KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
ERNST SCHERTEL
DIE HOHLENINDIANER...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
ERNST SCHERTEL
DIE HOHLENINDIANER IN NORDAMERIKA
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
MURNAU - M Ü N C H E N - I N N S B R U C K - Ö L T E N
Seltsamer Fund eines Farmers ViS ist März 1950. Heiß brennt die Frühlingssonne auf die schroffen Felswände des Bange Creek Canyon, in dessen Tiefe die Schmelzwasser der Schneegipfel zu Tal brausen. In den flachen Teilen des Hochlandes sproßt bereits saftiges Grün, blanke Rinderherden weiden unter dem wachsamen Auge berittener Cowboys auf den nahrungspendenden Almen. Es ist nicht leicht, die freiheitslüsternen Tiere beisammenzuhalten. Dann und wann sucht sich die eine oder andere Gruppe zu verselbständigen und einem Streifen Gras zu folgen. Solche Ausreißer wieder einzubringen, ist oft sehr mühsam, und nicht selten müssen sich die Farmer selbst auf den Weg machen, um die abenteuernden Einzelgänger zu suchen. Die Nachbarn helfen oft mit. In solcher Lage befindet sich der Farmer Clarence Pillings, der eine Ranch in diesem Gebiet des Staates Utah besitzt und von zwei benachbarten Ranchbesitzern zu Hilfe gerufen worden ist, um einige verlaufene Kühe aufzuspüren. Er stülpt seinen breitrandigen Sombrero auf, winkt seinen Bruder heran, und dann marschieren die vier Männer über Gras, Stock und Stein in die Wildnis hinaus. Die Spur der flüchtigen Tiere führt nach Süden zu einem flachen Bergrücken — einer sogenannten ,Mesa' — und verliert sich dann im Geröll. Der Berg ist völlig kahl und besteht nur aus einem einzigen riesigen Felsmassiv. Tief eingeschnittene Schluchten und Schrunde durchfurchen ihn, es scheint schwer, hier überhaupt etwas finden zu können. Ratlos lassen die Männer ihren Blick umherschweifen, rufen und pfeifen — aber nichts rührt sich. Nur ein kurzes hartes Echo kommt von den glühenden Steinwänden zurück. In diesem Augenblick nimmt etwas anderes in der Landschaft die Aufmerksamkeit der drei Farmer gefangen: Nahe dem Gipfel des Berges leuchten silberweiß die Trümmer eines Bauwerks, das im schwarzen Rachen einer Höhle steht wie ein einzelner Zahn in einem riesigen finsteren Maul. Die Männer vergessen für einen Augenblick ihre Rinder und klettern die brüchigen Felsen hinan, um den merkwürdigen Bau und die Höhle zu erkunden. Kühl umfängt sie bald die immer tiefer werdende Dunkelheit des Berginnern. Nur mühsam tasten sie sich die Felswände entlang, so2
weit der Lichtschimmer von draußen reicht. Dann wird es völlig Nacht. , H i e r i s t nichts!' meint einer der Männer und mahnt zur Umkehr. „Du hast recht, s' wird Zeit, wieder an die Luft zu kommen", stimmen die andern zu. Pillings aber will noch bleiben, will noch ein Stückchen weiter vordringen. Sein Entdeckerinstinkt ist erwacht. Er entzündet sein Taschenfeuerzeug und leuchtet die Wände, die Decken und den Boden ab. Es ist ein breiter und hoher Felsengang, wie ihn irgendeinmal das Wasser gegraben hat. Da und dort zweigen kleine Gänge ab. Auch in sie dringt Pillings ein, nachdem er sich durch Kreuzstriche an der Wand den Rückweg und die Orientierung gesichert hat. Unerwartet wird sein Eifer belohnt: Am Ende eines der Nebengänge sieht er am Boden, in Geröll und Sand gebettet und nahe beisammenliegend, eine Anzahl erstaunlich geformter Tonfiguren liegen, jede etwa eine Spanne lang, ohne Arme und Beine, sie zeigen meist, soweit Pillings es erkennen kann, einen seltsamen indianischen Aufputz. Vorsichtig sammelt er sie auf. Es sind elf Stück. Sonst findet sich nichts. Alle übrigen Teile der Höhle sind öd und leer und zeigen keinerlei Spuren ehemaliger Bewohntheit. Aber diese Tonfiguren sind allein schon merkwürdig genug. Pillings eilt mit seinem Fund ans Licht des Tages. Von seinen Begleitern ist nichts mehr zu sehen. Sie suchen wohl immer noch nach den verirrten Tieren. Pillings aber hat jetzt etwas anderes im Kopf. Er kehrt nicht auf seine Ranch zurück, sondern begibt sich in 6eine Stadtwohnung im weit entlegenen Städtchen Price, wo er hoffen darf, über seinen Fund etwas zu erfahren. Erst gegen Abend langt er an. Eine Nachbarin, der er die Figuren zeigt, überredet ihn, ihr die Tonplastiken für kurze Zeit zu überlassen, da sie die Absicht habe, eine Reise nach dem Osten der Vereinigten Staaten zu unternehmen. Dort werde sie Gelegenheit haben, die Figuren einem ihr befreundeten Altertumsforscher vorzulegen. Pillings. ist damit einverstanden, da er nicht weiß, an wen er sich sonst hätte wenden können. So kommen die Figuren bald darauf Mr. Neil Hudd vom United States National Museum und durch diesen auch dem Direktor Brew vom Peadbody Museum in Cambridge zu Gesicht. Beide Gelehrte erkennen sofort die Wichtigkeit des Fundes. Zur genaueren Unter3
suchung und Bestimmung ziehen sie den Amerikanisten Noel Morss hinzu, der die wissenschaftliche Bearbeitung und die Veröffentlichung des Ergebnisses der Untersuchung besorgt. Spater werden die kostbaren Fundstiicke nach Price zurückgebracht, wo sie sich heute im Ausstellungsraum des Parkes View Motel befinden. Die Höhle aber, in der dieser Fund geglückt ist, erhält den Namen ,Pillings-Höhle\ zur Erinnerung an den Entdecker. Die Tonfiguren, die Pillings gefunden hat, sind alte indianische religiöse Bilder und verkörpern die unterirdischen Gottheiten, die schon vor Jahrtausenden in großen Teilen von Nord-, Mittel- und Südamerika verehrt worden sind. Sie gehören ihrer Art nach zum ältesten, was sich aus der Vorzeit Amerikas bis in die Gegenwart erhalten hat. Schöpfer der Tonfiguren aus der Pillings-Höhle waren Angehörige großer Völkergruppen, die seit undenklichen Zeiten den Südwesten der Vereinigten Staaten bewohnt haben und deren Nachfahren heute noch dort in abgesonderten Schutzgebieten — in sogenannten Reservationen' — leben. Sie werden unter dem Sammelnamen der ,Pueblo-Indianer' zusammengefaßt. Diese Völker sind für uns deshalb besonders interessant, weil sie in ihrer Kultur viele uralte Züge bewahrt haben, die bei andern nur noch undeutlich erkennbar sind. Zu ihren altertümlichsten Merkmalen aber gehören ihre phantasievollen Vorstellungen von Gottheiten in den Tiefen der Erde und ihrem finsteren Reich. Auf diesem Glauben ist die gesamte Kultur dieses Volkes, seine Religion, seine Architektur und Kunst sowie seine ganze soziale Ordnung, aufgebaut. Während bei andern Völker der Himmel oder die Berggipfel Sitze der Götter sind, leben die Götter der Pueblo-Indianer in unterirdischen Bereichen.
Geburt aus der Unterwelt Bei den Pueblo-Indianern gibt es eine alte Sage von der Herkunft der Menschen und Tiere aus dem Bauch der Erde. Wenn man das Vertrauen einer Pueblo-Großmutter gewonnen hat und kein anderer Fremder zuhört, so erzählt sie auf Befragen heimlich und wie in einer Litanei, die sie gleichsam im Geiste abliest, folgende
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Geschichte, die sie von ihrer Mutter und die ihre Mutter von der Vormutter und diese von der Ururahne erfahren hat: Am Anfang der Zeiten waren Länder und Meere von keinerlei lebenden Wesen bevölkert. Alles war tot und starr, und nichts regte sich. Die Menschen und Tiere aber schliefen tief im Innern der Erde, so wie heute noch die Larven der Käfer im Schöße der Erde schlafen. Sie schliefen so fest, daß sie sich nicht bewegen konnten, und sie hatten auch kein Bewußtsein von sich selbst und von ihrer Umgebung. Das war die erste Stufe des Daseins. Allmählich aber wurde der Schlaf leichter, und die Lebewesen begannen Bewegungen auszuführen. Ihre Glieder rührten, hoben und senkten sich, aber ohne Ziel und Zweck; denn noch immer fehlte den Lebewesen das Bewußtsein ihrer selbst und der Dinge, die um sie herum waren. Das war die zweite Stufe des Daseins.
Das Wohngebiet der Pueblo-Indianer erstreckte sich über die Gebiete Colorado, Utah, Nevada, Arizona, Neu-Mexiko, West-Texas nnd Nord-Mittelamerika 5
Erst nach langer, langer Zeit gelangten die Lebewesen auf die dritte Stufe des Daseins. Sie wußten plötzlich, daß sie existierten und daß etwas um sie herum war. Sie bewegten sich jetzt mit Verstand und Absicht und griffen nach allem, was ihnen begegnete. Sie liefen herum; aber sie stießen aneinander, denn es herrschte undurchdringliche Dunkelheit um sie. Beim Zusammentreffen mit den anderen Wesen erkannten die Menschen aber deutlieh, daß noch andere Menschen da sein mußten und daß Tiere um sie herumstrichen. Dennoch blieb alles totenstill, denn kein Mensch sprach und kein Tier gab einen Laut. Die Menschen nährten sich von dem Fleisch der Tiere und machten sich aus deren Knochen Werkzeuge. Auch tanzten sie schon, und bei einem dieser ausgelassenen Tänze geschah es, daß einer der springenden Tänzer plötzlich gegen einen harten Gegenstand stieß, der sich über ihm befand. Und so spürten die Menschen, daß sich über ihren Häuptern eine Decke hinzog. Sie staunten sehr, denn bis dahin hatten sie geglaubt, daß es über ihnen nur die leere unendliche Finsternis gebe. Von dieser Zeit an wußten sie, daß sie sich in einer Höhle befanden. Da beschlossen die Ältesten, in die Decke der Höhle ein Loch zu bohren. Der Waschbär stellte sich für diese Arbeit zur Verfügung, ergriff einen Knochen und versuchte mit ihm das Loch zu bohren. Aber es gelang ihm nicht. Da machte sich der Mottenwurm daran, und ihm glückte das Vorhaben. Man erweiterte das Loch zu einem Schacht, der nach oben führte. Von dort herab drang eine düstere Helle, und die Menschen und Tiere begannen hinaufzusteigen. So endigte die dritte Stufe des Daseins. Als die Menschen und Tiere oben ankamen, befanden sie sich in einer neuen großen Höhle, in deren Mitte ein mächtiges Feuer brannte. Nun gewannen sie auch mit einem Mal die Fähigkeit des Sprechens, und sie nannten den Schacht, durch den sie gekommen waren, ,Sipapu'. Sie errichteten einen Altarstein und dankten der Großen Mutter Erde für ihre Errettung aus der Finsternis der Tiefe. Sie machten aus Lehm ein Bild der Großen Mutter Erde und legten es auf den Altar, um es immer vor Augen zu haben. Das war die vierte Stufe des Daseins. Die Menschen und Tiere lebten undenkliche Zeiten in dieser Feuerhöhle, die sie ,Kiva' nannten. Sie glaubten, daß dies die ganze 6
Welt sei. Sie beteten zur Großen Mutter Erde und tanzten zu deren Ehre. Dabei schwenkten sie das Bild der Großen Mutter über ihren Häuptern. Eines Tages aber entdeckte der Mottenwurm hinter dem Altarstein einen natürlichen Kamin, der noch weiter hinaufführte. Er kroch darin empor und war plötzlich geblendet Ton grellem Licht, das ihn umfloß. Er schrie laut vor Schrecken und Freude. Er erkannte, daß er sich auf der Spitze eines gewaltigen Berges befand, der von Wasser umgeben war. Er stieg den Berg hinunter und watete in das Wasser. Dort baute er einen kleinen Erdhügel, setzte sich darauf und dachte nach. Allmählich verliefen sich die Wasser, so daß nur Schlamm und Schmutz übrigblieben. Da stieg der Mottenwurm wieder zum Gipfel des Berges empor und kroch durch den Kamin zurück in die Kiva-Höhle. Dort erzählte er den Menschen und Tieren von seiner Entdeckung und suchte sie zu bewegen, mit ihm nach oben zu kommen. Aber alle fürchteten sich. Erst nach langem Zaudern faßte der Waschbär Mut und stieg durch den Kamin hinauf. Als er dort sah, daß der Wind inzwischen den Schlamm und Schmutz aufgetrocknet hatte, rief er die Menschen und Tiere, und alle kamen durch den Kamin herauf. Sie erblickten den Vater Sonne und waren geblendet von seinem Glanz. Die Tiere verteilten sich gleich nach den vier Himmelsrichtungen, die Menschen aber begannen Häuser zu bauen und das Land zu bestellen. Das ist die fünfte Stufe des Daseins, auf welcher sich die Menschen noch heute befinden. Nach dem Tode aber kehrt der Mensch zurück in das dunkle Reich der Großen Mutter Erde und wird dort selbst ein unterirdischer Gott. Das ist dann die sechste Stufe seines Daseins. Die Pueblo-Großmutter, die all diese Dinge aus dem altüberliefertem Wissen der Vorfahren weiß, schweigt und blickt mit ihren halb erloschenen Augen ins Leere. Ihre Lippen bewegen sich nur noch murmelnd. Vielleicht betet sie. Ihr von Schrunden durchfurchtes Gesicht wirkt starr wie das einer braunen Tonfigur. Indianer gehen vorüber. Sie grüßen die Alte ehrfürchtig. Und plötzlich kommt es dem Fremden in den Sinn, diese fast Hundertjährige selber sei die ,Große Mutter Erde', die sich geheimnisvoll in ihr verkörpert und der diese Völker huldigen als ihrer höchsten Gottheit-
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Wohnstätten im Dunkeln Überall auf der Erde wählte der Vorzeitmensch gern natürliche Höhlen als Behausungen. Nicht immer geschah das aus Not oder weil er noch nicht in der Lage war, sich künstliche Unterkünfte zu bauen. Oftmals hatte die Benutzung von Höhlen rein seelische Gründe. Bei manchen frühen Völkern hatten die Menschen Angst vor dem Licht und dem freien Raum, sie suchten das Dunkel und die Umschlossenheit. Das entsprach ihrer Versunkenheit in sich selbst. Die Welt mit ihrem Licht und ihrer Grenzenlosigkeit beunruhigte sie. Sie fühlten sich den Tieren der Nacht näher verwandt als denen des Tages, und sie standen dem Höhlenbären näher als dem Adler. Deshalb suchten sie mit Vorliebe natürliche Höhlen auf oder bauten sich höhlenartige Wohnstätten mit dicken fensterlosen Mauern und Erdaufschüttungen, sobald sie technisch dazu fähig waren. Menschen dieser Lebensauffassung vermochten sich auch ihre eigene Herkunft und die Herkunft der übrigen Lebewesen nur aus einer Höhle zu denken, wie das in der Sage der Pueblo-Indianer von den verschiedenen Stufen des Lebens so ergreifend zum Ausdruck kommt. Bei den meisten Völkern, bei denen dieser Höhlentrieb bestanden hat, ist er im Lauf der kulturellen Entwicklung einem ,FreilichtTrieb' gewichen. Die gesteigerte Lebenssicherheit verscheuchte die Angst vor dem Licht und der Weite des Baumes. Die Pueblo-Indianer aber sind auch auf den höheren Stufen ihrer Kultur dem Höhlentrieb verfallen geblieben, und das führte zu den in der Welt einzigartigen Bauwerken dieses Volkes, die dem Götterglauben dieser Menschen Ausdruck zu geben suchen. Das Wohngebiet der Pueblo-Indianer war kein ,Reich' im staatlichen Sinne, es hatte auch keine scharf umrissenen Grenzen. Ungefähr aber umfaßte es folgende Landschaften im Süden Nordamerikas: das südwestliche Colorado, ganz Utah, ferner Nevada, Arizona, Neu-Mexico und das westliche Texas; es griff auch noch in Teilen auf die Provinzen Chihuahua und Sonora im nördlichen Mittelamerika über. Dieses Riesengebiet umfaßt zum Teil sehr wasserarme wüstenartige Steppen, der andere Teil besteht aus gewaltigem Bergland mit brausenden Strömen und Sturzbächen.
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Eine Zone reicher Fruchtbarkeit und unendlicher Schönheit liegt hier ausgebreitet. Die Wasserläufe haben sich tief in die Sand- und Kalksteinfelsen eingeschnitten, die in steilen Wänden zur Talsohle abfallen. Die jahrtausendelange Einwirkung von Regen und Wind hat gigantische Felskolosse aus der Umgebung herausgemeißelt, so daß nun schroffe Steinmassen hochgetürmt sind wie Gralsburgen der Urzeit, die unvermittelt aus der Ebene emporwachsen. Wo sich Laub- ^ind Nadelwald angesiedelt haben, ergeben sich besonders im Frühling und Herbst berauschende Farbzusammenklänge. Aber auch die Felsen bieten ein bezauberndes Farbenspiel, sie schimmern von Silberweiß und Stahlgrau über Gelb, Orange und leuchtendes Rotbraun bis zu warmem Sepia. Nicht ohne Grund sind große Teile dieses Pueblo-Landes zu staatlichen Nationalparks bestimmt und unter Naturschutz gestellt worden. Dieser ganze Südwesten der heutigen Vereinigten Staaten war schon Jahrtausende vor dem Beginn unserer Zeitrechnung von einer langschädligen Rasse bewohnt, die eine der frühesten altsteinzeitlichen Kulturen der Menschheit entwickelt hatte. Ihre Wohnstätten waren Höhlen, in denen man noch Skelettreste gefunden hat. An solchen Höhlen ist vor allem der gebirgige Teil des PuebloLandes außerordentlich reich. Sie wurden zu wohnlichen Behausungen, indem man den weit sich öffnenden Höhleneingang mit Felstrümmern verstellte, um Wind und Regen abzuhalten. In vielen Höhlen feierten die Urbewohner ihre religiösen Feste, denn das Göttliche, die Götter selbst wohnten und walteten in diesen unterweltlichen Bereichen. Das ganze Leben des Urvolkes spielte sich in Dämmer des Unterirdischen ab, dessen geheimnisvolles Dunkel die gefürchtete Außenwelt fern hielt. Nur zu der Jagd und zum Fischfang, zum Einsammeln von Wurzeln und Früchten oder zum Anbau von Nutzpflanzen verließ man die Höhlenwelt. Immer wohnte eine kleinere oder größere Sippe beisammen. Der Mittelpunkt dieser Gemeinwesen war jeweils die älteste Großmutter. Ihr ordneten sich auch die selbstherrlichsten Männer unter. Von der Ahnin und nicht vom männlichen Ahnen her wurde auch die Geschlechterfolge gerechnet. Die Lebensverhältnisse waren eng, aber friedlich. Es konnte kaum zu kriegerischen Zusammenstößen mit anderen Sippen oder Stämmen kommen, denn um was hätte 9
man sich streiten sollen? Niemand besaß mehr als er brauchte. — Nicht alle diese Völkergruppen konnten in den höhlenreichen Bergländern wohnen, viel von ihnen siedelten sich auch in den Ebenen oder auf flachen Höhenzügen an, wenn dort das Vorhandensein von Wasserläufen Lebensmöglichkeiten bot. Auch hier im flacheren Land aber wollte man auf das Höhlenleben nicht verzichten. Mühevoll mußten künstliche Behausungen angelegt werden, die man in die Erde hinein baute. Viele solcher künstlichen Höhlen sind entdeckt worden, obwohl Platz und Baumaterial für oberirdische Bauwerke genügend vorhanden waren. Aber der Drang, sich ins Innere der Erde zu verkriechen, zwang die Menschen, in die Tiefe zu gehen. Man hob zu diesem Zweck eine Grube aus, deckte sie mit Ästen und Reisig ein und überschüttete das Ganze mit Erde. Die ,Grubenhütte' wirkte von außen wie ein Grabhügel. Ursprünglich hatten diese Grubenhütten kreisrunden Grundriß und ein kegelförmiges Dach. Ihr Durchmesser betrug drei bis vier Meter. Sie lagen oft so tief unter der Erdoberfläche, daß man von oben mit einer Leiter in sie hinabsteigen mußte. Bei höherer Lagerung führte ein seitlicher Eingang ins Innere. Ähnlich gebaute Grubenhütten findet man auch bei den Bewohnern Ostsibiriens, und auch die Hütten der Eskimos und Lappländer sind im Grunde nicht anders angelegt, nur daß hier Schnee statt Erde als Überwurf verwendet wird. Lange Zeit änderte sich die Wohnweise nicht. Dann aber begannen die Pueblo-Völker neben den runden Wohngruben auch viereckige Grubenhütten anzulegen, die sie flach eindeckten. Die Grube war zwar immer noch die Grundlage, aber die Hauswände ragten nun höher über den Boden hinauf und waren oftmals aus Steinen gebaut. Steinplatten verkleideten auch die Innenwände. Fortschrittlichere Familien gaben auch dem ursprünglich nur festgestampften Boden eine Pflasterung aus Stein. Der Erd-Überwurf über das Ganze fiel weg. Der Anfang zur oberirdischen Bauweise war damit gemacht. Diese Wandlung in der Bauweise, die dem ursprünglichen PuebloGeist widersprach, vollzog sich vermutlich nach der Zuwanderung fremder Rassen aus Mittelamerika, die schon bald nach Beginn unserer Zeitrechnung einsetzte und sich in den folgenden Jahrhunderten verstärkte. Die Einwanderer waren kurzschädlige Typen, 10
wie man noch aus ihren Skeletten feststellen kann. Sie wurden bald aufgesogen und glichen sich an. Die von ihnen veranlaßte oberirdische Bauweise konnte sich nur unter Angleichung an die Höhlenüberlieferung der Pueblos durchsetzen. Die neuen halb oberirdischen Viereckhütten waren nämlich genau so fensterlos, wie es die unterirdischen Rundhütten gewesen waren, und so blieben auch sie künstliche Höhlen, die den Menschen von der Umwelt abschlössen. Unter dem Einfluß des neuen Bauwillens verzichteten die PuebloIndianer schließlich ganz auf die Anlage von Gruben und bauten die Häuser nur noch oberirdisch. Als Baumaterial dienten Bruchsteine, wo sie zu finden waren, mit Lehm vermischtes Geröll oder luftgetrocknete Lehmziegel. Die Wände wurden sauber geglättet. Manchmal öffneten sich kleine Fensterlöcher nach draußen. Aber auch jetzt blieb der eingeborene Höhlentrieb wirksam, denn man stellte diese Steinhäuser nur ungern in die freie offene Landschaft, sondern baute sie — wo es nur irgend ging — in die Eingänge von Höhlen hinein oder setzte sie mindestens unter Felsvorsprünge, damit sich über dem Dach der Häuser das vertraute Dach der Felsenhöhle wölbte. Oft erscheinen deshalb diese Pueblo-Behausungen nur wie verkleidete Eingänge oder Vorräume zu den natürlichen Höhlen, die sich hinter ihnen in das Berginnere erstrecken und die immer noch zu Wohnzwecken oder zur Anlage von Vorratsräumen ausgenützt werden. So wie die alten halb oder ganz unterirdischen Grubenhütten nur einen einzigen Raum enthielten, so wurden auch die Steinhäuser zunächst nur einräumig gebaut. Je eine Familie — Vater, Mutter und Kinder — wohnte darin beisammen. Heiratete ein Sohn oder eine Tochter, so wurde für die jungen Leute ein zweites ganz gleichartiges Haus angebaut. Im Laufe der Zeit entstanden ganze Häuserzüge, die eine größere oder kleinere Sippe beherbergten. Der Grundriß eines solchen Sippenhauses ist einer Kette zu vergleichen mit vielen einzelnen Gliedern. Für die Aufbewahrung von Vorräten errichteten die Alt-Indianer in den einzelnen Wohnräumen entsprechende Behälter aus Lehm, oder man legte getrennt von den Häusern eigene Bauwerke an, manchmal in der Form riesiger Töpfe. Den Mittelpunkt jedes Wohnraumes bildete die Feuerstelle, so 11
Außenansicht einer Kiva. Das tief in der Erde steckende Bauwerk ragt nur wenig über den Boden hervor. Eine Treppe führt zu dem flachen Dach, von wo der Einstieg in den unterirdischen Kultbau erfolgt wie es schon bei den Grubenhütten gewesen war. Sie bestand aus einer einzelnen Steinplatte oder aus einer flachen Mulde, die mit Lehm ausgestrichen oder mit Steinen ausgekleidet war. Ein nahe über dem Fußboden angebrachtes Loch führte in einen in der Wand nach oben steigenden Kamin. Manchmal genügte auch die einzige Lichtöffnung als Rauchabzug. Die Türe zu jedem der Häuser war schmal und niedrig und hatte eine sehr hohe trennende Schwellenbrüstung, über die man steigen mußte. So war man nicht nur geschützt gegen Witterungseinflüsse, sondern wahrte auch das Bewußtsein der Abgeschlossenheit nach draußen. Das Zusammengehörigkeitsgefühl dieser Menschen war stark ausgeprägt. Schon die alten Grubenhütten waren stets in größerer Zahl nahe beieinander angelegt worden. So baute man auch die Steinhäuser fast immer in Gruppen, so daß dorfähnliche Siedlungen entstanden. Hier konnte dann ein ganzer Stamm von Bluts12
verwandten wohnen, ohne daß die einzelnen Sippen einander störten. Aus dieser Wohnweise ist der Sammelname ,Pueblos' entstanden. Das spanische Wort ,pueblo' — das mit dem lateinischen Wort populus, Volk, zusammenhängt — bedeutet Dorf; der Name ,Pueblo' bezeichnet den ,Dörfler' oder ,Dorfbewohner'. Trotzdem ist dieser Name nicht ganz zutreffend; denn die unter dem Begriff Pueblos zusammengefaßten Indianervölker haben nicht nur in Dörfern gewohnt, sondern oftmals auch in ganz eigenartigen Riesenbauten, die sozusagen eine ganze Stadt in einem einzigen gewaltigen Bauwerk zusammengefaßt darstellten. Diese Riesenhäuser gehören zum Seltsamsten und Erstaunlichsten, was die indianische Architektur, was die Baukunst der Welt überhaupt hervorgebracht hat. Nach ihnen —• und nicht nach ihren ,Dörfern' — hätte man die Alt-Indianer des Südwestens der USA benennen sollen.
Indianische Mammutbauten Die einfachen und die hintereinandergereihten Hausbauten der Pueblo-Indianer sind im Laufe der Jahrhunderte auf vielerlei Weise umgestaltet worden. Die Vermehrung der Bevölkerung erforderte neue Gebäudearten, die kulturelle Höherentwicklung verlangte baulich andere Formen. Alles, was die „Architekten" der Pueblos geschaffen haben, ist so überraschend neu und einmalig, daß es noch heute Erstaunen erregt. Eine Weiterentwicklung der einmal gegebenen Grundform war schon die Errichtung mehrstöckiger Häuser, die bis zu vier oder fünf Etagen aufwiesen. Die Siedlungen aus solchen mehrstöckigen Häusern, die durch Aneinanderreihung zu planmäßigen runden oder viereckigen Großanlagen zusammengefaßt wurden, kann man nicht mehr als Dörfer bezeichnen. Es waren vielmehr schon richtige ,Städte', die mit ihren flachen Dächern und den glatten weißen Mauern stark an südeuropäische oder nordafrikanische Stadtanlagen erinnern. In manchen Gegenden — so etwa im südöstlichen Utah — wurde die Stadt von einem mächtigen Stadt-Turm überragt, der als Auslug diente, zugleich aber gottesdienstliche und gemeindliche Bedeutung 13
hatte. In diesen Türmen fanden Versammlungen der Mitglieder der Sippen statt, und von den Zinnen herab wurden dem Volk behördliche Bekanntmachungen verkündet. Die runden oder viereckigen Türme waren Festung, Kirche und Bathaus zugleich. Spricht schon aus der Anlage dieser Türme das Bedürfnis nach Schutz und Verteidigung gegenüber stammfremden Feindvölkern, so ergibt sich der Wille zur Sicherung gegen Überfälle noch deutlicher aus den befestigten Siedlungen und richtigen Wallburgen, die man entdeckt hat. Im mittleren Gila-Gebiet des südlichen Arizona finden sich die Ruinen großer Häusergruppen, in denen jedes Haus mit einem eigenen Wall aus Lehmziegeln umgeben gewesen ist. Manche dieser umwallten Häuser umfaßten in jedem Stockwerk über 200 Zimmer; da viele Häuser drei oder vier Stockwerke besaßen, die heute nicht mehr erhalten sind, waren in einem einzigen dieser Gebäude 600 bis 800 Wohnräume vereinigt. Bechnet man für jedes der Zimmer nur eine Belegung mit drei Personen (Vater, Mutter und Kind), so kommt man auf eine Gesamtzahl von 2000 bis 3000 Personen in einem einzigen Hause. Es waren umwallte Biesenburgen, die hier nahe beieinander standen, um den feindlichen Nordvölkern Trutz zu bieten. In diesen Riesenbauten waren die Wohnräume um einen oder mehrere Innenhöfe gruppiert, in denen sich das Gemeinschaftsleben abspielte. Wegen der Verschachtelung der Bäumlichkeiten konnten nur die an der Außenseite oder nach den Höfen hin gelegenen Zimmer Fenster besitzen. Die übrigen Bäume lagen in ständiger Dunkelheit — wie die einstigen Höhlen. Luft drang durch geschickt angelegte Ventilations-Schächte in das Innere. Nicht immer waren diese an Termitenbauten erinnernden Riesenhäuser umwallt, die bauliche Anlage zeigt viel Abwechslung. Besonders merkwürdig ist das sogenannte ,Bote Haus' am Fuß des Navaho-Mountain in Arizona. Eine steil aufsteigende Felswand öffnet sich hier zu einer gewaltigen Höhle, die einige der beschriebenen ,Höhlendörfer' birgt. Davor aber erhebt sich ein mit roter Erdfarbe gestrichenes — heute nur noch als Ruine vorhandenes — Steinhaus von 30 Meter Länge, an das sich rechts und links kurvenförmig je eine weitere Häuserreihe anschließt, jede 70 Meter lang. Die Bauten umschließen einen großen Hof, lassen aber gegenüber 14
dem Hauptgebäude ein Tor frei, das wieder von Gebäuden flankiert ist. Auch hier wird durch die ringförmige Anordnung des ganzen Bauplanes die Abgeschlossenheit nach außen erreicht. Das Bauwerk war zweistöckig und enthielt rund 120 Zimmer. Es konnte 300 bis 400 Personen beherbergen. Eine ähnlich ringsumschlossene Anordnung ist auch an einigen großen Bauanlagen in Neu-Mexico zu erkennen. Sie waren drei- bis vierstöckig und hatten einen D-förmigen Grundriß. Die geradlinige Seite erstreckte sich über eine Länge von 170 Meter, aus den Ruinen der Erdgeschosse lassen sich noch rund 300 Einzelräume feststellen. Jedes dieser Riesenhäuser muß also über 1200 bis 1500 Zimmer verfügt haben, was einer Gesamtbelegung mit 3500 bis 4500 Personen entsprechen würde. Besonders überraschend erscheint ein riesiges Gemeinschaftshaus, dessen Ruinen bei Dewey Fiats in Arizona liegen. Hier sind die Zimmer in vier Kreisen umeinander angeordnet und umschließen einen runden Innenhof. Der Durchmesser dieses an das altrömische Kolosseum erinnernden gigantischen Bauwerks beträgt hundert Meter. Der Grundriß weist rund hundert außergewöhnlich geräumige Zimmer auf. Die Gesamt-Zimmerzahl dieses Riesengebäudes muß 400 bis 500 betragen haben. Der Innenhof öffnet sich nach Süden in einen breiten Torweg, durch den der Verkehr flutete. Auch hier konnten nur die an der Außenseite sowie an der Hofseite gelegenen Zimmer Fenster besitzen, während die übrigen Räume ohne Licht blieben und nur durch hochgezogene Schächte mit Frischluft versorgt wurden. Bei diesen monumentalen Häusern ist jeder Vergleich mit modernen Großbauten unzulänglich; am ehesten lassen sich die eigenartigen architektonischen Schöpfungen mit den Riesenhotels amerikanischer Großstädte vergleichen, in denen oft tausende Gäste zugleich wohnen können. Diese baulichen Leistungen der Pueblo-Indianer erwecken noch heute unser Staunen, zumal in ihnen der Wunsch jener Indianervölker nach dem Höhlenhaften. Dunklen und der Abgeschlossenheit von der Tageswelt deutlich zum Ausdruck gekommen ist.
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Die Unterirdischen leben Der Glaube an die Herkunft der Menschheit aus der Unterwelt beherrschte und beherrscht heute noch das ganze Denken der Pueblo-Indianer und liegt auch ihrem religiösen Brauchtum zugrunde. Ihr Gottesdienst ist gleichsam eine immer wiederholte Verbildlichung jenes in die Urzeit verlegten mythischen Ereignisses. Religion war und ist für diese Pueblos eine seelische Wiederanknüpfung an die sagenhaften Ursprünge aus der dunklen Tiefe der Erde und ein lebendiges Bewahren von Vorstellungen, die sich in der Frühzeit ihres Volkes gebildet haben: den Vorstellungen von der Großen Mutter Erde und deren unterirdischem Reich, aus dem alles Leben gekommen ist und zu dem es wieder zurückkehrt. Diese im Dunkel wohnende Erdmutter könnte der germanischen Unterweltsgöttin ,Hel' oder ,Holle' gleichgestellt werden, wie auch sonst die Pueblo-Indianer manche auffällige Gemeinsamkeiten mit den Germanen aufweisen. Nicht weil sie etwa Germanen gewesen wären, sondern, weil mindestens ein Zweig ihrer Vorfahren einmal in Asien beheimatet gewesen ist, von wo auch die Urväter der Germanen gekommen sind. Die Große Erdmutter war die einzige Gottheit, welche die alten Pueblo-Indianer verehrten. Erst später wurde ihr auch ein männlicher Partner beigegebn, der aber kaum eine besondere Rolle gespielt hat. Die Verehrung der Muttergottheit war ursprünglich nicht nur allen Altvölkern Nord- und Südamerikas gemeinsam, sondern ist eine Eigentümlichkeit fast aller Urvölker der Welt. Bei den Pueblos hat sie sich am lebendigsten und besonders deutlich erhalten. Die Erdmutter wurde in Form von Tonfiguren auch bildlich dargestellt. Es waren kleine plastische Bildwerke von nur 12 bis 20 Zentimeter Länge, ohne Arme und Beine, meist unbekleidet oder nur mit Kopf-, Hals- und Hüftschmuck versehen. Der männliche Partner wurde in ganz ähnlicher Weise dargestellt. Solche Tonfiguren entdeckte der Farmer Pillings in der später nach ihm benannten Höhle. Außer diesen Tonbildern hat man bisher kaum andere Bildwerke bei den Pueblos aufgefunden. Alles was sonst noch an Phantasiewesen die religiöse Gedanken16
Inneres einer Kiva. Vorn rechts der aus der Tiefe kommende Sipapu-Schacht, daneben die Feuerstelle in Gestalt eines Steinwürfels, in der Mitte der Altar mit dem dahinter angebrachten „Kamin". An der Wand die Sitzreihen weit dieser Indianer bevölkerte, waren Geister und dämonische Tiergestalten, die nur in Maskentänzen verbildlicht wurden. Geheimste Mittelpunkte der religiösen Feiern waren unterirdische Bauwerke, die in ihrem Aufbau noch das alte ,Grubenhaus' wiederspiegelten, aber viel sorgfältiger ausgeführt und reicher ausgestattet wurden. Auch bei anderen Völkern läßt sich nachweisen, daß älteste Formen des Wohnungsbaus in späteren Zeiten noch in der Bauform der Heiligtümer oder der Grabanlagen beibehalten wurden. Die Größe der geheimen unterirdischen ,Gruben-Heiligtümer' der Pueblos schwankt zwischen vier bis zwölf Meter Durchmesser und 2,5 bis vier Meter Höhe. Die Wände waren mit Stein ausgemauert oder sauber mit Lehm verstrichen, der Boden mit Steinplatten gepflastert. Die Decke bestand aus einer flachen Balkenlage, die eine dicke Schicht aus Reisig und Lehm trug. Vielfach ragen die Stein17
wände noch ein kurzes Stück über die Erdoberfläche hervor. Der einzige Zugang führte in jedem Falle durch ein Loch in der Decke, auf einer Leiter stieg der Besucher in das Innere, das im Finsteren lag. Diese unterirdischen Kultbauten sollen an jene ,Kiva' genannte Feuerhöhle erinnern, in der sich nach dem Glauben der Pueblos die Menschen und Tiere auf der vierten Stufe ihres Daseins aufgehalten haben, nachdem sie aus der noch tiefer gelegenen Urhöhle der dritten Stufe des Daseins emporgestiegen waren. Deshalb sind die Kulträume genau so ausgestattet, wie es die Sage von jener ältesten Kiva der Menschheit zu erzählen weiß: In der Mitte der Kiva befand sich die Feuerstelle, auf der das erste Feuer loderte, dessen die Menschen ansichtig geworden sind. Nördlich von dieser Feuersteile führte ein Schacht in die Tiefe, der jenes vom Mottenwurm gebohrte Loch darstellte, das von der Urhöhle nach der Kiva-Höhle hinaufleitete. Südlich von der Feuerstelle erhob sich der Altarstein, den einst die Menschen in der Feuerhöhle zu Ehren der Großen Mutter Erde errichtet hatten. Unmittelbar hinter diesem Altar stein aber zeigte die Ummauerung eine Öffnung, die in jenen zur Oberfläche führenden Kamin leitete, den der Mottenwurm entdeckt hatte und durch den dann die Menschen und Tiere zum Licht des Tages emporgestiegen waren. Auf dem Altarstein aber lag das tönerne Sinnbild der Großen Mutter Erde, so wie der Farmer Clarence Pillings es ausfindig gemacht hatte. In späterer Zeit sind die Einrichtungen der älteren Kiva-Kulturhäuser bis zur bloßen Andeutung vereinfacht worden. Der SipapuSchacht, der symbolisch in die Urhöhle hinabführte, schrumpfte zu einem kleinen Loch im Boden zusammen oder wurde einfach durch ein kleines in die Erde eingesenktes Tongefäß dargestellt. Der einst umfangreiche Altarstein verkleinerte sich zu einer schmalen senkrecht stehenden Steinplatte, und die einst ebenfalls sehr groß und architektonisch reich ausgestaltete Feuerstelle wurde zu einer bloßen Mulde im Boden, nicht anders als der Feuerplatz in jeder Hütte. Der Grundgedanke aber blieb, und er ist heute noch aus jeder solchen Kiva der Pueblos abzulesen, sofern man das Glück hat, ein solches Heiligtum betreten zu dürfen oder wenigstens einen Blick in seine Tiefe zu tun. Denn die Kiva gehört immer noch zum sorgfältig und 18
ängstlich gehüteten Geheimnis jedes Stammes. Nur Auserwählten ist der Zutritt erlaubt. Da sich der ganze Kult der Pueblo-Indianer um die Muttergottheit bewegte, übten ursprünglich besonders Frauen das Priesteramt aus, entsprechend der hohen Stellung, welche die Frau im Gemeinschaftsleben des Volkes einnahm. Wie bei den meisten andern Völkern ist aber auch bei den Pueblos im Lauf der Entwicklung der Mann an die Stelle der Frau getreten; heute darf kein weibliches Wesen mehr eine Kiva betreten. Die religiösen Zeremonien werden ausschließlich von Männern vollzogen. Die Kiva steht meist in der Mitte der Siedlung oder im Mittelpunkt der Innenhöfe der Massenhäuser. Manchmal aber besitzt jede einzelne Sippe einer Stammesgemeinschaft ihre eigene Kiva. Rings um die Kiva breitet sich stets ein geräumiger Festplatz, auf dem die gottesdienstähnlichen Gemeinschaftsfeiern — vor allem die Maskentänze — veranstaltet werden. An den Feiern nehmen Männer, Frauen und Kinder teil, sie dauern oft mehrere Tage und Nächte. All diese Veranstaltungen sind auf die Große Mutter Erde und die auf sie bezogenen Glaubensvorstellungen ausgerichtet. Doch treten gleichzeitig auch Geister und geisterhafte Wesen als phantastische Masken auf, unter denen besonders der Adler und die Schlange eine Rolle spielen. Die Erdmutter wird durch einen die Schlange anzeigenden Reifen dargestellt, durch den der den Adler verkörpernde Maskentänzer während des Tanzes wiederholt hindurchschlüpfen muß, um so sein Hervorkommen durch die enge Öffnung des Unterweltschachtes zu versinnbildlichen. Im Innern der Kiva, deren Dunkel nur von den auf der Feuerstelle lodernden Flammen geisterhaft erhellt wird, begehen indes die Häuptlinge und Zauberpriester als Vertreter des ganzen Stammes die Erinnerungsfeier an die geheimnisvolle Geburt der Menschheit aus der Erdentiefe. Sie versetzen sich in die sagenhafte Zeit der Ursprünge zurück und wiederholen symbolisch noch einmal den ganzen Entwicklungsgang aller Erdengeschöpfe. Durch einschläfernde Mittel versenken sie sich in den todähnlichen Schlaf, der am Anfang der Dinge alles Lebendige umfing; erst nach Stunden erwachen sie aus der Bewußtlosigkeit, steigen dann in feierlicher Weise aus dem Sipapu-Schacht empor, begrüßen das lichtspendende 19
Feuer, huldigen der Großen Mutter Erde auf dem Altarstein und kriechen durch den Kamin hinter dem Altarstein hinauf an die Erdoberfläche, wo sie als die Wiedergeborenen jubelnd von der Gemeinde empfangen werden. Oft führt dieser Kamin nicht senkrecht aufwärts unmittelbar ins Freie, sondern verläuft schräg nach oben und mündet — im Wohnraum der ältesten Großmutter des Gemeinwesens. Dieser Raum nämlich gilt als besonders heilig und wird deshalb gern zur Abhaltung der Empfangszeremonien für die wiedergeborenen Unterirdischen benützt.
Der göttliche Ball
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Vieles, was heute .Spiel' ist, war bei den frühen Völkern oft ein heiliger und mit religiösen Gedanken sich vollziehender Vorgang. Manche Arten des Würfel- und Brettspiels, auch Sportspiele wie Speerwerfen, Diskuswerfen, Wettlauf, Ringkämpfe, hatten vielfache Bedeutung im Dienste der Götter oder bei den religiösen Weihe- und Opferhandlungen. Ehrwürdig war allen alten Kulturvölkern vor allem das Ballspiel, das in verschiedener Weise in der Nähe der Tempel mit kleinen Bällen nach Art des Feder-, Schlagoder Tennisballs oder mit Bällen von der Größe eines Faust- oder Fußballs gepflegt wurde. Die Spieler aber waren Könige oder Häuptlinge und Priester. Der Ball oder die Kugel hatte für die alten Völker an sich schon hohen sinnbildlichen Wert, da die Kugel als das vollkommenste, ja gottähnliche körperhafte Gebilde angesehen wurde. Der fliegende Ball galt als unmittelbares Abbild des Mond-, Sonnen- und Sternenlaufes. Auch die Pueblo-Indianer pflegten das religiöse Ballspiel und verwendeten große Sorgfalt und Mühe auf die Ausgestaltung der Spielplätze. Als Ball diente eine große Kugel aus massivem Gummi. Der Ball wurde mit dem Fuß angeschlagen, mußte aber mit der Hüfte pariert werden, ähnlich wie wir den Fußball oft mit dem Kopf parieren. Der Ball war so schwer und hart, daß die Spieler entsprechend feste Lederbandagen umlegten, um sich vor Verletzungen zu schützen.
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Das Spiel wurde erschwert durch mancherlei künstlich aufgerichtete Hindernisse und ausgeklügelte Spielregeln. Der Ball mußte zum Beispiel durch hoch angebrachte Steinringe getrieben und über bestimmte Bahnen bewegt werden. Denn er war in seiner Bewegung ja ein Abbild des Mondes oder der Sonne. Der Verlauf des Spiels wurde mit größter Anteilnahme verfolgt. Der ganze Stamm beteiligte sich als Zuschauer. Es wurden Wetten von oft schwindelnder Höhe abgeschlossen. Es konnte einer reich oder arm dabei werden. Als Spielfeld dienten große umwallte Plätze außerhalb der Siedlung. Zu ihnen pilgerte das Volk und verbrachte viele Tage draußen im Freien. Meist hatten die Spielplätze ovale oder elliptische Gestalt. Sie hatten keine festgelegte Größe. Es gab Plätze von 30 : 70 Meter Umfang, andere maßen nur 16 : 33 Meter. Ein Erdwall umzog das
Links: Tonfigur, Abbild der Großen Mutter Erde, aus der Pillings-Höhle, rot bemalt, 16 cm hoch. Rechts: Grundmauern eines Riesenhauses aus Arizona, Durchmesser 100 m
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Spielfeld, oftmals wurde der Wall noch durch Felsstücke verstärkt. Die Höhe der Umwallung betrug oft über zwei Meter. Fast immer waren die Plätze nord-südlich ausgerichtet. Diese Richtung spielte auch bei den übrigen Bauwerken der Pueblos eine große Rolle und deutet darauf hin, daß der Pueblo auch an Zusammenhänge des Irdischen mit der Gestirnswelt glaubte. Um das Spiel zu erleichtern, wurden die Wände der Umwallung auf der Innenseite fast senkrecht mit einer Schicht hartem Lehm überzogen. Auch der Platz selbst war durch eine Lehmschicht geglättet und gefestigt, der Boden sank nach der Mitte des Platzes ab. Hier war ein Stein aufgerichtet, der bei der Bewegung des Balles beachtet werden mußte. An der Innenseite des Walles waren auch die Steinringe befestigt, durch die der Ball geworfen oder gestoßen werden mußte. Außer zum Ballspiel wurden diese umwallten Plätze auch zu anderen öffentlichen Zwecken, zu Tänzen, Prozessionen und zu den Volksversammlungen verwendet. Im Gegensatz zur Kiva — der geheimnisvollen ,versunkenen Kammer' — standen sie dem gewöhnlichen Sterblichen offen und bildeten eine Art Zwischenstufe zwischen geweihtem und weltlichem Bezirk. Oft mag bei den Zuschauern das sportliche Interesse größer gewesen sein als das religiöse, besonders bei den Pueblos der südlicheren Pueblo-Länder, deren Geist lebendiger und spielerischer war als der der zentral gelegenen Landstriche. Von den Angehörigen dieser Stämme berichtet eine alte Überlieferung, daß sie seinerzeit nach ihrer Heraufkunft ans der Unterwelt nichts eiligeres zu tun gehabt hätten als — Karten zu spielen.
Wasser im Wüstenland Die Vorfahren der Pueblos haben sich von der Beute der Jagd und des Fischfangs oder von den Wurzeln und Früchten wildwachsender Pflanzen ernährt. Das Jagen und Fischen lag in den Händen der Männer, das Einsammeln der Wildgemüse und Wildfrüchte besorgten die Frauen. Ihnen oblag auch der Anbau gewisser Nutzpflanzen im Umkreis der Wohnstätten. Gegenüber dem schwankenden Jagdglück der Männer bedeutete das Ergebnis der weib22
liehen Feldarbeit eine gesichertere Ernährungsgrundlage und verschaffte dadurch der Frau eine höhere gesellschaftliche Stellung. Das Übergewicht der Frau verstärkte sich, als das primitive Einsammeln und das beschränkte Anbauen von Nutzpflanzen allmählich in einen richtigen und umfassenden Ackerbau überging, der ebenfalls lange Zeit das Arbeitsfeld der Frau blieb. Da geeignete Großtiere fehlten, ist es in den Pueblo-Ländern nie zur eigentlichen Viehzucht gekommen, die in anderen Kulturkreisen dem Mann die beherrschende Stellung zu verschaffen vermochte. Der Mann hätte bei den Pueblos dauernd unter der Herrschaft der Frauen bleiben müssen, wenn nicht seine Überlegenheit in allen technischen Dingen allmählich zu einer Änderung des Verhältnisses geführt hätte. Der Erfindungsgeist des Mannes war es, der an die Stelle der ehemaligen Grubenhütten feste Steinhäuser und schließlich Riesenbauten setzte, die ganze Völker beherbergen konnten; er bemächtigte sich auch der Landwirtschaft, indem er die primitiven Werkzeuge zur Bodenbearbeitung verbesserte und aus dem urzeitlichen einfachen Hackbau den groß angelegten Ackerbau entwickelte. Wenn die Arbeit auf den Äckern immer noch vorwiegend der Frau überlassen blieb, so war es doch der Mann, der die Äcker überhaupt erst zur Anpflanzung im Großen geeignet machte. Der Acker braucht Wasser, Wasser aber war in vielen Teilen der Pueblo-Länder knapp. Manche Gebiete waren reine Wüsten. Anfangs spielte das keine große Rolle, denn es gab genug Siedlungsraum, der buchstäblich im Wasser schwamm. Die Frühbewohner beschränkten sich auf diese Teilgebiete und ließen das übrige Land unbebaut. Mit der Zunahme der Bevölkerung aber sah man sich gezwungen, immer größere Bodenflächen zur Bebauung heranzuziehen. Künstliche Bewässerungsanlagen wurden notwendig; sie erforderten männliche Erfindungsgabe und Organisationskraft. Hier trat wieder der Mann in den Vordergrund. Die Bewässerungsanlagen der alten Pueblos sind von erstaunlicher Großartigkeit und halten den Vergleich mit denen der Sumerer und Babylonier des Zweistromlandes am Euphrat und Tigris aus. Man errichtete Dämme aus Felssteinen, Baumstämmen und Erde und schuf große und weitverzweigte Kanalsysteme. Das ganze Volk baute 23
daran mit. Die Männer planten die Anlagen, schlugen die Steine aus den Felsen und förderten sie heran, die Frauen mischten Lehm und Sand, die Kinder schleppten Reisig und Schlingwurzeln herbei, die den Dämmen inneren Halt geben und das Abschwemmen der Erde verhindern sollten. Das Wasser wurde oft bis zu dreißig Kilometer weit hergeleitet und verteilte sich dann in eine Unzahl kleinerer Kanäle und berieselte die Felder. Die großen Ströme des Landes führten in der Frühzeit derPuebloVölker mehr Wasser als heute. Diese gewaltigen Fluten zu dämmen und sie in den vorgeplanten Lauf zu zwingen, bedeutete eine fast übermenschliche Leistung angesichts der Tatsache, daß für die Riesenarbeit nur Steinwerkzeuge zur Verfügung standen. Nicht selten mag es unter dem Ansturm der Wogen zur Zeit der Schneeschmelze zu Dammbrüchen und Überschwemmungen gekommen sein, die das ganze Volk auf den Plan riefen, um den Naturgewalten Trotz zu bieten und den Schaden auszubessern. So entwickelte sich ein starker Gemeinschaftsgeist, der vom Manne gelenkt wurde, während das Weib immer mehr an die zweite Stelle rückte. Trotzdem hielt man die Frau nach wie vor in hoher Achtung. Sie hatte zwar im Rat der Männer zu schweigen und war von der Teilnahme an den geheimen Zeremonien in der Kiva ausgeschlossen — aber als Vertreterin der Großen Mutter Erde genoß vor allem die Stammesälteste auch weiterhin eine fast religiöse Verehrung.
Handwerk und Phantasie In der Kultur der einzelnen Pueblo-Völker bestehen mancherlei Unterschiede, dennoch überwiegen die Gemeinsamkeiten. Überall läßt sich bei ihnen eine stetige Höherentwicklung erkennen, die aus eigenem Antrieb erfolgte oder durch äußere Einflüsse und die Zuwanderung fremder Volksgruppen gefördert wurde. Gemeinsam war allen die altsteinzeitliche Werkzeugtechnik, die aber ohne Bruch in jungsteinzeitliche Formen überging. Der Hauptunterschied zwischen diesen beiden Entwicklungsstufen besteht darin, daß die altsteinzeitlichen Werkzeuge lediglich durch Schlag und dadurch bewirkte Absplitterung des Feuersteins hergestellt wurden, während auf der jungsteinzeitlichen Stnfe die Be24
arbeitung der Werkstücke durch Schleifen, Feilen und nachträgliches Polieren des Steins erfolgte. Das Schleifen und Polieren ermöglichte die Verwendung jeder beliebigen Gesteinsart und die Herstellung großer Äxte und Hämmer, die sich aus Feuerstein nicht anfertigen ließen, eben weil er zu sehr splitterte. Solch schwere Schlagwerkzeuge waren aber für die Bewältigung höherer technischer Aufgaben unumgänglich notwendig. Nur mit ihrer Hilfe vermochte man dicke Bäume zu fällen und sie" zu Balken und Bohlen zn verarbeiten. Auch das Ausbrechen größerer Steintrümmer ans den Felsen verlangte entsprechend wuchtige Werkzeuge. Nicht zuletzt waren auch die umfangreichen Erdarbeiten nur mit großen Pickeln und Spaten durchführbar. Die Erdarbeiten beschränkten sich nicht nur auf die
Mit sicherer Hand verziert der Indianer die selbstgedrehten Töpfe und Schalen mit den alten Ornamentmustern der Pueblo-Kunst 25
Anlage von Dämmen und Kanälen, sondern bildeten auch die Grundlage für den Bergbau, den die Pueblos in immer größerem Ausmaß betrieben, um das lebensnotwendige Salz zu gewinnen. All diese technischen Leistungen waren nur möglich durch die Entwicklung der Steinindustrie aus der altsteinzeitlichen Primitivität zur jungsteinzeitlichen Höhe. Bei allen Indianern finden wir schon in frühesten Zeiten auch die Kunst des Flechtens hoch entwickelt. In einer Höhle im Staate Oregon entdeckte man im Boden Hunderte wunderbar geflochtener Sandalen, die aus der Zeit um 7000 v. Chr. stammen müssen, da die Höhle seit jener Zeit durch einen Vulkanausbruch verschüttet gewesen war. Auch das Flechten von Matten, Körben und selbst von Gewandstücken ist uralt. Als Material dienten Zweige, Schlingwurzeln und Pflanzenfasern aller Art, besonders solche der YuccaPflanze. Die ältesten Pueblos waren so geschickte Flechtmeister, daß man sie schlechthin als „die Korbflechter" bezeichnet. Nahe verwandt mit dem Flechten ist das Weben. Der Unterschied besteht eigentlich nur in der geringeren oder größeren Feinheit des Materials. Wir nennen eine Matte aus groben Fasern ,geflochten', ein gleiches Stück aus feinen Fasern dagegen ,gewebt'. Das Weben erfolgte ursprünglich in genau derselben Weise wie das Flechten, indem man zwischen die ausgespannten ,Ketten'-Stücke ein ,Schuß'Stück nach dem andern einschob. Auch die Webkunst der Pueblos muß uralt sein, obwohl sich aus sehr frühen Zeiten nichts erhalten hat. Aber die Webereien, die wir aus späteren Epochen kennen, sind so hervorragend, daß sie eine lange Entwicklung voraussetzen. Sehr alt ist bei den Pueblos auch die Töpferei. Schon aus sehr früher Zeit finden sich tönerne Gebrauchsgegenstände, meist Teller. Diese ältesten Stücke waren jedoch noch nicht gebrannt, sondern an der Luft getrocknet. Erst nach dem Beginn unserer Zeitrechnung kommt das Brennen der Tonware auf. Dann aber entwickelt sich die Töpferkunst rasch zu überraschender Blüte. Reiche Lager von Kaolin lieferten den ausgezeichneten Rohstoff, es ist die gleiche weiße Lehmerde, aus der auch das Porzellan hergestellt wird. Grundfarbe der Pueblo-Keramik war Weiß. Bald aber lernte man, die Gefäße mit Hilfe von Eisenoxyd und anderen Mineralstoffen bräunlich, 26
gelblich oder erdbeerfarbig zu tönen. Die Ziermuster wurden dann in Schwarz, Rot, Grau oder Weiß oder in mehreren dieser Farben zugleich aufgemalt. Die Gefäßformen und Ziermuster waren nicht einheitlich; sie änderten sich in den einzelnen Gebieten und auch in den aufeinanderfolgenden Zeiten. Bei den Gefäßformen bildete man zunächst Lederbeutel, Kürbisschalen, Holzteller und andere schon vorher in Gebranch gewesene Küchengeräte nach, während man sich bei den Schmuckmustern an Muster der Weberei und Korbflechterei hielt. Dann siegte die Phantasie. Ein Teil der Künstler begann mit der Darstellung von Kleintieren — sie zeichneten Insekten, Krebstiere und ähnliche Lebewesen aus ihrer Umwelt. Sie hielten sich nicht genau an die Vorbilder, änderten aus stilistischen Gründen ihre Formen, verbanden sie mit dem Spiel geschwungener Linien, so daß zuletzt aus den Käfervorbildern Mischgebilde aus Lebendigem und Leblosem geworden waren. Das ist das echt Indianische an dieser Kunst. Andere Künstler dagegen arbeiteten völlig geometrisch, sie gingen von keiner Naturform aus. Sie brachten vielmehr durchweg Spiralen, Zickzacklinien, Treppenmuster oder Mäander, die in reicher Vielfalt bunte Wirkungen ergaben. Diese aus dem Rahmen der übrigen Indianerkunst herausfallende Schmuckweise wirkt um so seltsamer und überraschender, als sie große Ähnlichkeit zeigt mit den Schmuckformen, die mehrere Jahrtausende vorher in der sogenannten ,Bandkeramik' aufgetreten waren, die sich in breitem Gürtel von Ostasien bis in das westliche Europa ausgewirkt hätte.Welche rätselhaften Beziehungen hier vorliegen, istnoch unerforscht. Da wir aber immer mehr erkennen lernen, wie viele Gemeinsamkeiten zwischen den Frühkulturen Amerikas und den Altkulturen Asiens bestehen, wird man an keinen bloßen Zufall glauben. Von den keramischen Schöpfungen der Pueblos geht ein ungewöhnlicher Zauber ans, und wir wissen oft nicht, ob wir mehr die Vollendung des handwerklichen Könnens oder mehr die Höhe der Phantasieleistung bewundern sollen.
Bilder auf Fels und Sand Felsbilder finden sich in ganz Nordamerika, am häufigsten aber im Westen und in den alten Pueblo-Ländern. Sie stammen aus un27
vordenklichen Zeiten und sind kaum genau zu datieren. Meist erscheinen sie in die senkrecht aufsteigenden Wände der großen Stromtäler — der Canyons — eingemeißelt oder eingeritzt. Manche sind riesengroß, andere sehr klein. Oft mag einfach die Freude am Kritzeln wirksam gewesen sein. Viele Felsbilder aber sind so sorgfältig ausgeführt und so künstlerisch komponiert, daß in ihnen eine tiefere Absicht verborgen liegen muß. Sie stellen meist kultische Szenen dar mit reich geschmückten Kriegern oder Maskentänzern, aus denen der religiöse Grundgedanke dieser Felsbilder ersichtlich wird. Die Bilder sind zum Teil sehr alt; aber auch die späteren Pueblos haben noch die Innenwände ihrer Häuser und Kivas vielfach mit umfangreichen Wandgemälden derselben Art geschmückt. Besonders merkwürdig sind die noch heute von manchen Bewohnern der Pueblo-Länder angefertigten ,Sandgemälde'. Auch sie gehen sicher auf eine sehr alte Überlieferung zurück. Sie verfolgen zauberische Zwecke und dienen der magischen Krankenheilung. Sandgemälde werden nicht im Freien, sondern in eigenen Kultgebäuden, den ,Gesanghäusern' oder ,Medizinhäusern', unter Leitung der Zauberpriester ausgeführt. Die Kulthäuser entsprechen dem Aussehen nach den alten Rundhütten. Ihr Durchmesser beträgt etwa fünf Meter. Die ganze Bodenfläche dient der Aufnahme des Sandgemäldes, an dessen Ausführung bis zu zwölf Männer arbeiten. Sie beginnen damit, den Boden mit einer fünf Zentimeter dicken Schicht trockenen Sandes zu bestreuen. Während sie eifrig beschäftigt sind, pulverisiert einer der Männer verschiedenfarbige Sandsteinsorten für die gelben, roten und weißen Farbflächen. Schwarz wird durch Verkohlen von Reisig gewonnen. Die Mischung von Schwarz und Weiß ergibt einen graublauen Farbton. Eisenerde wird für die braune Farbe verwendet. Rot und Weiß gemischt ergeben ein Rosa. Wird dieses Rosa mit pulverisiertem Quarz oder ähnlichem Material vermengt, so erhält diese Farbe einen gedämpften perlmutterartigen Schimmer. Von diesen Farben besitzt jede eine bestimmte Bedeutung. Hernach nimmt einer der Männer etwas von den Farbpulvern zwischen Daumen und Zeigefinger und streut es freihändig auf die Bodenfläche. Die Genauigkeit und Schönheit der so entstehenden Bilder läßt sich nicht mit Worten beschreiben. Die farbliche und zeichnerische Anlage der 28
Sandgemälde ist strengen Gesetzen unterworfen und richtet sich nach dem jeweils zu behandelnden Krankheitsfall. Zn jedem Bild gehören ganz bestimmte beschwörende Gesänge und genau festgelegte Zeremonien. Noch heute sind fast vierhundert verschiedene Bildformen in Gebrauch. Zur Darstellung kommen unirdische Wesen, wie die Große Mutter Erde und der Vater Sonne mit den Abbildern des Tages und der Nacht, der vier Winde, des Blitzes und Regens, aber auch Tiergestalten, wie der Präriehund, die Schlange, die Biene, daneben auch Mais, Tabak und ähnliche Nutzpflanzen und schließlich Wolken, Wasserwellen und Regenbogen. Bei der Heilungszeremonie sitzt der Kranke unbekleidet in der Mitte des Sandgemäldes unter dem ,Himmels-Loch', wie die Öffnung im Dach des Gesanghauses genannt wird. Das Gesicht des Kranken ist nach Osten gewendet, er muß sich völlig regungslos verhalten. Nur die Zauberpriester sind in Bewegung, singen die vorgeschriebenen Gesänge und vollziehen die „heilenden" Räucherungen. Nach einer Stunde ist die Handlung beendet. Dann wird der Kranke hinausgeführt, die Zeichnung wird zerstört und der zu ihrer Herstellung verwendete Sand in ein Gefäß gesammelt, das der Priester nördlich des Gesanghauses aufstellt. Kunst, vermeintlicher Zauber und der Wille, gesund zu werden, wirken hier zusammen, und oftmals ist dem Zusammenwirken dieser Kräfte auch Erfolg beschieden. Manche Negervölker Afrikas verfertigen übrigens ganz ähnliche Sandgemälde zu genau demselben magisch-heilenden Zweck. Hier wie in Amerika ist die Ausführung der Bilder erstaunlich kunstvoll, die dargestellten Gegenstände erscheinen dabei oft so hochstilisiert, daß sie nur noch dem Eingeweihten erkennbar sind.
Die Enkel der Großen Mutter Die Pueblos waren nie zu einem einheitlichen Reich zusammengefaßt, sie bestanden von Anfang an — ähnlich den Germanen oder Kelten — aus zahlreichen und recht unterschiedlichen Völkerschaften, die sich erst im Laufe der Zeit bis zu einem gewissen Grad einander anglichen. Rückschauend sieht man jedoch mehr ihre Gemeinsamkeiten als ihre Verschiedenheiten. Gemeinsam war den 29
Pueblos die Vorstellung von der Großen Mutter Erde und der Geburt aus ihr, das heißt aus dem Erdinneren. Aus dieser Grundvorstellung entfaltete sich ihr ganzes übriges Weltbild, ihre Religion und ihre soziale Ordnung; sie äußerte sich selbst in ihrer Bauweise, die sich immer dem Bild der ,Höhle' anzunähern suchte. Gemeinsam war den Pueblo-Völkern — im Gegensatz zu anderen Indianern — auch eine gewisse Milde der Sinnesart. Sie kannten nie den grausigen Blutrausch, der die Azteken Mittelamerikas so erschreckend macht. Sie waren von Natur friedlich und kämpften nur, wenn sie angegriffen wurden. Das verleiht auch ihrer Kunst eine gewisse Harmonie und Ausgeglichenheit, die ihr eine Sonderstellung unter den altamerikanischen Kunstschöpfungen zuweist, trotz ihrer echt indianischen Grundzüge. Ihr Kunstwille war fast ausschließlich auf das Flächenhafte gerichtet und erreichte seine höchste Erfüllung in der Bemalung keramischer Gefäße. Das plastische Gestalten dagegen blieb ihnen weitgehend fremd und bezog sich fast ausschließlich auf die Tonfiguren der Großen Mutter Erde und auf die gelegentliche Darstellung männlich gedachter Überwesen, die manchmal auch in Holzschnitzerei wiedergegeben wurden. So etwa die als ,Tihu' bezeichneten Geistergruppen. Eine bedrohliche Zeit erlebten die Pueblos, als etwa vom 12. Jahrhundert n. Chr. an wilde Fremdvölker aus dem Norden heranzustürmen begannen und sich schließlich auch in großen Gebieten festsetzten. Gegen sie errichteten die Pueblos Wachttürme und Wallburgen; schließlich mußten sie sich dann doch zu Verträgen mit den Eindringlingen herbeilassen. Die Angreifer kamen aus dem fernsten Kanada und wurden von den Pueblos einfach als ,Apachen' (gesprochen: Apatschen) — Feinde — bezeichnet. Die Eindringlinge glichen sich sehr bald der überlegenen Pueblo-Kultur an und störten deren weiteres Dasein nicht. Das Ende der großen Pueblo-Zeit kam erst mit dem Auftreten der Spanier in Nordamerika um die Mitte des 16. Jahrhunderts. Von dieser Zeit an begann der Verfall der alten Pueblo-Kultur. Wenn der Zusammenbruch auch nicht so plötzlich erfolgte wie die Katastrophe der Maya- und Inka-Kultur in Mittel- und Südamerika, so begann doch das Versiegen der inneren Triebkräfte.
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Dreihundert Jahre später wurden die Pueblo-Länder den Vereinigten Staaten von Amerika eingegliedert. Die Pueblos wurden wie die übrigen Indianer Nordamerikas in sogenannten ,Reservationen' — Schutzgebieten — zusammengefaßt, wo sie seitdem ein gewisses Eigenleben führen dürfen. Gleichzeitig wurden fremde Stämme in ihre ehemaligen Wohngebiete umgesiedelt. Zwischen diesen Parzellen breitete sich der Baum des weißen Mannes, der sich zum Herrn des Landes gemacht hatte. So bieten also die heutigen Bevölkerungsverhältnisse in den ehemaligen Pueblo-Ländern ein ganz andersartiges Bild als einst. Die Anpassung an die europäischen Lebensformen schreitet mit Riesenschritten vorwärts. Eine heutige Pueblo-Farm unterscheidet sich oft kaum mehr von einer europäischamerikanischen. Nur aus völkerkundlichem Interesse läßt man noch einzelne Siedlungen in der alten Form weiterbestehen — mit ihren Lehmziegelhäusern, Kivas und Zeremonialplätzen. Auch wird durch den amerikanischen Staat neuerdings viel getan, das einheimische Handwerk — vor allem die Korbflechterei und Keramik — wiederzubeleben und die alten Trachten und Bräuche zu pflegen. Aber das Rückgrat dieses vieltausendjährigen Volkes ist gebrochen. Die Enkel der Großen Mutter sind zu „Fellachen" geworden, die auf den Ruinen einer großen Vorzeit ihre Felder bestellen und ihr Vieh weiden.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bild auf Unischlagseite 2 : Tanzender Pueblo-Indianer. Bildnachweis: USAD; B. Cummings „First inhabitants of Arizona"; N. Morss „Clay Figurins of the American Sonthwest." Karte S. 5 : Anton Eckert.
Lux-Lesebogen (Völkerkunde) Heftpreis 25Pfg. Natur- und kulturkundllche Hefte - Bestellungen (Vierteljahr1. 6 Hefte DM 1.50) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Verlag Sebastian Lux, Murnau, Oberbayern, Seidl-Park. — Druck: Buchdruckerei Auer, Donauwörth 31
Zeit-Tafel 10000—7000 v. Chr. Nacheiszeit. Vorindianische Jägerkulturen mit Feuersteinwaffen, vorwiegend Speere. 7000—2000 v. Ohr. Erste Indianerkulturen auf altsteinzeitlicher Grundlage. 2000—50 v. Chr. EinwanderungsweUe aus Mitteliamerika. Alteste Vorfatiren der Bueblo-Indianer, sog. Korbflechter I. Jungsteinzeitliche Technik. Korbflechterei. Primitiver Hackbau (Mais und Kürbis). Teller und Schalen aus ungebranntem Ton. Hölüenwohnungen, 50 v. Chr.—500 n. Chr. Sog. Korbflechter II. Verbesserung des Hackbaus, der Korbflechterei und Töpferei. Grubenhütten, halb oder ganz untererdig, mit kegelförmigem oder kuppeiförmigem Dach und Erdüberschüttung. Der Hund als einziges Haustier. 500—700 n. Chr. Sog. Korbflechter III. Neue Einwanderungswelle aus Mittelamerika. Viereckige und mehr und mehr obererdige Grubenhütten mit flachem Dach. Einführung von Pfeil und Bogen. Weiterentwicklung des Ackerbaus und der Korbflechterei. Aufkommen gebrannter, bemalter und polierter Tongefäße. Anfertigung schwerer Hämmer, Äxte, Pickel, Mörser, Mahlsteine u. a. aus Felsgestein. 700—900 n. Chr. Sog. Pueblo I und H. Obererdige Häuser aus Felssteinen oder luftgetrockneten Lehmziegeln und Lelimmörtel mit flachem Dach. Unregelmäßig angelegte Dorf Siedlungen mit Festplatz und Kiva. Ausdehnung des Ackerbaus. Aufnahme der Bohnenzucht. Übernahme der Baumwollzucht aus Mittelamerika. Hochentwickelte Töpferkiunst. Künstliche Schädel Verformung (Abflachungidies Hinterkopfes). 900—1300 n. Chr. Große Pueblo-Zeit, sog. Pueblo III. Straffe soziale Organisation. Planmäßig angelegte Dörfer und Städte. Einbau von Häusern in Höhleneingänge. Errichtung von Riesenh&usern als Massenquartiere. Weiträumiger Ackerbau mit Künstlichen Bewässerungsanlagen. Ballspielplätze. Salzbergwerke.. Wallburgen und Wachttürme gegen die eindringenden Nordvölker. Hochentwickluing der Töpferei, Steinindustrie, Spinnerei und Weberei. Dann plötzlicher Eintritt jahrzehntelanger Trockenheit. Viele Siedlungen werden verlassen. 1300—1540 n. Chr. Niedergangszeit und Eroberung durch die Spanier. 1846. Eingliederung der Pueblo-Ländier to die USA. Umsiedlungen. Einrichtung der Reservationen. Nationalparks.
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