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Laboratorium des Satans Die galaktischen Mediziner experimentieren und Androiden rebellieren gegen ihr Schicksal von Dirk Hess
Atlan - Held von Arkon - Nr. 140
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Was bisher geschah Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die dem 9. Jahrtausend v.Chr. entspricht – eine Zeit also, da die in die Barbarei zu rückgefallenen Erdbewohner nichts mehr von den Sternen oder dem großen Erbe des untergegangenen Lemuria wissen. Arkon hingegen – obzwar im Krieg gegen die Maahks befindlich – steht in voller Blüte. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III, ein brutaler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII töten ließ, um selbst die Herr schaft übernehmen zu können. Auch wenn Orbanaschol seine Herrschaft gefestigt hat – einen Mann hat der Imperator von Arkon zu fürchten: Atlan, Sohn Gonozals, den rechtmä ßigen Thronerben und Kristallprinzen des Reiches, der inzwischen zum Mann herangereift ist. Nach der Aktivierung seines Extrahirns hat Atlan den Kampf gegen die Macht Orbanaschols aufgenommen und strebt den Sturz des Usurpators an. Doch Atlans Möglichkeiten und Mittel sind begrenzt. Ihm bleibt nichts an deres übrig als der Versuch, seinem mächtigen Gegner durch kleine, aber gezielte Aktionen soviel wie möglich zu schaden. Der Weg, den der Kristallprinz dabei einschlägt, ist voller Abenteuer und Gefahren. Dies zeigt, sich besonders kraß, als Atlan, der sich auf den Pla neten der Bewußtseins-Forscher locken ließ, sein dupliziertes Ich verfolgen muß – sogar bis in das LABORATORIUM DES SATANS …
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Kristallprinz kämpft mit seinem eigenen Ich.
Fartuloon - Atlans Begleiter und Kampfgefährte.
Tocce-Lanceet - Kommandant einer Station des Grauens.
Xaxax - Ein Skine in der Gewalt von Aras.
Ogh - Ein Androide wird zum Rebellen.
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Wir waren schon einmal durch die Röhren zu einer »oberen Welt« ge langt. Zuerst hatte ich vermutet, es würde sich um einen Transmitter sprung zu einer anderen Welt des skinischen Sonnensystems handeln. Ich war rasch eines Besseren belehrt worden: Wir wurden durch die Röhren auf eine Welt transportiert, die sich im Hyperraum befand. Diesmal war irgend etwas anders als sonst. Ich konnte es mir nicht erklären, aber die unbekannten Energieströme rissen uns aus dem Transportbereich, entmaterialisierten uns und verstoff lichten uns wieder. Waren wir im Hyperraum angekommen, auf dem Zielplaneten, oder be fanden wir uns noch immer auf dem Skinenstützpunkt Tsopan? Wo war meine Bewußtseinskopie, wegen der wir diese unmenschlichen Strapazen auf uns nahmen? Wohltuende Ohnmacht befreite mich von den bohrenden Gedanken. Ich sah, wie auch Fartuloon zusammenbrach. Der energetische Schock war zu groß für uns gewesen. Die Atmosphäre schien elektrisch geladen zu sein. Wie vor einem Gewit ter. Nur fehlten die Wolken. Eintöniges Grau zog sich bis zum Horizont hin, nur unterbrochen von zirrusähnlichen Silberfäden, die dicht über mir standen. Sie wirbelten empor und verloren sich in dem diffusen Dunkel des Hyperraumhimmels. Schwacher Wind ließ den schwarzglänzenden Sand einer weiten Ebene über meinen Körper rieseln. Es war heiß und stickig. Mein Kopf schmerzte, und ich fühlte mein Herz krampfhaft schla gen. Schweiß stand auf meiner Stirn. Neben mir richtete sich Fartuloon stöhnend auf. Sein Gesicht wirkte auf den ersten Blick verquollen. Der schwarze Bart war zerzaust. Sand hatte sich mit dem Schweiß seiner Stirn vermischt und hing ihm in kleinen Klümpchen in den Haaren. Sein blankgeriebener Harnisch funkelte im Wi derschein der hyperdimensionalen Entladungen dicht über uns. Doch dann wurde es still. Der Himmel war wieder leer und grau. »Atlan … gut, daß du es auch überstanden hast. Ob deine Bewußtseins kopie etwas damit zu tun hatte?« Ich zuckte mit den Schultern und stand langsam auf. Mit einer müden Handbewegung schüttelte ich den feinen Quarzsand ab, der sich in meiner Kleidung festgesetzt hatte. Ich wußte, daß sehr bald etwas passieren mußte. Wenn das die Welt war, auf die mein zweites Ich geflohen war, waren wir nicht unbeobachtet geblieben. Ich beschattete die Stirn mit der Rechten. In der Ferne wurde die düstere Ebene von gezackten Bergrücken begrenzt. Eine glitzernde
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Magnetspur teilte die Ebene in zwei Hälften. Plötzlich ging ein Vibrieren durch die Schiene. »Jemand hat Energie in die Magnetspur geleitet«, flüsterte ich aufge regt. Doch außer der gähnenden Leere, erfüllt von Hitze und Staub, war nichts Besonderes zu erkennen. »Du kannst es mal wieder nicht abwarten!« spottete mein Extrasinn. Das stimmte haargenau. Ich hätte den lästigen Mahner in meinem In nern gern abgeschaltet. Aber das war nicht möglich. Ich versuchte mir vorzustellen, wie eventuelle Bewohner dieses wüsten haften Planeten aussehen mochten. Die Skinen hatten uns nichts darüber mitgeteilt. Vermutlich wollten sie unsere Reaktionen testen, wenn wir mit der neuen Lebensform dieser Welt konfrontiert wurden. Zuzutrauen war den fanatischen Forschern alles. Die Skinen hatten mein Bewußtsein kopiert, um es ihrer gigantischen Bewußtseinsbank einzuordnen. Dabei war dann etwas Unvorhersehbares geschehen: Das synthetische Ich war aus dem Speicher geflohen und hatte Besitz von anderen Körpern ergriffen. Dieser Vorgang war mehrmals er folgt. Schließlich sollte die Bewußtseinskopie hierher geflohen sein. Auf diese Welt im Hyperraum. Ich hoffte, auch wirklich zum Zielplaneten ge langt zu sein. Doch der unterbrochene Transportvorgang ließ alles offen. Wir konnten überallhin gelangt sein, nur nicht auf die Welt, die sich mein anderes Ich als Exil ausgesucht hatte. Mein anderes Ich besaß meine Eigenschaften. Die positiven und auch die negativen. Das machte es noch schwieriger. Ob ich wollte oder nicht, ich mußte mich praktisch selbst überlisten, wenn ich den Wanderer durch Raum und Zeit unschädlich machen wollte. Es ist ein teuflisches Gefühl, zu wissen, daß eine Kopie der eigenen Seele durch den Kosmos geistert. Die Skinen hatten nach der erneuten Flucht meines künstlich hergestell ten Geist-Seele-Komplexes das Tor zu einer anderen Hyperraumwelt ge öffnet. Der Transportvorgang war mir ebenso rätselhaft wie unheimlich. Wir waren durch schimmernde Röhren aus stabilisierter Energie geschrit ten, wurden dann in Bruchteilen einer skinischen Miniskope durch die Un endlichkeit gerissen und landeten schließlich auf einer isolierten Hyper raumwelt. Fartuloons Räuspern riß mich aus meinen Überlegungen. Metall schrammte über Metall, als er das Skarg, sein archaisch anmutendes Schwert, aus der Scheide zog. »Dort, neben der Magnetschiene.« Ich folgte seinem Blick und entdeckte einen Sandstrudel. Aus der glä sern glitzernden Sandmasse schoß plötzlich ein Strahl pulverisierten Ge
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steins in die Höhe. Es klang, als würde aus einem Dampfkessel heiße Luft abgelassen werden. Die Schwertspitze deutete auf die sich weiter ausdeh nende Sanderhebung. Ein kleiner Hügel wölbte sich nun auf, brach ausein ander und bildete einen Kraterwall aus Quarzsand. Das Schnaufen des »Dampfkessels« war stärker geworden. Ich fühlte, wie meine Spannung wuchs. Waren wir schon auf die Be wohner der Wüsten weit gestoßen? Dann wurde diese Welt von Sandkrea turen bevölkert, die schwerlich eine eigene Technologie entwickelt haben konnten. Eine arkonidische Schwebebahn würden sie selbstverständlich niemals bedienen können. Oder waren wir auf die defekte Leitung gesto ßen, die den Magnetzug energetisch versorgte? Über dem Krater erschien eine glitzernde Rundung, halbmondförmig und dunkelgefärbt. Dunkler jedenfalls als der Sand ringsum. Was im diffu sen Licht des Hyperraum-Himmels glitzerte, waren kleine diamantähnli che Auswüchse. Täuschte ich mich, oder starrten mich diese winzigen Diamanten tatsächlich an? »Ein nichtarkonidisches Wesen. Es betrachtet dich.« wisperte mein Ex trasinn. Das unbekannte Wesen ließ sich Zeit. Vielleicht aber war es auch nur an den Sand gebunden und konnte sich nicht erheben. Es besaß jedenfalls ei ne Geduld, die ich nie im Leben aufbringen konnte. »Es kommt 'raus!« schrie Fartuloon aufgeregt. Ich öffnete automatisch den Verschluß meines Halfters, in dem der Kombistrahler steckte. Die Abstrahlmündung zeigte genau auf den glit zernden Halbmond, der sich aus dem Sandloch reckte. Beim geringsten Anzeichen einer Gefahr würde ich bedenkenlos schießen. Am Horizont wurde ein Punkt sichtbar, der sich zusehends vergrößerte. Ein Schwebezug kam genau auf uns zu. Wenn er seine augenblickliche Geschwindigkeit beibehielt, würde er bald hiersein. Seltsame Laute, begleitet von einem asthmatischen Keuchen, waren aus dem Sandloch zu vernehmen. Es hörte sich wie ein stetig wiederholtes »Viwo, Viwo« an. Anscheinend war die Sandkreatur völlig harmlos. Ich beschloß, sie einfach Viwo zu nennen. Unter diesen Umständen konnte es nicht schaden, einen einheimischen Freund zu besitzen. Das Ding ver schmolz beinahe konturlos mit dem dunklen Quarzsand. Die Oberflächen diamanten glühten von innen heraus. Der Zug mußte jeden Augenblick neben uns halten. Energetische Über ladungen begleiteten den Bremsvorgang, auch wenn der Wagen noch mehrere Bergschatten von uns entfernt war. Über dem tropfenförmigen Wagen blähte sich ein Schirmfeld aus überhitzten Luftmolekülen und flachte dann flimmernd ab. »Viwo« kroch witternd um uns herum. Auf dem Sand blieb eine gläser
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ne Schmelzschicht zurück, die leicht dampfte. Fartuloon schien nun ebenfalls von der Ungefährlichkeit des kleinen Wesens überzeugt zu sein. Er steckte sein Skarg in die Scheide zurück und fuhr sich mit der schwieligen Rechten durch den gekräuselten Vollbart. Bei näherer Betrachtung schien Viwo aus rostigem Eisen zu bestehen. In unregelmäßiger Anordnung wuchsen kleine Diamanten auf der kantigen »Haut«. Das mußten seine Sinnesorgane sein. Eine Mundöffnung war je denfalls nicht zu erkennen. Bestimmt ein Wesen primitiver Organisation. Aber ich hielt mein voreiliges Urteil zurück. Es hatte sich oft gezeigt, daß die voreilige Beurteilung eines Fremdrassigen zu den schwierigsten Ver wicklungen führen konnte. Auch die Skinen hatten auf uns unbeholfen und plump gewirkt. Dabei vollbrachten sie Leistungen, die wir hochzivilisierten Arkoniden uns nur im Traum vorstellen konnten. Die äußere Form sagte überhaupt nichts über die Qualifikation eines Wesens aus. Maßgeblich war nur die soziale und technische Leistung. Davon allerdings war bei unserem »Eisen-Viwo« nichts zu sehen. Fartuloon und ich erschraken, als die Energiezuleitungen des Ma gnetschwebers mit einem peitschenartigen Knall in die Halterungen zu rückschnappten. Der Wagen stand abrupt still. Ich konnte wieder das leise Säuseln des Windes spüren, mit dem er die Gluthitze der Sandebene an unseren schweißnassen Gesichtern vorbeiwehte. Hinter der Sichtscheibe des Wagens, der dicht über der Magnetschiene schwebte, tauchte für wenige Augenblicke eine spindeldürre Gestalt auf. Kaum so groß wie Fartuloon. Zischend öffnete sich auf der uns abgewandten Seite die Wagentür. Ei ne kleine Leiter fiel klappernd aus der Halterung. Sand knirschte, als der Fremde ausstieg. Ich konnte nur seinen Schatten sehen. Ein länglicher Ge genstand stand grotesk von seiner Hüfte ab. Eine Waffe, durchzuckte es mich. Zuerst geschah gar nichts. Fartuloon kniff die Augenlider zusammen und starrte zum Schwebewagen hinüber. Der Fremde ließ sich Zeit. Wir hatten keine Ahnung, welcher Rasse er angehören mochte, oder welche Absicht er verfolgte. Es bestand kein Zweifel, daß er unsere Landung be obachtet hatte. Da wir nicht wußten, wie die Bewohner dieser Hyperraum welt auf Besuch von der Skinenwelt reagierten, waren wir unsicher. Unsi cher deshalb, weil jede falsche Reaktion unser Ende bedeuten konnte. Unterdrücktes Stöhnen drang zu uns herüber. Ich gab Fartuloon ein Zei chen zum Losgehen. Er verstand mich sofort. Der schwarze Sand knirschte unter unseren Schuhen, als wir Schritt vor Schritt setzten. Ich hielt den Kombistrahler in der Hand. Fartuloon sein Skarg.
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Der Eisen-Viwo röchelte leise und buddelte sich hastig in den Sand ein. Wenige Augenblicke später war nichts mehr von ihm zu sehen. Die ver glasten Sandstellen, die er durch irgendeinen Verschmelzungsprozeß her vorgerufen hatte, wurden rasch vom umherwehenden Sand zugedeckt. Hinter dem Schwebewagen knackte es metallisch. »Er hat einen arkonidischen Impulsstrahler!« warnte mich mein Extra sinn. Richtig, durchfuhr es mich. Der Fremde hatte soeben das Energiemaga zin durchgeladen. Er war also zu allem entschlossen. Ich wollte es trotzdem versuchen und stieß einen Warnruf aus. Er reagierte nicht einmal. Ich versuchte es noch einmal. »Wer du auch bist, was willst du von uns? Wir verfolgen keine bösen Absichten … Wir kommen gerade von den Ski nen.« Statt einer Antwort zuckte ein grellblendender Energiestrahl haarscharf über unsere Köpfe hinweg. Hätten wir uns nicht blitzschnell geduckt und wären tief gebückt auf den Schwebewagen zugestürmt, der Kerl hätte uns glatt desintegriert. Hin ter uns zerschmolz eine Sanddüne. Der Fremde hatte uns mit der vollen Energieleistung seines Strahlers beschossen. Das war mehr als deutlich. Er wollte uns töten. Es durchzuckte mich siedendheiß: Ob mein zweites Ich in seinem Kör per steckte? Vielleicht war die flüchtende Geist-Seele-Einheit kurz vor un serem Erscheinen in diesen Körper eingedrungen und hatte sofort die Of fensive ergriffen. Das wäre für mich nicht untypisch gewesen. »Du hast es mit einer völlig identischen Psyche zu tun. Auch wenn dein Gegner nicht so aussieht wie du.« Darauf hätte mein Extrasinn mich nicht hinzuweisen brauchen. Ich kannte die grotesken Probleme selbst, die ich seit der Seelenkopierung durch die Skinen zu meistern hatte. Wir berührten das heiße Metall des Schwebewagens. Nach der rasenden Fahrt durch die Wüste hatte sich die Außenzelle noch immer nicht abge kühlt. Der Fremde hockte auf der anderen Seite. Wenn ich mich vorsichtig um die gerundete Heckseite beugte, konnte ich seinen Schatten sehen. Ein schmaler, fast dünn zu bezeichnender Körper, auf dessen zerbrechlichen Schultern ein spitz zulaufender Kopf thronte. Ich schaltete meinen Strahler von Desintegrations- auf Paralyseenergie um. Ich wollte unseren Gegner nicht töten, sondern nur kampfunfähig schießen. Er könnte uns wertvolle Informationen über dieser Welt liefern. Dann gab ich Fartuloon einen Wink. Der Bauchaufschneider hatte sich langsam daran gewöhnt, daß ich in gefährlichen Situationen die Initiative ergriff. Kein leichter Stand für einen famosen Lehrmeister, aber verständ
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lich. Wir waren Partner, gleichberechtigte Kämpfer in einem Spiel von ga laktischem Ausmaß. Fartuloon ging nach rechts, während ich wenige Augenblicke an der Heckrundung verharrte. Im gleichen Augenblick ertönte hinter dem Fahrzeug ein Schrei. Ich er starrte. So konnte nur ein Wahnsinniger in höchstem Entsetzen schreien. Ich versuchte mir vorzustellen, was in dem Fremden vorgehen mochte. Ich hatte diese absonderliche Welt nie zuvor in meinem Leben gesehen. Hier war mir und Fartuloon nahezu alles fremd. Daran konnte auch die seltsa me Vertrautheit nichts ändern, die wir beim Anblick der arkonidischen Schwebebahn empfunden hatten. Das Zischen eines Dampf Strahls ertönte, und unser Gegner wimmerte entsetzt auf. »Jetzt!« schrie ich und stürzte gebückt um die Heckrundung. Fartuloon war auf der anderen Seite herumgekommen. Ich hechtete über die Magnet schiene hinweg, rollte mich im Sand ab und kam augenblicklich wieder auf die Beine. Als ich sah, was uns mit dem Strahler bedroht hatte, entspannte ich mich unwillkürlich. »Nicht schießen … bitte nicht schießen!« Die Worte des Aras erstickten in heiserem Gurgeln. Ein Ara, oder Galaktischer Mediziner. Ich kannte diese teuflischen Gift mischer nur zu gut. Sie hatten genug Unheil am Hofe meines Vaters ange richtet. Sie waren die besten Chirurgen oder Chemo-Biologen, die ich mir vorstellen konnte. Diese schlauen Burschen hatten es meisterhaft verstan den, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten in klingende Münze umzuwandeln. Durch künstlich hervorgerufene Seuchen planetaren Ausmaßes hatten sie viele Imperiumswelten in Abhängigkeit zu ihren Medikamenten und The rapiesystemen gebracht. Wie kommt ein Ara auf diese Hyperraumwelt der Skinen? fragte ich mich. Freiwillig waren die Mediziner bestimmt nicht hergekommen. Von dieser Welt konnte man nur verschwinden, wenn es die Skinen gestatteten. Fartuloon drehte sich den zuckenden Körper des Aras mit dem Schwert herum. Verächtlich schürzte er die Lippen. Er war ein Bauchaufschneider des arkonidischen Hofes, ein Mediziner der arkonidischen Oberschicht. Außer einem gewissen Gefühl der Konkurrenz heraus verachtete er die Aras aus tiefstem Herzen. »Ist gar nicht mehr gut beieinander, unser Freund.« Ich mußte ihm zustimmen. Der Ara war über und über mit stinkenden Abszessen bedeckt. An vielen Stellen hatte er sich notdürftig mit einer schnelltrocknenden Gelatinemasse besprüht, doch die Wunden waren im mer wieder aufgeplatzt.
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Doch das konnte nicht der Grund für das abrupte Ende der Auseinander setzung sein. Immerhin hatte er uns töten wollen. Ich drehte mich suchend um. Als ich das heisere »Viwo, Viwo!« hörte, wußte ich Bescheid. Ich müßte unwillkürlich lachen. Der kleine Sandbewohner hatte unserem Gegner einen erhitzten Sand strahl ins Gesicht geblasen. »Dein Viwo hat sich als äußerst nützlicher Begleiter erwiesen«, meinte Fartuloon grinsend. Der Bauchaufschneider kniete nieder und wollte der schwarzschimmernden Kreatur über die diamantenen Kopf auswüchse streicheln. Doch ich ahnte beinahe, was nun, kommen würde. Mit einem Wehlaut zuckte Fartuloon hoch und umklammerte die schmerzende Rech te. Über dem Viwo knisterte eine elektrische Entladung. Der kleine Bur sche hatte also mehr zu bieten, als wir geahnt hatten. »Dem werde ich's zeigen!« stieß Fartuloon wütend hervor. Ich fiel ihm in den Arm, bevor er mit dem Skarg zuschlagen konnte. Das wäre ihm freilich auch schlecht bekommen. Der Viwo besaß aller Wahrscheinlichkeit nach eine organische Körperbatterie, die es ihm er möglichte, Sand zu einer glasähnlichen Substanz zu zerschmelzen. Daß Metall elektrisch leitend war, brauchte ich Fartuloon nun wirklich nicht extra zu erklären. Der Überladungsschlag hätte ihn töten können, wenn er mit dem Schwert zugeschlagen hätte. »Wir bekommen Besuch«, meinte ich leichthin und deutete in den flim mernden Hintergrund der Ebene. Aus der Ferne näherte sich ein zweiter Schwebezug. An dem hochauf geblähten Schild aus ionisierten Luftmassen erkannte ich, daß das Fahr zeug mit extremen Werten abgebremst wurde. »Wenn die genauso verrückt sind«, Fartuloon deutete mit der Skargspit ze auf den wimmernden Ara, »dann können wir einpacken. Soviel SandViwos gibt es gar nicht, damit wir uns mit heiler Haut zu den Skinen zu rückretten könnten.« »Wie sollen wir zu den Skinen zurückkehren?« Fartuloon zuckte bedauernd mit den Schultern. Es schien ihm erst jetzt aufzugehen, daß wir in keiner Gegenstation herausgekommen waren, son dern direkt auf die Planetenoberfläche abgestrahlt worden waren. Das gab uns allerhand Rätsel auf. Wenn beim Transportvorgang etwas schiefge gangen war, konnten wir jetzt die berühmte Nadel im Heuhaufen suchen. Wo mochte sich auf dieser endlos weiten Wüstenwelt die Gegenröhre zum Stützpunkt Xascat der Skinen befinden? Ich ließ meinen Blick über den kranken Ara gleiten. Wäre mein Ekel vor diesem zerschundenen Körper nicht zu stark gewesen, ich hätte ihn be denkenlos aufgerichtet. Aber ich wußte, daß die Aras entsetzliche Kampf stoffe besaßen, die bei Testserien oft schon ganze Medizinerteams dezi
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miert hatten. Ich ließ es bei einem erneuten Versuch, doch noch eine Antwort von ihm zu bekommen. »Vielleicht erfahren wir von den anderen mehr.« Fartuloon nickte mir nur zu. Der zweite Schwebezug kam langsam nä her. Er wirbelte düstere Sandwolken auf und kam dann endgültig zum Ste hen. Er hielt sich deutlich fern von dem ersten Fahrzeug. Anscheinend wollte die Besatzung mit unserem Gegner von vorhin verhandeln. »Komm, wir gehen ihnen entgegen!« schlug ich vor. Fartuloon brum melte etwas in seinen Bart und folgte mir. Er hatte sein Skarg längst wie der in die Scheide zurückgesteckt. Drüben öffnete sich eine Luke. Ich erhob die Rechte und rief: »Wer ihr auch seid, wir wollen mit euch reden. Wir kommen von Tsopan. Die Ski nen haben uns hergeschickt. Wir suchen jemanden.« Dann schloß ich geblendet die Augen. Dicht vor unseren Füßen brodelte der Boden. Glühende Sandkörnchen versengten mir die Haare. Mein ange winkelter Arm schützte instinktiv die Augen. Sie hatten auf uns geschossen. Aber anscheinend nur ein Warnschuß. Wir waren ohne Deckung. Sie hätten uns jederzeit zusammenschmelzen können. Eine kalte Stimme wurde von den Außenlautsprechern des Schwebe zugs übertragen. Ich kniff die Augen zusammen, um durch die wabernden Luftmassen etwas erkennen zu können. Doch die Sichtblende der Front scheibe war herabgelassen worden. Die Besatzung konnte uns sehen, wir sie aber nicht. »Wir werden eure Angaben später nachprüfen. Habt ihr den MedoInspektor berührt?« »Nein, das haben wir nicht!« Die Antwort fiel mir leicht. Ich ahnte, weshalb uns der Fremde fragte. Anscheinend hatte sich der Ara mit einem ansteckenden Virus infiziert, und die Besatzung des Schwebewagens befürchtete nun eine Verbreitung der Krankheit. Mir wurde langsam klar, daß wir auf dieser Hyperraum weit noch mehr Aras antreffen würden. Wo ein Medo-Inspektor zu finden war, da gab es hundertprozentig ganze Ara-Forschungslaboratorien, in denen die Galakti schen Mediziner ihre gefährlichen Medikamente und Kampfstoffe ent wickelten. Mein zweites Ich hatte sich wirklich eine interessante Welt als Zuflucht ausgesucht. Die Aras würden uns kaum bei der Suche nach der Geist-See le-Einheit helfen. Wenn es überhaupt zu einer Suche danach kommen wür de. So, wie die Dinge jetzt lagen, standen meine Aussichten nicht beson ders gut.
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»Aus dem Weg, wenn ihr nicht sterben wollt!« Wenn die Lautsprecherstimme vorher emotionslos und kalt geklungen hatte, so war sie jetzt schneidend geworden. Uns blieb nichts anderes üb rig, als schleunigst aus der Reichweite des ersten Schwebewagens zu ver schwinden. Ich ahnte, was kommen würde. »Nein … bitte nicht!« stöhnte der infizierte Ara und versuchte sich auf zurichten. Doch es gelang ihm nicht. Ein schwach gefächerter Energiestrahl beendete seine Leiden. Die Glut verbrannte seinen Körper innerhalb weniger Augenblicke zu einem Häuf chen verwehender Asche. Ich wandte meinen Blick ab. Daß die Aras auch sich selbst und ihren Artgenossen gegenüber grausam und unnachgiebig waren, das wußte ich. Aber ich hatte nie aus nächster Nähe miterleben müssen, wie sie so was erledigten. »Sie hätten dich ebenso eliminiert.« Mein Extrasinn hatte wie immer recht. Als potentielle Seuchenträger gefährdeten wir die Experimente der Aras. Die Öffnungsluke schwang federnd in ihre Halterung, und die kleine Treppe sprang heraus. Zwei Aras in leichten Schutzanzügen stiegen heraus und gingen wortlos an uns vorbei. Ich versuchte erst gar nicht, sie anzu sprechen. Sie hielten lange Spritzdüsen in den Händen und trugen Desin fektionsbehälter auf dem Rücken. Wenig später war der erste Schwebewa gen in einer Wolke aus rosafarbenen Dämpfen verschwunden. Wenn die Aras etwas taten, dann erledigten sie es gründlich. »Komm … wir fragen mal, ob sie uns in die Station mitnehmen.« Fartuloon machte ein zweifelndes Gesicht. »Darauf würde ich mich nicht verlassen. Aber es wird uns nichts ande res übrigbleiben, wenn wir hier in der Wüste nicht verdursten wollen. Da vor können die Viwos uns auch nicht bewahren.« »Halt!« Die energetische Stimme eines Aras brachte uns zum Stehen. »Ich muß euch zuerst untersuchen. Öffnet euere Kleidung!« Ich löste die Magnet-Öse meines Hemdes. Fartuloon hatte Schwierig keiten mit seinem zerschrammten Harnisch. Außerdem gefiel es ihm nicht, wie die Aras mit ihm redeten. Er würde sich bei geeigneter Lage entspre chend revanchieren, dessen war ich mir ganz sicher. »Und weiter!« Ich wollte möglichst rasch aus dieser verdammten Wüste verschwinden und wurde langsam ungeduldig. Ein Ara, ebenfalls durch einen durchsichtigen Schutzanzug von der Au ßenwelt abgeschirmt, hielt zwei kleine Folien in der Hand. Das Zeug leuchtete dunkelblau. »Preßt die Testfolien gegen eure Haut!« Die Dinger waren unsere Fahrkarten in die Versuchsstation der Aras.
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Ich ahnte, daß wir den Galaktischen Medizinern höchst unwillkommen waren. Doch diese wiederum waren vom Wohlwollen der Skinen abhän gig und konnten uns nicht einfach in der Wüste verdursten lassen. Mög lich, daß die Aras inzwischen eine entsprechende Nachricht von den Ski nen erhalten hatten. Unsere Ankunft mußte angekündigt worden sein. Dann wußten die Aras auch, daß ich meine Bewußtseinskopie verfolgte. Ich zuckte zusammen. »Das Zeug brennt ja teuflisch!« Ich sah, wie sich auf meiner Brust, dicht unter dem Schlüsselbein, ein daumennagelgroßes Hautstück in bläu lichem Rauch auflöste. Zurück blieb eine gläsern schimmernde Brandwun de. Die Aras hüstelten belustigt. »Glück gehabt, Arkonide! Hättet ihr euch infiziert, dann wärt ihr jetzt schon tot. Die Testfolien wirken als Virusbeschleuniger.« »Ihr geht wohl kein Risiko ein, was?« rief ich barsch. Das arrogante Be nehmen der Spitzköpfe ging mir langsam auf die Nerven. »Wer Risiken eingeht, ist selber schuld. Nur derjenige überlebt, der alle Faktoren seines Handelns vorausberechnet und sich zur größtmöglichen Wahrscheinlichkeit durchringt … und natürlich danach handelt.« Das war die gefühllose Maxime der Aras. Dadurch waren sie berühmt und berüchtigt geworden. »Ihr könnt uns nach Cematrang-I folgen. Wir haben von den Skinen Be scheid bekommen. Anscheinend wurde euer Transport durch das Attentat verzögert. Ihr seid in der Gelar-Wüste materialisiert. Ein Wunder, daß ihr nicht verformt worden seid.« Die Albinoaugen des Aras funkelten rötlich. Wenn es nach ihm gegan gen wäre, hätte er uns weiter in der Wüste herumirren lassen. »Was war das für ein Attentat?« fragte ich neugierig. Der Ara zögerte einen Augenblick. Er wußte nicht, wieviel er uns sagen durfte und wieviel nicht. »Die Röhrenverbindung zu den Skinen wurde unterbrochen.« »Von den Skinen selbst?« hakte ich sofort nach. Ich begann, unruhig zu werden. Mein Extrasinn brauchte mir keine Si tuationsanalyse zu geben. Aber hätten die Skinen uns ausschalten wollen, dann hätten sie das leichter haben können. Dahinter mußte etwas anderes stecken. Bevor ich mehr erfahren konnte, hatten uns die beiden Aras nach der erfolgten Desinfektion des ersten Wagens durch die Luke gedrängt. Fartuloon und ich zwängten uns zwischen die Sitzreihe der vorderen Scha lensessel. Der Andruck des sofort gestarteten Fahrzeugs preßte uns in die weichen Polster. Vier Aras saßen im Cockpit und manövrierten den Zug. Ein erfrischender Luftstrom blies uns ins Gesicht. Eine Wohltat nach
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dem unfreiwilligen Aufenthalt in der Wüste. »Erzählen Sie uns mehr über den Skinen, der die Ankunftsröhre beschä digt hat!« verlangte ich. Die Aras drehten sich nicht einmal um. Ihr Anführer bemerkte lediglich: »Das wird euch der Kommandant vielleicht sagen. Wenn er euch über haupt empfängt und nicht sofort durch die Röhre zurückschickt.« Ich ließ mich in die angenehm weichen Polster sinken und starrte durch die seitliche Sichtluke. Das eintönige Grau des Himmels verschmolz mit der dunklen Färbung der Quarzwüste. Die Berge waren inzwischen deut lich zu erkennen. Der Zug fuhr genau auf sie zu. Die hitzeflimmernden Luftschichten verzerrten die Sicht ein wenig, doch ich konnte bereits Ein zelheiten unterscheiden. Da gab es bernsteinartige Hügel, unter denen gezackt-gewundene Ob jekte lagen. Weiter hinten ragten regelmäßig geformte Türme in den kon turlosen Himmel. Die Station, stellte ich fest. Eine ziemlich große Anlage. Irgendwo dort hinten hatte sich mein zweites Ich einen Körper gesucht. Oder war es bereits mit einem Körper hierher gelangt? »Wo bleibt deine logische Überlegung?« fragte mein Extrasinn. Natürlich! Es konnte gar nicht anders gewesen sein. Der Geist hatte einen Skinen übernommen und war durch die Röhre gegangen. Um unsere Ankunft zu vereiteln oder doch zumindest zu verzögern, hatte er das Transportsystem beschädigt. Deshalb waren wir in der Wüste Cematrangs herausgekommen. Daß ich nicht sofort darauf gekommen war. Ich teilte Fartuloon meine Vermutung mit. Der Bauchaufschneider knirschte mit den Zähnen. »Dann dürften wir geradewegs in eine Falle deines zweiten Ichs trans portiert werden«, sagte er. »Auch du wärst in einem solchen Fall nicht un tätig geblieben. Denn im Grund bist du es, der sich auf diese groteske Weise bekämpft.« Als der Magnetschweber abbremste, wurde ich sehr nervös. Ich spürte, wie mir die salzigen Tropfen meines Augensekrets über die Wangen lie fen. Die Ungewißheit, was mein zweites Ich inzwischen unternommen ha ben könnte, verbunden mit der Gewißheit, daß es jederzeit den Gastkörper verlassen konnte, lastete wie ein Alptraum auf mir. Dann nahm uns der unterirdische Hangar der Ara-Station Cematrang-I auf.
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Der mannshohe Betonblock wurde von einer Aura fluoreszierender Strah len umwabert. In Kopfhöhe klaffte eine Sichtluke, ansonsten war der Block makellos geschlossen. Kein Riß, keine Öffnung, geschweige denn ein Entriegelungsmechanismus waren erkennbar. Ich stöhnte unterdrückt, als mir der Ara den Zweck dieses Objekts er klärte. Aus den Umformungsbänken, die an das Betonmonstrum angeschlossen waren, ertönte schrilles Kreischen. Auf Oszillatorschirmen zuckten grüne Signale. Ein Lautsprecher übertrug das Pochen eines Kreislaufsystems. Kommandant Tocce-Lanceet hatte uns sofort empfangen. Er war von ei ner aufdringlichen Freundlichkeit, die eigentlich gar nicht zu seinem Er scheinungsbild paßte. Wie alle Aras besaß er einen spindeldürren Körper, sehr feingliedrige Hände, die er aus Furcht vor Ansteckungskrankheiten immer in desinfizierten Plastikhandschuhen verbarg. Seine blaugefärbten Lippen wirkten wie Striche im bleichen Gesicht. Seine Augen musterten mich wie ein Versuchsobjekt. »Sie kommen leider zu spät. Der Skine, der die Transportröhre sperren wollte, hat sich leider irreparable Organschäden zugezogen. Er steckt in diesem Betonblock. Wir mußten ihn einsiegeln, damit seine Organsub stanz unter der Strahlungsbelastung nicht zerfließen konnte.« Strahlungsbelastung? Tocce-Lanceet hatte meinen ungläubigen Blick wahrgenommen und antwortete sofort: »Als er die Röhre zur Skinenwelt sprengen wollte, sind hyperdimensionale Wellenschauer freigeworden. Nur durch den mutigen Einsatz unserer Androiden konnten wir die Gefahr bannen. Inzwischen wird das Kontrollpult von unseren Technikern instand gesetzt.« Der Skine mit meinem Bewußtsein steckte also in einem erstarrten Be tonblock. Er konnte niemals wieder daraus befreit werden. Er war leben dig begraben worden. Ich versuchte, mich in die Lage dieses bedauerns werten Wesens zu versetzen. Ich versuchte mir vorzustellen, was mein zweites Ich jetzt empfinden mochte. Es war entsetzlich. Umgeben von ei ner stahlharten, lichtundurchlässigen Masse, nur durch dünne Kanülen versorgt zu werden. Hitze, Kälte. Energieschock. »Brechen Sie den Block auf. Diese teuflischen Qualen hat der Skine nicht verdient!« verlangte ich. »Sie können mir nicht weismachen, daß diese Grausamkeit nur zu unserer und ihrer Sicherheit erfolgt ist. Sie ha ben die Gelegenheit wahrgenommen, endlich einmal einen Skinen den Tests ihrer wahnsinnigen Medizin zu unterziehen.« Tocce-Lanceet unterbrach mich barsch.
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»Wenn Sie in den Laboratorien von Cematrang verschwinden, können auch die Skinen nicht mehr helfen. Daß wir euch nicht für einen Versuch eingeplant haben, liegt lediglich an unserer wohlwollenden Auslegung des Abkommens mit den Skinen. Zwei Arkoniden fehlen uns noch im Pro gramm. Es gibt da einen Säurevirus, der jeden arkonidischen Körper in ei ner Miniskope zersetzen kann. Das bedeutet jedoch nicht das Ende des be treffenden Wesens. Im Gegenteil. Das Bewußtsein bleibt in der verflüssig ten Organbrühe. Uns fehlen nur noch abschließende Tests, in denen wir beweisen wollen, daß diese intelligente Substanz lebensfähig ist.« »Ich verabscheue Sie, Tocce-Lanceet! Was haben diese Grausamkeiten noch mit dem Ethos des Galaktischen Mediziners gemein?« Der Ara reagierte nicht auf meinen Gefühlsausbruch. Er hatte schon zu viele Wesen unter seinem Kommando leiden und sterben sehen, so daß meine Anklagen keinerlei Eindruck auf ihn machten. »Der säurehaltige Organbrei mit dem Bewußtsein eines Arkoniden könnte in unsere Großpositroniken eingebaut werden. Die Säurepartikel würden die Datenströme auf leichte Weise in die Bewußtseinszellen leiten, und uns somit in die Lage versetzen, jederzeit einen intelligenten Daten speicher zu besitzen.« Ich zeigte dem Ara deutlich, was ich von solchen Versuchen hielt. Ins geheim beschloß ich, nach meiner Rückkehr zu den Skinen darüber zu be richten. Vielleicht würden die Skinen solche Versuche verbieten. Ein Ara-Mediziner hatte weitere Kabel an den Betonblock angelegt, in dem der bedauernswerte Skine steckte, mit dem mein kopiertes Bewußt sein hierhergeflohen war. Plötzlich übertrug ein wandgroßer Bildschirm grelle Farbenspiele. Das Liniengewirr zerfloß in einen Kaskadenschauer aller nur möglichen Varia tionen. Geometrische Körper bildeten sich und wurden von pulsierenden Objekten abgelöst. Ich starrte fasziniert auf den Fiktivschirm. Solche Geräte waren mir vom Hofe meines Vaters vertraut. Viele Adlige der herrschenden Dynastie vertrieben sich ihre Zeit mit solchen Farbenspielen, die entweder von ei nem nichtarkonidischen Sklaven oder sogar von dem Besitzer des Geräts selbst erzeugt wurden. Man mußte nur das Gehirn des Betreffenden an die Apparatur anschließen. So einfach war das. »Wessen Gehirn?« gab mein Extrasinn die Frage an mein Bewußtsein weiter. Im selben Augenblick wußte ich, wer diese Fiktivspiele auf dem Bildschirm erzeugte. »Der unglückliche Skine im Betonblock«, bestätigte mein Extrasinn die fürchterliche Ahnung. Tocce-Lanceet flüsterte mit seinen Assistenten, die sofort einige Schal tungen vornahmen. Augenblicklich verschwanden die Farbenspiele und
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machten dem Grau eines normalen Bildschirms Platz. Der Ara streifte meinen Blick und meinte spöttisch: »Passen Sie genau auf! Dann brauchen Sie mir keine unnötigen Fragen mehr stellen. Ich ver mute zwar, daß die Skinen Sie nur zum Herumspionieren hochgeschickt haben, aber ich will unsere Gönner und Kerkermeister nicht enttäuschen.« Tocce-Lanceet wollte uns also die gewünschten Informationen geben, die wir benötigten, um mein zweites Ich zu jagen. Der Bildschirm zeigte die Röhrenapparatur auf dem Skinenplaneten Tsopan. Die Konturen verwischten sich leicht, als würde jemand an der Impulsfrequenz des übertragenen Bildes hantieren. Dann stabilisierte sich die Szene. Die Farbqualität ließ noch zu wünschen übrig, aber man konnte jedes Detail erkennen. »Bilder aus der Erinnerung des eingeblockten Skinen«, stieß TocceLanceet hervor. Ein Blick in die gefühlskalten Augen des Aras genügte, um mich auf eine Entgegnung verzichten zu lassen. »Er wird jetzt die Er eignisse seit seinem Erscheinen bei uns auf den Fiktivschirm übertragen.« Ich wußte, daß jedes mir bekannte Wesen diese Prozedur niemals frei willig über sich ergehen lassen würde. Arkonidische Wissenschaftler hat ten ähnliche Versuche gestartet. Aber soweit ich darüber informiert war, hatten sie zu keinem besonderen Ergebnis geführt. Die freiwilligen Ver suchspersonen waren sämtlich wahnsinnig geworden. Die Aras, die keine Skrupel kannten, hatten das Gerät trotzdem produziert. Ich konnte sehen, wie sich der Skine auf dem Bildschirm selbst abbilde te. Er beschrieb seine Flucht von Xascat nach Cematrang, wo er die An kunftsröhre beschädigte, um uns an der Verfolgung zu hindern. Mir wurde jetzt klar, daß er zu diesem Zeitpunkt von meinem zweiten flüchtigen Ich besessen war. Er hatte ganz zielstrebig gehandelt. Erst die Reihendetonati on im Röhrenhangar unterbrach seine Flucht. Ich sah auf dem Schirm, wie mehrere Aras den Schwerverletzten hinausschafften und ins Medozentrum zur weiteren Behandlung trugen. Plötzlich übertrug der Gefangene Bilder seines Körpers. Ich konnte das organische Füllhorn und die gleißende Organscheibe seines Kopfteils deutlich erkennen. Eine unmodulierte Stimme übertrug die Gedanken des Skinen. »Ich bin wieder Xaxax … das kopierte Bewußtsein hat mich verlassen! Ich will wieder zurück nach Tsopan … laßt mich nach Tsopan zurückkeh ren. Ich bin kein Saboteur … laßt mich zurückkehren!« Auch wenn die Stimme keinerlei Gefühlsakzente besaß und lediglich die akustische Wiedergabe von Gehirnströmen war, so ließ die abgehackte Diktion deutlich die verzweifelte Lage des gefangenen Skinen erkennen. »Lassen Sie den Skinen frei!« verlangte ich noch einmal. Ich wußte, daß Tocce-Lanceet meinen Wunsch niemals erfüllen würde.
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»Gefühlsduselei, Arkonide! Es wird wirklich Zeit, daß Sie sich auf Ce matrang einleben. Für Gefühle ist bei uns kein Platz. Hier zählen nur Er gebnisse. Wissenschaftliche Ergebnisse, versteht sich.« Tocce-Lanceet brach in ein brutales Kichern aus. »Er bleibt so lange in dem Behälter, wie wir noch eine Spur seines Be wußtseins messen können. Wir haben nicht oft Skinen bei uns zu Besuch. Einerseits verlangen diese kindischen Wissenschaftler, daß wir für sie for schen und sie medizinisch unterstützen, aber auf der anderen Seite haben wir kaum skinisches Versuchsmaterial an der Hand. Sie werden zugeben müssen, daß dies ein unhaltbarer Zustand ist. Wir haben uns mehr oder weniger damit abgefunden, den Rest unseres Lebens auf Cematrang ver bringen zu müssen. Also wollen wir unseren Aufenthalt so angenehm wie möglich gestalten. Das geht nur, wenn die Skinen uns wohlgesinnt blei ben. Ein Zustand, der nur durch unsere erfolgreiche Arbeit aufrechterhal ten werden kann.« Natürlich, dachte ich bei mir selber. Aber ich nahm es dem Ara nicht ab, daß er sich mit seinem unfreiwilligen Aufenthalt auf Cematrang abge funden hatte. Dieser Planet befand sich im Hyperraum und besaß nur durch das Röhrensystem eine Pforte zum Normalraum. Das Große Imperi um, die Sterne, alles praktisch, was sich in meiner Welt befand, wäre den Aras für immer verschlossen geblieben. Ich ahnte, daß Tocce-Lanceet des halb so vernarrt darauf war, einen Skinen gründlich untersuchen zu kön nen, weil er die Rückkehr ins Normaluniversum plante. Und zwar ohne Erlaubnis der Skinen. Ich ließ nichts von meiner Vermutung verlauten. Die Streitigkeiten zwi schen den Skinen und den Aras gingen mich nichts an. Hätte es sich um loyale Arkoniden gehandelt, ich hätte nichts unversucht gelassen, um sie aus dieser Lage zu befreien. Ich wollte so schnell wie möglich mit den notwendigen Nachforschun gen beginnen. Mein zweites Ich war in der Zwischenzeit bestimmt nicht untätig geblieben. Trägerkörper gab es hier genug. Ich war mir nicht si cher, ob es sich einen Ara oder einen anderen Körper angeeignet hatte. Schade, daß es kein Ortungsgerät für flüchtige Geisteskopien gab. Aber ich wußte ja selbst, daß die Skinen auf derartige Vorfälle nicht vorbereitet gewesen waren. Es war noch nie vorgekommen, daß eine kopierte Geist Seele-Einheit aus dem Speicher geflohen war. Es war anzunehmen, daß mein aktivierter Extrasinn dafür verantwort lich gewesen war. Auf dem Fiktivschirm verblaßte die Geisterprojektion des Skinen. »Sie können dabeisein, wenn ich meine Leute teste. Ich bin daran inter essiert, diese lästige Bewußtseinseinheit so schnell wie möglich loszuwer den. Sollen die Skinen sich bessere Sachen einfallen lassen, wenn sie Ce
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matrang einer Prüfung unterziehen wollen.« Ich sah den Ara prüfend an. Tocce-Lanceet war natürlich ungemein wü tend, daß wir ihm ins Handwerk pfuschten. Er hätte uns am liebsten post wendend durch die Röhre nach Tsopan zurückbefördert, oder aber in sei nen Folteretagen verschwinden lassen. Beides war nicht möglich. Bevor die Röhren nicht völlig instand gesetzt worden waren, konnten wir nicht zurückkehren. Für die zweite Möglichkeit sorgte die strenge Abmachung zwischen Aras und Skinen, daß uns nichts geschah. Vorher nicht kalku lierbare Unglücksfälle waren natürlich davon ausgeschlossen. Kein Skine würde etwas unternehmen, wenn Fartuloon und ich von einem tödlichen Virus infiziert würden. Unsere Nachforschungen würden uns bestimmt in die abgeschirmten Laboratorien führen. Dessen war ich mir ganz sicher. Fartuloon hatte sich bis jetzt zurückgehalten. Er konnte die Aras nicht leiden und wäre bei der kleinsten Gelegenheit aus der Haut gefahren. Er beherrschte sich und begnügte sich damit, die Umgebung aufmerksam zu mustern. Dann leitete Tocce-Lanceet die angekündigten Tests ein, mit denen er sichergehen wollte, daß keiner seiner Mitarbeiter das Opfer des geflüchte ten Bewußtseins geworden war. Der Ara brach schreiend zusammen. Er hatte in der Aufregung den glü henden Energiebogen gestreift und sich den Arm bis zum Ellenbogen ver brannt. Der schwarze Stumpf bröckelte ab und ließ die glasiert wirkende Schnittstelle sichtbar werden. Zwei Medoroboter schleppten den Schreienden in den Hintergrund des großen Saales. Sie kümmerten sich nicht um die Verletzung, sondern über ließen ihn einfach seinem Schicksal. Ich preßte die Zähne zusammen. So gefühllos die Aras anderen Wesen gegenüber waren, so kalt und berechnend verhielten sie sich auch ihren Artgenossen gegenüber: Wer einen Fehler beging, mußte die Konsequen zen tragen. »Wir haben wohl keinen Erfolg«, bemerkte Tocce-Lanceet so nebenbei, als ginge ihn das Ganze überhaupt nichts an. »Das verdammte Bewußtsein hat sich längst aus seinem Wirtskörper gelöst und ist in einen bereits kon trollierten Ara geschlüpft.« »Alles nur Vermutungen«, entgegnete ich. »Woher wollen Sie wissen, daß der Wechsel von ihrem Gerät nicht aufgezeichnet werden kann?« »Der Hypertaster kann nur das ordnungsgemäße Funktionieren einer or ganischen Bewußtseinsebene registrieren. Ich nehme an, daß ein Wirtskör per für das kopierte Ich anders reagiert, oder daß zumindest seine Gehirn ströme eine gewisse Doppelstruktur aufweisen. Darauf stützt sich der ge samte Test.« Ich blickte zu den glühenden Energieschenkeln hinüber, die das modifi
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zierte Hyperfeld erzeugten, das schon mehrere Aras verletzt hatte. Allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz konnte sich das flüchtige Bewußtsein rechtzeitig in Sicherheit gebracht haben. »Sie können ihre Leute ja weiter drangsalieren«, stieß ich hervor. »Fartuloon und ich werden jedenfalls in die anderen Labortrakte gehen und eigene Untersuchungen vornehmen.« »Und wenn ich die Erlaubnis dazu nicht gebe?« Früher oder später würde es zu offenen Feindseligkeiten zwischen uns und diesem Tocce-Lanceet kommen. Im Augenblick war der Ara vollauf damit beschäftigt, seine Leute unter Kontrolle zu halten. Die Aufregung, die durch das Auftauchen des besessenen Skinen erfolgt war, hatte die Aras völlig unvorbereitet getroffen. »Wie wollen Sie ihre Weigerung vor den Skinen begründen, TocceLanceet?« Im Gesicht des Aras verzog sich kein Muskel. Der Mediziner hatte sich absolut unter Kontrolle. »Ich sagte Ihnen vorhin schon einmal, daß wir Sie in unseren Versuchs stationen verschwinden lassen können. Und zwar für immer. Was dort un ten mit Ihnen geschieht, können Sie sich nicht einmal in Ihren kühnsten Träumen ausmalen.« »Und ob ich das kann«, entgegnete ich barsch. »Sie haben uns ja schon ein paar Kostproben ihrer abartigen Veranlagung geboten. Glauben Sie mir, Tocce-Lanceet, für Kreaturen wie Sie kann ich nur tiefes Mitleid empfinden. Sie ahnen ja nicht, auf wieviel Sie verzichten, indem Sie jedes Gefühl aus ihrer Umwelt verbannt haben. Die Galaxis wird nicht von den Galaktischen Medizinern zusammengehalten … nein, Arkon ist durch Härte und Großmut so mächtig geworden.« Der Ara stieß seinen Atem geräuschvoll aus. »Wollen Sie mir Predigten über das Große Imperium und seine Hof schranzen halten, Arkonide?« Ich bemerkte, daß ich ihn beinahe aus der Fassung gebracht hatte. Ich zog es aber, vor, den Bogen nicht zu überspannen. Tocce-Lanceet besaß auf Cematrang die absolute Macht. »Bitte, sehen Sie sich in meiner Station um. Aber denken Sie daran, daß ich jetzt nicht mehr für Ihre Sicherheit garantieren kann. Wenn Ihnen dort unten etwas zustößt, dürfen Sie keine Hilfe von mir erwarten.« »Ich habe nichts anderes erwartet!« meinte ich bissig. Fartuloon ließ sein Skarg rasseln. »So ganz wehrlos sind wir ja nun auch nicht, Tocce-Lanceet.« »Kommandant, wenn ich bitten darf!« Fartuloon verneigte sich in übertriebener Weise und säuselte: »Ganz wie Sie wünschen, Herr Kommandant.«
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Der Ara drehte sich um und überwachte weiterhin die vorbeiflankieren den Mediziner, die sich der Tortur seiner Bewußtseinstests unterziehen mußten. Die stabilisierten Energieschenkel flackerten, als wieder ein Ara zu nahe herankam. Doch diesmal passierte nichts weiter. Der Mediziner hatte sich nur ein Loch in die Kombination gebrannt. Ich sah, wie Tocce-Lanceet die Mundwinkel herunterzog. Fast schien es mir, als würde er es bedauern, daß es nicht zu einem ernsteren Zwischen fall gekommen war. Ich hatte seine sadistische Haltung richtig einge schätzt, denn als ich mit Fartuloon den Saal verlassen wollte, röhrten die Umformerbänke auf. In der prasselnden Glut der glutenden Hyperenergie verbrannte ein Ara bei lebendigem Leibe. Als der Energiefluß sich stabili siert hatte, brach auch Tocce-Lanceets meckerndes Lachen ab. »Komm, Fartuloon! Ich muß von hier verschwinden … wenn wir noch länger bleiben, kann ich für nichts garantieren. Dieser Ara ist eine Schande für die Schöpfung. Dieser Tocce-Lanceet ist das lebende Beispiel für die These, daß wir alle nur eine Fehlleistung der Natur sind.« Die pneumatischen Türen verschwanden dicht vor uns zischend in den Wandöffnungen. Vor uns erstreckte sich ein langgezogener Gang, der in einen Verteilerhangar mündete. Fartuloon sah mich lange an, ehe er antwortete. »Keine Fehlleistung, Atlan … sondern eine bedauerliche Fehlentwick lung, an der wir nicht ganz unschuldig sind. Hätten wir nicht zugelassen, daß die Aras sich derart spezialisieren, hätten wir uns nicht zu sehr auf ih re blendenden chirurgisch-medizinischen Fähigkeiten verlassen und sie noch dazu angespornt, sich zu perfektionieren, dann wären die Aras nie mals so grausam geworden. Für die Aras gab es nur diese Möglichkeit, dem enormen Leistungsdruck standzuhalten. Nämlich hart und unbeugsam gegen sich selbst und andere zu werden.« Ich glaubte meinen Ohren nicht trauen zu dürfen. »Das sagst gerade du … du, der die Aras aus tiefstem Herzen verab scheut!« Fartuloon lächelte: »Wer ist schon perfekt, Atlan? Ein klein bißchen Verständnis haben auch diese Bestien zu erwarten. Würden wir genauso unbeugsam reagieren, wir wären nicht besser als sie.« Ich wußte, daß Fartuloon recht hatte. Der Gang lag leer und verlassen vor uns. Auch im Verteilerhangar war kein einziger Ara zu finden. Tocce-Lanceet hatte alle Mitarbeiter in den Saal zur Untersuchung befohlen. Wir hatten anscheinend freie Bahn. Aber wohin sollten wir uns zuerst wenden? Möglich, daß uns mein zweites Ich bereits beobachtete. Anzunehmen war alles, denn die Geisteskopie hatte nichts mehr zu verlieren. »Vermutlich wird das flüchtige Bewußtsein nervös, wenn wir seinem
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jetzigen Wirtskörper zu nahe auf den Pelz rücken.« »Da wäre ich nicht so sicher, Atlan«, meinte Fartuloon. »Es kann uns in eine Falle locken und töten. Den Aras dürfte das nur recht sein. Die sind froh, wenn wir hier spurlos verschwinden.« »Trotzdem …« Ich war mir nicht sicher, ob mein zweites Ich so logisch und kaltschnäuzig reagieren würde. »Es weiß ja nicht, welche Vorsichts maßnahmen getroffen wurden. Es muß dauernd Angst haben, wir würden bereits wissen, in welchem Körper es steckt. Töten wir seinen derzeitigen Wirt, dann stirbt auch das kopierte Bewußtsein.« Fartuloon nickte. »Möglich ist alles.« Wir standen in einem Verteilerhangar, von dem aus Antigravschächte zu den tiefergelegenen Laboratorien führten. Ich deutete auf den nächstge legenen Schacht. »Versuchen wir's hier.«
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3.
Aus den Gitterkäfigen reckten sich weiße Arme. Schwaches Stöhnen ließ uns stehenbleiben. Wir mußten uns erst an die Dunkelheit in dem tiefstge legenen Gangsystem gewöhnen. Bis auf ein paar Blaulichtröhren gab es hier keine Beleuchtungssysteme. »Die biologische Vorratskammer der Aras«, preßte ich hervor. »Diese gnadenlosen Bastarde schrecken vor nichts zurück. Das hier sind Luccis … halbintelligente Transmanen.« »Wollte ich auch gerade sagen«, stimmte Fartuloon zu. »Aber wie kom men die Aras hier auf Cematrang zu den vielen Luccis? Da können doch nur die Skinen ihre Hände im Spiel haben.« »Vielleicht hatten die Aras bei ihrer Versetzung in den Hyperraum be reits ausreichend Biomaterial bei sich.« Die Luccis waren Säugetiere mit der Intelligenz eines Kindes. Sie besa ßen birnenförmige Körper und langgestreckte Tierköpfe, auf denen runde, trichterförmige Ohren saßen. Ihre Augen leuchteten bernsteinfarben. Ein zarter Flaumpelz bedeckte ihre Haut. Außer zwei kräftigen Sprungbeinen besaßen sie ein zierliches Armpaar mit völlig humanoid wirkenden Hän den. Die Schnauzen der bedauernswerten Wesen zuckten. Sie schienen zu wissen, daß die Aras sie jederzeit zu irgendeinem grauenvollen Experi ment abholen konnten. »Du, Arkonide!« wisperte es aus dem Käfig. Überrascht hielt ich inne. Daß Luccis sprechen konnten, hatte ich auch noch nicht gewußt. »Ihr versteht uns? Erzählt uns, wie ihr hierhergekommen seid!« »Spitzenköpfe uns schon immer besitzen … sie unsere Brut leben las sen.« Der Lucci bat um Nahrung. Er hatte großen Hunger. Bittend streckte er seine Hände aus dem Käfig. Ich überlegte nicht lange und nahm ein paar Konzentratpillen aus der Gürteltasche. »Laß das lieber!« warnte mich Fartuloon. »Unsinn! Wem sollte das schaden? Wenn es nach mir ginge, würde ich die armen Kreaturen sofort freilassen.« »Das würde ich am liebsten auch tun, aber vergiß nicht, daß wir den verdammten Aras auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind.« »Seit wann so vorsichtig, Fartuloon?« Ich sah meinen Freund nachdenk lich an. »Wir können uns unserer Haut wehren. Ich will mir jedenfalls kei ne Gelegenheit entgehen lassen, um diesen Aras eins auszuwischen. Be sonders der Kommandant ist mir ans Herz gewachsen.« Der Lucci riß mir die Pillen aus der Hand und stopfte sie in den Mund.
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Ich sah, daß seine Nagezähne gelb und brüchig waren. Die Aras taten nur das Allernotwendigste für ihre Versuchskreaturen. »Mehr haben wollen, bitte, geben!« Ich schüttelte bedauernd den Kopf. »Mehr haben wir nicht. Aber wenn ihr mir verratet, wo sich eure Futter silos befinden, kann ich euch vielleicht helfen.« »Futter!« Der Aufschrei verhallte im düsteren Gewölbe. »Futter im Raum ganz hinten.« Fartuloon brummelte etwas in seinen Bart und folgte mir. »Nicht ärgerlich sein, Fartuloon«, rief ich ihm über die Schulter zu, »wenn die Luccis satt sind, können sie uns mehr über die gesamte Anlage hier berichten.« Vor uns lag eine verschlossene Stahltür. Ein kompliziertes Ma gnetschloß schützte das Silo vor unbefugtem Zugriff. Fartuloon kniete nieder und ließ seine Finger über die schimmernde Wölbung des Riegels gleiten. »Kriegst du das Ding auf?« »Ich bin mit schon ganz anderen Sachen fertiggeworden.« »Es ist von innen verriegelt worden.« »Was?« meinte ich ungläubig. »Das bedeutet ja, daß noch einer in der Futterkammer steckt.« Wir preßten unsere Ohren lauschend an das kalte Metall der Türfüllung. Nichts. Es war totenstill, abgesehen vom piepsenden Geräusch aus den Lucci-Käfigen. »Wir wagen es trotzdem.« »Wie du meinst, Atlan. Aber ich an deiner Stelle würde jetzt nicht so viel riskieren.« Fartuloon nahm eine kleine, selbstklebende Metallfolie aus seinem Gür tel und heftete sie an das Magnetschloß. Dann zog er einen silbrig glän zenden Faden aus seinem Harnisch, dessen eines Ende mit dem Schloß verbunden wurde, während er das andere Ende in die Lampenfassung der nächsten Leuchtstoffröhre steckte. Im gleichen Augenblick erlosch das Licht ringsum, und aus dem Schloß zuckte ein greller Blitz. Es knackte, und die Tür schwang auf. Dahinter herrschte völlige Finsternis. Ein schaler Geruch drang uns in die Nasen. Ich wartete nicht ab, bis sich das Metall der glühenden Türfüllung abge kühlt hatte, sondern sprang mit gezogener Waffe in die Futterkammer. Aus der Finsternis kam ein seltsames Geräusch. Ich hatte es schon einmal auf Cematrang vernommen. Aber ich wußte es im Augenblick nicht genau einzuordnen. Mein Extrasinn wußte Rat: »Klingt wie ein Eisen-Viwo.« Nein, unmöglich! dachte ich bei mir. Wie sollten diese kleinen Sand kreaturen in die abgeschirmte Station der Aras gekommen sein?
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Plötzlich stieß ich mit dem Fuß gegen etwas Weiches, sehr Nachgiebi ges. Ich blieb ruckhaft stehen. Ein unangenehmes Gefühl beschlich mich. Ich zog den Fuß langsam zurück und stieß noch einmal vor. Die nachgie bige Masse war noch immer vorhanden. »Was ist los, Atlan?« Ich konnte Fartuloons massigen Körper in der of fenstehenden Tür erkennen. Er hielt die Leuchtstoffröhre in der Hand. »Hier liegt etwas Komisches.« »Nichts anfassen! Ich suche den Lichtkontakt.« Ich höre Fartuloons Hand über die Betonwand gleiten. Dann schnappte etwas ein, und im gleichen Augenblick wurde die Futterkammer in helles Licht getaucht. Fartuloon hatte lediglich die Leuchtstoffröhre aus dem Gang in die kurzgeschlossene innere Röhrenfassung geklemmt. Ich sah mich um. Eiskalter Schrecken durchfuhr mich. Neben mir auf dem Boden lag ein toter Ara. Sein verkrampfter Körper war bereits in Ver wesung übergegangen. Ich mußte krampfhaft schlucken. »Hast du ihn berührt?« fragte mich Fartuloon nun schon zum wiederholten Mal. »Nur mit der Stiefelspitze.« Fartuloon atmete erleichtert auf. »Wer weiß, an welchem Teufelsvirus der Bursche eingegangen ist. Hier ist doch alles möglich. Komm, laß uns so schnell wie möglich von hier verschwinden!« »Wenn der Ara tatsächlich an einer Infektion gestorben ist, erwischt es uns auch. Wir haben hier alles andere berührt. Die Wand, die Tür, die Lampen. Es kommt also auch nicht mehr darauf an, ob ich den Toten be rührt habe oder nicht.« Das Zischen eines Dampfstrahles ließ uns zusammenzucken. Ich drehte mich um und richtete den Lauf des Kombistrahlers in den Hintergrund, wo sich mächtige Futtercontainer bis unter die Decke stapelten. Aus dem Bo den stieg ein geisterähnlicher Dampfstrahl. Erleichtert ließ ich den Strahler sinken. »Ein Eisen-Viwo! Möchte nur wissen, wie die kleine Kreatur in die Fut terstation eindringen konnte. Soweit ich weiß, besteht das Fundament aus dickem Stahlbeton.« Fartuloon hielt gebührenden Abstand zu dem Viwo. Er hatte die letzte Begegnung mit einem Sandbewohner noch in unangenehmer Erinnerung. Aus der zerfransten Bodenöffnung reckte sich der schwarze, von vielen Diamantenauswüchsen bedeckte Kopf des Viwos. Halbmondförmig und ohne erkennbaren Schulteransatz. Seine funkelnden Sinnesorgane reflek tierten das Licht der Leuchtstoffröhre. »Der hat sich durch den Boden geschmolzen«, stieß Fartuloon bewun dernd hervor. Er deutete auf die tropfenförmig erkalteten Bruchstellen des Einstieglochs.
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»Na klar … daß wir nicht gleich darauf gekommen sind! Wir haben doch selbst miterlebt, wie so ein Sandwühler die Quarzkörner zu einer glä sernen Masse zerschmolzen hat.« Ich betrachtete das Wesen, das erneut einen Strahl heißer Luft aus seinem Körper pustete. »Der Viwo hat auch den Ara auf dem Gewissen. Wenn man hier von einem Gewissen über haupt sprechen kann.« Wir betrachteten den toten Ara. Sein Gesicht war von dem glühendhei ßen Dampfstrahl voll getroffen worden. Anscheinend hatte der Viwo auch mit superstarken Elektroschocks nicht gegeizt. Wir wußten inzwischen, zu welchen Leistungen die kleinen Sandbewohner fähig waren. Ich überwand meinen Ekel und beugte mich näher über den Toten. Dicht unter der spitzzulaufenden Stirn erkannte ich ein dünnes Metall band. Eine aufgedruckte Mikroschaltung verriet mir seinen Zweck. »Ein Sender! Dieser Ara bekam seine Befehle direkt ins Großhirn über tragen.« »Sieht so aus, aber ich möchte wissen, was das zu unserer Situation bei tragen soll.« Fartuloon machte ein ratloses Gesicht. »Weißt du das wirklich nicht!« Ich machte eine bedeutungsvolle Pause. »Der Tote ist von der Zentrale aus ferngesteuert worden. Das bedeutet nichts anderes, als daß es hier Aras gibt, die keinen eigenen Willen mehr haben.« Fartuloon nickte zustimmend. »Du willst diese manipulierten Aras fin den und sie gegen Tocce-Lanceets Leute aufhetzen, wenn ich dich richtig verstehe. Aber du vergißt eins, daß diese Aras freiwillig niemals gegen ih ren Kommandanten aufbegehren können. Selbst wenn sie es wollten.« Fartuloon hatte meinen Plan instinktiv erfaßt und sofort den schwachen Punkt in meiner Kombination entdeckt. Vielleicht könnten wir sie von den Mikrosendern befreien. Ich verwarf den Gedanken sofort wieder, denn dann hätte es bestimmt keine Sendeträger mehr gegeben. So leicht konnte das nicht sein. Aber etwas anderes hatten wir nicht bedacht. »Wenn ich mich nicht täusche, hat Tocce-Lanceet keine Aras auf ihren Bewußtseinsstand untersucht, die einen Sender trugen. Mir sind jedenfalls keine aufgefallen.« Fartuloons Augen blitzten. »Wo du's sagst, fällt es mir auch auf. Wir hätten die Sendeträger bestimmt bemerkt.« »Entweder glaubte uns Tocce-Lanceet die Geschichte vom wandernden Geist nicht, oder diese manipulierten Aras können nicht von einem ande ren Bewußtsein übernommen werden. Ich bezweifle jedoch, daß die Aras so gut über die Technik der Bewußtseinskopierung informiert sind.« Wir wollten uns nicht länger im Futterraum aufhalten. Ich packte einen rechteckigen Behälter mit Preßfutter und verließ den Raum. Hinter mir
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stieß der Viwo seine charakteristischen Laute aus. Ich hörte, wie er über den Boden glitt und wieder in dem Loch verschwand. Die Luccis rissen uns das gepreßte Spezialfutter förmlich aus den Hän den. Sie verletzten sich dabei teilweise an den Gitterstäben. Für Augen blicke war nichts außer einem kehligen Schmatzen zu hören. Sie stritten sich nicht um das Futter, sondern ließen jedem seine Portion zukommen. Fartuloon machte ein schnalzendes Geräusch mit der Zunge. »Eßkultur haben die armen Biester nicht, aber sie erinnern mich an meine letzte Mahlzeit.« Ein grollendes Geräusch aus Fartuloons Magengegend war nicht zu überhören. »Dein Schlemmermahl mußt du zurückstellen«, entgegnete ich spöt tisch. Ich kannte Fartuloons Leidenschaft. Mit einem raffiniert zubereite ten Essen konnte man ihn spielend leicht ködern. »Wenn ich an die mikrowellengegrillten Zalakmuscheln denke … die köstlichen Papayefrüchte, Wein von Morgol …« »Hör auf, vom Essen zu träumen! Wir sind nicht zum Spaß hier. Frage lieber mal die Luccis, ob sie etwas von den ferngesteuerten Aras wissen.« Fartuloon seufzte. Seine dicken Finger glitten prüfend über seine Hüf ten. »Ich habe bereits abgenommen. Außerdem ist die Konzentratnahrung auf die Dauer schädlich. Du weißt ja gar nicht, was so ein Schlemmermahl bewirkt. Es regt die geistige Tätigkeit an, schärft deine Sinne und …« Ich mußte ihn noch einmal unterbrechen. »Wenn wir zu den Skinen zu rückkehren, kannst du dir ja ein Essen von der Zentralpositronik kompo nieren lassen. Jetzt mußt du darauf verzichten.« »Schon gut, Atlan.« Er wandte sich an die Luccis, die uns aufmerksam durch die Gitterstäbe hindurch anschauten. »Kennt ihr die Aras mit den Stirnbändern?« Die Antwort kam wie auf Kommando. »Spitzkopf mit Eisen uns bringen Futter. Er jetzt tot.« »Woher wißt ihr, was mit dem Ara passiert ist?« Die Luccis schüttelten die Köpfe. Entweder waren sie furchtbar naiv, oder sie wollten etwas vor uns verheimlichen. »Spitzkopf nicht mehr kommen. Wir viel Hunger. Anderer Spitzkopf mit Eisen weit weg.« »Wie weit?« fragte ich sofort. »Anderer Spitzkopf mit Eisen auf anderer Seite … hinter Wand.« Ich merkte, daß der Lucci nach einer passenden Erklärung für den Auf enthaltsort der manipulierten Aras suchte. Doch sein Wortschatz reichte nicht dazu aus. Ich konnte mir jedoch zusammenreimen, was der Lucci da mit meinte. Unter dem Grundriß des Riesengebäudes, das sich rechteckig und flach über einen halben Bergschatten erstreckte, gab es drei Antigrav schächte. Diese Schächte führten zu etwa fünfzig tiefergelegenen Etagen.
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Der Lucci konnte nur die parallel zu uns angelegte Tiefetage meinen. »Ihr habt uns sehr geholfen!« rief ich den Eingekerkerten zu, die sich ihre Schnauzen abwischten. Fartuloon drehte sich noch einmal um. »Arme Kreaturen. Ich möchte nicht in ihrer Haut stecken. Wer weiß, ob sie noch lange leben. Vielleicht werden sie schon bald zu einem Versuch geholt.« »Ich hätte sie gern freigelassen, Fartuloon. Aber das hätte ihnen nichts eingebracht. Im Gegenteil. Die Aras hätten sie des gewaltsamen Aus bruchs verdächtigt und gnadenlos zusammengeschossen. Ein Lucci kann sich nicht wehren.« »Das wäre vielleicht ein besserer Tod gewesen, als qualvoll unter dem Skalpell zu enden.« Ich atmete schwer aus. »Es gibt weder einen guten noch einen schlech ten Tod. Der Tod ist endgültig, egal ob man schnell oder langsam stirbt. Jede Minute, die ein intelligentes oder doch zumindest instinktbegabtes Wesen länger leben kann, ist ein wertvolles Geschenk.« Vor uns flimmerte das aufwärts gepolte Kraftfeld des Antigravs. Fartu loon verzichtete auf eine Antwort. Abfedernd sprang ich in den Zwischenschacht und ließ mich langsam quer durch die Etage tragen. Dann setzte ich abfedernd in einem Gang des Parallelsystems auf. Fartuloon folgte mir. Sein Harnisch knirschte, als er ungeschickt über die Gangwand schrammte. Wir kannten nur die ungefähre Richtung, in der wir die manipulierten Aras suchen wollten. Neben uns erstreckten sich hellbeleuchtete Laboratorien, in denen hart gearbeitet wurde. Wir wurden immer wieder von den ent setzlichsten Dingen aufgehalten. Cematrang-I war eine planetare Folter kammer. Selbst auf Ganberaan, der Welt des Foltermeisters Sofgart, hatte ich nicht so furchtbare Qualen mitansehen müssen wie hier. Ganberaan war dagegen der reinste Urlaubsplanet gewesen. Was auf Cematrang ge schah, überstieg einfach unser Vorstellungsvermögen. Es war wie die In karnation des absoluten Bösen. Unter dem Deckmantel medizinischer For schung wurden Grausamkeiten begangen, für die ich einfach keine Ver gleichsmöglichkeiten heranziehen konnte. »Dort«, stieß ich würgend hervor. Fartuloon folgte meiner ausgestreck ten Hand und erschauerte, als er das Schreckliche zu Gesicht bekam. Die Aras störten sich überhaupt nicht, daß wir ihnen zuschauten. Sie ho ben den bretterartigen Stahlbehälter auf zwei vorgestreckte Metallgreifer. Rötliche Flüssigkeit spritzte aus einer Kanüle und verschmierte mehrere Gläser. Der Kopf, der auf die Stahlfläche montiert worden war, schnitt furcht bare Grimassen. Er gehörte einem primatenhaften Wesen, das trotz seiner
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starken Behaarung arkonidisches Erbe nicht verleugnen konnte. Seine Au gen tränten. Fast schien es uns, als würde er blutige Tränen weinen. Die Kiefer schlugen rhythmisch aufeinander. Es klang wie das Hämmern einer Maschine. Töne vermochte der Kopf nicht mehr zu artikulieren. Die Schnittfläche endete über dem Bereich der Stimmbänder. »Komm, Atlan! Wir können doch nichts dagegen unternehmen. Wenn ich noch länger hier zuschauen muß, beende ich den grausamen Spuk.« Ich mußte länger hinschauen. Die Faszination des Grauens hatte mich in ihren Bann gezogen. Ich schaute nach rechts, wo der Rumpf des Wesens auf einer schräg gekippten Bahre lag. Am wunden Hals waren verschiede ne Röhren und Leitungssysteme angebracht worden, die verschiedenartig gefärbt waren. Sie führten in dicken Bündeln zu einer Versuchsapparatur hinüber, die wiederum mit dem Kopf verbunden war. Jetzt löste ein AraWissenschaftler die Kabel vom Kopf. Ein anderer kappte die Verbindung vom Rumpf. Ein Strahl schwärzlichen Blutes schoß aus dem Körper. Ein Heilpflaster stoppte die Blutung. Jetzt aktivierten die Aras ein Kraftfeld, das sich über den Kopf legte. Auf einmal beruhigten sich die panikartig verzerrten Gesichtszüge. Das Zähneklappern hörte augenblicklich auf. Wir hörten den Befehl: »Rechter Arm hoch!« Zu unserem größten Erstaunen bewegte der weit vom Kopf entfernte Körper seinen rechten Arm. Zuerst zuckten nur die klobigen Finger, dann richtete sich der Arm wie zum Gruß auf. »Linker Arm hoch!« Auch diesmal reagierte der Rumpf in der verlangten Art und Weise. Die Aras sahen sich triumphierend lächelnd an. »Telekinetische Reizung der Nerven«, meinte mein Extrasinn. Dann hatten die Aras also einen Weg gefunden, ansonsten nur selten an treffbare Mutationen künstlich zu erzeugen. Der behaarte Rumpf erhob sich von der Liege. Es sah absurd aus, wie der mächtige Körper ohne Kopf agierte. Schwankend kam das Ding auf die Beine und bewegte seine Arme zuckend auf und ab. Vorsichtig setzte es Schritt vor Schritt. »Aus dem Weg, Atlan!« Fartuloon riß sein Skarg aus der Scheide und versetzte mir einen Stoß vor die Brust. Der mächtige Rumpf war ganz nahe herangekommen und bewegte seine Arme, wie zu pausenlosen Handkantenschlägen auf uns ab. Er schien uns nicht zu bemerken. Wie sollte er das auch. Der Kopf auf der Apparatur hielt die Augen geschlossen. Die Aras gaben pausenlos Befehle. Sie hatten das Ungestüm auf uns ge hetzt.
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»Dieser Spaß geht wirklich zu weit!« schrie ich. Bevor ich meinen Kombistrahler, aus dem Halfter gerissen hatte, war Fartuloon vorgesprun gen. Sein Skarg fuhr singend durch die Luft, traf den braunschwarzen Rumpf und zertrennte ihn in zwei Hälften. Das keifende Lachen der Aras erstarb. Sie wollten wütend nach ihren Waffen greifen, doch unsere Blicke ließen sie reglos verharren. Wir stie gen über die zuckenden Körperhälften des Rumpfes hinweg und gingen auf die Wissenschaftler zu. Als der eine Fartuloons blutverschmiertes Schwert dicht vor seinem Körper sah, stieß er einen Schrei aus. »Nein … bitte nicht!« Fartuloon lachte verächtlich. »Ihr hättet nichts anderes verdient. Aber ich will die Gastfreundschaft eures Kommandanten nicht über Gebühr strapazieren.« Die Skargspitze hatte eine rostrote Spur auf der weißen Kombination des Mediziners hinterlassen. Zitternd sprühte er ein Desinfektionsmittel darüber. Ich blickte auf den Kopf des Primaten. »Er ist tot. Endlich!« Die Augen des abgetrennten Kopfes hatten sich geschlossen. Selbst die vorher verzerrt wirkenden Gesichtszüge waren locker und abgeklärt. »Das werden wir nach oben melden! Ihr habt uns den entscheidenden Versuch ruiniert«, keifte der Gruppenleiter. Seine Fistelstimme brach ab rupt ab, als Fartuloon das Skarg erhob und auf den Ara eindrang. Ohne ei ne Miene zu verziehen, wischte er die blutverschmierte Schneide an der Kombination des zitternden Aras ab. »Und wer hat den Körper auf uns gehetzt?« Ich stimmte Fartuloon zu. »Schlimm genug, daß ihr so barbarische Ver suche veranstaltet. Ihr habt es euch selber zuzuschreiben. Wenn ihr den Kopf nicht den Befehl zum Angriff gegeben hättet, wäre das nicht passiert. Aber ich bin froh, daß das arme Wesen nicht mehr zu leiden braucht.« Die Aras machten verächtliche Gebärden. Ich verstand, was sie aus drücken wollten. Mitleid galt bei ihnen als Schwäche. Fartuloon konnte sich eine letzte Bemerkung nicht verkneifen: »Nur der Starke kann sich Mitleid leisten. Der Schwache verkriecht sich hinter sei nen grausamen Wahnvorstellungen. Die verleihen ihm ein Gefühl von Stärke und Überlegenheit. Damit ist erst Schluß, wenn der Starke ihn in die Wirklichkeit zurückholt.« Die Schneide des Skargs fuhr singend durch die Luft, und die Aras duckten sich entsetzt. Fartuloons Gelächter erschütterte den Raum. Auf dem Versuchstisch zitterten die Reagenzgläschen. Wir verließen den Ort des Grauens und ließen zumindest nachdenklich gewordene Aras zurück, die langsam den Versuchstisch demontierten. Ich
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wußte, daß wir diese Wesen nicht ändern konnten. Wenn sie ihren Schrecken überwunden hatten, würden sie die nächste Versuchskreatur aus dem Käfig holen und da weitermachen, wo sie aufgehört hatten. Aus angrenzenden Räumen drangen Schreie. Das Summen überlasteter Versuchsapparaturen ließ uns ahnen, was dort vor sich ging. »Komm, Atlan!« Fartuloon packte mich am Arm und zog mich durch den Gang. »Dort ist der abwärts gepolte Schacht. Wir können uns hier nicht mehr aufhalten.« Als wir in das flimmernde Kraftfeld springen wollten, ertönte eine Stim me: »Durchgang verboten! Stehenbleiben!«
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4.
Die Aras trugen schwere Strahlenwaffen. Sie würden sich kaum auf unsere Argumente einlassen. »Tocce-Lanceet hat uns freien Zugang zu allen Stationen zugesichert«, begann ich trotzdem. »Was gibt es denn dort unten für geheimnisvolle Dinge die wir nicht sehen sollen?« »Zutritt verboten!« wiederholte der Ara stereotyp. Fünf Galaktische Mediziner, zählte ich automatisch. Fünf Strahlenwaf fen, deren Mündungen tückisch funkelten. Sie brauchen nur den Sensor punkt zu berühren, und wir würden uns in qualmende Aschehäufchen ver wandeln. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Fartuloon spielerisch über seinen Gürtel fingerte. Ein Außenstehender hätte darin eine nervöse Reaktion er kannt. Ich wußte, daß Fartuloon eine Idee hatte, wie wir trotz der Bewa chung in den Antigrav eindringen konnten. Sein Gürtel enthielt die merk würdigsten Dinge: Mikroschaltungen, mit denen man Kurzschlüsse her vorrufen konnte, Giftkapseln und vieles andere mehr. Ich verstand sein ungestümes Räuspern richtig. Er konnte nichts unter nehmen, solange uns die Aras wie Wundertiere anstarrten. Eine Miniskope nach skinischer Zeitrechnung mußte genügen. Auch wenn ich nicht wußte, was er anstellen wollte. »Dort drüben!« schrie ich und deutete auf das flimmernde Kraftfeld des Antigravschachts. Die Aras folgten ruckartig meiner ausgestreckten Hand. Im gleichen Augenblick biß Fartuloon auf eine kleine grünlich funkelnde Kapsel und schleuderte sie zwischen die Wachtposten. »Was soll im Schacht los sein?« Die Aras waren auf einmal sehr unsicher geworden. Sie wußten, daß wir in die verbotene Etage eindringen wollten und hielten unsere Reaktion für einen Trick, der sie ablenken sollte. Was ja im Grunde auch der Zweck meines Tuns gewesen war. »Ich muß mich getäuscht haben. Aber mir war, als sei ein Lucci eben hochgeschwebt.« »Ein Lucci?« Die Aras lachten. »Das Biomaterial steckt im untersten Zellentrakt. Ihr wollt uns wohl für dumm verkaufen?« »Ich sagte ja, daß ich mich auch getäuscht haben kann!« Die Aras strahlten wieder jene eisige, unpersönliche Aura aus, die man von ihnen gewohnt war. Fartuloon berührte meinen Arm. Das bedeutete soviel wie: Wir müssen verschwinden.
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Die Mündungen der Strahler hoben sich leicht an. »Verschwindet end lich!« Das brauchten uns die dürren Kerle nicht zweimal sagen. Wir beeil ten uns, die nächste Gangbiegung zu erreichen. Ich drehte mich nicht ein mal mehr um. Auch, als hinter uns höllischer Lärm ausbrach, ging ich wei ter. Kaum waren wir um die Gangbiegung gelaufen, als ein Energiestrahl schräg neben uns in die metallverkleidete Wand zuckte. Das heisere Fau chen eines zweiten Schusses folgte. Ein schwarzgezacktes Loch gähnte in der Wand. Glutflüssiges Material tropfte auf den Boden. Fartuloon grinste hinterhältig. Sein Plan schien Erfolg gehabt zu haben. Ich wollte um die Ecke schauen, doch der Bauchaufschneider hielt mich zurück. »Manchmal wirkt das Gas nicht sofort. Ein zuckender Armmus kel, und ein Strahler, wird ausgelöst. Wir können uns keine Fehler erlau ben, Atlan.« Gut kombiniert, durchzuckte es mich, als ein dritter Glutstrahl durch den Gang raste. Dann erstarb das Röcheln der fünf Aras. Bis auf das leise Summen des Antigravfeldes war nichts mehr zu hören. »Jetzt!« Wir sprangen aus der Deckung. Bereit, einer weiteren Attacke blitz schnell auszuweichen. Doch das war nicht mehr nötig. Die Wachtposten lagen verkrümmt vor dem Einstiegschacht. Die kleinen Wandraster der Luftreinigungsanlage saugten die letzten Giftschwaden auf. Wir konnten unbesorgt in den Schacht springen. »Wie lange wirkt dein Teufelszeug, Fartuloon?« Fartuloon verzog den Mund. Seine Augen funkelten. »Kommt darauf an. Normalerweise nicht sehr lange … Aber bei diesen Spitzköpfen kann es lange dauern. Eine Skope, oder vielleicht auch zwei.« »Dann haben wir genügend Zeit, um uns dort unten ausgiebig umzuse hen. Tocce-Lanceet hat genug mit seinen Bewußtseins-Tests zu tun. Bevor er auf die Wachen aufmerksam wird, können wir längst in einer anderen Etage sein.« Wir schwebten langsam in die Tiefe. So weit wir sehen konnten: Plexiglasregale mit starren Körpern. Eine riesi ge Ebene voller Tief schlaf er. Das dachte ich in diesem Augenblick jeden falls. Auch mein Extrasinn konnte keine plausible Erklärung dafür abge ben. »Das sind Aras … Tausende von ihnen.« Fartuloon lief über die hohl klingenden Bodenfliesen. Es roch nach Desinfektionsmitteln und irgendei ner synthetischen Nährlösung. »Unglaublich.« »Jetzt wissen wir, was die Aras vor uns verbergen wollten. Fragt sich nur, weshalb. Ich sehe darin nichts Gefährliches. Ob wir nun wissen, daß
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hier unten Tiefschläfer lagern oder nicht. Das ändert nichts an unserer Ein stellung zu den Aras oder an unserem Plan.« Fartuloon betrachtete die automatischen Überwachungsgeräte, die unter jedem Regal angebracht worden waren. Ein Licht für das normale Funk tionieren der Nahrungsinfusion, ein anderes Licht für den Notfall. Kühlag gregate summten verhalten. Die Augen der schlafenden Aras waren unnatürlich weit geöffnet. Ihre Pupillen waren groß und dunkelrot. In den wachsbleichen Gesichtern zuckte kein Muskel. Erst jetzt fiel mir auf, daß alle völlig gleich aussahen. »Das gäbe ein herrliches Durcheinander, wenn wir die Burschen auf wecken würden«, meinte Fartuloon. Ich versuchte mir vorzustellen, was geschehen würde, wenn die Tief schläfer in die oberen Etagen eindringen würden. Es waren zu viele, als daß Tocce-Lanceet sie kurzfristig unterbringen konnte. Das absolute Cha os mußte die Folge sein. Ich konnte mir jedenfalls nicht vorstellen, daß die Tiefschläfer nach der erfolgten Wiedererweckung freiwillig in die Wüste hinausgingen. Die Aras waren empfindlich. Besonders ungünstigen Witte rungsverhältnissen gegenüber. Natürlich würden sie niemals auf ihre vie len Desinfektionsmittel verzichten. Nein, das würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Ende von Cematrang bedeuten. »Wenn etwas schiefgehen sollte, können wir ja die großen Erwecker spielen«, meinte ich leichthin, auch wenn ich mir der Konsequenzen be wußt war. Wir gingen weiter durch die endlosen Reihen der dicht an dicht überein andergestapelten Körper. Die Ruhe machte uns unvorsichtig. Was hätte uns hier unten auch schon passieren können? Von den Schläfern konnte uns keine Gefahr drohen. Als dicht hinter uns ein lautloser Schatten auf tauchte, war es fast zu spät. Ich sah zufällig hoch. Geblendet vom Licht der Deckenbeleuchtung sah ich nur noch rote Kreise, aus denen sich die Konturen eines mächtigen Blocks herausschälten. Der kantige Gegenstand schoß mit der Geschwin digkeit eines abstürzenden Raumschiffs auf uns herunter. »Aus dem Weg, Fartuloon!« Ich riß den Bauchaufschneider zu Boden. Wir rutschten der Länge nach über die glatten Fliesen und kamen erst dicht neben einem Regal zum Lie gen. Donnerndes Bersten ließ uns zusammenzucken. Kaum eine Körperlänge von uns entfernt, hatte sich ein tonnenschwerer Nahrungsmittelbehälter in den Boden gebohrt und war auseinandergeplatzt. Seine scharfkantigen Metallseiten hatten die Bodenfliesen durchschlagen und sogar noch Stahl betonbrocken aus dem Fundament gerissen. »Wenn du nicht reagiert hättest, gäbe es nur Organbrei von euch!«
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Mein Extrasinn war mal wieder sehr zartfühlend. Aber er hatte recht. Un ter der Tonnenlast stinkender Nahrungskonzentrate wären wir nur schwer lich zu identifizieren gewesen. Jetzt waren wir nur über und über mit einer gelblichen Brühe besudelt worden. Ich wischte mir das Zeug aus den Augenwinkeln und stand auf. »Das war haarscharf, was?« Fartuloon grunzte unwillig. Ihn hatte eine ganze Ladung des Vitamin breis getroffen und war ihm durch den Halsausschnitt unter den Harnisch gelaufen. »Ob das Absicht war?« fragte ich den Bauchaufschneider. »Keine Ahnung. Die Tiefschläfer sind harmlos … es muß jemand an ders gewesen sein, wenn es überhaupt jemand war.« Fartuloon spielte auf die Möglichkeit an, daß sich der Behälter durch Zufall aus der Verankerung gelöst haben konnte. »Und wenn mein zweites Bewußtsein seine Hand im Spiel hat?« Fartuloon hörte sofort auf, sich die stinkenden Reste des Nahrungsbreis aus dem Harnisch zu kratzen. »Deine Bewußtseinskopie?« »Ja!« »Dann hätten wir einen Ara sehen müssen. Oder ein anderes Wesen, dessen Körper dein anderes Ich übernommen hat. Hier war außer uns und den Tiefschläfern niemand.« »Wirklich nicht?« Ich deutete auf die gelbe Nahrungsflüssigkeit, die einen weiten Boden bereich überschwemmt hatte. Seitlich neben dem Regal klumpte sich das Zeug zusammen und begann bereits einzutrocknen. Mitten auf der gelben Lache hatte sich ein Fußabdruck reliefartig abgebildet. Die geriffelten Linien der Schuhsohle waren nicht zu übersehen. »Ein Ara … du hast recht gehabt, Atlan.« Fartuloon schluckte. Ich sah ihm an, daß er sich nicht wohl in seiner Haut fühlte. Die starren Körper ringsum machten auf ihn den Eindruck, als würden sie jeden Augenblick aufstehen und auf uns eindringen. Der Unbekannte konnte jeden Augenblick erneut zuschlagen. Doch der ließ sich Zeit. Ringsum wurde Rascheln laut. Wie Pergament, das sich unter einem Schwall heißer Luft spannt. In den Regalen um uns herum bewegten sich die Tief schlaf er. Wir wollten weglaufen, doch ir gendwie waren wir gelähmt. »Das sind manipulierte Aras!« stellte ich fest, nachdem ich meine Fassung zurückgewonnen hatte. »Nicht alle tragen das Stirnband mit dem Mikrosender!« Fartuloon hatte richtig beobachtet. Die aufwachenden Aras besaßen noch keinen Befehlsgeber. Die anderen, die bereits das Metallband über der Stirn trugen, blieben reglos liegen.
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Die anderen bewegten sich wie Schlafwandler. Unsicher, wohin sie ge hen sollten, rutschten sie von den Regalen herunter und liefen ziellos her um. Einige von ihnen waren auf der schleimigen Nahrungsflüssigkeit aus gerutscht. Sie drehten sich wie Käfer im Kreise, die auf dem Rücken lagen und das Gleichgewicht nicht wiederfanden. Wir waren auf einmal von diesen schwankenden Gestalten umgeben, die uns aus Mitleid heischenden Augen anstarrten. »Die scheinen sich in einer ähnlichen Lage zu befinden wie der Tote im Futterraum der Luccis«, vermutete ich. »Freiwillig haben sie sich garan tiert nicht einschläfern lassen.« Uns wurde es unheimlich zumute. Die Aras starrten uns nur an und sag ten keinen Ton. Entweder hatte man ihnen die Zungen abgeschnitten, oder sie wagten es nicht, uns anzureden. Wir waren auf alles gefaßt, auch dar auf, daß man diesen Aras den freien Willen genommen hatte. Die Existenz jener Mikrosender in den Stirnbändern sprach für diese Möglichkeit. Ich wollte der Sache endlich auf den Grund gehen. »Hat euch der Kommandant zum Tiefschlaf verurteilt?« fragte ich den Nächstbesten. »Seid ihr Sträflinge … oder was sonst?« Keine Antwort. Wir konnten sehen, wie sie Lippenbewegungen machten und uns mit ei ner Art von Aufmerksamkeit ansahen, die wir von kleinen Kindern ge wöhnt waren. Ich sah genauer hin und erkannte, daß sie uns nachahmen wollten. Ja, sie versuchten, meine eben gesagten Worte zu wiederholen. Es kam nur ein Lallen dabei heraus. »Denen fehlt wirklich etwas.« Fartuloon tippte sich dabei vielsagend an die Stirn. »Ich wußte ja schon immer, daß es mit den Aras langsam bergab geht. Das ist nur logisch. Eine so spezialisierte Rasse muß biologisch zu grunde gehen. Das ist ein Naturgesetz.« Ich erkannte wieder einmal, wie sehr Fartuloon die Aras verabscheute. Besser konnte man es nicht ausdrücken. Ich akzeptierte sogar seine Erklä rung für den bedauernswerten Zustand dieser Aras. »Von denen werden wir sicher nicht erfahren, wer sie zu dem gemacht hat, was sie sind. Wohl auch nicht, ob der herabstürzende Nahrungsbehäl ter absichtlich oder zufällig in unsere Richtung fiel.« »Vielleicht kann ich Ihnen helfen!« Ich drehte mich blitzschnell um und schaute in das Gesicht eines freundlich lächelnden Aras. Irgend etwas kam mir sofort bekannt an ihm vor. Ob es die Augen waren oder die Art, wie er sich bewegte. Ich konnte es nicht sagen. Auch Fartuloon mußte diesen Ara schon einmal gesehen haben. Er machte ein nachdenkliches Gesicht. »Sie scheinen etwas zugänglicher als Ihre Freunde zu sein«, eröffnete ich die Unterhaltung. »Ich heiße Atlan!«
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Wieder dieses verräterische Leuchten in den Augen des Aras. Ich hätte geschworen, schon einmal in dieses Augenpaar geblickt zu haben. Das alte Sprichwort, in den Augen seines Gesprächspartners dessen Seele erkennen zu können, besaß Gültigkeit. Jedoch viel war damit noch nicht ausgesagt worden. Ich rätselte noch immer an der Identität dieses Aras herum, der sich durch sein Benehmen auffallend von den anderen unterschied. »Atlan … ein schöner Name.« Er verlor auf einmal den freundlichen Unterton, mit dem er uns ange sprochen hatte. In seiner Stimme klang etwas nur schwer Beherrschtes mit, das mich vorsichtig werden ließ. Dieser Ara schien die Psyche einer wilden Katze zu besitzen. Er schien seine Opfer in Sicherheit zu wiegen, um dann in geeignetem Moment zuzuschlagen. »Atlan …«, wiederholte er gedehnt. »Ein arkonidischer Adelsname. Da mit kann ich nicht aufwarten. Nennen Sie mich einfach Ogh.« »Also gut, Ogh … was können Sie uns über diese Aras hier sagen? Sie werden uns zustimmen, wenn wir behaupten, ihr Zustand sei alles andere als normal.« »Natürlich sind diese armen Geschöpfe nicht normal zu nennen. Ich hörte, wie Sie sich vorhin Gedanken über den Grund ihres Andersseins machten. Sie hatten durchaus recht … diese Aras wurden bestraft. Sie wa ren nicht mit den Bioexperimenten des großen Tocce-Lanceet einverstan den. Es kam zu einer Meuterei, den Rest können Sie sich zusammenrei men.« »Das schon …« Ich sprach den Satz nicht zu Ende. Irgendwie hatte ich das ungute Gefühl, dieser Ogh würde uns nur nach dem Mund reden. Wa rum war er normal, aber nicht seine Leidensgenossen? Wenn er mir dafür keine plausible Erklärung liefern konnte, würde ich ihn schonungslos in die Enge treiben. Aber er kam mir zuvor indem er leichthin sagte: »Sie wundern sich sicher, daß ich reden kann, und die andern nicht. Ganz einfach. Die Gedächtnislöschung wurde routinemäßig einer Maschi ne übertragen. Ein Kollege von mir überwachte ihre Funktion und vergaß in meinem Fall, das berühmte Knöpfchen zu drücken.« »Das soll einer gewagt haben? Ziemlich gefährlich bei den drakoni schen Strafen eures Kommandanten.« Doch Ogh war nicht so leicht zu erschüttern. Vielleicht besaß er auch nur eine gehörige Portion Phantasie, mit der er sich alle möglichen Dinge ausdenken konnte. Bis ich seine Worte nachprüfen würde, ließ sich aller hand erledigen. Uns zum Beispiel! Ich beschloß, weiterhin vorsichtig zu bleiben. Ogh lächelte. Seine Gelassenheit war zu offensichtlich, um natürlich sein zu können. »Gute Freunde erkennt man eben immer an ihren Taten. Das gilt auch bei uns Aras, auch wenn man uns so was nicht zutraut. Es ist
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eben noch nicht alles Gefühl in uns erstorben. Jeder arkonidischen Greuel propaganda zuwider.« »Lassen wir das«, sagte ich leise. »Wie wollen Sie Ihren Gefährten hel fen? Es wird nicht lange dauern, und ihr Erwachen wird oben bemerkt.« »Vielleicht haben sie es schon bemerkt. Deshalb müssen wir uns beei len. Ich hoffe, Sie legen uns keine Steine in den Weg.« Er blickte uns prüfend an. Besonders Fartuloon. Was wollte Ogh von Fartuloon? Traute er ihm nicht, oder fürchtete er sich vor dem Bauchauf schneider? Ich konnte mir beides nicht vorstellen. »Uns ist es egal, was sie vorhaben. Wie ich sehe, können Sie uns nicht helfen …« Ich hustete unterdrückt und erkannte, daß Ogh irgendwie froh war, daß ich nichts von meiner Suche nach dem kopierten Bewußtsein er wähnt hatte. Ich korrigierte mich unbewußt. Was sollte dieser Meuterer von meinem flüchtigen Ich wissen? Wenn es in seinen Körper geschlüpft wäre, hätte ich längst etwas merken müssen. »Oder könnte dein anderes Ich inzwischen dazugelernt haben?« Ich verdrängte den Impuls meines Extrasinns. Ein unangenehmes Ge fühl blieb jedoch. Restlos hatte Ogh meine Bedenken nicht zerstreuen kön nen. »Wir wollen nach draußen kommen«, erklärte Ogh seinen Plan. »In der anderen Station habe ich weit mehr Bundesgenossen, als es der Komman dant hier ahnt. Wenn wir dorthin gelangen, werden wir siegen. Ich nehme an, das liegt auch in Ihrem Interesse, Atlan?« »Wir wollten uns eigentlich nicht in die Angelegenheiten von Cema trang einmischen. Wenn wir unseren Auftrag erledigt haben, verschwin den wir von hier.« »Schade … aber die Röhrenstation ist doch noch …« Ogh biß sich rasch auf die Lippen. Er machte einen nervösen Eindruck. Er bereute es offen sichtlich, dieses Thema angeschnitten zu haben. »Was weiß Ogh von der beschädigten Röhre?« Ich schlug sogleich in die Kerbe, die sich mir bot. »Sie können noch nicht lange hier unten sein, Ogh. Was wissen Sie über das Attentat?« »Attentat?« Ogh druckste eine Weile herum. Dann bequemte er sich zu einer Erklärung. Er hatte bemerkt, daß ich wieder mißtrauisch geworden war. »Ja … kurz bevor sie mich zur Gedächtnislöschung schickten, soll ein verrückter Skine nach Cematrang-I gekommen sein. Der hat die Kon trollen der Röhre beschädigt. Mehr weiß ich auch nicht.« Eine plausible Erklärung, wie ich mir eingestehen mußte. Ogh war froh, daß ich nicht weiter nachhakte. Er drehte sich um und ordnete seine Heerschar, die inzwischen auf etwa fünfzig wiedererweckte Aras angewachsen war. Sie schienen sich ohne Widerspruch dem Oberbe fehl Oghs zu unterwerfen.
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»Das schwierigste meiner Aktion wird der Ausbruch sein«, stellte Ogh nüchtern fest. »Es läßt sich wohl nicht vermeiden, daß ein paar von uns daran glauben müssen. Aber ihr Opfer ist nicht umsonst. Sie werden für die endgültige Befreiung Cematrangs sterben.« Ogh machte eine großspurige Geste. »Große Worte!« stellte ich bissig fest. Ich konnte mir diese Bemerkung nicht verkneifen. Ogh als Freiheitskämpfer erschien mir einfach absurd. Ogh redete auf die Aras ein, die ihn bewundernd anstarrten. Wie Kin der, die einem alleswissenden Vater gegenüberstehen. Ogh gestikulierte und versuchte, seinen Plan so verständlich wie möglich zu schildern. »Ihr springt jetzt in den Antigrav, verstanden?« »Antigrav?« wiederholte ein Ara. »Antigrav!« sagten die anderen Gedächtnislosen. »Ja, und ihr schwebt nach oben! Los, verschwindet endlich! Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.« Ogh wurde ärgerlich. Es schien nicht alles so zu klappen, wie er es sich vorgestellt hatte. Die Zeit brannte ihm unter den Nägeln. Ich mußte an die Schachtwachen denken, die Fartuloon betäubt hatte. Wenn wir Glück hatten, waren sie noch bewußtlos. Zehn Aras liefen im Gleichschritt auf den Antigrav zu, sprangen in das flimmernde Transportfeld und schwebten hoch. Ich wollte Ogh gerade von den Wachen berichten, doch er hörte mir nicht zu. Gebannt starrte er in den Schacht. »Wenn mein Plan klappt, sind wir bald draußen.« Im gleichen Augenblick ertönte das Fauchen mehrerer Strahlschüsse. Der Kampf wurde mehrere Etagen über uns ausgetragen. Wir konnten je den einzelnen Schuß hören und sehen. Der Widerschein greller Energie entladungen irrlichterte bis zu uns herunter. Schreie ertönten. Kommando rufe wurden laut. Die Hölle war los, und Ogh grinste zufrieden in sich hinein. »Der Stoßtrupp ist verloren«, stellte er fest. »Ich mußte damit rechnen, daß der Ausgang bewacht wird.« Im Transportfeld trieben ein paar Verwundete herunter. Streifschüsse der auf höchste Leistungsabgabe geschalteten Thermowaffen hatten sie gräßlich zugerichtet. Doch die Aras jammerten nicht. »Sie wußten, daß Ihre Kameraden verloren sind!« Meine Stimme klang frostig. Sollte Ogh ruhig wissen, was ich von seinen Aktionen hielt. »Das war notwendig, Atlan. Nur so konnte ich die Schachtwachen ab lenken. Wir nehmen natürlich einen anderen Weg.« Ogh deutete auf den Lift für die Nahrungscontainer. Ein gerissener Bursche, gestand ich mir ein. Ogh trieb seine inzwischen wieder auf fünfzig Aras angewachsene
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Streitmacht auf den Lift zu. Der Platz reichte für etwa vierzig Aras. Die Liftkontrollen gaben das Freizeichen. »Das klappt doch wunderbar!« rief Ogh begeistert. »Jetzt kann mich keiner mehr aufhalten.« Nachdem er etwa vierzig Aras in den quadratischen Raum verfrachtet hatte, schloß Ogh die Schiebetore und drückte auf Durchfahrt. »Die kommen im Verladehangar wieder heraus. Hoffen wir, daß sie mehr Glück als wir haben.« »Und was sollen wir tun?« fragte der Ara. »Ihr begleitet mich. Natürlich nur, wenn ihr wollt. Ich hatte angenom men, daß ihr für den Befreiungskampf von Cematrang seid … oder habe ich mich in euch getäuscht?« Ogh machte ein beleidigtes Gesicht. »Ein guter Schauspieler!« stellte mein Extrasinn fest. »Er opfert auch diesen Ara-Trupp, um seine Widersacher von sich abzulenken.« Fartuloon war dem Geschehen schweigend und ohne sichtbare Anteil nahme gefolgt. Er flüsterte mir ein paar Worte zu. »Bleiben wir in seiner Nähe. Vermutlich hat sich dein flüchtiger Bewußtseinsinhalt nicht gerade in die Nähe des Kommandanten begeben. Dieser Ogh wird uns zu den ver schwiegensten Schlupfwinkeln von Cematrang führen. Das kann uns nur recht sein.« Ich gab dem Bauchaufschneider recht. Aber wenn uns Ogh ebenso wie seine Kameraden einem Ablenkungsmanöver opfern wollte? Ich mußte das Risiko einfach in Kauf nehmen. »Uns bleibt ein sicherer Abgang … ich meine Aufgang!« Ogh lachte und schien darauf zu warten, daß wir seinen schlechten Witz auch noch gutheißen würden. »Wie wollen Sie nach oben gelangen?« »Ganz einfach! Wir verstecken uns zwischen den nicht verwerteten Fut terresten. Da vermuten sie uns garantiert nicht. Außerdem haben die jetzt genug mit den anderen Ausbruchskandidaten zu tun. Ihr bleibt bei mir.« Ogh ging auf ein schmales Förderband zu, das schräg nach oben durch eine düstere Röhre verschwand. Es war aktiviert und schien auf Dauerbe trieb geschaltet worden zu sein. Ich sah gerade noch, wie ein regungsloser Ara im Deckenloch verschwand. »Was war mit dem Ara los?« fragte ich hastig. Die Sache gefiel mir im mer weniger. »Ganz einfach … der Kerl ist tot. Er hat die Gedächtnislöschung und die Tiefschlafprozedur nicht überstanden. Die Positronik beseitigt solche Unglücksfälle automatisch.« Es blieb uns nichts anderes übrig, als Ogh Glauben zu schenken. »Los, legt euch auf das Band! Immer hübsch der Reihe nach. Wir wol
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len endlich aus dieser Gruft verschwinden.« Ich sprang auf das Band, das mich rasch höhertrug. Fartuloon folgte mir. Als ich mich umdrehte, um zu sehen, ob Ogh uns folgen würde, war es bereits zu spät. Ein greller Energieschauer zuckte durch unsere Körper und lähmte uns augenblicklich. Doch unsere Sinne blieben wach. Ich konnte die gesamte Halle überblicken, bevor wir in der düsteren Röhre verschwanden. Unten stand Ogh neben seinen Genossen und winkte lauthals lachend zu uns hoch.
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5.
Ein Ara beugte sich neugierig über mich. Der weiße Mundschutz bedeckte sein halbes Gesicht. Die Augenlider waren leicht zusammengekniffen und bedeckten rötlich glühende Albinoaugen. Ein starrer Blick. Wie bei einer Schlange. Der Mediziner stieß ein Skalpell in meinen Arm. Ich verspürte keinen Schmerz. Also stand ich noch unter der Wirkung des Paralysatortreffers. »Das ist kein Androide! Seit wann haben wir dort unten Arkoniden?« Ein zweiter Ara trat in mein Blickfeld. Ich konnte meinen Kopf nicht drehen, doch meine Sinne waren wach, und ich konnte alles um mich her um hören und sehen. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. Was meinte der Ara, hatte er Androiden erwartet? Der erste Ara zuckte mit den dürren Schultern. Er hantierte an irgendei nem Meßgerät. Ich konnte nicht sehen, worum es sich handelte, doch eins stand fest: Ich befand mich in einem Versuchslaboratorium der Aras. Sie öffneten meine Kombination. Wenig später hatten sie meinen Brust korb freigelegt. Die dürren Arkonidenabkömmlinge betrachteten neidisch meinen muskulösen Körper. Einer von ihnen zog mit dem Skalpell eine rechteckige Figur über mei ne Haut. Ich konnte es nicht genau sehen, aber die Reflexion in dem klei nen Deckenspiegel genügte mir vollständig. Eine blutige Linie zog sich quer über meine Brust. Dann wußte ich, was die Aras mit mir vorhatten: sie wollten mich bei lebendigern Leibe sezieren! Ich konnte nichts dagegen unternehmen. Mein Körper stand noch im mer unter der Einwirkung des Paralysatortreffers. Das hatte ich diesem verdammten Ogh zu verdanken. Er hatte Fartuloon und mich nur als Mittel zum Zweck mißbraucht, ebenso wie die anderen in der Halle der Tiefschläfer. Mir kam ein furchtbarer Verdacht. Sollte Ogh der Träger meines kopier ten Bewußtseins geworden sein? Selbst, wenn es so war, ich konnte nichts mehr daran ändern. Mein zweites Ich hatte gewonnen. Aus dem Labor der Aras würde ich nicht mehr lebend herauskommen. Panik erfüllte mein Bewußtsein. Mein Extrasinn meldete sich nicht mehr. Hatte er die Aussichtslosigkeit meiner Lage erkannt und sich abge schaltet? Oder hatte die Paralysatorenenergie seine Aktivität ebenfalls ge lähmt? Es war ja auch egal. »Sieht aus, als würde er alles mitbekommen«, kicherte ein Ara. »Das ist ganz bestimmt kein Androide. Möchte bloß wissen, wie Tocce-Lanceet an diese Burschen gekommen ist. Ich denke, wir haben keine Verbindung mehr mit draußen. Dann brauchten wir doch keine Androiden mehr herzu
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stellen. Dann würde sich unsere Flucht von selbst erledigen.« Flucht, durchzuckte es meine gepeinigten Sinne. Wovon redeten die Aras eigentlich? Androiden, Flucht, Normaluniversum. Wollten sie etwa aus dem Hyperraumgefängnis der Skinen ausbrechen? Verständlich wäre das schon. Aber wenn ich richtig verstand, sollte das auf unsere Kosten gehen. Was hatten die Aras inzwischen mit Fartuloon gemacht? Ich konnte den Bauchaufschneider nirgendwo sehen, geschweige denn hören. Selbst der kleine Deckenspiegel zeigte mir nicht, ob Fartuloon im gleichen Raum wie ich lag. Es gelang mir nicht, meine aufkeimende Angst zu kontrollieren. Hätte ich mich bewegen können, ich hätte wie ein Tier um mein Leben ge kämpft, doch so war ich der Willkür des Ara-Teams ausgeliefert. »Es ist weitaus interessanter, die Einwirkung von Hyperstrahlung auf einen natürlich gewachsenen Organismus zu beobachten, als auf einen die ser langweiligen Androiden.« »Ja, du hast recht, Popol.« Was faselten die Aras dauernd von Androiden? Hatten sie etwa Andro iden auf dem Förderband erwartet? Das konnte nur bedeuten, daß die Tief schläfer nichts anderes als Androiden waren. Ein schwarzer Metallkasten wurde in mein Blickfeld gerückt. Ich wuß te, was die spiralig gewundenen Antennen auf seiner Vorderseite zu be deuten hatten. Das war ein Generator, der rasch wechselnde Hyperfelder abstrahlte. Einen gleichen Effekt konnte man in den Transportröhren der Skinen beobachten. Doch bei weitem nicht so stark und zielgerichtet wie bei einer direkten Bestrahlung. Ich würde den Versuch nicht überleben. Die Hyperstrahlung würde mich langsam aber sicher zerfetzen. Und das bei wachen Sinnen. Möglich war aber auch, daß die Aras künstliche Mutationen hervorrufen wollten. Dann würde ich mich in ein Monstrum verwandeln. »Der Arkonide weiß wohl, was wir mit ihm vorhaben. Sieht ganz schön ängstlich aus, was?« Ein zustimmendes Lachen ertönte neben mir. Ich konnte hören, wie der Ara feixte. »Es ist ja auch kein Vergnügen, Popol!« Ich wollte meine Muskeln zusammenkrampfen und voller Wut in diese verkniffenen Gesichter schlagen. Ich wollte den Aras austreiben, mit Wehrlosen ihre teuflischen Versuche anzustellen. Doch es mißlang. Die Paralysewirkung hielt unvermindert stark an. Oder täuschte ich mich? In meinen Fingern kribbelte es leicht. Ich hätte schreien mögen. Nicht mehr lange, und ich würde es dieser Bande zeigen. Ich konzentrierte mich völlig auf meine Muskelarbeit. Dabei mußte ich verdammt vorsichtig sein. Bei
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der geringsten Bewegung würden sie Verdacht schöpfen und mich erneut schocken. Ein Generator lief summend an. Es knisterte, als Funken von einer An tennenspirale auf die andere übersprangen. »Paß auf, daß die Schockwirkung nicht nachläßt! Das sind keine Andro iden.« Das galt mir. Ich wurde unruhig. Wenn er mich jetzt auf meinen Zu stand untersuchen würde, war ich verloren. Ich biß die Zähne zusammen und wartete aufgeregt ab, was jetzt kommen mußte. Der Ara hantierte mit einer schimmernden Nadel, deren Spitze glühendrot war. Irgendein Gift, durchzuckte es mich. Ich durfte mich nicht bewegen. Nicht einmal zusammenzucken, auch wenn der Schmerz noch so groß war. Sie hatten mich nicht angeschnallt. Das war mein Vorteil, den ich mir nicht verscherzen durfte. Er stieß mir die Nadel in die Seite. Glühende Schmerzwellen rasten durch meinen Körper. Ich zuckte nicht zusammen. Er drückte die Nadel weiter in meinen Körper. Es war entsetzlich. Laß es ihn nicht merken! Wenn er jetzt einen Nerv treffen würde, war alles umsonst gewesen. Meine Nerven konnte ich nicht beherrschen oder kontrollieren. Aber mit meiner Beherrschung war es ohnehin bald zu Ende. Die Nadel mußte ein Mittel enthalten, daß jede Muskelfaser zur Reaktion reizte. Ich versuchte, mich durch eiserne Willenskraft zu beherrschen. Trium phierend wurde mir bewußt, daß ich die Zähne wieder zusammenpressen konnte. Langsam aber sicher verschwand die Wirkung des automatischen Schockstrahlers. Das Kribbeln in den Fußzehen wurde stärker. Im gleichen Augenblick riß der Ara die Testnadel aus meiner Seite. »Wir können anfangen, Popol! Der Arkonide ist in Ordnung.« »Wollen wir nicht noch mal bei Tocce-Lanceet rückfragen, ob wir diese Körper für den Versuch zurückstellen sollen?« Ich war froh über jede Miniskope Zeitgewinn. »Nicht nötig, Leute«, kam die Antwort aus einer anderen Ecke des La boratoriums. »Tocce-Lanceet hat die Auswahl der Versuchskörper selber getroffen. Ich glaube nicht, daß im Lagerraum der Androiden Andrang herrscht.« Wieder dieses teuflische Lachen meiner Peiniger. »Stellt euch vor … diese hirnlosen Androiden reißen sich darum, von uns zerstrahlt zu werden, hahaha!« »Zu komisch, Popol!« Ein radarschirmähnliches Gerät wurde mir über den Kopf geschoben. Ich konnte nur noch einen Teilbereich des Laboratoriums überblicken. Na
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türlich vermochte ich jetzt ohne besondere Schwierigkeiten die Augäpfel verdrehen, um einen besseren Sichtwinkel zu erhalten, doch ich wollte kein Risiko eingehen. Mit jeder verstreichenden Miniskope wuchs meine ursprüngliche Akti onsfähigkeit. Dann knackte ein Schalter. Heftige Kopfschmerzen rasten durch meine Hirnschale. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre dem teuflischen Pro jektor ausgewichen. Das hätte mein sofortiges Ende bedeutet. »Anfangen!« Jetzt mußte ich handeln, ob ich wollte oder nicht. Der Ara hatte den Be fehl zum Beginn des Experimentes gegeben. Mir blieb keine Zeit mehr, um meine Muskelkraft zu trainieren. Als ich von der flachen Liege springen wollte, stellte ich zu meinem Entsetzen fest, daß meine Füße von stählernen Klammern umschlossen waren. Das Skarg fiel polternd auf den Boden. »Ihr Hunde!« tobte Fartuloon. »Laßt eure Klauen von meinem Körper! Ich lasse euch erbärmlichen Kreaturen nicht an meinen kostbaren Leib heran!« Fartuloon war wieder voll da. Auf einmal wußte ich, daß die Aras uns nicht töten würden. Wir waren eben keine wehrlosen Androiden, die man je nach Bedarf aus dem Lagerraum abrief. »Du kannst dem Bauchaufschneider nicht alles überlassen!« meinte mein Extrasinn. Natürlich nicht. Mit einer heftigen Armbewegung fetzte ich den Projek tor von meinem Kopf, zerriß die Zuleitungen. Ich achtete nicht darauf, daß ich mir bei einem plötzlichen Kurzschluß die Finger verbrannte. »Der andere will sich auch befreien!« In der Stimme des Aras schwang Angst und Entsetzen. So was hatten sie noch nicht erlebt. In ihrem ganzen Leben hatte sich kein Opfer von der Schlachtbank erhoben und sich gewehrt. Auch wenn es sich in diesem spe ziellen Fall nur um hirnlose Androiden handelte. Ich sah aus den Augen winkeln heraus, wie einer der Mediziner auf den nächsten Instrumenten schrank zueilte und die Magnetschlösser aufschnappen ließ. Darunter kam eine Schaltfläche zum Vorschein. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, welchem Zweck diese Hebel dienten. Ohne Sicherheitssysteme würden auch die Aras an Androiden keine Versuche vornehmen. Tests mit harter Hyperstrahlung brachten immer unkontrollierbare Gefahrenmomente mit sich. Fartuloon wirbelte einen Ara durch die Luft, der sich zu nahe an dessen Behandlungsliege gewagt hatte. Der Spitzkopf krachte gegen eine Rechen einheit und blieb bewegungslos liegen.
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»Noch jemand, der Spaß daran hat? Macht uns endlich los, verdammte Bande!« Ich riß an den Fußfesseln, doch die Stahlbänder gaben keinen Deut nach. Ich war nach wie vor gefangen. Und ich ahnte, was der eine Ara vor hatte. Ich konnte mir lebhaft ausmalen, was geschah, wenn er die Ver suchsapparatur unter Starkstrom setzen würde. Entweder wollten sie uns nur gefügig machen, oder sogar töten. Viel Zeit blieb uns nicht mehr. Eben löste der Ara eine Sicherheitskette von den Kontakten. »Dein Schwert, Fartuloon!« Der Bauchaufschneider blickte zu mir herüber. Er lag genau am anderen Ende des Laboratoriums. Er hatte auch gerade erst die Nachwirkungen des unverhofften Paralysatortreffers überwunden. Auch er war an die Liege gefesselt. Sein Skarg lag dicht neben ihm am Boden. Er beugte sich herunter, kam jedoch nicht ganz an die Waffe heran. Die Fußfesseln schrammten seine Knöchel blutig. »Ich schaffe es nicht!« Fartuloon keuchte. Er streckte seine Hand noch ein bißchen weiter aus. Da sprang ein Ara heran, der ahnte, was der Bauchaufschneider im Schilde führte. Er wollte das Schwert mit dem Fuß wegstoßen, doch Fartu loon war schneller. Er erwischte den Ara am Bein, zerrte ihn blitzschnell zu sich auf die Liege und versetzte ihm einen schmetternden Schlag. Der Mediziner sank in sich zusammen. Durch den hastigen Sprung des Aras war das Skarg näher an die Liege herangerutscht. Fartuloon griff zu und schob das blitzende Metall quer durch die Fußfesseln. Daß er sich dabei die Haut aufschlitzte, schien ihm nichts auszumachen. Ein Ruck, und das Schwert hatte die Fesseln gesprengt. Kaum war Fartuloon von der Liege gesprungen, als hinter ihm eine grelle Überladung hochzuckte. Sie hatten damit begonnen, das Labor zu zerstören. Fartuloons Kampfschrei ließ den Raum erbeben. Der schwarzbärtige Bauchaufschneider stand wie ein Rachegott zwischen den Trümmern der medizinischen Apparaturen und hielt das Skarg in der nervigen Rechten. »Laßt Atlan frei!« Doch der Ara wollte auch die zweite Liege desintegrieren. Er umfaßte soeben den Hebel, der die Energie dazu freigeben sollte. Atlan würde die nächste Miniskope nicht mehr erleben. Ein blitzender Schemen schnellte durch das Labor, und der Ara ließ auf schreiend den Hebel des Schaltkastens los. Das Skarg steckte in seinem Körper. Langsam rutschte der Ara an der Wand herunter. »Das hättest du dir ersparen können, Ara!«
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Bevor die anderen weitere Maßnahmen ergreifen konnten, war Fartu loon neben den tödlich Verwundeten gesprungen und hatte das Schwert an sich gerissen. »Keine falsche Bewegung, oder euch passiert dasselbe!« Die Aras waren noch bleicher geworden, als sie ohnehin schon waren. Sie standen zitternd auf der anderen Laboratoriumswand und schwiegen. Sie waren davon überzeugt, daß Fartuloon wahnsinnig war und jetzt kurz en Prozeß mit ihnen machen würde. Er befreite auch mich von den Fußfesseln. Erleichtert massierte ich mir die tauben Fußgelenke. »Das war knapp, alter Bauchaufschneider.« Fartuloon grinste und wischte das Skarg an der Liege ab. Er deutete zu den zitternden Aras hinüber. »Was geschieht mit den Burschen?« Ich machte ein möglichst strenges Gesicht und sagte frostig: »Verteilen!« Die Aras glaubten uns jedes Wort. Immerhin hätten sie sich uns gegen über nicht anders verhalten. Sie schrien entsetzt durcheinander und ver suchten, aus dem Raum zu fliehen. »Laß sie laufen, Atlan«, rief Fartuloon und lachte dröhnend. Das war et was, was seinem martialischen Gemüt gefiel. Nach den überstandenen Schrecken hatten wir wahrhaftig eine Aufmunterung nötig. »Würde mich nicht wundern, wenn dieser Tocce-Lanceet alles mitange sehen hat. Dem ist es doch nur allzu willkommen, wenn wir bei unserer Suche drauf gehen.« »Ganz recht, Arkonide!« ertönte es am Eingang zum Laboratorium. Tocce-Lanceet kam langsam näher, begleitet von einer schwerbewaffne ten Eskorte. Sein dünnlippiger Mund hatte sich zu einem überheblichen Grinsen verzogen. »Beachtlich, wie ihr euch befreit habt. Ich habe alles über die Zentralbild schirme beobachtet.« Damit gab Tocce-Lanceet unverwunden zu, daß er von unserer Verwen dung als Versuchskaninchen Kenntnis besessen hatte. »Und wie wollen Sie den Skinen unser Ableben plausibel machen? Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, daß Sie laufend gegen die Anordnun gen der Skinen verstoßen können, oder?« Tocce-Lanceet hatte nur ein müdes Lächeln für mich übrig. »Was scheren mich die Skinen! Nicht mehr lange, und wir zeigen es diesen Kreaturen. Sind Sie tatsächlich so naiv. Atlan, daß Sie annehmen, wir hätten uns mit unserer Gefangenschaft abgefunden.« »Wie wollen Sie denn von Cematrang entkommen?« Tocce-Lanceet lachte unbeherrscht. »Fragen Sie doch ihr zweites Ich,
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Atlan! Ihr kopiertes Bewußtsein kennt unseren Plan. Es hat nämlich etwas Ähnliches vor.« Ich sprang vor. »Was … Sie kennen den Wirtskörper meines zweiten Ichs?« »Natürlich!« Der Ara ließ seine Worte wirken, bevor er fortfuhr: »Sie haben sich von ihm hereinlegen lassen. Vorhin, als Sie unten bei den An droiden herumstöberten.« Ogh, durchzuckte es mich. Dieser heimtückische Bursche. Ich ballte die Rechte zur Faust und schlug unbeherrscht auf die Liege neben mir. »Ogh war der Kerl! Ich habe es doch gleich geahnt. Wie konnte ich nur so dumm sein …« Ich schlug mir gegen die Stirn. »Und wir dachten, Sie hätten sich dort unten ein privates Straflager eingerichtet, Tocce-Lanceet. Dabei handelt es sich um ein gigantisches Androiden-Arsenal. Was haben Sie eigentlich mit den vielen Körpern vor?« »Das ist unser Geheimnis. Ich wüßte nicht, was Sie das angeht, Arkoni de.« Fartuloon polierte sein Skarg mit einem Stück Zellstoff blank. Als er das Schwert gegen die Beleuchtung hielt, rissen die Bewaffneten ihre Strahler hoch. Sie würden bei der geringsten Kleinigkeit schießen. »Ich muß diesen Ogh unbedingt erwischen!« stieß ich hervor. »Aber nicht in meinem Stützpunkt. Sie haben schon genug Durcheinan der angerichtet.« Fartuloon stellte sich breitbeinig vor die Aras und stemmte seine Fäuste in die Hüften. »Wir verlassen Cematrang nicht ohne den kopierten Bewußtseinsinhalt. Sie haben ihre Anweisungen von den Skinen bekommen, also halten Sie sich auch daran. Wenn wir nicht wohlbehalten nach Tsopan zurückkehren, werden die Skinen Ihre gesamten Kliniken und Experimentalstätten dem Erdboden gleichmachen. Ein Knopfdruck genügt!« Fartuloon hatte extra dick aufgetragen, aber anscheinend hatte er die Achillesferse der Aras getroffen. Tocce-Lanceet wußte selbst, daß er sich nicht alles erlauben konnte. Möglich war, daß die Skinen ihm schon früher mit der völligen Vernichtung von Cematrang gedroht hatten. Die Skinen brauchten nur die Röhren abzuschalten, und der Planet würde rettungslos im Hyperraum verschwinden. Keine Macht des Universums würde ihn dann noch zurückholen können. »Sie brauchen sich nicht so aufzuspielen, Arkonide … der Gesuchte be findet sich nicht mehr in der Station. Ihm gelang nach einem kurzen Schußwechsel die Flucht aus dem Gebäude.« Ich sah den Kommandanten streng an. »Und wo steckt Ogh mit seinen Genossen jetzt?« »Irgendwo dort draußen. In der Sandwüste. Wir haben sie aus dem Er
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fassungsbereich unserer Optik verloren. Tut mir wirklich leid.« »Auf ihr freundliches Mitleid können wir verzichten, Tocce-Lanceet. Sie werden uns jetzt hinauslassen. Wir verfolgen Ogh und die anderen An droiden. Lassen Sie sich nicht einfallen, uns dabei irgendwelche Steine in den Weg zu legen.« »Die legen Sie sich schon selbst«, kicherte der Ara und spielte damit auf unseren Reinfall mit Ogh an. Ich überging seine ironische Bemerkung und fragte ihn nach der Repa ratur des Röhrensystems. »Meine Techniker sind noch dabei. Es sind gerade ein paar Skinen an gekommen, die ihnen dabei zur Hand gehen. Transporte von Tsopan nach Cematrang sind wieder ohne Schwierigkeiten möglich. Nur mit der umge kehrten Reise hapert es noch. Aber das schaffen wir innerhalb der näch sten Skopen.« Jetzt verstand ich das Einlenken von Tocce-Lanceet. Die skinischen Techniker hatten für uns Partei ergriffen. Uns drohte also keine unmittel bare Gefahr mehr. Wir konnten die Station verlassen.
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6.
Über uns spannte sich wieder der graue, konturlose Himmel des Hyper raums. Jetzt waren sogar die zirrusähnlichen Silberfäden verschwunden, die wir kurz nach unserer Ankunft beobachtet hatten. Die düstere Atmo sphäre wirkte bedrückend und lähmend auf mich. Aber vielleicht war an dieser Stimmung auch die geringe Erfolgschance unserer Bewußtseinsjagd schuld. »Nicht mal Spuren. Die Bande ist wie vom Erdboden verschluckt.« Fartuloon machte ein zerknirschtes Gesicht. Vor uns erstreckte sich eine düstere Bodenwelle. Dahinter ragten spie gelglatt abgerundete Felsbarrieren in den bleigrauen Himmel. Düstere Schatten verbargen Details vor unseren suchenden Augen. »Was würdest du zuerst unternehmen, Atlan? Wir müssen daran den ken, daß sich deine Bewußtseinskopie ähnlich verhält. Der Androidenkör per ist zwar nicht so leicht zu beherrschen, aber inzwischen dürfte das Be wußtsein gelernt haben, damit umzugehen, als wäre es schon immer sein eigener Körper gewesen.« Ich stocherte mit der Rechten im warmen Quarzsand herum und sah Fartuloon nachdenklich an. »Ich würde erst mal die Aras in Sicherheit wiegen. Sollen die doch den ken, außer der Flucht hätten wir nichts anderes im Kopf.« »Stimmt! So ähnlich dürfte dieser Ogh kombiniert haben. Und weiter?« »Hm … ich würde in die Station zurückkehren. Oder in die benachbar te. Waffen brauchen die Androiden, wenn sie überleben wollen. Ogh be sitzt also meine Erfahrung und meine Erinnerung. Es wird ihm nicht schwerfallen, die Androiden in Kämpfer zu verwandeln. Er hat nichts mehr zu verlieren.« Ich stand ruckhaft auf. Ich sah mich um, konnte jedoch nichts Verdäch tiges erspähen. Fartuloon deutete zu den riesigen Felserhebungen hinüber. »Von dort aus kann man die Station beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Wir könnten uns dort einen Beobachtungsstand einrichten.« »Willst du dich hier häuslich niederlassen?« Fartuloon lachte. Er hatte meine Ungeduld erkannt. Wir liefen wortlos zu den Felsen hinüber. Wenig später standen wir un ter den massigen Erhebungen. Das Material der Felsgiganten mußte vor Urzeiten gewaltigen Hitzegraden ausgesetzt gewesen sein. Die Schmelz spuren waren nicht zu übersehen. Ich vermutete, daß während der Verset zung von Cematrang in den Hyperraum eine planetare Katastrophe über den Planeten hereingebrochen war.
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Zwischen den Felsrücken schlängelte sich eine enge Rinne empor. Ich kam spielend vorwärts und rutschte nicht ein einziges Mal ab. Fartuloon hatte es da schon etwas schwerer. Sein Körperumfang war für derartige Kletterpartien nicht gerade geeignet. Er blieb immer wieder stecken und kam nur durch unsere gegenseitigen Bemühungen wieder frei. »Ein voller Bauch hat eben auch seine Nachteile«, meinte ich lachend. »Keinen Neid, bitte. Asketen wie du haben es in Notzeiten verdammt schwer.« Dann hatten wir es geschafft. Schweratmend standen wir auf dem Fels kamm, von dem aus wir sowohl über die Sandwüste, als auch über die Felsbarriere schauen konnten. Die Station war von hier aus in ihrer Gesamtheit überschaubar. Ein Fremder hätte niemals vermutet, daß unter diesen langgestreckten Gebäu den so grauenhafte Dinge geschahen. Von außen wirkten die Bauten harm los und friedlich. »Du kannst deinen unbändigen Hunger ja bei diesen Biestern stillen«, rief ich. Hinter den Felsen erhoben sich unzählige gelbschimmernde Hü gel, in denen riesige Tiere eingeschlossen waren. Es mußte sich um eine bernsteinartige Masse handeln, die während jener planetaren Katastrophe zerschmolzen war und sich dann fugenlos um die Kreaturen dieser Welt geschlossen hatte. Wir liefen hinunter, um die seltsamen Gebilde aus allernächster Nähe betrachten zu können. Ich achtete nicht auf die unzähligen Löcher, die ringsum in der Felsmas se zu sehen waren. Selbst das leise »Viwo-Viwo« überhörte ich. Die ein geschlossenen Giganten aus der Urzeit Cematrangs waren interessanter als die kleinen Sandkreaturen. Ich ließ meine Hände über den Felsen gleiten. Die Substanz fühlte sich wie Plastik an, war jedoch tausendmal widerstandsfähiger. Fartuloon be kam selbst mit seinem Skarg nur leichte Kratzer hinein. Und doch war das Material so klar und durchsichtig wie hochwertiges Glas. »Unheimlich«, flüsterte ich, als hätte ich Angst, die Untiere könnten je den Augenblick aus ihrem jahrtausendelangen Schlaf erwachen. Da schwebte ein gräßlicher Saurier in der bernsteinfarbenen Masse, un verletzt und bestens konserviert. Seine katzenartigen Augen starrten uns an. Ich hatte das Gefühl, als würden sie leben. In der Tat sahen die Tier körper aus, als warteten sie nur auf ihre Befreiung. Das war natürlich ein Trugschluß. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß nach so langer Zeit noch ein Lebensfunke in den massigen Körpern stecken sollte. Wir fanden Schlangen, gigantische Krebse, Flugsaurier und primaten hafte Wesen in den luftdicht abgeschlossenen Felsmassen. Sie alle mußten von der Katastrophe überrascht worden sein. Teilweise boten sich uns
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schreckliche Szenen. In einem durchsichtigen Block fanden wir einen Flugsaurier, der einen Primaten riß. In den Augen des humanoiden We sens stand nacktes Entsetzen geschrieben. Eine blutähnliche Flüssigkeit bedeckte seinen Pelz. Die Farben waren frisch und unverbraucht. Ich wußte bisher nur, daß in Konservierungsbehältern zwar die Körpersubstanz erhalten blieb, aber die Hauptpigmente völlig zerstört wurden. Bevor wir unsere Beobachtungen fortsetzen konnten, ließen uns don nernde Explosionen zusammenzucken. »Das war drüben in der Station«, rief ich. Wir rannten zurück und stiegen auf die Felsbarriere, von der aus wir den Überblick auf die Station hatten. Wenig später kauerten wir schweratmend auf dem Massiv. »Dort!« Über dem Hauptgebäude von Cematrang-I stand eine Feuerlohe. Schwarzer Qualm drang durch eine gezackte Öffnung ins Freie. Winzige Gestalten liefen aufgeregt um den Brandherd. Es starteten sogar Schweber, die Chemikalien zur Feuerbekämpfung abwarfen. »Das kann nur Ogh mit seinen Androiden gewesen sein.« Fartuloon nickte. »Er Hat es irgendwie geschafft, in die Station zurück zukehren. Womöglich wollte er die Waffenkammer plündern, und dabei ist etwas schiefgegangen.« »Ich wollte, er wäre dabei drauf gegangen!« stieß ich hervor. »Dann wäre unsere verdammte Suche endlich zu Ende.« »Mach dir keine unnötigen Hoffnungen, Atlan. Dieser Ogh ist ebenso gerissen wie du. Er repräsentiert dein Bewußtsein!« »Wenn wir wüßten, wie er in die Station eingedrungen ist, dann würden wir auch seinen Rückweg kennen. Wir brauchten nur am Hintertürmchen zu lauern und ihn abzufangen.« Fartuloon dämpfte meinen Optimismus. »Selbst wenn wir wissen, wie Ogh in die Station gekommen ist, kennen wir seine weiteren Pläne nicht. Will er innerhalb der Station eine Art Guerillakampf organisieren, oder will er nach Tsopan fliehen? Und hältst du ihn für so naiv, daß er blind lings in unsere Arme läuft?« »Natürlich nicht.« Wir beschränkten uns darauf, das Geschehen zu beobachten. Das Wum mern weiterer Detonationen drang dumpf an unsere Ohren. Ein ganzer Flachbau stand in Flammen, während an einigen Stellen sogar unterirdi sche Verbindungsgänge zwischen den einzelnen Gebäuden gesprengt wur den. Mehrere Krater wölbten sich auf und fielen dann zeitlupenhaft in sich zusammen. »Die gehen aber ganz schön hart ran«, meinte Fartuloon anerkennend.
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»Ist ja auch mein Bewußtsein!« Ich konnte einen gewissen Stolz nicht verbergen. »Was wird aus uns, wenn die Bande von wahnsinnigen Androiden das Röhrensystem nach Tsopan vernichtet?« An diese Möglichkeit hatte ich noch nicht gedacht. Ich hatte irgendwie fest angenommen, Ogh würde auf alle Fälle ins Normaluniversum fliehen wollen. Ich hatte ihn nicht für so beschränkt gehalten, daß er nur an der absoluten Herrschaft auf Cematrang interessiert war. Aber wir mußten alle Möglichkeiten in Betracht ziehen. »Dort!« Mein Blick folgte Fartuloons ausgestrecktem Arm. »Androiden!« Ein Trupp von Oghs Begleitern war aus der Station ausgebrochen und hetzte nun durch die Wüste. Wir konnten mehrere Gleiter sehen, die sich aus den Qualmwolken erhoben und Jagd auf die Flüchtenden machten. »Die Androiden haben keine Chance. Ob Ogh bei ihnen ist?« fragte ich. Fartuloon zuckte mit den Schultern. Über der Wüste blitzte es hell auf. Mehrere Androiden verschwanden im Glutstrahl des Desintegratorschusses. Jetzt blieben einige der Flüchtenden stehen, kauerten am Boden nieder und hantierten an einer schweren Waffe. Wenige Atemzüge, bevor der ih nen am nächsten stehende Luftgleiter schießen konnte, drückten sie den Waffenkontakt. Das Fahrzeug zerplatzte in einem Glutregen. Die AraAndroiden suchten eilig Deckung vor den umherfliegenden Trümmer stücken. »Bei diesen kaltblütigen Burschen könnte Ogh sein!« vermutete Fartuloon. »Warten wir's ab.« Der Kampf in der Ebene wogte unentschieden hin und her. Die Andro iden hatten schwere Waffen erbeutet und setzten den Gleitern schwer zu. Die Verluste waren auf beiden Seiten etwa gleich groß. Irgendwie faszi niert von dem Geschehen, vergaßen wir unsere Umgebung. Ich hoffte noch immer, Ogh zwischen den Kämpfenden zu entdecken. Doch auf die se Entfernung sahen die Aras alle gleich aus. Als hinter uns die Strahlschüsse auf brüllten, war es fast schon zu spät für uns. Ogh hatte die Apokalypse für Cematrang eingeleitet. Fartuloon packte mich am Arm und stieß mich in die schräg abwärts füh rende Gesteinsrinne. Bevor ich überhaupt wußte, was um uns herum vor sich ging, rutschte ich mit einer Irrsinnsgeschwindigkeit in das düstere Tal hinunter. Der glatte Felsen bot mir keinerlei Halt. Fartuloon folgte mir sofort. Vom Fahrtwind wirbelten mir die schulterlangen Haare um den Kopf. Ich konnte jedoch noch sehen, wie ein riesiger Bernsteinblock splitternd
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an genau jener Stelle zerbrach, an der wir soeben noch gestanden hatten, um den Kampf in der Wüste zu beobachten. Ein Gesteinshagel überschüttete uns. »Verdammt, wann ist die Höllenfahrt endlich zu Ende? Mir wird lang sam heiß!« Dann wurde ich plötzlich von einer Bodenwelle abgestoppt, überschlug mich in hohem Bogen und landete im auf stiebenden Quarzsand einer Mulde. Fartuloon prallte gegen mich. Wir überschlugen uns mehrmals und ka men dann schweratmend auf die Beine. »Was war das?« fragte ich keuchend. »Jemand hat die durchsichtigen Felsen mit einer Energiewaffe zerstört. Irgendwie muß dabei durch innere Vakuumräume ein Druckunterschied entstanden sein, der tonnenschwere Brocken wie Spielzeug durch die Luft wirbeln ließ.« Ein heißer, stinkender, Luftschwall kam uns entgegen. Es roch nach Tier, Blut, Schweiß und irgendwelchen Sekreten. »Wer kann das gewesen sein?« fragte ich unsicher. »Ogh natürlich!« So natürlich war das gar nicht. Wie konnte der Androide hierher gelangt sein? Wir hatten den gesamten Wüstenstreifen zwischen den Hügeln und der Station überblicken können. Dort unten war keiner näher als einen Bergschatten an die Felsenkette herangekommen. Ein urweltliches Brüllen ließ uns auf andere Gedanken kommen. Ich packte Fartuloons Arm, so als wollte ich mich seiner Gegenwart versi chern. »Tiere auf Cematrang? Ich dachte, hier gibt's nur die kleinen Eisen-Vi wos?« »Man lernt nie aus«, meinte Fartuloon einsilbig. Dann erbebte der Boden wie unter den Schritten von Giganten. »Festhalten, Atlan!« »Wo denn?« Die Felsen waren glatt wie Glas. Wir wurden gehörig durcheinanderge schüttelt. Mehrere Felsnasen durchzogen sich plötzlich mit einem Netz werk aus haarfeinen Rissen. Dann brachen sie splitternd auseinander. »Wir müssen hier 'rauskommen. Die Felsentäler werden zur Todesfalle für uns. Nur in der Wüste haben wir eine Chance«, stellte ich entsetzt fest. Ich mußte mich zusammennehmen, um nicht in Panik zu geraten. Ein Ge fühl der Hilflosigkeit drohte mich zu übermannen. Automatisch schob ich ein kleines Kauplättchen zwischen die Zähne. Es enthielt eine Substanz, die beruhigend auf das Zentralnervensystem wirkte. Drei, vier davon trug ich als eiserne Reserve in meiner Gürteltasche.
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Das Toben hatte etwas nachgelassen. Dafür ertönte aus einer anderen Ecke des Felsenparks das Zischen einer riesigen Schlange. Ich stellte mir jedenfalls vor, daß diese Geräusche nur von einer Schlange erzeugt wer den konnten. Wir befanden uns in einem Irrgarten, dessen Inneres von unglaublichen Geräuschen erfüllt wurde. Ringsum türmten sich die glattgeschmolzenen Felswände übereinander, brachen Felsnasen auseinander oder zogen sich breite Risse durch den Boden. Das Unangenehme an unserer Situation war die Tatsache, daß wir we der einen Überblick hatten, noch wußten, was hier überhaupt vor sich ging. Wir konnten nur noch den herabbrechenden Felsmassen ausweichen und hoffen, daß hinter der nächsten Biegung ein Durchgang war. Sollten wir einen Gang ohne Durchschlupf erreichen, so war unser Schicksal be siegelt. Plötzlich wurde es um uns herum dunkel. Etwas Schwarzes hatte sich über uns geschoben und versperrte uns den Blick. »Ein Saurier!« schrie Fartuloon entgeistert. Bevor ich meinen Strahler ziehen konnte, hatte Fartuloon sein Schwert aus der Scheide gerissen. Die riesige Tatze glitt schwerfällig über die glatten Felsen. Ihre Schup penhaut war an vielen Stellen brüchig geworden. Blutähnliche Sekrete tropften ölig herab. Als Fartuloon sein Skarg schwang und mit aller Kraft in die Klaue schlug, brach Donnergrollen über uns herein. Fartuloon wurde mitsamt seiner Waffe hochgerissen. Erst als sich das Skarg aus dem Fleisch des Sauriers löste, fiel der Bauchaufschneider zu Boden. Trotz seiner Dicklei bigkeit kam er sofort wieder auf die Beine und schaute sich hastig nach ei nem Unterschlupf um. Für wenige Augenblicke tauchte der massige Schädel des Sauriers über uns auf. Ein kantiger Kopf mit fliehender Stirn und einem Zackenkranz im Nacken. Zwei gespaltene Zungen glitten zwischen den gelben Reißzähnen hervor. Sie schienen eine klebrige Substanz abzusondern. Die gelben Katzenaugen des vorsintflutlichen Ungetüms hatten uns an scheinend erspäht. Das Ungetier beugte sich herab und versuchte seine rie sige Schnauze in den Gang zu stemmen. Doch der Durchgang war zu eng. Obwohl wir von einem heftigen Gesteinsschauer aus losgebrochenen Plat ten überschüttet wurden, kam der Saurier nicht zum Zuge. Wir preßten uns eng an die Wand und rutschten weiter nach rechts, wo sich ein Durch schlupf andeutete. Eine Zunge kam uns bedenklich nahe. Fartuloon hieb sofort mit seinem Skarg danach. Doch dann blieb die Waffe daran hängen. Das Schwert fiel in einen Seitengang. Wir hörten, wie es klirrend über
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die Felsen rutschte und dann liegenblieb. Ich wollte aufspringen, doch ein überhängender Felsen beendete vorläu fig meine Aktivität. Ich prallte mit voller Wucht dagegen und verlor sofort das Bewußtsein. Glühende Schmerzwellen rasten durch meinen Körper. Fartuloon mußte mich blitzschnell unter den überhängenden Felsen ge zerrt haben, sonst wäre ich sicher ein Opfer der umhertastenden Saurier zungen geworden. Eine scharf riechende Essenz aus Fartuloons Gürtelapo theke brachte mich in die Wirklichkeit zurück. Rote Schemen tanzten vor meinen Augen auf und nieder. Dann drang gräßliches Brüllen an mein Be wußtsein. Dazwischen ertönte das zischende »Viwo, Viwo« aus dem Sand. Ich riß die Augen auf. Vor uns verbrannten die Saurierzungen in einer leuchtenden Entladung. Ich sah, wie sich ein Eisen-Viwo aus dem zerschmolzenen Sand reckte, seine diamantenen Kopfauswüchse aufblitzen ließ und dann wieder in sei nem Felsengang verschwand. Hinter ihm füllte nachrutschender Quarz sand das Loch im Boden. »Hast … hast du das gesehen?« kam es mir schwerfällig von den Lip pen. »Ein Eisen-Viwo hat das Biest erledigt.« Fartuloon war genauso überrascht wie ich selbst. Er vergaß sogar nach meiner Kopfschramme zu sehen. Erst als ich die Blutspur von meiner Stirn wischen wollte, tupfte er den Riß mit einem Tuch vorsichtig ab. »Ist nicht der Rede wert, Atlan … der Saurier hätte dir schlimmere Wunden zugefügt.« Ich wollte nicken, doch ein heftiger Kopfschmerz ließ mich zusammen zucken. »Das vergeht wieder.« Fartuloons bärbeißige Art ließ keinen Widerspruch zu. Ich nahm mich also zusammen und stand vorsichtig auf. Dann krochen wir durch eine schmale Felsenöffnung in den angrenzenden Gang. Ich wäre beinahe in Fartuloons Skarg gerannt. Die Waffe lag schimmernd zwischen den Fel sen. Und etwas weiter dahinter lag ein Toter. »Ogh!« rief ich unwillkürlich. Die Pranke des Sauriers hatte den Androidenkörper zerquetscht. In der Ferne kämpften zwei Urweltbestien miteinander. Ihr Toben war bis hierher deutlich zu vernehmen. Immer neue Erdstöße liefen durch den felsigen Boden. Felsbrocken polterten aus den uns umgebenden Wänden und blieben vor uns liegen. Fartuloon steckte sein Schwert in die Scheide zurück. Er streifte den to ten Androiden nur mit einem Blick. »Das ist nicht dieser Ogh.« Fartuloons Feststellung beruhigte mich ungemein. Nicht die Vorstel
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lung, die Bewußtseinskopie könnte schon wieder den Körper gewechselt haben, ängstigte mich – nein, ich fühlte eine seltsame Vertrautheit zu mei nem anderen Ich. Es hatte tapfer gekämpft und durch seine Aktionen heil loses Durcheinander auf Cematrang verursacht. Ich hätte es nicht besser machen können. Ich hob den schweren Thermostrahler auf, der neben dem Toten lag. »Damit fühle ich mich schon viel besser. Die Energiebatterie meines Kombistrahlers läßt nach. Hätte nicht mehr viel damit anfangen können.« Wir suchten nach einem Ausgang aus dem Felsenlabyrinth. Das Toben der riesigen Tiere hatte sich etwas nach Westen verlagert. Ich mußte un willkürlich grinsen. Wo war auf dieser gestirnlosen Hyperraumwelt ei gentlich Westen? Natürlich hatte ich unwillkürlich die Ara-Station als po laren Bezugspunkt angenommen und unsere Position zu ihr in Beziehung gesetzt. Doch ehrlich gesagt, ich wußte in diesem Augenblick nicht genau, wo sich die Station befand. Die Felswände ringsum versperrten uns den Blick. »Dort drüben«, rief Fartuloon. Schräg gegenüber gähnte ein breiter Felsspalt, hinter dem es gelblich schimmerte. »Dort kommen wir durch.« Wir überquerten eine breite Felsschneise und bückten uns. Das gelbli che Leuchten füllte unseren gesamten Gesichtshorizont aus. Der Geruch nach verwesendem Fleisch war auf einmal stärker geworden. Ich mußte einen plötzlichen Brechreiz gewaltsam unterdrücken. Was erwartete uns hinter der Felsenbarriere? »Daher stammen also die Urweltbestien«, stellte Fartuloon ungläubig fest. »Ich hatte schon vorhin daran gedacht, aber diese Möglichkeit erschien mir doch zu phantastisch.« Die meisten gelblich schimmernden Felsen waren von genau dosierten Strahlschüssen zertrennt worden. Das bernsteinähnliche Material lag im ganzen Tal herum. Wie die Hohlformen einer gigantischen Denkmalsfa brikation. Wenn man die Abgüsse der Urwelttiere als Denkmäler einer ar chaischen Vergangenheit Cematrangs bezeichnen konnte. An einigen Stellen fanden wir noch unbeschädigte Felsen, die große In sekten umschlossen. Dann fanden wir eine Schneise voller Tierkadaver, die sich rasch auflösten. Gräßlicher Gestank erfüllte das Felsental. »Wer kann die durchsichtigen Felsen nur gespalten haben … und zu welchem Zweck?« fragte Fartuloon entsetzt. Das ungeheure Gräberfeld er innerte an die mythische Darstellung einer Götterwalstatt. Alles war gi gantisch und bis ins Groteske verzerrt. »Möglich, daß Ogh die Tiere freigesetzt hat«, vermutete ich. »Bei dem Durcheinander, den diese Giganten zweifelsohne anrichten, kann ein ge schickter Kämpfer den Aras großen Schaden zufügen.« Die logische Schlußfolgerung nach dem Geschehen ließ nichts anderes
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zu. Offen blieb nur, ob die Tiere tatsächlich so einfach zu beleben gewesen waren. Die bernsteinähnliche Masse hatte die Tierkörper ohne Zweifel perfekt konserviert. Das konnte nur damals beim Transport des Planeten in den Hyperraum geschehen sein. Die plötzlich einsetzende Hitzeentwick lung hatte jene Substanz gelöst und die flüchtenden Tiere umschlossen. Seitdem war aller Wahrscheinlichkeit nach eine halbe Ewigkeit vergan gen. Fartuloon schien meine Gedanken erraten zu haben. »Ich kann es mir nur so erklären, daß hyperdimensionale Einflüsse an der Wiederbelebung schuld sind. Die Felsen bilden eine ideale Konservierung, fehlt nur noch die Beseelung der abgeschlossenen Körper. Wir wissen, daß die Aras da mit experimentieren. Perfekt konservierte Körper werden mit superstarker Hyperstrahlung beschossen. Das Ergebnis ist ein funktionsfähiger Körper. Warum sollte die Natur dieses schwierige Problem nicht auf eigene Weise gelöst haben?« Ganz Cematrang war von Hyperraum umschlossen. Fartuloons These hatte also durchaus nicht nur hypothetische Züge. Doch unsere Überlegungen endeten, als wir die düsteren Felsenlöcher sahen. Auf einmal hatten wir den Kampflärm und das riesige Gräberfeld vergessen. Vor uns gähnte ein schwarzer Tunnel, dessen Ränder wie ge schmolzen wirkten. Aus der Tiefe drang das hektische Pfeifen und Rumo ren der Sandbewohner herauf. »Viwos!« stellte Fartuloon fest. »Die kleinen Biester haben einen richti gen Tunnel in die Felsen getrieben. Anzunehmen, daß man von hier aus in die Wüste gelangt.« »Oder in die Station.« Mir war der phantastische Gedanke gekommen, Ogh könnte von hier aus seine Attacke gegen die schlafenden Saurier ge führt haben, als er durch den Gang aus der Station hierhergelangt war. Wir wollten uns gerade näher mit dem Tunnel der Sandbewohner befas sen, als ein Hilfeschrei ertönte. »Das war ein Ara! Er wird von einem großen Tier angegriffen!« Kaum hatten wir mit einiger Mühe die nächste Bernsteinerhebung er klommen, als wir eine entsetzliche Szene sahen. »Das ist Ogh«, stöhnte ich. Der Flugsaurier hatte den Androiden mit dem fast körperlangen Zacken schnabel gepackt und war mit ihm über mehrere Felsen hinweggeflattert. Ogh wollte nach seiner Strahlenwaffe im Gürtel greifen, doch die spitzen Knochenzacken auf den Schnabelflächen bohrten sich tief in seinen Kör per. Ogh mußte furchtbare Schmerzen ausstehen. Ich war mir sicher, daß auch Androiden der Aras mit den Vor- und Nachteilen eines Zentralner vensystems ausgestattet waren.
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»Warum verläßt sein aufgepfropftes Bewußtsein den Körper nicht?« fragte mein Extrasinn. Ich wußte keine Antwort darauf. Wenn ich Ogh je mals selbst danach fragen wollte, mußte ich ihn jetzt sofort aus den Klauen der Urweltbestie befreien. Ich richtete meinen Strahler auf den Flugsaurier, der nur ein paar Fels brocken von uns entfernt hockte und sein Opfer festhielt. »Nicht mit dem Strahler«, bedeutete mir Fartuloon. »Du würdest den Ara damit auch nicht retten. Im Gegenteil. Besser, wir locken das Biest von ihm weg!« Aber wie? Eben war der Flugsaurier erneut aufgeflogen. Seine lederhäu tigen Fledermausschwingen machten ein paar matte Bewegungen. Die Zeit der Konservierungsstarre schien nicht spurlos an ihm vorübergegangen zu sein. Fartuloon sprang aus der Deckung und ließ sich Skarg durch die Luft wirbeln. Der Saurier flatterte erschrocken höher. Seine rötlichen Augen hefteten sich auf den neuen Widersacher. Anscheinend konnte er Fartuloon weder als Opfer noch als Jäger einordnen. Ogh schrie wieder. Seine Brust war blutüberströmt. Zwischen den Fet zen der Kombination schimmerte das rohe Fleisch hindurch. Ich wollte dennoch einen Schuß wagen. Ein Loch in seinen breitgefä cherten Flügeln würde das Biest wohl nicht verkraften, und noch war es nicht so hoch, daß ein Sturz Oghs Ende bedeutet hätte. Das Aufheulen mächtiger Generatoren deutete die Wende an. »Aras!« schrie Fartuloon. Über der massigen Felsbarriere waren etwa zehn schwerbewaffnete Gleiter aufgetaucht. Die Galaktischen Mediziner machten Jagd auf die wiederbelebten Saurier, von denen einige sicher in die Station eingedrun gen waren. Wie Raubvögel stürzten sich die Gleiter auf den Flugsaurier herab. Den Jagdkommandos war es egal, ob Ogh dabei getötet wurde. Ich durfte nicht mehr länger zögern. Ich streckte die Rechte mit dem Kombistrahler aus, fokussierte die Ab strahlmündung auf schärfste Bündelung und schoß. Der Strahl fraß sich mit Lichtgeschwindigkeit in den Kopf des fliegen den Ungetüms. Im gleichen Augenblick ließ die todwunde Bestie ihr Op fer los. Ogh stürzte schreiend in die Tiefe und verschwand irgendwo in der Nähe zwischen den Felsen. Dann war die Hölle los. Die Aras schossen auf alles, was sich bewegte. Dicht neben uns zer schmolz ein körpergroßer Felsen, aus dem sich ein Insekt befreite, das kurz darauf in den Impulsgluten der Strahler endete.
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»Weg hier! Die machen Hackfleisch aus uns.« »Aber Ogh …«, begann ich und lief dicht hinter Fartuloon her. »Wir können ihn jetzt nicht hier liegenlassen. Er ist verwundet.« »Das hat er sich selbst eingebrockt.« Das Zischen der Strahlwaffen war lauter geworden. Dicht über uns huschte der ovale Schatten eines Gleiters hinweg und zwang uns augen blicklich in Deckung. Glutspritzer versengten meine Kombination. Der beißende Qualm zwang mich zum Husten. Ich konnte kaum noch etwas sehen. Durch das vergasende Gestein waren giftige Dämpfe freigesetzt worden, die uns jetzt fast die Besinnung raubten. Wenn wir noch länger hier verharrten, würden wir die nächsten Skopen nicht überleben. Die Aras schienen fest entschlossen zu sein, das ganze Tal in einen Lavasee zu verwandeln. Wir krochen dicht im Schutz einer Bodenwelle vorwärts. Wohin sollten wir noch fliehen? »Kopf 'runter!« Fartuloon stieß mich in die Deckung der Felsen. Dicht vor uns tobte eine gewaltige Schlange. Der rubinrote Schuppen körper war über und über mit Brandwunden bedeckt. Das Tier war halb verrückt vor Schmerzen. Sein Vorderteil war mit kleinen Greifklauen be deckt, die sich in einem Krampf um den eigenen Kopf geschlungen hatten. Jetzt zuckte die Riesenschlange wie von der Sehne eines Bogens abge schnellt durch die Luft. Wir sprangen aus der Deckung und liefen geduckt an einem schwelen den Tierkadaver vorbei. Doch die Schlange mußte uns erspäht haben. Ihr Zischen ließ uns das Blut in den Adern erfrieren. Wir liefen, so schnell wir konnten. Die qualmgeschwängerte Luft machte uns das Atmen zur Qual. Unsere Gesichter waren schweißbedeckt und von umherfliegenden Ruß teilchen völlig verschmiert. Da erhielt ich einen mächtigen Schlag vor die Brust und stürzte zu Bo den. Der Kopf der Schlange hatte mich gestreift. Die Bestie duckte sich, um erneut auszuholen. Ihre starren Augen hatten mich fixiert und schienen mich für den Urheber der brennenden Qualen zu halten. Ich rollte mich blitzschnell um die eigene Achse, entkam dem erneuten Angriff um Haaresbreite und unterlief auch den nächsten Stoß der Schlan ge. Fartuloon stieß mich beiseite. »Keine Zeit für Geschicklichkeitsspiele, Atlan!« »Die Energiebatterie meines Strahlers reicht nicht mehr …« Fartuloon stand unter dem pendelnden Kopf der Riesenschlange und riß das Skarg aus der Scheide. Gleichzeitig stieß das Ungetüm zu und bohrte praktisch seinen eigenen Kopf in das blitzende Schwert. Blut tropfte in Strömen über Fartuloons Arm.
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Das sterbende Tier riß dem Bauchaufschneider die Waffe aus der Hand. Fartuloon mußte sich dabei die Hand verletzt haben. Er verkniff sein Ge sicht zu einer Grimasse und wischte sich das Blut vom Arm. »Weiter, Atlan!« Das war alles. Typisch Fartuloon. Ein Pragmatiker, wie er im Buche stand. Die eine Sache war erledigt, die andere kam dran. Und das war unsere Flucht vor den Jagdkommandos der Aras. Fartuloon hatte kaum Zeit, das Skarg aus dem Kopf der Riesenschlange zu ziehen. Zwei Gleiter kamen im Sturzflug herunter. Das Heulen der verdrängten Luftmassen wurde lauter. »Wetten, daß Tocce-Lanceet über die Außenwandkamera zuschaut?« »Das traue ich dem Ara ohne weiteres zu«, entgegnete ich. Während wir versuchten, im Schutz der Felsblöcke zu bleiben, kreisten die Gleiter uns ein. Dicht neben uns zuckten mehrere Glutstrahlen in den Boden, die uns fast die Stiefel versengten. »Die spielen mit uns!« rief Fartuloon. »Und so ein kleiner Treffer ganz nebenbei schickt uns ins Jenseits.« Wir konnten den Gleitern nicht ewig entkommen. Ich spürte, wie meine Kräfte nachließen. Lange würde ich das nicht mehr mitmachen. Da kam mir die rettende Idee. »Der Tunnel der Eisen-Viwos!« Fartuloons schwarzgefärbtes Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. Er schlug mir derb auf die Schulter. »Diese Idee könnte fast von mir stam men. Los, nichts wie weg von hier!« Es war ein Spießrutenlaufen zwischen uns und den noch lebenden Be stien, sowie den dichter aufschließenden Gleitern. Vor uns waren ein paar wiedererweckte Insekten aufgetaucht. Da diese Kreaturen fast größer als wir waren, stellten sie eine ernstzunehmende Gefahr dar. Glücklicherweise fanden die Gleiter in ihnen einen Gegner, der anscheinend wichtiger als wir war. Eine riesige Mücke kollidierte mit einem Gleiter. Das Insekt versuchte trotz der Verletzungen, seinen stählern schimmernden Saugrüssel durch die Sichtkuppel zu bohren. Mücke wie Gleiter verloren dabei ständig an Höhe. Wir versuchten, dem herabsinkenden Gegnerpaar rechtzeitig auszuwei chen. In diesem Augenblick war die Mücke durch die Scheibe aus Panzerplast gedrungen und hatte ihren Rüssel in den Körper des steuernden Aras ge bohrt. Wir sahen, wie der Mann von einem Augenblick zum andern blutrot wurde. Dann löste er sich auf. Doch das Insekt überlebte seinen Sieg nicht. Der Gleiter prallte gegen mehrere Felsspitzen, überschlug sich und ging in Flammen auf. Eine
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schwarze Qualmwolke hing über dem Unglücksort. Wir sahen, wie mehre re Gleitereinheiten wütend in den Metallklumpen hineinschossen. Das Ergebnis hatte die anderen Aras vorsichtiger gemacht. Sie flogen jetzt in engaufgeschlossenen Staffeln und griffen die restlichen Urzeittiere nur im Verband an. Dann hatten wir den Tunnel der Eisen-Viwos erreicht. Wir wälzten keuchend einen Saurierrumpf beiseite. Ich schloß angewi dert die Augen und preßte die Zähne zusammen. Wenig später hatten wir die düstere Öffnung freigelegt. In der Tiefe glühten winzige Lichtpünkt chen. »Als ob die Sandkreaturen nur darauf warten würden, daß wir in ihr Reich eindringen«, flüsterte ich. »Uns bleibt keine andere Wahl. Oder willst du von den Aras zusam mengeschmolzen werden?« Ich verneinte selbstverständlich und kletterte über den niedrigen Wall, der den kaum mannshohen Tunnel von der Außenwelt abschirmte. Erst jetzt wurde ich auf die Blutspur aufmerksam, die sich vom Tunneleingang aus bis in den düsteren Gang fortsetzte. Fartuloon und ich hatten den gleichen Gedanken. »Ogh war hier und hat auch Zuflucht im Tunnel gesucht.« Das waren ja feine Aussichten, sagte ich mir. Aber es hatte keinen Sinn, noch länger hier draußen zu verharren. Außerdem war Ogh sicher schwer verletzt. Ich schwankte zwischen Haß und Freundschaft. Sicher war, daß ich den Körper meines zweiten Ichs nicht so leicht töten konnte. Wenn überhaupt! Ein Strahlschuß beendete abrupt unsere Zweifel. Die Aras hatten den Tunnelzugang aufs Korn genommen. Und sie schossen verdammt gut. Wenige Schritte, und wir waren im Höhlengang verschwunden. Hinter uns wurde die Öffnung vom glutflüssigen Gestein luftdicht ver siegelt. Ohne Strahlenwaffe würden wir nie wieder aus dem Tunnel kom men – es sei denn, es gab einen zweiten Ausgang.
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7.
Zuerst tasteten wir uns vorsichtig mit den Händen an der glattgeschmolze nen Wand vorwärts. Es war stockdunkel. Und die Luft war drückend und heiß. Mir war die Kehle wie nach einem tagelangen Wüstenmarsch ausge dörrt. »Paß auf, daß du keinen Viwo berührst!« Mein Extrasinn warnte mich vor den elektrischen Schlägen jener kleinen Sandbewohner. Doch mir war langsam alles gleichgültig geworden. Sollten die Kreaturen doch auftau chen und uns einen schnellen Tod verschaffen. Das war vielleicht besser, als ewig weiter durch die Finsternis zu stolpern. Zeitweilig wurde der Gang so eng, daß wir nur auf allen vieren vorwärtskriechen konnten. Als ich mir vorstellte, daß über uns womöglich einige hundert Tonnen Sand lasteten, drohte ich, in Panik auszubrechen. Fartuloon hörte mich stöhnen. Ich wußte selbst nicht, wie er es fertigbrachte, in einer solchen Lage die Nerven zu behalten. »Wir kommen irgendwie 'raus, Atlan. Denke an etwas anderes … kon zentriere dich!« Ich schüttelte den Kopf und merkte, wie der heiße Sand langsam von der engen Röhrenwand rieselte. »Hier kommen wir nicht mehr lebend 'raus.« »Denke an Farnathia!« Ich schloß die Augen und bemühte mich, meine aufkeimende Panik zu rückzudrängen. Farnathias Bild entstand vor meinem geistigen Auge. Der Extrasinn unterstützte mich dabei. Er lieferte mir fotografisch exakte Sze nen, wie ich sie selbst erlebt hatte. Farnathia … ich komme! Uns trennte eine unbegreifliche Barriere. Nicht nur dieser stickige Sand tunnel, nicht einmal die Wüste von Cematrang – nein, der Hyperraum! Erst wenn wir die Röhren der Skinen durchschreiten würden, konnten wir die nicht meßbare Distanz aus Raum und Zeit überwinden. Erst dann wür den wir auf den Skinenplaneten Tsopan gelangen, wo Farnathia in der POLVPRON auf mich wartete. Wie lächerlich gering war dazu die Di stanz zwischen dem Tunnel und der Ara-Station. Ich schöpfte neuen Mut und grub mich unermüdlich vorwärts. »Weiter so, Atlan«, rief Fartuloon dicht hinter mir. »Ich glaube, da vorn wird es heller.« Ich konnte nichts sehen. Fartuloon schien sich selbst etwas eingeredet zu haben, oder aber er war einer Halluzination aufgesessen. Aber es konnte keine Täuschung gewesen sein. Etwas kühlere Luft streifte mein schweißnasses Gesicht.
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Ich tastete mit beiden Händen neben mir die Rundung des Tunnels ab. Das war gewiß kein Vergnügen, wenn man auf dem Bauch lag. Meine Hände stießen ins Leere. Ich versuchte aufzustehen. Es gelang mir. »Hier ist wieder mehr Platz, Fartuloon«, rief ich begeistert. Ich wußte nicht mehr, wie lange wir schon durch die Finsternis gekro chen waren. Es war höchste Zeit gewesen, daß wir uns die Beine vertreten konnten. Ich fühlte, wie mir das Blut kribbelnd in die Füße schoß. Vor uns tauchten winzige Lichtpünktchen auf. Fast wie Sterne, durch zuckte es mich, wenn man nach geglückter Transition wieder in den Nor malraum eintauchte. Die Lichter kamen näher, umringten uns und spendeten einen milchigen Lichtschein. Die Konturen des engen Tunnels traten auf einmal reliefartig hervor und gestatteten uns einen Ausblick in das vor uns liegende Laby rinth. Nachdem sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah ich, daß die Viwos überall hockten. Wenn ich genau gewußt hätte, daß ihre diamantartigen Körperauswüchse mit Augen identisch waren, ich hät te geschworen, sie würden uns neugierig anstarren. Fartuloon zuckte zurück und stieß fluchend gegen die Tunneldecke, als einer der Eisen-Viwos einen Dampf strahl abließ. »Die Biester können uns hier unten bequem schmoren«, ließ Fartuloon in einem Anflug von Galgenhumor vernehmen. »Halbgar gesotten bin ich bei der Hitze ohnehin schon.« Es war teuflisch heiß. Ich hatte das Gefühl, die Eisen-Viwos würden die trockene Luft noch mehr aufheizen. Was wußten wir denn schon über den Metabolismus der seltsamen Sandkreaturen? Sie griffen uns nicht an, son dern schienen darauf zu warten, daß wir den ersten Schritt tun würden. »Los, Fartuloon … die scheinen heute ihren friedlichen Tag zu haben! Wir versuchen, einfach durchzubrechen.« Ich konnte nicht sehen, ob Fartuloon einverstanden war. Er kroch dicht hinter mir. Vor uns verschwand ein Viwo im geschmolzen schimmernden Sand. Die gesamte Tunnelröhre war mit einer harten Glasur überzogen. Nicht gleichmäßig, denn an vielen Stellen kam der Sand durch, aber völlig ausreichend, um dem Stollen eine gewisse Stabilität zu verleihen. Es wurde wieder dunkler. Dicht neben uns gähnten finstere Löcher. Wenn ich genauer hinschaute, erkannte ich die leuchtenden Sensorpunkte der Viwos. Verrückte Bande, dachte ich bei mir. Die Tiere hatten uns bis jetzt nichts getan. Anscheinend spürten sie instinktiv, daß wir keine Geg ner waren. Wenn ich es recht bedachte, handelten die Viwos völlig lo gisch. Als Fartuloon mit dem Schwert nach ihnen geschlagen hatte, folgte eine elektrische Entladung. Der Androide im Futtersilo der Luccis hatte sie zweifelsohne ebenfalls angegriffen. Die natürlichste Reaktion der Welt darauf war ein Defensivschlag. Ich wurde das Gefühl nicht los, daß wir
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uns hinsichtlich der Intelligenz dieser kleinen Wesen schwer getäuscht hatten. Es wäre nicht schwer gewesen, uns in diesem stickigen Sandtunnel elend ersticken zu lassen. Aber die Viwos taten nichts dergleichen. Sie be obachteten uns nur. »Ich würde so einen kleinen Burschen gern mit auf die POLVPRON nehmen, Fartuloon.« Hinter mir ertönte asthmatisches Schnaufen. Fartuloon hatte es wirklich nicht leicht, bei seinem Körperumfang durch die wieder enger werdende Röhre zu kriechen. »Ich bin froh, wenn ich von dieser Teufelswelt nichts mehr hören und sehen muß. Und du willst so ein Eisenbiest mit nach Tsopan schleppen. Noch sind wir nicht dort. Und ich bezweifle langsam, daß wir jemals wie der zu unseren Freunden zurückkehren können. Selbst wenn du einen Vi wo mitnehmen kannst, hast du die Rechnung ohne Corpkor gemacht. Un ser Tierbändiger würde dir den Viwo schnell ausspannen.« Fartuloon machte eine Pause. Reden und vorwärtskriechen konnte er nicht. »Keine Volksreden, alter Bauchaufschneider!« »Spott ist ein Vorrecht der Jugend! Nicht aber die Intelligenz«, rief mein Begleiter. »Hast du daran gedacht, daß ein Viwo mit aller Leichtig keit jede Raumschiffswandung durchschmelzen kann? Oder hast du ver gessen, daß die Eisenbiester auch durch den dicken Stahlbeton der AraStation gedrungen sind?« Ich erkannte, daß es töricht war, an ein Souvenir von Cematrang über haupt zu denken. Wir steckten tief unter der Wüste und wußten nicht mal, in welche Richtung wir gekrochen waren. Wir waren weit davon entfernt, an eine Rückkehr zu unserem Raumschiff auch nur denken zu dürfen. Ich zweifle auch daran, einen Viwo so einfach einpacken zu können. Die Sandbewohner schienen sehr eigenwillig zu sein. Ich grub meine Hände weiter in den heißen Boden und zog mich vor wärts. Immer wieder zerbröckelte die stützende Schmelzschicht in meinen Händen. Es faßte sich wie Plastik an, doch ich wußte, daß es zerschmolze ner Sand war, der sich mit den Ausscheidungsprodukten der Viwos ver bunden hatte. Dann stieß ich plötzlich ins Leere. Ein kalter Lufthauch traf mich wie ein Keulenschlag. Ich atmete tief durch und kroch hastig weiter. Die Tem peratur war schlagartig gesunken. »Ich glaube, wir haben es überstanden, Fartuloon.« »Hoffentlich!« Es ging jetzt schräg nach oben. Ein heller Lichtfleck umriß die ausge stanzt wirkende Öffnung. Gezackte Metallstreben ragten bizarr und sche renschnittartig herunter.
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»Über dir befindet sich ein Gebäude«, stellte mein Extrasinn folgerich tig fest. Meine Hände schrammten über Betonblöcke, die sich kantig in den Weg stellten. Ich achtete nicht darauf, sondern arbeitete mich fieber haft weiter hoch. Ich wollte endlich 'raus aus der stickigen Enge. »Wo sind wir herausgekommen?« wollte Fartuloon wissen. Ich schob mich vorsichtig höher. Zuerst sah ich gar nichts. Die Decke über mir schimmerte metallisch. Vor mir versperrte eine dunkle Masse die Aussicht. Ich stemmte mich mit einem Ruck hoch. »Ein Toter … da hinten liegen noch mehr!« Schlagartig erkannte ich die Umgebung wieder. »Der Androidensaal in der Station!« rief ich Fartuloon entgegen und reichte ihm die Hand. Wenig später standen wir im Raum und schüttelten den Sandstaub ab. Ich blickte mich aufmerksam um, denn seit unserem er sten Besuch hatte sich hier allerhand verändert. Die meisten Androiden waren von den Stapelregalen verschwunden. Der Rest lag am Boden. Strahlschüsse hatten die dürren Körper durch bohrt. Es waren auch zahlreiche Aras gestorben, nicht nur Androiden. Der Kampf mußte mit äußerster Heftigkeit und Härte geführt worden sein. In den Wänden gähnten dunkle Schmelzlöcher. Zahlreiche Regale waren zer splittert. Die Plastikteile lagen überall verstreut. »Wir hätten nicht früher hochkommen dürfen«, sagte Fartuloon. »Hier war die Hölle los.« »Sieht ganz danach aus!« Ich sah mich aufmerksam um. Mit einem Mal wußte ich, was mich so beunruhigte. Ich vermutete Ogh, den Träger meiner Bewußtseinskopie un ter den Erschossenen. Der Androide mußte kurze Zeit vor uns aus dem Schacht gekrochen sein, denn wir hatten ihn unterwegs nicht bemerkt. Ein Wunder, daß er es überhaupt so weit geschafft hatte. Wenn ich mich rich tig erinnerte, war Ogh ziemlich schwer verwundet gewesen. Der Saurier hatte tiefe Wunden in seinen Körper geschlagen. Dann war da noch der Sturz zwischen die Felsen gewesen. Ich hatte wirklich nicht damit gerech net, daß er so weit kommen würde. »Du machst dir Sorgen um Ogh?« fragte mein Extrasinn. Verwundert erkannte ich, daß es mir nicht mehr gleichgültig war, ob Ogh tot war. Ich empfand ein etwas brüderliches Verhältnis zu dem ver schwundenen Ara-Androiden. Ausschlaggebend dafür war natürlich das Wissen um seine seelische Identität. Meine Geisteskopie war in seinen Körper geschlüpft und hatte um seine Freiheit gekämpft. Ich fragte mich allen Ernstes, ob wir jemals zu einer Übereinkunft kommen konnten. Wür de ich Ogh oder würde Ogh mich nicht immer wieder als lästigen Konkur renten betrachten? Eine Frage konnte ich mir jedenfalls nicht beantworten: Warum hatte
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meine Bewußtseinskopie den Körper im Augenblick höchster Gefahr nicht wieder verlassen? Weshalb war sie weiter in Ogh geblieben? Ich hoffte, Ogh möglichst rasch zu finden. Das würde viele Dinge klä ren helfen. Es würde mich auch beruhigen. Ich ließ meinen Blick über die reglosen Körper der Androiden schwei fen. Ein eigentümlich stechender Geruch reizte meine Nasenschleimhäute. Mir fiel auf, daß mehrere Androiden verschwunden waren. Ich hatte die Toten eben noch gesehen. Jetzt waren sie wie vom Erdboden verschluckt. Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen, ich wandte mich an Fartu loon. »Hast du etwas bemerkt? Die Aras lassen ihre Toten verschwinden. Möchte bloß wissen, wie sie das anstellen.« Fartuloon schüttelte seinen Kopf. »Ich wollte dich auch gerade fragen, Atlan.« »Aber … außer uns ist doch keiner mehr in der Halle.« Ich brauchte nur Fartuloons ungläubiges Gesicht zu sehen, um zu wissen, daß er weder an Geister, noch an übermächtige technische Apparaturen dachte. »Hier ha ben eben noch fünf Androiden gelegen. Die können doch nicht spurlos verschwinden.« Uns beschlich ein äußerst ungemütliches Gefühl. Das düstere Halbdun kel der Halle und die vielen Toten bildeten eine unheimliche Kulisse! Wä re der stechende Geruch irgendeiner säurehaltigen Chemikalie nicht gewe sen, wir hätten das Gefühl gehabt, in einem zeitlosen Totenreich einge schlossen zu sein. Aber so wußten wir, daß die Aras eine Substanz besa ßen, mit der sie ihre Toten verschwinden ließen. »Säure!« schrie Fartuloon. Er deutete auf eine Gruppe verkrampft dalie gender Androiden. Ich konnte sehen, wie die Körper von einem Sprühregen umgeben wur den. Dann bildete sich ein schäumender Blasenteppich, die organische Substanz wallte auf und verschwand in ätzenden Dämpfen. Als ich genau er hinschaute, bemerkte ich kaum eigroße Roboter, die dicht über dem Bo den schwebten. Sie strahlten die auflösende Substanz ab. Ein eisiger Schreck durchzuckte mich. Was würde geschehen, wenn die Aras den unterirdischen Raum hermetisch abgeriegelt hatten? Die winzi gen Reinigungsroboter würden auch uns nicht verschonen. Fartuloon konnte sich gerade durch einen Sprung hinter das nächstlie gende Regal retten. Der Säurestrahl des fliegenden Roboters ließ einen To ten verschwinden. Das hatte ohne Zweifel dem Bauchaufschneider gegol ten. »Jetzt sind wir dran!« schrie Fartuloon. Ich hatte mich ebenfalls hinter das umgekippte Regal gekauert. Fartu loon war ins Schwitzen geraten. Im spiegelnden Material des Plexiglasre
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gales konnte ich mein Gesicht erkennen. Staub, Blut und Schweiß hatten es in eine erstarrende Maske verwandelt. Ich wandte mich entsetzt davon ab. Die Jagd auf mein zweites Ich hatte mich durch eine Hölle getrieben, die ich bisher höchstens aus Alpträumen gekannt hatte. Die Jagd auf den Träger meiner Bewußtseinskopie hatte mich verändert. Ich war härter und unnachgiebiger gegen mich und andere geworden. Ich war ein Gehetzter, erbarmungslos gejagt von der Angst, der andere könnte allein auf der Wal statt bleiben. Dieselben Gedankengänge mußte ich fairerweise meinem zweiten Ich zugestehen. Diese Identität machte mich rasend. Es war nicht das Gefühl, auf einmal nicht mehr allein und einmalig dazustehen, sondern ein bisher kaum gekanntes Gefühl der Ohnmacht. Ich hatte das Gefühl, eine willen lose Figur im Spiel unbekannter Mächte und Kräfte zu sein. Fartuloon riß mich aus den Grübeleien. »Sie gehen völlig systematisch vor, Atlan! Dort … die erste Staffel kommt genau auf uns zu, die anderen beiden Gruppen von links und rechts. Wir können hier nicht länger in Deckung bleiben.« Dicht vor uns verdampften weitere Androiden irrt Säureregen der Robo ter. Die Luft war von den ätzenden Verbindungen erfüllt, die durch die Umwandlung freiwurden. Das Atmen fiel uns immer schwerer. Ich entdeckte eine schmale Bresche zwischen den anrückenden Säube rungskolonnen. Wir zögerten nicht länger, sondern rannten wie von Furien gehetzt zwischen den Säurenebeln hindurch. Doch ein Säurestrahl erwischte mich haarscharf am rechten Arm. Ent setzt sah ich, wie sich meine Haut von einem Atemzug zum anderen blasig verfärbte. Fartuloon riß einen Stoffstreifen unter seinem Harnisch hervor und rieb die hellrote Stelle auf meinem Arm damit ab. Es schmerzte fürch terlich. Ich biß die Zähne zusammen, preßte den Stoffetzen fest auf die brennende Wunde und lief weiter. Miniskopen, bevor die Roboter weitere Androiden auflösten, die selt sam verkrampft neben uns lagen, sprang einer der vermeintlichen Toten blitzschnell auf. »Ogh …«, schrie ich. »Das ist doch Ogh!« Der Androide wich trotz seiner blutenden Brustwunden geschickt den heranschwebenden Robotern aus. Ehe wir reagieren konnten, war er im Halbdunkel der Halle verschwunden. Ich hörte, wie mehrere Regalwände krachend zusammenstürzten, dann war es bis auf das leise Zischen der Säurenebel still. Fartuloon riß kurz entschlossen das Skarg aus der Scheide. Zwischen uns und den Toren zu den dahinterliegenden Antigravschächten bildeten die Säuberungskolonnen der Mikroboter eine undurchdringliche Barriere. Mittlerweile waren nahezu alle Androiden aus der Halle ver
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schwunden. Die Säurenebel hatten ganze Arbeit geleistet. Mein Arm brannte wie Feuer. Das war ein Vorgeschmack dessen, was mich erwartete, wenn ich in den vollen Säureschauer einer Roboterstaffel geraten würde. Ich wußte, daß uns letztlich nur ein Weg aus der Falle übrigblieb: Der Tunnel der Eisen-Viwos! Mir graute davor. Ich konnte mir nicht vorstel len, die Tortur einer erneuten Durchquerung durchzumachen. Ich wußte, daß mich diese Wahnsinnstour noch lange in meinen Alpträumen verfol gen würde. Ich schüttelte unbewußt den Kopf. Lieber würde ich versu chen, irgendwie durch die Roboterstaffeln zu brechen, um zu den Anti gravschächten zu gelangen. Ogh hatte sich still verhalten. Ich hoffte, daß er jetzt vernünftigen Argu menten zugänglich war. Wir saßen im gleichen Boot. Auch wenn seine Verletzungen nicht so ernst waren, wie ich ursprünglich angenommen hat te, so würde er eine zweite Durchquerung des Viwo-Tunnels bestimmt nicht überleben. Dann sah ich den Androiden, wie er verzweifelt am Rand des Tunnel lochs kauerte. Er hatte sich abgestützt und starrte mit glanzlosen Augen in die düstere Tiefe. »Ogh!« rief ich. »Laufen Sie nicht weg! Sie kommen nicht noch einmal lebend aus der Station heraus.« Der Androide drehte langsam, fast zeitlupenhaft seinen spitz zulaufen den Kopf. Seine Augen waren weit geöffnet. Wieder hatte ich das eigen tümliche Gefühl, in einen Spiegel zu sehen. »Ogh … geben Sie's auf! Wenn wir uns jetzt nicht verständigen, ist es mit uns allen aus.« »Vorsichtig, Atlan!« rief Fartuloon. »Noch mal soll uns der Kerl nicht 'reinlegen.« »Keine Sorge, Fartuloon … diesmal weiß Ogh, worum es geht.« Ogh nickte langsam. Der Androide war aufgestanden. Ich konnte unter seiner zerfetzten Kombination die schrecklichen Wunden sehen, die ihm der Flugsaurier zugefügt hatte. Anscheinend waren Androiden wesentlich widerstandsfähiger als ihre Schöpfer. Ogh verzog jedenfalls keine Miene. »Ich habe keine Waffe mehr. Der verdammte Saurier …« Er machte ei ne Pause. Anscheinend bereitete ihm das Sprechen doch Schwierigkeiten. »Ihr hättet mich sonst nicht erwischt. Und die Roboter hätten mich nie mals aufhalten können. Ich wäre längst in der Kommandozentrale und hät te diesen Tocce-Lanceet erledigt.« »Aber Sie besitzen keinen Strahler mehr, Ogh. Auch ich habe keine funktionierende Waffe mehr. Die Chancen wären also wieder annähernd gleich verteilt.« Ogh deutete auf meinen Kombistrahler, der locker im Halfter steckte.
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Ich schüttelte den Kopf. »Nein … die Energiebatterie ist leer. Ich will Sie nicht bluffen, Ogh. Wie hätten Sie's denn gern … mit den Fäusten, oder mit einer Stahlstan ge?« Ich stieß mit dem Fuß an die Verstrebungen der Plexiglasregale, die überall am Boden verstreut lagen. Fartuloon wurde ungeduldig. »Hört auf zu reden! Die Roboter warten nicht so lange, bis wir hier rei nen Tisch gemacht haben.« Wir mußten erneut unsere Position verändern. Jetzt hatten die Roboter uns sogar vom Tunnel der Eisen-Viwos abgeschnitten. Ich sah, wie die Säurenebel den düsteren Schacht einhüllten. Von unten drang ein zorniges Zischen an unsere Ohren. Ich konnte mich aber auch getäuscht haben. Plötzlich packte Ogh eine Stahlverstrebung und schleuderte sie uns mit aller Kraft entgegen. Wir mußten uns ducken. Fartuloon stieß einen wü tenden Schrei aus. »Diese heimtückische Kreatur! Ich werde den Kerl vierteilen.« Hinter uns klirrte es metallisch. Ein Säureregen verschleierte uns die Sicht. Oghs Wurfgeschoß hatte mindestens fünf Roboter zerschmettert, die dicht hinter uns aufgetaucht waren. Einen Atemzug später hätten sie uns verdampft. Fartuloon drehte sich langsam um, ließ das Skarg in die Scheide zurück gleiten und schaute den Androiden ungläubig an. »Sie … Sie haben uns das Leben gerettet, Ogh!« »Soll ich meinen Bruder sterben lassen?« Ich lachte trocken. Das war die reinste Ironie. Ogh hatte bisher deutlich zu verstehen gegeben, daß nur einer von uns beiden überleben durfte. Ich hatte mich bisher daran gehalten. Was bezweckte er mit seinem plötzli chen Meinungsumschwung? »Allein komme ich hier nicht mehr 'raus! Ihr müßt mir helfen.« Der Bursche war logisch und dachte völlig folgerichtig. »Na gut … schließen wir einen Waffenstillstand. Wenn wir heil aus die ser Hölle herauskommen, erledigen wir das andere. Abgemacht?« »Abgemacht!« Ogh reichte mir die Hand. Sie fühlte sich kalt und schlangenhaft an. Das konnte daran liegen, daß er viel Blut verloren hatte. Aber auch am unter schiedlichen Stoffwechsel der Androiden. Trotzdem konnte ich mich eines seltsamen Gefühls nicht erwehren. Wer außer mir hatte schon einmal ei nem Wesen die Hand gegeben, das eine völlig identische Kopie des eige nen Bewußtseins beherbergte? Fartuloon machte eine unwillige Geste. Er hätte es wohl lieber gesehen, wenn wir eine andere Entscheidung getroffen hätten.
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Ich sah mich aufmerksam um. Die Roboter waren bis jetzt von drei Sei ten gekommen und hatten ein nahezu kreisförmiges Stück in der Hallen mitte übriggelassen. Hier lagen nur noch ein paar Androiden auf dem Bo den. Dafür stapelten sich neben uns die teilweise zusammengebrochenen Plexiglasregale. Ihre stählernen Stützbögen waren herausgebrochen, lagen am Boden oder steckten zwischen den Trümmern. »Wir schieben ein Regal vor uns her. Anders kommen wir nicht durch«, schlug ich vor. Fartuloon war skeptisch. »Und wenn die Säure das Material ebenfalls auflöst?« »Damit müssen wir rechnen. Eine andere Chance haben wir nicht. Be waffnet euch mit Stahlverstrebungen! Ogh hat uns ja bestens demonstriert, wie man die Roboter vernichten kann.« Ogh und ich handelten wie Zwillingsbrüder. Mein Extrasinn wies mich mehrmals darauf hin. »Laß dich nicht von ihm einwickeln. Er ist ein eben so guter Schauspieler wie du selbst. Aber ihm fehlt etwas, was du bereits als selbstverständlich hinnimmst: dein Extrasinn!« Ich beschloß, den Hinweis meines Extrasinns nicht aus der Sicht zu ver lieren. Wenn Ogh tatsächlich keinen Extrasinn besaß, konnte ich ihn spie lend überwältigen. Wir steckten uns mehrere Stahlverstrebungen in die Gürtel. Dann pack ten wir gemeinsam das nächststehende Regal an, kippten es um die eigene Achse, so daß es ein hochaufgewölbtes Schild vor unseren Körper bildete und schoben es langsam vorwärts. Es ging langsamer, als uns recht war, denn hinter uns hatten die Roboter aufgeschlossen. Ich wurde das Gefühl nicht los, daß man diese Teufelsdin ger auch fernsteuern konnte. Wenn Tocce-Lanceet an den Maschinen saß, war unser Schicksal besiegelt. »Gleich stoßen wir mit den Dingern, zusammen!« stieß Fartuloon zwi schen den zusammengepreßten Zähnen hervor. Das Scharren des vorwärtsrutschenden Regals mischte sich mit dem Zi schen der Säurenebel. Inzwischen war kein einziger Androide mehr zu se hen. »Jetzt!« Mehr als zwanzig Säureroboter prallten wie kleine Bälle gegen das durchsichtige Regal. Ich sah, wie die teuflische Säure in dicken Rinnsalen an der Regalwand vor uns herabtropfte. Doch sie drang nicht bis zu uns durch. »Aufpassen, daß wir nicht in das Teufelszeug treten!« Wir änderten die Richtung und schoben das Regal jetzt zielstrebig auf die breiten Tore zu, hinter denen sich die Antigravschächte befanden. Plötzlich wirbelte Fartuloon herum. Er erwischte mindestens sechs Ro
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boter mit dem Skarg. Es knackte metallisch, als die Roboter in der Luft zerschmettert wurden. Auf dem Boden vermischten sich die Reste mit den auslaufenden Säuretanks. Ich hielt erschrocken inne. Ogh zog ebenfalls blitzschnell die Hände von unserem Regal zurück. Ich streckte meine Hand vorsichtig aus und berührte das Regal. Die harte Plexiglasmasse war auf einmal weich wie Schaumstoff geworden. Äußerlich war noch keine Veränderung festzustel len, aber ich konnte unseren Schutzschild mit dem Finger durchstoßen. »Das haben wir der verdammten Säure zu verdanken. Anscheinend gibt es in dem Material teilweise organische Verbindungen, die jetzt ebenfalls aufgelöst werden.« Ich schätzte die Entfernung zu den verschlossenen Toren. »Wenn wir gezielt vorgehen, schaffen wir's vielleicht. Ogh … du wehrst mit mir zusammen die Roboter ab. Fartuloon muß versuchen, die Tore zu knacken.« Wir verloren keine weiteren Worte darüber und verließen unsere frag würdig gewordene Deckung. Wie Hornissen kamen die Roboter, ent schlossen, unsere Körper in den Säuredämpfen aufzulösen. Ogh und ich schlugen nahezu gleichzeitig mit den Stahlstangen zu. Mehrere Roboter gingen dabei zu Bruch. Wir mußten aufpassen, daß uns die Säurespritzer nicht erwischten. Auch die zweite Angriffswelle konnten wir abwehren. Es gelang uns zwar nicht, sie zu vernichten, aber doch zu mindest aus dem Kurs zu bringen. Fartuloon rannte brüllend an uns vorbei. Er ließ sein Skarg rotieren und schleuderte eine Reihe von Säuberungsrobotern gegen die Wand, wo sie zerplatzten. Aus den Augenwinkeln erkannte ich erleichtert, daß Fartuloon bereits am Tor angekommen war und sein Schwert zwischen die Trennlinie der Türhälften stemmte. Wir hatten alle Hände voll damit zu tun, um die immer wieder angrei fenden Roboter abzuwehren. Ich fühlte, wie mir der Schweiß in Strömen über den Rücken und die Brust lief. Keuchend hielt ich inne. »Wie steht's Fartuloon … können wir hier bald ausbrechen?« Fartuloon antwortete nicht. Dafür ertönte ein lautes Krachen. Ogh und ich ließen von den Robotern ab, die sofort heranschwirrten. Wir waren im gleichen Augenblick neben Fartuloon und stemmten uns ge meinsam gegen das Tor. Es knackte noch einmal, und die Torhälften schwangen auf. Wir stürzen erleichtert auf die Antigravschächte zu, deren Energiefeld uns verheißungsvoll entgegenschimmerte. Plötzlich zischten mehrere Strahlschüsse über uns hinweg. Hinter uns verschmorten die übriggebliebenen Säuberungsroboter im Gluthauch der
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Desintegratoren. Wir blieben wie erstarrt stehen. »Keine Bewegung! Die nächste Salve trifft euch.« Das war Tocce-Lanceet gewesen. Seine Leibwache kam aus der Deckung und richtete ihre schweren Thermostrahler auf unsere Körper. Ich sah, wie Ogh zu schwitzen begann. Seine Hände zitterten, während sein Gesicht überhaupt keine Gefühlsregung ausdrückte. Der Androide mit meinem Bewußtsein schien zu wissen, daß seine Chancen noch schlechter standen als unsere. Ich wollte die Wachtposten beruhigen. Doch Tocce-Lanceet kam mir zuvor. Er versperrte uns demonstrativ den Weg zu den Antigravschächten. »Ihr habt meine Station beinahe verwüstet. Mein Androidenprojekt ist gescheitert. Meine kühnsten Träume sind zunichte gemacht worden. Das habe ich euch zu verdanken. Ihr werdet einen schrecklichen Tod sterben.« Tocce-Lanceet zerrte ein kleines Glasröhrchen aus der Kombinationsta sche und hielt es gegen das Licht. Ich konnte winzige Kristalle erkennen, die in einer blauen Emulsion schwebten. Das grelle Licht der Deckenbe leuchtung warf schimmernde Reflexe über die seltsame Substanz. Tocce-Lanceet grinste teuflisch. »Ihr erinnert euch sicherlich an den Medo-Inspektor, der kurz vor eurer Ankunft auf Cematrang aus der Station floh. Ihr seid ihm in der Wüste be gegnet.« Und ob ich mich an den bedauernswerten Ara erinnerte! Mein Extrasinn vermittelte mir fotografisch exakte Szenen. Vor meinem geistigen Auge entstand das Bild des Aras, der bei lebendigem Leibe verfault war. Erst das Suchkommando, das wenig später mit einem zweiten Magnetschweber aufgetaucht war, hatte den unglaublichen Vorgang beendet. Der Ara-Kommandant hielt das Röhrchen mit der blauen Emulsion de monstrativ hoch. »Und hier haben wir dieselben Viren, die den Körper des Medo-Inspektors langsam verfaulen ließen. Wir besitzen leider noch kein Gegenmittel. Wer damit experimentiert, muß mit allem rechnen. Norma lerweise arbeiten wir mit dem Omega-Virus in absoluter Isolation. Der Medo-Inspektor beging einen Fehler, den er nicht mehr rückgängig ma chen konnte.« Ich ahnte, was jetzt kommen sollte. Tocce-Lanceet wollte uns mit die sem grauenhaften Virus infizieren. Fartuloon wollte instinktiv nach seinem Skarg greifen, doch die Ab strahlmündungen der gegnerischen Thermostrahler ruckten sofort hoch. Es hatte keinen Sinn. Die Aras würden uns bereits zerstrahlt haben, bevor Fartuloon sein Schwert auch nur aus der Scheide gerissen hätte. Tocce-Lanceet wollte seinen Triumph auskosten. Er malte uns den Be ginn des körperlichen Verfalls in allen Einzelheiten aus.
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Ich brächte ihn zum Schweigen. »Sie sind die krankhafteste Intelligenz, die mir jemals begegnet ist. Ich frage mich, welche Daseinsberechtigung Sie überhaupt noch haben. Sie sind eine Schande für die belebte Natur!« Der Kommandant hatte mich ausreden lassen. Ich konnte sehen, wie sich die weiße Haut über seinen Schläfen spannte. Dieser Ara empfand un bändigen Haß uns gegenüber. Weshalb? Abgesehen von seiner psychi schen Abnormität mochte ein gewisser Neid daran schuld sein. Neid dar über, daß wir Cematrang verlassen konnten, und er mußte hierbleiben. Ein Verbannter im Hyperraum. Auf Gnade und Verderb den Skinen ausgelie fert. »Wir hätten diese Welt verlassen können, wenn Sie das Androidenpro jekt nicht vernichtet hätten«, stieß Tocce-Lanceet wütend hervor. »Diese Körper sollten einmal nach Tsopan geschafft werden, wo sie unsere Be wußtseinsduplikate aus den Speichern der Skinen hätten übernehmen kön nen. Wir hätten die Skinen mit unseren Doppelgängern im Handumdrehen besiegen können. Und ihr seid schuld daran, daß der große Plan geschei tert ist. Deshalb werde ich jede Skope eures körperlichen Zerfalls mit größter Befriedigung verfolgen.« Wir verhielten uns abwartend. Angesichts der drohenden Thermostrah ler hatten wir auch keine andere Wahl. Wir standen vor der Entscheidung, ob wir den schnellen Tod durch die Strahlwaffen oder den langsamen Tod durch die Viren wählen sollten. Ich lehnte beides ab. Solange wir nicht in fiziert waren, würde ich mich nicht aufgeben. »Zurücktreten!« forderte Tocce-Lanceet die Waffenträger auf. Folgsam wichen die Uniformierten bis an den Rand des Antigrav schachts zurück. Sobald wir erledigt waren, würden sie in das aufwärts ge polte Kraftfeld springen. Ich ahnte, daß eine Sicherheitszone energetischer Art diese Etage von den anderen absperren würde. Tocce-Lanceet hatte bestimmt dafür gesorgt, daß seine Station nicht gefährdet wurde. Ich spielte meinen letzten Trumpf aus. »Das wird den Skinen nicht gefallen, Tocce-Lanceet. Wir haben freies Geleit. Wie wollen Sie diese Privatexekution vor dem Rat der Skinen rechtfertigen?« Der Ara antwortete mir nicht. Ich sah, wie seine Augenlider nervös zuckten. Also hatte ich ins Schwarze getroffen. Die Skinen befanden sich noch auf Cematrang, um die Röhrenverbindung zu reparieren. Auch wenn das inzwischen schon geschehen war, so würden einige von ihnen sicher lich noch Überprüfungen der Hyperraumtore vornehmen. »Ich töte euch jetzt!« keuchte der Ara. Während Tocce-Lanceet das Röhrchen hob, um es zwischen uns zu werfen, ertönte im leeren Saal der Androiden ein bekanntes, rhythmisches Pfeifen.
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Überrascht ließ der Ara die Hand sinken. Im selben Augenblick sprang ich auf den Kommandanten zu, stieß ihn vor die Brust und hechtete gebückt auf den Antigrav zu. Ein Glutstrahl zuckte über mich hinweg. Ich sah noch wie Tocce-Lanceet sich schreiend in den Scherben der Viruslösung wälzte, dann hatte ich zwei der Bewaff neten unterlaufen. Fartuloon und Ogh waren nicht müßig gewesen. Als ich Tocce-Lanceet angegriffen hatte, waren sie ebenfalls gegen die Wachen vorgegangen. Fartuloon erledigte den Nächststehenden mit dem Skarg, Ogh packte den anderen und schleuderte ihn über die Schulter. »Nicht zu nahe an Tocce-Lanceet 'rangehen!« schrie ich. Die Viren wa ren hochaktiv, und die leiseste Berührung genügte, um sich mit ihnen zu infizieren. Ogh besiegte den letzten Wachtposten. Als ich sah, wie geschickt der Androide die Dagortechnik beherrschte, mußte ich grinsen. Immerhin wurde sein Körper von meiner Bewußtseinskopie beseelt. Er konnte ge nauso gut kämpfen wie ich. Bis auf kleine körperliche Unterschiede natür lich. Tocce-Lanceet kroch auf allen vieren näher. Wir sprangen geschickt beiseite und entgingen seinen verkrallten Händen. In den wenigen Augen blicken seit der Infektion hatte sein Gesicht eine bläuliche Färbung ange nommen. Schwarze Pusteln übersäten seine Haut. Er machte verzweifelte Anstrengungen, uns doch noch zu berühren. Dann gab er es auf. Doch sei ne Augen schimmerten noch immer aktiv. Er wollte uns einen Schwäche anfall vortäuschen, um dann im letzten Augenblick vorzuspringen. Als er sah, daß wir ihm den Gefallen nicht taten, bat er wimmernd um eine Strahlenwaffe. »Sie haben selbst gesagt, daß es gegen das Virus kein Gegenmittel gibt«, stellte ich kalt fest. »Sie sterben den Tod, den Sie uns zugedacht ha ben. Ich halte das für eine sehr gerechte Lösung, Tocce-Lanceet.« Der Ara kroch auf die bewußtlosen Wachtposten zu. Ich wollte nicht zulassen, daß noch weitere Aras von den Teufelsviren infiziert wurden. Ich ergriff den nächstliegenden Thermostrahler und drückte ab. In den Impuls gluten verschwand der teuflische Ara mitsamt seinen tödlichen Keimen. Ein Glutfleck am Boden wurde bald aschig dunkel. Dann war nichts mehr von ihm zu sehen. Ich wandte mich an Ogh. »Jetzt können wir uns weiter unterhalten. Noch immer Lust auf den Entscheidungskampf?« Ogh schüttelte den Kopf. »Ich habe gesehen, wie du kämpfen kannst, Atlan. Leider kann ich frei willig nicht aus diesem Körper entfliehen. Andererseits ist es für mich eine große Belastung, dauernd mit meinem Original konfrontiert zu werden …
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aber ich glaube, es läßt sich irgendwie arrangieren.« »Er kann tatsächlich nicht aus seinem Körper fliehen«, wisperte mein Extrasinn. Ich schlug dem Androiden derb auf die Schulter. Automatisch wandte ich im Gespräch das persönliche »Du« an. Er war für mich so etwas wie ein Bruder geworden. Sein Androidenkörper, der einem Ara perfekt nach gebildet war, störte mich überhaupt nicht. »Die Skinen werden uns darüber mehr sagen können. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn wir jetzt nach Tsopan zurückkehren. Dort kannst du auch deine Wunden behandeln lassen.« Ogh lächelte versöhnlich. »Ich begleite euch.« Fartuloon war das Ganze noch ziemlich verworren. Er konnte wohl nicht verstehen, daß ich mich mit Ogh geeinigt hatte. Immerhin hatten wir verzweifelte Anstrengungen unternommen, seiner habhaft zu werden. Wir hatten mehr als einmal unser Leben aufs Spiel gesetzt, um die flüchtige Bewußtseinskopie zu fangen oder doch wenigstens zu vernichten. Der Antigrav transportierte uns. Der übliche Laborbetrieb empfing uns. Die größten Schäden des Andro idenausbruchs waren bereits beseitigt worden. Anscheinend wußten die Aras nichts von den Plänen ihres Kommandanten. Niemand nahm Notiz von uns. Wir kamen ungehindert in den Röhrensaal. Fartuloon flüsterte mir hastig ein paar Sätze zu. »Besser wir binden den Skinen nicht alles auf die Nase. Sollen sie später selbst erfahren, daß Toc ce-Lanceet tot ist. Je eher wir mit der POLVPRON starten können, desto besser.« Ich nickte ihm unauffällig zu. Zwei skinische Wissenschaftler empfingen uns vor der Röhre. Die grau braunen, etwa anderthalb Meter langen Körper richteten sich auf ihrem hinteren Beinpaar auf. Aus den tragbaren Translatorgeräten ertönten ihre seelenlosen Stimmen. »Ihr habt also Erfolg gehabt. Sehr gut, denn das Transportsystem ist in zwischen auch wieder repariert worden. Wir können sofort nach Tsopan zurückkehren.« Sonst nichts. Ich hatte; gehofft, mehr über den seltsamen Umstand zu erfahren, daß meine Bewußtseinskopie nicht mehr den Körper Oghs ver lassen konnte. Wir durchschritten das Röhrentor. Es ging alles ganz reibungslos. Doch kaum hatte ich mich wieder daran gewöhnt, endlich auf dem Planeten der Skinen angelangt zu sein, da packten sie Ogh und schleppten ihn mit sich. Ein Skine beruhigte mich. »Wir müssen ihn untersuchen. Irgend etwas stimmt mit ihm nicht. Wir geben euch Bescheid, wenn alles vorüber ist. Solange müssen wir euch noch in Quarantäne halten.«
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Auch das noch! Fartuloon stieß einen unwilligen Seufzer aus, als man uns in einen kahlen Zellenraum begleitete. Zwei niedrige Pritschen bilde ten das einzige Mobiliar. Fenster besaß der Raum nicht. Lediglich eine kleine Leuchtstoffröhre. An den Wänden entdeckte ich die buckelartig vorgewölbten Sensoröffnungen. »Möchte wissen, womit ich das alles verdient habe«, klagte Fartuloon. »Mein armer Bauch. Soviel habe ich noch nie abgenommen.« Dann vergingen etwa fünf Maxiskopen. Wir konnten nichts dagegen un ternehmen. Es wurde uns auch nicht erlaubt, Kontakt mit unseren Freun den auf der POLVPRON aufzunehmen. Als die Zellentüren lautlos aufglitten, sprangen wir von den Liegen und sahen den hereinkommenden Skinen neugierig entgegen. Die Organschei ben der fremdartigen Intelligenzen schimmerten verhalten. Im Hintergrund flimmerte ein Fesselfeld. Ogh stand darunter und mach te einen zerknirschten Eindruck. »Haben sie dich untersucht, Ogh … und was ist mit dem Bewußtsein?« Die Stimme des Ara-Androiden klang merkwürdig verzerrt. Daran war das Fesselfeld schuld: »Sie können mich nicht davon befreien. Auch mit ihren Geräten nicht.« »Er hat recht«, stimmten die Skinen zu. »Und deshalb werden wir ihn töten. Wir wissen jetzt, daß ein Androidenkörper, der ja unbeseelt ist, kei ne Bewußtseinskopie mehr freigibt. Es sei denn, man würde den Körper töten.« Ich konnte es nicht zulassen, daß sie Ogh kaltblütig abschlachteten. »Das ist Mord!« Die Skinen schalteten die Translatoreinheiten ab. Ich erkannte aufgrund ihrer flimmernden Organscheiben, daß sie aufgeregte Diskussionen führ ten. Dann hatten sie sich endlich entschieden. »Ihr könnt ihn mitnehmen. Wir wünschen euch einen guten Start.« Fartuloon protestierte. Ihm war es alles andere als recht, daß Ogh mit uns zur POLVPRON kam. Aber ich setzte meinen Willen durch. Fartuloon wurde auch bald von Ogh abgelenkt. Auf dem Weg zum Startfeld begeg nete uns ein kleines, schwarzes Tier, dessen halbmondförmiger Körper von blitzenden Diamanten besetzt war. Das Wesen schien über den Betonboden zu schweben und hinterließ ei ne dampfende Schmelzspur. Sein heiseres »Viwo, Viwo« kündete von ei ner gewissen Erregung. Fartuloon machte einen weiten Bogen um die Kreatur von Cematrang und beeilte sich, in der Schleuse der POLVPRON zu verschwinden. Von einem Skinen erfuhr ich, daß der Viwo durch die Röhre gegangen sein sollte. Und zwar wenige Augenblicke nach unserem Durchgang. Sie hatten versucht, das Wesen zurückzutreiben, doch es war ihnen nicht ge
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lungen. Sie wollten keine schweren Waffen anwenden, weil sie den Viwo für ungefährlich hielten. Ich mußte grinsen, als der Sandbewohner von Cematrang ebenfalls in der POLVPRON verschwand. Ein Skine bot mir an, pulsierende Kraftfel der zur Beseitigung des Wesens anzuwenden, doch ich lehnte es ab. Die Viwos waren harmlos – wenn man sie nicht angriff. Und wer sollte das Wesen an Bord der POLVPRON angreifen? Ich verabschiedete mich von den Skinen. In der Schleuse erwartete mich Farnathia. Ein Blick in ihre rötlich schimmernden Augen verriet mir, daß sie unendlich froh war, mich wieder in ihrer Nähe zu haben. Sie wußte bereits, daß Ogh der Träger meiner Be wußtseinskopie war. Als ich Farnathia im Arm hielt, wurde mir erst die Tragweite dessen klar, was ich durch meine Entscheidung herbeigeführt hatte. Ogh konnte zu meinem Nebenbuhler werden. Ich verdrängte den Gedanken daran und küßte Farnathia. Ich hörte nicht mehr, wie sich die Schleuse automatisch verriegelte. In Farnathias Armen vergaß ich die Strapazen der letzten Zeit. Sie wür de mir auch dabei helfen, die Alpträume von Cematrang zu vergessen. ENDE
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