phantasie leicht, sich die Ereignisse von damals vorzustellen. Dort in den schilfgedeckten Lehmhütten am Strand verbreitete sich die erregende Nachricht, daß ein großes Schiff weit draußen auf See zu sehen sei und Boote zum Strande entsende. Es waren nicht selten Handelsschiffe an diese Küste gekommen, um Erzeugnisse der aufblühenden europäischen Industrie gegen Sklaven und Elfenbein, gegen Felle und Pfeffer zu tauschen: nicht umsonst hatte man diesen Küstenstrich „Pfefferküste' 1 genannt. Aber diesmal brachte der amerikanische Schoner „Nautilus" keine Handelsware. Im Zeichen der Befreiung der Negersklaven hatte sich einige Jahre zuvor in den Vereinigten Staaten die „American Colonization Society" gebildet und beschlossen, freigelassene Negersklaven aus den USA in .ihre Heimat Afrika zurückzuführen. 1820 war bereits ein mißglückter Versuch weiter nördlich unternommen worden. Die überlebenden dieser gewagten Ansiedlung hatte der „Nautilus" gesammelt und mit den eigenen schwarzen Rückkehrern auf dem Eiland der Vorsehung abgesetzt. Die Bevollmächtigten der amerikanischen Gesellschaft bemühten sich mit großem Verantwortungsgefühl, das Leben ihrer schwarzen Schützlinge vor den drohenden Gefahren zu bewahren. Sie versahen die Ansiedler mit Lebensmitteln, mit Saatgut und Geräten, mit Waffen und Booten. Da die F'ahrt im Zeichen der Menschlichkeit und des Kreuzes stand, sollte das benötigte Land erworben und ehrlich bezahlt 5
• werden. Die Kleinkönige der benachbarten Stämme wurden zusammengetrommelt, und die Amerikaner kauften an der Mündung des Mesurado, des St. Paul River und der nahen Küste des Meeres einen Streifen Land. Zunächst allerdings mußten sich die Neger aus Amerika ihrer Haut kräftig wehren. Kaum hatte der „Nautilus" die Segel zur Heimfahrt nach Amerika gesetzt, da begannen die Feindseligkeiten mit den Eingeborenen. Die feindlichen Brüder hatten nur die dunkle Hautfarbe gemeinsam, sonst trennte sie alles: Glaube, Lebensgewohnheiten und soziale Ordnung. Schon im ersten Sommer und Herbst, in den Monaten der großen Regenzeit, als die t r o pischen Regen mit ungeahnter Gewalt auf die primitiven Hütten donnerten, starben viele der Neusiedler an Malaria, Lungenentzündung und Ruhr, aber mit den Eingeborenen gab es in dieser Zeit nur kleine Geplänkel. Auch der Eingeborene verläßt seine Hütte während des großen Regens nicht gern. Die Trockenzeit ist die Zeit der Kriegszüge. Als die Gewitter und Stürme schwiegen, setzte im November der Angriff von neuem ein. Inzwischen aber waren die Ansiedler von ihrer Insel aufs Festland gezogen. An der Mündung des Mesurado erhebt sich ein steiler, schmaler Höhenzug zwischen Fluß und Meer und streckt eine Felsennase hinaus in die brandende See (s. Karte Seite 7). Das war ein Platz wie geschaffen, um befestigt und verteidigt zu werden und eine auf Fels gegründete, weithin sichtbare Hauptstadt zu tragen. Diese strategisch günstige Lage bewahrte die Heimkehrer vor dem Untergang. Die Kanonen, die der „Nautilus" ihnen zurückgelassen hatte, trieben die vielfache Übermacht zurück. Als am 1. Dezember eine entschlossene amerikanische Negerin, Matilda Newport, für einen gefallenen Kanonier einsprang und die Lunte an das Geschütz hielt, hatte das junge Gemeinwesen auch seine Nationalheldin und seine nationale Legende. Der MatildaNewport-Tag ist heute noch staatlicher Feiertag. Die Siedlung auf dem Felsen am Mesurado wuchs rasch durch neuen Zuzug aus Amerika und wurde zu Ehren des amerikanischen Vorkämpfers der Freiheit, des Präsidenten James Monroe, Monrovia genannt. 1847 schlössen sich die Siedlungen der amerikanischen Neger an der Pfefferküste zu einem staatlichen Gemeinwesen zusammen. 6
In der Südwestecke Afrikas, dort, wo der schwarze Erdteil Südamerika am nächsten ist und sich die Küste nach Westen in den Golf von Guinea erstreckt, liegt der freie Negerstaat Liberia. An der Mündung des Mesurado erhebt sich die Hauptstadt Monrovia.
Die Republik Liberia war geboren. ,,Die Liebe zur Freiheit brachte uns hierher" steht beziehungsvoll in ihrem Staatswappen. Die Verfassung und die Gesetze, die sich der junge Staat gab, waren den amerikanischen nachgebildet. Und auch die Fahne der Negerrepublik verleugnet ihren Ursprung nicht: ein einsamer weißer Stern im blauen Feld des rotweißen Streifenbanners. Die Staats»sprachc ist Englisch, ein Englisch, dessen Aussprache an den weichen Tonfall der Südstaaten Nordamerikas erinnert. Die Gegenwart Liberiens, aber auch vieles, was sonst in Afrika geschieht, ist ohne Kenntnis dieser kurzen Geschichte einer sonderbaren Staatsgründung nicht zu verstehen. Liberia wurde zum ersten Schritt Afrikas in die eigene Zukunft. Von hier sind starke Wirkungen auf andere Völker des schwarzen Erdteils ausgegan-
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gen, und viele der nationalen Vorkämpfer Westafrikas, Männer aus Sierra Leone, Nigeria und der Goldküste sind dem Beispiel der Liberianer gefolgt und haben ihre Bildung in den Vereinigten Staaten erhalten. Die Rückkehrer aus Amerika hingen dem- christlichen Glauben mit tiefer Inbrunst an. Sie fühlten sich, als sie in Afrika an Land gingen, wie die Juden, die aus dsr babylonischen Gefangenschaft in das ihnen von Gott gegebene Land zurückkehrten. Diese Einstellung ist geblieben. Die Zahl der Kirchen, freilich auch die der Sekten, ist groß. Der Gottesdienst am Sonntag ist verbindlich, und jeder Staatsakt beginnt mit einem Gebet, jede feierliche Verkündung des Präsidenten von Liberia schließt mit einer religiösen Formel und der Anrufung Gottes. Die Geschichte Liberias erklärt auch das Bestehen zweier verschiedenartiger Bevölkerungsschichten: der Amerika-Liberianer, jener Heimkehrer aus der Neuen Welt und ihrer Nachkommen, und der Angehörigen der eingeborenen Stämme. Hundert Jahre lang haben die Amerika-Liberianer wie eine Adelskaste das Land beherrscht, die Beamten gestellt und alle politischen Rechte beansprucht. Diese bevorzugte Stellung war nicht gesetzlich verankert, sondern Brauch. Sie ergab sich schon aus der Tatsache, daß die Amerika-Liberianer Schulen besaßen und eine Bildung erhielten, die sie befähigte, ein Gemeinwesen nach westlichem Muster zu verwalten. Heute stehen die Bildungsmittel auch den eingeborenen, Stämmen zur Verfügung, und es rücken immer mehr Angehörige der Vai und der Kru, der Bassa und Kpelle in führende Stellun-. gen. Der Unterschied zwischen beiden Schichten beginnt seine Schärfe zu verlieren. Steigt man von der Wasserseite den steilen Weg zum Kamm des Felsens hinauf, so gelangt man zur Ashmunstraße, der alten Straße der Präsidenten und Ministerien. Hier stehen noch die Häuser der Gründungszeit, schlichte Holzbauten auf hohen, gemauerten Sockeln. Die schönen Maße, das sparsame Schnitzwerk an Türen, Fenstern und Treppen, die offenen Veranden geben ihnen bei aller Hinfälligkeit einen Hauch vornehmer Zurückhaltung. Sie gleichen den Landsitzen des 18. Jahrhunderts der Südstaaten Nordamerikas und erinnern daran, daß die Väter ihrer Erbauer Sklaven in einem fernen Erdteil waren. Aus diesen Pa8
trizierhäusern spricht der Stolz ihrer Besitzer, aus einem rechtlosen Dasein zu den Beherrschern eines Staates aufgerückt zu sein. In der Geschichte Liberiens schlug der zweite Weltkrieg ein neues Blatt auf. Im ersten Jahrhundert seines Bestehens hatte der einzige Negerstaat Afrikas hart um di,e nackte Existenz zu kämp- 1 fen. Der Staat litt ständig unter den wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die Kassen waren leer, oft konnten die Beamtengehälter monatelang nicht gezahlt werden, überteuerte Auslandskredite verschlimmerten dieses Übel. Aufstände der eingeborenen Stämme rissen nicht ab. Den angrenzenden Kolonialmächten Frankreich und England aber war der Negerstaat ein Dorn im Auge, und wiederholt berichtigten sie die Grenzen zu ihren Gunsten. Schließlich schritt, auf britischen Antrag, auch der Völkerbund 1930 gegen Liberia ein, weil man Fälle von Sklaverei festgestellt hatte. Diese fragwürdige Stellung Liberiens änderte sich rasch im zweiten Weltkrieg, als die strategisch wichtige Lage des Landes erkannt wurde und die Vereinigten Staaten ein zweitesmal e n t scheidend in die Entwicklung Afrikas eingriffen. Wer die Weltkarte betrachtet, wird mit e i n e m Blick erkennen, welche Bedeutung dieser Südwestecke Afrikas im Weltverkehr zukommt. Hier liegen sich Amerika und Afrika am nächsten, vor» Monrovia nach Recife in Brasilien ist es viel näher als nach Europa, nur 1720 Seemeilen. Mit dem Flugplatz Robertsfield bei Monrovia, der im Krieg erbaut wurde, und dem ebenfalls mit amerikanischem Geld und amerikanischer technischer Hilfe erbauten modernen Hafen Monrovias (1948) waren die Tore zur Welt aufgestoßen, und die neue Entwicklung konnte beginnen. Doch noch etwas anderes hatte dem Negerstaat plötzlich erhöhte Bedeutung gegeben und die Konsulate der Großmächte fast über Nacht in Gesandtschaften und Botschaften verwandelt, überall in Afrika war der schwarze Mann erwacht und forderte Selbstregierung und Gleichstellung mit den weißen Völkern. Afrika begann seinen eigenen politischen Weg zu gehen. Und Liberien war bereits Mitglied der Vereinigten Nationen, entsandte seine Vertreter gleichberechtigt in viele internationale Organisationen. Unter den Staaten ist Liberien bisher der einzige Vertreter Neger-Afrikas. Ich war begierig, die dunkle Herrenschicht Liberiens kennenn zulernen. Mischte sich auch hier das Äußere der Zivilisation "-* 9
afrikanischer „Wildheit" in jener manchmal grotesken Weise, wie man es oft in den Zeitungen Europas über exotische Herrscher liest? Hatte der Afrikaner dem Europäer nur abgesehen „wie er sich räuspert und wie er spuckt"? Eines Abends folge ich der Einladung in einen Klub, in dem der Staatspräsident Ehrenvorsitzender ist und in dem nur die politisch führende Oberschicht verkehrt. Auf der weiten Dachterrasse des Klubhauses ist es angenehm kühl, von der nahen See weht frisch die abendliche Brise herauf. Ein großer Wagen nach dem anderen, spiegelnd von blankem Lack und Chrom, fährt geräuschlos vor dem Gebäude vor. Und allmählich füllen sich die Plätze um mich herum mit farbigen Herren. Die Gesichter wechseln vom dunklen Ton des Ebenholzes bis zu hellem Kastanienbraun, denn drüben in Amerika haben sich die Völker Afrikas mannigfach gemischt, und es mag mancher Tropfen weißen Blutes dabei gewesen sein. Die Muttersprache der Klubgäste ist Englisch, nur wenige unter ihnen verstehen die eine oder andere Sprache der eingeborenen Stämme. Bei der Vorstellung höre ich wohlbekannte englische Namen: Wilson, Cooper, King, Lawrence, Simpson . . . Ihre Vorväter haben die N a j men ihrer einstigen amerikan. Herren mit nach Afrika genommen. Auch wenn die Säule des Quecksilbers nur von132 auf 30 Grad sinkt, empfinde ich die Luftbewegung in dieser mit Feuchtigkeit gesättigten Atmosphäre als eine Erquickung. An den schlanken Kokospalmen vorbei, deren feine Fächer wie Schattenrisse gegen den noch hellen Abendhimmel stehen, geht der Blick auf den Ozean hinaus. Viele Meter hoch spritzt der weiße Gischt der mächtigen Brandungswogen, und ihr Tosen schweigt keinen Augenblick. In der Ferne sind die Lichter eines großen Schiffs auf Südkurs zu sehen. Die Schiffe, die hier vorbeifahren, zur Goldküste, nach Nigeria, nach Kamerun, zum Kongo und nach Südafrika, halten sich weit vom gefahrvollen Küstengewässer. Zumeist sind esFrachtund Passagierschiffe zugleich, denn die Zeit für das große Passagierschiff scheint hier, auf den langen afrikanischen Schiffswegen, vorbei zu sein. Der eilige Reisende — wer wäre das heute nicht? — zieht es vor, sein Ziel mit dem Flugzeug in Stunden, zu erreichen, wozu das Schiff Wochen braucht. Ich könnte in 24 Stunden in Paris, in 30 Stunden in New York sein. 10
Das Palais des Präsidenten von Liberia
Ich sehe mich in der Gesellschaft um. Das also sind die Mitglieder von Senat und Repräsentantenhaus, Richter, Kabinettsmitglieder, hohe Beamte aus den Ministerien und aus der Verwaltung der Provinzen. Sie sind elegant, liebenswürdig und redegewandt. Der gutmütig blickende Athlet ist der Postminister. Man mag sich wundern, daß es diesen Posten in einem Staate gibt, der weder Briefkästen noch eine Postzustellung kennt. Aber die Devisengewinne, die der Postminister durch immer neue Serien reizvoller Briefmarken hereinholt, rechtfertigen sein Amt. Mit dem Staatssekretär mir gegenüber kann ich.mich deutsch unterhalten, denn seine Mutter war eine Deutsche, und er hat seine Ausbildung in Deutschland erhalten. Er besitzt eine Gummifarin und hat als Kautschuksachverständiger an internationalen Konferenzen teilgenommen. Kautschuk ist der wichtigste Ausfuhrrohstoff Liberiens. 11
Unter all den englischen Namen fällt ein afrikanischer auf: Massaquoi heißt der Stellvertreter des Erziehungsministers, das bedeutet in der Sprache der Vai „Beherrscher der Meere". Seine Vorfahren waren Häuptlinge dieses die Küste bewohnenden Stammes, er gehört somit nicht zur Schicht der Amerika-Liberianer. Die deutsche Universitätsbildung ist dem Enkel des Häuptlings fast anzusehen. Heute vertritt er Liberien bei der UNESCO. Aber noch ein anderer von den Anwesenden gehört den eingeborenen Stämmen an, wenn er auch den englischen Namen Russell trägt, weil er nach oft geübtem Brauch als Knabe von einer amcrika-liberianischen Familie adoptiert worden ist. Es ist der „ChiefJustice", der oberste Richter des Landes, eine würdige Erscheinung mit freundlich lächelnden Augen. Ich weiß, daß er vor der Stadt eine große Ananas-Farm besitzt und aus Mietshäusern beträchtliche Einnahmen zieht. Aus solchen Einkünften kann die liberianische Oberschicht ihre Lebensführung, ihre Reisen nach Europa und den „Staaten", die moderne Lebenshaltung und nicht zuletzt den gesellschaftlichen Aufwand bestreiten. In vorgerückter Stunde erheben sich die Anwesenden: Der Präsident der Republik, William Tubman, erscheint. Er begrüßt jeden einzelnen und setzt sich dann mitten zwischen seine Mitarbeiter. Mit den großen Vollmachten, die ihm die Verfassung gibt, regiert er seit 1944 das Land. Auf seine Tatkraft, sein politisches Geschick und seinen Weitblick ist viel von den großen Fortschritten zurückzuführen, die Liberien im letzten Jahrzehnt erreicht hat. Tubman ist von mittlerer Gestalt, sehr dunkel; hinter funkelnden Brillengläsern ein scharfer, aufmerksamer Blick, lebhaft, witzig, voll Lebenskraft. Er unterhält sich mit gleicher Sachkenntnis über politische, wirtschaftliche und theologische Fragen. Wie so viele afrikanische Politiker war er Prediger, Lehrer, Rechtsanwalt, ehe er in die höchsten Ämter des Staates rückte. Beim allgemeinen Aufbruch sehe ich mich nach dem weißgekleideten Diener um, um meinen Whisky zu bezahlen. Aber der Postminister klopft mir freundschaftlich auf die Schulter und sagt lächelnd: „Alles geht auf Rechnung des Präsidenten!" — Ein guter Landesvater, denke ich.
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Der Weiße im Negerstaat Wie ist die Stellung der Weißen in einem afrikanischen Lande, in dem der Schwarze Herr im eigenen Hause ist und kein Weißer Staatsbürger werden oder Grundbesitz erwerben kann? Diese Frage r ü h r t an die Zukunft Afrikas; denn morgen und übermorgen werden auch andere Völker Afrikas ihre Unabhängigkeit von den europäischen Kolonialmächten erreicht haben. Wer zum ersten Male zu Schiff aus Europa kommt und gehört hat, daß in der Negerrepublik nur schwarze Afrikaner Beamte werden können, wird eine Überraschung erleben, wenn auf den Ruf der Schiffssirene die Hafenbarkasse auf die Reede herauskommt. Die ersten Männer, die den Sprung auf das in der hohen Dünung tanzende Schiff machen, sind keine Schwarzen. Der Hafenlotse ist ein Weißer, vielleicht ein Holländer oder ein Deutscher, und auch der Hafenarzt ist Europäer. Der Kommandant des Hafens ist ein Amerikaner. Aber die Polizei- und Zollbeamten sind schwarze Liberianer. Auch sonst findet man Weiße in hohen Stellungen in Liberien. Amerikaner im Schatzamt, Deutsche und Franzosen in der Gesundheitsverwaltung, Europäer und Amerikaner als Ingenieure' und Techniker in staatlichen Planstellen, auch als Lshrer an der Universität. Aber sie sind keine Beamten und können keine werden. Sie sind mit kurzfristigen Verträgen angestellte Berater, Fachleute zur Bewältigung bestimmter Aufgaben. Wenn man bedenkt, daß nur wenige Prozent der Kinder in Af-, rika die einfachste Schulbildung erhalten können, wird man verstehen, daß es an Fachleuten fehlt. Die dfer raschen Entwicklung nachhinkende Statistik gibt die Zahl der Schulen in Liberien mit 270, die der Elementarschüler mit rund 24000 an. Diese Zahl wäre weit höher, wenn es mehr Lehrmöglichkeiten und mehr Lehrkräfte gäbe. Denn an Lerneifer fehlt es nicht. Wenn ich durch die Straßen Monrovias schlendere, bleibe ich manchmal vor einem unschönen Zementbau stehen, aus dem d^s Gemurmel lesender Stimmen oder Frage und Antwort in einem Ton zu hören ist, der in allen Weltteilen die Schule verrät. Der Blick durch die offenen, unverglasten Fenster in das dämmerige: Innere zeigt auf rohen Bänken 50, manchmal gar 100 junge Leute 13
zwischen 10 und 30, die von einem schwarzen Lehrer in das Ge- j heimnis des Lesens und Schreibens eingeführt werden. Die gespannte Aufmerksamkeit in den dunklen Gesichtern, die glänzenden Augen, die nachdenklich gekrausten Stirnen zeigen den Eifer, mit dem das Grundwissen der Zivilisation hier erworben wird. Der Liberianer weiß es genau, daß er den weißen Fachmann zur Entwicklung seines Landes nicht entbehren kann. Und er erkennt seine Arbeit auch dankbar an. Daraus ergibt sich die Stellung des Weißen im Negerstaat: Er ist willkommen und er wird geachtet. Es gibt in Liberien keinen Rassenhaß, weil es keine Rassenschranke gibt und der Schwarze keinen Anlaß hat, den Weißen als Ausbeuter seines Landes oder seiner Arbeitskraft anzusehen. Man muß allerdings hinzufügen, daß der Weiße sich hüten muß, an die nationale und rassische Empfindlichkeit der Liberianer zu rühren. Diese Empfindlichkeit, ja Überempfindlichkeit, ist aus der Geschichte und der in anderen Teilen Afrikas noch bestehenden Rassenungleichheit zu erklären. Man muß den Neger als gleichberechtigten Menschen anerkennen und muß es ihm zugestehen, daß er die Verhältnisse in seinem Staat in mancher Hinsicht anders regelt, als das in Europa üblich ist. Wenn ich die Karte Liberiens vor mir ausbreite, könnte ich die Namen der verstreut im Lande lebenden Weißen leicht kenntlich machen. An den wenigen größeren Küstenorten würden sie sich etwas häufen, aber im Hinterland würde eine solche Ergänzung die Landkarte nicht viel verändern. Aber ich muß doch eine Einschränkung machen: es gibt zwei große, auf meiner Karte zwar klein wirkende Bezirke, in denen so viele Amerikaner leben und ihrem Beruf nachgehen, daß ich sie nicht vermerken könnte. Das sind die Gummiwälder der FirestoneGesellschaft. Sie beschäftigt 30000 schwarze Arbeiter zum Zapfen, zu Neuanpflanzungen und zur ersten Verarbeitung des Gummisafts. Bei einem solchen Umfang eines Unternehmens sind viele weiße Fachleute zur Aufsicht, für die technischen Vorgänge, für die ärztliche Betreuung, für die Versorgung mit Lebensmitteln und allen anderen notwendigen Dingen unentbehrlich. Das große Unternehmen von Firestone liegt 45 Meilen nordöstlich von Monrovia, ein kleineres ganz im Süden bei Kap Palmas. Die im Land verstreut lebenden Weißen sind Missionare, Ärzte 14
und Kaufleute. Die katholischen Missionare sind zumeist Iren die lutherischen und auch die Methodisten und Baptisten sind Amerikaner. Vereinzelt trifft man auch englische Missionare. — Die Ärzte sind von der Regierung angestellt und behandeln die eingeborene Bevölkerung kostenlos. Sehr viele von ihnen sind Deutsche. Die Kaufleute haben eigene Geschäfte gegründet oder sind Verwalter der Faktoreien deutscher oder holländischer Ausfuhrfirmen. Sie verkaufen Industrieerzeugnisse und importierte Lebensmittel, und sie kaufen von den Eingeborenen Palmkerne und Piassavafasern zur Ausfuhr nach Europa. In den letzten Jahren ist zu diesen Berufen noch eine andere Gruppe Europäer getreten: die Koloniallandwirte. Im Hinterland bei Ganta gibt es eine amerikanische Landkonzession, auf der deutsche Fachleute Kakao und Kaffee anbauen, und in der Nähe von Greenville, 40 Kilometer von der Küste entfernt, ist eine große deutsche Bananenplantage im Entstehen. Es ist ein großzügiges Unternehmen der Afrikanischen Frucht-Compagnie in Hamburg, die im Jahre 1953 eine Konzession über ein Gebiet von 243 000, Hektar erhielt. Die Deutschen bauen hier einen eigenen Hafen und eine Feldeisenbahn, die fertig sein werden, sobald der Umfang der Anpflanzungen den Einsatz von Bananenschiffen von Hamburg nach Liberien lohnt. Auch Versuchskulturen von Kaffee und Kakao sind hier angelegt. Die meisten Weißen wohnen in der Hauptstadt Monrovia, wo fast alle Geschäfte in den Händen von Ausländern sind. Zu den Kaufleuten gesellen sich hier die von" der Regierung angestellten Fachleute, ferner die Angestellten großer amerikanischer Firmen und europäischer Exporthäuser, dann die Geistlichen der verschiedenen Kirchen und schließlich eine große Zahl Angehöriger verschiedener Berufe, die, von Unternehmungslust oder widrigen Verhältnissen getrieben, in Liberien ein freundliches Gastland gefunden haben. Die Europäer und Amerikaner haben meist ihre Familien mit nach Afrika gebracht. Die Zeit ist vorbei, in der gerade dieser westafrikanische Küstenstrich als Grab des weißen Mannes galt. Die großen Fortschritte der Tropenmedizin haben die Schrecken sehr vieler tropischen Seuchen gebannt. Zwar ist die Infektion mit Malaria, der verbreitetsten Krankheit der Welt, in Liberien 15
fast unvermeidlich, auch wenn der Weiße in sorgfältig „verdrahtetem", d. h. mit feinstem Maschendraht verschlossenem Hause lebt und sich nachts durch ein Moskitonetz schützt. Aber die neuen Malariaheilmittel können vorbeugend genommen werden und vernichten den Parasiten, bevor er sein Zerstörungswerk ausführt. So wachsen auch die Kinder der Europäer in diesen tropischen, feuchtheißen Gebieten gesund heran. Fragt man die in Monrovia tätigen Europäer danach, wie die Zusammenarbeit zwischen Weiß und Schwarz ist, so hört man im allgemeinen: ausgezeichnet. Das gilt für den Baumeister, der 100 oder mehr Arbeiter auf seinem Bau beschäftigt, und auch für den Ingenieur, der mit staatlichen Dienststellen zu tun hat. Mancherlei freundschaftliche Beziehungen überbrücken die naturgegebenen Gegensätze. Wer das Verhältnis von Schwarz und Weiß beobachtet, wird eine vielleicht anfangs überraschende Tatsache bemerken: Der Neger achtet eine Eigenschaft des Europäers besonders hoch ein, die ihm selber oft fehlt — die Zuverlässigkeit. Und man erkennt, daß Zuverlässigkeit ein Wert ist, der nicht einfach von der Natur gegeben ist, sondern in Tradition und Erziehung ruht. Solange nicht eine breite Schicht der Afrikaner diesen Wert errungen hat, werden an verantwortungsreichen Posten immer noch' Fremde unentbehrlich sein.
Im Lande der Häuptlinge Man kennt Liberien nicht, wenn man nur in Monrovia gelebt hat, obgleich das Schicksal des Landes, die Richtung seiner Entwicklung, zweifellos in der arbeits- und gewerbereichen Hauptstadt bestimmt wird. Aber schließlich ist Monrovia, auch wenn die Bevölkerungszahl sich im letzten Jahrzehnt verdoppelt hat und eine Wasserversorgung und ein Telefonnetz entstanden sind, immer noch eine Stadt von nur 20000 Einwohnern. Und das Land ist weit, und die Eingeborenen sind der Stoff, aus dem auf weitere Sicht die Zukunft geformt wird. Das Staatsgebiet umfaßt rund 43000 Quadratmeilen, also etwa die Flächen der Schweiz, Belgiens und Hollands zusammengenommen. über die Zahl der Gesamtbevölkerung hat man noch vor wenigen Jahren gerätselt. Auch die Schätzungen der Regierungsstellen lagea 16
weit auseinander. Liberien ist zu 80 Prozent mit Wald bedeckt davon sind 40 Prozent ursprünglicher Hoher Busch, also niemals gerodeter tropischer Regenwald. Betrachtet man das Straßennetz des Landes, so erscheint es als ein dünner Stamm mit nur wenigen kurzen Ästchen. Zudem quert dieser Stamm das Land an seiner schmälsten Stelle. So ist es verständlich, daß eine Zählung der Bevölkerung fast unmöglich ist. Zwar muß für jede Hütte im Jahr eine Hüttensteuer von drei Dollar entrichtet werden, aber niemand kann wissen, wieviele Steuerzahler sich vor dem Auge des Gesetzes verbergen und wieviel von den Steuergeldern auf dem Wege zur Hauptstadt verloren geht. Der Urwald deckt vieles zu. Die praktischen Amerikaner haben in wochenlangen Flügen Luftaufnahmen des Landes gemacht, die Hütten auf den Fotos gezählt und diese Zahl dann mit 7 multipliziert. Sie kamen dabei auf eine Bevölkerungszahl von 1,5 Millionen. Da man annehmen muß, daß den Beobachtern aus der Luft manches entgangen ist, dürfte die Zahl
Jungen aus dem Stamme der Fanti beim Netzknüpfen
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von 2 Millionen Einwohnern der Wirklichkeit am nächsten kommen. Als zivilisiert gilt ein schmaler Küstenstrich. Im Grunde sind es nur die neun oder 10 alten Siedlungen der Neger aus Amerika. Hier — in Robertsport, Buchanan, Greenville, Harper und wie die Orte sonst heißen — leben ihre Nachkommen noch heute. Die Gesamtzahl der Amerika-Liberianer, einschließlich jener in Monrovia und einigen größeren Orten des Hinterlandes, kann man auf annähernd 20000 schätzen. Die meisten von ihnen sind Beamte, manche Handwerker. Auch die Verbindung beider Berufe ist möglich. Ein Poststellenleiter kann nebenbei Schneider sein und ein Bürgermeister Goldschmied. Die Küstenplätze sind nur von der See mit Brandungsbooten erreichbar oder mit dem Flugzeug. Küstenstraßen gibt es nicht, denn die breiten, sumpfigen Mündungen der Flüsse lassen den Bau von Straßen kaum zu. Die unbefestigten roten Straßen ins Innere enden nach wenigen Kilometern im Busch. Ihre verkehrsferne Lage gibt diesen Orten etwas schläfrig Verträumtes. Immerhin sind sie Stätten der Bildung. Hier gibt es Regierungsschulen und Schulen der verschiedenen Missionen. Der uneigennützigen Arbeit der Missionen verdankt Liberien viel. Wenn auch die Erfolge ihrer eigentlichen Missionstätigkeit unter den Eingeborenen bescheiden sein mögen, so leisten sie auch Pionierarbeit durch ihre Schulen, durch die Ausbildung von Lehrern, durch ärztliche Betreuung der Eingeborenen und an manchen Stellen durch handwerkliche Unterweisung und den Anbau von Kulturpflanzen. Die Küstenorte werden Städte genannt, aber man darf sie sich nicht wie Städte im europäischen Sinn vorstellen. Meist besitzen sie nur e i n e Straße, jene Wasserseite am Strand, an der die Kaufläden der auswärtigen Firmen und die Buden der einheimischen Händler stehen, an der die Markthalle liegt, vielleicht auch das Postbüro und ein paar Wohnhäuser und Hütten sich ausbreiten. In den hier gelegenen Höfen und Schuppen der Faktoreien werden die Landesprodukte gesammelt, bis ein europäisches Schiff am Horizont erscheint, weit draußen vor Anker geht und darauf wartet, daß die Palmkerne oder die Piassava, die Blattfasern der Palmen, mit Booten durch die hochschäumende Brandung und zwischen den Riffen hindurch herangebracht werden. Sonst gibt es nicht viel Bemerkenswertes in diesen Städten. Die 18
Häuser der Zivilisierten und die Hütten der Eingeborenen liegen weit verstreut in verwilderten Gärten, zwischen Büschen, Grasland, Palmen und breitausladenden Mangobäumen. Es gibt fünf oder sechs Kirchen, es gibt das schlichte Verwaltungsgebäude, von dem aus der mächtige „Superintendant" seinen Bezirk regiert und vor dem das Dutzend Polizisten, morgens um sechs, Gleichschritt übt. Die Radiostation, die Schule, das Gericht — alle diese Gebäude fallen nicht auf, stechen von den zweistöckigen Wohnhäusern mit den umlaufenden Veranden kaum ab. Die Gesandtschaften liegen zumeist in schmucken Gärten, eine Anzahl gefälliger einstöckiger Bauten zwischen Rasenflächen mit blühenden Büschen. An die Stadt schließen sich immer Siedlungen der Eingeborenen an. Die Dörfer der Eingeborenen unterstehen eigenen Häuptlingen, aber dieses Küstenland ist doch nicht das lockende, geheimnisvolle Land der Häuptlinge und Zauberer. Das liegt landeinwärts. Immer schon hat es mich angezogen, haben mich die Geschichten von dort und seine in den Straßen Monrovias auftauchenden Sendboten gefesselt. Und eines Tages bin ich dorthin unterwegs, mit geringer Ausrüstung, aber mit einem schwerwiegenden Geleitbrief der Regierung. Er ist an alle hohen Beamten und alle Oberhäuptlinge, Stammeshäuptlinge und Ortshäuptlinge gerichtet und besagt, daß ich im Einvernehmen mit der Regierung reise und jeder gehalten ist, mir Unterstützung zu geben und Träger zu stellen. Ein Ministerialbeamter hat sich in liebenswürdiger Weise erboten, mich mit seinem Wagen bis ans Ende der einzigen Straße ins Hinterland zu bringen, dann muß ich selber sehen, wie ich weiterkomme. Lange vor Sonnenaufgang breche ich auf, um das Ziel dieses Tages vor der Mittagshitze zu erreichen. Die große amerikanische Limousine, bequem, aber allzu gut gefedert, schaukelt auf der unbefestigten, holperigen Straße wie ein Schiff bei hoher Dünung. Der Wagen ist schwer beladen, denn außer meiner Ausrüstung muß auch das Benzin für Hin- und Rückfahrt mitgeführt werden. Im Scheinwerferlicht huschen die ausgedehnten Vororte Monrovias vorüber, die schönen Bungalows der Europäer und reichen Liberianer, die prunkvolle Villa eines Syrers, Hütten und armselige Bretterbuden, in denen Arbeiter und Diener hausen. Dann geht es durch die süß duftenden meilenweiten Gummiwälder von Fiiestone. Dann folgen Ölpalmenwälder, der undurchdringliche 19
niedere Busch, Eingeborenendörfer. Die häßlichen Wellblechbuden machen allmählich sauberen, blättergedeckten Lehmhütten Platz. Nach einigen Zwischenhalten bin ich abends in Gbanga. Ein großer, lebhafter Ort mit vielen Verkaufslagern. In der katholischen Mission finde ich gastliche Aufnahme. Ich freue mich, einen kleinen Gegendienst leisten zu können und einen dicken Sack mit Post aus Europa bei der Weiterfahrt mitzunehmen, der für die letzte Missionsstation am Ende der Straße bestimmt ist. Er hat schon lange auf eine Gelegenheit gewartet. Bald ist Ganta erreicht, nahe der Grenze v o n f ranzösisch-Guinea, Sitz des Provinzkommissars und Garnison. Die Soldaten hausen in niedrigen Lehmbaracken. Ich mache dem Gouverneur meinen Besuch und weise den Geleitbrief der Regierung vor. In der schönen Empfangshalle werde ich gastlich bewirtet. Am Abend bin ich in Sanniquelli, in großartiger, bergiger Landschaft. Der Wagen kehrt nach Monrovia zurück, und ich habe Zeit, mich auf ein anderes Verkehrsmittel vorzubereiten. »
* Schon unterwegs waren mir an der Straßs neue, großs Rodungen aufgefallen. Unternehmungsfreudige Liberianer, meistens Beamte, legen hier im fruchtbaren Hinterland Kulturen von Kaffee und Kakao an. Man schlägt den Urwald, läßt das geschlagene Holz an Ort und Stelle von der Sonne trocknen, brennt die Fläche vor Beginn der Regenzeit kahl und pflanzt dann in den von der Asche gedüngten Boden. In den ausgedehnten Gärten des Provinzkommissars in Ganta sah ich dann, was Fruchtbarkeit des Bodens und Gunst des Klimas hervorbringen können. Es war ein geradezu paradiesisches Bild, das mich hier entzückte. An einen fruchttragenden Hain, aus dessen üppigem Laub prachtvolle Pampelmusen, Orangen und Zitronen leuchteten, schlössen sich Ananasfelder und Gemüsekulturen. Papayas, Eddu, Butterbirnen, roter und grüner Pfeffer und viele andere köstliche afrikanische Pflanzen gedeihen dort neben Gurken, Kohl und Tomaten. — Die weitausladenden Fruchtbäume in den Dörfern umher scheinen jeder eine Welt für sich zu bilden: die Mangobäume mit Tausenden von großen gelben Pflaumen und die 20
Markt vor einem Gummiwald
knorrigen, vielverzweigten Brotfruchtbäume mit ihren großen, glänzenden, dunkelgrünen, breit gefiederten Blättern und den runden grünen Früchten von stattlicher Größe. Und dieses fruchtbare Land kostet nur 60 Cent je Hektar. Das Hinterland Liberiens, das den weitaus größten Teil des Staatsgebiets umfaßt, ist ein hügeliges Waldland, dessen weite Hochflächen zwischen 300 und 500 Meter über dem Meer liegen, während sich einzelne Berge bis zu 1500 Meter erheben. Auf den höchsten Erhebungen ist das Klima so schön, wie man es sich für einen Luftkurort nur wünschen kann. Aber auch auf den mittleren Höhen von 400 Metern lebt es sich weit angenehmer als an der Küste. Tagsüber brennt zwar die tropische Sonne mit unverminderter Kraft, aber nachts sinkt das Thermometer oft bis 24" C. Hier sind auch die Regenfälle weniger anhaltend, entscheidend für das Wohlbefinden des Menschen aber ist die geringere Luftfeuchtigkeit. 21
Dieses Land wird von Häuptlingen nach den alten Gesetzen und Bräuchen der Stämme verwaltet. Die Dörfer oder „Towns", wie sie hier heißen, werden \ o m Ortshäuptling, dem Townchief, beherrscht. Ihm übergeordnet ist der Stammeshäuptling, Clanchief genannt. Fünf oder sechs Clanchiefs unterstehen dem höchsten eingeborenen Herrscher, dem Paramountchief. Es ist dem Distriktskommissar der Regierung verantwortlich. Die Regierung in Monrovia hat nicht den Fehler gemacht, der in vielen Teilen Afrikas die Verhältnisse so heillos zerrüttet hat; sie hat die althergebrachte soziale und politische Ordnung nicht zerstört und einem unverständlichen zentralen Willen unterworfen. Behutsam wird die Angleichung der urtümlichen Welt an die Erfordernisse des modernen Lebens vollzogen. Diese Angleichung bedeutet, daß gewisse, einst allgemein verbreitete Einrichtungen, wie die Sklaverei und das Verpfänden von Menschen verboten sind, daß dem Häuptling die Entscheidung über Leben und Tod genommen ist und daß der übermächtige Einfluß der Geheimgesellschaften und der „ Z o ' s " , der Medizinmänner und Zauberer, ständig zurückgedrängt wird.
Das einzige Verkehrsmittel in den Urwaldgebieten ist die „Hammock", die aus Bast geflochtene Reisehängematte. Zum Schutz ge* gen die sengende Sonne ist sie mit einem leicht gewölbten Dach aus Holz versehen, und zwei starke Querleisten, hinten und vorn, dienen zum Tragen. Sobald der Reisende Platz genommen hat, heben die vier Träger diese Reiseschaukel hoch, setzen sich die Traghölzer auf die Köpfe, und dort, auf einem aus Blättern geflochtenen Kranz, ruht sie mit merkwürdiger Beharrlichkeit. Selten nur werden die Hände zu Hilfe genommen, wenn schwierige Wegstrecken ein Halten oder Hochstemmen der Hammock notwendig machen. Wochenlang war ich in den Urwäldern unterwegs, und doch überwältigten mich immer wieder die rauschenden Empfänge in den „Towns". Wohl gab es auch Siedlungen am Weg. die von der Bevölkerung fluchtartig verlassen zu sein schienen. Nur ein paar alte Frauen und Kinder blickten scheu auf unsere hastende bewaff22
nete Schar. Aber zumal in den Residenzorten der Stammeshäuplinge war unser Eintreffen ein Fest. Der Hohe Busch hat dem nachwachsenden Busch Platz gemacht. Am Wege ist unregelmäßig in den Wald gebranntes Farmland zu erkennen. Mächtige Mangobäume überschatten den breiter gewordenen Pfad. Von der Höhe hört man die Trommeln der Eingeborenenstadt. Längst weiß man dort, daß seltene Gäste kommen. Als die Karawane das erste Gatter erreicht, krachen Schüsse aus hundert Gewehren, jauchzende Rufe einer großen Menge werden hörbar. Das Trommeln wird lauter und schneller. Die nebenher laufenden Ersatzträger reißen grüne Zweige von den Büschen und stecken sie ins Haar. Und die müden Träger unter den Hammocks tanzen zum Takt der Trommeln! Ich sehe in lauter strahlende, lachende Gesichter. Großartig ist die Lage des Ortes auf schmalem, steilem Bergrücken. Wie so viele Siedlungen der Gios ist er auf der Höhe angelegt, um leichter verteidigt werden zu können. Die Zeit der Stammeskämpfe und Sklavenjagden liegt noch nicht lange zurück. Von hier aus der Höhe bietet der Urwald den machtvollsten Anblick: Soweit das Auge sieht, bis zu den blauen Höhen am Horizont, breiten sich lückenlos die Kronen der Baumriesen. Man begreift, daß der Gott des Landes, Gonola, der Geist des Urwaldes ist, der Vater aller Dinge und Wesen. Die hohen spitzen Dächer der 200 Hütten ziehen sich in langen Reihen bis zu einer Gruppe riesenhafter Bäume, die kultische Bedeutung haben: Mit ihrem Gedeihen ist das der menschlichen Gemeinschaft schicksalhaft verknüpft. Die Hütten stehen nahe beieinander und zwischen ihnen ist jedes Pflänzchen entfernt, um Schlangen und Ungeziefer den Unterschlupf zu nehmen. Am Ende des Bergrückens, auf seiner höchsten Stelle, liegt der „Compound", der umzäunte Amtssitz des Stammeshäuptlings. Um das Haus des Häuptlings breiten sich in weitem Bogen die Frauenhäuser, die Koch- und Badehütten, das Gästehaus und das Gefängnis. Vor seinem Haus, einem großen, viereckigen Lehmbau mit hohem Dach aus starken Lagen trockener Palmblätter, erwartet mich der Stammeshäuptling, von Ältesten und Würdenträgern umgeben. Er nimmt den ersten Schluck aus der Kalebasse mit Palmwein, 23
die er mir als Willkommenstrunk reicht, zum Zeichen, daß der Trank nicht vergiftet ist. Da weht es mich von der Nachtseite afrikanischen Lebens an. Nach feierlichen Reden und Zeremonien beginnt ein Volksfest. Die Frauen des ^Dorfes nahen in feierlich langsamem Schritt-Tanz, klatschen rhythmisch in die Hände und singen einen Willkommensgruß. Dann kommen die Spielleute — hocken sich auf den Boden, lassen die tönenden Rasseln und Trommeln klingen und singen alte Lieder und neue Spottverse. Der Medizinmann des Dorfes führt acht Mädchen herbei, die gerade aus dem „Busch" kommen, dem tief im Urwald verborgenen Erziehungslager der Sande-Gesellschaft. Die Ausbildungszeit der Mädchen im „Busch" kann einigj Wochen oder Monate, aber auch zwei Jahre dauern. Der Frauenbund „Sande" lehrt seine jungen „Schwestern" neben den praktischen Fähigkeiten des Le-
Ruhe und Heiterkeit zeichnet das Leben in den schonen Urwalddörfern Liberias aus. An Markttagen kommen viele hundert Eingeborene aus der Umgebung in das malerisch gelegene Dorf, dem Sitz eines Starameshäuptlings
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bens, der Bodenbestellung, der Essensbereitung, den Kenntnissen der Nutzpflanzen, der Kinderaufzucht, auch die sittlichen und religiösen Lehren des Stammes, und das, was man bei uns „gutes Benehmen" nennen würde. Dazu gehört der Tanz als Ausdruck von Empfindungen und als Steigerung des Lebensgefühls. Die Mädchen aus dem Busch zeigen ihre Kunst, sie tanzen ihr Leben, die eigene Zukunft: sie zeigen im Tanz, wie sie die Hausarbeit verrichten werden, wie sie sich schmücken, wie sie den Mann versorgen und das Kind hegen werden. Kochen, Putzen, Wasserholen, Saat und Erntearbeit finden ihre Darstellung im Tanz. Ein kunstvoller Wechselgesang begleitet die Vorführung. Die Stämme im Inneren Liberiens gehören zu den noch unberührtesten Afrikas. Wer unter ihnen geweilt hat, wird tief beeindruckt sein von der Ordnung, in der das Leben dieser „ W i l den" verläuft. Geburt und Tod, Heirat und Scheidung, Mahl und Trank, Fest und Begrüßung, Tanz und Spiel, alles hat seine überlieferte Form. Der Willkür des einzelnen sind durch eine strenge Sitte feste Schranken gesetzt. Man begreift, daß diese Formen, die wie ein kunstvolles Gespinst das Leben des primitiven afrikanischen Menschen umschließen und schützen, nicht leicht d>irch eine andere Ordnung zu ersetzen sind. In Liberien sind viele Stämme zu Hause; man zählt im allgemeinen 24. Sie sprechen 28 verschiedene Sprachen oder von einander abweichende Dialekte, sie haben verschiedene Sitten und Gewohnheiten. Auch körperlich weichen sie stark voneinander ab. Aber bei all diesen Verschiedenheiten gibt es Grundlagen des Lebens, die ihnen allen gemeinsam sind. Dazu gehört vor allein die Stellung des einzelnen Menschen in der Gemeinschaft: Er bedeutet nicht viel. Recht und Wohlergehen der Familie und des Stammes haben stets den Vorrang. Gemeinsam ist ihnen auch allen der demokratische Zug, das Despotische liegt ihnen nicht. Die Häuptlinge werden gewählt, und ihre Macht wird überwacht durch den Rat der Alten, diirch die Geheimbünde, und vor allem durch den in ganz Westafrika verbreiteten Poro-Bund. Diese Geheimbünde waren eine wesentliche Grundlage des sozialen und religiösen Lebens in Westafrika. Heute ist ihre Macht begrenzt, aber noch üben sie einen schwer abschätzbaren Einfluß aus. Noch vor 20 Jahren hat die geheime Leopardengesellsehaft eine Provinz Li25
beriens terrorisiert. Zahlreich waren die Opfer, die man in der Nähe der Dörfer, von Leopardcnkrallen zerfetzt, fand. In Leopardenfelle gehüllt, schlichen die „Leopardenmenschen"' nachts durch die Dörfer. Die Regierung setzte diesem Treiben ein Ende. In früherer Zeit bildeten sich andere Geheimbünde, die den Kampf gegen solche Auswüchse aufnahmen und so das Gleichgewicht wieder herstellten. Die starke Gebundenheit des einzelnen an Familie und Stamm bestimmt besonders die Stellung der Frau. Das aus dem ,Busch' zurückkehrende Mädchen wird gegen den üblichen Brautpreis von 50.— Dollar dem den Eltern genehmen Bewerber gegeben. Die Zahl der Frauen ist nicht beschränkt, sie ist eins Frage des Vermögens und der sozialen Stellung. Es wäre aber ein Irrtum anzunehmen, daß die afrikanische Frau ein geknechtetes, unglückliches Wesen wäre. Die Frau ist nicht rechtlos, nur keine eigene Rechtsperson. Sie kann ihr Recht nur als Frau ihres Mannes oder als Mitglied ihrer Familie finden. Wenn zwei Frauen eines Mannes sich streiten und handgreiflich werden, so kann der Mann wegen Friedensbruches verurteilt werden, nicht die Frauen. Auch ist eine Scheidung möglich, wenn auch letztlich die Familie darüber entscheidet, weil sie gegebenenfalls den empfangenen Brautpreis zurückzuzahlen hat. Es gehört zu den seltsamen Zügen dieses merkwürdig geschichteten Landes, daß man in Monrovia aus dem modernen Getriebe der Ashmunstraße in den Eingeborenengerichtshof treten kann und Zuschauer in einem Prozeß wird, der sieh gewissermaßen in einem früheren Zeitalter, im afrikanischen Mittelalter, abspielt. Es mag dabei um die Frage gehen, ob Kochtöpfe zum Brautpreis gehören oder als freies Geschenk anzusehen sind, oder um das verzwickte Erbrecht, wenn ein Mann einen Familienältesten wegen eines Ochsen verklagt, den der Großvater des Klägers einem Großonkel des Beklagten vor 60 oder 70 Jahren geliehen hat. Es ist unverkennbar, daß dieses afrikanische Mittelalter, wie es sich uns heute noch in Liberien in urwüchsiger Lebendigkeit zeigt, dem Andrang der Zivilisation nicht standhalten kann. Die Zivilisation schreit nach Menschen, sie braucht sie für die entstehende Industrie, sie benötigt sie im Hafen, auf den wachsenden Pflanz Zungen, sie kann sie bei hundert Diensten in der sich ausdehnen26
den Stadt nicht entbehren. Und das Dorf im Urwald gibt sie her. Die Lastwagen der Firestone-Gesellschaft fahren umher, soweit nur die Straßen reichen. Und die Häuptlinge geben den Werbern junge Leute mit. Eng zusammengedrängt sieht man sie auf den Wagen, wenn sie zu den Gummiwäldern nahe der Küste zurückkehren. Aber auch andere der jungen Generation hören den Ruf der Zivilisation. Das Abenteuer, die märchenhaften Berichte von unerhörten Dingen verlockt den einen, ein anderer braucht Geld für eine Frau, den dritten mögen Schulden drücken oder ein böser Familienvater. So sind di,e Gründe mannigfach, die die jungen Leute aus den Dörfern und der Stammesgenieinschaft treiben. Manche kehren zurück, aber sie vermehren nur die entstandene Unruhe. Ein alter Häuptling sagte mir: „ W e r einmal aus fremder Reisschüsse] aß, ist ein verwandelter Mensch". Diese Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Aber es kommt darauf an, daß diese beginnende Verwandlung Afrikas nicht überstürzt wird, daß man dem Afrikaner Zeit läßt, die schwierige Angleichung an die moderne Welt zu vollziehen. Das Alte darf nicht zerstört werden, sonst findet auch das Neue keinen Grund; es muß aus dem Bestehenden erwachsen. Das wird weitgehend über Glück und Unglück Afrikas entscheiden.
Der Reichtum Libei-iens Die natürlichen Reichtümer Afrikas sind erst spät entdeckt und genutzt worden. Jahrhundertelang lockte Afrika die FVemden nur durch Sklaven und Elfenbein. In unserem Jahrhundert kamen in großem Umfang die Bodenschätze, beginnend mit Gold und Diamanten, und die Erzeugnisse der Pflanzungen hinzu. Und erst der zweite Weltkrieg verlängerte die Liste der afrikanischen Erzeugnisse ins fast Unübersehbare und machte den dunklen Erdteil zum „letzten Lagerhaus strategischer Rohstoffe", wie die Amerikaner sagen. ' Ähnlich ist es der Wirtschaft Liberiens gegangen. Inmitten eines natürlichen Reichtums war Liberien ein armes Land. Und heute noch herrscht dieser Eindruck der Armut vor, aber er beginnt sich zu verwandeln.
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Der Eingeborene besitzt fast nichts. Das Land ist Eigentum des Stammes und wird den einzelnen Familien nur zur Bebauung durch den Häuptling zugeteilt. Das lange Haumesser ersetzt oft jedes andere Handwerkszeug. Der Hausrat ist dürftig; eiserne Töpfe, Tontöpfe, Schüsseln und Kalebassen genügen zumeist den einfachen Bedürfnissen. Ebenso bescheiden ist die Einrichtung: Matten, vielleicht ein Stuhl, eine Hängematte, ein geflochtener Sessel. Was die Kleidung betrifft, so sind sie mit dem, was sie am Leibe tragen, zufrieden. Reichtum gibt es wenig, denn es fehlen alle Möglichkeiten ihn zu erwerben; nur die Häuptlingsfamilien verfügen über einen gewissen Wohlstand. Schön ist der Schmuck der Frauen aus reinem Gold. Die Nahrung ist einfach und in der Zeit vor der Ernte oftmals knapp. Vielfach besteht ein Mangel an Fleisch und Fisch. Reis und Kassawa (in anderen Gegenden Afrikas Maniok genannt) und Palmöl sind die Grundlage der Ernährung. Früchte, u. a. Bananen und Planten, grüne Gemüse, Vögel und allerlei Kleinigetier, kommen hinzu. Auch Haustiere werden gehalten, aber selten gefüttert, sie bleiben fast zwergenhaft klein: Hühner, Ziegen, Schweine. i Der Anbau des Eingeborenen deckt im allgemeinen nur den eigenen Bedarf und den der Familie. Die Hüttensteuer und gelegentliche' Abgaben an den Häuptling oder nicht zu vermeidende Gerichtsstrafen werden aus dem Erlös von gesammelten Früchten der wildwachsenden ölpalmen bezahlt. Diese wichtigste Quelle baren Geldes für den Eingeborenen ist von den Schwankungen des Weltmarktes abhängig: Wenn die ölpreise steigen, dann klettern auch die Eingeborenen auf die hohen Palmen, um die Fruchtstände mit dem Haumesser abzuschlagen. Bei niedrigem Weltmarktpreis geht die Anlieferung stark zurück. Da der Erlös aus Palmkernen und Palmöl maßgebend für die Kaufkraft der Eingeborenen ist, so sind diese Schwankungen der ölpreise auf dem Weltmarkt für die Wirtschaft Liberiens von erheblicher Bedeutung. Einen geringeren Anteil am baren Einkommen der Eingeborenen haben Kaffee, Kolanüsse von wildwachsenden Bäumen, Piassavafasern von einer Sumpfpalme, Kalabarbohnen. Da den Häuptlingen ein Anteil an der Hüttensteuer, manche Verwaltungsabgaben und Gerichtsstrafen zustehen, ist ihr Einkoin28
men oft groß. Auch können sie manchmal fremde Arbeitskräfte einsetzen und so ihre Anbauflächen über den eigenen Bedarf vergrößern und Reis und andere Farmerzeugnisse verkaufen. Seit einigen Jahren bemüht sich die Regierung, die Eingeborenen zum Anbau von Kaffee und Kakao zu bringen. Wenn diese Bemühungen gelingen, wird der Wohlstand Liberiens rasch steigen. Kaffee wächst im Hinterland wild, und im vorigen Jahrhundert war er Liberiens wichtigster Export. Später verdrängte der Kaffee Brasiliens ihn vom Weltmarkt. Die ertragreichen Kaffeepflanzungen dieses Jahrhunderts ließ man im zweiten Weltkrieg, als der Kaffee keine Käufer fand, vom Busch überwuchern. Inzwischen sind insbesondere von den Amerika-Liberianern neue Kaffeefarmen angelegt worden. Dasselbe gilt ^ür Kakao. Die nahe Goldküste hat ihren Reichtum nicht dem Gold, sondern der Kakaobohne zu danken. Und in Liberien sind die Voraussetzungen gleich günstig. Große natürliche Reichtümer des Landes gehören dem Staat. Es sind vor allem die Wälder, deren Holzreichtum bisher kaum genutzt wurde. Liberien führt sogar Sperrholz und andere bearbeitete Hölzer ein. Eine wirtschaftliche Verwertung wird durch den Mangel an Straßen und durch den großen Artenreichtum der li-, berianischen Wälder erschwert, man stellte bisher 235 nutzbare Baumarten fest. Jetzt ist an eine deutsche Gesellschaft eine Holzkonzession für ein großes Gebiet unweit der Hauptstadt erteilt worden. Von Bedeutung sind auch die Erzlager des Landes. Die amerikanische Republic Steel Company erwarb in Bomihill, 40 Meilen von Monrovia, eine Konzession und verschiffte 1952 die erste Million Tonnen Erz. Mit seinem 68-Prozent-Gehalt gehört das liberianische zu den besten Erzen der Welt. Ein anderes Erzlager bei Greenville dürfte bald erschlossen werden. Liberien exportiert auch Gold, wenn auch nicht in bedeutenden Mengen. Noch ist das Land zu wenig erforscht, um sagen eu können, wieviel Gold bei systematischer Anwendung moderner Methoden gewannen werden könnte. Das gilt auch für Diamanten, die man besonders im Nordosten des Landes findet. Es ist zu vermuten, daß der Boden Liberiens noch manches Geheimnis birgt. Aber den bedeutendsten Posten in der liberianischen Ausfuhr 29
nimmt doch der Kautschuk ein. Es lohnt sich, einen Blick auf die Gummibaumwälder Liberiens zu werfen, weil hier ein Beispiel erkennen läßt, was die Tatkraft eines einzelnen auch in einem Lande erreichen kann, das dem Fremden n u r beschränkte Rechte gewährt. Die Preispolitik der ostasiatischen Gummikartelle, die den Preis für Naturkautschuk ungerechtfertigt in die Höhe trieb, veranlaßte den amerikanischen Industriellen Firestone, sich in der Welt nach anderen Quellen für den kostbaren Saft umzusehen. In Liberien gab es verschiedene Arten wildwachsender Gummibäume. Ein kleiner Versuch mit Plantagengummi bewies, daß die Vermutung nicht trog: Boden, Klima und große Regenmengen boten die günstigsten Voraussetzungen für Anpflanzungen. Das war zu Anfang der zwanziger Jahre. Firestone entschloß sich, in Liberien Gummi im großen zu pflanzen. Dafür sprachen nicht nur die günstigen natürlichen Bedingungen und der kürzere Weg nach Amerika, sondern auch der niedrige Lebensstandard des eingeborenen Arbeiters. Der Zapfer erhält heute noch einen Tageslohn von 23 Cent, also weniger als eine Mark. Im Jahre 1926 erteilte die Regierung in Monrovia der FirestoneGesellschaft eine Konzession auf 99 Jahre. Ein Landerwerb durch Weiße ist in Liberien ja ausgeschlossen. Mit einem Einsatz von. Tausenden von Arbeitern wurden die Wälder gerodet und verbrannt und die aus Sumatra geholten Stecklinge gesetzt. Bis 1928 waren 4,5 Millionen Bäume gepflanzt. Die Regierung hatte der amerikanischen Gesellschaft weitgehende Rechte zugebilligt, zollfreie Einfuhr ihres Bedarfs an Ausrüstung und allem, was ihre Angestellten und Arbeiter bedürfen mochten. Dafür erhielt Liberien einen gewissen Anteil an der Gummiausfuhr. Es wurde ein wichtiger Posten auf der Einnahmenseite des staatlichen Haushalts. Die große Zeit der liberianischen Gummipflanzungen brach im zweiten Weltkrieg an, als die Lieferungen von Kautschuk aus Ostasien ausfielen. Da war der Kautschuk aus Liberien wichtig genug, um mit Flugzeugen nach den Vereinigten Staaten geschafft zu werden, mehr als 40 Millionen Pfund im Jahr, ein Fünftel des Bedarfs der Alliierten. Heute beträgt die Produktion jährlich zwischen dreißig- und
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vierzigtausend Tonnen. Auf den Firestone-Plantagen arbeiten annähernd 30000 Menschen, eine Zahl, deren Bedeutung deutlich wird, wenn man bedenkt, daß die nahegelegene Hauptstadt 20 000 Einwohner zählt. Aber die "Bedeutung des Unternehmens beschränkt sich nicht auf die Ausfuhr des auf den eigenen Pflanzungen gewonnenen Gummisafts. Angeregt durch die amerikanische Gesellschaft, begannen zuerst einige Amerika-Liberianer, später auch eingeborene Farmer, Gummibäume zu pflanzen. Setzlinge und Ausrüstung erhielten sie -von Firestone, sie lieferten auch ihre Erträge dort ab. Die Erträge dieser privaten liberianischen Gummipflanzer haben inzwischen zwei Millionen Dollar im Jahr überschritten. Man kann sich denken, daß ähnliche Wirkungen auch von den neuen Pflanzungen von Kaffee, Kakao und Bananen ausgehen können. Einnahmen bezieht Liberien auch aus einer Einrichtung, die die liberianische Flagge auf allen Meeren erscheinen läßt, obgleich das Land selbst keine Überseeschiffe besitzt. Für einen ungewöhnlich niedrigen Satz je Schiffstonne und zu sonst günstigen Bedingungen kann die internationale Schiffahrt ihre Schiffe in Liberien registrieren lassen. Große Reeder machen von dieser Möglichkeit Gebrauch. So war es ein großer Augenblick, als Präsident Tubman 1952 verkünden konnte, daß alle Auslandsschulden getilgt wären, und das Land zum erstenmal in seiner Geschichte schuldenfrei war. Es ist bemerkenswert, daß Liberien ungefähr 10 Prozent seines Haushalts für den Aufbau des Erziehungswesens ausgibt und etwa den gleichen Betrag für das Gesundheitswesen. Auch die internationalen Organisationen, die UNESCO und die Weltgesundheitsorganisation, in denen Liberien aktiv mitarbeitet, beteiligen sich an diesen Kosten. Der Ausbau der Straßen und andere Aufbauarbeiten sind durch amerikanische Millionenanleihen und amerikanische technische Hilfe möglich. Die starke wirtschaftliche Verbindung zu den Vereinigten Staaten drückt sich auch in der Währung aus, Als einziges gesetzliches Zahlungsmittel ist der amerikanische Dollar im Umlauf.
* Es gibt einen Tag im Jahr, der mehr als jeder andere jene stärkste Kraft zeigt, die heute in Liberien und Afrika überhaupt 31
wirksam ist. Das ist der 26. Juli, der Unabhängigkeitstag, an dem einst, im Jahr 1847, die Unabhängigkeit des Staates verkündet wurde. In Monrovia sieht man vom frühen Morgen an ein festlich gc>putztes Volk durch die Straßen ziehen. Wer gespart hat, wer einen Vorschuß nehmen kann oder etwas geliehen bekommt, kauft sich zu diesem Tag ein buntes Hemd, einen flotten Hut oder wenigstens ein farbiges Kopftuch. Der Diener, der das ganze Jahr barfuß läuft, nimmt aus der Kiste, die seinen ganzen Besitz birgt, das sorgsam gehütete Paar Schuhe heraus. Welche Lust, sich als gleichberechtigt mit jedem anderen zu fühlen! Das Programm beginnt mit einer Besichtigung der Truppen. Denn als souveräner Staat besitzt Liberia auch eine Armee. Die Militärkapelle schmettert, und der Präsident, den Zylinder in der Hand, schreitet die Front ab. Ein führender Liberianer sagte mir: „ W i r brauchen die Hilfe Europas und Amerikas, um unser Land auf die Höhe der Zivilisation zu bringen. Und wir sind bereit, viel für diese Hilfe zu bezahlen. Aber es gibt heute etwas, was nicht mehr verkäuflich ist — die Freiheit!" Zu diesem Bewußtsein ist in unseren Tagen auch der „Mann auf der Straße" in Afrika erwacht. Unter diesem Zeichen steht die Entwicklung der altertümlichen afrikanischen Welt zur Zivilisation, eine Umwälzung, die weit mehr ein Bruch mit der Vergangenheit ist, als es die großen sozialen und geistigen Revolutionen Europas waren. Und bei der engen Verflechtung der beiden Erdteile ist es auch für die Völker Europas von hoher Bedeutung, daß diese revolutionäre Entwicklung Afrikas in friedlichen Bahnen verläuft. In diesem Sinne braucht Liberien wie jedes afrikanische Land nicht nur die technische und finanzielle Hilfe der alten Kulturvölker, sondern auch verständnisvolle Einfühlung und Hilfe beim Prozeß der seelisch-geistigen Umbildung. Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Aufnahmen: A. von Haller; Karten: Informationsbüro des Staatsdepartements, Monrovia; Bild auf der 2. Umschlagseite: Kokospalmen au der liberischen Küste
L u x - L e s e b o g e n 206 ( E r d k u n d e ) — H e f t p r e i s 25 Pfg. Natur- und kulturkundliche Hefte - Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Veriag Sebastian Lux, Murnau, Oberbayern, SeiöU-Park. — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth
Beim Lesen von Zierers abendländischer Geschichte öffneten sich immer wieder Ausblicke in die Räume jenseits der weitgezogenen Grenzen des Abendlandes und ließen die Ausstrahlungen der abendländischen Welt auf die Reiche des Orients, Asiens, Afrikas und Amerikas sichtbar werden. Diesen außereuropäischen Großräumen ist eine neue Buchreihe von Otto Zierer gewidmet, die die Geschichte und Kultur der gelben Rasse, des Islams, Indiens, Afrikas, Ostasiens und des amerikanischen Kontinents farbig und anschaulich schildert. Als erstes abgeschlossenes Werk erscheint, im Umfang den Doppelbänden des Geschichtswerkes „Bild der Jahrhunderte" entsprechend, die
Geschichte Indiens und des Islam 1. Band
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2. Band
„Kaiser und Kalifen" 700 bis 1500
3. Band
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4. Band
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Jeder Band enthält Kunstdrucktafeln, historische Karten und im Anhang Anmerkungen, ausführliche Begriffserklärungen, Zeittafeln, Quellen- und Literaturnachweise. Die Buchreihe entspricht auch imFormat den Bänden der abendländischen Serie „BUd1 der Jahrhunderte", ist aber in der Einbandfarbe und in der Umschlaggestaltung deutlich abgehoben. Jeder Band in Ganzleinen DM 9.—, in LUX-Luxuseinband DM
10.50.
Prospekte in jeder Buchhandlung und beim Verlag
V E R L A G SEBASTIAN LUX MURNAU
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MÜNCHEN
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ÖLTEN