Lass dich lieben, überall! Pamela Burford Tiffany 946 12/ 1 2001
gescannt von suzi_kay korrigiert von Joe
1. KAPITEL ...
14 downloads
618 Views
409KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
Lass dich lieben, überall! Pamela Burford Tiffany 946 12/ 1 2001
gescannt von suzi_kay korrigiert von Joe
1. KAPITEL "Du kennst den Mann gar nicht?" "Ich sagte doch schon, dass es ein Blind Date ist, Mom." Charli Rossi kramte in ihrem Schmuckkasten, einem Relikt aus ihrer Kindheit, wie fast alles andere in dem kleinen Zimmer im Dachgeschoss, das sie einst mit ihren beiden Schwestern geteilt hatte. Sie erinnerte sich noch, wie erwachsen sie sich mit zehn Jahren gefühlt hatte, als ihre Großeltern ihr den Schmuckkasten zu Weihnachten geschenkt hatten. Heute, zwanzig Jahre später, war der goldene Anstrich längst verblasst. "Davon kann ich nichts tragen!" Charli leerte den Schmuckkasten auf dem Bett aus. "Kannst du mir nicht deine Perlenstecker leihen?" "Wie wäre es hiermit?" Ihre Mutter hielt ein Paar blaue Emailohrringe hoch. "Ach Mom, die sind unmöglich!" "Wieso? Robby hat sie dir zu deinem sechzehnten Geburtstag geschenkt." Robby war einer von Charlis fünf Brüdern. "Sie passen zu dir." Charli sah sich im Spiegel über der Kommode an. Ja, dachte sie düster, diese schäbigen Ohrringe passen zu mir. Wie das Kleid, das sie herausgesucht hatte, ein matronenhaftes Hemdblusenkleid mit weißen Blumen auf kornblumenblauem
Hintergrund. Und ihre beigefarbenen Ballerinas waren auch nicht gerade mehr up to date. Raven Muldoon, eine ihrer drei besten Freundinnen, trug meist wadenlange oder sogar knöchellange Röcke, die leger und dennoch stilvoll an ihr wirkten. Amanda Coppersmith trug oft elegante Kostüme mit sehr kurzen Röcken und zeigte ihre wohlgeformten Beine. Und Sunny Bleecker ... Nun, die hatte einen ganz eigenen Stil, wenn sie nicht gerade ihre hässliche Kellnerinnenuniform trug. Angesichts ihrer eigenen langweiligen Erscheinung musste Charli zugeben, dass das raffinierteste Kleidungsstück, das sie besaß, ein smokingähnlicher schwarzer Hosenanzug war, den sie zu Schulkonzerten trug, wenn sie das Symphonieorchester ihrer achtundneunzig besten Schüler dirigierte. Ihr dunkelbraunes Haar war glatt und schulterlang. Heute Abend hatte sie es in der Mitte gescheitelt und mit Schildpattspangen an den Seiten festgesteckt. Was ihr Gesicht anging - sie wünschte jetzt, sie hätte es gelassen, wie es war. Sie hatte mit Rouge und Lippenstift experimentiert, und es war recht ungewohnt für sie, so viel Farbe auf ihrer olivefarbenen Haut zu sehen. Auch an den Anblick ihrer schwarz getuschten Wimpern konnte sie sich nicht gewöhnen. Sie blickte auf die Uhr. Zu spät, um sich noch umzuziehen, selbst wenn sie etwas Schickeres besessen hätte. Zu spät auch, um das Make- up zu entfernen. "Und ich brauche auch deine Perlenkette, Mama", sagte sie und lief zum Schlafzimmer ihrer Eltern. Ihre Mutter folgte ihr. "Nimm meine pinkfarbene Strickjacke. Ich würde dir ja meine gute weiße leihen, aber die kannst du nicht vor dem Memorial Day anziehen. Und Ostern ist erst in vierzehn Tagen." Charli stöhnte innerlich. "Ich ziehe die beigefarbene Leinenjacke an, die Amanda mit mir ausgesucht hat."
"Den Blazer? Der ist viel zu streng. Darin würde der junge Mann, mit dem du ausgehst, dich für eine kalte Zicke halten." Und mit deiner Strickjacke, dachte Charli, würde er mich für seine eigene Mutter halten. Oder für eine unverheiratete Tante, was sie schließlich ja auch war. Genauer gesagt sogar schon Großtante, dank ihres Neffen John, der im letzten Jahr Vater von Zwillingen geworden war. Charli hantierte am Verschluss der Kette. "Nun sei nicht so nervös", bemerkte ihre Mutter. "Soll dieser Fremde, den du nicht mal kennst, sich doch fragen, ob er dir gefällt!" Charli legte die Perlenstecker an und lief hinunter, um das Klingeln abzuwarten. Sie wollte um jeden Preis vermeiden, dass ihr Blind Date auf dem Sofa im Wohnzimmer warten und sich von ihrem Vater verhören lassen musste. Auf halbem Weg hinunter änderte sie jedoch die Richtung - sie hatte ihren Blazer vergessen. "Sag mal, musst du mich gleich umrennen?" beschwerte ihre Mutter sich. "Warum läufst du mir auch hinterher?" versetzte Charli ärgerlich und stürmte weiter. "Sprich nicht in diesem Ton mit deiner Mutter!" brüllte ihr Vater aus der Küche. "Lass das Kind in Ruhe, Betty. Das ist seit drei Jahren und vier Monaten ihre erste Verabredung!" Na, vielen Dank, dass du die Nachbarn auf dem Laufenden hältst, dachte Charli. Wo war der Blazer? Er hätte in ihrem Schlafzimmer sein müssen - Gharli wusste, dass sie ihn auf den Stuhl gelegt hatte. Sie drehte sich um dreihundertsechzig Grad und begann in ihrem Schrank zu wühlen. "Wo ist mein Blazer? Mom, hast du ihn weggehängt?" "Ich habe ihn nicht angerührt!" schrie ihre Mutter von unten. "Zieh meine Strickjacke an. Und nimm dir meine rosa Strohhandtasche - sie steht im Kleiderschrank. Da, es klingelt! Ich lasse deinen jungen Mann herein."
O Gott! Charli hatte selbst öffnen wollen, um dann rasch hinauszuschlüpfen. Stimmen drangen nun zu ihr hinauf. Moms hohe, schrille, die sogar noch lauter als gewöhnlich war, als sie Charlis Date hereinbat. Wo war nur der verdammte Blazer? Charli stürzte in das Badezimmer und sah an den Kleiderhaken nach, an denen der grüne Frotteemantel ihres Vaters, das gestreifte Hauskleid ihrer Mutter und die Stützstrumpfhose ihrer Großmutter hingen. Kein Blazer. Charli brach der Schweiß aus, als sie in ihr Zimmer zurücklief. Konnte sie ohne Jacke gehen? Nein. Es war Mitte April und noch ziemlich kühl abends. Während sie hektisch ihr Zimmer durchsuchte, hörte sie unten ihren Vater in seinem derben Brooklyner Akzent sprechen. Eine tiefe, kultivierte Männerstimme antwortete ihm. Ihr Vater musste etwas gesagt haben, was ihrer Mutter missfiel, denn sie begann ihn wie eine aufgebrachte Henne anzukeifen. Dann gesellte sich die melodiöse Stimme ihrer Großmutter zu der ohnehin schon bunten Mischung, als sie ihren Sohn und ihre Schwiegertochter ermahnte, sich in Gegenwart von Carlottas Freund anständig zu benehmen. Carlottas Freund! O Gott, bitte mach, dass sie das nicht gesagt hat! dachte Charli. Sie ließ sich auf das schmale Bett fallen und schlug die Hände vors Gesicht. Warum versuchte sie überhaupt einen Mann zu finden? Sie hätte doch scho n damals auf der High School, als sie und ihre drei Freundinnen den "Heiratspakt" geschlossen hatten, wissen müssen, dass so etwas nicht funktionieren konnte. Na schön, bei Raven hatte es geklappt, selbst wenn sie große Verwirrung gestiftet hatte, als sie sich in den Bruder des Mannes verliebte, den die drei anderen Freundinnen für sie ausgesucht hatten. Aber dann hatte sich doch alles zum Guten gewendet Raven und
Hunter waren heute von ihrer Hochzeitsreise zurückgekehrt. Der erste Erfolg des Heiratspakts. Aber Charli war nicht Raven; sie besaß weder ihr Selbstvertrauen noch ihre Kontaktfreudigkeit, von ihrem Aussehen ganz zu schweigen. Charli hatte nichts, was das Interesse eines Mannes wecken könnte. Das Gezanke unten hatte aufgehört. Charlis Nackenhaare richteten sich auf. Wenn ihre Eltern sich nicht stritten, konnte das nur bedeuten, dass jemand ein ernsthaftes Gespräch mit "Carlottas Freund" begonnen hatte. Mit einem resignierten Seufzer ging sie ins Schlafzimmer ihrer Eltern und nahm die pinkfarbene Strickjacke aus dem Schrank. Sie wünschte, sie hätte dieses verflixte Date schon hinter sich, als sie die Treppe hinunterstieg. "Was machen Sie beruflich?" hörte sie ihren Vater fragen. Die kultivierte Stimme antwortete: "Ich bin Rechtsanwalt. Seit fünf Jahren bin ich bei Farman, Van Cleave und Holm." "Im Ernst? Sie sind an der Wall Street?" "Ja." "Na so was." Am Fuß der Treppe atmete Charli tief durch, straffte die Schultern und ging durch die Diele in das Wohnzimmer, das ausschließlich für Besucher reserviert war. Es war immer nur für Besucher reserviert gewesen, auch während Charlis Kindheit schon, als dieses kleine Haus an der Südküste Long Islands oft zehn Leute unter seinem Dach beherbergt hatte. Dad spielte den Hausherrn und hielt in einem chintzbezoge nen Ohrensessel Hof. Grandma Rossi - das rundliche, schwarz gekleidete Familienoberhaupt - thronte in dem anderen Sessel. Ihre Füße in den festen Schuhen erreichten kaum den Teppich, ihr graues Haar war straff zurückgekämmt zu dem gewohnten Knoten. Charlis Blick glitt zu dem Mann, der auf dem Sofa saß.
Als Erstes fiel ihr auf, dass sie keinen betont jungenhaften Typ vor sich hatte, sondern einen gestandenen Mann ungefähr Ende dreißig. Als sie das letzte Mal mit einem Mann ausgegangen war - das musste über drei Jahre her sein - waren sie und der Mann beide sechsundzwanzig gewesen. Tim McMurty, ein geschiedener Klempner, dessen Vater oft mit ihrem Dad zum Angeln ging. Tim hatte sie danach nie wieder angerufen. Sie hatte gehört, dass er wieder geheiratet hatte. Charli betrat das Wohnzimmer. Der Mann, den ihre Freundinnen für sie ausgesucht hatten, bemerkte sie. Nach dem ersten Blick verbarg er seine Enttäuschung wie ein Gentleman, erhob sich mit einem höflichen Lächeln und reichte ihr die Hand. Charli wäre am liebsten wieder hinaufgelaufen, um sich im Bett zu verkriechen. "Sie müssen Charli sein", sagte er. "Ich bin Grant Sterling." Er war etwa einsfünfundachtzig groß, hatte kurzes braunes Haar und wache braune Augen, denen nichts zu entgehen schien. Er trug eine n grauen Seidenblazer, ein weißes Hemd und eine graue Hose. Keinen Schlips - sein Kragen stand vorn offen. Charli zwang sich, sein Lächeln zu erwidern. "Schön sie kennen zu lernen." Betty Rossi kam mit einem Tablett herein, auf dem eine Schale mit Plätzche n und ihr bestes Porzellan standen. "Der Kaffee ist gleich fertig." "Mama, wir bleiben nicht zum Kaffee", erklärte Charli und ging in die Diele, um ihre braune Lederhandtasche zu holen. "Ich hab dir doch gesagt, du sollst meine rosa Strohhandtasche nehmen! Dieses braune Ding sieht scheußlich zu der Jacke aus." Mom stellte das Tablett auf den Couchtisch. "Für ein Plätzchen habt ihr doch noch Zeit. Nehmen Sie doch bitte wieder Platz." "Wir haben einen Tisch reserviert", behauptete Charli mit einem raschen Blick auf Grant und fragte sich, ob es wohl stimmte. Sie hatte keine Ahnung, wohin er mit ihr wollte.
Er wandte sich an ihre Mutter. "Das ist richtig, Mrs. Rossi. Ich habe für acht Uhr einen Tisch bestellt, und wenn wir auch nur fünf Minuten zu spät kommen, verlieren wir ihn. Und wegen der Straßenarbeiten auf dem Cross Island Parkway könnte es eine Weile dauern, bis wir in der City sind." "Für ein Plätzchen habt ihr Zeit", beharrte Mom. "Setzt euch." "Sie haben keine Zeit, Betty!" warf Grandma ein. "Lass sie gehen!" "Nur ein Plätzchen!" Grant tat, als blickte er auf die Uhr. "Ich fürchte, wir müssen ein andermal darauf zurückkommen. Aber trotzdem vielen Dank, Mrs. Rossi." Er reichte Charlis Vater die Hand. "Es war mir ein Vergnügen, Sir." "Ebenfalls." Sichtlich beeindruckt von Grants Manieren, schüttelte Mr. Rossi ihm die Hand. "Wann werden Sie sie heimbringen?" Grandma hob entnervt die Hände. "Carlotta ist eine erwachsene Frau, Joey. Sie kann kommen, wann sie will." Er tippte sich mit einem plumpen Zeigefinger an die Brust. "Ich bin ihr Vater!" "Sie ist dreißig Jahre alt!" protestierte Betty, während Grandma Rossi über die Indiskretion ihrer Schwiegertochter die Stirn runzelte. "Sie braucht nicht mehr um elf daheim zu sein." Charli dachte, Grant wäre vermutlich froh, sie schon um neun heimzubringen, sagte aber nur, als sie zur Tür ging: "Wartet nicht auf mich." Draußen war es schon fast dunkel und so kühl, dass Charli gezwungen war, die pinkfarbene Strickjacke überzuziehen. Grant öffnete die Beifahrertür der silbergrauen Limousine, und Charli setzte sich auf das kalte Lederpolster. Beide schwiegen, als Grant Richtung Highway losfuhr. Charli unterdrückte den Impuls, sich zu entschuldigen. Sie war bestimmt nicht das, was Grant erwartet hatte, als er sich auf dieses Blind Date einließ.
Was mochte Raven ihm erzählt haben? Und was hatte Raven auf die Idee gebracht, ein weltmännischer, kultivierter Mann wie Grant Sterling könne sich für eine Frau wie Charli interessieren? Schließlich brach sie das Schweigen. "Danke, dass Sie mir geholfen haben, wegzukommen. Meine Eltern sind manchmal etwas zu fürsorglich." "Kein Problem. Ich schätze, das ist einer der Nachteile, wenn man noch bei seinen Eltern lebt." Etwas in seinem Tonfall ärgerte sie. "Sie brauchen jemand, der sich um sie kümmert", sagte sie. "Mama und Papa sind über siebzig. Und Nonni, meine Großmutter, ist schon dreiundneunzig." Grant warf Charli einen Blick zu. "Dann waren sie schon um die vierzig, als sie Sie bekamen?" Sie nickte. "Ich bin das jüngste von acht Kindern." "Und Ihre Geschwister?" "Sie leben zwar alle in der Nähe, sind aber verheiratet und haben eigene Familien. Sie sind zu beschäftigt, deshalb bleibt alles an mir hängen. Aber das stört mich nicht." Charli verschwieg ihm, dass ihre Familie die strikte Auffassung vertrat, "anständige" unverheiratete Töchter verließen erst das Haus, wenn sie eine eigene Familie gründeten. Sie fühlte sich allerdings dazu verpflichtet, noch hinzuzufügen: "Mich um sie zu kümmern ist ja schließlich nicht das Einzige, was ich tue." "Raven sagte, Sie seien Lehrerin?" "Ich unterrichte Musik an der Courtland Park High School." Grant murmelte etwas, was wie höfliches Interesse klang, aber Charli hatte das Gefühl, dass dieses Interesse nur gespielt war. Und das ärgerte sie, denn für sie war ihre Arbeit sehr befriedigend; sie war das einzige Gebiet, auf dem sie sich selbstbewusst, tüchtig und vor allem anerkannt fühlte. Sie mochte zwar kein erfolgreicher Anwalt sein wie Mr. Sterling, doch das hieß nicht, dass ihr Beruf keinen Respekt verdiente.
Sie redeten während des Rests der Fahrt nicht viel. In Manhattan versuchte Grant gar nicht erst, einen Parkplatz zu finden, sondern bog direkt in ein teures Parkhaus ein, das nur einen halben Block entfernt war von dem Restaurant, das er gewählt hatte. Charli machte große Augen, als sie sah, wohin er wollte. "Essen Sie nicht gern japanisch?" fragte er. "Ich weiß es nicht. Ich habe es noch nie probiert." Er zeigte keine Überraschung. "Nun ja, einmal hatte ich Teriyaki-Salat mit Huhn. In einem kleinen Bistro an der Schule." Charli hatte noch nie ein japanisches Restaurant betreten. "Hier gibt es nur Sushi", sagte Grant. "Keine Grillgerichte. Schlimm?" Er musste sie für die unkultivierteste Frau halten, der er je begegnet war. Heutzutage aß doch jeder Sushi. Seit zwei Jahrzehnten war es praktisch schon ein Standardessen in New York. Raven und Amanda aßen oft in Sushi-Restaurants. Amanda hatte sogar einen Kurs besucht, um zu lernen, wie man Sushi zubereitete. Selbst Sunny, deren Geschmack mehr zu Hamburgern und Pommes frites tendierte, hatte es schon des Öfteren probiert. Mit einer Geduld, die an Herablassung grenzte, sagte er: "Wir können auch woanders essen." Charlis Kehle wurde eng; Hitze stieg ihr in die Wangen. "Nein. Sie haben einen Tisch reserviert. Und ich wollte sowieso schon immer mal Sushi probieren." Grant begann die Geduld zu verlieren. "Kein Problem. Wir gehen woanders hin." Er zog ein winziges Handy aus der Brusttasche und drückte einen Knopf. "Mögen Sie Steak?" "Ich sagte, ich möchte hier essen, Grant." Charli öffnete die Tür des Restaurants und schaute ihn an. Nach kurzem Zögern steckte er das Handy wieder ein und hielt Charli die Tür auf.
Das Lokal war elegant und sehr exotisch, mit gedämpftem Licht und klaren Linien. Leise asiatische Musik spielte im Hintergrund. Die Aromen waren subtil und fremdländisch, aber nicht unangenehm. Eine mit einem Kimono bekleidete Kellnerin führte sie zu einem niedrigen Tisch in einer Nische, der durch Papierwandschirme von den anderen getrennt war. Grant zog seine Schuhe aus und stellte sie an den Rand der Nische. Charlie blickte den flachen Tisch betroffen an. "Wir müssen uns auf den Boden setzen?" "Wenn man schon japanisch isst..." Es gab auch Tische, an denen man auf Stühlen saß. Grant hätte ihr zuliebe so einen Tisch verlangen können, tat es aber nicht, und sie wagte nicht, darum zu bitten. Er wartete, während sie die Pumps abstreifte. Charli wünschte, ihre Strumpfhose hätte nicht das winzige Loch an ihrer linken Ferse, das sie mit einem Tupfer Nagellack verschlossen hatte. Es gab ihr ein merkwürdiges Gefühl, ihre Schuhe so ordentlich neben Grants zu sehen. Es sah irgendwie ... intim aus. Grant reichte ihr die Hand, als sie sich auf die Tatami-Matte setzte. Zuerst versuchte sie, die Beine zusammenzuhalten und sie auf die Seite zu legen, doch das war schwierig und zu unbequem. Verlegen kreuzte sie sie schließlich und zog den Rock über die Knie. Mit beneidenswerter Anmut ließ sich Grant ihr gegenüber nieder, als eine Kellnerin mit einer kleinen Bambusschale mit zwei aufgerollten weißen Frotteetüchern kam. "Haben Sie schon einmal Sake getrunken?" fragte Grant Charli. "Nein, aber ich wollte ihn schon immer mal probieren." Das stimmte sogar, obwohl sie bezweifelte, dass er ihr glaubte. Grant bestellte den Sake.
Charli lächelte lahm und zermarterte sich das Hirn nach einer passenden Bemerkung. "Sie sind also einer von Ravens Hypnotherapie-Patienten? Oh." Sie schloss den Mund und wünschte plötzlich, nichts gesagt zu haben. Ihre Verlegenheit schien ihn zu amüsieren. "Müsste es mir peinlich sein, dass ich mein Golfhandicap mit Hypnose zu verbessern suche?" Er reichte ihr ein überraschend heißes Frotteetuch und entfaltete das andere. "Nein, wahrscheinlich nicht." Sie folgte seinem Beispiel, wischte sich die Hände mit dem Tuch ab und legte es wieder in die Bambusschale. "Ich dachte nur, Sie wollen vielleicht nicht, dass jemand es erfährt." "Der Himmel stehe mir bei, wenn das mein interessantestes Geheimnis ist. Mal sehen." Er schlug die Karte auf. "Die junge Dame hat also noch nie rohen Fisch gegessen." Musste er es so ausdrücken? Sie hatte versucht, es nicht als rohen Fisch zu sehen. Gegen ihren Willen glitt ihr Blick zu der Menükarte mit den Fotografien der verschiedenen Gerichte, die das Restaurant anbot, und von denen eins, ganz offensichtlich Tintenfisch war. Ein roher kleiner Octopus mit Tentakeln und Saugnäpfen. Sie fragte sich, ob er sich am Teller festklammem würde, wenn man versuchte, ihn zu essen. "Ich hatte Ihnen angeboten, woanders hinzugehen", sagte er. Charli blickte von der Karte auf. Grants Gesichtsausdruck, der wohlwollend, aber auch ein bisschen selbstgefällig war, entnervte sie. "Sind Sie in Japan aufgewachsen?" Er zog die Augenbrauen zusammen. "Nein, wieso?" "Dann müssten Sie sich eigentlich an das erste Mal erinnern, als Sie rohen Fisch gegessen haben." Er betrachtete sie einen Moment. "Touche. Es gibt ein erstes Mal für alles. Ah, da ist ja unser Sake."
Während Grant die Flüssigkeit aus einer kleinen Keramikkanne in eine ebenso winzige Keramikschale einschenkte, erklärte er, die meisten Leute hielten Sake für Wein, er sei aber in Wirklichkeit ein Bier aus fermentierten Reiskörnern. Charli probierte einen Schluck, und zu ihrer Überraschung war das Getränk warm und aromatisch. Sie lächelte. "Nicht schlecht." Auch Grant lächelte und schenkte ihr Sake nach. "Dann sollten wir uns vielleicht ein bisschen Mut antrinken für das Sushi." Er war eigentlich sehr attraktiv, wenn er so lächelte. Es machte seine strengen Züge weicher und deutete auf etwas Sanftes in ihm hin. Seine Augen waren von jenem wechselhaften Braun, das nie gleich aussah. Sie wirkten dunkler im gedämpften Licht, fast schiefergrau wie seine Jacke. Charli merkte, dass ihr Blick zu dem kleinen Stückchen Haut im offenen Kragen seines Hemds glitt, und bemühte sich, Grant nicht zu unverhohlen anzustarren. Es schien ihm zu genügen, schweigend dazusitzen und seinen Sake zu trinken, wofür Charli ihm dankbar war. Er betrachtete sie mit höflichem Interesse, und sie fragte sich, was er wohl sah. Eine altjüngferliche Lehrerin, die noch bei ihren Eltern lebte? Oder gab es vielleicht doch etwas an ihr, was er reizvoll fand? Ihr Gesicht war recht alltäglich, wenn auch nicht gerade hässlich, mit Ausnahme ihrer Nase, die für ihren Geschmack etwas zu groß geraten war. Auch ihr Körper war nichts, worüber sie Freudensprünge hätte machen können. Sie hatte sich oft gewünscht, eine Figur wie Amanda zu besitzen, die groß und schlank war wie ein Model. Charlis Maße waren in Ordnung, doch mit einszweiundsechzig war sie recht klein. Vermutlich war das der Grund, warum sie in vielem, etwas pummelig aussah.
Sie wandte sich wieder der Karte mit den mysteriösen Bezeichnungen wie Sashimi oder Maki zu. "Können Sie mir etwas empfehlen?" "Ich bestelle für uns beide." Grant winkte der Kellnerin. "Ich lasse eine Auswahl kommen, dann haben Sie von allem etwas." Na wunderbar. Visionen von Octopus-Fangarmen entstanden vor ihr. Als die Platte mit dem Sushi kam - erfreulicherweise ohne Fangarme -, musste Charli zugeben, dass alles ziemlich hübsch aussah: pastellfarbene Fischstreifen auf einem Bett aus Reis neben Häufchen von geriebenem Ingwer und grünem WasabiSenfkraut. Es gab auch Maki, Scheiben von in Algen eingerolltem Fisch mit Reis, von denen einige mit Sesam und andere mit rotem Kaviar bestreut waren. Charli sah Gurke und Avocado in einigen der Makis und war überrascht, dass sie keinen rohen Fisch, sondern nur gekochte Krabben und Krebsfleisch enthielten. Grant erlaubte ihr jedoch nicht, sich auf diese gegarten Arten zu beschränken. Mit seine n Essstäbchen nahm er ein Stückchen Sushi, tauchte es in das Schälchen mit der Sojasauce und bot Charli diesen mundgerechten Bissen an. Sie starrte den pinkfarbenen Fisch misstrauisch an. "Was ist das?" "Thunfisch. Sehr mild. Probieren Sie." Grant war sehr geschickt im Umgang mit den Stäbchen. Charli hatte nie gelernt, sie zu benutzen; trotzdem versuchte sie, sie Grant abzunehmen. Er schob ihre Hand jedoch beiseite und hielt das Sushi noch näher an ihre Lippen. Sie sah ihn an. Er beobachtete sie prüfend, und ein eigenartiger Glanz erschien in seinen Augen. Charli erwiderte den Blick. Falls dieser selbstherrliche Mann erwartete, sich darüber zu mokieren, wie sein unerfahrenes, tölpelhaftes Date versuchte, rohen Fisch zu schlucken, würde sie ihm die Show leider verderben müssen.
Charlis Sinne gerieten in Alarmbereitschaft, als sie sich vorbeugte und die Lippen um das Stückchen Sushi schloss. Wenn der Anblick ihrer Schuhe neben Grants schon beunruhigend intim gewesen war, empfand sie es jetzt als geradezu erotisch, von seinen Stäbchen zu essen ... Charli nahm all ihren Mut zusammen, biss in das Sushi und begann zu kauen. Zu ihrem Erstaunen war der Fisch tatsächlich sehr, sehr mild. Und überraschender noch war seine Zartheit. Eigentlich hatte sie etwas Zähes, Gumrhiartiges erwartet, das sich ihren Bemühungen, es zu kauen, widersetzen würde. Nach einer Weile entspannte sie sich und überließ sich dieser neuen kulinarischen Erfahrung. Grants forschender Blick wich nicht von ihrem Gesicht. Er beobachtete sie beim Kauen, Schlucken, und sah erwartungsvoll das Stückchen Sushi an, das noch zwischen seinen Stäbchen steckte. Und dann erschien wieder dieses Lächeln um seine Lippen, als er es ihr anbot. Nachdem Charli auch dieses Stück gegessen hatte, sagte er: "Schmeckt es Ihnen?" "Bisher ja." Sie nippte an ihrem Sake und betrachtete interessiert das hübsche Arrangement der Sushiplatte. "Was soll ich als Nächstes probieren?" "Nun, wenn der Thunfisch Ihnen schmeckt, warum versuchen Sie es dann nicht mit tekka maki?" Er deutete auf eins der zusammengerollten Stückchen. Charli hantierte mit den Stäbchen und schaffte es sogar, ein maki aufzuheben, doch dann entglitt es ihr wieder und fiel in die Schale mit der Sojasauce. Irgendwann gelang es Charli, es bis an den Mund zu bringen. Als sie hineinbeißen wollte, sagte Grant: "Nein, essen Sie es ganz." Es war mehr als ein normaler Bissen, aber sie gehorchte, schob das Ganze in den Mund und errötete, als sie daran dachte,
wie dumm sie aussehen musste, kauend und mit vollem Mund. Es schmeckte jedoch erstaunlich gut... köstlich geradezu! Wer hätte das gedacht? Millionen von Menschen auf der Welt, musste Charli zugeben, während sie selbst all die Jahre den altbewährten Weg gegangen war und vermieden hatte, die japanische Delikatesse auch nur zu probieren. Den altbewährten Weg zu gehen, darin hatte sie viel Erfahrung. Doch in letzter Zeit hatte sie sich die Frage stellen müssen, ob es ihr etwas genützt hatte. Es war Grandma Rossi gewesen, Charlis lebenslange Vertraute, die sie schließlich dazu überredet hatte, auf dem Sektor Romantik aktiv zu werden, und sie ermutigt hatte, mit ihren Freundinnen zu kooperieren und sich von ihnen einen Heiratskandidaten vorstellen zu lassen. "Du bist ein braves Mädchen, Carlotta, aber manchmal musst du auch an dic h selbst denken", hatte Nonni Charli bei Ravens und Hunters Hochzeit gesagt. Charli trank einen Schluck Sake nach dem tekka maki. Das Getränk war so mild und warm, dass sie das ganze Schälchen leerte. Da sie die Strickjacke nun nicht mehr benötigte, streifte sie sie ab. Die Bewegung lenkte Grants Blick vorübergehend auf ihre Brüste. Rasch schenkte er Charli Sake nach und fragte: "Also erledigen Sie täglich nach der Schule noch die ganze Hausarbeit?" "Ja, aber es ist erheblich mehr als nur die Hausarbeit. Ständig muss jemand zum Arzt - zum Hausarzt, Zahnarzt, Augenarzt oder was auch immer. Meine Mutter geht zwei Mal in der Woche wegen ihres Ischiasnervs zum Physiotherapeuten. Mein Vater hat einen Bandscheibenschaden und geht zum Chiropraktiker. Und Nonni ist andauernd beim Kardiologen, Rheumatologen oder Orthopäden."
"Und Sie müssen sie überall hinbringen?" Grant steckte ein Stückchen gelbes Sushi in den Mund und bedeutete Charli, es ihm nachzutun. "Klar." Sie kämpfte mit den Essstäbchen. "Sie können sich gar nicht vorstellen, wie schwierig es ist, all die Arzttermine unter einen Hut zu bringen. Ich habe ein System entwickelt - mit selbstklebenden Zetteln, verschiedenfarbigen Stiften und einem Terminkalender, den ich meine Bibel nenne. Irgendwie funktioniert so immer alles." "Sie sind also der Chauffeur Ihrer Familie." "Wenn ich mich nicht gerade um die Finanzen, die Haushaltsführung, das Einkaufen oder die Instandhaltung des Hauses kümmere." "Sie müssen außergewöhnliche organisatorische Fähigkeiten besitzen." Er klang so aufrichtig beeindruckt, dass sie lachen musste. "Und was ich sagte, ist noch längst nicht alles. Haben Sie schon mal ein Thanksgiving- Dinner für dreißig hungrige Verwandte zubereitet? Oder für achtzig Gäste einen neunzigsten Geburtstag organisiert? Für den musste ich einen Saal mieten, aber das Essen habe ich ganz allein gekocht." Er machte große Augen. "Sie haben für achtzig Personen gekocht?" "Fünf Gänge plus Dessert. Es war anstrengend, aber die Mühe wert. Und ich koche und bewirte gern. Desha lb ist es keine Arbeit für mich." "Trotzdem - all das noch zusätzlich zu Ihrem Lehrerjob!" Er schüttelte den Kopf. Sie zuckte mit den Schultern. "Es geht nicht anders. Meine Eltern haben mir das Leben geschenkt und für mich gesorgt, als ich klein und hilflos war. Da kann ich doch zumindest dafür sorgen, dass es ihnen gut geht, jetzt, wo sie mich brauchen." Allmählich leerte sich die große Sushiplatte und den Sakekrug. Charli fühlte sich angenehm entspannt, vielleicht
sogar etwas beschwipst. Sie fragte Grant, auf welchen Rechtszweig er sich spezialisiert hatte. "Hauptsächlich Eherecht." "Oh. Sie meinen, Scheidungen? Das ist traurig." "Nicht bei den Honoraren, die meine Firma fordert." Die Bemerkung war offenbar als Witz gedacht, und deshalb lächelte Charli pflichtbewusst, obwohl sie sich fragte, ob es ihn nicht beunruhigte, mit den zerstörten Träumen anderer Leute seinen Lebensunterhalt zu verdienen. "Ich hörte Sie zu meinem Vater sagen, dass Sie schon fünf Jahre bei derselben Firma sind. Was haben Sie vorher gemacht?" "Ich war stellvertretender Distriktstaatsanwalt in Manhattan und habe Kriminelle vor Gericht gebracht." Sie sah, wie er unauffällig auf die Uhr sah. So wenig Erfahrung Charli mit Verabredungen haben mochte, dieses Signal kannte sie. "Müssen Sie noch irgendwohin? Für mich ist es in Ordnung, wenn Sie gehen müssen", fügte sie rasch hinzu. Er sah sie an, und sie erkannte, dass sie die Geste richtig gedeutet hatte. Er wollte den Abend beenden. Sie erkannte es an seinem Bück. "Denn ich müsste eigentlich auch nach Hause", sagte sie und zerdrückte die Serviette auf dem Schoß. "Ich wollte nicht zu lange wegbleiben heute Abend." Er starrte sie nur schweigend an. Seine Augen blickten beängstigend verständnisvoll. Charli senkte rasch den Blick. Ein Kellner räumte ihr Geschirr ab. In der Nische hinter Charli ertönte männliches Gelächter. Auf der anderen Seite des Ganges bestellte ein japanisches Paar in seiner Sprache. Charli wartete, dass Grant die Bedienung rief, um die Rechnung zu bezahlen. Schließlich sagte er sehr leise: "Ihre Großmutter sagte, Sie könnten heimkommen, wann Sie wollen."
Charli sah ihn an. Seine Miene war völlig ausdruckslos; nur in seinen Augen stand ein kleines Lächeln. Machte er sich über sie lustig? Während Charli noch eine Antwort suchte, fragte er: "Waren Sie schon mal im ,Bunny's'?" "Was ist das Bunny's?" "Ein Nachtclub in Manhattan. Einer meiner Klienten tritt dort heute Abend auf." "Nein, da war ich noch nicht." Und auch in keinem anderen Nachtclub, aber das hatte er sich vermutlich schon gedacht. "Es ist ein privater Auftritt, um sein neues Album vorzustellen. Nur mit Einladung. Wir könnten dort noch etwas trinken." Nun winkte er der Kellnerin. Charli mochte im Bereich Romantik nicht viel vorzuweisen haben, aber sie hatte ihren Stolz. Sie wusste so gut wie er, dass er sie jetzt am liebsten heimbringen würde. "Ich möchte nach Hause, Grant." Sie zwang sich, ihn anzusehen. "Ich hoffe, das stört Ihre Pläne nicht." Grant setzte zu einer Erwiderung an, zog es dann aber doch vor, zu schweigen. Charli spürte so etwas wie Reue bei ihm, was alles nur noch schlimmer machte. Sie wollte nicht, dass er sich schuldig fühlte, weil er sein langweiliges Blind Date so früh nach Hause brachte, und schon gar nicht, dass er Mitleid mit ihr hatte. Die Rechnung kam. Ohne einen Blick darauf zu werfen, drückte Grant der Kellnerin eine Platinkreditkarte in die Hand. "Habe ich eigentlich schon gesagt, dass es Phil Rivera ist?" "Wer? Sie meinen ...?" Phil Rivera war ein bekannter Sänger, der sich im letzten Jahr von seiner Band getrennt hatte. "Das ist Ihr Klient, der im Bunny's auftritt?" Grant nickte. "Ich habe ihn bei seiner Scheidung vertreten. Er ist sehr dankbar. Angesichts seiner zukünftigen Einnahmen hätte die Regelung des Unterhalts eine Katastrophe für ihn werden können. Aber das ist sie nicht."
Charli erinnerte sich, etwas über Riveras Trennung von der Mutter seiner drei Kinder, mit der er sechzehn Jahre verheiratet gewesen war, gehört zu haben. "Mögen Sie Riveras Musik?" fragte Grant. "Ja. Aber ich möchte trotzdem lieber heim. Ich kann mit dem Zug fahren. Dann schaffen Sie es noch zur Show." Er starrte sie an. "Mit dem Zug?" "Es ist nur eine knappe Stunde." "Sie glauben, ich ließe Sie mit dem Zug fahren?" "Hören Sie, das ist doch kein ..." "So geht das nicht, Charli. Ich habe Sie abgeholt und bringe Sie auch wieder heim." Die Kellnerin erschien mit dem Kreditkartenbeleg. Grant unterschrieb ihn, ohne den Blick von Charli abzuwenden. "Eine halbe Stunde", sagte er. "Kommen Sie eine halbe Stunde mit mir in den Club. Wenn Sie dann immer noch nach Hause wollen, fahre ich Sie.", "Es ist nicht... Ich ..." Warum machte er es ihr so schwer? "Ein Song. Lassen Sie uns wenigstens auf einen Song hingehen." Er stand auf, kam um den Tisch herum und reichte ihr die Hand. "Vergessen Sie Ihre Strickjacke nicht."
2. KAPITEL "Seth, das ist die Nichtraucherzone!" rief Charli dem Leiter der Bläser zu. Das AIDS-Benefizkonzert der High School hatte gerade geendet, und etwa die Hälfte der achtundneunzig Mitglieder des Sympho nieorchesters war in das "Wafflemania", ein beliebtes Schnellrestaurant, gestürmt. Alle Schüler trugen die obligatorische schwarze Smokinghose, ein gefälteltes weißes Hemd und einen blauen Kummerbund mit passender Frackschleife - mit Ausnahme der Mädchen, die eine blaue Satinrosette am Kragen trugen. Charli saß bei Raven und Amanda, die beim Konzert gewesen waren und danach beschlossen hatten, zusammen mit der Band ihr Lieblingslokal aufzusuchen. Raven nippte an ihrem Schokoladen-Milchshake, und sah zu Seth hinüber, der seelenruhig weiterpaffte. "Er tut, als hätte er es nicht gehört." Charli seufzte. "Dann muss ich wohl hinübergehen und ihn zur Ordnung rufen." Amanda, die ihren Jasmintee umrührte, sagte: "Ich glaube, das ist gar nicht nötig." Charli sah, wie ihre Freundin Sunny, in ihrer kurzen, pinkfarbenen Kellnerinnenuniform, seelenruhig eine Runde Limonade auf Seths Tisch stellte, ihm die Zigarette aus dem Mund nahm und sie in sein Glas fallen ließ.
"Hey!" blaffte er, während seine Freunde in Gelächter ausbrachen. "Wo willst du die Luft für dein Horn hernehmen", fragte sie, "wenn du die Lungen voller Teer hast?" "Oh, ich hab genug Luft für 'ne ganze Menge Dinge", brüstete sich der Siebzehnjährige und wackelte anzüglich mit den Augenbrauen. "Lass nur mal deine Fantasie spielen." "Vorsicht, Seth", warnte Brad Davidson mit einem nervösen Blick auf Charli. "Sie ist Miss Rossis Freundin." Blitzschnell packte Sunny Seths kleinen Finger und verbog ihn gerade genug, um sich seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu sichern. "Ich benutze meine Fantasie", sagte sie freundlich. "Und die sagt mir, dass du diesen Finger für dein Instrument benötigst." Seths Freunde brüllten vor Begeisterung. Hochrot vor Zorn verlangte er: "Lass mich los, du Biest!" "Aber, aber, redet man so mit jemand, der dafür gesorgt hat, dass eure Fritten extra knusprig sind, seit ihr im Kindergarten wart?" Sie bog den Finger noch ein kleines bisschen mehr zurück. "Dies ist die Nichtraucherzone, Seth. Ich will nicht deinen Rauch einatmen müssen, klar? Möchtest du Toast oder ein Brötchen zu dem Omelett?" fragte sie Brad. Charli verkniff sich ein Grinsen, als sie ihre Freundin den dreisten jungen Schnösel in die Schranken weisen sah. Das war typisch Sunny, die mühelos mit allen Leuten zurechtkam. Vielleicht lag es aber auch daran, dass dieses Lokal ihr Spielfeld war - sie bediente im Wafflemania schon seit ihrem HighSchool-Abschluss. "Scharfes Outfit", meinte Amanda zu Charli. "Bühnenreif und sexy." Charli blickte an ihrem schwarzen Hosenanzug herab. "Das sagst du mir bei jedem Konzert."
"Du solltest öfter Schwarz tragen", riet Amanda. "Und Hosen. Lass uns shoppen gehen, ich helfe dir, ein paar neue Sachen auszusuchen." "Genau das Richtige für die Schule", sagte Charli mit einem schwachen Lächeln. "Bühnenreif und sexy." Amanda bot Charli immer wieder an, mit ihr einkaufen zu gehen, und Charli lehnte immer wieder ab. Amandas Vorliebe für Schwarz war sicherlich darauf zurückzuführen, dass sie mit ihrem blonden Haar und ihrem gertenschlanken Körper einfach fabelhaft in dieser Farbe aussah. Wenn Charli ein schwarzes Kleid anzöge, würde sie wie Grandma Rossi aussehen. Raven sagte leise: "Das Leben ist nicht nur die Schule, Charli. Vielleicht solltest du wirklich einmal mit Amanda shoppen gehen." "Was hattest du gestern Abend an?" fragte Amanda. "Ach, eins der Kleider, die ich in der Schule trage." Charli verkniff sich ein Lächeln bei der Erinnerung an den Abend. Amanda beugte sich neugierig vor. "Erzähl. Ich will alles wissen." "Pst!" Charli sah sich errötend um. "Da gibt's nicht viel zu erzählen." Sunny erschien mit einer Kaffeekanne in der Hand am Tisch. "Immer hübsch der Reihe nach. Wo wart ihr essen?" "Japanisch. Ich habe Sushi probiert." Amanda blinzelte. "Du?" "Und Sake." "Süßigkeiten sind prima", witzelte Sunny, "aber Alkohol funktioniert schneller." "Ach hör auf", murmelte Charli und errötete noch heftiger. "Du Glückliche", sagte Amanda. "Grant Sterling ist ein toller Mann." Raven hatte Grant zuerst Sunny und Amanda vorgestellt, um zu sehen, was sie von ihm hielten. Die vier Freundinnen hatten vor zwölf Jahren, in ihrem letzten Jahr auf der High School, einen so genannten
"Heiratspakt" geschlossen. Der Pakt besaß nur einen Zweck: Falls eine der vier Freundinnen mit dreißig noch unverheiratet sein sollte, würden die anderen drei ihr einen Ehemann suchen. Die Regeln waren einfach: Während sie mit dem betreffenden Mann ausgingen, durfte er nicht erfahren, dass er Bestandteil eines Planes war; und solange er interessiert war, musste das Mitglied des Bunds sich mindestens drei Monate lang mit ihm verabreden. Als in diesem Jahr ihrer aller dreißigster Geburtstag nahte, waren alle vier noch ledig. Raven war die erste Nutznießerin der Heiratskandidatensuche ihrer Freundinnen gewesen, nachdem sie ihr im Januar Brent Radley vo rgestellt hatten. Brent war Vertriebsleiter des Kindermagazins, das Amanda herausgab. Erst gestern waren Raven und Brents Bruder Hunter, der vier Jahre jünger war als sie, von ihren Flitterwochen in England zurückgekommen. Ihr Weg zum Eheglück war etwas ho lprig gewesen, doch alle stimmten überein, dass es das Ergebnis war, was zählte. Der Heiratspakt war ein wohlgehütetes Geheimnis. Die einzigen Außenstehenden, die davon wussten, waren Grandma Rossi und Hunter Radley, Ravens frisch gebackener Ehemann. Charli war am vergangenen Mittwoch dreißig geworden, und ihre Freundinnen hatten keine Zeit verschwendet, sie mit Grant Sterling bekannt zu machen, den sie als reif, solide, gebildet, reich und attraktiv beschrieben hatten - und als perfekt für Charli, die ihr ganzes Erwachsenenleben lang für andere gesorgt hatte. Sie brauche einen starken, ihr treu ergebenen Ehemann, hatten ihre Freundinnen erklärt - jemanden, der zur Abwechslung auch einmal sie umsorgte. "Wie war das Sushi?" fragte Sunny. "Ich mochte es", sagte Charli. "Das meiste jedenfalls." "Und der Sex?" fragte Amanda. Charli blickte sich erschrocken um und hoffte, dass keiner ihrer Schüler es gehört hatte.
Raven verdrehte die Augen. "Amanda ..." "Du weißt, dass nichts dergleichen vorgefallen ist", wisperte Charli. "Es war unsere erste Verabredung! Und außerdem weißt du doch selbst am besten, dass mir so etwas nicht passiert." Sie war schließlich Carlotta Rossi, die Letzte einer aussterbenden Gattung: mit dreißig noch Jungfrau. "Nein?" Amanda hob ihre Teetasse. "Ich dachte, du hättest deinen Rechtsberater vielleicht gebeten, dir seine ... hm ... Schriftsätze zu zeigen." "Entschuldigung?" Jenny O'Keefe, eine der Klarinettistinnen, suchte Sunnys Blick und hob die Kaffeetasse. "Ich bin gleich wieder da", murmelte Sunny und setzte sich in Bewegung. "Also hast du endlich Sushi probiert", sagte Raven. "Und dann?" Dann hatte Grant sie heimbringen wollen, erinnerte sich Charli. Nur seine gute Erziehung hatte ihn dazu veranlasst, sie in jenen Club zu schleppen, bevor ihr eigener Stolz sie zwingen konnte, schon um halb zehn heimzufahren. Dem Himmel sei Dank, dass er so ein höflicher Mensch ist, dachte sie mit einem kleinen Lächeln. Raven beobachtete sie forschend. "Du hattest also einen schönen Abend." Charli nickte. Amanda klopfte ihr ungeduldig auf die Schulter. "Wo ist er sonst noch mit dir hingegangen?" "In einen Nachtclub. Bunny's hieß er." "Oh, da war ich schon. Mit Ben", sagte Amanda und bezog sich damit auf einen ihrer beiden Exehemänner, der ein Verschwender, Frauenheld und Partylöwe war. "Nun, ich war noch nie in so einem Lokal." Charli war anfangs ziemlich ängstlich gewesen. Das Bunny's war gerammelt voll gewesen mit Leuten, die alle nach der neuesten
Mode gekleidet waren, ungeheuer cool erschienen und sich in der New Yorker Clubszene offensichtlich sehr zu Hause fühlten. "Wer trat dort auf?" wollte Raven wissen. "Phil Rivera." Charlis Freundinnen machten große Augen. Amanda fragte: "Sieht er aus der Nähe genauso toll aus wie im Fernsehen?" "Noch viel besser", sagte Charli, und alle brachen in kindisches Gekicher aus. "Aber das Lokal war völlig anders, als ich dachte. Es war ziemlich klein und dunkel, und es war eine private Vorstellung, zu der man eine Einladung benötigte. Grant war Riveras Scheidungsanwalt, und ich schätze, deshalb sind sie jetzt befreundet." Sunny kam zurück. "Worüber habt ihr so gelacht?" Sie erzählten ihr von Charlis Besuch im Bunny's. "Wow!" rief Sunny. "Und dann, mitten in seinem Auftritt, rief Rivera einen Freund aus dem Publikum auf die Bühne, um mit ihm zu singen. Ihr würdet nie erraten, wen! Skye Keiler!" Ihre Freundinnen jubelten vor Entzücken. Skye Keiler war einer der bekanntesten Namen in der Popmusik. "Du hast Skye Keiler gesehen?" fragte Raven. "Und Phil Rivera? Unglaublich!" "Grant hat mich Rivera später vorgestellt. Ich habe ihm sogar die Hand geschüttelt." "Also war es ein toller Abend", meinte Raven. "Es war ..." Charlie seufzte. " ... einfach wundervoll!" Ihre Freundinnen tauschten ein viel sagendes Lächeln aus. "Und Grant?" fragte Sunny. "War er wundervoll?" Charlis Gesicht schmerzte, so breit grinste sie. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so gefühlt. Sunny lachte. "Ich glaube, da haben wir die Antwort." Amanda lehnte sich zurück. "Also eine weitere glückliche Heiratspaktgeschichte. "
"Noch nicht!" protestierte Charli. "Wir sind bisher nur einmal miteinander ausgegangen." "Hat er dich zum Abschied geküsst?" fragte Sunny. Charlis Wangen brannten. "Ja", erwiderte sie so steif, dass ihre Freundinnen erneut in schallendes Gelächter ausbrachen. Im Club hatte Grant sie mit sündhaften leckeren Desserts verwöhnt und dann mit Kaffee und Amaretto, als sie etwas Stärkeres ablehnte. Er hatte mit ihr geplaudert und nichts unversucht gelassen, um sie zu unterhalten. Als der erste Song zu Ende war, hatte sie ihren verletzten Stolz und ihre Absicht, heimzufahren, vergessen. Sie waren mehrere Stunden im Bunny's geblieben, und auf der Heimfahrt war Grant genauso charmant und aufmerksam gewesen wie im Club. Und ja, er hatte sie zum Abschied auch geküsst, um zwei Uhr morgens direkt vor der Eingangstür. Er hatte die Hand unter ihr Haar geschoben und sie so sanft umarmt, dass ihr fast die Tränen kamen. Sie war noch nie so gehalten worden, und schon gar nicht hatte ein Mann sie jemals so liebevoll geküsst, als könne er sich nichts anderes vorstellen, was er in diesem Augenblick lieber täte. Charli hatte danach noch lange wach gelegen und an Grants Kuss gedacht, an den sanften Druck seiner Lippen und den Geschmack von ihm, der noch verführerischer als der Sake war. Der Abend war perfekt gewesen, weil Grant perfekt gewesen war. Charli erschauerte, als sie jetzt daran dachte. Amanda riss sie aus ihrer Versunkenheit. "Wann wirst du ihn wieder sehen?" "Keine Ahnung." Bald, hoffentlich. "Hat er nicht von einem Wiedersehen gesprochen?" "Nun ja ... das nicht." Die anderen drei wechselten einen Blick. Charlis strahlende Laune begann nachzulassen. "Bedeutet das etwas?"
"Wahrscheinlich nicht", bemerkte Raven mit einem gleichgültigen Achselzucken, das Charli jedoch nicht täuschen konnte. "Du meinst, er ruft nicht wieder an." "Niemand sagt das." Raven berührte Charlis Arm. "Und wenn er dich nicht anruft, rufst du ihn an." "Das könnte ich nicht!" "Wieso nicht?" "Ich kann mich ihm doch nicht an den Hals werfen, wenn er mich nicht sehen will." "Das ist kein An-den-Hals-Werfen'", rügte Sunny. "Und es ist mir egal, was deine Eltern dir erzählen. Oder deine Grandma. Heutzutage ist es ganz normal, dass Frauen Männer einladen." Charli schüttelte den Kopf. Sie gehörte nicht zu den modernen Frauen, die einen Mann anrufen konnten, um sich mit ihm zu verabreden - vor allem dann nicht, wenn er sich ganz offensichtlich nicht für sie interessierte. Aber was war dann dieser Kuss gewesen - eine barmherzige Geste für die einsame, liebeshungrige Vogelscheuche? "Nun, dann suchen wir Charli einfach einen anderen Mann", schlug Amanda vor. "Keinen spießigen Anwalt diesmal." "Grant ist nicht spießig", protestierte Raven. "Er ist ein netter, aufrichtiger Mann. Sonst hätte ich ihn nicht für Charli vorgeschlagen." Sunny meinte: "Er mag dir aufrichtig erscheinen, wenn er auf der Couch in deiner Praxis liegt und dir erzählt, wie traumatisch es ist, ein dreifaches Bogey am achtzehnten Loch zu schlagen ..." "Um Himmels willen!" Raven fuhr sich entnervt mit der Hand durch ihr kinnlanges dunkelblondes Haar. "... aber wenn Charli sagt, er ist ein Spießer", fuhr Sunny ungerührt fort, "ist er spießig."
"Ich habe nie behauptet, er sei spießig", murmelte Charli. " Ich hatte einen schönen Abend - und es ist nicht das Ende der Welt, wenn Grant nicht mehr anruft." "Wir müssen ihm eine Chance geben, bevor wir jemand anderen suchen", meinte Raven. "Ja, aber wie lange?" fragte Amanda. "Ich meine, wie lange soll Charli am Telefon sitzen und auf den Anruf dieses Mannes warten?" Die Vorstellung, am Telefon zu sitzen und zu warten, war so erschreckend zutreffend, dass Charli fast die Tränen kamen. "Ich möchte, dass wir jetzt sofort einen anderen für Charli suchen", verlangte Sunny. "Als Ersatzmann sozusagen." "Diese Unterhaltung ist verfrüht." Raven brachte die anderen beiden mit einem strengen Blick zum Schweigen. "Na gut." Sunny drückte Charlis Schulter. "Ich will damit bloß sagen, dass es Grants Pech ist, wenn er sich nicht mehr bei Charli meldet." Nicht wenn man ein winziges Detail berücksichtigte. Charli liebte Grant Sterling.
3. KAPITEL Grant Sterling liebte Golf. Er wünschte nur, dieser Sport fiele ihm ein wenig leichter, als er Sam Kauffmans fehlerlosen Abschlag sah. Grant hatte erst vor fünf Jahren begonnen, Golf zu spielen, unmittelbar nach seinem Eintritt in die Anwaltskanzlei Farman, Van Cleave und Holm. "Meine Frau erwartet uns um sechs im Restaurant", sagte Sam. "Du hättest jemand mitbringen sollen, dann wären wir zu viert gewesen." "Ich bin sonntags abends gern allein", sagte Grant, während er das Eisen aus dem Golfsack nahm. "Um mich vor der nächsten Arbeitswoche zu entspannen, ein Bier zu trinken und in Ruhe einen Film zu sehen." Sam lachte. "Klingt gut. Linda sucht sich gewöhnlich die Sonntagabende aus, um herumzumeckern. Dann kriege ich alles zu hören, was ich die Woche über falsch gemacht habe." "Daran werde ich denken, wenn du mir das nächste Mal einredest, ich müsse unbedingt heiraten." "Für einen smarten Kerl kannst du manchmal ganz schön schwer von Begriff sein. Ich dachte, du wolltest Teilhaber der Firma werden." Grant starrte auf den fernen Fahnenstock, schätzte die Windgeschwindigkeit ab und plante seinen Schlag. Sam war erst kürzlich Teilhaber bei Farman, Cleave und Holm geworden. Er
war sechs Jahre jünger als Grant, aber sofort nach Abschluss seines Studiums der Anwaltskanzlei beigetreten. Dieses Jahr muss ich es schaffen, dachte Grant. Bis zu seinem vierzigsten Geburtstag wollte er ein gleichberechtigter Teilhaber sein. Fast ein Vierteljahrhundert zuvor hatte er sich ein Versprechen gegeben, als er während einer bitterkalten Märznacht in einem Türeingang in der Innenstadt von Philadelphia gehockt und kalte Bohnen aus einer im Supermarkt gestohlenen Konservendose gegessen hatte. In verwundbareren Momenten glaubte Grant noch immer die eisige Kälte jener Nacht zu spüren, die weder seine erste noch seine letzte auf der Straße gewesen war. Er glaubte immer noch die Panik zu verspüren, die ihn erfasst hatte, wenn er einem anderen Obdachlosen ins Auge geblickt hatte, konnte immer noch die Striemen auf seinem Rücken und den Geschmack der kalten Bohnen spüren ... In jener Nacht hatte sich der sechzehnjährige Grant Sterling geschworen, sich so weit wie möglich von seinen Wurzeln zu entfernen. Er würde alles tun, was nötig war, um sich ein Leben aufzubauen, auf das er stolz sein konnte. Es war ihm nie gelungen, jene miserablen ersten sechzehn Jahre aus seiner Erinnerung zu tilgen - sie waren ein Teil von ihm, wie die Farbe seiner Augen und die Narben auf seinem Rücken -, aber er hatte das Versprechen, das er sich damals gegeben hatte, beinahe vollständig erfüllt. Teilhaber bei Farman, Van Cleave und Holm zu werden würde der Lohn sein für all die Opfer, die er gebracht hatte. "Du weißt, wie es in unserer Firma läuft", beharrte Sam. "Du wusstest es bei deinem Eintritt." "Das müssen die schlimmsten Spießer auf der ganzen Wall Street sein", entgegnete Grant. "Und die größten Heuchler. Die meisten der Seniorpartner sind schon zum zweiten Mal verheiratet. Frank Van Cleave bezahlt sogar zwei Exfrauen
Unterhalt." Sam legte den Ball auf das Tee. "Und dennoch ist er dreist genug, mir andauernd zu predigen, wer verheiratet sei, bewiese Charakterfestigkeit und Verantwortungsbewusstsein." "Hey, du bist nicht mehr Staatsanwalt, Grant. Du bist jetzt in der Wall Street, der letzten Hochburg der Scheinheiligkeit. Wenn du nicht als simpler Angestellter in Pension gehen willst, musst du tun, was Farman und Van Cleave für richtig halten." "Ich bin kein Typ zum Heiraten." "Bist du der Typ für eine Partnerschaft?" Grant warf seinem Freund einen bösen Blick zu. "Ich liebe meine Unabhängigkeit." "Dann such dir eine Frau, die nichts dagegen hat, dass du deine ..." Sam wackelte anzüglich mit den Brauen, "... Unabhängigkeit genießt." "Das meinte ich nicht." Allerdings gehörte es dazu. Grant genoss seine sexuelle Freiheit. Er hatte in den letzten dreiundzwanzig Jahren niemandem Rechenschaft ablegen müssen und dachte nicht im Traum daran, seine Unabhängigkeit je wieder aufzugeben. Grant konzentrierte sich auf seinen Schlag, doch der Ball flog in einem weiten Bogen nach links und landete in einem der beiden Bunker vor dem Rasen. "Hast du schon mal daran gedacht, es mit dem Holzschläger zu versuchen?" fragte Sam. Nur die letzten Male, als du es erwähntest, dachte Grant, verärgert über diesen ungebetenen Rat, der sich vermutlich als zutreffend erwiesen hätte, wenn Grant nicht zu stolz gewesen wäre, um ihn zu befolgen. Wie viele anderer ihrer Kollegen hatte Sam seine Jugend damit verbracht, seinen Schwung zu perfektionieren, während Grant in eben diesem Golfclub für einen minimalen Lohn Böden geschrubbt und Geschirr gespült hatte. Er und Sam gingen weiter über den Rasen und zogen die Wagen mit ihren Golftaschen hinter sich her. Mit
neununddreißig musste Grant sich eingestehen, dass er nie ein zweiter Jack Nikiaus sein würde. Trotzdem war er sicher, dass er mit ein wenig Übung zumindest ein passabler Spieler werden würde. Verglichen mit den anderen Schwierigkeiten, die er überwunden hatte, war das gar nichts. Das war etwas, was Raven Muldoon, seine Hypnotherapeutin, ihm immer wieder ins Gedächtnis rief. Seit seinem sechzehnten Lebensjahr war er allein auf sich gestellt gewesen und hatte sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten und bis zum Umfallen geschuftet, während er die High School beendete. Dann, mit weiteren Nebenjobs, einem gelegentlichen Stipendium oder Studiendarlehen, hatte er seinen Abschluss auf dem Queens College gemacht und schließlich an der New York University Jura studiert. Raven hatte Recht. Wenn er nach seinem schlechten Start im Leben all das geschafft hatte, konnte er auch lernen, einen kleinen weißen Ball in ein Loch zu befördern, ohne gleich mehrere Schläge über Par zu gehen. Doch was seinen Geschmack bei Frauen anging, hätte sie nicht schiefer liegen können. Charli Rossi war absolut nicht sein Typ. Grant bevorzugte aufgeschlossenere, erfahrenere Frauen mit starkem Selbstbewusstsein. Frauen, die das Gleiche wollten wie er: anregende Gesellschaft und Sex ohne Bindung. Frauen, die maki von sashimi unterscheiden konnten. Frauen, die imstande waren, sich geistreich zu unterhalten und die sich zu kleiden wussten. Ob dieses biedere Hemdblusenkleid das Beste war, was Charli zu bieten hatte? Und erst die Strickjacke! Mit dieser unscheinbaren Frisur und den flachen Schuhen sah sie aus wie eine Bibliothekarin. Sie war nur sehr dezent geschminkt gewesen und war offenbar auch nicht daran gewöhnt, Make-up zu tragen, weil sie sich mehrfach die Augen gerieben und die Wimperntusche verschmiert hatte. Sie waren übrigens das
Schönste an ihr, diese Augen, die von einem so dunklen Braun waren, dass sie schon beinahe schwarz wirkten. Der Rest von ihr - nun ja, da gab es nicht viel, was er reizvoll oder gar verführerisch genannt hätte. Außer als er über den Tisch geblickt und sie beim Ausziehen der unmöglichen Jacke beobachtet harte. Vielleicht war es die Arglosigkeit der Bewegung, als sie mit den Ärmeln kämpfte, die Tatsache, dass ihr offenbar gar nicht bewusst war, wie das Kleid sich über ihren Brüsten spannte, die mit einem Mal viel üppiger schienen als zuvor. Er lächelte bei der Erinnerung. Was für eine angenehme Überraschung. Grant hatte keine Miene verzogen - nach all den Jahren als Anwalt war ihm das zur zweiten Natur geworden -, doch für die Dauer eines Herzschlags hatte Charli irgendetwas in ihm angerührt. Und ohne es auch nur zu merken. Aber das waren nur ein paar Sekunden von einem fünfstündigen Date. Insgesamt konnte er mit Charli nicht viel anfangen, obwohl er andererseits auch nicht leugnen konnte, dass sie etwas Liebenswertes an sich hatte. Es wäre eine Lüge, zu behaupten, es habe ihm keinen Spaß gemacht, sie bei neuen Erfahrungen zu beobachten. Beim Sushi- Essen beispielsweise. Da hatte sie ihn überrascht. Er hatte gedacht, sie würde mit Abscheu reagieren oder bestenfalls höflich ein, zwei Stückchen essen und den Rest dann stehen lassen. Doch stattdessen hatte sie mit Appetit zugelangt. Und niemand hatte ihm zu sagen brauchen, dass sie gestern Abend zum ersten Mal in einem Nachtclub war. Ihr Staunen und ihre Verwunderung waren schon fast komisch gewesen. Und da hatte Grants Gewissen sich gemeldet, und er hatte den Entschluss gefasst, ihr einen schönen Abend zu bereiten. Er hatte alles getan, was sie von dieser Verabredung erwartete, und sie sogar geküsst, als er sie nach Hause brachte. Grant runzelte die Stirn, als er daran dachte. Er hatte sie geküsst, weil er wusste, dass sie es von ihm erwartete. Endete
nicht jede richtige Verabredung mit einem Kuss? Aber was als freundschaftlicher kleiner Abschiedskuss begonnen hatte, hatte sich in eine weitere Überraschung für ihn verwandelt. Statt der spröden Förmlichkeit, die er erwartet hatte, war Charli weich, warm und anschmiegsam gewesen - infolge des Sakes, den sie konsumiert hatte, vermutlich, doch darüber hatte Grant in jenem Augenblick nicht lange nachgedacht. Sein männlicher Instinkt hatte die Oberhand gewonnen, und er hatte seine Lippen auf ihren verweilen lassen und die ebenso flüchtige wie unerwartete Erregung des Moments genossen. Im Nachhinein betrachtet, war der Kuss ein Fehler gewesen. Es gehörte nicht zu Grants Gewohnheiten, falsche Hoffnungen zu wecken. Er hoffte nur, dass Charli nicht allzu enttäuscht sein würde, wenn sie nichts mehr von ihm hörte. "Dein Problem", bemerkte Sam, als könne er Gedanken lesen, "sind die Frauen, mit denen du ausgehst." Grant hob nach einem weiteren missglückten Schlag den Ball auf. "Ich dachte schon, du würdest sagen, es ist mein Abschwung." "Du gibst dich nur mit freiheitsliebenden, emanzipierten Frauen ab, die sich ebenso wenig binden wollen wie du. Und selbst wenn sie es wollten, wären sie nicht die Richtigen für dich. Was du brauchst, ist ein nettes, behütetes junges Ding mit viel Familiensinn. Na?" fragte Sam und musterte Grant prüfend. "Kennst du so jemanden?" "Klar." Grant steckte seinen Schläger in die Golftasche. "Ich bin gestern Abend mit ihr ausgegangen." "Ja, klar", bemerkte Sam trocken. "Ich meine es ernst, Grant. Solche Frauen gibt es noch - du musst nur wissen, wo du nach ihnen suchen musst." "In einem Kloster?" Zusammen gingen sie zum siebten Loch weiter.
"Du brauchst eine zuverlässige Frau, die an traditionellen Werten festhält", meinte Sam. "Eine Frau, die nicht immer nur an sich denkt." "Mutter Teresa lebt nicht mehr, Sam." "Kannst du ma l mit diesem Blödsinn aufhören? Ich rede von einer Frau, die weiß, was Teamarbeit ist." "Im Grant-Sterling- will- Teilhaber-werden-Team?" "Na klar! Weil sie schließlich den gleichen Nutzen davon hat wie du, wenn du Teilhaber wirst. Verstehst du, was ich damit sagen will?" "Und dieser Inbegriff der Tugend sollte auch möglichst still und bescheiden sein, nicht wahr? Oder vielleicht sogar ein Mauerblümchen. Die Art von Frau, die mit dreißig Jahren noch bei ihren Eltern lebt." "Mach ruhig weiter Witze darüber. Es ist deine Karriere." "Natürlich wäre es auch nützlich", fuhr Grant fort, "wenn sie eine tüchtige Hausfrau wäre. Und eine exzellente Gastgeberin. Die Art von Frau, die mühelos ein fünfgängiges Menü für achtzig Personen zubereiten könnte. Plus Dessert." Sam seufzte angewidert. "Vergiss, was ich gesagt habe." Ich wünschte, ich könnte es, dachte Grant.
4. KAPITEL "Wie geht’s dir, Charli? Hier spricht Grant." Charli sank auf einen Stuhl und umklammerte den Hörer. Sie hatte sich schon damit abgefunden, dass Grant sich nicht mehr melden würde. Ihre Freundinnen hatten versucht, sie darauf vorzubereiten. "Bist du noch da?" fragte er. "O ja, entschuldige. Tag." Ihre Mutter rief aus dem ersten Stock: "Wer ist dran, Carlotta?" Charli legte rasch die Hand auf die Sprechmuschel. "Es ist für mich." "Sag ihr, dass sie nicht so spät anrufen soll!" rief Mom, die natürlich automatisch annahm, es sei eine von Charlis Freundinnen. "Rufe ich zu spät an?" fragte Grant. "Nein, nein. Meine Mutter geht zwar früh ins Bett, sieht dann aber noch stundenlang fern. Sie glaubt, nach neun Uhr abends dürfe niemand mehr etwas unternehmen." Grant lachte. "Ich wollte dir nur sagen, dass mir der Abend mit dir sehr gefallen hat." Charli lächelte. "Mir auch. Es war ein schöner Abend, Grant." "Ich dachte, wir sollten bald wieder einmal etwas unternehmen. Diesmal hatte ich allerdings an etwas anderes
gedacht - die Eröffnung einer Ausstellung in einer Fotogalerie in Soho." "Noch ein Klient?" "Die Tochter einer der Teilhaber meiner Firma. Sie ist eine angesehene Fotografin. Ich glaube, ihre Arbeiten werden dir sehr gefallen." "Ja, sehr gern." "Hast du Mittwochabend Zeit?" Verlegenheit erfasste Charli. Sie hatte die Einladung akzeptiert, ohne wenigstens nach dem Termin zu fragen! "Ja, ich ... Mittwoch ist mir recht." "Fabelhaft!" sagte er, und es klang, als meinte er es auch so. "Ich hole dich um sieben ab, wenn es dir recht ist. Wir können später dann noch etwas essen gehen." Es klang, als lächle er, als er hinzufügte: "Diesmal darfst du das Restaurant auswählen." "Oh, das ist nicht nötig. Wir können hingehen, wo du willst", entgegnete sie, ohne nachzudenken. "Weißt du was? Ich würde sehr gern italienisch essen. Ich wette, du kennst dich aus in Little Italy." "O ja, ich kenne dort ein wunderbares Restaurant! Sie haben das beste ossobuco in der ganzen Stadt." "Ich kann es kaum erwarten. Bis Mittwoch also. Gute Nacht, Charli." "Gute Nacht." "Ist das neu?" Charli betrachtete die antike Wetterfahne auf Grants Kaminsims, die zwischen einem Spielzeugpony aus dem neunzehnten Jahrhundert und einem naiven Landschaftsgemälde aus der Renaissancezeit stand. "Ich fand es am Samstag auf einem Flohmarkt. Es ist aus dem späten achtzehnten Jahrhundert." Grant lehnte in der Ecke seines L-förmigen cremefarbenen Wildledersofas. Lächelnd hob er eine Hand und winkte Charli, sich zu ihm zu setzen.
Sie kannte dieses einladende Lächeln und erwiderte es schüchtern. In den zwei Wochen, seit sie miteinander ausgingen, hatte sie gelernt, Grants Küsse und Zärtlichkeiten zu ge nießen, blieb selbst aber zurückhaltend. Er sollte nicht glauben, sie sei schamlos. Oder leichtfertig. Charli ging über die hellen Eichendielen mit den handgewebten Teppichen auf die Couch zu. Wie der Rest des dreistöckigen Hauses an der Küste von Long Island war das Wohnzimmer elegant, aber gemütlich. Tagsüber hatte man durch die großen Panoramascheiben einen wunderbaren Ausblick auf die Bucht. Jetzt, um neun Uhr abends, verdeckten Vorhänge aus cremefarbenem Stoff die großen Fenster. Eine Tischlampe mit bernsteinfarbenem Schirm warf ein sanftes Licht auf Grant, als Charli zu ihm hinüberging und sich neben ihn setzte. Er schob die Finger unter ihr Haar und strich zärtlich über ihren Nacken. Charlie erschauerte vor Wohlbehagen. Grant zog sie noch näher an sich, und sie ließ den Kopf an seine Schulter sinken. "Macht es dir etwas aus, dass wir heute Abend nicht viel unternommen haben?" fragte er. "Nein, natürlich nicht! Manchmal ist es nett, einfach nur zu kuscheln", sagte sie und schmiegte sich an ihn, als er den Arm um ihre Schulter legte. Nach der Arbeit hatte er Charli zu einem zwanglosen Imbiss in einem Delikatessengeschäft in ihrer Nachbarschaft abgeholt. Das Dessert - Gourmet-Eiscreme - hatten sie auf dem Weg zu ihm gekauft. Charli und Grant hatten sich in den vergangenen zwei Wochen fast jeden Tag gesehen. Sie hatte ihn gestern sogar Ostern zum Essen bei sich zu Hause eingeladen und damit gerechnet, dass er höflich ablehnen würde. Ein Mann musste es schon ziemlich ernst mit einer Frau meinen, wenn er bereit war,
Zeit mit ihrer Familie zu verbringen - oder zumindest hatte man ihr das so eingetrichtert. Grant war nicht nur gekommen, sondern hatte sogar Maiglöckchen für ihre Mutter und eine Flasche guten italienischen Wein als Gastgeschenk mitgebracht. Er hatte das Essen gelobt und Grandma Rossi hofiert, und nach dem Essen, als die Frauen die Küche aufräumten, hatte er mit Charlis Vater im Wohnzimmer gesessen, Sambuca getrunken und mit ihm über Football diskutiert. Heute Abend hatte Charli ihr Haar vorn und an den Seiten mit einer weißen Spange zurückgenommen. Auf der Seite ihres Kopfes, die auf Grants Schulter ruhte, drückte die Spange, deshalb löste sie sie und legte sie auf den Tisch. Dann lehnte sie sich wieder zurück und legte den Kopf an Grants Schulter, doch er hob sanft ihr Kinn und musterte sie. In plötzlicher Verlegenheit hob sie eine Hand an ihr Gesicht. "Was ist?" Langsam strich er mit den Fingerspitzen durch ihr Haar. "Oh, ich sehe bestimmt schrecklich aus", sagte Charli und wünschte, sie hätte die Spange im Haar gelassen. "Nein, du bist sehr hübsch so." Sein Blick glitt über ihr Haar, ihre Augen, ihren Mund. "Ich bin nicht hübsch." Charli versuchte, den Kopf zurückzuziehen, aber Grant ließ es nicht zu. "Du brauchst mir so etwas nicht zu sagen, Grant. Ich weiß, dass ich nicht... Es ist unnötig." Prüfend blickte er ihr in die Augen. "Es gibt nichts an dir auszusetzen, Charli." Sie zwang sich zu einem Lachen. "Nichts, was eine Nasenoperation nicht regeln könnte. Zunächst einmal." Er zog die Brauen zusammen, als wisse er nicht, ob sie scherzte oder es ernst meinte. "Was gefällt dir nicht an deiner Nase?" Sie lachte nur spöttisch.
Wieder umfasste er ihr Kinn. "Es ist keine kecke kleine Stupsnase, das gebe ich zu." "Deine Beobachtungsgabe ist erstaunlich." Er drehte Charlis Kopf, um sie im Profil zu sehen. "Aber sie ist auch kein Zinken. Was stört dich so an ihr?" "Grant, sie ist..." Sie berührte ihre Nase. "Sie ist viel zu markant." "Sie passt zu dir, Charli. Ich finde sie keineswegs zu markant. Ich würde es nicht sagen, wenn es nicht die Wahrheit wäre." Zärtlich küsste er sie aufs Haar. Nach kurzem Schweigen sagte er: "Aber diese Elefantenohren ..." und zupfte an ihrem Ohrläppchen. Charli lachte. Ihre Ohren waren perfekt und das Einzige an ihr, worüber sie sich nicht beschwerte. Grants Blick glitt zu ihrem Mund, und sie wusste, dass er sie nun küssen würde. Ihr Herz schlug schneller, als er den Kopf senkte und ihre Lippen in Besitz nahm. Wie immer war es ein kleiner Schock für sie, so aufregend war es, von Grant geküsst zu werden, und sie konnte gerade noch ein lustvolles Aufstöhnen unterdrücken. Es war etwas unendlich Sinnliches an Grants Küssen, und als seine Zunge zwischen ihre Lippen glitt, teilte sie sie bereitwillig. Grant hatte Charli schon öfter so geküsst, und es erregte sie, doch sie hatte dem Impuls, den Kuss auf die gleiche Weise zu erwidern, bisher immer widerstanden, da sie nicht sicher war, was Grant von ihr erwartete, und sie auf keinen Fall leichtfertig erscheinen wollte. Ohne Vorwarnung hob er sie auf seinen Schoß und beruhigte sie mit geflüsterten Koseworten, als sie sich unwillkürlich verspannte. Dann hob er ihre Beine auf die Kissen und platzierte Charli so, dass sie bequem neben ihm in der Sofaecke lehnte. Mit den Lippen strich er zärtlich über die zarte Haut im Ausschnitt ihrer pink und weiß gestreiften Bluse. "Was für ein Parfüm ist das? Du riechst so gut."
"Das ist nur Seife und Bodylotion." Sie nannte eine Marke, die man in jedem Supermarkt bekam, und spürte, dass er lächelte. "Ich werde dir eine Schachtel kaufen", murmelte er und küsste sie erneut, während er eine Hand zu ihren Brüsten gleiten ließ. Er hatte schon bei anderen Gelegenheiten versucht, ihre Brüste zu berühren, doch sie hatte immer schweigend seine Hand zurückgehalten. Nun blieb sie jedoch nur stocksteif sitzen. Grant hob den Kopf und sah ihr ins Gesicht, während er zärtlich ihre Brust liebkoste. Sie wandte den Blick ab, aus Angst, ihm zu verraten, wie sehr seine Berührung sie erregte. Jeder Nerv in ihrem Körper summte. Sie hatte sich während der vergangenen zwei Wochen ausgemalt, wie es sein würde, wenn er sie dort berührte, und an anderen Stellen auch. Wenn es durch die Kleider schon so ein prickelndes Erlebnis war, wie würde es dann erst sein, seine Hände auf der nackten Haut zu fühlen? Charli war immer unsicher gewesen in Bezug auf ihre Brüste, die sie für ihre Statur zu groß fand, obwohl sie mit den Jahren gelernt hatte, sie durch Kleidung geschickt zu kaschieren. Als Grant sie nun streichelte, erwachte die alte Unsicherhe it in ihr, und sie wollte, dass er aufhörte, sie auf diese intime Weise zu berühren. Grant musste es gespürt haben, denn er ließ die Hand ein wenig tiefer sinken und legte sie auf ihre Hüfte. Dann zog er Charli an sich und küsste sie mit einer Leidenschaft, die ihr den Atem raubte. Er streichelte ihre Hüfte und ihren Oberschenkel, und obwohl auch Charli Grant jetzt gern umarmt hätte und den Drang verspürte, ihrem Verlangen nachzugeben, wagte sie es nicht. Diese Gefühle - willkommen und zugleich entnervend waren noch so neu für sie, dass sie nicht wusste, wie sie sich verhalten sollte - oder was ein Mann von einer Frau erwartete, wenn sie auf seinem Schoß saß und sich von ihm berühren ließ.
Grant unterbrach den Kuss und betrachtete Charli, als gefiele ihm, was er da sah. Ihr Haar war zerzaust, und sie wünschte jetzt, sie hätte einen Kamm - bis sie das glutvolle Verlangen in Grants Augen sah. "Wenn du so ausgesehen hättest, als ich dich abgeholt habe", sagte er, während er ihr zärtlich über das Haar strich, "wäre ich sofort mit dir hierher gefahren und hätte auf das Essen gern verzichtet." Er öffnete den obersten Knopf ihrer Bluse und griff dann nach dem zweiten. Abwehrend legte Charli ihre Hand auf seine. "Schon gut", murmelte er. Seine Knöchel streiften die Haut, die er entblößt hatte, und den Rand ihres weißen BaumwollBHs. "Ich habe an Schutz gedacht." Charli schluckte, geplagt von widerstreitenden Gefühlen. Sie wusste, was er meinte - so naiv war sie nun doch nicht! Und auch nicht naiv genug, um nicht zu spüren, wie erregt er war. Er wollte mit ihr schlafen, dieser Mann, den sie liebte und von dem sie seit zwei Wochen unablässig träumte, Tag für Tag und Nacht für Nacht. Noch nie in ihrem Leben waren Charlis moralische Prinzipien auf eine so harte Probe gestellt worden. Sie wusste, dass sie hoffnungslos altmodisch war, doch für sie gingen Sex und Ehe Hand in Hand. Schließlich war der Liebesakt das Intimste, was zwei Menschen miteinander teilen konnten. Wenn sie einen Mann genug liebte, um diesen letzten Schritt zu tun, liebte sie ihn auch genug, um ihn zu heiraten. Männer dachten natürlich anders darüber. Für Grant waren flüchtige sexuelle Abenteuer sicherlich nichts Neues; wahrscheinlich hatte er schon Sex, seit er ein Teenager gewesen war. Der Himmel mochte wissen, wie viele Frauen schon das Bett mit ihm geteilt hatten. Es war möglich, dass Charli nicht mehr als eine weitere Kerbe in seinem Bettpfosten für ihn wäre. Ihre Stimme war nur noch ein raues Flüstern, als sie die Knöpfe ihrer Bluse schloss. "Ich will es nicht."
Sie erkannte, dass ihre Weigerung Grant nicht überraschte. Trotzdem erwiderte er mit einem kleinen Lächeln: "Wenn du mir Gelegenheit gäbst, könnte ich dich dazu bringen, dass du willst." Das hast du schon, dachte sie, sagte es aber nicht. Er drückte ihren Arm. "Ich möchte dich nicht drängen, Charli. Vielleicht ist es sogar besser so." Sie fragte sich, wie er das meinte, als er sie von seinem Schoß hob. War auch er der Meinung, dass es noch zu früh war, oder hielt er es nur für besser, dass sie sich nicht liebten, weil es ohnehin keine gemeinsame Zukunft für sie beide gab? Grant stand auf. Seine Stimmung war plötzlich umgeschlagen. Während er Sekunden vorher noch entspannt, verliebt, ja sogar verspielt gewesen war, wirkte er nun bedrückt und auch ein wenig geistesabwesend. Jetzt macht er Schluss mit mir, schoss es ihr durch den Kopf. Er überlegt sich nur noch, wie er es mir taktvoll beibringen kann. "Könntest du bitte einen Moment hier warten?" fragte er eine Spur zu förmlich. "Natürlich." Grant verließ das Wohnzimmer. Charli saß steif auf der Sofakante und starrte die Sammlung antiker Spielbretter auf einer Bilderleiste an der Wand an. Während sie dem fernen Signalhorn eines Schiffes lauschte, bereitete sie sich auf das Schlimmste vor. Du wusstest, dass es nicht für immer sein würde, sagte sie sich. Zumindest hast du einige schöne Erinnerungen ... Wo blieb er? Vielleicht hatte sie etwas bei ihm liegen lassen, was er ihr noch rasch zurückgeben wollte, bevor er sie hinausbegleitete? Panik stieg in ihr auf, als sie Grant zurückkommen hörte. Am besten, sie kam ihm zuvor und machte selbst Schluss.
Dann fiel ihr der Heiratspakt ein. Sie musste drei Monate durchhalten, oder zumindest doch so lange, wie Grant noch interessiert war. Und wenn er es nicht war, musste er derjenige sein, der die Sache beendete. Sie konnte ihren Stolz nicht retten, indem sie ihm den Laufpass gab, ihm zuvorkam. Für Charli war der Heiratspakt ein feierliches Versprechen; die Regeln, auf die sie und ihre Freundinnen sich geeinigt hatten, waren ernst zu nehmen. Und deshalb blieb ihr keine andere Wahl, als sitzen zu bleiben und abzuwarten. "Entschuldige, dass ich dich warten ließ", sagte Grant, als er wieder ins Zimmer kam. Mit unergründlichem Gesichtsausdruck setzte er sich neben sie und berührte ihre Augenlider. "Schließ die Augen." Sie tat, worum er bat. Er hob ihre linke Hand. Sie fühlte etwas Hartes, Kaltes über ihren Ringfinger gleiten ... Sie hörte auf zu atmen. "Und nun öffne die Augen wieder, Charli." Sie starrte auf den großen, in Platin gefassten Diamanten an ihrem Finger, der von einer Anzahl kleinerer Diamanten umgeben war und aussah wie die Sonne zwischen einer Hand voll Sterne. Grant sagte: "Möchtest du mich heiraten?"
5. KAPITEL "Öffne die Augen, Charli. Bitte." Charli öffnete die Augen. Sie lag auf Grants Sofa, die Füße auf zwei weichen Kissen. Mit besorgter Miene starrte er auf sie herab. "Dem Himmel sei Dank!" stieß er hervor und lächelte erleichtert. "Du hast wirklich Sinn für Dramatik. Bedeutet ohnmächtig zu werden Ja oder Nein?" "Was?" Dann fiel es ihr wieder ein. Der Ring. Der Heiratsantrag. Benommen hob sie die Hand. Sie trug den exquisiten Ring noch. "Ich bin ohnmächtig geworden?" Sie wollte sich aufsetzen. Sanft drückte Grant sie wieder in die Kissen. "Bleib noch ein bisschen liegen. Wie fühlst du dich?" "Gut. Ich ... Es war vermutlich nur der Schock." Er lächelte sie zärtlich an. "Nun, mir hast du auch einen Schrecken eingejagt." "Du hast mich gefragt, ob ich dich heiraten will", murmelte Charli fassungs los. "Ich weiß, dass wir uns noch nicht lange kennen, aber ich halte mich für einen recht guten Psychologen. Ich brauche nicht mehr Zeit, um zu wissen, dass wir beide gut zusammenpassen." "Du meinst nicht, wir sollten noch ein bisschen warten und uns besser kennen lernen?"
"Was wichtig ist, wissen wir bereits übereinander. Um den Rest herauszufinden, haben wir ein ganzes Leben Zeit. Ich weiß, dass ich die richtige Frau gefunden habe. Und mit neununddreißig sehe ich keinen Grund, noch ein oder zwei Jahre zu warten, um zu heiraten." Charli lächelte, als ihr vor Glück die Tränen kamen. Sie war die Richtige für ihn. Das hatte er selbst gesagt. Und er konnte es kaum erwarten, sie zu seiner Frau zu machen. Er hob ihre Hand und betrachtete den Verlobungsring. "Wahrscheinlich hältst du mich für verrückt, dich schon so kurz, nachdem Raven uns miteinander bekannt gemacht hat, zu bitten, meine Frau zu werden." "Nein, überhaupt nicht", wehrte sie ab. "In meiner Familie sind arrangierte Ehen die Regel - oder waren es zumindest bis zu meiner Generation. Nonni hat sich ihren Mann nicht ausgesucht, aber sie liebten einander sechzig Jahre lang, obwohl sie sich vor der Hochzeit nur ein oder zwei Mal gesehen hatten. Und meine Eltern - sie mögen dir vielleicht nicht wie ein glückliches Paar erscheinen, so wie sie sich dauernd zanken, aber auch sie lieben sich sehr. Und auch ihre Ehe ist ohne lange Verlobungszeit von meinen Großeltern arrangiert worden." Sie lächelte. "Sie hielten nichts davon, lange zu warten - warum den jungen Le uten Zeit für Unfug vor der Hochzeit geben?" Sie hatte erwartet, dass Grant ihr Lächeln erwidern würde, aber ihre Worte schienen einen ernüchternden Effekt auf ihn zu haben. "Wir sollten einige Dinge klarstellen, bevor du dich entscheidest." Charli richtete sich mit seiner Unterstützung auf. "Wie ich bereits sagte", fuhr Grant fort, "gehe ich auf die vierzig zu. Ich habe viele Jahre hart gearbeitet, um so leben zu können, wie es mir gefällt. Man könnte also sagen, dass ich in gewissen Dingen ziemlich unflexibel bin. Aber das bist du in so mancher Hinsicht sicher auch."
"Wahrscheinlich." Charli hätte ihm gern gesagt, wie entzückt sie über die Aussicht einer drastischen Veränderung in ihrem Leben war, aber das schien nicht das zu sein, was er jetzt hören wollte. Vermutlich hatten alle Männer ein bisschen Angst vor der Ehe, vor allem, wenn sie so lange allein gelebt hatten wie Grant. "Es gibt verschiedene Arten von Ehen", fuhr er fort. "Jeder bringt seine eigenen Erwartungen mit. Ich denke, du weißt schon, was ich meine." "Klar. Jeder Mensch ist schließlich anders." "Genau. Die Ehe, die ich dir anbiete, wird sich von der Norm ein wenig unterscheiden. Du und ich, wir werden nicht ..." Er machte vage Gesten und suchte offenbar die richtigen Worte. "Was ich meine, ist, dass es eine ... kameradschaftliche Verbindung sein wird. Eine für beide Seiten vorteilhafte Partnerschaft, die auf dem Respekt vor der Autonomie des anderen basiert." Charli biss sich auf die Lippen und unterdrückte ein Lachen. Er klang so anwalthaft, so förmlich. Er musste wirklich sehr nervös sein. "Mein jetziger Lebensstil", fügte Grant hinzu, "wird unverändert bleiben." Er blickte über Charlis Schulter, statt sie anzusehen. "Ich verstehe", sagte sie, im Stillen amüsiert über diesen Hinweis, dass sich an seinem eleganten Lebensstil nichts ändern würde. Als hegte sie auch nur den kleinsten Zweifel, dass er sehr gut für sie sorgen würde! Er sah sie an. "Was ich dir jetzt sage, ist ein bisschen peinlich, aber ich ... Also es gehört zu meinen Angewohnheiten, sehr häufig auszugehen. Und daran wird sich auch nichts ändern, wenn ich verheiratet bin." Das würde Charli nie von ihm verlangen. Sie hatte nicht vor, sich in eine Schreckschraube zu verwandeln, die ihrem Ehemann Vorhaltungen machte, wenn er gelegentlich zum
Angeln ging oder mit seinen Freunden abends einmal um die Häuser zog. "Ich kann sehr diskret sein, Charli. Ich werde nichts tun, dessen du dich schämen müsstest. Und angesichts der zweckmäßigen ... äh ... praktischen Natur der Ehe, über die wir reden", sagte er, "besteht kein Grund, warum ich nicht meine eigenen Interessen verfolgen sollte. Ich meine nur, es ist ja schließlich nicht so, als würden wir beide ..." Charli konnte es nicht glauben - Grant errötete! Sie legte die Hand auf seine, um ihn von seinem Elend zu erlösen. "Wir sind keine Zwanzigjährigen, die aus purer Leidenschaft eine Ehe eingehen. Ich will das Gleiche wie du auch, Grant." Sie drückte seine Hand. "Und mach dir keine Sorgen - ich respektiere deine Freiheit. Ich werde mich nicht in deine Gefängniswärterin verwandeln." "Heißt das, deine Antwort ist Ja?" "Natürlich sage ich Ja!" Lachend schlang sie ihm die Arme um den Hals und küsste ihn - das erste Mal, dass sie ihn von sich aus küsste. Grant schien überrascht, aber nur für eine Sekunde. Dann erwiderte er den Kuss. "Es wird funktionieren, Charli. Ich weiß es." "Natürlich wird es das!" Weil wir uns lieben, dachte sie, sagte es aber nicht. Sie konnte nur für sich selbst sprechen und brachte es nicht über sich, ihm ihre Liebe zu gestehe n, bevor er es tat. Vielleicht liebte Grant sie ja noch nicht, nicht so, wie sie ihn liebte. Aber das machte nichts. Grandpa Rossi hatte Nonni auch nicht geliebt, als sie geheiratet hatten; ihre Gefühle füreinander hatten sich erst mit der Zeit entwickelt. Und Betty Rossi hatte Charli erzählt, dass es bei ihr und Charlis Vater auch so gewesen war. Grant hatte Recht: Das Wichtigste wussten sie schon voneinander.
In den letzten beiden Wochen hatte sie gemerkt, dass sich hinter Grants höflicher Reserviertheit ein warmherziger, leidenschaftlicher Mann verbarg. Und mit der Zeit würde er auch lernen, sie zu lieben. "Du solltest wissen, dass ich gute Aussichten habe, in diesem Jahr noch Teilhaber in der Kanzlei zu werden", erklärte Grant. An der Art, wie er es sagte, erkannte Charli, dass es ihm sehr viel zu bedeuten schien. "Viel Glück. Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie behilflich sein, das zu erreichen." Sein Lächeln verblasste. Er sah ihr lange in die Augen, und sie las in seinem Blick, dass ihn irgendetwas beunruhigte. Sie wollte ihn gerade danach fragen, doch da berührte er ihre Wange und sagte lächelnd: "Komm, lass uns deiner Familie die guten Neuigkeiten überbringen."
6. KAPITEL In einem weißen Neglige, einer traumhaft schönen Kreation aus Chiffon und Spitze, die Raven mit ihr ausgesucht hatte, trat Charli vor den bodenlangen Spiegel im Gästezimmer in Grants Haus, in das er ihr Gepäck gestellt hatte. Er musste geahnt haben, dass sie ungestört sein wollte, wenn sie sich für ihre erste gemeinsame Nacht zurechtmachte. Das Spitzenoberteil mit den schmalen Trägem betonte ihre vollen Brüste und zeigte mehr Dekollete, als Charli je zuvor entblößt hatte. Und man konnte sogar ... Sie beugte sich vor, um genauer hinzusehen. Sogar die Spitzen ihrer Brüste waren zu erkennen! Automatisch griff sie nach dem Morgenrock, der zu dem Neglige gehörte, zog ihn über und raffte ihn vor den Brüsten zusammen. Abrupt hielt sie dann inne. Wie absurd. In einer kleinen Weile würde ihr frisch gebackener Ehemann alles von ihr sehen. Was machte es da noch für einen Unterschied, ob das Neglige durchsichtig war? Sie biss sich auf die Lippen, unterdrückte ein nervöses Lachen und schlüpfte wieder aus dem Morgenrock. "Es ist so weit, Carlotta", sagte sie nach einem tiefen Atemzug zu ihrem Spiegelbild. "Bist du bereit?" Noch keine Woche war seit Grants Antrag vergangen. Es war gegen Mittemacht, und die letzten Gäste waren gerade erst gegangen. Charli und Grant hatten sich an diesem Nachmittag in
Grants Wohnzimmer von einem Friedensrichter trauen lassen. Sie hatte ein Kleid aus apricotfarbener Seide getragen, das Raven zusammen mit ihr ausgesucht hatte. Der Ring, den Grant ihr angesteckt hatte, war wie der Verlobungsring aus Platin und mit Diamanten besetzt. Grant trug keinen Ring - das hielte er für überflüssig, hatte er gesagt. Charli hätte sich im Grunde nicht darüber ärgern dürfen schließlich waren sie ganz legal verheiratet, ob er einen Ring trug oder nicht. Aber es hätte sie trotzdem glücklicher gemacht, ihm einen Ring anzustecken. Die nächste Enttäuschung waren die ausgefallenen Flitterwochen. Sie würden bis zum Sommer damit warten müssen, wenn Grant Urlaub nehmen konnte. Im Moment bearbeitete er wichtige Fälle und konnte nicht die Zeit dazu erübrigen. Nach der Trauung hatte es einen kleinen Empfang bei ihm zu Hause gegeben. Grant hatte auf einer zivilen Trauung im kleinsten Kreis bestanden, worüber Charlis Eltern, die der Ansicht waren, nur eine kirchliche Trauung fände Gottes Billigung, ziemlich entsetzt gewesen waren. Doch obwo hl auch Charli insgeheim von einer großen Hochzeit, einem weißen Kleid und einer ganzen Schar von Brautjungfern geträumt hatte, hatte sie Grants Wünsche respektiert, um Unstimmigkeiten zu vermeiden. Charli ging zur Tür und lauschte. War Grant schon heraufgekommen? Erwartete er sie schon in seinem Schlafzimmer? In unserem Schlafzimmer, korrigierte sie sich. Leise trat sie auf den Korridor hinaus, ging zur Nebentür und klopfte schüchtern an. Keine Antwort. Von unten kamen gedämpfte Geräusche - das war wahrscheinlich Grant, der die Türen abschloss. Charli schlüpfte in den Raum, zog die Tür hinter sich zu und schaltete die beiden antiken Nachttischlampen an.
Das Schlafzimmer war in den gleichen Schattierungen eingerichtet wie der Rest des Hauses, wenn auch in dunkleren, wärmeren Tönen und mit schwarzen Akzenten. Es war ein ausgesprochen maskulines Zimmer, mit einem breiten Bett, dessen Kopf- und Fußteile mit dunkelbraunem Leder gepolstert waren. Die Tagesdecke war aus schwarzem Velours, die Bettwäsche aus feinstem schwarzen Leinen. Langsam ging Charli auf das Bett zu und kam sich wie ein Eindringling in diesem so kompromisslos maskulinen Raum vor. Vielleicht würde sie sich morgen, wenn ihre Sachen gebracht wurden, hier ein wenig mehr zu Hause fühlen. Zaghaft strich sie über das Kopfkissen, das kühl und glatt wie Seide war. Hier würde es geschehen. Heute Nacht. Der Mann, den sie liebte, würde sie entkleiden, sie berühren und seinen Körper mit ihrem vereinen. Er würde tun, was er letzte Woche tun wollte was sie auc h gewollt hatte, wenn sie ehrlich war. Der Gedanke daran hatte ihr in den Nächten den Schlaf geraubt und ihre Träume ungemein erotisch gemacht. Noch nie in ihrem Leben hatte sie sich so feminin und so begehrt gefühlt wie in den letzten Tagen vor der Hochze it. Charli setzte sich auf die Bettkante und wippte ein bisschen, um die Festigkeit der Matratze zu testen. Bei dem Gedanken an die noch viel härteren Tests, der dieses Bett heute Nacht unterzogen werden würde, musste Charli ein Kichern unterdrücken. Schließlich setzte sie sich in die Mitte des Betts, drapierte ihr durchsichtiges weißes Neglige um sich und fand, dass es einen hübschen Kontrast zu der schwarzen Decke bildete. Sie zog den Ausschnitt ihres Nachthemds etwas höher. Dann zog sie ihn wieder herunter. Und wartete. Wenige Minuten später drehte sich der Türknauf. Charlis Herz schlug schneller, als sie mit einem schüchternen Lächeln ihren Mann begrüßte.
Grant blieb wie angewurzelt stehen und starrte seine Frau an. Seine Hand, die eben noch den Schlips gelockert hatte, erstarrte. "Charli, was tust du denn hier?" Ihr Lächeln verblasste. Plötzlich war ihr, als presste eine gigantische Faust ihr Herz zusammen. "Ich ..." Grant unterbrach sich, nahm seinen Schlips ab und warf ihn und sein Jackett auf einen Stuhl. Sein Blick glitt fragend über Charli. Er schien beunruhigt, betroffen. "Wir hatten das besprochen", sagte er leise. Sie verschränkte nervös die Hände. Ihre Stimme war so schwach, dass sie sie selbst kaum hörte. "Was?" "Wir waren uns einig über die Art von Ehe, die wir führen würden." "Die Art ..." Charli schluckte. "Du meinst, du willst nicht...?" Sie blickte auf das Bett, auf dem sie saß. Er entfernte sich ein paar Schritte und rieb sich nervös den Nacken. "Ich weiß, dass ich das mit dir besprochen habe." Er versuchte, sich an den genauen Wortlaut ihrer Unterhaltung zu erinnern. "Ich nicht ... Wann?" Sie zog den Ausschnitt ihres Nachthemd hoch, was Grants Blick in ihre Richtung lenkte. Doch sofort wandte er ihn wieder ab. "Vergangene Woche", sagte er. "Als ich dir den Antrag machte." "Du hast nicht gesagt, wir würden nicht..." "Doch, das habe ich. Und du sagtest, das wäre das, was du auch willst. Eine Kameradschaftsehe." Kameradschaftlich. Sie erinnerte sich, dass er dieses Wort benutzt hatte. Und andere. Worte wie zweckmäßig und ... "Praktisch", sagte sie tonlos. "Das war es, was du meintest." Würde eine erfahrenere Frau verstanden haben, dass er von einer platonischen Ehe gesprochen hatte? Charli zog die Knie unter dem weißen Chiffonnachthemd an die Brust. "Warum?" flüsterte sie, den Tränen nahe.
Er seufzte. "Wenn du Scheidungsanwalt wärst wie ich, würdest du erst gar nicht fragen. All diese tränenreichen Vorhaltungen. Die üblen Schlachten um das Sorgerecht. Ehepartner, die einander einst ewige Liebe schworen und nun alles tun, um einander zu zerstören. Ich habe auch viele meiner eigenen Freunde durch diese Hölle gehen sehen." Charli bemühte sich, seine Argumente zu verstehen. "Aber was hat das mit...?" "Die meisten Ehen basieren auf so turbulenten Emotionen wie leidenschaftlichem Verlangen, das die Partner anfangs zusammenbringt. Doch Leidenschaft ist vergänglich. Sobald die unvermeidlichen Enttäuschungen kommen, beginnen die Leute ihren ganzen Zorn und Hass gegen die Person zu richten, die sie einst zu lieben geschworen hatten, bis dass der Tod sie scheide." Irgendetwas daran passte nicht. Sicher, Ehen scheiterten. Doch selbst angesichts der entmutigenden Scheidungsraten verliebten sich tagtäglich viele Menschen - Scheidungsanwälte nicht ausgeschlossen - und öffneten ihren Partnern bedingungslos ihr Herz. Es gehörte zur menschlichen Natur, zu hoffen und zu träumen, sich an einen Partner zu binden und eine glückliche, erfüllte Zukunft vorauszusehen, statt nur Enttäuschungen und Schmerz. Es musste noch etwas anderes hinter Grants düsteren Visionen einer Ehe stecken, etwas, das er ihr nicht sagte. Zum ersten Mal kam Charli zu Bewusstsein, wie wenig sie von dem Mann wusste, den sie geheiratet hatte. "Aber du wolltest... du weißt schon, was ich meine." Sie schlang die Arme noch fester um die Knie. "Letzte Woche." Er lächelte freudlos. "Männer sind simple Kreaturen, Charli. Man könnte sogar sagen, Opportunisten. Wir benötigen keinen großen Anreiz, wenn es um Sex geht." Charli errötete vor Scham. Sie war also wirklich nicht mehr für Grant gewesen als ein Körper - und offenbar nicht einmal ein besonders verführerischer.
"Ich spürte, dass meine Annäherungsversuche unerwünscht waren", fuhr Grant fort. "Ich nahm es als ein Zeichen, dass diese Art von Arrangement dir sehr gelegen käme. Du brauchst keine Angst zu haben; dass ich Forderungen an dich stellen werde. Deswegen habe ich dir das Gästezimmer überlassen." Nicht nur als Umkleidezimmer für die Hochzeitsnacht, sondern als ihr eigenes privates Schlafzimmer. Er glaubte, sie sei nicht interessiert an Sex. Männer hatten ein hässliches Wort für solche Frauen: frigide. Das war es, was ihr Ehemann von ihr dachte. Er betrachtete sie als kaltes asexuelles Wesen. Wie sollte sie reagieren? Ihm die Wahrheit sagen? Dass seine "unerwünschten Annäherungsversuche" sie erregt hatten? Dass sie im Bett gelegen und von ihrer Hochzeitsnacht geträumt hatte, bis sie vor Sehnsucht und Verlangen fast vergangen war? Nein, Charli hätte es nie über sich gebracht, so etwas zuzugeben, und es hätte ohnehin nichts an der Situation geändert. Grant wollte sie für frigide halten. Es kam ihm sehr gelegen, denn was er wollte, war eine Vernunftehe ohne emotionale Verwicklungen. Sie dachte an seine Entscheidung, keinen Ehering zu tragen. "Was du über dein hä ufiges Ausgehen sagtest ... damit meintest du wohl andere Frauen." Er wandte den Blick ab. "Wie ich bereits sagte, ich werde diskret sein und nichts tun, was dich in Verlegenheit bringen könnte." Er würde sich mit anderen Frauen treffen. Mit anderen Frauen schlafen. Charlis Magen zog sich zusammen, und einen Moment lang glaubte sie, ihr würde schlecht. "Was ist mit Kindern?" fragte sie, als sie wieder sprechen konnte. Er sah sie an. "Ist es das, was dich beunruhigt? Charli, ich ..." Sein Ausdruck wurde weicher. "Ich dachte, wir verstünden uns. Ich dachte, du wüsstest, dass wir keine Kinder haben werden. Falls das ein Missverständnis war, nehme ich die Schuld auf
mich. Es war mir etwas unangenehm, das Ganze zu besprechen, und ich verstehe jetzt, dass ich es vermasselt habe. Ich hätte direkter sein sollen." Er setzte sich auf die Bettkante, ohne Charli zu berühren. Sie starrte auf ihre Knie. "Es tut mir Leid, wenn wir uns falsch verstanden haben. Wünschst du dir Kinder?" Wie konnte sie ihm sagen, dass sie sich nie Kinder gewünscht hatte, weil sie überzeugt gewesen war, nie einen Mann zu finden? Erst während dieser euphorischen letzten Woche vor der Hochzeit hatte sie gehofft, geträumt, und sogar Namen für ihre Kinder ausgesucht: Michelle, Peter, Gabriella, Chris tian und vielleicht sogar Grant junior ... Sie blickte Grant nicht an. Sie wusste, sie würde in Tränen ausbrechen, wenn sie es tat. Die Matratze schwankte, und Charli spürte, dass er sich bewegte und vielleicht sogar die Hand nach ihr ausstreckte. Aber wenn ja, dann zog er sie wieder zurück, ohne sie berührt zu haben. "Es wird funktionieren." Seine Stimme klang rau. "Du wirst schon sehen. Zwei Menschen können auch eine Familie sein, Charli. Du hast deinen Beruf und wirst genug damit zu tun haben, den Hausha lt zu führen und Gäste zu bewirten - wie du es auch für deine Familie getan hast. Natürlich wird es eine andere Art von Haushalt sein, als du gewöhnt bist, aber nicht weniger anstrengend. Wann solltest du da überhaupt noch Zeit für Kinder haben?" Er sagte es, um sie zu trösten, das wusste sie. Wer brauchte Kinder, wenn es einen Haushalt zu führen gab? Wer brauchte Sex mit seinem Ehemann, wenn es Partys und Gesellschaften zu planen gab? "Wie du es auch für deine Familie getan hast..." "Ich meinte natürlich nicht, dass du das alles allein tun sollst", fügte Grant rasch hinzu. "Ich habe eine Putzfrau, und du kannst noch mehr Personal einstellen, wenn du willst. Du wirst
auch Hilfe haben, wenn wir Gäste einladen - schließlich möchte ich, dass meine Frau neben mir sitzt und mit meinen Seniorpartnern plaudert, statt in der Küche am Herd zu stehen." Charli zwang sich, zu ihm aufzusehen. "Warum?" "Ich habe dir doch gesagt..." "Du hast mir erzählt, warum du eine platonische Ehe willst. Aber warum hast du überhaupt geheiratet? Du hast doch schon das Leben, das du willst. Und du willst auch nicht, dass sich daran etwas ändert, das hast du selbst gesagt." "Ich habe gesagt, du wärst die richtige Frau für mich." "Die richtige inwiefern?" Er liebte sie nicht, und sie erkannte nun, dass sich daran nie etwas ändern würde. Liebe gehörte zu den "turbulenten Emotionen", von denen ihr Mann nichts wissen wollte. "Du sagtest, was wichtig wäre, wüsstest du schon über mich. Was war es denn an mir, was dich auf die Idee gebracht hat, mich zu heiraten?" "Nun, einerseits dein Temperament." Er schien seine Worte mit Bedacht zu wählen. "Du bist gutmütig, Charli. Anständig. Bescheiden. Entgegenkommend. Anspruchslos." Im Klartext: gefügig, übersetzte sie im Stillen. "Und du weißt, wie sehr ich dein häusliches Geschick und Organisationstalent bewundere", fügte er hinzu. Sie schüttelte den Kopf. "Ich verstehe es trotzdem nicht", sagte sie. "Du warst all diese Jahre ungebunden. Warum wolltest du jetzt auf einmal heiraten? Sei ehrlich, Grant. Ich habe ein Recht, es zu erfahren." Er seufzte resigniert. "Es war irgendwie ... der richtige Moment, Charli. Ich ..." "Der richtige Moment wozu?" Sie hob das Kinn. "Keine Bange. Ich möchte es nur wissen." Seine Lippen wurden schmal. "Ich sagte dir ja schon, dass ich eine Partnerschaft in der Kanzlei anstrebe." "Und da wäre es hilfreich eine Frau zu haben?"
"Es ist eine Voraussetzung. Jedenfalls in meiner Firma. Als Frank und Van Cleave mich einstellten, dachte ich, ich würde sehr schnell Teilhaber. Das war vor fünf Jahren - so lange hätte es gar nicht dauern dürfen. Aber die Firma ist erzkonservativ, und ein unverheirateter Mitarbeiter hat keine Aufstiegschancen." "Und das ist wichtig für dich? Partner in der Kanzlei zu werden?" "Es ist mein größter Wunsch!" "Warum?" Grant schwieg, und Charli spürte, dass er seine spontane Antwort schon bereute. "Es ist spät." Er stand auf. "Ich glaube, wir haben schon genug verpatzt für eine Nacht." Charli wusste, wann sie entlassen war. Bescheidene, anspruchslose Frauen wie sie erkannten so etwas. Sie glitt vom Bett, wünschte ihrem Ehemann eine gute Nacht und ging in ihr Zimmer.
7. KAPITEL "Eins muss man dir ja lassen", sagte Sam. "Wenn du einen Entschluss gefasst hast, machst du sofort Nägel mit Köpfen." Grant stand mit Sam auf der Terrasse von dessen Haus und nippte an seinem Bourbon. Es war ungewöhnlich warm für Anfang Mai, der nachmittägliche Himmel war von einem klaren, ungetrübten Blau. Grant folgte Sams Blick zu Charli, die mit Linda in der Spielecke des Gartens stand. Sams und Lindas beiden Söhne amüsierten sich auf Schaukel und Rutsche, während ihre kleine Tochter in der Nahe in einem Laufstall schlief. Grant betrachtete diesen Besuch als ersten Test für seine Frau, obwohl er ihr das natürlich nicht gesagt hatte. Aber sie hatte es längst erkannt, da war er sich ganz sicher. Er merkte es an den verstohlenen Blicken, die sie ihm zuwarf, an den verräterischen Pausen zwischen ihren Sätzen, als wäge sie jedes einzelne Wort ab, bevor sie sprach. Sosehr Grant sich auch wünschte, dass sie einen guten Eindruck machte, er wünschte sich auch, sie sei etwas entspannter und könne diesen Nachmittag genießen. Und vor allem wollte er sie lächeln sehen. Das höfliche Lächeln, mit dem sie ihre Gastgeber bedachte, war das erste seit ihrer Hochzeitsnacht - zumindest in seiner Gegenwart. Wäre er doch freimütiger gewesen, als er ihr den Heiratsantrag gemacht hatte! Er hatte wirklich offen mit ihr
reden wollen. Aber ihm war nicht ganz klar gewesen, wie schwer ihm das fallen würde. Als sie nach ihrer kurzen Ohnmacht wieder zu sich gekommen war, hatte er es nicht mehr übers Herz gebracht, ihr ganz genau zu sagen, wie er sich ihre Verbindung vorstellte. Das Ergebnis war, dass Charli in der Hochzeitsnacht verstört und beschämt gewesen war - und er zutiefst erschüttert. Der Himmel wusste, dass es nie seine Absicht gewesen war, sie zu verletzen. Trotzdem war er fest entschlossen, an seinem ursprünglichen Plan festzuhalten. Es stand zu viel auf dem Spiel für ihn, um sich jetzt mit Selbstzweifeln zu quälen. Er wünschte nur, Charli würde lächeln. "Komm", sagte Sam und ging über den Rasen zu den Frauen. "Wer weiß, was für aufrührerische Ideen Linda deiner Frau in den Kopf setzt, wenn wir sie zu lange allein lassen. Dann sind deine Flitterwochen nämlich vorbei, bevor sie überhaupt begonnen haben, Kumpel." "Höre ich da das Wort ,Flitterwochen'?" fragte Linda Grant. "Wie die Flitterwochen, die deine Frau nicht hatte?" Grinsend hob Grant beide Hände. "Hat Charli dir nicht ihren Trostpreis für die drei Monate gezeigt, die sie bis zur Hochzeitsreise warten muss?" Charli spielte mit dem Smaragd- und Diamantarmband an ihrem Handgelenk. "Das war viel zu teuer. Es stört mich nicht, zu warten." Linda klopfte Charli auf die Schulter. "Er ist frisch verheiratet und noch verliebt. Lass dir ruhig so viel Schmuck wie möglich schenken. Diese Quelle versiegt gewöhnlich um die gleiche Zeit, in der die ersten größeren Haushaltsgeräte kaputtgehen." "Was habe ich dir gesagt, Grant?" Sam lachte. "Meine Frau übt einen schlechten Einfluss aus. Colin!" rief er seinem fünfjährigen Sohn zu, der sich mit seinem dreijährigen Bruder
oben auf der Rutsche balgte. "Hör auf, bevor jemand verletzt wird!" Ein Kreischen lenkte ihre Aufmerksamkeit auf den Laufstall und die kleine Alice, die gerade aufgewacht war. Sam nahm das Baby auf den Arm. "Braucht sie eine frische Windel?" fragte Linda. Als ihr Mann die Schultern zuckte, fügte sie hinzu: "Das ist dein drittes Kind, Sam. Du müsstest langsam wissen, woran man es erkennt." "Ich verstehe nichts von solchen Dingen." Sams unschuldiger Blick vermochte jedoch niemanden zu täuschen. "Frauen können das besser." "Ja, klar. Erzieh Grant frühzeitig", riet Linda Charli, während sie Alices Po befühlte. "Sorg dafür, dass er Windeln wechseln kann, bevor du aus dem Krankenhaus nach Hause kommst. Alice ist trocken." "Oh." Sam blickte von Charli zu Grant. "Darf man gratulieren?" "Was?" fragte Grant. "Nein. Wir erwarten kein Kind." Er sah Charli an - doch falls das Thema sie verlegen machte, ließ sie es sich nicht anmerken. Das hätte ihr Stolz auch gar nicht zugelassen. Trotzdem musste es ein harter Schlag für sie gewesen sein, in der Hochzeitsnacht herauszufinden, dass sie nie Kinder haben würde. "Nun, wir dachten nur", sagte Sam. "So überstürzt, wie ihr geheiratet habt ..." Während Grant noch überlegte, wie er sich aus der Zwickmühle befreien sollte, sagte Charli: "Sie sind nicht die Ersten, die uns das fragen. Das ist unter den gegebenen Umständen nur natürlich. Darf ich Alice einmal halten?" Als sie das Baby nahm, sagte sie: "Bekommt sie einen Zahn? Sagten Sie nicht, sie sei erst vier Monate?"
"Viereinhalb." Sam nahm ein Tuch aus dem Laufstall und breitete es über Charlis Schulter. "Sie wird Sie sonst voll sabbern." "Colin hat erst mit sechs Monaten den ersten Zahn bekommen", warf Linda ein, "und Jesse sogar noch später. Was haben sie geschrien! Das Zahnen an sich scheint Alice nicht zu stören, sie sabbert nur so schrecklich." "Haben Sie versucht, ihr eine kalte Karotte zum Draufbeißen zu geben?" Grant staunte. Innerhalb von zwanzig Sekunden hatte Charli das Gespräch in eine andere Richtung gesteuert und ihre Gastgeber mit einem Thema, das sie interessierte, abgelenkt. Da war es, das Lächeln, das er sich gewünscht hatte. Er hatte es selbst auf ihre Lippen zaubern wollen, doch im Moment hatte sie für nichts anderes Augen als für Alice. Charli sprach mit leiser, sanfter Stimme zu dem Baby, das sich beruhigte und mit großen Augen zu ihr aufschaute. "Du bist ein Naturtalent", sagte Sam. "Ich hatte sehr viel Übung mit meinen Nichten und Neffen." Charlis strahlendes Lächeln verwandelte sie und erinnerte Grant daran, wie sie in den Wochen vor der Hochzeit gewesen war. Wie natürlich und wie liebevoll ihre Beziehung damals war. So wird es mit der Zeit wieder werden, sagte er sich - wenn Charli sich an das Eheleben und ihre Rolle als seine Frau gewöhnt und sich mit ihrer unvorhergesehenen Kinderlosigkeit abgefunden hatte. Sam fragte: "Was macht die Walston-Scheidung?" "Keine Fachsimpeleien!" protestierte Linda. "Es war nicht leicht", sagte Grant, "aber wir fanden die Vermögenswerte, die Walston beiseite geschafft hatte. Einen Haufen Geld, Auslandsanlagen und Immobilien, die er auf Strohmänner überschrieben hatte. All das innerhalb eines Jahres, bevor er seine Frau verließ. Der Richter fand das überhaupt nicht amüsant."
Sam grinste. "So viel also zu seinem Antrag auf einen Offenbarungseid." "Er dachte, er hätte seine Spuren gut verwischt, aber Romano, mein Ermittler, kennt sich aus mit diesen Tricks. Wenn Walston damit durchgekommen wäre, hätte seine Frau das Haus verloren und alles andere." Charli sagte: "Ein Privatdetektiv ist doch sicher teuer. Konnte diese Frau - deine Klientin - sich das leisten?" "Überhaupt nicht", sagte er. "Sie war Hausfrau und Mutter, seit sie vor elf Jahren diesen Schuft geheiratet hatte. Und er sorgte dafür, dass alles auf seinen Namen lief und sie nichts hatte um zu beweisen, welchen finanziellen Beitrag sie geleistet hat. Obwohl sie seine Kinder aufgezogen, ihm den Haushalt geführt und alles getan hatte, um ihm das Leben zu erleichtern, so dass er sich ausschließlich seiner Arbeit widmen und all dieses Geld verdienen konnte, von dem er dann behauptete, es existierte nicht." "Walston wird den Detektiv bezahlen müssen", erklärte Sam, "und auch die Anwaltskosten seiner Frau." "Manchmal ..." Grant hob sein Glas zu einem Toast, „siegt eben doch noch die Gerechtigkeit. Schön, wenn es so ist, nicht wahr?" Charli sah ihn ein bisschen seltsam an, so als deckte sich irgendetwas - an seinem Beruf, an ihm? - nicht mit ihren Vorstellungen von ihm. Alice begann zu weinen und griff nach ihrer Mutter. "Sie ist hungrig", sagte Linda, als sie die Kleine nahm. "Ich gehe lieber mit ihr hinein, um sie zu stillen." "Gefällt dir noch dein Infiniti?" fragte Sam. "Er gefällt mir so gut, dass ich noch einen kaufen werde, für Charli." "Ich habe es dir schon gesagt." Charli warf einen nervösen Blick auf Sam, bevor sie leise fortfuhr: "Ich brauche kein anderes Auto. Mein Camry ist erst drei Jahre alt."
"Du lehnst einen brandneuen Infiniti ab?" Lachend legte Sam den Arm um Charli. "Diese Frau liebt dich wirklich, Grant." Charli lächelte nur schwach und senkte den Blick. Vom Spielplatz kam ein schriller Schmerzensschrei. Als sie hinüberblickten, sahen sie den dreijährigen Jesse unter einer der Schaukeln auf dem Boden liegen. Colin starrte ihn schuldbewusst an. Bevor Sam sie erreichen konnte, sprang Jesse mit einem Wutschrei auf und stürzte sich auf seinen großen Bruder. Sam trennte die beiden und hob den kleineren Jungen auf. Colin zuckte mit den Schultern. "Er ist gefallen." "Er hat mich runtergeschubst." brüllte Jesse. Er trug rote Shorts und ein gestreiftes T-Shirt. Charli tupfte vorsichtig den Sand von seinen aufgeschrammten Knien. "Du musst die Wunde reinigen." Sam sagte: "Lass uns hineingehen, dann tue ich ein bisschen Peroxid darauf." "Nein!" schrie Jesse. "Das brennt!" Sam warf Grant und Charli einen flehenden Blick zu. "Einer von uns muss ihn festhalten." Charli sagte: "Oh, ich wette, Jesse ist groß genug, um das Peroxid selbst aufzutragen." Vater und Sohn blickten sie verwundert an. Sam sah aus, als fragte er sich, wieso er nicht selbst auf die Idee gekommen war. "Was meinst du, Jesse? Bist du groß genug, um deine Schrammen selbst zu reinigen?" Jesse schien zu überlegen. "Colin tut das nicht. Colin weint." "Tu ich nicht!" schrie Colin. "Du bist die Heulsuse!" Sam fragte: "Möchtest du Colin zeigen, dass du deine Schrammen selbst desinfizieren kannst?" Jesse nickte heftig. "Ja!" "Ich bin gleich wieder da", rief Sam über die Schult er, als er mit dem Jungen zum Haus hinüberging.
"Lass dir Zeit", sagte Grant. Als sie allein waren, wandte er sich zu Charli. "Wie bist du auf die Idee gekommen, ihn das Peroxid selbst auftragen zu lassen?" "Manchmal ist das Gefühl der Hilflosigkeit schlimmer als der Schmerz. Wenn man es selbst tut, tut es weh, aber zumindest bewahrt man die Kontrolle und ist nicht jemand anderem ausgeliefert." Ihre Worte brachten ihm ihre erste Verabredung in Erinnerung, bei der Charli sich so sehr bemüht hatte, den Abend zu beenden, als sie merkte, dass er sie loswerden wollte. Zumindest bewahrt man die Kontrolle und ist nicht jemand anderem ausgeliefert... Grant legte die Hand auf ihren Rücken und führte sie über den Rasen zu einer Schaukel mit breiter Bank, die an den Ästen einer alten Eiche hing. Grant stellte sein Glas ins Gras und setzte sich so, dass er seine Frau betrachten konnte. Langsam setzte er die Schaukel in Bewegung. Charli sah frisch und jung in dem kurzärmeligen mintfarbenen Leinenkleid aus. Grant hatte ihr gleich nach der Heirat eine Hand voll Kundenkarten der besten Kaufhäuser überreicht und sie aufgefordert, sich eine völlig neue Garderobe zuzulegen. Was Charli zu ihrer Arbeit anzog, kümmerte ihn nicht, aber sie brauchte modischere, elegantere Sachen, wenn er sie seinen Freunden und Geschäftspartnern vorstellte. Wie ein weiser Mann einmal gesagt hatte, bekam man nur ein einziges Mal die Chance, einen guten Eindruck zu machen. Licht fiel durch das Blätterdach der alten Eiche und tanzte wie ein Spitzenmuster über Charlis Körper. Grant musste an den Abend denken, an dem er um ihre Hand angehalten und versucht hatte, sie zu verführen. An jenem Abend hatte er sie begehrt. Charli auf dem Schoß zu halten, sie zu küssen und zu berühren das war nicht genug gewesen. Er hatte nicht daran gezweifelt, dass sie im Bett landen würden.
Bis er gemerkt hatte, dass Charli überhaupt nicht reagierte. Sie hatte seine Küsse und Zärtlichkeiten widerstandslos, aber ohne Enthusiasmus akzeptiert, fügsam und entgegenkommend, wie sie es auch in jeder anderen Hinsicht war. Aber auch ihre Fügsamkeit hatte Grenzen, und daher war er nicht überrascht gewesen, als sie sich geweigert hatte, mit ihm ins Bett zu gehen. Offenbar war Charli nicht sehr sinnlich - was im Nachhinein gesehen sogar gut war in Anbetracht der Beschaffenheit ihrer Ehe. Grant fragte sich, ob Charlis Aversion gegen Intimitäten einer von Natur aus schwachen Libido zuzuschreiben war oder eher unerfreulichen Erfahrungen, die sie in der Vergangenheit gemacht hatte. Mit dreißig musste selbst ein Mauerblümchen wie Charli gewisse Erfahrungen besitzen. Vielleicht war der Mann, der sie entjungfert hatte, egoistisch oder ungeschickt gewesen. Wenn ihre ersten sexuellen Begegnungen unbefriedigend gewesen waren, könnte das die Erklärung für ihr mangelndes Interesse an Sex sein. Wenn ich ihr erster Liebhaber gewesen wäre, dachte Grant, hätte sie heute vermutlich eine andere Einstellung zu Sex. Er hätte sie geduldig in die Geheimnisse der Liebe eingeführt. Er hätte ihre Lust geweckt, indem er sie erregte, bis sie vor Verlangen verging und an nichts anderes mehr denken konnte als an die Erfüllung, die nur er ihr schenken konnte. Verlangend hätte sie ihm die Beine um die Hüften geschlungen, sich an ihn gepresst und ihn mit einem lustvollen kleinen Aufschrei in sich aufgenommen ... Grant spürte, wie ein heftiges Ziehen durch seine Lenden ging. Seit einigen Tagen kam es immer häufiger vor, dass er sich Charli in seinem Bett vorstellte. Und dabei fand er sie nicht einmal begehrenswert - er hatte gleich erkannt, dass sie nicht sein Typ war. Seine erotischen Gedanken konnten nur eine perverse Reaktion auf die Tatsache sein, dass Charli sich nicht
für ihn interessierte und, seinem eigenen Wunsch entsprechend, für ihn unantastbar war. Wenn er sie in ihrer Hochzeitsnacht nur nicht in diesem durchsichtigen Neglige gesehen hätte! Ihre vollen Brüste mit den dunklen Knospen waren unter dem zarten Stoff deutlich zu erkennen gewesen. Sie war errötet, als er eingetreten war, aber in ihrem Lächeln hatte neben ihrer gewohnten Scheu noch etwas ganz anderes gelegen, etwas, das man fast Erregung nennen konnte. An jenem Abend war er zu verblüfft und bestürzt gewesen, um all diese verräterischen Einzelheiten richtig einzuschätzen. Aber seitdem hatte er sie manchmal bei einem langen, sehnsuchtsvollen Blick auf ihn ertappt, angesichts dessen er sich fragte, ob seine prüde kleine Braut vielleicht doch nicht so prüde war, wie er vermutet hatte. Und warum erregte ihn das, obwohl es seine sorgfältig erdachten Pläne doch nur ruinieren konnte? Charli schlug die Beine übereinander und lenkte Grants Blick damit auf ihren schlanken Oberschenkel. Ihr Kleid war knöchellang, aber der letzte Knopf befand sich über ihren Knien, und bei der Bewegung war das Kleid auseinander geglitten. Sie zog es rasch wieder über ihre Knie. Grant beugte sich vor und entblößte sie wieder. "Das Kleid ist so geschnitten, dass es Bein zeigt, Charli." Sie starrte ihn einen Moment an, setzte sich dann mit geschlossenen Beinen hin und zog den Rock über die Knie. "Ich dachte, eine meiner Tugenden sei Bescheidenheit." Er erinnerte sich, so etwas in der Hochzeitsnacht gesagt zu haben. "Ja, aber so stockkonservativ zu sein ist keine." Charli sah ihn an. Sie sah jetzt so verwundbar aus, dass sich etwas in ihm zusammenkrampfte. "Nein, wahrscheinlich nicht", erwiderte sie mit leiser Stimme. "Aber ich scheine dir überhaupt nichts recht machen zu können." "Das ist nicht wahr. Ich versuche nur, dich zu beraten."
"Es gibt Dinge, in die du dich lieber nicht einmischen solltest." "Wie zum Beispiel...?" "Wie die Sache mit meinem Wagen. Er gefällt mir, Grant. Es ist der beste, den ich jemals hatte." "Aber du kannst einen viel besseren haben! Ein Luxusauto! Sam muss dich für verrückt gehalten haben, als du einen brandneuen Infiniti abgelehnt hast." "Tut mir Leid, wenn ich dich vor deinem Freund in Verlegenheit gebracht habe." "Darum geht es doch nicht." "Worum dann? Um dein Image? Du willst nicht, dass die Leute - wichtige Leute - deine Frau einen drei Jahre alten Mittelklassewage n fahren sehen?" Was hätte er darauf erwidern können? "Na schön", entgegnete er seufzend. "Tu, was du willst. Ich verstehe es zwar nicht, aber es ist deine Sache, was du fährst." Sie nickte. "Dann behalte ich meinen Camry." "Von mir aus." Ein lastendes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, das nur vom gelegentlichen Zwitschern eines Vogels unterbrochen wurde. Schließlich fragte Charli: "Glaubst du, ich hätte dich deines Geldes wegen geheiratet, Grant?" "Wie kommst du darauf?" "Glaubst du es?" Er seufzte. Warum mussten sie darüber reden? Warum musste sie es so krass ausdrücken? "Charli, es ist nichts Schlimmes, wenn du dich finanziell verbessern wolltest. Glaubst du, ich dächte deshalb schlecht von dir?" "Ich war nicht arm, bevor ich deine Frau wurde", entgegnete sie steif. "Meine Familie ist nicht mittellos." "Ich habe nie gesagt, sie wären ..." Er unterbrach sich fluchend. "Natürlich warst du nicht arm. Aber erzähl mir nicht,
du hättest nicht auf jeden Penny achten oder keine Opfer bringen müssen. Es ist dir peinlich, zuzugeben, dass mein Einkommen und mein Lebensstandard deine Entscheidung, mich zu heiraten, beeinflusst haben. Aber du brauchst dich dessen nicht zu schämen. Du hast selbst gesagt, wir wären keine verliebten Zwanzigjährigen mehr. Wir sind beide realistisch denkende erwachsene Menschen." Ihre Stimme klang gepresst. "Kannst du dir nicht vorstellen, dass ich dich aus einem anderen Grund geheiratet habe?" Grants Arm, der um ihre Schultern lag, versteifte sich. "Ich weiß nur, dass wir zusammenpassen. Sonst hätte ich dieses Arrangement nicht vorgeschlagen." Ihm war bewusst, dass es nicht das war, was sie hören wollte. Tu es nicht, flehte er im Stillen. Versuch nicht, aus dieser Ehe etwas zu machen, was sie nicht ist. Das kann uns nur Konflikte bringen. Er spürte, wie sie sich ihm zuwandte und ihn ansah. Doch anstatt das Thema weiterzuverfolgen, wie er befürchtet hatte, fragte sie: "Bist du mit dem gleichen Lebensstandard aufgewachsen, den du heute hast?" Stirnrunzelnd blickte er sie an. "Wieso fragst du das?" Sie zuckte mit den Schultern, hörte aber nicht auf, ihn forschend anzusehen. "Du sagtest, du wärst in Pennsylvania aufgewachsen, in einer kleinen Stadt. Ich dachte nur ..." "Über diesen Teil meines Lebens rede ich nicht." Sie zögerte und suchte seinen Blick. "Du sagtest, du hättest keine Verbindung mehr zu deiner Familie." "Ich sagte doch schon, das steht nicht zur Debatte." Sie erschrak über seinen harten Ton und wich vor ihm zurück. Er stöhnte buchstäblich vor Frustration. "Hör mal, es ist ja nicht so, als hätte ich irgendwelche dunkle Geheimnisse vor dir. Es ist nur überhaupt nichts Interessantes an meiner Kindheit, nichts, was es wert wäre, erwähnt zu werden."
Charli schien widersprechen zu wollen, doch in diesem Augenblick rief Linda ihnen von der Terrasse aus zu: "He, ihr Turteltauben! Wollt ihr nicht zum Essen kommen?" Mit einem Seufzer der Erleichterung erhob sich Grant und nahm Charli bei der Hand.
8. KAPITEL "Lasst die Jungvermählten nebeneinander sitzen!" rief Charlis Mutter. Charlis Bruder Eddie machte rasch seinen Platz frei, und Charli setzte sich. Ein anderer ihrer Brüder, Paul, stand am Rand der Gruppe, die sich um die Hausbar versammelt hatte, und rief: "Auf keinen Fall! Wer weiß, was die beiden unter dem Tisch anstellen? Es sind Minderjährige anwesend!" Seine Bemerkung erzeugte schallendes Gelächter bei den über zwanzig Erwachsenen und den meisten Kindern. Charli vermied es, ihren Mann anzusehen, der neben ihr am Tisch im Hause ihres Neffen John saß, der mit seiner Frau und seinen Zwillingstöchtern in Sunnyside im New Yorker Stadtteil Queens lebte. Die Zwillinge waren heute ein Jahr alt geworden, und die gesamte Verwandtschaft hatte sich an diesem Mittwochabend zur Geburtstagsfeier eingefunden. John und seine Frau, Moira Sullivan-Rossi, hatten ihre Tochter Swanhilda und Valkyrie genannt, obwohl kein einziger Tropfen nordisches Blut in der Familie war. Die Zwillinge hätten in Aussehen und Temperament nicht unterschiedlicher sein können. Val war ein eigensinniger kleiner Trotzkopf mit grünen Augen und rotem Haar wie ihre Mutter. Die sanftere Swan, die dunkle Locken und braune Augen hatte, war gute fünf Pfund schwerer als ihre zierlichere Schwester.
Die Babys saßen an einem Ende des Tischs auf hohen Kinderstühlen. Kaum hatten sie die Kerze auf der Geburtstagstorte ausgeblasen - mit Hilfe ihrer älteren Cousins -, als Val auch schon ihre Händchen in die Zuckerglasur der Torte steckte. Swan hingegen lutschte ungerührt an ihrem Daumen und betrachtete das ganze Durcheinander mit Gelassenheit. Val schien nicht bereit, ohne einen Kampf die Kerze aufzugeben. Grant beugte sich zu Charli vor. Sie fühlte seine Hand auf ihrem Rücken, seinen warmen Atem an der Wange. "Ich werde der Rothaarigen das Jurastudium finanzieren. Wir könnten sie in der Kanzlei gebrauchen." "He, Grant, sag bloß nichts Unanständiges vor Nonni!" rief Donnas Mann Artie. Grandma Rossi, die auf ihrem Ehrenplatz am anderen Tischende saß, bemerkte etwas auf Italienisch, worauf die älteren Familienmitglieder in lautes Gelächter ausbrachen. "Sie sind erst anderthalb Wochen verheiratet", erklärte Angie, Charlis andere Schwester. "Sie dürfen noch ein bisschen schmusen." "Gut, dass wir sie aus dem Haus gelockt haben", sagte Robby. "Wie ich hörte, rauchten schon die Laken!" "Halt den Mund!" Mom gab ihrem jüngsten Sohn einen Klaps, worauf er nur noch lauter lachte. "So redet man nicht am Geburtstag seiner Nichten!" Dad sagte: "Der Junge macht nur Spaß, Betty. Lass ihn in Ruhe." Grant riskierte noch ein weiteres Flüstern: "Wir scheinen ja großes Aufsehen zu verursachen." Gharlis Wangen brannten. "Es tut mir Leid. Ich hätte dich warnen sollen. So haben sie sich auch schon aufgeführt, als meine Brüder und Schwestern geheiratet haben." "Ah, es ist also eine Familientradition. Wie nett. Ehrlich, Charli, ich verstehe nicht, warum du dich entschuldigst." Er streichelte ihren Rücken. "Sie machen doch nur Spaß."
Charli wandte sich ihm zu und hielt den Atem an, als sie sein Lächeln sah. Er sah plötzlich so sorglos und unbekümmert wie ein Schuljunge aus, was ihr einen kleinen Eindruck davon vermittelte, wie er in seiner Jugend ausgesehen haben musste. War er damals auch so unbeschwert gewesen? Charli glaubte die Antwort bereits zu kennen, denn all ihre Fragen nach seiner Vergangenheit waren unbeantwortet geblieben. Sie hatte noch nie jemanden gekannt, der in Bezug auf seine Vergangenheit derart verschwiegen war. Vorübergehend war ihr sogar der Gedanke gekommen, ihr Mann verberge vielleicht etwas wirklich Schwerwiegendes, wie etwa eine Vorstrafe. Aber hätte er dann überhaupt Anwalt werden können? Eine erzkonservative Kanzlei wie Fannan, Van Cleave und Holm hätte ihn jedenfalls gewiss nicht eingestellt. Nein, es musste etwas anderes sein, etwas so absolut Persönliches, dass er glaubte, er müsse es sogar vor seiner Frau verbergen. Nicht; dass sie sich als seine Frau betrachtete - als eine bessere Haushälterin wohl eher. Was Charli anging, hatte sie nur einen Hausverwalterjob gegen einen anderen ausgetauscht. Sie konnte über ein beinahe unbegrenztes Haushaltsgeld und Taschengeld verfügen, das Grant zahlte. Charli hatte gedacht, sie würden ihre Gehälter zusammenlegen und ein gemeinsames Konto führen wie andere Ehepaare. Doch das hatte Grant ihr sofort ausgeredet und ihr versichert, sein Einkommen sei mehr als ausreichend für alle ihre Ausgaben, und darauf bestanden, dass sie ihr eigenes Geld für sich behielt. In Grants Augen war ihr finanzieller Beitrag nicht einmal als "zweites Einkommen" einzustufen. Er war schlicht belanglos. Charli war es nicht gewöhnt, ihr schwer verdientes Geld und ihren Beruf gering geschätzt zu sehen, schon gar nicht von dem einen Menschen, dem sie eigentlich näher stehen müsste als irgendjemand sonst auf dieser Welt. Sie hatte schnell erkannt, dass der Ehepartner, der das Scheckbuch zückte, auch die Macht
besaß. Nicht, dass Grant ein Tyrann gewesen wäre, aber es stand außer Zweifel, wer bestimmte und wer die wichtigen Entscheidungen in ihrer Ehe traf. Während alle vom Geburtstagskuchen aßen, packten die Zwillinge mit Hilfe ihrer Cousins ihre Geschenke aus. Danach zogen Charli und Grant sich in den Wintergarten zurück, wo einige der Nichten Charlis mit ihren Puppen spielten. Grant verjagte zwei Katzen von dem kleinen Rattansofa und setzte sich mit Charli darauf. "Wir können gehen, wenn du willst", sagte sie leise. "Du brauchst nicht das Gefühl zu haben, du müsstest den ganzen Abend hier bleiben." "Kein Problem. Lass uns ruhig noch ein bisschen bleiben." Charli hatte das Gefühl, dass Grant ganz gern mit ihrer Familie zusammen war, so erstaunlich das auch schien für einen eingefleischten Junggesellen. Doch vielleicht tat er ja nur ihr zuliebe so. Die kleine Val wackelte auf ihren kurzen Beinchen in den Raum. Als sie Grant und Charli sah, stoppte sie so abrupt, dass sie auf den Po fiel. "Val!" Moira eilte ihr nach. Sie trug Swan auf der Hüfte und sah abgehetzt und müde aus. Val schrie und schlug nach Moira, als sie versuchte, sie mit dem anderen Arm aufzuheben. "Komm, Süße, es ist Zeit fürs Bett." Moira sah Charli und Grant an. "Val fing mit zehneinhalb Monaten zu laufen an." Sie seufzte. "Der Himmel stehe mir bei, wenn Swan so weit ist." "Warum lassen Sie sie nicht für eine Weile bei uns?" schlug Grant vor. Er hob das Baby auf und setzte es auf seine Knie. "Irgendetwas sagt mir, dass diese kleine Lady hier noch gar nicht müde ist." "Sind Sie sicher?" fragte Moira. "Sie kann sehr anstrengend sein."
"Oh, ich glaube, ich komme schon zurecht mit einem ..." Er brach ab, als Val die Finger in das Brusthaar krallte, das in dem offenen Kragen seine s taubengrauen Polohemds zu sehen war. Sanft löste er die kleinen Fingerchen. "Hast du gehört?" Charli warf der Frau ihres Neffen einen amüsierten Blick zu. "Er glaubt, er wird mit einem kleinen Baby fertig." Moira schmunzelte. "Also gut. Geben Sie sie John, wenn sie Ihnen zu anstrengend wird. Ich bringe inzwischen Swan ins Bett und hole mir etwas zu trinken." Da Val nicht bereit schien, von Grants Brusthaar abzulassen, knöpfte er das Hemd zu. "Du bist ein kleiner Teufel, nicht?" fragte er das Baby lächelnd. "Du weißt, was du willst, nicht wahr?" "Ba-ba-ba-ba-ba!" brabbelte Val und zerrte an seinen Hemdknöpfen. "Sie hat wirklich das Talent zum Anwalt", sagte Grant. "Sie erhebt schon Einspruch gegen alles." Charli dachte, dass es ein bemerkenswerter Anblick war, Grant Sterling mit einem Baby auf den Knien zu sehen. "Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass du dir die Zeit genommen hast, mich zu dieser Familienfeier zu begleiten", sagte sie. "Ich sagte doch schon, es stört mich nicht. Ich werde morgen Abend einfach ein paar Überstunden machen." "Oh. Ach so." Grant blieb an den meisten Abenden länger im Büro - oder zumindest sagte er das Charli. Sie kam sich wie die typische eifersüchtige Ehefrau vor, die sich fragte, ob ihr Mann tatsächlich Überstunden machte oder sie betrog. Am letzten Samstag hatte er seine Golftasche in den Kofferraum geworfen und war für den ganzen Tag verschwunden. "Ich komme nicht zum Abendessen", hatte er gesagt, obwohl sie längst daran gewöhnt war, in dem großen Haus allein zu essen.
Hatte er wirklich Golf gespielt? Mit wem? Und was hatte er den Rest des Tages getan? Wo hatte er gegessen? Und mit wem? Charli quälte sich mit diesen Fragen, wagte aber nicht, Raven, Amanda oder Sunny davon zu erzählen - sie hätte sich zu sehr geschämt. Ihre Freundinnen glaubten, sie habe das Glück gefunden, das sie sich ihr Leben lang gewünscht hatte. Sie konnte ihnen nicht die demütigende Wahrheit beichten. Ihr Stolz erlaubte ihr nicht, zu ihren Eltern und zu ihrem alten Leben zurückzukehren. Wie hätte sie ihrer Familie und ihren Freunden gestehen können, dass die unscheinbare, langweilige Charli Rossi-Sterling nicht einmal ihren Ehemann dazu bringen konnte, das Bett mit ihr zu teilen? Niemand, der Grant jetzt beobachtete, wie er neben seiner Frau saß und mit seiner kleinen Großnichte spielte, würde irgendetwas Ungewöhnliches entdecken. Charli stand auf. Wenn sie noch länger dasaß und sich fragte, mit wem ihr Mann morgen Abend Überstunden machen wollte, würde sie in Tränen ausbrechen. "Ich schau mal nach, ob sie in der Küche Hilfe brauchen", murmelte sie und schlüpfte aus dem Raum. Wahrscheinlich bildete sie es sich nur ein, aber er sah fast etwas enttäuscht aus, als sie ging. In der Küche fand sie Grandma Rossi, die allein am Tisch saß und die Bestecke abtrocknete. Charli nahm sich ein Tuch und setzte sich zu ihrer Großmutter. "Wir können nicht viel länger bleiben. Aber ich bin froh, dass wir den Mädchen zum Geburtstag gratulieren konnten." Nonni warf ihr einen viel sagenden Blick zu. "Sieh zu, dass du deinen Mann nach Hause bringst, Carlotta. Da gehört ihr hin, so frisch verheiratet." "Nonni..." Charli verdrehte die Augen. "Fang du nicht auch noch an."
"Ich sehe, wie dein Grant dich anschaut - con pasione." Ihre Augen wurden feucht. "Mein Sergio hat mich früher auch so angesehen." Das bezweifle ich aber wirklich, dachte Charli. Sie erinnerte sich, wie ihr Großvater ihre Großmutter angesehen hatte, an die zärtliche Verehrung, die er niemals zu verbergen suchte, und den Hauch von Schabernack, der selbst nach sechzig Ehejahren nicht vergangen war. "Dieser Blick, der bringt molto bambini." Nonni schwenkte lächelnd eine Gabel vor Charli. "Ich hoffe, ihr habt viele Schlafzimmer in eurem großen Haus." "Du irrst dich, Nonni. Nicht jeder Mann empfindet so für seine Frau. Grant sieht mich nicht mit passione an." "Du siehst nicht, wie dein Mann dich ansieht." Nonni beugte sich zu Charli vor. "Nicht immer. Er tut es nur, wenn er denkt, es merkt niemand. Er hält sich für sehr schlau. Aber Luisa Rossi ..." sie deutete auf ihre Augen, "... entgeht nichts." "Ach, Nonni, falls Grant mich wirklich irgendwie besonders ansieht, dann nur, weil er zu höflich ist, zu sagen, dass er heimgehen will. Und nicht, weil er ..." Sie brach seufzend ab. Was würde Charlis geliebte Großmutter und lebenslange Vertraute sagen, wenn sie wüsste, dass Charli noch immer Jungfrau war, dass sie als Jungfrau sterben und es nie bambini geben würde, um die Zimmer des großen Hauses in der Bucht zu füllen? Nonni lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und nickte weise. "Es gibt Wege." "Wege? Was meinst du damit?" "Eine kluge Frau weiß, wie sie passione in ihrem Mann wecken kann." Es sei denn, ihr Mann hebt sich seine passione für andere Frauen auf, dachte Charli und griff nach einem weiteren Löffel. Ihr Kinn begann zu zittern. Sie wagte nicht, in Nonnis kluge braune Augen zu sehen.
Nonni fuhr fort: "Du brauchst nur ..." Sie murmelte etwas auf Italienisch und suchte nach dem englischen Wort. "Weibliche List!" rief sie dann triumphierend. Charli wüsste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Seit wann verfügte die unscheinbare, langweilige Charli RossiSterling über weibliche List? "Vielleicht sollte ich einfach meinen Zauberstab schwenken. Das würde wahrscheinlich eher klappen." "Es gibt Wege, das Interesse eines Mannes wach zu halten", sagte Nonni. "Es ist die Art, wie du ihn ansiehst. Oder ihn nicht ansiehst. Du ignorierst ihn. Neckst ihn. Die Art und Weise, wie du dich bewegst, was du anziehst, was du sagst, wie du es sagst ... Dann kann er bald an nichts anderes mehr denken als an dich, und du bist für ihn wie eine obsessione." Eine Besessenheit. Charli versuchte, sich vorzustellen, dass ihr Mann von ihr besessen war, sie begehrte und sie so ansah, wie Nonni es behauptete. Das würde nie geschehen. Oder? Charli war plötzlich wütend auf sich selbst, weil sie diese Möglichkeit auch nur in Erwägung zog, und auf ihre Großmutter, weil sie sie auf die Idee gebracht hatte. Nonni beobachtete sie, zog eine Augenbraue hoch und nickte weise. "Weibliche List." "Die besitze ich leider nicht, Nonni." "Bitte deine Freundinnen, dir zu helfen. Diese Amanda. Sie wird dir sagen, was du tun musst." "Amanda? Ihr seid doch nie der gleichen Meinung", erinnerte Charli sie. Nonni winkte ab. "Amanda hat Erfahrung. Die kennt schließlich die Männer." "Das ist anzunehmen nach zwei Ehen und zwei Scheidungen." Nonni murmelte etwas Missbilligendes.
"Ihr tratscht doch hoffentlich nicht über mich?" fragte Grant, der plötzlich in der Tür erschien, und zwar ohne Baby. Von dort, wo Charli saß, sah er groß und eindrucksvoll und herzzerreißend attraktiv aus mit diesem zärtlichen kleinen Lächeln, das immer eine süße Schwäche tief in ihrem Innersten auslöste. Das Lächeln war nett und stets willkommen, doch es war nicht die Art von leidenschaftlichem Blick, von dem Nonni gesprochen hatte. Bedenk doch nur, bei wem du Rat suchst für dein Liebesleben, dachte Charli. Bei einer dreiundneunzig Jahre alten italienischen Witwe, die den Mann geheiratet hatte, den ihre Eltern für sie ausgesucht hatten und die in ihrem ganzen Leben nie mit einem anderen ausgegangen war. Sie erhob sich. "Bist du so weit?" "Wenn du es bist." Grant beugte sich vor und küsste Charlis Großmutter auf die Wange. "Wir besuchen dich am Wochenende, Nonni. Ich bringe etwas von dem Kaffee mit, den du so gerne trinkst." Es gab einen Laden in Little Italy, der importierten Kaffee verkaufte, der die alte Frau in Verzückung geraten ließ. "Nein, nein, dieser Kaffee e troppo costoso", protestierte Nonni, obwohl ihre braunen Augen bei dem Gedanken aufleuchteten. "Das sind Diebe, sie nehmen viel zu hohe Preise als wäre der Kaffee aus Gold!" "Na gut", sagte Grant. "Dann kaufe ich eben keinen." "Bring mir fünf Pfund mit", sagte Nonni. "Er hält sich gut in der Gefriertruhe." Er lachte. "Ich hole ihn morgen in der Mittagspause." Dann umarmte Charli ihre Großmutter, und als sie sich bückte, verspürte sie ein warmes Prickeln auf dem Rücken. Sie blickte sich um und sah gerade noch, dass Grant den Blick von ihrem Po abwandte. Rasch setzte er wieder eine unbewegte Miene auf, aber einen winzigen Moment lang hatte sie etwas
anderes in seinen kühlen braunen Augen gesehen. Etwas, das alles andere war als kameradschaftlich oder platonisch. Gestern hätte sie diesem flüchtigen Blick noch keinerlei Bedeutung zugemessen. Wenn sie zurückdachte, war es gar nicht das erste Mal, dass sie einen derartigen Blick auffing. Gestern hatte sie gewusst, dass er nichts zu bedeuten hatte. Und jetzt... Jetzt wusste sie nicht, was Wirklichkeit und was Wunschdenken war. Nachdem sie sich von den anderen verabschiedet hatten, fuhren sie heim. Die Fahrt von Queens zu ihrem exklusiven Wohnviertel an der Nordküste von Long Island dauerte eine knappe Stunde, in der sie Musik hörten und nicht viel redeten. Charli warf Grant hin und wieder einen verstohlenen Blick zu und dachte über Nonnis Worte nach. "Was hat dieser Seufzer zu bedeuten?" fragte Grant. "Möchtest du darüber reden?" Sie schüttelte den Kopf. "Es ist nichts. Ich bin nur ein bisschen müde." "Wir sind bald zu Hause." Charli wusste, dass Grant sie auf seine Weise gern hatte. Sie zweifelte nicht daran, dass sein Angebot, zu reden, ernst gemeint war - solange das Thema nur nicht zu gefühlsträchtig war. Solange es nicht irgendwelche starken Emotionen weckte oder jene destruktiven Leidenschaften, vor denen er fortwährend auf der Hut war. Sie dachte daran, wie sie bisher gelebt hatte - erst als stille, pflichtbewusste Tochter und nun als stille, pflichtbewusste Ehefrau. Sie dachte an die einzige Gelegenheit, bei der sie sich tatsächlich einmal durchgesetzt hatte: als sie kurz vor ihrer Hochzeit ihre Geschwister versammelt und ihnen mitgeteilt hatte, dass sie von nun an ihre Verpflichtungen ihren Eltern und ihrer Großmutter gegenüber zu erfüllen hatten.
Dieses eine Mal hatte sie ihre eigenen Bedürfnisse und Wünsche an die erste Stelle gesetzt und dabei etwas gelernt, was ihr in den ersten dreißig Jahren ihres Lebens nie so richtig klar geworden war: Ihre Bedürfnisse zählten. Ihre Wünsche zählten. Sie verdiente es, glücklich zu sein. Sie dachte an den heimlichen Blick, den Grant ihr vorhin zugeworfen hatte. Und die anderen Blicke, die sie nicht beachtet hatte, weil sie es gar nicht für möglich gehalten hätte, dass er sie auf diese Weise ansah. Und in dieser Weise an sie dachte. Vielleicht hatte Nonni in ihren dreiundneunzig Jahren doch etwas gelernt. Und vielleicht verdiente Charli einen Mann in ihrem Bett.
9. KAPITEL Grant zog sein graues Polohemd aus und warf es auf das Bett. Sie waren vor etwa zwei Stunden von der Geburtstagsfeier der Zwillinge zurückgekommen und hatten danach eine Partie Billard im Keller gespielt, wie sie es häufig abends taten. Charli war erstaunlich gut in dem Spiel, denn als Kind hatte sie ihre Brüder oft in den Billardsalon um die Ecke begleitet. Nachdem sie ihm eine gute Nacht gewünscht hatte und ins Bett gegangen war, hatte er noch ein bisschen die Kugeln auf dem Filz herumgeschoben, doch allein und ohne jemand, gegen den er spielen konnte, verlor er das Interesse. Früher habe ich oft stundenlang allein gespielt, dachte Grant. Früher habe ich nie Gesellschaft gebraucht. Verdrossen knöpfte er seine grüne Khakihose auf und hielt dann inne. Musik. Hörte Charli Radio? Dann fiel ihm ein, dass sie in ihrem Zimmer gar kein Radio hatte. Rasch knöpfte er die Hose wieder zu, öffnete die Tür zum Korridor und hörte die unverwechselbaren Töne einer Flöte. Charli hatte ihm gesagt, als Musiklehrerin spiele sie recht passabel verschiedene Instrumente, aber die Flöte sei ihr Lieblingsinstrument. Auf bloßen Füßen schlich er zu ihrer Tür, die einen Spaltbreit offen stand. Charli spielt mehr als nur passabel, dachte er, erstaunt über die ungewöhnliche Synkopierung und das lebhafte
Tempo ihres Stücks. Es war voller Kraft und Emotion und klang ein bisschen keltisch. Von Charli hätte er erwartet, dass sie ruhigere, konventionellere Stücke spielen würde. Dies war mehr der Stil von Ian Anderson, der in der Rockband Jethro Tull die Flöte spielte. Grant trat näher und spähte in ihr Zimmer, in dem nur eine Nachttischlampe brannte. Charli stand am Fenster und schaute auf die dunkle Bucht hinaus. Sie trug ein Shorty aus dünnem Baumwollstoff mit Blumenmuster - ein ärmelloses Oberteil über kurzen Shorts, die nur knapp bedeckten, was sie eigentlich verhüllen sollten. Vor allem jetzt, als sie ihren Körper im Rhythmus der Musik bewegte und ihr Haar wie ein schimmernder dunkler Vorhang über ihre Schultern schwang. Der Anblick ihres so verführerisch zur Schau gestellten festen kleinen Pos erinnerte Grant an den Moment in Johns und Moiras Küche, als Charli ihn fast dabei erwischt hatte, wie er sie begehrlich anstarrte. Das knappe Shorty überließ kaum etwas seiner Fantasie - eine Fantasie, die ihr nicht gerecht geworden war, wie er jetzt erkannte. Leise öffnete er die Tür ein bisschen weiter. Charli hatte ihn noch nicht bemerkt. Die Musik verklang und endete mit einem lyrischen Triller, der tief in Grant etwas berührte. Langsam ließ Charli die Querflöte sinken, wandte sich aber nicht vom Fenster ab und starrte weiter in die Dunkelheit hinaus. "Charli." Sie zuckte zusammen und drehte sich zu ihm um. Er betrat ihr Zimmer. "Du bist wirklich gut." "Danke." Sie blickte auf die Flöte in ihren Händen. "Es entspannt mich." Grant fragte sich, wieso er seine Frau noch nie hatte spielen hören. Er hätte sie darum bitten sollen. Er hätte nie gedacht, dass
sie dies alles in sich hatte - nicht nur das Talent, sondern auch das Herz, die Kraft, die Seele. Die Leidenschaft. Ausgerechnet das, was er nicht von ihr wollte. Grant ging durch den Raum und nahm ihr die Flöte ab. Das schimmernde Metall bewahrte noch die Wärme ihrer Finger, wie er merkte, als er den Blick langsam zu ihren vollen Brüsten wandern ließ, die augenscheinlich nackt waren unter dem engen Oberteil des Shortys. Er sah ihr in die Augen und erwartete, dort Unbehagen über seine unverhohlene Musterung zu sehen, erwartete, dass sie sich verlegen abwenden und ihn fortschicken würde. Aber sie hielt seinen neugierigen Blicken tapfer stand; Ihre Brüste hoben und senkten sich unter dem dünnen Baumwollstoff. Hatte sie Angst vor ihm? Oder war es etwas anderes? Grant wandte als Erster den Blick ab. "Halt dir den nächsten Mittwoch frei. Wir gehen mit den Van Cleaves ins Ballett." "Nächsten Mittwoch? In einer Woche?" Er nickte. "Da kann ich nicht." "Was? Natürlich kannst du. Ich habe Eintrittskarten für das New York City Ballet." "Tut mir Leid, Grant. Ich habe eine Orchesterprobe an dem Abend." "Ist das alles? Dann verschieb sie eben." Er legte die Flöte auf die Kommode und wandte sich zur Tür. Charlis ruhiges "Nein" ließ ihn jedoch wieder innehalten. Er drehte sich zu ihr um. Ihr hübsches kleines Kinn war trotzig vorgeschoben. "Hör mal, Charli, das ist keine Laune von mir, sondern Firmenpolitik. Es geht um die Van Cleaues. Eileen Van Cleave liebt das Ballett." Charli wusste, wie wichtig Frank Van Cleave für Grants Karriere war. "Trag das neue graue Kleid. Mit dem Saphirkollier, das ich dir geschenkt habe."
"Unser Frühlingskonzert findet am nächsten Donnerstag statt", sagte sie. "Ich kann die Proben nicht verschieben - die Termine stehen schon seit Monaten fest. Und nicht nur für meine Gruppe. Wir spielen ein Stück mit dem Chor. Alle werden an dem Abend da sein. Ich wünschte, du hättest mich gefragt, bevor du Karten kauftest." "Ich wusste nicht, wo das Problem ist." Er hob gereizt die Hände. "Du brauc hst doch nur eine Vertretung zu besorgen!" Charli versteifte sich bei seinen Worten, und zum ersten Mal, seit er sie kannte, sah er echten Zorn in ihren Augen. "Ich weiß nicht, wie du darauf kommst, dass jemand mich vertreten könnte, Grant. Vor allem bei der letzten Probe vor einem wirklich wichtigen Konzert." "Ach, dann geht es dir wohl um dein Ego?" Er hatte nicht gedacht, sie hätte eins. "Mein Ego? Du hast überhaupt keine Ahnung, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene, nicht?" "Hör mal, ich setze deine Arbeit nicht herab ..." "Meine Schüler sind einige der besten Musiker der Insel. Die Mitgliedschaft im Symphonieorchester ist nicht nur irgendeine Nachmittagsbeschäftigung, sondern eine Auszeichnung. Fünf Unterrichtstunden in der Woche, plus Privatstunden und tägliches Üben. Zwei meiner Schüler sind in der berühmten Juillard School aufgenommen worden, und einer geht im nächsten Jahr nach Curtis, falls dir das ein Begriff ist. Soll ich mich etwa von irgendeinem ganz gewöhnlichen Lehrer vertreten lassen, nur weil Frank Van Cleaves Frau ins Ballett will?" Charli zitterte vor Empörung, und Grant war so verblüfft, dass er vorübergehend sprachlos war. Was war aus seiner scheuen, sanften Frau geworden? "Wenn meine Schüler sich vier Jahre lang so angestrengt haben, ist es für mich das Mindeste, bei der letzten Probe vor einem bedeutenden Konzert dabei zu sein."
Grant rieb sich das Kinn. "Du hast Recht. Ich hätte fragen sollen, ob du Zeit hast." Er sah, dass das nicht das war, was sie hören wollte. "Ich werde sehen, ob ich die Tickets noch umtauschen kann. Wäre dir der Mittwoch danach recht?" Sie nickte. "Wenn nicht, gehe ich ohne dich, obwohl ich das nur ungern täte. Ich möchte dich den Van Cleaves vorstellen, Charli. Frank kann es kaum erwarten, dich kennen zu lernen." Und Grant konnte es kaum erwarten, sich seinen Chefs als verheirateter Mann zu präsentieren. Natürlich sagte er das nicht, aber Charlis Gesichtsausdruck verriet, dass sie sich das bereits gedacht hatte. "Hör zu", sagte er. "Wann ist dieses Konzert? Am nächsten Donnerstag?" "Ja." "Ich würde gerne kommen." "Das brauchst du nicht." Grant lächelte. "Ich möchte es aber", sagte er und war selbst überrascht, als er merkte, dass es stimmte. Sie senkte den Blick. "Du kommst gewöhnlich doch erst spät aus der Kanzlei." "Dann mache ich eben eine Ausnahme." Sie sah ihn an. "Ich möchte nicht deine ... Freizeitgestaltung beeinträchtigen." "Was hat meine Freizeitgestaltung mit meinem Arbeitspensum zu tun?" Als er sie um eine Antwort ringen sah, begriff er plötzlich. "Du denkst, ich würde dich belügen? Ich träfe mich mit anderen Frauen, wenn ich dir sage, ich bliebe länger im Büro?" "Na ja..." "Ich habe dich noch nie belogen, Charli. Wie kommst du nur darauf?" Sie atmete tief ein. "Nun ja, da du keine ... Verabredungen erwähntest..."
Er lächelte humorlos. "Du glaubst also, ich dächte mir Ausreden für dich aus? Weißt du was? Das ist genau die Art verlogener Unsinn, die ich zu vermeiden hoffte, als ich dir dieses Arrangement vorschlug." "Heißt das, dass du seit der Hochzeit keine andere Frau getroffen hast? Ich meine, wo du doch in der Kanzlei so ungemein beschäftigt bist ..." "Was ich in meiner Freizeit tue, steht nicht zur Debatte", sagte er herrisch und hoffte, das Thema damit abzuschließen. "Ich habe dir gesagt, dass ich diskret sein werde. Das ist alles, was du wissen musst." Sie hielt seinem kühlen Blick lange schweigend stand. Dann zuckte sie die Schultern. "Das ist wahrscheinlich auch das Beste." Grant atmete erleichtert auf, bis sie hinzufügte: "Weil ich nämlich auch nicht über jede Kleinigkeit Rechenschaft ablegen will." Sie nahm die Flöte und legte sie in den Instrumentenkasten. Grant beobachtete sie schweigend, obwohl seine Finger sich verkrampften und das Blut in seinen Ohren dröhnte. Schließlich fragte er: "Was willst du damit sagen?" Sie blickte sich nach ihm um und zuckte mit den Schultern. "Nur dass ich einer Meinung mit dir bin." "Nein, ich meinte ..." Sie konnte es unmöglich so gemeint haben, wie es klang. Nicht Charli! Als sie zur Frisierkommode ging und die Bürste nahm, trat Grant dicht hinter sie. "Ich will wissen, was genau du damit sagen wolltest." Sie bürstete ihr Haar, und Grant beobachtete im Spiegel, wie ihre Brüste sich bei jeder ihrer Bewegungen anhoben und senkten. Sein Mund wurde trocken, und er zwang sich, den Blick auf ihre Augen zu richten. "Keine Angst, Grant", sagte sie. "Du bist nicht der Einzige, der diskret sein kann." Das Rauschen in seinen Ohren wurde lauter. "Diskret worin?"
Sie legte die Bürste weg und strich ihr Haar zurück, bis es wie ein schimmernder Vorhang über ihren Rücken fiel. Grants Stimme klang gepresst, als er beharrte: "Diskret worin, Charli?" "Wir tun nichts, was den anderen in Verlegenheit bringen könnte. Darauf hatten wir uns doch geeinigt, oder nicht?" Was heißt hier wir? fragte er sich aufgebracht. Er hatte nur sich selbst gemeint und war davon ausgegangen ... Charlis Unterricht endete nachmittags gegen halb drei. Die meisten Tage blieb sie jedoch eine Stunde länger, weil sie Besprechungen mit Schülern oder Konferenzen ha tte. Damit blieben ihr eine Menge Stunden, um "diskret" zu sein! "Grant", sagte sie, "du erdrückst mich." Unbewusst hatte er sie von hinten gegen die Kommode gepresst. Beschämt trat er zurück. Sie warf einen Blick auf ihren altmodischen Wecker. "Ich muss um sechs Uhr aufstehen." Als er sich nicht rührte, sagte sie: "Und du sogar noch früher. Wir sollten schlafen gehen." Grants Stimme klang grimmig und trügerisch leise. "Du hast keinen anderen." Sie lächelte ihn im Spiegel an. "Siehst du? Ich bin diskret." Grant packte sie an den Schultern und drehte sie zu sich herum. "Wer ist es?" herrschte er sie an. "Was ist in dich gefahren, Grant?" Sie versuchte, sich von ihm loszureißen, doch er umklammerte nur noch fester ihre Schultern. "Antworte, verdammt! Wer ist es?" "Hast du unser Arrangement vergessen? Was ich in meiner Freizeit tue, ist nicht deine Sache." "Du bist meine Frau!" brüllte er. "Was du tust und mit wem du es tust, ist sehr wohl meine Sache!" Fassungslos starrte sie ihn an. "Willst du damit sagen, dass du uns mit zweierlei Maß misst? Dass du außereheliche Beziehungen haben kannst, ich aber nicht?"
Grant stieß sie fort und fragte sich, ob es sehr schmerzen würde, mit der Faust den Spiegel zu zertrümmern. "Denn falls du das im Sinn hast", fuhr sie ganz ruhig fort, "hättest du mir das von Anfang an sagen sollen. Auf ein so sexistisches Arrangement hätte ich mich nämlich niemals eingelassen." Er wusste nicht, wie er ihre Worte widerlegen sollte, ohne wie der schlimmste Chauvi dazustehen. Sie ging zur Tür und hielt sie auf. "Es ist spät, Grant." Er ging zu ihr hinüber, knallte die Tür zu und drängte seine Frau dagegen. "Nur damit du es weißt", knurrte er, "seit ich dich kenne, habe ich keine andere Frau mehr angefasst, und falls du glaubst, du könntest hinter meinem Rücken andere Männer treffen, bist du auf dem Holzweg!" Und dann bedeckte er besitzergreifend ihren Mund mit seinen Lippen. Ihm war, als würden ihre weichen Brüste, die sich an seinen nackten Oberkörper pressten, ihn durch den Stoff ihres Shortyoberteils verbrennen. Er schob seine Zunge zwischen Charlis geschlossene Lippen. Mit beiden Händen hielt er ihren Kopf und küsste sie mit flammender Leidenschaft. Alles in ihm bedrängte ihn, sie zu nehmen und ihr seinen Stempel aufzudrücken. Sie erschauerte, ein leises Stöhnen entrang sich ihren Lippen. Er war schon beinahe wieder zur Vernunft gekommen, als er plötzlich Charlis Hände auf seinen Hüften spürte. Und da war er verloren, und sein drängendes Verlangen nach dieser Frau gewann wieder die Oberhand. Ihre Lippen bewegten sich unter seinen, als suchten sie einen noch intimeren Kontakt. Ihre Zunge glitt streichelnd über seine, zaghaft zunächst nur, dann kühner, und Grants Hände glitten zu ihren Brüsten. Er streichelte sie durch den dünnen Stoff und rieb die harten kleinen Spitzen, worauf Charli den Kuss aufstöhnend unterbrach. Sie ergriff sein Handgelenk, versuchte aber nicht, seine Hand von ihren Brüsten fortzuschieben.
Grant blickte in ihre Augen, die vor sinnlicher Erwartung glitzerten. Es war unverkennbar Verlangen, was er in ihnen las. Sie atmete schneller. Dann, in einer stummen Bitte um mehr, legte sie die Hand auf seine und zog sie noch fester an ihre Brust. Er schob die Hände unter das Oberteil ihres Shortys und streichelte ihre nackten Brüste. Charli warf den Kopf zurück, und Grant dachte, er habe noch nie etwas Erotischeres gehört als ihren Seufzer. Als sie leise stöhnte und sich einladend mit den Hüften an ihn drängte, war er nicht mehr in der Lage, ihr zu widerstehen. Langsam schob er das Shortyoberteil hoch. Sie hatte wundervolle Brüste, groß und schön geformt, mit zarten rosa Spitzen. Grant küsste eine harte Knospe. Charli schnappte nach Luft; ihre Fingernägel gruben sich in seine Oberarme. Als er die empfindsame Spitze zwischen die Lippen nahm, schrie Charli auf, als hätte sie sich verbrannt. Sie war außerordentlich empfindsam. Sie stöhnte und erschauerte vor Erregung, als er mit der Zungenspitze über die Knospe strich und dann spielerisch an ihr knabberte. Atemlos wisperte sie seinen Namen. Sie bewegte sich unruhig an ihm, und er ließ eine Hand ihren Rücken hinuntergleiten und schob sie unter den Gummizug ihrer Shortyhose. Ihr Po war warm und seidig glatt, ihre Muskeln spannten sich an, als sie sich mit einem leisen Seufzer an ihn lehnte. Sehnsüc htig legte sie die Arme um ihn und bog sich ihm entgegen, bis er an nichts anderes mehr denken konnte, als sie zu lieben. Plötzlich erschrak sie, und Grant wusste, dass sie sie gespürt hatte ... die Narben. "Grant?" Langsam richtete er sich auf, froh über die Unterbrechung und die Chance, sich wieder in den Griff zu kriegen, obwohl er die Fragen, die jetzt kommen würden, nicht begrüßte.
Sie blickte ihm in die Augen. "Lass mich sehen." Sie versuchte, Grant umzudrehen, aber er trat zurück. "Es ist nichts. Bloß die Narben einer alten Wunde." "Lass sehen", beharrte sie und trat hinter ihn. "Wie ist das passiert?" fragte sie mit seltsam rauer Stimme. Er hätte lügen können. Es wäre nicht das erste Mal. Aber bei Charli wäre er sich schmutzig vorgekommen, wenn er sie belogen hätte. "Es ist nichts Schlimmes." Entschieden drehte er sich wieder um und beendete die Inspektion. "Wo immer du diese Narben herhast, ich wette, damals war es etwas Schlimmes." "Vergiss es, Charli." Sie runzelte die Stirn. "Warum bist du so verschlossen?" Als er nicht antwortete, sagte sie: "Ich bin deine Frau, Grant. Wir sollten unsere Vergangenheit miteinander teilen, damit wir verstehen können, was uns zu dem gemacht hat, was wir sind." Er lächelte grimmig. "Manchmal sind die Leute trotz ihrer Vergangenheit und nicht wegen ihr so, wie sie sind." Er seufzte. "Das sollte dir genügen." Die Narben auf seinem Rücken waren eine beständige Erinnerung daran, warum er schon vor langer Zeit der Ehe abgeschworen hatte - und warum er, als ihm klar geworden war, dass er seine Ziele ohne Heirat nicht erreichen konnte, eine praktische, platonische Verbindung eingegangen war, in der die ganze Macht in seinen Händen lag. Aufgewachsen in einem turbulenten Elternhaus, war Grant als Kind gezwungen gewesen, die Acht erbahnfahrt der Ehe seiner Eltern mitzumachen: die gelegentlichen, aber viel zu kurzen Phasen des Friedens, die stets unweigerlich in Verzweiflung, Zorn und Gewalt endeten. Als Kind war er den unkontrollierbaren Stimmungsschwankungen seiner Eltern hilflos ausgeliefert gewesen.
War das der Grund, warum Charlis Familie ihm auf Anhieb so sympathisch gewesen war? Weil sie so ganz anders war als die, in der er aufgewachsen war? Stumm starrte Charli ihn an, als versuche sie zu erraten, was er dachte. Schließlich sagte sie: "Falls du es dir je anders überlegen solltest und darüber reden möchtest, bin ich für dich da." Grant musste hinaus aus diesem Raum, weg von Charli obwohl ihm auch das nicht sehr viel nützen würde. Denn er würde nicht vergessen können, wie erregend es war, sie in den Armen zu halten, sie zu berühren und zu küssen. Die Ironie des Ganzen war, dass seine eigene Frau die Letzte war, von der er sich wünschen durfte, das Bett mit ihm zu teilen. Es stand zu viel auf dem Spiel. Er hatte viel erreicht. Die Partnerschaft winkte, und er hatte sich geschworen, noch vor seinem vierzigsten Geburtstag im November Teilhaber zu sein. Er würde alles tun, was nötig war, um sein Ziel zu erreichen. Morgen würde er Jayne Benning anrufen. Sie war sexy, ungehemmt und, was das Beste war, diskret. Doch nicht einmal die Gewissheit, dass er in vierundzwanzig Stunden mit Jayne in irgendeinem Hotelbett liegen würde, hinderte ihn daran, Charli zu fragen: "Hat es irgendeinen anderen Mann gegeben, seit wir zusammen sind?" Sie blickte ihm in die Augen. "Noch nicht." Überwältigende Erleichterung erfasste Grant, und das war ein Problem. Es hätte ihn nicht kümmern dürfen. Schließlich hatte er ihren Argumenten nichts entgegenzusetzen. Wenn er sich die Freiheit nahm, außerhalb ihrer Ehe sexuelle Befriedigung zu suchen, konnte sie es auch tun. Dieser Punkt war ihm entgangen, bevor er entdeckt hatte, dass die Frau, die er geheiratet hatte, sinnlich, verführerisch und ungemein sinnlich war. Früher oder später würde sie sich anderswo nach dem umsehen, was sie zu Hause nicht bekam.
Grant wünschte seiner Frau knapp eine gute Nacht und zog sich in die Einsamkeit seines Schlafzimmers zurück, wo er sich im Dunkeln auf das Bett legte und an die Zimmerdecke starrte. Es gab schließlich einen Grund, warum er eine unscheinbare, an Sex nicht interessierte Frau geheiratet hatte! Warum konnte sie nicht so bleiben, wie sie war?
10. KAPITEL Charli atmete tief ein. "Ich muss euch etwas sagen." Amanda, Sunny und Raven wechselten einen Blick. Hunter, Ravens Mann, fragte: "Soll ich gehen?" Charli lächelte und schüttelte den Kopf. Obwohl sie Hunter noch nicht lange kannte, hatten sie sich auf Anhieb gut verstanden. Er war fast wie ein Bruder und genauso ermutigend und hilfsbereit wie ihre drei Freundinnen, die sich alle zu einem sonntäglichen Brunch im "Stitches", Hunters Comedyclub, eingefunden hatten. "Nein", erwiderte sie. "Es wäre sicherlich ganz gut, die Ansicht eines Manns dazu zu hören." Raven setzte ihr Glas ab. "Es hat etwas mit Grant zu tun, nicht wahr?" Charli nickte. "Ich spürte schon, dass ihr Probleme habt", sagte Raven. "Ich hatte nur gehofft, es sei Einbildung." "Es ist keine Einbildung." Charli hatte lange mit sich gerungen, ob sie sich ihren Freundinnen anvertrauen sollte. In den ersten beiden Wochen nach ihrer Hochzeit hatte sie sich zu sehr geschämt und vielleicht auch unbewusst gehofft, sie könnten doch noch eine ganz normale Ehe führen. Aber jetzt wusste sie, dass sie das höchstens dann erreichen würde, wenn sie die Dinge selbst in die Hand nahm. "Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. Es klingt ... verrückt." Sunny legte ihr aufmunternd die Hand auf die Schulter.
"Unsere Ehe ist mehr wie ... wie eine geschäftliche Vereinbarung." Charli blickte auf, um die Reaktion ihrer Freundinnen zu sehen. "Wir schlafen nicht zusammen und werden niemals Kinder haben, weil Grant keine will. Er hat mich geheiratet, um Partner in dieser spießigen Anwaltsfirma, in der er arbeitet, zu werden. Sie halten dort nicht viel von Junggesellen." Raven und Sunny starrten sie betroffen an. Amanda fluchte leise, und Hunter fragte ungläubig: "Und du warst damit einverstanden?" "Nein, aber ... er hat gedacht, ich wäre es. Ich meine, als er mir den Antrag machte, sprach er von einer kameradschaftlichen Ehe und so weiter. Aber er hat nicht gesagt, was genau er damit meinte. Später hat es ihm dann Leid getan. Er dachte, ich hätte ihn verstanden." "Versuch ja nicht, diesen Mistkerl zu entschuldigen", zischte Amanda, die vor Wut errötet war. "Das tue ich nicht. Er ist nur ... Es ist kompliziert." "Er benutzt dich", sagte Sunny traurig. "Und wir sind schuld daran. Wir haben euch zusammengebracht." "Es ist nicht eure Schuld", sagte Hunter und strich sich durch das wellige dunkle Haar, das ihm bis über den Kragen seines schwarzen Jeanshemds reichte. "Niemand hätte voraussehen können, dass dieser Typ so unglaublich neurotisch ist." "Ich liebe ihn", erklärte Charli mit zitternder Stimme. Amanda stöhnte auf. Sunny sagte: "Du bist nur verwirrt, Charli ..." "Nein", beharrte sie. "Ich liebe ihn ... schon seit jenem ersten Abend, als er mit mir zum Essen und in den Club gegangen ist und mich geküsst hat." Man brauchte kein Genie zu sein, um den Blick zu deuten, den die anderen drei Frauen miteinander wechselten. Die arme naive Charli. Ein Kuss, und schon war sie verliebt bis über beide Ohren.
Amanda sagte: "Ich werde meinem Scheidungsanwalt sagen, dass du dich bei ihm melden wirst." "Nein!" "Wozu noch länger warten?" fragte Sunny. "Oder willst du den Rest deines Lebens eine kameradschaftliche Ehe führen?" "Nein, aber ..." "Bitte sag jetzt nicht, dass du ihn ändern wirst", bat Amanda. "Männer ändern sich nicht." "Oh, ich weiß nicht", sagte Hunter und warf Raven einen viel sagenden Blick zu. "Ihr wärt überrascht, wie sich die Prioritäten eines Mannes ändern können, wenn man ihm den richtigen Anreiz gibt." Amanda verdrehte die Augen. "Der Himmel bewahre mich vor blauäugigen jung Verheirateten!" "Isst du das noch?" fragte Sunny Hunter und griff über den Tisch, um das letzte Stückchen seines French Toasts aufzuspießen. "Lass mich eins klarstellen." Amanda senkte die Stimme. "Du hast also bisher noch nicht mit Grant geschlafen?" Charli schüttelte den Kopf. "Du bist also noch Jungfrau." Charlis Wangen glühten, und sie warf einen raschen Blick auf Hunter, der jetzt mit übertriebenem Interesse eine Scheibe Speck betrachtete. "Gut!" erklärte Sunny. "Der Schuft verdient dich nicht. Heb es für jemand auf, der es wert ist." Wie sollte Charli es ihnen begreiflich machen? So einfach war das nicht. Die Kellnerin kam, um die Dessertbestellungen aufzunehmen. Alle außer Charli nahmen etwas. "Sie können das mitnehmen", sagte sie und deutete auf ihr unberührtes Omelett. "Lisa, bringen Sie der Dame einen doppelten Espresso", bat Hunter die Kellnerin. Als Charlie Einwände erheben wollte, sagte er: "Ein bisschen Koffein tut dir jetzt gut, Carlotta. Und du
hast mir selbst gesagt, der Espresso, den wir hier servieren, wäre delicioso." Raven legte ihre Hand auf Charlis. "Grant hat dich also geheiratet, um seine Karriere zu fördern. Hat er dich seinen Kollegen bereits vorgestellt?" "Nur einigen von ihnen. In zwei Wochen geben wir unsere erste formelle Dinnerparty für die Seniorpartner. Ich bin ein bisschen nervös, aber wenigstens hat Grant mir frühzeitig Bescheid gesagt. Ich kann nur hoffen, dass ich nichts tue, was ihn in Verlegenheit bringt." Hunter runzelte die Stirn. "Womit glaubst du denn, ihn in Verlegenheit zu bringen?" "Nun ja, er nimmt es sehr genau mit Umgangsformen - und allem anderen, was die hohen Tiere seiner Firma negativ beeinflussen könnte. Er gibt mir Unterricht in Etikette und sagt mir, worüber ich reden und was ich anziehen soll. Oder welche Zeitungen und Magazine ich lesen soll." Amanda brummte: "Rück zur Seite, Henry Higgins." Charli hätte gelacht, wenn der Vergleich zwischen ihr und Eliza Doolittle aus My Fair Lady nicht so erbärmlich zutreffend gewesen wäre. Als wäre sie vorher nicht schon unsicher genug gewesen, hatte die unaufhörliche "konstruktive Kritik" ihres Ehemannes noch mehr ihr Selbstvertrauen untergraben. Charli lächelte ein wenig. "Aber wenigstens habe ich es geschafft, meinen eigenen Wagen zu behalten." "Deinen Camry?" Sunny runzelte die Stirn. "Was soll das heißen, du hast geschafft, ihn zu behalten?" "Nun ja, Grant wollte mir einen neuen Infiniti kaufen. Er war sehr hartnäckig darin. Aber ich mag mein Auto und habe es einfach abgelehnt, es gegen ein neues einzutauschen." "Na, da hast du es Grant aber gezeigt", warf Amanda spöttisch ein. Raven warf ihr einen ärgerlichen Blick zu. Zu Charli sagte sie: "Bravo! Du lernst, dich ihm gegenüber zu behaupten."
"Aber er schläft nicht mit ihr!" rief Amanda und ignorierte die Versuche der anderen, sie zum Schweigen zu bringen. "Bin ich die Einzige hier, die das als Handicap betrachtet? Zumindest mochten meine beiden Exmänner Sex." "Grant auch", sagte Charli. "Nur eben nicht..." Sie verstummte, sah in den Gesichtern der anderen aber, dass sie wussten, was sie ausgelassen hatte. Nur eben nicht mit mir. "Okay", knurrte Hunter. "Ich werde mir den Schuft vorknöpfen." "Er schläft mit anderen Frauen?" fragte Amanda. "Aber ja, klar tut er das. Was für eine dumme Frage." "Lass mich raten", sagte Sunny. "Er erwartet von dir, dass du zu Hause sitzt und seine Socken stopfst, während er mit anderen Frauen in die Kiste steigt? So in etwa, was dem einen recht ist, ist dem anderen noch längst nicht billig?" "Schon möglich, dass er das erwartet hat - bis letzten Mittwoch", sagte Charli und schilderte ihnen, wie sie Grant zu verstehen gegeben hatte, sie nehme sich die gleichen Freiheiten wie er. "Gut gemacht!" lobte Amanda. Hunter lachte, und es klang so anerkennend, dass Charli selbst ein Kichern unterdrücken musste. Es hatte ihr wirklich große Genugtuung verschafft, Grants Gesicht zu sehen, als er begriff, dass es keine Doppelmoral in ihrer Ehe geben würde. Seine Reaktion hatte bewiesen, dass er nicht ganz so unempfänglich für ihre Reize war, wie er sie glauben machen wollte. Auch Raven lächelte. "Und was hat er getan?" "Er ..." Charli atmete tief ein. "Er hat mich gepackt und mich geküsst, bis mir ganz schwindlig wurde." Vier Augenbrauenpaare schössen in die Höhe. "Und noch andere Sachen", fügte Charli hinzu. "Was für andere Sachen?" bohrte Sunny. "Ach, ihr wisst schon ..."
"Soll ich lieber gehen?" fragte Hunter, doch keiner achtete auf ihn. Amanda beugte sich zu Charli vor. "Aber du hast nicht mit ihm geschlafen?" "Nein, ich sagte doch schon ..." Sie zögerte. "Dass du noch Jungfrau bist." Amanda lehnte sich zurück, als Lisa, die Kellnerin, ihren Jasmintee brachte. "Der Himmel weiß, dass du lange genug eine gewesen bist." Als wüsste Charli das nicht selbst am besten! Während die anderen mit den Desserts begannen, nippte Charli an ihrem Espresso und sagte: "Ich möchte nicht, dass ihr denkt, es wäre alles schlecht. Grant kann auch sehr nett sein. Ein paar Tage nach der Hochzeit war ich stark erkältet, und er hat mich liebevoll gepflegt, mir heiße Zitrone und Aspirin gebracht und mitten in der Nacht aus einer Apotheke Hustensaft für mich geholt. Er hatte nicht mal Angst, sich bei mir anzustecken. Er wollte nur, dass es mir besser ging." "Das ist ja ganz nett", sagte Sunny, "aber sicherlich kein Ausgleich für ..." Sie hob die Hände. "Und gestern war er mit mir segeln", fuhr Charli fort. "Er hat ein großes Boot, und als er merkte, dass ich noch nie gesegelt war, ist er mit mir in die Bucht hinausgefahren. Ich hatte Angst, seekrank zu werden, aber er brachte elastische Bänder an meinen Handgelenken an, mit kleinen Knöpfen, die auf Akupunkturpunkte drücken, aber mir ging es sowieso so gut, dass wir Stunden draußen blieben, und ich durfte sogar das Steuer übernehmen. Ich! Fast hätte ich eine Boje gerammt, aber Grant blieb ganz ruhig und verlor nicht die Geduld mit mir." Grant hatte seinem Boot den Namen Tempus Fugit gegeben die Zeit fliegt. Sie hatte ihn gefragt, ob er schon einmal die ganze Nacht auf dem Boot geblieben war. Seine Antwort war ein schlichtes Ja gewesen, und sie hatte das Thema fallen lassen, weil sie nicht wissen wollte, wie viele Frauen die gemütliche
Kajüte mit ihm geteilt hatten, selbst wenn er bereit gewesen wäre, es ihr zu erzählen. "Das Komische", sagte sie, "ist, dass er Kinder mag." Sunny blickte von ihrem Banana-Split auf. "Ich dachte, du hättest gesagt ..." "Dass er keine Kinder will - oder jedenfalls nicht tun will, was erforderlich wäre, um ..." "Nicht mit dir zumindest", warf Amanda ein, und Raven stieß sie mit dem Ellbogen in die Rippen. "Aber er kann sehr gut mit Kindern umgehen", fuhr Charli fort. "Ihr hättet ihn mit meiner einjährigen Großnichte sehen sollen." Sunny fragte: "Mit dem guten oder dem bösen Zwilling?" "Dem bösen." Anerkennendes Gemurmel wurde in der Runde laut. Alle kannten Valkyrie. "Es ist also nicht so, dass er Kinder hasst", sagte Charli. "Ich glaube, er fühlt sich sogar schuldig, weil er keine mit mir haben will. Und auch keine normale Ehe, wie ihr wisst. Stattdessen kauft er mir andauernd kostspielige Geschenke. Ich wünschte, er würde damit aufhören." Amanda wollte etwas dazu bemerken, aber Raven brachte sie mit einem Blick zum Schweigen. "Ich weiß, dass er dir tollen Schmuck geschenkt hat", sagte Sunny. "Die Ringe und das Smaragdarmband ..." "Und ein Saphirkollier", sagte Charli. "Du solltest deine Steine tragen", sagte Amanda. "Sie nützen dir nicht viel, wenn sie im Haus he rumliegen." Charli lächelte schief. "Die neuen Sachen sehen völlig fehl am Platz aus in dem alten Schmuckkasten, den Grandma und Grandpa Rossi mir geschenkt haben, als ich zehn wurde. Aber auch er ist etwas, was ich auf keinen Fall von Grant ersetzen lassen will."
Raven sah Amanda an, die so tat, als zöge sie einen Reißverschluss an ihrem Mund zu. "Und natürlich hat er mir auch eine Menge neue Kleider gekauft", berichtete Charli. "Aber sie sind, ich weiß nicht, irgendwie mehr wie Kostüme, um mich präsentabler zu machen, wenn wir uns mit seinen Seniorpartnern treffen. Als ich die Erkältung hatte, schenkte er mir auch einen wunderschönen antiken Schmuckkasten. Nur um mich aufzuheitern. Und er wollte mir sogar einen Pelzmantel kaufen. Im Mai! Aber ihr wisst ja, dass ich aus ethischen Gründen gegen Pelze bin." Raven sagte: "Und du glaubst, mit den Geschenken will er dich entschädigen für das, was dir in deiner Ehe fehlt?" Charli nickte. "Ja, aber ich glaube, ihm ist gar nicht bewusst, dass er das tut." "Er sollte auch für einen Ausgleich sorgen", meinte Amanda. "Und du solltest alles nehmen, was du kriegen kannst, bevor du dich von diesem jämmerlichen Esel scheiden lässt." "Ich will keine Scheidung. Zumindest ... jetzt noch nicht. Ich möchte ihn besser kennen lernen. Es gibt so viel an ihm, was mir noch immer unverständlich ist." "Wie die Frage, woher er die Frechheit nimmt, dich so zu behandeln", warf Sunny ein. "Da hast du ein Rätsel." "Ihm muss in der Vergangenheit etwas Schlimmes widerfahren sein, da bin ich mir ganz sicher, aber er will nicht darüber reden. Wahrscheinlich vertraut er mir noch nicht genug." "Das hat nichts mit dir zu tun", bemerkte Hunter. "Es klingt ganz so, als vertraute er niemand anderem als sich selbst." "Er hat... Narben." Charlis Stimme zitterte. "Striemen. Auf dem Rücken. Sie sind wie ... ein Gitterwerk, nur unregelmäßiger. Ich kann mir nicht vorstellen, woher er sie hat." Die anderen verstummten. "Er hat mir nur gesagt, sie stammten von einer alten Wunde", erklärte Charli. "Was für eine Art Verletzung kann das sein?"
"Ein Autounfall?" meinte Sunny. Raven sagte: "Wenn er nur auf dem Rücken Narben hat? Wohl kaum." Hunter runzelte die Stirn. "Vielleicht war es ein Betriebsunfall?" "Ich weiß über seine Vergangenheit nur, dass er in einer Kleinstadt in Pennsylvania aufgewachsen ist", sagte Charli. "Ich habe keine Ahnung, was für Jobs er hatte oder so." Raven fragte: "Wie war es in den letzten Tagen, seit er dich geküsst hat?" "Er ist mir ausgewichen." "Dich zum Segeln mitzunehmen, klingt nicht nach Ausweichen für mich", stellte Sunny fest. "Er bewahrt Distanz. Selbst auf dem Boot hat er dafür gesorgt, dass wir nie gleichzeitig in der Kajüte waren." Hunter lachte. "Das klingt, als hättest du ihn in die Flucht getrieben." "Ich will ihn nicht vertreiben. Ich will ihn ..." Raven sagte, was Charli nicht über die Lippen brachte. "Du willst ihn in deinem Bett. Das ist nichts Schlimmes. Er ist dein Mann, Charli." Sie lächelte. "Und du verdienst, ihn dort zu haben." "Aber sie verdient nicht, benutzt zu werden", beharrte Sunny. "Und genauso klingt es für mich." Amanda wandte sich Sunny zu. "Bist du nicht diejenige, die es so schrecklich eilig hat, zu heiraten? Wer war denn hier so wild auf diesen Heiratspakt? Ich dachte, du würdest darauf bestehen, dass Charli die vollen drei Monate aushält, so wie du es auch von Raven verlangt hast." "Ich möchte nicht, dass Charli leidet. Oder sich missachtet fühlt. Ich weiß, wie es ist, sich so zu fühlen." Charli wusste, dass Sunny von ihrer einzigen ernsthaften Beziehung sprach, die sie vor Jahren auf der High School hatte. Nach seinem Abschluss war Kirk Larsen an die Stanford
University in Kalifornien gegangen, und Sunny hatte ihren Kellnerinnenjob im "Wafflemania" begonnen. Sie hatte ihn seitdem nicht wieder gesehen. Sie hatten gehört, dass Kirk Physikdozent geworden war. Sunny war während der vergangenen zwölf Jahre ab und zu mit Männern ausgegangen, aber ihre Freundinnen wussten, dass sie für keinen je wieder so etwas wie für Kirk empfunden hatte. "Charli." Raven sah ihr in die Augen. "Bist du sicher, dass Grant der Mann ist, den du willst? Denn ich muss dir sagen, dass es nicht sehr hoffnungsvoll klingt." "Ja." Charli schob das Kinn vor. "Ich will Grant. Er ist der Mann, den ich geheiratet habe, und ich liebe ihn." Nach einem dumpfen Schweigen sagte Hunter: "Ich habe es dir schon einmal gesagt, Carlotta, und das war ernst gemeint. Der Mann, der dich einmal bekommt, kann sich glücklich schätzen." Er hatte es ihr vor einem Monat gesagt, als er Raven geheiratet hatte. Damals hatte Charli geglaubt, er bemühe sich nur, nett zu ihr zu sein. Inzwischen glaubte sie ihm. "Und falls Grant nicht zur Vernunft kommt", sagte Sunny, "suchen wir dir einfach jemand anderen." "Meine Grandma sagte ... Es ist mir ein bisschen peinlich", murmelte Charli. "Sie meinte, ich solle euch bitten, mir einen Rat zu geben." "Haben wir das nicht getan?" fragte Amanda. "Doch, natürlich, aber was sie meinte ... ihr sollt mich lehren, weibliche List zu gebrauchen." Alle Blicke richteten sich auf Hunter. "Was?" fragte er. "Ihr wollt doch nicht, dass ich jetzt, wo es interessant wird, gehe?" "Nein", sagte Amanda. "Denn du wirst ihr erklären, wie sie sich interessanter machen kann." Er blickte von ihr zu seiner Frau und dann zu Sunny. "He, Moment mal. Was soll ich von weiblicher List verstehen?"
"Du bist schließlich ein Mann", erklärte Amanda. "Du weißt, was funktioniert." "Eigentlich", sagte Charli schmunzelnd zu Amanda, "sagte Nonni, du wärst die Expertin." Amanda horchte auf. "Das hat deine Großmutter gesagt?" "Kurz bevor sie etwas über deine beiden Scheidungen murmelte. Aber wie auch immer - ich weiß, dass ich auf diesem Gebiet einiges zu lernen habe, aber am Mittwochabend habe ich immerhin schon mal einen Versuch gemacht. Ich brauche nur noch ein paar Tipps von euch." Raven wandte sich ihrem Mann zu. "Hunter?" Er seufzte und winkte der Kellnerin. "Wenn ich es tun soll, brauche ich noch einen Drink."
11. KAPITEL "Wie wär's mit einem kleinen Wettkampf?" Grant sah vom Billardtisch zu Charli auf, die in der Tür des Kellerraumes stand, der neben dem Billardtisch auch Flipperautomaten, Hockey- und Fußballtische und eine Musikbox enthielt - alles Dinge, die für Kinder aus normalen Mittelklassefamilien eine Selbstverständlichkeit gewesen waren, als sie aufwuchsen. Heute Abend hatte Grant den großen modernen Leuchter über dem Pooltisch eingeschaltet, der ihn in einen hellen Lichtkreis tauchte. Charli hatte sich nicht umgezogen; sie trug noch das gleiche Outfit wie beim Dinner, bis auf das Jackett. Das ärmellose Top war aus einem weichen, schmiegsamen Material in blassem, opalisierendem Pink, das sich bei jeder Bewegung zu verändern schien. Sie trug dazu einen schmalen pflaumenfarbenen Rock, der ihr knapp bis zur Mitte der Oberschenkel reichte. Sie war barfuss, die feine schwarze Strumpfhose und die hochhackigen Sandaletten hatte sie ausgezogen. Vor ein paar Tagen hatte Charli ihr Haar neu stylen lassen. Es war im Nacken unverändert lang, aber vorn stufig geschnitten, so dass es nun in weichen Wellen ihr Gesicht umrahmte. Heute Abend hatte sie sogar ein wenig Make-up aufgelegt, mit größerer Geschicklichkeit, als Grant von ihr erwartet hätte gerade genug, um ihre ausdrucksvollen Augen zu betonen und ihren Lippen einen verführerischen Glanz zu verleihen.
Sie waren mit Mark Mahon, einem Teilhaber aus Grants Kanzlei, und Marks Frau, Julie, essen gegangen. Als sie zu viert das elegante französische Restaurant betraten, drehten sich viele Gäste interessiert nach ihnen um. Vor allem männliche, die Charli nachsahen, fiel Grant auf. Da er hinter ihr ging, musste auch er sich sehr zusammennehmen, um nicht ihre schlanken honigfarbenen Arme anzustarren, den subtilen Schwung ihrer schmalen Hüften unter dem engen Rock, und vor allem ihre Beine - diese erstaunlich wohlgeformten Beine, die durch die hohen Absätze perfekt zur Geltung kamen. Das ist Charli! hätte er am liebsten gerufen, als er ihren Stuhl heranschob und einen weiteren anerkennenden männlichen Blick abfing. Charli Rossi-Sterling sieht nicht so aus!, dachte er. Nicht wirklich. Denn wenn, dann hätte er sie ganz sicher nicht geheiratet. Das Dinner mit den Mahons war anstrengend, da Grant sehr abgelenkt war von der plötzlichen Verwandlung seiner kleinen grauen Maus in eine Superfrau. Sie für ihren Teil verhielt sich vorbildlich, plauderte intelligent über aktuelle Ereignisse und vermied heikle Themen, lachte über Marks lahme Scherze, machte Julie Komplimente zu ihrem hässlichen Kleid und demonstrierte makellose Tischmanieren. Die Mahons waren bereits zu Grants und Charlis Dinnerparty am kommenden Samstag eingeladen. Grant betrachtete das Ereignis als eine Art "Debüt" für seine Frau, das seine offizielle Verwandlung vom draufgängerischen Junggesellen zum solide verheirateten Ehemann kennzeichnete. Er versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie viel von dieser Party abhing. Julie fragte Charli, wer die Speisen und Getränke liefern würde. "Oh, ich koche alles selbst." "Für ein Dutzend Gäste?" Julie hob die sorgfältig gezupften Augenbrauen.
"Wie hast du ein Juwel wie dieses überredet, dich zu heiraten?" neckte Mark Grant. "Schön, intelligent und auch noch eine talentierte Köchin." "Sagen Sie das nicht, bevor Sie mein Essen probiert haben." Charli errötete ein wenig. "Charli ist bescheiden", sagte Grant. "Sie ist eine fantastische Köchin. Aber ihr Talent beschränkt sich nicht nur auf die Küche. Du solltest mal eins ihrer Konzerte an der Courtland High besuchen und sehen, wie sie ihre Schüler dirigiert. Diese Kids sind ganz erstaunlich. Wie viele hast du in dem Symphonieorchester, Schatz?" "Achtundneunzig", antwortete Charli und musterte ihn neugierig. Dass er "Schatz" gesagt hatte, hatte ihn mindestens so überrascht wie sie; es war ihm einfach so herausgerutscht. Er hoffte, dass sie es nicht für eine Taktik hielt, den anderen das verliebte junge Paar zu demonstrieren. Oder vielleicht überraschte es sie auch nur, dass er ihre Fähigkeiten als Lehrerin und Dirigentin lobte. "Das Orchester hat gestern Abend ein Frühjahrskonzert gegeben", fuhr Grant fort. "Ein Stück, das sie spielten, hat mich ganz besonders stark ergriffen. Es war aus dem Film ,Saving Private Ryan'. Die Band spielte, während der Konzertchor sang keinen Text, sondern nur wundervoll aufeinander abgestimmte Töne. Das Licht war gedämpft, während sie spielten, und Fotos von Kriegsschauplätzen wurden auf eine Leinwand projiziert." "Klingt deprimierend", bemerkte Julie. "Nein, es war fantastisch. Beeindruckend." Grant erschauderte bei der Erinnerung daran. "Ich kann guten Gewissens behaupten, dass es das erste Mal war, dass mir beim Konzert einer Schulband die Tränen kamen." Alle lachten, und Mark scherzte: "Könnte es nicht die hübsche Dirigentin gewesen sein, die dich zu Tränen rührte?" Grants einzige Beschwerde über dieses Stück war, dass das gedämpfte Licht ihm den Blick auf seine Frau erschwert hatte.
Noch nie zuvor hatte er sie in ihrer formellen Konzertkleidung gesehen, einem taillierten schwarzen Smoking mit einem gefältelten weißen Hemd. Er wusste, es war keine Absicht, dass sie darin sexy aussah, aber es hatte seine Fantasien, die ihn sowieso die halbe Nacht wach hielten, noch zusätzlich beflügelt. Während des darauf folgenden Empfangs in der Cafeteria der Schule hatte es ihn mit Stolz erfüllt, als Mrs. Sterlings frisch gebackener Ehemann vorgestellt zu werden. Die Schüler schienen Charli sehr zu respektieren. Er spürte, dass sie streng, aber gerecht war. Sie erwartete viel von ihren begabten Schülern, und sie enttäuschten sie nur sehr selten. Der Rest des Dinners mit den Mahons war ohne besondere Vorkommnisse verlaufen. Es war klar, dass Mark von Charli positiv beeindruckt war. Er hatte Grant später beiseite genommen, um ihm zu seiner Wahl zu gratulieren. Grant hatte sich, sobald sie zu Hause waren, in sein Spielzimmer zurückgezogen, in der Hoffnung, Charli würde gleich zu Bett gehen. Doch stattdessen stand sie nun da in der Tür und trat noch näher, als er zu seinem nächsten Stoß ansetzte. Die Spitze des Billardstocks rutschte von der Kugel ab, die gegen den Tischrand prallte und weit vom sechsten Ball wegrollte, den sie eigentlich hätte treffen sollen. "Vielleicht sollte ich eine Wette mit dir abschließen." Charli hockte sich neben ihn auf den Rand des Billardtisches. "Du scheinst heute Abend nicht in Form zu sein." Sie war nahe genug, um sie zu berühren. Gegen seinen Willen atmete er ihren vertrauten Duft ein, der sehr zart und ausgesprochen weiblich war. Zehn Tage waren seit dem Zwischenfall in Charlis Schlafzimmer vergangen, als er nahe daran gewesen war, die Kontrolle zu verlieren. Seither hatte er eine Wiederholung solcher Auftritte strikt vermieden. Es war nicht leicht gewesen. Jetzt, wo er sich Charlis angeborener Sinnlichkeit bewusst war, erschien es ihm, als reize
sie ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit, obwohl er wusste, dass es nur seine Fantasie war, die auf Hochtouren lief. Charli hatte sich angewöhnt, sich nur in ein Badelaken zu hüllen, wenn sie morgens nach der Dusche aus dem Bad zu ihrem Zimmer ging. Grant wusste, wenn er daran dächte, seine Schlafzimmertür zu schließen, würde er nicht abgelenkt von ihrem halb nackten Körper und den Wassertropfen, die aus ihrem nassen Haar zwischen ihre üppigen Brüste rannen, während er mit angehaltenem Atem darauf wartete, dass das Badelaken vorn aufklaffte. Da ihr offensichtlich nicht bewusst war, dass er sie durch die Tür beobachtete, begann er sich langsam wie ein Voyeur zu fühlen. Und sie hatte auch begonnen, zum Frühstück und abendlichen Snacks nur mit einem ihrer Shortys bekleidet in die Küche zu kommen, oder schlimmer noch, in einem kurzen Nachthemd, unter dem sie gar nichts trug. Und das war nicht nur eine Vermutung Grants. Seine Beobachtungsgabe war in der letzten Woche stark trainiert worden. Erst heute Morgen hatte Charli am Küchentresen gestanden und Cornflakes gelöffelt, im hellen Schein der frühen Morgensonne, die durch das Fenster auf ihr weißes Baumwollnachthemd fiel. Grant war von dem Anblick derart fasziniert gewesen, dass er Orangensaft über seinen besten Schlips verschüttet hatte. Natürlich war er froh, dass Charli nicht mehr den dicken, hochgeschlossene n Bademantel trug wie anfangs. Das bedeutete, dass sie sich wohler fühlte in ihrem neuen Heim. Aber was seiner Frau bequem war, war Grant entschieden unbequem. Das Schlimmste war jedoch der Montagabend, als sie darauf bestand, ihm das Haar zu schneiden. Sie holte ihre Schere, setzte ihn auf einen Küchenstuhl und legte ihm einen schwarzen Nylonumhang um. Sie nahm sich Zeit, kämmte und schnippelte, strich ihm mit ihren kühlen Fingern durch das Haar, blies ihm
sanft über den Nacken und streifte ihn ganz unbewusst mit den Brüsten. Gut, dass er den Umhang trug, denn sonst hätte sie den Effekt gesehen, den all diese liebevolle Aufmerksamkeit bei ihm erzeugte. Grant hatte Jayne Benning am vergangenen Donnerstag angerufen, wie er es sich vorgenommen hatte. Er hatte sich nach der Arbeit zu Cocktails mit ihr verabredet, in einem kleinen Hotel in Manhattan, das ein wenig abseits von den großen Straßen lag. Dort hatte er Jayne ihren üblichen Wodka Gimlet bestellt und zwei steife Bourbons heruntergekippt, während er versuchte, sich geistig auf die Aufzugfahrt zu dem Zimmer, das er bereits reserviert hatte, einzustellen. Zum Schluss war das Zimmer unbenutzt geblieben. Er hatte Jayne erzählt, dass er geheiratet hatte, ihr gesagt, wie schön es sei, sie wieder zu sehen, ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange gegeben und der verwirrten Frau ein Taxi gerufen. Grant konnte sich sein brachliegendes Liebesleben nicht länger mit den Hochzeitsvorbereitungen, den Überstunden im Büro oder all den anderen Ausreden erklären, die er sich in den letzten Wochen ausgedacht hatte. Er war gezwungen, sich zu seiner zunehmenden Abneigung gegen die Idee, seine Frau zu hintergehen, zu bekennen. Aber es ist doch kein Hintergehen! wandte der vernünftigere Teil von ihm ein. Er und Charli wussten beide, was für eine Ehe sie führten. Er hätte keine Bedenken haben müssen, außereheliche Beziehungen zu suchen. Und auch Charli nicht, fuhr die bohrende Stimme fort und überzeugte ihn beinahe, dass, wenn er auf Affären verzichtete, Charli es vielleicht auch tun würde. Grant ging um den Tisch herum zu der Billardkugel und versuchte, sich auf seinen nächsten Stoß zu konzentrieren. Charli fragte: "Habe ich beim Essen etwas falsch gemacht?" Er sah auf. "Nein. Wieso?" "Du bist so still, seit wir das Restaurant verlassen haben."
"Du warst gut, Charli. Wirklich großartig." "Es war lieb von dir, all diese netten Dinge über mich und meine Schüler und das Konzert zu sagen." "Das war ernst gemeint. Und offen gestanden ärgerte es mich, dass wir zu diesem Zeitpunkt schon etwa eine Stunde lang mit den Mahons geredet hatten und sie dich noch nicht nach deiner Arbeit gefragt hatten." Sie zuckte mit den Schultern. "Ich hatte nichts anderes erwartet." "Es war unhöflich. Als sähen sie in dir nur eine Art Verlängerung von mir." Er rechnete damit, dass sie nun entgegnen würde: Bin ich das denn nicht? Schließlich hatte er von Anfang an klargestellt, dass in ihrer Ehe seine Karriere vor allem anderen Vorrang hatte. Stattdessen sagte sie: "Die Aktentasche, die du mir nach dem Konzert geschenkt hat, ist sehr schön, aber das war wirklich nicht nötig, Grant." "Das sagst du immer. Ich bin noch nie einer Frau begegnet, die mit einem solchen Widerwillen Geschenke annimmt." "Es ist kein Widerwillen, Grant, es ist nur ... nicht nötig. Nicht bei jeder Gelegenheit. Du verwöhnst mich viel zu sehr." "Es war ein besonderes Konzert für dich", sagte er. "Ich hätte dir Blumen schenken können, aber Blumen welken, und ich wusste, dass du eine neue Aktentasche brauchst. Das alte Ding, das du mit dir herumschlepptest, platzte an den Säumen bereits auf." "Nochmals vielen Dank, aber ..." "Sag es nicht. Und du warst heute Abend wirklich fabelhaft bei Mark und Julie. Ich war überrascht." "So?" "Nun ja, überrascht ist vielleicht nicht das richtige Wort", räumte er ein, während er den Stock anlegte und die Kugel direkt ins Loch beförderte. "Ich vertraue auf dich, Charli. Das ist dir hoffentlich bewusst."
"Auf meine Fähigkeit, dir bei der Erlangung der Partnerschaft zu helfen?" Da blickte er zu ihr auf. Klang da nicht eine Spur Verbitterung in ihrer Stimme mit? Sie glitt vom Tisch und nahm sich einen Billardstock. "Willst du dir nur die Zeit vertreiben, oder spielst du eine Partie mit mir?" "Klar. Warum nicht?" Sie ging um den Tisch herum und starrte die Kugeln an, die noch darauf lagen. "Denn darum geht es schließlich doch, nicht wahr?" fragte sie. "Um die Partnerschaft." Charli stand ihm gegenüber und beugte sich nun für ihren ersten Stoß über den Tisch, wobei ihr gar nicht aufzufallen schien, dass der V-Ausschnitt ihres Tops aufklaffte und einen großzügigen Blick auf ihre Brüste ermöglichte, die von einem BH aus silbergrauer Spitze verhüllt waren. "Ich dachte nur", sagte sie, während sie den Stock zwischen ihren Fingern vor und zurück bewegte, um den Stoß vorzubereiten. Vor und zurück. Warum war Grant nie aufgefallen, wie unverhohlen sexuell diese Bewegung war? "Wenn die Erlangung einer Partnerschaft der Zweck unserer Ehe ist, was wird dann aus uns, wenn du dieses Ziel erreichst?" Sie beförderte die Kugel ins Eckloch. Dann schaute sie in Erwartung einer Antwort auf. "Die Partnerschaft ist nicht der einzige Zweck unserer Ehe." "Nein?" "Nicht mehr. Obwohl sie zweifellos der auslösende Faktor war." Grant lächelte. "Sag mir jetzt bitte nicht, wie anwalthaft ich klinge." "Ich dächte nicht im Traum daran", entgegnete sie trocken. "Soll das heißen, dass unser Arrangement nicht enden wird, sobald sie dich zum Teilhaber ernennen?" "Du sprichst von Scheidung? Charli, ich habe nicht vor, mich von dir scheiden zu lassen."
"Und was ist, wenn sie dir keine Partnerschaft anbieten? Denn das könnte passieren, egal, ob du verheiratet bist oder nicht." "Ich weiß, dass es keine Garantien gibt", erwiderte er schroff. "Ich versuche nur, meine Chancen zu verbessern." "Und wenn das nichts nützt?" Sie breitete die Arme aus und deutete auf Grant und sie. "Dann muss ich vierzig oder fünfzig Jahre deinen Groll ertragen?" "Warum sollte ich dir deswegen böse sein?" "Ach, komm. Du hast dir eine unerwünschte Frau aufgebürdet, und das zu nur zu einem Zweck.. Vielleicht sind die Seniorpartner ja gar nicht positiv beeindruckt von mir. Vielleicht durchschauen sie das Spiel. Oder vielleicht bieten sie dir nicht die Partnerschaft an, und es hat nichts mit deinem Familienstand zu tun. Aber trotzdem wirst du mich am Hals haben." Grant hatte wenig mehr gehört als "unerwünschte Frau". Er umklammerte seinen Queue so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten. "Ich habe nie gesagt, dass ich dich nicht will, Charli. Unsere Ehe mag zwar keine konventionelle sein, aber ich will dich. Ich möchte dich an meiner Seite haben." "Auch wenn du nicht Partner wirst." Er bemühte sich zu lächeln. "Hoffen wir, dass das kein Thema ist." Charli lächelte nicht, sondern wartete auf eine Antwort. "Auch wenn ich nicht Partner werde", bestätigte er. Die Wahrheit war, dass er sich daran gewöhnt hatte, Charli um sich zu haben und sich nicht mehr vorstellen konnte, allein in diesem großen Haus zu leben. Sie schaute zu ihm auf. "Aber muss unsere Ehe denn eine nüchterne geschäftliche Vereinbarung sein?" "Du glaubst, das sei sie? Nur eine geschäftliche Vereinbarung?"
"Ja. Das war es doch, was du wolltest, oder?" Sie setzte zu ihrem zweiten Stoß an und zielte dieses Mal daneben. Die Kugel prallte an der Ecke ab und verfehlte das Loch um Haaresbreite. Als Grant nichts erwiderte, sah sie ihn an. "Aber in einer gleichberechtigten Beziehung übernimmt ein Partner nicht alle Ausgaben. In einer gleichberechtigten Partnerschaft versucht der eine nicht, den anderen in irgendeine verdammte Haushaltshilfe zu verwandeln." Sie lächelte. "Verstehst du jetzt, was ich dir sagen will?" Grant war verblüfft, er hatte Charli noch nie fluchen hören. "Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich dir nur helfen will, dich ..." "Anzupassen. Ich weiß. Ist dir nie der Gedanke gekommen, dass hier nur einer von uns versucht, sich anzupassen?" Es braucht sich auch nur einer von uns anzupassen, hätte er darauf fast erwidert, war aber klug genug, zu schweigen. "Wenn ich so viel Anpassung benötige", fuhr sie fort, "warum hast du mich dann geheiratet? Ach ja, jetzt fällt's mir wieder ein. Weil ich so bescheiden und so anspruchslos bin." Hatte er sie wirklich so beschrieben? Scham erfasste Grant, als er sich an das Gespräch in ihrer Hochzeitsnacht erinnerte. "Was soll das?" fragte er. "Wir haben doch ausführlich besprochen, was für eine Art Ehe es sein soll." Charli hatte in ihrem sexy Neglige auf seinem Bett gesessen und die Arme um die Knie geschlungen, als versuchte sie sich vor seinen Blicken zu verbergen. Bescheiden und anspruchslos hatte er sie genannt. Und gutmütig. Er hätte auch den perfekten Schoßhund damit meinen können. Ihr Verhalten heute Abend konnte man nicht bescheiden nennen, obwohl es weit entfernt von unanständig war. Was ihr Anspruchslossein anging - auch das schien sie inzwischen abgelegt zu haben. Grant beschäftigte sich mit seiner nächsten Kugel. Sie rollte in eine völlig andere Richtung als geplant. Charli war ihm jetzt
ganz nahe. Die Lampe über ihnen tauchte ihr Gesicht in ein Spiel aus Licht und Schatten, das ihre Wangenknochen höher und ihren Mund sinnlicher erscheinen ließ. Ihre dunklen Augen glitzerten, und Grant musste sich im Stillen eingestehen, dass Entrüstung Charli sehr gut stand. Er lehnte seinen Queue an den Tisch. "Wie man sieht, kann der erste Eindruck durchaus täuschen." Mit den Fingerspitzen strich er über die nackte Haut an ihrem Ausschnitt und hob die schimmernde Perlenkette an, zu der sie passende Ohrringe trug. Amanda hatte ihr vor ein paar Tagen geholfen, diese Stücke auszusuchen, wie auch das pink- und pflaumenfarbene Ensemble, das sie heute trug. Die Perlen waren bei weitem nicht so wertvoll wie die Smaragde und Saphire, die er ihr geschenkt hatte, aber sie sahen auf ihrer olivefarbenen Haut fantastisch aus. Langsam öffnete er den Verschluss der Kette und ließ die Finger auf ihrer weichen Haut verweilen. Charli sah ihm mit ausdrucksloser Miene zu, obwohl ihr Puls raste. Nach einem Moment trat sie zurück und drehte sich zum Billardtisch um; ihr Blick fiel auf die Kugel, die Grant nicht eingelocht hatte. Zum zweiten Mal nun schon sah er, wie ihr enger Rock an ihren nackten Schenkeln hinauf rutschte und sich über ihrem Po straffte, als sie sich vorbeugte. Von purem männlichen Instinkt getrieben, trat er leise hinter sie. Charli zielte, verlagerte ihr Gewicht nach hinten und stieß gegen Grant. Erschrocken fuhr sie zurück, doch Grant umfasste von hinten ihre Hüften, trat noch näher und presste sie mit seinem Körper an den Billardtisch. Sie blickte über die Schulter, und ihre Augen weiteten sich, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. Sie ließ das Queue fallen und versuchte, sich aus ihrer gebückten Haltung aufzurichten. Grant legte eine Hand an ihren Nacken und drückte sie gegen den Tisch. "Grant...!"
"Du tust das mit voller Absicht, nicht?" Mit der freien Hand strich er über ihre Seite und ihre Hüfte. "Und ich dachte, nein, das kann nicht sein - nicht Charli, nicht meine schüchterne, anständige kleine Frau." Etwas in seinem Tonfall alarmierte sie. Vergeblich versuchte sie, sich aufzurichten, und ließ dann schwer atmend das Gesicht auf den grünen Filz des Tisches sinken. Grant strich ihr das Haar aus dem Gesicht, und sie versuchte, sich nach ihm umzusehen, aber er drückte sie noch fester an den Tisch. "Grant", murmelte sie atemlos, "was tust du?" "Du hast mich schon seit Tagen ganz bewusst gereizt", beschuldigte er sie und rieb sich an ihr, um ihr zu zeigen, was sie angerichtet hatte. "Gib es zu." "Lass mich los." "Wieso, ist es nicht das, was du wolltest?" Mit den Knien spreizte er ihre Beine und schob ihren Rock noch höher hinauf. "Mich verrückt zu machen? Damit ich die Kontrolle über mich verliere?" "Nein!" Sie wand sich und versuchte, ihre Beine zu schließen. Jede Bewegung sandte kleine Schauer der Erregung durch Grant. "Das glaube ich dir nicht." Er zog ihren Rock bis zur Taille hinauf. Sie schrie auf und versuchte, ihn abzuschütteln. "Deine Dessous sind neu, nicht wahr?" fragte er und streichelte ihren festen kleinen Po durch den silbergrauen Slip aus Spitze und Satin, der zu dem BH gehörte, den er vorhin kur z gesehen hatte. "Hör auf, Grant!" Charli griff hinter sich, um ihren Rock hinabzuziehen. Grant packte mit einer Hand ihre Handgelenke und hielt sie an der Taille fest. Er hatte im Trockner die Unterwäsche gesehen, die seine Frau normalerweise trug: praktische weiße Baumwollslips mit dazu passenden BHs.
"Wozu hast du die Sachen gekauft, wenn du nicht willst, dass ich sie sehe?" fragte er. "Oder hattest du dabei an jemand anderen gedacht?" Charlis Augen blitzten. "Und wenn, dann geht dich das verdammt noch mal nichts an!" "Du fluchst schon wieder. Zum zweiten Mal in dieser Nacht." Er schob die Finger unter das Bündchen ihres Slips, als wolle er ihn hinunterziehen. Sie versteifte sich. "Lass das!" Grant hielt inne und versuchte, Charlis offensichtliche Bestürzung mit ihrer tagelangen aufreizenden Anmache zu vereinen. Er spreizte ihre Beine noch ein wenig weiter und nahm ihren verführerischen Anblick in sich auf, während er mit seinem drängenden Verlangen rang. Er schob eine Hand zwischen Charlis Beine. Ein erstickter Schrei entrang sich ihr, und ein Beben ging durch ihren Körper, als sie versuchte, die Schenkel zusammenzupressen. Grant verstärkte seinen Griff um ihre Handgelenke. Ihre Hitze durchdrang seine Finger; er streichelte Charli langsam und erforschte durch die dünne Satinbarriere ihre intimste Stelle. "Ich werde dich so nehmen", sagte er. "Ein Quickie auf dem Billardtisch." "Nein." Ihre Stimme zitterte. "Tu das nicht, Grant." "Warum nicht? Das willst du doch. Oder macht es dir bloß einen teuflischen Spaß, mich scharfzumachen?" Er hörte nicht auf, sie zu liebkosen. "Antworte, Charli." "Das ist nicht das, was ich will." "Du willst keinen Sex?" "Nein." Mit rauer Stimme fügte sie hinzu: "Ich wollte, dass du mich liebst." Grant fluchte. "Du kannst nicht anders, als es so feierlich zu machen, was? Fühlst du dich besser, wenn du so tust, als wäre es mehr als ein primitives animalisches Bedürfnis?" "Es ist mehr. Ich könnte es nicht anders."
"Wie nobel." Und noch immer streichelte er sie. "Du bist bereit für mich, Charli. Das hat aber nichts mit Liebe, sondern mit Hormonen zu tun." "Bitte ..." keuchte sie, dem Höhepunkt scheinbar schon nahe. "Nicht so." "Es geht nicht anders." Er gab ihre Hände frei. Das Geräusch seines Ledergürtels, der durch die Schnalle glitt, ließ sie erschrocken auffahren. Mit zitternden Beinen glitt sie vom Billardtisch und zog ihren Rock hinunter. "Nein." Schwer atmend umfasste sie den Rand des Billardtischs. Frustration stieg in Grant auf. "Ich möchte beenden, was du begonnen hast." "Liebst du mich?" "Das hat nichts mit Liebe zu tun. Wenn ich gewusst hätte, dass du das tun würdest..." Sie schob das Kinn vor. "Hättest du mich nicht geheiratet? Schon gut, du brauchst mir nicht zu antworten. Tatsache ist, dass ich dich liebe, Grant. Und ich weiß, dass auch du etwas für mich empfindest." Er machte seinen Gürtel wieder zu. "Warum fürchtest du dich so vor deinen Gefühlen?" fragte sie. "Warum stößt du mich zurück?" "Es hätte nicht so weit kommen müssen." Er schüttelte den Kopf und fragte sich, wie die ganze Sache so außer Kontrolle geraten konnte. "Wir hätten uns an unsere Abmachung halten können. Du hättest dich daran halten können." "Was ist los mit dir, Grant? Was macht dir solche Angst, mich an dich heranzulassen?" Sie folgte ihm bis zum Fuß der Treppe. "Rede mit mir. Ich liebe ..." "Nein, das tust du nicht!" Er hob abwehrend die Hände. "Das redest du dir ein. Geh und such dir einen Lover, Charli. Das ist alles, was du brauchst. Erzähl es mir bloß nicht."
12. KAPITEL "Wann kommen die Le ute vom Partyservice?" fragte Grant. "Das habe ich dir schon gesagt. Um sieben." Charli sah, wie er zum x-ten Mal auf die Uhr schaute, als sie das letzte Dutzend Champignons mit einer Mischung aus sautierten Schalotten, Prosciutto, Bechamelsauce und frisch geriebenem Parmesan füllte. "Beruhige dich, Grant. Ich habe alles unter Kontrolle." Er deutete auf das Backblech mit den Pilzen. "Sie sind nicht alle gleich groß." "Das macht nichts. Diese funghi ripieni sind köstlich. Ich habe noch nie Klagen gehört. Auß er bei jenem einen Mal ..." Sie unterdrückte ein Lächeln. Grant blickte beunruhigt auf. "Wann? Wieso?" Charli lachte. "Hast du schon mal Gäste hier bewirtet?" Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab und zog Frischhaltefolie von der Rolle. "Natürlich. Es ist nur so, dass es heute ..." "Ganz besonders wichtig für dich ist. Auch das hast du bereits erwähnt." Charli wusste, sie hätte verständnisvoller sein müssen, aber Grant hatte sie in den letzten Tagen fast zum Wahnsinn getrieben mit Einzelheiten dieser Dinnerparty, von der Menüwahl über den Tischschmuck bis zum Geschirr. Er hatte auf feinstem englischen Knochenporzellan bestanden, obwohl in ihrem Schrank ein fast neues russisches Service im Schrank stand. Charli und Grant liebten das russische Porzellan
mit dem auffallenden kobaltblauen Design, aber für diese Gesellschaft sei es nicht das Richtige, hatte Grant gemeint. Sie brauchten etwas Dezenteres, Konservativeres. Charli stellte die Pilze in den Kühlschrank und schob den Spinatsalat beiseite, um Platz zu machen. "Ich bin mir immer noch nicht sicher mit dem Eintopf", murmelte Grant. Charli dachte, dass sie sich ein ausgedehntes Bad verdient hatte. Es war schon Nachmittag, und seit dem frühen Morgen war sie auf den Beinen, hatte das Essen zubereitet, den Tisch gedeckt und die Getränke auf der Bar bereitgestellt. Grant hatte bei einem Partyservice zwei Kellner bestellt, die bedienen und die Küche aufräumen würden, aber Charli hatte darauf bestanden, selbst zu kochen. Er folgte ihr aus der Küche in die Halle. "Ich sagte, ich bin mir noch nicht ganz sicher mit dem Eintopf..." Sie fuhr zu ihm herum. "Es ist spezzatino di vitello alla salvia - Kalbsfilet mit Salbei und Weißweinsauce und nicht irgendein Mischmasch aus der Dose!" "Das weiß ich, aber ..." "Es ist köstlich, das hast du selbst gesagt." "Es ist vorzüglich. Ich mache mir nur Sorgen, dass es vielleicht ein bisschen zu schlicht für den Anlass sein könnte. Ich meine, wir servieren all diese eleganten Vorspeisen, und dann setzen wir ihnen als Hauptgang einen Eintopf vor?" Charli seufzte und stieg die Treppe hinauf, aber wieder folgte Grant ihr. "Ich sagte doch schon, dass es keinen Hauptgang gibt, Grant. Es ist ein typisch italienisches Menü. Das Kalbsfrikassee ist der zweite Gang, und ich habe mich dafür entschieden, weil ich es gestern vorbereiten konnte und es nur noch aufzuwärmen brauche, bevor es auf den Tisch kommt. Bei all den vielen anderen Sachen, die ich im letzten Augenblick noch zubereiten muss, war es die ideale Wahl. Es schmeckt sowieso am zweiten
Tag noch besser. Keine Angst, ich werde es spezzatino nennen", schloss sie trocken. "Dann wird keiner merken, dass es Frikassee ist." Charli betrat ihr Zimmer und griff nach ihrem rosa Frotteemantel. Seit Grant sie vor einer Woche auf dem Billardtisch beinahe entjungfert hatte, lief sie nicht mehr nur mit einem Handtuch bekleidet durchs Haus. Sie hatte ihn tatsächlich ganz bewusst gereizt, wie er ihr vorgeworfen hatte. Sie hatte Hunters Rat beherzigt und anderthalb Wochen lang alles versucht, um ihren Mann dazu zu bringen, seine Gefühle für sie zu zeigen. Doch das Einzige, was er ihr gezeigt hatte, war, dass er sich rein körperlich zu ihr hingezogen fühlte. Am Tag nach dem Zwischenfall im Billardzimmer hatte Grant ihr eine goldene Uhr geschenkt - als eine Art Entschuldigung, nahm Charli an. Jetzt folgte er ihr ins Gästebadezimmer und sah zu, wie sie Wasser in die Wanne laufen ließ. "Ich möchte bloß, dass heute Abend alles klappt." "Das wird es." "Ich bin sicher, dass es noch irgendetwas gibt, was wir vergessen haben." "Bestimmt." Sein Gesichtsausdruck verriet, dass das nicht das war, was er hören wollte. "Du nimmst das alles viel zu leicht." "Leicht? Ich habe mich abgerackert wie ein Galeerensklave für diese Dinnerparty. Die Planung, der Einkauf, das Kochen ..." "Das weiß ich, und ich bin dir dafür auch sehr dankbar. Ich habe nur den Eindruck, dass dir nicht ganz klar ist, wie viel für mich von diesem Abend abhängt." Charli streifte ihre flachen Schuhe ab, löste ihren Zopf und strich sich mit den Fingern durch das Haar. "Du wirst so nervös sein, dass es auf die Gäste abfärbt." "Hat Sarah Holm ihr Babysitter-Problem gelöst?"
"Ich beantworte jede Frage nur einmal. Danach ignoriere ich sie." Charli knöpfte ihre Bluse auf. "Ich nehme jetzt mein Bad, und falls du mir nicht den Rücken waschen möchtest, ist diese Unterhaltung jetzt beendet." Er musste wissen, dass es nur Ärger war, was aus ihr sprach; sie hatten in der vergangenen Woche nach dem Vorfall in dem Billardzimmer konsequent Distanz zueinander gehalten. Dennoch sah Grant für einen Moment so aus, als sei er versucht, Charli beim Wort zu nehmen. Ihr Herz schlug schneller. Doch nach kurzem Zögern ging er und zog die Tür hinter sich zu. Charli fluchte leise. Seit fünf Minuten bemühte sie sich vergeblich, ihr trägerloses Bustier zu schließen. Es war wie der dazugehörige Slip aus hauchdünner elfenbeinfarbener Seide. In den Slip hineinzukommen, war nicht schwer. Aber das Bustier ...! Im Laden hatte Amanda die winzigen Häkchen am Rücken innerhalb von Sekunden geschlossen. Charli wäre nie auf die Idee gekommen, dass sie eine Zofe brauchte, um das Ding anzuziehen. Sie stöhnte vor Ungeduld und verrenkte sich beinahe die Arme, um die Häkchen des Bustiers zu schließen. Grant klopfte an die Tür. "Was ist, Charli?" "Ich kann das nicht, verdammt!" rief sie. "Was kannst du ..." Grant verstummte. Der Klang seiner Stimme verriet Charli, dass keine Tür mehr zwischen ihnen stand. Verblüfft fuhr sie herum und presste das Bustier an sich. Grant stand in der Tür und starrte sie neugierig an. "Ich kriege es nicht zu!" Sie stampfte mit dem Fuß auf. "Es ist unmöglich, das verdammte Ding allein zu schließen!" Nur vage war ihr bewusst, was für einen Anblick sie ihm bieten musste, halb nackt, atemlos vor Ungeduld und mit zerzaustem Haar. Aber vor lauter Frustration war sie den Tränen nahe und dachte nur an die dummen Haken und Ösen.
Grant kam zu ihr, legte ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zum Spiegel um. "Lass sehen." Seine Fingerspitzen streiften ihren Rücken, als er ihr Haar beiseite schob. Er war einen Kopf größer als sie, und im Spiegel sah sie, dass sein Haar noch nass war vom Duschen und er nicht weniger nachlässig gekleidet war als sie. Er trug nur weiße Boxershorts und eine schwarze Socke. Ihr ärgerlicher Ausruf musste ihn beim Anziehen gestört haben. "Müssen sie diese Dinger so klein machen?" fragte er stirnrunzelnd. "Es sind deine Augen", bemerkte Charli. "Du gehst auf die vierzig zu." Ohne aufzusehen, erwiderte er: "Ich kann auch wieder verschwinden. Ich brauche mich nicht beschimpfen zu lassen." "Dann geh doch. Amanda dachte, das Bustier wäre genau das Richtige unter diesem Kleid ..." Charli deutete auf das kurze marineblaue Cocktailkleid, das auf dem Bett lag ... "aber ich kann natürlich auch nichts darunter tragen. Mr. Farman, Mr. Van Cleave und Mr. Holm hätten sicher nichts dagegen." "Sicher nicht", bestätigte Grant leise, aber mit drohendem Unterton. "Du wirst das Ding schon loslassen müssen, wenn du willst, dass ich es schließe." Charli blickte auf ihre Hände, die das Bustier an ihre Brüste pressten. Sie lockerte ihren Griff und schob schnell ihre Brüste in die Körbchen - jedoch nicht schnell genug, wie sie erkannte, als Grants Blick einen Moment lang von den Häkchen zum Spiegel glitt. "Warum schließt du es nicht vorn und drehst es dann herum?" fragte er. Er hatte bereits die Hälfte der Häkchen geschlossen. Vielleicht war es nur Einbildung, aber Charli hätte schwören können, dass seine Finger sich nun langsamer bewegten.
"Ich habe es versucht. Das Ding ist zu eng, und ich bin zu ..." Sie sagte nicht "zu üppig", aber sein Grinsen verriet, dass das auch gar nicht nötig war. "Unsinn. Du bist gerade richtig." Die Art, wie er das sagte, löste ein warmes Prickeln in Charli aus. Als Grant die letzten Häkchen schloss, verfolgte sie, wie ihre "gerade richtigen" Brüste die Körbchen ausfüllten und sich verführerisch wölbten. Sie war es nicht gewöhnt, ein derart enges Kleidungsstück zu tragen. Bei jedem Atemzug war ihr, als hielten sie unsichtbare Hände ... Charli sah, dass Grant sie im Spiegel anstarrte. Wieder kreuzte sie die Arme vor dem Oberkörper, dort wo die dunklen Spitzen ihrer Brüste durch die dünne Seide schimmerten. Grant griff um sie herum, zog ihre Hände fort und hielt sie fest. Seine Augen verdunkelten sich. "Ich habe dich schon so gesehen", murmelte er. Das stimmte. Aber nicht bei hellem Tageslicht und auch nicht in einem Kleidungsstück, das so unglaublich erotisch war, dass sie sich verwundbarer fühlte, als wenn sie nackt gewesen wäre. Seine Hände schienen eine Art elektrischer Energie zu erzeugen, als sie über ihre Arme glitten und auf ihren Schultern liegen blieben. Er senkte den Kopf und küsste sie aufs Haar. Mit einem Mal hatte Charli Mühe zu atmen. Im Spiegel sah Charli, das sich ihre Lippen öffneten und ihre Nasenflügel bebten. Ihre Brüste hoben und senkten sich in schnellem Rhythmus. Wie von der Bewegung angezogen, glitten Grants Finger streichelnd über ihre Haut. Sie schloss die Augen, als er über den Ansatz ihrer Brüste strich. Ihre Haut war fast unerträglich empfindsam. Sie fühlte, wie ihre Brustspitzen sich aufrichteten, und ohne die Augen zu öffnen, wusste sie, dass Grant es auch bemerkte. Seine Stimme löste einen Schauer sinnlicher Erwartung in ihr aus: "Wie konnte ich nur denken ..." Seufzend küsste er ihr
Haar. "Du hast eine so starke weibliche Ausstrahlung. Ich muss blind gewesen sein, dass ich es nicht früher bemerkt habe." Charli stockte der Atem, als seine Hände langsam von den harten kleinen Knospen zu ihrem Bauch und tiefer glitten. Atemlos verfolgte sie im Spiegel, wie er seine warme Hand auf das winzige Stück Stoff zwischen ihren Schenkeln legte. Hitzewellen durchfluteten sie. Er flüsterte ihr ins Ohr: "Berührst du dich dort? Nachts, wenn du allein in deinem Bett liegst?" Sie ergriff seine Handgelenke, schockiert über die Frage und beschämt, dass er erraten hatte, wie sehr sie sich nachts in der Einsamkeit ihres Zimmers nach ihm sehnte. "Antworte mir, Charli." Er blickte sie im Spiegel an. Seine Hände bewegten sich in einem sinnlichen Rhythmus, ohne jedoch die Stelle zu berühren, wo ihr Blut am heißesten pulsierte. "Du tust es, nicht?" Zwischen Leidenschaft und Ärger schwankend, versuchte Charli, seine Hand fortzuschieben. Aber er blieb unerbittlich. "Und wenn ich es tue?" entgegnete sie gereizt. "Tust du es nicht?" Er schenkte ihr ein schwaches Lächeln. "Sogar noch mehr als früher in der Pubertät, dank dir." Er nahm ihre Hand und zog sie unter ihren Slip. "Zeig mir, was du tust, Charli." Er küsste ihre Schläfe und streichelte ihre Finger durch den Stoff des Slips. "Zeig mir, wie du dich berührst." "Nein." Sie versuchte vergeblich, ihre Hand zurückzuziehen. "Ich habe mir schon vorgestellt, wie du es tust", sagte er. "Du hebst dein Nachthemd hoch, spreizt deine Beine ..." "Hast du in deinen Fantasien nie dich mein Nachthemd hinaufziehen und meine Beine auseinander biegen sehen?" "In meinen Fantasien habe ich alles Mögliche mit dir getan." Er lächelte grimmig. "Sogar Dinge, die du dir vermutlich nicht einmal vorstellen kannst."
Er gab ihre Hand frei, aber nur, um sie durch seine eigene zu ersetzen. Charli versteifte sich, und er beruhigte sie mit sanften Berührungen und sinnlich weicher Stimme. Charli sah wie verzaubert zu, als Grants Hand noch tiefer wanderte und seine Fingerspitzen das seidenweiche Haar zwischen ihren Schenkeln teilten. Sie erschauerte und klammerte sich an seinen Arm, der um ihre Taille lag. Grant beobachtete sie im Spiegel. Sein Blick war dunkler, leidenschaftlicher, als sie es je zuvor gesehen hatte. Seine Finger bewegten sich, liebkosten sie. Charli schnappte nach Luft und merkte kaum, wie ihre Nägel sich in seine Arme bohrten. Er stieß einen zufriedenen Seufzer aus und setzte seine erotische Entdeckungsreise fort, als wolle er den Grad ihrer Erregung prüfen. Und als Charli sich verlangend unter seiner Hand aufbäumte, zog er sie noch fester an sich. Entnervend langsam setzte er seine sinnlichen Liebkosungen fort, bis Charli im gleichen Rhythmus wie er atmete und sich den Bewegungen seines Körpers anpasste. Charli vergaß zu atmen, als Grant sehr sanft mit einem Finger in sie eindrang und dann wieder innehielt. "Charli?" Grant runzelte die Stirn und drang behutsam noch ein bisschen weiter vor. Verwundert blickte er sie an. "Das kann nicht sein ..." murmelte er. In ihrer Benommenheit achtete Charli kaum auf seine Worte, sondern presste sich nur an seine Hand. Er küsste ihr Haar und schloss für einen kurzen Moment die Augen. "Charli, Liebste, sag es mir. Warst du je mit einem Mann zusammen?" Warum fragte er? Er musste doch die Antwort kennen. "Grant", stöhnte sie und legte impulsiv die Hand auf seine. Langsam glitt sein Finger tiefer. Charli erschauerte und rief flehend seinen Namen. Fasziniert beobachtete sie, wie er sie streichelte und gab sich ganz den überwältigenden Gefühlen hin, die sie dabei
durchströmten. Ihre Erregung wuchs, ihr Innerstes stand plötzlich in Flammen, und sie fühlte den Gipfel der Ekstase nahen. Und da geriet sie in Panik - sie hatte diesen Augenblick noch nie mit jemandem geteilt. Grant schien ihre Unentschlossenheit zu spüren. "Wehr dich nicht dagegen", flüsterte er. "Lass dich gehen ... Ja, so ist es gut, Liebling. Du bist so schön ..." Im entscheidenden Moment vertiefte er seine Liebkosungen, und ein heiseres Stöhnen entrang sich Charlis Lippen, als eine unfassbar heiße Woge sie durchströmte, die ihren Körper wild erschauern ließ. Noch ganz überwältigt von dieser lustvollen Erfahrung, öffnete sie die Augen und spürte, wie ihr Mann seine Hand zurückzog. "Lass das nicht alles sein", bat sie ihn leise. "Charli ..." Zärtlich drehte er sie in seinen Armen um. "Sag jetzt nicht, es hätte nicht passieren dürfen." Tränen brannten hinter ihren Lidern. "Das könnte ich nicht ertragen." "Pst Liebling." Seine Lippen berührten ihre, leicht nur, aber mit einer Gefühlstiefe, die sie verblüffte. Trotzdem spürte sie die Anspannung in seinem Körper und wappnete sich für seine nächsten Worte. Es hat nichts zu bedeuten, würde er ihr sagen. Es wird nicht wieder vorkommen. Aber Grant sagte nichts dergleichen, sondern starrte Charli an, als sähe er sie zum ersten Mal. "Du bist noch Jungfrau." "Natürlich. Was dachtest du denn?" Sein Ausdruck wechselte von verwundert zu bestürzt. "Ich dachte gar nichts, schätze ich." "Aber du musstest es doch wissen. Ich bin unerfahren. In all den Jahren haben mir die Männer nicht gerade die Türen eingerannt." Seine Hände glitten über ihren Rücken, und zärtlich sagte er: "Wenn du mit dreißig Jahren noch Jungfrau bist, Charli, dann ganz bestimmt nicht, weil du nicht begehrenswert bist."
Sie wandte das Gesicht ab, aber Grant drehte ihren Kopf wieder zu sich herum und zwang sie, ihn anzusehen. "Denn das bist du nicht, egal, wie sehr du dir das eingeredet haben magst." Sein Lächeln verblasste. "Oder wie sehr ich dir das Gefühl gegeben haben mag. Falls es so war, dann war es keine Absicht. Bitte glaub mir das." Er sah ihr in die Augen. "Es war deine eigene Entscheidung. Du hast die Ehe abgewartet." "Ich habe auf dich gewartet", flüsterte Charli. Ein Ausdruck derart unverhohlener Verblüffung trat in Grants Augen, dass sie vor Emotion zu glühen schienen. "Möchtest du etwas Komisches hören?" Er strich ihr das zerzauste Haar aus dem Gesicht. "Ich dachte, der Grund, warum du vor unserer Heirat nicht mit mir schlafen wolltest, wäre mangelndes sexuelles Interesse." Mit einem schiefen Grinsen fügte er hinzu: "Ich meine, aus welchem anderen Grund hättest du immun gegen meinen Sex-Appeal sein können?" "Ich wollte es", gab Charli zu. "Ich habe es nur nicht gezeigt. Du solltest nicht wissen, dass ich ... diese Gefühle hatte. Im Nachhine in kommt es mir schrecklich dumm vor." "Liebling, wenn es um Dummheit geht, müsste ich für meine einen Preis bekommen." Er hob sie auf die Arme und ging mit ihr zu ihrem Bett. Ihre Augen wurden groß, sie umklammerte seine Schultern. "Was tust du?" Grant legte sie auf die weiße Decke, nahm das Cocktailkleid vom Bett und legte es über eine Stuhllehne. "Wir haben genug geredet."
13. KAPITEL Charlis Herz hämmerte gegen ihre Rippen, als sie zusah, wie Grant die eine schwarze Socke auszog und dann die Boxershorts abstreifte. Und dann konnte sie ihn nur noch aus großen Augen anstarren. Nichts hatte sie auf den Anblick ihres nackten, voll erregten Ehemannes vorbereitet. Er war wunderbar, perfekt proportioniert und stark und muskulös. Alles an ihm war schön, einschließlich jenes geheimnisvollen Körperteils, das er gerade entblößt hatte. "Sag jetzt nicht, du hättest es dir anders überlegt", bemerkte er lächelnd, als er sich neben sie legte. "Natürlich nicht." Charli schluckte. "Ich wusste nur nicht ... Ich habe noch nie einen nackten Mann ..." Er nahm ihre Hand und legte sie auf den Beweis seiner Begierde. Nach einem Augenblick der Verblüffung umschloss sie ihn mit den Fingern. Er war glatt, heiß und hart. Grants Ausdruck wurde weicher; er gab einen leisen Ton von sich, halb Seufzer, halb Stöhnen. Seine Finger schlössen sich um ihre, und er zeigte ihr, wie sie ihn streicheln sollte. "Vertrau mir, Charli. Ich werde so behutsam wie nur möglich sein." "Schon gut. Ich weiß, dass es beim ersten Mal ein bisschen wehtun wird."
"Vielleicht. Aber es muss nicht so sein", sagte er und bestätigte ihr damit, was sie schon wusste - dass Grant ein Mann mit Erfahrung war, was sie sowohl beruhigte wie auch entmutigte. Wer weiß, wie viele Frauen er schon geliebt hatte? Er zog ihre Hand an die Lippen und küsste ihre Fingerknöchel, ohne den Blick von ihren Augen abzuwenden. "Ich musste ständig an dich denken", murmelte er, während er mit der Fingerspitze über den Ansatz ihrer Brüste strich. "Es verging keine Stunde, in der ich nicht davon geträumt hätte, dich auszuziehen und dich auf der Stelle zu nehmen, wo immer wir uns auch befanden." Seine Lippen zuckten. "Ich hatte dich unter meinem Lieblingstisch im ,Four Seasons', in meinem Wagen auf dem Vordersitz und hinten - überall im Spielzimmer und etwa hundert Mal auf meinem Schreibtisch im Büro. Ach ja, und einmal haben wir es in Richter Randolphs Zimmer getan. Manchmal bilde ich mir ein, ich könnte deinen zarten Duft wahrnehmen, und das allein genügt schon, um mich zu erregen." Er ließ die Hand zu ihrer Hüfte gleiten. "Du bist die faszinierendste Frau, der ich je begegnet bin, Charli. Ich habe keine andere mehr begehrt, seit ich dich kenne. Ein schöner Playboy bin ich, der von seiner eigenen Frau besessen ist." Eine obsessione... Nonni hatte Recht, dachte Charli. Grant hatte sie wirklich auf diese spezielle Art angesehen. Sie berührte seine frisch rasierte Wange, legte die Hand auf seinen Nacken und zog sein Gesicht zu sich, um ihn zu küssen. Es war ein heißer, fordernder Kuss. Charli fragte sich nicht einmal, ob es richtig war, was sie da tat; es kümmerte sie nicht, wie schamlos sie vielleicht wirkte. Zum ersten Mal ließ sie sich gehen und befriedigte ihre eigenen Bedürfnisse. Grants freudig überraschtes Stöhnen heizte ihre Leidenschaft noch weiter an, und als er sich auf sie rollte und sein warmer Körper sie bedeckte, umarmte sie ihn noch fester, bis sie den Beweis seiner Begierde an der Stelle spürte, wo ihre süße Qual am größten war.
Unruhig bewegte sie sich unter ihm, aber er hielt sie mit seiner Kraft und seinem eindringlichen Blick gefangen. Charli sah Grant in die Augen und kam ihm einladend entgegen. Sie spürte den Beweis seiner Begierde am Zentrum ihrer Weiblichkeit und wusste, dass nur noch ihr dünner Slip Grant daran hinderte, sie in Besitz zu nehmen. Doch da zog er sich jäh zurück, und Charli sah, dass er zitterte und sein Gesicht vor Erregung stark gerötet war. Er setzte sich neben sie. Sie versuchte, sich zu erheben, aber er drückte sie aufs Bett zurück und betrachtete sie von Kopf bis Fuß. Sie sagte: "Grant, ich glaube, ich bin bereit." Er lächelte verheißungsvoll. "Das freut mich. Aber leg dich wieder hin, und versuch dich zu entspannen." So, dachte sie und erwartete, dass er es nun ... tun würde. Stattdessen stützte er sich auf eine Hand und strich sacht mit den Fingern über ihren Arm und ihre Brust. Charlis Haut prickelte. Allmählich entspannte sie sich, selbst als er seine sanften Liebkosungen auf ihre Hüften und ihre Schenkel ausdehnte, ihre Beine spreizte und mit den Fingerspitzen über die empfindsamen Innenseiten ihrer Schenkel strich. Sie hätte wirklich nicht gedacht, dass ihre Erregung sich noch steigern könnte, doch je mehr Grant sie berührte, desto schwerer fiel es ihr, still liegen zu bleiben. "Du ahnst nicht, wie verführerisch du bist." Grant nahm ihre harte kleine Brustspitze zwischen Daumen und Zeigefinger und streichelte sie durch das Bustier. "Und nicht nur dieser aufreizenden Dessous wegen. Alles an dir strahlt Sinnlichkeit aus, Charli." Charli konnte nicht anders - sie musste lachen. Grant lächelte. "Aber deine Sinnlichkeit ist weder seicht noch vordergründig. Jeder kann eine Schau abziehen. Was du besitzt, geht tiefer. Es ... es liegt in der Art, wie du beim Fernsehen mit dem Finger über das Chenillekissen auf dem Sofa streichst. Weil
dir die Beschaffenheit des Stoffs gefällt, vermute ich, aber es reizt meine Fantasie. Oder wie du etwas abschmeckst, wenn du kochst. Wie du dann für einen Moment genießerisch die Augen schließt. Ich bin sicher, dass es dir nicht mal bewusst ist." Nein, das war es ihr tatsächlich nicht. "Nachdem ich dich in dieses Ding hineingezwängt habe ..." er drehte sie auf den Rücken, "... wollen wir doch mal sehen, ob es genauso viel Spaß macht, dich wieder daraus zu befreien." Charli lag auf dem Bauch und ließ Grant die Häkchen öffnen. Als er damit fertig war und das Bustier auf ihrem Rücken auseinander klaffte, richtete Charli sich auf, damit Grant es wegziehen konnte. Dann drehte er sie auf den Rücken und beugte sich über sie, um sie zu küssen. "Hab noch etwas Geduld mit mir, Liebling", flüsterte er. "Ich habe so lange gewartet, dass ich einfach nicht genug davon bekommen kann, dich überall zu küssen und zu streicheln." Er bewies es, indem er ihren Hals und ihre Brüste küsste, an deren Spitzen er spielerisch knabberte und saugte, bis sie glaubte, allein davon erneut den Gipfel der Ekstase zu erreichen. Aber Grant hatte andere Pläne. Langsam beschrieb er mit den Lippen einen heißen Pfad von ihren Brüsten zu ihrem Bauch, und Charli schnappte verblüfft nach Luft, als er mit der Zungenspitze über ihren Nabel strich. Grant streifte ihr den Slip ab, spreizte ihre Beine und legte sich zwischen sie. Charli schloss erwartungsvoll die Augen. Endlich ... "Oh!" Sie fuhr erschrocken auf und versuchte ins tinktiv, ihn fortzustoßen. Grant blickte lächelnd auf von der Stelle, wo er sie geküsst hatte. "Ich sagte doch, ich kann nicht genug davon bekommen, dich überall zu küssen und zu streicheln." "Grant, ich ..." Charli wusste, dass Paare sich manchmal auf diese Weise liebten, und musste zugeben, dass die Vorstellung
ihre Neugier geweckt hatte. Aber bisher hatte sie immer geglaubt, es sei eher etwas für aufeinander eingespielte Paare, die ihrem Liebesleben einen neuen Kick verleihen wollten. Grant lächelte. "Vertrau mir", sagte er und senkte den Kopf. Heiß durchzuckte es sie, als sie seine Lippen und seine Zunge an ihrem sensibelsten Punkt spürte. Erschauernd sank sie aufs Bett zurück. "So ist es gut", murmelte Grant. "Entspann dich. Lass dich treiben." Und sie tat es. Er ließ ihr keine andere Wahl. Die Empfindungen, die in ihr erwachten, waren so überwältigend, dass sie nur daliegen und sich von ihnen mitreißen lassen konnte. Sie war dem Höhepunkt der Lust ganz nahe, als Grant sich endlich zwischen ihren Schenkeln niederließ. Forschend blickte er ihr in die Augen. "Halt dich fest an mir", flüsterte er, und sie schlang die Arme um ihn. Der Druck zwischen ihren Beinen verstärkte sich, als er langsam und vorsichtig eindrang. Charli stöhnte auf, so neu und intensiv war das Gefühl. Grant küsste ihre Lippen. "Es wird gleich besser, das verspreche ich dir. Versuch, dich zu entspannen - ich werde sehr behutsam sein." Seinem Wort getreu, hielt er sich sehr zurück, um ihr Zeit zu geben, sich an ihn zu gewönnen. Es gelang Charli, sich zu entspannen. Irgendwie spürte Grant, wann der richtige Moment gekommen war, sich wieder zu bewegen. Als er sie endlich ganz ausfüllte, bog sie sich ihm einladend entgegen. Seine tiefe Stimme schien durch ihren ganzen Körper zu vibrieren. "Ist es gut so für dich, Charli?" Sie nickte. "Ich liebe dich", wisperte sie mit einer Stimme, die heiser war vor Emotion. Grant sagte nicht die Worte, die sie hören wollte, aber er sagte es ihr mit seinem Körper und mit diesem wundervollen, einzigartigen Liebesakt.
In einem aufreizenden Rhythmus begannen sie sich miteinander zu bewegen. Charli legte die Arme um Grants Rücken und schlang die Beine um seine Taille, als die Spannung in ihr wuchs und wuchs. Im selben Augenblick, als sie den Höhepunkt erreichte, stieß Grant ein ersticktes Stöhnen aus und begann sich schneller zu bewegen. Mit einem letzten machtvollen Stoß, der ihr für einen Moment den Atem raubte, entlud sich seine Leidenschaft. In diesem magischen Augenblick hegte Charli nicht den geringsten Zweifel mehr, dass dies nicht nur Sex war, sondern die Vereinigung zweier Menschen, die sich wirklich liebten und zusammengehörten.
14. KAPITEL "Ich kenne dieses Stück." Eva Farman nahm sich eine frittierte Zucchinischeibe von dem Tablett, das einer der beiden Kellner herumreichte. "Ich verstehe nicht viel von klassischer Musik, aber dieses Stück kommt mir bekannt vor." "Es ist der Pachelbel-Kanon", sagte Grant. "Sie haben nichts zu trinken, Eva. Darf ich Ihnen noch einen Wodka Tonic bringen?" Eva blickte sich verstohlen nach Jim Farman, ihrem Ehemann um, der mit Sam Kauffman am Fenster stand. "Ach, zum Teufel." Evas Stimme war schon etwas undeutlich, als sie Grants Arm packte und sich ein bisschen zu nahe an ihn lehnte. Sie schien auch Schwierigkeiten zu haben, die Balance zu halten. "Klar nehme ich noch einen." "Sie bekommen ihn", sagte Grant, während er sich behutsam aus ihrem Griff befreite und in die Halle ging, wo eine komplette Bar aufgebaut worden war. Wie viel hatte Eva schon getrunken? Ihre verstohlenen Blicke zu ihrem Mann verrieten, dass ihr Alkoholkonsum ein Streitpunkt zwischen ihnen war. Das war das Letzte, was Grant brauchen konnte, dass die Frau eines Seniorpartners der Kanzlei sich auf seiner, Grants, Party betrank und ihren Mann vor allen anderen blamierte. Das wäre ausgesprochen nachteilig für seine Bewerbung um die Partnerschaft.
Grants großes Wohnzimmer bot genügend Raum für die zehn Gäste, die sich seit etwa einer Stunde mit Cocktails und Häppchen die Zeit vor dem Dinner vertrieben. Als Grant hinausging, sah er Charli angeregt mit Eileen Van Cleave und Sarah Holm, den Ehefrauen der beiden anderen Seniorpartner, plaudern. Worüber sprachen sie? Was für einen Eindruck machte Charli auf sie? Als er an ihnen vorbeiging, hörte er sie lachend sagen: "... total verkohlt! Der Rauchmelder heulte, Grant und ich liefen herum wie Irre und warfen verbrannte Bruschetta in die Spüle ..." "Meine Frau neigt stark zur Übertreibung", unterbrach Grant sie. "Es war gar nicht so schlimm. Wenn sie besser aufgepasst hätte, wäre nichts passiert." Eileen und Sarah kicherten. Charli lächelte erzwungen. Er hatte sie nicht beschämen wollen, aber was hatte sie sich dabei gedacht, das Desaster mit dem Knoblauchbrot zum Gesprächsthema zu machen? Grant entschuldigte sic h und ging weiter, um Evas Drink zu holen. Um zu verhindern, dass sie sich vor allen anderen zum Narren machte, gab er viel Eis und nur ein paar Tropfen Wodka in das Glas. Während er es mit Tonicwasser auffüllte, hörte er jemand in die Halle kommen und blickte auf. Es war Charli. Sie sah bezaubernd aus in ihrem schulterfreien, figurbetonten blauen Seidenkleid. Ihr Haar umrahmte ihr Gesicht und fiel ihr in weichen Wellen auf die nackten Schultern. Er konnte sie nicht ansehen, ohne daran zu denken, was sie nachmittags getan hatten. Seine Vernunft sagte ihm, dass es ein Fehler gewesen war, und er wünschte, es wäre nie geschehen. Was sollten sie nun tun? Sie konnten nicht die Uhr zurückstellen. Nachdem er Charli besessen hatte, war ihm klar, dass es bei diesem einen Mal nicht
bleiben würde; er konnte nicht mit einer so bezaubernden Frau unter einem Dach leben und die Finger von ihr lassen. Seine Frau. Seine sinnliche, verführerische Braut, die sich aufgespart hatte für ihren Ehemann - für die einzig wahre Liebe ihres Lebens. Für ihn. Von Minute zu Minute wurde Grant nervöser. Dieser Abend war für seine Karriere ungeheuer wichtig. Alles musste perfekt sein, und die unvorhergesehenen Kalamitäten - wie Charli, die zuerst das Knoblauchbrot verkohlen ließ und dieses Missgeschick dann auch noch freimütig erzählte - machten ihn verrückt. Und dabei war noch nicht einmal der erste Gang serviert. Er hielt den Blick auf Evas Glas gerichtet, als er eine Zitronenscheibe hineingab. "Du hast keinen Meerrettich für die Bloody Marys gekauft, Charli. Er stand auf meiner Liste. Und die Cocktailzwiebeln für Franks Martinis hast du auch vergessen." "Ich kann auch ohne Zwiebeln leben." Franks Stimme traf Grant wie ein Fausthieb in den Magen. Abrupt fuhr er herum. Er hatte nicht bemerkt, dass Frank direkt hinter Charli eingetreten war. "Wenn Sie Oliven haben, reicht mir das." Frank schlenderte zur Bar hinüber. "Oh, ich mache das schon", sagte Charli, und an ihrer steifen Haltung merkte Grant, dass sie verärgert war, weil er sie vor Frank kritisierte. "Gin oder Wodka?" Charli nahm ein Martiniglas und einen Shaker. "Wodka", sagte Frank. "Und trocken bitte - nur mit einem Hauch von Wermut." Charli griff nach den Oliven. Das Glas rutschte ihr aus den Fingern und zersplitterte auf dem Parkettboden.
"Charli!" Grant sprang zur Seite, um den in alle Richtungen spritzenden Glasscherben und Oliven auszuweichen. "Na großartig. Sag nichts - das waren unsere letzten Oliven." "Ich ... ich hole einen Besen." "Nein", knurrte er. Sie war im Stande, den ganze n Schlamassel selbst zu beseitigen, und das vor allen anderen. "Dafür haben wir Personal, Charli." "Ich hole jemanden", bot sich Frank an. Charli vergewisserte sich mit einem raschen Blick, dass sie allein waren, und zischte dann: "Warum tust du das?" "Was? Mich zu bemühen, die Party zu einem Erfolg zu machen?" "Grant, es ist nicht das Ende der Welt, wenn keine Cocktailzwiebeln da sind. Oder ..." Sie deutete auf die Scherben auf dem Boden. "Du bringst mich so durcheinander, dass ich nicht mehr weiß, was ich tue." "Oh, dann ist es also meine Schuld, dass du das Glas fallen gelassen hast?" Sie presste die Finger an die Schläfen und schüttelte den Kopf. "Versuch, dich zu beruhigen, ja? Pannen können passieren, wenn man Gäste hat. Das kommt vor." Aus dem Wohnzimmer ertönten Stimmen und Gelächter. Grant trat dicht vor Charli. "Es ist nicht irgendeine Party, Charli. Es ist nicht Nonnis Geburtstagsparty. Es ist geschäftlich, hörst du? Und deshalb ist die kleinste Einzelheit wichtig. Selbst die gottverdammten Zwiebeln, wenn es Frank Van Cleave ist, der sie haben will. Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt?" Sie starrte ihn reglos an. Ihre Augen waren groß und feucht, ihre Wangen stark gerötet. Schließlich flüsterte sie: "Keine Angst, ich habe schon verstanden." "Verdammt, Charli, das ist doch nichts Neues. Nur weil wir zusammen geschlafen haben, ändern sich doch meine Prioritäten nicht."
"Natürlich nicht." Sie hob das Kinn. "Ich werde mich bemühen, mich für den Rest des Abends nicht mehr danebenzubenehmen." "Charli ..." Eine der Frauen vom Partyservice kam mit einem Besen, einer Schaufel und einer Rolle Küchenkrepp. Eva Farman erschien in der Tür. "Haben Sie mich vergessen, Grant? Oh. Was ist denn hier passiert?" "Nichts Schlimmes." Er reichte Eva ihren Drink und dachte, es könne ihr nicht schaden, nach all dem Alkohol etwas zu essen. "Haben Sie die gefüllten Pilze schon probiert?" Nach Charlis Debakel mit dem verbrannten Knoblauchbrot hielt Grant ihre Gespräche streng in Schranken. Mehrmals erstickte er fragwürdige Themen schon im Keim und ignorierte Charlis ärgerliche Blicke. Charli hatte endlich Franks Martini zubereitet, nur um ihn dann prompt über seinen Anzug zu verschütten. Fairerweise musste Grant sich jedoch eingestehen, dass sie keine Schuld daran trug. Eva hatte weit die Arme ausgebreitet, um ihr neues Motorboot zu beschreiben, und Charli angestoßen, als sie Frank das Glas gerade reichte. Frank tat dieses neuerliche Missgeschick mit einem Lachen ab, aber inzwischen hatte Grant schon eine unerträgliche Migräne. Er antwortete mit einer scharfzüngigen Bemerkung über die Ungeschicklichkeit seiner Frau, in einem automatischen Versuch, die Situation zu retten. Er konnte sehen, dass er Charli kränkte, aber er konnte unmöglich Eva die Schuld an dem Malheur anlasten. Er durfte nicht die Aufmerksamkeit auf Evas angetrunkenen Zustand lenken - obwohl ihr Mann, nach seinem ärgerlichen Blick auf sie zu schließen, darüber längst im Bilde war. Das Essen vor vorzüglich, aber Grant musste sich zu jedem Bissen zwingen, weil ihm der Stress auf den Magen geschlagen war. Er fühlte sich gezwungen, eine entschuldigende
Bemerkung zu dem Kalbsfrikassee zu machen, das nach dem Spargelrisotto serviert wurde. Obwohl das spezzatino di vitello alla salvia wirklich köstlich schmeckte, war es letztendlich nur ein Frikassee, und Grant schämte sich ein bisschen, es seinen an Chateaubriand gewöhnten Gästen vorzusetzen. Sie taten seine Bedenken lachend ab, während sie mit Appetit die zarten Kalbsfiletstückchen in der köstlichen Weißwein-Salbei-Sauce verzehrten. Charlis Miene blieb unbewegt, obwohl sie vor Verlegenheit errötete. Für den Rest der Mahlzeit vermied sie jeden Blickkontakt mit Grant. Der dritte Gang war ein Salat aus Spinat und Topinambur, gefolgt von frischem Obst und Käse. Zum Kaffee, den sie im Wohnzimmer einnahmen, servierte Charli dann ihr selbst gemachtes Mokkaeis mit heißer Schokoladensauce. Die Gäste blieben noch mehrere Stunden, was Grant als gutes Zeichen wertete, lobten das Essen und baten um Rezepte und eine Einladung zur nächsten Dinnerparty. Als schließlich alle aufgebrochen waren, bezahlte Grant die Leute vom Partyservice, und Charli ging nach oben. Er verschloss die Türen, stellte die Alarmanlage an und nahm zwei Aspirin, bevor auch er nach oben ging. Charlis Tür war zu. "Ich glaube, es hat alles gut geklappt", rief Grant. Keine Antwort. Schlief sie schon? In seinem eigenen Zimmer zog sich Grant rasch aus, schlüpfte in seinen schwarzen Seidenkimono und ging zu Charlis Zimmer. Jetzt, wo der Stress der Party überwunden war, war er bester Stimmung. Er wollte mit Charli über die Party reden und seine Eindrücke mit ihr vergleichen. Aber das war längst nicht alles, was er wollte. Trug sie noch das sexy Cocktailkleid? Er hoffte es. Er konnte es kaum erwarten, es ihr auszuziehen. Er klopfte leise an die Tür. "Charli?" Stille.
"Du schläfst doch noch nicht, Liebling?" Wieder klopfte er. Als sie immer noch nicht antwortete, öffnete er die Tür und trat mit einem erwartungsvollen Lächeln ein. Er würde Charli wecken und sie lieben, bis die Sonne aufging. Zu seiner Überraschung war das Zimmer hell erleuchtet, und das Erste, was Grant sah, war Charlis halb gepackter Koffer auf dem Bett.
15. KAPITEL Charli warf ihrem Mann einen kurzen Blick zu, während sie einen Stapel Unterwäsche in ihren Koffer warf. Grant kam stirnrunzelnd näher. "Was soll das, Charli? Was hat das zu bedeuten?" "Ich gehe." Seine Augen weiteten sich vor Schock und Überraschung. Er schüttelte den Kopf, als könne er nicht glauben, was er sah. "Den Rest der Sachen lasse ich von meinem Bruder holen." Mit zwei Schritten war Grant bei ihr und packte sie an den Schultern. "Was, zum Teufel, ist in dich gefahren?" Sie schüttelte ihn ab und ging zur Kommode, wo sie Haarbürsten und ihren alten Schmuckkasten aufhob. Den Schmuck, den Grant ihr geschenkt hatte, ließ sie liegen. "Man nennt es passen, Grant." "Passen?" Er spreizte weit die Arme. "Du sprichst von unserer Ehe und nicht von irgendeinem Pokerspiel! Rede mit mir, Charli. Du wirst nirgendwohin gehen, bevor du mir gesagt hast..." "Ich gehe, wann ich will", sagte sie und blickte ihn nun endlich an. "Es tut mir Leid, wenn das nicht sehr ,zuvorkommend' oder ‚Bescheiden' klingt, aber so ist es nun einmal."
Er atmete tief durch. Sie spürte, dass er nach Worten suchte. "Was immer auch der Grund dafür sein mag, lass uns eine Nacht darüber schlafen. Wir können morgen früh darüber reden." "Tut mir Leid." Sie schlug den Koffer zu. "Ich verbringe keine einzige Nacht mehr allein in diesem öden Gästezimmer." "Ist es das? Nach heute Nachmittag ... Du brauchst heute Nacht nicht allein zu schlafen, Charli. Ich bleibe bei dir." "Oh, vielen Dank!" Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus. "Mein Ehemann lässt sich dazu herab, mein Bett zu teilen. Ich bin dir ja sooo dankbar!" Er starrte sie an, entsetzt über die Tiefe ihrer Wut. "Warum jetzt?" fragte er. "Warum heute Abend? Nach unserer Party, die doch so erfolgreich war?" "Nach deiner Party." Er sagte nichts. "Es überrascht mich, dass du sie erfolgreich nennst." "Wieso?" fragte er. "Du hast gesehen, wie lange alle geblieben sind, wie gut es ihnen geschmeckt hat und wie großartig sich alle unterhalten haben." "Warum hast du dann den ganzen Abend versucht, mich in Verlegenheit zu bringen?" "Ich ... Warum sagst du das, Charli? Ich habe nicht..." "Nein? Dann liegt das wohl in deiner Natur. Aber es war unentschuldbar." Irgendwie war es ihr gelungen, Haltung zu bewahren, bis der letzte Gast gegangen war. "Was?" fragte er. "Meinst du die Bemerkung, die ich machte, als du Franks Drink verschüttet hast?" "Nicht nur das. Du weißt, was ich meine. Du hast mir bei jeder Kleinigkeit, die schief ging, die Schuld gegeben und mich lächerlich gemacht." "Ach komm. Ich habe dich nicht lächerlich gemacht." Er sagte es ohne große Überzeugung. Charli starrte ihn nur an, bis er den Blick abwandte.
"Na schön, vielleicht war ich ein bisschen ... Ich hätte mehr ..." Er seufzte. "Du weißt, unter was für einem Druck ich stand." "Ich nicht?" "Für dich war es nicht dasselbe." "Weil es nur um dich ging, um dich und deine Partnerschaft." Er öffnete den Mund, als wolle er ihr widersprechen, überlegte es sich dann aber anders. Vielleicht erinnerte er sich an ihr Gespräch während der Party. "Denn das sagtest du doch, oder?" beharrte sie. "Dass alles rein geschäftlich ist - die Party, unsere Ehe, alles. Und wenn deine Party ein Erfolg war, dann nur, weil ich wie eine Irre dafür geschuftet habe. Alles nur für meinen Mann und seine kostbare Karriere!" "Hör zu." Er steckte die Hände in die Taschen seines Kimonos. "Ich habe heute Abend einiges falsch gemacht. Das gebe ich zu." Sein selbstzufriedener Gesichtsausdruck verriet, dass er diese lahme Entschuldigung für ausreichend hielt. Charli bückte sich nach dem Koffer. "Ich war nervös", sagte Grant. "Das musst du doch verstehen." Sie nahm den Koffer und stieß Grants Hand fort, als er sie danach ausstreckte - nicht um ihr beim Tragen zu helfen, sondern um sie zurückzuhalten, das wusste sie. Grant folgte ihr auf den Korridor. "Charli, das war dumm von mir. Ich habe dich verletzt - aber es war keine Absicht, und es wird nicht wieder vorkommen." Er blieb oben an der Treppe stehen und sah, wie sie den schweren Koffer zur Haustür schleppte. "Verdammt, Charli! Ich hätte nie gedacht, dass du wegen so einer lächerlichen kleinen Dummheit gleich wegrennen würdest." Charli setzte den Koffer ab und wandte sich noch einmal zu Grant um. "Das ist nicht der einzige Grund, das weißt du. Heute Nachmittag ... das hat dir nichts bedeutet.“
"Das stimmt nicht." "Du hast es selbst gesagt!" beschuldigte sie ihn. "Dass sich, nur weil wir zusammen geschlafen haben, nichts geändert hat." "Das ist nicht... Ich habe nie gesagt, dass es mir nichts bedeutet hat." Langsam kam er die Treppe herunter. "Ich meinte nur, es ändert nichts an unserem Arrange..." "Nenn es nicht so!" schrie sie. "Es ist kein Arrangement, sondern eine Ehe. Eine Ehe! Wir haben ein Gelübde abgelegt!" Charli streifte ihren Ehe- und Verlobungsring vom Finger und legte sie auf eine Truhe. Grant blieb auf halbem Weg nach unten stehen. Sein gequälter Blick glitt von den Ringen zu Charli. Ihre Stimme zitterte. "Weißt du, während der Party kam mir der Gedanke, dass du vielleicht sogar nur aus Mitleid mit mir geschlafen hast!" "Charli..." "Aber tief im Innersten weiß ich, dass es nicht so war. Ich weiß, dass du mich gern hast, Grant, und dass du nur nicht in der Lage bist, es zuzugeben." "Geh nicht", sagte er leise. "Du bist müde, ich bin müde. Morgen, wenn wir ausgeruhter sind, können wir ..." "Nein. Wir können das nicht mehr in Ordnung bringen, weil du Recht hattest. Nichts hat sich geändert. In dieser Ehe geht es nach wie vor um dich, und so wird es auch in Zukunft bleiben. Als wir uns liebten, dachte ich ... na ja, da dachte ich, ich bedeutete dir jetzt genauso viel wie deine Karriere. Aber ich habe mich geirrt." Charli schüttelte den Kopf. "Ich verdiene etwas Besseres. Einen Mann, der mich anerkennt, mich respektiert und liebt. Und ich verdiene Kinder. Molto bambini!" Sie hob ihren Koffer auf und öffnete die Tür. "Du bist Scheidungsanwalt, Grant. Ich will nichts von dir. Schick mir nur die Scheidungsdokumente. Ich unterzeichne sie, und dann bist du mich los. Auf Wiedersehen, Grant."
16. KAPITEL "Mr. Sterling, da ist eine Mrs. Rossi auf Leitung zwei." Grants Herz schlug schneller. Charli! "Stellen Sie durch, Sandy. " Drei Wochen waren vergangen, seit Charli ihn verlassen hatte, drei qualvolle Wochen, in denen er darauf gewartet hatte, dass sie anrief oder zu ihm kam. Er hatte gewusst, dass sie zu ihm zurückkehren würde, aber nicht gedacht, dass es so lange dauern würde. Die Vorstellung, den Rest seines Lebens ohne Charli zu verbringen, war ihm schlicht unerträglich. Und falls er Kompromisse schließen musste, um sie zurückzugewinnen, würde er es tun. Grant drückte auf die Taste, um die Verbindung herzustellen. "Charli. Wie geht es dir?" Ein kurzes Schweigen, dann eine Stimme: "Grant, hier spricht Maria Rossi." Die Stimme war tiefer als Charlis. "Ich bin Charlis Cousine. Ich habe eine Anwaltspraxis in Great Neck. Charli hatte Sie doch gebeten, mir die Scheidungspapiere zuzusenden, nicht?" Grants Brust wurde eng. Maria Rossi, Rechtsanwältin ... Charlis Bruder Robby hatte ihm ihre Karte gegeben, als er Charlis Sachen abgeholt hatte. "Sind Sie noch da?" fragte Maria.
"Ja." "Grant, ich warte immer noch auf die Papiere. Charli wird langsam ungeduldig. Sie möchte die Sache so schnell wie möglich über die Bühne bringen." "Ich ... hatte viel zu tun", sagte er. "Ich kann die Vereinbarung auch hier aufsetzen. Sie brauchen sie dann nur durchzusehen und zu unterschreiben." "Nein. Ich erledige das schon." Grant rieb sich den Nacken. "Ich werde mich darum kümmern." Eine Spur von Ärger klang jetzt in Marias Stimme mit. "Hören Sie, es geht schneller, wenn ich mich darum kümmere. Es sind ja keine langwierigen Verhandlungen erforderlich. Charli will keinen Penny von Ihnen - gegen meinen ausdrücklichen Rat - aber sie möchte, dass es schnell erledigt wird. Also, wie machen wir es nun?" Er atmete tief ein. "Ich fange heute noch damit an." "Wenn ich die Papiere nicht bis Freitag habe, erledige ich die Angelegenheit von hier aus", sagte Maria Rossi kühl. "Sie haben meine Adresse?" "Hm ... ich glaube, ich habe Ihre Karte verlegt." Er hatte sie zerrissen und in den Mülleimer geworfen, als Robby gegangen war. Maria gab ihm die Adresse der Kanzlei. Er notierte sie und starrte sie lange an, nachdem Maria aufgelegt hatte. Dann riss er den Zettel von dem Block, zerknüllte ihn und warf ihn in den Papierkorb. Auf dem Weg zur Tür zog er sein Jackett über. Zu seiner Sekretärin sagte er: "Sagen Sie alle Termine für heute ab, Sandy. Es ist ein Notfall aufgetreten." "Sie mögen meine bocconcini frittl?" "Sie sind köstlich, Nonni." Grandma Rossi hatte einen Teller mit frittierten Leckereien auf den Picknicktisch gestellt, während Charlis Bruder Eddie den Grill anzündete.
Zum dutzendsten Mal nun schon blickte Grant sich zum Tor von Joes und Bettys Garten um. "Sie kommt." Nonni tätschelte beruhigend Grants Hand. "Es ist der Geburtstag ihres Dads." Grant hatte versucht, Charli von unterwegs anzurufen, aber ihre Mutter hatte ihm gesagt, Charli lebte nicht mehr zu Hause, sondern habe ein kleines Apartment in der Nähe ihrer Schule gefunden. Aber heute käme sie herüber, hatte Betty noch hinzugefügt, zu einer Grillparty zum fünfundsiebzigstem Geburtstag ihres Vaters. Grants Schwiegermutter hatte ihn zu der Feier eingeladen. Er wusste, dass die Rossis über die Trennung ihrer Tochter von ihrem Mann bestürzt waren. Sie waren konservative, religiöse Menschen. Er wusste nicht, was Charli ihnen gesagt hatte, aber allzu schlecht konnte sie ihn nicht gemacht haben, denn Joe und Betty hatten ihn herzlich empfangen. Offenbar hofften sie, dass er und Charli sich versöhnen würden. Es war ein heißer, schwüler Junitag. Grant hatte Jackett und Schlips im Wagen gelassen, und nun rollte er auch die Ärmel seines weißen Hemdes hoch. Jemand stellte eine Flasche kaltes Bier vor ihn. "Schön, dass du gekommen bist", sagte Charlis Schwester Angie und blickte an Grant vorbei und winkte. Sein Herz schlug schneller, und er trank rasch einen Schluck von seinem Bier. "Ich wäre früher gekommen", hörte er Charli rufen, "aber ich musste vorher noch nach Hause ..." Sie brach ab, und er wusste, dass sie ihn gesehen hatte. Er drehte sich zu ihr um. Sie stand auf dem Rasen und hielt eine mit Klarsichtfolie bedeckte Schüssel in der Hand. Ihr frostiger Gesichtsausdruck war nicht sehr hoffnungserweckend. Charli wandte sich zu ihrer Mutter, die mit einer Platte Hähnchenschenkel aus der Küche kam. "Du hättest ihn nicht einladen sollen, Mom. Ihr habt kein Recht, euch einzumischen."
"Er hat uns angerufen!" erklärte Betty und machte einen Bogen um ihre Tochter, als sie zum Grill weiterging. Charli rührte sich nicht von der Stelle. Grant stand auf und ging zu ihr. Sie hatte einen bunten Nudelsalat mit Salami, Käse und Gemüse mitgebracht. "Das sieht gut aus." "Du hättest nicht kommen sollen, Grant." "Lass dir helfen." Er nahm ihr die Schüssel ab und trug sie zum Tisch. Als er zu Charli zurückkam, sah sie so aus, als überlegte sie, ob sie bleiben oder gehen sollte. "Warum tust du das?" fragte sie. Der vielen neugierigen Ohren in der Nähe wegen senkte er die Stimme. "Ich bin nicht hergekommen, um zu stören. Ich möchte nur mit dir reden." "Wir haben genug geredet. Ich warte seit drei Wochen auf die Scheidungspapiere." "Ich weiß. Lass uns eine stille Ecke suchen, um es zu besprechen." Himmel, wie sehr er sie vermisst hatte! Er starrte sie an und nahm begierig jede Einzelheit in sich auf. Sie hatte ihre neue Frisur behalten und trug ein enges ärmelloses rotes T-Shirt und einen schwarzen Jeansrock, der eine Handbreit über ihren Knien endete. Ihre Beine waren nackt, ihre Füße steckten in schwarzen Riemchensandaletten. "Das ist doch sinnlos, Grant. Die Scheidung könnte ganz reibungslos ablaufen, wenn wir ..." "Ich will nicht, dass sie reibungslos abläuft, Charli." Das Stimmengewirr im Garten war verstummt; Grant spürte die neugierigen Blicke auf dem Rücken. "Und entweder suchen wir uns jetzt einen ruhigen Platz, oder wir diskutieren es hier vor deiner Familie aus. Aber ich habe dir einiges zu sagen und gehe nicht eher, bis ich es gesagt habe."
Charli starrte ihn an. Zwei Monate zuvor hätte sie sich noch einschüchtern lassen und alles getan, um eine Szene zu vermeiden. "Also gut." Er hob die Hände. "Ich weiß, wie herrisch das gerade klang. Aber ... ich verliere dich, und das ist meine eigene verdammte Schuld, und ich weiß nicht, wie ich es verhindern kann." "Du hast Angst, eine Scheidung könnte deine Chance auf eine Partnerschaft verringern." "Nein. Das ist nicht..." "Gib einfach mir die Schuld daran. Sag ihnen, du hättest herausgefunden, dass ich drogensüchtig, eine Bigamistin oder sonst was bin. Es ist mir egal, was du denen über mich erzählst, Grant. Ich hoffe, du bekommst die Partnerschaft. Aber ich habe kein Interesse, die PR-Managerin für dich zu spielen. Ich habe bereits einen Job. Was ich brauche, ist ein Ehemann." "Du hast einen." Bevor sie widersprechen konnte, sagte er: "Ich werde die Kanzlei verlassen." Charli starrte ihn ungläubig an. "Komm", sagte sie dann widerstrebend und führ te ihn ins Haus. Grant folgte ihr in ein Schlafzimmer im Dachgeschoss. Das schmale Bett war ordentlich gemacht. Ein antiker Spiegel hing über einer kleinen Frisierkommode. Der dunkle Eichenboden war teilweise verdeckt durch einen handgeknüpften Teppich. "Das war dein Zimmer?" fragte Grant. Charli nickte. Dann schloss sie die Tür und öffnete das Fenster, das zum Garten hinausging. Grant setzte sich aufs Bett. Es war zu weich; die Federn quietschten unter seinem Gewicht. Er hatte gehofft, Charli würde sich zu ihm setzen, aber sie nahm auf dem Stuhl vor der Frisierkommode Platz. "Ich glaube dir nicht, dass du die Kanzlei verlassen würdest", sagte sie.
"Ich könnte wieder als Staatsanwalt arbeiten. Der Verdienst ist nicht so gut, aber mit meinen Ersparnissen und deinem Einkommen könnten wir das Haus behalten." Ihr Blick verdüsterte sich, als er ihr Einkommen erwähnte. Nach ihrer Heirat hatte sie ihren Beitrag zum gemeinsamen Haushalt leisten wollen. Aber das hatte Grant abgelehnt. Erst während der letzten drei Wochen war ihm klar geworden, wie gekränkt er wäre, wenn es umgekehrt gewesen wäre, und seine Frau so getan hätte, als zähle sein Einkommen nicht. "Oder ich kann auch eine eigene Praxis eröffnen", fuhr Grant fort. "Ich muss zugeben, dass mich die Idee schon lange reizt. Aber dann stünden wir finanziell noch schlechter da. Vor allem anfangs." Sie wirkte skeptisch. "Und dein Lebensziel? Die Partnerschaft?" Grant suchte nach Worten, um ihr klarzumachen, was er fühlte. Als er endlich sprach, war seine Stimme rau vor Emotion. "Charli, Liebling ... ich würde alles tun, um dich nicht zu verlieren." Sie schüttelte den Kopf. "Grant, diese Partnerschaft war die treibende Kraft in deinem Leben. Sie ist das Allerwichtigste für dich." "Jetzt nicht mehr. Früher ja, als ich noch glaubte, sie zu brauchen, um mein Leben vollkommen zu machen. Aber du hast mir etwas gegeben, von dem ich nie gedacht hätte, dass ich es brauchte. Eine Partnerschaft wäre gut, ich würde sie nicht ablehnen, aber ich kann auch ohne leben. An eine andere Arbeit, ein geringeres Einkommen und einen einfacheren Lebensstil könnte ich mich gewöhnen. Aber ich könnte mich nie daran gewöhnen, dich nicht mehr zu haben." Charli senkte den Kopf. "Du würdest es mir immer nachtragen, wenn du meinetwegen deinen Traum aufgeben müsstest." Mit leiser Stimme fügte sie hinzu: "Damit könnte ich
nicht leben, Grant." Sie blickte ihn wieder an. "Aber so, wie es mit uns war, könnte ich auch nicht weiterleben." "So wird es nie wieder sein, das schwöre ich, ob ich nun in der Kanzlei bleibe oder nicht." Er hielt inne und wappnete sich für seine nächsten Worte. "Ich weiß, es hat dich immer sehr enttäuscht, dass ich nicht über meine Vergangenheit sprechen wollte. Ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen, Charli. Außer mit Raven, in unseren Hypnotherapie-Sitzungen, aber nicht einmal sie weiß alles." Grants Stimme war gepresst, seine Handflächen waren feucht. "Aber ich würde jetzt sehr gern mit dir darüber sprechen." Charli flüsterte: "Und wieso jetzt?" "Weil ich möchte, dass du mich besser kennen lernst ..." Er schluckte. "Weil du wissen solltest, was mich zu dem gemacht hat, was ich bin, bevor du dich entscheidest, ob du mich verlassen willst." Sie nickte stumm. "Ich war ein Einzelkind", begann Grant. "Ich wuchs in einer Kleinstadt in Pennsylvania auf. Wir hatten nicht viel Geld. Es war ..." Er schüttelte den Kopf. Wie sollte er beschreiben, womit er selbst noch nicht zurechtkam? "Meine Eltern führten eine ... explosive Ehe. Ich kann mich nicht an einen einzigen Tag erinnern, an dem Ruhe geherrscht hätte." "Sie stritten viel?" "Sie stritten, und fast immer kam es dabei zu Handgreiflichkeiten. Aber im nächsten Augenblick schon fielen sie sich weinend in die Arme, beteuerten sich ihre Liebe und flehten einander an, nicht fortzugehen. Jeder Krach endete im Bett. Ihre Ehe war von einer absoluten Hassliebe geprägt." "Und du warst mittendrin." "Ich wollte nach der Schule nie nach Hause gehen. Ich blieb länger, so oft ich konnte, machte meine Hausaufgaben in der Schulbibliothek und bat um zusätzliche Aufgaben, um nicht
heimgehen zu müssen." Er lächelte wehmütig. "Das einzig Gute daran war, dass ich exzellente Noten hatte." "Und die Narben auf deinem Rücken?" "Dad schlug Mom, aber richtig verletzt hat er sie nie. Vielleicht hatte er Angst, dass sie ihn dann verlassen würde. Und so ließ er seine schlimmste Wut an mir aus. Vor allem, als ich älter wurde, elf oder zwölf. Da begann ich ihm zu widersprechen, und wahrscheinlich hat er das als Drohung aufgefasst." Charli war ganz blass geworden. "Was hat er dir angetan?" "Dad war Bauarbeiter. Er hatte viele Sachen, die er auf verschiedenen Baustellen hatte mitgehen lassen, und dazu gehörte auch ein Stahlkabel." "O Gott ..." "Er fing an, mir damit regelmäßig den Rücken zu bearbeiten. Dad war groß und stark, ein Schläger. Er schlug so hart zu, dass die Haut auf meinem Rücken aufplatzte, und das Schlimmste war, meine Mutter tat nichts, um ihn daran zu hindern." "Hätte sie es denn gekonnt?" "Ich weiß es nicht. Sie hätte es versuchen können. Ich wollte nicht, dass der Alte mich weinen sah, und hielt die Tränen zurück, solange ich konnte. Aber er hörte nicht eher auf, bis er meinen Widerstand gebrochen hatte. Dann lachte er, nannte mich eine Memme und sagte, ich würde nie ein Mann werden wie er." "Gott, das hoffe ich doch." Charli erschauderte. "Wie lange ging das so?" "Bis ich mit sechzehn von zu Hause fortlief." "Wohin?" "Zuerst nach Philadelphia. Ich lebte auf der Straße. Ich hatte gehört, ich hätte Verwandte in Long Island, also fuhr ich irgendwann per Anhalter dorthin. Aber meine Cousins wollten nichts mit mir zu tun haben - sie drohten, meinen Alten zu benachrichtigen - und so war ich schließlich ganz allein auf
mich gestellt, brachte mich mit Gelegenheitsjobs durch und schlief, wo immer jemand mir Unterschlupf gewährte." Grant betrachtete den handgeknüpften Teppich unter seinen Füßen. "Eine Zeit lang lebte ich bei einem Mädchen. Sie war ein paar Jahre älter als ich und arbeitete als Kassiererin in einem Supermarkt, in dem ich Lebensmittel einpackte. Ich war nicht verliebt in sie, aber zum ersten Mal seit Monaten schlief ich wieder in einem richtigen Bett." Er schaute auf zu Charli. Falls sie abgestoßen war von der Enthüllung, war es ihr nicht anzumerken. "Irgendwann", sagte sie, "musst du doch wieder zur Schule gegangen sein." "Ja, irgendwann gelang es mir, die High School abzuschließen. Ich arbeitete weiter, während ich aufs College ging und danach Jura studierte. Ich war ein guter Student, so dass ich einige Stipendien bekam, aber in der Hauptsache habe ich von Studiendarlehen gelebt. Beim ersten Versuch erreichte ich die Zulassung zum Anwalt und nahm eine Stellung bei der Bezirksstaatsanwaltschaft von Manhattan an." Charli musterte ihn prüfend. "Es ist fast unvorstellbar, wie viel Ausdauer das erfordert haben muss. Was für einen Mut und Glauben an dich selbst. Von einem misshandelten Kind zum Anwalt - und all das ganz allein und ohne Hilfe." "Ich hatte mir etwas versprochen, Charli. Kurz nachdem ich von zu Hause weggelaufen war und auf den Straßen lebte, schwor ich mir, meine Vergangenheit so weit wie möglich hinter mir zu lassen. Mein höchstes Ziel war, Wohlstand und Ansehen zu erlangen." "Bist du je zurückgefahren, um deine Eltern wieder zu sehen?" Er schüttelte den Kopf. "Auch sie haben mich nie gesucht, soviel ich weiß. Sie hätten mich durch meine Versicherungsnummer finden können. Ich habe meinen Namen nie geändert und auch nie versucht, mich zu verstecken."
Charlis Gesichtsausdruck verriet, dass sie nicht begriff, wie eine Familie sich so entfremden konnte. Sie war in einer großen, liebevollen Familie aufgewachsen. Den Rossis ging es finanziell nicht sehr viel besser als Grants Eltern, aber sie waren in so mancher Hinsicht reich. "Jetzt verstehe ich, warum dir so viel daran lag, deine selbst gesteckten Ziele zu erreichen", sagte Charli leise. "Danke, dass du mir das alles erzählt hast." "Du bist meine Frau. Ich hätte es dir nie verschweigen sollen." Flehend blickte er ihr in die Augen. "Ich liebe dich, Charli." Sie schloss die Augen, und eine Träne rann über ihre Wange. "Ich möchte, dass wir eine richtige Ehe führen", sagte er, "mit Sex, Kindern, Auseinandersetzungen und Versöhnungen. Und Treue - ich kann mir nicht vorstellen, je wieder eine andere Frau zu wollen. Was ich für dich empfinde, Liebling, ist etwas Besonderes. Unsere Ehe könnte nie zu einer so krankhaften Beziehung werden, wie sie meine Eltern hatten. Das weiß ich jetzt." Grant stand auf und ging zu Charli, um sie in die Arme zu nehmen. "Du hattest Recht, als du sagtest, du verdientest etwas Besseres. Aber falls du bereit bist, mir eine zweite Chance zu geben, verspreche ich, dich nicht zu enttäuschen, Charli. Ich brauche dich und liebe dich. Ich hoffe nur, dass es nicht zu spät ist, um von vorne zu beginnen." Er küsste sie, und sie schlang ihm die Arme um den Nacken und schmiegte sich an ihn, während Tränen der Freude über ihre Wangen strömten. "Heirate mich", murmelte er. "Und diesmal soll es eine richtige Hochzeit sein in einer Kirche. Mit deiner ganzen großen lauten Familie und all unseren Freunden. Sag Ja, Charli." Ihre dunklen Augen strahlten. "Du brauchst nicht die Kanzlei zu verlassen, nur um mir etwas zu beweisen. Warum wartest du
nicht ab, ob du nicht vielleicht doch die Partnerschaft bekommst?" "Wir werden sehen. Heirate mich." "Ich liebe dich, Grant." "Sag Ja, Liebling. Sag, dass du mich noch einmal heiratest." "Ja. Ja, ich heirate dich." Er trat zurück und zog Charli aufs Bett, das protestierend quietschte. Grant stöhnte auf vor Verlangen, als er Charlis Körper so dicht an seinem spürte. Mit Händen, die zitterten vor Ungeduld, zogen sie sich gegenseitig aus. Innerhalb von Sekunden waren sie nackt. Charlis Wangen brannten vor Erregung, ihre Brustspitzen richteten sich auf, ihre Lippen waren feucht und geschwollen von Grants Küssen. "Ich liebe dich", flüsterte er, als er sie auf der schwankenden Matratze unter sich zog. "Lass uns ein Baby machen", flüsterte er und drang in Charli ein. Sie hielt inne und starrte ihn an, als könne sie ihr Glück nicht fassen, dann küsste sie ihn und zog ihn tiefer in sich hinein. Das Bett quietschte im Rhythmus ihrer Bewegungen, immer lauter, schneller, bis sie kichernd innehielten, aus Angst, dass man es draußen im Garten hören könnte. Grant stand auf, streckte sich auf dem Teppich aus und zog Charli auf sich. Charlis Haar kitzelte seine Brust, sie keuchte, und ihre Lippen waren leicht geöffnet, was Grant dazu verlockte, einen Finger zwischen sie zu schieben. Sie saugte an seinem Finger, und er stöhnte auf und spürte, wie seine Erregung sich noch steigerte, falls das überhaupt noch möglich war. Charlis Brüste wippten verführerisch, und Grant umfasste sie und strich über die harten kleinen Spitzen. Sie antwortete mit einem lustvollen kleinen Seufzer, der sich in ein heiseres Stöhnen verwandelte, als sie die Augen schloss und sich schneller bewegte. Heftig erschauernd erreichte sie den Gipfel der Ekstase, und das Glücksgefühl, das Grant dabei
durchströmte, war so überwältigend, dass auch er zum Höhepunkt kam. Ermattet sank Charli auf ihn. Er streichelte ihren Rücken, ihren Po, bis ihr aufgeregter Herzschlag sich beruhigte. Draußen war das Stimmengewirr lauter geworden; es mussten noch mehr Verwandte eingetroffen sein. Charli richtete sich benommen auf. "Jetzt ist wohl Sunny an der Reihe." "Hm ... wenn du meinst. Lass mir nur ein paar Minuten, um wieder zu Kräften zu kommen." Sie boxte ihn spielerisch in die Schulter. "Als ob ich dich mit ihr teilen würde! Ich mag Sunny, aber so sehr nicht." "Wieso ist sie jetzt an der Reihe?" Charli lächelte. "Vielleicht sollte ich dir jetzt von unserem Heiratspakt erzählen ..."
- ENDE -