Labyrinth des Schreckens von HARVEY PATTON Die Hauptpersonen des Romans: John Cork, Dr. Gargunsa, Juan ...
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Labyrinth des Schreckens von HARVEY PATTON Die Hauptpersonen des Romans: John Cork, Dr. Gargunsa, Juan Lopez, Bert Keller und Doil van Sprengel ‐ Fünf Männer von der ARLENE suchen einen Siedlungsplatz. Nandu Der Wissende und Regla – Der Alte und das schöne Mädchen machen sich auf einen beschwerlichen Weg. Gernai – Meister der Heilerkaste. Ramto – Der Oberpriester von Garal plant eine Teufelei. 1. Notiz im Bordbuch‐Recorder des Raumschiffs ARLENE unter dem Datum des 20.8.2475 (Erdzeit): „Heute will ich endlich das nachholen, was ich infolge der sich überstürzenden Ereignisse seit einiger Zeit versäumt habe. Es wird vielleicht sogar mein letzter Bericht auf diesem Band sein, denn mir und den noch aktionsfähigen Männern und Frauen an Bord wachsen die Probleme über den Kopf. Eins steht bereits jetzt fest: Wenn nicht ein Wunder geschieht, wird unser Schiff wohl nie mehr fliegen können! Wir sind voraussichtlich dazu verurteilt, hier auf Garal zu bleiben. Dabei war es nie unsere Absicht, auf diesem Planeten zu landen. Doch auf dem Rückflug vom Großen Orionnebel zur Erde geriet die ARLENE während des Überlichtflugs in einen Hypersturm. Dessen Strahlung machte alle auf fünfdimensionaler Basis arbeitenden Geräte an Bord unbrauchbar. Der Hyperantrieb versagte, und so hatten wir keine Möglichkeit mehr, das nächstgelegene bewohnte System – Sadir im Sektor Schwan – zu erreichen, ehe uns die Vorräte an Sauerstoff und Lebensmitteln ausgingen. Über Funk um Hilfe zu rufen, war gleichfalls ausgeschlossen, denn auch das Hyperfunkgerät funktionierte nicht. Einfach lichtschnelle Funkimpulse hätten bis zum Sadirsystem volle siebzig Jahre gebraucht. In Zusammenarbeit mit dem Ärzteteam erstellte ich daraufhin ein Konzept, das uns einen halbwegs brauchbaren Ausweg bot. Der Plan sah vor, die Besatzung in Kälteschlaf zu versetzen, währen das Schiff in einfach lichtschnellem Flug nach Sadir IV gesteuert wurde. Dazu hätten wir infolge der Zeitdilatation nur rund zehn Jahre Bordzeit gebraucht und wären praktisch gar nicht gealtert. Dieser Plan wurde jedoch
von der Mehrheit der dreihundert Männer und Frauen abgelehnt. Statt dessen hatte man den Vorschlag meines Gegenspielers Dr. Mbunga angenommen, der vorsah, zuerst das System einer nahegelegenen roten Zwergsonne anzufliegen. Das geschah, und wir fanden den Planeten Garal. Dort entdeckten wir eine von Menschen erbaute Stadt, und ich landete das Schiff in ihrer Nähe. Doch unsere Hoffnung, auf Bewohner mit genügend technischen Anlagen zu stoßen, mit deren Hilfe die Schäden im Schiff behoben werden konnten, erfüllte sich nicht! Die Stadt war uralt, und die Nachkommen der hier notgelandeten Kolonisten waren in die Primitivität zurückgefallen. Wir trafen auf Menschen mit dem Intelligenzniveau von Kindern, und ihre Priester – oder besser Götzendiener – begrüßten uns als Götter von den Sternen… Doch nicht nur die Intelligenz der Bewohner von Garal wurde durch unbekannte Einflüsse reduziert, sondern auch ihre Körpergröße. Die etwa siebenhundert Bewohner der Siedlung sind im Durchschnitt kaum größer als einen Meter! Unsere Wissenschaftler vermuteten einen Zusammenhang zwischen beiden Vorgängen, aber es gelang ihnen nicht, Beweise für diese Theorie zu finden. Es wird ihnen wohl auch nie mehr gelingen, denn inzwischen hat sich etwas Bestürzendes ereignet: Das Phänomen hat auch auf unsere Leute übergegriffen! Sämtliche dreihundert Besatzungsmitglieder sind ebenfalls zu Zwergen geworden. Meine Körpergröße wurde im Laufe einer einzigen Nacht von 188 auf 120 Zentimeter reduziert, die der anderen Männer und Frauen ist in gleichem Maße geschrumpft. Das allein wäre schon schlimm genug gewesen, aber das Schicksal hat uns noch härter mitgespielt. Auch unsere geistigen Fähigkeiten wurden beeinträchtigt und soweit vermindert, daß es jetzt nur noch fünfzig Personen unter uns gibt, die vernünftig denken und handeln können… Die ARLENE ist ein Spezialschiff zur Erforschung fremder Welten, deshalb besteht der überwiegende Teil ihrer Besatzung aus Wissenschaftlern und Technikern. Bestand, muß ich jetzt wohl sagen, denn auch vor ihnen hat der Intelligenzschwund nicht haltgemacht. Das gleiche gilt aber auch für die Männer, die für die Führung und Instandhaltung der ARLENE erforderlich sind. Wenn wir jetzt trotz allem wieder von Garal abfliegen wollten – wir können es nicht mehr! Noch ist nicht abzusehen, welche Probleme sich noch weiter aus all dem ergeben werden. Schon kommen aber neue Schwierigkeiten von außen auf uns zu: Die Priester aus Garal, die uns zuvor schon Proben ihrer Verschlagenheit gegeben hatten, sind jetzt offen zu unseren Gegnern geworden. Die kleinen Menschen waren durch eine lange Dürreperiode in Not geraten. Wir haben alles getan, um ihnen zu helfen, obwohl wir selbst Hilfe gebraucht hätten, aber das zählt plötzlich nicht mehr. Wir büßten mit unserer Körpergröße auch unseren Status als ,Götter’ ein. Wir sind zu lächerlichen Figuren geworden, die niemand mehr respektieren will… Die einzige Ausnahme macht hier wohl die Kaste der Heiler, eine Gruppe von Männern und Frauen, die offenbar Paragaben und eine relativ hohe Intelligenz besitzen. Doch ihre Zahl ist nur klein, und sie werden von den Priestern lediglich geduldet, weil man sie braucht. Von den anderen Stadtbewohnern können wir keinerlei Unterstützung erwarten, sie stehen vollkommen unter dem Einfluß der
Götzendiener. Wie es unter diesen Umständen für uns weitergehen soll, weiß ich nicht, obwohl mein Denken nicht gelitten hat. Noch haben wir die ARLENE als Lebensbasis. Ihre technischen Anlagen funktionieren einwandfrei und stehen uns noch auf Jahre hinaus zur Verfügung. Doch das allein genügt nicht – wir müssen auch etwas zu essen haben! Unsere Lebensmittel an Bord reichen nur noch für drei Monate. Vielleicht auch für vier, denn Zwerge essen ja weniger als normale Menschen… Das ist unsere Galgenfrist, aber was soll dann werden? Wir sind Spezialisten aller möglichen Richtungen, doch keiner von uns versteht etwas von Landwirtschaft. Vielleicht könnten wir uns trotzdem hier behaupten, wenn alle noch ihre frühere Intelligenz besäßen. So aber sehe ich keine Möglichkeit, aus unserer mißlichen Lage herauszukommen. Vielleicht sehe ich auch zu schwarz, weil ich noch ganz unter dem Eindruck der letzten Ereignisse stehe. Wir werden jedenfalls tun, was in unseren Kräften steht. In einer halben Stunde wird eine Beratung aller ,Normalen’ stattfinden, bei der wir unser weiteres Vorgehen festlegen wollen. Sollten sich dabei neue Gesichtspunkte ergeben, würde mich das sehr freuen. Auf jeden Fall habe ich mir jetzt einmal alles vom Herzen geredet. Wer später einmal dieses Band abhört – vielleicht unsere Nachkommen, vielleicht die Besatzung eines anderen Schiffes? –, kann diesem Bericht entnehmen, was mit uns hier auf Garal geschehen ist.“ Captain John Cork, Kommandant der ARLENE, schaltete mit einer müden Bewegung den Recorder ab. Er lehnte sich zurück, und seine zwergenhafte Gestalt verschwand fast in dem jetzt viel zu großen Kontursitz. Er blieb noch einige Minuten so sitzen, schloß die Augen und versuchte, sich zu entspannen. Doch das gelang ihm nicht – die Probleme waren einfach zu groß. Schließlich erhob er sich mit einem Ruck und begab sich zur Schiffsmesse, in der die Beratung stattfinden sollte. * Die fünfzig winzigen Menschen verloren sich fast in dem großen Raum. Sie saßen oder standen mit bedrückten Mienen herum, mehrere Gruppen hatten sich gebildet, die sich halblaut unterhielten. Als der Captain eintrat, verstummten die Gespräche, und alle Gesichter wandten sich ihm zu. John Cork sah in ihren Augen die Hoffnung, die sie in ihn setzten, und unterdrückte nur mit Mühe ein bitteres Lächeln. Ob sie von mir erwarten, daß ich eine Patentlösung aus dem Ärmel schüttle? dachte er sarkastisch. Ich weiß und kann auch nicht mehr als sie – ich bin hier nur ein Zwerg unter vielen anderen… Mit unbewegtem Gesicht begrüßte er Dr. Rappan, den Leiter des Astro‐Teams der ARLENE. Auf seine Initiative hin war diese Konferenz einberufen worden, nachdem eine erste am Vortage nur wenig erbracht hatte. Seine Arbeitsgruppe war mit am schwersten betroffen worden, denn von seinen sieben Mitarbeitern war nur noch Dr. Bella ohne Verstandesreduzierung davongekommen. Er stand neben ihm und wirkte nun wie ein zu dick geratener Junge, gegen den der schmächtige Rappan stark
abstach. „Bitte, nehmen Sie Platz“, forderte Cork die anderen nach einer allgemeinen Begrüßung auf. Es waren achtunddreißig Männer und zwölf Frauen, die sich nun um zwei große Tische gruppierten. Der Captain wandte sich an den einzigen noch normal gebliebenen Messemaat und gab ihm den Auftrag, für alle Kaffee zuzubereiten. Dann ließ er seine Blicke über die anderen gleiten. Sie sahen nun wieder manierlich aus, nachdem sie am ersten Tage nach dem niederschmetternden Ereignis mehr oder weniger halbnackt herumgelaufen waren. Inzwischen hatte John Cork jedoch für Abhilfe gesorgt und durch die Schiffsautomaten neue, passende Sachen produzieren lassen. Die meisten trugen nun einfache blaue Kombinationen, die zwar nicht schön, dafür aber sehr praktisch waren. Einige jüngere Frauen hatten sogar schon Zeit gefunden, sich ihrer jetzigen Größe entsprechende Kleider anzufertigen. John Cork dachte schmerzlich an die Ärztin Anne Young, mit der er befreundet war. Sie gehörte zu jenen, die ihr Wissen verloren hatten, und das war ein schwerer Schlag für ihn gewesen. Rasch verdrängte er diesen Gedanken wieder und wandte sich an Dr. Singh, den Chefarzt der ARLE‐NE. „Wie steht es um unsere Unfallopfer, Doc?“ erkundigte er sich. „Ich bin zufrieden, Captain“, gab der Inder zurück. „Die Durchleuchtungen haben gezeigt, daß alle fünf ohne innere Verletzungen davongekommen sind, und das ist in unserer Lage schon viel wert. Die Arm‐ und Beinbrüche dürften schnell verheilen, die Gehirnerschütterungen sind weitgehend abgeklungen.“ Diese Verletzungen waren direkte Folgen der geistigen Reduzierung und körperlichen Verkleinerung, die nun etwas mehr als einen Tag zurücklagen. Die erste Auswirkung war ein völliges Chaos gewesen, und nur die Flutung des Schiffes mit einem Sedativgas hatte Abhilfe geschaffen. Dann hatten die wenigen Normalgebliebenen wieder für Ordnung gesorgt. Sie hatten zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht überblicken können, welche Unzahl von Problemen sich aus der schlagartigen Verdummung ihrer Gefährten ergab. Diese hatten auch weiterhin versucht, sich in den Antigravschächten zwischen den Schiffsdecks zu bewegen, wie es allgemein üblich gewesen war. Mit dem Verlust ihrer Geistesgaben war ihnen aber auch die Fähigkeit abhanden gekommen, sich in den tragenden Feldern richtig zu verhalten, und das hatte zu den Unfällen geführt. Inzwischen waren alle Schächte abgesichert worden und wurden nur noch von den „Normalen“ benutzt. Für die „Reduzierten“ waren die Nottreppen geöffnet worden, aber nur wenige machten davon Gebrauch. Die meisten blieben in der vertrauten Umgebung ihrer Kabinen, was den ohnehin überlasteten Normalen ihre Arbeit wesentlich erleichterte. „Ah, da kommt unser Kaffee“, meinte Dr. Bella, der allen leiblichen Genüssen sehr zugetan war. Die Klappen in den Tischen öffneten sich, und die Servoautomatik schob die Becher heraus. Der Captain wartete ab, bis sich alle versorgt hatten, dann erhob er sich. „Seit unserer gestrigen ersten Besprechung hat sich nicht viel geändert“, erklärte er
sachlich. „Was in der vorigen Nacht mit uns geschehen ist, bleibt nach wie vor ein Rätsel. Wir müssen uns vorläufig damit abfinden und dem Schicksal dankbar sein, daß es nicht noch schlimmer gekommen ist. Wären wir alle neben der körperlichen auch von der geistigen Reduzierung betroffen worden, wären die Folgen katastrophal gewesen.“ „Sind Sie sicher, daß es auch so bleiben wird, Captain?“ fragte die zierliche Maria Tschwerkowa, die Magazinverwalterin der ARLENE. „Kann die Verdummung nicht auch jetzt noch auf uns übergreifen?“ „Es wäre möglich, aber ich halte es für unwahrscheinlich“, warf der Chefarzt ein. „Ich sehe beide Prozesse jetzt für abgeschlossen an, da sich in den letzten vierundzwanzig Stunden nichts mehr geändert hat. Zumindest unsere geistige Immunität dürfte von Dauer sein.“ John Cork nickte. „Davon gehe ich auch bei den Vorschlägen aus, die ich Ihnen jetzt unterbreiten will. Sie alle wissen, daß unsere Lage in mehrfacher Hinsicht alles andere als erfreulich ist. Nicht nur hier im Schiff hat es einen großen Rückschlag gegeben, sondern auch in den Beziehungen zu den Bewohnern von Garal. Nach dem, was sich gestern in der Stadt zugetragen hat, ist deutlich geworden, daß man dort nichts mehr mit uns zu tun haben will. ,Götter’ haben eben groß und stark zu sein und keine lächerlichen Zwerge, die wir jetzt sind. Natürlich geht der Anstoß zu dieser Entwicklung von den Priestern aus; ihr Einfluß ist jetzt wieder so groß, daß niemand gegen sie aufzumucken wagt.“ Er machte eine Pause, trank von seinem Kaffee und fuhr dann fort: „Uns bleibt also nur noch das Schiff, aber für wie lange? Starten können wir nicht mehr, weil für einen längeren Flug nicht genügend intelligente Kräfte zur Verfügung stehen. Auf die Dauer können wir aber auch nicht darin bleiben, denn unsere Vorräte reichen bestenfalls noch für vier Monate. Wir werden uns also sehr bald darauf vorbereiten müssen, die ARLENE zu verlassen!“ Der cholerisch veranlagte Dr. Dombrowski sprang auf. „Sie wollen das Schiff aufgeben?“ fragte er erregt. „Ganz ausgeschlossen, Captain, das können wir nicht tun. Bedenken Sie doch nur…“ „Ich habe alles bedacht, Doc“, unterbrach ihn der Kommandant entschieden. „Aufgeben ist allerdings nicht das richtige Wort. Die ARLENE ist für uns unersetzlich. Wir werden aber bald gezwungen sein, uns Nahrung von außerhalb zu beschaffen, und diese Aufgabe dürfte die Kräfte der wenigen Immunen weit überfordern. Wenn wir aber das Schiff an einen geeigneten Ort bringen und dort eine Siedlung errichten, können wir auch die geistig Reduzierten mit einsetzen.“ „Das ist richtig“, bemerkte der Xenologe Dr. Jordan. „Das Beispiel der Stadtbewohner beweist, daß sie für unkomplizierte Aufgaben durchaus zu gebrauchen sind. Wenn sie richtig geleitet werden, können sie produktive Arbeit leisten, statt untätig im Schiff herumzusitzen. Allerdings sehe ich eine Menge anderer Schwierigkeiten voraus. Wir besitzen weder Samen für Nutzpflanzen noch Tiere, die wir zu Nahrungszwecken züchten können. In dieser Hinsicht werden wir also doch auf die Einheimischen angewiesen sein.“
John Cork nickte. „Irgendwie dürfte sich das auch arrangieren lassen, wenn sich die Leute in Garal wieder beruhigt haben. Die habgierigen Priester werden bestimmt nicht nein sagen, wenn wir mit entsprechenden Gegenleistungen aufwarten.“ Dr. Dombrowski schnaufte zornig auf. „Das ist doch blühender Unsinn!“ polterte er los. „Haben wir es denn nötig, bei diesen Götzendienern betteln zu gehen? Wir besitzen doch schließlich Waffen, mit denen wir uns leicht Respekt verschaffen können. Nur eine halbe Stunde, und der ganze Spuk ist vorbei! Dann nehmen wir uns alles, was wir brauchen.“ „Gerade das werde ich nie zulassen“, erklärte der Captain scharf. „Schlagen Sie sich diesen Gedanken also schleunigst wieder aus dem Kopf, Doc. Keiner von uns liebt die Priester, aber wir müssen auch an die vielen anderen denken. Die Menschen in Garal leben nach der eben überstandenen Trockenzeit praktisch von der Hand in den Mund. Wenn wir nicht gekommen wären und ihnen geholfen hätten, wäre vermutlich ein Teil von ihnen verhungert. Wir dürfen keinesfalls ihre Existenz gefährden, nur um unsere eigene zu erhalten.“ „Das ist auch meine Ansicht“, stimmte ihm Dr. Rappan zu. „Vorläufig haben wir ja noch unsere eigenen Vorräte, und in ein paar Wochen können unsere Siedlungsarbeiten abgeschlossen sein. Bis dahin dürfte sich auch die Ernährungslage in der Stadt wieder erheblich gebessert haben. Dann können wir bestimmt das erhalten, was wir als Grundlage für eine eigene Agrarwirtschaft brauchen.“ „Das ist auch meine Vorstellung“, erklärte John Cork. „Wir dürfen uns aber andererseits auch nicht zuviel Zeit lassen, denn in etwa sechs Monaten wird es hier Winter. Bis dahin müssen wir eine Ernte eingebracht haben, die uns über die kalte Jahreszeit hinweghilft. Natürlich wird es dabei Schwierigkeiten geben, weil wir mit der Materie nicht vertraut sind. Doch darüber sollten wir uns jetzt noch nicht die Köpfe zerbrechen. Zuerst kommt der Aufbau unserer Siedlung an die Reihe.“ Der Ingenieur Robert Mall hob die Hand. „Sie brauchen nur einen geeigneten Platz ausfindig zu machen, Sir. Ich garantiere dann dafür, daß die benötigten Häuser in spätestens zwei Wochen errichtet sind. Mein Team ist bei der geistigen Reduzierung relativ gut davongekommen, wir können alle Räum‐ und Planiermaschinen gleichzeitig einsetzen. Dann wird auch der Bau der Häuser schnell vor sich gehen.“ Mall war der Leiter des Spezialistenteams der ARLENE, das für derartige Aufgaben zuständig war. Unter seiner Leitung waren bereits zahlreiche derartige Siedlungen erstellt worden, die dann von den nachrückenden Kolonisten übernommen wurden. Eine Raumfahrt im herkömmlichen Sinne gab es in der zweiten Hälfte des 25. Jahrhunderts kaum noch. Der Materietransmitter war erfunden worden und hatte sie weitgehend überflüssig gemacht. Nur eine kleine Anzahl von Spezialschiffen, zu denen auch die ARLENE gehörte, war ständig auf der Suche nach neuen bewohnbaren Planeten. Es genügte vollauf, wenn eine solche Welt einmal angeflogen wurde. Die an Bord befindlichen Wissenschaftler aller Kategorien überprüften sie in jeder Hinsicht. Hatten sie ihre Eignung zur Kolonisation festgestellt, traten die Techniker in Aktion. Sie errichteten eine Anzahl von’ Häusern, installierten einen Transmitter und
machten ihn betriebsklar. Auf diese Weise wurde der Planet an das interstellare Transmitternetz angeschlossen, und alles Weitere ergab sich von selbst. Menschen, Material und Geräte kamen aus den energetischen Torbögen, das Schiff verließ diese Welt und wandte sich neuen Aufgaben zu. Diese Spezialisierung hatte zur Folge, daß die ARLENE ein reiches Sortiment von Fertigbauteilen mitführte, die nun zum Hausbau verwendet werden konnten. Nur ein Transmitter konnte nicht mehr errichtet werden, der der Besatzung die Heimkehr zur Erde ermöglicht hätte. Wie alle auf hyperdimensionaler Basis arbeitenden Geräte waren die entsprechenden Bauteile durch den Hypersturm unbrauchbar geworden. „Ausgezeichnet, Bob“, sagte der Kommandant. „Wenn Sie es diesmal nicht so schnell schaffen wie sonst, wird Ihnen niemand einen Vorwurf machen. Es wird auch für Ihr Team Schwierigkeiten geben. Noch irgendwelche Fragen?“ Es wurden noch einige zweitrangige Probleme erörtert, dann wandte sich John Cork an Bert Keller, den zweiten Piloten der ARLENE. Er war von der Verdummung verschont geblieben, während der erste Pilot Jens Hagerup ihr zum Opfer gefallen war. „Machen Sie anschließend eines der Beiboote startklar, Bert. Wir werden schon nach dem Mittagessen darangehen, einen geeigneten Platz für unsere Siedlung zu suchen. Einige Spezialisten werden uns begleiten, schaffen Sie also alle nötigen Geräte an Bord.“ „In Ordnung, Sir“, gab Keller zurück. Die Entscheidung war gefallen, und die Versammlung löste sich auf. Alle wußten, daß ihnen eine schwere Zeit bevorstand, aber sie waren entschlossen, sie irgendwie zu meistern. 2. Ein seltsames Gefühl beschlich die Männer, als sie das Boot betraten. Früher hatten sie oft über die Enge in dem kleinen Steuerraum geschimpft. Jetzt dagegen erschien ihnen auch hier alles viel zu groß. Früher hatten sich die Geräte, Kontrollen und Bildschirme in bequemer Arbeitshöhe befunden. Jetzt lagen sie weit oberhalb ihrer Augenhöhe. Der Pilot hatte einen Ausgleich zu schaffen versucht und die Kontursitze entsprechend hochgefahren – dafür hatten die Männer nun Schwierigkeiten, sie zu besteigen… John Cork half dem Meteorologen Dr. Gargunsa in seinen Sitz. Der Inder war schon zuvor klein und schmächtig gewesen und deshalb jetzt besonders benachteiligt. Nicht viel besser daran war der Geologe Juan Lopez, der an die Stelle von Dr. Mbunga getreten war. Der Afrikaner, dem die Mannschaft der ARLENE ihre schlimme Lage zu verdanken hatte, gehörte mit zum Kreis der geistig Reduzierten. Als fünfter Mann war der Techniker Dolf van Sprengel an Bord. Er ähnelte in Statur und Aussehen dem Captain, war sehr vielseitig begabt und konnte deshalb für fast alle Aufgaben eingesetzt werden.
Als endlich alle halbwegs bequem saßen, nickte John Cork dem Piloten zu. „Start frei, Bert. Schalten Sie auf Antigravprojektoren, damit wir uns in der Luft halten können. Wir dürfen nicht viel schneller als fünfzig Stundenkilometer fliegen, Höhe rund zweihundert Meter. Nehmen Sie Kurs auf den Fluß, und folgen Sie seinem Lauf, denn es wäre mir lieb, wenn wir in seiner Nähe einen passenden Ort finden könnten. Hier scheint es öfters Trockenperioden zu geben, also dürfen wir das Problem der Wasserversorgung nicht vernachlässigen.“ Dr. Gargunsa pflichtete ihm bei. „Wir befinden uns hier an der Wetterscheide zwischen dem Nord‐ und Südteil des Kontinents. Sie wird durch das hohe und langgestreckte Gebirge gebildet, das einen Großteil der Niederschläge abhält. Nur dann, wenn die Großwetterlage sich entsprechend gestaltet, gibt es auch hier Regen. Leider aber gleich so viel, daß die seichten Flüsse über die Ufer treten und große Überschwemmungen verursachen. Wir haben das ja erst vor kurzem erlebt. Allzu nahe am Fluß sollten wir also auch nicht bauen.“ Bert Keller hatte inzwischen durch einen Funkimpuls die Hangarschleuse geöffnet. Langsam glitt das Boot ins Freie, gewann Höhe und schwebte nach Norden davon. Bald war der Fluß, der von den Einheimischen Gar genannt wurde, erreicht. An dieser Stelle war die ARLENE zuerst gelandet, hatte dann aber an einen weiter westlich gelegenen Platz versetzt werden müssen, um der Überschwemmung zu entgehen. Die Stadt Garal mit den sie umgebenden Feldern der Zwerge von ARLENIS II kam ins Blickfeld. Dort wurde überall eifrig gearbeitet. Auch die Weiden zeigten nun wieder ein sattes Grün, die Natur hatte sich überraschend schnell von den Folgen der Trockenheit erholt. Die Rinder, Pferde und Schweine der Stadtbewohner suchten sich ihr Futter, von einer kleinen Anzahl von Hirten beaufsichtigt. Es war ein schönes, friedliches Bild, aber es konnte die von der geistigen Reduzierung verschont Gebliebenen nicht über das Anomale der Situation hinwegtäuschen. Hier war nichts so, wie es nach einer jahrhundertelangen Besiedlung hätte sein müssen – warum? John Cork zog die Brauen zusammen. Ihn beschäftigte wieder einmal das sonderbare Phänomen, daß neben den Menschen auch die größeren Nutztiere von der Verkleinerung erfaßt worden waren. Nur die Hühner waren verschont geblieben und durchweg normal groß. Der Zwergwuchs blieb also offenbar auf die Menschen und sonstigen Säugetiere beschränkt. Welche besondere Ursache mochte dafür verantwortlich sein? Ein Rätsel mehr auf dieser Welt. Wie es um die einheimische Tierwelt stand, war bisher noch nicht bekannt. Von ihr hatte die Besatzung der ARLENE bis jetzt nur einige Arten von Insekten und kleineren Vögeln zu Gesicht bekommen. Alle sonstigen Tiere schienen die Umgebung von Garal zu meiden, und auch das war sonderbar. Es gab solche Tiere, das wußte der Kommandant. Er hatte sich einige Male mit Nandu Dem Wissenden unterhalten, einem alten und relativ intelligenten Mann. Seiner Aussage nach sollte es im umgebenden Ödland sogar sehr wilde und gefährliche Tiere geben. Ihre Existenz mußte also bei allen Planungen mit einkalkuliert werden,
wenn es später kein unliebsamen Überraschungen geben sollte. Juan Lopez riß den Captain aus seinen Gedanken. Das Beiboot besaß auch einige Sichtluken, und der Geologe starrte hinüber zu den ersten Ausläufern des Gebirges. Er runzelte die Stirn und schüttelte verwundert den Kopf. „Was mag das da vorn nur für ein merkwürdiges Gebilde sein, Captain? Es sieht zwar aus wie ein Kegelberg in Miniaturausgabe, ist aber an dieser Stelle völlig fehl am Platze! Eine solche Formation paßt überhaupt nicht in die sonstige Gestaltung des Gebirges.“ John Cork zuckte mit den Schultern. „Da fragen Sie mich zuviel, Juan, ich weiß auch nicht mehr als Sie. Die Einheimischen nennen diese Erhebung den Berg der Götter und scheinen eine gewaltige Scheu davor zu haben. Selbst die Priester, denen bestimmt kaum etwas heilig ist, wagen sich nicht in seine Nähe.“ „Man sollte sich einmal darum kümmern“, meinte der Geologe, aber der Kommandant winkte ab, „Ich verstehe Ihr berufliches Interesse, Juan, aber vorläufig haben wir ganz andere Sorgen. Vielleicht können wir später einmal daran denken, in bescheidenem Rahmen auch solche Probleme in Angriff zu nehmen. Vorerst haben wir jedenfalls keine Zeit dafür. Jetzt müssen wir einen Platz finden, an dem wir uns niederlassen können, anschließend muß die Siedlung errichtet werden. Dann müssen wir Felder anlegen und lernen, mit Tieren umzugehen, die die meisten von uns nur von Bildern und Filmen her kennen. Obendrein haben wir auch noch die Aufgabe, unsere verdummten Leute zu beaufsichtigen und behutsam mit in den Arbeitsprozeß einzubeziehen. Überraschungen aller Art müssen auch noch mit einkalkuliert werden, denn wir befinden uns auf einer absolut fremden Welt.“ Juan Lopez nickte. „In Ordnung, Sir, Sie haben natürlich recht. Vergessen wir die Angelegenheit vorläufig, dieser Berg der Götter läuft uns ja nicht davon.“ Das Boot hatte inzwischen etwa zwei Kilometer zurückgelegt, die Grenzen des besiedelten Gebiets hinter sich gelassen und befand sich nun über dem Ödland, einer ausgedehnten Buschsteppe, in die vereinzelt kleine Wäldchen eingestreut waren. Bert Keller steuerte den langen Windungen des Flusses nach. Es war deutlich zu sehen, daß dieser Fluß weite Gebiete der Steppe überschwemmte, sobald es Unwetter gab. In dieser Gegend war also nicht daran zu denken, die Siedlung zu errichten. Doch etwa drei Kilometer weiter änderte sich das Bild. Westlich des Flusses kam ein Gebiet in Sicht, das von der Umgebung deutlich abstach. Hier gab es auf einem annähernd ovalen Fleck von etwa vier Kilometer Länge und zwei Kilometer größter Breite nur noch wenige Büsche und Baumgruppen. Hier lag das Gelände etwas über dem sonstigen Niveau, und üppiger Graswuchs zeigte, daß der Boden ausgesprochen fruchtbar war. Der Fluß zog an der rechten Schmalseite vorbei, seine Ufermarken zeigten, daß sein Hochwasser diesen Fleck nicht bedrohte. „Was halten Sie davon, Juan?“ fragte John Cork und gab dem Piloten Anweisung, über dem Gebiet zu kreisen. Der Geologe hatte inzwischen seine Geräte in Betrieb genommen. Verschiedene
Taster durchforschten die Bodenstruktur, ihre Angaben wurden umgehend durch das Rechengehirn des Bootes koordiniert und ausgewertet. Eine Viertelstunde später lagen alle Ergebnisse vor, und Juan Lopez nickte dem Kommandanten zu. „Ich meine, wir könnten es hier versuchen, Sir. Es gibt eine ziemlich dicke Humusschicht, darunter einen kompakten Sandboden, dem sich in etwa acht Meter Tiefe eine steinige Formation anschließt. Der Untergrund ist fest genug, um selbst größere Häuser zu tragen, andererseits aber auch ein guter Wasserspeicher für Felder und Weiden. Unterhalb des Steingrunds scheinen größere und ausgedehnte Hohlräume zu existieren, die aber vermutlich mit Grundwasser angefüllt sind.“ „Das hört sich nicht schlecht an“, meinte John Cork. Dann wandte er sich an den Meteorologen. „Sie haben es gehört, Dr. Gargunsa. Gibt es von Ihrem Standpunkt aus irgendwelche Bedenken, hier eine Siedlung zu errichten?“ Der Inder schüttelte den Kopf. „Durchaus nicht, Captain. Die diesem Gebiet vorgelagerte Bergformation dürfte alle Stürme und sonstigen unliebsamen Einflüsse soweit abschwächen, daß man hier durchaus wird leben können. Infolge des geradezu idealen Untergrunds kann uns auch eine längere Trockenperiode nicht schaden. Wie Sie sehen, ist der Vegetation nichts davon anzumerken, daß es eben erst eine lange Dürre gegeben hat.“ Der Kommandant atmete auf. „Das hört man gern, Doc. Eigentlich wundert es mich, daß die hier gelandeten Kolonisten sich nicht gleich an diesem Fleck angesiedelt haben. Ich vermute allerdings, daß ihr Schiff eine Notlandung vornehmen mußte und danach nicht mehr flugtüchtig war, so daß sie sich an Ort und Stelle einrichten mußten. Wenn wir jetzt noch eine geeignete Landestelle für die ARLENE finden, haben wir alles, was wir brauchen.“ „Die Versorgung mit Wasser dürfte auch kein Problem sein“, warf Dolf van Sprengel ein. „Wenn wir die tiefer gelegenen Hohlräume anzapfen, bekommen wir bodengefiltertes, sauberes Wasser. Das ist in jedem Falle besser als eine Entnahme aus dem Fluß, der bei jedem Hochwasser erheblich verschmutzt wird.“ John Cork wußte, daß er sich auf das Urteil dieser Männer unbedingt verlassen konnte. Sie hatten schon so oft die grundlegende Arbeit für neue Siedlungen auf fremden Welten geleistet, daß ihre Erfahrungen Gewicht besaßen. Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. „In Ordnung, kehren wir um. Morgen bringen wir die ARLENE hierher, und dann geht es an die Arbeit. Auch Zwerge haben einmal klein angefangen, wie das alte Sprichwort sagt…“ * Das große „Fest aller Götter“ stand bevor. Es wurde immer dann begangen, wenn sich die beiden kleinen Monde des Planeten am Himmel begegneten. Das geschah zweimal im Jahr, aber nur das Ereignis im Sommer wurde gefeiert. Natürlich war es nicht wirklich eine Begegnung der Monde, nur eine seltene Konstellation. Die beiden Trabanten umliefen ARLENIS II auf völlig verschiedenen
Bahnen, die sich nur diese beiden Male kreuzten. Auch dann waren sie noch mehr als hunderttausend Kilometer voneinander entfernt. Die Bewohner von Garal wußten das natürlich nicht, denn schon ihren Vorfahren waren zugleich mit der Intelligenz auch alle astronomischen Kenntnisse abhanden gekommen. Schon am Vorabend wurden die üblichen Vorbereitungen getroffen. Die von der Feldarbeit Heimkehrenden schleppten riesige Sträuße von Feldblumen heran, mit denen sie ihre Häuser schmückten. Die Frauen wuschen und putzten aus Leibeskräften, suchten die besten Gewänder hervor und besserten sie aus. Das ging meist nicht ohne Schwierigkeiten ab, denn neue Stoffe wurden schon seit langem nicht mehr hergestellt. Diese Kunst hatte nur ein alter Mann beherrscht, der schon vor Jahren verstorben war. Seitdem stand der primitive Webstuhl still und verkam. Es gab schöne neue Kleider, aber niemand wagte sie mehr zu tragen. Sie stammten von den jetzt wieder abgesetzten fremden Göttern und besaßen unvergleichliche Eigenschaften. Sie waren bunt und weich, herrlich anschmiegsam – ganz anders als die eigenen! Die waren aus kaum bearbeiteten Pflanzenfasern hergestellt, kratzig und längst verschossen, schon viele Male geflickt… Und doch wurden diese herrlichen Geschenke nur noch mit scheuen Blicken betrachtet und hastig wieder weggelegt. Den Männern von Garal machte das weniger aus, aber ihre Frauen seufzten heimlich. Doch niemand traute sich, gegen das Gebot des Oberpriesters Ramto zu verstoßen, der die Fremden wieder verjagt hatte. Was mit diesen geschehen war, hatte niemand begreifen können. Als sie mit ihrem fliegenden Wagen ankamen, waren sie wahre Riesen gewesen, denen man, wenn überhaupt, nur mit größter Scheu zu begegnen wagte. Jetzt waren sie auf einmal auch nur noch normale Menschen, kaum größer als die Bewohner der Stadt. Kein Wunder, daß man sie ausgelacht und weggejagt hatte. Was nun weiter mit ihnen geschehen sollte, darüber machte sich niemand mehr Gedanken. Nandu Der Wissende saß wie üblich auf den Stufen vor seinem Haus. Er brauchte sich nicht an den Vorbereitungen zu beteiligen, dazu war er zu alt. Man verübelte ihm auch nicht, daß er nie den Tempel besuchte, auch nicht am Festtag aller vier Götter. Sein Ansehen bei den Stadtbewohnern war groß, weil er ihnen oft genug mit seinem guten Rat beigestanden hatte. In seinem Herzen herrschte Trauer. Er hatte als einziger sofort verstanden, was geschah, als sich das silberne Gefährt der Fremden am Himmel zeigte. Sie waren die „Wahren Götter“, von denen die alten Sagen sprachen, die nur er noch kannte. Er war ihnen furchtlos und freudig entgegengetreten und hatte mit John Cork gesprochen, dem weisesten von allen. Er hatte geglaubt, daß sie gekommen wären, um den Berg der Götter wieder in Besitz zu nehmen, der schon so lange verwaist war. Das hatten sie zwar nicht getan, aber sie hatten doch Segen über die Stadt gebracht. Schöne Kleider für die Bedürftigen, reichliches Essen für die Hungernden. Als das große Unwetter bevorstand, hatten sie mit ihren Maschinen die Dächer zahlreicher Häuser unbegreiflich schnell und gut abgedichtet. Nur ihnen war es zu verdanken, daß auch Nandus altes Haus jetzt wieder trocken und halbwegs gemütlich war. Was dann mit ihnen geschehen war, hatte auch er, Der Wissende, nicht verstanden.
Wie war es möglich, daß die Fremden praktisch über Nacht um fast die Hälfte hatten kleiner werden können? Nandu grübelte Tag und Nacht darüber nach, aber er fand keine Erklärung dafür. Neben der Trauer empfand er auch eine tiefe Verachtung für die Priester. Sie hatten sich nicht gescheut, die Wohltaten der Fremden anzunehmen, obwohl sie diese aus tiefstem Grunde haßten. Besonders der dicke Ramto, der nur durch hinterhältige Morde auf seinen Posten gelangt war, hatte geheuchelt wie nie zuvor. Und er war dann der erste gewesen, der die Fremden verlacht hatte, als das Unglück über sie gekommen war! Der Wissende schämte sich für den Priester und alle anderen, die aus voller Kehle mitgelacht hatten. Diese Fremden hatten zwar selbst erklärt, daß sie keine Götter wären, aber sie waren viel klüger als alle Bewohner von Garal zusammen. Nandu hatte noch vieles von ihnen zu erfahren gehofft, doch damit war es jetzt wohl für immer vorbei. Man hatte sie verjagt, zurück in ihr großes Fahrzeug. Warum hatten sie sich nicht dagegen gewehrt, obwohl sie doch die Macht dazu besaßen? Ein Schatten fiel über ihn, und Der Wissende schreckte aus seinem Grübeln auf. Er blinzelte, denn er mußte gegen die tief stehende Sonne sehen, aber dann hellte sich sein Gesicht auf. Regia war zu ihm gekommen, das schönste Mädchen in der ganzen Stadt, und in ihrer Begleitung befand sich Gernal, der Meister der Heiler von Garal. „Ich grüße euch“, sagte der Alte und machte eine einladende Handbewegung. „Setzt euch zu mir, wenn ihr soviel Zeit habt, oder müßt ihr gleich wieder weiter, um Vorbereitungen für das Fest zu treffen?“ Gernal zog eine Grimasse. „Das haben wir zum Glück nicht nötig, Nandu. Wir Heiler haben unsere festen Aufgaben zum Wohl der Stadt, alles andere kümmert uns wenig.“ „Ob Ramto das auch so sieht?“ fragte Der Wissende mit leisem Zweifel. „Er war euch noch nie freundlich gesinnt, er duldet euch nur, weil man euch braucht. Ihr wart die einzigen, die nicht mitgemacht haben, als man die Fremden verjagte, und das wird er euch nie vergessen.“ Der Meister der Heilerkaste nickte. „Ich weiß es, Nandu. Vertraute haben mir berichtet, daß er etwas gegen uns plant, aber viel wird er nicht tun können. Wer sollte wohl die Kranken heilen, wenn nicht wir?“ Nandu wiegte den Kopf, und sein altes Gesicht wirkte noch um einiges faltiger. „Unterschätze den Dicken nicht, Gernal!“ warnte er. „Du weißt, wozu er fähig ist, wenn er seine Ziele erreichen will. Wer weiß, ob ihr ihn immer so hereinlegen könnt wie damals, als er Regia zur Frau nehmen wollte.“ Er sah Regia an, die zu erröten begann. Gernal dagegen zeigte ein breites Schmunzeln. „Das war wirklich ein großer Spaß, wenn es auch einige Mühe gekostet hat. Plötzlich hatte Ramto aus heiterem Himmel die grünen Pocken, ohne zu ahnen, daß sie von Regia kamen! Er hätte sie noch lange behalten, wenn nicht die fremden Götter gekommen wären…“ Er verstummte, ein Schatten huschte über sein Gesicht. Dieses Thema berührte auch ihn schmerzlich. Doch er nahm sich zusammen und lenkte rasch davon ab. „Wir sind gekommen, um dir eine Neuigkeit zu bringen, Nandu. Wie du weißt,
haben die Fremden, die hier in der Stadt wohnten, ihre Geräte zurücklassen müssen, als sie gestern geflohen sind. Ramto plant nun etwas ganz Besonderes: Er will einige dieser Dinge in Besitz nehmen und in den Tempel bringen lassen! Sie sollen dort aufgestellt werden, um die Gläubigen immer an die Schmach zu erinnern, die über die ,falschen Götter’ gekommen ist. Natürlich hofft er, sich dieser Sachen irgendwie bedienen zu können, um seine Macht weiter zu festigen.“ Der Wissende nickte langsam. „Das sieht ihm ähnlich. Vielleicht hat er sogar Glück und bringt es fertig, daß diese Dinge ihm gehorchen, und dann kann er erst recht triumphieren. Im Geiste höre ich schon seine Fistelstimme: ,Seht her, erkennt, wozu die Priester der wahren Gottheiten fähig sind! Wir sind ebenso klug wie jene lächerlichen Fremden, die wir vertrieben haben. Bringt uns mehr und bessere Opfer für die Götter, mit deren Hilfe wir handeln.’ Oh, wenn ich nur so könnte, wie ich möchte…“ Er verstummte in ohnmächtigem Grimm, aber nun ergriff das Mädchen das Wort. „Können wir nicht etwas dagegen tun, Meister? Wir haben doch Ramto durch das Fernwirken die grünen Pocken gebracht. Können wir nicht auf ähnliche Weise etwas bewirken, das sein Vorhaben vereitelt?“ Gernal überlegte lange. „Versuchen könnten wir es immerhin“, meinte er dann. „Wir können zwar die Geräte nicht beeinflussen, unsere Macht ist allein auf Menschen beschränkt. Wir könnten aber die Finger der Priester dazu bringen, daß sie ihnen nicht mehr gehorchen, wenn sie sich daran zu schaffen machen! Dann würde vielleicht…“ Er unterbrach sich hastig, und sein Gesicht verfinsterte sich. Einer der Tempeldiener kam die Straße entlang, ein williges Werkzeug des Oberpriesters. Alle drei sahen wie absichtslos zur Seite, doch der Mann blieb bei ihnen stehen und richtete das Wort an Gernal. „Ramto läßt dir Grüße entbieten, Meister der Heiler. Im Namen der Gottheiten ersucht er dich, morgen mit allen Mitgliedern deiner Kaste im Tempel zu erscheinen. Ihr sollt mithelfen, das Fest aller Götter würdig zu gestalten. Für seine Dauer sind alle deine Leute von ihren Pflichten entbunden. Die Götter wollen es so!“ Gernal hatte die Absage bereits auf der Zunge, aber der letzte Satz hielt ihn vor den Worten zurück. Wenn sich Ramto so ausdrücklich auf den angeblichen Willen der Götter berief, war jede Widerrede sinnlos. Die Macht des Oberpriesters war wieder so gefestigt, daß er auch vor rigorosen Maßnahmen nicht zurückschrecken würde, das war dem Heiler klar. Er nickte widerwillig. „Es ist gut, wir werden kommen. Sollte jedoch in dieser Zeit etwas Schlimmes geschehen, ohne daß wir helfen können, so wird Ramto die Verantwortung dafür tragen müssen.“ Der Tempeldiener grinste abfällig. „Es wird nichts geschehen, das darfst du mir glauben. Morgen werden alle Bewohner der Stadt zum Tempel kommen, auch die Kinder und Greise! Was kann sich da schon ereignen, wenn sie unter dem leiblichen Schutz der Götter stehen?“ Er drehte sich um und ging wieder davon. Die drei Menschen auf der Treppe sahen sich bestürzt an. Erst nach einer ganzen Weile durchbrach Gernal das nachdenkliche
Schweigen. „Da haben wir es!“ sagte er mit dumpfer Stimme. „Ramto ist noch viel durchtriebener, als wir bisher dachten. Er will mit den Geräten der Fremden hantieren, fürchtet aber, daß ihm dabei ein Mißgeschick passieren könnte. Wenn das geschieht, wird er nicht zögern, uns irgendwie dafür verantwortlich zu machen, daran kann es keinen Zweifel geben.“ „Ich fürchte, daß du recht hast“, seufzte Nandu Der Wissende. „Ich glaube, daß er jetzt den Zeitpunkt für gekommen sieht, um euch endgültig auszuschalten! Glückt ihm sein Vorhaben, wird er die Götter dafür preisen – aber vielleicht will er gar nicht, daß es ihm glückt…“ Gernal zuckte resignierend mit den Schultern. „Wenn ich an Dekker glauben könnte, den Gott des Verderbens, würde ich sagen, daß er ihm das eingegeben hat. Natürlich ist es nicht der Gott aus Stein, sondern Ramto selbst, der sich das ausgedacht hat. Eben haben wir noch geglaubt, ihm schaden zu können – jetzt wird es genau umgekehrt kommen!“ 3. In der ARLENE wurden die Vorbereitungen zum Start getroffen. Es waren zwar nur ein paar lächerliche Kilometer zurückzulegen, aber der Aufwand war der gleiche wie bei einem Flug ins All. Die Antigravprojektoren allein kamen nicht gegen die Anziehungskraft des Planeten an, auch nicht mit Unterstützung der Hilfsdüsen. Das Haupttriebwerk mußte in Betrieb genommen werden, und das konnten John Cork und Bert Keller allein nicht bewerkstelligen. Ein großer Teil der Anlagen war automatisiert, das erleichterte vieles. Trotzdem mußten in den Maschinenräumen und Schaltzentralen immer noch Menschen sitzen, um alles zu kontrollieren und gegebenenfalls blitzschnell zu schalten. Ein Dutzend war das Minimum – aber dem Kommandanten standen jetzt nur vier Mann zur Verfügung. Es war nicht so, daß alle Besatzungsmitglieder im gleichen Ausmaß von der Verstandesreduzierung betroffen waren. Es gab auch jetzt immer noch einige, die klüger waren als die anderen. Sie erinnerten sich zum Beispiel noch daran, daß sie bis vor zwei Tagen die vielfältigen technischen Anlagen beherrscht hatten. Trotzdem scheiterte jeder Versuch, sie durch geduldige Belehrung wieder zum Begreifen zu bringen. In ihren Gehirnen schien es eine Schranke zu geben, die sie unfähig machte, technische Vorgänge sinnvoll zu erfassen. Ansonsten waren die Menschen im Schiff zwar meist apathisch, gehorchten aber den Befehlen der „Normalen“, wenn sie in leicht begreifliche Form gekleidet wurden. An diesem Morgen, dem zweiten nach der Katastrophe, befaßte sich der Captain mit seinem Ersten Offizier. Carl Morgan war ein mittelgroßer, stämmiger Mann mit einem archaisch anmutenden dunklen Vollbart. Er gehörte zu den weniger stark von der
Verdummung Betroffenen und war ein überaus fähiger Mann gewesen. Das hatte John Cork hoffen lassen, ihn vielleicht doch soweit bringen zu können, daß er wenigstens als Hilfskraft eingesetzt werden konnte. Und so hatte der Captain seinen Ersten zur Medostation gebracht und Dr. Singh veranlaßt, ihn unter den Hypnoschuler zu legen. Dieses Gerät war eine Lernmaschine, die das zu übermittelnde Wissen unter Umgehung der normalen Sinne direkt in das Gehirn leitete. Der Chefarzt hatte diese Lernmaschine mit einem Band programmiert, das dem Offizier wenigstens eine Reihe von Grundbegriffen neu vermitteln sollte. Falls dieses Experiment glückte, konnte es bei anderen Männern wiederholt werden, die dann die zum Start erforderliche Mannschaft ergänzen sollten. Die für diesen Vorgang benötigte Viertelstunde war vorbei. Dr. Singh stellte den Hypnoschuler ab und weckte Carl Morgan aus der leichten Trance. Der Erste Offizier schlug die Augen auf und erhob sich von der Liege. Er sah sich verwirrt um und begegnete den erwartungsvollen Blicken des Arztes und des Kommandanten. Mit einer fahrigen Bewegung strich er sich über die Stirn. „Was haben Sie nur mit mir gemacht?“ fragte er in weinerlichem Tonfall. „In meinem Kopf geht alles durcheinander – da sind so seltsame Dinge, die ich nicht begreife. Das macht mich ganz verrückt, ich halte das nicht aus!“ Unvermittelt begann er zu toben, und der Chefarzt winkte seinem Gehilfen. Er und John Cork hielten Carl Morgan fest, und Dr. Singh setzte eine Hochdruckspritze an den Hals des Offiziers. Das Mittel wirkte innerhalb weniger Sekunden, und die Männer betteten den Betäubten wieder auf die Liege. Der Inder zog eine Grimasse. „Etwas Ähnliches hatte ich befürchtet, Captain. Der verdummende Einfluß ist so stark, daß sich Morgans Gehirn einfach geweigert hat, die Lernimpulse zu verarbeiten. Jetzt wird er einige Stunden schlafen und sich hinterher an nichts mehr erinnern. Tut mir leid, Captain, ich hätte Ihnen gern geholfen.“ Der Kommandant sah starr vor sich hin. „Danke, Doc, Sie haben keine Schuld am Mißlingen des Experiments. Jetzt wissen wir aber wenigstens, woran wir sind. Gut, dann muß ich eben auf Bob Mall und sein Restteam zurückgreifen. Diese Männer sind zwar auf ganz andere Gebiete spezialisiert, besitzen aber doch ein solides technisches Grundwissen. Bereiten Sie also alles darauf vor, sie in die Hypnoschulung zu nehmen.“ Diesmal gab es keine Schwierigkeiten. Drei Stunden später hatte John Cork sieben Männer zur Verfügung, die imstande waren, die ihnen zugedachten Apparaturen zu überwachen und daran die eventuell notwendig werdenden Schaltungen vorzunehmen. Er wies sie in ihre Aufgaben ein und übernahm dann zusammen mit dem zweiten Piloten die Steueranlagen in der Schiffszentrale. Kurz nach Mittag war es dann soweit. Die ARLENE erhob sich von ihrem Landeplatz, gewann langsam an Höhe und strebte dann ihrem neuen Liegeplatz zu. Kaum eine Minute später setzte Bert Keller sie sanft dort auf. Alle Anlagen wurden abgeschaltet, und dann erhob sich der Kommandant. Er lächelte bitter. „Das dürfte voraussichtlich der letzte Flug unseres stolzen Schiffes gewesen sein,
Bert! Ich könnte weinen, aber das würde uns auch nicht weiterhelfen. Finden wir uns also damit ab, in Zukunft eine weitere, wenn auch etwas andere Gruppe der Zwerge von Garal zu sein…“ Der Pilot schluckte, in seinen Augen standen wirklich Tränen. „Damit werde ich mich nie abfinden können, Sir!“ stieß er rauh hervor. John Cork klopfte ihm beruhigend auf die Schulter. „Wir können nichts an unserem Schicksal ändern, Bert. Jetzt liegt es allein an uns, das Beste daraus zu machen. Wir sind bei der Katastrophe noch relativ gut weggekommen, die früheren Siedler hatten vermutlich weit schlechtere Startbedingungen. Doch ihre Nachkommen existieren heute noch, und das läßt auch mich hoffen. Kommen Sie, gehen wir zum Mittagessen. Mails Team wird bald danach mit seiner Arbeit beginnen; wir alle werden soviel zu tun bekommen, daß uns keine Zeit zum Trübsal blasen mehr bleibt.“ * Der Abend brach herein. Die Sonne war bereits wie in einem Meer von Blut untergegangen, und langsam stiegen die beiden Monde am Himmel empor. Sie waren höchstens noch ein Grad voneinander entfernt. Sobald ihre scheinbare Vereinigung stattfand, würde das große Fest beginnen. Die Priester hatten tatsächlich alle Bewohner von Garal auf die Beine gebracht. Die Kinder wurden geführt oder getragen, Kranke gab es infolge des Wirkens der Heiler nicht. Selbst Nandu Der Wissende hatte notgedrungen mitkommen müssen. Bisher hatten ihn die^ Priester immer ungeschoren gelassen, aber das konnte sich schnell ändern, wenn er sich dem angeblichen Willen der Götter nicht unterwarf. Die siebenhundert kleinen Menschen hielten sich auf dem Platz vor dem Tempel auf. Die Priester in ihren farbenfrohen Gewändern – sie schienen einen geheimen Vorrat an guten Kleidern zu besitzen – standen auf den Stufen zum Eingang. Abwechselnd stimmten sie Gesänge zum Lob der Götter an, die Arme zu den Monden erhoben. Die Menge schwieg erwartungsvoll. Die Leute waren zufrieden, denn an diesem Tage hatte die Arbeit geruht. Einige Schweine hatten ihr Leben lassen müssen und waren verzehrt worden. Die Mägen waren voll, die Gemüter friedlich. Lediglich das Plärren eines Kindes klang zuweilen auf, aber die betreffende Mutter beeilte sich, es wieder zum Schweigen zu bringen. So verging fast eine halbe Stunde, und die Blicke wanderten immer öfter zum dunkel werdenden Himmel empor. Die Monde liefen schräg aufeinander zu und standen dicht vor der Begegnung. Ihr Licht war rötlich wie das der kleinen alten Sonne, deren Schein sie reflektierten. Schließlich verstummten auch die Gesänge der Priester – der große Augenblick stand unmittelbar bevor. Dann war es soweit. Der etwas kleinere Mond, weil weiter entfernt stehend, schob sich hinter den größeren Trabanten. Der Vorübergang begann. Es sah tatsächlich so aus, als würden sich die beiden Himmelskörper vereinigen. Zugleich kam es zu einer Verfinsterung des äußeren Mondes, die allerdings von Garal aus nicht beobachtet werden konnte. Ein leises Raunen ging durch die Menge, und dann klang die
Stimme Ramtos auf. Sein sonst leicht fistelndes Organ erreichte beim Singen eine erstaunliche Klangfülle. Er sang in den höchsten Tönen das Lob der vier Götter, pries ihr angeblich segensreiches Wirken und dankte ihnen dafür. Er forderte sie auf, auch weiterhin Gnade und Milde walten zu lassen und beschwor besonders die Götter des Verderbens und des Wetters. Mit keinem Wort ging er auf die verstoßenen neuen Götter ein. Er tat, als hätten sie nie existiert. Die Monde bewegten sich relativ schnell, und so war der Vorübergang bereits nach zehn Minuten beendet. Der kleinere Trabant kam wieder zum Vorschein, und der Oberpriester sang die letzte Strophe. Dann forderte er seine Gläubigen auf, sich in den Tempel zu begeben, wo die weiteren Zeremonien stattfinden sollten. Das Gebäude war früher, vor etwa 350 Jahren – so lange lag die Gründung der Stadt zurück – eine Turnhalle gewesen. Die Menschen schoben sich geduldig durch den Eingang in den großen Raum, der durch zahlreiche Fackeln ausgeleuchtet wurde. An der rückwärtigen Wand befanden sich die steinernen Standbilder der vier Götter, große plumpe Kolosse, von unbeholfenen Händen aus Sandstein geformt. Nach der Ankunft der ARLENE waren sie eilig entfernt worden, doch nun nahmen sie wieder ihre angestammten Plätze ein. Doch nicht sie zogen an diesem Abend die Blicke der Menschen an, sondern die beiden fremden, blitzenden Geräte, die von den Tempeldienern herangeschafft und auf einer hölzernen Empore aufgestellt worden waren. Dabei handelte es sich um zwei kleine transportable Computer aus den Beständen der ARLENE. Sie hatten dem Team von Dr. Dombrowski gehört, das versucht hatte, dem Rätsel der Zwerge von Garal auf die Spur zu kommen. Am Morgen der Reduzierung hatten diese Männer eilig flüchten und dabei sämtliche Apparaturen zurücklassen müssen. John Cork hatte darauf verzichtet, sie später noch abzuholen, er hatte genügend andere Sorgen. Nun standen sie hier im Tempel – wozu? Gernal hörte das verwunderte Raunen der anderen und sah besorgt auf die kastenförmigen, etwa einen Meter hohen Geräte, an deren Vorderseite sich die Kontrollen und Programmierungsanlagen befanden. Keiner der Bewohner von Garal hatte früher etwas Ähnliches gesehen, für sie war Technik seit der körperlichen und geistigen Reduzierung ein Fremdwort. Der Meister der Heiler wandte sich an Regia, die zusammen mit den übrigen Heilern um ihn geschart stand. „Wenn ich nur wüßte, was Ramto plant!“ flüsterte er ihr zu. „Es kann nichts Gutes sein, das spüre ich. Hoffentlich gibt es kein Unglück, denn auch die Priester…“ Er wurde durch den Oberpriester unterbrochen, der inzwischen die Stufen der Empore erstiegen hatte. Ramto stand nun vor den beiden Geräten. Seine listigen Augen blitzten, das feiste Gesicht war zu einem häßlichen Grinsen verzogen. „An diesem Festtag werden wir keinen gewöhnlichen Gottesdienst abhalten!“ rief er triumphierend aus. „Wir werden den Göttern eine ganz besondere Ehre erweisen. Für kurze Zeit haben wir den Fremden gehuldigt, die zu uns kamen und sich selbst als Himmelsboten aufgespielt haben. Unsere Götter haben sie dafür bestraft, jetzt sind sie uns gleich geworden. Das allein genügt aber nicht. Wir werden unseren wahren Göttern huldigen, indem wir diese geheimnisvollen Kästen in ihre Dienste
stellen!“ Er machte eine wohlberechnete Pause und weidete sich an der Bewunderung der Gläubigen. Dann ergriff er wieder das Wort. „Das ist kein leichtes Unterfangen, denn über diesen fremden Dingen liegt auch ein fremder Zauber. Um ihn zu brechen, müssen wir einen Gegenzauber benutzen. Deshalb fordere ich nun jene Leute zur Hilfe auf, die selbst über Gaben dieser Art verfügen. Ich rufe Gernal auf, den Meister der Heiler, sich mit seinen Leuten mir zur Seite zu stellen!“ Nun war es heraus. Gernal knirschte mit den Zähnen, als er diese Worte vernahm. Er hatte geahnt, daß der verschlagene Oberpriester eine neue Teufelei plante, aber erst jetzt erkannte er ihr volles Ausmaß. Was Ramto vorhatte, mochte wirklich nicht ungefährlich sein, und das wußte er auch. Nur deshalb hatte er die Heiler aufgerufen, ihm zu helfen. Ging alles gut ab, würde er sich selbst das Verdienst daran zuschreiben. Wenn aber etwas Schlimmes oder zumindest Ungewöhnliches geschah, hatte er dann die Sündenböcke, auf die er alle Schuld abschieben konnte… Doch der Meister der Heiler wußte auch, daß er dem Priester sein Mitwirken nicht versagen konnte. Wenn er das tat, spielte er ihm direkt in die Hände und lieferte Ramto den lange ersehnten Vorwand zur Ausschaltung der gesamten Heilerkaste. Ganz gleich, wie er es anfing, der Erfolg mußte immer auf der Seite des verhaßten Götzendieners sein! Gernal beherrschte sich eisern, wie er es in vielen Stunden der Meditation gelernt hatte. Mit unbewegtem Gesicht gab er seinen Leuten den Wink, ihm zu folgen. Eine Gasse öffnete sich, und alle zwanzig Heiler bewegten sich auf die Empore zu. Es waren siebzehn Männer und nur drei jüngere Frauen, die aber besonders stark ausgeprägte Fähigkeiten besaßen. Ramto winkte ihnen heuchlerisch zu. „Ihr erfahrt heute, am Festtag aller Götter, eine ganz besondere Ehre“, fistelte er. „Gebt euer Bestes, um dem Volk von Garal zu zeigen, wie sehr ihr jene Fremden verachtet. Wenn wir erst die Zaubermaschinen beherrschen, wird uns der Segen und Dank der Götter sicher sein.“ Gernal verneigte sich und bedeutete dann den anderen, sich bei den Händen zu fassen und die Augen zu schließen. Das konnte seinen Eindruck nicht verfehlen, aber in Wirklichkeit würde nichts geschehen, das Ramto bei seinem Vorhaben irgendwie helfen konnte. Der Meister hatte seinen Gefährten durch einige hastig zugeraunte Worte bedeutet, sich völlig passiv zu verhalten. Er hätte ohnehin nicht gewußt, auf welche Weise er Einfluß auf Vorgänge nehmen sollte, die sich auch seinem Verstand entzogen. Der Oberpriester wartete ab, bis die Aufstellung der Heiler vor dem Podest beendet war. Dann stimmte er einen neuen Gesang an, in den die übrigen Priester einfielen. Anschließend verließ er den Aufbau und gab dem bereitstehenden Tempeldiener einen Wink. Selbst dazu ist er zu feige! dachte Gernal verächtlich. Er benutzt große Worte, aber er denkt nicht daran, sein kostbares Leben selbst aufs Spiel zu setzen…
Der Diener zitterte am ganzen Körper, aber er gehorchte, um nicht vor allen Gläubigen das Gesicht zu verlieren. Mit schlotternden Knien stieg er die Stufen empor, und dann drückten seine bebenden Finger wahllos einige Tasten an den Kontrollen des ersten Computers. Diese transportablen Geräte waren energie‐autark. Sie bekamen den nötigen Arbeitsstrom von einer kleinen, aber leistungsfähigen Speicherbank, die sich im Innern des Gehäuses befand. Ihre Kapazität reichte aus, um den Computer bei vollem Betrieb einen Monat lang zu versorgen. Dr. Dombrowskis Team hatte sich zwar einige Zeit in der Stadt aufgehalten, die beiden Computer aber nicht ständig benutzt. Sie waren also noch voll einsatzbereit, und das machte sich auch bemerkbar. Ein unterdrücktes Aufstöhnen ging durch die kleinen Menschen, als das Gerät tatsächlich zu arbeiten begann. Ein gedämpftes Brummen erklang, dann zuckten auf dem Kontrollbord bunte Lichter auf, und die Programmspulen begannen sich zu drehen. Selbst Ramto schien ob dieses Erfolgs verblüfft. Er hatte sich unwillkürlich zusammengeduckt, doch nun straffte sich seine Gestalt wieder. Er gab einen kurzen Lobgesang von sich, dann bedeutete er dem Tempeldiener, auch das zweite Gerät in Betrieb zu nehmen. Beim ersten Male war es gutgegangen, und das hatte dem Mann Mut gemacht. Etwas von dem Ruhm mußte auch auf ihn entfallen, eine Belohnung durch die Priester schien ihm sicher. Ohne zu zögern, drückte er auf die Tasten des zweiten Computers. Er kam nicht einmal mehr dazu, zu begreifen, was nun mit ihm geschah. Ein greller Lichtbogen flammte auf, der hochgespannte Strom raste durch seinen Körper. Der unwissende Tempeldiener war bereits tot, ehe sein Körper polternd zu Boden fiel. Diese kleinen Computer waren sogenannte narrensichere Geräte, aber ein Mindestmaß an pfleglicher Behandlung wurde auch bei ihnen vorausgesetzt. Diese war ihnen jedoch beim Transport zum Tempel nicht zuteil geworden! Alle sieben Tempeldiener zusammen hatten erhebliche Schwierigkeiten gehabt, die schweren Geräte aus dem Haus zu bringen und auf die primitiven Transportkarren zu laden. Sie hatten es nur mit Hilfe uralter eiserner Stangen geschafft, die sie als Hebel ansetzten. Dabei war das Gehäuse des zweiten Rechengeräts beschädigt und einige wichtige Leitungen unterbrochen worden. Davon war nichts zu merken gewesen, solange das Gerät sich außer Betrieb befand. Als es nun aber eingeschaltet wurde, noch dazu vollkommen unsachgemäß, zeigten sich die Folgen. Die volle Leistung der Speicherbank floß durch das Gehäuse, ein totaler Kurzschluß war unvermeidlich! Grelle Blitze zuckten nach allen Seiten davon, sprangen auch auf den zweiten Computer über und brachten ihn gleichfalls außer Kontrolle. Auch er gab unter aufzuckenden Entladungen seinen elektronischen Geist auf – das Chaos war vollkommen… Es dauerte zwar nur wenige Sekunden an, aber das genügte vollauf, die siebenhundert Menschen im Tempel in den Zustand höchster Panik zu versetzen. Sie wandten sich um und flohen angstgeschüttelt aus dem Raum. Keiner nahm Rücksicht auf den anderen, allein der Selbsterhaltungstrieb beherrschte sie. Auch die Priester, Tempeldiener und Heiler machten dabei keine Ausnahme. Schreiend stürzten die kleinen Menschen aus dem Tempel und stoben nach allen Seiten davon. In dem Gedränge vor dem Tor trugen viele Prellungen und blaue
Flecke davon. Zu schwereren Verletzungen kam es aber nicht. Dafür war die psychische Wirkung auf die unwissenden Bewohner von Garal um so stärker. Niemand würde sie in absehbarer Zeit dazu zwingen können, wieder den Tempel aufzusuchen, in dem so schreckliche, unbegreifliche Dinge geschehen waren. Irgendwie war es Ramto gelungen, noch vor der Gruppe der Heiler den Ausgang zu erreichen. Dort hielt er an und wagte es, einen Blick zurück ins Tempelinnere zu werfen. Er bekam nicht mehr viel zu sehen. Die beiden Computer besaßen natürlich Sicherheitsschaltungen, die sofort ansprachen, wenn irgendwelche Anomalien auftraten. Das war inzwischen geschehen, die Verbindungen zu den Speicherbänken waren automatisch unterbrochen worden. Die Geräte qualmten zwar noch, und der beißende Geruch verschmorter Isolationen breitete sich mit den Schwaden nach allen Seiten hin aus. Die kleinen eingebauten Automatlöscher waren aber sofort in Tätigkeit getreten, hatten Kohlensäureschaum ausgestoßen und alle Flammen im Keim erstickt. Nicht einmal das hölzerne Podest war in Brand geraten. Der Oberpriester erkannte das und brachte es fertig, seine angeborene Feigheit zu überwinden. Er stellte sich mit weit ausgebreiteten Armen auf den Treppenstufen auf und hielt die nachdrängenden Heiler zurück. Nun war er erst recht entschlossen, seinen Plan auszuführen. Das hätte zwar unter weit weniger dramatischen Umständen und vor allem Volk geschehen sollen, aber für Ramto war eine Gelegenheit so gut wie die andere. „Ich verfluche euch im Namen der Götter!“ stieß er mit lauter, schriller Stimme hervor. „Ihr habt es irgendwie zuwege gebracht, daß all dies geschehen ist. Ihr habt den Tod eines treuen Dieners der Götter auf dem Gewissen!“ Gernal sah ihn finster an. „Wir haben nichts Derartiges getan, das weißt du so gut wie ich“, gab er zurück. „Wir verstehen nichts von diesen Dingen. Wie hätten wir sie dazu bringen sollen, Blitze auszuspeien und Menschen zu töten? Nur deiner Machtgier ist es zuzuschreiben…“ „Schweige, du Ungläubiger!“ kreischte Ramto laut. „Der Fluch der Götter ist ausgesprochen, und ihr habt zu gehorchen! Noch vor Sonnenaufgang müßt ihr Garal verlassen. Sonst werde ich dafür sorgen, daß man euch mit Gewalt aus der Stadt jagt. Geht doch hinaus zu den Fremden, sie werden euch gewiß mit offenen Armen aufnehmen.“ Der Meister der Heiler wollte erneut protestieren, doch nun trat Nandu Der Wissende auf ihn zu. Mit seinen alten Beinen hatte er nicht schnell genug flüchten können und deshalb zu den letzten gehört, die aus dem Tempel kamen. Er nickte Gernal zu. „Ihr solltet gehorchen“, sagte er leise, aber eindringlich. „Das verängstigte Volk wird den Priestern mehr glauben als euch. Wie willst du beweisen, daß ihr unschuldig seid? Dieser Vorfall kam Ramto sehr gelegen, darum wird es dir auch nie gelingen, ihn umzustimmen. Ja, gehen wir hinaus zu den Fremden – ich werde mit euch kommen!“
4. Der Rest des Tages wurde in der ARLENE dazu benutzt, alle nötigen Vorbereitungen für die Errichtung der Siedlung zu treffen. Die Bodentaster wurden in Betrieb genommen, ihre Meßergebnisse erschienen auf kleinen Monitoren. Bob Mall und seine Männer übertrugen sie auf die zuvor angefertigte Karte der Umgebung und bestimmten danach die günstigsten Standorte für die zu errichtenden Häuser. Dieses Schema hatte sich dutzendfach bewährt. Etwa in der Mitte des Gebiets sollte die Konverterstation entstehen, die den ganzen Komplex mit Energie versorgte. Die ebenso wichtige Pumpstation zur Wasserversorgung schloß sich daran an. Ein Gitternetz von Straßen wurde projektiert, die Pläne für die Kanalisation entworfen. Das alles geschah mit gewohnter Routine, trotzdem aber sehr gewissenhaft. Alle wußten, daß hier für die eigene Zukunft geplant wurde, für eine Zeit voller Ungewißheit. Auch an etwa notwendig werdende Erweiterungen wurde vorsorglich gedacht. Es war damit zu rechnen, daß sich die Kopfzahl der Siedler sehr bald erhöhen würde, denn die geistige Reduzierung hatte auf die Fruchtbarkeit der Männer und Frauen bestimmt keinen Einfluß. Sorgen bereitete allein die körperliche Verkleinerung. Alle Häuser würden die für normale Menschen vorgesehenen Größen haben. Es war einfach nicht möglich, die Fertigbauteile den verringerten Proportionen entsprechend ebenfalls zu verkleinern. In ihren Wänden und Böden saßen bereits alle notwendigen Leitungen für Strom, Beheizung, Wasser und Abwässer. Der Versuch, all diese Installationen nachträglich zu verändern, hätte allein Monate beansprucht, und soviel Zeit hatte man nicht. Besser sah es dagegen um das benötigte Mobiliar aus. Es wurde aus Gründen der Platzersparnis nicht fertig mitgeführt, sondern an Ort und Stelle von besonderen Produktionsanlagen angefertigt. Man brauchte also nur die Programmschablonen dieser Maschinen entsprechend zu ändern, um Möbel zu erhalten, die der jetzigen Körpergröße der Schiffsbesatzung entsprachen. Die an diesen Vorarbeiten beteiligten Männer und Frauen entdeckten noch mehrere weitere Probleme. Sie alle wurden dem Kommandanten unterbreitet, der gleichfalls anwesend war und die letzten Entscheidungen zu treffen hatte. Die Stunden vergingen rasch, aber als der Abend kam, waren die Beteiligten sicher, nichts von Belang übersehen zu haben. Nur Robert Mall war noch nicht zufrieden. Er trat auf John Cork zu, der vor den Plänen und Skizzen saß, die sich auf einem Tisch häuften. „Da wäre noch etwas, Sir“, meinte er und rieb sich die übermüdeten Augen. „Die Transmitterstation entfällt ja zwar, weil es für sie keine Existenzberechtigung mehr gibt. Sollten wir nicht dafür eine Funk‐ und Ortungsstation errichten?“ Der Captain sah ihn überrascht an. „Welchen Sinn sollte das haben, Bob?“ fragte er resigniert. „Wir verfügen nur noch über einfach lichtschnelle Geräte dafür, und der nächste von Menschen bewohnte Planet ist siebzig Lichtjahre von uns entfernt. Wir könnten die Funkgeräte zwar durch technische Kniffe auf eine größere Leistung bringen, aber jeder von uns ausgesandte Hilferuf würde erst in siebzig Jahren dort ankommen. Ganz ehrlich gesagt, ich sehe keinen Sinn darin. Zu dieser Zeit werden
wir nicht mehr leben, und unsere Nachkommen werden sich weitgehend diesem Planeten angepaßt haben. Wofür also noch Dinge tun, die vermutlich doch niemandem nützen würden?“ Der Ingenieur hob die Schultern. „Vielleicht ist das doch nicht so aussichtslos, wie es Ihnen jetzt erscheint, Sir. Die Menschheit breitet sich immer weiter aus, deshalb ist es nicht ganz ausgeschlossen, daß eines Tages auch hier ein Schiff erscheint, um das System zu untersuchen. Dann sollten wir wenigstens über die Möglichkeit verfügen, es zu orten und anzurufen, meine ich.“ John Cork sah eine Weile überlegend vor sich hin. Dann nickte er langsam. „Vielleicht haben Sie doch recht damit“, räumte er ein. „Gut, wir werden auch eine solche Station einrichten, allerdings erst später, wenn wir die vordringlichen Probleme bewältigt haben. Und bis dahin können viele Monate, wenn nicht sogar Jahre vergehen…“ Zum Abendessen kam die gesamte Schiffsbesatzung in der großen Messe zusammen. Die geistig Reduzierten hatten sogar vergessen, wie die Servoautomaten zu bedienen waren. Sie aßen zwar gehorsam, was auf die Tische kam, aber zuvor mußten die „Normalen“ dafür gesorgt haben, daß dies überhaupt geschah, indem sie auf die richtigen Knöpfe drückten. Der Captain hoffte wohl, daß sie im Laufe der Zeit auch das wieder lernen würden, denn wenn die Siedlung erst einmal stand, konnten sich seine wenigen Helfer unmöglich auch noch darum kümmern. Vorerst war es aber noch nicht soweit. Nach beendeter Mahlzeit erhob er sich, um zu den Verdummten zu sprechen. Mit möglichst einfachen Worten unterrichtete er sie über die geplanten Maßnahmen. Er wurde auch verstanden, aber er erzielte kaum eine Resonanz. Nur wenige Fragen wurden laut, und sie bezogen sich meist auf Dinge, die vollkommen unwichtig waren. Als er sich wieder setzte, war er zutiefst entmutigt. Plötzlich erschien ihm das Vorhaben, mit diesen unintelligent gewordenen Menschen ein neues Leben aufzubauen, fast unsinnig. Trotz dieser Niedergeschlagenheit suchte er später die Ärztin Anne Young in ihrer Kabine auf. Die Tatsache, daß sie auch zu den Reduzierten gehörte, hatte seine Gefühle für sie nicht einfach absterben lassen. Er war nach wie vor entschlossen, zu ihr zu halten. Vielleicht konnten sie später Kinder haben, bei denen sein geistiges Erbe wieder überwog? Dr. Singh hatte ihm erklärt, daß dies nicht ausgeschlossen war. Als er eintrat, erhob sie sich und begann zu lächeln. Er kam zu ihr, nahm sie in seine Arme und streichelte ihr Haar. „Wie geht es dir, Liebes?“ fragte er leise. Sie sah ihn aus ihren blauen Augen an, deren Blick seltsam abwesend zu sein schien. Das war das Charakteristikum aller geistig Reduzierten, deren Gehirn nur mit einem Teil seiner eigentlichen früheren Kapazität arbeitete. „Gut, John“, sagte sie monoton. „Ihr habt viel Arbeit mit uns, nicht wahr? Ich weiß das, wenn ich mich auch nicht richtig darauf besinnen kann, wie es früher war. Alles ist jetzt so… so ganz anders.“ Sie wies auf ein Buch, das neben ihr auf dem Tischchen lag. „Ich versuche immer
wieder, darin zu lesen, aber es geht einfach nicht! Ich kann entziffern, was darin steht, aber die meisten Worte verstehe ich nicht. Was ist eine ,subkutane Injektion’ oder ein ,Mikroschnitt’? Ich habe es einmal gewußt, das fühle ich. Warum weiß ich es jetzt nicht mehr?“ Der Captain nahm das Buch auf und blätterte darin. Es handelte sich um ein medizinisches Werk mit den üblichen Fachausdrücken, von denen er selbst nur einen Bruchteil verstand. Kein Wunder, daß die junge Frau nichts mehr damit anzufangen wußte. „Das kann ich dir auch nicht sagen“, murmelte er mit jenem Gefühl unbehaglicher Verlegenheit, das die meisten Normalen in Gegenwart von Reduzierten befiel. „Es hängt irgendwie damit zusammen, daß wir alle kleiner geworden sind, verstehst du?“ Anne Young sah ihn grübelnd an. Ihr gutes Aussehen und ihre anziehende Weiblichkeit waren geblieben, wenn sie auch jetzt in der schmucklosen Kobination nicht mehr so zur Geltung kamen. Sie hielt aber nach wie vor auf Körperpflege, das bewies ihr sorgsam frisiertes blondes Haar. Wie Carl Morgan war auch sie nicht ganz so schlimm betroffen wie die meisten anderen. Das bewies schon die Tatsache, daß sie sich wenigstens bemühte, zu ergründen, was früher gewesen war. Ein winziger Schimmer von Verstehen kam nun in ihren Blick. „Ja, wir waren alle einmal größer“, sagte sie etwas lebhafter als zuvor. „Ich weiß noch, wie wir nach Garal kamen und uns über die kleinen Leute dort gewundert haben. Jetzt sind wir so wie sie. Alles hier ist zu groß für uns, die Möbel und die Kleider. Warum ist das so, John?“ „Ich gäbe eine Menge darum, wenn ich es wüßte“, gab er dumpf zurück. Dann zog er sie fest an sich, denn er fühlte sich fast ebenso hilflos wie sie. * Trotz der vorgerückten Stunde war es in Garal immer noch nicht ruhig geworden. Die im Zustand heller Panik aus dem Tempel geflüchteten Menschen waren noch immer verstört. Jetzt standen sie in kleinen Gruppen vor den Häusern und diskutierten über das unheimliche Geschehen. Natürlich hatte keiner begriffen, was sich in Wirklichkeit abgespielt hatte. Sie wußten nur, daß die Götter jetzt sehr erzürnt sein mußten und nur durch große Opfergaben wieder versöhnt werden konnten. Für die meisten bedeutete das persönliche Entbehrungen. Von dem Wenigen, das sie besaßen, würden sie nun noch abgeben müssen – und wer war schuld daran? Die Heiler! Einige der zuletzt Geflüchteten hatten noch gesehen und gehört, wie der Oberpriester Gernal und seine Gefährten im Namen der Götter verflucht hatte. Sie hatten diese Kunde in die Stadt gebracht, und sie hatte mit verblüffender Schnelligkeit die Runde gemacht. Jetzt wußten es bereits alle. Ramto hatte die Heiler um ihren Beistand ersucht, aber diese hatten ihm nicht geholfen! Nur deshalb waren die furchtbaren Blitze aus dem fremden Ding gezuckt und hatten den Tempeldiener getötet. Es geschah ihnen also ganz recht, wenn sie
nun Garal verlassen mußten. Sollten sie doch zu den lächerlichen Fremden gehen oder hinaus in die Einöde, wo die großen, wilden Tiere auf Beute lauerten! Natürlich schürte Ramto diese Stimmung noch weiter. Er hatte nach Überwinden des ersten Schreckes die Tempeldiener ausgeschickt und ihnen entsprechende Instruktionen gegeben. Nun gingen sie von einer Gruppe zur anderen, warfen aufhetzende Bemerkungen in die Diskussion und verschwanden anschließend, um ihr Werk fortzusetzen. Der gerissene Priester wußte, wie beliebt die Heiler bei allen waren, aber jetzt sah er endlich die Gelegenheit, ihren Einfluß auszuschalten. Sie bekamen es zu spüren, als sie sich langsam durch Garal zu ihren Häusern bewegten. Wo sie vorbeikamen, verstummten die Gespräche, und man wandte ihnen demonstrativ den Rücken zu. Gernal versuchte, den einen oder anderen anzusprechen, dem er früher geholfen hatte, aber er erhielt keine Antwort. Schließlich legte Nandu Der Wissende die Hand auf seinen Arm. „Laß es, Gernal, du wirst damit nichts mehr erreichen. Auf euch liegt jetzt der Fluch der Götter, niemand fragt sich, ob ihr wirklich das Unheil hättet verhindern können. Ramto hat sein Ziel erreicht, ihr seid für alle Zeiten geächtet. Es ist unnütz, jetzt noch Zeit an die Leute zu verschwenden, die dir nicht zuhören wollen.“ „Wir hätten Ramto töten sollen!“ sagte Kerpan, der hinter Gernal die zweite Stelle in der Heilerkaste einnahm. „Damals hatten wir die Gelegenheit, als wir ihm die grünen Pocken geschickt haben. Wie sehr er dieses Schicksal verdient hätte, hat sich ja nun erwiesen.“ Der Meister der Heiler blieb stehen. Langsam schüttelte er den Kopf, ein müdes Lächeln spielte um seinen Mund. „Ich weiß, was du damit sagen willst, Kerpan, auch wenn du es nicht auszusprechen wagst. Wir werden keinen zweiten Versuch machen, Ramto zu schaden, denn das würde mit Sicherheit auf uns zurückfallen! Man würde uns sofort verdächtigen, seinen Tod bewirkt zu haben. Sein Ableben käme Wonka wohl sehr gelegen, weil er dann seine Stelle einnehmen könnte, aber er würde den Fluch auch nicht rückgängig machen.“ Er erhob seine Stimme. „Geht jetzt alle in eure Häuser und holt jene Sachen, die ihr mitnehmen wollt. Versucht aber nicht, eure Angehörigen zum Mitgehen zu überreden, denn noch wissen wir nicht, was uns erwartet. Der Fluch erstreckt sich nicht auf sie, man wird sie also ungeschoren lassen. Später können wir sie immer noch nachholen.“ Sein Befehl wurde sofort befolgt. Schweigend zerstreuten sich die zwanzig Personen und suchten im Ungewissen Licht der beiden Monde ihren Weg. Eine halbe Stunde später trafen sie wieder auf dem kleinen Platz zusammen, mit hastig verschnürten Bündeln beladen. Ihre Zahl hatte sich nun um vier vermehrt, alles junge Mädchen, die es freiwillig auf sich nahmen, den Erwählten ihrer Herzen in die Verbannung zu folgen. Die Frauen und Kinder dagegen waren ausnahmslos zurückgeblieben. Nandu Der Wissende nickte. „Das ist gut so, Gernal. Es steht keineswegs fest, daß uns die Fremden bei sich aufnehmen werden, und in diesem Falle würden sie uns nur zur Last werden. Laß uns gehen, damit wir bis zum Morgengrauen das Fahrzeug der
Fremden erreichen.“ Gleich darauf setzte sich der Trupp in Bewegung und verschwand in der Nacht. Dutzende von Augenpaaren sahen ihnen nach, auch Ramto, der sich heimlich herangeschlichen hatte, um ihr Tun zu verfolgen. „Ihr werdet mir nicht mehr im Wege sein!“ murmelte der Oberpriester vor sich hin. „Auch Nandu Der Wissende geht mit, und das ist gut so. Jetzt gibt es in Garal niemand mehr, der es wagen wird, sich gegen mich zu stellen…“ Die Ausgestoßenen kamen nur langsam voran, denn die Dunkelheit behinderte sie. Außerdem mußten sie Rücksicht auf den alten Nandu nehmen, der an so weite Wege nicht mehr gewöhnt war. Es wurde bereits hell, als sie zu der Stelle kamen, an der sich das Schiff der Fremden befand. Befunden hatte – denn es war fort! Das war eine große und unerfreuliche Überraschung für die Flüchtlinge. Am vergangenen Tage hatte sich alle Aufmerksamkeit in Garal ausschließlich auf das Fest der Götter konzentriert. Von der Stadt aus war die ARLENE nicht zu sehen gewesen, niemand hatte ihren Start beobachtet. Regia stieß einen erschreckten Laut aus und ließ den Arm Des Wissenden los. „Sie sind fort! Was sollen wir jetzt tun, Meister?“ Gernais asketisch wirkendes Gesicht verdüsterte sich noch mehr. Er sah nachdenklich vor sich hin. „Sollten sie uns wirklich ganz verlassen haben?“ murmelte er vor sich hin. „Man könnte es ihnen nicht verdenken, sie sind schlecht genug behandelt worden; ich glaube aber nicht recht daran.“ Seine Gestalt straffte sich. „Wenn sie noch irgendwo in der Nähe sind, werden wir es herausfinden! Bildet einen Kreis und reicht euch die Hände – wir werden nach ihnen suchen.“ Dieses Suchen geschah auf rein geistiger Ebene. Nach der Aufnahme des körperlichen Kontakts schlossen die Heiler die Augen und bildeten so eine Kette angestrengter Konzentration. Was sie nun taten, ähnelte dem Fernwirken, das sie gelegentlich praktizierten, wenn ein Kranker oder Verletzter sich außerhalb der Stadt befand. Der Meister übernahm die geistige Führung, denn seine Parakräfte waren am besten ausgeprägt. Ein Teil seines Ichs schien sich von ihm zu lösen und frei davonzuschweben. Wie das vor sich ging, wußte er selbst nicht, aber plötzlich zuckte sein Körper leicht zusammen. Da war etwas – er hatte Kontakt zu den Fremden! Sie waren noch da, wenn auch ziemlich weit entfernt. In seinem Hirn entstand das Bild ihres Fahrzeugs und seiner Umgebung, das gleichzeitig auch von allen anderen wahrgenommen wurde. Gernal atmete erleichtert auf und öffnete die Augen wieder. Der magische Kreis war gelöst, aber sie hatten ihr Ziel erreicht. Dafür tauchte nun aber ein neues Problem auf. „Sie befinden sich auf dem Großen Grasfleck“, sagte Kerpan unbehaglich. „Der Weg dorthin ist weit und führt mitten durch die Einöde mit ihren Gefahren! Sollen wir wirklich das Wagnis auf uns nehmen, dorthin zu gehen, Gernal?“ Der Meister zuckte mit den Schultern. „Das ist natürlich nicht ganz einfach für uns“, gab er zu. „Ich weiß aber sonst keinen
Platz in der Umgebung, an dem wir unbehelligt leben könnten. Wir haben nicht die Mittel, um uns Hütten zu bauen, und auch kein Vieh, von dem wir uns ernähren könnten. Wir werden also dorthin gehen müssen. Das Ödland selbst brauchen wir dabei gar nicht zu durchqueren. Wenn wir jetzt bis zum Fluß gehen und seinen Ufern folgen, ist der Weg zwar weiter, aber auch gefahrloser.“ Nandu Der Wissende nickte. „Der Meister hat recht“, bekräftigte er. „Wenn wirklich wilde Tiere auftauchen, können wir vor ihnen ins Wasser flüchten, dorthin folgen sie uns nicht. Ich habe diesen Weg schon einmal gemacht, vor vielen Jahren, als ich noch jung war. Damals wollte ich zum Berg der Götter, aber ich bin nicht bis dahin gekommen. Man hatte mich beobachtet, und die Priester ließen mich zurückholen. Glaubt mir, es ist nur halb so schlimm, wie es aussieht.“ Seine Worte gaben den Ausschlag. Nach kurzer Zeit setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung und begab sich auf den Marsch zum Schiff der Fremden. 5. Bob Mall fluchte erbittert vor sich hin. „Das fängt ja gut an!“ schimpfte er. „Tschang, bring mir doch mal einen Hocker oder etwas Ähnliches. Ich komme sonst nicht in das verdammte Ding hinein.“ Mit dem „Ding“ meinte er die riesige Planierraupe, vor der er stand. Normalerweise war ihre Steuerkabine leicht zu erreichen, indem man über die riesigen Ketten aus unzerstörbarem Kunststoff nach oben stieg. Das galt jedoch nur für Menschen mit normaler Körpergröße. Für einen Zwerg, wie es der Ingenieur jetzt war, bildeten die Ketten ein fast unüberwindliches Hindernis. Der chinesische Techniker grinste und begab sich in einen Winkel des großen Laderaums, in dem die Maschinen untergebracht waren. Er kam mit einer kurzen Trittleiter zurück und baute sie neben der Raupe auf. „Reicht dir das?“ erkundigte er sich spöttisch. „Wenn du willst, kannst du aber auch einen Laufkran verwenden, ganz nach Wunsch. Du hängst dich in die Trageschlaufe, und wir hieven dich nach oben. Oder soll ich einen transportablen Antigrav…“ Seine weiteren Worte gingen in dem Gelächter der anderen Techniker unter. Sie alle würden mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, aber sie versuchten, diese durch einen gewissen Galgenhumor zu kompensieren. Mall wollte zuerst aufbrausen, doch dann besann er sich und lachte mit. In diesem Moment betrat der Kommandant den Laderaum. „So gute Laune schon am frühen Morgen?“ bemerkte er lächelnd. „Das sieht man gern, wo wir doch sonst kaum etwas zu lachen haben. Ja, Bob, mit diesen kleinen Widerwärtigkeiten werden wir in Zukunft wohl oder übel leben müssen. Doch der Mensch kann sich bekanntlich an alles gewöhnen, und so wird es auch uns ergehen.“ „Natürlich, Sir.“ Der Ingenieur nickte. „Wir werden jedenfalls tun, was wir können, damit es schnell vorangeht. Nicht wahr, ihr Banausen?“ Zustimmende Rufe klangen auf, und Bob stieg die Leiter empor und öffnete die
Kabinentür. Gleich darauf summten die starken Elektromotoren auf, die von schweren Speicherbänken mit Arbeitsstrom versorgt wurden. Die Lauf ketten begannen sich zu bewegen, und geschickt steuerte Bob Mall das Gefährt auf die Außenschleuse zu, die gleich darauf aufglitt. Das rötliche Licht der tiefstehenden Sonne ARLENIS fiel in den Raum, ein Schwall würziger Morgenluft drang herein. An sich war Garal ein schöner Planet, auf dem es sich bestimmt angenehm leben ließ, wenn man nicht gerade ein Zwerg war. Eine Rampe wurde ausgefahren und senkte sich auf den Boden hinunter. Der Höhenunterschied betrug nur zehn Meter, denn das Schiff stand nicht auf den Heckflossen, sondern war in waagerechter Lage gelandet worden. Das geschah immer dann, wenn größere Mengen von Gütern nach draußen transportiert werden mußten. Sie aus großer Höhe mittels Antigravprojektoren herabzulassen, erforderte eine erhebliche Mehrarbeit, und Unfälle waren dabei nicht auszuschließen. Bob Mall bugsierte die schwere Planierraupe behutsam über die Schräge nach unten. Bedauernd sah John Cork, wie sich die Ketten in den Boden wühlten und die unberührte Grasnarbe zerstörten. Doch so geschah es überall, wohin der Mensch im Zuge seiner Expansion kam. Der Mensch war das einzige Wesen, das, um aufbauen zu können, erst einmal zerstören mußte! Alle anderen Lebewesen paßten sich ihrer Umgebung an, weil sie auf sie angewiesen waren; weil sie nicht nur von ihr, sondern auch mit ihr leben mußten. Nur der Mensch hielt es genau umgekehrt. Er formte seine Umgebung soweit um, daß sie seinen Erfordernissen entsprach, auch wenn dadurch meist die ökologischen Gegebenheiten empfindlich gestört wurden. Dafür mußte er dann später oft genug große Anstrengungen machen, um das gestörte Gleichgewicht notdürftig wieder herzustellen… Der Captain zuckte mit den Schultern und schob diese Gedanken wieder von sich. Es war müßig, über Dinge nachzudenken, die sich doch nicht ändern ließen. Diese Entwicklung war schon vor vielen Jahrhunderten auf der Erde eingeleitet worden, die sich nur unter großen Mühen wieder von den Folgen erholt hatte. Hier auf Garal war ohnehin alles anders. Für die dreihundert Menschen der ARLENE reichte dieser eine Fleck aus, vermutlich auch noch für ihre Nachkommen. Der Planet an sich würde dabei keinen nennenswerten Schaden nehmen. Eher war das Gegenteil der Fall: Die Siedler, die mit keinerlei Nachschub mehr rechnen konnten, würden es schwer haben, sich hier zu behaupten! Inzwischen waren auch die anderen Gefährte bemannt worden und nach draußen gerollt. Es waren insgesamt sieben Planier‐ und Räummaschinen, alle mit Baggerschaufeln und sonstigen Zusatzgeräten ausgestattet. Sie entfernten sich in gerader Richtung, bis sie die Mitte des ovalen Areals erreicht hatten. Dort verteilten sie sich und begannen mit ihrer Arbeit. Schon morgen werden wir diese Landschaft nicht mehr wiedererkennen! dachte John Cork resigniert. Er wollte sich gerade wieder ins Innere des Schiffes zurückziehen, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm. Unwillkürlich fuhr seine Hand zu dem
Paralysator an seiner Hüfte, denn er dachte an wilde Tiere. Daß es hier solche gab, hatten die Geräusche gezeigt, die durch die Außenmikrophone während der Nacht ins Schiff gedrungen waren – brüllende und kreischende Laute, zwar aus einiger Entfernung, aber bedrohlich genug. Seine Hand sank herab, und seine Augen weiteten sich, als er dann die Gruppe sah, die um die Landestützen herum auf die offene Schleuse zukam. Es waren Zwergmenschen aus Garal, aus der Stadt, die ihn und seine Gefährten wie lästige Fremdkörper abgeschüttelt hatte! Was mochte das zu bedeuten haben? Hatten sich die Priester in der Zwischenzeit besonnen und wollten sich wieder die Vorteile zunutze machen, die sich für sie aus einer Zusammenarbeit mit den verstoßenen „Göttern“ ergaben? Zuzutrauen war ihnen dieser Umschwung auf jeden Fall. Doch dann erkannte der Captain Gernal und Nandu Den Wissenden, und augenblicklich wußte er, daß seine Vermutung nicht stimmte. Diese Leute waren alles andere als Freunde der Götzendiener. Daß sie nun den weiten Weg zur ARLENE angetreten hatten, offenbar sogar mitten in der Nacht, mußte eine andere Bewandtnis haben! Langsam schritt er die Rampe hinunter und ging ihnen entgegen. * „Das ist ja allerhand!“ sagte Dr. Dombrowski erregt wie üblich. „Dieser verdammte Ramto hat mir nie gefallen, aber daß er ein so übler Bursche ist, hätte ich nun doch nicht gedacht. Schade, daß er nicht das Opfer der Überschlagblitze geworden ist – anstelle des armen Tempeldieners. Wenn ich nur daran denke, daß unsere wertvollen Computer jetzt hinüber sind…“ Seine Stimme erstickte bei diesem Gedanken, und rasch ergriff John Cork wieder das Wort. „Das ist jetzt alles zweitrangig für uns geworden, Doc. Wir haben in Zukunft in anderen Maßstäben zu denken, und dabei gibt es für Computer kaum noch Platz, fürchte ich. Die ersten Arbeiten haben begonnen, und wenn erst unsere Siedlung steht, kommen allerhand ungewohnte Probleme auf uns zu. Die Konstruktion landwirtschaftlicher Maschinen dürfte Mall und seinen Leuten keine großen Schwierigkeiten bereiten, aber damit ist es längst noch nicht getan. Ich betrachte es geradezu als eine Fügung des Schicksals, daß diese Leute jetzt zu uns gestoßen sind.“ „Eine schöne Fügung!“ murmelte der cholerische Wissenschaftler, der sich noch immer nicht beruhigen konnte. „Das sind eine Menge hungriger Mäuler mehr, die wir jetzt aus unseren kargen Vorräten stopfen müssen. Oder meinen Sie etwa…“ Er verstummte, denn nun schien auch ihm ein Licht aufzugehen. Der Kommandant nickte lächelnd. „Genau das meine ich, Doc. Wir sind mit den Gegebenheiten dieser Welt in keiner Weise vertraut, und von Landwirtschaft verstehen wir soviel, wie die Priester von unseren Computern. Die meisten dieser Ausgestoßenen sind zwar Angehörige der Heilerkaste, aber auch sie haben deshalb nicht durchweg auf der faulen Haut gelegen. Sie sind mit allem vertraut, was man hier braucht, um sein Leben fristen zu
können, und sie sind bereit, uns ihre Kenntnisse zu vermitteln! Außerdem haben alle noch Verwandte in der Stadt, die sich wahrscheinlich wieder auf die Bindungen zu ihnen besinnen werden, wenn sich der durch die Priester entfachte Sturm gelegt hat.“ „Wir tun also nicht nur ihnen, sondern vor allem uns selbst einen Gefallen, wenn wir sie hier aufnehmen“, resümierte Dr. Rappan. „Doch wie haben Sie sich das vorgestellt, Captain? Im Verhältnis zu uns sind sie doch kaum mehr als primitive Wilde. Sie könnten hier im Schiff nie heimisch werden, denn die technisierte Umwelt muß ihnen regelrecht Angst einflößen. Das gilt jetzt nach dem Vorfall im Tempel wahrscheinlich doppelt.“ John Cork wiegte den Kopf. „Das kann man nicht so ohne weiteres behaupten, Doc. Diese Leute sind schließlich so etwas wie die Intelligenzschicht der Einheimischen und besitzen außerdem noch unverkennbare parapsychische Gaben. Sie sind, soweit das bei Reduzierten überhaupt möglich ist, auch zu abstraktem Denken fähig, das habe ich bei meinen Unterhaltungen mit ihnen festgestellt. Ich wäre deshalb dafür, sie einmal probeweise ins Schiff zu bringen. Sie alle brauchen ohnehin dringend vernünftige Kleidung, und in bezug auf Hygiene müßte auch etwas geschehen.“ Dr. Singh ergriff das Wort. „Es dürfte wohl die beste Lösung sein, wenn ich anfangs ihre Betreuung übernehme, Captain. Sie scheinen zwar alle kerngesund zu sein, aber ich möchte sie doch eingehend untersuchen. Bei dieser Gelegenheit könnte ich gleich EEGs anfertigen, die uns Aufschluß über ihre Gehirnstruktur geben. Der Vergleich mit den Analysen unserer Reduzierten könnte sehr aufschlußreich sein.“ Der Kommandant nickte. „Eine ausgezeichnete Idee, Doc; gut, machen wir es so. Ich werde unsere Gäste schon irgendwie überreden, mit ins Schiff zu kommen. Sie scheinen ohnehin mächtig neugierig zu sein, wie es hier drin wohl aussehen mag. Dann stecken Sie sie ins Bad und führen Ihre Untersuchungen durch, und in der Zwischenzeit werden Kleidungsstücke für sie angefertigt. Wenn diese Prozeduren beendet sind, lassen wir sie selbst entscheiden, wo sie bleiben wollen. Notfalls bauen wir draußen Zelte für sie auf, bis unsere Siedlung fertig ist.“ Die kleine Konferenz löste sich auf. John Cork verließ die ARLENE und begab sich wieder zu Gernal und seiner Gruppe. Die Ausgestoßenen hatten sich inzwischen ein Stück vom Schiff entfernt und beobachteten fasziniert die emsige Tätigkeit der Räumfahrzeuge. Diese waren äußerst vielseitige Maschinen. Sie hatten inzwischen überall dort, wo Straßen projektiert waren, breite Schneisen in die Landschaft geschlagen. Büsche, kleine Bäume und das hüfthohe Gras wurden wie spielerisch gerodet und von den Greifwerkzeugen erfaßt. Sie verschwanden im Innern der Fahrzeuge und kamen wenig später als dehydrierte und sauber gepreßte Ballen wieder zum Vorschein. Das ergab viele Tonnen reiner Zellulose, für die es vielfältige Verwendungsmöglichkeiten gab. Die größeren Holzstücke konnten zum Bau von Möbeln verwendet werden. Gleichzeitig versahen andere Mechanismen den festgewalzten Boden hinter den
Fahrzeugen über eine Breite von sechs Metern mit einer fünf Zentimeter dicken Kunststoffmasse. Sie erstarrte innerhalb weniger Minuten zu einem eisenharten Belag, der auch bei hoher Beanspruchung über Jahrzehnte hinweg haltbar blieb. Im gleichen Arbeitsgang wurden seitlich dieser Bahnen auch metertiefe Gräben geschaffen. Sie sollten später die Kanalisation, Wasserleitungen und sonstige Versorgungselemente aufnehmen. Der Captain nickte befriedigt, denn es ging gut voran. Die körperliche Reduzierung beeinträchtigte die Techniker offenbar doch nicht wesentlich bei ihrer Arbeit. Kerpan hatte John Cork entdeckt und machte die anderen auf sein Kommen aufmerksam. Sie erhoben sich, und Gernal kam auf den Kommandanten zu, fassungslos den Kopf schüttelnd. „Wie kann es nur so etwas geben, John Cork? Diese Maschinen schaffen innerhalb weniger Stunden etwas, wozu viele fleißige Männer mit ihrer Hände Arbeit Monate brauchen würden! Warum habt ihr das alles nicht den Priestern gezeigt? Sie hätten sich zitternd in ihrem Tempel verkrochen und nicht gewagt, auch noch ein Wort gegen euch zu sagen.“ Der Captain zuckte mit den Schultern. „Davon bin ich gar nicht so fest überzeugt, Gernal. Sie haben ja auch gesehen, daß wir Maschinen besitzen, die so schnell wie der Wind fahren und sogar fliegen können – hat es etwas genützt?“ Nandu Der Wissende nickte tiefsinnig. Sein faltiges Gesicht zeigte einen verstehenden Ausdruck. „Gar nichts, John Cork, und ich kann dir auch sagen, warum. Ihr habt von Anfang an einen großen Fehler gemacht! Hättet ihr einfach nur befohlen und mit schweren Strafen gedroht, wäre alles anders gekommen. Auch der hinterhältige Ramto hätte nicht gewagt, auch nur ein Wort gegen euch zu sagen, als ihr plötzlich klein geworden wart. Er kennt nur die Gewalt als oberstes Gesetz, ihr aber seid gut und milde gewesen. Milde ist jedoch in seinen Augen gleichbedeutend mit Schwäche – nur darum hat sich alles so entwickelt.“ Der Kommandant der ARLENE war von diesen Worten tief beeindruckt. Sie zeigten ihm, daß man Nandu nicht umsonst Den Wissenden nannte. Dieser alte Mann war im Verhältnis zu den anderen Bewohnern von Garal wirklich klug, das hatte er schon bei früheren Unterhaltungen erkannt. Jetzt hatte der Alte mit wenigen Sätzen genau das ausgedrückt, was das Dilemma der ARLENE‐Besatzung haarscharf umriß. „Du sagst es, Nandu“, entgegnete der Captain. „Wir konnten aber gar nicht anders handeln, verstehst du? Wo wir herkommen, gelten andere Gesetze, jeder hilft dem anderen, wenn dieser in Not ist. Deshalb werden auch wir euch jetzt helfen. Ihr seid müde und hungrig, denn ihr habt einen weiten Weg hinter euch. Darf ich euch einladen, mit in unser Schiff zu kommen? Ich weiß nicht, ob ihr euch darin wohl fühlen werdet, weil alles in seinem Innern fremd für euch ist. Doch wir wollen nur euer Bestes, daran müßt ihr denken. Einer unserer Heiler wird sich eurer annehmen, ihr werdet baden können, gutes Essen und neue Kleidung bekommen. Anschließend aber wird euch freigestellt werden, was ihr weiter tun wollt. Niemand wird euch zwingen, im Schiff zu bleiben.“
Gernal sah ihn offen an. „Wir wissen, daß du es gut mit uns meinst, John Cork. Trotzdem bitte ich dich, uns etwas Zeit für eine Beratung zu geben. Wir haben vier Mädchen bei uns, die uns zwar freiwillig gefolgt sind, aber doch große Scheu vor euch und eurem Fahrzeug empfinden.“ Der Captain willigte ein und zog sich in den Laderaum der ARLENE zurück. Er nahm von da aus Funkverbindung mit Bob Mall auf und erkundigte sich, ob alles nach Plan verliefe. Der Ingenieur schnaufte unterdrückt auf. „Eine hundsgemeine Plackerei ist das, Sir!“ beschwerte er sich. „Vom Schiff aus sieht vermutlich alles ganz einfach aus, aber das ist es wirklich nicht. Man müßte vier Arme und Beine haben, wo früher zwei genügten. Es ist verdammt schwierig, die richtigen Knöpfe und Pedale zu erreichen, wenn man nicht größer als ein zehnjähriger Junge ist.“ Trotzdem versprach er, daß die laufenden Arbeiten fristgerecht bis zum späten Nachmittag abgeschlossen sein würden. John Cork dankte ihm und kehrte dann zu der Gruppe der Ausgestoßenen zurück. Der Meister der Heiler kam ihm bereits entgegen. „Wir sind bereit“, erklärte er einfach. „Wir kommen nicht leichten Herzens, aber sehen ein, daß es nicht anders geht. Ob wir in eurem Fahrzeug bleiben, kann ich aber jetzt noch nicht sagen.“ Der Kommandant nickte ihm zu. „Das geht schon in Ordnung, Gernal. Wir werden alles tun, um euch den Aufenthalt im Schiff zu erleichtern. Folgt also den Anordnungen meiner Leute, auch wenn ihr sie nicht immer versteht. In einigen Stunden sprechen wir uns wieder, dann kannst du mir mitteilen, wozu ihr euch entschlossen habt.“ 6. Drei Tage später hatte sich der „Große Grasfleck“ drastisch verändert. Von der ursprünglichen. unberührten Landschaft war so gut wie nichts übriggeblieben. Nur die Gegend, in der später einmal die Felder und Weiden liegen sollten, hatte ihr Gesicht behalten. Der größte Teil des Areals war jetzt von schnurgeraden Straßen durchzogen, und überall dazwischen türmten sich Erdhügel auf. Die vielseitigen Maschinen hatten die nötigen Baugruben ausgehoben und waren inzwischen durch Kranfahrzeuge abgelöst worden. Diese transportierten die ersten Bauteile und senkten sie mit großer Präzision in den Boden. So entstanden die Hausfundamente und wurden mit Spritzguß verfugt. Diese Arbeit sollte bis zum Abend abgeschlossen sein. Am folgenden Tage konnte dann bereits mit der eigentlichen Errichtung der Fertighäuser begonnen werden. Die Techniker, durch den Ausfall ihrer Kameraden gehandikapt, gaben wirklich ihr Bestes. Einige mußten bei der Rückkehr zum Schiff förmlich aus ihren Fahrzeugen
gehoben werden, so ermattet waren sie. John Cork runzelte sorgenvoll die Stirn. Er bewunderte den Arbeitseifer seiner Männer, die wirklich Übermenschliches leisteten. Er wußte aber auch, daß sie das nicht beliebig lange durchhalten konnten. So reifte in ihm der Entschluß, ihnen einen freien Tag zuzugestehen. Das Wetter blieb anhaltend schön, und so kam es auf eine kleine Verzögerung kaum an. Es war besser, ausgeruhte Männer an den Maschinen zu haben als übermüdete, denen leicht Fehler unterlaufen konnten. Er stand zusammen mit Dr. Rappan in der Schleuse und sah auf das Zeltlager der Heiler hinab. Die Mehrzahl der Ausgestoßenen hatte sich nicht dazu entschließen können, im Schiff zu bleiben. Der Kommandant hatte das respektiert und vor der ARLENE sieben Zelte aufstellen lassen, in denen sie nun Unterkunft fanden. Auch die Mahlzeiten wurden ihnen dorthin gebracht. Trotzdem war der Kommandant zufrieden. Dr. Singh und seine wenigen Helfer hatten es nicht einfach gehabt, aus den Einheimischen gewissermaßen neue Menschen zu machen. Schon nach dem Marsch durch das Schiff bis zur Medostation waren sie total verängstigt gewesen. Das künstliche Licht in allen Räumen und Gängen war ihnen ebenso als Wunder erschienen wie das ständige Summen der Belüftungs‐ und Klimaanlagen. Das Innere der Medostation mit den vielen blitzenden Instrumenten hatte sie so sehr erschreckt, daß einige jüngere Männer und Mädchen schleunigst die Flucht ergreifen wollten. Es hatte großer Überredungskünste bedurft, um sie doch zum Bleiben zu bewegen. Nur in den Baderäumen hatten sie sich wohl gefühlt. Warmes Wasser und Seife – deren Gebrauch ihnen allerdings auch erst beigebracht werden mußte – hatten sie förmlich zu Kindern gemacht. Sie mußten erst mit halber Gewalt dazu gebracht werden, die Becken wieder zu verlassen und die Kleider in Empfang zu nehmen, die man ihnen brachte. Fast andächtig hatten sie diese angelegt und sich dann gegenseitig bewundert. Dann hatte man sie zum Essen geführt, das sie mit gutem Appetit verzehrten. Auch den dazu gereichten Fruchtsaft ließen sie sich schmecken. Daß er mit einem Schlafmittel versetzt war, konnten sie natürlich nicht ahnen. Bald nach der Mahlzeit hatte sie die Müdigkeit übermannt, und Dr. Singh hatte ihnen Betten in den Krankenkabinen zugewiesen. Natürlich nicht ohne Hintergedanken, denn er war bald darangegangen, die vorgesehenen Untersuchungen und Messungen vorzunehmen. Alle Ergebnisse wurden sorgfältig aufgezeichnet, um in den nächsten Tagen ausgewertet zu werden. Nachdem die Schläfer wieder erwacht waren, hatte John Cork sie aufgesucht und über ihre weiteren Absichten befragt. Doch nur Gernal, Kerpan, Regia und Nandu hatten weiter im Schiff bleiben wollen, alle anderen waren dagegen gewesen. So hatte der Captain dafür gesorgt, daß die Zelte aufgebaut wurden, in denen es die nötigen Pneumoliegen und sonstige Möbel gab. Gernal hatte ihm dafür gedankt und versichert, daß sich alle darin wohl fühlten. Dr. Rappan dagegen war gar nicht zufrieden. Er paffte an einer mächtigen Zigarre
und starrte gedankenverloren vor sich hin. Er wälzte ein Problem, das war unschwer zu erkennen. John Cork sah ihn von der Seite her an, lächelte und fragte dann: „Wollen Sie nicht endlich mit dem herausrücken, was Sie auf dem Herzen haben, Doc? Ich sehe Ihnen doch an der Nasenspitze an, was in Ihnen vorgeht. Ich bin gern bereit, Ihnen jeden Wunsch zu erfüllen, der sich im Rahmen unserer bescheidenen Möglichkeiten hält.“ Der Wissenschaftler räusperte sich. Für einen Moment schien er verlegen, aber dann gab er sich einen Ruck. „Sie haben recht, Captain, ich habe ein Anliegen. Für mich gibt es hier so gar nichts zu tun, und das behagt mir nicht. Würden Sie es für vermessen halten, wenn ich Sie darum bitte, mir für etwa zwei Tage ein Beiboot und den Piloten zur Verfügung zu stellen?“ Der Kommandant nickte langsam, denn er hatte mit etwas Ähnlichem gerechnet. Rappan war Astro‐Experte und Leiter des astronomischen Teams der ARLENE, das aber zur Zeit nur noch aus zwei Männern bestand. Außer ihm war nur Dr. Bella von der geistigen Reduzierung verschont geblieben. Beide waren tüchtige Fachleute, aber infolge ihrer einseitigen Spezialisierung nicht imstand, produktiv am Aufbau der Siedlung mitzuwirken. Nun wollten sie versuchen, sich wenigstens irgendwie nützlich zu machen, und das war begreiflich. „Sie wollen einen kleinen Ausflug in die Umgebung des Planeten unternehmen, vermute ich“, gab John Cork zurück. „Dagegen ist nichts einzuwenden, im Augenblick brauche ich weder die Boote noch Bert Keller. Haben Sie ein bestimmtes Ziel?“ Dr. Rappans Gesicht hellte sich auf. „Die beiden Monde von Garal interessieren mich, Captain. Sie bewegen sich auf recht ungewöhnlichen Umlaufbahnen, die sich nur zweimal im Jahr tangieren. Vor vier Tagen hat eine solche Begegnung stattgefunden, ich habe sie zusammen mit Dr. Bella beobachtet. An diesem Abend fand auch das ,Fest der Götter’ in der Stadt statt, das einen wenig festlichen Abschluß fand. Beim Anflug haben wir uns nicht weiter um die Monde gekümmert, und das möchte ich nun nachholen.“ Der Kommandant nickte. „In Ordnung, Doc. Ich werde Keller die Order geben, ein Boot klarzumachen, so daß Sie morgen früh starten können.“ Der Wissenschaftler dankte und entfernte sich. Cork sah ihm lächelnd nach, denn er versprach sich nicht viel von diesem Flug. Er betrachtete ihn mehr als eine Beschäftigungstherapie, wie es Dr. Singh ausgedrückt hätte. Daß es auf einem der Monde etwas von Belang zu finden gab, erschien ihm sehr unwahrscheinlich. Bald darauf kehrten die Kranfahrzeuge leer zurück. Die Techniker machten Anstalten, neue Bauteile aufzuladen, aber der Captain winkte ab. „Feierabend, Männer! Heute wird nichts mehr getan, und auch morgen haben Sie einen freien Tag. Man soll bekanntlich nichts übertreiben, und Sie haben Ihr Soll bereits reichlich erfüllt.“ Bob Mall strich sich das verschwitzte Haar aus der Stirn und wollte protestieren, aber der Kommandant schnitt ihm das Wort ab. „Es bleibt dabei, Bob, und wenn Sie sich auf den Kopf stellen. Sie sind mit Ihrem Trupp jetzt seit drei Tagen pausenlos im
Einsatz, und das können Sie einfach nicht durchhalten. Wenn Sie zusammenklappen, können wir weit mehr als nur einen Tag verlieren.“ Der Ingenieur gab nach. „Meinetwegen, Sir. Die Wärme macht uns wirklich zu schaffen, die Lüftung in den Kränen läßt einiges zu wünschen übrig. Gut, ruhen wir uns also morgen einmal gründlich aus. Auf der Erde ist dann übrigens gerade Sonntag, also paßt das gut.“ Die Männer polterten an John Cork vorbei, und dieser machte ein reichlich verblüfftes Gesicht. Er hatte inzwischen vor lauter Arbeit tatsächlich vergessen, daß es auch so etwas wie Sonn tage gab… * Am Mittag dieses Sonntags meldete sich nach dem Essen die Magazinverwalterin Maria Tschwerkowa bei ihm. Infolge des Ausfalls der zuständigen Männer hatte sie zusätzliche Aufgaben übernehmen müssen, und dazu gehörte auch die Verwaltung der Vorräte im Schiff. „Unser Wasservorrat geht langsam zu Ende, Sir! Der Verbrauch ist jetzt viel höher als normal, weil viele Reduzierte einfach vergessen, nach dem Waschen oder Trinken die Hähne wieder zuzudrehen. Wir kommen nur noch etwa zwei Tage mit dem Inhalt unserer Tanks aus, dann brauchen wir unbedingt Nachschub.“ Der Kommandant nickte der zierlichen schwarzhaarigen Russin zu. „Gut, Maria, ich werde mich darum kümmern. Sonst ist alles in Ordnung?“ Die junge Frau lächelte. „Die Lebensmittel werden sogar erheblich länger reichen, als wir angenommen haben, Sir. Da sich die Reduzierten kaum körperlich betätigen, essen sie entsprechend wenig. Ich habe veranlaßt, daß ihre Portionen geringer gehalten werden, und bisher hat es noch keiner gemerkt.“ Sie ging, und John Cork sah ihr sinnend nach. Vor dem Eintritt der Katastrophe war sie mit einem Maschinenmaat liiert gewesen, der besonders stark von der Verdummung betroffen war. Das mußte sie schwer getroffen haben, aber sie verstand es meisterhaft, ihre Gefühle zu verbergen. Er schob diese Gedanken wieder von sich und winkte Bob Mall, der sich gerade erhob. „Kommen Sie, Bob, wir haben ein neues Problem. Unsere tüchtige Maria hat mir eben gemeldet, daß uns das Wasser auszugehen droht. Wir werden also morgen früh ein Tankfahrzeug zum Fluß schicken müssen, organisieren Sie das bitte.“ Der Ingenieur überlegte und schüttelte dann den Kopf. „Das erscheint mir wenig sinnvoll, Sir, ganz offen gesagt. Zum einen müßte der Wagen mindestens zehnmal fahren, um eine nennenswerte Menge Wasser heranzuschaffen. Zum anderen müßte der Inhalt des Tanks jedesmal gefiltert und auf schädliche Mikrolebewesen kontrolliert werden, und das wäre unverhältnismäßig viel Arbeit. Ich weiß einen besseren Weg.“ „Welchen?“ erkundigte sich der Kommandant knapp. „Eine Tiefenbohrung auf unserem Siedlungsgelände, Sir. Wir beabsichtigen ohnehin, die wassergefüllten Hohlräume für unsere Versorgung zu nutzen. Wenn wir diese
Arbeit jetzt vorziehen, tritt keine nennenswerte Stockung in unserem Programm ein.“ John Cork nickte. „Darauf hätte ich auch selbst kommen können! Natürlich ist das weit besser. Der Mann, der sonst zehnmal bis zum Fluß Gar fahren müßte, tut etwas, das später ohnehin getan werden muß. Gut, machen wir es so, eine Leitung bis zur Bohrstelle ist ja schnell gelegt, und das Wasser dürfte relativ sauber sein.“ Bob Mall grinste kurz. „Ich werde das selbst übernehmen, Sir“, versprach er. Er war nicht wenig erstaunt, als sich der Captain am nächsten Morgen ebenfalls bei dem Spezialfahrzeug einfand, das er eben besteigen wollte. Nun grinste John Cork. „Meinen Sie, ich wäre aus dem Bett gefallen, weil ich schon so früh auf den Beinen bin? Keineswegs, Bob, ich habe lediglich das Verlangen, auch wieder einmal etwas anderes zu tun. Sonst habe ich nur immer den theoretischen Kram am Hals und stehe als Kommandant sozusagen, über den Dingen. Das kann mich auf die Dauer nicht befriedigen, ich will mich auch einmal anderweitig betätigen.“ Der Ingenieur nickte. „Das kann ich verstehen, Sir. Im Schiff läuft ja ohnehin alles schon viel besser, die Reduzierten haben ihren Schock inzwischen überwunden. Wollen Sie den Wagen selbst steuern?“ Cork winkte ab. „Machen Sie das nur, Bob, mir fehlt eben doch die Praxis. Unsere Spezialfahrzeuge sind viel zu kostbar, als daß wir es uns leisten können, sie durch unsachgemäße Behandlung zu ruinieren. Wir werden sie wahrscheinlich noch öfter brauchen, und Ersatzteile sind dünn gesät.“ Er nahm auf dem zweiten Sitz Platz, und Bob Mall ließ den riesigen, kastenförmigen Arbeitswagen langsam ins Freie schweben. Er war mit einer Antigravanlage ausgerüstet, die bei der Arbeit Verwendung fand, ihn aber auch zu kurzen Flügen befähigte. Einige der Ausgestoßenen saßen vor ihren Zelten bei der Morgenmahlzeit. Sie wichen erschrocken zurück, als sie das Ungetüm lautlos auftauchen sahen, aber die Männer winkten ihnen beruhigend zu. Mall regulierte den Antigrav neu ein, das Fahrzeug wurde schneller und schwebte etwa dreihundert Meter weit. John Cork hatte inzwischen eine Kopie der Geländekarte zu Rate gezogen. Nun hob er die Hand. „Etwas mehr rechts, Bob, und ungefähr dreißig Meter weiter. Ja, so ist es gut. Hier unter uns muß eine größere Kaverne liegen, mit gutem Felsquellwasser gefüllt. Wenn die Messungen der Hohlraumtaster stimmen, dürfte uns ihr Inhalt für etwa ein halbes Jahr versorgen können.“ Der Ingenieur ließ das Gefährt zu Boden sinken, stellte sich auf die Zehenspitzen und betätigte einige Schalthebel. Surrend öffnete sich das Vorderteil des Kastens, und eine Hydraulik fuhr einen kompakten Bohrsatz aus. Mit seiner Hilfe konnte ein Schacht von einem Meter Durchmesser bis in etwa dreißig Meter Tiefe geteuft werden. Eine weitere Schaltung, und die Arbeit begann. Sensoren registrierten die Beschaffenheit des Bodens und regulierten automatisch die Drehgeschwindigkeit des Bohrkopfs, der sich in die weiche Erde senkte. Auch er wurde von einem starken Elektromotor angetrieben, der seine Energie aus den
Speicherbänken des Fahrzeugs bezog. Der Aushub wurde von einem entsprechend gepolten Antigravfeld erfaßt, seitlich abtransportiert und etwa zehn Meter entfernt abgelagert. Die etwa zehn Meter starke Schicht aus Humus und Sand war bereits nach knapp zwei Minuten durchstoßen. Nun verstärkte sich das Summen des Motors, das bisher gleichmäßig dumpfe Arbeitsgeräusch des Bohrkopfs schwoll zu einem lauten Heulen an. Der Rotor hatte den felsigen Untergrund erreicht und fraß sich, nun mit erheblich verminderter Geschwindigkeit, in diesen hinein. Aufmerksam beobachteten die beiden Männer die Kontrollen. Sie mußten stehen, um die Skalen ablesen zu können, denn auch hier war alles auf normal große Menschen zugeschnitten. Sie brauchten aber nicht einzugreifen, die ausgeklügelte Automatik der Anlage arbeitete störungsfrei. Bob Mall schaltete lediglich die Düsen oberhalb des Bohrkopfs ab, die bisher die Wandung des Bohrlochs mit einer augenblicklich erstarrenden Kunststoffmasse besprüht hatten. Der Fels war stabil genug, es bestand keine Einsturzgefahr. Er nickte dem Kommandanten zu. „Noch knapp drei Minuten, dann sind wir durch, Sir. Die Felsdecke ist nur etwa vier Meter stark und nicht besonders hart. Etwas Wasser wird wohl dann auslaufen, aber vermutlich nicht allzuviel. Nach den Angaben der Taster ist der Druck in der Kaverne nicht so hoch, daß es zu einer Fontänebildung kommen könnte.“ Dann waren die drei Minuten um, der Bohrkopf stieß ins Leere und schaltete sich automatisch ab. Gleichzeitig wurde auch das Antigravfeld desaktiviert, und nun warteten die beiden Männer auf den Austritt des Wassers aus dem Schacht. Sie warteten vergeblich, und der Ingenieur schüttelte verwundert den Kopf. Er betätigte einen Hebel, der Bohrsatz wurde aus dem Schacht gehievt. Verblüfft sahen John Cork und Bob Mall, daß er vollkommen trocken war. Der Kommandant faßte sich als erster und stieß ein leises Lachen aus. „Es sieht ganz so aus, als hätten wir hier eine dicke Niete gezogen, Bob! In dem Hohlraum unter uns befindet sich offenbar kein Wasser, sondern nichts weiter als ganz ordinäre Luft…“ Der Ingenieur fluchte leise vor sich hin. „Das ist aber wenig erfreulich, Sir. Wenn es sich bei den anderen Kavernen ähnlich verhält, ist unsere erhoffte Wasserversorgung direkt am Ort ein typisches Windei! Dann bleibt uns doch nichts weiter übrig, als jeden Tropfen mühsam aus dem Fluß zu holen.“ John Cork klopfte ihm tröstend auf die Schulter. „Nehmen Sie es nicht so schwer, Bob. Noch ist ja nicht gesagt, daß es wirklich überall so ist. Notfalls können wir immer noch eine Tiefenbohrung vornehmen, bis wir auf das Grundwasser stoßen. Kommen Sie, wir steigen aus und sehen uns die Sache einmal aus der Nähe an.“ Sie verließen das Fahrzeug und begaben sich zu dem Bohrloch. Bob Mall erreichte es als erster und sah hinein. Gleich darauf fuhr er verblüfft zusammen. „Sehen Sie doch nur, Sir!“ keuchte er fassungslos. „Dieser Hohlraum hat es wirklich in sich – er ist hell erleuchtet…“
Mit einigen raschen Schritten war der Captain neben ihm, und im nächsten Moment weiteten sich seine Augen. Der Ingenieur hatte recht, aus dem Schacht drang ein heller Lichtschein zu den Männern empor. Es handelte sich einwandfrei um künstlich erzeugtes Licht, und es blendete so stark, daß die beiden Männer nicht erkennen konnten, was sich weiter unten befand. John Cork überwand sein Erstaunen und pfiff leise durch die Zähne. „Ich glaube, daß wir hier auf etwas viel Wertvolleres als Wasser gestoßen sind, Bob! ARLENIS ist eine alte Sonne, und schon beim Anflug wurde die Vermutung laut, daß es auf ihren Planeten schon vor langer Zeit intelligente Wesen gegeben haben könnte. Sie scheinen zwar inzwischen ausgestorben zu sein, aber offenbar haben sie doch noch Relikte hinterlassen. Ziemlich bedeutende, wie mir scheint, wenn in dieser Kaverne sogar die Beleuchtung noch funktioniert.“ Der Ingenieur nickte langsam. „Es sieht so aus, als hätten Sie recht, Sir, wenn die Begleitumstände auch reichlich seltsam sind. Ich nehme an, daß Sie diesen Spuren nachgehen wollen, nicht wahr?“ „Darauf können Sie sich verlassen“, bestätigte der Kommandant. „Allerdings dürfte es wenig Sinn haben, wenn wir beide uns jetzt Hals über Kopf daranmachen. Uns fehlen alle Hilfsmittel, und was uns da unten erwarten mag, ist ungewiß. Verschließen Sie also das Bohrloch mit einem Kunststoffdeckel, wir kehren zum Schiff zurück, um Verstärkung und Geräte zu holen.“ Er zeigte ein gleichmütiges Gesicht, doch in seinem Innern sah es ganz anders aus. Die Tatsache, hier auf subplanetare Anlagen einer alten Rasse gestoßen zu sein, erregte ihn sehr. Vielleicht hatten diese Wesen eine hochentwickelte Technik besessen – vielleicht war in der Kaverne sogar etwas zu finden, das der ARLENE die Rückkehr zur Erde ermöglichte…! 7. Ramto hatte Sorgen. Er beriet sich mit den anderen Oberpriestern, denn es mußte endlich etwas geschehen. Der Tempel war durch die Geschehnisse am Abend des Festes zu einer Stätte des Schreckens geworden. Er war entweiht, aber das allein wäre noch nicht sehr schlimm gewesen. Ramto war ein findiger Mann und hätte bestimmt überzeugende Worte gefunden, um die Bewohner von Garal wieder in das Gebäude zu bringen. Er hätte die nötigen Beschwörungen praktiziert, um die Götter wieder zu versöhnen. Dann wäre er an der Spitze seiner Mitpriester feierlich in den Tempel gezogen, und bald wäre ihm auch das Volk gefolgt. Er verachtete es zwar, aber seine Gaben und Opfer waren ihm und den anderen hochwillkommen. Sie mußten aber vor den Altären der entsprechenden Götter niedergelegt werden, und das war immer noch unmöglich. Den Grund dafür bildeten die beiden ruinierten Kleincomputer, die noch immer auf dem Podest im Tempel standen. Die Priester hatten zwar erreicht, daß die
Tempeldiener die Leiche ihres verunglückten Gefährten herausholten, um ihn zu bestatten. Zu mehr waren sie jedoch nicht zu bewegen gewesen. Weder Versprechungen noch Drohungen hatten sie soweit gebracht, auch die Unglücksmaschinen zu entfernen. „Es muß aber etwas geschehen!“ fistelte Ramto. Seine niedrige Stirn lag in dicken Sorgenfalten, die kleinen Augen verschwanden fast in dem feisten, unmutig verzogenen Gesicht. Er hob seine Rechte und deutete auf Wonka, der in der hierarchischen Rangfolge der Götzendiener gleich nach ihm kam. Der Angeredete wand sich unbehaglich. „Warum fragst du gerade mich?“ gab er ausweichend zurück. „Ich habe auch schon alles versucht, aber die Diener wollen einfach nicht hören. Meinst du, ich könnte Wunder wirken?“ Ramto sah ihn strafend an und wollte aufbrausen, doch im nächsten Moment veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Die Falten verschwanden von seiner Stirn, sekundenlang überlegte er angestrengt. Dann huschte ein listiges Lächeln über sein Gesicht. „Du weißt zwar nicht viel, aber du hast mich trotzdem auf einen guten Gedanken gebracht. Ein Wunder – das ist es! Wir werden ein Wunder geschehen lassen, und dann wird alles wieder gut sein.“ Der hagere Landis beugte sich interessiert vor. „Laß hören, Ramto“, forderte er. „Wunder geschehen nur selten und meist nur durch Zufall. Es ist jetzt schon viele Jahre her, seit sich das letzte ereignet hat. Ehrlich gesagt: Ich zweifle daran, daß wir imstande sind, eines zu vollbringen. Wie willst du es also anfangen?“ Ramto wiegte den Kopf. „Natürlich hast du recht“, sagte er. „Wie es dabei zugehen soll, weiß ich selbst noch nicht, daß muß reiflich überlegt werden. Fehler dürfen wir uns jedenfalls nicht leisten, sonst ist unser Ansehen für immer dahin; damit natürlich auch die Opfergaben und unser gutes Leben hier. Doch nun haben wir den richtigen Gedanken, und wenn wir eingehend überlegen…“ Er unterbrach sich ärgerlich, denn einer der Tempeldiener kam in den Raum gestürzt. Eine scharfe Zurechtweisung lag Ramto auf der Zunge, doch er hielt sie zurück, als er das Gesicht des Mannes sah, ehe sich dieser vor ihm zu Boden warf. Etwas Schlimmes mußte geschehen sein. „Sprich!“ forderte er den geduldig Abwartenden auf. „Was ist so wichtig, daß du uns hier zu stören wagst?“ Er beherrschte sich zwar, ihm war aber durchaus nicht wohl zumute. Sollten die Fremden etwa zurückgekehrt sein, um nun ihren Willen mit Gewalt durchzusetzen? Die Macht dazu besaßen sie, daran hatte Ramto keinen Augenblick lang gezweifelt. Daß sie sie nicht eingesetzt hatten, verstand er jetzt noch nicht. „Firkus ist verunglückt“, berichtete der Diener verstört. „Er befand sich draußen auf der Weide und wurde von einem wütend gewordenen Stier auf die Hörner genommen. Man hat ihn, so schnell es ging, auf einem Pferd in die Stadt gebracht. Er liegt jetzt draußen vor dem Haus, es scheint ihm sehr schlecht zu gehen. Seine Angehörigen bitten euch, eure Macht einzusetzen, damit er nicht stirbt.“ Ramto atmete auf, weil sich seine Befürchtung bezüglich der Fremden als
unbegründet herausstellte. Gleich darauf aber wurde ihm klar, daß seine Situation trotzdem durchaus nicht beneidenswert war. Man verlangte von ihm und den anderen Priestern, den Verletzten zu heilen – und er wußte beim besten Willen nicht, wie er das anfangen sollte… Dieses Problem hatte sich seit undenklichen Zeiten für die normalen Bewohner von Garal nicht mehr gestellt. Schließlich hatte man die Heiler, die man nur zu rufen brauchte. Sie waren imstande, durch den Einsatz ihrer unbegreiflichen Fähigkeiten wahre Wunder zu wirken. Nur in ganz verzweifelten Fällen von Krankheit oder Verletzung konnten auch sie nicht mehr helfen, und auch der natürliche Alterstod entzog sich ihrem Zugriff. Das war einmal so gewesen – jetzt waren sie nicht mehr da! Ramto selbst hatte sie aus der Stadt gejagt, ohne die späteren Folgen zu bedenken. Das rächte sich nun, und der Oberpriester fühlte sich wirklich ratlos. „Wir werden kommen“, äußerte er heiser, und der Tempeldiener entfernte sich. Als er den Raum verlassen hatte, sahen sich die Priester betreten an. „Was willst du nun tun?“ fragte Wonka nicht ohne Schadenfreude, die er aber gut verbarg. Ramto zuckte zuerst nur mit den Schultern, doch allmählich gewann er seine Ruhe zurück. „Wir gehen hinaus und rufen die Götter an“, entschied er schließlich. „Mehr können wir nicht tun, und mehr wird man wohl von uns auch nicht erwarten. Vielleicht geht alles gut ab.“ Seine Zuversicht sank jedoch beträchtlich, als er dann den Verletzten sah. Die Hörner des Bullen hatten Firkus schwere Wunden am ganzen Körper beigebracht. Der Mann war ohne Besinnung und atmete nur noch schwach. Seine Frau und sein Bruder standen neben ihm, etwa zwei Dutzend Stadtbewohner bildeten in einiger Entfernung einen Halbkreis. Das Pferd war an einem Baum festgemacht und scharrte unruhig mit den Hufen, weil es das frische Blut roch. Die vielen Zuschauer waren durchaus nicht nach Ramtos Geschmack, denn er sah sofort, daß es schlecht um den Viehhüter stand. Doch es gab kein Zurück, und so fügte er sich in das Unvermeidliche. Er hob würdevoll die Arme und begann, Lanzer und Morwig anzurufen, die Götter der Hoffnung und der Güte. Er beschwor sie, sich des Verletzten zu erbarmen und ihm Heilung zuteil werden zu lassen, wofür er ihnen reichliche Opfer versprach. Sein heller Gesang, in den zuweilen auch die anderen Priester einfielen, klang weithin und lockte noch mehr Leute an. Fast schien es, als sollten seine Bemühungen Erfolg haben. Firkus schlug nach einer Weile die Augen auf, begann sich zu bewegen und versuchte sich aufzurichten. Doch das war nur ein letztes Aufbäumen vor dem Tode – gleich darauf fiel er wieder zurück, streckte sich, und seine Augen brachen. Ramto hatte sich bereits darauf vorbereitet, einen Lobgesang auf die Götter anzustimmen, doch nun blieb ihm der Ton in der Kehle stecken. Hastig brach er ab, und eine unheilvolle Stille entstand. Nur das leise Schluchzen der Angehörigen war noch zu vernehmen. Die Augen der Anwesenden richteten sich nun voll auf den Oberpriester, der sich äußerst unbehaglich fühlte. Doch ein Mann wie Ramto wußte sich auch hier zu helfen.
„Wir haben getan, was wir konnten“, erklärte er mit gedämpfter Stimme. „Ich bedaure sehr, daß es uns nicht gelungen ist, Firkus am Leben zu erhalten. Die Götter haben es nicht gewollt, sie haben ihn in ihr Reich geholt, um ihm ihre Herrlichkeit zu zeigen. Lasset uns die Götter loben!“ Er glaubte, sich damit einen guten Abgang verschafft zu haben. Doch nur einige fielen in seinen Ruf ein, der überwiegende Teil der Anwesenden verharrte in dumpfem Schweigen. Instinktiv wußte Ramto, was sie nun dachten, und senkte seine Augen, um die vorwurfsvollen Blicke nicht länger ertragen zu müssen. Man gab ihm die Schuld am Tod des Verunglückten, das war klar! Die Heiler waren fortgejagt worden, weil Ramto sie verflucht hatte. Früher hatten sie in ähnlich aussichtslosen Fällen Heilungen herbeigeführt. Nur deshalb war die Kopfzahl der Bewohner von Garal immer auf etwa dem gleichen Stand geblieben, obwohl es kaum noch genügend Kinder gab. Wie sollte es nun ohne die Heiler weitergehen? Niemand sprach einen Vorwurf aus, aber das absolute Schweigen sagte alles. Ramto gab den anderen Priestern einen Wink und stimmte einen sehr allgemein gehaltenen Lobgesang auf die Götter an. Langsam schritten sie ins Haus zurück, so daß ein halbwegs passabler Rückzug zustande kam. Doch das war nur Schein, und sie wußten es. In Wirklichkeit hatten sie eine empfindliche Niederlage erlitten, die sich schnell in der Stadt herumsprechen würde. Unter diesen Umständen war für absehbare Zeit auch nicht daran zu denken, etwas zur Räumung und Wiederweihe des Tempels zu unternehmen. Und woher sollten dann in Zukunft die Opfer kommen, von denen die Priester ausschließlich lebten? Wonka war nicht so hinterhältig und verschlagen wie Ramto, aber nun begann auch er in ähnlichen Bahnen zu denken. Nur sein Amtsbruder trug die Schuld am Geschehen der letzten Tage, das ihre Existenz untergrub. Er war nur durch Betrug und Mord an die Spitze der Priesterschaft gelangt. Wäre es da nicht recht und billig gewesen, ihn auf ähnliche Weise auch wieder auszuschalten? Später konnte man dann dem Volk erklären, daß Ramto durch die Götter gerichtet worden sei und daß man die Heiler wieder zurückholen würde. Dann würde alles wieder in Ordnung kommen. Wonka wußte auch schon, wen er mit der Inszenierung des „tragischen Unfalls“ Ramtos beauftragen konnte. * „Was sagen Sie da?“ fragte Dr. Rappan entgeistert. „Eine subplanetare Anlage fremder Intelligenzen mitten in unserem Siedlungsgebiet? Täuschen Sie sich auch nicht, Captain?“ John Cork zuckte lächelnd die Schultern. „Wenn Sie mir nicht glauben wollen, dann fragen Sie nur Bob Mall, der hat es schließlich auch gesehen. Wenn aus einer Kaverne in etwa fünfzehn Meter Tiefe helles Licht statt des erhofften Wassers kommt, liegt der Fall wohl ziemlich klar.“ „Das ist wirklich eine Sensation“, meinte der Xenologe Dr. Jordan und fuhr sich erregt durch das volle, dunkle Haar. „Was sich da unten auch immer befinden mag,
es muß unvorstellbar alt sein. Wollen Sie bald darangehen, diesen Hohlraum zu untersuchen? Ich wäre gern dabei.“ Der Kommandant nickte. „Ich habe bereits Anweisung gegeben, auch heute die Arbeiten draußen ruhen zu lassen. Wir wissen nicht, was sich unter dem Baugelände alles befinden mag, das den Aufbau problematisch machen kann. Es hätte wenig Sinn, einfach weiterzumachen, ehe diese Frage geklärt ist.“ „Damit haben Sie vollkommen recht“, stimmte ihm Dr. Bella zu. „Kann ich auch mitkommen, Captain? Ich bin zwar Astrophysiker, aber ich könnte Ihnen trotzdem von Nutzen sein. Ich verfüge über das nötige Wissen, um Altersbestimmungen nach der C 14‐Zerfallsmethode vornehmen zu können.“ John Cork winkte energisch ab. „Vielleicht später, Doc, die theoretischen Dinge kommen erst in zweiter Linie. Bei der ersten Erkundung brauche ich Männer mit technischer Praxis; ich denke da neben Bob Mall an Dolf van Sprengel, unser Allroundgenie. Sie werden auch dabei sein, Dr. Jordan, Fremdrassen sind schließlich Ihr Fachgebiet. Mehr Leute möchte ich aber nicht mitnehmen, um nicht unnütz das Leben Normaler zu gefährden.“ Dr. Rappan hatte seine Verwunderung überwunden. „Wie steht es nun aber um meinen geplanten Flug, Captain?“ erkundigte er sich sachlich. „Soll ich ihn vorerst zurückstellen?“ Der Kommandant überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf. „Nicht nötig, Doc, starten Sie nur wie vorgesehen. Im Augenblick gibt es für Sie doch sonst nichts zu tun, und auch Keller wird voraussichtlich nicht gebraucht. Falls sich die Lage gravierend ändern sollte, werde ich Sie über Funk verständigen.“ Eine Viertelstunde später war der Einsatztrupp bereit. Die vier Männer hatten vorsichtshalber leichte Raumanzüge angelegt, um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein. Sie führten Meß‐ und Aufnahmegeräte verschiedener Art mit sich, sowie Allzweckwerkzeuge, Grabgeräte und Sprengkapseln. Auch Waffen wurden mitgenommen, diesmal aber nicht nur die harmlosen Paralysatoren, sondern Energiestrahler, die als Schweißgeräte eingesetzt werden konnten, falls es Hindernisse zu überwinden gab. „Wir sind behangen wie Weihnachtsbäume!“ sagte van Sprengel, als sie aufbrachen. John Cork hob die Schultern. „Es handelt sich schließlich um eine Expedition ins Ungewisse, Dolf. Im Laufe der Jahrhunderte sind auf neuen Welten mehrfach Relikte verschollener Fremdintelligenzen gefunden worden, die es erheblich in sich hatten. Wenn wir erst einmal wissen, wie es da unten aussieht, werden wir auch unsere Mittel relativieren.“ Sie benutzten wieder das Spezialfahrzeug für Bohrungen, das von zwei Gleitern mit vier weiteren Technikern begleitet wurde. Das Beiboot mit Bert Keller, Dr. Rappan und Dr. Bella an Bord war kurz zuvor gestartet. Einige nicht reduzierte Besatzungsmitglieder verfolgten ihre Abfahrt, zogen sich aber bald wieder ins Schiff zurück. So aufregend die Entdeckung auch war, sie durften darüber die Betreuung der Verdummten nicht vergessen.
Je näher sie ihrem Ziel kamen, um so ruhiger wurden die vier Männer. Sie unterdrückten ihre Erregung und konzentrierten sich voll auf die bevorstehende Aufgabe. Die Erfahrungen auf vielen fremden Planeten hatten ihnen gezeigt, daß Emotionen nur hinderlich waren, wenn es sachliche, zweckgebundene Dinge zu tun galt. Bob Mall manövrierte das schwere Gefährt so, daß es wieder die gleiche Stellung wie am frühen Morgen einnahm. Diesmal wurde jedoch – der Bohrsatz nicht ausgefahren, sondern lediglich die Antigravprojektoren wurden aktiviert. Das Feld wurde so gepolt, daß es als Minussphäre diente, die sich bis zum Grund des subplanetaren Hohlraums erstreckte. Anschließend wechselten die Besatzungen der beiden Gleiter in das Fahrzeug über, um eventuell notwendig werdende Maßnahmen durchführen zu können. Sie standen über die Sprechfunkanlagen der Raumanzüge mit John Cork und seinen Begleitern in Verbindung. Die Kunststoffabdeckung war entfernt worden, der Schacht lag offen vor ihnen. Nach wie vor strahlte aus ihm das helle Licht hervor, das in starkem Kontrast zu dem rötlichen Schein der Sonne stand. John Cork räusperte sich und nickte dann entschlossen. „Ich gehe als erster, die anderen folgen mir in jeweils drei Meter Abstand. Sollte sich etwas Unvorhergesehenes ereignen, wird das AG‐Feld sofort umgepolt, damit wir den Schacht schnell wieder verlassen können. Sonst handelt niemand ohne meine ausdrückliche Anweisung – klar?“ Die anderen Männer bestätigten, und dann schwang sich der Captain in das Bohrloch. Es bot seinem Körper, genügend Platz, die Antigravanlage reduzierte seine Fallgeschwindigkeit bis auf einen Meter pro Sekunde. Er hatte zuerst erwogen, sich mit dem Kopf voran herunterzulassen, diesen Plan aber nach kurzem Überlegen wieder verworfen. Statt dessen zog er die Beine so weit wie möglich an, seine Rechte hielt den Energiestrahler. Das ist eigentlich nicht gerade das Richtige! schoß es ihm während des Abwärtsgleitens durch den Kopf. Wenn es da unten noch lebende Wesen gäbe, müßten sie einen Mann mit gezogener Waffe sofort als potentiellen Angreifer einstufen. Wenn sie es dann ähnlich hielten wie viele Menschen und erst schießen würden, statt zu fragen… Trotzdem behielt er die Waffe in der Hand. Mit jeder Sekunde wurde das Licht unter ihm heller, aber die Sichtblende seines Raumhelms verdunkelte sich automatisch und schuf so den erforderlichen Ausgleich. Dann war es soweit. John Corks Körper versteifte sich unwillkürlich, als er aus dem Bohrloch ins Innere der Kaverne glitt. Instinktiv vollführte er eine halbe Rolle, so daß er gleich darauf in waagerechte Haltung kam. Sein Kopf bewegte sich rasch von einer Seite zur anderen, und dann atmete der Captain erleichtert auf. Der Hohlraum unter ihm war vollkommen leer! Er war oval geformt, durchmaß in der Länge etwa fünfzig und in der Breite etwa dreißig Meter, während seine Höhe ungefähr zehn Meter betrug. Boden, Decke und Wände waren völlig glatt und eindeutig künstlich bearbeitet. Ein kompakter, matt schimmernder Belag überzog den Fels und verhinderte das Einsickern von Wasser.
Das Licht war hellgelb und schattenlos. Es schien ohne ersichtliche Quelle direkt aus der Decke und der Wandung zu kommen. „Wie sieht es aus, Sir?“ klang Bob Mails Stimme in seinem Helmlautsprecher auf. „Alles in Ordnung, Bob, der Raum ist leer. Moment, da ist doch etwas! An der rechten Schmalseite der Kaverne gibt es eine anscheinend aus Metall bestehende Tür. Ich habe sie nicht gleich sehen können, weil das Licht mich geblendet hat.“ Er setzte sanft unten auf und entfernte sich sofort aus dem Bereich des Antigravfeldes, denn schon schwebten auch Mall und van Sprengel herab. Neugierig und mißtrauisch schweiften ihre Blicke umher, aber es gab nichts Besonderes zu sehen. Der Raum war wirklich vollkommen leer. Dr. Jordan folgte nach, und dann standen sie ziemlich ratlos beieinander. Der Captain sah auf den Analysator an seinem Handgelenk. Die Luft in der Kaverne war durchaus atembar, nur fast ohne Feuchtigkeit. Trotzdem verzichteten die vier Männer darauf, ihre Raumhelme zu öffnen. John Cork gab den oben wartenden Technikern Anweisung, das AG‐Feld bereits umzupolen und schilderte ihnen, wie es unten aussah. Dann wandte er sich der Tür im Hintergrund zu. Sie war der Krümmung der Wand angepaßt und hob sich nur durch ihre dunklere Färbung von ihr ab. Ihr Format war rechteckig, die Höhe betrug etwa zwei, die Breite anderthalb Meter. Man sah weder eine Klinke noch eine andere Öffnungsvorrichtung. „Wollen wir, Sir?“ fragte Dolf van Sprengel unternehmungslustig. Der Kommandant zuckte mit den Schultern. „Wir werden wohl müssen, Dolf. Wir haben bisher ja noch nichts erreicht, jetzt wieder umzukehren, wäre reichlich witzlos. Ich nehme an, daß wir durch diese Tür in eine der anderen Kavernen gelangen werden; vielleicht finden wir dort eine Spur von den Unbekannten, die sie angelegt haben.“ „Wenn wir die Tür überhaupt aufbekommen!“ meinte Bob Mall skeptisch, während sie darauf zugingen. Ihre Schritte erzeugten eine Serie von dumpf hallenden Echos, die durch die Außenmikrophone zu ihnen hineindrangen. John Cork bedeutete den anderen mit einer Handbewegung, zurückzubleiben. Er selbst trat bis auf einen Meter an die Tür heran und suchte sie sorgfältig mit den Augen ab. Sie paßte sich fast vollständig der Wand ringsum an, nur eine kaum sichtbare Rille war als Begrenzung zu sehen. Jetzt erkannte der Captain auch, worauf ihre dunklere Farbe zurückzuführen war. Im Gegensatz zu ihrer Umgebung strahlte sie kein Licht aus, ihre Oberfläche war auch nicht mit Kunststoff überzogen. Sie bestand wirklich aus Metall, und als er vorsichtig mit dem Knöchel dagegenschlug, gab es einen dumpfen, hohlen Laut. John Cork winkte dem Ingenieur. „Kommen Sie, Bob, wir werden versuchen, dieser Pforte zur Unterwelt zu Leibe zu rücken. Doc, Sie und Dolf bleiben vorerst zurück. Sollte etwas passieren, womit ich allerdings nicht ernsthaft rechne, greifen Sie ein.“ Seine Annahme erwies sich als richtig, denn es geschah nichts. Fast fünf Minuten lang beschäftigten sich die beiden Männer mit der Tür. Sie fühlten und klopften jeden Quadratzentimeter ab, aber ohne jeden Erfolg. Schließlich holte Mall ein
Messer aus der Außentasche seines Anzugs und führte die Klinge in der Begrenzungsrille entlang. Sie drang zwar einige Millimeter tief ein und ließ sich beliebig weiterbewegen, aber das war auch alles. Nirgends traf sie auf einen Widerstand, der auf einen Riegelmechanismus hinwies. Der Ingenieur fluchte, und der Captain klopfte ihm beschwichtigend auf die Schulter. „Nicht aufregen, Bob, das bringt uns auch nicht weiter. Uns bleibt also nichts anderes übrig, als die Strahler einzusetzen, sonst stehen wir vielleicht morgen noch hier. Fürs erste wird es genügen, wenn wir ungefähr in Augenhöhe ein kleines Loch herausbrennen. Dann können wir wenigstens sehen, was sich auf der anderen Seite befindet, und unser weiteres Vorgehen danach ausrichten.“ Die beiden Männer traten einige Schritte zurück, nahmen die Strahlwaffen zur Hand und stellten sie auf schärfste Fokussierung ein. John Cork zeigte die Höhe an, und dann drückten sie gleichzeitig auf die Auslöser. Die sonnenheißen Strahlen trafen nebeneinander auf das Metall, das sich augenblicklich rötlich zu verfärben begann. Doch schon im nächsten Moment nahmen sie die Daumen wieder von den Feuerknöpfen. Es trat ein Effekt ein, der sie aufs höchste verblüffte: Die Tür, die ihnen so lange widerstanden hatte, rollte plötzlich unter leisem Surren nach rechts zur Seite! „Das ist doch der Gipfel!“ murrte Bob Mall, doch der Captain lachte leise auf. „Ein simples Wärmeschloß, das ist des Rätsels Lösung… Hätten wir die Tür mit der bloßen Hand an der richtigen Stelle berührt, wäre sie schon längst aufgegangen. Da aber unsere Handschuhe jede Wärmeemission verhindern, konnte der Mechanismus einfach nicht ansprechen.“ „Das kommt davon, wenn man gar zu vorsichtig ist“, sagte Dolf van Sprengel und lachte. Die vier Männer sahen in einen Korridor, der genau die Ausmaße der Tür besaß. Auch er war von dem schattenlosen, gelblichen Licht erfüllt, machte jedoch schon nach wenigen Metern eine scharfe Krümmung nach links, so daß den Männern die weitere Sicht versperrt war. Sie lauschten mit höchster Konzentration, aber vor ihnen blieb alles still. Schließlich nickte der Kommandant. Er verständigte die Techniker am Bohrloch, dann traten die vier den Weg ins Ungewisse an. 8. Es wurde ein Weg mit Hindernissen. Der Korridor wand sich schlangenförmig. Schon nach einer Minute wußten die Männer nicht mehr, in welche Richtung sie eigentlich gingen. Sie hatten inzwischen mindestens hundert Meter zurückgelegt, dabei aber das Gefühl, effektiv kaum von der Stelle gekommen zu sein. Dann teilte sich der Korridor vor ihnen, und je ein Gang knickte scharf nach links
und rechts ab. Dr. Jordan stieß einen leisen Seufzer aus. „Himmel, das ist ja das reinste Labyrinth! Ich habe schon viele fremde Anlagen gesehen, aber so verrückt angelegt war bisher noch keine. Wohin sollen wir uns jetzt wenden, Captain? Jede Seite kann die falsche sein.“ John Cork zuckte mit den Schultern. „Es wird vielleicht am besten sein, wenn wir uns trennen, damit sparen wir Zeit. Außerdem sollten wir alle paar Meter Markierungen in die Wände brennen, damit wir später notfalls den Rückweg finden können, ohne uns zu verirren. Wir bleiben auf jeden Fall über Funk in Verbindung. Wer etwas Auffälliges entdeckt, unterrichtet unverzüglich die anderen.“ Er blieb mit Bob Mall zusammen, während van Sprengel mit dem Wissenschaftler ging. Das Bild änderte sich auch in den nächsten Minuten nicht. Immer wieder gab es neue Krümmungen, das gesamte Areal des Siedlungsgeländes schien von diesen Gängen durchzogen zu sein. Die Hohlraumtaster hatten nicht auf sie angesprochen, da ihr Durchmesser zu klein war, sondern nur das Vorhandensein der großen Kavernen angezeigt. Plötzlich blieb der Captain ruckartig stehen. Er war gerade um eine weitere Biegung gekommen und sah nun einen dunklen Raum vor sich. Instinktiv sprang er zurück und preßte sich gegen die Wand, aber nichts geschah. Er nestelte eine Lampe vom Gürtel und ließ ihren Lichtkegel durch das Gewölbe wandern. Dann stieß er enttäuscht den Atem aus. „Pech gehabt, Bob! Nur eine kleine Höhlung, keine Spur von Bearbeitung zu entdecken; nackter Fels und Wasserpfützen, das ist alles.“ „Vielleicht haben die Unbekannten hier ebenfalls bauen wollen, sind aber nicht mehr dazu gekommen“, vermutete der Ingenieur. John Cork wollte gerade die beiden anderen verständigen, als ein aufgeregter Anruf von Dr. Jordan kam. „Kommen Sie schnell zu uns, Captain – ich glaube, wir sind am Ziel! Wir stehen hier vor einer riesigen Tür, durch die das Arbeitsgeräusch von Maschinen zu hören ist.“ Cork bestätigte, und dann hasteten die beiden Männer zurück. Nun erwiesen sich die in die Wände gebrannten Pfeile als große Hilfe. Ohne sie wäre es so gut wie unmöglich gewesen, in dem subplanetaren Irrgarten den richtigen Weg zu finden. Nach etwa drei Minuten stießen sie auf den Wissenschaftler und seinen Begleiter. An dieser Stelle weitete sich der Korridor beträchtlich und erreichte eine Höhe und Breite von etwa je drei Metern. Nicht viel kleiner war die Metalltür, vor der er endete, und durch sie drang ein leises Summen. „Konverter, würde ich sagen“, meinte Bob Mall sachkundig. „Ich wundere mich nur, daß wir sie nicht schon längst angemessen haben. Wir haben das Gelände schließlich eingehend abgesucht, die charakteristischen Streustrahlungen hätten uns kaum entgehen dürfen.“ Der Kommandant zog die Brauen zusammen. „Es erscheint mir fraglich, ob sie zuvor schon gearbeitet haben, Bob. Viel eher vermute ich, daß es in diesem Labyrinth Sensoren gibt, die unsere Anwesenheit registriert haben. Vielleicht war das Öffnen der ersten Tür das auslösende Moment.“ „Sie meinen, man könnte uns erwarten?“ fragte van Sprengel und griff unwillkürlich
nach seiner Waffe. John Cork schüttelte den Kopf. „Sehr unwahrscheinlich, Dolf. Ich glaube nicht, daß es hier noch wirklich lebende Wesen gibt. Vermutlich ist es nur eine Automatik, die unbeschadet die Jahrtausende überstanden hat und jetzt aktiv geworden ist. Sie glaubt wahrscheinlich, daß ihre Erbauer zurückgekehrt sind und handelt nun entsprechend.“ Dr. Jordan nickte. „Das kann durchaus sein, Captain. Computer und ähnliche Robotanlagen bleiben nahezu unbegrenzt betriebsbereit, wenn die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind. Die wichtigste ist der Schutz gegen Umwelteinflüsse, und der existiert hier bestimmt. Die Hohlräume und Gänge scheinen vollständig gegen die Außenwelt abgeschlossen zu sein, die Luft ist trocken; die Temperatur konstant.“ „Ähnliches gilt auch für Konverter“, warf der Ingenieur ein. „Voraussetzung ist hier natürlich ein Brennstoff mit einer entsprechend langen Lebensdauer, aber es gibt ja eine ganze Anzahl von Elementen mit hohen Halbwertszeiten.“ Der Captain sah nachdenklich auf die Tür. „Rekonstruieren wir also: Thermosensoren haben entweder schon auf die Öffnung des Bohrloches oder dann auf unser Eindringen angesprochen. Vermutlich arbeiten sie ähnlich wie ein Thermostat, dessen Prinzip ja wohl allen bekannt ist. Eine Feder dehnte sich, ein Relais schnappte ein, ein Kontakt wurde geschlossen. Dieser bewirkte das Anlaufen der Kraftanlage, die dann ihrerseits eine Automatik in Betrieb setzte. Jetzt fragt sich nur, welchen Zweck diese erfüllt. Ist es nur eine Versorgungsanlage – oder soll sie der Abwehr unerwünschter Eindringlinge dienen?“ „Sie sprachen vorhin davon, daß sie mit einer Rückkehr ihrer Erbauer rechnen könnte“, meinte van Sprengel. „Schließen Sie diese Möglichkeit jetzt aus?“ „Gut aufgepaßt, Dolf“, gab der Kommandant lächelnd zurück. „Es gibt eine ganze Menge von Möglichkeiten, aber ich bin dafür, daß wir uns jetzt nicnt länger mit Theorien aufhalten. Versuchen wir statt dessen, diese Tür zu öffnen; wenn wir soweit sind, werden wir mehr wissen.“ Er rief die Techniker an, schilderte ihnen die Lage und seine Absicht. Tschang, der am Mikrophon war, zeigte sich besorgt. „Sollen wir nicht hinunterkommen, um Sie zu unterstützen, Sir? Sie sind nur vier Mann, und niemand weiß, was sich hinter dieser Tür befinden mag.“ John Cork wehrte ab. „Das würde uns gewaltig aufhalten, Sie bleiben also besser dort, wo Sie sind. Bis Sie uns gefunden hätten, wäre mindestens eine Stunde vergangen, und so lange will ich nicht warten. Ich rechne nicht ernsthaft damit, daß uns hier etwas zustoßen könnte.“ Er war nicht ganz so optimistisch, wie er sich gab, aber die Ungeduld trieb ihn vorwärts. Garal hatte ihm schon zu viele Rätsel aufgegeben, mit denen er nicht fertig geworden war. Dieses aber wollte er unbedingt lösen – vielleicht barg es den Schlüssel zu allen anderen! Auch diese große Tür besaß keinen sichtbaren Öffnungsmechanismus, also war auch hier mit einem Wärmeschloß zu rechnen. Der Captain nahm sich jedoch nicht die Zeit, lange danach zu suchen. Er stellte seinen Strahler auf Minimalleistung, so daß
er nur eine schwache Hitzeemission abgab, und bestrich dann damit die Metallfläche. Der Erfolg trat überraschend schnell ein. Als hätte sie nur auf diesen Moment gewartet, rollte die Tür schon nach wenigen Sekunden beiseite und gab den vier Männern den Blick in den dahinterliegenden Raum frei. * Gedämpftes rötliches Licht empfing sie. Es war so schwach, daß sie im ersten Augenblick gar nichts erkennen konnten. Erst als sich die Sichtblenden auf die veränderte Lage eingestellt hatten, wurde es besser. Sie hatten sich zur Seite gedrängt und hielten ihre Waffen schußbereit. Zwar rechneten sie nicht ernsthaft damit, hier auf irgendwelche Gegner zu treffen, aber ihr Selbsterhaltungstrieb zwang sie zur Vorsicht. Doch nur das Arbeitsgeräusch der fremden Anlagen drang an ihre Ohren, sonst regte sich nichts. Ein riesiger Raum mit gewölbter Decke bot sich ihren Blicken dar. An der linken, ebenfalls gekrümmten Wand war eine lange Reihe von Schaltelementen und Computeranlagen zu erkennen. Sie zeigten zwar vollkommen abweichende Formen im Vergleich zur irdischen Technik, aber ihr Zweck war unverkennbar. Der größte Teil der Kaverne wurde jedoch von langgestreckten und hoch aufragenden, kastenförmigen Gebilden erfüllt, die ihnen die Sicht nach rechts hin verwehrten. Sie schienen aus Metall zu bestehen, zahlreiche Kabel kamen aus ihnen hervor und verschwanden irgendwo im Boden. Mit angehaltenem Atem warteten die vier Männer ab, doch es änderte sich nichts. Die uralte Anlage schien wirklich verlassen zu sein. Automatisch warf John Cork einen Blick auf die Meßinstrumente an seinem Handgelenk. Auch hier war die Luft sauber und atembar, nur schien es in dem großen Raum erheblich wärmer zu sein. Die Temperatur lag draußen in den Gängen konstant bei 15 Grad plus, doch unter dem Einfluß der ausströmenden Innenatmosphäre war das Thermometer bereits bis auf 22 Grad gestiegen. Kurz entschlossen öffnete er den Raumhelm und klappte das Oberteil auf den Rücken. Trockene, leicht muffig riechende Luft schlug ihm ins Gesicht, warm wie ein Sommerwind. Das Geräusch der arbeitenden Anlagen, nun nicht mehr durch die Funkübermittlung verzerrt, klang jetzt tiefer und intensiver. Dazwischen waren leise, gluckernde Laute wie von schwappendem Wasser zu vernehmen, für die es vorläufig noch keine Erklärung gab. Die anderen folgten seinem Beispiel, lösten die Raumhelme und klappten sie nach hinten. „Wir gehen hinein“, entschied der Captain mit gedämpfter Stimme. Er ging voran, die Mündung der Waffe zum Boden gesenkt. Die Sinne der vier Männer waren aufs äußerste angespannt. Sie rechneten nicht mehr mit unliebsamen Überraschungen. Wenn es hier tatsächlich irgendwelche Abwehranlagen gegeben hätte, wären sie längst in Tätigkeit getreten. Ihr Interesse
galt naturgemäß vor allem den technischen Anlagen an der linken Seite. „Alles in Betrieb!“ stellte Bob Mall erregt fest, als sie die ersten Schaltkonsolen erreicht hatten. Es gab keine Leuchtanzeigen, dafür aber Dutzende von Skalen mit zuckenden und pendelnden Zeigern. Fremdartige Symbole oder Schriftzeichen waren überall angebracht, die den Männern naturgemäß nichts sagten. Und das ging so weiter bis zum Ende des Raumes, der mindestens hundert Meter lang war. Sie waren hier offenbar in der größten Kaverne angelangt, die man bei den Echomessungen entdeckt hatte. „Wozu das alles?“ fragte Dr. Jordan leise. „Was mögen die Unbekannten damit bezweckt haben, hier so riesige technische Gebilde zu schaffen? Sie scheinen zu arbeiten – aber was hat das für einen Sinn, wenn hier niemand mehr lebt?“ Ein Laut der Überraschung klang auf; er kam von Dolf van Sprengel. Der hatte sich umgedreht und starrte nun mit weit aufgerissenen Augen auf den hoch aufragenden, kastenartigen Behälter, der ihm am nächsten stand. „Da – sehen Sie doch‐…!“ ächzte er. Die anderen fuhren herum, und dann stockte auch ihnen förmlich der Atem. Der Behälter war etwa zehn Meter lang und ebenso hoch. Seine Front war in etwa metergroße Quadrate aufgeteilt, die durch Metalleisten begrenzt wurden. Sie bildeten die Rahmen für Fenster aus einem durchsichtigen Material, die stark nach außen gewölbt waren. Hinter diesen Fenstern schwappte eine trübe, bräunliche Flüssigkeit, in der zuweilen Luftblasen aufstiegen. Und darin schwammen, durch die Lupenwirkung der gekrümmten Glasflächen ins Riesenhafte vergrößert und zugleich verzerrt, nackte, menschliche Körper! Die vier Männer stöhnten unwillkürlich auf. Sie waren auf alles mögliche gefaßt gewesen, nur nicht auf so etwas. Sie mußten die Köpfe weit in die Nacken legen, um auch die obersten Kammern noch sehen zu können. Das düsterrote Licht, das aus der. Decke zu kommen schien, reichte gerade noch aus, um sie erkennen zu lassen, daß es auch dort nicht anders war. Zehn mal zehn dieser Quadrate – das bedeutete, daß sich allein in diesem Behälter hundert Körper befanden . „Ein riesiges Aquarium“, sagte Dr. Jordan. „Mein Gott, was soll das bedeuten? Wo kommen alle diese Menschen her? Sind es frühere Kolonisten, die man getötet und in diese Brühe gesteckt hat? Wer mag das getan haben – und warum?“ John Cork faßte sich als erster. Er hatte bemerkt, daß die große Tür inzwischen wieder zugeglitten war, sagte aber nichts, um die anderen nicht noch mehr zu beunruhigen. Statt dessen wies er auf die anderen Behälter, deren Reihe sich bis zum Ende der Kaverne fortsetzte. „Dort gibt es noch mehr davon, Doc! Noch mindestens zehn solche Kästen, und das bedeutet etwa tausend Körper, wenn alle voll belegt sind. Vermutlich sind es aber noch viel mehr – die Tiefe dieser Behälter läßt darauf schließen, daß hinter den sichtbaren Aquarien noch weitere liegen!“ Der Ingenieur hatte seinen Handscheinwerfer aus dem Gürtel geholt und richtete ihn
nun auf das nächste Fenster, das sich dicht über dem Boden befand. Der helle Schein durchdrang die bräunliche Flüssigkeit, so daß nun Einzelheiten zu erkennen waren. Der Körper schien der eines erwachsenen weißen Menschen von normaler Größe zu sein. Er befand sich in der typischen Embryonalhaltung, zusammengekrümmt, die Beine an den Kopf gezogen. Alle Gliedmaßen waren voll ausgebildet, der Kopf mit kurzem, dunklem Haar bedeckt. Nur das Gesicht war nicht zu erkennen, weil es den Betrachtern abgewandt war. Bob Mall ging einen Schritt weiter und leuchtete das nächste Fenster an. Im gleichen Augenblick polterte der Scheinwerfer zu Boden, und Bob stieß einen Schrei des Entsetzens aus. „Große Milchstraße – der hat ja kein Gesicht…!“ Ein tiefer Schock schien ihn erfaßt zu haben, denn er begann übergangslos zu toben und hemmungslos um sich zu schlagen. Der Captain gab Dolf van Sprengel einen Wink, sie packten den wild Rasenden und hielten ihn fest. Dr. Jordan holte eine Spritzampulle mit einem starken Beruhigungsmittel hervor und setzte sie Bob an den Hals. Mit leisem Zischen entleerte sich ihr Inhalt in seine Blutbahn, und schon Sekunden später trat die Wirkung ein. Mails Körper entspannte sich, die unkontrollierten Bewegungen erstarben. Wie erwachend sah er seine Kameraden an. „Entschuldigen Sie, Captain“, sagte er monoton. „Ich weiß selbst nicht, was da über mich gekommen ist. Jetzt bin ich jedenfalls wieder…“ Seine Augen fielen zu, und er sackte zusammen. Sie ließen den schlaffen Körper zu Boden gleiten und legten den Raumhelm unter seinen Kopf. Dann nahm der Captain den Scheinwerfer auf und leuchtete nun selbst den Körper an, der den Ingenieur so tief erschreckt hatte. Die ungleichmäßig vergrößernde Wirkung des gewölbten, transparenten Materials verzerrte alle Proportionen, so daß fast groteske Wirkungen zustande kamen. Auch der Kopf dieses verkrümmten Wesens unterlag dieser Einwirkung. Eines war jedoch trotzdem deutlich zu erkennen: Dort, wo sich bei einem normalen Menschen ein Gesicht befand, war einfach nichts… * „Das gibt es doch gar nicht!“ brachte der Wissenschaftler fassungslos hervor. John Cork grinste humorlos und klopfte ihm auf die Schulter. „Es gibt nichts, das es nicht doch gibt, wie das alte Sprichwort sagt, Doc. Finden Sie sich also damit ab,’ und Sie auch, Dolf. Irgendwie werden wir auch diesem Rätsel noch auf die Spur kommen.“ Der Techniker sah ihn skeptisch an. Er murmelte etwas vor sich hin, aber der Captain achtete nicht darauf. Er vertiefte sich in den Anblick des Wesens, das dicht vor ihm nackt in der trüben Flüssigkeit schwamm. War das ein Mensch? Es schien so, wenigstens soweit, wie es allein den Körper betraf. Der Kopf war länglich, mit blondem Haar bewachsen, besaß ein markantes Kinn und gut geformte Ohren. Nur das dazugehörige Gesicht fehlte einfach!
Wo es sich hätte befinden sollen, war nichts weiter als eine leicht gewölbte, glatte Hautfläche. Sie erstreckte sich von der Stirn bis zum Kinn, es gab nicht die geringste Andeutung für Augen, Mund und Nase. Und doch schien dieses so perfekt menschengleiche Wesen zu leben, so unwahrscheinlich das auch war! John Cork glaubte wenigstens, zuweilen leichte Zuckungen der Gliedmaßen feststellen zu können. Oder täuschte er sich nur? Gaukelte ihm vielleicht das Zusammenspiel von Verzerrung, ab und zu aufsteigender Luftblasen und unregelmäßiger Bewegung der Flüssigkeit etwas vor? Der Xenologe zuckte mit den Schultern. Er hatte sich inzwischen , wieder gefaßt, nur sein Gesicht war immer noch blaß, als er sich äußerte: „Wir Wissenschaftler stützen uns in Zweifelsfällen meist auf bereits vorhandene Erfahrungswerte. Hierzu gibt es aber bisher noch keine Parallele – was soll ich also sagen?“ Der Kommandant zog die Brauen zusammen. „Schon gut, Doc, lassen wir das also. Ich bin zwar in dieser Hinsicht ein blutiger Laie, aber ich habe mir trotzdem bereits ein Urteil gebildet. Wollen Sie es hören?“ Der Wissenschaftler lächelte leicht. „Ich bitte sogar darum, Captain. Der Meinungsaustausch war seit jeher das beste Mittel zur Urteilsbildung. Was dem einen auffällt, übersieht der andere und umgekehrt.“ „Manchmal übersehen auch beide dasselbe“, meinte John Cork sarkastisch. „Hier gibt es jedoch verschiedene Fakten, die sich kaum übersehen lassen. So ist beispielsweise diese Maschinerie hier nicht erst angelaufen, als wir in das Labyrinth eingedrungen sind; das ist mir inzwischen klargeworden.“ Jordan sah ihn überrascht an. „Begründung?“ fragte er knapp. „Die ist an sich sehr einfach, Doc. Die Körper dieser Pseudo‐Menschen sind nämlich keinesfalls zuvor in einem Zustand der Unterkühlung gehalten worden. Wenn Sie die Glaswand berühren, werden Sie bemerken, daß die Flüssigkeit dahinter praktisch normale Körpertemperatur besitzt. Da sie aber mit Rücksicht auf die Wesen darin nur sehr langsam erwärmt werden dürfte, müßte dieser Prozeß viele Stunden, wenn nicht gar einige Tage beanspruchen. Wir befinden uns aber erst seit relativ kurzer Zeit hier unten. Deshalb behaupte ich, daß die Behälter warmgehalten wurden, seit die Erbauer der subplanetaren Anlagen von hier verschwunden sind.“ Van Sprengel zog ein ungläubiges Gesicht. „Ist das nicht etwas übertrieben, Sir?“ meinte er zweifelnd. „Die Vorfahren der Bewohner von Garal sind vor ungefähr 350 Jahren hier gelandet, das wissen wir ziemlich genau. Wollen Sie im Ernst behaupten, daß hier schon seit damals alles in Betrieb ist? Es könnte doch durchaus sein, daß irgendwo in der Nähe eine Ortungsanlage existiert, die die Landung der ARLENE registriert hat.“ Der Xenologe griff diesen Gedanken auf. „Das erscheint mir auch weit plausibler, Captain. Wir sind gelandet, ein Computer wurde dadurch geweckt und leitete den Erwärmungsvorgang ein. Das würde auch erklären, weshalb wir vom Raum aus hier keine Energieemissionen anmessen konnten. Wäre bereits vorher alles gelaufen, hätten wir das unbedingt schon beim Anflug feststellen müssen.“ John Cork schüttelte lächelnd den Kopf.
„Es tut mir leid, aber ich muß Sie beide korrigieren. Sie übersehen, daß inzwischen bereits Flüge mit den Beibooten durchgeführt wurden, wobei jedesmal die gesamten Meßgeräte in Betrieb genommen wurden. Außerdem habe ich vor einigen Tagen selbst die entsprechenden Anlagen der ARLENE durchgecheckt, und auch sie haben nichts angezeigt. Das beweist, daß diese Karverne und alles, was sich in ihr befindet, ausgezeichnet gegen Anmessungen abgeschirmt sein muß! Das unterstützt meine Auffassung, daß diese Wesen hier seit langer Zeit durch ein ausgeklügeltes Lebenserhaltungssystem sozusagen in Bereitschaft gehalten werden.“ „In Bereitschaft?“ wiederholte Dr. Jordan perplex. „Wofür, Captain? Meinen Sie, daß es sich um die letzten Angehörigen einer alten Rasse handelt, die sich sozusagen konservieren ließen, um irgendwann wieder zum Leben erweckt zu werden? Das klingt nicht sehr einleuchtend, Captain. Dieser Planet bietet doch gute Lebensbedingungen, wenn seine Sonne auch schon sehr alt ist. Warum hätten die Fremden ein Weiterleben an der Oberfläche gegen diese zweifelhafte Art der Existenz eintauschen sollen?“ Der Kommandant sah sinnend vor sich hin. „Das weiß ich auch nicht, Doc. Ich spüre nur rein gefühlsmäßig, daß es so ist, und meine Gefühle haben mich noch selten getrogen. Ich denke sogar noch weiter, aber das will ich vorerst noch für mich behalten. Machen Sie sich darauf gefaßt, daß das Rätsel dieser Menschen ohne Gesicht uns große Überraschungen bringen wird, wenn wir darangehen, es zu lösen.“ „Falls wir es überhaupt lösen können“, meinte der Xenologe skeptisch. Die Ruflampe an John Corks Funkgerät flackerte auf, und der Captain schaltete es ein. Der Techniker Tschang meldete sich und fragte besorgt: „Ist bei Ihnen noch alles in Ordnung, Sir? Sie haben sich jetzt seit fast einer Stunde nicht mehr gemeldet. Dr. Gargunsa ist inzwischen hier angekommen, er möchte gern wissen, was Sie da unten entdeckt haben.“ Der Kommandant sah auf die Uhr und stellte fest, daß wirklich schon eine Stunde vergangen war. „Wir werden uns beeilen“, gab er zurück. „Sagen Sie dem Doc, daß wir hier auf etwas gestoßen sind, das sich mit ein paar Worten nicht beschreiben läßt. Er bekommt eine genaue Schilderung, wenn wir zurück sind. Ende.“ Er unterbrach die Verbindung, um Rückfragen zu verhindern, und wies auf den Ingenieur, der sich bereits wieder zu regen begann. „Helfen Sie ihm auf, Dolf, schließen Sie seinen Helm, und geben Sie ihm eine tüchtige Dosis Sauerstoff. Das hilft am besten, die Folgen der Betäubung zu überwinden.“ Wenig später war Bob Mall wieder voll da. Er wirkte beschämt und wollte sich entschuldigen, aber John Cork winkte kurz ab. „Vergessen Sie es, Bob. Jeder von uns kann einmal durchdrehen, wenn er unvermutet mit so erstaunlichen Dingen konfrontiert wird. Gehen wir weiter, es gibt noch viel zu sehen.“ 9.
Es geschah, als sie fast am Ende des Raumes angelangt waren. John Corks Schätzung hatte sich als richtig erwiesen. Auch auf den Rückseiten der aquarienartigen Kästen gab es noch einmal die gleiche Anzahl von Lebenserhaltungssystemen, und alle waren voll besetzt. In diesem Raum befanden sich also rund zweitausend der „konservierten“ Wesen – und sie lebten! Die vier Männer hatten inzwischen mehrmals deutlich sehen können, wie ihre Glieder unkontrolliert zuckten. Jetzt war ihnen auch klar, wozu die lange Reihe der Schaltelemente an der linken Wand diente. Sie standen in Verbindung mit den einzelnen Aquarien, sorgten für die Erhaltung einer gleichmäßigen Temperatur und vermutlich auch für die Zufuhr von irgendwelchen Nährstoffen. Sauerstoff schienen die Körper nicht zu benötigen, sie besaßen ohnehin keine Atmungsorgane. Die kleine Gruppe hatte ihre Inspektion beendet, ohne etwas Neues entdeckt zu haben. Ihr Staunen hatte sich inzwischen gelegt, sie sehnten sich nur noch danach, wieder die Raumanzüge ablegen zu können. Diese waren im Schnellverfahren von den Anlagen der ARLENE produziert worden und besaßen einige Mängel, die sich allmählich unangenehm bemerkbar machten. John Cork wollte eben die Anweisung geben, den Rückweg anzutreten, als er zusammenfuhr. Das Arbeitsgeräusch der Schaltanlage, die den letzten Behälterkomplex überwachte, hatte sich verändert. In das monotone, leise Summen mischten sich abgehackte, klickende Geräusche. Der Captain sah auf die Zeiger der vielen Skalen, konnte aber nicht feststellen, was anders geworden war. Ein gluckerndes Geräusch lenkte die Männer ab und ließ sie auf die andere Seite blicken. Der Ingenieur schaltete rasch seine Lampe ein, und nun konnten sie erkennen, was dort geschah. Aus einem der Aquarienkästen wurde die bräunliche Flüssigkeit abgesaugt. Sie verschwand nach unten hin und wurde durch Luft ersetzt. Allmählich streckte sich der Körper des gesichtslosen Wesens darin, bis es schließlich flach auf dem Rücken lag. Was mochte da eben geschehen – was hatte dieser Vorgang zu bedeuten? Sie erfuhren es unmittelbar darauf. Arme und Beine des Pseudo‐Menschen begannen sich rhythmisch zu bewegen! Das waren keine unkontrollierten Zuckungen mehr, sondern systematische, gewollte Bewegungsvorgänge. Und dann klappte auf einmal die gewölbte Transparentwand nach unten hin weg – der gesichtslose Mann wälzte sich auf den Bauch, zog die Arme und Beine an und kletterte aus dem Behälter… Dicht davor blieb er stehen und drehte den Kopf wie suchend hin und her. Er befand sich nur etwa drei Meter von den vier Menschen entfernt, die er um etwa sechzig Zentimeter überragte. Sie wichen unwillkürlich bis an die Wand mit den Schaltanlagen zurück. Ein Grauen hatte sie gepackt, und doch konnten sie die Blicke nicht von der Gestalt lösen. Deutlich sahen sie die glatte, mit rosiger Haut überzogene Gesichtsfläche, und Dr. Jordan begann unterdrückt zu würgen. „Das ist widerlich!“ keuchte er, und seine Begleiter empfanden nicht anders. Wäre es
ein fremdes, nach ihren Begriffen monströs anmutendes Lebewesen gewesen, hätten sie seine Existenz gerade seiner Fremdartigkeit wegen weit eher akzeptieren können. Doch dieser Mensch, der in Wirklichkeit keiner war, erschien ihnen unnatürlich und ekelerregend. Das, was sich jedoch bisher ereignet hatte, war erst der Anfang – was gleich darauf geschah, entsetzte sie aufs höchste. John Cork stand dem Wiedererweckten am nächsten, und seine Hand lag am Griff des Strahlers, sein Atem ging schwer. Er konnte sich nicht schlüssig darüber werden, was nun zu tun war. Es drängte ihn, diesem Spuk ein Ende zu machen, aber er brachte es nicht über sich, ein hilfloses Wesen einfach zu töten. Im nächsten Augenblick sah er, wie sich die glatte Gesichtsfläche zu verändern begann. Sie wölbte sich nach außen, und innerhalb weniger Sekunden bildeten sich vollkommen menschlich anmutende Augen aus, eine gut modellierte Nase, ein Mund mit vollen, roten Lippen. Sie öffneten sich, und hinter ihnen wurden weiße Zähne sichtbar. Aus dem Pseudo‐Menschen war in weniger als zehn Sekunden ein völlig menschlich aussehender Mann geworden. Und dieser Mann besaß John Corks Gesichtszüge…! Dolf van Sprengel, der neben dem Captain stand, stieß einen Entsetzensschrei aus. Ehe ihn jemand daran hindern konnte, hatte er seine Waffe gezogen und abgedrückt. Der Energiestrahl traf den Doppelgänger des Kommandanten voll in die Brust. Das Gewebe verkohlte in Sekundenschnelle, und die Gestalt brach haltlos zusammen. Der Captain hatte eine scharfe Rüge auf der Zunge, doch das Wort blieb ihm buchstäblich im Halse stecken, als er sehen mußte, was nun geschah. Die verschont gebliebenen Rumpfteile und Extremitäten lösten sich auf! Sie verloren ihre Konsistenz, zerflossen und vereinigten sich zu einer amorphen, rosigen Masse. Diese begann sich zu bewegen, bildete Pseudopodien aus, kroch mit ihrer Hilfe davon und versuchte, sich in Sicherheit zu bringen. Nun kannten alle vier Männer kein Halten mehr. Ihre Waffen zuckten hoch, und in den sonnenheißen Strahlen vergingen die Reste jenes Dinges, das eben noch ein Mensch gewesen war. John Cork atmete pfeifend aus. „Eben wollte ich Sie noch wegen ihres vorschnellen Handelns tadeln, Dolf“, sagte er tonlos. „Jetzt ist aber erwiesen, daß Sie richtig reagiert haben, als Sie dieses – Etwas töteten. Nun wissen wir, was diese Pseudo‐ Menschen in Wirklichkeit sind.“ Die Männer hatten sich ganz auf dieses eine Wesen konzentriert und deshalb ihre Umgebung ganz außer acht gelassen. Nun schreckten sie erneut zusammen, als leise Geräusche an ihre Ohren drangen. Weitere Aquarien hatten sich geöffnet und neue Lebewesen entlassen, die sich nach kurzem Zögern zielstrebig auf die Menschen zubewegten! Nun gab es für diese kein Halten mehr. Selbst Dr. Jordan, sonst ein ruhiger und verträglicher Mann, schoß ohne zu zögern. Zwölf Mimikryten vergingen in den Energiestrahlen – aber schon zeigte ein überall einsetzendes Gluckern in den Behältern, daß die Automaten immer neue Wesen weckten, um sie auf die Männer loszulassen.
„Raus hier!“ befahl John Cork heiser. „Wenn es erst einmal Hunderte sind, werden wir mit ihnen nicht mehr fertig. Feuern Sie auf die Schalttafeln – es ist damit zu rechnen, daß der Weckvorgang gestoppt wird, wenn sie ausfallen.“ Rückwärts gehend bestrichen sie die linke Wand mit ihren Strahlern und lösten damit ein wahres Chaos aus. Es knallte und puffte, grelle Blitze zuckten aus den Schaltelementen, dunkle Rauchschwaden breiteten sich aus. Doch die Männer hielten erst inne, als sie das Ende der Kaverne erreicht hatten. Sie waren zu einer friedlichen Erforschung des subplanetaren Labyrinths gekommen – an so etwas hatten sie nicht einmal im Traum gedacht. Immerhin hatten sie ihr Ziel erreicht, denn der Nachschub an Pseudo‐Menschen blieb nun aus. Dafür mußten sie nun feststellen, daß sich die große Tür nicht mehr öffnen ließ. „Eine saubere Falle!“ sagte Bob Mall heiser. „Hätten diese Automaten etwas schneller reagiert und alle Aquarien gleichzeitig geöffnet, wären wir nie mehr hier herausgekommen. Dann gäbe es jetzt Tausende vollkommen echt aussehende Menschen hier drin – alle mit unseren Gesichtszügen…“ Es gelang ihnen, die Tür aufzubrennen, und dann eilten sie durch die vielfach gewundenen Gänge zurück. Das Arbeitsgeräusch der Konverter war inzwischen verstummt. Vermutlich hatten sie sich automatisch abgeschaltet, als die Energieverbraucher in der großen Kaverne ausgefallen waren. Vollkommen erschöpft erreichten die vier Männer schließlich wieder die Höhlung, durch die sie eingedrungen waren. John Cork hatte die Techniker über Funk verständigt, und diese halfen ihnen nun ins Freie. Sie hatten tausend Fragen, aber der Captain winkte nur matt ab. „Das erfahren Sie alles später. Verschließen Sie jetzt das Bohrloch mit einem stabilen Pfropfen, für alle Fälle. Dann bringen Sie uns zum Schiff zurück.“ * Drei Stunden später fand in der ARLENE ein Kriegsrat statt. Dr. Singh hatte die vier Teilnehmer der Expedition in die Unterwelt in seine Obhut genommen und für zwei Stunden in einen regenerierenden Tiefschlaf versetzt. Gut erholt erschienen sie in der Messe und berichteten den anderen Normalen von ihren Erlebnissen. Ihre Worte schlugen wie eine Bombe ein. Den größten Eindruck machte jedoch das Bild, das auf der großen Projektionswand stand. Bob Mall war geistesgegenwärtig genug gewesen, ein Foto von dem Pseudo‐Menschen zu machen, als dieser gerade seinem Behälter entstiegen war. Es war gut ausgefallen, und mit leichtem Frösteln gingen die Blicke der Zuhörer immer wieder zu dem Mann ohne Gesicht hin. „Und dieses Wesen nahm dann Ihre Gesichtszüge an, Captain?“ fragte Dr. Dombrowski kopfschüttelnd. Er als Astro‐Biologe war an diesem Vorgang natürlich besonders interessiert. „Haargenau“, bestätigte der Kommandant. „Das ist sogar wörtlich zu nehmen, denn selbst sein Haar wurde dunkler und formte sich zu meiner Frisur um. Seine Figur erschien mir etwas schlanker, aber das wäre vermutlich später noch korrigiert
worden. Im ersten Moment war dieses Ding beschäftigt, mein Gesicht nachzuahmen.“ Der Wissenschaftler stieß sofort nach. „Ich brauche sämtliche Einzelheiten, um mir ein vollständiges Bild machen zu können. Schildern Sie doch bitte so genau wie möglich, wie alles vor sich ging.“ John Cork zuckte mit den Schultern. „Das ist etwas viel verlangt, Doc. Wir waren alle ziemlich fassungslos, und außerdem ging alles sehr schnell. Zuerst begann sich die Gesichtsfläche zu verändern. Sie war zuvor flach gewesen, doch nun wölbte sie sich nach vorn. Das ging sehr schnell, und direkt im Anschluß daran bildeten sich die Sinnesorgane aus. Man konnte kaum verfolgen, wie es geschah, so schnell ging alles. Eben war noch die glatte, rosige Haut da, und keine zehn Sekunden später sahen mich meine eigenen Augen aus meinem eigenen Gesicht an…“ Er verstummte, denn zu deutlich stand das Unheimliche dieses Geschehens noch immer vor seinem Auge. Dombrowski aber gab sich noch nicht zufrieden und fragte weiter. Anstelle des Captains antwortete nun Dr. Jordan, und allmählich rundete sich das Bild für den erfahrenen Astro‐Biologen ab. „Fassen wir also alles zusammen“, meinte er schließlich. „In dieser Kaverne gab es also eine Reihe großer Überlebenssysteme. In ihnen befanden sich in einer Flüssigkeit einige Tausend humanoide Wesen beiderlei Geschlechts, vollkommen ausgebildete Körper, nur ohne Gesicht. Zuerst wurde eines, dann mehrere von ihnen geweckt, um die Behälter zu verlassen. Auf welchen Einfluß könnte das Ihrer Ansicht nach zurückzuführen sein?“ Hier meldete sich Dr. Singh zum Wort. „Allem Anschein nach dürften die’ psychischen Ausstrahlungen der Männer der Auslöser gewesen sein. Es muß dort Sensoren gegeben haben, die darauf ansprachen. Sie registrierten die Anwesenheit lebender Intelligenzen, leiteten Impulse an eine Weckautomatik, die dann in Tätigkeit trat.“ „Akzeptiert.“ Dr. Dombrowski nickte. „Das waren jedoch rein elektronische und mechanische Vorgänge, auf die die ruhenden Pseudo‐Menschen selbst keinen Einfluß hatten. Ihre Aktivität begann erst mit dem Verlassen der Aquarien und setzte sich dann mit der Nachbildung der Gesichtszüge fort. Das bedingte aber ein Erkennen der nachzuformenden Objekte, was für Wesen, die keine Gesichtsorgane besitzen, logischerweise unmöglich ist. Es bleibt also anzunehmen, daß diese Wahrnehmung auf eine andere, höchstwahrscheinlich parapsychische Funktionsweise erfolgte. Eine bessere Erklärung dafür gibt es nicht.“ „Dann haben wir es also hier mit einer besonders hochentwickelten Spezies zu tun?“ fragte John Cork. Zu seinem Erstaunen schüttelte der Wissenschaftler entschieden den Kopf. „Ganz im Gegenteil, Captain! Sie selbst haben für diese Wesen den Ausdruck ,Mimikryten’ geprägt, und er trifft auch halbwegs zu. Sie sind imstande, jede beliebige Körperform anzunehmen und täuschend genau nachzubilden, das steht fest. So etwas können aber nur Geschöpfe mit einer im Vergleich zu uns Menschen direkt primitiven Zellstruktur.“
„Vollkommen richtig“, bestätigte der Chefarzt. „Die Zellen aller höheren Lebensformen sind weitgehend einseitig spezialisiert und immer nur imstande, eine ganz bestimmte Funktion zu erfüllen. Ein Lebewesen dagegen, das aus seiner Körpermasse beliebig Muskeln, Knochen oder Hirnsubstanz zu formen in der Lage ist, muß ganz oder weit überwiegend aus Zellen bestehen, die äußerst anpassungsfähig sind.“ „So ist es“, sekundierte ihm Jan Dombrowski. „Sie sind wirklich primitiv, aber gerade das ermöglicht ihre erstaunliche Wandlungsfähigkeit. Sie haben ja selbst erlebt…“ „Einen Moment, Doc“, unterbrach ihn der Kommandant. „Wollen Sie im Ernst behaupten, wir hätten es sozusagen nur mit Zusammenballungen von Amöben zu tun gehabt? Ich verstehe genug von der Materie, um zu begreifen, daß die von Ihnen und Dr. Singh angeführten Eigenschaften in diese Richtung zielen. Wie sollen Lebewesen dieser Art aber eine uns vergleichbare Intelligenz und sogar noch parapsychische Gaben entwickeln?“ Der Astro‐Biologe war diesmal die Ruhe selbst, im Gegensatz zu seiner sonstigen Erregbarkeit. „Man könnte dazu ,Erfahrungswerte’ sagen, Captain. Selbst Amöben vermögen sich in gewissem Rahmen Veränderungen ihrer Umwelt anzupassen, um überleben zu können. In diesen Wesen, die vermutlich einer sehr alten Spezies angehören, summieren sich nun die Erfahrungen unzähliger Generationen. Das führte im Laufe der Jahrmillionen zur Bildung von Kollektivintelligenzen, die durchaus nicht nur triebhaft handeln, sondern sehr bewußt leben. Sie können, wirklich denken, nicht nur mit dem Gehirn wie wir, sondern mit jeder Zelle ihres Körpers! Das macht sie uns nicht nur gleichwertig, sondern in mancher Hinsicht sogar überlegen.“ „Außerdem besitzen sie auch einen starken Selbsterhaltungstrieb“, warf Bob Mall ein. „Wir hatten große Mühe, die Wesen ganz abzutöten, nachdem sie unter unserem Beschuß ihre menschliche Körperform verloren hatten. Selbst die kleinsten Überbleibsel versuchten noch, sich kriechend in Sicherheit zu bringen.“ „Das ist ein weiterer Beweis für meine Ausführungen“, meinte Dr. Dombrowski und nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse. „Stellen Sie sich einmal vor, einer derartigen Lebensform wäre es möglich, sich unbemerkt unter die Menschheit zu mischen. Die Folgen wären unabsehbar!“ „Genau das haben sie doch versucht!“ sagte Dr. Gargunsa erregt. „Zweifellos hätte es nach kurzer Zeit in dem Gewölbe eine große Anzahl von Pseudo‐Menschen gegeben, die unseren Männern bis in die kleinste Einzelheit glichen. Sie waren scheinbar hilflos, aber ihre Masse hätte den Captain und seine Begleiter zweifellos trotzdem zur Strecke gebracht. Gewiß, sie waren größer, aber irgendwie hätten sie sich bestimmt auch den verringerten Proportionen anpassen können. Und dann stünden jetzt keine Menschen mehr vor uns, sondern Imitationen, die keiner von uns als solche erkennen könnte…!“ Der kleine Funker Herb Sheer sprang plötzlich auf. Seine Züge waren verzerrt, seine Hand deutete auf , den Kommandanten. „Wer sagt uns denn, daß das nicht schon der Fall ist?“ schrie er unbeherrscht.
„Vielleicht ist es diesen Ungeheuern wirklich gelungen, sie zu erledigen und sich an ihrer Stelle bei uns einzuschleichen? Wenn sie wirklich paramentale Fähigkeiten besitzen, konnte es ihnen doch nicht schwerfallen, auch den Inhalt ihrer Gehirne zu erfassen! Sie könnten uns beliebig narren, und niemand würde es bemerken…“ Fassungslos sah John Cork, wie der Funke der Panik auch auf andere übersprang. Immer mehr Männer und Frauen wurden von ihr erfaßt, fuhren von ihren Sitzen hoch und schrien wild durcheinander. Einige nahmen bereits eine drohende Haltung gegen den Captain und seine Begleiter ein. Wenn diese Entwicklung weiter fortschritt, waren Chaos und Gewalt unvermeidlich. Dr. Singh rettete schließlich die Situation, indem er ein Mikrophon zur Hand nahm. „Ruhe!“ dröhnte seine mechanisch verstärkte Stimme über die Anwesenden hin. „Der Captain, Dr. Jordan, Mall und van Sprengel sind normale Menschen wie Sie und ich, das ist hundertprozentig sicher! Ich habe sie nach ihrer Rückkehr selbst betreut, und die Medo‐Computer haben ihre sämtlichen Körperdaten gemessen. Alles stimmte haargenau, auch ihre Psychogramme waren vollkommen in Ordnung. Die Automaten hätten sich auf keinen Fall täuschen lassen und unweigerlich auch nur die geringste Anomalität sofort registriert.“ Das wirkte. Die verstörten Menschen kamen wieder zur Besinnung und sanken beschämt auf ihre Plätze zurück. Die Diskussion über die Ereignisse in dem Labyrinth zog sich noch eine halbe Stunde lang hin. Sie zeitigte aber keine neuen Ergebnisse mehr. Vor allem blieb das Rätsel ungeklärt, das die Existenz von Tausenden von Pseudo‐Menschen in der Kaverne bot. Man war sich darin einig, daß die fremden Kollektivwesen nicht von ungefähr diese Körperform gewählt hatten. Sie mußten also schon früher mit Menschen in Berührung gekommen sein, vermutlich bald nach der Landung der ersten Kolonisten. Doch warum hatten sie nicht schon damals, als noch niemand von ihrer geheimen Existenz etwas ahnte, den Versuch gemacht, sich unter die Menschen zu mischen? Und weshalb waren die nachgebildeten Körper ohne Gesicht normal groß, nicht reduziert wie die der Bewohner von Garal? Warum waren diese – und jetzt auch die Besatzung der ARLENE – überhaupt körperlich und geistig reduziert worden? Lag nicht die Vermutung nahe, daß diese Dinge auch auf die fremden Wesen zurückzuführen waren? Warum hatten sie erst 350 Jahre verstreichen lassen, ohne irgendwie aktiv zu werden1? Fragen, nichts als Fragen – aber keine Antworten. John Cork war froh, als sich dann plötzlich Dr. Rappan aus dem Beiboot meldete und seine baldige Rückkehr ankündigte. Auch er sprach von wichtigen Entdeckungen, die er gemacht haben wollte, vertröstete den Captain aber auf präzise Auskünfte erst nach seiner Landung. Kam hier vielleicht schon wieder ein neuer Schlag auf die kleine Schar der Normalen zu…? 10.
Als sich das Boot langsam in den Hangar schob, warteten Dr. Jordan und der Kommandant bereits dort. Gleich nach dem Aufsetzen öffnete sich die Luftschleuse des Fahrzeugs, und die beiden Wissenschaftler stiegen aus. Dr. Rappan schien äußerst erregt zu sein, seine Augen leuchteten in verhaltenem Triumph. Er zügelte sich aber, als er im Hintergrund zwei arbeitende Techniker entdeckte. „Gehen wir weiter ins Schiff, wo wir ungestört reden können“, bemerkte er leise. „Es wäre vielleicht nicht gut, wenn meine Mitteilungen schon jetzt allgemein bekannt würden.“ Erneut kam ein ungutes Gefühl in John Cork auf. Er nickte. „In Ordnung, Doc, machen wir es so. Wir hatten heute hier schon genügend Aufregung, eine zweite dieser Größenklasse wäre vermutlich zuviel des Guten. Nein, fragen Sie nichts“, wehrte er ab, als er die Blicke der beiden Wissenschaftler bemerkte. „Ich möchte zuerst Ihren Bericht hören. Es sollte mich aber sehr wundern, wenn es hier keine Zusammenhänge gäbe.“ Bert Keller verließ nun ebenfalls das Boot, und die Männer suchten gemeinsam einen der jetzt kaum noch benutzten Aufenthaltsräume auf. Dort kam Dr. Rappan sofort zur Sache. „Leider haben wir beim Anflug versäumt, die beiden Garalmonde näher zu untersuchen, Captain. Das hätte uns vielleicht einiges erspart, denn wir haben auf dem inneren Trabanten tatsächlich eine bedeutsame Entdeckung gemacht. Dort gibt es in drei Ringkratern Druckkuppeln, unter denen eine ganze Anzahl von Bauwerken liegt!“ Der Kommandant hob erstaunt die Brauen. „Hinterher ist man bekanntlich immer klüger“, bemerkte er sarkastisch. „Damals hat der ganze Wirbel um Dr. Mbunga dazu geführt, daß wir uns ausschließlich auf den Planeten konzentriert haben. Vergessen wir es, jetzt ist ohnehin nichts mehr zu ändern. Wie sehen die Anlagen auf dem Mond aus? Sind sie alt und verfallen, oder besteht die Möglichkeit, daß es dort noch Lebewesen gibt?“ „Das könnte durchaus sein!“ meldete sich Dr. Bella zum Wort. „Alle drei Kuppeln sind unbeschädigt und stehen vermutlich noch unter Druck. Leider konnten wir nicht landen, weil wir keine passenden Raumanzüge bei uns hatten. Wir mußten uns darauf beschränken, Aufnahmen zu machen und Messungen durchzuführen.“ „Vielleicht war es besser so“, meinte John Cork nachdenklich. „Was haben Ihre Messungen ergeben?“ „Nicht die geringste Spur von Energieemissionen, Sir“, warf der Pilot eifrig ein. „Auch von Raumfahrzeugen irgendwelcher Art war weit und breit nichts zu entdecken. Unter den Kuppeln gibt es nur jeweils etwa zwanzig kastenförmige Gebäude, sonst nichts. Wollen Sie die Aufnahmen gleich sehen?“ „Später, Bert.“ Der Kommandant winkte ab. Dann berichtete er den aufhorchenden Männern von der sensationellen Entdeckung während seiner Expedition in das Labyrinth. Als er geendet hatte, stand offene Bestürzung in den Gesichtern seiner Zuhörer. „Das ist ungeheuerlich!“ stieß Dr. Rappan heiser aus. „Diese Wesen ohne Gesicht hätten uns alle in größte Gefahr bringen können, wenn es ihnen gelungen wäre, Sie
zu töten und an Ihrer Stelle ins Schiff zu kommen. Ob es ihr Ziel war, sich der ARLENE zu bemächtigen?“ Der Captain zuckte mit den Schultern. „Das ist schon möglich, Doc, es hätte ihnen nur nicht viel genützt. Mit einem Schiff, das nicht hyperflugtauglich ist, dürften auch sie kaum etwas anfangen können.“ „Sagen Sie das nicht, Captain“, warf Dr. Bella lebhaft wie immer ein. „Sie gehörten schließlich einer alten Rasse an, die den Überlichtflug vermutlich schon kannte, als unsere Vorfahren noch in Höhlen hausten. Sie hätten sehr schnell herausgefunden, warum der Hyperantrieb versagt. Dann brauchten sie die zerstörten Schwingkristalle nur irgendwie zu ersetzen – und bald darauf wäre ein Schiff voller Monstren zu einer Welt der Menschen gestartet! Vielleicht sogar zur Erde, in unserer Gestalt – niemand hätte etwas gemerkt, niemand hätte sie aufhalten können…“ Ein bedrücktes Schweigen legte sich angesichts dieser unheilvollen Vision über den Raum. Doch John Cork fing sich rasch wieder und lächelte den anderen beruhigend zu. „Zum Glück ist es nicht soweit gekommen, und jetzt sind wir ja gewarnt. Die Pseudo‐Menschen in der Kaverne dürften jetzt wohl tot sein. Wir haben sämtliche Schaltelemente zerstört, und ohne ihre Automaten waren sie hilflos. Natürlich werden wir trotzdem noch heute eine zweite Expedition in die subplanetaren Anlagen unternehmen, um nach dem Rechten zu sehen.“ „Und die Kuppeln auf dem Mond?“ fragte Dr. Rappan besorgt. „Dort kann es noch Tausende von ihnen geben, und vielleicht existierte auch eine Verbindung von der Kaverne dorthin! Wenn das der Fall war, dann dürften sich deren Automaten auch mit den entsprechenden Anlagen auf dem Trabanten verständigt haben. Daß wir unter den Kuppeln keine Raumfahrzeuge entdeckt haben, beweist nicht, daß es dort keine gibt. Theoretisch könnte also jederzeit eine Invasion von Gesichtslosen nach Garal erfolgen!“ „Theoretisch, ja“, räumte der Kommandant ein. „Wir werden aber alles tun, um so etwas zu verhindern. Ich werde dafür sorgen, daß die Ortungsanlagen der ARLENE von jetzt ab pausenlos in Betrieb sind, und an alle Normalen werden Waffen ausgegeben. Veranlassen Sie das bitte, Bert, und übernehmen Sie dann die erste Wache an den Ortungen.“ Der Pilot nickte, und die kleine Versammlung löste sich auf. * Schon eine Stunde später startete ein Kommando von dreizehn Männern zum zweiten Besuch des Labyrinths. Alle waren schwer bewaffnet, selbst Dr. Rappan, der darauf bestanden hatte, an dem Unternehmen teilzunehmen. Die eingebrannten Markierungen an den Wänden der verschlungenen Korridore erwiesen sich nun als große Hilfe. Der Trupp stieß rasch und zielstrebig vor und hatte schon nach einer halben Stunde sein Ziel erreicht. In den Gängen hatte sich inzwischen nichts verändert. Die Wände strahlten nach wie vor ihr schattenloses Licht aus, nirgends stellte sich den Männern ein Hindernis in den Weg.
Als dann aber der Eingang zur Kaverne der Gesichtslosen in Sicht kam, erwartete sie eine Überraschung. John Cork, der zusammen mit Bob Mall an der Spitze ging, sah es zuerst und stieß einen Warnruf aus. „Anhalten und abwarten! Das Loch in der Tür, durch das wir heute mittag herausgekommen sind, ist verschlossen!“ Das bewies, daß jemand versuchte, die angerichteten Schäden wieder zu beheben. Doch wer mochte das sein? War es doch einigen Pseudo‐Menschen gelungen, aus ihren Behältern zu entkommen und auch ohne Hilfe der Automaten aktiv zu werden? Als sich die beiden Männer vorsichtig der Tür näherten, stellten sie fest, daß diese mit einer dunklen Plastikfolie abgedichtet worden war. Der Ingenieur griff in die mitgeführte Werkzeugtasche. „Ich werde ein kleines Loch in die Folie bohren“, raunte er. „Das dürfte kaum auffallen, aber wir können sehen, was sich drinnen tut.“ Er arbeitete geschickt und geräuschlos und preßte dann ein Auge gegen die entstandene Öffnung. „Gesichtslose sind nicht zu sehen“, flüsterte er dem Captain zu. „Dafür bewegen sich etwa ein Dutzend Roboter hin und her! Es sind ungefähr meterhohe, zylindrische Maschinen mit zahlreichen Werkzeugarmen. Bewaffnet sind sie anscheinend nicht.“ Der Kommandant überlegte einen Augenblick. „Wir dringen ein“, entschied er dann. „Brennen Sie die Folie weg, anschließend springen wir beide durch das Loch und nehmen hinter den großen Kästen Deckung. Sollten wir angegriffen werden, schießen wir bedenkenlos. Die Mimikryten dürfen keine Chance bekommen, uns weitere Schwierigkeiten zu machen.“ Bob Mall nickte und hob den Strahler. Sekunden später war der Weg frei, und die beiden Männer eilten in die Kaverne. Die Roboter reagierten sofort. Sie unterbrachen ihre Tätigkeit und rollten auf die Menschen zu, die Tentakelarme drohend erhoben. Die ersten Maschinen vergingen im Energiefeuer, aber immer neue drängten nach. Es mußten weit mehr sein, als der Ingenieur geschätzt hatte. Auch hinter den Überlebensbehältern tauchten weitere auf und drohten die Männer in die Zange zu nehmen. Inzwischen waren jedoch die übrigen nachgekommen und griffen in das Geschehen ein. In ihrem konzentrierten Feuer wurde ein Roboter nach dem anderen zur Strecke gebracht. Nach kaum einer Minute glich die Kaverne einem Schrottlager, nichts rührte sich mehr. John Cork nickte befriedigt. „Das ging besser, als wir erwarten durften. Hätten die Automaten über Waffen verfügt, wären wir wohl nicht ohne Verluste davongekommen. Sehen wir uns also an, was sich inzwischen hier getan hat.“ Viel hatte sich in der Zwischenzeit jedoch nicht verändert. Die Roboter hatten zwar mit Reparaturen begonnen, bisher aber nur einen Bruchteil der Schäden an den Schaltelementen beseitigen können. Sie waren offenbar aus einer Nebenhöhle an der rechten Seite der Kaverne gekommen. Dort stand eine Tür offen, aus der heller Lichtschein fiel. Dr. Jordan stieß einen verblüfften Ausruf aus und wies auf die Überlebensbehälter. „Sehen Sie doch, Captain! Die Pseudo‐Menschen haben sich rückverwandelt! Da drin
schwimmen nur noch formlose Protoplasmaklumpen herum.“ Dr. Combrowski nickte. „Sie haben offenbar ihre menschliche Körperform nicht mehr beibehalten können, nachdem die Versorgungsanlagen ausgefallen waren. Viel scheint ihnen diese Maßnahme aber auch nicht genützt zu haben. Es sieht so aus, als wären alle diese Wesen inzwischen abgestorben. Wirklich jammerschade – ich hatte mich schon darauf gefreut, sie genau unter die Lupe nehmen und ihre Struktur ergründen zu können.“ Er ging weiter und blieb vor einem niedrigen Gehäuse stehen. Aus diesem drang ein leises Summen, und mehrere Skalenzeiger bewiesen durch ihre Bewegungen, daß das darin enthaltene Gerät in Betrieb war. „Haben Sie eine Ahnung, was das sein könnte?“ erkundigte er sich bei dem Ingenieur. Bob Mall kniff die Augen zusammen und schüttelte gleich darauf den Kopf. „Nicht die geringste, Sir. Das könnte ich höchstens herausfinden, wenn ich das Ding öffne und studiere, aber sicher bin ich mir da auch noch nicht. Vielleicht ist es ein Steuergerät für Roboter, irgendwie müssen sie ja aktiviert worden sein.“ „Versuchen wir, es abzuschalten“, bestimmte der Kommandant. Die beiden Männer bemühten sich nach Kräften, ohne aber einen Erfolg zu erzielen. Es gab zwar einige Vorrichtungen, die die Funktion von Schaltern zu erfüllen schienen, aber das Aggregat reagierte nicht, als sie bewegt wurden. Schließlich zuckte der Ingenieur mit den Schultern. „Es dürfte am besten sein, wenn wir einen Strahlschuß hineinjagen“, meinte er. „Anders wird dem Ding nicht beizukommen sein, zumal es offenbar energie‐autark ist. Es arbeitet, obwohl die Konverter nicht laufen. Schade darum, aber immer noch besser, als wenn eventuelle Besucher es wieder für ihre Zwecke einspannen könnten.“ John Cork nickte, hob die Waffe und bestrich die Schalter mit einem nadelfeinen Strahl. Geschmolzenes Metall rann herab, es gab die typischen Kurzschlußblitze, das Summen verstummte. Im gleichen Moment durchfuhr es die beiden Männer wie ein starker elektrischer Schlag. „Was war denn das?“ murmelte Mall verstört, aber der Captain winkte ab. „Vielleicht eine Sekundärwirkung, überspringende Energie durch Ionisation der Luft. Kommen Sie, hier gibt es nichts mehr für uns zu tun!“ Sie verließen die Nebenhöhle und gingen wieder zu den anderen Männern. Diese hatten inzwischen dafür gesorgt, daß auch die übrigen Anlagen nicht mehr gegen die Menschen eingesetzt werden konnten. Alles, was die Roboter repariert hatten, war wieder zerstrahlt worden und würde nie mehr irgendeine sinnvolle Funktion erfüllen können. * Als sie endlich das Labyrinth hinter sich gelassen hatten, atmeten alle auf. Es war inzwischen dunkel geworden, frische Nachtluft schlug ihnen entgegen, und der innere Mond schob sich über den Horizont. Bei seinem Anblick preßte John Cork die Lippen zusammen, denn er dachte an die dort befindlichen Kuppeln. Man würde wohl oder übel eine bewaffnete Expedition dorthin unternehmen müssen, um auch
sie zu erkunden. Wenn die Besatzung der ARLENE schon zum Verbleiben auf Garal verurteilt war, dann sollte es wenigstens ein Dasein ohne latente Bedrohung sein. Sie passierten das Zeltlager, vor dem die Heiler saßen und ihnen neugierig entgegensahen. Plötzlich erhob sich Gernal und kam auf den Captain zu. Er wies auf die Plastikblase mit dem fremden Wesen, die von zwei Männern getragen wurde. „Das Ding darin denkt!“ sagte er mit unüberhörbarem Abscheu. John Cork horchte auf und blieb stehen. „Kannst du mir sagen, was es denkt?“ fragte er interessiert. „Es wäre wichtig für uns, das zu wissen.“ Der Meister der Heiler schüttelte den Kopf. „Wir können keine Gedanken lesen, John Cork. Ich kann nur spüren, daß es denkt – aber es sind keine guten Gedanken, soviel kann ich sagen.“ „Wir haben eine Menge dieser Dinger getötet, um sie an einem Angriff auf uns zu hindern“, sagte der Kommandant. „Wir reden noch einmal darüber, wenn ich Zeit dazu habe. Gute Nacht.“ Die Normalen hatten mit dem Abendessen gewartet, bis die Gruppe zurückgekehrt war. John Cork unterrichtete sie über das Geschehen in der Kaverne und die Entdeckung Dr. Rappans auf dem Mond. „Morgen werden wir auch die übrigen Kavernen noch erkunden“, schloß er. „Ich hoffe, daß wir nicht auf weitere Fremdwesen stoßen werden, sondern endlich auf Wasser. Ist der Mimikryt auch sicher untergebracht, Dr. Singh?“ Der Chefarzt nickte. „Wir haben ihn in einen Quarantänetank gesteckt, aus dem er unmöglich freikommen kann. Er hat sich gut erholt und nimmt auch Nahrung an. Morgen werde ich ihn zusammen mit Dr. Dombrowski unter die Lupe nehmen.“ Ein ereignisreicher Tag ging zu Ende. Der Captain machte noch einen Besuch bei Anne Young, zog sich aber schon nach einer Stunde in seine Kabine zurück. Er war rechtschaffen müde. Trotzdem lag er noch lange wach, denn seine Gedanken ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Eine Gefahr war beseitigt, ein großes Problem gelöst. Doch viele andere Dinge warteten noch darauf, bewältigt zu werden – zu viele! Er schlief schlecht und hatte wüste Träume. Mitten in der Nacht fuhr er zusammen und erwachte schweißgebadet. Er setzte sich im Bett auf und holte tief Luft, um sein wild hämmerndes Herz zu beruhigen. Irgend etwas hatte sich ereignet, das spürte er deutlich, und hastig machte er das Licht über dem Bett an. Im gleichen Moment wußte er, was sich verändert hatte: Er war kein Zwerg mehr – er hatte seine ursprüngliche Größe wiedererlangt… Der große Mann schlug die Hände vor das Gesicht und weinte vor Freude und Dankbarkeit wie ein kleines Kind. ENDE