Zukunftsroman von E. C. Tubb Aus dem Englischen übertragen von Bert Horsley
Worum geht es? Jeder Krieg hinterläßt Trüm...
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Zukunftsroman von E. C. Tubb Aus dem Englischen übertragen von Bert Horsley
Worum geht es? Jeder Krieg hinterläßt Trümmer und Strandgut. Wilson hat nie etwas anderes gekannt als Trümmer, Elend, harte Arbeit und die ätzenden Wunden radioaktiver Verbrennungen. Woher soll er wissen, daß man auch anders leben kann als unter der Knute eines unbarmherzigen Aufsehers? Ist es ein Verbrechen, daß er um sein Leben kämpft, als der Aufseher ihn tückisch umbringen will? Auch Admiral Hogarth gehört zum Strandgut des Krieges. Einmal hat er die mächtige irdische Raumflotte zum Siege geführt. Es gibt aber keinen Krieg mehr, und es gibt keine Soldaten mehr. Was soll man da mit einem ausgedienten, fanatischen Admiral machen? Sie schicken ihn zu einem fernen Planeten, wo er den Wiederaufbau der Ordnung nicht mehr stören kann – so glaubt man. Die Weltregierung schickt ihm ganze Transporte der Verlorenen zu. Verbrecher, Heimatlose, Strandgut des Krieges wie zum Beispiel Wilson. Hogarth soll 2
nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft aus ihnen machen. Tut er das wirklich? Sind die Methoden, die er dabei anwendet, zu bejahen? Oder wächst auf dem fernen Planeten Stellar sogar eine neue, riesengroße Gefahr für die friedliche Galaxis heran? Von den 500 Verbrechern, die man nach Stellar schickte, leben noch 50. Was geschah mit den anderen? Die Sprache dieses Romans ist realistisch und hart. Die Dinge werden beim Namen genannt. Jeder möge sich selbst ein Urteil darüber bilden, wer recht hat: der bis zur Brutalität strenge Admiral, der energische Weltdirektor Laurance mit seinen klar ausgedrückten Absichten, oder der junge Wilson, der das unfreiwillige Werkzeug eines gefährlichen Kräftespiels wird. Gehorchen und sich durchsetzen – oder sterben, so heißt das harte Gesetz in der „Legion Stellar“. – Aber lesen Sie selbst!
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1. Kapitel Er wurde inmitten von Schmerzen und Terror geboren, auf einem vom Kriege zerfurchten Planeten, und das entsetzliche Heulen des Atomkrieges begleitete seinen ersten Schrei. Seine Mutter starb, bevor sie ihn zum erstenmal an die Brust legen konnte. Sie und fünfzig Millionen anderer vergingen in der entfesselten Hölle des letzten Raketenangriffs auf die Erde, und sein Vater war – ein namenloser Schatten – schon lange vorher irgendwo in den unendlichen Weiten des Raums verschollen. Als er ein Jahr alt war, trug seine Haut schon überall die häßlichen, ätzenden Wunden atomarer Verbrennungen, seine Nahrung bestand aus widerlichem Brei, und für sein Wohlbefinden sorgte niemand. Die wenigen Haustiere waren in dieser Zeit ein weitaus wertvollerer Besitz als kranke Kinder. Niemals lernte er einen Funken Liebe oder Zuneigung kennen, das zärtliche Streicheln einer Mutterhand oder ein lustiges Hoppereiter mit dem Vater. Niemals besaß er ein Spielzeug, einen Spielgefährten oder jemand, der ihn pflegte und sich um ihn kümmerte. Man wusch ihn, fütterte ihn, verband notdürftig seine Wunden und überließ ihn dann wieder sich selbst. Es ging ihm wie hundert anderen: Sie lebten oder starben, wie es der Natur eben einfiel. Schon bald fand er heraus, daß ihm sein Weinen nichts als harte Worte und Schläge einbrachte. 4
So lag er, Stunde um Stunde, Tag um Tag, Monat um Monat still in seinem Krankenhausbett, starrte mit blanken Kinderaugen auf die niedrige Decke und horchte auf das Stöhnen der anderen Menschen, von denen manche nicht mehr viel Ähnlichkeit mit menschlichen Wesen hatten. Daß sein zerfressener Körper wieder gesund wurde, war ein Wunder. Daß er sich dazu zwang, gehen zu lernen, seine Augen zu gebrauchen und mit erbitterter Entschlossenheit die Dinge an sich wahrzunehmen, ist kaum zu begreifen. Allein die Tatsache, daß er überhaupt am Leben blieb, konnte sich niemand erklären. Mit acht Jahren schickte man ihn hinaus zur Arbeit. Er half anderen Ruinen, die längst keine Menschen mehr waren, das strahlenverseuchte Geröll der zerbombten Städte zu beseitigen und für neue Häuser einzuebnen. Der Krieg tobte nicht mehr auf der Erde. Die riesigen Kriegsschiffe kämpften weit draußen auf den Planeten fremder Sonnen. Fremde Männer, Frauen und Kinder erfuhren das schreckliche Gefühl, den aus dem Nichts hereinbrechenden Atomraketen schutzlos ausgeliefert zu sein. Als er zehn Jahre alt war, hatten sich die meisten unabhängigen Welten ergeben und stöhnten jetzt unter der „Gerechtigkeit“ der Erde. Ihre Kriegsflotten lagen zerschlagen am Boden, ihre Heimaterde war verbrannt, die Männer und Frauen mußten sich in ihr Schicksal ergeben und jeden Gedanken an eine Selbständigkeit ihres Volkes begraben. Sie murrten und haßten die Sieger. Dann, als die Vernunft zu5
rückkehrte, sahen sie die Verwüstungen des Krieges, den entsetzlichen Preis, den sie für die „Freiheit“ bezahlt hatten. Sie schluckten ihren Stolz hinunter und machten sich daran, die „Föderation der Welten“ aufzubauen. Als Wilson zwölf Jahre alt war, brachte man ihn aus den Städten weg und teilte ihn einem Bautrupp zu, der die Aufgabe hatte, den vergifteten Boden wieder urbar zu machen. Er trug jetzt einen Namen und eine Nummer, wobei die Nummer weitaus wichtiger war. Von morgens bis abends schuftete er und schaufelte die Erde in große Behälter, wo sie entgiftet, mit Humus und Kunstdünger angereichert und wieder nutzbar gemacht wurde. Es war harte Arbeit, undankbare Arbeit – und gefährlich. Die Strahlung war selbst nach so langer Zeit noch intensiv genug, um schmerzhafte Wunden zu verursachen. Er schwitzte unter der schweren Schutzkleidung, während er im Boden der bläulichschimmernden Wüste wühlte, die einst die blühende Grafschaft Kent gewesen war. Der Aufseher war ein brutaler, narbenübersäter Raumveteran, verbittert durch sein eigenes Schicksal und immer gepeinigt von seinen schlecht sitzenden Beinprothesen. Er war klein, untersetzt, trank literweise billigen Schnaps und brüllte bei jeder Gelegenheit gleich los. Aus irgendeinem Grunde haßte dieser Mann den schmalen, blauäugigen Jungen mit der blauen Narbe einer alten Verletzung über Hals und Wange. „He, du“, schrie er. „Wilson!“ 6
„Ja?“ Wilson kämpfte gegen das Angstgefühl in seinem Magen. Den schweren Kopfschutz hatte er zurückgeworfen. Der Aufseher knurrte böse und machte stöhnend ein paar Schritte vorwärts. „Wie oft soll ich dir das noch sagen, du Schwein? Du hast ,Herr’ zu mir zu sagen, verstanden?“ „Ja, Herr!“ „So ist’s besser. Krieg dir was zu essen und geh dann wieder an die Arbeit. Wir sind damit im Rückstand. In ein oder zwei Wochen werden die Inspektoren kommen. Ich will ihnen zeigen, daß wir imstande sind, unseren Teil fertigzubekommen.“ Wilson zögerte. „Eigentlich bin ich jetzt dran, eine Pause zu machen, Herr.“ „Willst du mit mir streiten?“ Kalte Wut verzerrte das massige Gesicht des Aufsehers, seine Rechte ballte sich zu einem Kuchen aus Knochen und Sehnen. „Du hörst, was ich sage. Iß was und geh wieder an die Arbeit.“ Er funkelte die anderen neun Jungen an, die zu seinem Arbeitstrupp gehörten. „Das gilt auch für euch. Für euch alle. Ich beobachte euch schon lange. Das Faulenzen, wenn ihr meint, man sieht euch nicht. Jetzt dürft ihr dafür bezahlen! Ihr arbeitet doppelt so langes Pensum, bis ich euch erlaube, aufzuhören.“ Schweigen legte sich über die Gruppe. Ein schmaler Junge mit zartem Gesicht, gekrümmtem Rücken und verkrüppeltem Bein fing an zu weinen. Dieser Laut schien ei7
nen Teufel in der Brust des Alten zu wecken. Er starrte auf die unruhigen, furchtsamen Gesichter. „Wer heult da?“ Sie traten verlegen von einem Fuß auf den anderen und versuchten, seine Augen zu vermeiden. Ihren Kameraden wollten sie auch nicht im Stich lassen. „Ich habe gefragt, wer da heult?“ Der Aufseher lächelte. Es war ein ganz und gar humorloses Verziehen der Lippen, und etwas Unmenschliches, Drohendes leuchtete in seinen Augen. „Du bist’s also, Carter. Hätte es mir denken können.“ Er stolperte vorwärts und packte den schluchzenden Jungen beim Arm. „Was ist denn, mein Sohn?“ fragte er höhnisch. „Hat deine Mammi dich letzte Nacht nicht warm genug zugedeckt? Hat Papi den Gutenachtkuß vergessen?“ Er lachte, und unwillkürlich lachten einige der Knaben mit. Sie wollten nicht grausam sein, aber der Begriff „Vater“ oder „Mutter“ war ihnen völlig fremd. Die meisten lebten für sich allein, seit sie denken konnten, während der arme Junge erst vor wenigen Monaten seine Eltern verloren hatte. Der grausame Schmerz bedeutete ihnen nichts. „Wie alt bist du, mein Sohn?“ Immer noch klang Hohn durch die heisere Stimme. Carter wischte sich über die Augen und starrte den grobknochigen Mann an. „Dreizehn, Herr.“ „Fast schon ein Mann, nicht wahr? Nächstes Jahr kommst du vielleicht schon zur Armee. Das heißt, sie wür8
den dich nehmen, wenn dein Rückgrat nicht so krumm wäre.“ Die breite Hand klammerte sich fester um den mageren Arm. „Du bist für die Arbeit hier nicht kräftig genug, Sohn. Komm lieber mit mir, ich brauche einen Burschen und möchte dich gern haben. Der letzte ist mir gestorben. Er stolperte im Dunkeln und brach sich das Genick.“ Das Schmeicheln in der heiseren Stimme wurde deutlicher. „Du willst doch gern mein Diener sein, oder nicht?“ „Ich weiß nicht recht, Herr. Ich …“ „Willst du dich denn zu Tode arbeiten, Junge? Willst du, daß es dir genauso geht wie den andern da? Du weißt doch, wie das ist, wie die Strahlen verbrennen und blind machen, wie sie ätzen und entstellen. Werde mein Bursche, Sohn, und das alles bleibt dir erspart. Nun?“ Carter leckte sich nervös die trockenen Lippen und warf einen hilfesuchenden Blick in die Runde. Er war ein Fremder hier, er kam von einer Welt, die keiner der anderen jemals gekannt hatte. Sie hatten längst gelernt, daß es am besten ist. sich nur um den eigenen Kram zu kümmern. Sie wichen seinen Augen aus. „Ja, Herr“, sagte er hilflos, „ich werde Ihr Bursche.“ „Gut!“ Der Aufseher grinste und stieß den Jungen in Richtung der niedrigen Hütten. „Lauf schnell und mach meine Hütte sauber, du weißt, wo sie steht. Und mach deine Arbeit ja gut!“ Er wandte sich den anderen zu. „Nun, ihr räudigen Waisenknaben, los, weiterarbeiten, und beeilt euch! Sonst …“ Er hob die schwere Faust und spuckte be9
zeichnend in den Schmutz zu seinen Füßen. „… bringe ich euch dahin, daß ihr wünscht, nicht geboren zu sein!“ Er drehte sich um und strebte mit seinen ungeschickten, ruckartigen Schritten den Behausungen zu. Die Knaben blickten ihm stumm nach. „Dieses Schwein“, sagte Wilson ruhig, „dieses stinkende Dreckschwein!“ „Yeah!“ Einer der anderen verzog die Lippen in Verachtung. „Für mich gibt’s nur eins: Nichts wie weg von hier! Nichts könnte schlimmer sein als diese Schufterei, nicht einmal der Fronteinsatz.“ Er starrte voll Neid auf den Jungen mit der blauen Narbe. „Du hast es gut. Nächstes Jahr bist du vielleicht schon alt genug für die Flotte. Sie nehmen jetzt schon Vierzehnjährige, habe ich mir sagen lassen.“ „Vielleicht.“ Wilson zuckte die Achsel und schaute zum Eßraum hinüber. „Vielleicht ist der Krieg dann schon vorbei.“ „Glaub ich nicht“, sagte der andere mit ruhiger Überzeugung und schüttelte sich, als von den Hütten dünne Schreie herüberklangen. „Dieser verdammte Krieg wird wohl ewig dauern.“ Er irrte sich. Zwei Jahre später wurde der Friedensvertrag unterschrieben, während die Ruinen des letzten, erbitterten Kampfes noch rauchten. Die „Föderation der Welten“ war jetzt eine Tatsache. Zwanzig Jahre ununterbrochenen Kampfes hatte es gekostet, die verstreuten Kolonien zu ei10
ner Einheit zusammenzuschweißen, den hartnäckigen Widerstand einzelner Gruppen endgültig zu brechen und die Bedrohung von Seiten anderer Nationen zu beseitigen. Jetzt, nach einem ganzen Menschenalter, war das erreicht. Die Föderation der Welten, aus Haß und Furcht, Krieg und Tod geboren, regierte alle bekannten Sterne. Natürlich gab es noch verstreute Splittergruppen, vereinzelte Planeten mit nur einer einzigen Stadt und ein paar Raumschiffen – die zählten aber nicht. Wichtig war die Tatsache, daß die unabhängigen Kolonien jetzt die Oberherrschaft von Mutter Erde, ihrem Ursprungsplaneten, anerkannten. Zum erstenmal seit einer ganzen Generation atmeten die Menschen die Luft der Freiheit, und riesige Raumschiffe nahmen den interstellaren Handel wieder auf. Drei Jahre später, als Wilson siebzehn war, gehörte der Krieg der Vergangenheit an. Die Menschen kehrten heim und nahmen die Zügel ihrer vernachlässigten Geschäfte wieder in die Hand. Sie freuten sich darauf, von neuem pflügen und pflanzen, arbeiten und bauen zu dürfen. Sie vergaßen die hinter ihnen liegenden Jahre, den Krieg und die große Politik und wandten sich näherliegenden Interessen zu. Maschinen, die man aus Heeresbeständen genommen und umgebaut hatte, räumten den Schutt weg und bearbeiteten den wieder fruchtbar gemachten Boden. Städte wurden aus dem Boden gestampft, und die großen Kriegsschiffe verloren ihre Atomkanonen und Raketenabschußvorrichtungen. Sie wurden zerlegt und wieder zusammen11
gebaut – aus den Kriegsschiffen entstanden harmlose Fracht- und Passagierschiffe, die sich auf den Weg zu den entlegensten Stützpunkten der Föderation machten. Alle Menschen waren wieder Brüder. Fast alle. Denn immer noch lebten die Unerwünschten, die Kinder des Krieges, elternlos, verwaist, ohne Halt und Stütze. Diese Vergessenen kannten nichts als harte Arbeit und das Handwerk des Todes. In einer friedlichen Welt waren sie fehl am Platze, unnötig, ja gefährlich. Deshalb vergaß man sie einfach, ignorierte ihr Vorhandensein, behandelte sie als unangenehmes Problem, das die Zeit lösen sollte. Die neue Föderation aber kehrte sich vom Kriege ab und dem Frieden zu. Sie zeigte eine Energie, die aus Träumen und der Reaktion auf Jahre des Zwanges und der Not geboren war. Mit dem Frieden kam aber auch eine Ablehnung aller Dinge, die irgendwie mit dem Krieg zu tun hatten. Die irdische Raumflotte schmolz dahin, als sich ihre Besatzungen auflösten. Die Menschen genossen ihre persönliche Freiheit wieder und verachteten alle militärischen Dinge. Ein Mann in Uniform wurde zur Zielscheibe höhnischen Spottes, die strenge Disziplin der Armee eine verhaßte Belastung. Der Frieden zog ein.
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2. Kapitel Drei Männer saßen in dem luxuriös eingerichteten Raum, ganz oben im höchsten Stockwerk des höchsten Gebäudes der wiederaufgebauten Londoner City. Das letzte Licht der untergehenden Sonne warf lange Strahlen von Rot und Gold, Orange und Rot, Gelb und weichem Elfenbein auf die polierte Oberfläche des papierübersäten Arbeitstisches und wurde in warmen Schattierungen von den getäfelten Wänden zurückgeworfen. Als die Sonne den Horizont berührte, klickten Selenzellen und schalteten eine unaufdringliche, indirekte Beleuchtung ein, die das entschwindende Tageslicht ersetzte. Admiral Hogarth seufzte und nahm ein Blatt Papier von dem vor ihm liegenden Stapel. Der hochgewachsene Mann mit dem stocksteifen Rücken und den eckigen Schultern paßte in seine knappsitzende Uniform, als ob er dazu geboren worden wäre, das Schwarz und Gold zu tragen. Spärliche, weiße Haare waren aus der hohen Stirn zurückgekämmt, und auf beiden Seiten der vorspringenden Hakennase leuchteten seine Augen in einem hellen, wäßrigen Blau. Die dünnen Lippen darunter bildeten eine strenge Linie. „Es ist also beschlossen?“ Die Stimme war hart, kalt, ohne Gefühl. Man hörte die Gewohnheit heraus, Befehle zu erteilen. „Endgültig?“ 13
„Endgültig!“ Präsident Marrow warf einen Blick auf den dritten Mann. „Sowohl Direktor Laurance als auch ich selbst sind mit dem Ergebnis der Untersuchung einverstanden. Es ist nichts mehr zu ändern. Die irdische Raumflotte wird aufgelöst, die Schiffe werden für den Handelsverkehr umgebaut. Offiziere und Mannschaften haben die Wahl, entweder im zivilen Dienst die Schiffe weiterzufliegen, oder auf irgendeinem Planeten, den sie frei wählen können, aus dem Dienst entlassen zu werden.“ „Und Sie stimmen dem zu?“ Hogarth starrte dem dicken Direktor ins Gesicht. Der zuckte die Achseln. „Natürlich!“ „Hm.“ Der schlanke Admiral preßte die Lippen zu einer noch schmaleren Linie zusammen. „Und was haben Sie mit mir vor?“ „Das“, sagte der Präsident ruhig, „ist der einzige Grund unserer heutigen Besprechung.“ Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, ein alter Mann, müde und erschöpft von jahrelangen Sorgen, die tiefe Linien in sein Gesicht eingegraben hatten. Das angenehme Licht spiegelte sich auf seinem haarlosen Kopf. „Sie sind ein Problem für uns, Hogarth, das will ich nicht abstreiten. Während der letzten zwanzig Jahre hatten Sie beinahe unbeschränkte Vollmachten. In gewisser Hinsicht ist Ihnen die Erde zu höchstem Dank verpflichtet, denn Ihre Flotte hat die unabhängigen Kolonien zerschlagen und die Bildung der Föderation ermöglicht. Das ist aber vorbei. Ganz offen gesagt: Wir kön14
nen uns eine große Militärmacht nicht erlauben, und wir können sie auch aus verschiedenen Gründen nicht dulden.“ „Sie haben also die Absicht, sich jeder Verteidigungsmöglichkeit zu berauben?“ „Gegen wen denn?“ Der Präsident lächelte und schüttelte den Kopf. „Ich kann Sie gut verstehen, Hogarth, glauben Sie mir das bitte. Sie müssen sich aber in das Unvermeidliche fügen. Ihre Flotte hat jetzt keine Existenzberechtigung mehr, und wenn sie verschwindet …“ „… bringe ich Sie in Verlegenheit.“ Hogarth nickte und neigte seinen Kopf unmerklich. „Ich verstehe Sie.“ „Das freut mich“, murmelte der Präsident, und Laurance ließ ein erzwungenes Kichern hören, während er seinen Schädel mit einem riesigen Taschentuch abwischte. „Wir werden für Sie ein neues Betätigungsfeld suchen“, sagte er ermutigend. „Im Augenblick wissen wir zwar noch nicht ganz genau, welches, aber es wird sich schon finden. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.“ „Ich mache mir keine Sorgen“, stieß Hogarth hervor, „aber S i e sollten in Sorge sein. Was Sie vorhaben, ist verrückt, reiner Irrsinn, die abwegige Logik der Feigheit. Sie denken, wenn der Krieg vorbei ist, brauchen Sie die Raumflotte nicht mehr. Sie irren sich! Wie steht es mit den noch nicht unterworfenen Welten, wie mit den Aufständischen? Was wollen Sie gegen die dauernde Bedrohung durch eine Rebellion unternehmen?“ „Bitte!“ Der Präsident hob seine Hand in einer flehenden 15
Geste. „Halten Sie uns doch nicht für Narren. Wir werden natürlich eine kleine Streitmacht beibehalten. Sie wird aber mehr eine lokale Angelegenheit sein, so etwas wie eine Polizeitruppe und nichts anderes. Im Augenblick sprechen wir von der Erdflotte, von der mächtigen Kriegsmaschine, die Sie aufgebaut haben, und die zu ihrem Aufbau den Einsatz des gesamten Potentials dreier Welten erforderte. Damit ist es jetzt vorbei, denn selbst wenn wir wollten, könnten wir sie nicht mehr unterhalten.“ „Warum nicht?“ Hogarth war hartnäckig. „Wegen der Verbündeten?“ „Nein“, erklärte der alte Präsident freundlich, „wegen der Leute.“ „Unsinn!“ Zum erstenmal wurde der Admiral erregt. „Meine Männer halten zu mir. Sie würden kämpfen und bis zum Tode ihrem Eid …“ „Ihre Männer laufen Ihnen davon“, unterbrach ihn Laurance ungeduldig. „Im Kriege haben sie treu gekämpft. Jetzt haben wir aber Frieden, und wir müssen endlich Vernunft annehmen und wie Erwachsene handeln!“ „Wie können Sie es wagen, das zu behaupten?“ „Er hat recht, Admiral“, sagte der Präsident schwer. Er seufzte und blickte auf die steife Figur seines Gegenübers. Halb fürchtete er, das zu sagen, was gesagt werden mußte, aber es gab keine andere Wahl. Eine gigantische Kriegsmaschinerie hatte keinen Platz in der Föderation. Sie mußte mitsamt ihren Besatzungen verschwinden. Ihre Aufrechter16
haltung würde zu viele Welten in unerträglicher Weise belasten und die kostbare Zeit zu vieler Menschen beanspruchen. Außerdem wäre die Versuchung für irgendeinen Offizier zu groß, zu desertieren, ein paar Raumschiffe mitzunehmen, irgendeinen Planeten zu überfallen, Frauen und Nahrungsmittel zu rauben, und dann in den unermeßlichen Raum hinauszufliehen, um auf einem unbekannten Planeten ein eigenes Reich – eine Gefahr für die Föderation – zu errichten. So etwas hatte es früher schon gegeben. Die Hälfte der unabhängigen Planeten war von Abenteurern und Diktatoren gegründet worden. Zwanzig Jahre harter Kämpfe waren erforderlich gewesen, um ihren Widerstand zu brechen und sie einer einheitlichen Regierung zu unterwerfen. Dieser Gefahr durfte man sich nicht noch einmal aussetzen. Als Laurance nun sprach, bediente er sich der glatten Worte des geborenen Diplomaten. Der alte Mann hörte sich die honigsüßen Redewendungen an und durchschaute sie sofort. Immerhin hoffte er, daß der Admiral sie für bare Münze nehmen würde. Er hoffte das sehnlichst, denn Hogarth besaß immer noch Macht, kontrollierte immer noch Teile der Erdflotte, und wenn er Schwierigkeiten machen wollte … Aber anscheinend hatte er diese Absicht nicht. „Ich kann Ihre Gründe verstehen“, sagte er steif, „das heißt natürlich nicht, daß ich damit einige gehe. Ich glaube, daß Sie einen verhängnisvollen Fehler begehen. Aber Sie 17
tragen ja die Verantwortung, und Sie müssen es selbst wissen.“ Der Präsident runzelte die Stirn. Halb verstand er den Hohn hinter den kalten Worten, aber bevor er etwas sagen konnte, fiel Laurance wieder ein. „… Sie sehen also, Hogarth, daß wir einfach nicht anders handeln können. Der Wiederaufbau erlaubt uns nicht eine Belastung, wie sie eine so große Streitmacht darstellen würde. Alles muß sich in den Gesamtplan einfügen. Wir haben jetzt schon über die Hälfte der Schiffe umgebaut und die meisten Offiziere und Mannschaften entlassen. Jetzt müssen wir nur noch für Sie eine passende Beschäftigung finden – oder, falls Sie sich lieber zur Ruhe setzen möchten …“ Er legte eine erwartungsvolle Pause ein. Die beiden Männer warteten auf die Antwort des Admirals. „Ich wünsche nicht, mich zur Ruhe zu setzen“, erklärte er kühl. Der Dicke seufzte in unverhohlener Enttäuschung. „Dann …“ „Darf ich, bevor Sie sich entscheiden, noch etwas sagen?“ „Selbstverständlich.“ „Vielen Dank.“ Diesmal klang die Stimme des hochgewachsenen Mannes noch ironischer. „Ich will Ihre kostbare Zeit nicht mit einer weiteren Diskussion über die Auflösung der Flotte in Anspruch nehmen. Es gibt da aber einen Punkt, den Sie anscheinend übersehen haben.“ „So?“ Laurance blieb immer noch höflich. Es war aber 18
deutlich erkennbar, daß er das ganze langsam satt bekam und sich viel lieber konstruktiverer Arbeit zugewandt hätte, als einem alten Admiral zu erklären, daß seine Zeit vorbei war. „Wir brauchen immer noch eine Streitmacht.“ Hogarth ließ sich durch die unwillkürliche Geste ärgerlicher Abwehr nicht beeindrucken. „Nicht unbedingt braucht ein Angriff von menschlichen Feinden auszugehen. Wir haben aber noch lange nicht das ganze Universum erforscht. Es wäre vermessen zu glauben, daß von allen Welten der Galaxis nur die unsere intelligentes Leben trägt.“ „Bisher haben wir kein anderes gefunden“, sagte der Präsident leise. Er war ein alter, erfahrener Mann und konnte verstehen, daß der andere einen Zipfel von Macht und Würde behalten wollte. „Wir haben in einem Umkreis von hundert Lichtjahren alles erforscht und dabei nur animales, ziemlich harmloses Leben gefunden.“ „Soll das heißen, daß wir Menschen die einzigen sind?“ Hogarth schüttelte den Kopf. „Und wie steht es mit der Erschließung neuer Welten und Systeme? Sollen wir unbewaffnete Schiffe mit Frauen und Kindern an Bord hinschicken, um wehrlos einer unbekannten Umgebung ausgesetzt zu sein? Haben Sie das vor?“ Laurance antwortete nicht. Sein breites Gesicht ließ erkennen, wie angestrengt er nachdachte. Er war kein Narr – sonst wäre er niemals einer der drei Direktoren geworden, und er ahnte eine bestimmte Absicht hinter diesen schein19
bar zufälligen Worten. Er entschloß sich, geradeheraus zu fragen. „Sagen Sie offen, was Sie vorhaben, Hogarth.“ „Ich habe es Ihnen gesagt.“ „Nein, das haben Sie nicht. Ich habe eine Menge Worte gehört, will jetzt aber wissen, was sie zu bedeuten haben.“ Er warf einen Blick auf die schmale Uhr an seinem fleischigen Handgelenk. „Ich gebe Ihnen zehn Sekunden für Ihre Erklärung. Danach sind Sie automatisch Ihres Amtes enthoben und mit vollem Gehalt pensioniert. Also?“ Für einen Augenblick durchbrach die Erregung die eiserne Fassade, die Hogarths Gedanken bisher verborgen hatte. Die fahlen, wasserhellen Augen glühten, und der Mund zog sich zu einem kaum noch sichtbaren Strich zusammen. Vielleicht fünf Sekunden lang saß er völlig bewegungslos und kämpfte gegen seine Erregung. Dann wurde er plötzlich ruhig und lächelte. „Sie sind ein Dickschädel, Laurance.“ „Drei Sekunden“, schnappte der Direktor. „Nun?“ „Ich möchte einen Vorschlag machen. Vielleicht sagt er Ihnen zu, vielleicht auch nicht. Wollen Sie ihn hören?“ „Noch mehr Worte?“ „Natürlich. Da ich nicht über telepathische Kräfte verfüge, werden sie wohl nötig sein. Oder verlange ich zuviel vom Herrn Direktor, wenn ich ihn bitte, den Kommandierenden Admiral der Kriegsflotte anzuhören, der seine Position erst möglich machte?“ 20
Laurance wurde rot und fühlte den beißenden Sarkasmus, denn abgesehen von allen persönlichen Gefühlen blieb es doch eine Tatsache, daß Hogarth den Krieg gewonnen hatte. Er schluckte, wagte nicht den Präsidenten anzusehen und nickte. „Ich danke Ihnen.“ Der hagere Mann nickte vor sich hin und sprach nur flüsternd. „Ich bin ein Soldat, ich war immer ein Soldat, seit ich mit vierzehn zur Kadettenschule kam. Das ist jetzt über vierzig Jahre her. Man hat mir beigebracht, mit Menschen und Maschinen umzugehen, zu planen, Strategie und Taktik anzuwenden, und das Ergebnis dieser Schulung hat Sie beide dahin gebracht, wo Sie heute sitzen. Und jetzt? Jetzt bin ich scheinbar erledigt, meine Fähigkeiten werden nicht mehr gebraucht, ich stehe Ihnen im Wege. Ich soll pensioniert werden, verbannt auf irgendeinen winzigen Planeten, wo ich meine letzten Tage mit Nachdenken zubringen kann. Das liegt mir nicht! Das werde ich auch nicht!“ Er blickte auf. „Sie können mich nicht verbannen. Sie wagen es auch nicht. Ich bin immer noch der Oberkommandierende der Streitkräfte, und es gibt immer noch genug Männer, die mir gehorchen. Ich weigere mich, so abserviert zu werden.“ „Ihre Männer sind desertiert“, erinnerte der alte Mann ruhig, „und ich kann nicht zulassen, daß Sie die Föderation bedrohen.“ „Ich drohe nicht – ich bitte.“ Hogarth schluckte hart. 21
Schweiß glänzte auf seiner Stirn. „Soll das meine Belohnung sein? Ich habe eine Generation lang für das gekämpft, was Sie jetzt haben. Soll ich, da der Sieg nun errungen ist – einfach beseitigt werden?“ „Nein, aber was bleibt uns denn anderes übrig?“ Der Präsident machte sich ernsthafte Sorgen und blickte hilfesuchend auf den dicken Direktor. Laurance wußte auch keinen Rat. Sie hatten dieses Thema Dutzendemale durchgesprochen. Die Antwort war immer dieselbe gewesen. Auf der einen Seite ging es um einen einzelnen Mann, auf der anderen Seite um ein ganzes System. Der einzelne durfte nicht die Oberhand behalten. „Geben Sie mir eine kleine Streitmacht“, flüsterte der Admiral. „Nur ein paar Schiffe und ein paar Männer, die notwendigste Ausrüstung und einen für andere Zwecke unbrauchbaren Planeten als Stützpunkt. Lassen Sie mir wenigstens die Illusion, wenn ich die Macht schon nicht behalten kann. Lassen Sie mich den Kader für eine Armee bilden – falls eine solche jemals wieder benötigt werden sollte.“ „Wir haben einen solchen Planeten“, überlegte der alte Mann. „Stellar im System Capella. Wir haben die Schiffe und die übriggebliebene Ausrüstung. Aber Männer … Wer wollte denn heute noch Militärdienste leisten?“ „Die kann ich finden“, sagte der hagere Admiral rasch. „Ich …“ Er starrte dem dicken Direktor ins Gesicht. „Was gibt’s?“ 22
„Nur eine Idee“, begann Laurance langsam. Dann schüttelte er den Kopf. „Tut mir leid. Ich habe eben an etwas gedacht, aber das würde nicht gehen.“ „Was würde nicht gehen?“ „Wir sprachen über .Männer, und der Präsident sagte, daß sich niemand freiwillig melden würde. Darin irrt er. Es gibt Männer, die diese Chance bereitwillig wahrnehmen würden. Sie Hogarth, würden sie aber nicht nehmen. Und wenn Sie es täten, würden Sie mit ihnen nicht fertig werden.“ „Nein? Was für Männer meinen Sie?“ „Verbrecher!“ Das Wort stand eine ganze Weile in der atemlosen Stille. „Eine Verbrecherkolonie?“ Hogarth schüttelte den Kopf. „Etwas anderes haben Sie mir nicht zu bieten?“ „Entweder das oder Entlassung“, sagte der Dicke entschlossen. „Unter der neuen Verfassung ist die Todesstrafe abgeschafft worden. Irgend etwas müssen wir mit den Gefangenen anfangen. Wir wissen, daß Zwangsarbeit Wachen erforderlich macht und somit weniger einbringt als bezahlte Arbeit. Wenn Sie diese Leute übernehmen könnten, sie zum Arbeiten bringen, ausbilden …“ Er starrte nachdenklich auf den Admiral. „Diese Lösung liegt an sich auf der Hand. Wir könnten Ihnen Besatzungen und Schiffe, Waffen und Ausrüstung zur Verfügung stellen. Sie würden die Verbrecher übernehmen, sie ausbilden und mit ihnen neue Welten erschließen. So würden Sie etwas Nützliches tun anstatt in Zuchthäusern herumzulungern. Nun?“ 23
„Ich weiß es nicht recht. Wieviel Männer wären das wohl?“ „Tausende. Die Gefängnisse der ganzen Föderation sind voll davon. Mörder, Deserteure, Einbrecher – der Abschaum der Menschheit.“ Er lehnte sich über die polierte Tischplatte. „Sie bereiten uns Kopfschmerzen. Hogarth, wenn Sie wirklich etwas Nützliches tun wollen, sagen Sie ja. Stellar kann die Strafkolonie der Föderation werden. Es wird aber kein Zuckerlecken, denn diese Bande ist schwer zu behandeln.“ „Ich werde damit fertig“, versprach der hagere Mann grimmig. Er zögerte. „Habe ich dabei völlig freie Hand?“ „Wie frei?“ „Absolute Handlungsfreiheit. Wenn ich diese Aufgabe übernehmen soll, kann ich keinerlei Einmischungen dulden. Sie müssen mir alles zur Verfügung stellen, was ich brauche, dafür mache ich nützliche Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft aus dem Abfall. Kein weichherziger Menschenfreund darf aber zu klagen anfangen, wenn die Disziplin hart ist. Und ich verlange alle Männer, die Sie mir schicken können, alle, mit denen Sie nicht fertig werden. Einverstanden?“ „Ja.“ Laurance blickte auf den alten Direktor. „Sie brauchen sich wegen irgendwelcher Einmischungen keine Sorgen zu machen. Niemand macht sich viel Gedanken über das Schicksal von Mördern und anderen Parasiten der menschlichen Gemeinschaft. Wann können Sie anfangen?“ Er erhob sich und hielt Hogarth die Hand hin. 24
„Sofort. Sagten Sie Stellar?“ „Ja.“ „Stellar“, murmelte Hogarth. „Im System Capella?“ „Richtig.“ Laurance blickte den Mann verwundert an. „Kennen Sie den Planeten?“ „Nein, aber ich nehme an, daß er bewohnbar ist.“ „Natürlich.“ „Aber nicht gerade gemütlich?“ „Wir haben keine fruchtbare Welt für eine Verbrecherkolonie übrig.“ Der Dicke wurde unruhig. „Es ist wirklich das beste Angebot, das wir Ihnen machen können, Hogarth, das beste.“ „Ich bin damit zufrieden.“ Hogarth lächelte. Hinter den schmalen Lippen wurden zu weiße Zähne sichtbar. „Ich danke Ihnen, meine Herren. Darf ich mich jetzt empfehlen? Ich habe eine Menge zu tun, aber ich schicke Ihnen morgen früh eine Liste meiner Anforderungen zu. Sie können den ersten Transport mit Verbrechern in einem Monat starten.“ Er verneigte sich – eine steife Bewegung seines Kopfes – und war weg. Die Tür glitt hinter seiner kantigen Gestalt zu, während ein Aufzug ihn zum Erdgeschoß hinunterbrachte. Laurance seufzte und schaute den alten Präsidenten an. „Er hat angenommen.“ Leichte Verwunderung darüber war in seiner Stimme zu hören. „Er nahm unser Angebot ohne Widerrede an.“ „Ich bin froh darüber. Hogarth ist ein zu wertvoller 25
Mann, als daß man ihn einfach zur Seite schieben sollte. Wenn wir das versucht hätten, wäre er uns sicher gefährlich geworden.“ „Glauben Sie, daß wir ihm jetzt trauen können?“ „Natürlich. Im Grunde ist er loyal. Er hat eine Aufgabe, Menschen zu führen, auszubilden, zu kommandieren. Er wird dabei glücklich sein. Wir brauchen uns um ihn keine Gedanken mehr zu machen. Ich zweifle nicht an seinem Charakter.“ „Dennoch“, Laurance ärgerte sich selbst darüber, daß er nicht so recht überzeugt war. „Es ging alles zu glatt. Zwei Probleme auf einmal gelöst: Ein Mann aus einer einflußreichen und gefährlichen Position entfernt und zugleich die Möglichkeit geschaffen, aus den Verbrechern brauchbare Menschen zu machen. Warum bestand er nur so hartnäckig auf völliger Handlungsfreiheit?“ „Warum sollte er nicht?“ Der alte Präsident zuckte die Achseln und machte sich eine kurze Notiz. „Hogarth ist ein Mann, der Befehle erteilen kann, aber nie Befehlen gehorcht. Lassen wir ihn jetzt, wir haben anderes zu tun als uns um einen nicht mehr verwendbaren Militaristen Gedanken zu machen. Sagen. Sie, wie ist der Ertrag der wiederbebauten landwirtschaftlichen Gebiete?“ „Wie vorausberechnet“, sagte Laurance abwesend. Er starrte auf die gegenüberliegende Wand. Zweifel standen in seinem breiten Gesicht, und Nachdenklichkeit verschleierte die kleinen Augen. Alles schien ganz nach Plan verlaufen 26
zu sein – Hogarths halbe Drohung, die Feindseligkeit, das Warten auf einen Vorschlag, die erzwungene Entscheidung, dann die scheinbar bereitwillige Annahme des Angebots und die Äußerung der Bedingungen. Zu einfach war das. Laurance überlegte, wer wohl wen überlistet hatte.
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3. Kapitel Der Boden war trocken und körnig und ohne jegliche Spur pflanzlichen Lebens. In ihm lag die Saat eines grausamen Todes. Eigentlich war es Asche, die Rückstände atomarer Sprengungen, zerstört und verbrannt von der Hitze der Kettenreaktionen, trocken und pulvrig. Er zerfiel wie Staub und war nutzlos. Noch nicht einmal ein einziger Grashalm hätte darauf wachsen können. Wilson winkte mit dem Arm, und eine schwere Maschine bewegte sich auf breiten Kettenraupen in seine Richtung. Das weit aufgesperrte Maul des Behälters schwang herum und plumpste auf den unfruchtbaren Boden. Automatisch begannen die Jungen, mit kleinen Handspaten den verseuchten Boden hineinzuschaufeln. Sie waren in eine Staubwolke gehüllt, die sich in einer dicken Schicht auf die Sichtplatten ihrer Helme und auf die dicke Schutzkleidung niederließ. In den Anzügen war es so heiß, daß sie von Kopf bis Fuß in Schweiß gebadet waren. Über ihnen brannte die Sonne von einem wolkenlosen blauen Himmel herab und machte jede Bewegung zu einer Qual. Sie hatten nun schon fünf Stunden gearbeitet und eine dreißig Zentimeter dicke Schicht in die Behälter geschaufelt. Ein leerer Kasten plumpste auf den Boden, wurde gefüllt, abtransportiert, ein zweiter gebracht, gefüllt … es schien ewig so weiter zu gehen. 28
Auf beiden Seiten, rings um die immer kleiner werdende Fläche verbrannten Bodens, schufteten andere Gruppen unter der erbarmungslosen Sommersonne. Zu jeder Gruppe gehörten zehn Jungen und ein Aufseher, meist ein Veteran des längst vergessenen Krieges. Für dieses unerwünschte Strandgut des Krieges gab es immer noch keinen Frieden. Wilson stützte sich auf seine Schaufel und reckte den schmerzenden Rücken. Neben ihm warf ein kleiner, untersetzter Kerl – er sah beinahe wie ein Affe aus – seine Schaufel fluchend auf den Boden und öffnete den dicken Kopfschutz. „Zum Teufel damit“, schrie er, „ich habe die Nase voll.“ „Setz deinen Helm wieder auf!“ schrie ihn Wilson an. „Oder willst du blind werden?“ „Das kann mir nicht passieren“, regte sich der Kleine auf, aber er befolgte doch die Anweisung und starrte dann wütend über die verbrannte Wüste. „Warum kriegen wir keine anderen Geräte? Warum gibt man uns keine Bulldozer, Bagger und Traktoren? Wir könnten das ganze Zeug in zwei Monaten wegräumen, wenn wir richtiges Werkzeug hätten und nicht jedes verdammte Staubkorn in die Hand nehmen müßten. So brauchen wir noch Jahre dazu.“ „Vielleicht haben sie keine Maschinen.“ „Natürlich haben sie welche. Ich weiß das genau. Bevor ich hierher kam, habe ich im Norden, in Cumberland, gearbeitet. – Da waren wir mit allem ausgerüstet – Bagger, Traktoren – alles, was du willst.“ Er schnaubte und trat wütend gegen den Schmutz. 29
„Willst du wissen, was ich mir denke? Die wollen gar nicht, daß wir mit dieser Arbeit jemals fertig werden. Weißt du auch warum? Damit wir nur irgendwas zu tun haben, und mit Dreckschaufeln kann man uns genausogut ruhig halten wie mit einer anderen Arbeit.“ „Warum sollte man uns denn ruhig halten müssen?“ „Das weißt du nicht?“ Der Kleine hob seinen Helm und spuckte auf den Boden. „Mich haben sie hierhergeschickt, weil ich nicht alles tat, was sie wollten. Die Polizei erwischte mich, als ich in ein Lager einbrach. Dann schickten sie mich nach Cumberland. Dort geriet ich mit einem Aufseher aneinander, mit so einem Kerl, der mich zu seinem Burschen machen wollte.“ Er stieß einen undefinierbaren Laut aus. „Den habe ich richtig versorgt. Sie brachten ihn ins Krankenhaus und mich möglichst schnell weg. Ich …“ „Moment mal.“ Wilson starrte auf das häßliche Gesicht hinter der Schutzplatte. „Du sagst, die Polizei hat dich geschnappt?“ „Ja, so war es.“ „Dann hast du also nicht immer in einer solchen Gruppe gearbeitet?“ „Natürlich nicht. Meine Alten sind vor ein paar Jahren gestorben. Danach habe ich mich ein wenig herumgetrieben. Dabei erwischten sie mich.“ Er blickte neugierig auf den jungen Mann mit der blauen Narbe. „Was ist los, Wilson? Du guckst so komisch.“ 30
„Nichts, nichts.“ Der junge Mann packte seine Schaufel und warf wieder Schmutz in den wartenden Behälter. Nach außen hin wirkte er ruhig wie immer, aber in seinem Schädel jagten sich die Gedanken wie Ratten in einem Lagerkeller. Zum erstenmal kam es ihm in den Sinn, daß man ihn nach dem Kriege einfach vergessen hatte. Seine Ausbildung war dürftig, er konnte Lesen und Schreiben und hatte sich in einem Hypno-Kursus eine lükkenhafte Allgemeinbildung angeeignet. Hauptsächlich bestand sein Lernen jedoch darin, die Leidensgefährten zu beobachten. Von der großen Welt, vom Frieden, vom Begriff persönlicher Freiheit, vom Recht eines jeden Menschen, sein Geschick selbst in die Hand zu nehmen, wußte er nichts. Er dachte immer – warum sollte er auch etwas anderes annehmen? – daß alle Menschen ein solches Leben führten wie er, und jetzt… Jetzt hörte er etwas vollkommen Neues, das seine Einstellung von Grund auf veränderte. Der Kleine hatte von Maschinen gesprochen, von Polizei, von einem Leben, in dem ein gewisses Maß an persönlicher Freiheit offensichtlich vorhanden war. Es bestand, zumindest innerhalb gewisser Grenzen, die Wahl, zu tun und zu lassen, was man wollte. Der Kleine war hier, weil er ein Verbrechen begangen hatte und vielleicht sogar mehr als eins, wenn seine Geschichte mit dem Aufseher stimmte, und das bedeutete … 31
Wilson fühlte, wie Haß und Ärger in seinem Hals aufstiegen und ein Knoten sich in seinem Magen bildete. Der Kleine war ein Verbrecher, er selbst war keiner! Warum sollte er dann die gleiche Arbeit tun und das gleiche Hundeleben führen wie dieser? Dieser war durch eigenes Verschulden hier, er auf Grund von Umständen, auf die er keinen Einfluß hatte. Als Wilson dies überlegte, verengten sich seine grauen Augen und die Muskeln unter seiner narbigen Backe begannen zu arbeiten. Zum erstenmal in den 17 Jahren seines Lebens hatte er das Gefühl, daß ihm Unrecht getan wurde. Sie arbeiteten noch eine Stunde weiter und kletterten dann auf einen flachen Turbinentraktor, der sie zu ihren zwei Meilen entfernten Unterkünften brachte. Mit Preßluft wurde der radioaktive Staub von der Schutzkleidung geblasen, dann saßen sie mit abgelegten Helmen rings um den rohen Holztisch beim Essen. Die Mahlzeit bestand aus dem üblichen Brei aus Nährhefe, Trockengemüse und Sojamehl. Kein Wort wurde dabei gesprochen, und das häßliche Schmatzen der Halbverhungerten war das einzige Geräusch im Raum. Als der letzte Teller sauber abgeleckt war, streckten sie sich für die noch verbleibenden fünfzehn Minuten ihrer Ruhepause aus. Ein blasser Knabe, höchstens 13 Jahre alt, wischte sich den Schweiß von der Stirn und blickte Wilson aus fiebrigen Augen an. „Mir geht es nicht gut, ich habe Krämpfe und mein 32
Bauch tut weh.“ „Nimm ein paar Salzpillen.“ „Hab ich schon, hilft aber nicht.“ „Was soll ich denn wohl dagegen tun?“ Wilson blickte ihn an. „Wenn du krank bist, dann melde das dem Aufseher. Aber überzeuge dich vorher lieber davon, daß du wirklich krank bist.“ „Du kannst es mir glauben, ich bin’s.“ „Auf was wartest du dann noch?“ Wilson deutete mit dem Kopf zum oberen Tisch, an dem der Aufseher saß. „Hoppy sitzt dort oben. Geh jetzt gleich hin. Wenn er es erlaubt, kannst du dich heute nachmittag hinlegen.“ Der Knabe nickte, erhob sich vom Tisch und trat zögernd vor den Aufseher. Der Mann starrte ihn an. Bei dem heißen Wetter peinigten ihn die Prothesen noch mehr „Was willst du?“ „Ich bin krank, Herr. Wilson sagte, daß ich mich heute nachmittag hinlegen dürfte, wenn Sie es erlaubten.“ „Sagte er das?“ Der Alte blitzte Wilson wütend an. „Seit wann erteilst du hier Befehle, Wilson?“ Er brüllte, und die anderen Jungen waren noch stiller als vorher. „Ich habe keinen Befehl erteilt, Herr. Ich habe ihm gesagt, er soll mit Ihnen sprechen.“ „Warum?“ „Er sagte, daß er sich krank fühlte. Es könnte Hitzschlag sein oder etwas ähnliches. Auf jeden Fall nützt uns ein Kranker draußen nicht viel.“ 33
„Wirst du weich, Wilson?“ Der junge Mann zuckte die Achsel. Er wollte nicht mit jemandem streiten, den er so verachtete wie Hoppy. Der Aufseher fühlte das. Ärger verzog seinen Mund zu einer häßlichen Grimasse. „Da er dir so leid tut, darfst du während der nächsten drei Schichten mit ihm zusammenarbeiten. Wenn du willst, daß er sich ausruht, kannst du seine Arbeit mit verrichten. Aber merke dir das, Wilson: Wenn euer Anteil nicht erfüllt wird, könnte es dir leid tun.“ „So, wie es Carter leid getan hat?“ Wilson blickte fest in die verzerrten Züge des Aufsehers. „Er ist tot, nicht wahr? Ich habe ihn in der Nacht schreien hören, als er angeblich seinen Hals durchschnitt.“ „Halt das Maul!“ Der Aufseher erhob sich so unvermittelt, daß sein Stuhl auf den unebenen Fußboden polterte. „Das war vor einem Jahr.“ „Ja“, sagte der junge Mann ruhig, „vor einem Jahr. Seitdem mußten Sie Ihre Hütte selbst saubermachen.“ Er schaute ihn furchtlos an. „Warum eigentlich, Hoppy?“ „So darfst du mich nicht anreden, du …“ Die Lippen des Alten geiferten, als er vorwärtsstürzte. Er vergaß seine Prothese, stolperte und fiel lang hin. Sein Kinn schlug auf die Tischkante. Als er langsam wieder auf die Füße kam, lief ihm das Blut aus der gebrochenen Nase. Wilson lachte. Das bereute er sofort. Er bereute den hilflosen, verzweifelten Ärger, der ihn dazu drängte, den alten Mann lächer34
lich zu machen, aber es war zu spät. Als der Aufseher zur Tür stolperte, bekam er unter dem haßerfüllten, Mord versprechenden Blick eine Gänsehaut. „Jetzt hast du es!“ quiekte der Kleine mit dem Affengesicht neben ihm. „Er wird dich erwischen, Wilson, darauf kannst du dich verlassen.“ „Vielleicht.“ „Da gibt’s kein Vielleicht. Das weiß ich genau. Den Blick habe ich schon mal an ihm gesehen.“ Er schaute den jungen Mann überlegend an. „Wirst du zuerst zuschlagen?“ „Du meinst, ihn ermorden?“ „So kann man es auch nennen.“ Er tat unbeteiligt. „Ich möchte es lieber Vorsicht nennen – aber wie du willst. Wirst du das tun?“ „Er wird sich schon beruhigen“, hoffte Wilson unsicher, „er wird mich eine Zeitlang hart rannehmen, aber das kann ich aushalten.“ „Was ist los mit dir, kannst du die Wahrheit nicht vertragen?“ Der Kleine grunzte verächtlich. „Ich sage dir, daß er dich erwischen wird, und wenn das seine letzte Tat werden sollte. Er kann gar nicht anders handeln. Du hast ihn ausgelacht, ihn zum Narren gemacht, und, was noch schlimmer ist: Er muß glauben, du wüßtest etwas über ihn.“ „Lassen wir das“, sagte Wilson mit einem ungemütlichen Gefühl. „Los, wieder an die Arbeit!“ „Was wird mit dem kranken Jungen?“ 35
„Er kommt mit.“ Wilson erhob sich vom Tisch und führte die Gruppe zu dem wartenden Fahrzeug. Am Arbeitsplatz packte er entschlossen seine Schaufel und begann, wie wild zu schuften, um den Anteil des Kranken mit zu schaffen. Dieser lag stöhnend auf dem vergifteten, radioaktiven Boden und krümmte sich vor Schmerzen. Der Kleine beobachtete ihn grinsend, verächtlich, und fragte belustigt: „Was hast du vor – willst du dich zu Tode arbeiten?“ „Nein.“ Wilson knurrte, während er eine neue Schaufel voll Dreck in den Behälter warf. „Ich arbeite nur für ihn mit. Wenn wir heute unseren Anteil nicht schaffen, zieht uns der Aufseher die Haut über die Ohren.“ „Warum sich für jemand anderen abrackern?“ Der Kleine lehnte faul auf seinem Schaufelstiel. „Mit dir steht es ohnehin so schlecht, daß ein wenig mehr oder weniger nicht mehr viel ausmachen kann. Warum beeilst du dich so?“ „Weil ich…“ Wilson hielt inne. Seine Schaufel fiel zu Boden, während er sich nach vorn warf. „Du dämlicher Idiot!“ schrie er. „Setz sofort die Kopfbedeckung wieder auf. Los, schnell!“ „Ich kann nicht!“ Der Kranke schaute ihn flehend an und wälzte sich auf dem verseuchten Boden. In seinem blassen, eingefallenen Gesicht brannten die Augen wie zwei Stücke blanken Ebenholzes. „Ich verbrenne. Ich kann kaum noch atmen. Und ich will auch krank sein.“ „Dann mach, was du willst“, schnauzte ihn Wilson kurz 36
angebunden an. „Du kannst von mir aus dein Herz ausspucken, wenn du willst, aber erst wird der Kopfschutz wieder aufgesetzt.“ „Ich …“ Der Junge schluckte und Speichel tropfte aus dem Mundwinkel. „Ich …“ Er mußte sich übergeben und zuckte krampfhaft. Blind vor Schmerz wand er sich und vergaß alles um sich her in namenloser Pein. Er rollte auf den Bauch und – vergrub sein Gesicht in dem radioaktiven Staub! Für einen Moment machte keiner der beiden Jungen die geringste Bewegung, dann ließ sich Wilson auf die Knie nieder und packte den Knaben an den Schultern. Unter Anspannung aller Energie hob er ihn hoch und drehte ihn herum. Sorgfältig wischte er den grauen Staub aus dem bleichen Gesicht und stöhnte vor Mitleid, als er die winzigen Fleckchen im Weiß der aufgerissenen Augen erblickte. Hinter ihm atmete der Kleine schwer, hob den Kopfschutz und spuckte in den Schmutz. „Das wär’s also“, sagte er grimmig, „für ihn gehen die Lichter jetzt aus.“ „Wir müssen ihn schnell in die Krankenbaracke zurückbringen.“ Wilson schaute zu dem anderen auf. „Nimm du ihn mit, sag dem Fahrer des Turbinentraktors, was passiert ist. Er wird euch zurückfahren.“ Er schnaubte wütend, als der Kleine keinen Finger rührte, um ihm zu helfen. „Verdammt, kannst du nicht hören? Mach schnell! Vielleicht gibt es noch eine Chance, ihm das Augenlicht zu retten.“ 37
„Wenn du meinst.“ Der Kleine brummte, als er sich die stöhnende, schmale Figur über die stämmigen Schultern warf. „Ich persönlich denke, daß das Zeitverschwendung ist. Warum läßt du ihn nicht hier? Glaubst du, er wird dir dafür danken, daß du ihm das Leben rettest – ohne Augen? Komm zu dir, Wilson. Mit dem Staub in den Augen hat er nicht die geringste Chance. Das weißt du auch.“ „Mach dich auf die Beine, verdammter Kerl! Vielleicht hat er Glück. Während du hier stehst und Unsinn redest, kann es schlimmer werden.“ Er ging auf ihn zu. Etwas in den kalten, grauen Augen veranlaßte den Kleinen, zu gehorchen. „Nun?“ „Ich geh ja schon.“ schnaufte das kleine Affengesicht. „Ich bin ja schon weg.“ Staub erhob sich unter seinen Füßen, als er zum Traktor hinüberstapfte. Verärgert hob Wilson seine Schaufel wieder auf und arbeitete weiter. Er wußte, daß der Junge nicht die geringste Aussicht hatte, das Augenlicht zu behalten. Er war Zeuge zu vieler ähnlicher Unfälle gewesen, um sich für eine Minute täuschen zu können, aber trotz dieser Überzeugung mußte der Versuch unternommen werden. Ein kleiner Windstoß genügte schon, der ein winziges Körnchen Staub ins Auge trieb und das empfindliche Gewebe mit dem tödlichen Gift durchsetzte. Zuerst gab es eine Entzündung, die sich über den ganzen Augapfel ausbreitete und die Pupille verschleierte. Dann … er durfte nicht daran denken, das Bild war zu grausam. 38
Blind ohne eigenes Verschulden. Er machte schließlich eine Pause und sog in tiefen Zügen die gefilterte Luft ein. Er mußte der Versuchung widerstehen, den Kopfschutz zurückzuschlagen und sich die milde Luft um das verschwitze Gesicht wehen zu lassen. Schwerfällig wischte er über die Sichtplatte und verursachte mit der rauhen Außenseite seiner dicken Handschuhe neue Kratzer auf der zerschundenen Plastikfläche. Dann griff er wieder nach seiner Schaufel. Er fand sie nicht mehr. Er griff noch einmal danach, suchte mit einer kreisenden Handbewegung hinter sich, wo er sie hingestellt hatte. Nichts. Halb ärgerlich drehte er sich herum, um nach dem Werkzeug zu sehen. Ein Mann grinste ihn hinter einer weißen Sichtplatte an, ein Mann mit einer Schaufel in der Hand und verkrustetem Blut im Gesicht. Ein Mann mit gebrochener Nase. Der Aufseher.
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4. Kapitel Einen Augenblick lang machte keiner der beiden die geringste Bewegung. Dann blickte sich Wilson mit engen Augen um. Sie waren allein, die anderen Gruppen waren nicht zu sehen. „Sie sind fort“, sagte der Alte mit sanfter Stimme. „Ich schickte sie nach Hause. Wir sind allein hier, Wilson, ganz allein.“ „Das sehe ich.“ Der junge Mann streckte seine Hand aus. „Geben Sie mir meine Schaufel, damit ich weiterarbeiten kann.“ „Vergißt du nicht etwas, Wilson?“ „Es tut mir leid, Herr. Aber ich muß meinen heutigen Anteil erfüllen, und dazu brauche ich eine Schaufel.“ „Ja, ja, deinen Anteil.“ Der Aufseher schaute in den halbgefüllten Behälter. „Du bist spät dran. Wo sind die anderen beiden?“ „Der Junge wurde krank, riß seine Kopfbedeckung herunter und bekam Staub in die Augen. Ich habe ihn ins Krankenhaus geschickt. Ein anderer begleitete ihn.“ „Staub in die Augen, so? Schlimm. Sehr schlimm.“ In der Stimme des Alten lag so viel falsches Mitleid, daß der junge Mann sich vor ihm ekelte. Eine schleimige Gefühlsäußerung, mit der Hoppy seinen eigenen Sadismus abreagierte. 40
„Machen wir für heute Schluß, Herr?“ Er kämpfte um seine Selbstbeherrschung, da er wußte, daß jedes Anzeichen von Angst den Mann zu äußerster Brutalität aufreizen würde. Zugleich wollte er jedoch höflich bleiben, um keinen Anlaß zu neuem Ärger zu geben. Der Alte grinste. Sein Mund verzog sich zu einer häßlichen, vollkommen humorlosen Grimasse, in der die Erwartung des unvermeidlichen Zusammenstoßes zu lesen war. „Ja.“ „Wollen wir zurückgehen, Herr?“ „Hast du es so eilig, Wilson?“ „Nein, Herr, aber es ist heiß, und ich möchte mich waschen.“ „Waschen?“ Der schwere Mann machte einen Schritt vorwärts, wobei er seine Prothese unbeholfen durch den Staub schlenkerte. Wilson beobachtete ihn genau, wobei seine Augen zwischen dem blutverschmierten Gesicht und der Schaufel hin und her wanderten, die leicht in der mächtigen Pranke lag, wie ein Spielzeug fast. „Ja, Herr, ich möchte duschen.“ Der Aufseher antwortete nicht, sondern stand nur stumm da. Er schwankte ein wenig, als er sein Körpergewicht von einem Bein auf das andere verlegte. „Du hast meine Nase zerschlagen, Wilson“, sagte er plötzlich. „Du hast mich ausgelacht. Ich lasse mich nicht gern auslachen, Wilson. Ich mag das gar nicht gern.“ „Gewiß, Herr“, sagte der junge Mann automatisch. „Es tut mir leid, Herr.“ Er leckte über seine trockenen Lippen 41
und die grauen Pupillen wanderten zwischen den haßerfüllten Augen und der Schaufel hin und her. Er hatte Angst. Und er wußte es. Er fühlte, wie ihm der Schweiß über Gesicht und. Rücken lief, wie sein Herz gegen den Brustkorb pochte, und instinktiv krümmte er sich. Siebzehn Jahre einseitiger Erziehung ließen sich nicht verleugnen. Der Aufseher war der Chef, und der Chef hatte immer recht. Der Chef hat immer recht gehabt, und da er seit jeher unter der gefühllosen Knute brutaler Gewalt gelebt hatte, beherrschte ihn eine namenlose Angst vor denen, die etwas zu sagen hatten. Jetzt aber hatte er Angst um das nackte Leben. „Ich hasse dich. Wilson“, stieß der Alte schwer hervor, „ich habe dich schon immer gehaßt. Ich mag deine Augen nicht, die Haare, die Narbe auf deinem Hals. Ich kenne dich und deinesgleichen. Ihr macht immer Schwierigkeiten, und du hast meine Nase zerschlagen.“ „Das tut mir wirklich leid, Herr“, stotterte Wilson verzweifelt, „aber ich …“ Beinahe wäre es zu spät gewesen. Fast hätte er in seiner Aufmerksamkeit nachgelassen und sich auf die Waffen der Höflichkeit statt auf eigenes Handeln verlassen. Ein rasches Blitzen rettete ihn, der Widerschein der untergehenden Sonne auf dem blanken Spaten. Er warf sich zu Boden, als die scharfe Kante an der Stelle durch die Luft pfiff, an der eben noch sein Kopf gewesen war. Selbst dann unternahm er noch nichts. Die Furcht vor 42
dem, was geschehen könnte und die Angst davor, seine Hand gegen den Vorgesetzten zu erheben, lähmten seinen Willen. Schweratmend sah er zu, wie der knochige Mann einen Satz vorwärts machte und dabei die Prothesen durch den tiefen Sand zerrte. Er hielt inne, und die hocherhobene Schaufel glühte wieder rot vom Widerschein der Sonne. „Ich werde dich töten, Wilson“, keuchte er. „Das weißt du doch, oder nicht?“ „Nein, Herr.“ Der junge Mann zitterte, als er den Aufseher anblickte. „Warum, Herr?“ „Ist das nicht gleichgültig?“ Beginnender Irrsinn ließ die schwere Stimme unnatürlich heiter klingen. „Willst du leben, du Schwein? Sag, willst du am Leben bleiben?“ „Ja, Herr.“ „Dann nimm den Kopfschutz ab. Nimm ihn ab, sage ich, bevor ich dir den Schädel zerteile.“ Wilson zögerte und warf einen verzweifelten Blick über die verlassene Wüste rings um sich. Er hoffte, daß jemand ihm zu Hilfe kommen würde, ein anderer Aufseher, einer der Jungen, irgend jemand, der dem Alten sagen würde, er sollte aufhören und überlegen, was zu tun er im Begriff war. „Sie können mich nicht erschlagen“, keuchte er. „Das können Sie nicht tun! Man wird mich vermissen. Ich …“ „Nimm die Kopfbedeckung ab!“ Der Aufseher sprang auf ihn zu. Die hocherhobene Schaufel funkelte drohend in seiner Hand. „Runter damit!“ 43
„Warum, Herr?“ „Warum?“ Der schwere Mann grinste, wobei die dünnen Lippen ausgeschlagene Zähne sehen ließen. Das verkrustete Blut in seinem Gesicht verlieh ihm das Aussehen einer grotesken Fratze. „Er heult wie ein Hund! Du siehst zu viel und hörst zu viel. Dagegen will ich etwas tun. Nimm den Kopfschutz ab und wälz dich im Dreck!“ „Nein!“ Wilson sprang zurück und schluckte die Angst hinunter, die ihm die Kehle zusammenzuschnüren drohte. Er dachte an das, was er gesehen hatte, an die fürchterlichen Wunden, die radioaktiver Staub verursachte, ein Gesicht stand plötzlich vor seinen Augen – ohne Nase, ohne Augen, schrecklich entstellt. Sein eigenes Gesicht! Der Tod griff nach ihm. Wie eine antike Streitaxt sauste die Schaufel auf seinen Kopf zu. Er ließ sich fallen und merkte, wie jedes Gefühl aus seinem linken Arm wich, als die Schaufel tief in die schützende Hülle hineinschnitt. Der Aufseher fluchte und sprang vorwärts, und wieder pfiff die Schaufel durch die Luft. Sie beschrieb einen weiten Kreis. Die Wucht des Hiebes ließ den Aufseher auf seinen Prothesen herumwirbeln, und seine Schmerzen an den wunden Beinstümpfen machten sich in gräßlichen Flüchen Luft. Wilson blickte aus seiner kauernden Haltung auf und wußte mit tödlicher Sicherheit, daß er einen dritten Angriff nicht überleben würde. Er wälzte sich ein Stück weiter, seine langen Beine wirbelten eine Wolke von Staub auf. 44
Die massige Figur des Aufsehers war nur noch wie ein geisterhafter, unwirklicher Schatten zu sehen. Unter diesem Staubschleier bewegte er sich mit der instinktiven Sicherheit eines vom Tode bedrohten Tieres. Er trat mit den Beinen aus, verfehlte sein Ziel, trat noch einmal, und als die Schaufel mit dumpfem Knall flach gegen seinen Schädel schlug, traf er das Metallknie des Aufsehers. Schmerz erfüllte ihn, und in halber Bewußtlosigkeit sah er rote und blaue Ringe von seinen Augen tanzen. Verzweifelt bemühte er sich, wieder klar zu werden. Er biß sich die Lippen in der Gewißheit blutig, daß er so gut wie tot war, wenn er jetzt nicht auf der Hut war. Tief in den Staub geduckt, wischte er über die Sichtplatte, um besser sehen zu können. Vor ihm stand der Aufseher, steif wie ein Storch. Ein Bein funktionierte normal, das andere war am Kniegelenk von dem harten Tritt zerschmettert und unbeweglich. Schon warf sich Hoppy wieder nach vorn, mit ausgestreckten Händen nach dem Hals des jungen Mannes greifend. Während sie kämpften, stieg eine Wolke von Staub zu dem entschwindenden Licht des Himmels auf. Wilson war jung, aber bisher kannte er nichts als schwere Arbeit. Sein Körper barg mehr Kräfte, als es die schmale Figur vermuten ließ. Seine zähen Muskeln waren vom Schaufeln vieler Tonnen radioaktiver Erde hart geworden. Was ihm an Gewicht fehlte, ersetzte er durch Gewandtheit. 45
Wie ein Aal bewegte er sich unter dem schweren Gewicht des über ihm liegenden Aufsehers. Hände rissen an seinem Kopfschutz, ein Ellbogen stieß in die Magengrube, ein anderer gegen seine Kehle. Er wand sich und brachte ein Knie hoch, riß die verderbenbringenden Hände von der Kappe. Keuchend verschwendete er seine Kräfte in einem vergeblichen Fluchtversuch und fürchtete sich jetzt noch davor, den anderen anzugreifen. Er ächzte, als Hoppy ihm noch einmal einen Ellbogen hart in den Magen rammte und stöhnte verzweifelt auf, als ihn ein Hieb mit der flachen Hand an der Seite des Halses traf. Er spürte Blut im Mund. Der Schlag schwächte ihn, und als er auf dem Boden zusammensackte, warf sich der schwere Mann auf ihn. Wilsons schmaler Körper sank unter dem Gewicht zusammen. Hoppy lachte keuchend, blutdürstig, und seihe Hände fummelten am Verschluß der Kopfbedeckung seines Gegners herum. „Du siehst zu viel“, stammelte er, „du weißt zu viel, aber ich werde etwas dagegen tun. Ich will dich nicht töten, das brauche ich gar nicht. Der Staub wird es für mich tun. Ich werde einen Unfall melden – einen bedauerlichen Unfall, und dich in die Krankenbaracke schleppen.“ Er lachte wieder. „Wer sollte mir die Schuld geben, wenn du dumm genug warst, die Kopfbedeckung abzunehmen und in den Staub zu fallen? Von eurer Bande vergiften sich alle paar Tage welche. Wer kümmert sich schon um so ein unnützes Schwein?“ 46
Er grunzte, als er merkte, daß die Kappe sich löste. Grauen durchströmte die gelähmten Glieder des jungen Mannes, irrsinniges Grauen in der Erwartung dessen, was der Aufseher vorhatte. Mit der Todesangst kam die Kraft der Verzweiflung zurück. Er bog sich zur Seite und entschlüpfte den suchenden Händen. Der schwere Mann schnaubte, und als er hinter Wilson herfassen wollte, hinderte ihn das steife Bein, das wie Blei an seinem wunden Körper hing. Er grunzte, ballte die Faust und schlug damit gegen die Sichtplatte des jungen Mannes, versuchte verzweifelt, sie zu zerbrechen und den Kopfschutz mit vergiftetem Sand zu füllen. Wilson wußte jetzt, daß jede Berufung auf Mitleid oder Gerechtigkeit vergebliches Bemühen war. Er kämpfte verzweifelt mit Armen und Beinen, wand und krümmte sich, um von dem anderen loszukommen. Als er hastig zur Seite kroch, erhob sich eine neue Staubwolke über den beiden Gegnern. Eine Hand packte nach seinem Fußgelenk – er trat danach und rollte wie eine Katze auf den Rücken, während er ohne Pause um sich trat. Glas zersplitterte unter seiner Ferse. Er stampfte weiter, ohne nachzudenken, verzweifelt und voller Angst. Sein Fuß wirbelte Staub auf, einen dicken Klumpen grauen Schmutz, der durch die zerbrochene Glasplatte in die Kopfbedeckung eindrang und sie mit unsichtbarem Tod füllte. Der Aufseher brüllte. 47
Er schrie in höchsten Tönen und vergaß den Kampf, um seine Augen von dem verderbenbringenden Schmutz zu befreien. Er riß sich die Kappe vom Kopf, schleuderte die Handschuhe weg und wimmerte leise, während die Finger in den verklebten Augen herumwischten. „Meine Augen!“ schrie er. „Meine Augen! O Gott, meine Augen!“ Wilson starrte ihn an und erkannte in regungslosem Schrecken, was er angerichtet hatte. Als er sich wankend erhob und einen Schritt zurück machte, stieß sein Fuß gegen die weggeworfene Schaufel. Automatisch nahm er sie auf. „Hilf mir“, wimmerte der Aufseher. „Ich kann nichts sehen. Ich bin blind. Blind! Verdammt, hilf mir doch – um Gottes willen, tu etwas!“ Er griff blindlings um sich her. Seine gebrochene Prothese hing ihm wie ein steifes Bein am Körper. Eine unerbittliche Hand packte Wilsons Bein und klammerte sich daran fest, groß und unnachgiebig. „Ich hab dich!“ Irrer Triumph zitterte in der rauhen Stimme. „Du Schwein hast mich geblendet. Aber ich räche mich. Ich ziehe dich in den Staub und mache dasselbe mit dir. Ich …“ Er riß an dem Bein, und Wilson stolperte unter dem harten Griff. Was dann folgte, entsprang gleichzeitig aus Mitleid und Angst. Mitleid wegen der unausbleiblichen Folgen der radioaktiven Vergiftung, und Angst vor seinem eigenen 48
Schicksal, falls er jetzt nicht handelte. In diese Angst mischte sich Haß, beide ergänzten einander zu einem neuen, übermächtigen Gefühl, das sich gegen den Körper zu Wilsons Füßen richtete. Die Schaufel wirbelte durch die Luft, sie heulte und sang unter der Wucht des Hiebes. Einmal, zweimal, dreimal – dann war alles still, totenstill. Von den entfernten Baracken kamen Gestalten auf ihn zu, wurden größer, liefen über die dazwischenliegende Ebene. Er wartete.
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5. Kapitel Admiral Hogarth saß in seinem Büro und blickte durch die hohen Fenster auf sein neues Reich. Stellar war ein „schwerer“ Planet mit fast der doppelten Schwerkraft wie die Erde. Aber trotz dieser Belastung saß er kerzengerade wie immer, die Schultern unter dem dünnen Material seiner Uniform gerade und eckig. Er trug jetzt nicht mehr das stolze Schwarz und Gold der Erdflotte, sondern eine Uniform aus schlichtem Grau, worauf die scharlachroten Rangabzeichen wie Flecken frischen Blutes aussahen. Ein ungemütlicher Platz, diese Verbrecherkolonie, rund fünfzig Lichtjahre von der Erde entfernt, verbrannt von einer Sonne, die fast zweihundertmal so groß war wie Sol. Eine alte Welt, die Seen ausgetrocknet, die Rotation so stark abgebremst, daß sie sich nur einmal im Jahr um die Achse drehte und immer dieselbe Seite den unerbittlichen Strahlen der Capella zuwandte, während die andere Seite ewig in der Finsternis des sternenübersäten Nachthimmels lag. Stellar besaß eine Lufthülle, die der irdischen so ähnlich war, daß man einigermaßen atmen konnte. Die Temperaturunterschiede zwischen Tag- und Nachtseite verursachten regelmäßige Stürme, die mit ungeheurer Wucht über die Oberfläche des Planeten hinwegrasten und in einer dreißig Kilometer breiten Zone – dem Zwielichtgürtel – rings um 50
den Äquator das Leben ermöglichten. Es war eine rauhe Welt, eine Welt aus .Wüsten und Eis, aus heißglühendem Sand und steinhart gefrorenem Boden, eine Welt der Gegensätze, ein verlorener Planet, den man bei der Kolonisation fruchtbarer Welten links liegengelassen hatte. Aber Hogarth war zufrieden, und als er auf die trostlose Landschaft blickte, glühte etwas in seinen wasserhellen Augen auf. Seine Schultern strafften sich noch um ein paar Millimeter unter der makellos sitzenden Uniform. Auf dem großen Schreibtisch vor ihm summte ein Sprechgerät auf. „Ja?“ „Der neue Transport ist angekommen, Sir. Vorgehen wie üblich?“ „Ja.“ „Sehr wohl, Sir. Fünf Minuten?“ Der Adjutant wartete auf dem Korridor, Uniform ungebügelt und die Kapitänsabzeichen verblaßt. Er trug doppelläufige Pistolen an der Hüfte. An der einen Backe zuckte ein Muskel ununterbrochen und unkontrollierbar. Hogarth nickte ihm zu, und der Kleinere schloß sich ihm an. „Wie viele diesmal, Kapitän?“ „Fünfzig, Sir!“ „Nicht mehr?“ Hogarth zog die Brauen zusammen. „Ich hatte mehr erwartet.“ „Mir genügen die fünfzig, Sir.“ Der stämmige Kapitän 51
nagte an seiner Unterlippe. „Ich fühle mich nicht mehr wohl in meiner Haut, bevor nicht ein paar Männer zur Erweiterung der Wachmannschaft herangezogen werden können. Ich persönlich habe seit unserer Landung nicht eine einzige Nacht ruhig geschlafen, und den anderen geht es nicht anders.“ „Hm, Sie wußten aber vorher, was Ihnen blühte.“ „Ich weiß, Sir. Ich beklage mich auch nicht, aber die Anspannung macht sich allmählich bemerkbar. Wir sollten von Anfang an mehr Wachen mitgenommen haben. Entweder mehr Wachen oder weniger Gefangene.“ „Sind die anderen derselben Ansicht darüber wie Sie, Kapitän?“ „Ich glaube ja, Sir.“ Der Untersetzte blickte zu dem hageren Admiral hinauf. „Fassen Sie es bitte nicht so auf, daß wir uns beklagen wollten, aber es ist besser, wenn Sie darüber Bescheid wissen.“ „Ich verstehe Sie, Kapitän“, sagte Hogarth leiser. „Wir sprechen nachher noch darüber.“ Er blinzelte, als sie aus dem kühlen Gebäude in die pralle Hitze hinaustraten. Etwas abseits von dem Gebäude lag eine Gruppe von Männern in verschiedenen lässigen Haltungen auf dem schmutzigen Sand umher. Jeder hatte die Lage gewählt, in der er die hohe Schwerkraft am besten aushalten konnte. Wachen mit harten Augen standen um sie herum, und die Sonne blinkte auf den blanken Läufen von Gewehren und Maschinenpistolen. Die Gesichter der 52
Männer waren schweißgebadet. Hogarth blieb stehen, und der Kapitän ging auf die Männer zu. „Auf die Beine!“ kommandierte er. „In Zweiherreihen aufstellen. Los!“ Sie starrten ihn an und machten nicht die geringste Bewegung. Es war wirklich der Abschaum von einem Dutzend bewohnter Welten, Mörder, Männer, die den Tod erwartet hatten und sich auch hier nichts Besseres erhofften. Die Spannung knisterte in der Luft. Ein Wille stand gegen fünfzig andere. Der Kapitän ließ sich auf keine Argumente ein. Er hob seinen linken Arm und deutete auf den Lauf der Strahlwaffe, die über die Köpfe der Bande hinwegzielte. Feuer entströmte dem Lauf, Feuer und der Donner zerfetzter Luftpartikel, als die explodierenden Atome sich einen Weg durch die dichte Atmosphäre suchten. Eine Zehntelsekunde lang übertraf dieser Feuerschein noch die Capella an Helligkeit, dann verschwand er. Des Kapitäns Stimme durchschnitt die Stille in noch schärferem Ton. „Der nächste Strahl verbrennt viele von euch zu Staub. Los. Auf die Beine!“ Sie erhoben sich, fluchend zwar, aber eingeschüchtert. Dann standen sie da, feindselig, mit hängenden Armen und Schultern. Die Köpfe fielen unter dem ungewohnten Gewicht ihres eigenen Fleisches, ihrer eigenen Knochen auf die Brust. 53
„Stillgestanden! Rücken durchdrücken, Kinn hoch, Bauch einziehen! Bewegt euch. Bewegt euch, oder – bei allen Raumgöttern – ich brate euch bei lebendigem Leibe.“ Stumpfsinnig gehorchten sie der harten Stimme, wobei der glitzernde Lauf sie an das erinnerte, was ihnen im Falle des Ungehorsams blühte. Staub erhob sich unter ihren Füßen, als sie eine Doppelreihe bildeten. Flüche wurden laut, als die Männer, die niemals in ihrem Leben irgendeine Art von Ordnung gekannt hatten, ihre heruntergekommenen Körper zum Gehorsam zwangen. Der untersetzte Kapitän blitzte sie angeekelt an, brummte etwas und drehte sich auf dem Absatz um. Salutierend meldete er: „Fertig zur Inspektion, Sir.“ Hogarth nickte und ging auf die wartenden Männer zu. Lässig blickte er über sie hin und ließ seine kalten Augen über die verurteilten Gefangenen wegschweifen. Alte Männer, junge Männer, Männer mit allen Anzeichen innerer und äußerer Auflösung, oft ohne die geringste Selbstkontrolle. Süchtige und Trunkenbolde, Gauner und gefallene Engel, Gewohnheitsverbrecher und Männer, die irgendeinem Umstand außerhalb ihrer Kontrolle zum Opfer gefallen waren. Männer aus einem Dutzend verschiedener Sonnensysteme, von fünfzig verschiedenen Planeten. Er sah schwarze und blonde, rote und graue Haare, schneeweiße Haare und vollkommen kahle Köpfe. Einige blickten ihn aus klaren Augen an, bei anderen waren die Augäpfel gelb 54
und die Pupillen vom schlechten Lebenswandel verschleiert. Fünfzig im ganzen – alles unerwünschte Kreaturen, die man hierher geschickt hatte, damit sie umerzogen und zu brauchbaren Menschen gemacht würden. Alles Mörder. Einmal hielt er inne und betrachtete einen blassen Jungen von noch nicht zwanzig, der eine blaue Narbe auf der linken Seite von Hals und Wangen hatte. Er bemerkte die klaren grauen Augen und den geraden Rücken, schwarze Haare und enge Lippen. Dann setzte er die Inspektion fort, ohne die geringste Bewegung seiner Mienen zu zeigen. Er ließ sie eine ganze Zeitlang warten, während er langsam die krummen Reihen auf und ab wanderte. Seine Augen funkelten unter dem Mützenschirm wie zwei Edelsteine – so hart und grausam. Dann machte er einen Schritt zurück, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und wippte auf den Zehenspitzen. „Männer“, sagte er abgehackt. „Ihr seid auf Stellar. Man hat euch hergeschickt, weil ihr Mörder seid, unerwünschtes Gesindel von allen bekannten Welten. Innerhalb von vier Monaten wird die Hälfte von euch tot sein, innerhalb von acht Monaten zwei Drittel, und wenn am Ende des ersten Jahres noch zehn von euch am Leben sind, bin ich mehr als zufrieden. Diese zehn werden dann nämlich Männer sein.“ Er hielt inne und ließ den Sinn seiner Worte wirken. Ein oder zwei Männer richteten sich hoch auf und starrten ihn verblüfft an. Seine dünnen Lippen verzogen sich ironisch. 55
„Für euch gibt es hier nur eine einzige Pflicht. Die dürft ihr nie vergessen. Gehorchen. Ihr habt jedem Befehl zu gehorchen, der euch von einem Uniformierten erteilt wird, und zwar prompt und ohne zu fragen. Gehorchen! Merkt euch das!“ Nach einer weiteren Kunstpause fuhr er mit einer Stimme fort, die kalt wie Eis klang. „Auf Stellar gibt es nur eine einzige Art der Bestrafung für alle, die sich nicht ohne Widerrede fügen. Den Tod. Gehorchen oder sterben. Etwas anderes gibt es nicht.“ Er nickte dem schwitzenden Kapitän zu. „Achtung!“ Steif grüßte er den Admiral. „Ich bitte, die Männer entlassen zu dürfen, Sir.“ „Genehmigt.“ Der Kapitän salutierte wieder und wandte sich der Reihe von fast zusammenbrechenden Neuankömmlingen zu. „Links um! Im Gleichschritt – marsch! Links – zwo …“ Sie schlurften weg, indem sie ihre Füße müde durch den Sand schleppten. Die Wachen gingen mit ihnen. Zwei davon trugen den Strahler. Hogarth beobachtete, wie sie die niedrigen Baracken der Unterkünfte erreichten, bemerkte, daß einige der älteren Männer nahe am Zusammenbrechen waren. Andere, die bereits länger in der Strafkolonie lebten, hielten in ihrer Arbeit inne und schauten interessiert auf die Neuangekommenen. Später, als es nach der immer noch beibehaltenen Einteilung „Nacht“ war, berief Hogarth eine Konferenz ein. Die Sonne brannte immer noch auf die nackte Wüste, und re56
gelmäßige Winde zogen darüber hin, erhoben sich vom Grund, um neuen Kaltluftmassen Platz zu machen. Die Siedlung war jetzt verlassen, die Unterkünfte alle fest abgeschlossen. Abgesehen von einigen patrouillierenden Wachen lag das Gebäude tot und verlassen da. Es sah aus, als ob zwar kurze Zeit Menschen hier gelebt hätten, die Gegend aber schon lange wieder verlassen hätten. Hogarth blickte seine Offiziere an, die wenigen, die Fragen stellen durften und in großen Zügen seine Pläne und Absichten kannten. Zumindest das, was seine Pläne zu sein schienen, denn niemand war so vermessen zu glauben, er wüßte genau, was hinter den wasserhellen Augen des Admirals wirklich vorging. Der untersetzte Kapitän war da, der Arzt, der Psychologe und zwei weitere Offiziere, alle mit harten Augen, die schon vieles gesehen hatten und keine Hemmungen kannten. Diese bildeten mit fünfzig Soldaten die ganze Streitmacht der Kolonie. Für den Admiral, der einmal das Kommando über Millionen von Soldaten geführt hatte, wahrhaftig ein schwacher Trost! Hogarth räusperte sich, als sie alle um dem großen Tisch saßen und heftete seine Augen auf jeden einzelnen. „Kapitän Rennie berichtete, daß einige von Ihnen Zweifel hegen. Stimmt das?“ „Zweifel?“ Der Arzt zuckte die Achsel. „Keine Zweifel, Hogarth – Gewißheit. Fünfzig Männer, selbst wenn sie so gut bewaffnet sind wie die unseren, können nicht lange Hunderte verzweifelter Verbrecher unter Kontrolle halten. 57
Man könnte den Zeitpunkt des Zusammenbruchs beinahe vorherberechnen.“ Er warf einen Blick auf den Psychologen. „Hab ich recht, Dewer?“ „Sie haben recht“, erklärte dieser kurz. Er war ein kleiner, alter Mann und sah immer irritiert aus. „Ich habe alle Fakten statistisch erfaßt und möchte behaupten, daß nach meinen Unterlagen innerhalb der nächsten sechs Monate eine Meuterei ausbrechen wird, wenn weiterhin so viele Verbrecher antransportiert werden wie bisher. Dann werden wir den Punkt erreicht haben, an dem wir entweder einen Teil der Gefangenen bewaffnen müssen, damit sie unseren Wachmannschaften helfen, oder von der Überzahl einfach hinweggeschwemmt werden. Ich brauche Ihnen nicht zu erklären, wie gefährlich die erste Möglichkeit ist.“ „Die Halunken bewaffnen, hieße Selbstmord begehen“, sagte einer der beiden anderen Offiziere scharf. Er errötete, als der Admiral Stillschweigen gebot. „Ihre Vorhersagen sind auf der Grundlage unserer gegenwärtigen Methoden errechnet?“ „Ja.“ „Hm, so.“ Hogarth nickte, und seine kalten Augen blickten ein wenig amüsiert. „Natürlich verkenne ich keineswegs die Gefahr, aber glauben Sie mir, meine Herren, ich habe nicht die Absicht, es bis zu diesem ,kritischen Punkt’ kommen zu lassen.“ „Ich wußte es doch“, kicherte der untersetzte Kapitän. „Sie haben einen bestimmten Plan, Sir?“ 58
„Ja“, erwiderte Hogarth ruhig. „Ich habe einen Plan.“ Er blickte auf die verlassene Wüste hinaus, und als er wieder zu sprechen begann, klang seine Stimme fast ein wenig verträumt – so, als ob er mehr zu sich selbst als zu den anderen spräche. „Sechsundfünfzig Männer“, flüsterte er. „Harte Männer, Männer, die Disziplin kennen und von denen ich weiß, daß sie gehorsam sind. Die besten, die ich für meine Zwecke finden konnte, die Elite meiner Armee. Männer, denen ich blindlings vertrauen kann – oder die ich töten muß!“ Er beachtete nicht die erschrockene Überraschung auf den Gesichtern der Männer, die unruhig auf den harten Stühlen herumrutschten. „Wir haben einen eigenen Planeten, Waffen, ein eigenes Raumschiff und freie Hand. Wir haben Männer hier – Mörder, Gesindel, den Abfall der hübschen, sauberen Föderation, und man wünscht von uns, daß wir etwas aus ihnen machen, auf das man stolz sein kann. Zweihundert Gefangene sind es jetzt, und mehr werden kommen. Tausende mehr, wenn sie ihre Gefängnisse leeren und ihre Städte von dem Ungeziefer der Unverbesserlichen reinigen. Rohmaterial, das wir nach Belieben formen können. Harte, gewissenlose Männer, die sich in unsere Ordnung einfügen müssen. Sie gehören mir, mir allein – mit Leib und Seele.“ Er blinzelte, und sein Blick klärte sich, als er sich wieder den gespannt wartenden Offizieren zuwandte. „Natürlich können wir nicht für ewig auf sie aufpassen, 59
und genauso klar ist es, daß wir sie nicht einfach bewaffnen können – so wie sie sind. Aber es gibt noch eine dritte Möglichkeit.“ „Welche?“ fragte der Psychologe interessiert und lehnte sich aufmerksam vor. „Indem wir aus dem Gesindel Männer machen, Soldaten aus Gefangenen, Elite aus dem Abfall.“ Hogarth lehnte sich im Sessel zurück. „Wir werden eine Legion gründen, und da wir uns auf diesem Platteten befinden, werden wir sie die Stellar-Legion nennen. Wir haben das Rohmaterial, die Möglichkeit und die Macht dazu. Wir werden die nichtsnutzigen Idioten, die man uns geschickt hat, ausbilden, so, wie noch nie zuvor Männer gedrillt worden sind, und wenn wir damit fertig sind, werden wir genug Wachen, genug Hilfskräfte, genug Macht haben. Überlegen Sie sich das, meine Herren! Eine neue Streitmacht, eine zähe, harte, rücksichtslose Armee von Männern, die eine Ausbildung hinter sich haben, die einmalig ist. Die Stellar-Legion.“ Stille legte sich auf die kleine Versammlung, als diese Worte verklangen. Die Männer starrten einander an, jeder mit eigenen Gedanken beschäftigt. Der untersetzte Kapitän brach die unsichtbare Spannung, die sie beherrschte. „Können wir das denn, Sir? Wird die Erde, wird die Föderation uns erlauben, eine neue Armee aufzubauen?“ „Sie haben mir freie Hand zugesagt“, sagte Hogarth gepreßt. „Abgesehen davon: Haben Sie einen anderen Vorschlag, wie man die Ge60
fangenen in der Hand behalten könnte?“ „Nein, Sir.“ „Wie soll die Ausbildung vor sich gehen?“ fragte der Arzt. Seine Augen waren eng, tiefe Linien zogen sich von der Nase zu den Winkeln seines sinnlichen Mundes. „Vergessen Sie nicht die Schwerkraft dieses Planeten und die Tatsache, daß die meisten der Gefangenen in einer miserablen körperlichen Verfassung sind.“ „Um den Gesundheitszustand haben Sie sich zu kümmern, Doktor. Die Ausbildung geht mich und Dewer an.“ Er blickte den kleinen Psychologen an. „Zuerst müssen sie sich den Verhältnissen hier anpassen. Sie verstehen Ihre Sache, Doktor, aber ich würde starke Injektionen von Rutral-Kalzium vorschlagen, eine proteinreiche Nahrung und Vitamine. Verwenden Sie alle Medikamente, die ihnen die Gesundheit wieder zurückgeben können. Für jeden neuen Transport kann ich Ihnen einen Monat Zeit zubilligen. Wer für die anstrengende Ausbildung ganz und gar ungeeignet ist, kann für andere Arbeiten herangezogen werden. Alle anderen müssen aufgemöbelt werden und Muskeln entwikkeln.“ „Das ist zu machen“, überlegte der Arzt. „Ich habe schon eine Idee, wie man verschiedene der synthetischen Mittel zusammen verwenden könnte.“ Er schaute den hageren Admiral an. „Viele der Gefangenen sind süchtig, einige haben organische Krankheiten, andere sind einfach durch Vernachlässigung und Unterernährung in einem schlechten 61
Allgemeinzustand. Soll ich mir mit allen die gleiche Mühe geben oder mich auf die konzentrieren, bei denen die Behandlung am aussichtsreichsten ist?“ „Wie ich sehe, beginnen Sie, mich zu verstehen.“ Hogarth ließ ein bei ihm seltenes Lächeln sehen. „Alle, die bereits mit einem Bein im Grab stehen, wären für uns nur eine unnütze Belastung. Auf welche Weise Sie die Leute wieder gesund machen, ist Ihre Sache. Nur eins: Für jeden Transport einen Monat Zeit, keinen Tag mehr.“ Er machte eine Pause und fuhr dann fort: „Ich glaube, ich kann Ihnen gleich jetzt sagen, daß mich die Sterblichkeitsziffern nicht interessieren. Mich interessiert allein gutes Material für die zukünftige Ausbildung. Ist dem noch etwas hinzuzufügen?“ „Nein, Sir.“ Der Arzt lehnte sich in seinem Stuhl zurück, seine Augen zu nachdenklichen Schlitzen verengt, die Lippen in einem halben Lächeln verzogen. „Von jetzt an haben alle Offiziere strikte Anweisung zu erteilen, daß das geringste Anzeichen eines Zögerns oder gar Ungehorsams mit sofortigem Erschießen zu bestrafen ist. Die Strafe wird unmittelbar nach der Tat vor den Augen der anderen Gefangenen vollzogen. Den Grund für diese Anweisung brauche ich wohl nicht zu erklären. Damit aber Sie und Ihre Männer mich verstehen, will ich Dewer bitten, die psychologischen Hintergründe zu erläutern.“ „Man kann andere Menschen nur dadurch unter Kontrol62
le halten“, schnarrte der kleine Wissenschaftler, „daß man entweder ihr Vertrauen gewinnt oder ihnen Furcht einflößt. Mit der ersten Möglichkeit brauchen wir uns kaum zu beschäftigen – also haben wir den Gefangenen die Furcht vor der durch die Wachen vertretenen Autorität einzuflößen. Dabei betone ich, daß diese Bestrafung sofort, vor den Augen der anderen und ohne jedes Zögern zu erfolgen hat. Nur wenn die Gefangenen wissen, daß jedes Zögern, jeder Ungehorsam unweigerlich zu einem raschen Tode führt, werden sie die Herrschaft ihrer Vorgesetzten anerkennen.“ „Danke“, sagte Hogarth und blickte den Kleinen an. „Ich lasse das Schiff in eine Kreisbahn bringen, wenn es nicht gebraucht wird, da es sonst eine zu große Versuchung darstellen würde. Sie könnten revoltieren und einen Fluchtversuch damit unternehmen. – Noch irgendeine Frage?“ Sie sahen einander unsicher an, und jeder wartete, daß der andere zuerst etwas sagen sollte. Hogarth beobachtete sie mit wachsendem Ärger. Plötzlich schlug er mit der Faust hart auf den Tisch, und seine Stimme ließ die Wände des stillen Raums leicht erzittern. Stramm und militärisch stand er in seiner knappen, grauen Uniform da und dankte für ihren Gruß mit einem kurzen Kopfnicken. Dann waren sie alle fort, und nur der kleine Psychologe lümmelte noch in seinem Sessel. Hogarth preßte die Lippen zusammen, als er sich wieder setzte. „Sie wollten mich sprechen?“ Dewer fragte leichthin wie jemand, der mit einem Mann allein ist, von dem er zuviel 63
weiß, um irgendeine Art von Form aufrechterhalten zu müssen. „Ja.“ Hogarth sah den Kleinen stirnrunzelnd an. „Wir haben ein Problem, Dewer.“ Er sprach langsam. „Ein Problem, das für mich neu ist und, soweit ich unterrichtet bin, auch für Ihre Wissenschaft.“ „Ein psychologisches Problem? Welches?“ Hogarth starrte ihn mit angewidert herabgezogenen Mundwinkel an. Dewer begann unter seinem Blick zu schwitzen und unruhig hin und her zu rutschen. „Sie sind ein kluger Mann“, begann Hogarth langsam. „Weil ich das weiß, sitzen Sie hier und nicht in dem Gefängnis, in das Sie eigentlich gehören. Diesmal sollen Sie Ihre Künste aber nicht dazu benutzen, einen Gegner hoffnungslos geisteskrank zu machen.“ „Das war ein bloßer Unfall“, murmelte der Kleine. „Ich versuchte, ihm zu helfen. Kann ich dafür, daß er verrückt wurde?“ „Vielleicht. Aber das hat jetzt nichts mit unserem Problem zu tun. Er gehört in die Vergangenheit.“ Der hagere Mann lehnte sich vor, und seine blassen Augen schienen das Feuer der gleißenden Sonne in doppelter Stärke zu reflektieren. „Ich will zwei Ziele erreichen; zwei einander entgegengesetzte Dinge. Es wird Geschick und Schlauheit verlangen, sie miteinander zu vereinbaren. Ich will den Willen der Männer brechen und ihnen Gehorsam beibringen. Und ich will gleichzeitig ihren Selbsterhaltungstrieb 64
stärken. Das ist es. Gehorchen und am Leben bleiben! In dieser Reihenfolge. Gehorchen und Selbsterhaltung! Gehorchen selbst dann, wenn der Befehl gegen den Selbsterhaltungstrieb verstößt, und am Leben bleiben trotz des Gehorsams.“ Er starrte den Kleinen an. „Geht das?“ Dewer zuckte die Achsel und spielte mit einem dünnen Bleistift. Sein Fuchsgesicht war von nachdenklichen Falten durchzogen, die Mundwinkel nach unten gebogen. Er sah zu dem hageren Admiral auf. „Ich kann jemandem Gehorsam beibringen“, begann er nachdenklich. „Nichts einfacher als das. Aber Selbsterhaltung?“ Er zuckte noch einmal die Achsel. „Warum sollen wir uns um das Leben der Gefangenen Sorge machen? Wir bekommen jederzeit Nachschub!“ „Wir bekamen jederzeit Nachschub“, korrigierte ihn Hogarth mit Nachdruck. „Diese Zeiten sind bald vorbei.“ Er blickte auf seine geballte Faust, deren Knochen durch die wächserne Haut zu sehen waren. „Die Stellar-Legion wird aus Männern gebildet, die eine bis ins Letzte gehende Ausbildung durchgemacht haben. Sie wird die beste Streitmacht sein, die jemals existiert hat. Aber eine solche Armee muß Offiziere haben, und die Befehle dieser Offiziere müssen befolgt werden. Um zu funktionieren, muß diese Streitmacht möglichst geringe Verluste haben. Damit kommen wir zum Problem der Selbsterhaltung. Es ist ein Problem, das Sie, Dewer, lösen müssen.“ „Lösen müssen?“ 65
„Ja. Können Sie es?“ Dewer nickte, und in seinen Augen leuchtete ein teuflisches Lichtfünkchen auf. Er sah mehr einem Satan als einem Menschen ähnlich. Die kalte und brutale Erbarmungslosigkeit des Wissenschaftlers, der nur ein einziges Ziel kennt, spiegelte sich in seinen verzerrten Zügen. „Ich kann es“, flüsterte er heiser und blickte den Admiral fordernd an. „Geben Sie mir freie Hand?“ Hogarth nickte.
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6. Kapitel Die erste Woche war die reine Hölle, und manchmal glaubte Wilson nicht, daß er das überleben würde. Die doppelte Schwerkraft zerrte an ihm und verwandelte jeden Muskel in ein Bündel nagender Schmerzen. Wie all die anderen Neuankömmlinge litt er unter Zerrungen und überbelasteten Gelenken. Dann verschwand das wunde Gefühl, der Rücken streckte sich wieder, seine Beine paßten sich dem Gewicht des zu schweren Körpers an. Er war bereit, den zweiten Teil der Ausbildung auf sich zu nehmen. Dieser bestand nur aus Freiübungen und Gymnastik und war dazu bestimmt, die Muskel zu stärken und die Kondition des Körpers zu verbessern. Die Nahrung war besser als alles, was er bisher gekannt hatte, reichlich und nahrhaft. Sie tat seinem früher oft knurrenden Magen gut und umgab seine Knochen mit einer Lage festen Fleisches. Regelmäßig bekam er verschiedene Spritzen, die schmerzten und ihn oft stundenlang lähmten, eine fremdartige Hitze in jedes Glied seines Körper schickten und seinen Kreislauf mit Stärkungsmitteln, Vitaminen, Hormonen und anderen Drogen durchsetzten. Ein paar Männer starben. Andere rannten wie irrsinnig umher und verlangten nach Alkohol und anderen Giften, an die sie gewöhnt waren. Sie krümmten sich auf ihren schmalen Lagern und machten die Schlafperioden durch 67
ihr ständiges Jammern und Stöhnen zur Qual. Keiner konnte ihnen das verschaffen, wonach sie so jammerten. Diese Männer verschwanden einfach, keiner wußte wohin, aber es trauerte ihnen auch keiner nach. Eine Schlafperiode folgte der anderen. Sie arbeiteten an verschiedenen Geräten, hoben schwere Gewichte, liefen, sprangen, spannten all ihre Kräfte an, um schwere Lasten zu transportieren, erklommen rauhe Felswände, marschierten – eine nicht endenwollende Gleichförmigkeit physischer Anstrengungen. Am Ende des ersten Monats versammelten sich 45 der ursprünglich 50 auf dem freien Platz vor dem Verwaltungsgebäude. Einige von diesen 45 schienen dem Zusammenbruch nahe zu sein, ihre Herzen waren geschwächt von Alter und Überanstrengung, ihr Körper von dem Bemühen ausgehöhlt, in zu kurzer Zeit zu viel erreichen zu wollen. Wilson sah neugierig auf die kantige, uniformierte Gestalt des hochgewachsenen Admirals und hörte mit halbem Ohr den tönenden Worten zu. „Ihr habt jetzt das erste Ausbildungsstadium hinter euch und seid so fit, wie man das durch vier Wochen konzentrierter Bemühungen erreichen kann. Manche von euch sind schwach, andere stark, manche gleichgültig, andere interessiert. Ihr alle fragt euch aber wahrscheinlich, was mit euch geschehen wird. Ich habe nicht vor, es euch zu verkünden. Ihr tut, was man euch sagt – nichts mehr und nichts weniger. Solange ihr gehorcht, habt ihr nichts zu 68
fürchten. Das ist alles.“ Er drehte sich um, erwiderte den Gruß eines untersetzten Kapitäns und stelzte auf das Verwaltungsgebäude zu. Neben Wilson spuckte ein Mann in aufsteigendem Ärger auf den Boden. „Dieses Schwein“, knurrte er aus dem Mundwinkel heraus. „Dieses dreckige Schwein. Ich möchte mit ihm einmal nur zehn Minuten lang allein sein, dann …“ „Ruhe!“ Der untersetzte Kapitän funkelte die angetretenen Männer an. „Reden ist verboten!“ Seine Hand ruhte an der Pistolentasche, und Wilson empfand eine plötzliche Furcht. Bis jetzt war alles so schnell gegangen, daß er überhaupt nicht zum Nachdenken gekommen war. Er arbeitete hart und schlief entsprechend fest, und der Unterschied zu dem Leben, das er gewohnt war, fiel so wenig ins Gewicht, daß er sich keine Rechenschaft darüber ablegte. Jetzt aber, als er dem schwitzenden Kapitän ins Gesicht blickte, wurde er wieder an seinen Aufseher erinnert. Er dachte daran, was er von dem Toten, erduldet hatte. Der Offizier war gefährlich. Der Mann neben ihm verstummte, und bleierne Stille legte sich über die Gruppe. Sie standen stumpf da, und bleierne Hitze trocknete ihre Kehlen aus. Unter ihren Füßen fühlte sich der Sand trocken und heiß an. „Wir gehen jetzt ein wenig spazieren“, sagte der Offizier mit einem Anflug grimmigen Humors. „Wir machen einen netten langen Spaziergang durch die Wüste. Unterwegs 69
lassen wir uns durch nichts aufhalten, weder durch Hunger, noch durch Durst oder Müdigkeit oder Tod.“ Er grinste sie humorlos an. „Ich sage euch das nur einmal. Wenn ihr am Leben bleiben wollt, habt ihr so lange zu marschieren, bis ich euch befehle, anzuhalten.“ Er winkte eine Gruppe uniformierter Wachen herbei, die mit Maschinenpistolen und Trinkwasserbehältern ausgerüstet waren. „Achtung! Links um! Marsch!“ Mit raschen Schritten gingen sie mitten in die Wüste hinein, auf den Feuerball der unerbittlichen Sonne zu. Hogarth blickte ihnen aus der schützenden Kühle seines Büros nach. Neben ihm stand, nervös kichernd, der kleine Psychologe und rieb sich die klauenartigen Hände in geheimem Vergnügen. Die erste Stunde war erträglich. In gewisser Hinsicht bedeutete es eine Erleichterung, die steifen Glieder einmal richtig bewegen zu können. Wilson freute sich beinahe über die Gelegenheit, ungestört nachdenken zu können, während seine Beine automatisch den Körper vorwärtstrugen. Er versuchte, sich aus den aufgeschnappten Bruchstücken von Informationen ein Bild der Lage zu formen. Er war immer noch etwas benommen vom schnellen Ablauf der Geschehnisse seit dem Tage, da er den Aufseher getötet hatte. Eine kurze Gerichtsverhandlung, das Urteil, die lange Reise in dem Raumschiff zur Strafkolonie. Dann die harten Wochen ständiger Anstrengungen und jetzt dieser 70
scheinbar sinnlose Marsch durch die endlose Weite. Eine zweite Stunde verstrich, eine dritte und vierte, und der Durst begann, seine Kehle auszutrocknen, in seinem Magen wie Feuer zu brennen, die Lippen zum Springen und die Zunge zum Anschwellen zu bringen. Er drehte den Kopf zur Seite und hielt den Atem an, als er die mit letzter Anstrengung dahinstolpernde Gestalt seines Nebenmannes sah. Dieser Mann war im Begriff zu sterben. Er schleppte mühsam seine Füße durch den losen Sand, sein gelbes Gesicht war grau vor letzter Anstrengung. Erschrocken schaute sich Wilson nach den anderen Männern um und erstarrte. Manchen von ihnen schien der Marsch ebensowenig auszumachen wie ihm. Anderen ging es so wie dem Mann an seiner Seite – sie pfiffen auf dem letzten Loch. Die übrigen zeigten alle Stadien der Erschöpfung, die dazwischenlagen. Ein weißhaariger, alter Mann mit dem Gesicht eines Heiligen schien zu beten. Zu beten oder zu fluchen, während er sein Gesicht zu dem geschmolzenen Blei des Himmels erhoben hatte. Sie marschierten immer noch auf die glühende Sonne, die Capella, zu. Zwei Stunden später fiel der erste aus. Er sank um wie ein Sack, Arme und Beine in den heißen Sand ausgebreitet, den Mund offen, die Augen verglast und stumpf. Unwillkürlich verlangsamte die Kolonne das Tempo, und der Kapitän brüllte sie zornig an. 71
„Weiter, ihr Hunde! Los! Schritt halten!“ „Wartet!“ Der Alte mit den asketischen Zügen machte einen Schritt zur Seite und kniete neben dem Gestürzten nieder. „Wir können ihn nicht einfach hier liegen lassen“ „Zurück in die Reihe und weitermarschieren!“ Der Kapitän starrte den Knienden an, die Lippen eng zusammengepreßt. Seine Hand griff nach der Pistole. Der Alte schüttelte langsam den Kopf. „Nein, ich …“ Der Knall bellte dumpf und ohne Echo über die Wüste, zugleich sprang ein roter Strom zwischen den weißen Haaren auf. „Ihr habt gehört, was ich sagte“, brüllte der Offizier. „Weiter!“ Er richtete die Pistole drohend auf die Männer. Die Augen blitzten unter dem Schatten seiner Schirmmütze hervor. Den Körper zu seinen Füßen beachtete er überhaupt nicht. Sie marschierten. Sie fielen mit bleiernen Gliedern wieder in Gleichschritt und kämpften gegen einen kalten Klumpen in ihren Mägen. Zwei dunkle, reglose Körper blieben in dem gleißenden Wüstensand zurück, wurden kleiner und kleiner, bis sie nur noch als Punkte zu sehen waren. Angst und Terror marschierten jetzt in ihren Reihen, immer weiter hinein in die Tiefen der glühenden Wüste. Wer umfiel, blieb zurück und mußte sterben. Wer seinem Kameraden half, war ebenfalls zum Tode verurteilt, 72
und zum erstenmal erkannte Wilson in vollem Umfang, was ihm und den anderen in Wirklichkeit bevorstand. Die Wachen spaßten nicht, und der Admiral hatte es ernst gemeint, wenn er die Todesstrafe für jedes Anzeichen des Ungehorsams angedroht hatte. Der stille Körper des weißhaarigen Greises war der Beweis dafür. Einem jeden von ihnen konnte es ähnlich ergehen. Schneckengleich krochen die Stunden dahin. Sie beschrieben einen weiten Bogen und hatten schließlich die brennende Sonne im Rücken, als sie sich wieder der fernen Siedlung näherten. Der Durst machte sie halb wahnsinnig, noch gesteigert beim Anblick der Wachen, die gelegentlich einen Schluck aus ihren Feldflaschen nahmen. Sie hatten zu trinken, aber nicht die Gefangenen. So stolperten sie durch den Sand, jeder voll beschäftigt mit der Hölle seiner eigenen Pein. Der Graugesichtige neben Wilson stolperte und stürzte. Sein Hintermann fluchte, als er beinahe über ihn fiel, aber niemand hielt auch nur für einen Augenblick an. Sie hatten ihre Lektion erhalten. Noch einer und noch einer blieb liegen. Ihre erbärmlichen Schreie klangen den marschierenden Männern in den Ohren, schmerzliche Hilferufe, Bitten um eine kurze Rast, um einen einzigen Schluck Wasser. Niemand hörte darauf. Betäubt von der Angst vor den Pistolen der Wachen und ihrem eigenen Elend, stolperten die Gefangenen mit eisernen Gesichtern weiter. 73
Zwölf Stunden nach dem Aufbruch kehrten sie in die Siedlung zurück: Vierzig von den fünfundvierzig, die am Morgen losgezogen waren. Wie Tiere stürzten sie auf einen großen, mit kaltem Wasser gefüllten Holztrog los, tauchten ihre Gesichter hinein, tranken und tranken, um dem ausgetrockneten Körper die verlorene Feuchtigkeit wieder zuzuführen. Die Wachen betrachteten sie mit zynischen Augen. Die Vernunft kehrte beinahe zu spät zurück. Wilson hielt inne und zerrte an der Schulter des Mannes neben ihm. „Vorsicht! Du bringst dich um, wenn du zu schnell trinkst.“ „Was?“ Der Mann, ein schmaler Eingeborener des Sirius-Systems, mit verschlagenen Augen, machte sich von dem Griff frei. „Verdammt, laß mich in Ruhe! Ich bin durstig.“ „Möglich, aber wenn du zuviel trinkst, wird dich die Kolik umbringen. Sieh dir die Wachen an. Sie wissen genau, was passieren wird.“ „Jaaa.“ Der Gelbgesichtige wischte sich die Lippen mit nachdenklicher Geste ab. „Du hast recht. Danke!“ Er half Wilson, die anderen, vor Durst halb wahnsinnigen Männer zur Vernunft zu bringen. Einige befolgten ihren Rat, andere hatte ihr Instinkt schon vorsichtig gemacht, aber viele waren wie Tiere und ließen sich auch mit Gewalt nicht von dem langentbehrten Naß abbringen. Als sie später wieder in den Schlafräumen eingesperrt 74
waren und die Mahlzeit hinter sich hatten, kam Wilson der Zweck ihres scheinbar sinnlosen Gewaltmarsches zum Bewußtsein. Er lernte es aus bitterer Erfahrung, indem er sich vor Magenschmerzen auf seinem Lager wälzte. Um ihn herum ächzten und stöhnten die Männer, die zu hastig getrunken hatten. Einige schrien, einige fluchten, manche starben. Aber sie alle lernten daraus. Der gelbhäutige Sirianer stöhnte und drückte die Hände gegen den geschwollenen Magen. Bitter starrte er den jungen Mann mit der blauen Narbe an. „Diese Schweine“, knurrte er, „diese schmutzigen Schweine. Das brauchten sie nicht mit uns zu machen – meinst du nicht auch?“ „Nein, aber sie taten es eben.“ Der junge Mann zog die Brauen zusammen. „Ich möchte bloß wissen, warum?“ „Vielleicht wollten sie uns umbringen?“ Er stöhnte. „Ich weiß nicht, warum sie es taten. Aber ich meine, hier könnte man einen guten Freund gebrauchen. Eine Menge guter Freunde.“ Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ich heiße Conroy.“ „Wilson.“ Er setzte langsam hinzu: „Wenn man das Ganze richtig betrachtet, bekommt es einen Sinn. Man trainiert uns und marschiert dann mit uns hinaus in die Wüste. Die Schwachen gehen dabei ein, wer den Schwachen helfen will, wird erschossen, und nach langer Zeit bringen sie uns – halb verrückt vor Durst – wieder zurück. Sie konnten 75
uns zurückgehalten oder das Wasser rationiert haben. Aber nein, sie ließen uns trinken, soviel wir wollten.“ „Warum?“ „Um uns eine Lehre zu erteilen“, sagte Wilson grimmig. „Eigentlich eine ganz einfache Sache: Es ist gefährlich, nach einem langen, heißen Marsch zu rasch zu trinken!“ Er sah in das harte Gesicht seines neuen Freundes. „Ich glaube nicht, daß einer von uns diese Lektion so schnell vergessen wird, falls er sie überleben sollte.“ „Eine Lehre erteilen?“ Conroy preßte die Lippen zusammen. „Eine höllische Methode, muß ich sagen. Aber warum, Wilson, warum nur?“ „Ich weiß es nicht. Aber erinnerst du dich daran, was der Admiral sagte? Er versprach uns, daß die Hälfte von uns nach vier Monaten tot sein würde, und daß er zufrieden sein würde, wenn nach einem Jahr noch zehn lebten. Damals hat keiner von uns richtig zugehört, aber jetzt beginne ich, ihn zu verstehen!“ „Wieso?“ „Sie sieben uns. Die Schwachen, die Starrköpfigen, alle, die ungern gehorchen, werden beseitigt. Auf diese und jene Art sterben sie, und nur die Härtesten, die Besten, bleiben am Leben.“ „Du könntest recht haben“, gab Conroy zu und rieb sich vorsichtig den schmerzenden Magen. „Hätten sie mich doch im Gefängnis gelassen. Das hier ist schlimmer als die Gaskammer, dort wäre ich wenigstens auf schnelle und 76
saubere Art gestorben. Aber hier …“ „Glaubst du denn, daß sie uns alle umbringen wollen?“ „Warum denn nicht? Dies ist eine Strafkolonie, oder nicht? Ich dachte, wir würden zur Zwangsarbeit getrieben, Landwirtschaft, Bergbau oder so etwas. Anscheinend habe ich aber unrecht. Der verrückte Admiral muß seine eigenen Pläne mit uns haben.“ Er blickte überlegend zur Decke. „Ich möchte gern wissen, was er eigentlich will.“ „Unseren Willen brechen und uns sieben.“ Wilson versuchte, nicht auf das Stöhnen zu hören. „Ich glaube nicht, daß er die Absicht hat, uns alle umzubringen. Ich habe nachgedacht und festgestellt, daß es zu wenig Wachen zu geben scheint. Vielleicht will man uns einmal als Wachen für die späteren Transporte heranziehen.“ „Zum Teufel, das hoffe ich auch“, knirschte Conroy. „Dann müssen sie uns Waffen in die Hand geben, und dann …“ Er kicherte roh. „Mann, das wird aber eine Überraschung für sie!“ „Ja“, sagte der junge Mann und runzelte die Stirn. „Das alles ergibt keinen rechten Sinn. Wenn Sie uns bewaffnen, kommt es auf jeden Fall zu Scherereien. Wenn sie uns nicht bewaffnen, können wir nicht als Wachen eingesetzt werden.“ Er streckte sich aus. „Aber das Schlimmste scheint ja jetzt vorbei zu sein.“ „Wieso glaubst du das?“ „Das ist doch klar. Wir haben bereits zehn Mann verloren, und diese Nacht werden wohl noch ein paar sterben, 77
Sie können uns nicht alle umbringen wollen, sonst täten sie das sicher schnell und schmerzlos.“ „Dann gibt’s in Zukunft keine solchen Märsche mehr?“ Conroy legte sich bequemer zum Schlafen. „Hoffentlich hast du recht.“ „Ich habe recht“, sagte Wilson mit ruhiger Überzeugung. Er hatte aber unrecht.
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7. Kapitel Sie marschierten am nächsten Tag, am übernächsten, und am Tage darauf wieder. Lange, scheinbar sinnlose Märsche. 37 waren es noch, die Härtesten und Widerstandsfähigsten, die Männer, die sich von den Strapazen des ersten „Ausflugs“ und dem gefährlichen Wasser erholt hatten. Sie marschierten in die Nachtseite des Planeten hinein und zitterten vor eisiger Kälte, dann auf die Sonne zu und brieten in der unbarmherzigen Hitze. Bei diesen Märschen hatten sie Wasser und Nahrungsmittel, und jeder Mann trug einen schweren Sack Sand auf dem Rücken mit sich, dessen Tragegurte tief ins Fleisch einschnitten. Sie schliefen tief und aßen reichlich. Ihre Haut bekam eine gesunde Farbe, die Augen klärten sich. Muskeln wölbten sich unter der straffen Haut, die Knochen wurden unter dem Einfluß der regelmäßigen Injektionen noch härter, und selbst Männer, die dünn und schmächtig gewesen waren, entwickelten sich zu dem, was sie sein sollten. Mit der harten Ausbildung tauchte eine gewisse Kameradschaft auf, der unvermeidliche Zusammenhalt von Männern, die miteinander arbeiten und leiden und dieselben Strapazen erleiden müssen. Je enger diese Kameradschaft wurde, um so beunruhigter erschienen die Wachen. Sie waren zahlenmäßig unterlegen und wußten es auch. Fünf Männer mußten fünfzig in Schach halten, und trotz 79
ihrer überlegenen Waffen und der ständigen Drohung mit Todesstrafen fingen sie immer häufiger offene Blicke der Gefangenen auf, aus denen die nackte Mordlust sprach. Eine Woche verging, und die Märsche fanden ein Ende. Jetzt schaufelten sie Gräben aus, lange, schmale Schützengräben und mühten sich mit schwerem Werkzeug unter der Last der doppelten Gravitation ab. Einige machten schlapp, andere zögerten bei einem gebellten Befehl und bekamen eine Kugel in den Kopf, der Rest unterdrückte den Haß und wartete ab. Dreißig waren von den fünfzig übrig, und Wilson erinnerte sich an das grimmige Versprechen, das der Admiral gegeben hatte. Er überlegte sich, woran die anderem wohl sterben würden. Seine Freundschaft mit dem Gelbgesicht war enger geworden. Er unterhielt sich stundenlang mit Conroy, wenn er „abends“ auf seinem Bett lag und noch nicht schlief. „Weißt du“, sagte der Sirianer einmal, „ich habe ein wenig nachgedacht. Das ganze Training, das Marschieren, Gräbenschaufeln und so weiter … Weißt du, woran mich das alles erinnert?“ „An was?“ „An Militär! Als ich jung war, habe ich ziemlich viel gelesen. Einige der Bücher handelten von den alten Kriegen und der Infanterie, die sie damals hatten. Diese Männer mußten das alles auch machen, um sich abzuhärten und auf den Fronteinsatz vorzubereiten. Heute macht das kein 80
Mensch mehr, weil es keinen Sinn mehr hat. Kriege werden durch Maschinen und Raumschiffe entschieden, durch Atombomben und Energie. Es würde mich aber nicht wundern, wenn der Alte die komische Idee hätte, eine Armee aus uns zu machen.“ „Wie sollte er das?“ Wilson zwängte sich auf dem schmalen Lager in eine andere Position und blinzelte seinen Freund an. „Das bedeutet, daß er uns bewaffnen muß, und an dem Tage, wo er das tut …“ „Ja!“ Conroy leckte seine Lippen. „Er muß verrückt sein. Wenn alles so weiterläuft, sind wir bald in der Lage, uns zusammenzutun, und die Wachen anzugehen. Wenn wir erst einmal ein paar Waffen in die Finger bekommen, haben sie keine Chance mehr.“ „Wir haben eine Menge Leute verloren!“ erinnerte der junge Mann. „Die meisten wurden wegen Befehlsverweigerung erschossen. Glaubst du, daß die anderen noch etwas riskieren werden?“ „Warum nicht?“ Conroy war überrascht. „Unser Haufen hat mehr Verluste gehabt als alle anderen, aber wir hatten auch von Anfang an eine Menge Schwächlinge dabei. Ich habe aufgepaßt: Weißt du, daß jetzt beinahe dreihundert Männer hier sind? Gefangene, meine ich, harte Kerle, die bis jetzt durchgehalten haben. Ich bezweifle, daß es mehr als fünfzig Wachsoldaten gibt, und die können uns nicht ewig niederhalten. Laß noch ein wenig Zeit vergehen und mehr Gefangene ankommen. Dann schmeißen wir hier al81
les über den Haufen und nehmen den Laden selbst in die Hand.“ Bei dieser Aussicht grinste er erwartungsvoll. „Mit einigen davon habe ich etwas Besonderes vor. Dem Kapitän, Rennie heißt er wohl, schneide ich die Augenlider ab. Dann …“ Er ergoß sich in grausamen Foltern, die er dem verhaßten Offizier zudachte. „Fünf Männer hat er kaltblütig vor meinen Augen umgebracht!“ Wilson antwortete nicht. Wie die meisten Gefangenen, haßte auch er die Wachen, aber er verabscheute den Gedanken, einen Menschen so zu mißhandeln, selbst wenn es sich um einen Feind handelte. Wenn schon töten, dann kurz, schnell und sauber – keine sadistischen Martern, wie sie Geschöpfe ausdachten, die mehr Tier als Mensch waren. Er drehte sich zur Seite, angeekelt von Conroy und dessen schmutziger Phantasie, und doch spürte er tief in der Brust ebenfalls das Verlangen, den Spieß einmal herumzudrehen, rasch und gründlich aufzuräumen, wieder frei zu sein von der beständigen Furcht, eine Kugel in den Kopf gejagt zu bekommen. Am folgenden Tag gab es Abwechslung. Sie kamen erschöpft von anstrengender Arbeit zurück und fanden ihre Betten von Männern einer anderen Gruppe besetzt. Die ursprünglichen Bewohner und die Eindringlinge starrten einander an. und Conroy knurrte einen Fluch. „Raus hier! Ich bin müde!“ „Zur Hölle mit dir!“ schnauzte ihn der massige Mann an 82
und drehte sich auf die andere Seite. „Sie haben uns hierher geschickt, und hier bleiben wir auch.“ „Wartet!“ rief Wilson und packte seinen Freund beim Arm. „Vielleicht ist das alles nur ein Irrtum.“ „Und wenn schon. Ich bin müde und will mich hinlegen.“ Er stieß den Mann auf seinem Lager an. „Raus!“ „So?“ grinste der. „Versuch’s doch einmal!“ „Laßt das!“ rief Wilson. „Ich hole die Wache. Irgend jemand hat sich geirrt. Hier sind zweimal so viele Männer wie Betten. Man will sicher nicht, daß wir auf dem Fußboden schlafen.“ „Mich bringt keiner dazu, auf dem Boden zu schlafen“, knurrte Conroy wütend. „Mir ist es egal, wer sich in den Schmutz legt, ich bin es jedenfalls nicht.“ Wilson ging achselzuckend zur verschlossenen Tür und trommelte gegen das Metall. Nach einigen Minuten öffnete ein Wachsoldat das Guckloch. „Was ist los?“ „Hier liegt ein Irrtum vor“, sagte der junge Mann rasch. „Wir sind zu viele hier drin.“ „Kein Irrtum“, schnauzte der Wächter. „Aber …“ „Willst du mit mir streiten?“ Der schlanke Lauf einer Pistole glänzte metallen auf. Wilson schüttelte den Kopf und schluckte hart. „Nein, Sir. Aber was sollen die Männer tun, die kein Bett haben?“ 83
„Schlaft doch auf dem Fußboden!“ Der Soldat lachte und schloß das Guckloch zu. Conroy blickte Wilson erwartungsvoll entgegen. „Nun?“ „Es war kein Fehler“, sagte Wilson dumpf. „Ein paar von uns werden auf dem Boden schlafen müssen.“ „Aber nicht ich“, brüllte der Gelbhäutige. „Ich bin müde.“ Er wandte sich dem Mann auf seiner Schlafstatt zu. „Also, willst du freiwillig abziehen, oder muß ich nachhelfen?“ „Hölle!“ „Okay! Du willst es nicht anders.“ Der Dicke empfing Conroy mit einem Hieb ins Gesicht. Conroy taumelte zurück, Blut lief aus der gebrochenen Nase. Er winselte, drehte sich um und packte den Inhaber eines anderen Bettes. Er zerrte krampfhaft, bis der kleine, schmächtige Kerl fluchend auf die Dielen krachte. „Was willst du?“ fragte Conroy, als er das eroberte Lager bezog. „Wenn du bequem schlafen willst, dann such dir ein anderes Bett. Das hier gehört jetzt mir.“ Er lachte, als der Schmächtige auf ein anderes Lager zulief und winkte Wilson zu. „Schnapp dir eine Koje, Wilson. Sei ein Mann, oder du kriegst wunde Knochen. Schmeiß so einen Kerl raus und mach es dir bequem.“ Wilson zögerte und beobachtete, wie die anderen Männer um das Vorrecht kämpften, auf den harten Lagern 84
schlafen zu können. Angewidert suchte er sich eine ruhige Ecke, hockte sich auf den Boden und versuchte zu schlafen. Die Nacht wurde ihm endlos lang, und als er aufwachte, tat ihm von der großen Zehe bis zum Schädel jeder einzelne Knochen weh. Drei „Nächte“ lang kampierte er auf dem Fußboden, dann revoltierte etwas in ihm. Sie hatten hart gearbeitet, und er war müde und zerschlagen. Er ärgerte sich über die Kerle, die sich weigerten, abwechselnd auch andere die – jedenfalls im Vergleich zum Fußboden – relativ bequemen Lager zur Verfügung zu stellen. Er ging quer durch den Raum auf sein früheres Bett zu. Ein Mann saß auf dem Rand des Lagers. „Glaubst du nicht, daß es an der Zeit wäre, mich zur Abwechslung auch einmal ordentlich schlafen zu lassen?“ Der andere musterte ihn feindselig und stellte fest, daß sein Gegner jung und scheinbar unerfahren war, in ruhigem Ton sprach und offensichtlich Streit vermeiden wollte. Er spuckte ihn an. Es war, als ob jemand auf einen Knopf gedrückt und damit alle aufgespeicherten Gefühle von Haß und Verzweiflung, Ungeduld und Wut in dem jungen Mann mit einem Schlag befreit hätte. Wilson zitterte und spürte, wie Angst und Zorn nebeneinander ihren Platz in seinem aufgewühlten Innern zu behaupten suchten. Genauso, wie es ihm schon einmal vorher ergangen war, vergaß er sich in wilder Wut. 85
Er schlug zu, wobei er genau wußte, daß er in dem Moment erledigt war, wo er dem anderen die geringste Chance bot. Ein Tritt in seine Hüfte machte ihn beinahe wanken. Dann ging der andere zum Angriff über. Er war stark, muskulös und hatte den Vorteil einer tierischen Natur. Ein Mord mehr oder weniger machte ihm auch nichts mehr aus. Wilson stolperte, als ihn schwere Fausthiebe trafen. Ein Knie traf ihn in den Magen, daß er sich schmerzhaft krümmte. Eine Faust im Gesicht nahm ihm die Luft. Nur undeutlich sah er, wie sich das verzerrte Gesicht des breitschultrigen Mannes ihm näherte. Er duckte sich und fühlte den Luftzug eines Schlages, der ihn um ein Haar erwischt hätte. Dann wirbelte er herum und schlug mit der ganzen Kraft seiner unter doppelter Schwerkraft gestählten jungen Muskeln nach dem verzerrten Gesicht seines Gegners. Er sprang zur Seite und packte den nach ihm tretenden Fuß. Der Breitschultrige schrie auf, als sich die Sehnen in der Hüfte dehnten und warf sich in die Richtung, in die Wilson ihn riß, um sein Hüftgelenk zu retten. Er fiel auf das verletzte Gesicht. Auf einmal war der Kampf vorbei. Wilson rang nach Luft und stolperte auf sein Lager zu. Eine Hand packte ihn an der Schulter und drängte ihn weg. „Das gehört jetzt mir! Vielen Dank, daß du es mir besorgt hast!“ Der Junge starrte verständnislos in ein grinsendes Ge86
sicht. Plötzlich wälzte sich der andere schreiend auf dem Boden. Wilson stellte erstaunt fest, daß eine unkontrollierbare Reaktion ihm diesen ohne Überlegung geführten Schlag eingegeben haben mußte. Müde streckte er sich auf seinem Lager aus. „Fein gemacht, mein Junge“, kicherte Conroy. „Aber du mußt in Zukunft besser aufpassen. Der Dicke hätte dich fast fertiggemacht.“ „So?“ Wilson wünschte, der Gelbe würde still sein. „Ja.“ Conroy sah ihn ernst an. „Merk dir eins: Gib deinem Gegner niemals eine Chance. Nie! Wenn du zuschlagen mußt, dann schnell und gründlich. Nicht nur spielen!“ Wilson schüttelte sich. Er sah die kalte Logik dieses Ratschlags ein und konnte sich doch nicht damit abfinden. Er haßte den Gedanken an Gewalttätigkeit, er hatte zuviel davon während seiner Kindheit und Jugend einstecken müssen. Conroy mußte seinen Widerwillen bemerkt haben, denn er lehnte sich vor und fuhr sehr ernst fort: „Sieh mal, Wilson, ich mag dich gut leiden, und ich würde manches für dich tun. Es gibt ein paar Dinge, die du noch lernen mußt. Das Leben hier ist hart, und wenn wir am Leben bleiben wollen, müssen wir noch härter sein. Keiner wird dir jemals helfen, dir etwas geben, sich um dich kümmern. Das weißt du genau. Du hast einen Menschen getötet, vielleicht mehrere, sonst wärst du nicht hier. Es hat keinen Zweck, das auch nur eine Minute lang zu vergessen.“ 87
Der Unterlegene kam wieder auf die Beine und suchte sich eine Ecke zum Schlafen. „Siehst du? Du hättest weiterhin auf dem Fußboden schlafen können, aber du verstehst, dir das was du willst zu erkämpfen. So ist es nun einmal, und so wird es wohl hier auch bleiben. Du mußt hart und rücksichtslos sein, zuerst zuschlagen und nicht zu sanft. Wenn es sein muß, auch töten, aber sich niemandem unterwerfen. Traue niemandem, vertraue dich keinem an, denk nur an dich selbst, alles andere ist egal.“ Er war halb beschämt von seinem eigenen Eifer, aber doch ernst dabei. Wilson wußte, daß er eben die Philosophie der Slums, die Grundsätze der Unterwelt zu hören bekam, und obgleich er das nicht glaubte, was der Gelbgesichtige ihm gesagt hatte, mußte er doch die Wahrheit erkennen, die in den Worten lag. Töte oder werde getötet! Friß oder werde gefressen – das alte, erprobte Gesetz des Dschungels, grausam, ohne Gnade. Trotzdem galt dieses Gesetz immer noch überall, wo Menschen zusammenlebten, entgegen allen Idealen und Friedenspredigten. Ein gutes Glaubensbekenntnis, besonders dann gut, wenn die Umgebung nur aus verurteilten Mördern und dem Gesindel der halben Milchstraße bestand, bewacht von Männern, die schnell den Finger krumm machen, verbannt zur Zwangsarbeit in einer Hölle. Ein Glaubensbekenntnis, das ihm das Leben, den Verstand retten konnte, das es ihm ermöglichte, da zu le88
ben, wo andere sterben würden, und das ihn über alles Schreien der Hilflosen und Schwachen, über die Bitten derer hinwegsetzte, die immer noch nutzlosen Idealen anhingen. Hier auf Stellar lohnte es sich nicht, Idealist zu sein. Idealisten starben hier. Man mußte sich nach ganz anderen Gesetzen richten.
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8. Kapitel Kapitän Rennie stand breitbeinig in dem heißen Wüstensand und fühlte, wie seine Nerven unter der Haut zuckten und vibrierten. Vor ihm wartete eine Gruppe von Männern in langen Reihen, mit dem Gesicht einander zugewandt. Jeder hatte einen langen Holzknüppel in der Hand. „So“, kommandierte er, „versucht es noch einmal. Angriff!“ Er spielte mit der Pistole, während die Männer auf sein Kommando wie wütend aufeinander einzuschlagen begannen. Sie kämpften mit wilder Härte, und die Schläge klangen hohl durch die unbewegte Luft. Rennie sah ihnen mit einem ekligen Gefühl im Mund zu. Gesindel, dachte er, unerwünschtes Gesindel, und ihm fiel die dankbare Aufgabe zu, brauchbare Soldaten daraus zu machen! Sie hatten alle einen kompletten Hypno-Kursus über Kampf ohne Waffen hinter sich, der ihnen alle Tricks der Selbstverteidigung und des Dschungelkampfs beibrachte, und jetzt begann die Anwendung der „im Schlaf“ erworbenen Kenntnisse in der Praxis. Die schweren Knüppel verursachten zwar erhebliche Schmerzen, aber ein Mann konnte ohne große Gefahr mehrere Treffer ertragen und sich in der Abwehr und der Geschicklichkeit seiner Reflexbewegungen üben. 90
Aber sie waren ebenso gefährlich wie hungrige Ratten, diese Männer. Ein alter Mann kam in seine Nähe, zu alt und gebrechlich für richtige Arbeit. Er verbrachte seine letzten Tage mit Säuberungsarbeiten und Küchendienst. Rennie rief ihn. „Du da!“ „Ja, Sir?“ „Putz mir die Stiefel!“ Sofort, ohne das geringste Zögern, kniete der Alte hin und wischte den Sand und Staub von den hohen Lederstiefeln. Rennie blickte voll Verachtung auf ihn nieder und warf ihn dann mit einem plötzlichen Fußtritt in den Sand. „Hau ab, aber schnell!“ „Ja, Sir. Sofort, Sir!“ Der Alte hinkte schmerzgekrümmt weg, und Rennie empfand eine unangenehme Stille rings umher. Die Männer hatten aufgehört zu kämpfen. Sie starrten ihn an, die Fäuste um die schweren Knüppel geklammert. Furcht stieg in Rennie auf, als er den Ausdruck ihrer Augen las. „Angreifen“, schnauzte er sie an. „Los!“ Für einen Augenblick fürchtete er, sie würden zögern. Er hob die Pistole hoch. Als er den Finger bereits auf dem Drücker hatte, begann wieder der Lärm der Schläge von Holz auf Holz oder Holz auf menschliche Glieder. Rennie grinste. Gesindel – aber sie kannten ihren Herrn! Er beobachtete sie eine Weile aufmerksam, um den Grad 91
der Erschöpfung festzustellen und bellte dann einen weiteren Befehl. Die Männer ließen voneinander ab und stützten sich auf ihre Holzprügel. Sie atmeten schwer nach der Anstrengung. Als er zwischen ihren Reihen hindurchging, spürte er eine Welle des Hasses aufbranden, den verzweifelten Haß von hoffnungslosen Männern, die nur noch von der nackten Angst zurückgehalten wurden. Rennie grinste. Er fühlte zwar die Nervosität in sich hochsteigen, genoß aber seine Überlegenheit. Er hielt inne und fixierte einen jungen Mann, der kaum mehr als ein Knabe war. Eine blaue Narbe, das Zeichen radioaktiver Verbrennungen, lief quer über Hals und Wange. „Du da – Stiefel putzen!“ „Jawohl, Sir!“ Wilson kniete nieder und rieb den Staub von den glänzenden Stiefeln des Kapitäns. Er hielt den Kopf gesenkt, um den Ausdruck seiner Augen zu verbergen. Rennie schnaubte, als er auf den gesenkten Nacken niederblickte. „Genug!“ Er warf einen Blick in die Runde. „Du dort! Du ißt eine Handvoll Sand!“ „Wie bitte?“ „Du hast mich verstanden: Du sollst Sand essen!“ „Ja, Sir!“ Gehorsam schaufelte der Mann eine Handvoll des dreckigen Sandes und führte ihn zum Mund. Rennie nickte und ging weg. Er schwankte dabei ein wenig, weil er wußte, daß die Männer hinter ihm ihn am liebsten erschla92
gen hätten. Sie wagten es aber nicht. Noch war er der Herr! Wie lange noch? Im Verwaltungsgebäude war es kühl, kühl und frisch nach der Hitze draußen. Rennie wischte sich über Gesicht und Nacken, rückte seinen Gürtel etwas höher und schnippte etwas Sand von der grauen Uniform. Dann betrat er das Besprechungszimmer. Hogarth nickte ihm zu und zeigte auf einen Stuhl. Seufzend ließ sich der Kapitän in den freien Stuhl zwischen dem Arzt und dem kleinen Psychologen fallen. Der hagere Admiral räusperte sich. „Berichten Sie über den Fortschritt, Rennie!“ „Die Männer sind physisch in einer so guten Verfassung, wie wir es nach so kurzer Zeit mit unseren beschränkten Mitteln erreichen konnten. Die Disziplin ist gut, nähert sich aber dem Punkt, an dem sie jeden Augenblick brechen kann. Ich will den genauen Zeitpunkt der Meuterei nicht prophezeien, aber lange kann es nicht mehr dauern.“ „Dewer?“ „Was der Kapitän berichtete, stimmt. Die Männer sind starken körperlichen und seelischen Belastungen unterworfen gewesen. Ihr Wille ist jedoch noch ungebrochen und wird es auch bleiben, bis ein Versuch, die Wachmannschaften zu überwältigen, gescheitert sein wird.“ „So weit dürfen wir es nicht kommen lassen!“ sagte Rennie knapp. „Die Wachen sind ohnehin überarbeitet, und 93
eine Meuterei muß zu hohen Verlusten auf beiden Saiten führen.“ „Ich muß doch bitten!“ schnitt ihm Hogarth das Wort ab. „Doktor?“ „Keine Krankheiten, allgemeiner Gesundheitszustand ausgezeichnet, die Schwachen sind längst tot.“ Der Arzt rasselte seinen Bericht wie ein Maschinengewehr herunter. Hogarth nickte. „Gut Wir sind jetzt fast vier Monate auf Stellar, und von den ursprünglich 500 Männern sind 250 für das nächste Ausbildungsstadium übriggeblieben. Wir haben zwanzig Lagerdiener, alte Männer, die zu nichts anderem mehr taugen. Diese können schon beim nächsten Transport ersetzt werden.“ „Wann wird das sein, Sir?“ „Sobald wir imstande sind, die Wachen zu verstärken, Rennie. Ich habe darum gebeten, die Transporte bis zu meiner nächsten Anweisung zu stoppen.“ Er blickte den untersetzten Kapitän streng an. „Sobald wir mit der Grundausbildung der vorhandenen Männer fertig sind, lassen wir sie holen.“ „Jawohl, Sir! Und wie steht es mit der Meuterei?“ „Dewer?“ Dewer räusperte sich. „Es wird keine Meuterei geben“, sagte er scharf. „Ich habe den Gefühlsindex der Gefangenen genau überwacht. Wir werden handeln, lange bevor sie überhaupt daran denken. Bisher haben wir uns auf ihren Gesundheitszustand 94
und die Anerziehung absoluten Gehorsams konzentriert. Wir hatten ebenso Gelegenheit, sie ein paar technische Grundbegriffe allgemeiner Taktik zu lehren. Diese standen jedoch hinter dem Hauptzweck unserer bisherigen Bemühungen zurück und waren mehr zufällig. Natürlich meine ich die langen Märsche, die Versuchung, zu viel Wasser zu trinken, das Zusammenpferchen in zu kleinen Quartieren und die Essensausgabe in Gruppenrationen, wobei die Starken mehr bekommen als die Schwachen. Es hat unter ihnen deshalb natürlich Streitigkeiten gegeben, aber nichts Ernstes. Wahrscheinlich sind nicht mehr als höchstens zehn Männer dabei getötet und vielleicht fünfzehn schwer verletzt worden. Unser Ziel haben wir jedoch erreicht: Ein enger Kontakt zwischen den Gefangenen wurde durch die ständigen Reibereien verhindert.“ Er lachte trocken auf. „Das alte Prinzip ,divide et impera’.“ (Teile und herrsche.) „Teile und herrsche?“ wunderte sich Rennie. „Das verstehe ich nicht.“ „Er meint, daß wir uns keine Sorgen zu machen brauchen, solange die Männer untereinander streiten und kämpfen“, erklärte der Arzt. Er blickte den Kleinen an. „Aber sie haben diese Probleme doch gelöst, nicht wahr?“ „Ja“, gab Dewer zu. „Das taten sie wirklich. Ein paar starke Männer erzwangen Rationierung der Nahrungsmittel und abwechselnde Benutzung der Betten. Überraschend, wenn man sich dieses Gesindel ansieht, aber nicht ganz unerwartet.“ 95
„Aber was halten Sie von der Bedrohung durch eine Meuterei?“ bestand Rennie auf seiner früheren Frage. „Mir gefällt das alles nicht. Ich habe Ähnliches schon erlebt, und trotz unserer Waffen hätten wir keine Chance, wenn sie sich erheben würden.“ „Sie werden sich nicht erheben“, warf Dewer trocken hin. Rennie wurde rot. „Das sagen Sie, Dewer, aber Sie brauchen sich nicht wie ich täglich hinauszuwagen! Ich fühle es, ich fühle den Haß und die Angst. Sobald der Haß noch ein wenig stärker wird, sind wir dran!“ „Nun ist’s genug, Rennie“, unterbrach Hogarth die Kontroverse. „Für die Leitung dieser Kolonie bin nur ich verantwortlich.“ „Natürlich, Sir, aber …“ „Keine Widerrede, Rennie!“ Der hagere Admiral blitzte den Kapitän an. „Alles ist unter Kontrolle, Dewer?“ „Jawohl, Sir!“ „Erklären!“ „Natürlich, gern, Sir.“ Der Kleine blickte den Kapitän verächtlich an. „Nun, ganz kurz gesagt: Wir sind bereit, zum nächsten Stadium unseres Ausbildungsprogramms überzugehen.“ „Das wäre?“ „Den Zusammenhalt zwischen den Gefangenen zerstören.“ Er kicherte, als er die Verständnislosigkeit vom Gesicht des Kapitäns ablas. „Wirklich, Rennie, Sie sollten 96
diese Dinge Männern überlassen, die etwas davon verstehen!“ „Ich habe sie um eine Erläuterung gebeten“, fuhr ihm der Admiral kalt über den Mund. „Tun Sie das jetzt ohne weitere Umwege!“ „Ja, Sir.“ Zwei rote Flecken erschienen für eine Sekunde auf den Wangen des Kleinen. „Die einzige Gefahr besteht darin, daß sich die Männer zusammenrotten und gemeinsam gegen uns vorgehen. In einer normalen Armee ist diese Gefahr gering, weil die Soldaten Disziplin gewöhnt sind und von langer Tradition geleitet werden. Dennoch hat es hin und wieder Meutereien gegeben, und bei uns liegen die Dinge noch etwas anders als unter normalen Umständen. Wir haben es mit Gesindel zu tun, mit Männern, die früher schon gemordet haben und die infolgedessen vor weiteren Morden nicht zurückschrecken würden. Es ist deshalb wesentlich, daß wir jedes gemeinschaftliche Vorgehen verhindern.“ „Das weiß ich selbst,“ grollte Rennie. „Aber wie?“ „Wir werden dafür sorgen, daß sie sich gegenseitig erbitterter hassen, als sie uns hassen.“ Von draußen klangen die Geräusche exerzierender Männer herein. „Ganz nett“, sagte der Kapitän mit einer Grimasse. „Jetzt erklären Sie mir bitte noch, wie wir dieses Wunder vollbringen sollen.“ „Durch Belohnung und Bestrafung.“ Dewer lehnte sich zurück. „Die Männer empfinden zueinander keine wirkli97
che Zuneigung. Sie sind alle Einzelgänger, Gestrandete, Verstoßene. Also gut: Wir hetzen jeden gegen jeden auf und versprechen dem Gewinner zur Belohnung eine Beförderung. Zuerst werden wir die Sieger natürlich nur mit Knüppeln bewaffnen. Später, wenn wir ihrer sicher sind, können sie Feuerwaffen bekommen und so in die Reihen der Wachsoldaten aufrücken. Von da aus haben sie die Gelegenheit, sich im Kampf untereinander weitere Beförderungen zu verdienen. Glauben Sie mir, daß die Sieger gegenüber den Unterlegenen nichts als Verachtung empfinden werden. Das sichere Ergebnis wird sein, daß sie sich gegenseitig hassen. Gekränkter Haß, denn nichts ist so schlimm, als wenn sich der ehemalige Freund plötzlich als der Herr aufspielt und die schwächeren Verlierer unterdrückt.“ „Moment!“ Der Arzt lehnte sich interessiert vor. „Ich habe einen Vorschlag: Wie wäre es, wenn wir es so einrichten, daß ein bereits ernannter Offizier seinen Rang jederzeit wieder an seinen Herausforderer verlieren kann, wenn ihm dieser überlegen ist? Es geht also darum, daß die Männer nicht nur einen Rang erkämpfen müssen, sondern ihn dann auch noch zu behaupten haben.“ „Das kann später kommen“, sagte der kleine Psychologe ein wenig beleidigt. „Zur Zeit besteht das Problem darin, die drohende Meuterei zu vermeiden und die Gefangenen weiter zu sieben.“ „Sieben?“ rief Rennie überrascht. „Das haben wir doch bereits getan.“ 98
„Nein.“ Der hagere Admiral schaltete sich mit kalter Entschiedenheit in das Gespräch ein. „Wir haben eine Gruppe von körperlich kräftigen Tieren dressiert. Ich will aber mehr: Ich will Männer erziehen, die sich behaupten können, komme was da wolle. Sie müssen Möglichkeiten abwägen, Chancen erkennen, Probleme lösen und dann zuschlagen können, wenn es am besten ist. Männer, die gehorchen, aber denken. Keine Tiere. Kein Gesindel. Männer – die besten aus dem Haufen, der hier herumläuft.“ „Sie sollen diese Männer bekommen!“ Dewer lehnte sich über den breiten Tisch. „Hören Sie, Rennie. Sie haben zweihundertfünfzig Männer, stimmt das?“ „Ja.“ „Gut. Wenn der nächste Transport ankommt, wird sich diese Zahl auf weniger als die Hälfte vermindert haben. Die übrigen –“ Er kicherte. „Nur die Starken werden am Leben bleiben, und die Starken sind nicht unbedingt die mit den härtesten Muskeln.“ „Und?“ „Wir haben ein System von Ausscheidungsprüfungen ausgearbeitet. Sie werden den Männern die Art des Tests sorgfältig erklären, jedoch nichts über die Hintergründe sagen. Verstehen Sie, Rennie? Die Männer müssen das Problem für sich selbst lösen.“ Er kicherte wieder. „Sie haben eine gute Vorbereitung hinter sich, und ich erwarte dementsprechende Ergebnisse.“ „Was soll ich ihnen sagen?“ 99
„Nur das: Zwei von dreien werden am Leben bleiben. Sonst sagen Sie ihnen nichts. Alles andere müssen sie selbst herausfinden. Hier sind die Befehle. Ich schlage vor, daß Sie sofort mit den Vorbereitungen beginnen.“ Rennie nickte und preßte die Lippen zusammen, während er die maschinegeschriebenen Zeilen las. Als er dann den Psychologen anblickte, stand kaltes Grauen in seinen Augen. Langsam verließ er den Raum.
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9. Kapitel Dieser Marsch war das schlimmste, was sie bisher mitgemacht hatten, volle zweihundert Kilometer qualvollen Vorwärtsschleppens. Der Feuerball der Capella beherrschte mit blendender Glut die Landschaft, ließ dicht über dem erhitzten Sand Trugbilder entstehen und trocknete jeden Tropfen Schweiß, noch bevor er richtig entstehen konnte. Zweihundert Kilometer unter doppelter Schwerkraft, siebzig Stunden ununterbrochener Marsch auf die Capella zu. Am Ende dieser Wanderung waren alle Männer dem völligen Zusammenbruch nahe. Fünf Kolonnen brachen von der Siedlung auf – beinahe alle der noch überlebenden Gefangenen. Strahlenförmig stießen sie nach verschiedenen Richtungen in die Wüste vor. Jeder Trupp war von einem Raupenfahrzeug begleitet, das die Wachen und die Verpflegung transportierte. Die Gefangenen schleppten sich dahinter durch den Sand und schluckten den von den Ketten aufgewirbelten Flugsand. Unterwegs hatten sie wenig geschlafen, noch weniger gegessen und kaum etwas getrunken. Der Durst quälte sie mehr als alles andere. Stumpf und gleichgültig beobachtete Wilson, wie das schwerfällige Fahrzeug langsamer wurde und schließlich hielt. Der untersetzte Kapitän kletterte steif herunter und kam auf die Gefangenen zu. Die Hände in die Hüften ge101
stützt, stand er vor ihnen, und ein gefühlloses Lächeln machte sein Gesicht nicht gerade schöner. „Männer“, begann er. „Hört gut zu. Das ist eine taktische Übung, und ich habe nicht die Absicht, meine Erläuterung zu wiederholen. Ihr werdet jetzt in Gruppen von je drei Mann aufgeteilt. Das Fahrzeug wird euch an verschiedenen, weit auseinanderliegenden Punkten absetzen. Eure Aufgabe besteht darin, zur Siedlung zurückzufinden. Jede Gruppe bekommt ein Orientierungsgerät, das auf die Siedlung eingestellt ist sowie einen Kanister Wasser. Ich fürchte, wir haben zu wenig Wasser mitgenommen. In jedem Kanister ist soviel Wasser enthalten, daß es bequem für einen Mann, ganz knapp für zwei reicht. Für drei Mann genügt es jedoch nicht. Ihr seid zweihundert Kilometer von zu Hause entfernt – von Wasser und Nahrung. Wie ihr den Rückweg schafft, ist mir gleichgültig. Wer nicht zurückkommt, ist erledigt.“ Er drehte sich dem Fahrzeug zu. „Also, je eher wir aufbrechen, um so früher sind wir alle wieder zu Hause. Noch etwas: Wer zuerst ankommt, wird befördert, das bedeutet bessere Verpflegung, mehr Freizeit und das Kommando über die neueintreffenden Transporte. Aufstellen zum Wasserfassen.“ Es war schnell getan. Eine Gruppe nach der anderen wurde abgesetzt und stand blinzelnd in der unbarmherzigen Sonne. Wilsons Partner waren Conroy und ein anderer Mann. Conroy trug das Wasser und der andere das O102
Gerät. Verbissen begannen sie ihren Marsch in Richtung auf die ferne Siedlung. Erst jetzt kam die teuflische Genialität des Planes dem jungen Mann voll zum Bewußtsein. Sie hatten zwar Wasser, aber nicht genug für drei Mann. Sie besaßen ein Gerät, das sie sicher zur Siedlung zurückführen würde – aber das nötige Wasser fehlte! Zwei von ihnen hatten eine Chance. Nur zwei von den dreien. Und der dritte? Wilson bemühte sich, nicht darüber nachzudenken. Conroy war weniger zartfühlend. Er stapfte neben Wilson her, den Kanister an einem Riemen über der Schulter. Dabei sprach er leise aus dem Mundwinkel, wie er es aus den Gefängnissen gewohnt war. „Wie ist’s, Wilson?“ „Was?“ „Mit dem dritten Mann.“ Conroy bewegte sein Kinn nach dem anderen Mann hin. „Das Wasser reicht nicht für alle drei. Ich könnte es gut allein austrinken. Wenn wir uns nicht bald entschließen, sieht es trübe aus.“ „Er hat das O-Gerät“, erinnerte ihn der junge Mann’. „Weiß ich.“ Conroy kicherte. „Er wird’s nicht lange haben.“ Er sah den jungen Mann an. „Nur gut, daß wir beide zusammen sind. Wie werden die anderen wohl fertigwerden? Bei einer solchen Sache habe ich lieber jemanden bei mir, auf den ich mich verlassen kann.“ „Wie meinst du das?“ 103
„Bist du denn so bescheuert?“ Conroy spuckte wütend aus. „Einer von uns muß zurückbleiben. Ich werde es bestimmt nicht sein, und wenn du schlau bist, brauchst du es auch nicht zu sein.“ Er schob den Kopf zwischen die Schultern, als sich der dritte ihnen näherte. „Was willst du?“ „Was zu trinken.“ Er leckte über die trockenen Lippen. „Gott, bin ich durstig. Laß den Kanister mal rundgehen!“ „Nein.“ „Nein?“ Der Mann zog die Augen zusammen. „Warum nicht? Wenn du das Wasser auch trägst, ist es doch für uns alle bestimmt. Her damit!“ Conroy ignorierte ihn und blickte zu Wilson hinüber. „Fertig?“ Wilson nickte und packte den Mann am Ellbogen. „Sagt mal – was geht hier vor?“ Er wand sich unter dem harten Griff. „Laß mich los!“ Er versuchte, loszukommen. Da ließ Conroy den Kanister fallen und ging auf ihn zu. Verzweifelt trat der Arme aus, aber eine stahlharte Faust traf ihn am Kinn und fällte ihn. Während er stürzte, zog Wilson rasch das O-Gerät von seinem Handgelenk und befestigte es an seinem eigenen. Conroy seufzte und nahm den Kanister wieder auf. „Laß uns gehen, bevor der Kerl aufwacht und uns folgt.“ Er zögerte und starrte auf die regungslose Gestalt. „Geh voraus, ich komme gleich nach.“ „Was willst du mit ihm machen?“ 104
„Nichts. Hau ab.“ „Nein.“ Wilson blickte ihn kühl an. „Wir gehen zusammen, du hast schon genug Schaden angerichtet.“ „Du bist ein Idiot, Wilson. Was, wenn er aufwacht? Wenn er uns nachschleicht und einen Trick versucht? Wir wollen lieber sichergehen.“ „Laß ihn in Ruhe.“ Wilson sah nach der Nadel des OGerätes. „Schnell etwas trinken, und dann marschieren wir weiter.“ Conroy grunzte und öffnete den Kanister. Sie marschierten zwei Stunden lang und rasteten dann ein paar Stunden. Wilson hatte die erste Wache. Er saß halbschlafend im Sand und behielt die graue Wüste im Auge. Einmal meinte er, in der Ferne einen dunklen Punkt zu sehen, der aber schnell wieder verschwand. Wilson dachte nicht weiter darüber nach, er hatte mit seinen eigenen Gedanken genug zu tun. Conroy nannte sich sein Freund, sie waren seit ihrer Ankunft hier zusammen, und sie schienen gut zusammenzupassen. So einfach war das. Daß sie jetzt wieder zusammen einer Gruppe angehörten, war wohl Zufall. Es hätte genauso gut auch anders sein können – die beiden anderen hätten Freunde sein können. Er schluckte krampfhaft, als er an das dachte, was dann geschehen wäre. Ein rascher Schlag, ein Stein. Ein gemurmeltes Wort – aus. Tief in seiner Brust kristallisierte sich etwas, was er mit stärker werdender Gewalt zu spüren be105
kam, ein urtümlicher Instinkt zur Selbsterhaltung. Er würde am Leben bleiben. E r, ja! Seine Lippen verengten sich, als er sich dem Schlafenden zuwandte. Später schlief er, während Conroy wachte. Es war ein flacher, unruhiger Schlaf, mit peinigenden Alpträumen, die ihm tausend Tode vorgaukelten. Als er erwachte, zitterte er und sein Körper war mit kaltem Angstschweiß bedeckt. Schwelgend setzten sie den Marsch fort. Siebzig Stunden hatten sie gebraucht, um den entferntesten Punkt zu erreichen. Siebzig Stunden Gewaltmarsch unter den drohenden Gewehrläufen der Wachen, und sie waren frisch und ausgeruht gewesen. Jetzt aber … Jetzt wurde jeder einzelne Schritt zur Qual, und ihr Leben hing von dem langsam sinkenden Wasserspiegel in dem Kanister ab. Wilson bemerkte alarmiert den nachdenklichen Zug in Conroys Gesicht. Verbissen kämpften sie sich weiter, auf die weit entfernte Siedlung zu, stolperten über Felsbrocken und trügerische Unebenheiten. Noch außer Sichtweite, näherten sich in weitem Kreis andere Gruppen ebenfalls dem Ausgangspunkt. Alle kämpften erbittert gegen die Zeit und ihre eigene Schwäche. Sie schliefen, tranken, marschierten – schliefen, marschierten wieder – marschierten, marschierten … Andauernd brannte der Glutball der Capella auf ihren ausgetrockneten Rücken und näherte sich unmerklich dem Horizont. 106
„Weißt du“, sagte Conroy nach einer erneuten Rast. „Du bist irgendwie verändert, Wilson. Du bist nicht mehr, wie du warst, sondern härter, irgendwie zäher und rücksichtsloser.“ Er zeigte seine weißen Zähne. „Ich bin einigermaßen froh, daß ich dein Freund bin.“ „Wirklich?“ „Ja. Wenn nicht, müßte ich dich töten.“ Conroy grinste wieder und rückte an dem Riemen des schweren Kanisters. „Allmählich komme ich dahinter, was der Alte bezweckt. Wenn ich recht habe, warten große Dinge auf die paar von uns, die am Leben bleiben.“ „Wieso?“ „Ist das denn nicht offensichtlich? Sie brauchen mehr Wachsoldaten. Sie bilden die Leute für eine neue Armee aus. Sie brauchen auch Offiziere – und ich werde einer davon sein. Wer hätte das geahnt? Als man mich hierherschickte, erwartete ich nichts als Zwangsarbeit, und jetzt …“ Er kicherte wieder. „Ich sehe goldene Zeiten kommen, wenn ich am Leben bleibe.“ „So?“ Wilson stolperte über einen Steinbrocken. „Warum hast du mich eigentlich nicht getötet, Conroy?“ Er fragte mit kalter, fast teilnahmsloser Stimme, und das Gelbgesicht grinste. „Warum sollte ich das?“ „Erstens hättest du dann mehr Wasser gehabt. Zweitens mehr Sicherheit.“ Der junge Mann starrte seinen Begleiter an. „Woher willst du wissen, daß ich dich nicht töten werde?“ 107
„Weil du noch einen Rest gesunden Menschenverstandes hast, Wilson. Töten ist nie etwas Gutes. Manchmal ist Unterlassung ein Fehler, wie in unserem Falle mit dem dritten. Vielleicht ist er stärker als wir denken, verfolgt uns, und wenn wir schlafen oder nicht aufpassen, schlägt er uns die Schädel ein. Wir gingen ein vermeidbares Risiko ein – hätten ihn besser erledigen sollen – aber töten nur um des Tötens willen?“ Er schüttelte den Kopf. „Betrachte es einmal von der Seite: Wir sind eine Gruppe von Männern, aufeinander angewiesen, wir gehören zusammen und müssen miteinander auskommen. Was würde passieren, wenn irgendein Holzkopf Amok liefe und jeden umbrächte, der ihm in den Weg kommt?“ „Was denn?“ „Er würde bald sterben. Die anderen müßten ihn erledigen, schon zu ihrer eigenen Sicherheit. Er würde sogar gegen das Selbsterhaltungsprinzip verstoßen, indem er die anderen bedrohte, denn er müßte unweigerlich gehen. Damit vernichtete er nur sich selbst.“ „Hm.“ Wilson sah den Sirianer neugierig an. „Du scheinst alles sehr genau zu wissen.“ „Ja. Ich war selbst einmal Psychologe und kann mir ein Bild von dem machen, was hier vorgeht. Sie sieben uns, und diejenigen mit dem stärksten Selbsterhaltungstrieb werden befördert, die anderen ausgerottet. Deshalb habe ich mich des anderen so schnell wie möglich entledigt. Wenn du etwas tun willst, dann tu es lieber gleich. Je län108
ger du wartest, um so höher wird die Wahrscheinlichkeit, daß der andere dir zuvorkommt.“ „Das sehe ich ein. Aber warum erzählst du mir das alles?“ „Warum nicht?“ Der Gelbe zuckte mit den Achseln. „Ich mag dich gut leiden, warum sollte ich dir nicht ein paar Schwierigkeiten ersparen, wenn ich das kann?“ Er stöhnte plötzlich, fluchte und stürzte. „Der verdammte Stein!“ Er griff winselnd nach seinem Gelenk. „Tut’s weh?“ Wilson untersuchte vorsichtig den verletzten Fuß. Conroy stöhnte, als das Bein in einer Reflexbewegung zuckte. „Vorsicht! Das tut weh!“ „Kannst du gehen?“ „Weiß ich nicht.“ Der Sirianer preßte die Zähne zusammen und rappelte sich hoch. Er machte einen Schritt, noch einen – und sackte wieder in sich zusammen. Seine Stirn war mit großen Schweißperlen bedeckt. „Ich glaube, es ist gebrochen. Ich kann nicht darauf stehen.“ „Laß mich nachsehen.“ Behutsam zog ihm Wilson die schweren Stiefel aus und schürzte die Lippen, als er die Geschwulst sah. Er untersuchte das Gelenk, und unter seinen Fingern jammerte Conroy vor Schmerz. „Nicht so fest!“ „Bin so vorsichtig wie es geht.“ Er griff nach dem Kanister, aber Conroy hielt ihn krampfhaft fest, die Augen zu 109
schmalen, mißtrauischen Schlitzen zusammengezogen. Wilson fuhr ihn an. „Gib mir das Wasser.“ „Warum?“ „Ich will den Fuß bandagieren. Wenn er nur verrenkt ist, wird ihn eine nasse Kompresse so stützen, daß du gehen kannst.“ Ungeduldig riß er den Wasserbehälter an sich und tauchte einen abgerissenen Streifen von seinem Hemd hinein. Den nassen Verband wickelte er eng um das geschwollene Gelenk; Conroy stöhnte wieder. Als Wilson fertig war, erhob er sich, schnallte sich den Kanister auf den Rücken und reichte Conroy die Hand. „Versuch es noch einmal.“ Vorsichtig stellte sich der Sirianer auf das bandagierte Bein, die Lippen zusammengepreßt. Langsam humpelte er ein paar Schritte, schwer auf Wilson gestützt, und sank dann wieder in den Sand. „Es geht nicht!“ ächzte er. „Der Knochen muß ab sein. Ich kann nicht mehr laufen.“ „Geht’s nicht mehr?“ Wilson betrachtete den Hilflosen nachdenklich. Er warf einen Blick auf den sengenden Sonnenball, dann auf das O-Gerät an seinem Handgelenk. Darauf schüttelte er den Kanister. Das Wasser gluckerte laut in dem fast leeren Behälter. Langsam begann er, den Marsch fortzusetzen. „Wilson!“ Er drehte sich um und betrachtete den Unglücklichen. „Was willst du?“ 110
„Läßt du mich hier liegen?“ „Was bleibt mir anderes übrig?“ „Das kannst du doch nicht tun, nicht an mir! Ich bin dein Freund, Wilson, dein Freund!!“ „Und?“ „Sieh mal“, Conroy wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. „Wir können nicht mehr weit von der Siedlung entfernt sein. Du bist noch ziemlich kräftig, du könntest mich tragen oder wenigstens stützen. Das würde ein wenig länger dauern, aber, Teufel noch mal, wir haben es doch nicht so eilig!“ Er sah das unbewegte Gesicht. „Du kannst mich hier nicht so liegenlassen, Wilson. Ich werde sterben.“ „Wenn ich dich zu tragen versuche, Conroy, werden wir beide sterben.“ Wilson seufzte, als er den Kanister schüttelte. „Wir sind nicht rasch genug marschiert und das Wasser wird nicht reichen. Wenn du laufen könntest, machte das nicht viel aus, wir würden immer noch rechtzeitig zurückkommen. Wollte ich dich aber tragen, würde es zu lange dauern. Es tut mir leid, Conroy, aber es läßt sich nun mal nicht ändern.“ „Du willst mich also verlassen?“ Verzweiflung und Angst verzerrten die Stimme. „Einfach davonlaufen und mich verdursten lassen? Das kannst du nicht, Wilson. Ich kann noch kriechen, mich weiterziehen, aber laß mir Wasser hier, nimm mir nicht die letzte Hoffnung.“ Er rutschte auf den jungen Mann zu. „Verdammt, gib mir wenigstens diese kleine Chance!“ 111
Die grauen Augen des jungen Mannes blickten kalt, hart und mit einem kaum noch menschlichen Ausdruck. Er machte einen Schritt zurück, von dem Kriechenden weg. „Nein, Conroy. Du selbst hast es mich gelehrt. Ich werde am Leben bleiben, und sollten die anderen alle sterben. Du kannst es mir nicht übelnehmen, wenn ich deinem eigenen Rat folge.“ Er zögerte einen Moment und fügte dann leise hinzu: „Leb wohl, Conroy!“ Er machte sich endgültig auf den Weg, der Sicherheit entgegen, auf die Siedlung zu, wo Wasser, Nahrung und Rast auf ihn warteten, Leben und Beförderung. Der Verzweifelte versuchte, ihm nachzukriechen und brüllte Flüche hinter ihm her. „Wilson, laß mich noch einmal trinken, verdammter Hund! Einen letzten Schluck.“ Er blieb nicht stehen. „Wilson!“ Er drehte sich nicht mehr um. „W i 1 s o n!“ Langsam verstummten die Schreie hinter ihm, es wurde still wie im Grabe. Wilson stapfte mit gebeugtem Haupt weiter und spürte, wie etwas in ihm erstarb, etwas Weiches und Warmes, etwas in der Nähe seines Herzens, das ihn mit den anderen Menschen verband. Während es starb, kroch eine fremdartige Kälte in seine grauen Augen, und um seinen Mund bildete sich eine harte, fast grausame Linie. Er blickte nicht mehr zurück. 112
10. Kapitel Direktor Laurance schürzte die Lippen und schaute auf das engbeschriebene Blatt Papier in seiner Hand. Dann knurrte er und blickte zu dem Präsidenten auf. „Nun?“ „Haben Sie den Bericht gelesen?“ „Ja.“ „Was schließen Sie daraus?“ Der Dicke zuckte die Schulter. „Wahrscheinlich das gleiche wie Sie auch.“ Er tippte mit einem fetten Finger auf das Blatt. „Mehr als das hier wissen wir nicht?“ „Nein.“ „So, so.“ Laurance betrachtete stirnrunzelnd die zartgetönte Tapete. „Ich habe etwas ähnliches befürchtet“, meinte er ruhig. „Sind Sie sicher, daß die Zahlen stimmen?“ „Leider ja.“ Der alte Präsident lehnte sich seufzend in seinem Sessel zurück. „Im Laufe dieses Jahres haben wir genau 5325 Gefangene nach der Strafkolonie Stellar geschickt, damit sie dort umgemodelt würden. Hogarth hat Nahrungsmittel für 6000 Mann bekommen, und die angeforderten Mengen an Medikamenten waren einfach phantastisch.“ „Was für Medikamente?“ Laurance schaute auf den Bericht. „Ich lese zwar die Namen, aber ich bin kein Mediziner, sie sagen mir nichts. Gifte?“ 113
„Nein. In der Hauptsache Hormonextrakte, Ultra-Kalzium, Traubenzuckerpräparate und Anregungsmittel zur Erhöhung der Reaktionsgeschwindigkeit. Hogarth muß seine Männer mit chemischen Mitteln vollpumpen.“ „Gut. Aber warum?“ Der Dicke verbarg seine Beunruhigung nicht mehr. „Was bezweckt er damit?“ „Die Medikamente stärken den Knochenbau und vermindern die Anfälligkeit. Wir benutzten die Mittel am Ende des letzten Weltkrieges, um das Reaktionsvermögen der Soldaten zu verbessern und sie in die Lage zu versetzen, hohe Beschleunigungen zu ertragen. Hogarth muß sie zu demselben Zweck verwenden.“ „Um die Verbrecher zu dopen?“ Laurance schüttelte den Kopf. „Das klingt unlogisch. Was hat er wohl im Sinn?“ „Können Sie sich das denn nicht denken?“ Der Präsident sah sein Gegenüber fest an. „Erinnern Sie sich an seinen alten Wunsch, von dem er uns erzählte, bevor er abflog? Ich würde annehmen, daß er eine Elitetruppe aufbaut, sie mit Hilfe der Medikamente in die Lage versetzt, die doppelte Schwere besser zu ertragen und ihr Reaktionsvermögen auf einen bisher noch nie erreichten Stand steigert.“ „Das könnte sein. Aber worin besteht denn da die Gefahr? Die Sträflinge waren eine Last für uns. Wir mußten sie füttern, bewachen und betreuen. Ich möchte fast behaupten, daß Hogarth ein gutes Werk getan hat. Solange er seine Aktivität auf die Strafkolonie beschränkt, liegt kein Grund zur Besorgnis vor.“ Er hielt inne, denn es kam ihm 114
zum Bewußtsein, daß er mehr sich selbst als den anderen zu überzeugen suchte. „Was für Waffen?“ „Meist gewöhnliche Karabiner und ein paar Strahler. Zu viele Gewehre und ebenfalls mehr Strahler, als er gebrauchen kann. Er muß damit einige der Gefangenen bewaffnet haben, denn die ursprünglichen Wachsoldaten waren gut bewaffnet und würden auch nicht solche Mengen benötigen.“ „Vielleicht legt er ein Arsenal an?“ „Ja“, flüsterte der Alte, „genau das befürchte ich.“ Eine Weile saßen sie schweigend, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Dann hob Laurance die Schultern. „Was sagt der Bericht?“ „Das Übliche. Hohe Sterblichkeit auf Grund des schlechten Gesundheitszustandes der Gefangenen. Deshalb haben wir auch schon angefangen, die Kandidaten für Stellar vorher zu sieben. Die Alten und Schwachen schienen regelmäßig während des ersten Monats zu sterben. Aber das bereitet mir nicht die meisten Sorgen.“ „Nicht?“ „Nein.“ Der Präsident suchte wieder zwischen den Papieren herum. „Ich habe das übriggebliebene Kriegsmaterial prüfen lassen und dabei gewisse Unstimmigkeiten festgestellt. Ein paar Schiffe, die unter Hogarths Kommando gestanden hatten – verschwanden. Zur gleichen Zeit ver115
schwanden ebenfalls große Mengen an Verpflegung und Kriegsmaterial. Normalerweise würden wir uns nicht weiter darum kümmern, aber ich hege einen Verdacht und ließ das Schicksal eines jeden auf der Erde gebauten Schiffes von A bis Z überprüfen. Wenn man jede mögliche Art von Unfällen und andere Gründe mit berücksichtigt, fehlen uns immer noch zehn Raumschiffe. Alle zehn verschwanden, nachdem der Friede bereits abgeschlossen und ratifiziert war.“ „So ist das also!“ Laurance zog scharf die Luft ein. „Wir haben also einen mächtigen Diktator unmittelbar vor der Nase sitzen.“ „Vielleicht, obgleich ich nicht glauben kann, daß Hogarth ohne weiteres so etwas zuzutrauen wäre.“ Das klang alles andere als sicher. „Der Mann ist loyal, dessen sind wir gewiß. Aber falsch verstandene Loyalität kann genau so schädlich sein wie aktive Feindseligkeit.“ „Er mag loyal sein“, meinte der Dicke grimmig. „Aber wem gegenüber? Gegenüber der Föderation? Möglich, dann wäre sein Verhalten aber eine seltsame Methode, dies zu beweisen. Vielleicht ein Ideal? Ich glaube, da haben wir es schon.“ Er lehnte sich über den polierten Tisch. „Ich erinnere mich daran, daß ich starke Zweifel empfand, als wir ihm seine jetzige Aufgabe übertrugen. Wer mag damals wen an der Nase herumgeführt haben? Jetzt weiß ich es. Hogarth hatte seinen Plan bereits fertig in der Tasche, und wir haben ihm ohne zu überlegen dabei geholfen. Wir gaben ihm Menschen und Material, einen ganzen Planeten, 116
auf dem er schalten und walten kann, wie es ihm beliebt, und um ganz sicher zu gehen, daß wir unser eigenes Grab auch tief genug geschaufelt hatten, gaben wir ihm auch noch vollkommen freie Hand.“ „Ich kann es nicht glauben“, flüsterte der alte Mann unglücklich. „Nicht bei Hogarth. Er gewann den Krieg und half die Föderation gründen. Ich glaub’s einfach nicht,“ „Und warum nicht? Normalerweise würde ich Ihnen recht geben, aber der Mann ist ein Fanatiker. Das Beiseiteräumen von Kriegsschiffen und Material beweist es. So ein Mann ist gefährlich! Hogarth hat ein Ideal: Er glaubt, daß eine Armee für das Wohlbefinden der Föderation unerläßlich ist, und er wird vor nichts haltmachen, um diese Armee zu bekommen.“ „Aber er ist doch intelligent“, protestierte der Präsident. „Er muß doch einfach einsehen, daß eine solche Armee heute nicht mehr gebraucht wird!“ „Kein Idealist handelt jemals intelligent. In jeder anderen Hinsicht kann er vollkommen normal sein, aber in dem einen Punkt, auf dem er herumreitet, ist er ohne jede Vernunft. Wenn Ihnen das bisher noch nicht klar geworden ist, wird es höchste Zeit.“ Die Wangen des alten Mannes überzogen sich mit Rot. „Was glauben Sie wohl, weshalb der letzte Krieg geführt wurde? Warum haben wir eine Generation lang gekämpft, ganze Städte und Planeten verwüstet, jede Ordnung zerstört? Wissen Sie darauf eine Antwort?“ 117
„Um allen Menschen Frieden und ein einheitliches Recht zu bringen.“ „Genau. Und warum? Weil wir Idealisten sind. Weil auch die unabhängigen Welten von Idealisten bewohnt waren. Beide Seiten glaubten, sie hätten die allein seligmachende Weisheit. Die Tatsache, daß keiner der beiden Gegner ein anderes System als das eigene akzeptieren wollte, führte zum grausamsten Krieg, den die Weltgeschichte kennt. Wir gewannen den Krieg, aber auch nur so eben. Wären wir vernünftig gewesen, dann hätten wir ihn erst gar nicht begonnen!“ „Das dürfen Sie nicht sagen!“ schnitt ihm der Präsident das Wort ab. „Wir kämpften, jawohl, aber für eine Politik auf lange Sicht und den höchsten möglichen Lebensstandard für die größtmögliche Anzahl von Menschen. Hätten wir nicht den Krieg erklärt, so hätten sich die unabhängigen Welten in Hunderte kleinere Reiche aufgesplittert, von denen eins das andere bedrohte. War es nicht richtig, daß wir das verhinderten?“ „Ja“, sagte der Direktor überraschenderweise. „Aber ich bin ebenfalls Idealist, und ich habe recht – selbst wenn ich die ganze Milchstraße zerstören muß, um das zu beweisen!“ Sein Kichern nahm der Unterhaltung die bedrohliche Spannung. „Ich will doch nur beweisen, daß jeder Idealist ein gefährlicher Mann ist. Sie waren es immer, und sie werden es auch in Zukunft sein. Das Tragische an einem Idealisten 118
besteht darin, daß er es zwar gut meint, daß aber nicht jeder ihm glaubt. Hogarth ist einer der besten Kenner der Kriegswissenschaften, die heute leben. Was geschieht, wenn er plötzlich loszieht und andere zwingt, wieder Waffen in die Hand zu nehmen?“ „Wie sollte er das fertigbringen?“ „Das fragen Sie noch? Wenn jemand bei Ihnen einbricht, was machen Sie dann? Nichts? Oder kaufen Sie sich einen Revolver, um ihn zu erschießen, wenn er es noch einmal versuchen sollte? Warum waren in früheren Zeiten die reisenden Kaufleute bewaffnet? Weil sie sich gegen ihren eigenen Nachbarn und gegen Strauchdiebe sichern mußten.“ „Heute sind aber doch alle entwaffnet“, beharrte der alte Mann. „Nicht einmal die Raumschiffe haben Kanonen an Bord.“ „Dafür besteht auch keine Veranlassung – noch nicht. Aber was geschieht, wenn Hogarth die Sache ins Rollen bringt? Er besitzt Schiffe, Waffen und Soldaten. Die ersten paar Überfälle wären einfach für ihn. Dann würde jeder Kapitän, jede Siedlung, jeder Planet nach Waffen schreien, um sich zu schützen. Sie würden die Waffen auch bekommen. Und den nächsten Konflikt, der irgendwo ausbrechen mag, bringen sie nicht mehr vor den Internationalen Gerichtshof, sondern bereinigen ihn selbst. Mit Waffengewalt nämlich!“ Der Präsident machte einen höchst beunruhigten Eindruck. „Wo bleibt dann Ihr Friede?“ 119
„Wir haben die Polizei“, stammelte der Alte. „Sie wird die Ordnung aufrechterhalten.“ „In der ganzen bekannten Milchstraße. Unmöglich. Sie müßten die Polizei bis zum Umfang der früheren Erdflotte vergrößern, weil sie alle Planeten, alle Verkehrslinien, jede Siedlung der bekannten Welt beschützen müßte.“ „Das könnten wir.“ „Könnten wir das wirklich?“ In dem milden Licht erschienen die Gesichtszüge des Dicken sehr alt. „Woher wollen Sie die Leute bekommen? Sie wissen ganz genau, daß der Gedanke an Militär und Krieg für jeden normalen Menschen etwas Häßliches ist. Deshalb mußten wir doch die irdische Raumflotte auflösen. Und selbst wenn wir sie wieder aufbauen könnten, wer würde den Spaß bezahlen? Nein, wir würden auf den Punkt zurückgeworfen, von dem wir ausgegangen sind. Die Lösung ist woanders zu suchen.“ „Bei Hogarth?“ „Ja. Vielleicht kämpfen wir gegen Windmühlen, und der Mann ist wirklich harmlos, zufrieden, wenn er mit Waffen spielen darf, von seinen Leuten angehimmelt wird und die Gefangenen herumkommandieren kann.“ „Glauben Sie das?“ „Nein“, gab Laurance unverblümt zu. „Ich glaube, daß wir es mit einem Tiger zu tun haben – mit einem wilden Tiger. Wir hätten besser aufpassen sollen.“ „Vielleicht wäre das besser gewesen“, gab der Präsident 120
unglücklich zu. „Ich habe einen Agenten hingeschickt, der einen Ultrasender unter der Haut verborgen hatte. Er meldete sich nicht. Das machte mich mißtrauisch. Wir hatten soviel Arbeit, Laurance, so viele Dinge, die gleichzeitig erledigt werden mußten. Ich vertraute Hogarth, er löste ein schwieriges Problem für uns, und wir hatten keinen Grund, an seiner Fähigkeit oder seinen Absichten zu zweifeln. Selbst jetzt wissen wir noch nicht mit Sicherheit, ob er nicht doch loyal ist und auf seine Weise das Beste will.“ „Nein.“ Laurance erhob sich schwer. „Aber es gibt eine Möglichkeit, das herauszufinden. Ich fliege nach Stellar. Ich fliege als verantwortlicher Direktor der Föderation, und ich werde herausfinden, was in Hogarths Gehirn vorgeht. Ich werde den nächsten Transport begleiten, und zwar unangemeldet.“ Er grinste. „Die Reise wird mir guttun. Vielleicht werde ich etwas von meinem Fett los, denn auf Stellar soll es angeblich ganz schön warm sein.“ „Ja“, meinte der Präsident abwesend, „das glaube ich auch.“ Er blickte zu dem massig gebauten Mann auf. „Sie werden es schon schaffen, Laurance.“ Der Direktor lächelte nicht mehr, als er den Raum verließ.
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11. Kapitel Sergeant Wilson stand breitbeinig in der Sonne und sah zu, wie die neuangekommenen Häftlinge in einer langen Linie den großen Transporter verließen. Er trug eine ordentliche graue Uniform mit den scharlachroten Rangabzeichen. Ein kurzer, kräftiger Knüppel hing von seinem Handgelenk herab. Unter der Schirmmütze blickten seine kalten grauen Augen gefühllos und abschätzend auf das neuangekommene Material. Material! Nur als solches betrachtete er diese Wracks, diese bleichgesichtigen Männer mit den unruhig flackernden Augen, die Messerhelden und Gentlemen-Ganoven. Gesindel in der Hauptsache, Verbrecher. Menschliches Material, das ausgebildet, getreten, gestoßen werden mußte, um zu etwas Brauchbarem umgeformt zu werden. Nach außen hin wirkte Wilson wie Stein. Die tiefen Linien in seinem Gesicht, die leuchtend blaue Narbe, der kalte, harte Gesichtsausdruck straften sein wirkliches Alter Lügen. Er war noch nicht großjährig, obgleich er vielleicht reifer war als die meisten dieser Männer. Keiner hätte ihm sein Alter geglaubt. Jedes Gefühl in seiner Brust war erstorben. Was er zu tun hatte, tat er mit kalter, rücksichtsloser Gründlichkeit. Er hatte Menschen getötet und andere sterben sehen. Er sah sie leiden, schikanierte sie, verspottete sie und trieb sie an 122
den Rand des Wahnsinns. Er hatte das erste Jahr auf Stellar überlebt. Ein Jahr pausenloser, harter physischer und psychologischer Anspannung. Jeder, der diese unmenschliche Tortur überlebt hatte, war mehr als nur ein Soldat. Sein Körper hatte während verschiedener Waffenübungen als Zielscheibe gedient – und er hatte zurückgeschossen und sich gegen seine Feinde gewehrt. Er hatte viele Zweikämpfe mit dem Messer oder auch ohne Waffen ausgefochten, wenn andere Männer sich um seinen Rang bewarben und er ihn zu verteidigen hatte. Sein Aufstieg hatte über die Leichen anderer geführt, denn jeder Mißerfolg bedeutete den Tod. Jetzt brauchte er nur noch einen letzten Schritt zu tun, um Offizier und damit unangreifbar zu werden. Aber manchmal, wenn er sich während einsamer „Nächte“ schlaflos auf seinem Lager wälzte, oder in dem Übergangszustand zwischen Wachen und Schlafen, hörte er die verzweifelte Stimme eines Mannes, der ihn „Freund“ genannt hatte. Die Stimme eines Mannes, den er dem Tode überlassen hatte. Eine Gruppe von Gefangenen marschierte vorbei und blieb auf ein rauhes Kommando hin abrupt stehen. Starke, harte Männer, die gerade ihre Grundausbildung hinter sich hatten und darauf aus waren, sich eine Beförderung zu verdienen. Einer von ihnen, ein riesiger Muskelklotz, abgehärtet von jahrelanger Strafarbeit in den Jupiter-Bergwerken, 123
fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als er den schlanken Sergeanten erblickte. Der Offizier, ein Mann mit ungeschlachten Gesichtszügen, nickte ihm im Vorbeigehen zu. Dann machte er einen Schritt zur Seite und blieb spöttisch grinsend stehen. Wilson seufzte. Er wußte genau, was jetzt kommen würde. Er wußte auch, daß er seinen Rang und sein Leben solange verteidigen mußte, bis er Offizier und damit in Sicherheit war. Unmerklich spannten sich seine Muskeln. „Du dort“, schrie der Muskelklotz. „Du dort mit den Streifen!“ „Was ist?“ „Ich will deinen Rang! Es heißt, daß ich ihn haben kann, wenn ich ihn mir nehme, Stimmt das?“ „Du kannst es versuchen“, erwiderte Wilson kühl. „Du wirst zwar nicht meinen Rang bekommen, wenn du gewinnst, aber immerhin eine Beförderung.“ „So?“ Der andere grinste häßlich. „Mach’s nicht so spannend.“ Er zeigte seine Muskelpakete. „Eine Schande, so einen Knaben umzubringen, aber was soll man machen?“ Er blinzelte dem Offizier zu, und im gleichen Augenblick wußte Wilson, daß das Ganze abgesprochen war. Er fühlte beinahe etwas wie Mitleid für den Riesen. Dem ersten Schlag ging er einfach dadurch aus dem Wege, daß er einen raschen Schritt zur Seite machte. Neben der Gewandtheit seiner Bewegungen wirkte der Große 124
mehr als schwerfällig. Beim zweiten Angriff versuchte er, Wilson den Knüppel zu entreißen – den einzigen Vorteil, den die Unterführer gegenüber den gewöhnlichen Soldaten hatten. Er griff daneben und Wilson entwickelte eine überraschende Aktivität. Mit der Leichtigkeit langer Übung trat er seinem Gegner gegen das Knie und ging dabei einem neuen Schlag aus dem Wege. Der Angreifer griff fluchend nach dem Gelenk. Die anderen standen herum und sahen den beiden zu. Wilson mußte den Neuangekommenen ein warnendes Beispiel geben, außerdem war es ein gefährlicher Leichtsinn einem Feind Gelegenheit zur Rache zu geben. Deshalb erschlug er ihn. Während er noch auf den bewegungslosen Körper zu seinen Füßen niederblickte, berührte ihn jemand am Ärmel. „Ja?“ „Mein Name ist Laurance“, der Dicke wischte sich den Schweiß von der Stirn und deutete auf den Toten. „Mußten Sie das tun?“ „Was tun?“ „Ihm das Genick brechen?“ „Wie kommen Sie dazu, solche Fragen zu stellen?“ Etwas in Wilsons Augen ließ den Direktor zurückweichen. „Ich bin kein Gefangener“, stieß er hastig hervor, „Ich bin ein Regierender Direktor der Föderation.“ Er starrte auf den zusammengesunkenen Körper. „Warum haben Sie das getan?“ 125
„Er griff mich an.“ „Das weiß ich, weil ich es selbst gesehen habe. Aber warum deshalb gleich töten? Sie hatten ihn so weit, daß er Ihnen nicht mehr gefährlich werden konnte – das hätte doch genügt.“ Neugierig musterte er den jungen, seltsam alt aussehenden Mann. „Werden Sie dafür nicht bestraft werden?“ „Nein“, beendete Wilson kurz angebunden die Diskussion. Bei sich dachte er, der Dicke müsse nicht ganz richtig im Kopf sein. Es war doch ganz klar, daß er seinen Gegner töten mußte! Das Leben hing davon ab, daß man die Feinde außer Gefecht setzte. Nur die Toten glaubten hier an so etwas wie Nächstenliebe. Er drehte sich um und grüßte stramm, als ein Offizier herantrat. „Stehen Sie bequem!“ befahl Rennie. Dann warf er einen Blick auf den Dicken. „Sie sind Laurance?“ „Jawohl.“ „Admiral Hogarth erwartet Sie.“ Er nickte Wilson zu. „Gehen Sie an Ihre Arbeit, Sergeant. Ich werde mich um unseren Gast kümmern.“ Er führte Laurance in die wohltuende Kühle des Verwaltungsgebäudes. Hogarth lächelte dem Dicken entgegen und entließ Rennie mit einer ruckartigen Kopfbewegung. Nachlässig deutete er auf einen Sessel. Dann lehnte er sich zurück und betrachtete den Direktor aus undurchdringlichen, wasserhellen Augen. 126
„Dies ist eine unerwartete Freude für uns“, begann er vorsichtig. „Sie hätten uns von Ihrem Kommen verständigen sollen.“ „Damit Sie vorher Ordnung machen konnten?“ „Ich verstehe nicht, was Sie meinen.“ „Wirklich nicht?“ Der Direktor forschte in dem ausdruckslosen Gesicht seines Gegenübers. Dann winkte er ab. „Lassen wir das, Hogarth. Ich bin nicht gekommen, um mich wegen Kleinigkeiten zu streiten.“ „Nicht?“ Der Admiral verzog seinen Mund zu einer Andeutung von Lächeln. „Weshalb sind Sie denn gekommen?“ „Um herauszufinden, was hinter dem ganzen Theater hier steckt. Offen gesagt, Hogarth, Sie machen uns Sorgen. Das kann ich Ihnen ohne alle Umschweife sagen.“ „Sorgen?“ Das Lächeln vertiefte sich. „Aber worüber denn?“ „Es geht um die private Armee, die Sie allem Anschein nach hier aufstellen. Um die Waffen und Vorräte, die Sie hier aufspeichern – zuviel für Ihren normalen Bedarf, viel zu viel für die Handvoll Wachsoldaten.“ Er blickte fest in das lächelnde Gesicht. „Und noch etwas anderes: Sie haben seit Ihrer Landung keine weiteren Wachmannschaften angefordert. Dabei befinden sich fünftausend Verbrecher hier.“ „Weshalb sollte ich denn Verstärkung anfordern?“ 127
„Erlauben Sie eine Gegenfrage: Wie wollen Sie mit fünfzig Mann fünftausend Gefangene in Schach halten?“ „Es sind nur fünfzehnhundert, Laurance“, verbesserte Hogarth ruhig. „Und sie passen auf sich selbst auf.“ „Was?“ Laurance richtete sich in dem harten Stuhl auf. „Fünfzehnhundert? Aber wir haben im Laufe des vergangenen Jahres über fünftausend hergeschickt! Wo sind sie?“ „Tot.“ „Tot?“ „Ja, Laurance, tot! Sind Sie überrascht?“ Hogarth schien von dem Anblick des Dicken insgeheim belustigt zu sein. „Was haben Sie denn erwartet? Eine Strafkolonie ist kein Kindergarten.“ „Aber – von fünftausend sollen nur fünfzehnhundert übriggeblieben sein?“ Laurance schüttelte verzweifelt den Kopf. Das breite Gesicht zeigte deutlich den Kampf in seinem Inneren. „Nur einer von fünfen! Das ist unglaublich!“ „Zwei Siebentel“, korrigierte ihn Hogarth gleichmütig. „Aber dieser Prozentsatz ist im Steigen begriffen. Innerhalb weniger Monate hoffen wir fünfzig Prozent zu erreichen. Ich bezweifle jedoch, ob es möglich sein wird, mehr als jeden zweiten am Leben zu erhalten.“ „Warum denn nicht? Gibt es hier Seuchen? Wenn ja, warum haben Sie die Föderation nicht informiert? Liegt es an der Schwerkraft? Der Umgebung? Selbstmord? Woran sind all diese Männer gestorben?“ 128
„Krankheiten? Nein. Schwerkraft? Die hat etwas damit zu tun. Ein paar Männer haben auch Selbstmord begangen, aber diese Verluste waren verschwindend gering. Ich glaube, man könnte die Ursache in der Umgebung suchen.“ Hogarth lächelte immer noch, während Laurance ihn gedankenvoll betrachtete. Er erinnerte sich an halbunterdrückte Gerüchte, die während des Krieges aufgekommen waren, aber im Drang der Ereignisse wieder vergessen wurden. Er erinnerte sich an einen jungen Mann mit einer blauen Narbe im Gesicht, der einen anderen Mann erschlagen hatte. Laurance nickte. „Ja“, sagte er mit ruhiger Stimme. „Die Umgebung also. Natürlich eine Umgebung, die Sie geschaffen haben?“ „Natürlich.“ „Und Sie sind stolz, das erreicht zu haben?“ „Jawohl.“ „Natürlich. So mußte es kommen.“ Laurance war jetzt vollkommen beherrscht. „Fast viertausend Männer getötet – und Sie sind noch stolz auf das, was Sie getan haben. Es ist einfach unfaßbar.“ „Warum?“ Hogarth richtete sich auf und verlor sein Lächeln. „Sie haben mir das übelste Gesindel der ganzen Föderation geschickt – durch die Bank Kriminelle, Mörder. Sollte ich sie pfleglich und liebevoll behandeln? Sie regelmäßig trockenlegen und ihnen Fläschchen geben? Ihnen womöglich die Gelegenheit bieten, zu revoltieren und neue Verbrechen zu planen? Nein, Laurance, mein Plan war bes129
ser. Ich habe die Wracks, die Sie mir schickten, mit Eisen und Feuer geformt. Ich habe die Kranken, Verkommenen und Unbrauchbaren ausgerottet. Ich habe sie gesiebt und wieder gesiebt. Was heute davon noch übrig ist, stellt eine Elite dar.“ „Durch kalten Mord?“ „Nein. Ein paar Männer sind natürlich erschossen worden, weil ich die Disziplin aufrechterhalten mußte. Aber die meisten starben, weil sie mein Tempo nicht aushalten konnten. Von den ersten vierhundert Gefangenen blieben nur fünfzig am Leben – aber diese sind heute Sergeanten. Ich glaube, einen davon haben Sie gesehen, bevor Sie hierherkamen.“ „Ja“, sagte Laurance grimmig. „Einen jungen Mann mit zernarbtem Gesicht. Er hat vor meinen Augen einen Mann zu Tode geprügelt.“ „Narben im Gesicht?“ Hogarth verzog die Stirn. „Ja, ich erinnere mich jetzt. Wilson, der Jüngste auf diesem Planeten. Sehr vielversprechend und das beste Material für einen zukünftigen Offizier.“ „Für einen Offizier?“ „Ja, denn es ist Ihnen doch hoffentlich klar, daß ich meine Wachen verstärken mußte? Das konnte ich nur tun, indem ich Gefangene dafür ausbildete. Die Sergeanten sind in jeder Hinsicht dafür ausgebildet worden, um mit Waffen und Menschen umzugehen.“ „Fünfzig Sergeanten? Das ist eine sehr kleine Anzahl.“ 130
„Dies sind nur die Sergeanten“, erinnerte ihn Hogarth. „Wir haben außerdem einhundertfünfzig Unteroffiziere und dreihundert Gefreite. Die übrigen tausend machen gerade die letzte Etappe ihrer Ausbildung durch. Sie erhalten ihre Beförderung, sobald der neue Schub von Gefangenen gesiebt und für die Grundausbildung bereit ist.“ „Interessant“, bemerkte der Dicke trocken. Hogarth schien den Unterton in seiner Stimme nicht zu bemerken. „Nach der Ausbildung des ersten Trupps mußten wir unser Programm natürlich etwas mildern. Aber der ganze Plan ist flexibel und kann den Gegebenheiten angepaßt werden. Im Augenblick sind wir damit beschäftigt, die gewöhnlichen Soldaten abzuhärten. Neue Beförderungen können ausgesprochen werden, sobald sich der Nachschub an Verbrechern erhöht. Wann wird das sein?“ „Niemals.“ „Wie bitte? Was meinen Sie damit?“ „Glauben Sie, Hogarth, wir sind alle genauso verrückt, wie Sie?“ Laurance wischte sich den Schweiß von der glänzenden Stirn. „Die Föderation kann keine private Armee zulassen, gleichgültig, ob sie von Ihnen oder irgendeinem anderen aufgebaut wird. Dieses wahnsinnige Programm muß beendet werden.“ „So.“ Hogart^ lehnte sich zurück. Seine kalten Augen funkelten gefährlich und wachsam. „Darf ich mich nach dem Grund erkundigen? Welchen Schaden kann ich von hier aus anrichten? Ich übernehme den Abschaum Ihrer 131
Föderation und mache brauchbare Menschen daraus. Zugegeben: Ich wende dabei militärische Methoden an – aber können Sie mir etwas Geeigneteres vorschlagen?“ „Wir können Sie in Gefängnisse sperren, wo sie niemandem schaden können.“ „Und ihnen für den Rest ihres Lebens Bequemlichkeit und Wohlstand bieten?“ Hogarth schnaubte verächtlich. „Behandelt man Mörder so?“ „Vielleicht nicht“, gab Laurance zu. „Aber alles andere ist noch Ihren Methoden vorzuziehen.“ Er lehnte sich über den massiven Tisch und faltete die Hände. Sein breites Gesicht war ernst. „Sind Sie ein solcher Narr, Hogarth, daß Sie nicht einsehen, was Sie hier anrichten? Diese Männer sind Kriminelle, verurteilte Mörder. Sie haben sie mit Hilfe brutaler Gewalt zu einer Art von Armee geformt. Aber sie sind keine Soldaten! Im Grunde bleiben sie das, was sie waren: Gesindel! Es ist Ihnen höchstens gelungen, die Verkommensten unter ihnen auszurotten, die Kaltblütigsten und gefährlichsten. Sie sitzen auf einem Vulkan, Hogarth, die ganze Föderation ist dadurch gefährdet, und zwar solange, wie diese Männer die Möglichkeit haben, Waffen in die Hand zu bekommen und sich den Weg in die Freiheit zu erkämpfen. Was wissen sie von Loyalität? Von Patriotismus? Von Selbstaufopferung? Wie können Sie jemals erwarten, daß sie irgendwelchen ethischen Gesetzen gehorchen werden? Nein, Hogarth, das hier muß endgültig aufhören.“ 132
„Nein!“ „Doch!“ Einen Augenblick lang starrten sich die beiden Männer feindselig an. Auf der hohen Stirn des hageren Admirals bildeten sich winzige Perlen. Er schluckte, setzte zum Sprechen an, und schluckte noch einmal. „Sie irren sich, Laurance“, begann er dann mit erzwungener Ruhe. „Sie übersehen eines: Sie sprechen von Loyalität und Patriotismus – ich habe den Männern etwas gegeben, was genauso wirksam ist und sie besser bei der Stange hält als leere Worte und unklare Vorstellungen. Ich habe ihnen die Stellar-Legion gegeben.“ „Und?“ „Was Sie sagten, stimmt nicht. Diese Männer sind loyal – nicht der Erde gegenüber, auch nicht gegenüber der Föderation oder einer anderen altmodischen Vorstellung ethischer Denkungsart. Sie sind loyal sich selbst gegenüber. Sie haben etwas gefunden, was sie aneinander bindet. Die Legion!“ Hogarth schluckte noch einmal und wischte ärgerlich über sein feuchtes Gesicht. „Ich habe ihre Verachtung jeglicher Autorität bekämpft. Ich habe in ihnen jede Hoffnung auf Freundschaft zwischen den Menschen zerstört. Jeder steht für sich allein, und jeder weiß das auch. An Stelle menschlicher Freundschaft und persönlicher Loyalität haben sie die Legion. Der Legion gegenüber sind sie loyal, weil sie damit sich selbst gegenüber loyal sind. Sie sind ja die Stellar-Legion! Nichts 133
kann ihnen jemals dieses Bewußtsein nehmen.“ „Was werden Sie tun, wenn die Legion aufgelöst ist? Nun, dieses Problem können wir in Angriff nehmen, wenn wir so weit sind. Inzwischen wird dieser neue Transport Gefangener zugleich der letzte sein. Die Föderation kann keine Massenmörder und potentielle Feinde des galaktischen Friedens dulden!“ „Die Föderation!“ Diesmal verbarg Hogarth seine Verachtung nicht. „Ein Verein gutgläubiger, unschuldiger Idioten! Sie predigen den allgemeinen Frieden und glauben, ihn durch die endgültige Absage an jede Art bewaffneter Abwehr herbeizuführen! Das ist falsch – und als intelligenter Mensch müßten Sie das wissen!“ „Schönen Dank“, sagte Laurance ungerührt. „Es freut mich, daß Sie mir wenigstens etwas Intelligenz zubilligen. Aber ich glaube, Sie sind einem gefährlichen Irrtum unterlegen, Hogarth. Die Föderation glaubt nicht an irgendein Allheilmittel gegen jede Art von Übel. Es wird immer Waffen geben. Wir wissen das und machen uns keine Sorgen darum. Ein einzelner Bewaffneter ist relativ harmlos, und es ist uns gleichgültig, wie viele Streitereien es gibt, wie viele Duelle ausgetragen werden. Sie sind schlimm genug, müssen aber ertragen werden. Nein! Wir stellen uns nur gegen den Aufbau einer militärischen Streitmacht. Ein Bewaffneter ist ungefährlich, aber tausend Männer, geführt von Egoisten und Narren, können den Frieden in nicht wiedergutzumachender Weise gefährden. Die Stellar134
Legion ist eine solche Macht – deshalb muß sie verschwinden!“ „Muß sie das?“ Hogarth schüttelte den Kopf. „Nein, Laurance. Die Föderation braucht die Legion. Gleichgültig, was Sie sagen, die Föderation braucht uns,“ „Niemals!“ „Doch, Laurance, Sie brauchen die Legion. Was wollen Sie sonst gegen Überfälle tun? Die menschliche Natur läßt sich nicht ummodeln, und Ihre lächerliche Polizei vermag nichts gegen eine kleine, aber entschlossene Gruppe von Verbrechern, die sich zusammentut, um ein Schiff zu rauben.“ „Unsinn!“ „Unsinn, sagen Sie? Gut. Und was erwartet uns von außen her? Welche Lebensformen mag es draußen im Raum geben, die wir nicht kennen, und die uns auflauern?“ Hogarth zuckte die Achseln. „Ich weiß, daß Sie nicht daran glauben. Aber ich habe noch bessere Gründe als diese dafür anzuführen, daß die Legion bestehen bleiben muß!“ „Welche wären das?“ „Wie wollen Sie die Legion auflösen?“ „Die Strafkolonie zumachen. Jeglichen Nachschub stoppen. Dann …“ Der Dicke hielt inne. „Sie würden es doch nicht wagen, sich zu widersetzen?“ „Warum nicht?“ Hogarth ließ ein kaltes und humorloses Lächeln sehen. „Ich bin der Kommandeur der rücksichtslosesten und am besten ausgebildeten Kampfmacht, die es 135
zur Zeit in der ganzen Föderation gibt. Sie sind der Ansicht, sie müsse aufgelöst werden. Ich bin dagegen.“ Er lehnte sich zurück. „Gut, Laurance. Versuchen Sie, mich zum Abdanken zu bringen!“ Er amüsierte sich über den Ausdruck im schweißnassen Gesicht des anderen.
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12. Kapitel Kapitän Rennie ruckte seinen schworen Gürtel höher und funkelte die unter der Hitze leidenden Männer an. Sie erwiderten den Blick ausdruckslos, und wie immer fühlte der Kapitän eine Gänsehaut auf seinem Rücken, wenn er an den unbarmherzigen Haß dachte, der ihm hier entgegenschlug. Grimmig kommandierte er: „Dies ist ein neuer Ausscheidungstest. Die Gewinner werden unmittelbar für eine Beförderung vorgeschlagen. Die Verlierer …“ Er zuckte die Achseln. „Ihr habt alle einen Hypno-Kursus im Kampf mit und ohne Waffe hinter euch. Ich teile euch jetzt in zwei Parteien ein, die einander gegenüberstehen werden. Die eine Hälfte bekommt ein Messer, die andere Hälfte bleibt unbewaffnet. Es kommt darauf an, zu gewinnen.“ Er grinste. „Wie ihr gewinnt, ist mir ziemlich einerlei. Noch etwas. Wenn irgendein Schlaumeier auf die Idee kommen sollte, etwa ein Messer nach einem der Wachsoldaten zu werfen, wird er ausgepeitscht, an den Füßen aufgehängt und hängengelassen.“ Er deutete in Wilsons Richtung. „Los, Waffen ausgeben!“ Wilson nickte und nahm einen Korb voll langer, blitzender Messer auf, jedes scharf wie ein Rasiermesser und mit geschliffener Spitze. Er reichte jedem zweiten Mann ein Messer. Dann erscholl ein Kommando, und die Reihen teilten sich. Die Männer standen einander zwei und zwei gegenüber. 137
„Augenblick!“ Rennie blickte den jungen Mann an. „Um euch zu zeigen, was ich meine, wird es euch der Sergeant vormachen. Los, Wilson. Fertigmachen!“ Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte Wilson, weil er wußte, daß Rennie kein Recht hatte, ihm zu befehlen, in einem normalen Ausscheidungstest sein Leben zu riskieren. Zugleich wußte er jedoch, daß er im Falle des Protestes sofort niedergeschossen würde, um den Männern ein warnendes Beispiel zu geben. Er griff also nach seinem Knüppel und machte einen Schritt vorwärts. „Unbewaffnet, Wilson!“ schnauzte der Kapitän ihn an. Schweigend warf der junge Mann den dicken Knüppel in den Sand und stellte sich einem feindselig blickenden, zu allem bereiten Gegner. Nach außen hin blieb er unverändert ruhig, aber in seinem Inneren tobte der Haß gegen den Sadismus des Offiziers. Der Mann hatte eine gelbe Haut. Er stammte also vom Sirius – wie Conroy, mußte Wilson unwillkürlich denken. Er drängte die Erinnerung zurück und wartete, alle Muskeln gespannt, auf das Kommando zum Angriff. „Angreifen!“ Der Gegner neigte sich vor, und die Sonne glänzte auf der blanken Klinge. Wilson stellte fest, daß er das Messer mit einem auf lange Übung deutenden Griff hielt, den Daumen an der Klinge und die Spitze leicht nach oben. Dadurch wurde die Möglichkeit ausgeschaltet, ihm mit einem einfachen Armgriff oder einem senkrechten Schlag 138
die Waffe zu nehmen, zugleich deutete es aber auch darauf hin, daß der Mann nicht die Absicht hatte, das Messer zu werfen. Wilson erwartete in lockerer Haltung den ersten Angriff. Er kam ganz plötzlich, angekündigt nur durch ein kurzes Aufblitzen der Klinge. Ein rasches Täuschungsmanöver, dann eine blitzschnelle Wendung, und schon schnitt der rasiermesserscharfe Stahl pfeifend einen Todeskreis in die schwere Luft des Stellar. Beinahe wäre es ihm gelungen. Fast hätte die rasche Wendung Wilson überrumpelt, und ein dünner Schnitt knapp oberhalb des Gürtels machte sich bemerkbar, als Wilson herumwirbelte. Dann blickten sie sich wieder ins Auge. Wieder das Vorwärtsstürzen, die schnelle Drehung in letzter Minute mit dem kreisenden Schnitt, der nach seiner ausgestreckten Hand gezielt war. Wilson fiel aber nicht darauf herein, sondern schlug seinem Gegner unerwartet schnell die linke Faust gegen den Vorderarm. Einen Augenblick lang schwankte die gefährliche Klinge, und bevor der Sirianer wieder festen Stand erlangte, machte Wilson einen raschen Schritt vorwärts und schlug mit dem Knie nach oben. Daneben! Verzweifelt wand er sich, als der Stahl ihm wieder gefährlich nahe kam, wirbelte auf einem Absatz herum und warf sich zur Seite. Geduckt unterlief er das Messer, das 139
ungefährlich oberhalb seiner Schulter blitzte. Während er den Gegner ansprang, vermied er sorgfältig ein erhobenes Knie und drehte den Kopf zur Seite, weil ausgestreckte Finger nach seinen Augen stießen. Er knurrte und packte mit einer halb unbewußten Bewegung den Messerarm. Mit einem weiteren Schritt warf er den Mann nach hinten zu Boden. Mit dem Kopf zuerst landete er auf dem steinigen Boden. Der Kopf hing in einem seltsamen Winkel zur Seite – die Wucht doppelter Schwerkraft hatte ihm das Genick gebrochen. Wilson rückte seine Mütze gerade, nahm ruhig den weggeworfenen Knüppel wieder auf und blickte erwartungsvoll auf den Offizier. „Noch etwas, Sir?“ „Nein. Lassen Sie sich die Wunde verbinden.“ Rennie wandte sich an die wartenden Männer. „Los, zeigt jetzt, wie ihr euch dabei benehmt! Angriff!“ Wilson entfernte sich mit ausdrucksloser Miene. Hinter ihm erhoben sich die fast nicht mehr menschlichen Laute von Männern, die in einen verzweifelten Kampf verwickelt waren. Der Arzt versorgte seine Wunde und sprühte eine durchsichtige, heilende Plastikmasse auf den flachen Schnitt. Die Masse verhärtete sich sofort und brannte die Wunde sauber. Als Wilson das Lazarett verließ, rief ihn ein korpulenter Mann an. Er wandte sich um und blickte den Zivilisten ausdruckslos an. 140
„Sie heißen Wilson, nicht wahr9“ „Ja.“ „Mein Name ist Laurance. Ich bin Direktor der Föderation der Welten.“ „Das weiß ich. Wir haben uns vorhin schon gesehen.“ „Ja, das haben wir.“ Laurance grinste. „Ich dachte, Sie hätten es vielleicht vergessen.“ Er warf einen angeekelten Blick auf die in einiger Entfernung kämpfenden Männer. „Ich möchte mit Ihnen reden. Können wir irgendwohin gehen?“ „Wir können genausogut hier bleiben.“ „Es handelt sich um eine rein private Angelegenheit. Können wir irgendwo unter vier Augen miteinander sprechen?“ Wilson zögerte und blickte den Dicken stirnrunzelnd an. Er wußte nicht genau, ob das nicht wieder eine neue Art von Test war, eine verborgene Falle, die verhängnisvoll für ihn werden könnte. Laurance schien seine Gedanken zu lesen. „Ich will Ihnen nicht schaden“, sagte er ruhig. „Ich bin nicht an einer Beförderung interessiert, deshalb haben Sie von mir nichts zu fürchten. Wie ist es?“ „Wir können ein Stück gehen und uns dabei unterhalten“, sagte der junge Mann kurzangebunden. Er setzte sich in Bewegung, offensichtlich zum Mißvergnügen des Dikken. Laurance schnaufte und hatte sichtlich Mühe, seine doppelte Masse in Bewegung zu bringen. Er packte den Jungen beim Arm. 141
„Nicht so rasch, Wilson. Ich bin älter als Sie.“ Er musterte verwundert die schlanke Gestalt. „Wie alt sind Sie eigentlich?“ „Beinahe neunzehn. Warum?“ „So jung?“ Laurance zog hörbar die Luft ein. „Schon lange hier?“ „Ein Jahr.“ „Einer der ersten, he?“ „Ja.“ „Gefällt es Ihnen?“ Wilson starrte den Dicken statt einer Antwort intensiv an. Laurance lächelte. „Nein, ich habe nicht die Absicht, Sie damit in irgendeine Falle zu locken. Ich…“ Seine Stimme wurde hart. „Ich habe Sie etwas gefragt. Antworten Sie!“ „Fahr zur Hölle!“ „So?“ Laurance nickte, als ob ihm etwas Besonderes eingefallen sei. Als er wieder fortfuhr, klang seine Stimme hart und befehlsgewohnt. „Hören Sie zu. Sie müssen endlich erkennen, wer ich bin. Ich bin einer der Direktoren der Föderation. Wissen Sie, was das bedeutet?“ „Ja.“ „Gut. Dann wissen Sie auch, daß ich mehr Macht habe als irgendein anderer Mann auf diesem Planeten. Mehr Macht als Sie, als Ihre Offiziere, als Hogarth selbst. Das müssen Sie glauben. Ist das klar?“ „Nein.“ Wilson blickte ihn furchtlos an. „Ich könnte Sie töten“, sagte er langsam. „Könnten Sie mich töten?“ 142
„Ich könnte Ihren Tod befehlen.“ „Wirklich?“ Wilson preßte die Lippen zusammen und griff nach seinem Knüppel. Laurance zuckte mit der Achsel. „Oh, Sie könnten mich natürlich jetzt umbringen, daran zweifle ich gar nicht. Aber was würden Sie damit erreichen?“ Er lächelte den jungen Mann an. „Mit Töten kommt man nicht weiter, mein Sohn. Hat man Ihnen das noch nicht beigebracht?“ „Es hat mir die Beförderung eingebracht.“ „So? Und was noch?“ „Ich bin deswegen hierhergeschickt worden“, stieß Wilson gepreßt hervor. Er blickte verloren über die weite, sonnendurchglühte Wüste. „Haben Sie mir sonst noch etwas zu sagen?“ „Ja.“ Laurance blieb stehen und blickte den jungen Mann ernst an. „Ich will Ihnen etwas Besseres anbieten, als Sie in Ihrem Leben jemals kennengelernt haben. Ich möchte gern sehen, ob Sie intelligent genug sind, um einzusehen, wogegen Sie sich auflehnen, und was mit Ihnen geschehen wird, wenn Sie mir nicht gehorchen.“ „Ihnen gehorchen?“ „Jawohl, gehorchen! Ich bin Ihr Vorgesetzter, wie ich auch Hogarths Vorgesetzter bin. Das bedeutet, daß er das zu tun hat, was ich befehle.“ „Warum reden Sie dann mit mir?“ Laurance antwortete nicht, sondern ging langsam auf 143
den glutroten Sonnenball zu. Wilson zögerte wieder, aber seine Neugier drängte ihn dann, dem Dicken zu folgen. Eine Zeitlang wanderten sie schweigend, und die Geräusche der Siedlung hinter ihnen wurden immer schwächer. Dann ließ sich der Dicke auf einen heißen Felsen nieder und wischte sich die Stirn ab. „Sagen Sie mir, Wilson, was geschieht, wenn Sie einem Befehl nicht gehorchen?“ „Ich werde erschossen.“ „Aha. Und wenn Sie einen Wachsoldaten umbringen?“ „Dasselbe.“ Wilson schluckte und setzte sich neben Laurance. „Es geschah nur einmal. Eine Gruppe von vielleicht fünfzig Männern befand sich auf einem Marsch. Einer davon tötete den Wächter.“ „Was geschah? Wurde der Verantwortliche zum Tode verurteilt?“ „Nein. Er wurde zwar getötet, aber nicht sofort. Er wurde ausgepeitscht, mit Sand eingerieben und an den Fersen aufgehängt, bis er tot war. Das dauerte ziemlich lange. Dann erschossen sie die anderen Männer, und zwar vor den Augen der gesamten Mannschaft. Als alles vorbei war, befahl man uns, aufzuräumen. Dies war der einzige Wachsoldat, der jemals getötet wurde“, schloß er langsam. „Hm.“ Laurance preßte die Lippen zusammen. „Wenn also Hogarth seinen Vorgesetzten den Gehorsam verweigert, wird er logischerweise ebenso bestraft werden. Und zwar nicht nur er, sondern alle, die Befehlsgewalt ausüben. 144
Alle von euch! Sehen Sie jetzt, was ich meine?“ „Ich weiß es nicht“, sagte der junge Mann langsam. Er betrachtete den Sand zwischen seinen Füßen. „Wer sollte die Strafe ausführen?“ „Die Föderation.“ „Womit?“ „Mit Atombomben!“ Laurance beobachtete mit stillem Lächeln die Reaktion des Jungen auf die Erwähnung dessen, was ihm in seinem Leben bereits so viel Leid und Schmerz zugefügt hatte. Laurance hatte mit dieser Reaktion gerechnet, denn die blaue Narbe war der Beweis dafür, daß Wilson früher in einem radioaktiv verseuchten Gebiet verletzt worden war. Für solche Menschen war die bloße Erwähnung des Wortes Atombomben abstoßend genug. Entschlossen nutzte er seinen Vorteil. „Nur eine Bombe“, fügte er leise hinzu. „Die ganze Siedlung wird von der radioaktiven Explosion hinweggefegt. Haben Sie jemals gesehen, welche Wirkung eine solche Bombe hat? Können Sie es sich vorstellen? Die Hitze, die Schmerzen, die Schreie der Verletzten, der Blinden und Verbrannten – Sie rufen um Hilfe, aber …“ „Hören Sie auf damit!“ Wilson zitterte. „Ich rate Ihnen gut: Hören Sie auf damit!“ „Schrecklich, nicht wahr?“ flüsterte Laurance. „Aber es kann Ihnen passieren, Wilson. Es wird mit Sicherheit passieren, wenn Hogarth nicht Vernunft annimmt und seinen 145
Vorgesetzten gehorcht. Genau so, wie diese Gruppe von Gefangenen für die Ermordung des Wachsoldaten bestraft wurde, werdet ihr alle ausgelöscht werden, wenn Sie, Wilson, nicht das tun, was ich Ihnen sage.“ Laurance beobachtete den Eindruck dieser Worte sehr genau, denn er wollte den anderen nicht zu weit treiben und damit alles verderben. Zugleich drängte es ihn, weiterzureden und Öl in das entfachte Feuer zu gießen. Er biß sich auf die Lippen und blickte hinaus auf die ockergelbe Wüste, wo die glühende Capella über dem niedrigen Horizont schwelte. Neben ihm kämpfte Wilson mit sich selbst. Die beiden Grundsätze, die man ihm eingeimpft hatte, rangen miteinander. Gehorchen und am Leben bleiben! Ungehorsam bedeutete den Tod. Diese Erkenntnis war durch tausend Beispiele bekräftigt worden. Aber wenn Gehorsam ebenfalls den Tod bedeutete? Er schüttelte sich, und ohne daß er es wollte, berührte seine Hand die blaue Narbe an der Wange. „Wie soll ich Ihnen glauben?“ flüsterte er. „Welche Gewißheit habe ich?“ Laurance seufzte und verbarg mühsam seine Erleichterung. Seine Miene blieb ohne jede Gefühlsäußerung. „Ich bin ein Direktor der Föderation“, sagte er fest. „Warum sollte ich lügen?“ „Aber Hogarth?“ „Er ist wahnsinnig. Er wird euch alle in den Tod führen und tut dies jetzt schon. Denn wenn er nicht gehorcht, wird 146
Stellar zerstört werden.“ „Das glaube ich Ihnen nicht!“ „Wie Sie wollen!“ Laurance erhob sich achselzuckend. „Wollen wir wieder zurückgehen?“ „Ja.“ Wilson folgte ihm. Zusammen wanderten sie zur Siedlung zurück. Beim Gehen schenkte Laurance dem jungen Mann .nicht einen einzigen Blick, sondern schaute vor sich hin. Er machte sich keine Sorgen. Der Samen lag in gutem Boden, und die Zeit würde das übrige tun. Deshalb war er nicht überrascht, als Wilson von sich aus das Wort ergriff. „Wenn ich Ihnen gehorchte, was könnte mir dann geschehen?“ „Nichts.“ „Nichts?“ Laurance bemerkte den überraschten Ton in der Stimme des anderen und verfluchte sich innerlich wegen dieses Fehlers. Aus dem, was er bisher gesehen hatte, mußte er gelernt haben, daß diese Siedlung nach einem System von Strafe und Belohnung geführt wurde. Um den jungen Mann ganz auf seine Seite zu bringen, mußte er den Selbsterhaltungstrieb weiter ansprechen. Die Fragestellung hatte ihn aus dem Gleichgewicht gebracht. „Wenn Sie mir helfen“, sagte er beiläufig, „will ich zusehen, daß Sie Ihre Strafe erlassen bekommen, dazu einen angemessenen Barbetrag und eine Flugkarte nach irgendeinem Planeten, den Sie mir nennen. Die Alternative kennen 147
Sie?“ Er blickte den jungen Mann an. „Ja.“ Wilson biß sich gedankenvoll auf die Unterlippe. Vielleicht sagte der Dicke die Wahrheit. Dann war ihm vollkommen klar, welchen Kurs er einzuschlagen hatte. Abgesehen von irgendeiner finanziellen Belohnung mußte er vor allen Dingen am Leben bleiben. Wenn ein Betrug an dem hageren Admiral das Leben bedeutete, dann mußte der Admiral eben gehen. Was aber, wenn der Dicke ihn anlog? Wilson verzog die Stirn, als er über diese Möglichkeit nachdachte. Die Strafe für Ungehorsam war der Tod, ein rascher, unbarmherziger Tod. Wilson hatte nicht die Absicht, zu sterben. Bisher hatte er jeden Befehl befolgt und war relativ sicher, aber die Bedrohung durch atomare Waffen war ernst genug. Laurance schien als Direktor der Föderation die Macht zur Ausführung seiner Drohung zu besitzen – was dann? Das Ganze stellte ein böses Problem dar, und zwar ein Problem, das man nicht mit Körperkraft und raschem Handeln lösen konnte. Wilson fühlte sich ziemlich verloren. Er mußte mehr darüber wissen. „Warum sind Sie ausgerechnet auf mich gekommen?“ fragte er. „Warum erzählen Sie mir all das?“ „Ist das nicht gleichgültig?“ Wilson griff fluchend nach seinem Fuß. Er war über einen Stein gestolpert. „Wollen Sie gern sterben?“ „Nein.“ „Dann nehmen Sie mein Angebot also an? Das Geld, die 148
Begnadigung und so weiter?“ „Vielleicht.“ „Sie überraschen mich“, sagte Laurance langsam. „Möchten Sie nicht wieder nach Hause? Zu Ihren Eltern, Ihren Freunden? Ein anständiges Leben führen und diese wahnsinnige Hölle hier vergessen?“ „Zuhause bedeutet mir nichts, und ich habe weder Eltern noch Freunde.“ Wilson trat einen großen Stein zur Seite. „Was sollte ich mit Geld anfangen, und wohin sollte ich gehen? Hier fühle ich mich zu Hause. Hat die Föderation eine Armee? Könnte ich da eintreten?“ „Nein“, sagte Laurance und nannte sich im gleichen Augenblick einen Narren. Verzweifelt versuchte er, seinen Fehler wiedergutzumachen. „Ich wollte damit sagen, daß wir keine Armee haben, und nicht, daß wir etwas gegen Ihren Dienst in einer solchen Armee einzuwenden hätten. Aber es gibt eine Polizeimacht und viele Grenzplaneten, auf denen Sie sich niederlassen könnten.“ „So, also keine Armee.“ Wilson überhörte das andere und konzentrierte sich auf diesen einen Punkt. „Dann haben Sie gelogen! Wie können Sie ohne Armee Stellar bombardieren?“ „Ich sagte, wir hätten keine Armee“, sagte Laurance gezwungen zuversichtlich. „Aber wir haben viele Schiffe und noch eine Menge Bomben auf Lager. Eine einzige – hören Sie, Wilson – eine einzige mittelgroße Atombombe würde genügen, um Stellar von der Sternenkarte auszulöschen.“ 149
Sie hielten am Rande der Siedlung inne. Wilson wurde sich bewußt, daß neugierige Augen ihn scharf beobachteten. „Auf jeden Fall“, meinte Laurance leichthin, „haben Sie wohl jetzt keine andere Wahl mehr, nicht wahr?“ „Wie meinen Sie das?“ „Die Wachen haben beobachtet, wie Sie mit mir sprachen. Sie wissen, daß wir beide eine lange Zeit unbeobachtet beisammen waren. Das macht Sie verdächtig, Wilson, und Sie wissen selbst, was denen geschieht, die verdächtig sind. Halten Sie also lieber zu mir, wenn es so weit ist. Wenn Sie das nicht tun, werden Sie wohl nicht viel länger am Leben bleiben.“ Er wandte sich ab und ging weg. In seinem Rücken fühlte Wilson eine Welle ohnmächtigen Zornes gegen den ein wenig lächerlichen Dicken aufkommen.
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13. Kapitel Admiral Hogarth saß in seinem Büro und lauschte angespannt dem Flüstern des Ultrastrahlempfängers, der unsichtbar hinter seinem Ohr angebracht war. Er lächelte und unterbrach die Verbindung, indem er einen Knopf in seiner Rocktasche drückte. Als Rennie den Raum betrat, blickte er auf. Der untersetzte Kapitän sah sorgenvoll aus. Seine bullige Stirn war in ungewohnter Weise zerfurcht, seine graue Uniform zerknitterter und staubiger als gewöhnlich. Ohne eine Aufforderung abzuwarten, sank er in einen Stuhl. „Wie lange soll sich dieser Laurance noch hier herumtreiben?“ Hogarth zuckte die Achseln. In seinen fahlen, wasserblauen Augen lag ein eigenartiger Ausdruck. „Wahrscheinlich, bis er sich dazu entschließt, wieder nach Hause zu fliegen. Warum stellen Sie diese Frage?“ „Ich sehe ihn nicht gern hier. Ich habe das Gefühl, daß er uns noch eine Menge Schwierigkeiten bereiten wird.“ „Wirklich?“ Hogarth entspannte sich. Die Hände ruhten gelassen auf der Kante einer halboffenen Schublade. „Hat er mit Ihnen gesprochen?“ „Ja.“ Rennie sah den hageren Admiral wütend an. „Und nicht nur mit mir. Er hat sich mit einigen der Gefangenen unterhalten, mit dem Arzt, mit Dewer. Was er zu sagen hat, 151
klingt mir gar nicht so vertrauenerweckend.“ „Nicht?“ „Nein. Weil es so vernünftig zu sein scheint, macht er mir Sorge.“ „Sie sind ein Narr“, sagte Hogarth gleichmütig. „Ein furchtsamer Narr, der sich von Schatten schrecken läßt. Ich hätte Ihnen das nicht zugetraut.“ „Meinen Sie?“ Rennie wischte sich den Schweiß von der sorgenvollen Stirn. „Ob Ihnen das gefällt oder nicht: Laurance kommt von der Föderation, und er ist mächtig. Wenn es ihm paßt, kann er jeglichen Nachschub stoppen, eine Blockade um unseren Planeten errichten – und nicht nur das. Er hat damit gedroht …“ „Ich weiß, womit er drohte. Aber das ist auch alles, was er tun kann: Drohen!“ Er wandte sich ärgerlich der offenen Tür zu. „Was gibt’s?“ „Verzeihung, Sir!“ stammelte ein Grauuniformierter mit den doppelten Streifen des Unteroffiziers. „Direktor Laurance besteht darauf, zu Ihnen gelassen zu werden.“ „So, er besteht darauf?“ Hogarths Gesicht war plötzlich wieder völlig ausdruckslos, als sich Laurance an dem Mann vorbei hereinzwängte. „Hören Sie, Laurance, ich habe im Augenblick wirklich viel zu tun.“ „Sie werden trotzdem mit mir sprechen“, sagte der Dikke kalt. Er warf einen Blick auf Rennie. „Sie können hierbleiben und zuhören.“ „Soll das ein Ultimatum sein, Laurance?“ 152
„Habe ich das gesagt, Hogarth?“ Der Dicke sank in einen Stuhl. „Aber ich habe die Absicht, schon in wenigen Stunden wieder abzufliegen. Bevor ich gehe, will ich noch ein paar Kleinigkeiten regeln.“ „Sie wollen also weg?“ „Das habe ich vor.“ Laurance tippte mit dem Taschentuch an seine nasse Stirn. „Und kommen Sie bloß auf keine eigenartigen Ideen. Ich stehe laufend in direkter Verbindung mit meinem Schiff. Es wäre deshalb unklug, mich gegen meinen Willen hier festhalten zu wollen.“ „Sie festhalten?“ Hogarth ließ ein Lächeln sehen. „Welch kuriose Idee! Sie glauben doch nicht in Wirklichkeit, daß ich so verrückt sein könnte.“ „Ich denke, Ihnen ist fast alles zuzutrauen. Selbst jetzt glaube ich noch nicht, daß Sie sich in vollem Umfang darüber klar sind, was Sie angerichtet haben.“ Er blickte sich in dem kühlen Raum um. „Ich würde es für richtig halten, wenn Sie auch Ihre anderen Offiziere hierherbitten könnten. Soviel ich weiß, gehört ein Arzt dazu und ein Psychologe. Sonst noch Offiziere?“ „Nein“, sagte Hogarth hastig und winkte Rennie. „Würden Sie die Herren bitte holen, Kapitän? Ich nehme an, die Angelegenheit ist dringend?“ „Sehr dringend“ knurrte Laurance grimmig. „Wenn Sie schon gehen, Rennie, holen Sie bitte auch Wilson.“ „Sergeant Wilson?“ „Ja. Ich möchte Ihnen nämlich etwas beweisen, was Sie 153
bisher leider übersehen haben. Dazu kann ich diesen jungen Mann genausogut benutzen wie irgendeinen anderen.“ Als der Admiral zögerte, kniff Laurance die Augen zusammen. „Ich bestehe darauf!“ Hogarth machte eine Geste, die so aussah, als ob er einem unartigen Kind seinen Willen lassen wollte, weil er genau wußte, daß er die Farce zu jedem beliebiger! Zeitpunkt abbrechen konnte. Er nickte dem wartenden Kapitän zu. Als dieser gegangen war, lehnte sich Hogarth mit einem dünnen, gefährlichen Lächeln um die Lippen zurück. Eine Hand hielt er in der Tasche verborgen. Rennie war bald wieder zurück. Er ließ den Arzt und den kleinen Psychologen eintreten und rief darauf dem jungen Mann an seiner Seite einen scharfen Befehl zu. „Bleiben Sie drüben an der Wand stehen, Wilson.“ „Jawohl, Sir!“ Der junge Mann durchquerte den Raum und blieb an der gegenüberliegenden Wand wartend stehen. Die blaue Narbe stach häßlich von der sonnengebräunten Haut ab. Laurance seufzte. „Sie wissen alle, weshalb ich hier bin. Die Föderation kann eine solche Armee, wie sie hier entsteht, nicht dulden, deshalb muß sie aufgelöst werden. Das steht fest, auch wenn Admiral Hogarth sich gegen mich und die Föderation stellt. Ich bin neugierig zu hören, wie er das begründet.“ „Sie wissen ganz gut, warum ich meine Ansicht vertrete“, schnauzte Hogarth. „Sollen wir noch einmal von vorn 154
beginnen?“ „Nein, das ist nicht erforderlich. Aber ich kann einfach nicht glauben, daß Sie so blind sind, nicht einzusehen, was Sie getan haben.“ Der Dicke lehnte sich in dem Stuhl vor. „Ich kann natürlich das Warum verstehen, denn militaristisches Denken verläuft in überraschend unkomplizierten Bahnen, aber warum sind Sie so blind?“ „Was meinen Sie damit?“ Hogarth behielt sich eisern in der Hand. „Was hätte ich denn tun sollen?“ Laurance verbarg sein Lächeln und wartete absichtlich eine ganze Weile, um die Spannung im Raum zu erhöhen. Genau im richtigen Moment sprach er wieder. „Sie haben Ihr eigenes Grab geschaufelt.“ Er lehnte sich zurück und wartete auf die Explosion. Hogarth lachte. Es war ein trockenes Lachen, das so klang, als ob man Knochen aneinander riebe. Das Lachen eines alten Mannes, der das Lachen seit vielen Jahren verlernt hatte. Es klang hart und humorlos und so fremd, daß den anderen Männern eine Gänsehaut über den Rücken lief. „Sie Narr!“ stieß er hervor und fuhr mit der Hand über die hellen Augen. „Sie armer, blinder, hilfloser Narr!“ Er lachte wieder, und Rennie lachte mit ihm – entweder aus Nervosität oder eingeübter Reflexhandlung. Seine laute Stimme übertönte das dünne Gekrächze des Admirals. Laurances Gesicht blieb unbewegt. Auch der Arzt, der Psychologe und Wilson blieben stumm und bissen sich auf die Lippen. Abwechselnd musterten sie den hageren Admiral 155
und den Direktor. Wilson machte den Eindruck tiefer Besorgnis. „Ist das wirklich Ihr Ernst?“ Hogarth fiel in eisige Reserviertheit zurück und bestrafte Rennie mit einem strengen Blick. Dessen Gekicher erstarb ganz plötzlich. „Sie meinen also, ich hätte mir mein eigenes Grab geschaufelt. Das ist eine hübsche Phrase, aber wie die meisten Phrasen eine Lüge!“ „Eine Lüge? Der ist am blindesten, der nicht sehen w i 11.“ Laurance ließ seinen Blick über den Arzt, den kleinen Psychologen und die starre Figur an der Wand gleiten. Auf Wilson blieb sein Auge haften. Rennie übersah er ganz. „Ich habe mich für Ihr Ausbildungssystem interessiert“, sagte er mit einer Stimme, als ob er über das Wetter spräche. „Es scheint auf zwei Grundmotiven aufgebaut zu sein: Gehorsam und Lebenswillen.“ Er wandte sich an den Admiral. „Das erste kann ich verstehen, aber wozu das zweite?“ „Nur der ist ein guter Soldat, der sein Leben rettet, um wieder kämpfen zu können.“ „Und daran glauben Sie wirklich? Wie können diese beiden Punkte miteinander in Einklang gebracht werden?“ „Gehorsam?“ Hogarth schnaubte ungeduldig. „Was nützt ein Soldat, der ungehorsam ist?“ „Natürlich nichts. Aber der Durchschnittssoldat hat zu gehorchen und nichts weiter.“ „Bei der Stellar-Legion ist das anders. Meine Männer stehen weit über dem Durchschnitt.“ 156
„Ja“, nickte Laurance und streifte die stumme Gestalt an der Wand mit einem raschen Blick. „Das ist wahrer, als Sie selbst wissen.“ Er starrte Hogarth an. „Ihr Traum von einer militärischen Elitetruppe ist nicht neu. Wahrscheinlich waren die Spartaner die ersten, die das versucht haben. In späteren Zeiten gab es Sonderkommandos, die Ranger, Fallschirmjäger und Selbstmordkommandos. Es handelte sich durchweg um kleine, besonders ausgebildete Gruppen von Männern, aber sie hatten alle – vielleicht mit Ausnahme der Spartaner – eines gemeinsam, was Ihnen hier fehlt.“ „Das wäre?“ „Sie alle waren Freiwillige.“ „Und?“ „Sie taten ihre Pflicht freiwillig. Sie wurden von Patriotismus und Loyalität getrieben und ertrugen alles in diesem Geiste. Selbst zu Zeiten totaler Kriege, wo jeder Mann und jede Frau zum Militärdienst gezwungen wurde, waren es immer noch Freiwillige, die sich in solchen Gruppen zusammenschlossen. Können Sie das auch von der StellarLegion behaupten?“ „Die Legion ist das, wozu ich sie gemacht habe. Ich habe aus dem verfügbaren Material das Beste herausgeholt.“ „Material!“ Der Dicke hob die Schultern. „Alles Kriminelle, überführte Mörder, die man hierhergeschickt hat. Jeder einzelne davon trägt einen unauslöschlichen Haß gegen sein Schicksal im Herzen, sie tun jeden Handgriff nur 157
ungern und unter Zwang, und sie hassen diejenigen, die sie dazu zwingen. Loyalität? Patriotismus? Selbstaufopferung? Nichts von allem – und warum sollten diese Männer solche Gefühle empfinden?“ „Sie stehen treu zur Legion.“ „Das haben Sie bereits verschiedentlich behauptet. Aber stimmt es auch? Wie wollen Sie das wissen?“ „Sie müssen! Dewer …“ Hogarth schluckte herunter, was er sagen wollte, und er schien immer noch ruhig. „Sie stehen treu zur Legion, weil sie sonst nichts anderes auf dieser Welt haben.“ „Das ist ein wunderbares Beispiel für unlogisches Denken. Wie kommen Sie aber auf die Idee, daß eine solche Art von Loyalität begrüßenswert sein könnte? Es gibt nur eine wirkliche Loyalität: Sie ist dort zu Hause, wo sie geboren wurde, nämlich auf dem Boden der Kultur, zu der man gehört, unter den Menschen, mit denen uns etwas verbindet. Es gibt nur eine Loyalität – die Loyalität dem Menschen gegenüber! Der gesamten Menschheit gegenüber – nicht nur einem kleinen Teil.“ „Idealist!“ spottete Hogarth. „Ja“ gab Laurance zu. „Ich bin ein Idealist. Zufälligerweise glaube ich an den Frieden für alle Menschen, alle Rassen, alle Hautfarben. Auf diesem Glauben wurde die Föderation der Welten gegründet, und kein machthungriger Idiot von einem abgesetzen Admiral wird diesen Frieden jemals bedrohen!“ 158
Er hielt inne und war selbst darüber erstaunt, daß er für eine Sache so stark und tief empfinden konnte, die eigentlich nur eine abstrakte Idee war. Er schüttelte den Kopf und wechselte das Thema, weil er befürchtete, vom eingeschlagenen Pfad abzukommen. „Sie haben das Unmögliche versucht, Hogarth. Natürlich haben Sie versagt – Sie mußten versagen.“ „Habe ich wirklich versagt?“ Der hagere Admiral neigte den Kopf etwas und bewegte die Hand in der Tasche ein wenig. Er schaltete damit das tragbare Ultrastrahlgerät wieder ein. „Inwiefern habe ich denn versagt?“ „Sie haben versucht den Männern zwei verschiedene, einander entgegengesetzte Gefühle einzuimpfen. Lebenswillen und Gehorsam. Ein Soldat darf an sein eigenes Leben nicht einmal denken! Seine Pflicht besteht einzig und allein darin, zu gehorchen – ohne zu fragen, ohne an sich zu denken. Wie kann man sonst von ihm verlangen, einen überlegenen Feind anzugreifen? Wie könnte sich sonst ein denkendes Wesen direkt in die Klauen des Todes werfen? Ein guter Soldat sollte noch nicht einmal in der Lage sein, selbst zu denken, und in früheren Zeiten wußte man das auch. Die Disziplin bestand einfach darin, daß der Wille des Einzelnen durch die seelenlose, stupide Routine gebrochen wurde. Die Offiziere wußten, daß sie jede Initiative brechen mußten, den Lebenserhaltungstrieb, jedes Auflehnen gegen Zwang. Taten sie das nicht, dann setzten sie sich selbst dem unvermeidlichen Tod aus.“ 159
Laurance starrte unsicher auf den hageren Admiral. Er hatte das unsichere Gefühl, daß hier etwas vorging, von dem er nichts wußte. Das beunruhigte ihn. Grimmig fuhr er fort: „Deshalb sage ich, daß Sie sich Ihr eigenes Grab geschaufelt haben. Diese von Ihnen ausgebildeten Männer sind hier, weil sie keine andere Wahl haben. Sie sind gesiebt worden, und wer noch am Leben ist, ist gewillt, dieses Leben mit allen Mitteln zu verteidigen. Was soll geschehen, wenn Sie einen Befehl erteilen, der ihr Leben gefährdet?“ „Sie werden gehorchen!“ „Glauben Sie?“ Laurance schüttelte den Kopf. „Ich bezweifle es. Welchen Grund sollten sie haben?“ „Sie haben immer gehorcht“, sagte Hogarth wütend, „und sie werden auch immer gehorchen.“ „Nein. Bisher haben sie gehorcht, weil Gehorsam das Leben bedeutete. Aber nun ist die Lage ganz anders. Gehorsam würde für sie den Tod bedeuten.“ Er blickte den Admiral an. „Sie glauben mir das nicht? Ich werde es Ihnen beweisen.“ „Wie?“ schnappte Hogarth. Der kleine Psychologe kaute in plötzlicher Nervosität an seinen Fingernägeln. Der Arzt sagte nichts, aber seine Augen waren sehr klar und wachsam. Rennie setzte sich automatisch zurecht und rückte an seinem schweren Gürtel. Er schürzte unentschlossen die Lippen. 160
Laurance zeigte auf Wilson. „Kommen Sie her!“ Der hochgewachsene Junge zögerte und streifte Rennie mit einem raschen Blick. Als dieser kurz nickte, durchquerte er den Raum mit elastischen Schritten. „Jawohl, Sir?“ „Rühren!“ befahl Rennie. „Ich habe Wilson für dieses Experiment ausersehen“, sagte Laurance leichthin, „weil er der Jüngste auf diesem Planeten ist, weil er seit der Gründung der Strafkolonie hier ist, und weil er den Rang eines Sergeanten bekleidet. Drei Gründe, die ihn für meinen Test ideal geeignet erscheinen lassen. Er ist so jung, daß frühere Einflüsse keine zu große Rolle spielen können. Da er Sergeant geworden ist, müssen Ihre Ausbildungsmethoden bei ihm erfolgreich gewesen sein. Stimmen Sie mir zu?“ „Ja“, sagte Hogarth und folgte mit erwachtem Interesse den Worten des Direktors. „Was wollen Sie eigentlich beweisen?“ „Sie geben also zu, daß Wilson ein repräsentatives Produkt Ihrer Methoden ist? Mit anderen Worten: So wie er werden sich auch die anderen Männer hier verhalten. Stimmt das?“ „Ja.“ Hogarth beobachtete das gespannte Gesicht des Psychologen. „Wilson ist einer unserer besten Leute.“ „Gut. Er ist also der Typus, den Sie formen wollten: Hart und rauh, rücksichtslos und in glänzender körperlicher 161
Verfassung. Eine kaltblütige Kampfmaschine – auf der anderen Seite ein perfekter Egoist auf Grund seines hochgezüchteten Lebenswillens. Ein Mann wie die fünfzehnhundert anderen, die Sie bisher bearbeitet haben. Ein Mann der Stellar-Legion.“ Er blickte den jungen Mann an. „Ich habe das alles vor seinen Ohren gesagt, damit er nicht einer eintrainierten Reflexhandlung unterliegt. Ich verlange überhaupt keine Reaktion. Ich will nur sehen, ob ein logisch denkender Mensch mit einem hohen Faktor der Selbsterhaltung Ihr Idealbild von einem Soldaten ist oder jemals sein kann?“ „Bis jetzt folge ich Ihnen, Laurance. Fahren Sie fort.“ „Gut.“ Laurance blickte auf den untersetzten Kapitän. „Geben Sie ihm den Revolver.“ „Was?“ „Tun Sie, was ich befehle. Geben Sie ihm den Revolver.“ Der Dicke lächelte, als der Kapitän zögerte. „Wäre es denn möglich, daß Sie Ihren Soldaten keine Waffen anvertrauen können?“ „Geben Sie ihm die Waffe, Rennie“, kommandierte Hogarth. Der Kapitän zog die glitzernde Pistole. Wilson machte keine Bewegung. „Nehmen Sie die Waffe!“ „Jawohl, Sir!“ Nachlässig hielt sie der junge Mann in der Hand. „Wie ich sehe, verstehen Sie damit umzugehen“, be162
merkte Laurance. „Gut also. Töten Sie sich!“ Wilson bewegte sich immer noch nicht, nur hielt er jetzt die Waffe waagerecht. Die Mündung zeigte auf den Direktor. „Sie weigern sich?“ Laurance wandte sich an Hogarth. „Sie sehen es selbst.“ „Was soll das schon beweisen? Welcher vernünftige Mensch würde sich umbringen, nur weil es ihm befohlen wurde?“ „So etwas gab es. Soldaten früherer Zeiten stürzten sich auf ein Kommando hin über steile Klippen ins Meer. Aber lassen wir das. Wie Sie gehört haben, befahl ich ihm, sich zu töten, und nicht, sich zu erschießen. Es wäre immer noch möglich, daß er sich nur verletzen würde, wenn sein Leben davon abhinge. Aber, Hogarth, welcher Unterschied besteht darin, einem Menschen zu befehlen, er solle sich erschießen, oder ihn im Kampf in den sicheren Tod zu schicken?“ „Es gibt keine so gefährliche Situation, daß nicht irgendeine Chance bestünde, mit dem Leben davonzukommen.“ „Und doch hatten die Kamikaze-Flieger des zweiten Weltkriegs keinerlei Hoffnung, mit dem Leben davonzukommen. Dennoch gehorchten sie dem Befehl, sich lebend mit ihrer Bombenlast auf feindliche Schiffe zu stürzen.“ Laurance lächelte den Admiral an. Dann veränderte sich seine Stimme ganz überraschend. Sie klang hart, kalt, gefühllos und mit der Endgültigkeit 163
langer Gewohnheit, Befehle zu erteilen, gegen die es keine Auflehnung gibt. Sie brach sich hart an den nackten Wänden und stand beherrschend im Raum. Rennie erkannte auf einmal mit Schrecken, wen er vor sich hatte. Nicht einen dicken, gutmütigen, ein wenig vertrottelten Onkel, sondern eine Persönlichkeit aus Stahl und Eisen, unerbittlich und keinen Widerspruch duldend. Einen Mann, der ganze Planeten in Asche zerfallen sah, damit sich aus dieser rauchenden, verseuchten Zerstörung der alte Traum einer geeinten Menschheit erheben konnte. „Wir wollen das grausame Spiel beenden. Sie wissen alle, wer ich bin. Als Direktor der Föderation stehe ich rangmäßig hoch über dem Admiral. Er muß mir genauso gehorchen, wie Sie ihm zu gehorchen haben. Tut er es nicht, wird er bestraft, und Sie werden zusammen mit ihm bestraft werden.“ In der Stille, die diesen Worten folgte, klang das Atmen der Männer seltsam laut. „Ich befehle Ihnen, Hogarth, Ihr Kommando niederzulegen! Ich befehle es im Namen der Föderation!“ Einen Augenblick lang hoffte er, daß der Admiral nachgeben würde, daß er rechtzeitig zur Vernunft kommen würde, sich mit Würde und Anstand in das Unvermeidbare zu fügen. Als die Lippen sich aber noch enger zusammenzogen, wußte Laurance, daß er sich auf die anderen verlassen mußte. „Sie weigern sich also?“ „Jawohl, ich weigere mich!“ 164
Laurance seufzte, die Linke legte sich auf die Brust, und er bewegte die Lippen wie in einem stillen Gebet. Dann richtete er sich kalt und herrisch wieder auf und blickte den jungen Mann an. „Falls Sie nicht gehorchen, Hogarth, betrachtet die Föderation dies als einen Akt der Auflehnung gegen das Gesetz, als Rebellion gegen den galaktischen Frieden. Darauf steht die Todesstrafe. Für Sie selbst und für alle auf diesem Planeten.“ „Einschließlich Ihrer eigenen Person?“ höhnte Hogarth. „Sie versuchen zu bluffen!“ „Nein, Hogarth, ich bluffe nicht. Ich meine genau das, was ich sage. Falls Sie Ihr Kommando nicht niederlegen, werde ich die Bombardierung des Planeten mit ferngelenkten Raketen anordnen.“ „Das wagen Sie nicht!“ „Ich streite mich nicht mit Ihnen, Hogarth. Sie wissen, daß ich die Macht dazu habe, und Sie wissen, daß Sie bereits geschlagen sind. Es würde schrecklich sein, alles Leben hier zerstören zu müssen, aber immer noch besser, als einen Verrückten mit falschen Idealen die Welt bedrohen zu lassen. Das dürfen wir nicht zulassen, Hogarth, und Sie wissen es auch.“ „Ich weiß nur, daß Sie es niemals wagen würden, Stellar zu bombardieren. Was soll aus den Gefangenen werden?“ „Sie werden sterben. Zweifeln Sie daran, daß ich die Möglichkeit habe, meine Drohung zu verwirklichen?“ 165
„Sie könnten uns mit A-Bomben bewerfen. Aber …“ Er schluckte und hielt auf einmal inne. Seine hageren Gesichtszüge drückten etwas anderes aus als bloße Angst. Seine Hand umklammerte die halboffene Schublade seines Schreibtisches und wurde dann ruckartig zurückgerissen. Wilson starrte ihn an. Die Waffe des Kapitäns war genau auf den zusammengekrümmten Körper des Admirals gerichtet.
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14. Kapitel Für lange Minuten bewegte sich keiner, niemand sagte ein Wort. Die Pistole in Wilsons Hand zeigte ohne zu schwanken auf Hogarths Magen. Der schluckte schwer, seine Augen wanderten unstet von einem zum anderen. „Weg mit dem Revolver!“ befahl er verzweifelt. „Rennie!“ „Keine Bewegung!“ sagte Wilson kalt. Er ging soweit nach hinten, daß er die ganze Gruppe in Schach halten konnte. Dann blickte er Laurance an. „Widerrufen Sie den Befehl an Ihr Schiff. Hogarth hat sein Kommando niedergelegt.“ „Nein!“ Hogarth wollte nach der Schublade greifen, besann sich aber eines Besseren, als das Licht auf dem blanken Lauf der Waffe funkelte. „Sie wissen nicht, was Sie tun, Wilson, Laurance täuscht uns nur!“ „Sie haben zugegeben, daß er uns bombardieren lassen kann.“ „Ich weiß, aber …“ „Ich habe keine Lust, zu sterben“, sagte Wilson grimmig. „Wenn er die Macht hat, uns zu vernichten, haben wir nicht die geringste Chance gegen ihn.“ Er blickte den Direktor an. „Rufen Sie Ihr Schiff an und geben Sie den Rückzugsbefehl.“ „Sie Trottel!“ Der hagere Admiral bebte vor unterdrück167
ter Wut. „Er hat kein Schiff. Er hat uns die ganze Zeit über getäuscht.“ „Rufen Sie Ihr Schiff an“, wiederholte Wilson unbeirrt. Gehorsam senkte Laurance den Kopf und seine Lippen bewegten sich lautlos, während er in das versteckte Kehlkopfmikrophon der Ultrastrahlanlage sprach. Er lachte dem betroffenen Admiral ins Gesicht. „Nun, Hogarth, ist das Beweis genug?“ „Sie haben mir höchstens bewiesen, daß ich von Narren und Verrätern umgeben bin. Verdammt, Laurance. Was hoffen Sie mit diesem Spiel zu gewinnen?“ „Können Sie das nicht sehen?“ Der Dicke lehnte sich lächelnd im Stuhl zurück. „Hier haben Sie die Loyalität, von der Sie sprachen. Die Anhänglichkeit der Legion gegenüber. Sie gaben zu, daß Wilson typisch für die Männer ist, die Sie hier erzogen haben – und doch wandte er sich bei der geringsten Bedrohung seiner eigenen Sicherheit gegen Sie. Genauso würden es auch die anderen jederzeit machen. Er konnte gar nicht anders handeln, weil Sie selbst in ihm den starken Selbsterhaltungstrieb hochgezüchtet haben. Warum sollte er sterben, damit Ihr Hals gerettet würde?“ „Ich bin sein Kommandeur“, sagte Hogarth schwach. „Er hätte zu mir halten müssen!“ „Er hat aber nicht zu Ihnen gehalten.“ Er sah den untersetzten Kapitän an. „Nun, Rennie, sind Sie zufriedengestellt?“ 168
„Ich hab’s immer gewußt“, grunzte dieser. „Jedesmal fühlte ich es, wenn ich mich ihnen näherte. Haß! Haß und Furcht. Ich habe versucht, Hogarth meine Beobachtungen mitzuteilen, aber er wollte ja nicht hören. Er wußte es besser – er und sein verdammter Psychologe. Ich würde mit einem Haufen von Verbrechern auch dann nicht in den Krieg ziehen, wenn das Schicksal der Erde davon abhinge. Sie würden mich bei der ersten passenden Gelegenheit töten und desertieren. Hogarth ist ein Narr.“ „Rennie!“ Hogarths Stimme klang spröde wie brüchiges Eis. „Wie können Sie so etwas wagen! Sie, der Kapitän der Legion, reden so mit mir!“ Er winkte Wilson. „Töten Sie ihn! Töten Sie ihn, und Sie bekommen seinen Rang!“ Wilson zögerte, die Waffe in seiner Hand schwankte leicht. Als die grauen, erbarmungslosen Augen auf dem Kapitän hafteten, griff dieser verzweifelt nach der leeren Revolvertasche. Hilfesuchend blickte er den Direktor an. Laurance schüttelte den Kopf. „Er wird Sie nicht töten, Rennie. Sein Leben hängt nicht davon ab, also gibt es für ihn keinen Grund, es zu tun.“ Beinahe bedauernd blickte er zu dem hageren Admiral hinüber. „Warum sehen Sie nicht ein, daß Sie geschlagen sind, Hogarth? Keiner dieser Männer wird Ihnen gehorchen, sobald sie wissen, daß dieser Gehorsam den Tod bedeutet.“ „Sie werden gehorchen!“ keuchte Hogarth. Und dann zu Wilson: „Legen Sie das Ding weg!“ „Nur die Ruhe, Wilson“, sagte Laurance besänftigend. 169
„Nichts tun, einfach aufpassen.“ Er seufzte. „Das perfekte Beispiel für eine angelernte Reflexhandlung. Man muß nur die richtigen Knöpfe drücken, und der andere reagiert darauf in einer genau berechenbaren Weise. Ihr Psychologe, Hogarth, muß ein sehr schlauer Mann sein.“ „Ja, ein sehr schlauer Mann.“ Ein Muskel in Hogarths Gesicht zuckte unkontrollierbar. Er griff nach einem kleinen Brieföffner, der auf seinem Tisch lag und sah Dewer anklagend an. „Sie sind schuld an allem“, sagte er schwer. „Sie sagten mir …“ „Und wenn ich es wirklich getan hätte?“ Der kleine Mann wirkte jetzt ganz anders. Verächtlich blickte er auf den Admiral. „Sie meinten, schlau zu sein, Hogarth. Sie glaubten auch, Sie könnten mich wie einen Hund behandeln und zugleich erwarteten Sie von mir Loyalität. Jetzt bekommen Sie das Ergebnis zu spüren!“ Er kicherte grausam. „Ich bin aber mit Ihnen fertig geworden, Hogarth. Ich habe Ihnen gezeigt, daß man mit Köpfchen mehr erreichen kann als mit Gewalt. Versuchen Sie doch, Ihre Waffen zu gebrauchen! Rufen Sie doch die Wachen, die Ihnen noch geblieben sind – Sie können nicht ungeschehen machen, was ich erreicht habe.“ Er wand sich in grausamem Vergnügen. „Ich habe Sie mit lauter Feinden umgeben, mit Männern, die Sie hassen und fürchten und Sie bei der erstbesten Ge170
legenheit umbringen werden. Gefällt Ihnen das, Hogarth? Ist es nicht ein herrliches Gefühl, der meistgehaßte Mann der ganzen Welt zu sein?“ Er spuckte in plötzlichem Zorn aus. „Sie verdammter Kriegsheld! Benimmt sich wie ein Gott. Wer, zum Teufel, sind Sie denn überhaupt? Ein geübter Mörder, ein Zerstörer, schlimmer als das Gesindel, das ich in Ihrem Auftrag in brauchbare Menschen verwandeln soll. Nun, ich habe sie verwandelt! Ich habe ihnen Gehorsam beigebracht, aber mehr als das. Ich habe ihnen einen Lebenswillen gegeben!“ Er kicherte wieder. Auf Hogarths Gesicht erschien ein Ausdruck, als ob er direkt in die Hölle blickte. „Schwein!“ zischte er. „Schmutziges, niedriges Schwein!“ „Also bin ich jetzt ein Schwein?“ Dewer kreischte es heraus. Er fletschte die Zähne und sah aus wie eine in der Falle sitzende Ratte. „Nichtsdestoweniger habe ich Ihnen die Niederlage zugefügt, Hogarth – ich allein! Kein Schreien und Befehlen wird Ihnen mehr helfen!“ „Sie haben all das also vorausgeplant?“ Dewer grinste nur. „Ja, das habe ich“, zischte Dewer. „Nur haben Sie mir alles verdorben. Ich hatte mich auf das Gesicht gefreut, das er machen würde, sobald er seine Truppen zum erstenmal gegen eine Übermacht antreten lassen mußte. Sie wissen jetzt, daß sich die Männer geweigert und gegen ihn gewandt hätten. Er wäre ein zerbrochener, alter Mann gewe171
sen. Dann hätte er sich bestimmt an mich erinnert, an Dewer, den er schlimmer als einen Hund behandelte.“ Sein Lachen verwandelte sich in ein irrsinniges Kreischen. Mit einem dünnen Finger zeigte er auf die starre Figur des Admirals. „Seht ihn euch an! Seht doch den mächtigen Beherrscher der ganzen Erde! Er spielt mit seinen armseligen Soldaten wie ein Kind mit Spielsachen. Seht doch …“ Er gurgelte, und die Augen traten ihm aus dem Kopf. Die mageren Hände faßten an seinen zuckenden Hals, aus dessen Seite plötzlich der verzierte Griff des dolchartigen Brieföffners wie ein fremdartiges Gewächs herausragte. Rasch trat der Arzt an seine Seite. Sein Stuhl stürzte krachend um. Er schüttelte den Kopf, als er einen einzigen Blick auf die Wunde geworfen hatte. „Hoffnungslos. Schlagader durchschnitten.“ Dewer gurgelte und strampelte mit seinen dünnen Beinen in der Gegend herum, als er sich verzweifelt gegen die schwarzen Schatten wehrte, die sich unerbittlich auf seinen Geist legten. Er versuchte noch einmal zu sprechen, sank aber kraftlos zurück. Die Augen wurden glasig, die verkrampften Hände fielen nach unten. Schweigend schloß ihm der Arzt die schreckgeweiteten Augen und faltete ihm die Hände. „Er ist tot.“ Dann starrte er Hogarth an, als ob er den Admiral zum erstenmal in seinem Leben sähe. „Sie haben ihn umgebracht.“ 172
„Es war ein Unfall“, stotterte der hagere Admiral unsicher. „Er trieb sein Spiel zu weit. Ich … ich hatte den Dolch in der Hand, und …“, er schüttelte den Kopf und gewann langsam einen Teil seiner Selbstsicherheit zurück. „Er hat mich betrogen und damit den Tod verdient.“ „Aber nicht auf diese Weise.“ Der Arzt machte eine mißbilligende Geste. „Sie hatten kein Recht, ihn zu töten, Hogarth. Es war Mord.“ „Es war nur Gerechtigkeit!“ Hogarth atmete hörbar ein. „Aber kommt es auf einen Toten mehr oder weniger noch an? Dewer war ein Verräter, Sie alle haben gehört, was er sagte, und er starb den Tod eines Verräters. Vergessen Sie, was Sie eben erlebt haben!“ „Nein“, sagte Laurance sehr ruhig. „Wir können es nicht vergessen.“ Er erhob sich. „Hogarth, Sie haben gerade einen Mann ermordet, und zwar vor den Augen dieser Zeugen. Muß ich Ihnen sagen, welche Strafe auf Mord steht?“ „Es war kein Mord“, wehrte sich Hogarth. „Dewer war nicht mehr richtig im Kopf!“ „Selbst ein Geistesgestörter hat gewisse Rechte.“ „Das alles ist lächerlich“, protestierte Hogarth. „Viele Männer sind auf Stellar gestorben. Tausende davon. Kommt es da auf einen mehr oder weniger an?“ „Wieviel Menschen haben Sie ermordet, Hogarth?“ Laurance achtete nicht auf den Schweiß, der ihm in breiten Bächen über das Gesicht floß. „Sie haben den Tod vieler befohlen, aber wieviele sind von Ihrer eigenen Hand gestorben?“ 173
„Kein einziger“, mischte sich Rennie empört ein. „Er gab immer nur die Befehle.“ „Einige der Gefangenen wurden erschossen“, gab Hogarth zu. „Ich habe den Befehl dazu erteilt. Aber was macht das aus? Man hat mir freie Hand zugebilligt, und ich mußte die Disziplin aufrecht erhalten.“ „Möglich. Jetzt geht es nicht um die Vergangenheit, denn diesmal liegt der Fall ganz anders. Diesmal war es nicht irgendein armer Teufel von Gefangener, sondern einer Ihrer eigenen Leute. Ein Mann im Vollbesitz der bürgerlichen Rechte, der unter dem Schutz des Gesetzes stand.“ „Er war ein Soldat und ich sein kommandierender Offizier. Ich habe das Recht, meine Leute zu bestrafen.“ „Dies hier ist keine Armee“, erinnerte ihn Laurance bissig. „Wir befinden uns in einer Strafkolonie. Jeder einzelne hier ist Zivilist, ein freier Mensch, mit Ausnahme der Gefangenen. Selbst wenn es sich um Soldaten handelte, könnten Sie sie nicht ungestraft ermorden.“ Er hielt inne. Dann war seine Stimme eine einzige Anklage. „Sie haben Dewer ermordet!“ „Ich habe ihn bestraft.“ „Ermordet, Hogarth, und zwar vor Zeugen. Es gibt keinerlei Rechtfertigung für dieses Verbrechen.“ Der Dicke holte tief Luft. „Hogarth, im Namen der Föderation der Welten verhafte ich Sie wegen Mordes an Dewer. Sie werden abgeführt und vor ein ordentliches Gericht gestellt werden.“ Er blickte den hageren Admiral fest an. „Ich 174
brauche Ihnen wohl nicht zu erzählen, was mit verurteilten Mördern geschieht?“ Erst jetzt kam die Ironie der Situation den anderen voll zu Bewußtsein. Laurance hatte in schlauer, beinahe teuflisch schlauer Weise die beiden Hauptpunkte des Ausbildungsprogramms dazu benutzt, den heimlichen Verrat des Psychologen aufzudecken. Dann hatte sich Hogarth von seinem Gefühl zu einer direkt strafbaren Handlung hinreißen lassen, zu einer Handlung, die ihn seinen Rang kosten und ihn zu lebenslänglicher Zwangsarbeit auf Stellar verdammen würde. Als der niedrigste unter den niedrigen würde er zu seinem eigenen Reich zurückkehren! Hogarth stand da, seine wasserhellen, klaren Augen schweiften von einem zum anderen. Dann lächelte er vollkommen überraschend. „Sehr klug gedacht“, sagte er ruhig und setzte sich wieder hinter den breiten Schreibtisch. „Es ist nur traurig, daß Sie als gehorsamer Staatsbürger derartig im Nachteil sind.“ Laurance bekam wieder das Gefühl, daß irgend etwas im Verborgenen vor sich ging, etwas Gefährliches, von dem er keine Ahnung hatte. Es war alles viel zu einfach gegangen, viel zu sehr nach Plan. Mit instinktiver Vorsicht begann er, nach dem Fehler in seinem logischen Vorgehen zu suchen. „Das Dumme ist, daß alle gesetzestreuen Staatsbürger vollkommen hilflos werden, wenn sie es mit Leuten zu tun haben, die sich nicht so viel um Gesetze und Anordnungen 175
kümmern.“ Er schnippte mit den Fingern. „Gesetze funktionieren nur solange, wie ihnen jedermann bereitwillig gehorcht. Wenn ich das täte, würde ich mich Ihrer Verhaftung unterwerfen, das Gerichtsurteil entgegennehmen und nach hier zurückkehren, um meine Ausbildung zu beginnen.“ Seine Stimme wurde hart. „Ich bin aber aus anderem Holz geschnitzt, und Sie, Laurance, sind ein Narr, wenn Sie diese Tatsache nicht in Betracht ziehen.“ „Ich kann Sie mit Gewalt abführen lassen“, sagte der Dicke ruhig. Hogarth zuckte die Achseln. „Wir wollen also die Kräfte aneinander messen? Gut!“ Er lächelte. „Dann lieber hier in meiner eigenen Welt als irgendwo im Raum oder auf einer Welt, die von der Föderation kontrolliert wird.“ Er lehnte sich überraschend ruhig in seinem Stuhl zurück. „Nun, Laurance, wie wäre es damit?“ „Ich werde mein Schiff rufen und Sie nach einem Planeten der Föderation bringen lassen. Sie wissen, Hogarth, was Sie dort erwartet, und Sie wissen ebenfalls, daß ich die Macht besitze, das durchzusetzen.“ „Nein.“ Hogarth richtete sich kerzengerade auf. „Sie bilden sich nur ein, Macht zu besitzen – aber lassen wir das jetzt. Was haben Sie mit den Männern vor, die ich ausgebildet habe? Sie auf die ahnungslose Galaxis loslassen? Sie hier festhalten, bis sie sterben? Sagen Sie mir, Laurance, was wollen Sie mit ihnen anfangen?“ „Wir werden einen Ausweg finden“, erwiderte Laurance kurz und suchte die hochgewachsene Gestalt an der Wand 176
mit den Augen. „Sie werden eine angemessene Beschäftigung zugewiesen bekommen.“ „Ja, das könnten Sie vielleicht. Solche Männer kann man immer irgendwie verwenden. Vielleicht zur Erschließung neuer Welten, zur Erweiterung der bekannten Zivilisation. Unter Umständen könnte man sie sogar für die Polizeitruppe ummodeln.“ „Mißbrauchen Sie nicht meine Geduld, Hogarth. Ich muß verlangen, daß Sie sich jetzt ergeben, oder Sie zwingen mich zur Gewaltanwendung.“ „Ergeben? Sie sind ein Optimist, Laurance. Sie glauben, ich sei hilflos, weil Sie einen meiner Männer dazu überredet haben, sich gegen mich zu wenden. Aber das ist ein Irrtum. Wilson hat mir sofort nach Ihrer Unterredung über den Inhalt berichtet, und sobald er sieht, daß Sie der Unterlegene sind, wird er wieder zu mir stehen.“ „Aber Dewer …“ „Dewer war ein verräterischer Hund, aber ich hatte schon früher mit aufsässigen Truppenteilen zu tun. Wenn man ihnen nur einen Schimmer von Gold und Beute eroberter Planeten zeigt, die Aussicht auf Kampf, halten sie wieder zusammen und sind loyal. Nichts hilft besser, unzufriedene Soldaten zu beruhigen, als ein oder zwei kleinere Geplänkel. Ich kenne die Männer, Laurance, und ich weiß auch, was sie wollen. Sie werden vor nichts zurückschrekken, denn sie wissen nur zu gut, daß die Legion der einzige Platz auf der ganzen Welt ist, wo sie nicht für ihre früheren 177
Verbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. Macht Ihnen die Sache langsam Sorge, Laurance?“ „Warum denn?“ „Warum nicht?“ Der Admiral lehnte sich aufatmend zurück. „Ist es Ihnen denn nicht aufgefallen, daß all dies ein wenig zu einfach für Sie war? Wieso habe ich Ihnen erlaubt, hier zu landen, meine Soldaten und Gefangenen auszufragen, im Lager herumzuschnüffeln und Aufruhr zu stiften? Ich gebe zu, daß Sie eine schwache Stelle aufgedeckt haben. Dafür bin ich Ihnen dankbar. Auch für die Aufdekkung von Dewers Verrat habe ich Ihnen zu danken. Aber ich bin ein Offizier, und Männer meines Schlages pflegen einige grundsätzliche Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.“ Seine Stimme klang jetzt verächtlich. „Glauben Sie tatsächlich, Sie könnten hier hereinschneien, ein paar passende Worte sprechen und mit mir als Gefangenen wieder abziehen? Glauben Sie mir. Laurance, wenn das der Fall wäre, hätten Sie keine Stunde lang auf Stellar überlebt,“ Laurance fühlte, wie seine früheren Befürchtungen wiederkehrten. Er wandte sich an Wilson. „Führen Sie den Admiral auf sein Zimmer und schließen Sie ihn dort ein.“ Wilson rührte sich nicht, und Hogarth hob die Schulter. „Die Farce ist fast vorbei, Laurance. Ich muß Sie daran erinnern, daß jeder gute Kommandeur seine eigene Stärke kennt.“ Er lachte trocken, und der Dicke fühlte, wie sich 178
Schweißtropfen auf seiner Stirn bildeten. Das war es also! Der Punkt, auf den er gewartet hatte, den er befürchtet hatte, der unbekannte Faktor in seinem Schachspiel mit Menschen als Figuren. „Sie besitzen ein Ultrastrahlgerät, Laurance, und ich habe auch eins. Natürlich den transportablen Typ, denn ich kann den Empfänger hinter Ihrem Ohr erkennen. So weitgehend hätten Sie auch nicht zu bluffen gewagt.“ Hogarth schien die Situation zu genießen. Der Direktor warf einen unruhigen Blick auf die stille Figur mit den wachsamen Augen an der Wand. „Ein netter Trick, möchte ich sagen, den Kopf senken und etwas in den Bart murmeln. Aber sicher wissen Sie, daß man keine Worte zu formen braucht, wenn man ein Kehlkopfmikrophon benutzt? Ja? – Das ist gut. Sie wollten also Wilson etwas vormachen. Ich muß darauf hinweisen, daß Wilson von Ultrastrahlgeräten genausoviel versteht wie wir. Er hat einen kompletten Hypno-Kursus mitgemacht.“ „Was ich sagte, stimmte aber“, verteidigte sich der Dikke. „Sie klammern sich an Strohhalme, Hogarth!“ „Keine Strohhalme, Laurance, darauf verlasse ich mich niemals!“ Hogarth zog die Schublade an seiner Seite auf. Metall glänzte darin, verschiedene Skalen und Drehscheiben wurden sichtbar. Eine Ultrastrahlstation. „Hören Sie zu!“ Hogarth drehte an einem Knopf. Stimmen klangen in dem Raum auf. „Schiff eins ruft Stellar. Eins ruft Stellar! Bitte antwor179
ten!“ „Hier Stellar!“ gab Hogarth zurück. „Hogarth am Mikrophon.“ „Gott sei Dank!“ Die Stimme klang erleichtert. „Schwierigkeiten?“ „Noch nicht, aber ein fremdes Schiff verfolgt uns, seit wir den Planeten X verlassen haben.“ „Ein Schiff der Föderation?“ „Kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Es tauchte auf den Schirmen auf, kurz nachdem wir den Bestimmungsort verlassen hatten. Schien aus der Richtung der Andromeda zu kommen.“ „Von außerhalb?“ „Jawohl, Sir!“ „So. Können Sie die Silhouette erkennen?“ „Nein, Sir. Ich habe die Form noch niemals gesehen, und sie steht auch nicht im Handbuch.“ Die dünne Stimme klang besorgt. „Mir gefällt das nicht, Sir. Ich habe die letzten fünf Kriegsjahre mitgemacht, aber so etwas ist mir noch nicht vorgekommen.“ „Einen Augenblick.“ Hogarth blickte Laurance an. „Gibt es im siebenten Quadrat zur Andromeda hin irgendwelche Schiffe der Föderation von ungewöhnlichem Typ?“ „Nicht daß ich wüßte. Die meisten Föderationsschiffe sind in den bekannten Gebieten damit beschäftigt, die Handelsrouten wiederherzustellen. Warum?“ „Meine Schiffe kommen von draußen. Sie waren 15 180
Lichtjahre außerhalb des bekannten Gebiets in Richtung auf die Andromeda hin. Dort gibt es einen kleinen Planeten, der eine sterbende Sonne umkreist. Ich habe dort meine Flotte und Depots untergebracht. Wenn ihnen ein unbekanntes Fahrzeug gefolgt ist …“ Gedankenvoll biß er sich auf die Unterlippe. „Schiff eins ruft Stellar!“ ertönte wieder der verborgene Lautsprecher. „Sind Sie noch da?“ „Ja.“ „Fertig zur Annäherung. Befehle.“ „Normale Landung.“ „Und das Schiff, das uns folgt?“ „Abschießen!“ sagte Hogarth leichthin und unterbrach die Verbindung. Er blickte den Dicken an. „Nun, Laurance, wollen Sie mich immer noch verhaften?“ „Schiffe“, atmete der Dicke schwer. „Nein, das wagen Sie nicht.“ „Nicht?“ „Niemals! Kein Mensch würde das wagen!“ Er starrte den hageren Admiral verzweifelt an. „Sie Teufel!“ „Nur eine gebotene Vorsichtsmaßnahme, Laurance. Jede Armee muß Schiffe haben, und für die Schiffe braucht man Piloten. Ich hatte die Schiffe, legte sie mir schon vor langer Zeit zur Seite, zusammen mit einem umfangreichen Materiallager. Aber ich brauchte Männer!“ Er atmete tief. „Jetzt habe ich die Männer, die ich brauche. Die Milchstraße wartet auf mich!“ 181
Er streckte die Hand aus. „Die Waffe, Wilson!“ Er runzelte die Stirn, als der junge Mann zögerte. „Geben Sie die Waffe her! Sie haben keinen Grund zur Besorgnis, die Ausbildungszeit ist vorbei. Wir können uns jetzt nehmen, was unser ist. Kleinigkeiten fallen dabei nicht so schwer ins Gewicht.“ Er nickte anerkennend, als Wilson erst die Patronen aus der Pistole nahm. „Gut. Eine kluge Vorsichtsmaßnahme!“ Er wog die schwere Waffe lächelnd in der Hand und blickte die geknickte Gestalt des Direktors an. „Was jetzt, Laurance? Sobald Sie versuchen. Stellar zu bombardieren, werden meine Schiffe die bewohnten Welten zerstören. Ich besitze zehn davon, Laurance, zehn der besten Schiffe, die jemals gebaut wurden. Kriegsschiffe, gepanzert und bewaffnet, bemannt mit tüchtigen, loyalen Männern. Sehen Sie, selbst Ihr Versuchskaninchen hat Ihnen einen Streich gespielt. Meine Männer wissen wohl, wo es ihnen gut geht. Sie wissen, daß ich sie zum Sieg führen kann, und weil sie das wissen, werden sie mir auch in den Tod folgen.“ Seine dünnen Lippen verzogen sich zu einem kalten, stolzen Lächeln. Draußen dröhnte als Begleitmusik das Getöse der zehn mächtigen Kreuzer, die auf Planetenantrieb umschalteten und in eine Kreisbahn um Stellar einschwangen. Die Kriegsschiffe der Stellar-Legion!
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15. Kapitel Dreimal umkreisten sie den Planeten. Die blitzenden Rümpfe glühten von der Reibung in der Atmosphäre. Laurance stand wie ein Steindenkmal und zählte sie, als sie über die Siedlung hinwegbrausten. „– sieben, acht, neun – neun! Neun Schiffe!“ „Neun?“ fragte Hogarth stirnrunzelnd und griff nach dem Ultrastrahlgerät. Ein schrilles Signal erstarb, als er die Feineinstellung vornahm. „Hogarth! Hogarth! Hallo, Hogarth, sofort melden!“ „Hier Hogarth. Bitte kommen.“ „Hier spricht Schiff eins! Wir sind in Schwierigkeiten.“ „Wo ist das fehlende Fahrzeug?“ „Explodiert. Ich sagte doch, daß wir in der Patsche sitzen. Das Fahrzeug, das uns gefolgt war, von dem ich berichtete …“ „Das Föderationsschiff?“ „Zum Teufel mit der Föderation!“ Der Lautsprecher vibrierte ärgerlich. „Das ist kein ,Fed’-Schiff! Als wir in die Atmosphäre eintauchten, stürzte es auf ums herab. Es muß mit fünfzehn g gebremst haben. Bevor wir wußten, was geschah, ging Schiff sieben in Flammen auf.“ „Warum haben Sie nicht angegriffen?“ „Angreifen?“ schrie die Stimme. „Wir hätten nicht die geringste Chance. Schiff sieben wurde mittschiffs getroffen 183
und ging sofort in grünen Flammen auf. Gegen solche Waffen können wir nicht an.“ „Wo befindet sich das Schiff jetzt?“ „Ich weiß es nicht. Es jagte uns, und wir bogen in die Kreisbahn ein. Was glauben Sie wohl, weshalb wir uns so beeilt haben?“ „Warum erst hereinkommen? Weshalb greifen Sie es nicht draußen an?“ „Hören Sie, Hogarth“, knarrte die Stimme. Sie klang angespannt und nervös. „Wir fliegen mit Notbesatzung und Automatikpiloten. Wie, zum Teufel, sollen wir dabei noch die Waffen bedienen? Wir brauchen Männer, viele Männer, und zwar rasch! Hoffentlich sind Ihre Jungens schon so weit!“ „Sind Sie wahnsinnig?“ Hogarths Stimme überschlug sich beinahe. „Wenn Sie landen, sitzen Sie hoffnungslos in der Falle. Der Fremde schnappt sie auf dem Boden nacheinander weg. Bleiben Sie oben und kämpfen Sie, Mann! Wie kann er gegen neun von Ihnen ankommen? Rammen Sie ihn, verbrennen Sie ihn, schicken Sie ihm die Fernlenktorpedos auf den Hals. Verdammt noch mal! Muß ich Ihnen erzählen, wie man kämpft?“ „Nein, Sir!“ „Dann bleiben Sie oben. Ich …“ Er brach ab, als ein Knall die Luft erbeben ließ. Durch die hohen Fenster sahen sie draußen, die glosende Capella noch weit an Helligkeit übertreffend, einen blauen 184
Feuerball am Himmel stehen. Der über die Wüste rollende Donner der Explosion mischte sich mit dem Klirren von Glasscheiben und den Schreien verstörter Männer. „Das war Schiff drei“, meldete die ferne Stimme knapp. „Der verdammte Hund! Ich …“ Die Stimme verstummte und füllte dann plötzlich den Raum mit einer verzweifelt gebrüllten Warnung: „Der Fremde schwebt über der Siedlung!“ „Was?“ „Ja! Sieht aus, als ob er landen wollte. Er scheint einen grünen Strahl auszusenden, denselben, der unsere Schiffe zur Explosion gebracht hat. Es …“ Ein seltsames Brummen erfüllte die Luft, ein an den Nerven zehrendes Vibrieren. Der leuchtende Arm eines grünen Lichts streifte die Ebene und kroch auf die Siedlung zu. Wo der Strahl auf den Sandboden traf, verschmolz dieser zu einer kochenden, zischenden Glasmasse. Laurance starrte auf das furchterregende Schauspiel. Er zitterte am ganzen Körper und versuchte, die unfaßbaren Ereignisse zu verstehen. Als sich ihnen der Strahl näherte, packte ihn eine Hand hart an der Schulter. „Raus!“ befahl Hogarth kurz. „Schnell!“ Er schleuderte den Direktor auf die Tür zu. Ein seltsam geformtes Schiff schwebte über den Häusern der Siedlung, mitten in einem pulsierenden Kranz blauer Strahlen. Keine Düsen oder andere Antriebsmechanismen 185
waren sichtbar. Der grüne Todesstrahl ging von einem gewölbten Teil des Rumpfes aus, der sich durch nichts vom übrigen Schiff unterschied. Es strich jetzt über die niedrigen Häuser hin. Männer sanken schreiend zu Boden oder rannten verzweifelt um ihr Leben, weg von dem tödlichen Licht. „Ist das ein Schiff der Föderation?“ fragte Hogarth mit zusammengekniffenen Augen. „Nein!“ „Dann ist es ein Fremder. Und zwar einer von draußen!“ Der hagere Admiral fluchte verbittert. „Verdammt, Laurance, ich habe Ihnen gesagt, das dies geschehen würde!“ Er drehte sich abrupt um, seine rauhe Stimme brüllte knappe Befehle. „Wilson! Rennie! Bringt die Männer in die Ebene hinaus! Sofort zerstreuen! An alle Waffen verteilen, aber holt zuerst die Strahlenwerfer heraus! Kampfgruppen bilden! Los!“ Er packte Laurance und schob den Dicken im Laufschritt auf die offene Wüste zu. „Was haben Sie vor?“ schrie der Direktor und duckte sich unwillkürlich, als der grüne Strahl über eine fliehende Gruppe hinwegstrich. „Sie können ihn niemals mit Strahlern erreichen, er ist viel zu hoch!“ „Das weiß ich.“ Hogarth ließ sich hinter einen schützenden Felsvorsprung fallen. Dann riß er das unter seinem Überhang verborgene Mikrophon heraus und gab weitere Befehle. „Hallo! Flotte! Hier Hogarth. Rammt den Fremden. Rammt ihn!“ 186
„Er fällt in die Siedlung, wenn wir das tun.“ Die entfernte Stimme drückte das Grauen des Sprechers angesichts der verbrennenden Siedlung aus. „Das ist jetzt auch gleichgültig. Mit dem, was drinnen ist, können wir fertigwerden, wenn er erst gelandet ist. Aber bringt ihn erst einmal herunter! Und beeilt euch!“ Er ließ das winzige Instrument los und packte Laurance, um ihn aus der Gefahrenzone wegzuziehen. Der Direktor fühlte an seinem Rücken den sengenden Strahl und fiel wieder nieder und starrte in die entschlossenen Augen von Wilson und ein putzend wildblickender Männer. „Unten bleiben!“ kommandierte der junge Mann kurz. Er grüßte Hogarth. „Kapitän Rennie hat den Strahler und die anderen Männer im Osten verteilt. Ihre Befehle?“ „Warten, bis der Feind gelandet ist. Nicht feuern, bis die Mannschaft aussteigt. Ich gebe Feuerbefehl!“ Hogarth warf einen Blick auf Laurance. „Es ist besser, ihr paßt auch ein wenig auf ihn auf. Ich gehe jetzt und sehe mir die anderen Stellungen an.“ Er schlängelte sich fort, und Laurance bedauerte es fast, ihn weggehen zu sehen. „Was geschieht jetzt?“ fragte er Wilson. „Für Sie – nichts. Bleiben Sie uns nur aus der Bahn. Der Rest ist unsere Sache, aber hoffentlich beeilen sie sich und zwingen den Kerl zur Landung!“ Donner rollte vom Horizont herüber. Ein Brausen, Heulen, Zischen und Toben, und ein schlankes Raumschiff, rotglühend von der atmosphärischen Reibung, stieß, direkt 187
aus der Sonne heraus, auf das fremde Schiff herab. Ein greller Lichtschein sprang von dem glatten, runden Schiffsrumpf auf. Eine Reihe grüner Todesstrahlen raste auf den Angreifer zu und schmolzen die Nase des schlanken Schiffes in Sekundenschnelle zu einer weißglühenden Masse zusammen. Der Lärm verstärkte sich noch, und ringsumher flatterten halb verbrannte Rumpfteile zu Boden. Das Schiff hatte den Feind gerammt! Wilson duckte sich unter den plötzlich aufflammenden, blauweißen Strahlen, die jedes Auge sofort erblinden ließen, das sich nicht rechtzeitig schützte. Er blinzelte, und seine grauen Augen weiteten sich in höchster Überraschung. Der Fremde lag auf dem Wüstenboden, der Rumpf verbogen und aufgerissen, der Sand in weitem Umkreis zusammengeschmolzen und dunkel gläsern. Es schwankte ein wenig, versuchte sich zu erheben, das blaue Licht des Antriebs flackerte ein paarmal auf und erstarb dann schließlich ganz. Dahinter kam ein stumpfmetallener, bleifarbener Schiffsrumpf zutage. Aus kleinen Öffnungen in diesem Rumpf schoben sich Gegenstände hervor. Wilson fluchte und bückte sich hinter den schlanken Lauf des Strahlers, die Finger um den Abzugsbügel verkrampft. Kühl schätzte er den Abstand zu dem notgelandeten Schiff. Hinter ihm stöhnte jemand laut, und ein anderer Gefangener, der gerade neu angekommen war, murmelte 188
Gebete zu längst vergessenen Heiligen. Laurance fühlte sich krank. Er starrte auf die Dinger, die dem feindlichen Schiff entstiegen, und hatte nur einen einzigen Wunsch: Rennen, rennen, immer weiter, niemals aufhören zu rennen. Er schluckte. „Was für Kreaturen sind das?“ „Woher soll ich das wissen?“ Wilson befeuchtete seine Lippen. „Ruhig jetzt!“ „Schieß doch endlich!“ drängte ein anderer mit halberstickter Stimme. „Du mußt sie wegputzen, bevor sie zu nahe herankommen. Schick sie dorthin zurück, wo sie hergekommen sind.“ „Schnabel halten!“ „Aber …“ „Den Schnabel halten!“ Die Stimme verstummte, und Wilson konzentrierte sich auf die Dinger, die sich rasch vom Schiff her näherten. Sie waren hochgewachsen, größer als Menschen, und bewegten sich auf vielen Gliedern, halb hüpfend, halb kriechend vorwärts. Metall glänzte in ihren armähnlichen Ausläufern, und grünes Feuer schlug der verlassenen Siedlung entgegen. Unter dem Beschuß sanken die letzten Gebäude in verkohlte Trümmerhaufen. „Hitzestrahler“, murmelte Laurance. „Sie haben Hitzestrahler.“ Von der anderen Seite der Siedlung her übertönten drei Schüsse das Zischen der Hitzestrahlen aus einer fremden Welt. 189
Grimmig beugte sich Wilson über seine Waffe. Feuer schlug den Fremden entgegen, ein tödlicher Strahl entfesselter Atome, die sich donnernd einen Weg durch die Luft bahnten und den Eindringlingen entgegeneilten. Ein paar der Fremden stürzten und verbrannten zu kleinen Häufchen grauer Asche. Dann aber wogte den Verteidigern eine kaum erträgliche, sengende Hitze entgegen. Die Angreifer ließen sich in Deckung fallen, als mehr und mehr von ihnen ein Opfer der Strahlgeschütze und Gewehre wurden. Grünes Feuer flammte ringsherum auf. Männer schrien wenn glühender Sand gegen ungeschützte Körperteile spritzte. Die Hölle tat sich auf. Ein Mann sprang aus der Deckung und rannte schreiend in die schützende Wüste hinaus. Wilson knurrte, griff an seine Seite und schickte ihm eine Revolverkugel nach. Der Flüchtling stolperte, fiel und blieb mit schreckgeweiteten Augen stumm liegen. Laurance fühlte sich elender als zuvor. „Mußten Sie das tun?“ „Ja.“ Wilson duckte sich, um einem heranbrausendem Hitzestrahl zu entgehen und zog zugleich das Strahlgeschütz hinter die Deckung eines größeren Felsbrockens. Dann brüllte die Strahlwaffe erneut den Feinden entgegen, vereint mit dem Donner des anderen Geschützes. In kurzen, alles vernichtenden Feuerstößen bestrichen sie das ungeschützte Feld vor ihren Stellungen. Die Waffe bäumte sich auf, das weißglühende Magazin strahlte durchdringen190
de Hitze aus. Wilson achtete nicht darauf, sondern schoß ruhig weiter. Er zielte jetzt sorgfältiger und visierte einen der Feinde nach dem anderen an. Schließlich nickte er den wartenden Männern zu. „Achtung! Aufpassen und zuerst schießen. Auf zum Angriff!“ Sie sprangen auf die Füße, die Gewehre im Arm, und rannten über die versengte Wüste. Andere folgten, verließen die sichere Deckung, warteten, bis die Strahlgeschütze den Widerstand an einzelnen Stellen unterdrückt hatten und rannten dann mit ratternden Handfeuerwaffen dem Feind entgegen. Wilson grunzte und gab dem Dicken ein Zeichen. „Kommen Sie!“ „Wohin?“ „Zum Schiff.“ Der junge Mann knirschte mit den Zähnen und hob das schwere Strahlgeschütz hoch. „Schneller!“ Rennie begegnete ihnen auf halbem Wege. Der untersetzte Kapitän war verletzt. Ein Arm hing lose an seinem Körper herab. Er hatte einen blassen Obergefreiten bei sich, der sich mit dem Gewicht eines schweren MGs abschleppte. „Jetzt geht’s ans Aufräumen.“ Rennie warf einen Blick auf den Strahler. „Gut, daß Sie das Ding hier mitgebracht haben. Mein Strahler hat gebockt.“ Er deutete auf seinen verbrannten Arm. „Um mit der Schweinerei fertigzuwerden, brauchen wir vermutlich etwas Besseres als Kugelspritzen.“ 191
Wilson nickte und rannte weiter auf das Schiff zu. Zweihundert Meter vor dem Rumpf blieb er mit eng gewordenen Augen stehen. Dann brachte er plötzlich den Strahler in Stellung und richtete den schlanken Lauf auf eine klaffende Lücke in der glatten Schiffswand. „Was …“ Rennie verstummte auf ein Zeichen des jungen Mannes hin. „Ich glaube, ich habe etwas gesehen“, sagte Wilson ruhig. „Ein metallisches Glitzern. Ich …“ Der Obergefreite schrie gellend auf, als ihnen aus dem Spalt grünes Feuer entgegenschlug. Dann sank er tonlos zu Boden. Laurance fing das MG auf, als es den kraftlosen Fingern entglitt. Sein Geratter mischte sich in das Donnern der Energiewaffe. Er kniete da, zielte sorgfältig, und neben ihm schoß der Kapitän mit der unversehrten Linken das Magazin seine Pistole leer. Vor ihnen krabbelten und krochen fremdartige Kreaturen, die sich aus dem zerplatzten Schiffsrumpf drängten. Metall blitzte zwischen ihnen, und den drei Männern schlug atemberaubende Hitze entgegen, aber der unwiderstehliche Strahl des Energiegeschützes hieb eine Schneise des Todes in die Feinde. Immer wieder griffen die seltsamen Lebewesen an und verkohlten zu kleinen Häufchen grauer Asche. Sie starben, aber noch im Sterben kämpften sie. Schließlich war es vorbei. Rennie starrte dumpf auf das geborstene Schiff und die häßlichen Aschenhaufen. 192
„Sie kamen immer wieder“, sagte er verwundert. „Wie Ameisen, die direkt ins Feuer marschieren – es kamen einfach immer mehr.“ Er kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit. Niemals zuvor, wenn er es mit menschlichen Feinden zu tun hatte, fühlte er sich so elend. Laurance sagte nichts, und Wilson erhob sich langsam auf die Beine. Er starrte auf den Dicken nieder. „Wir wollen gehen“, sagte er ruhig. „Hier haben wir nichts mehr zu tun.“ Schweigend gingen die drei Männer zurück zu den Ruinen der niedergebrannten Siedlung. Hogarth erwartete sie schon. Er saß im Schatten einer halb eingestürzten Mauer auf einem Stuhl und sammelte die Berichte herbeieilender Melder. Er nickte ihnen zu und bedeutete ihnen, sich zu setzen. „Gute Arbeit, Wilson“, meinte er anerkennend. „Sie haben sich damit eine Beförderung verdient. Die Dinger im Schiff hätten uns erledigen können.“ „Nur eine ganz selbstverständliche Vorsichtsmaßnahme“, sagte Wilson. Er blickte auf seine verbrannten Hände. „Ich glaube, Sir, sie werden es so schnell nicht noch einmal versuchen.“ „Nicht?“ Hogarth zuckte die Achseln. „Vielleicht haben Sie recht. Aber wo ein Schiff ist, da sind auch andere.“ „So habe ich es nicht gemeint, Sir. Ich meinte, ihr Schiff verlassen, um eine Kolonie anzugreifen. Ich bin davon überzeugt, daß wir im Schiff einen anderen Typ von Lebe193
wesen erwischt haben als die draußen waren.“ „Ach so. Sind Sie ganz sicher?“ „Nein, Sir. Alles ging zu schnell. Aber ich hatte den Eindruck, daß sie sich langsamer bewegten, wissen Sie? Diejenigen, die uns angriffen, schienen wilder und angriffslustiger zu sein.“ „Sie könnten recht haben, Wilson. Daran hatte ich nicht gedacht.“ Hogarth sah den untersetzten Kapitän an. „Was ist mit Ihrem Arm?“ „Ich werde am Leben bleiben.“ Rennie winkte ab. „Wie groß ist der Schaden?“ „Überraschend gering. Drei Schiffe verloren, davon zwei mit Besatzung. Das dritte rammte den Gegner ferngesteuert. Die meisten Gebäude sind zerstört und beinahe alle Vorräte. Über die Hälfte der Neuangekommenen starb gleich beim ersten Angriff, und dazu rund fünfzig Offiziere und Soldaten. Von den Verwundeten werden die meisten ebenfalls sterben, weil das Lazarett und die Medikamente weg sind. Auch der Arzt ist gefallen.“
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16. Kapitel Dann gab der hagere Admiral den anderen beiden einen kurzen Wink. „Oberst Rennie und Leutnant Wilson, lassen Sie mich jetzt mit dem Direktor allein!“ Die beiden Männer schauten erst Hogarth überrascht an, dann wechselten sie einen verlegenen Blick. Grenzenloses Erstaunen lag in den Augen des jungen Mannes mit der blauen Narbe im Gesicht. Seine schlanke, vom erbarmungslosen Training gestählte Gestalt straffte sich. „Jawohl, Sir!“ stammelte er und setzte ein Wort hinzu, daß er bisher in seinem Leben noch niemals gebraucht hatte: „Danke.“ Hogarth blickte angespannt auf seine Schuhspitzen und hob die Augen erst wieder, als die beiden längst gegangen waren. Er blickte ihnen mit gefurchter Stirn nach. Der verurteilte Verbrecher, der vor etwas mehr als einem Jahr als „Rohmaterial“ nach Stellar gekommen war und seinen brutalen Ausbilder seither wohl tausendmal verflucht hatte, ging jetzt Schulter an Schulter mit diesem auf das letzte stehengebliebene Gebäude zu. Er stützte Rennie dabei, weil den Verwundeten nun doch die Schwäche zu übermannen drohte. Laurance folgte den Blicken des Admirals und räusperte sich. Er wischte sich mit der Hand über das Gesicht. Diesmal bildeten sich die Tropfen aber nicht auf der Stirn, sondern verräterischerweise in den Augenwinkeln. 195
Hogarth raffte sich auf und erhob sich. „Kommen Sie, Laurance. Wir haben noch etwas zu besprechen.“ Der Dicke blickte ihn unsicher an, dann erhob er sich ebenfalls. Hogarth führte ihn an den schwelenden Gebäuden der Siedlung vorbei in die Wüste hinaus. Sie gingen schweigend nebeneinander her, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Als die Häuser aus dem Gesichtskreis verschwunden waren, ließ sich Hogarth auf einem Steinbrocken nieder. Er bedeutete Laurance, daneben Platz zu nehmen. Der Direktor verbarg nur mit Mühe seine innere Spannung. Ab und zu warf er prüfende Blicke in das verschlossene Gesicht des Admirals. Den wasserhellen Augen war keinerlei Gefühlsregung zu entnehmen. Laurance begann unsicher zu werden. Er wischte die schweißnassen Hände an den Hosen ab und betrachtete die Brandblasen, die der heißgeschossene Lauf des MGs hinterlassen hatte. Eine ganze Weile später begann Hogarth zu sprechen. „Unser Gespräch vorhin wurde unterbrochen. Inzwischen hat sich manches Entscheidende ereignet.“ Er deutete mit der Hand in die Richtung, wo das abgeschossene feindliche Raumschiff lag. „Wir waren gerade dabei, uns gegenseitig eine Rechnung aufzumachen. Das Ergebnis ist immer noch offen.“ „Das war …“ Hogarth brachte den Dicken mit einer Handbewegung zum Schweigen. 196
„Sie haben eine Reihe von Anschuldigungen gegen mich vorgebracht, Laurance. Mord. Eigenmächtiger Mord an einem Menschen – Dewer. Befohlener Mord an viertausend anderen. Errichtung einer illegalen Armee. Bedrohung der Föderation. Friedensbruch, Verstoß gegen manche Vorschriften. Ich habe Ihnen gesagt, daß ich Ihre Gesetze mißachte. Nun, das will ich auch jetzt nicht zurücknehmen. Ich kann Geschehenes nicht ungeschehen machen.“ Laurance fühlte sich zum erstenmal in seinem Leben vollkommen hilflos. Was sollte er darauf sagen? Hogarth schien aber keine Entgegnung zu erwarten. „Das sind schwere Anschuldigungen, Laurance. Nehmen Sie zum Beispiel Wilson. Er hat einen Aufseher getötet, weil ihn dieser umbringen wollte. Schlimmer noch – er wollte ihn langsam an radioaktiven Verbrennungen zugrude gehen lassen. Was sollte Wilson anderes tun? Er mußte sich wehren. Der Junge ist aber kein Mörder.“ Hogarth runzelte die Stirn. „Ähnlich ist es bei vielen anderen auch. Der Krieg hat ihnen den letzten Halt genommen. Sie wurden zu Verbrechern. Sie stellten sich außerhalb der menschlichen Gesellschaft, und diese Gesellschaft stieß sie aus. Müssen wir uns darüber wundern? Nein! Laurance, wir – Sie und ich und andere verantwortliche Männer – haben sie zu Mördern gemacht! Wir haben den Krieg geführt, ihnen die Eltern genommen, die Ordnung, in der sie aufgewachsen wären.“ „Aber die vielen anderen, die Berufsverbrecher …“ 197
„Von denen spreche ich jetzt nicht. Ich denke an die vielen Tausenden von Verzweifelten, die abgeglitten sind, weil ihnen niemand eine helfende Hand reichte. Ich kann sie verstehen. Diese scheußlichen Dinger in dem Raumschiff da drüben haben mir eine Lehre erteilt.“ „Wie meinen Sie das, Hogarth? Wir sollen schuld sein an den Verbrechen, die innerhalb der Föderation begangen werden? Wir …“ Hogarth hörte nicht zu. Er spann seinen eigenen Gedanken weiter. „Sie haben mir die Männer nach Stellar geschickt, damit ich etwas Brauchbares aus ihnen mache. Ich verfolgte meine eigenen Ziele: Macht! Laurance, ich bin selbst ein Verbrecher! Ich habe Kriegsschiffe gestohlen, noch während ich der Oberkommandierende der Erdflotte war. Ich habe sie gestohlen, mit der festen Absicht, Ihre Schwäche auszunutzen und mir mein eigenes Reich zu erkämpfen. Der Plan lag in allen Einzelheiten fest. Waren Sie nicht erstaunt damals, als ich so bereitwillig auf Ihre Vorschläge einging, hier Kerkermeister zu werden? Ich tat es nur, weil ich auf diese Weise das einzige bekommen konnte, was mir noch fehlte: Menschen. Das Material hatte ich. Männer brauchte ich, Verzweifelte, Verbrecher, die mit ihrem Leben bereits abgeschlossen hatten, eine Truppe, die mir überallhin folgen würde, die meine Befehle ausführen würde, auch wenn sie sich gegen Ordnung und Gesetz richten sollten. Nun, ich habe jetzt eine solche Truppe: Die Stellar-Legion.“ 198
Laurance wurde es unangenehm heiß. Dicke Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn. Ein Blick aus den wasserhellen Augen des gebeugten Mannes ließ ihn schmerzhaft zusammenzucken. „Hören Sie, Hogarth“, keuchte er, „jetzt ist die Lage doch ganz anders. Wir haben nicht auf Ihre Warnungen gehört, weil wir meinten, die einzigen in der ganzen Galaxis zu sein. Wir haben die Erdflotte aufgelöst, weil wir uns zu sicher fühlten. Aber Sie hatten recht, Hogarth! Wir hätten …“ Hogarth schüttelte müde den Kopf. „Nein, Laurance, ich hatte unrecht. Meine Warnungen waren nur ein Vorwand. Ich habe selbst nicht daran geglaubt, daß wir die Armee, die ich hier aufbaute, jemals gegen Eindringlinge von außerhalb einsetzen würden. Ich habe Sie alle getäuscht. Macht suchte ich, nur Macht. Aber ich bin an meinen eigenen Plänen gescheitert.“ Laurance warf ihm einen überraschten Blick zu. Begann sich der Geist des alten Admirals zu verwirren? Waren das die ersten Anzeichen dafür? Oder … Hogarth fuhr etwas ruhiger fort. „Dewer war mein fähigstes Werkzeug. Er war mein Vertrauter, auch wenn ich ihn behandelte wie einen Hund.“ Ein bitterer Unterton klang in seiner Stimme mit. „Er erarbeitete die Grundlagen, auf denen ich meine Macht aufbauen wollte. Er formte das Rohmaterial, das Sie mir schickten. Ich habe ihm vertraut, weil er scheinbar ganz 199
von mir abhängig war. Sie wissen selbst, in welcher Weise er mich hintergangen hat. Ich bereue es nicht, daß ich ihn getötet habe. Sie hätten nicht anders gehandelt. Und auf einen Mord mehr oder weniger kam es mir wirklich nicht mehr an.“ Er senkte den Kopf und fuhr leiser fort: „Als Sie seinen Verrat aufdeckten, Laurance, brach für mich eine Welt zusammen. Sicher war ich im Augenblick noch der Stärkere. Sie hätten mich nicht verhaften können. Meine Männer wären mir aus Furcht vor der Todesstrafe gefolgt. Sie hätten sich erst dann gegen mich gewandt, wenn ihre eigene Existenz ernsthaft bedroht gewesen wäre. Deshalb konnte ich mindestens für einige Zeit noch den starken Mann spielen. Aber wie sollte es weitergehen?“ Der Admiral zuckte die Achseln. „Es wäre nicht weitergegangen. Mein Traum von der Macht war ausgeträumt. Laurance. Sie haben es mir mit Ihrem Experiment deutlich bewiesen.“ Erstaunlich gewandt sprang der Dicke auf die Beine. „Nein, Hogarth! Nein! So dürfen Sie nicht reden. Ich habe bisher alle Ihre Warnungen in den Wind geschlagen, habe die Erdflotte bis auf das letzte Schiff abgebaut, die Soldaten entlassen. Ich Narr! Mit der winzigen Polizeimacht wollte ich die Ordnung in der ganzen Föderation aufrechterhalten! Und jetzt tauchen auch noch die Fremden auf. Hogarth, wir brauchen wieder eine starke Hand, die unsere irdische Raumflotte neu organisiert, ihr die alte Schlagkraft 200
wiedergibt. Es gibt nur einen einzigen Mann, der das kann – Sie! Und wir haben nicht mehr viel Zeit. Wo ein Schiff ist, da sind auch noch andere …“ Der hagere Admiral lächelte. Sein Gesicht war jetzt entspannt und ruhig. Laurance nahm diese Veränderung mit wachsender Beunruhigung wahr. „Sie suchen die starke Hand am verkehrten Ort, Laurance. Diesen Ehrgeiz hatte ich noch vor ein paar Stunden. Aber jetzt? Ich will Ihnen etwas sagen: Meine Männer, meine Gefangenen, die tausendfach unter der Willkür meines Regiments zu leiden hatten – sie haben mich beschämt, zutiefst beschämt. Und das erträgt kein Mann von meinem Schlag.“ „Wieso beschämt?“ Hogarth holte tief Luft. Das Lächeln war verschwunden. „Sie haben gekämpft, Laurance. Verstehen Sie, was das heißt?“ „Nein. Es ist doch die Aufgabe von Soldaten …“ Der Hagere unterbrach ihn ein wenig ungeduldig. „Machen Sie sich doch nichts vor! Sie haben selbst gesagt, daß Verbrecher niemals Soldaten werden. Daß kriminelle Elemente eben kriminell bleiben. Daß sie sich bei der ersten Gelegenheit gegen mich wenden würden. Daß man mit ihnen keinen Krieg führen könnte, weil sie nicht loyal sind, weil ihnen ein echter Patriotismus fehlt. Weil … Ach, es gibt so viele Gründe! Was haben sie getan? Haben sie mich erschossen, als die Gelegenheit dazu bestand? Sind sie de201
sertiert? Haben sie ihre Offiziere umgelegt? Wo blieb der erwartete Aufstand? Sagen Sie mir Laurance, warum haben diese Männer gekämpft?“ „Weil es auch um ihr eigenes Leben ging!“ „Das war ohnehin verwirkt. Aber ich will diesen Punkt gelten lassen. Gut, sie kämpften um ihr eigenes Leben. Aber jetzt ist der Feind doch besiegt, nicht wahr? Warum erheben sie nicht die Waffen, die ich ihnen früher niemals in die Hand zu geben wagte, gegen ihre Kerkermeister und erkämpfen sich ihre Freiheit? Sie hätten doch die Gelegenheit dazu. Es wäre nicht schwer, die paar übriggebliebenen Wachsoldaten umzulegen. Sie tun es nicht. Sie halten Ordnung.“ Er blickte dem Direktor gerade in die Augen. „Haben Sie eben beobachtet, wie Wilson und Rennie zusammen ins Lager gingen?“ Diese Frage brauchte nicht beantwortet zu werden. Auf einmal verstand der Direktor, was Hogarth meinte. Ja, seine Methoden hatten versagt, kläglich versagt! Und nicht der Mißerfolg bewies das, sondern der Erfolg! So paradox das klang, es war nicht zu leugnen. Die Stellar-Legion hatte eine harte Bewährungsprobe bestanden – und dabei ihrem Meister die entscheidende Niederlage beigebracht – ohne das zu wissen! Laurance setzte sich wieder. Er blickte nachdenklich vor sich hin. „Wir haben uns beide getäuscht, Hogarth. Ich bin jetzt davon überzeugt, daß Sie Ihr Ziel erreicht haben: Aus dem 202
Abschaum der bewohnten Welt brauchbare Mitglieder der menschlichen Gemeinschaft zu machen. Mitglieder zwar, die etwas eigenwilligen Regeln folgen – aber das spielt in diesem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle. Und Ihr großer Irrtum besteht darin, daß Sie glaubten, mit diesen Männern die Föderation stürzen zu können. Es wäre Ihnen nicht gelungen. Ihre Armee war stark genug dafür – aber die Männer hätten Ihnen nicht gehorcht, weil sie doch loyal sind. Wir haben sie unterschätzt.“ Hogarth nickte. „Ja, ich habe sie unterschätzt. Das war mein Ruin. Ich habe Dewer unterschätzt, ich habe Wilson unterschätzt und alle anderen auch. Ich habe die StellarLegion, mein eigenes Werk unterschätzt. Mein Streben zur Macht hat mich blind gemacht.“ Er lächelte bitter. „Ich bin nicht der erste, den sein Machthunger in den Untergang treibt. Ich habe mir mein eigenes Grab geschaufelt!“ Laurance duckte sich unwillkürlich, als er seine eigenen Worte wiederholt hörte. Was sollte er darauf sagen? „Schreckt Sie das Wort? Sie haben es doch selbst geprägt!“ „Aber zu einem Zeitpunkt, wo … ich meine, damals standen wir vor einer ganz anderen Situation! Hogarth, Sie dürfen nicht so verbittert denken. Jeder macht mal einen Fehler. Sie sehen ihn wenigstens noch ein.“ „Nein, Laurance, Fehler von einer solchen Tragweite macht man nicht ungestraft! Aber darin, daß ich meinen Fehler erkannt habe, muß ich Ihnen recht geben. Schenken 203
Sie mir noch ein paar Minuten, dann werde ich auch die Konsequenzen daraus ziehen. – Nein, wehren Sie nicht ab, und lassen Sie mich zu Ende reden.“ Er blickte hinaus in die endlose, rote Sandwüste, über der die Capella ihre Glutstrahlen hingoß. Auf einmal entdeckte er etwas wie Schönheit in dem schaurigen, trostlosen Bild, das ihn bei der Ankunft vor eineinhalb Jahren noch abgeschreckt hatte. Stellar! Abrupt wandte er sich wieder dem Direktor zu. „Sie sagen, die irdische Raumflotte müsse wieder aufgebaut werden. Ich sage jedoch, eine solche Kriegsmaschine darf es nie wieder geben. Warum nicht? Weil die akute Gefahr besteht, daß sie wieder solche Menschen hervorbringen wird wie mich. Machen Sie die Stellar-Legion stark. Den Kern habe ich geschaffen. Ich gebe das, was ich hier aufgebaut habe, hiermit der Föderation zurück. Ist das nicht auch ein Zeichen von Loyalität?“ Er lachte trocken auf. Dann klang seine Stimme plötzlich stahlhart: „Ich verbinde ein paar Bedingungen mit diesem Geschenk. Erstens: Keiner darf gezwungen werden, in die Legion einzutreten. Es muß eine Einheit aus Freiwilligen werden. Stellen Sie es jedem Verurteilten frei, in der Legion zu dienen oder seine Strafe im Gefängnis abzubüßen. Zweitens: Treffen Sie vorher eine sorgfältigere Auswahl, damit die Verluste an Menschenleben während der Ausbildung nicht mehr so groß sind. Jawohl, Laurance, auch darüber mache ich mir Gedanken! Drittens: Übertragen Sie die Leitung des Mili204
tärstützpunktes Stellar Oberst Rennie. Er ist ein harter Mann, aber er versteht mit rauhen Männern umzugehen. Und viertens: Schicken Sie Wilson auf eine Polizeischule, damit er möglichst bald als Kommandeur der Kampfgruppen eingesetzt werden kann, die ohne Zweifel schon in nächster Zukunft zu tun bekommen werden. Das wäre eigentlich alles.“ „Ja, aber Sie können doch selbst …“ Laurance verstummte unter einem seltsamen Blick des hageren Admirals. Jetzt verstand er den anderen. Er war zum Vollstrecker eines Testaments eines noch Lebenden bestimmt worden! Der Direktor kämpfte gegen einen Schüttelfrost, der ihn trotz der sengenden Hitze zu befallen drohte. „Wilson ist ein guter Soldat“, murmelte er selbstvergessen und war mit seinen Gedanken ganz woanders. „Sie, Laurance, haben dann Ihr Ziel erreicht: Die Gefahr, die den Namen Hogarth trug, ist ausgeschaltet. Die Verbrecherkolonie bekommt eine wichtige Aufgabe und wird damit zu einem nützlichen Mitglied der Föderation der Welten. Sie werden sich nur damit abfinden müssen, daß hier immer harte Regeln gelten werden. – Nun, Laurance, sind Sie zufrieden?“ Der Dicke vermied den Blick des Admirals. Er fühlte sich keineswegs als Sieger in diesem Kampf von Geist gegen Geist. Er kam sich vielmehr klein und unterlegen vor. Als Hogarth wieder sprach, war jede Spur von Ironie und Bitterkeit aus seiner Stimme verschwunden. 205
„Ich hätte es früher einsehen sollen, Laurance: Ich stamme aus einer Ära, die längst tot ist. Man kann das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen.“ Er stand auf und wischte sich den Sand von der grauen Uniform. Die scharlachroten Aufschläge leuchteten in der roten Sonne. „Bleiben Sie, Hogarth.“ Der Dicke sprang ebenfalls auf und packte den Admiral angsterfüllt mit beiden Händen an der Schulter. „Bleiben Sie, wir sprechen noch einmal in Ruhe über alles! Die Föderation braucht Sie gerade jetzt.“ Hogarth schüttelte den Kopf. Seine klaren Augen blickten jetzt ohne die eiskalte Härte, die ein ganzes Menschenalter in ihnen gelegen hatte. „Sie können mich nicht ändern. Sie brauchen mich nicht mehr. Was ich für die Föderation tun konnte, habe ich getan. Das andere müssen die Jüngeren zu Ende führen.“ Er löste sich aus dem harten Griff des Direktors. „Hogarth!“ Lächelnd stand der Admiral vor ihm und salutierte. Unwillkürlich straffte sich die plumpe Gestalt des Direktors, als er den Gruß halb unbewußt erwiderte. Dann drehte sich Hogarth um und marschierte in die sonnendurchglutete Wüste hinaus, geradewegs auf den Feuerball der Capella zu. Laurance sank auf den Stein zurück und blickte der kleiner werdenden Gestalt nach, die ruhig, ohne Hast, stolz aufgerichtet dahinmarschierte. 206
Der Direktor war keines Gedankens fähig. Nicht er hatte den hartnäckigen Admiral besiegt – der andere war stärker! Die Konsequenzen – Hogarth würde nie wiederkehren. Niemals. Der Mann, der für die ganze Welt mit Feuer und Gewalt den frieden, die Einheit erkämpft hatte, der eine riesige Armada von Sieg zu Sieg geführt hatte, gewann auch diesen letzten Kampf. „Wo ist der Admiral?“ Eine harte Hand packte Laurance am Arm und riß ihn hoch. Der Direktor blickte in die drohend zusammengezogenen Augen des jungen Mannes mit der blauen Narbe an Hals und Wange. Wilson! „Sie Verräter! Was haben Sie mit ihm gemacht? Schnell, reden Sie!“ Laurance blickte wortlos auf die Pistole, die drohend auf ihn gerichtet war. Dann maß er den zukünftigen Chef der irdischen Raumpatrouille mit einem Blick, der ihm seine Sicherheit nahm. „Sagen Sie, Laurance, wo ist Hogarth? Haben Sie ihn …“ Wortlos deutete Laurance mit dem Daumen in die Wüste hinaus, wo die hagere Gestalt des Admirals noch als dünner Strich am Horizont zu erkennen war. Eine Minute noch, dann mußte er verschwunden sein. „Verdammt!“ entfuhr es dem jungen Leutnant. „Was hat er vor?“ Er wollte seinem Chef nachstürzen. Der Dicke war schneller und hielt ihn fest. Wieder blickte er in den drohend auf ihn gerichteten Lauf der Waffe. „Sie haben ihn 207
überredet! Sie haben mit ihm dasselbe gemacht, was Sie auch mit mir vorhatten! Sie doppelzüngiger Hund! Ich hätte Sie gleich beim erstenmal …“ „Schweigen Sie!“ schnitt ihm Laurance das Wort ab. Etwas in der Stimme des Direktors veranlaßte Wilson, erstaunt die Augenbrauen hochzuziehen. Allmählich dämmerte ihm die volle Erkenntnis dessen, was hier vorgegangen sein mußte. Lange Zeit stand der junge Mann starr da und bohrte den Blick in die Wüste hinein, fixierte einen ganze bestimmten Punkt, wo sich eben noch ein Mensch bewegt hatte, und jetzt wieder alles tot und verlassen wie vorher da lag. Als ob er ihn mit seinen Gedanken zurückholen könnte. Dann griff er langsam nach seinem Helm und nahm ihn stumm ab. Laurance beobachtete ihn, ohne ein Wort zu sagen. Erst nachdem viele Minuten verstrichen waren, richtete er sich auf und legte Wilson die Hand auf den Arm. „Kommen Sie!“ Seine Stimme klang fremd und brüchig. Wilson blickte ihn forschend an. Dann straffte sich seine Gestalt. „Jawohl, Sir!“ sagte er knapp. „Was sind Ihre weiteren Befehle?“ Laurance winkte ab. „Wir gehen zur Siedlung zurück.“ Schweigend wanderten die beiden Männer auf die Trümmer der Gebäude zu. Instinktiv wandte der Direktor den Blick ab, als sie an dem abgeschossenen Kugelschiff vorbeikamen. Er mußte an die Männer denken, die der 208
grüne Todesstrahl getroffen hatte. Der Direktor rief die Offiziere zusammen, zu denen außer Wilson noch zwei weitere ehemalige Gefangene gehörten. In knappen Worten berichtete er ihnen von dem Entschluß des Admirals. Erst begegnete er mißtrauischen Augen, aber Wilson unterstütze ihn mit einem kurzen Bericht dessen, was er selbst gesehen hatte. Sorge stand in den Augen der Männer. Laurance erkannte es wohl und wandte sich an Rennie: „Wie steht es mit den Verwundeten?“ Achselzucken. „Die meisten werden sterben. Wir haben kein Verbandsmaterial, keine Medikamente. Was soll ich tun?“ Laurance biß die Zähne zusammen. „Oberst Rennie, wie verhalten sich die Gefangenen?“ „Die Männer sind damit beschäftigt, Ordnung zu schaffen. Es hat kein Anzeichen von Meuterei gegeben.“ Staunen klang durch die Worte des Offiziers. Die anderen Leutnants nickten bestätigend und machten Gesichter, die ihre Ungläubigkeit ausdrückten. „Es wird auch keine Meuterei geben“, erklärte Laurance mit fester Stimme. „Nach dem Willen des Admirals übernimmt Oberst Rennie die Leitung des Militärstützpunktes Stellar. Es gibt keine Strafkolonie mehr. Die gemeinsame Gefahr hat etwas in den Gefangenen geweckt, an das wir alle nicht mehr glauben wollten: Das Gefühl der Zugehörigkeit zur Föderation. Wir werden hier alles wieder auf209
bauen. Ich bleibe hier, bis die Vorkehrungen dafür getroffen sind. Mein Schiff landet in einer Stunde und stellt Ihnen einen Arzt und die Einrichtungen des Lazaretts zur Verfügung. Inzwischen fliegen Ihre restlichen sieben Schiffe zum nächsten Stützpunkt und holen alle erforderlichen Hilfsmittel.“ „Wird man sie dort nicht beschlagnahmen?“ warf einer der Offiziere ein. „Nein, dafür sorge ich.“ Laurance warf einen Blick hinüber zu der bleigrauen Masse des feindlichen Schiffes. „Mit dem dort müssen sich unsere Fachleute beschäftigen. Ich glaube, wir werden manches Interessante finden. Wenn die Herrschaften das nächstemal kommen, können wir sie mit ihren eigenen Waffen begrüßen. Sonst noch Fragen?“ Nach einer Pause fragte Wilson: „Was geschieht mit der Stellar-Legion?“ Jeder im Raum hielt den Atem an, als Laurance die Männer nacheinander anblickte. Die Frage hing schwer und drohend in der Luft. Der Direktor fühlte das wohl, und Verwunderung erfüllte ihn, weil er zum erstenmal merkte, was die Legion gerade den Männern, die man mit Gewalt hineingezwungen hatte, wirklich bedeutete. Wenn Hogarth jetzt hier wäre … „Die Legion bleibt bestehen!“ sagte er mit fester Stimme. „Die Föderation braucht Sie, meine Herren! Vergessen Sie niemals, welche Verantwortung Sie tragen: Sie müssen die Föderation vor Angreifern aus dem All schützen. Die 210
Mittel dazu gebe ich Ihnen.“ Ein hörbares Aufatmen ging durch die Reihen der Männer. „Noch etwas“, setzte Laurance hinzu. Alle horchten auf. „Leutnant Wilson soll nach dem Willen des Admirals die Legion führen, während Oberst Rennie die Ausbildung übernimmt. Leutnant Wilson kehrt mit mir zur Erde zurück, um eine gute Polizeischule zu besuchen.“ Er bemerkte das aufkeimende Mißtrauen im Gesicht des jungen Mannes bei den Worten „Erde“ und „Polizei“ und fügte lächelnd hinzu: „Vorher wird der Urteilsspruch gegen Wilson revidiert. Hogarth hat mir den Hergang geschildert, der zu seiner Verhaftung führte. Ich werde das in einem Wiederaufnahmeverfahren in Ordnung bringen. Sie sind in vier Wochen wieder rehabilitiert, Wilson, und können dann als freier Bürger der Föderation darüber entscheiden, ob Sie die angebotene Aufgabe übernehmen wollen oder nicht.“ Wilsons Schultern strafften sich. Er blickte dem Direktor offen ins Gesicht. „Wann können wir starten, Sir?“
UTOPIA-Zukunftsroman erscheint wöchentlich im Erich Pabel Verlag, Rastatt (Baden), Pabel-Haus, (Mitglied des Remagener Kreises e. V.). Einzelpreis DM 0,60. Anzeigenpreis laut Preisliste Nr. 6. Gesamtherstellung und Auslieferung: Druck- und Verlagshaus Erich Pabel, Rastatt (Baden). Alleinauslieferung für Österreich: Eduard Verbik, Salzburg, Gaswerkgasse 7. Nachdruck, auch auszugsweise, sowie gewerbsmäßige Weiterverbreitung in Lesezirkeln nur mit vorheriger Zustimmung des Verlegers gestattet. Gewerbsmäßiger Umtausch, Verleih oder Handel unter Ladenpreis vom Verleger untersagt. Zuwiderhandlungen verpflichten zu Schadenersatz. Für unverlangte Manuskriptsendungen wird keine Gewähr übernommen. Printed in Germany 1958. Scan by Brrazo 07/2006
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