Ingrid Gottschalk Kulturökonomik
Ingrid Gottschalk
Kulturökonomik Probleme, Fragestellungen und Antworten
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Ingrid Gottschalk Kulturökonomik
Ingrid Gottschalk
Kulturökonomik Probleme, Fragestellungen und Antworten
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
1. Auflage Dezember 2006 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Frank Engelhardt Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., Meppel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in the Netherlands ISBN 978-3-531-15014-7
Inhalt
Abbildungsverzeichnis Vorwort
:
8 11
1 Die okonomische Bettachtung von Kunst utid Kultur 1.1 Der okonomische Ansatz 1.1.1 Zur Verbindung von Okonomie undKiiltur 1.1.2 Okonomische Grundprinzipien 1.2 Grundlagen der Kulturokonomik 1.2.1 Begiiffe und Definitionen 1.2.2 Anwendungen imd Folgen 1.3 Zur Doppelnatur von Kunstgiitern 1.3.1 Private und offentHche Giitereigenschaften 1.3.2 Kunstgiiter und soziale Werte 1.4 Ansatzpunktekulturokonomischer Analyse 1.4.1 Volks- \md betriebswirtschaftliche Schwerpunkte 1.4.2 Die Ansatzpunkte im Uberblick
13 13 13 16 19 19 25 27 27 29 31 31 33
2 Mafkte und Markteingiiffe bei Kunstgiitern 2.1 Das Entstehen von Markten 2.1.1 Die unsichtbare Hand 2.1.2 Giiterkategorien und Marktversagen 2.2 Die Baumorsche Kostenkrankheit 2.2.1 Kulturanbieter in der Produktivitatsfalle 2.2.2 Konsequenzen der Kostenkrankheit 2.3 Grundlagen und Wege staatlicher Kulturforderung 2.3.1 Das Pro und Contra staatlicher Interventionen 2.3.2 Ankniipfiingspunkte staatlicher MaBnahmen 2.4 Marktkorrekturen bei Anbietern und Nachfragern 2.4.1 Korrektur des Angebots: Subventionen als Zuwendungen 2.4.2 Korrektur der Nachfrage: Subventionen durch Gutscheine
38 38 38 39 46 46 47 49 49 51 54 54 57
Inhalt
3 Okonomische Analyse des Kulturangebots 3.1 Die Motivation der Kiinstier 3.1.1 Kreativitat als Impetus 3.1.2 Zur Rationalitat kiinstierischen Handelns 3.2 Fimdierung des Kiiltixrangebots 3.2.1 Public Private Partnership 3.2.2 Kultursponsoring 3.2.3 Kulturkarte 3.3 Wirkungen des Kulturangebots 3.3.1 Der volkswirtschaftHche Beitrag 3.3.2 UmwegrentabiHtatsrechnungen 3.3.3 Kultur als Standortfaktor 3.4 Bewahriing von Kunst durch Sicherung des Kulturerbes 3.4.1 Kulturerbe als sozialer Wert 3.4.2 Zahlungsbereitschaft der Bevolkerung
62 62 62 63 64 64 68 70 75 75 78 81 83 83 84
4 Okonoinische Analyse der Kulturnachfrage 4.1 Die Motivation der Kulturkonsumenten 4.1.1 Kunst konsumieren 4.1.2 Kunstkonsum als Selbstverwirklichung 4.1.3 Der Erlebnisfaktor im Kunstkonsum 4.2 Kunst und Kultur als Konsumentscheidung 4.2.1 Der Entscheidxingsprozess 4.2.2 Die Souveranitat des Kunstkonsumenten 4.3 Nachfrage nach Kunst und Kultur 4.3.1 Rationalitat als Verhaltensprinzip 4.3.2 Determinanten der Nachfrage 4.4 Wirkungen des Kulturkonsums 4.4.1 Individuelle und soziale Funktionen 4.4.2 Distributive Effekte
88 88 88 91 93 95 95 99 101 101 102 105 105 107
5 Kultufokonomische Analyse in der Anwendung 5.1 Offnung von Kulturinstitutionen 5.1.1 Value Marketing 5.1.2 Museumsshops 5.2 Der Kulturkonsument im Fokus 5.2.1 Wiinsche von Konzert- und Theaterbesuchern 5.2.2 Museen als Publikumseinrichtungen
110 110 110 116 121 121 127
Inhalt
5.3 Neue Finan2ienmgswege 5.3.1 Sponsern und Spenden 5.3.2 Die Kultufkarte aus Anbieter- und Nutzersicht 5.4 Neue Angebotswege 5.4.1 Kunstvermittliing im Internet 5.4.2 Musikdownloads
136 136 143 148 148 151
6 Konsequenzen fur Kunst und Kultur 6.1 Fordetxing des Kulturangebots 6.1.1 Stabilisierung der Rahmenbedingungen 6.1.2 Starkung des Kulturbewusstseins 6.2 Forderung der Kulturkonsumenten 6.2.1 Erhohung der Kulturkompetenz 6.2.2 Forderschwerpunkt junge Konsumenten 6.3 Auswege aus der Finanzierungskrise 6.3.1 Analyse von Krisenherden 6.3.2 Private Initiative fordern 6.4 Fazit und Ausblick
156 156 156 157 161 161 164 166 166 173 176
7 Literaturverzeichnis
181
8 Register 8.1 Sachregister 8.2 Autorenregister
196 196 202
Abbildungsverzeichnis
Abbildimg Abbildung Abbildiing Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung
1: Entscheidimgs- imd Handlimgsmodell 2: Okonomische Grundprinzipien 3: Teilbereiche der Kultxir 4: Kulturokonomische Abgrenzung von Kunst 5: Die Doppelnatur von Kunstgiitern 6: Gesamtgesellschaftliche Wirkungen von Kunst 7: Kultur in wirtschaftswissenschaftHcher Perspektive 8: Ansatzpunkte kulturokonomischer Analyse 9: Giiterkategorien und externe Effekte 10: Meritorische Giiterarten 11: Ankniipfiingspunkte staatHcher MaBnahmen 12: Das Grundmodell der Kulturgutscheine 13: Das Public Private Partnership-Portfolio 14: Public Private Partnership als Struktur-Modell 15: Verflechtungsmodell des Kiiltursponsorkig 16: Grundstruktur des Modells der Kulturkarte 17: Der Kvinst- und Kulturbereich als Zahlungsempfanger und Steuerzahler Abbildung 18: Kulturausgaben in der Kreislaufbetrachtung Abbildung 19: Kunstgiiter in Angebot und Nachfrage Abbildung 20: Bediirfnispyramide nach Maslow Abbildung 21: Dimensionen des Erlebnisses Abbildung 22: Konsumieren als Prozess Abbildung 23: Verhaltensintentionsansatz Abbildung 24: Verhaltensplanungsansatz Abbildung 25: Individueller und sozialer Nutzen des Kunstkonsums Abbildung 26: Determinanten des realisierten Konsumentenwerts Abbildung 27: Aufwertung des Museumsbesuchs Abbildung 28: Image von Kunstmuseen Abbildung 29: Vorteile von Museums shops Abbildung 30: Nachteile von Museumsshops Abbildung 31: Bevorzugtes Angebot in Museumsshop
14 16 22 23 27 30 32 34 43 44 51 59 66 67 70 72 77 79 91 92 93 95 96 97 106 Ill 114 115 118 118 119
Abbildungsverzeichnis
Abbildimg Abbildung Abbildimg Abbildung Abbildimg Abbildung Abbildimg Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung Abbildung
32: Anliegen an einem Konzertbesuch 123 33: Vorteile des Theaterbesuchs 125 34: Nachteile des Theaterbesuchs 126 35: Vorteile und Nachteile des Museumsbesuchs 133 36: Externe Barrieren des Museumsbesuchs 134 37: Interne Barrieren des Museimisbesuchs 134 38: Psychologische Hemmschwellen 135 39: Vorteile der Kulturkarte 145 40: Nachteile der Kulturkarte 146 41: Vor- und Nachteile der Kulturkarte: Diskrepanzen zwischen Anbietern und Kosumenten 147 42: Gewiinschte Eigenschaften von Musikdownloads 153 43: Analytischer Rahmen fiir Kulturbewusstsein und Kulturhandeln.160 44: Analyse der Kdsensituation 166 45: Systematisierung von Kdsenherden 167 46: Maximale Preisbereitschaften 172 47: Anteilige Kulturfinanzierung 174
Vorwort
Kulturokonomik bringt zwei Bereiche zusammen, die nicht zusamnien gehoren — so denken vermutlich nicht wenige, die den Titel dieses Lehrbuches lesen. Es ist eine besondere Herausforderung, sich diesen kritischen Stimmen zu stellen und die Vorbehalte gegen die Verbindung von Kultur und Okonomik zu widerlegen. Die zentxale Aufgabe dieses Buches liegt deshalb darin, die grundlegende Vereinbarkeit und den speziellen Nutzen okonomischen Denkens und Handelns in Kunst und Kultur zu erlautern und anhand ausgewahlter Beispiele zu belegen. In den beiden Anfangskapiteln geht es um die Darlegung des okonomischen Ansatzes, dessen Terminologie und Vorgehensweise. Marktkonstellationen und die Notwendigkeit offentUcher Eingriffe im Kulturmarkt werden diskutiert, das bekannte Phanomen der Baumol'schen Kostenkrankheit vorgestellt und in seinen Konsequenzen erlautert. Im Weiteren stehen die Analyse von Kulturangebot und Kulturnachfrage im Zentrum. In dem Zusammenhang wird beispielsweise die Frage behandelt, ob Geld kreativ macht oder ob Kulturkonsumenten souveran sein konnen und inwieweit sie eine Mitsprache hinsichtlich des Kulturangebots haben sollten. Die theoretische Analyse wird durch die Daten eigener empirischer Erhebungen mit Kulturanbietern und Kulturnachfragern sowie Recherchen in Kulturinstitutionen erganzt. Hilft Kulturokonomik Kunst und Kultur? Das ist dann der Fall, wenn die Moglichkeiten der Forderung bei Anbietern und Konsumenten ausgeschopft und mit den Konsequenzen der kulturokonomischen Analyse der Krisenherde verkniipft werden. Die folgenden Ausfiihrungen basieren auf der kreativen Zusammenarbeit, die gemeinsam mit den Studentinnen und Studenten von 1995 bis 2000 in der von der Autorin an der Universitat Hohenheim gehaltenen Vorlesung Kunst und Konsum geleistet wurde. Diese Arbeit konnte mit Erfolg in der Vorlesung Kulturokonomik im Studiengang Kulturmanagement an der Padagogischen Hochschule Ludwigsburg sowie im gleichnamigen Vortrag an der Universitat Kiel im Sommersemester 2005 fortgesetzt werden. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern dieser Veranstaltungen, denen ich neben anregenden Diskussionen und wertvollen Hinweisen auch die insbesondere in Kapitel 5 zitierten Diplomarbeiten und Seminararbeiten verdanke, ist dieses Buch gewidmet.
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Vorwort
Ein herzlicher Dank gebiihrt auch Stefanie Uhrich und Ina Hamann fiir die optisch perfekte Erstellimg der Abbildungen sowie meiner Lektorin Gabi Franz fiiir die personliche Betreuung und die professionelle Umsetzung des Manuskriptes. Frank Engelhardt hat mir als zustandiger Lektor im VS Verlag fiir Sozialwissenschaften den notwendigen Spielraum gelassen, dafur danke ich ihm sehr herzlich. Dieses Lehrbuch ist eine Einfuhrung. Sie richtet sich an Studentinnen und Studenten in den Anfangssemestern, aber auch an Fortgeschrittene, an Dozenten und an Praktiker. Mthilfe von vielen Beispielen und fast fimfzig Abbildungen wird die Kulturokonomik anschaulich dargestellt und als theoretisch anspruchsvolles imd in der Anwendung hoffentlich hilfreiches Forschungsfeld etabHert.
Ingrid Gottschalk
Stuttgart-Hohenheim im September 2006
1 Die okonomische Betrachtung von Kunst und Kultur
1.1 Det okonomische Ansatz /. /. / Zur Verhindung von Okonomie und Kultur Viele Menschen sehen in Kunst imd Kultur einen Bereich auBerhalb der okonomischen Sphare. Okonomisches Denken iind Handeln passt nach Meinung jener nicht 2u dem kontroversen wie fragilen und emotionsbeladenen Raum kiinstlerischen Schaffens und Erlebens. Auf dieser Linie liegen Argumente wie die, dass Kunst und Kxiltur „an sich" gut und von vornherein iiber jeden Zweifel, aber auch iiber jede Bewertungsmethode erhaben seien: The arts are a good thing (Baigent 1975, S. 171f.). Sie scheinen die Ansicht 2u verkorpern, dass das Einnehmen der okonomischen Perspektive die Kimst auf eine ihr unangemessene, niedrigere Ebene herabziehen konnte, etwa indem Buchhalteransatze und Kramerdenken Einzug hielten. Dahinter steckt die Befurchtung, Kunst und Kultur konnten den ihnen eigenen Zauber, das Entriickte, Mystische, Unerklarliche und Unantastbare verlieren. Die Folge der Okonomisierung von Kunst und Kultur seien bereits beobachtbare Tendenzen von Verflachung und Trivialisierung, kurz die Kommerzialisierung der Kunst insgesamt. Die Okonomen selbst beurteilen diese Entwicklung verstandlicherweise anders, aber durchaus mit Sensibilitat gegeniiber den Beriihrungsangsten. Die Verbindung zwischen Kunst und Okonomie konne als ein gewagtes Unterfangen charakterisiert werden, sie sei aber gegeben und wissenschaftlich zu belegen (Krieger 1996, S. 19). In der Tat bestimmen Kultur imd ZiviHsation zwangslaufig unser Denken und Handeln sowie lansere Vorlieben auf der einen Seite, die sich deren VerwirklichiHig entgegenstellenden Restriktionen auf der anderen Seite, und sie werden in Riickkoppelung ihrerseits von den okonomischen EinflussgroBen gepragt. Diese Zusammenhange werden in Abbildung 1 in einem einfachen okonomischen Entscheidungs- und Handlungsmodell mit dem Schwerpunkt auf den Interdependenzen zwischen Wirtschaft und Kultur dargestellt. Im Zentrum von Abbildung 1 steht das einzelne Wirtschaftssubjekt. Es entscheidet und handelt gemaB den durch seinen individuellen Geschmack bestimmten Praferenzen (Samuelson und Nordhaus 2005, S. 54). Aufgrund subjektiver Vorlieben
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Die okonomische Betrachtung von Kunst und Kultur
Entscheidungs- und Handlungsmodell
Praferei iz-ei i
Wirtschaft
^
•
Entscheiden und Handein
Kultur
Restriktionen
Abbildung 1: Entscheidungs- und Handlungsmodell
mochte sich der Einzelne bestiimnte Wiinsche erfullen, andere dagegen nicht oder zumindest nicht gleich. Es gibt eine schon lang wahrende und auch noch anhaltende okonomische Diskussion dariiber, ob die Rangfolge der Wiinsche des Individuums als fest vorgegeben anzusehen ist oder aber ob sie als beeinflussbar und veranderlich angenommen werden kann. Lange herrschte uneingeschrankt die Auffassung vor, das s Praferenzen gegeben und von okonomischer Seite nicht weiter zu hinterfragen seien. Die erst in jiingerer Zeit verstarkt auftretende Diskussion um die Endogenisierung von Praferenzen in die okonomische Analyse zeigt, dass diese strikte Linie nicht mehr verfolgt wird, vielmehr eine Wechselwirkung unterschiedlicher Faktoren auf die angestrebten aktuellen Entscheidungen und Handlungen angenommen wird. Die Aufgabe der Annahme fixer, durch das okonomische System nicht erklarbarer VorUeben fiihrt zu der Erkenntnis, dass die Wiinsche der Konsumenten durch den okonomischen Prozess selbst beeinflusst werden und Veranderungen unterliegen konnen. In diesem Prozess ist zum einen der Erfahrungsschatz von Bedeutung. Der einzelne hat ihn durch bereits getatigtes Verhalten, den vergangenen Konsum, erworben. Das gilt fiir die eigenen Erfahrungen ebenso wie fiir die Erlebnisse mit anderen, mit deren Konsumverhalten oder deren Einflussnahme auf das eigene Handein. Wichtig sind zum anderen die Planungen fiir die Zukunft. Sie werden unter Umstanden so getroffen, dass sie die Befriedigung von Wiinschen der Gegenwart zu Gunsten von besseren zukiinfdgen Konsummoglichkeiten zuriickstellen lassen. Gary Becker, Nobelpreistrager fiir Wirtschaftswissenschaften von 1991, spricht in diesem Zusammenhang von der Anhaufimg personlichen und sozialen Kapitals, die zusammen in das Hximankapital eingehen. Beide Komponenten werden durch
Der okonomische Ansatz
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Erfahrimgen, so2iale Intemktionen iind kulturelle Einfliisse kontinuierlich modifiziert iind verandern ihrerseits den Geschmack iind die Praferenzen der Wirtschaftsakteiire (Becker 1996, S.3f£). In ahnlicher Quintessenz fiiir die erfahrungsabhangige, soziale und kulturelle Einbettung von individuellen Vorlieben fiiir die eine oder andere Art zu entscheiden und zu handeln, aber terminologisch anders, werden auch gewohnliche Praferenzen und ihnen libergeordnete Meta-Praferenzen unterschieden. Letztere beinhalten die Riicksichtnahme des Einzelnen im Geflecht des sozialen Miteinanders. So konnen etwa moralische Erwagungen individuelle Wiinsche modifizieren oder sogar zuriickdrangen (Priddat 1998). In Abbildung 1 werden diese mehrfach interdependenten Beziehungen durch Doppelpfeile zwischen den betrachteten GroBen symboHsiert. Der Einzelne hat VorUeben, die sich an die Bereiche von Wirtschaft und Kultur richten. Er wird umgekehrt von Erfahrungen, Erlebnissen und Anspriichen aus beiden Aktionsfeldern beeinflusst. Sie konnen, wie eben ausgefiihrt, sein Handeln befliigeln oder begrenzen. Dariiber hinaus steht jedes Individuum vor den ihm eigenen Grenzen seines Tuns. Diese Restriktionen werden verkorpert durch das AusmaB, in dem es iiber Mittel bzw. Ressourcen verfiiigt, die ihm zur Befriedigung seiner Wiinsche zur Verfiiigung stehen und ihn zur Erfullung seiner Wiinsche befahigen. Diese Mittel schopft der Einzelne aus sich selbst oder bekommt sie von anderen zur Verfiiigung gestellt, etwa dem Staat. Zusammen genommen handelt es sich um das Reservoir an Geld und Zeit, Intelligenz und Kraft, iiber das der Einzelne verfiiigt. Das Umfeld aus Wirtschaft und Kultur kann dazu beitragen, diese Grenzen zu iiberwinden, indem zum Beispiel Ideen aufgezeigt und Losungswege effizienter Nutzung knapper Mittel angeboten werden. Was hier noch wie „Fachchinesisch" klingen mag, wird in der spateren kulturokonomischen Analyse Bedeutung und in konkreten Anwendungsfallen auch iiberzeugende Plausibilitat erlangen. Beispielsweise leuchtet ein, dass Kunstgenuss von den bereits gesammelten Erfahrungen, dem Wis sen um die Kunstgegenstande und dem gemeinsamen sozialen Erlebnis entscheidend beeinflusst wird und auch den Wunsch fiir weiteren Kunstkonsum pragt. Die Abhangigkeit der Praferenzen vom eigenen vergangenen und zukiinftig geplantem Verhalten sowie dem Agieren anderer im sozialen und kulturellen Umfeld erklart sich hier ohne Zogern. So kann die kulturokonomische Forschung einen entscheidenden Hinweis zur Bekrafdgung der Endogenitat von Praferenzen leisten (vgl. DiMaggio 1994, S. 29). Diese Verstarkerftmktion fur die Entwicklung der okonomischen Theorie geUngt der Kulturokonomik auch in anderen Bereichen (Hutter 1996).
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Die okonomische Betrachtung von Kunst und Kultur
1.1.2 Okonomische Grundpritif^pien
Im Mittelpunkt des okonomischen Ansatzes auf individueller Ebene stehen die Entscheidungen und die Handlimgen des Einzelnen. Ausloser sind Praferenzen, die vor dem Htntergrund gegebener Restriktionen und angesichts von Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur bestmoglich befriedigt werden sollen. Hiermit korrespondieren in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung Prinzipien des als sinnvoll erachteten okonomischen Handelns. Sie verkorpern einen gemeinsamen Codex von Okonomen, auch von Vertretern unterschiedlicher Richtungen. Ihre universelle Giiltigkeit formuliert der Harvard-Okonom Mankiw, sicher nicht ohne gewiinschte Assoziation, in Form von zehn Grimdprinzipien, man konnte sie wohl auch als „Gebote" bezeichnen (Mankiw 1998, S. 3ff.). In Anlehnung an diese Diskussion werden in Abbildung 2 sechs grundlegende Vorstellungen und Grundlagen okonomischer Analyse aufgefuhrt, die sich im Folgenden als besonders bedeutsam fur die kulturokonomische Betrachtung herausstellen werden. Sie tauchen, mit nur geringen terminologischen Unterschieden in der einen oder anderen Variante, als vereinheitHchende Ideen in der okonomischen Diskussion auf.
(1) Knappheit Auf der grundlegenden Erkenntnis, dass die den Menschen zur Verfiigung stehenden Mittel nur begrenzt vorhanden sind, basiert jegliches okonomisches Denken. Knappheit ist das Gegenteil von Uberfluss. Knappheit bestimmt auch, aber nicht Okonomische Grundprinzipien
Opportunitatskosten
Knappheit
Wirtschaftlichkeit
Wirtschaften
Nachhaltigkeit Abbildung 2: Okonomische Grundprinzipien
Konsumentensouveranitat
Arbeitsteilung
Der okonomische Ansatz
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allein, den Wert der vorhandenen Ressource. Hinzu kommen miissen die Wiinsche der Handelnden. Alles, was knapp undhegehtt ist, steigt in der Gxinst der Menschen. Fiir knappe Giiter, die niemand will, gilt das nicht.
(2) Wirtschaftlichkeit Wenn man nicht alles von allem haben kann, wie man es vielleicht gern hatte, dann muss man weise, haushalterisch mit dem Verfiigbaren umgehen. Man muss Nettoergebnisse kalkulieren, oder, anders ausgedriickt, Kosten und Nutzen einer Handlung in ein sinnvolles Verhaltnis bringen. Die hier in Anwendung zu bringende Handlungsanweisung zur Bestausnutzimg knapper Mittel ist als Wirtschaftlichkeitsprinzip bzw. okonomisches Prinzip in zwei Auspragungen bekannt. Es gilt: • Mit den vorhandenen Mitteln das Maximale zu erreichen (Maximalprinzip). Oder: • Ein gegebenes Ziel mit einem minimalen Mitteleinsatz zu realisieren (Minimalprinzip).
(3) Nachhaltigkeit Erst in jiingerer Zeit hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Wirtschaftlichkeit nicht nur fur die Gegenwart, sondem auch fur die Zukunft Bestand haben muss. Nachhaltiges Handeln heiBt so zu wirtschaften, dass auch fur zukiinftige Generationen der Ressourcenerhalt gesichert bleibt. So, wie ein Forstwirt neue Baumchen pflanzt, wenn altere Baxime geschlagen werden, damit sich auch die Nachkommen am Wald erfreuen und ihn nutzen konnen. Neben der wirtschaftlichen spricht man auch von sozialer und kultureller Nachhaltigkeit. Aus der Sicherung von Bestanden und dem sorgsamen Umgang untereinander erwachst das Zukunftspotenzial im sustainable growth. Es erschlieBt sich unmittelbar, dass die Diskussion um die Erhaltung von Kulturerbe hier ihren Nahrboden findet.
(4) Opportunitatskosten Was fur die eine Sache in Gebrauch genommen oder verbraucht wird, ist fiir die andere nicht mehr verfiiigbar. Dieses Denken in entgangenen Alternativen verkorpert eine Selbstverstandlichkeit im okonomischen Gedankengebaude. Opportunitatskosten
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Die okonomische Betrachtung von Kunst iind Kultur
in Ansatz zu bringen heiBt, den Nutzen der nachstbesten, abet nicht realisierten Moglichkeit als Kosten der gewahlten Alternative zu veranschlagen. Das scheint auf den ersten Blick etwas „uni die Ecke gedacht" zu sein. Doch sind die entstehenden Defizite unter Umstanden sehr real spiirbar. Mittel, die der Staat vergibt, konnen nur einmal verteilt werden. Was der Kulturbereich erhalt, geht anderen Sektoren, etwa dem Bildungs- und Gesundheitswesen, verloren und umgekehrt.
(5) Konsumentensouveranitat Die moglicherweise etwas eigentumlich anmutende Assoziation, der Konsument, der Nachfrager nach Giitern und Dienstleistungen, soUe der Herrscher im Wirtschaftsgeschehen sein, ist durchaus wortHch gemeint. Allerdings soil dieses Bild erst am Ende eines Anpassungsprozesses gelten, und auch nicht in jedem EinzelfaU. Langfristig aber sollen sich die Praferenzen der Konsumenten durchsetzen, soil die Angebotsstruktur dem entsprechen, was von Verbraucherseite gewiiascht wird. Grundlage fur diesen Prozess sind freie Markte und Preise, gut informierte und motivierte Konsumenten sowie Anbieter, die in Vorlage treten und mit ihrem Angebot auf die Gunst der Marktteikiehmer hoffen. Das Vorschlagsrecht der Anbieter wird kanalisiert durch die Lenkungsfunktion der Nachfrager. Der Bestimmer in diesem System ist das Individuum. Das Souveranitatspostulat sichert dessen individuelle Bestrebungen, auch wenn sich diese nicht immer und nicht jederzeit durchsetzen lassen.
(6) Arbeitsteilung Die Mittel zur Befriedigung von Bediirfnissen sind nicht gleich verteilt. Erst im arbeitsteiUgen Austausch lassen sich bestmogHche Kombinationen realisieren. Das gilt national wie international. Arbeitsteilung beinhaltet aber nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale Konsequenzen. Sie umfasst, den anderen ein Mehr an Konnen und Kompetenz einzuraumen xmd im Gegenzug von anderen Fahigkeiten attestiert zu bekommen. Unter Umstanden, die im Zusammenhang mit der Diskussion um meritorische Giiter noch naher zu erlautem sein werden, kann das Individuum damit einverstanden sein, eigene Entscheidungen an dritte Personen zu delegieren (vgl. 2.1.2). Grundlage ware die individuelle Erkenntnis, dass Andere iiber ein Mehr an Kompetenz verfiigen als man selbst. Dies gilt etwa, wenn Vorschlags- und Entscheidungsgewalt
Grundlagen der Kulturokonomik
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in bestimniten Bereichen von Kunst und Kultur in die Hande der Sachverstandigen gelegt werden. Zusammenfassend lasst sich feststellen, dass in der Knappheit von Ressourcen der Ursprung alien Wirtschaftens steckt. Im Schlaraffenland des tJberflusses bedarf es keiner Okonomen. Die Realitat sieht anders aus. Nicht alles 2u haben, sondern vom Erreichbaren das bestmoglich Kombinierbare, heiBt die Devise. Was sich genau dahinter verbirgt, ist keinesfalls allgemeinverbindlich festzulegen. Richtschnur und MaBstab bleibt immer das Individuxim selbst, auch wenn es von axiBen, durch ErziehxMig, Information und gesellschaftlichen Druck beeinflusst wird und sich beeinflussen lasst. Dieses individuelle Optimum ergibt sich nicht automatisch, sondern ist Ergebnis gezielter, iiberlegter Wahlhandlungen. Okonomisch zu denken und zu handeln heiBt, Vor- iind Nachteile von Handlungsalternativen gegeneinander abzuwagen. „Okonomie ist die Kunst, das Beste aus dem Leben zu machen", so hat George Bernard Shaw in einem Bonmot den Sinn der Okonomie umschrieben (Shaw zitiert 2006). Dieser Zustand ist fiir einen Okonomen dann erreicht, wenn bei den imendlich vielen Wahlhandlungen des Lebens, bei materiellen sowie immateriellen Giitern und Leistungen gleichermaBen, unter dem Strich das Positive iiberwiegt.
1.2 Grundlagen der Kultutokonomik 1.2.1 Begriffe und Deftnitionen In der Einleitung zu seinem 2001 erschienenen kulturokonomischen Lehrbuch verdeutlicht der australische Wissenschaftler David Throsby, wie man sich den Zugang zur Beschaftigung mit Kunst und Wirtschaft am ehesten versinnbildHchen kann. Er tut das durch Personifizierung. Vor unserem geistigen Auge erscheinen die Wirtschaft und die Kunst als Personen mit spezifischen Eigenschaften (Throsby 2001). Ironisch und sicher nicht ganz ernst gemeint charakterisiert Throsby die Wirtschaft als mannHch, etwas iibergewichtig und hypochondrisch, schwatzhaft und nicht immer auf die personliche Frische bedacht. Sie sei in Kiirze eine Person, mit der man nicht unbedingt einen Transatlantikflug als Sitznachbar verbringen mochte. Auf der anderen Seite sei die Kunst vorstellbar als weibHch, intelligent, unvorhersagbar und etwas intrigenhaft. Throsby fiihrt aus, dass diese Metapher iiber Kunst und Wirtschaft, die er als einleitende Bemerkungen fiir seine Vorlesung benutzt hatte, durchaus in Einklang
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Die okonomische Betiachtung von Kunst und Kultur
mit dem zu sein schien, was seine Zuhorer dachten. Die Erklanmg liege zirni einen darin, dass vielleicht jeder gern einmal einen Witz auf die Wirtschaft machte. Noch wahrscheinlicher aber sei ziim anderen, dass Kunst als Ratsel angesehen wikde, dessen Geheimnisse nur schwer zu entschliisseln seien. Vielleicht, so konnte man hinzufiigen, mochten die Menschen diesen Versuch auch gar nicht wagen, in der Befiiirchtung, der Zauber konne verloren gehen. Die Einengung der okonomischen Analyse auf das Handfeste und Bodenstandige, das die Kunst auBerhalb des okonomischen Rasonierens und Kalkulierens platziert, hat Tradition. Die Vorstellung, die Okonomik sei ein lediglich auf materiellen Wohlstand ausgerichteter Ansatz, geht schon zuriick auf das 19. Jahrhundert. Dort wurden die Okonomen als pig-philosophers, Schweinephilosophen verspottet, die den Materialismus predigten (Peacock 1992, S. 13). Das mag nicht ganz so hasslich gemeint gewesen sein, wie es in unseren Ohren klingt. Schweine standen immerhin fiir Reichtum und satten Wohlstand. Doch wurden durch dieses Petitum dem okonomischen Wirkungsraum enge Grenzen auferlegt. Was aber berechtigt die Okonomen unserer Tage, ihr Instrumentarium auf den Bereich Kunst und Kultur auszudehnen, der so ganz anders als der herkommliche Bereich wirtschaftswissenschaftUcher Analyse zu sein scheint? Als erstes ist festzuhalten, dass sich die Wirtschaftswissenschaft nicht mehr von ihrem Gegenstandsbereich, sondern von der sie kennzeichnenden Methodik definiert. Die moderne Okonomik versteht sich als Anleitung zur Problemlosung, als Lehre vom zweckrationalen Verhalten. Okonomische Probleme entstehen im Grundsatz dadurch, dass die Gesellschaft insgesamt weniger an Mitteln zur Verfiigung hat, als sie gern hatte, um ihre Bediirfnisse zu befriedigen. Vor diesem Hintergrund definiert sich die Wirtschaftswissenschaft als Analyse dariiber, wie die Gesellschaft ihre knappen Ressourcen bewirtschaftet (Mankiw 1998, S. 4; Mankiw 2001, S. 4). Dadurch, dass die Okonomik ein gemeinsames Reservoir an Ideen und Konventionen akzeptiert und anwendet, verkorpert sie nach Auffassimg von Rubinstein selbst eine Art von Kultur (Rubinstein 2005). Doch was heiBt das im Einzelnen? Als zweites ist deshalb festzulegen, was genau bearbeitet werden soil. Was ist Kunst, was Kultur, und was soil in diesem Zusammenhang die okonomische Analyse bewirken? Zunachst miissen die zentralen Begriffe naher erlautert werden. Auffallend ist, dass beide Begriffe stets in derselben Reihenfolge, als so genannte ZwilHngsformel auftauchen: Kimst und Kultur. In einer Glosse der Frankfurter Allgemeinen Zeitung unter dem Titel „Mit Ralph und Siegel" ging es um die Herkunft dieser sprachlichen Wendungen. Hintergrimd war das schlechte Abschneiden der deutschen Kandidatin beim Grand Prix d'Eurovision 2002, das deren Produzent in einer ungewohnlichen Worterkombination kommentiert hatte („Der ganze Auftritt klang wie Arsch und Friedrich", vgl. hier und im Folgenden Muschiol 2002, S. 10).
Grundlagen der Kulturokonomik
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Zwillingsformeln werden auch Paarformeln oder Binomiale genannt. Sie treten als Wortgruppe in Erscheinung, deren Umkehr unublich ist. Es heiBt u. a. Messer und Gabel, Bausch und Bogen, Kind und Kegel oder aber Kunst und Kiiltur. Die Umkehr ist nicht iiblich und wiirde sich auch komisch anhoren, wie beispielsweise „niit Trompeten und Pauken". Fiir unseren Zusammenhang ist von Interesse, dass Binomiale zwar mindestens aus drei Wortern bestehen, oft aber als einheitlicher Begriff aufgefasst und wie ein einziges Wort verstanden werden. Dies ist bei Tiir und Tor der Fall, \md wohl auch bei Kunst und Kultur. Die Ubergange sind fliefiend, beide Begriffe zielen auf dasselbe Phanomen, der eine weiter, der andere enger. Das als wichtig Empfiindene wird meist zuerst genannt. Auch in diesem Sinne, aber ebenso in Anlehnung an die Gepflogenheiten kulturokonomischer Lehrbiicher, geht es im Folgenden schwerpunktmaBig, aber nicht ausschUeBHch, um Kunst. Die Termini wechseln aber, ihrer Zwillingshaftigkeit gemaB, Kultur kennzeichnet eher das breite Spektrum, steht fur den Oberbegriff. Die Abgrenzung der Bereiche, die dem Kultursektor im Etnzelnen zugeordnet werden, wird nicht einheitlich vorgenommen. Heinrichs schlagt vor, Kultur unter vier Verstehensweisen zu betrachten (Heinrichs 1997, S. 4f.): 1) Kultur als menschliches Vermogen und dessen Dokumentation, z.B. die Entwicklung des zivilisatorischen Prozesses oder der Umgang mit der Sprache. 2) Kultur als Verhalten, z.B. Alltagskultur im Vereinswesen, im Brauchtum, in Spielen und in Form von Gesprachskultur. 3) Kultur als Bildung, z.B. die Arbeit in Volkshochschulen, in Bibliotheken und in Museen. 4) Kultur als Kunst als der fur den Kulturbetrieb wichtigste und umfassendste Bereich mit alien kiinstlerischen Sparten und der Prodiiktion, Vermittlimg und Dokumentation von Kunst. Kultur kann als MaBstab und gemeinsame Formel, aber auch als anzustrebendes Ziel aller Werte eines Landes verstanden werden - der schon geschaffenen, der entstehenden, der zukiinftig noch moglichen Werte. Sie steht fiir den Bestand, die Tatigkeit und das Potenzial in den Bereichen, die der Weiterentwicklung der Menschen einer Gesellschaft dienen. So wie der lateinische Urspriing des Wortes auf den Ackerbau verweist und die Fruchtbarmachung, Pflege und Veredelung, kurz die Kultivierung der Boden einschlieBt, so gilt die Fiirsorge hier den Personen und deren Fortentwicklung beziiglich ihres Denkens, Fiihlens und Konnens. Man konnte auch sagen, es geht um den Geist, die Moral und die Talente einer Gesellschaft. Es scheint ein „vergebliches Unterfangen" zu sein, den Kulturbegriff umfassend und erschopfend definieren zu woUen (Braun und Gallus 1999, S. 67). Einen
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Die okonomische Betrachtxmg von Kunst und Kultur
Teilbereiche der Kultur
Werte
-
materiell immateriell geschrieben ungeschrieben
Verhalten
- Alitag - Unternehmen - Medien
—
-
Bildung
Kunst
Schulen Bibliotheken Museen Theater
- bildende Kunst - darstellende Kunst - Musik - Literatur
Abbildung 3: Teilbereiche der Kultur
Versuch ist es dennoch wert. Auf einen Nenner gebracht, spiegelt sich Kultur in den materiellen imd immateriellen Werten einer Gesellschaft wider, im Umgang der Menschen untereinander, in der Bildung und in der Kunst. Sie wird verkorpert durch die diesen Bereichen innewohnenden Bestands- und VerhaltensgroBen. Es handelt sich um materielle, physische GroBen auf der einen, um abstrakte, verhaltensbezogene Elemente auf der anderen Seite (vgl. Blackwell et al. 2006, S. 426). Die Kultur eines Landes oder eines Kulturraums ist die Summe gesamtgesellschaftHchen Konnens, Vermogens xmd Verhaltens. Hinter dieser Abgrenzung fiir Kultur steht ein dynamisches, fiir Veranderungen offenes Konzept. Die materiellen Kulturwerte eines Landes sind der sichtbare Teil des Kulturerbes. Hierunter fallen anerkannte Werke vergangener und gegenwartiger Meister, beispielsweise als Zeugnisse historischer und moderner Stadtarchitektur. Die immateriellen Werte sind naturgemaB nicht so greifbar, aber nicht minder kulturpragend. Sie konnen, aber miissen nicht fixiert sein. Beispiele sind Werte, die im Rechtssystem festgeschrieben und in der Rechtsprechung artikuliert werden, ebenso wie ungeschriebene Regeln, die sich u. a. aus moralischen Erwagungen, aus einem latenten Fairnesscodex und dem individueUen Rechtsempfinden ableiten. Im Umgang miteinander spricht man etwa von Alltagskultur, von Unternehmens- oder Kommunikationskultur. Voraussetzung fiir den kulturellen Fortbestand xmd seine Weiterentwicklung ist die im Bereich Bildung zur Verfiigung gestellte Kapazitat sowie die dort in Schulen, Universitaten und Museen geleistete Arbeit (vgl. Abbildung 3). Kultur ist der Oberbegriff, Kimst der fiir den Kulturbetrieb wichtigste und umfassendste Teilbereich. Ublicherweise, und wohl nicht zuletzt um der „Gretchenfrage" aus dem Weg zu gehen, was nun eigentlich Kunst sei — kommt Kunst von Konnen, oder gerade nicht? - wird eine Abgrenzimg nach Themen und
Grundlagen der Kulturokonomik
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Kulturokonomische Abgrenzung von Kunst
Summe der als Kunst angebotenen und nachgefragten Werke und Leistungen
Abbildung 4: Kulturokonomische Abgrenzung von Kunst
Darstellungsformen favorisiert. Als klassische, allgemein gebrauchliche Aufteilung warden die vier Sparten bildende Kxmst (z.B. Malerei, Bildhauerei, Architektur), darstellende Kunst (z.B. Theater, Ballett, Pantomime) sowie Musik (z.B. Oper, Konzerte, Musicals) und Literatur (z.B. Romane, Essays, Gedichte) unterschieden (.\ndreae und Wilflingseder 1980, S. 48). Einer okonomischen Betrachtung sind die dort produzierten Gixter und Leistungen in der Regel dann zuganglich, wenn sie offentlich gemacht werden, einen Markt haben. Aus dieser faktischen Abgrenzung darf selbstverstandlich kein Umkehrschluss gezogen werden. Fraglos bliiht Kunst auch im Verborgenen, ist noch im Entstehen, wird bearbeitet, ist noch nicht offentlich. Doch erst durch das Wechselspiel von Angebot und Nachfrage wird Kunst okonomisch analysierbar (vgl. Abbildung 4). Die okonomischen Vertreter bemiihen sich darum, Kunst unter einer maximal neutralen Perspektive zu betrachten. Kunst ist das, was sich als Kunst versteht was als Kunstobjekt angeboten und nachgefragt wird (Miinnich 1980, S. 18). Der unfruchtbare Streit um hohe Kiinst auf der einen, Trivialkunst auf der anderen Seite entfallt. Nur der Einzelne entscheidet, was fiir ihn Kunst ist und was nicht. In diesem Sinne gibt es von der okonomischen Denkweise her kein Problem mit der Abgrenzxmg von Kunst bzw. Kultur als dem weiteren, auch gesellschaftliche Phanomene umfassenden Konzept. Unter diesem Blickwinkel ist die Diskussion dariiber, was als Kunst durchgehen kann und was nicht, iiberfliissig. Nicht die - in der Regel selbst ernannte oder sich gegenseitig dazu erhebende - Kunstelite ist hierzu berufen. Wiirde man tatsachlich die „erleuchtete" Elite dariiber beiinden lassen, ware der okonomische Grundsatz verletzt, dass letzten Endes nur die individuellen Praferenzen zahlen sollen (Pommerehne und Prey 1993, S. 9).
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Die okonomische Betrachtung von Kunst und Kultur
Zum Zwecke der Erstellung von Kunstgiitern miissen Ressoiircen eingesetzt werden, die fiiir andere produktive Verwendungszwecke nicht mehr zur Verfiigung stehen. Schon aufgrund dieser Knappheitsproblematik, aber auch wegen des Vorhandenseins von Markten, auf denen individuelle Akteure systematisch auf Anreize reagieren imd den okonomischen Handlungsmustern von Angebot und Nachfrage folgen, wird die okonomische Analyse von Kunst und Kultur gerechtfertigt (Pommerehne und Frey 1993, S. 7). Kultur- bzw. Kunstokonomik zielt auf die Analyse der bedeutenden wirtschaftlichen Dimensionen der Kunst — und nicht etwa auf die immanenten Gesetze kiinstlerischen Schaffens (Miinnich 1980, S. 17). Ihre Aufgabe ist die theoretische und empirische Analyse der Abhangigkeiten zwischen Kunst- und Wirtschaftsbereich (Hutter 1989a, S. 461). Im Rahmen der Kunst- bzw. Kulturokonomik wird die moderne wirtschaftswissenschafdiche Denkweise, werden deren Analysemethoden auf den kulturellen Bereich iibertragen (Pommerehne 1983, S. 52). Als Aufgabenbereich der Kulturokonomik ist hervorzuheben, dass es ihr nicht um den Versuch der Einmischung in innere Strukturen geht. Sie versteht sich vielmehr in dienender Funktion. Kxilturokonomik beschafrigt sich mit der Okonomie der kreativen Prozesse bei der Produktion, Prasentation und Pflege von Kunst- und Kulturgiitern (vgl. Peacock und Rizzo 1994, S. IX). Sie zu betreiben heiBt, mit dem okonomischen Instrumentarium die Ablaufe zwischen Anbietern und Nachfragern von Kunst- und Kulturgiitern zu analysieren und effizienter gestalten zu helfen. Kulturokonomik kann nach wie vor als eine relativ junge Disziplin bezeichnet werden. Ihr Geburtsdatum wird haufig mit der noch naher zu behandelnden Pionierarbeit von Baumol und Bowen aus dem Bereich der darstellenden Kunst, der Entdeckung der Kostenkrankheit aus dem Jahre 1966 in Verbindung gebracht (Baumol und Bowen 1966; Hutter 1996, S. 263). Diese neue Disziplin erhielt in dem MaBe Zuspruch, in dem die Kdse offentlicher Finanzen ein Umdenken zu erzwingen schien. Die ErschlieBung neuer Finanzierungsquellen bei stdkter Effizienz der Mittelverwendung wurde imd wird zur Uberlebensfrage vieler kultureller Institutionen. In Theatern und Museen werden Marketingkonzepte angedacht, neue Mitarbeitermodelle sowie die Auslageriing von Teilleistungen erprobt. Fiir Kulturveranstaltungen wird nicht selten ebenso geworben wie fiir andere Angebote auch. Vor diesem Hintergrund erfahrt auch der Nachfrager der kulturellen Leistung, der Kxinstkonsument, eine bis dahin ungewohnte Beachtung. In diesem Zusammenspiel wird die Verbindung von Kunst und Okonomie nicht diskutiert, sondern praktiziert. Die wissenschafdichen Vertreter der Kulturokonomik vermerken nicht ohne Stolz, dass ihre Disziplin miindig geworden sei (Peacock und Rizzo 1994, S. VII). Der eingeschrankte Fokus auf die klassischen Sparten und deren traditionelle
Grundlagen der Kulturokonomik
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Darbietimgsstatten wie Theater und Konzerthauser, Museen und Galerien moge vielleicht fiir einige einen Hauch von Bourgeoisie mit sich fiihren. Dies sei aber vertretbar, da auch bei eingegrenzterer Definition von Kulturokonomik schon geniigend Probleme auftauchten, die der Losung barren (Peacock und Rizzo 1994, S. I ^ . Prinzipiell ist die Kulturokonomik offen fur neue Entwicklungen, verdeutHcht insbesondere an der zunehmenden Einbeziehung der Medienokonomik. Sie wird aber bisher noch iiberwiegend im engeren Rahmen gehalten, das heiBt an der klassischen Sparteneinteilung von Kunst ausgerichtet. Das wird auch im Folgenden weitgehend der Fall sein.
1.2.2 A.nwendungen undYolgen Im okonomischen Beitrag zur Kultur geht es um die Optimierung von Ablaufen unter verschiedenen Aspekten. Optimalitat zu schaffen heiBt, unter Nebenbedingungen zu maximieren. Das betrifft im Einzekien: • den optimalen Einsatz begrenzter Mittel. • die im Rahmen gegebener kiinsderischer Ziele bestmogHche Ausrichtung an Konsumentenpraferenzen. • die Festlegung optimaler Preise, Informations- und Verteilerwege. Kunst, die nicht nur im Verborgenen bliihen will, muss diese Optimierungsablaufe fiiir ihr eigenes Wohl beherzigen. Die Haltung, die die Okonomen bei der Abgrenzung dessen, was als Kunst gelten kann, an den Tag legen, ist bemerkenswert zuriickgenommen. Eine Einmischung in die inneren Ablaufe des Kunstgeschehens wird ausdriickUch abgelehnt. Diese neutrale Position kann dazu beitragen, Angste und Vorbehalte gegeniiber dem okonomischen Ansatz abzubauen und das Misstrauen der Kulturschaffenden zu dampfen. Doch so viel Liberalitat hat auch einen Preis. Die Folgen der weiten Eingemeindung dessen, was Kunst xind Kultur sein konnen - namlich das, was sich selbst darunter versteht - fiihrten einerseits zu einer Ausdehnung des Kulturbegriffs mit gravierenden finanzieUen Folgen. Die Unscharfe des Untersuchungsgegenstandes brachten andererseits Ansatze statistischer Erhebungen, etwa zur Wirtschaftskraft des Kultursektors, zur Beschaftigungszahl und zxam Investitionsvolumen, in Bedrangnis. In seiaer Abhandlung zur Kulturfinanzierung stellt Heinrichs die interessante Hypothese auf, dass ein gewichtiger Anlass fiir die jetzige Misere in der Finanzierbarkeit von Kultur in der Aufblahung des Kulturbegriffs der siebziger Jahre zu sehen sei (Heinrichs 1997, S. 245). Es lasst sich leicht ausmalen, wohin es fiihrt, wenn mit groBziigiger Hand als Kultur geadelt wird, was sich selbst so
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Die okonomische Betrachtung von Kunst und Kultur
positioniert, irnd wenn mit dieser Einstufimg gleichzeitig ein prinzipiellei: Anspruch auf offendiche Mittel verkniipft zu sein scheint. Bei gut gefullten offendichen Kassen, wie es in den siebziger Jahren in der Bimdesrepublik Deutschland der Fall war, wurde dieses Problem zugedeckt. Problematisch warden dann die Folgeanspriiche bei Mittelknappheit. Es zeigte sich, dass nun die traditionellen Kiiltiirinstitutionen in Mitleidenschaft gezogen wurden, da ein Zuriickschrauben von Kultur im weiteren Sinne politisch nicht oder allenfaUs nur partiell durchsetzbar war. Die statistischen Probleme, die die Unscharfe des Kulturbegriffs mit sich bringt, liegen insbesondere auf dem Gebiet der Vergleichbarkeit. National geht es um die Relation zwischen Wirtschaftssektoren, um ihren jeweiligen Beitrag zur Erzielung von Beschaftigung und Einkommen, um den Beitrag der Kulturindustrie zum Bruttoinlandsprodukt. Im internationalen Vergleich interessiert der Stellenwert von Kultur pro Land und Gesellschaft, der sich unter anderem auch daran bemisst, wie viel Mittel die offentliche Hand diesem Bereich zugestehen wiU. Zusammenfassend kann man sagen, dass bei jeder Messung und bei jedem Vergleich von Kulturaktivitat, national wie zwischen Nationen, Vorsicht geboten ist. Dahinter stecken ganz unterschiedHche Griinde. Zum einen variiert die Praxis der Abgrenzung und bringt naturgemaB, auch fur den identischen Untersuchungszeitraum, xinterschiedliche Zahlen hervor. Am weitesten gefasst ist der von der UNESCO gewahlte Kulturbegriff, der neben dem Natur- und Landschaftsschutz auch die Korperkultur, das heiBt die Bereiche Sport und Erholung, in seinen Kennziffern fiiir Kulturausgaben erfasst (van der Beek 2002, S. 24). Andere Indikatoren sind nicht so weitreichend und deshalb auch von geringerem Umfang. Zum anderen ist nicht nur die Abgrenzungsmodalitat, sondern auch der Wunsch zur Prasentation von Macht und GroBe bei der Datenvermehrung im Spiel. Genau so, wie man Eltern stets die schonste Freude machen kann, wenn man das Kind als besonders groB fiiir sein Alter, auf alle Falle groBer als alle anderen einstuft, so mochten wohlmeinende Kulturokonomen den Beitrag von Kunst und Kultur auch quantitativ in den Vordergrund steUen. Beispielsweise werden in die Berechnungen Giiter imd Leistungen einbezogen, die damit nur mittelbar zu tun haben wie Fernseher und Video-Recorder. Dies sei aber, so kritisiert der italienische Okonom Brosio, so einleuchtend, als wollte man den Bau von Autobahnen der Automobilindustrie zurechnen. Damit einher gehe eine Tendenz zur Uberschatzung der okonomischen Bedeutung der Kiinste (Brosio 1994, S. 17).
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Zur Doppelnatur von Kunstgiitern
Die Doppelnatur von Kunstgutern
Kunstgut
Materie ausschlieR.barer Nutzen
Idee nichtausschliefibarer Nutzen
Abbildung 5: Die Doppelnatur von Kunstgiitern
1.3 Zur Doppelnatur von Kunstgutern 1.3.1 Private und offentliche Gutereigenschaften
Das Kunstangebot ist heterogen im Erscheinungsbild, es umfasst sowohl Giiter, wie Biicher oder Bilder, als auch Leistimgen, wie Orchester- oder Ballettauffuhningen (Tietzel 1995, S. 2). Generell warden alle Giiter und Leistungen, die in den Bereichen von Kunst und Kiiltur erstellt werden, als Kunst- oder Kulturgiiter bezeichnet. Trotz seiner auBerlichen Unterschiedlichkeit verfiiigt das Kunstangebot bezuglich seiner Gutereigenschaften iiber einen gemeinsamen Kern. Er ist unter dem Charakteristikum der Doppelnatur bekannt geworden und lasst sich am besten in Gegeniiberstellung seiner privaten und offentUchen Merkmale darstellen. Bin privates Gut zeichnet sich dadurch aus, dass es ausschlieBlich seinem individuellen Nutzer, in der Kegel dem Kaufer, zur Verfiigung steht und ihm, aber sonst niemandem, dient. Man spricht von ausschlieBbarem, rivalisierendem Konsum. Demgegeniiber ist ein offentliches Gut fur die Offentlichkeit da, genauer: es darf und muss von alien gemeinsam konsumiert werden. Ein offentliches Gut beinhaltet die Merkmale, dass von seiner Nutzung niemand ausgeschlossen werden kann und dass der Konsum des Einen den des Anderen nicht beeintrachtigt. Die Finanzwissenschaft spricht hier von nicht-ausschlieBbarem und nicht-rivalisierendem Konsum (vgl. Abbildung 5). Die — wie Miinnich hervorhebt — ansonsten kaum beobachtbare Doppelnatur von Kunstgutern kann folgendermaBen verdeutlicht werden (vgl. Miinnich 1980, S. 18f.): 1) Einerseits prasentieren sich Kunstgiiter als individueUe Prodxikte, vergleichbar mit anderen privaten Giitern. Ein erworbenes Buch oder Bild, ein besetzter Theaterplatz werden ausschlieBlich von seinem Erwerber in Anspruch
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Die okonomische Betrachtxing von Kunst und Kultur
genommen. Ein anderer geht leer aus, wenn die Auflage vergiiffen oder die Auffiihnmg ausgebucht ist. Ein Original kann nicht zweimal verauBert, ein Platz nicht doppelt besetzt werden. Der Konsum ist ausschlieBbar imd rival. 2) Andererseits bringen Kunstwerke sehr oft eine Idee 2um Ausdruck, die xmabhangig von der einzelnen konkreten Ausgestaltung existent ist. Es handelt sich hierbei um den kiinstlerischen Informationsgehalt des Kunstwerkes, etwa die Melodie, das Thema und dessen Bearbeitung, das Motiv. Alle konnen davon profitieren, ohne sich gegenseitig zu behindern, der Konsum ist nichtausschHeBbar und nicht-rival. Die Doppelnatur von individuellem Kimstwerk und kiinstlerischer Information gelte aber, so Miinnich, fiir mehr oder weniger aUe Bereiche der Kunst (Miinnich 1980,S. 18f.). Sehr vergleichbar argumentiert Hutter, der die Kxmst als ein „Kommunikationsphanomen" darstellt (Hutter 1989a, S. 462). Kunstwerke werden als Inhalt und Mittel des Dialogs zwischen verschiedenen Parteien verstanden. Es kommen iiber Kiinst ins Gesprach: • die Kunstler untereinander, • Kunstler und Betrachter, • die Betrachter untereinander, das sind die Kulturkonsumenten. Durch die Informationsfunktion wird das Kunstwerk zu einem Gut mit hohem OffentHchkeitsgrad (Hutter 1989a, S. 462). Was ist daran aber der besonderen Erwahmmg wert, unter Umstanden problematisch? Es ist die okonomische Problematik, die hier ins Spiel kommt (vgl. Andreae 1994, S. 407). Die Theorie offentlicher Giiter zeigt, zu welchen Defiziten das Auftreten von Giitereigenschaften wie Nicht-AusschHeBbarkeit und Nicht-Rivalitat fiihren kann und im Extrem auch fiihren muss (vgl. 2.1.2). Sehr haufig wird dieses Problem mit dem Schlagwort vom Schwarzfahrer, dem Free Rider, sehr plastisch und treffend gekennzeichnet. Der Einzelne hat weder Motivation noch Anlass, sich in einer Situation, in der er von einer NutznieBung eines Angebots sowieso nicht ausgeschlossen werden kann, an irgendwelchen Kosten zu beteiligen. Man spricht davon, dass der Mitfahrer - klug im Sinne der Schonung des eigenen Geldbeutels — eher geneigt ist, seine wahren Praferenzen zu verschleiern xmd heimlich zu genieBen. Dann kostet es ihn auch nichts, he rides afree ticket. Der Anbieter eines Gutes oder einer Leistung mit derartigen Eigenschaften, in unserem Fall der Kunstler oder Kulturschaffende, hat das Nachsehen. Er kann nicht verhindern, dass Leute von seinem Angebot profitieren, ohne etwas dafur zu zahlen. Als mogliche Folge dieser Konstellation wird auf der einen Seite ein drohendes Unterangebot, auf der anderen Seite die Tendenz zur Ubernachfrage gesehen. Das heiBt, dass auf der Produktionsseite eine Unterinvestition, auf der
Zur Doppelnatur von Kunstgiitern
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Nachfrageseite eine Ubernutzung bereits vorhandener Bestande drohen (Hutter 1989a, S. 462).
1.3.2 Kunstguter und sot(iale Werte Kunst imd Kultur bringen eine Fiille ganz unterschiedlicher Nutzen fur den Einzelnen und die Gesellschaft als ganzes. Die teilweise nur sehr schwer quantifizierbaren Wirkimgen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene konnen als soziale Werte betrachtet werden, die in Form von funf verschiedenen, xmtereinander allerdings nicht immer trennscharfen Kategorien betrachtet werden konnen (Pommerehne und Prey 1993, S. 19£; Frey 2001, S. 227). Schon Baumol und Bowen haben in ihrer klassischen Studie auf diese sozial relevanten Werte verwiesen (Baumol und Bowen 1966, S. 382ff.).
(1) Optionswert Entscheidend ist nicht, ob das Individuum das Kulturangebot aktuell nutzt. Wichtig ist, dass ihm diese Option bei Belieben und Bedarf offen steht. Von optional goods spricht man auch im Gesundheits- und Sicherheitsbereich. Dort geht es um Leistungen, bei denen jeder froh ware, er miisste sie nie in Anspruch nehmen etwa die Dienste von Krankenhaus und Feuerwehr - und dennoch die prinzipielle Moglichkeit der Inanspruchnahme als eminent wichtig erachtet.
(2) Existenzwert Dieser Wert steckt beispielsweise in historischen Bauten. Auch wenn sie nicht im strengen Sinne von den Individuen genutzt werden, so haben sie doch einen Wert durch ihr Vorhandensein an sich.
(3) Vermachtniswert Hier geht es um den Erhalt von Kimstwerken fiiir die nachfolgenden Generationen. Sie konnen ihre Wertschatzung heute noch nicht zum Ausdruck bringen, in ihrem Sinne diirfen Kunstrichtungen, auch wenn sie momentan nicht hoch im Kurs stehen, nicht imwiederbringlich verloren gehen.
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Die okonomisdie Betrachtung von Kunst und Kultur
Gesamtgesellschaftliche Wirkungen von Kunst
• Optionswert • Existenzwert • Vermachtniswert • Prestigewert • Bildungswert
Abbildung 6: Gesamtgesellschafdiche Wirkungen von Kunst
(4) Prestigewert Auch die, die sich fiir Kiinst nicht interessieren, erleben deren positiven Prestigewert mid profitieren von der Starkung der kultiirellen Identitat und dem gestiegenen Nationalstolz.
(5) Bildimgswert Kiinstierische Aktivitaten unterstiitzen nicht nur die kulturelle Integration, sie fordern auch die Kreativitat und die Bildung asthetischer MaBstabe (vgl. Abbildung 6). Diese sozialen Werte, die als Grundlage und Legitimation offentlicher Finanzierung von Kunst und Kultur herangezogen werden, sind jedoch in ihrer Wirkungseindeutigkeit relativiert worden. Einerseits sei es richtig, dass kulturelle Identitat als Staatsaufgabe angesehen werden konne und genau so forderungswiirdig sei wie das physische Wohlergehen der Bevolkerung. Andererseits miisse ins Kalkiil gezogen werden, dass Kunst von ihrer Anlage her von internationalem Charakter sei und zu fragen sei, ob man angesichts von Staatszusammenschliissen noch Anstrengungen unternehmen sollte, nationale Identitaten zu fordern (O'Hagan 1998, S. 23). Obwohl nicht zu bestreiten sei, dass Kunst das nationale Prestige fordere, liege hierin doch ein etwas wackliges Argument fiiir die Rechtfertigung staatlicher Kunstforderung. Auch andere Produktionsbereiche und Leistungstrager einer Volkswirtschaft tragen zum Nationalstolz bei, wie etwa die Automobil- und die Computerindusttie (FuUerton 1991, S. 74), Hochtechnologieprodukte wie die Concorde (Peacock 1973, S. 323) oder FuBbaU- und Tennisstars (O'Hagan 1998,
Ansatzpunkte kulturokonomischer Analyse
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S. 25). Trotz der identitatsstiftenden Wirkung auch dieser Personen und Produktionen wikde aber niemand gleich an eine staatliche Subventionierung denken. Genauso wenig wie bei der optionalen Nachfrage in anderen Bereichen. Es sei sicher sehr niitzlich, zu wissen, dass man ein Kulturangebot irgendwann einmal, wenn man Zeit und Lust dazu hatte, auch nutzen konnte. Aber diese Argumentation gelte fur praktisch alle Giiter und Dienste. Auch ein gutes Restaurant, ein Spezialgeschaft oder den Tennisclub wollte man fiir sich selbst oder die Kinder gern erhalten wissen. Aber es sei wohl fraglich, ob daraus ein Argument fur offentliche Unterstiitzung abzuleiten sei (O'Hagan 1998, S. 30). Neben dieser britischen Relativierung der Werte im Einzelnen ist in neuerer Zeit ein genereller Value-Ansatz als Stiitze von Kunst und Kunstpolitik und deren offentliche Finanzierung in die Diskussion eingebracht worden. Der kanadische Okonom Rushton fuhrt aus, dass sich jede Person mit ihrem Charakter, ihrem Selbst nur in Interaktion mit der Kultur, in der sie aufwachst, definieren kann (Rushton 1999, S. 145). Auf der Basis der gemeinsamen kulturellen Grimdlage sei Kultur, deren Erhaltung und Forderung als unverzichtbarer, gewollter, und im Grundsatz nicht zu hinterfragender Wert akzeptiert und sanktioniert. Auf derselben linie liegt die Argumentation des hollandischen Wissenschafders Klamer, der den Wert von materiellen Kulturgiitern als untrennbar verbunden mit dem Niveau immaterieller Kulturiiberzeugungen eines Landes bzw. einer Gesellschaft versteht (Klamer 1997, S. 75). Die Frage bleibt allerdings, ob mithilfe dieser generalisierten Wertzuschreibimg nicht doch wieder ein Riickschritt in die auBerokonomische Sphare gemacht wird: Sind Kxmst und Kultur also doch generell a good thin^ Dem steht, wie anfanglich ausgefuhrt, gegeniiber, dass eine pauschal verfugte Sakrosanz kultureller Aktivitaten auch der Kultur selbst nicht hilft. Es mag richtig sein, dass Individuen eine diffuse, individuell weder genau erklarbare noch bezifferbare Wertigkeit von Kunst und Kultur empfinden. Dennoch obliegt es jedem Einzelnen, inwieweit er fiiir Kultur optiert, auch wenn er moglicherweise gar nicht genau weiB, warum er Kultur gefordert sehen mochte. Bei diesem Procedere bleibt der individuelle Ansatz bestehen, auch wenn die Einbettung des Individuums in Gesellschaft und Kultur nicht zu libersehen ist.
1.4 Ansatzpunkte kulturokonomischef Analyse 1.4.1 Volks- und hetriehsivirtschajtliche Schwerpunkte GemaB der klassischen wirtschaftswissenschaftlichen Unterteilung kann das Untersuchungsobjekt Kunst bzw. Kultur unter einer volkswirtschaftlichen und un-
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Die okonomische Betrachtung von Kunst und Kultur
Kultur in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
Betriebswirtschaftliche Perspektive
Volkswirtschaftliche Perspektive Offentliche Aufgabe und Finanzierung Markte und Wettbewerbsbedingungen
Beschaftigungsund Multiplikatorwirkungen
Marketing
X
Personal
/ /
\ Finanzierung Kontrolle
Organisation
Abbildung 7: Kultur in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive
ter einer betriebswirtschaftlichen Perspektive betrachtet werden (vgl. Abbildimg 7). Schwerpunkte der Diskussion bei volkswirtschaftlicher Betrachtung liegen in Fragen der offentlichen Finanzierung in Anbetracht offentlicher Giitereigenschaften und unter Kalkulation gesamtgesellschaftlicher Wirkungen. Im Grundsatz gilt als vollig unstrittig, dass die Forderung von Kunst und Kultur zum klassischen Kanon offentlicher Aufgaben gehort und deshalb auch mit angemessener finanzieller Unterstiitzung rechnen dar£ AUerdkigs gibt es keine fiir alle Zeiten festgezurrten, iHiverbriichHchen Anspriiche. Kulturjfinanzierung steht in Konkurrenz zur u.a. Gesxindheits-, Bildimgs- und Forschungsforderung. Die Mittel, die fiir den einen Bereich ausgegeben werden, stehen fiir die Unterstiitzung der anderen nicht mehr zur Verfiigung. Die aus Sicht der Kunstschaffenden verstandlicherweise als lastig empfundene Diskussion um offentliche Unterstiitzung ist aus diesem iibergeordneten Blickwinkel heraus ein Gebot von Fairness und Effizienz. Offentliche Aufgaben entstehen immer dann, wenn eine Fehlallokation von Ressourcen droht, das heiBt wenn die der Volkswirtschaft nur begrenzt zur Verfiigung stehenden Mittel nicht so aufgeteilt werden, dass sie bestmogHch die Wiinsche der Bevolkerung erfiillen helfen. Man spricht dann davon, dass der Markt versagt. Dies ist bei der schon angeschnittenen Problematik offentlicher Giiter der Fall. In der Extremsituation des rein offentlichen Gutes — hierauf wird im Folgenden noch naher eingegangen (vgl. 2.1.2) — kommt ein Angebot nur dann zustande, wenn eine Person, Gruppe oder Institution die Initiative ergreift und fiir die anderen mitdenkt und handelt. Das kann, muss aber keinesfalls der Staat sein. Er besitzt aufgrund seiner
Ansatzpunkte kulturokonomischer Analyse
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hoheitlichen Rechte zwar das konkurrenzlose Privileg, die Finanzierung eintreiben zu dikfen. Private kollektive Aktionen sind demgegeniiber auf den guten Willen iind die freiwillige Selbstverpflichtung ihrer Mitglieder und Gonner angewiesen. Man muss jedoch kein kiihner Prophet sein um vorherzusagen, dass in Zeiten knapper Staatskassen diese Initiativen an Bedeutung gewinnen werden iind miissen, sollen die offentlichen Aufgaben nicht Not leiden. Die betriebswirtschaftliche Perspektive einzunehmen heiBt, Kulturmanagement vor Ort betreiben zu helfen. Dazu gehoren alle klassischen Bereiche der Unternehmensfuhrung wie Organisation, Finanzierung, Kontrolle, Personal und Marketing. Die Marketingaktivitaten konnen nach den „4P's" unterteilt werden in products price, placement \xmdi promotion. Wie jede andere Unternehmung audi muss sich auch die kulturelle Institution um das von ihr angebotene Produkt, um seinen Preis, seine Platzierung und werbliche Vermarktung kiimmern. Doch zeigt sich gerade an diesem Beispiel sehr deutlich, wie stark im kulturellen Bereich die Uberlappungen zwischen einzel- und gesamtwirtschaftlicher Betrachtung sind und auch sein sollen. Angebots- und Preisgestaltung miissen auch den offentlichen Anforderungen Rechnung tragen und konnen nicht wie bei privaten, ausschHeBlich auf individuellen Nutzen ausgerichteten Giitern, kalkuliert werden.
1.4.2 Die Ansatt(punkte im tjherhlick Aus diesem Grunde ist es angezeigt, die Separierung zwischen volks- und betriebswirtschaftlicher Perspektive zugunsten eines Angebots-Nachfrage-Schemas aufzugeben. Dieser Einteilung folgt auch die Darstellung im Weiteren. Nach der Darlegung der kulturokonomischen Grundlagen im ersten Kapitel wird sich das zweite Kapitel mit der Koordination von Angebot und Nachfrage auf Markten qua Preismechanismus sowie den notwendigen erganzenden staatlichen MaBnahmen bei Auftreten von Marktversagen beschafdgen. Das dritte und vierte Kapitel untersuchen die okonomischen Besonderheiten und das Verhalten der Marktteilnehmer bei Angebot und Nachfrage von Kultur. Analysiert werden beispielsweise die Wirkiingen des Kulturangebots in der Gesamtwirtschaft, in der Region oder vor Ort. Untersuchungsfragen auf der Nachfrageseite gelten etwa den Konsumentscheidungen und den Moglichkeiten der Verwirklichxmg von Konsumentensouveranitat, den Zahlungsbereitschaften oder den Nutzerstrukturen. Das flinfte Kapitel bringt Beispiele aus der angewandten kulturokonomischen Analyse. Es zeigt, inwieweit Kulturinstitutionen gewinnen, wenn sie sich den neuen Ansatzen offnen, den Kulturkonsumenten in den Mittelpimkt riicken und alternativen Finanzierungswegen Raum geben. An dieser SteUe wird aber auch
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Die okonomische Betrachtung von Kunst und Ktiltur
Ansatzpunkte kulturokonomischer Analyse
1 - Kunstler - Galerien, Auktionshauser - Kunsthandel, Kaufhauser - Sammlungsauflosungen
- Museen - Theater - Verlage - Medienindustrie - Kunstkritik - Wissenschaft
- Private Sammler - Offentliche Stellen - Unternehm. Sammler
1 - Kunstkonsumenten - Staat, Offentliche Stellen - Unternehmen
Abbildung 8: Ansatzpunkte kulturokonomischer Analyse
deutlich, wo weiterer Forschungsbedarf herrscht. Im abschlieBenden sechsten Kapitel geht es um die Konsequenzen fiif Kunst und Kultur. Was muss konkret fur die Forderung von Kiilturangebot und Kulturkonsum getan werden, welche Auswege aus der Finanzierungskrise deuten sich an? Ein zusammenfassendes Fazit bildet den Abschluss. Abbildung 8 gibt einen Uberblick liber mogliche Schwerpunkte kunstokonomischer Forschung. Den Anbietern stehen die Nachfrager von Kunst und Kultur gegeniiber. Die Abgrenzung des Untersuchungsbereichs folgt der schon beschriebenen klassischen thematischen Einteilung, das heiBt es geht primar um das Angebot von und die Nachfrage nach Kunst in den Sparten darstellende und bildende Kunst, Musik und Literatur. Doch wer tritt als Anbieter, wer als Nachfrager in Erscheinung, und was wird im einzelnen gehandelt? Hier wird vorgeschlagen, als strukturierende Elemente die Schwerpimkte Materie versus Idee sowie Original versus Vervielfaltigung zu nutzen (vgl. hier und im Folgenden Gottschalk 2004, S. 237ff.).
(1) Materie versus Idee Die Doppelfunktion eines Kunstgutes entsteht daraus, dass in der Kegel ein und dasselbe Gut ausschlieBbarenundnicht-ausschlieBbarenNutzen verkorpert. Ein Gemalde umfasst den aUeinigen Nutzen des Besitzes fiir den Erwerber, aber gleichzeitig auch den allgemeinen Nutzen des kiinstlerischen Informationsgehalts fur die Gesellschaft insgesamt. Es kann aber, je nach Angebots- und Nachfragekonstellation, mehr der eine oder mehr der andere Aspekt im Vordergrund stehen. Eine Galerie, die Bilder
Ansatzpunkte kulturokonomischer Analyse
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verkauft, offeriert in erster Linie die AusschlieBbarkeit, hier mit Materie bezeichnet. Ein Museum, das Bilder ausstellt, bietet die unteilbare kiinstlerische Idee von der alle profitieren, die die gesamte Kulturgemeiade aufiaehmen, genieBen, nachahmen kann. Dasselbe gilt etwa fiir die Noten im Original und die Musik, die damit gemacht wird.
(2) Original versus Vervielfaltigung Dem Unikat des Kunstwerkes stehen Kopien des Originals gegeniiber, teilweise sind es unendUch viele. Die Kiinstler selbst haben aber dafur gesorgt, dass auch die Vervielfaltigungen, sogar bis bin zu Fertigwaren, Readymades, als Kunstwerke anerkannt und geachtet werden. Auch bei der Kunst als Idee kann man sich eine Unterscheidung in Angebot und Nachfrage des Originals auf der einen, Vervielfaltigung auf der anderen Seite vorstellen. Beispiele fiir die Idee im Original sind AussteUungen. Die Ausstellungskataloge sind dagegen die repHzierten, auch einem abwesenden Publikum zugangHchen „Bilder einer Ausstellung". Anbieter von Kunst als Materie sind gemaB Abbildung 8 alle, die Kunst prodiizieren oder besitzen und damit handeln wollen. Das sind in erster Linie die Kiinstler selbst sowie die sie vertretenden Agentxiren und Galerien. Kunst wird aber auch von privaten Haushalten, aus Familienbesitz oder dem Sammlerfundus, angeboten, oder aber von Unternehmen xmd staatlichen Institutionen, die Depots teilweise oder ganzHch auflosen, in den Markt gegeben. Neben dem Angebot von Oiiginalen existiert der Markt der Vervielfaltigungen, der insbesondere vom Kunsthandel bis hin zu den Kaufhausern bedient wird. Als Anbieter, die ihren Schwerpxinkt auf die Verbreitung von Kunst als Idee legen, miissen insbesondere Museen und Theater, Opern- und Konzerthauser genannt werden. Sie sorgen durch AussteUungen, Auffuhrungen und Konzerte dafiir, dass der geschaffene, einmalige kiinstierische Informationsgehalt an die Offentlichkeit weitervermittelt wird. Ein noch breiteres Publikum erfahrt von dieser Idee dxirch die Vervielfaltigungsmoglichkeiten der Verlage, der Medienindustrie generell. Die Kunstkritik und die Kunstforschung, die sich dieser Kanale bedienen und u.a. Interpretationshilfen liefern imd zusatzUche Auslegungen beisteuern, erweitern den Aktionsradius von Kunst als Idee. Die hier vorgeschlagene, breite Auslegung fiir die Gruppen, die als Kimstanbieter verstanden werden sollen, steht in Einklang mit der liberalen kulturokonomischen Definition, dass als Kunst gelten soU, was sich selbst als Kunst versteht. Entsprechend konnte man fortfahren, dass auch die Anbieter von Kunst sich selbst dazu erkla-
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Die okonomische Betrachtung von Kunst und Kultur
ten. Dennoch konnte diese weite Abgrenzung Anlass zu Missverstandnissen geben. Auch die Kunstrezensenten imd die Kunstwissenschaftler finden sich in Abbildimg 8 wieder. Sind wir also doch alle Kiinsder? Diese Frage ist, trotz der Anspielung auf den bekannten Ausspruch von Joseph Beuys, in dieser Form sicher zu verneinen. Konsensfahig aber diirfte sein, alle diejenigen, die zum Thema Kxrnst einen Beitrag mit ihren Mitteln leisten, als Kulturschaffende, Kulturvermittler oder Kunstlobbyisten zu bezeichnen. Als Nachfrager von Kunst in Form von Materie sind in erster Linie die privaten Sammler zu nennen. Das sind nicht selten, wie aus der Kiinstgeschichte auch bekannt, die Kiinsder selbst, die einen Blick fur herausragende Werke haben. So hat u. a. Picasso fiir sich iind seine Familie fruhzeitig eine Sammlung von Cezanne aufgebaut. Als Sammler treten aber auch der Staat, beispielsweise durch Kunst in und an offentlichen Bauten, und die Unternehmen in Erscheinung. Dieselben Gruppierungen treten auch als Nachfrager von Kunst als Idee auf. Die Kunstkonsumenten sind diejenigen, an die sich das Kxmstangebot letztHch richtet, die GenieBer von Kunst. Zu ihrer Unterstiitzung wird die staatliche Hand oder werden auch Unternehmen aktiv, die beispielsweise dxirch Bereitstellung der Bildungseinrichtungen (z.B. Volkshochschulen), durch spezielle Angebote (etwa Museumspadagogik) oder Sondervorstellungen fiir Mitarbeiter Nachfrage im Sinne der Begiinstigung von Kulturkonsumenten schaffen. Fiir jedes genannte Stichwort, sei es auf der Angebotsseite oder der Nachfrageseite, lassen sich wichtige und interessante kulturokonomische Untersuchungsbereiche abstecken. Als Schwerpunkte moglicher Untersuchungen, von denen im Folgenden nur ein Ausschnitt bearbeitet werden kann, seien beispielhaft genannt: 1) Entwicklung von Kiinstlereinkommen 2) Marktmacht von Galerien 3) Auktionen und internationaler Handel mit Kunstwerken 4) Kunst als Anlageobjekt: Preise und Renditen 5) Theater- und Museumsmanagement 6) AussteUungswesen, Ausstellungsfinanzierung 7) Festspiele und Festivals 8) Kunst im Unternehmen 9) Kunst als offentUche Aufgabe 10) Verhalten von Kunstkonsumenten 11) Wechselwirkungen zwischen Kiinst und Wirtschaft 12) Wertschopfimg des Kultursektors.
Ansat:2punkte kulturokonomischer Analyse
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Literatuf zut Vettiefung und zum Weitetlesen Boulding, Kenneth E. (1977). Notes on goods, services, and cultural economics. Journal of Ciiltural Economics, Band 1. S. 1-12. Prey, Bruno S. (2003). Arts and economics. Analysis and cultural policy. Second Edition. Berlin: Springer. Daraus: Chapter 2, Art: The economic point of view. S. 19-34. Gafgen, Gerard (1992). Die Kunst der Okonomie am Beispiel der Okonomie der Kunst. Homo oeconomicus. Band IX(2). S. 171—193. Hutter, Michael (1994). Stichwort: Kulturokonomik. In: H. Rauhe und C. Demmer (Hrsg.). Kulturmanagement. Berlin: de Gruyter. S. 57-71. Pommerehne, Werner W und Bruno S. Frey (1993). Museen und Markte. Ansatze einer Okonomik der Kunst. Miinchen: Vahlen. Daraus: Kapitel 1: Kunst aus Sicht des Okonomen. S. 2—16. Scitovsky, Tibor (1989). Culture is a good thing: A welfare-economic judgment. Journal of Cultural Economics, Band 13. S. 1—16.
2 Markte und Markteingriffe bei Kunstgiitern
2.1 Das Entstehen von Markten 2.1.1 Die unsichthare Hand Dem klassischen Okonomen Adam Smith, der mit seinem 1776 veroffentlichten Werk: An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations okonomische Geschichte geschrieben hat, verdanken wir, dass ein erstaunliches Phanomen einen Namen bekommen hat: The invisible hand of the marketplace (Smith 1776/1974). Die unsichtbare Hand ist das zentrale Kennzeichen einer Marktwirtschaft geworden. Das Verbliiffende ist, dass der einzelne Marktakteur weder die Allgemeinheit im Sinn hat, noch genau weiB, wie er positiv im Gemeinwohl wirken konnte, aber dennoch dutch seine individuelle Entscheidimg sich selbst und dem allgemeinen Interesse dient. Es ist, als wiirde der individuelle Entscheidungstrager wie mit einer vmsichtbaren Hand zu einem Beitrag okonomischer Wohlfahrt gefiiihrt, den er jedoch gar nicht ausdriicklich beabsichtigt hat (vgl. Mankiw 1998, S. 145). Wie kommt es zu diesem Effekt, was steht hinter dem Wirksamwerden der unsichtbaren Hand mit der Folge, dass die knappen Ressourcen effizient, das heiBt so verteilt werden, dass sie bestmoglich fiiir die Erfullung der Wiinsche der Bevolkerimg sorgen? Die wesentlichen Kriterien in diesem Prozess sind die Markte mit freiem, ungehindertem Marktzugang, die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit von Anbietern und Nachfragern, die im Wettbewerb untereinander stehen, sowie der Preismechanismus. Zusammen genommen bilden sie die Wirtschaftsordnung der freien Marktwirtschaft, die durch Einbau von sozial stiitzenden Elementen wie Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zur sozialen Marktwirtschaft wird. Markte entstehen dort, wo Anbieter imd Nachfrager aufeinander treffen. Das konnen reale, iiberschaubare Markte sein, auf denen sich die beiden Parteien von Angesicht zu Angesicht gegeniiberstehen xind direkt verhandeln, zxim Beispiel auf einem Wochenmarkt. Moglich ist aber auch die Koordination iiber fiktive, virtuelle Markte, etwa bei der Borse, bei Telefonauktionen oder dem Interneteinkauf Die geforderte Konsumfreiheit steht fiir die Moglichkeit, dass Verbraucher die ihnen zur Verfiigung stehenden Mittel gemaB ihren Wiinschen ausgeben konnen. Das Vorliegen von Konsumfreiheit ist eine Vorbedingung fiir die als okonomisches
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Grundprinzip im ersten Kapitel schon angesprochene Konsumentensouveranitat, das ist die Vorstellung, dass letztendlich die Produktion gemaB den Praferenzen der Konsumenten gestaltet sein soil. Der Konsumfreiheit steht ein vergleichbares Recht auf Seiten der Anbieter - die Angebotsfreiheit - gegeniiber. Angebotsfreiheit bedeutet, dass die Anbieter gemaB ihren Ideen und erwarteten Absatzchancen Giiter imd Leistungen am Markt zur Disposition stellen diirfen. Durch die Reaktionen der Nachfrager auf dem Markt entscheidet sich dann, ob das vorgeschlagene Angebot angenommen wird oder nicht und vielleicht eher der Vorschlag des konkurrierenden Mtbewerbers akzeptiert wird. Dass die Konkurrenz freien Zutritt auf dem Markt hat, ist dabei eine wesentliche Voraussetzung. Die letztendliche Abstimmung auf den Markten, das heiBt die Koordination der Einzelplane, erfolgt qua Preismechanismus, mit dessen Hilfe Angebot und Nachfrage in ein Gleichgewicht gebracht werden. Der Preis gilt als Indikator fiir Knappheit und Begehrlichkeit. Der Preismechanismus steuert iiber die Hohe des Preises die Entscheidungen iiber Angebot und Nachfrage und bringt sie in ein Gleichgewicht. Wenn die genannten Bedingungen in der Volkswictschaft herrschen und die knappen Produktionsmittel bzw. Ressourcen letztlich so aufgeteilt sind, dass eine Umverteilung bzw. Reallokation keine bessere Befriedigung der Wiinsche der Bevolkerungmit sich brachte, dann spricht man davon, dass die gesamtwirtschaftliche Effizienzbedtngung erfiillt ist (Mankiw 1998, S. 145). Dies ist der Zustand der Allokationseffizienz. Es versteht sich von selbst, dass durch die aufgefiihrten Kdterien Idealzustande umschrieben werden, die als Leitmotiv dienen konnen, aber eher seiten in Reinform in der Wirklichkeit zu finden sind. Stattdessen kommt es zu MarktunvoUkommenheiten, die, je nach Schwere ihrer negativen Wirkungen, auch der Korrektur bediirfen konnen. Die Frage ist, wann die sichtbare Hand des Staates eingreifen sollte und inwieweit die damit verbundenen Wirkungen ihrerseits geeignet sind, die Schwachen des Marktes auch wirklich zu beheben.
2.2.1 Guterkategorien und Marktversagen Zu den verschiedenen Anlassen, die ein Versagen des Marktmechanismus auslosen konnen, gehort auch die offentliche Giiterproblematik. Grundlegende Hinweise gibt die okonomische Theorie offentHcher Giiter, die unterschiedHche Konstellationen von Offentlichkeit oder Privatheit eines Gutes ausweist. Auf dieser Basis werden im Folgenden einzelne Giiterkategorien voneinander abgegrenzt. Im Extrem gelten die polaren FaUe spezifisch bzw. rein offentlicher Giiter auf der einen und rein privater Giiter auf der anderen Seite. Sie unterscheiden sich durch die
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Markte und Markteingriffe bei Kunstgiitern
schon beschriebenen charakteristischen Merkmale der (Nicht)AuschlieBbarkeit iind der (Nicht)Rivalitat. Im Fall des ausschlieBbaren, rivalisierenden Nutzens kann der Markt das Giiterangebot und dessen optimale Verteilung bewerkstelligen. In der gegenteiligen Situation, in der niemand vom Konsum ausgeschlossen werden kann und die NutznieBung des einen die des anderen nicht beeintrachtigt, gilt diese Losung als wenig wahrscheinlich. Man spricht davon, dass unter diesen Umstanden ein Marktversagen entsteht. Plintergrund ist das aus individueller Sicht rationale Handeln des Einzelnen. Wer von einem Konsum, den er insgeheim wiinscht, sowieso nicht ausgeschlossen werden kann, sieht aus seiner personlichen Warte auch keinen Anlass, seine Praferenzen zu offenbaren und das Risiko zu laufen, um Mitfinanzierung gebeten zu werden. Die Konsumenten agieren als Free Rider, die sich auf Kosten der anderen bereichern wollen. Wenn aber viele so denken und handeln, dann kommt ein Angebot nicht zustande, zumindest nicht im wohlfahrtsokonomisch gewiinschten Umfang, das heiBt in dem AusmaB, das den eigentlichen Konsumentenwiinschen entspricht. Mit welch hoher Wahrscheinlichkeit das Optimum bei rein offentlichen Giitern verfehlt wiirde, wird auch dadurch betont, dass das Schwarzfahrerverhalten nicht nur vorhergesagt, sondern gleichsam sogar gerechtfertigt wird. Die NichtAusschlieBbarkeit vom Konsum beinhaltet die technische Voraussetzung zur Mitnutzung ohne Beteiligung. Die Nicht-Rivalitat bedeutet, dass es auch ineffizient ware, jemanden nicht mitprofitieren zu lassen, der dies ohne EinbuBe fur die anderen, ja ohne dass die Mitkonsumenten dies iiberhaupt bemerkten, tun konnte. Unter wohlfahrtsokonomischen Aspekten, das heiBt unter Einbeziehung des Gesamtnutzens fiir die Bevolkerung, ist ein individueller Nutzenzuwachs dann wohlfahrtssteigernd, wenn das eine Wirtschaftssubjekt besser, das andere aber nicht schlechter gestellt wird. Und letzteres ware ja bei einem ansonsten folgenlosen Mitkonsumieren des offentlichen Gutes nicht der Fall. Die politisch umsetzbaren Empfehlungen aus diesen grundsatzlichen Uberlegungen sind jedoch weit weniger plakativ, als es den Anschein haben konnte. Es ist u. a. zu fragen, wer denn beim Auftreten von offentHchen Giiterphanomenen den Markt ersetzen soil und wie bedeutsam die Extremsituation rein offentlicher Giiter iiberhaupt ist.
(1) Wer soil die offentlichen Giiter bereitstellen? Die Assoziation, dass offentlich gleich staatlich sei, scheint nahe zu liegen, aber sie ware zu einseitig. Der Staat kann, aber er muss nicht der offentliche Anbieter
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sein, zumindest nicht in alien Facetten beziiglich Produktion, Kontrolle, Verteilung. Richtig ist aber, dass die offentiichen Gutermerkmale eine Gemeinschaftsaufgabe konstituieren. Eine staadiche Institution muss nicht in jedem Fall dieser Gemeinschaft vorstehen, es kann sich auch um eine private Initiative handeln.
(2) Welcher Art ist die Mehrzahl offentlicher Giiter? Die meisten offentiichen Giiter sind nicht von extremem Charakter. Das fallt schon auf an dem Mangel an Beispielen, die in den finanzwissenschaftHchen Lehrbixchern zu iinden sind. Die immer wieder zitierten Klassiker sind der Rechtsschutz und die nationale Verteidigung. Das Kunstklima ware ein vergleichbares Beispiel aus dem Bereich Kunst und Kultur. Bei diesen spezifisch offentiichen Giitern bzw. pure public goods herrschen vollstandige Nicht-AusschlieBbarkeit und Nicht-Rivalitat, das heiBt niemandem kann das Mitkonsumieren verweigert werden. Umgekehrt ist auch niemand in der Lage, sich selbst auszuschlieBen. Ware ein Burger nicht einverstanden mit der offentiichen Guterbereitstellung, dann bliebe ihm nur die Unterstiitzung der Fundamentalopposition mit der Hoffnving auf einen Wechsel bei der nachsten Wahl, oder, als letzte Moglichkeit, das Auswandern. Doch in der Wirklichkeit kommen diese rein offentiichen Giiter eher selten vor. Haufiger sind die zwischen privaten und offentiichen Giitern angesiedelten Mischgiiter, die mixed goods. Man kann sie sich auf einem Kontinuum zwischen den beiden Extrempolen privat und offentlich vorsteUen. AUe drei Giiterkategorien, die privaten, die gemischten, die offentiichen Giiter lassen sich auf diesem Kontinuum mithilfe des Phanomens der extemen Effekte darstellen. Exteme Effekte sind positive oder negative Einfliisse, die durch die Produktion oder den Konsum eines Verursachers auf Dritte iibergehen, ohne am Markt entgolten imd in Rechnung gestellt zu werden. Ein Beispiel fiir das Auftreten von externen Effekten bei Kulturgiitern ware ein Open-Air-Konzert. Es erfreut auch diejenigen, die in der Umgebung wohnen und nicht zu den Besuchern zahlen - sofern sie tatsachlich iiber die ungeplante Beschallung erfreut sind. Fiir diejenigen, die das Konzert als Larmbelastigung empfinden, wird aus dem positiven ein negativer externer Effekt, ein offentiiches Argernis. Ein anderes Beispiel bietet sich im Bereich von Architektur und Kimst am Bau bei offentHchen oder privaten Gebauden. Auch hier gilt, dass je nach Freude oder Ablehnung ein externer Effekt positiver oder negativer Auspragung zu verbuchen ist, der nicht verrechnet wird. Generell gilt, dass das Auftreten von externen Effekten bzw. Externalitaten Wirkungen nach sich zieht, die den fiir offentliche Giiter charakteristischen Merkmalen gleichen.
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•
Markte und Markteingriffe bei Kunstgiitern
Nicht-AusschlieBbarkeit und Nicht-Rivalitat sind kompatibel mit externen Effekten des Angebots. 1st das Angebot vorhanden, das den externen Effekt entfaltet, dann konnen auch Dritte davon profitieren, ohne dass es zu verhindern ware, aber auch ohne dass es schadet. Diese Wirkung gilt beispielsweise, wenn auch nur lokal begrenzt, bei einem Feuerwerk. Auch die umliegenden Gemeinden konnen sich daran erfreuen, ohne den Genuss der Veranstalter zu schmalern. • Auch in Folge von externen Effekten des Konsums konnen NichtAusschlieBbarkeit und Nicht-Rivalitat auftreten. Wenn sich zum Beispiel eine hinreichend groBe Anzahl von Personen impfen lasst und damit eine Epidemic verhindert, dann sind auch die geschiitzt, die sich nicht impfen lieBen. Der Grad an Offentlichkeit, der einem Gut zugeschrieben wird, muss aber noch durch ein weiteres Kriterium bestimmt werden. Dabei handelt es sich um die soziale Relevanz des externen Effektes. Nur bei Vorliegen von sozialer Bedeutsamkeit ist eine offentliche Aktivitat iiberhaupt zu rechtfertigen. Bei rein privaten Giitern ist das nicht der Fall. Auch sie konnen externe Wirkungen nach sich ziehen, seien sie physischer oder psychischer Natur, materielle Vor- oder Nachteile oder innere Freude oder Arger. Wir leben in einem „dichten Gestriipp externer Effekte", doch bedeutet dies keinesfalls, dass wir alle Externalitaten iibereinstinimend, das heiBt in einem politischen Konsens, als gesellschaftHch relevant ansehen (Endres 1994, S. 14). In Kombination der beiden Merkmale, dem Auftreten des externen Effektes und der poHtisch bestimmten sozialen Relevanz, zeigt sich deshalb das Giiterkontinuum in Abbildung 9. Die Eckpole sind angezeigt durch die rein privaten Giiter, die keine sozial relevanten externen Effekte beinhalten, und die spezifisch offentUchen Giiter mit vollkommen sozial relevanten externen Effekten. Dazwischen liegen die Mischgiiter mit partiellen Externalitaten. Sie tendieren entweder mehr zum spezifisch offentHchen oder mehr zum rein privaten Gut oder nehmen tatsachlich eine Mittelposition ein. Das gemeinsame Merkmal der drei Giiterkategorien private, gemischte und offentHche Giiter liegt in ihrem Beitrag zur Erfiillung des Konsumentensouveranitatspostulats, das im Zentrum marktwirtschaftHcher Ordnungen steht. Je mehr aber Giiter die Merkmale eines offentlichen Gutes aufweisen, desto wahrscheinlicher ist, dass der Markt versagt. Er kann dann nicht mehr fiir das Angebot sorgen, das die Verbraucher eigentlich wiinschen, Konsumentenpraferenzen wiirden sich nicht durchsetzen. Ersatzweise springt der Staat ein, unter Umstanden auch eine private Initiative, um den Konsumentenpraferenzen eben doch Geltiing durch ein adaquates Angebot zu verschaffen. Bei Kunstgiitern treten die Merkmale offentlicher und privater Giiter sehr haufig gemeinsam auf, so dass der typische Mischgutfall gegeben ist. Das gilt bei Kunstwerken, die einerseits dem privaten Kaufer ausschlieBUch zur Verftigung
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Das Entstehen von Markten
Guterkategorien und externe Effekte
Meritorische Guter sumentensouveranitat
rein private Guter
Mischgiiter
keine / sozial irrelevante externe Effekte
spezifiscii dffentliclie Guter
vollkommen sozial relevante externe Effekte
Abbildung 9: Guterkategorien und externe Effekte
stehen, aber andererseits allein dadurch, dass die Offendichkeit von ihnen Kenntnis bekommen hat. Inspiration und Kceativitat in die Gesellschaft tragen. Davon profitieren dann alle, etwa im Bereich Design und Mode oder durch das Kunstklima insgesamt. Auch beim Konsum von Dienstieistungen der Kunst, beispielsweise bei einem Theater- oder Museumsbesuch, kommt es 2u individuellem, ausschlieBbarem, und spatestens dann, wenn alle Platze besetzt sind oder die Aussicht auf die Exponate durch Menschenandrang versperrt ist, auch zu rivalisierendem Konsum. Gleichzeitig entstehen in Folge der Prasenz der Kulturinstitution positive externe Nutzen, die sich in der kulturellen Infrastruktur widerspiegeln und iiber die individuelle NutznieBung hinausgehen. Einen Spezialfall stellen die meritorischen Giiter dar, die eine Sonderrolle beziiglich ihrer normativen Begriindbarkeit spielen. Meritorische Giiter sind „gute" Giiter, ihr Gegenpart, die dementorischen Giiter, sind „schlechte" Giiter. Die einen werden nach Meinung derjenigen, die es besser zu wissen glauben, zu wenig, die anderen zu viel konsumiert. Der Wissensvorsprung wird der offentlichen Hand zugebilligt. Dort sitzt die besser informierte Gruppe, die beispielsweise weiB, dass es vorteilhaft fiiir das Individuum und die Gemeinschaft ist, sich impfen zu lassen oder fiir das Alter vorzusorgen, dass es aber schadlich ist, Drogen zu nehmen, Alkohol zu trinken xind zu rauchen. Kraft Amtes gelingt es den vermeintlich besser Informierten, den Mehr- oder den Minderkonsum durchzusetzen oder zumindest in die gewiinschte Richtung zu lenken, und zwar durch Gebote oder Verbote oder auf dem Wege von Besteuerung oder Subventionierung. Fiir den kulturellen Bereich konnte der Staat in seiner Rolle als Besserwisser beispielsweise verfugen, dass es fiir die Bevolkerung von Vorteil sei, mehr klassische
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Markte und Markteingriffe bei Kunstgiitern
Meritorische Guterarten \^
sozial relevante \Effekte KonX: sumenten- ^ \ souveranitat \^
nicht gegeben
partiell
angestrebt
rein private GiJter
Mischguter
spezifisch offentliche GiJter
meritorische IVlischguter
meritorisciie offentliche GiJter
\,
nicht angestrebt
X
total
Abbildung 10: Meritorische Guterarten
Musik 2u horen und stattdessen den Genuss von Pop-Musik einzuschranken xind den offendich-rechtlichen Sendern entsprechende Auflagen machen. Die klassische Musik ware in diesem Beispiel das meritorische Gut, die Pop-Musik das demeritorische Gut. Wie generell im Zuge von meritorisierenden oder demeritorisierenden MaBnahmen wiirden die staatlichen Plantragern dabei bewusst in Kauf nehmen, dass die Konsumenten selbst die ihnen verordneten Korrekturen ihres eigentlich beabsichtigten Handelns - namlich vergleichsweise mehr U-Musik als E-Musik zu horen — nicht wiinschen. Aus die sen Griinden sind die meritorischen Giiter, wie Abbildung 9 auch zeigt, von den anderen Giitern durch die Barriere der Konsumentensouveranitat abgegrenzt. Wie gerade beschrieben, liegt das in ihrer Natur: Meritorische Giiter sollen in Konsumentenpraferenzen eingreifen, das Souveranitatspostulat bewusst auBer Kraft setzen. Da dieser Ansatz sehr haufig als Beleg fiir das staatHche Eingreifen im Kulturbereich benutzt wird, soil er im Folgenden noch naher betrachtet werden. In der Giitermatrix von Abbildung 10 haben die meritorischen Giiter ihren Platz in der zweiten Reihe, namlich dort, wo Konsumentensouveranitat von vornherein nicht angestrebt wird. Das setzt sie in Gegensatz zu den Kategorien privater, gemischter und offentlicher Giiter. Meritorische Giiter werden bereitgestellt, obwohl sie gerade nicht gewiinscht werden. Ein derartiges Vorgehen stellt das Souveranitatspostulat auf den Kopf. Hintergrund ist die Vorstellung, dass die Menschen oft nicht wissen, was gut fiir sie ist. Das weiB in diesem Ansatz aber die besser informierte Gruppe: Meritorische Giiter sind Giiter mit verkannten Verdiensten, deren wahrer Wert nur den besser Informierten bekannt ist.
Das Entstehen von Markten
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Diese Diskussion hat eine lange Tradition und ist letztlich bis heute noch nicht abgeschlossen. Als Begtiff erdacht und als Konzeption in den fiinfziger Jahren des letzten Jahrhunderts durch den deutschstammigen Finanzwissenschafder Richard Musgrave vorgestellt, wurde sie insbesondere von der deutschen Finanzwissenschaft aufgegriffen und sorgte fur heftige Dispute (Musgrave 1956/57). Es wurde nicht im Grundsatz bestritten, dass es Situationen gibt, in denen der Einzelne damit iiberfordert sein kann, die Entscheidung zu treffen, die er eigentlich treffen mochte. Doch hieB das zentrale Gegenargument, dass Nichtwissen und Unsicherheit durch Information und Anleitimg zu kurieren sei, nicht aber durch paternalistisches Aufoktroyieren. Es sei auch nicht hilfreich und letztlich nur als „Gehirnwasche" zu brandmarken, wenn die Bevolkerung im nachhinein diese dirigistischen staatlichen Eingriffe bilHge (Schmidt 1970, S. 17). Die Verfasserin hat diese Diskussion aufgegriffen und unter Verarbeitung der jiingeren Diskussionsbeitrage erweitert (Gottschalk 2001b). Die zentralen Ergebnisse lauten: • Nur bei VorUegen von sozial relevanten externen Effekten ist ein staatliches Aktivwerden iiberhaupt gerechtfertigt. Aus diesem Grund bleibt die erste Zelle in der zweiten Zeile von Abbildung 10 leer. • Es kann Situationen geben, in denen die Verbraucher selbst eine Korrektur aktueller Praferenzen wiinschen und bereit sind, ihre Kompetenz zur Konsumentscheidung zu delegieren. Die Griinde konnen in erkannter Unwissenheit und Willensschwache oder im Wunsch nach einem gemeinschaftlichen Handeln in Form von kollektiver Selbstbindimg Hegen. • Aufgrund dieses sehr eingegrenzten Spiekaums ist das mogliche Spektrum meritonscher Giiterbereitstellung nur begrenzt vorhanden. Eine generelle Fehleinschatzung des Wertes kultureller Leistungen muss angesichts der hohen Prioritat, die Befragte dem kulturellen AnHegen stets einraumen, von vomherein bezweifelt werden (Pommerehne und Frey 1993, S. 21). Wenn die individuelle Nachfrage nicht ausreichend artikuliert wird, dann nicht aufgrund von Ignoranz, sondern wegen der beschriebenen externen Effekte. Ein staatliches Eingreifen ist unter diesen Umstanden durchaus kompatibel mit Konsumentensouveranitat (Throsby 1994, S. 22). Aus diesem Grund soUte das Konzept der mentorischen Giiter nur in besonderen, von den Konsumenten selbst gewiinschten Fallen als Beleg fiir staatliches Handeln im Kulturbereich herangezogen werden.
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Markte und Markteingriffe bei Kunstgiitern
2.2 Die BaumoFsche Kostenktankheit 2.2.1 Kulturanbieter in der Produktivitdtsfalle Die Krise ist in der Kunst der Normalfall - mit diesem pessimistischen Urteil beginnen die beiden amerikanischen Okonomen Baiimol imd Bowen ihre 1966 veroffentlichte Abhandlung iiber das Phanomen weltweit zu beobachtender, chronischer Defizite bei den Kiinstanbietern (Baumol und Bowen 1966, S. 3). Das Untersuchimgsziel der beiden Autoren besteht darin, die Griinde fur diese finanziellen Engpasse herauszuarbeiten. Diese Analyse soil moglichst emotionslos, unter rein okonomischen Kriterien durchgefiihrt werden, gerade so, als wiirde man irgend eine beHebige Industrie, die von Geldproblemen geplagt wird, unter die Lupe nehmen (Baumol und Bowen 1966, S. 4). Das Autorenteam deutet schon zu Beginn an, dass die grundsatzlichen Probleme im Kunstsektor nicht von hausgemachten Ursachen wie Verschwendungssucht und Missmanagement herriihren. Vieknehr sei die okonomische Struktur derart beschaffen, d^ss ein permanenter okonomischer Druck auf den schonen Kiinste laste, der nicht nur temporar, sondern dauerhaft sei (Baumol und Bowen 1966, S. 10). Unter diesen Vorzeichen beschreiben die Autoren die „Anatomie der Einkommensliicke" im Kunstsektor am Beispiel der darstellenden Kunst (Baumol und Bowen 1966, S. 161f£). Das Hauptergebnis ihrer Analyse fand als Schlagwort von der cost disease, der Baumol'schen Kostenkrankheit, weite Verbreitung und wurde durch kulturpolitische Diskussionen in der Wissenschaft und in den Medien einem breiten PubHkum vorgestellt (vgl. Heilbrun 2003, S. 91). Insbesondere die Kulturschaffenden griffen die Formulierung einer Kostenkrankheit gern auf, schien sie doch den Ausweg aus den Erklarungsnoten bei der wiederholten Anforderung offentlicher Mittel zu bieten. Zum besseren Verstandnis der im Kunstbereich vorherrschenden Produktionsstrukturen entwickelten die Autoren ein stark vereinfachendes Zwei-Sektorenmodell einer Volkswirtschaft, in der der eine Sektor Automobile, der andere Konzerte produziert. Wahrend sich aber der erste, bedingt durch den Einsatz von technischem Fortschritt, Produktivitatssteigerungen von vier Prozent pro Jahr erfreuen kann, ist dies bei der Produktion von Konzerten nicht im selben AusmaB moglich. Bei den Automobilproduzenten sinken in Folge der Erhohung der Arbeitsproduktivitat die Lohnstiickkosten. Das heiBt, dass in einem gefertigten Automobil dann weniger an bezahlten Arbeitsstunden stecken als vor der Produktivitatserhohung. Auf dieser Basis konnen hohere Lohne gezahlt werden, ohne dass — alles andere gleich bleibend — die Gesamtkosten der Produktion steigen. Man spricht dann von kostenneutralen Lohnsteigerungen in Hohe des Produktivitatszuwachses.
Die Baumol'sche Kostenkrankheit
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Bei den Musikern in der Kultutindustrie sehen die Verhaltnisse ganz anders aus. Produktivitatssteigerxingen sind bei der von ihnen erstellten Leistung nxir schwer 2u realisieren. Auf den Punkt gebracht: Man kann die Musiker ja nicht einfach schneller spielen lassen. Wahrend bei den Mitarbeitern im Automobilsektor kostenneutrale Lohnzuwachse moglich sind, miissen die Musiker entweder bei gleichem Lohn relativ verarmen, oder in die Automobilindustrie abwandern - mit der Folge einer Einschrankimg des Kulturangebots - oder drittens ebenfalls Lohnerhohungen durchdriicken, die dann aber voll in die Kosten gehen. Als vermudich realistischer Fall wird eine vergleichsweise geringere, dvirch die besseren Arbeitsbedingungen in ihrem niedrigeren Niveau auch zu rechtfertigende Anhebung der Musikerlohne angenommen (Baumol und Bowen 1966, S. 167ff.). Da aber ein Hereinholen der gestiegenen Kosten iiber entsprechend hohere Preise wegen zu befurchtender heftiger Nachfragereaktionen weder als moglich noch als gesellschaftlich sinnvoll angesehen wird, entsteht eine chronische Finanzierungsklemme. Der Kultursektor sitzt in der Produktivitatsfalle.
2.2.2 Konsequenf(en der Kostenkrankheit Die Autoren schlussfolgern schon zu Beginn ihrer Untersuchungen, dass die Defizite vermutlich wachsen werden, wenn man die Sache sich selbst liberlieBe (Baumol und Bowen 1966, S. 10). Zwar werden im Rahmen der Diskussion iiber diese Studie auch Moglichkeiten erwahnt, wie man durch technischen und organisatorischen Wandel, etwa neu konzipierte Austragungsorte mit hoherer Kapazitat, bessere Verbreitungsmoglichkeiten und effizienteren Einsatz von Produktionsfaktoren, den negativen Trend zumindest eindammen konnte. Im Grundsatz sei die Logik der Kostenkrankheit jedoch unantastbar (Throsby 1994, S. 15f.). Im Wesentlichen sei der Auffuhrungsmodus iiber die Jahrhunderte hinweg gleich gebHeben und es gabe nur sporadische, aber ketne grundlegenden Effekte hinsichtlich der Technologic der Auffuhrung. Durch die Vervielfachung des Publikums in Folge der Entwicklung von Film, Horfimk und Femsehen wiirden zwar die Kosten pro Teilnehmer erheblich gesenkt. Auf der anderen Seite konnte das mit dieser Verbreitung verbundene Produkt nicht mehr mit einer lifepetformingart^di.dcig