Philip Hasard Killigrew hat das Geheimnis der spanischen Seekarten bisher noch keinem M ann seiner Crew erzählt, nicht ...
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Philip Hasard Killigrew hat das Geheimnis der spanischen Seekarten bisher noch keinem M ann seiner Crew erzählt, nicht einmal Ben Brighton, der sonst beinahe alles vom Seewolf weiß. Doch die beiden spanischen A genten, die Hasard auf Schritt und Tritt verfolgen, kennen die Bedeutung dieser Karten. Sie wollen sie für Spanien zurückholen - um jeden Preis. Und dann gelingt es ihnen, Dan O’Flynn in ihre Gewalt zu bringen. Unter grausamen Foltern soll er sein Wissen ausplaudern. O’Flynn weiß nichts, und für den Seewolf aus Arwenack läßt er sich notfalls in Stücke reißen. Als Hasard erfährt, was geschehen ist, läuft er Amok …
PHILIP HASARD KILLIGREW wurde ›Seewolf‹ genannt, denn er war der Härteste in der Seeräubersippe der Killigrews. Er machte nicht nur die Küste Cornwalls unsicher. Er segelte über alle alle M eere der Welt, als Seemann so perfekt wie als Pirat. Ihm folgten noch viele Generationen der Seewölfe. Sie alle waren Kaperfahrer, Eroberer und Entdecker. P. H. Killigrews große Seeabenteuer begannen 1576 an Bord der ›M arygold‹ - unter dem Kommando von Sir Francis Drake, dem größten Korsaren unter Königin Elisabeth I., der dazu beitrug, daß England zur größten Seemacht der Welt aufstieg.
John Curtis
Küstenhaie
Seewölfe Band 18
DIE AUTH ENTIS CHEN ERLEBN ISS E,
KAPERFAHRTEN UND SEES CHLACHTEN
DES PHILIP HASARD KILLIGREW
1.
»Ho, Jungs, klar bei Brassen! Beeilt euch, ihr verdammten Hundesöhne - ja, so ist‹s recht!« Die mächtige Stimme Ben Brightons dröhnte über das Haupt deck der ›Isabella von Kastilien‹. Aus schmalen Augen beo bachtete er, wie die Rahen der Galeone nach Steuerbord her umschwangen. »Ruder Backbord, Pete!« rief er gleich darauf Pete Ballie zu, der achtern am Kolderstock stand. Der Rudergänger stemmte sich gegen den Kolderstock. Er spürte, wie Druck auf das Ruder der Galeone kam. »Weiter, Pete, noch weiter - in Ordnung, recht so!« Die mächtige Stimm e Ben Brightons durchdrang mühelos das Heu len des Windes, das Klatschen der anlaufenden Seen, die die Galeone immer wieder weit nach Steuerbord überholen ließen. Das schwere Schiff nahm wieder Fahrt auf. Der aus West we hende Wind füllte die Segel. Philip Hasard Killigrew stand breitbeinig auf dem Achterkas tell und beobachtete seinen Bootsmann, der an Bord der ›Isa bella‹ die Funktion des Ersten Offiziers erfüllte. Gleichzeitig verfolgte der Seewolf - wie Philip Hasard Killigrew von seinen Leuten insgeheim voller Respekt genannt wurde - die M anöver und die Schnelligkeit, mit der sie von seiner Crew ausgeführt wurden. Und der Seewolf war zufrieden. Seine Blicke wander ten nach Steuerbord, wo eben die schmale Landzunge, auf der die Stadt Exmouth lag, achteraus wanderte. Die ›Isabella von Kastilien‹ hatte die schwierige Einfahrt in die M ündung des Exe geschafft und lief nun unter Vollzeug den Piers von Topsham entgegen. Der Wind hatte in den letzten Stunden ständig aufgebrist, dem Seewolf war das gerade recht gewesen, so würden sie Topsham schneller erreichen. »Ben!«
Der Bootsmann drehte sich um und sah den Seewolf fragend an. »Wir haben zwar günstigen Wind und könnten leicht durch den Kanal bis Exeter segeln, aber es bleibt dabei, wir machen in Topsham fest. Vorn an der Außenpier.« Ben Brighton nickte, sah den Kapitän der ›Isabella‹ aber wei terhin fragend an, denn er wußte, daß noch etwas folgen würde, daß der Seewolf sich etwas überlegt haben mußte. »Wenn wir festgemacht haben, bricht Dan sofort nach Exeter auf und verständigt Kapitän John Thomas von unserer An kunft. Dan bringt den Kapitän mit an Bord der ›Isabella‹. Holt euch die Adresse von Kapitän Thomas beim Hafenmeister, der kennt ihn bestimmt und weiß also auch, wo Dan ihn findet.« Ben Brighton nickte. »Geht Dan allein?« fragte er. Hasard nickte. »Er geht allein. Ich möchte nach all den Anschlägen, die in zwischen auf unser Schiff und auf unsere Ladung unternom men worden sind, jeden M ann an Bord haben. Für Topsham gilt das gleiche wie in Plymouth. Kein Fremder wird ohne meine ausdrückliche Erlaubnis an Bord gelassen. Für die Lie gezeit verstärkte Wachen, bewaffnet.« Abermals nickte Ben Brighton. Und dabei dachte er an meh rere Dinge zugleich: an die dreißig Tonnen Silberbarren, die noch immer im Bauch der Galeone sorgfältig gestaut und festgelascht lagerten, und an jene geheimnisvolle Kassette, die sie in buchstäblich allerletzter Sekunde dem spanischen Kapi tän der ›Isabella von Kastilien‹ abgejagt hatten. Und nicht ein mal er, Ben Brighton, wußte, was diese geheimnisvolle Kasset te wirklich barg. Flüchtig schossen Ben Brighton die Bilder durch den Kopf, die sich in sein Bewußtsein unauslöschlich eingebrannt hatten: der sich rasendschnell nähernde Brander im Hafen von Ply mouth, durch den das Schicksal ihres Schiffes längst besiegelt
worden wäre, wenn Ferris Tucker das nicht durch seinen to desmutigen Einsatz verhindert hätte. Er sah den riesigen Schiffszimmermann wieder inmitten der lodernden prasselnden Flammen stehen, die drei Pulverfässer losschlagen und über Bord werfen, sah ihn, wie er anschließend mit gewaltigen Streichen seiner Axt den Schiffsboden des Branders zertrüm merte und ihn so zum Sinken brachte, noch bevor er die ›Isa bella‹ und die neben ihr liegende ›Santa Cruz‹ erreichte. Ben Brighton dachte in diesem M oment auch an den Versuch jener beiden gefährlichen Kerle, Hasard Killigrew zu entfüh ren, an den wüsten Kampf, der daraufhin in der M ill Bay ent brannte. Er dachte an den heimtückischen Überfall auf die ›I sabella‹, der nur wenig später passierte, an den M ordversuch, der im Queen‘s Hotel auf den Seewolf von zwei gedungenen M ördern verübt wurde und der damit endete, daß der Seewolf die beiden Strolche im Laufe eines heftigen Handgemenges durch das Fenster jener Suite, in die man ihn gelockt hatte, in die Tiefe warf. Und dann tauchte in Ben Brightons Erinnerung wieder das Gesicht des aalglatten Sir Thomas Doughty auf, eines Höflings, der Ben Brightons M einung nach von allen Beteiligten der weitaus gefährlichste M ann war und vor allem derjenige, der die Ladung der ›Isabella‹ unter allen Umständen in seine Ge walt bringen wollte. Schließlich sprach ihr letztes Abenteuer, das sie bei ihrer Fahrt nach Falmouth erlebt hatten, in dieser Hinsicht Bände. Ben Brighton riß sich gewaltsam aus seinen Erinnerungen. »Aye, Hasard. Ich werde Dan verständigen. Zum Hafenmeis ter gehe ich mit, ich will sicher sein, daß nicht wieder irgend etwas schiefläuft.« Der Seewolf nickte ihm zu. »Ich werde froh sein, Ben, wenn wir endlich diese Teufelsla dung von Bord haben«, sagte er. »Ich habe jetzt noch einiges zu tun. Wenn irgend etwas sein sollte, ich bin in meiner Kam
mer.« Hasard drehte sich um und turnte gleich darauf den Nieder gang zum Hauptdeck hinunter, von wo aus eine dicke Bohlen tür ins Innere des Achterkastells führte. Hätte der Seewolf gewußt, daß bereits um diese Zeit zwei Augenpaare ständig Ausschau nach der ›Isabella‹ hielten und sie auch sofort entdeckten, als sich ihre M astspitzen schließlich über die Kimm schoben - Hasard hätte seine Pläne bestimmt noch geändert. So aber segelte die ›Isabella‹ bei westlichem Wind mit schäumender Bugwelle Topsham entgegen - jener kleinen Stadt, die an der M ündung des Exe liegt, vier Kilometer von Exeter entfernt.
Die ›Isabella von Kastilien‹ lag mit zum Teil aufgetuchten Segeln an der Außenpier des Hafens. Vom Hauptdeck schallte die laute Stimme des Decksältesten, unter dessen Kommando die Crew die letzten Segel barg und festzurrte. Der Seewolf stand auf dem Achterkastell, vor ihm Ben Brigh ton und Donegal Daniel O‘Flynn, ganze sechzehn Jahre alt, schlaksig, frech und zitternd vor Ungeduld. Der Seewolf sah das Bürschchen aus seinen eisblauen Augen an, sein schwarzes Haar flatterte im Wind. Er mußte sich be herrschen, um nicht zu grinsen. »Also, was ist denn nun? Wollen wir hier anwachsen?« fragte Dan, und seine Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten. »Und überhaupt, ich gehe allein zum Hafenmeister. Was soll denn Ben dabei? Bin ich etwa ein Säugling? Ich kriege schon raus, wo Kapitän Thomas wohnt, ich …« »Schluß jetzt, Dan. Ben geht mit, und damit basta. Ich will nämlich ebenfalls wissen, wo John Thomas wohnt - für alle
Fälle. Du gehst dann sofort weiter.« Er sah Dan abermals an. »Und noch etwas, Dan«, sagte er dann. »Du richtest meine Botschaft nur dem Kapitän persönlich aus, zu niemand ande rem ein Wort. Ist der Kapitän nicht zu Hause, dann wartest du. Sollte er verreist sein, kehrst du sofort wieder zum Schiff zu rück. So, ab jetzt mit euch!« Ben Brighton und Dan verschwanden. Dan maulte noch etwas vor sich hin, doch dann siegte sein Tatendrang. Außerdem hat te Hasard ja irgendwie recht: So brauchte er nicht extra zum Schiff zurück, sondern konnte sich sofort auf den Weg nach Exeter machen. Der Hafenmeister bewohnte ein kleines, schmales Haus un weit der Außenpier. Er war ein schwerer, fast zwei M eter gro ßer M ann, der lange Jahre mit den anderen Fischern Topshams zusammen auf Fischfang gefahren war. Er kannte sich aus mit Schiffen und ihren Besatzungen und sah schon an der Art, wie ein Schiff in den Hafen einlief, was mit dessen Kapitän los war. Das Anlegem anöver der ›Isabella‹ hatte er anfangs mit Stirn runzeln, dann aber mit größtem Respekt verfolgt. Der M ann, der dieses Schiff befehligte, verstand sein Handwerk. John Fowler hatte natürlich ebenfalls beobachtet, wie Dan und Ben Brighton von Bord gingen. Er wußte auch sofort, daß sie zu ihm wollten, denn jedes einlaufende Schiff hatte sich beim Hafenmeister zu melden und mitzuteilen, wie lange es voraussichtlich an der Pier oder auch auf Reede liegenzublei ben gedachte. Daher sah er den beiden mit einigem Interesse entgegen, denn über dieses Schiff und seinen Kapitän wollte er mehr in Erfahrung bringen. Er sah, wie die beiden sich bei Straßenpassanten nach ihm er kundigten, und wie ein älterer M ann schließlich auf sein Haus wies und ihn dann auch selber entdeckte. John Fowler setzte sich in Bewegung und ging den beiden
entgegen. Er wollte ohnehin zur Pier hinüber und sich die ›Isa bella‹ aus der Nähe ansehen. M inuten später stand er Ben Brighton und Dan gegenüber. Er musterte den Bootsmann der ›Isabella‹ und nickte unmerklich. So sahen M änner aus, die auf solchen Schiffen und unter sol chen Kapitänen fuhren. »Sie wollen zu mir. Ich sah, wie Ihr Schiff einlief und fest machte. M einen Respekt, M ister, das war eine hervorragende seemännische Leistung, so was sieht man hier nicht alle Tage!« Dan grinste den Hafenmeister an. »Hat auch nicht jedes Schiff einen Philip Hasard Killigrew als Kapitän«, sagte er respektlos. John Fowler kniff unwillkürlich die Augen zusammen. »Killigrew?« fragte er. »Hat dieser Killigrew etwas mit dem alten John Killigrew aus Falmouth zu tun? M it der Sippe, die in der Feste Arwenack haust?« Dan schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel. »Ha, dieser alte Klabautermann ist sein Vater, M ister. Und ob er mit dieser Sippe was zu tun hat! Aber fragen Sie den See wolf besser nicht danach, oder er hängt Sie genauso an den Haken wie damals seinen Alten auf Arwenack.« »An den Haken? Den alten John Killigrew? He, junger M ann, ich bin ein wenig zu alt, um mich von einem solchen Bürsch chen wie dir auf den Arm nehmen zu lassen.« Ben Brighton schaltete sich ein, während Dan von einem Ohr zum anderen grinste. »Was der Junge sagt, stimmt, M ister. Es ist wirklich nicht all zugut für Fremde, in Gegenwart unseres Kapitäns von dieser Sippe auf Arwenack zu sprechen. Aber nun zu dem Grund, warum wir in Topsham festgemacht haben. Kapitän Killigrew hat eine Botschaft für Kapitän John Thomas. Er soll in Exeter wohnen. Wir brauchen die genaue Adresse von M ister Thomas. Können Sie uns weiterhelfen?« John Fowler nickte, aber man sah ihm an, daß er immer noch
an dem herumkaute, was er soeben vernommen hatte. »John Thomas wohnt in St.-Thomas-The-Apostle. Das ist ei ne Vorstadt von Exeter. Es ist nicht schwer, ihn zu finden. Er lebt dort mit seiner Familie in einem Landhaus am rechten Ufer des Exe. Sie erkennen das Haus sofort an seinem blauen An strich - ein anderes Haus dieser Art gibt es weit und breit nicht. Ben Brighton wandte sich an Dan. »Du weißt jetzt Bescheid, Dan. Setz dich in M arsch und beeil dich, Junge.« Das letzte Wort war Ben Brighton so herausgerutscht. Zu spät fiel ihm ein, daß Dan sich wütend aufplusterte, wenn ihn je mand mit Junge anredete. Er quittierte den giftigen Blick Dans mit einem Grinsen und blickte ihm nach, als er gleich darauf verschwand. Dann wand te er sich wieder dem Hafenmeister zu. »Die Formalitäten -wollen wir die bei Ihnen oder an Bord der ›Isabella‹ erledigen, M ister Fowler?« fragte er. »Ich komme an Bord. Ich muß den M ann kennenlernen, der den alten John Killigrew auf Arwenack an den Haken gehängt hat.« Und dabei blieb es. Die beiden M änner gingen zur ›Isabella‹, während sich Dan bereits unterwegs zu jenem blauen Landhaus am rechten Ufer des Exe befand.
Außer John Fowler hatten noch zwei andere M änner das Ein laufen der ›Isabella von Kastilien‹ aufmerksam beobachtet. Der hagere, raubvogelgesichtige Patrick O‘M oore und der stämmi ge, muskelbepackte Neil Griffith. Beide waren A genten der spanischen Krone, die schon in der M ill Bay in Plymouth ver sucht hatten, den Seewolf zu entführen. Damals hofften sie, auf diese Weise in den Besitz jener kostbaren Kassette zu gelan
gen, die die Seekarten barg, die Killigrew zusammen mit den dreißig Tonnen Silberbarren erbeutet hatte, als er die ›Isabella‹ vor den Augen der Spanier auf der Reede von Cadiz kaperte. Die Karten stellten den wichtigsten Teil ihres Auftrags dar, weil sie für die Spanier einfach unersetzlich waren. Daß O‘M oore und Griffith nebenbei noch die Aufgabe hatten, die ›Isabella‹ zu vernichten, damit auch das Silber nicht in die Hände der Engländer fiel, das war eine andere Sache. Doch bisher hatten sie nichts als Fehlschläge und katastropha le Niederlagen einstecken müssen und waren selber auch nur knapp dem Tod entronnen. Patrick O‘M oore zog es jetzt noch die Kopfhaut zusammen, wenn er daran dachte. Er war entschlossen, dieses M al aufs Ganze zu gehen. Aus schmalen Augen beobachtete er, wie Dan und Ben Brighton mit dem Hafenmeister verhandelten - und allein schon die Heiterkeit Dans ärgerte O‘M oore. Die beiden A genten hielten sich in der Deckung einer abge stellten Karre. Hin und wieder wanderten ihre Blicke zu der am Pier liegenden Galeone hinüber. Dort tauchte dann und wann die hochgewachsene Gestalt des Seewolfs auf dem Achterkas tell auf. »Jetzt fehlt nur noch, daß dieser Bastard den Hafenm eister zu Kapitän Thomas schickt«, sagte Neu Griffith. »Was tun wir dann? Wir kommen an diese Kerle einfach nicht heran. Ich gehe jede Wette mit dir ein, daß dieser Killigrew wieder keinen seiner Leute von Bord läßt.« Es war für die beiden ohnehin schwierig genug gewesen, nach dem Auslaufen der ›Isabella‹ aus Plymouth zu ergründen, wohin die Galeone segeln würde. Ein Seemann der ›Santa Cruz‹ hatte die Vermutung geäußert, die Galeone würde wahr scheinlich nach Topsham verlegt. Und so waren sie nach Topsham gereist, hatten dort aber lange warten müssen, weil der Seewolf zuvor noch den Abstecher nach Falmouth unter
nommen hatte. Patrick O‘M oore dachte daran, während er Dan, Ben Brighton und den Hafenmeister beobachtete. Sie hatten in den letzten Tagen verdammt wenig geschlafen. Sie wußten, daß sie die Karten beschaffen mußten, koste es, was es wolle, andernfalls würde man sie in Spanien vierteilen. M it ihren Auftraggebern, die ihnen hohe Honorare gezahlt hatten, war in dieser Hinsicht nicht zu spaßen. Denn tauchten jene Seekarten nicht wieder auf, dann würde es den Verant wortlichen selber an den Kragen gehen, und diese Verantwort lichen gehörten immerhin zur Admiralität der spanischen Flot te. O‘M oore konnte sich nur zu gut vorstellen, daß man sich zunächst einmal an sie halten würde - und mit ihrem guten Leben, das sie bisher geführt hatten, indem sie solche Aufträge übernahmen und lösten, war es dann mit Sicherheit vorbei. Patrick O‘M oore knirschte mit den Zähnen. Von seiner eins tigen Selbstbeherrschung war ein gut Teil abgebröckelt. An derartige M ißerfolge und Schlappen, wie sie ihm dieser schwarzhaarige Teufel, dieser verf luchte Killigrew, zugefügt hatte, war er nicht gewöhnt. Als er an diesem Punkt seiner Überlegungen angelangt war, schüttelte er den Kopf. »Nein, Killigrew schickt keinen Fremden zu Kapitän Thomas, Neil«, sagte er. »Er hat mit Sicherheit eine Botschaft für den Kapitän. Er will diese Teufelsladung endlich von Bord haben. John Thomas gehört zu den Freunden und Vertrauten von Francis Drake. Außerdem weiß Killigrew längst, daß auch Sir Thomas Doughty hinter der Ladung seines Schiffes her ist, daß dieser M ann jetzt Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um die ›Isabella‹ in seine Hand zu kriegen. Wenn ich dieser schwarzhaarige Teufel wäre, dann wüßte ich, daß Doughty noch viel gefährlicher ist als alles, was irgendwelche anderen Leute, die hinter der Ladung her sind, gegen die ›Isabella‹ un ternehmen können. Nein, paß auf, er schickt entweder den Jun gen oder den Bootsmann oder beide.«
M inuten später sahen sie, wie Dan sich von der Gruppe löste und loslief. Ein grausames Lächeln umspielte den M und O‘M oores, seine schmalen, blutleeren Lippen gaben für einen M oment die lan gen, gelben Zähne frei. »Ich hatte also recht«, murmelte er . »Das wärs dann also. Nun, mein Bürschchen, es dürfte nicht viel M ühe bereiten, dich zum Singen zu bringen. Da wäre dieser Bootsmann schon ein anderer Brocken gewesen. Los, Neil, beeilen wir uns. Wir müssen dieses Kerlchen erwischen, sobald es Topsham hinter sich gelassen hat.« Die beiden Agenten lösten sich aus ihrer Deckung. Sie ver schwanden in einer der schmalen Hafengassen und bestiegen gleich darauf eine Kalesche, die hinter einer Ecke stand. Sie kannten sich aus - sie wußten, daß sie Dan auf jenem Fahrweg, der sich am Ufer des Exe entlangzog, begegnen würden. Eine andere M öglichkeit, zum Landhaus von Kapitän Thomas zu gelangen, gab es nicht. Neil Griffith hatte die Zügel übernommen. Er schnalzte mit der Zunge, und das Pferd setzte sich in Bewegung. Langsam, fast widerwillig erst, aber dann begann es zu traben. Die Wolkendecke über Topsham riß auf, gleißende Sonnen strahlen huschten über die Dächer der niedrigen Häuser, die sich unter dem heulenden Wind duckten. 2. Dan tat, wie ihm von Ben Brighton auf getragen worden war. Er beeilte sich wirklich. Er brauchte nicht lange, bis er Topsham hinter sich gelassen hatte, anschließend marschierte er den Fahrweg am Ufer des Exe entlang. Der Wind zerrte an seinen blonden Haaren. Er beobachtete ein paar Lastkähne, die sich von Exeter kommend auf Topsham zubewegten. Ein Pfer
defuhrwerk begegnete ihm, dann war er wieder allein. Dan pfiff vor sich hin. Im stillen beglückwünschte er sich, auf der ›Isabella‹ gelandet zu sein und unter dem Kommando des Seewolfes zu fahren. Dan wußte, daß der Seewolf ihn mochte und alles tat, um ihn zu einem perfekten Seemann auszubilden. Und auch die anderen M itglieder der Crew waren in Ordnung jawohl, er hatte es gut getroffen und führte ein Leben, wie er es sich schon immer gewünscht hatte. Eine halbe Stunde noch, überlegte Dan, dann habe ich es ge schafft, dann werde ich Kapitän Thomas aus seinem Bau holen und auf die ›Isabella‹ bringen. Hinter ihm ertönte Pferdegetrappel. Dan drehte sich um. Er sah die schwarze Kalesche, die über den Fahrweg rollte und es offensichtlich verdammt eilig hatte. Er blieb unwillkürlich stehen und trat zur Seite, um die Kut sche vorbeizulassen. Doch zu seinem Erstaunen zügelte der Kutscher die Pferde und hielt unmittelbar neben ihm. Der M ann beugte sich zu ihm hinunter. »He, Junge, wir wollen nach St.-Thomas-The-Apostle, du bist doch bestimmt aus der Gegend. Ist es noch weit?« Ärger huschte über Dans Gesicht - und dann blinzelte er mißtrauisch. Hatte er diesen M ann nicht schon einmal gese hen? Er reckte seine Stupsnase noch höher in den Wind. Er würde diesem Kerl helfen, ihn »Junge« zu nennen! »Probieren Sie es doch aus, M ister. Irgendwann werden Sie mit Ihrer Schindmähre schon dort anlangen. M einetwegen fah ren Sie auch in den Exe und versaufen Sie dort, aber lassen Sie mich in Frieden, klar? M it Leuten wie Ihnen rede ich nämlich nicht, das hat mir meine M utter verboten.« Neil Griffith glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Ärger stieg in ihm hoch. Blitzartig schwang er sich vom Kutschbock, nachdem er noch einen vorsichtigen Blick in die Runde geschickt hatte, ob es nicht zufällig ungebetene Zeugen gab.
Er ging auf Dan zu. »Ich glaube, Freundchen, deine M utter hat dir zu wenig das Fell versohlt, das werden wir jetzt mal nachholen. Und dann unterhalten wir uns weiter, daß dir Hören und Sehen vergehen wird.« Innerlich amüsierte sich Neil Griffith, nachdem sein erster Ärger verflogen war. Besser hätte es gar nicht kommen kön nen. Dieser Bengel gab ihm doch wahrhaftig Grund, handgreif lich zu werden. In Dan stieg jähe Wut hoch. Er wartete nicht, bis Neil Griffith heran war, er sprang ihn an. Dan O‘Flynn war zwar noch kein ausgewachsener M ann, aber er hatte M ut für zwei und wußte sich seiner Haut recht gut zu wehren. M ehr noch, er prügelte sich ausgesprochen gern. Er hieb dem überraschten Neil Griffith seine Fäuste ins Ge sicht, dann sprang er zurück und verpaßte ihm blitzschnell ei nen schmerzhaften Tritt in den Unterleib und rammte ihm den Bruchteil einer Sekunde später seinen rechten Ellenbogen m it großer Wucht in die M agengrube. Das alles war so schnell gegangen, daß Neil Griffith fas sungslos den wütenden Schmerz verspürte, der seinen Körper durch tobte und in seinen Eingeweiden wühlte. Er brüllte auf, wollte sich, rasend vor Zorn, auf Dan stürzen, aber in diesem M oment flog die Tür der Kalesche auf und Pat rick O‘M oore sprang heraus. »Schluß mit dem verdammten Theater!« zischte er und hieb Dan gleichzeitig den Kolben seiner Pistole über den Kopf. »Willst du verdammter Narr, daß erst ir gendwelche Leute auf uns aufmerksam werden? Los, rein mit dem Bengel in die Kut sche und dann fahr los. Du weißt ja, wohin.« Neil Griffith packte Dan, der bewußtlos zu Boden gesunken war und warf ihn in die Kalesche. O‘M oore bedachte seinen Komplicen mit einem tadelnden Blick.
»Du bist auch nicht m ehr der alte, Neil. Prügelst dich hier auf offener Straße mit einem Jungen herum! Fahr los, ich fessele den Burschen inzwischen, wir können uns hier nicht die ge ringste Panne leisten, ist das klar?« O‘M oore schwang sich in die Kalesche und warf die Tür hin ter sich zu. Dann holte er Stricke aus der Tasche seines dunklen Umhangs und begann Dan zu fesseln, während die Kutsche bereits wieder den Fahrweg entlangrollte. O‘M oore nahm die Fesselung sehr sorgfältig vor, er wollte kein Risiko mehr ein gehen. Eine Viertelstunde später bog die Kutsche von der Fahrstraße ab. Sie rumpelte über einen schmalen Pfad, der durch dichtes Unterholz und zum Teil auch durch weite Schilffelder zum Wasser hinunterführte. Dan bewegte sich schwach und stöhnte. O‘M oore beugte sich zu ihm hinunter. Gleichzeitig setzte er ihm den Lauf seiner Pistole an die Schläfe. »Bleib hübsch ruhig, mein Junge, oder ich werde unange nehm. Verdam mt unangenehm sogar.« Dan drehte den Kopf. Er sah die Raubvogelvisage - und blitz artig durchzuckte ihn die Erinnerung. Das war ja der Kerl, der versucht hatte, Hasard zu entführen! Der M ann, der sich für den Abgesandten von Sir Thomas Doughty ausgegeben hatte! Tausend Gedanken zugleich schossen ihm durch den Kopf. Ihm war sofort klar, daß die beiden Kerle es nicht auf ihn, Dan O‘Flynn, abgesehen hatten, sondern auf die ›Isabella‹. Aber was wollten sie von ihm? Wieso konnte er diesen Verbrechern irgendwie von Nutzen sein? Was bezweckten sie damit, ihn zu verschleppen? Dan begriff schon in diesem M oment, daß die Kutsche nicht zufällig den Fahrweg entlanggerollt war, sondern daß diese beiden Galgenvögel nach einem genauen Plan vorgingen, daß sie die ›Isabella‹ und ihre Crew erwartet hatten. Ihre Crew? Quatsch - es ging ihnen um die Ladung, um das Silber!
Dan zerrte wütend an seinen Fesseln, aber es nutzte nichts. Ich muß hier raus, dachte er. Ich muß Hasard und die anderen warnen, diese Kerle bereiten irgend etwas vor. Die Kutsche hielt. Patrick O‘M oore stieß die Tür an seiner Seite auf. »Los, Neil«, sagte er. »Wir haben keine Zeit zu langem Gere de. Schaff den Burschen in die Kate. Wenn er unsere Fragen beantwortet, hat er es schnell hinter sich, anderenfalls werden wir ihn zum Reden bringen. Ohne Rücksicht, Neil, kapiert? Bereite schon alles vor.« Dan hörte das, und ihn durchzuckte ein eisiger Schreck. Er bäumte sich in den Fesseln auf. In wilder Wut stieß er mit den Füßen um sich und erwischte O‘M oore, als er gerade aus der Kutsche steigen wollte. O‘M oore wurde von dem Tritt ins Freie katapultiert. Er lan dete auf allen vieren auf dem sandigen, mit scharfen Steinen durchsetzten Platz vor der verfallenen Fischerkate. Seine Pisto le flog in hohem Bogen ins übermannshohe Schilf, das die Fischerkate zum Fluß hin gegen Sicht völlig abschirmte. O‘M oore brüllte vor Wut, dann r appelte er sich fluchend wie der auf und betrachtete seine blutenden Hände. »Dieser verdammte Bastard ist ja fast noch schlimmer als der schwarzhaarige Satan, der die ›Isabella‹ befehligt!« schrie er aufgebracht. »Hol ihn her, Neil, verdammt noch m al. Der kann was erleben, wenn er mir nicht jede Frage auf der Stelle beant wortet!« Neil Griffith packte Dan, zerrte ihn aus der Kalesche und warf ihn kurzerhand auf den Boden. Dann knallte er die Tür der Kutsche zu, griff abermals nach Dan und warf ihn sich wie einen Sack über die Schulter. O‘M oore stieß unterdessen die Tür der Fischerkate auf und verschwand vor Neil und Dan im Innern. »Da auf den Tisch, Neil. Bind ihn gut fest, möglichst so, daß er kein Glied mehr rühren kann, ich habe die Schnauze von
dieser ›Isabella‹-Brut jetzt endgültig voll!« Er rieb sich seine schmerzenden Knie, die er sich ebenf alls aufgeschlagen hatte. Neil Griffith schwieg. Aber er verstand sein Handwerk. In nerhalb von M inuten hatte er Dan so auf den schweren Bohlen tisch gebunden, daß er kein Glied mehr rühren konnte. O‘M oore sah ihm dabei zu, und immer noch loderte die Wut in seinen Augen. Als sein Komplice fertig war, trat er an den Tisch heran. »Ich werde dir jetzt ein paar Fragen stellen, Freundchen«, sagte er. »Und du wirst sie mir beantworten, alle, ohne jede Ausnahme. Wenn ich merke, daß du versuchst, uns zu belügen, greife ich zu anderen M itteln. Ich verstehe mich darauf, du bist nicht der erste, den ich zum Singen bringe.« Dan spürte Furcht, die ihn wie eine Woge zu überschwem men drohte, aber er kämpfte tapfer dagegen an. Er tat sogar mehr - er spie aus. O‘M oore sah das, und in seinem Gesicht zuckte es. »Gut, wie du willst, Junge. Ich kann leider keine Rücksicht nehmen, selbst wenn ich wollte. Ich befasse mich normalerwei se nicht mit Halbwüchsigen.« Er drehte sich zu seinem Kom plicen um. »Neil, fach schon m al das Feuer an. Bei diesem Dickschädel werden wir ohne entsprechende M aßnahmen nichts erreichen.« Neil Griffith nickte und verließ die Fischerkate. O‘M oore wandte sich Dan abermals zu. »Es wird jetzt ernst, Junge. Wenn du klug bist, ersparst du dir die Folter. Es bringt dir nichts. Nur hast du keine Ahnung, was wir dir an Qualen zufügen können, wie sehr du leiden wirst, wenn du nicht redest. Ich meine es gut, glaub mir das, ich habe schon viele schreien und sterben sehen bei der Folter - aber gesprochen haben sie schließlich alle. Überleg dir das, ich komme in ein paar M inuten wieder, dann frage ich. Alles wei tere hängt von dir ab, Dan O‘Flynn.«
O‘M oore drehte sich um und verließ die Hütte. Die Tür ließ er absichtlich offen, damit Dan das Feuer vor der Hütte sah. Er sollte auch hören, über was sie miteinander sprachen und wel che Foltern bei ihm zuerst angewendet werden sollten, falls er nicht redete. O‘M oore wußte aus langer Erfahrung, daß dieser erste Grad zumeist schon ausreichte, um einen Delinquenten rnürbe zu kriegen. Er hatte tatsächlich kein Interesse daran, den Jungen zu quälen, war aber fest entschlossen, ihn zum Reden zu bringen, wenn er das nicht freiwillig tat. Wenn es allerdings soweit kam, dann gab es keine Rücksichten mehr - gleichgül tig, wie alt derjenige war, der befragt werden sollte. Dan brach im Innern der Kate der Schweiß aus. Er zermarterte sich den Kopf, was diese Kerle eigentlich von ihm erfahren wollten. Er hatte Angst, sein Puls flog, sein Atem ging keuchend. Wie wild zerrte er wieder und wieder an seinen Fesseln - aber das war völlig sinnlos, denn wen Neil Griffith einmal gebunden hatte, der konnte sich selbst nicht mehr be freien. Vor der Kate begann ein Feuer zu flackern. »Zuerst die Holzpflöcke, Neil«, hörte er O‘M oore sagen. »Achte aber ja darauf, daß die Spitzen glühen. Sie müssen glü hen, wenn wir sie dem Burschen unter die Fingernägel treiben. Wenn das nicht zieht, die Eisen, sie sind in meiner Reisetasche, die schaffen ihn dann schon. Falls er aber wirklich noch zäher sein sollte, dann holst du die …« Dan hörte den Rest nicht mehr. In seinem Kopf drehte sich alles. Ihm wurde plötzlich speiübel, für Sekunden über schwemmte ihn eine pechschwarze Woge und löschte sein Bewußtsein aus. Als er wieder erwachte, stand O‘Moore neben ihm. Sein Raubvogelgesicht hob sich deutlich im Licht ab, das durch die Tür in die Hütte fiel. »Ich bin jetzt da, Junge. Du warst eine Weile ohnmächtig dabei haben wir noch nicht einmal angef angen. Also, ich stelle
jetzt meine Fragen, und ich rate dir gut, sie mir zu beantwor ten.« Dan starrte den Agenten an. Vor seinen Augen tanzten rote Nebel. Er hörte das Prasseln des Feuers, er erinnerte sich, daß dieser widerliche andere Kerl dort draußen bereits die Holz pflöcke zum Glühen brachte, die sie ihm unter die Fingernägel treiben wollten, wenn er nicht … »Die ›Isabella von Kastilien‹ hat dreißig Tonnen Silberbarren an Bord, aber das interessiert mich nur nebenbei. Wo lagern diese Barren, und wie sind sie verstaut?« hörte Dan die erste Frage. Dan schwieg. Selbst wenn er hätte reden wollen, es wäre ihm in diesem M oment unmöglich gewesen. O‘M oore sah das. Er wartete eine Weile, bis Dan wieder völ lig klar im Kopf war. »Also gut, lassen wir die Silberbarren - sie sind uninteressant. Frage zwei: Wo ist jene Kassette mit den Seekarten, die ihr von Capitan Valdez erbeutet habt?« In der Hütte herrschte sekundenlang Schweigen. Dan starrte seinen Peiniger an. »Kassette mit Seekarten?« fragte er dann. »Hat Ihnen das die ser Valdez erzählt? Dann hat der Kerl glatt Salzwasser im Ge hirn. Ich weiß nichts von Seekarten, wirklich nicht!« O‘M oores Augen verengten sich, seine Lippen wurden zu Strichen. Er besaß eine M enge M enschenkenntnis, und er spür te, daß Dan ihn nicht belogen hatte. »Ich warne dich, Junge«, sagte er trotzdem mit Schärfe. »Du weißt von dieser Kassette. Du selbst hast sie aus dem M eer gefischt, nachdem Capitan Romero Valdez sie bereits aus dem Boot geworfen hatte, mit dem er geflohen war. Also, ein letztes M al: Was ist mit dem Inhalt dieser Kassette geschehen? Wo sind die Seekarten?« Dan starrte den Agenten an. Himmel, dieser Kerl wußte ja einfach alles! Wie war das möglich, woher hatte dieser
Dreckskerl seine Informationen? Aber Seekarten - Hasard hatte ihm nie etwas von solchen Karten gesagt. Dan begann plötzlich zu ahnen, daß der Inhalt dieser kleinen Lederkassette um vieles wertvoller und wichtiger war als die ganzen Silberbarren zusammen. Er glaubte auch zu wissen, wo Hasard die Kassette aufbewahrte. Aber er würde nicht reden, verdammt noch mal, nein, er würde einen solchen Verrat nie begehen. Er wandte mühsam den Kopf und starrte den Agenten an. »Ich weiß nichts von solchen Karten. Und von einer Kassette weiß ich auch nichts. Wir haben Valdez erwischt, aber er hatte keine Kassette bei sich. Er hat euch alle belogen, dieser saubere Capitan.« O‘M oore schüttelte den Kopf. »Schade, Junge«, sagte er dann, und plötzlich klang seine Stimme müde. Ihm blieb keine andere Wahl, er mußte jetzt zu anderen M itteln greifen. Er wußte, was sich nun abspielen würde. Er kannte das. Er hatte schon zu viele schreien und wimmern hören. Im stillen wunderte sich O‘M oore, daß er mit diesem Jungen M itleid empfand. Noch einmal sah er Dan an, und er erkannte den Haß in den Augen des Jungen, den Trotz, diese wilde Ent schlossenheit, lieber zu sterben, als zum Verräter zu werden. Er wandte sich um. »Neil!« rief er. »Fang an, er redet nicht.« Dan sah, wie sich Neil Griffith zum Feuer bückte. Als er die Hütte betrat, hielt er in der Linken vorsichtig drei dünne Holz pflöcke, deren Spitzen rotglühend waren. Dan spürte den Schrei, der in seiner Kehle aufstieg, aber er schaffte es, diesen Schrei zu unterdrücken.
Ben Fowler, der dreizehnjährige Sohn des Hafenmeisters, duckte sich ins Schilf hinter der Fischerkate und wagte kaum zu atmen. Neben ihm lag sein Angelzeug.das er fallen gelassen hatte, als plötzlich die Kutsche mit den beiden M ännern und dem gefesselten Jungen vor der Hütte aufgetaucht war. Ben Fowler hatte alles mitgekriegt, was geschehen war. Er hatte auch gehört, was die beiden fremden M änner m iteinander gesprochen hatten, und daher wußte er, daß Dan jetzt gefoltert werden sollte. Angstschweiß stand ihm auf der Stirn. Er war zwar erst drei zehn Jahre alt, aber Ben Fowler wußte, daß er sich von den beiden M ännern nicht erwischen lassen durfte. Solche Kerle konnten keine Zeugen brauchen. Aber er mußte dem Jungen in der Hütte helfen, irgendwie. Selber konnte er nichts unterneh men, aber wenn er nach Topsham lief … Ben Fowler schob sich dichter an die Hütte heran. Und dann sträubten sich ihm plötzlich die Haare. Er hörte den langgezo genen Schrei, der so grauenhaft war, wie er ihn noch nie zuvor gehört hatte. Dann ertönte die Stimme des einen der beiden M änner, des großen Hageren mit dem Raubvogelgesicht. »Warte, Neil, vielleicht genügt das schon. Ich will den Jungen nicht umbringen. Wenn wir das tun, dann haben wir diesen Killigrew und die ganze Crew der ›Isabella‹ im Nacken. Ich kenne diese Sorte von M ann. Dieser schwarzhaarige Teufel würde uns beide bis ans Ende der Welt jagen.« »Was ist los mit dir, Patrick?« hörte Ben Fowler den anderen erwidern. »Den Seewolf hast du sowieso im Nacken, wenn du ihm die Kassette abnimmst. Und dieser Junge hier muß weg nur tote Zeugen sind gute Zeugen.« Eine Weile herrschte Schweigen. Dann wieder die Stimme des Hageren. »Also, Junge, was ist mit der Kassette? Wo ist sie? Antworte, oder wir pisacken dich weiter!«
»Ihr Hunde, ihr dreckigen Bastarde! Hasard wird euch kielholen lassen, ihr werdet an der erstbes ten Rah aufgeknüpft und vorher ausgepeitscht, bis euch die Neunschwänzige Katze die Haut in Fetzen - aahh …« Wieder erscholl ein grauenhafter Schrei. Ben Fowler zuckte zusammen. Er merkte, wie sein M agen revoltierte. Eilig kroch er durch das Schilf zurück. Er besaß gerade noch so viel Überlegung, daß er sich bemühte, dabei so geräuschlos wie möglich zu sein. Noch einmal hörte er die Stimme Dans. »Ich sage nichts, von m ir erfahrt ihr nichts, ihr verdammten Hundesöhne, ich werde nicht reden, und wenn ihr mich in Stü cke schneidet, ich …« Ben Fowler hatte den Rand des Schilfgürtels erreicht. Er sprang auf und hetzte den Pfad entlang, der zum Fahrweg hin aufführte. Dort hielt er keuchend einige Sekunden inne, dann lief er weiter. Er achtete nicht auf die verwunderten Blicke, die ihm ein paar Leute zuwarfen, die von Topsham nach Exeter gingen. Er sah nicht das Fuhrwerk, das ihm entgegenkam - er lief mit häm mernden Pulsen und wild schlagendem Herzen weiter. So er reichte er Topsham. Als er das große fremde Schiff an der Außenpier liegen sah, wußte er, daß dieses Schiff die ›Isabella‹ sein mußte. Vor sei nen Augen kreisten rote Nebel, er wankte, taumelte, aber er blieb auf den Beinen. Dann stand er auf der Pier, er hatte keine Luft mehr, um zu rufen, er krächzte irgend etwas und sah noch, wie M änner am Schanzkleid der Galeone auftauchten. Unter ihnen sein Vater. Dann brach er in die Knie, total ausgepumpt, von Sinnen vor Angst und vor Anstrengung.
John Fowler sah, wie sein Sohn zusammenbrach. »Verdammt, das ist m ein Junge!« brüllte er und lief zur Plan ke, die vom Hauptdeck auf die Pier hinunterführte. Hasard Killigrew und Ben Brighton folgten ihm, und nie hätten sie dem schweren M ann eine derartige Behendigkeit und Fixigkeit zugetraut. Trotzdem war der Seewolf schneller. Er schwang sich einf ach über die Bordwand und hielt Ben Fowler bereits in den Armen, bevor sein Vater am Ende der Planke anlangte. Ben Fowler war wieder etwas zu Atem gekommen. Er sah den großen schwarzhaarigen M ann, der ihn in den Armen hielt, er sah seinen Vater, der eben herantrat. »Sie foltern einen Jungen. Sie wollen wissen, wo die Kassette mit den Seekarten ist. Sie bringen Dan um!« keuchte er. »Unten, bei der alten Kate am Fluß, wo wir immer angeln. Helfen Sie ihm, er hat so ge schrien, er hat gesagt, er würde sich eher in Stücke schneiden lassen, als zum Verräter zu werden …« Der Seewolf hatte genug gehört. Er stellte den Jungen auf den Boden. »Wo ist die Kate, Junge, rasch, beschreibe uns den Weg!« Ben Fowler tat es, und zwar so genau, daß der Seewolf sie gar nicht verfehlen konnte. Der Hafenmeister schaltete sich ein. »Warten Sie, Killigrew, ich begleite Sie.« Aber der Seewolf schüttelte den Kopf. »M eine Leute und ich sind schneller als Sie, es geht um Mi nuten. Ferris, Batuti, Matt!« brüllte er. Die Gerufenen tauchten auf, mit Entermessern bewaffnet. Ferris Tucker, der riesige rotblonde Schiffszimmermann, schwang seine gewaltige Axt. Hinter ihm tauchte der schlag kräftige Pete Ballie auf. »Habe alles gehört, Hasard. Bleib du lieber bei dem Schiff,
wer weiß, welche Teufelei diese Kerle noch vorhaben. Wir holen Dan schon raus! Und diese beiden Kerle - wir …« Der Seewolf trat hart an Ferris Tucker heran. »Bringt mir die beiden lebend. Tötet sie nur, wenn es gar nicht anders geht. Ich will endlich wissen, was hier eigentlich gespielt wird, wer diese beiden Kerle sind.« Ferris Tucker nickte. Dann winkte er Batuti, dem riesigen Neger, M att Davies, dem M ann, der anstelle der rechten Hand einen scharfgeschliffenen eisernen Haken als Prothese trug, und Pete Ballie, den bärenstarken Rudergänger der ›Isabella‹, dessen Fäuste es mühelos mit drei oder vier Gegnern zugleich aufnahmen. Die vier M änner liefen los. Ferris Tucker stieß wilde Verwünschungen aus, während er seine schwere Axt in geradezu furchterregender Weise schwang. Der Seewolf sah ihnen nach. Er mußte sich beherrschen, um den M ännern nicht nachzueilen. Wilder Zorn brannte in ihm, als er daran dachte, daß diese beiden Schufte den arm en Dan bestialisch folterten. Aber Hasard Killigrew wußte, daß Ferris Tucker recht hatte. Er mußte jetzt bei der ›Isabella‹ bleiben. M an konnte wirklich nicht wissen, ob diese beiden Halunken nicht tatsächlich neue Anschläge auf die Galeone vorbereitet hatten. Er wandte sich langsam um und sah Ben Brighton an. »Ben, gnade diesen beiden Kerlen, wenn ich sie je in die Fin ger kr iege. Bewaffne die gesamte M annschaft, laß die Dreh bassen laden, ebenfalls die zur Wasserseite gelegenen Kano nen. Ich will, daß wir auf alles vorbereitet sind. Es wird uns nicht immer gelingen, tödliches Unheil auf die gleiche Weise abzuwenden, wie Ferris es mit dem Brander in Plymouth ge schafft hat.« Der Bootsmann nickte düster. »Was wird mit Kapitän Thomas?« fragte er dann. »Verschieben wir, bis die vier mit Dan zurück sind.«
Der Seewolf starrte seinen Bootsmann sekundenlang an, und er sah, daß Brighton das gleiche dachte wie er. Was war, wenn die beiden Schufte Dan umgebracht hatten? Wenn der Junge diesen bestialischen Foltern nicht standgehalten hatte? Der Seewolf wußte genug über die M ethoden, mit denen gefoltert wurde. Und wieder war er versucht, den vier M ännern zu fol gen - es war ihm unerträglich, jetzt untätig auf der ›Isabella‹ herumzustehen. Aber er hatte die Verantwortung für Schiff und Ladung, er war derjenige, der Kapitän Drake Rechenschaft ablegen mußte, falls die ›Isabella‹ oder ihre Ladung einem Anschlag zum Opfer fiel. Er fuhr sich mit der Hand durch das rabenschwarze Haar, in seine Stirn hatten sich tiefe Falten eingegraben. »Kommen Sie, M ister Fowler, begleiten Sie mich an Bord meines Schiffes, und nehmen Sie Ihren tapferen Sohn mit. Wenn Dan noch zu retten ist, dann hat er einen erheblichen Anteil daran. Sie können stolz sein auf ihn!« Er klopfte Ben Fowler auf die Schulter und stieg die Planke hinauf aufs Hauptdeck der ›Isabella‹. Die beiden Fowlers folg ten ihm - und Ben betete in diesem M oment, daß es den vier M ännern gelingen möge, Dan aus den Klauen der beiden Un holde zu reißen. Plötzlich drehte sich der Seewolf noch einmal um und sah Ben Fowler aus seinen durchdringenden, eisblauen Augen an. »Ben, kannst du mir eine möglichst genaue Beschreibung die ser beiden Kerle geben? Und noch etwas, Junge: Alles, was du da über die Kassette und die Seekarten gehört hast, ist streng geheim. Du darfst zu niemandem darüber sprechen. Das gilt auch für Sie, M ister Fowler. Halten Sie sich daran, wenn Sie nicht in Schwierigkeiten geraten wollen.« Die beiden Fowlers nickten, sie hatten verstanden, daß es hier um Dinge ging, die ihren kleinen Horizont bei weitem über stiegen. Der Seewolf bedeutete ihnen, ihm in die Kajüte zu folgen.
Und Ben Fowler brannten vor Aufregung auf beiden Wangen rote Flecken. Er war noch nie auf einem Schiff wie der »Isabel la von Kastilien« gewesen, noch nie hatte er die Kammer eines echten Kapitäns betreten, und noch nie hatte er bei der art auf regenden Dingen eine so wichtige Rolle gespielt. 3. Patrick O‘M oore stieß eine Verwünschung aus. Dan rührte sich nicht mehr. Eine tiefe Ohnmacht hatte ihn wenigstens für Augenblicke von den Schmerzen und Qualen der erbarmungs losen Folter erlöst. »Dieser verdammte Bengel ist zäh wie eine Katze. Das einzi ge, was wir bisher aus ihm herausgepreßt haben, ist, daß die Kassette sich irgendwo an Bord der ›Isabella‹ befindet. Aber von den Seekarten scheint er tatsächlich nichts zu wissen.« Er starrte die blutigen Fingerkuppen Dans an. Alles in ihm sträubte sich, jetzt auch die glühenden Eisen und Nadeln bei dem Jungen anzuwenden, denn er wußte, daß Dan diese Proze dur nicht überleben würde. Wäre Dan ein M ann gewesen - es hätte O‘M oore kaltgelassen. Aber so? Er war schließlich kein Schlächter, sondern ein A gent, der im Auftrag der spanischen Krone, Ihrer katholischen M ajestät, handelte. »Trotzdem, Patrick, dieser Bursche verschweigt uns etwas. Etwas Wichtiges sogar. Ich hatte ihn fast so weit, daß er reden wollte. Aber dann kam diese verdammte Ohnmacht.« »Hol Wasser, Neil. Er muß wach werden. Dann bereite noch ein paar Hölzchen vor. Ich kenne da eine M ethode, die schon so manchen zum Sprechen gebracht hat, ohne daß er daran gleich verreckt ist. Los, beeil dich, ich kümmere mich inzwi schen um diesen Bengel, was jetzt folgt, bedarf einiger Vorbe reitungen.« Neil Griffith nickte, dann stieß er die Tür auf.
Und im selben M oment prallte er zurück. Er sah die M änner, die über den Pfad heranstürmten. Allen voran ein riesiger Ne ger, der ein Entermesser schwang, dicht hinter ihm ein rotblon der Hüne, der eine gewaltige A xt in der Rechten hielt und sie in diesem Augenblick mit einem wilden Schrei emporriß. Neil Griffith handelte blitzschnell. Er wirbelte herum, stürzte in die Hütte zurück, riß die Pistole vom Tisch und feuerte einen blinden Schuß durch die Tür. Er hoffte, die heranstürmenden M änner für Augenblicke aufhalten zu können. Sie mußten da mit rechnen, daß er und Patrick weitere Schüsse auf sie abfeu ern würden. Und wenn sie an die Hütte heranwollten, dann mußten sie erst über den freien Platz, auf dem die Kutsche stand, und auf dem auch das Feuer brannte. »Weg, Patrick!« zischte er seinem Partner zu, als O‘M oore herumfuhr und ihn anstarrte. »Die Kerle von der ›Isabella‹ haben uns gefunden, sie sind jeden M oment hier!« O‘M oore begriff sofort. Gehetzt blickte er sich um. Aus der Tür gelangten sie nicht mehr hinaus, das war ihm sofort klar. Also blieb nur noch die Rückwand. Draußen erhob sich jetzt wildes Geschrei. Batuti und M att Davies brüllten wüste Drohungen, irgend etwas donnerte gegen die Frontwand der Fischerkate. Wahrscheinlich ein großer Stein, denn ein langes Brett des morschen, verfallenen Bau werks flog splitternd ins Innere der Kate. Neil Griffith raste zur Tür. Noch im Laufen riß er seine zwei te Pistole aus dem Gürtel - und dann schoß er auch schon, diesmal gezielt. Ein wütender Schrei antwortete ihm. Die Aufschlagwucht der Kugel warf M att Davies rücklings zu Boden. Er hatte im M o ment das Gefühl, als habe ihm jem and den rechten Arm aus der Schulter gerissen. Der Schuß hatte seine Prothese getroffen. »Halt - wartet!« Die Stimme des Schiffszimmermanns übertönte die Stimmen der anderen. »In Deckung, M änner. Die Kerle sitzen in der
Falle, sie können uns nicht mehr entwischen. Aber ich schwöre es: Wenn sie Dan umgebracht haben, dann schlage ich ihnen eigenhändig mit meiner A xt die Schädel ein! Geht in Deckung - ich werde jetzt mit ihnen reden!« Neil Griffith grinste. Genau das war es, was er bezweckt hat te. Daß seine Kugel getroffen hatte, war mehr oder weniger ein glücklicher Zufall gewesen, obwohl er hervorragend mit seinen Waffen umzugehen verstand. Aber auch O‘M oore hatte inzwi schen nachgedacht. Sein Blick war auf das zersplitterte Brett zu seinen Füßen gefallen. Sofort wanderten seine Blicke zur Rückwand der Kate, und er sah, daß seine Hoffnung ihn nicht getrogen hatte. Auch dort war das Holz durch und durch morsch. »Neil - halte die Kerle hin. Wir verschwinden durch die Rückwand der Hütte. Hier!« Er warf seinem Komplicen eine geladene Pistole zu. Dann glitt er durch die Hütte nach hinten. »Kommt raus, ihr Ratten, ihr verdammten Bastarde, und bringt Dan mit!« hörten sie in diesem M oment Ferris Tucker rufen. »Wenn ihr euch ergebt, behaltet ihr euer Leben, wenn nicht, werdet ihr eine Höllenfahrt erleben, daß euch Hören und Sehen vergeht. Also, was ist, wie wollt ihr es haben?« Neil Griffith legte die Hände an den M und und formte sie zu einem Trichter. »Wenn ihr auch nur noch einen Schritt näher rückt, bringen wir den Jungen um. Er ist hier in der Hütte - und noch lebt er. Verschwindet. Wir haben noch genügend Kugeln, um euch allen das Lebenslicht auszublasen!« Um seinen Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen, feu erte er die Pistole ab, die ihm O‘M oore zugeworfen hatte. Der Schuß fuhr dicht vor Ferris Tucker in den Sand. Der rotblonde Hüne quittierte den Schuß mit einem wüsten Fluch, warf sich aber sofort in Deckung. »Diese Dreckskerle sind uns gegenüber im Vorteil, weil sie uns sehen können, wir sie aber nicht. Auf keinen Fall schießen,
Pete«, raunte er dem Rudergänger zu, der seine M uskete hoch gerissen hatte. »Du triffst vielleicht Dan, die Wände sind morsch und bieten einer Kugel kaum noch Widerstand.« Pete Ballie ließ die M uskete sinken. Gedankenschnell tausch te er einen Blick mit Batuti, und der nickte ihm zu. Gleich dar auf krochen die beiden ins Gebüsch, schlängelten sich durch Unterholz und Schilf und arbeiteten sich an die Hütte heran. »Rede mit ihnen, Ferris, lenke sie ab«, flüsterte M att Davies dem Bootsmann zu, dann schlug das Schilf über ihm zusam men. Genau in diesem Augenblick war O‘M oore in der Hütte auch soweit. Er sprengte einige der morschen Bretter aus der Rückwand heraus und erweiterte die Öffnung hastig, bis er hindurchschlüpfen konnte. »Neil!« zischte er, während er einen letzten Blick auf Dan warf, der eben wieder zu stöhnen und sich zu bewegen begann. Neil Griffith war mit wenigen Sätzen bei O‘M oore. »Und der Junge? Wir müssen ihn …« O‘M oore schüttelte den Kopf, packte seinen Partner und zog ihn mit sich ins Freie. Hinter der Hütte befand sich ebenfalls Schilf - aber, und das sahen sie erst in diesem Augenblick, dort führte auch ein schmaler Trampelpfad vorbei. O‘M oores Bli cke entdeckten das Angelzeug, das Ben Fowler dort hatte liegengelassen - und schlagartig war ihm alles klar. »Weg, so schnell wie möglich. Wenn diese Hunde von der ›Isabella‹ uns erwischen, sind wir dran. Irgend jemand, der hier angeln wollte, hat uns belauscht und dann Hilfe für den Jungen geholt. Los, lauf jetzt um dein Leben, Neil.« Die beiden Agenten jagten los. Innerhalb von Sekunden hatte sie das dichte Schilf verschluckt. Sie sahen nicht zurück, son dern stürmten immer weiter, so schnell es der Pfad zuließ.
Der Wind hatte an Stärke zugenommen, er verschluckte mit seinem Heulen alle Geräusche, die die beiden verursachten. Die ersten schweren Regentropfen schlugen ins Schilf. Batuti und Pete Ballie hatten sich inzwischen an die Hütte herangearbeitet. Der hünenhafte Neger blieb plötzlich still liegen und bedeute te Pete mit der Hand, das gleiche zu tun. Deutlich klang jetzt aus der Hütte ein herzzerreißendes Stöh nen an ihre Ohren, das schließlich in keuchenden Verwün schungen endete. »Dan! Das ist Dans Stimme! Er lebt!« Pete Ballie wollte noch etwas sagen, aber in diesem M oment schnellte Batuti aus dem Schilf hoch. M it riesigen Sätzen sprang er auf die Hütte zu. Sein schwerer, muskelbepackter Körper krachte gegen die morsche Außenwand, durchbrach sie und fetzte die morschen Latten und Bretter zur Seite. M it einem wilden Schrei riß Batuti sein Entermesser hoch, flog förmlich ins Innere der Hütte und prallte gegen den massi ven Bohlentisch, auf dem der gefesselte Dan sich befand. Hinter ihm sauste Pete Ballie durch die Bresche, die Batuti mit seinem Körper geschlagen hatte. Ihm gelang es, seinen Schwung gerade noch rechtzeitig abzubremsen. Dann ertönte neues Gebrüll, und Ferris Tucker brach wie ein Elefant zusammen mit M att Davies durch die Tür, die aus den Angeln f log. M att Davies hatte seinen Eisenhaken hochgeschwungen, aus schmerzverzerrtem Gesicht blickte er wild um sich - aber er fand keinen Gegner mehr vor. Ferris Tucker ließ seine gewaltige Zimmermannsaxt sinken, die in seinen Händen durch den überlangen Stiel eine geradezu fürchterliche Waffe war, gegen die noch nie einer seiner Geg ner eine Chance gehabt hatte. Dann fiel sein Blick auf Dan. M it ein paar Schritten seiner langen Beine war er heran.
Er sah die blutigen Finger, an denen zum Teil die Nägel ver brannt waren, sah die schrecklichen Wunden, die die glühenden Holzpflöcke in den Nagelbetten hinterlassen hatten, sah das bleiche, schweißüberströmte Gesicht, aus dem ihn weitauf gerissenen Augen anstarrten. »Dan - Junge, was haben s ie dir angetan, diese Dreckskerle, diese Bestien …« Dan zerrte plötzlich wie wild an seinen Fesseln. »Verdammt, du rotmähniger Affe, nenn mich nicht dauernd Junge, oder ich schlag dir noch mal den Schädel ein, ich …« Dans Kopf sackte zurück, er holte pfeifend Atem. »Bindet mich endlich los, verdammt und zugenäht«, fauchte er Batuti an, der ihn ebenfalls aus weitaufgerissenen Augen anstarrte. »Ihr hättet euch ruhig etwas mehr beeilen können, ihr lahmarschigen …« Dans Stimme war nur noch ein schwaches, kaum vernehmba res Gemurmel, dann umfing ihn erneut eine tiefe, erlösende Ohnmacht. Die vier M änner grinsten sich an, dann schnitt Ba tuti die Fesseln durch. Anschließend hoben sie ihn vom Tisch, Batuti nahm ihn kurzerhand in seine mächtigen Arme. »Tapferes kleines O‘Flynn«, radebrechte er in seinem schau erlichen Englisch. »Ich dich nie wieder werden Junge nennen.« Und plötzlich rollte er wild seine Augen. »Wo verfluchte Ha lunken, die dieses Junge …« Dröhnendes Gelächter brandete in der Fischerkate auf - ein befreiendes Gelächter. »Bring ihn zu der Kutsche draußen, Batuti, bleib bei ihm. Wir anderen wollen mal sehen, ob wir diese Folterknechte noch erwischen. Aber ich fürchte, die sind längst über alle Berge.« Ferris Tucker deutete auf das Loch in der Rückwand und stieß eine wüste Verwünschung aus. Der Schiffszimmerm ann, M att Davies und Pete Ballie liefen los. Sie folgten dem Pfad eine Weile, dann blieben sie ent täuscht und wütend stehen.
»Sie sind weg, diese verdammten Hunde sind uns tatsächlich wieder entwischt!« stieß Pete Ballie hervor. M att Davies hielt sich seinen rechten Arm, der oberhalb des eisernen Hakens immer noch höllisch schmerzte. »Zurück zum Schiff!« befahl Ferris Tucker. »Die beiden se hen wir wieder, diese Sorte gibt nicht auf, solange sie noch atmet. Wer weiß, was sie jetzt wieder für eine Teufelei aushe cken oder schon längst ausgeheckt haben. Denkt an die M ill Bay.« Der rotblonde Hüne wandte sich um, und die beiden anderen folgten ihm, so schnell es der schmale Pfad zuließ. »Wir nehmen die Kutsche«, sagte Ferris Tucker, als sie wie der bei der Fischerkate angelangt waren. »Du, Pete, steigst mit deiner M uskete zu mir auf den Kutschbock, du, M att, setzt dich zu Dan und Batuti in die Kutsche.« Er band das Pferd los, und gleich darauf rumpelte die Kale sche den Pfad zum Fahrweg hinauf.
Während der Fahrt berichtete Dan stockend von seinen Er lebnissen. Er mußte immer wieder Pausen einlegen, so er schöpft war er noch. Außerdem führte er einen verbissenen Kampf gegen die ungeheuren Schmerzen, die in Wellen von seinen gemarterten Fingern her durch den Körper fluteten. Trotz allem bewahrte er noch so viel Zurückhaltung, daß er nichts von den Seekarten erwähnte, nach denen seine beiden Peiniger bei der Folter immer wieder gefragt hatten. M att Davies beugte sich schließlich vor und sah ihn an. »Dan, haben diese beiden Strolche denn nicht ein einziges M al erwähnt, wen oder was sie eigentlich suchen?« Dan schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich sind sie hinter der
Kassette her, M att. Aber ich kann euch auch nicht sagen, wa rum.« Es widerstrebte Dan zwar sehr, seine Gefährten in diesem Punkt zu belügen. Aber er dachte daran, daß sich der Seewolf bisher ebenfalls eisern über den Inhalt der Kassette ausge schwiegen und sogar den M ännern der Besatzung gegenüber zu einer Notlüge gegriffen hatte. Und wenn ein Philip Hasard Killigrew das tat, dann konnte das für Dan nur bedeuten, daß er ebenfalls über alles den M und zuhalten hatte, was jene myste riösen Seekarten betraf, ehe Hasard ihm nicht ausdrücklich erlaubte, darüber zu sprechen. M it diesem Gedanken schlief Dan ein.
Der Seewolf stand auf dem Achterkastell, als die Kutsche mit Ferris Tucker, Dan und den ander en auf die Pier raste. Vor dem M aul des Pferdes stand der Schaum in dicken Flocken, so hatte Ferris Tucker das Tier gejagt. Ben Brighton, der neben dem Seewolf stand, kniff die Augen zusammen, als er Pete Ballie erkannte, der nach wie vor mit schußbereiter M uskete neben dem Schiffszimmermann auf dem Kutschbock saß. Ferris Tucker griff in die Zügel, als die Kalesche über das Pflaster der Pier rumpelte. Dann winkte er Ben Brighton und dem Seewolf zu. »Ho!« brüllte er. »Wir haben Dan, aber sorgt dafür, daß so rasch wie möglich ein Arzt geholt wird. Der Junge ist ziemlich übel zugerichtet, die Kerle haben ihn gefoltert, diese verfluch ten Bastarde!« Der Seewolf zuckte zusammen. Aber dann handelte er. »Ben, hol sofort den Hafenmeister und seinen Sohn. Sie ken
nen sich hier aus. Dan wird sofort zu einem Arzt gefahren. Ferris bleibt zusammen mit Pete Ballie bei ihm. Beeil dich - ich sehe inzwischen nach dem Jungen.« Der Seewolf lief los, Ben Brighton ebenfalls. Beide sahen, wie von überall die M änner der Besatzung auftauchten und zur Steuerbordseite hinüber liefen. Die Kutsche stoppte vor der ›Isabella‹, fast gleichzeitig mit ihr erschienen der Hafenmeister John Fowler und sein Sohn Ben. Batuti hob Dan aus der Kutsche, und dabei wurde Dan wach. »He - was soll das?« fragte er mit seiner hellen, durch den Stimmbruch ständig umkippenden Stimme. »Glaubst du etwa, ich kann nicht selber laufen? Also laß mich runter, aber ein bißchen schnell, ja?« Batuti grinste und stellte ihn auf den Boden. Dann war der Seewolf heran. Ohne ein Wort nahm er Dans Hände und besah sie sich. Er war ein harter M ann, den so leicht nichts aus dem Gleichgewicht bringen konnte, aber bei dem Anblick der Nägel und mit Brandwunden bedeckten Fingerkuppen lief ihm ein Frösteln über den Rücken. »Welcher dieser beiden Ker le hat das getan?« fragte er, und seine Stimme vibrierte vor Zorn. »Der Kleinere, der Stämmige. Der Hagere mit der Raubvo gelvisage hat nur zugesehen und dem anderen gesagt, was er als nächstes tun solle. Wenn ich diese beiden Hundesöhne je erwische, erschlage ich sie mit einem Knüppel wie tolle Hun de, ich …« Dan versagte die Stimme, die Erinnerung, der Schmerz, der in seinen Fingerkuppen tobte - das alles setzte ihm weit mehr zu, als er sich anmerken ließ. »Dan, was wollten diese Kerle von dir?« fragte der Seewolf. »Sie wollten doch etwas aus dir herausquetschen, dich zum Reden bringen?« Dan druckste herum, aber dann blitzten seine Augen plötzlich
auf. »Wir sollten das in deiner Kammer besprechen, ich brauche einen Whisky, mir ist verdammt übel, ich weiß auch nicht, woher das kommt.« Der Seewolf sah den Jungen aufmerksam an. Aber dann hatte er verstanden. Der Junge wollte ihm etwas sagen, was die an deren nicht hören sollten. Er bewunderte die Umsicht Dans, denn er ahnte sofort, um was es ging. »Gut, Dan. Natürlich kriegst du einen Whisky. Wir werden uns in meiner Kammer über alles in Ruhe unterhalten.« Er wandte sich an den Hafenmeister und an Ferris Tucker. »Ferris, ursprünglich wollte ich, daß du Dan sofort zu einem Arzt fährst, und zwar in Begleitung von M ister Fowler, der sich hier auskennt.« Er sah den Hafenmeister an. »Es gibt in Topsham doch einen Arzt, oder?« John Fowler nickte. »Einen sehr guten sogar, M ister Killigrew. Er wohnt aller dings ein wenig außerhalb, aber er wird sicher zu Hause sein.« »Gut. Ich ändere meine Anordnungen. Ferris, du fährst sofort mit M ister Fowler los. Pete, M att und Batuti begleiten dich aus Sicherheitsgründen. Wir wissen nicht, ob wir es nur mit diesen beiden Kerlen zu tun haben oder mit einer ganzen Gruppe, die auf die ›Isabella‹ angesetzt wurde. Beeilt euch, ich will, daß Dan so schnell wie möglich versorgt wird. Und du, Dan, kommst mit mir.« John Fowler verschwand in der Kutsche. Sein Sohn blieb auf einen Wink von ihm zurück und sah der davonrollenden Kale sche nach. Anschließend ging er zusammen mit dem Seewolf, Ben Brighton und Dan an Bord der ›Isabella‹. »Ben, kümmere dich um die Wachen. Ich glaube zwar nicht, daß wir zur Zeit etwas zu befürchten haben, aber besser ist besser. Wer nicht benötigt wird, soll schlafen gehen. Wachtörn wie besprochen. Und sieh zu, daß Ben Fowler etwas Vernünf
tiges zu essen kriegt. Wenn ich mit Dan gesprochen habe, wer de ich ihn rufen - wir sind dem Jungen Dank schuldig, wer weiß, ob Dan ohne ihn überhaupt noch lebte.« Dan blieb ruckartig stehen. »Wieso? Hat Ben Fowler mich gefunden? Was hat er damit zu tun?« »Du kannst nachher mit ihm selbst sprechen, Dan. Ben ist ein ganzer Kerl, du verdankst ihm dein Leben, zumindest aber deine Befreiung. Komm jetzt!« Wenig später saßen Dan und der Seewolf in der Kapitäns kammer im Achterkastell der ›Isabella‹. »Also Dan, wonach haben diese Kerle gesucht? Was wollten sie von dir wissen?« »Sie fragten dauernd nach der Kassette. Und sie wollten wis sen, wo die Seekarten wären.« Dan griff nach dem Glas Whisky, das Hasard ihm gegeben hatte. Als seine Finger sich um das Glas schlossen, verzog er schmerzhaft das Gesicht, trank dann aber doch. »Ah, das war gut. Eigentlich könntest du mir gleich noch ei nen einschütten, ich glaube, das hilft gegen diese verdammten Schmerzen.« Dan grinste verzerrt. Der Seewolf schüttelte nur den Kopf. »Du wirst noch mal zum Säufer, Dan, aber heute hast du den Whisky redlich ver dient.« Er schwieg einen M oment. Dann sah er Dan an, nachdem der abermals einen kräftigen Schluck genommen hatte. »Es stimmt, Dan, die Kassette enthält Seekarten. Sie sind für Kapitän Drake wertvoller als alles Silber, das wir erbeutet ha ben. Und ich fürchte, diese Kerle, die dich so übel zugerichtet haben, sind Spanier, die den Auftrag erhielten, die Seekarten wieder zurückzuholen. Die Seekarten sind geheim. Daß wir sie jetzt haben, könnte sogar zu einem Krieg führen. Wir werden sehr auf der Hut sein
müssen. Diese beiden M änner geben bestimmt nicht auf. Die werden wir Wiedersehen. Sie werden alles, aber auch alles dransetzen, uns die Karten wieder abzunehmen.« Dan starrte Hasard Killigrew aus großen Augen an. Er setzte das Glas, das er soeben hatte zum Munde führen wollen, mit einem Ruck wieder ab. »Du meinst, diese Karten sind wertvoller als die dreißig Ton nen Silber?« Dan schüttelte den Kopf, er konnte sich das ein fach nicht vorstellen. »Hör zu, Dan. Die Spanier haben Besitzungen in der Neuen Welt. Um dorthin zu segeln, br auchen sie Karten. In diese Kar ten sind auch ihre Stützpunkte eingetragen, die genauen Kurse, die Landmarken, nach denen ihre Schiffe und Besatzungen sich orientieren. Du weißt, daß gerade die Spanier aus der Neuen Welt Gold, Silber, Schmuck und vieles andere mehr importie ren. Du kannst dir doch denken, daß sie diese Stützpunkte und ihre Neuentdeckungen vor anderen Völkern und seefahrenden Ländern geheimhalten wollen. Je besser ihnen das gelingt, je geringer wird für sie das Risiko, daß auch andere zur Neuen Welt hinübersegeln und ihnen die Beute abjagen. Eine Ladung Silber ist eine feine Sache, aber Karten, die zu vielen solchen Ladungen verhelfen können, sind ungleich wertvoller und wichtiger, und genau solche Karten sind nun mit der ›Isabella‹ in unsere Hände gefallen.« Killigrew sah, daß Dan ihn verstanden hatte. »Deshalb, Dan, wirst du zu jedermann über diese Karten Stillschweigen bewahren. Ich nehme an, du hast auch unter wegs noch nichts darüber erzählt, denn sonst hättest du vorhin draußen auf der Pier ja nicht geschwiegen und erst alles hier in meiner Kammer berichtet.« Der Seewolf sah Dan forschend an. »Ich habe natürlich nichts gesagt, denn du selbst hast uns al les bisher verschwiegen, was die Kassette tatsächlich enthält. Du hast sogar eine Notlüge gebraucht, als du uns von dem an
geblichen Schmuck erzählt hast. Und da ich nicht dämlich bin, habe ich natürlich sofort geschaltet. Aber glaubst du, daß diese Karten jetzt an Bord noch sicher sind? Und glaubst du, daß dieser verdammte Doughty nicht auch hinter ihnen her ist? Vielleicht weiß er längst Bescheid. Du wirst jedenfalls sehr wachsam sein müssen. Und paß bloß auf, daß diese beiden Kerle oder dieser Doughty dich nicht irgendwann erwischen. Ich habe diese Hundesöhne kennengelernt, die verstehen kei nen Spaß. Die hätten mich wahrscheinlich auch niemals wieder laufenlassen, denn ich hatte sie ja gesehen und weiß jetzt, hin ter was sie her sind.« Der Seewolf lächelte und goß Dan noch ein drittes Glas Whisky ein. »Ich werde aufpassen, Dan. Jetzt ist erst mal wichtig, daß wir Kapitän Thomas erreichen. Er muß sich um diese verflixte Ladung kümm ern. Und es ist wichtig, daß du von einem Arzt versorgt wirst. Die Nägel wachsen nach - das dauert nur eine Weile, aber er muß sich die Wunden ansehen. Der Seewolf war aufgestanden und trat auf Dan zu. Er legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. »Du hast dich sehr tapfer gehalten, Dan, und mehr durchge standen, als ein M ann vielleicht ertragen kann. Du hast ge schwiegen, und dafür danke ich dir. Und nun ab mit dir. Geh zu Ben Fowler, er ist ein mutiger Bursche, er hat keine Sekun de gezögert, uns zu benachrichtigen.« Dan stand auf. Der Whisky hatte ihm gutgetan und die Schmerzen etwas zurückgedrängt. Dennoch war ihm immer noch reichlich f lau zumute. Er sah auf seine Hände, und sein Gesicht verzog sich zu einer grimmigen Grimasse. »Wenn ich diese Kerle erwische«, sagte er. Dann verließ er die Kammer.
Der Seewolf sah ihm lächelnd nach. Dann wurden seine Züge wieder hart. Sollten diese Kerle nur kom men. Sie würden die Kassette nicht finden, dafür hatte er gesorgt. Aber im übrigen würden sie sich wahrscheinlich hüten, direkt gegen die ›Isabel la‹ etwas zu unternehmen, zu viele Schlappen hatten sie bereits einstecken müssen. Und morgen - morgen würde er Kapitän Thomas holen lassen. In aller Herrgottsfrühe. Anschließend auslaufen, zurücksegeln nach Plymouth - und dann konnten ihm diese beiden Dons gestohlen bleiben. Hasard Killigrew zog Dans Glas zu sich heran und goß es voll. Dann stürzte er den Whisky mit einem Ruck herunter. Sollten sie nur kommen! dachte er und blickte durch eins der Fenster der Kammer nach draußen. Es dämmerte bereits. Noch immer heulte der Wind um das Schiff, sang in den Pardunen, ließ die Wellen gegen den mäch tigen Rumpf klatschen. Tiefhängende Wolken jagten über die Stadt, dann und wann klatschten Regenschauer hernieder, die dicken Tropfen zer platzten auf dem Kopfsteinpflaster der Pier. Er ging zur Heckgalerie hinüber, öffnete die Tür und trat hin aus. Tief atmete er die frische Luft ein und beschieß, die Tür noch ein wenig offenzulassen. Der Wind blies aus West, er konnte den Regen nicht in seine Kammer treiben. »Sollen sie nur kommen«, wiederholte der Seewolf und goß sich noch einen Whisky ein. Dann verließ er seine Kammer. Es gab noch eine M enge mit Ben Brighton zu besprechen. Außerdem wollte er die Wachen kontrollieren und nach den Drehbassen sehen, die bei dem Wetter in geladenem Zustand sorgfältig abgedeckt sein mußten, wenn sie schußbereit bleiben sollten. Der Seewolf ahnte nicht, wie bald schon seine Herausforde rung angenomm en werden sollte. Allerdings ganz anders, als er dachte.
4.
Es war längst dunkel, als O‘M oore und Neil Griffith ihr Zimmer unweit des Hafens betraten. Der hagere, raubvogelgesichtige M ann hatte keinen trockenen Faden mehr am Leib und fluchte erbittert vor sich hin. Seinem Partner ging es etwas besser, weil er wetterfeste Kleidung trug. O‘M oore trat ans Fenster - hütete sich jedoch, Licht anzuzün den. Aus brennenden Augen starrte er zu der ›Isabella von Kastilien‹ hinüber, deren Umrisse er deutlich im Licht der schwachen Laternen erkennen konnte. Er stand eine ganze Weile am Fenster. Seine Kiefer mahlten, in seinem Inneren wühlte erbitterte Wut. Sie hatten wieder eine Niederlage einstecken müssen. »Der Teufel persönlich schützt diesen Killigrew und seine Bande!« stieß O‘M oore schließlich hervor. »Anders ist das alles nicht zu erklären!« O‘M oore überlegte fieberhaft. Genaueres wußten sie immer noch nicht. Nur, daß sich eine Kassette an Bord befand. Und die Seekarten? Sie mußten in der Kassette sein, eine andere M öglichkeit gab es nicht. Und diese Kassette wiederum mußte sich in Killigrews Kammer befinden. Er würde sich hüten, sie irgendwo anders an Bord aufzubewahren, wenn er schon seiner M annschaft ihren Inhalt verschwieg. O‘M oore drehte sich ruckartig herum. Er sah seinen Komplizen Neil Griffith an. »Ich hole mir die Kassette heute nacht. Nach M itternacht ver löschen auch die letzten Lampen am Hafen. Der Henker mag wissen, warum die Topshamer Bürger solche Geizkragen sind. Dann geht der Nachtwächter noch seine Runden, aber auf den brauchen wir keine Rücksicht zu nehm en, das ist ein alter M ann, der froh ist, wenn man ihn in Ruhe läßt. Dieser Kil ligrew und seine Bande schlafen dann - um diese Zeit rechnen sie bestimmt nicht mehr mit uns.«
Neil Griffith hatte ihm bis dahin zugehört, ohne ein Wort da zu zu sagen. Jetzt aber trat er hart an O‘Moore heran. »Du mußt verrückt sein, Patrick. Total verrückt«, sagte er. »Du bildest dir doch wohl nicht ein, daß du ungesehen auf das Schiff kommst? Dieser Seewolf läßt Wachen gehen. Und selbst wenn du die Wachen ausschalten könntest, wie willst du an die Kassette gelangen? Die hat der Seewolf in seiner Kam mer versteckt, und in dieser Kammer schläft er. Hast du vergessen, was für ein Kämpfer der M ann ist? Und selbst wenn es dir gelänge, ihn im Schlaf zu überraschen - du brauchst ihn lebend. Beim geringsten Lärm, den er schlägt, bist du gelief ert. Nein, was du vorhast, ist heller Wahnsinn!« »Vielleicht hast du recht, Neil«, erwiderte O‘M oore. »Trotzdem muß ich es versuchen. Die Kerle lauf en mor gen bestimmt wieder aus, und dann sind sie endgültig weg, für uns unerreichbar - es sei denn …« Wieder überlegte O‘M oore fieberhaft, aber dann schüttelte er erneut den Kopf. »Nein, das ist zu riskant. Wir wissen nicht, ob die ›España‹ pünktlich ist, sie hat bestimmt schweres Wetter gehabt, außer dem …« Er drehte sich um und starrte wieder aus dem Fenster. Einen offenen Kampf gegen diesen M ann und gegen diese M annschaft wagen? Gegen einen Ker l, der es geschafft hatte, auf der Reede von Cadiz die ›Isabella‹ zu kapern und sie unbe schadet durch den Ring der Kriegsgaleonen zu bringen? Nein, das alles war viel zu unsicher. Er mußte sich die Karten holen und dann mit ihnen samt der ›España‹ verschwinden, die sie draußen auf See aufnehmen sollte. »Nein, es bleibt dabei: Wir holen die Karten heute nacht, Neil. Und wir haben die Überraschung auf unserer Seite, denn selbst dieser Killigrew rechnet nicht damit, daß wir es wagen, noch eine Aktion zu starten und ihn in seiner eigenen Höhle aufzusuchen.«
Neil Griffith schüttelte den Kopf. Aber dann sagte er: »Du gibst die Befehle, ich muß mich dir fügen. Und wie stellst du dir das Ganze vor? Wie willst du an Bord gelangen und nach her verschwinden?« Patrick O‘M oore sprach unwillkürlich leiser, als er seinem Partner seinen Plan zu erklären begann. »Du besorgst das Fischerboot - die Nacht ist dunkel, man wird dich auch von der ›Isabella‹ nicht entdecken können, wenn du im Schatten der Pier auf mich wartest - und zwar dort, wo die Pier zur M ole hin abknickt. Ich kenne durch die Pläne, die wir von der ›Isabella‹ haben, das Schiff genau - mindestens so gut wie seine Besatzung. Ich brauche nur die Wachen eine Weile zu beobachten, um zu wissen, wie ich ungesehen an Bord gelange. Bin ich aber einmal an Bord, dann wird mich niemand daran hindern, auch bis zur Kapitänskammer vorzu dringen. Bevor der Kerl richtig wach ist, bin ich schon über ihm - und ich wette mit dir, daß er nicht schreit, daß er keinen Lärm schlagen wird.« O‘M oore stieß ein böses Lachen aus. »Dann aber wird dieser Kerl singen und anschließend sterben. Lautlos, ohne die M öglichkeit, auch nur einen Schrei auszusto ßen. Wenn das alles geschafft ist, gebe ich dir von der Heckga lerie aus mit einer Lampe ein Zeichen. Dreimal blende ich die Lampe ab. Du pullst dann sofort mit dem Boot heran, das wird die Wache ablenken. Du rufst sie sogar an, verwickelst sie in ein Gespräch. Und bis du heran bist, habe ich bereits Feuer an Bord der Galeone gelegt -es wird genau zum richtigen Zeit punkt aufflammen. Da - sieh her!« Er bückte sich und holte unter seinem Bett ein tönernes Gefäß hervor. »Griechisches Feuer, Neil«, sagte er. »Nicht zu löschen, mit keinem M ittel. Es frißt sich durch die Decks eines Schiffes bis zum Kiel, unaufhaltsam, immer weiter.« Neil Griffith griff nach dem Gefäß. Dann starrte er O‘M oore
an. »Woher hast du das? Ich wußte gar nicht …« »Spaniens Arm reicht weit, Neil. Viel weiter, als du denkst. Es braucht dich nicht zu interessieren, woher ich dieses Gefäß habe, aber dir ist hoffentlich klar, daß die ›Isabella‹ so oder so verloren ist, ob ich die Karten nun habe oder nicht. Jedenfalls erhalten die verdammten Engländer weder das Silber noch das Schiff noch die Karten!« O‘M oores Augen glühten in diesem M oment. Fanatismus lo derte in ihnen, und unwillkürlich trat Neil Griffith einen Schritt zurück. So kannte er seinen sonst so beherrschten Partner nicht. »Geh jetzt, Neil. Besorg das Boot. Es muß alles an Bord sein, was wir später auf See benötigen. Du erscheinst, wenn ich dir die Zeichen gebe.« Neil Griffith nickte. Er überprüfte sorgfältig seine Waffen, lud sie vorsichtshalber neu auf und reichte dann eine der Pisto len O‘M oore. »Für alle Fälle, Patrick«, sagte er düster. Nach einem letzten Blick auf das tönerne Gefäß verließ er das Zimmer.
Patrick O‘M oore lauschte seinen Schritten, bis sie verklan gen. Dann ging er unverzüglich an die Arbeit. Es gab für ihn noch eine M enge zu tun. Zunächst entkleidete er sich und rieb dann seinen Körper sorgfältig mit einer bräunlichen M asse ein, die wie Talg aus sah. Er ließ sich Zeit dabei, weil er wußte, wie wichtig gerade dieser Teil seiner Vorbereitungen war. Er schlüpfte in eine Pumphose, die durch einen breiten Gürtel gehalten wurde. Sorgfältig brachte er an diesem Gürtel die Pistole und ein lan
ges M esser unter - beides so, daß er in seinen Bewegungen nicht behindert wurde. Dann griff er nach dem Tongefäß, schob es behutsam in eine vorbereitete Segeltuchtasche, die er sich an den Gürtel hängte. Zum Schluß warf er sich um den nackten Oberkörper einen dunklen Umhang. Ein ebensolcher Schlapphut vervollständigte seine Bekleidung. Noch einmal trat er ans Fenster und starrte zu der Galeone hinüber. Er schlug ein Kreuz und verließ gleich darauf eben falls das Zimmer. Barfüßig. Geschützt durch die Dunkelheit, die durch die tiefhängenden, grauschwarzen Regenwolken noch dichter wurde, huschte er durch die schmalen Gassen der Außenpier ent gegen.
An Bord der ›Isabella‹ herrschte Ruhe. Der Arzt war dagewesen, hatte Dan versorgt, so gut er konn te, und ihn dann in seine Koje gesteckt. Die M annschaft lag ebenfalls im tiefen Schlaf, aus genommen die beiden Doppelwachen an Back- und Steuerbord, die uner müdlich ihre Runden gingen. Zur Backbordwache gehörten Blacky, ein dunkelhaariger, braunhäutiger M ann mit harten Fäusten, der schon lange zur See fuhr, und Smoky, der Decksälteste, der sich diese Position mit seinen Fäusten erkämpft hatte. An Steuerbord gingen Stenmark, der blonde Schwede, und der schlanke und zähe, strohblonde Jim M aloney, Wache. Es herrschte ungemütliches, naßkaltes Wetter. Ständig peitschten heftige Böen den Regen über Deck, so daß die vier M änner unwillkürlich immer wieder hinter dem Schanzkleid oder den Geschützen auf dem Hauptdeck Schutz suchten. »Ich gäbe was drum, wenn wir dieses dreimal verdammte
Topsham endlich wieder verlassen und in See gehen würden«, brummte M aloney. »Dieses verdammte Wacheschieben bei diesem M istwetter geht mir auf die Nerven.« Stenmark, der sich während der Regenbö hinter eins der Ge schütze gekauert hatte, schnaufte zustimmend. »Aber die M ill Bay ist auch nicht besser. Dort regnet‘s ge nauso, und Langfinger gibt‘s da auch. Hoffentlich kreuzt Drake bald auf, dann geht‘s bestimmt wieder los. Der hat seine Schif fe noch nie lange in irgendeinem Hafen herumliegen lassen.« »Recht hast du, Schwede«, ließ sich von Backbord Blacky vernehmen. »Aber in Plymouth war wenigstens noch etwas los, ich meine, da passierte wenigstens etwas. Aber hier - nur den armen Dan haben diese Schufte fast umgebracht. M ann, wenn ich die je zwischen die Finger kriege, die jagt sogar der Teufel wieder aus der Hölle, wenn sie bei ihm anklopfen, so verschieb ich denen die Visagen.« »Hört endlich auf mit der M eckerei!« schaltete sich Smoky, der Decksälteste, ein. »Wenn ihr erst euren Prisenanteil kassiert habt, werdet ihr dem Seewolf noch dankbar sein. Paßt jetzt gefälligst auf. Wenn ihr weiter so dämlich herumquasselt, kön nen sich diese Kerle glatt an Bord schleichen, ohne daß ihr auch nur das geringste davon merkt.« M aloney knurrte etwas, aber dann verließ er die Deckung der Kanone und nahm zusammen mit Stenmark seinen unterbro chenen Rundgang wieder auf. In der Takelage heulte der Wind, Tauwerk ächzte, ununterbrochen klatschten Wellen gegen den Rumpf der ›Isabella‹. Hätte einer der vier M änner die leiseste Ahnung gehabt, wie recht Smoky mit seinen Ermahnungen hatte, dann wäre an Bord schon in diesem M oment der Teufel los gewesen.
Die ganze Zeit über hatte O‘Moore hart an den Rumpf der Galeone gepreßt auf dem Kai gekauert. Er hatte genau gehört, was die M änner miteinander sprachen. Und da er schon seit einer guten Stunde in Wind und Regen kauerte, hatte er auch genau heraus gekriegt, wann die M änner sich Deckung oder Schutz vor Wind und Regen suchten. Auch O‘M oore war es erbärmlich kalt. Er mußte trotz der di cken Fettschicht, die seinen Körper um gab, seine ganze Selbst beherrschung aufbieten, um nicht mit den Zähnen zu klappern. Aber sein Lauschen hatte sich gelohnt - er wußte, daß der See wolf in seiner Kammer war, die übrige M annschaft der ›Isabel la‹ schlief und am nächsten M orgen in aller Frühe ein paar M änner mit einer Kutsche aufbrechen sollten, um Kapitän Thomas an Bord der ›Isabella‹ zu holen. Und O‘M oore kannte inzwischen genau die zeitlichen Ab stände, wann sich die Wachen auf dem Hauptdeck, dem Quart erdeck oder auf dem Vor- oder Achterkastell befanden. Er brauchte nur den Schritten der M änner zu lauschen, um ihren Weg genau zu verfolgen. Es hätte sich schon ein paarmal für ihn Gelegenheit gefunden, an Bord zu huschen. Der Kai ragte ziemlich hoch aus dem Wasser, O‘M oore brauchte sich praktisch nur über das Schanzkleid zu schwingen, um auf die Galeone zu gelangen. Er hatte sich längst für das Hauptdeck entschieden, weil ihm dort die Geschütze hervorragende De ckung und Versteckmöglichkeiten boten, falls das notwendig sein sollte. Trotzdem wartete er - bis jene schwere Regenbö über das Schiff prasselte und die M änner der Wache fluchtartig in De ckung gingen. Er sicherte noch ein letztes M al nach allen Seiten, dann schwang er sich über das Schanzkleid. Seine nackten Füße verursachten kein Geräusch, als er auf das Hauptdeck sprang und zwar am nach achtern gelegenen Ende. Sofort ging er in die Hocke und lauschte. Aber weiter vorn, wo sich die vier
M änner befanden, rührte sich nichts. Nur der Regen prasselte auf das Schiff, hüllte es in seine dichten Wasserschleier, und die stockdunkle Nacht tat ein übriges. O‘M oore huschte weiter. Er kannte sich auf der ›Isabella‹ aus. Bevor er zu seinem Un ternehmen von Spanien aufgebrochen war, hatte er sich Zeich nungen aller wichtigen Details anfertigen lassen. So wußte er genau, wo sich die Kapitänskammer befand und auch, wie er dahin gelangte. Er erreichte ungesehen die dicke Bohlentür, aber dort zögerte er. Er wußte, daß auf fast allen Schiffen die Angeln, in denen sich eine solche Tür bewegte, durch die Nässe, durch das ewig überkommende Salzwasser knarrten oder sogar laut quietsch ten. Er entschied sich rasch, diesen Zugang nur zu wählen, wenn ihm kein anderer blieb. Er wußte, daß eine Tür zur Heckgalerie hinausführte. Er wußte auch, daß diese Türen bei Nacht zumeist offenblieben, damit alles ein wenig besser durchgelüftet wurde. O‘M oore glitt weiter. Er stieg zum Achterkastell hoch, sorg sam darauf bedacht, ja kein Geräusch zu verursachen. Am hin derlichsten bei dieser ganzen Sache war der Topf mit dem Griechischen Feuer, der an seinem Gürtel hing. Zudem mußte er sich höllisch davor hüten, ihn zu zerbrechen, denn dann wäre er im Handumdrehen eine lebende Fackel. Dieser Topf war einer von jenen, die sich beim Eintritt von Luft augenblicklich selbsttätig entzündeten. Das war teuer gewesen, aber O‘M oore wußte, daß ihm im Ernstfall keine Zeit bleiben würde, den In halt des Topfes erst noch zu zünden. Die Regenbö ließ nach, und O‘M oore nahm die letzten Stufen der steilen Treppe, die zum Achterkastell emporführte, noch schneller. Er wußte, daß die Steuerbordwache gleich aus ihrem Windschutz kriechen würde und dann auch aufs Achterkastell stieg. Er erreichte das Deck, als hinter ihm Stimmen laut wurden.
Er hörte was Smoky den M ännern sagte, und ein böses Grinsen huschte um seine schmalen Lippen. Er schlich über die Planken des Decks. Der Wind, der über das Achterkastell ungehindert hinwegheulte, zerrte an seinem dunklen Umhang. Als O‘M oore einen M oment nicht aufpaßte, riß er ihm den schwarzen Hut vom Kopf und wehte ihn über die Reling ins Wasser. O‘M oore stieß einen unterdrückten Fluch aus. Dann fand er, wonach er suchte - eine sauber aufgeschossene Taurolle, die ihn in die Lage versetzte, sich vom Achterkastell aus auf die Heckgalerie hinabzulassen. Allerdings reichte dafür die Zeit nicht mehr aus. Gleich mußten die beiden M änner der Wache hier auftauchen. O‘M oore sah sich um. Außer der Drehbasse bot sich auf dem Achterkastell nur noch der Besanmast an. Nicht ausreichend, nicht sicher genug! entschied O‘M oore. Und dann wußte er auch schon, was er tun würde. Er lief mit unhörbaren Schritten über das Achterkastell und erreichte Se kunden später die Heckreling. Er kletterte hinüber und ließ sich auf der anderen Seite wieder hinab, bis nur noch seine Hände auf der Reling lagen. O‘M oore rechnete damit, daß selbst eine aufmerksam e Wache sie bei der herrschenden Dunkelheit nicht entdecken würde. Er verhielt sich völlig still und wagte kaum zu atmen, als Stenmark und M aloney das Achterkastell betraten und routi nemäßig kontrollierten. Zu seiner Erleichterung vernahm O‘M oore die Stimme Stenmarks durch das Heulen des Windes. »Verdammt, Jim, laß uns von hier oben verschwinden. Ich bin klatschnaß und dann noch dieser verdammte Wind …« Die beiden M änner stiegen den Niedergang hinunter und ver schwanden zwischen dem Gerät und den Geschützen des Hauptdecks. O‘M oore zog sich wieder über die Reling, griff sich die Tau rolle und befestigte das eine Ende mit einer Schlinge an einer
Strebe, aber so, daß er das Tau später von der Heckgalerie aus zu sich herabziehen konnte, damit es auf dem Achterkastell nicht zum Verräter werden konnte. Dann ließ er das andere Ende vorsichtig hinab, packte zu und glitt am Spiegel der Galeone in die Tiefe. O‘M oore ließ sich Zeit dabei, denn er durfte keinesfalls ir gendwelche Geräusche verursachen. Er erreichte die Heckgale rie und turnte lautlos über die Reling. Das Tau ließ er vorläufig noch hängen, das hatte Zeit bis nachher. Erst mußte er diesen verdammten Killigrew ausschalten. Er legte seinen Umhang ab, hakte den Topf mit dem Griechi schen Feuer vom Gürtel und deponierte ihn ebenfalls auf der Heckgalerie. Er sah sich um und stellte zu seiner Freude fest, daß die Tür zur Kajüte tatsächlich aufstand. O‘M oore zog seine Pistole. Bei einem M ann wie dem Seewolf durfte er sich keinesfalls auf die Kraft seiner Fäuste verlassen. Er hatte ihn an der M ill Bay ja schon einmal als Gegner kennengelernt. Er wußte daher, wie schnell und explosiv der Seewolf reagierte. Er schlich zur Tür. Und jetzt kam O‘M oore seine fast schon pedantische Genauigkeit zugute. Durch die genaue Befragung von Capitan Valdez kannte er das Innere der Kammer genau und wußte, wo sich die Koje des Kapitäns befand. Er tastete sich durch die Dunkelheit. Und schon stand er vor der Koje, tastete nach dem Kopf des Seewolfs und schlug ge nau in dem M oment zu, in dem Killigrew emporfuhr, weil er die Berührung gespürt hatte. Der Schlag traf, aber er schaltete den Seewolf nicht sofort aus. Es gelang ihm noch, sich nach vorn zu werfen, O‘M oore seinen Schädel gegen die Brust zu rammen und den Agenten quer durch die Kammer gegen die Wand zu katapultieren. Dann taumelte der Seewolf hoch, bunte Kreise drehten sich vor seinen Augen, er begriff in diesem M oment noch gar nicht, was eigentlich geschehen war. Da traf ihn bereits der zweite
Schlag. O‘M oore hatte sich von der Wand abgestoßen und den Seewolf angesprungen, noch während der versuchte, die Be nommenheit abzuschütteln. Der zweite Schlag warf Killigrew in die Koje zurück, und er war mit solcher Wucht geführt, daß der Seewolf sofort das Bewußtsein verlor. O‘M oore keuchte, Schweiß perlte auf seiner Stirn, er spürte, wie sein Herz gegen die Rippen trommelte. Wäre dieser zweite Schlag kein Treffer gewesen, hätte er entweder mit dem Seewolf kämpfen müssen, was garantiert einigen Lärm verursacht hätte, oder es wäre ihm nur die M ög lichkeit geblieben, dem verhaßten Gegner das Griechische Feuer vor die Füße zu schleudern und dann über Bord zu springen. O‘M oore wußte, daß er kein Licht anzünden durfte, wenn er sich nicht verraten wollte. Allenfalls eine Kerze durfte er ent zünden - mehr unter keinen Umständen. Aber zunächst mußte er Killigrew fesseln - und dazu brauchte er das Seil, mit dem er sich auf die Heckgalerie hinuntergelas sen hatte. Er vergewisserte sich noch einmal, daß der Seewolf in tiefer Bewußtlosigkeit lag, dann eilte er auf die Heckgalerie hinaus, zog das Tau zu sich herab und fing das herabfallende Ende auf, damit es kein Geräusch verursachte. Er kehrte in die Kammer des Seewolfs zurück und begann ihn sorgsam zu fesseln. Anschließend durchsuchte er die Kammer beim Schein einer Kerze. Er hörte sofort auf, sobald sich die Schritte der Wachen näherten, und suchte weiter, wenn sie sich wieder entfernten. Aber er fand nichts - und schließlich ließ er sich mit einer Verwünschung auf einem der Stühle nieder, die in der Kammer standen. Er löschte die Kerze aus, nachdem er Killigrew noch einmal ins Gesicht geleuchtet hatte. Er wußte, daß es nur noch M inuten dauern konnte, bis der Seewolf wieder bei Besinnung war. Und dann sollte er ihm antworten.
Er legte ihm einen Knebel an, um auch in dieser Hinsicht vor Überraschungen geschützt zu sein, dann wartete er.
Als der Seewolf wieder zu sich kam, war es stockdunkel. In seinem Schädel bohrte der Schmerz, und er hatte das Ge fühl, jeden Augenblick zu ersticken. M it einem Ruck wollte er sich aufsetzen, da bemerkte er, daß er gefesselt und geknebelt war. Eisiger Schreck durchfuhr ihn. Schwach erinnerte er sich, daß ihn irgend jemand in seiner Kajüte im Schlaf überfallen und nieder geschlagen hatte. Vergeblich versuchte der Seewolf, sich genauer zu erinnern, aber vor seinem Bewußtsein erschien immer nur eine schemenhafte, dunkle Gestalt. Hasard Killigrew brauchte nicht lange zu rätseln. Aus dem Dunkel drang eine Stim me zu ihm. »Ich habe auf diesen M oment gewartet, Killigrew, seit ich dir und der ›Isabella‹ folge.« Haß und unüberhörbarer Triumph schwangen in der Stimme. Der Seewolf erkannte die Stimme - sie gehörte jenem M ann mit dem Raubvogelgesicht, der schon in der M ill Bay versucht hatte, ihn zu entführen. Zu weiteren Überlegungen blieb Ha sard Killigrew keine Zeit. O‘M oore trat an seine Koje. »Hör mir jetzt gut zu, Killigrew. Du hast keine Chance mehr, ich werde dir keine Gelegenheit geben, irgend etwas gegen mich zu unternehm en. Wir beide sind hier allein miteinander, deine Leute wissen nichts von meiner Anwesenheit, sollten sie aber dennoch etwas merken, dann bist du sofort ein toter M ann.« Er schwieg einen M oment. Dann flammte eine Kerze auf und warf ihr flackerndes Licht durch die Kammer.
Der Seewolf sah den nackten, mit Fett eingeriebenen Ober körper O‘Moores, seine nackten Füße, die Pistole, die in sei nem Gürtel steckte, und das lange M esser, das er in der Hand hielt. Es war höchst unwahrscheinlich, daß der schwache Ker zenschein von Deck aus bemerkt werden würde. Die Fenster der Kammer lagen an Back- und Steuerbord und nach achtern, dort, wo sich die Heckgalerie befand. Auch vom Achterkastell aus waren sie nicht einzusehen - oder man mußte sich schon weit über die Reling beugen. Den Seewolf packte ein Zorn, an dem er fast erstickte. Er konnte sich nicht erklären, wie es diesem M ann gelungen war, trotz der Doppelwachen an Bord zu steigen und bis in seine Kammer vorzudringen, ohne bemerkt zu werden. In seinen Zorn mischte sich gleichzeitig so etwas wie Respekt und Bewunderung. Wie viele Niederlagen dieser M ann und sein Komplice auch hatten einstecken müssen, wie knapp sie schon zweimal entwischt waren - sie gaben nicht auf, sie ris kierten Kopf und Kragen, um an die Seekarten und an die La dung der ›Isabella‹ heranzukommen. »Wo ist die Kassette mit den Karten, Killigrew? Ich will sie haben, jetzt sofort. Ob du redest oder nicht. England kriegt sie auf keinen Fall, weder sie noch die Silberbarren noch die ›Isa bella‹. Die Augen O‘M oores schienen zu glühen. »Ich werde dir jetzt den Knebel aus dem M und nehmen, damit du mir antwor ten kannst. Aber hüte dich, nach deinen M ännern zu rufen. Paß auf, Killigrew - ich zeige dir jetzt etwas!« O‘M oore verschwand im Dunkel der Kajüte. Der schwache Kerzenschein reichte nicht weit genug, als daß der Seewolf verfolgen konnte, was er tat. Er registrierte lediglich, daß O‘M oore auf die Heckgalerie hinaushuschte und gleich darauf wieder erschien. In den Händen hielt er ein Tongefäß, das die Form zweier aufeinandergelegter Schalen hatte. Er trat ganz dicht an ihn heran, so daß der Kerzenschein ihn beleuchtete.
»Kennst du das hier, Killigrew?« fragte er. Er wartete einen M oment und weidete sich an dem Erschrecken, das über die Züge des Seewolfs zuckte. »Du kennst es also, das Griechische Feuer. Du weißt, was ge schieht, wenn ich dieses Gefäß fallen lasse. Keine M acht der Erde vermag den Brand, den es entfacht, zu löschen. Und jetzt hör mir gut zu, Killigrew. Wenn du auch nur einen lauten Ton von dir gibst, lasse ich den Topf fallen. Dann verbrennst du zusammen mit der ›Isabella‹ und den Karten - und du wirst tot sein, noch bevor deine M änner dich retten können. Das gleiche werde ich tun, wenn du dich weigerst, mir das Versteck zu nennen, in dem du die Seekarten aufbewahrst. Entweder erhalte ich sie und mit mir Spanien, dem du sie gestohlen hast, oder sie verbrennen. Wenn du redest, gebe ich dir vielleicht eine Chan ce, daß du dich retten kannst. Du hast jetzt einen Augenblick Zeit, über alles nachzudenken. Wenn ich zurückkehre, mußt du dich entscheiden. Überleg es dir gut, Killigrew - ich bluffe nicht.« Der Seewolf sah, wie O‘M oore das Tongefäß auf dem Tisch abstellte und dann die Laterne vom Deckenhaken nahm, sie anzündete und wieder zur Heckgalerie hinaushuschte. Er wußte nicht, daß O‘M oore Neil Griffith die verabredeten Zeichen gab, nachdem er sich vergewissert hatte, daß sich keine Wache in der Nähe des Achterkastells befand. Der Seewolf zerrte an seinen Fesseln. Aber sie saßen fest, es war für ihn völlig unmöglich, sie zu lösen. Er befand sich in einer nahezu aussichtslosen Lage, und er wußte, daß dieser Spanier diesmal bestimmt keinen Fehler begehen würde. Hasard zermarterte sich den Kopf nach einem Ausweg, aber er fand keinen. Er wußte nur, daß er dem M ann mit dem Raub vogelgesicht das Versteck der Seekarten unter keinen Umstän den verraten würde. Trotzdem mußte er Zeit gewinnen - irgendwie. O‘M oore kehrte in die Kammer zurück. Er trat auf Killigrew
zu und löste den Knebel. »Wie hast du dich entschieden?« fragte er, trat zurück und nahm den Topf mit dem Griechischen Feuer vom Tisch. »Antworte, oder ich lasse ihn fallen!« 5. Der Seewolf befand sich in einer teuflischen Situation. Aber nicht nur für ihn war dies eine schlimme Nacht - auch Dan wälzte sich unter Deck auf seinem Lager hin und her. Sei ne Finger brannten, der Schmerz ließ ihn nicht schlafen. Er verfluchte im stillen die spanischen A genten. Einige der M änner unter Deck schnarchten - und auch das ging Dan unter diesen Umständen mächtig auf die Nerven. Er erhob sich. »Ich werde zum Kutscher in die Kombüse gehen«, murmelte er. »Der muß was von seinem Rum herausrücken. Und wenn ich mich heute total besaufe, aber ich will endlich schlafen, verflucht noch mal!« Dan angelte nach seiner Segeltuchjacke. Er wußte, daß draußen ein eiskalter Wind wehte und immer wieder Regenschauer auf die Galeone niederprasselten. Er mußte an Ferris Tuckers Lager vorbei. Der rothaarige Hü ne wachte auf, als Dan beinahe über seine ausgestreckten Füße stolperte. »He, Dan, paß gefälligst auf deine Knochen auf«, murrte er, nachdem er den Störenfried erkannt hatte. »Wo willst du denn hin? Oder lassen dich die Schmerzen in deinen Fingern nicht schlafen?« Der Junge tat Tucker leid - es war keine Kleinigkeit, was ihm die beiden Spanier angetan hatten. Dan blieb stehen. »Ich will zum Kutscher, Ferris. Ich leier ihm jetzt was von seinem Rum aus der Figur, ob er will oder
nicht. Die verdammten Finger lassen m ir keine Ruhe. O M ann, wenn ich diese beiden Drecksker le doch erwischen würde, ich würde sie erschlagen wie tolle Hunde - nein, das wäre zu we nig, aber mir würde schon was einfallen, Ferris, darauf kannst du dich verlassen.« Der Schiffszimmermann grinste. Der Junge gefiel ihm, er hat te ihn schon seit langem in sein Herz geschlossen. »Warte, Dan, ich komm e m it. M it vereinten Kräften werden wir den Kutscher schon weichkneten, wenn er sich taub stellen sollte.« Tucker hatte leise gesprochen, während er aufstand und sich ebenfalls ein paar Kleidungsstücke überwarf. Er hatte ebenfalls Stunden voller Unruhe hinter sich und nahm sich vor, gleich zeitig mit ihrem Gang zur Kombüse auf der ›Isabella‹ nach dem Rechten zu sehen. Schließlich befanden sich diese beiden Kerle imm er noch auf freiem Fuß und auch ganz bestimmt irgendwo in Topsham. Zusammen mit Dan ging Ferris Tucker durch das Deck. Im flackernden Schein der blakenden Laterne, die an einem der Balken hing, wichen sie den Schläfern aus. Als sie den Niedergang erreichten, der zum Hauptdeck führte, vernahmen sie Stenmarks Stimme. »Du spinnst, Jim«, sagte der blonde Schwede gerade zu M a loney, »was soll denn eigentlich eine Taurolle auf dem Achter kastell, he? Die hat doch gar nichts da verloren, du bildest dir die ganze Sache bestimmt nur ein.« Jim M aloney blieb ruckartig stehen. »Du kannst von mir hal ten, was du willst, Schwede, aber ich selber habe sie dort hin gebracht und aufgeschossen. Ich muß einen Teil des laufenden Guts am Besan erneuern, bin gestern aber durch diese ganze Sache mit Dan nicht mehr dazu gekommen. Und jetzt ist sie verschwunden. Das steht fest.« Stenmark sah Jim M aloney an. »Dann hat sie Ben eben weggenommen. Du weißt, er kann es
nicht leiden, wenn irgendwo etwas herumliegt. Vielleicht auch Ferris Tucker, der ist genauso pingelig, aber schließlich - auf dem Achterkastell hat eine Taurolle auch nichts zu suchen und damit basta. Und nun halt endlich die Klappe, Jim. Wir werden Ben Brighton fragen, wenn er uns nachher ablöst.« Ferris Tucker tauchte aus dem Niedergang auf. Er ging auf die beiden zu. »Nenn mich noch einmal pingelig, Stenmark, und ich setze dir dein Schandmaul gerade, kapiert?« Stenmark grinste. Er wußte genau, daß Ferris Tucker es nicht ernst meinte, aber er ging auf seinen Flachs ein: »Du kannst es ja mal versuchen, Ferris, dann wollen wir mal sehen, wer hier wem die Zähne geraderückt. Aber was willst du überhaupt an Deck?« In diesem M oment entdeckte er Dan, der ebenfalls aus dem Niedergang auftauchte und natürlich auch alles gehört hatte. »Hör mal zu, Stenmark, Jim hat recht. Das Tau hat noch heu te abend auf dem Achterkastell gelegen. Ich habe Ben Fowler, dem Sohn des Hafenmeisters, das Schiff gezeigt, und dabei habe ich die Taurolle gesehen. Warum ist sie also weg? Ben hat sie garantiert nicht weggenomm en, der hätte euch höchs tens angespitzt und Ordnung beigebracht.« Ferris Tucker nickte. Irgendwie stieg M ißtrauen in ihm auf. Taurolle hin, Taurolle her - verschwinden konnte sie nicht ein fach. »Los, schauen wir mal nach - auch ich habe sie gesehen, denn ich habe nach meiner Rückkehr noch die Abdeckung der Dreh basse kontrolliert. Aber seid gefälligst leise und trampelt nicht wie die Ochsen an Deck herum.« Die M änner gingen los, mit ihnen Dan, der sich neben Ferris Tucker hielt. Vergessen war der Rum, vergessen der Smutje in seiner Kombüse, der seinen Spitznamen dem Umstand ver dankte, daß er bei einem Arzt Kutscher gewesen war, bevor ihn eine Preßgang an Bord der ›Marygold‹ geholt hatte. Später
hatte ihn Kapitän Drake dann der Prisenmannschaft des See wolfs zugeteilt. Als Ferris Tucker das Hauptdeck überquert hatte und fast vor der Bohlentür stand, die ins Innere des Achterkastells führte, winkte er den M ännern plötzlich zu, stehenzubleiben. Und dann - im nächsten M oment - war auch schon der Teufel los. Hasard Killigrew wußte, daß es so oder so um sein Leben ging - und um noch weit mehr. Er sah O‘M oore nur wenige Schritte von sich entfernt stehen, das tödliche Tongefäß in den Händen. Der Seewolf zweifelte nicht daran, daß dieser M ann zum Äußersten entschlossen war. Er mußte etwas unternehmen, er wollte einfach nicht so kampf los untergehen, das widersprach seiner ganzen Natur. Der Seewolf faßte seinen Entschluß innerhalb von Sekunden, obwohl er genau wußte, welches Risiko er dabei einging. Er stöhnte leise. »Du hast gewonnen«, sagte er dann, aber die Worte kamen ihm nur mühsam über die Lippen. Während er den Kopf hob, stöhnte er abermals. »Also, die Seekarten stecken unter der Wandvertäfelung dort drüben in der - aah - du brauchst nur mit dem …« Der Seewolf sackte mit einem Schmerzenslaut in sich zu sammen. O‘M oore beobachtete ihn aus schmalen Augen. Er sah, wie der Seewolf zusammensackte, noch ein paarmal zuck te und sich dann nicht mehr rührte. Er trat einen Schritt näher, immer noch das Tongef äß in den Händen. »Sprich weiter, du verdammter Bastard!« zischte er. »Oder du lernst die Hölle kennen!« Er hob das Gefäß mit dem Griechischen Feuer, als ob er es zu Boden schmettern wollte. Aber der Seewolf rührte sich nicht mehr. Er lag in seiner Koje, aus einem der M undwinkel rann ein dünner Streifen Blut. O‘M oore sah es, und ein eisiger Schreck durchzuckte ihn. Hatte er mit der Pistole zu fest zugeschlagen? Besaß dieser
schwarzhaarige Teufel gar nicht den Eisenschädel, den er bei ihm voraus gesetzt hatte? M it einem Satz war O‘M oore beim Tisch, setzte das Griechi sche Feuer ab und näherte sich dem Lager des Seewolfs. Sein Instinkt warnte ihn, signalisierte ihm die Gefahr, sagte ihm, daß das alles eine Falle sein konnte. Aber dann dachte O‘M oore daran, daß der Seewolf ja gefesselt war, unfähig, sich zu rühren. Das gab den Ausschlag. Er stieß eine wilde Verwünschung aus, sprang auf die Koje zu und wollte den Seewolf packen, hochreißen. In diesem M o ment, genau als O‘M oore sich über ihn beugte, schnellte Ha sard sich mit aller Kraft hoch, die er in seinem gefesselten Körper mobilisieren konnte. Sein eisenharter Schädel krachte O‘M oore unter das Kinn. Die Wucht des Kopfstoßes war so groß, daß O‘M oore am Tisch vorbei quer durch die Kammer flog und das Bewußtsein schon verloren hatte, bevor er gegen einen der eichenen Stühle prallte und polternd zu Boden stürzte. Hasard rollte sich blitzschnell aus der Koje. Dann wälzte er sich über den Boden, achtete jedoch darauf, daß er den Tisch mit dem todbringenden Gefäß nicht umkippte. Er warf sich über den bewußtlosen O‘M oore und tastete mit seinen gefesselten Händen nach dem M esser, das O‘M oore wieder in den Gürtel geschoben hatte, als er das Tongefäß von der Heckgalerie hereinholte. Er fand es, es gelang ihm auch, das M esser herauszuziehen. In dem schwachen Licht der Kerze, die ebenfalls auf dem Tisch unweit des Griechischen Feuers stand, begann er, keu chend vor Erregung, seine Beinfesseln zu durchtrennen. Er schaffte es innerhalb weniger Augenblicke, denn das M esser O‘M oores war scharf. Dann setzte er es an seine Handfesseln - aber das war weitaus schwieriger. Der Seewolf blickte sich um. Er mußte das M esser irgendwo
festklemmen, irgendwo ins Holz rammen, anders würde es viel zu lange dauern. In diesem M oment sprang O‘M oore auf. Er taumelte zwar noch, aber er kam auf die Füße. Ein furchtbarer Tritt traf den Seewolf, und Hasard Killigrew stieß einen Schrei aus. »Du Hund, du verfluchter, dreckiger …« Der Seewolf wartete den Rest gar nicht erst ab. Er sah, wie O‘M oore zum Tisch torkelte, immer noch schwer angeschlagen von dem furchtbaren Kopfstoß, den der Seewolf ihm verpaßt hatte. »Wache!« brüllte Hasard, und seine Stimme ließ die Kammer in allen Fugen erzittern. »Wache, hierher, Überfall!« Er sprang auf, schwang seine Fäuste hoch, wollte O‘M oore den entscheidenden Hieb verpassen, aber da hatte O‘M oore auch schon das Tongefäß erwischt. Aus flackernden Augen starrte er den Seewolf an. »Wenn ich jetzt zur Hölle fahre, dann begleitest du mich. Geh vor mir her, du Hund. Bei der ersten Bewegung, die mir nicht gefällt, knalle ich dir diesen Topf vor die Füße. Los, vorwärts, oder du lernst mich kennen!« Er trieb den Seewolf vor sich her, durch das Achterkastell, auf die schwere Bohlentür zu, die den Zugang bildete. Killigrew konnte nicht anders, er stieß die Tür mit seinem Körper auf, und im selben M oment fühlte er sich gepackt und quer über das Deck geschleudert. Er sah noch aus den Augenwinkeln, wie Ferris Tucker seine gewaltigen Fäuste hochschwang und nach O‘M oore griff. Hasard wollte eine Warnung ausstoßen, aber da war es ber eits zu spät. Der Schiffszimmermann hatte O‘M oore gepackt, das Tongefäß, das der A gent an sich preßte, bemerkte er gar nicht. O‘M oore stieß einen lauten, durchdringenden Schrei aus, dann flog er über das Schanzkleid. Sein M esser und seine Pis tole wirbelten in hohem Bogen davon, nur das Tongefäß m it dem Griechischen Feuer hielt er krampfhaft fest.
O‘M oore krachte auf das Kopfsteinpflaster des Außenkais. M it dumpfem Knall zerbarst das Tongefäß, ein gellender Schrei ertönte, und im nächsten M oment zuckten die Flammen empor. Der Seewolf hatte sich aufgerappelt und stürzte zum Schanzkleid an der Steuerbordseite. Er sah noch, wie sich O‘M oore in den tödlichen Flammen wälzte, wie er emportau melte und als lebende Fackel brüllend über den Außenkai lief. Nur wenige M eter vom Wasser entfernt brach er zusammen. Die Flamm en umloderten ihn. Noch ein paarmal zuckten seine Glieder in der höllischen Glut - dann verstummten seine Schreie. Vor den Augen der schreckensstarren M änner der ›Isabella‹, die aus dem Innern der Galeone ins Freie stürzten, verbrannte der Körper O‘M oores in den züngelnden Flammen und zerfiel zu Asche. Patrick O‘M oore, Agent der spanischen Krone, war tot.
Neil Griffith waren die Vorgänge auf der ›Isabella‹ nicht ent gangen. Längst hatte er das Segel des Fischerkahns, mit dem er langsam auf die ›Isabella‹ zugelaufen war, eingeholt. Das Boot trieb jetzt nur noch langsam im Westwind durch die M ündung des Exe. Es nahm verhältnismäßig viel Wasser, weil es quer zu der kabbeligen See lag. Und immer wieder peitschten Regen böen in das Boot und durchnäßten Neil Griffith trotz seiner wetterfesten Kleidung bis auf die Haut. Rings um Neil Griffith war es stockdunkel. Er sah, wie M änner mit Laternen über die Decks der ›Isabel la‹ stürmten und plötzlich auf dem Kai ein Feuer aufloderte. Er hörte die verzweifelten Schreie seines Partners, die immer wie der abrissen - verschlungen vom Wind und dem Klatschen der
Wellen, die gegen sein Boot schlugen. Neil Griffith sah O‘M oore als lebende Fackel über den Kai taumeln und zusammenbrechen - und da wußte er, daß sein Partner tot und auch diese verzweifelte und tollkühne Aktion O‘M oores gescheitert war. Neil Griffith preßte die Lippen zusammen. In ohnmächtiger Wut hieb er eine Faust auf die Ducht, aber dann handelte er. Er mußte also allein weitermachen - und bei allen Teufeln der Hölle, er würde es tun! Das war er seinem toten Partner schul dig. Neil Griffith wußte, daß ihm nur noch eine M öglichkeit blieb - die weitaus riskanteste, die aller letzte, die er überhaupt noch hatte. Verbissen begann er, das Segel wieder zu setzen. Er wollte so schnell wie möglich aus der Nähe der ›Isabella‹ verschwinden und die M ündung des Exe verlassen. Er wußte, daß draußen falls alles einigermaßen planmäßig verlaufen war - bereits die ›España‹, eine schwerbewaffnete Galeone, kreuzte und auf der verabredeten Position darauf wartete, ihn und O‘M oore an Bord zu nehmen. Anschließend, auch das war Neil Griffith bekannt, sollte die ›España‹ noch einen Geheimauftrag an der irischen Küste erledigen, in dessen Rahmen Neil Griffith und sein Partner O‘M oore ebenfalls wieder eingesetzt werden soll ten. Der Westwind blähte das Segel des Fischerboots. Neil Griffith fuhr eine Halse und verschwand gleich darauf mit schäumender Bugwelle in der Nacht. Er hatte das Boot sorgfältig aus gesucht und noch sorgsamer ausgerüstet. Es lief auch hart am Wind noch gute Fahrt, und Neil Griffith wußte, daß der starke Bootskörper auch schwerem Wetter gewachsen war. Noch einmal blickte Neil Griffith zurück. Aber dichter Regen hatte die ›Isabella‹ längst seiner Sicht entzogen. »Wir sehen uns wieder!« stieß er hervor. »Und wenn du auch bisher Glück hattest, du schwarzhaariger Bastard, das nächste
mal ist es aus mit dir und deiner ganzen verdammten Besat zung.« Neil Griffith tastete nach der wasserdichten Tasche, die jene Vollmacht enthielt, die ihm notfalls das Kommando über die ›España‹ verschaffen würde. Dieser Killigrew würde das noch merken. Er stieß ein böses Lachen aus. Ihm war bekannt, daß erst nach strenger Prüfung gerade die ›España‹ für diese Aktion ausge sucht worden war. Das schwierigste Problem hatte darin be standen, den Kapitän rechtzeitig in dieses Gebiet zu beordern. Aber wie hatte sein Partner noch gesagt, als sie sich zum letz tenmal trennten? »Spaniens Arm reicht weit, Neil. Viel weiter als du denkst …« O‘M oore war offenbar in vieles eingeweiht gewesen, wovon er, Neil Griffith, nicht die geringste Ahnung gehabt hatte. Das würde sich fortan grundlegend ändern. Denn wenn es ihm ge lang, die ›Isabella‹ samt Ladung und Besatzung zu vernichten, dann war er in Spanien für im mer ein gem achter M ann. Er holte das Segel dicht, das Boot krängte weit nach Back bord. Aber es beschleunigte seine Fahrt - und genau das hatte Neil Griffith beabsichtigt. In ihm brannten Zorn und Ungeduld. Er konnte es kaum noch erwarten, diesen schwarzhaarigen Teufel endgültig zu vernichten.
Der Seewolf, Ben Brighton, Ferris Tucker und Smoky, der Decksälteste der ›Isabella‹, hielten Kriegsrat in der Kapitäns kammer. An Schlaf war auf dem Schiff für keinen mehr zu denken. »Spanische Geheimagenten also«, sagte Ben Brighton. »Dann
haben die Dons aber schnell geschaltet.« Er überlegte eine Weile. Dann sah er den Seewolf an, in des sen M undwinkel immer noch etwas Blut haftete. Hasard hatte sich kurz entschlossen in die Unterlippe gebissen, um O‘M oore auf diese Weise mit dem Blut zu täuschen. »Aber der zweite Kerl, Hasard - wo steckt der? Ich gehe jede Wette ein, daß er in der Nähe war. Wie ich diese Kerle inzwi schen kennengelernt habe, wird der notfalls den Teufel mobili sieren, um doch noch etwas zu erreichen. Diese beiden Kerle gehören nicht zu jenen, die aufgeben. Das haben sie wiederholt bewiesen.« Wieder schwieg Ben Brighton, und diese Pause benutzte Smoky, um dazwischenzufahren. »Wie haben diese Kerle nur herausgekriegt, daß wir nach Topsham gesegelt sind? Wieso konnten die verdammten Dons überhaupt immer so schnell reagieren?« Der Seewolf hatte bis zu diesem Punkt der Debatte geschwie gen. Ferris Tucker hatte sich ebenfalls zurückgehalten. »Es hat keinen Zweck, daß wir uns die Köpfe heiß reden. Wir müssen diese verflixte Ladung endlich loswerden. Ich habe euch gesagt, was die Kassette enthält. Es ist besser, ihr wißt Bescheid, falls mir noch etwas zustoßen sollte. Denn in dem Punkt gebe ich Ben recht: Auch der andere wird jetzt nicht aufhören. Vielleicht hat er noch andere Komplicen. Dan habe ich genau wie euch zur absoluten Verschwiegenheit vergattert. Im Gegensatz zu ihm wißt ihr drei auch, wo ich die Kassette versteckt habe. Sie muß unbedingt in Kapitän Drakes Hände gelangen - mit den Seekarten, koste es, was es wolle.« Er wandte sich an Ben Brighton. »Ben, du brichst jetzt mit Ferris Tucker und vier weiteren Leuten auf. Ihr holt Kapitän Thomas her. Jeder von euch bewaffnet sich mit einer M uskete. Ihr brecht jeden Widerstand, der sich euch auf dieser Fahrt entgegenstellen sollte, und wenn es sein muß, dann schießt ihr euch den Weg zu Kapitän Thomas frei. Ich würde am liebsten
selber m itfahren, aber ich wage es nicht, die ›Isabella‹ allein zulassen. Deshalb werde ich an Bord bleiben, und ab sofort herrscht an Bord erhöhte Alarmbereitschaft. Ich werde jeden einzelnen M ann bewaffnen, bewaffnete Leute werden auf allen Decks postiert, die Drehbassen auf dem Vor- und Achterkastell bemannt. Du, Ferris, sorgst nach deiner Rückkehr unverzüglich dafür, daß genügend Segeltuchkartuschen für die Geschütze hergestellt werden. Ich will, daß die ›Isabella‹ innerhalb von M inuten gefechtsklar sein kann. Ben, Ferris - wen nehmt ihr noch mit?« »Batuti, Pete, M att und Stenmark.« Smoky wollte aufbegehren, aber Ben Brighton wies ihn mit einer Handbewegung zurecht. »Wenn Ferris und ich schon nicht an Bord sind, dann mußt wenigstens du auf dem Schiff bleiben, Smoky. Du bist Deck sältester, du verstehst dein Handwerk, klar?« Der Seewolf nickte. Die Wahl fand seine Zustimmung. »Nehmt die Kutsche, das geht schneller. Der Hafenmeister und sein Sohn haben sich darum gekümmert, daß zwei frische Pferde bereitstehen. Die Kutsche bef indet sich auf dem Hof hinter dem Haus Fowlers. Beeilt euch, allm ählich habe ich nämlich das Gefühl, daß alle Welt hinter unserer ›Isabella‹ und ihrer Ladung her ist. Ich komme mir hier vor wie auf einem Pulverfaß, und vielleicht brennt die Lunte schon wieder.«
Der Seewolf ahnte nicht, wie recht er mit dieser Vermutung hatte. Denn nur wenige M eilen von der ›Isabella‹ entfernt kämpfte sich in diesem M oment Neil Griffith durch Wind und Regen der offenen See entgegen. Und dort, wiederum nur we nige M eilen von der Küste entfernt, pfiff der Wind durch die
Takelage der ›España‹. Im Osten zeichnete sich am Horizont ein erster heller Streifen an und verkündete das Nahen des M orgens. Die Wolkendecke riß auf, hier und da blinkte ein Stern durch die Lücken. Die Toppgasten vollzogen ihren Wachwechsel. Jeder von ihnen besaß ein gutes Perspektiv, mit dem er unablässig in Richtung Küste die See absuchte. Der Capitan der ›España‹ hielt sich seit Stunden auf dem Achterkastell auf. Er war ein erfahrener M ann, der schon an vielen Seegefechten teilgenommen hatte. Auch er suchte unab lässig die hochgehende See ab. Die wilden Schlinger- und Rollbewegungen seines Schiffes balancierte er mit dem Körper aus. Die Schiffsglocke schlug vier Glasen. Auch auf den Decks wechselten die Wachen. Der Stückm eister unterzog die Kano nen auf dem Hauptdeck einer eingehenden M usterung. Er wuß te, daß die ›España‹ so dicht vor Englands Küste jederzeit mit unangenehmen Überraschungen rechnen mußte. »Wenn die beiden pünktlich sind, müßte das Boot bald in Sicht kommen«, sagte Capitan Esmeralda zu seinem Ersten Offizier. »O‘M oore und Griffith sind zuverlässige M änner, sie werden uns nicht warten lassen, sie wissen, wie gefährlich die se Gewässer für eine alleinsegelnde spanische Galeone sind.« Der Capitan sah das Nicken und ging ein paar Schritte auf und ab. M erkwürdig, dachte er, nicht einmal ich kenne die wirklichen Namen dieser beiden M änner. Es muß sich um eine sehr wichtige und streng geheime Sache handeln. Unwillig dachte er daran, daß er sich notfalls bedingungslos den Befehlen der beiden zu fügen hatte, wenn O‘M oore und Griffith oder einer von den beiden das von ihm verlangen soll te. Vor seinem Ersten Offizier blieb er stehen. »Lassen Sie die Ladung kontrollieren. Wir segeln seit Tagen durch schweres Wetter. Lassen Sie prüfen, ob die Ladung ir gendwo Feuchtigkeit gezogen hat - Sie wissen, wie wichtig
unsere Ladung ist. Sie muß heil und völlig unbeschädigt an ihr Ziel gelangen. Vielleicht hängt das Leben von vielen spani schen Soldaten davon ab.« Der Erste Offizier salutierte. Dann verließ er das Achterkastell. Gleich darauf rief er seine Befehle über Deck. Capitan Esmeralda warf abermals einen Blick auf die gisch tende See. Er befand sich in einer üblen Situation. In bezug auf die Ladung seines Schiffes hatte er eindeutige Order. In bezug auf die beiden Geheimagenten ebenfalls. Und beides wider sprach einander erheblich, denn für beides - die Ladung und die A genten - war er der spanischen Krone persönlich verant wortlich. Wie aber ließ sich das damit vereinbaren, wenn diese Agenten unter Umständen an Bord sogar das Kommando über nehmen durften und er sich ihren Anweisungen zu fügen hatte? Wie sollte er unter diesen Umständen für die Sicherheit von Schiff und Ladung garantieren? Allein schon das Warten so dicht unter der englischen Küste war heller Wahnsinn. Capitan Esmeralda stieß einen vernehmlichen Seufzer aus. Er konnte sich das in diesem M oment leisten, denn zur Zeit befand er sich mit Ausnahme des Rudergängers am Kol derstock allein auf dem Achterkastell. 6. Die erste M orgendämmerung hing über St.-Thomas-TheApostle, als die Kutsche mit den sechs M ännern mit schnau benden Pferden vor dem Landhaus von Kapitän Thomas hielt. Ferris Tucker und Ben Brighton, die beide auf dem Kutsch bock gesessen hatten, schwangen sich von ihrem Sitz. Gleich zeitig flogen die beiden Türen der Kalesche auf, und vier schwerbewaffnete M änner kletterten ins Freie. Batuti schwang seine schwere M uskete wie einen Holzknüp
pel hin und her. Dabei grinste er von einem Ohr zum anderen. »Sollen komm en, Dons«, radebrechte er. »Ich alle schlagen tot, einfach so! Armes kleines Dan so quälen.« Smoky konnte sich ebenfalls ein Grinsen nicht verkneifen und reckte seine Glieder. »Armes kleines Dan - hör mal, du schwarzhäutiger Goliath, laß Dan das lieber nicht hören. Oder der tritt dir auf die Zehen, bis du Plattfüße hast!« Batuti tanzte von einem Bein aufs ander e. »Plattfüße, großes Fuß, wenn ich trete, dann …« Weiter gelangte Batuti nicht. Kapitän Thomas war schon in seinem Bett hochgefahren, als die Kutsche vor seinem Haus anhielt. Er hörte die Pferde schnauben, hörte Batutis schauder haftes Englisch und war mit einem Ruck aus seinem Bett. Sei ne Frau Sandra fuhr ebenfalls schlaftrunken hoch. »John, was ist denn? Was ist denn das für ein Lärm, und was machst du denn am …« »Still, Sandra«, versetzte Kapitän Thomas leise. »Da draußen stehen sechs Kerle, einer von ihnen, der dieses vermaledeite Englisch spricht, ist ein Schwarzer, ein wahrer Herkules. Weiß der Teufel, was die wollen - halt, verdammt noch mal, die wol len zu uns!« Ärger und Verwunderung schwangen in John Thomas‹ Stimme m it. Seine Frau runzelte die Stirn. »Zu uns? Wer kann denn von uns um diese Zeit etwas wollen, John? Was ist das für ein Ge lichter, das so einfach noch vor Sonnenauf gang die Nachtruhe eines Christenmenschen stört?« Sandra Thomas schwang sich ebenfalls aus dem Bett und has tete zu ihrem M ann ans Fenster. »Kein Gelichter, Sandra«, stellte der Kapitän fest. »Die sehen ganz danach aus, als seien sie …« Er sprach nicht weiter, denn in diesem M oment erkannte er Ben Brighton und Ferris Tucker. »Die sind von der ›Isabella‹, Sandra«, sagte er nur und griff
nach seiner Hose. »Von der ›Isabella‹, John? Von dem Schiff, das dieser junge Killigrew nach Plymouth gesegelt hat?« Kapitän Thomas nickte nur und warf sich seine Jacke über. Er und seine Frau hatten dies und jenes von den Abenteuern des Seewolfs vernommen, weil der Kapitän über gute Verbin dungen zum englischen Hof verfügte. Genaues wußte er aller dings nicht. Er eilte zur Tür. Als er sie öffnete, standen ihm Ferris Tucker und Ben Brighton gegenüber. John Thomas, ein untersetzter, stämmiger M ann, ein See mann wie aus dem Bilderbuch, strich sich durch seinen Voll bart. Dann sah er Ben Brighton fragend an. »Kapitän, wir sind im Auftrag von Philip Hasard Killigrew hier. Unser Schiff, die ›Isabella von Kastilien‹, liegt in Topsham an der Außenpier. Wir haben von unserem Kapitän den Auftrag, Sie an Bord der ›Isabella‹ zu bringen. Es ist sehr dringend - bitte entschuldigen Sie diesen Überfall, aber es ging wirklich nicht anders nach allem, was inzwischen passiert ist.« »Passiert? Ich wäre in den nächsten Tagen sowieso wieder nach Plymouth gefahren, um an Bord der ›Santa Cruz‹ die Ankunft Kapitän Drakes zu erwarten. Was also kann es denn so Dringendes geben, daß man mich hier am frühen M orgen aus dem Bett wirft und mich - eskortiert von sechs schwerbe waffneten M ännern - wie einen Schurken abtransportieren will?« Die Stimme von Kapitän Thomas klang wie Donnergrollen. Der Kapitän war eine Kämpfernatur, ein völlig furchtloser M ann, der sich so leicht nicht ins Bockshorn jagen ließ. Und nun, nach dem ersten Schreck, wurde er ärgerlich. Für diesen Tag hatte er nämlich einen Ausflug mit seiner Frau und seinen beiden Kindern geplant. Ein Vergnügen, das er sich nur höchst selten gönnte und auf das sie sich alle schon freuten. »Also, M ister Brighton und M ister Tucker, kommen Sie her
ein. Ich kenne Sie beide. Und ich hoffe sehr, daß Sie eine ver nünftige Erklärung abgeben können, oder ich werde ungemüt lich.« Ferris Tucker und Ben Brighton wechselten einen raschen Blick. Das war wenigstens ein Kerl nach ihrem Geschmack. Nicht so ein gelackter, aalglatter Affe wie dieser Thomas Doughty. Kapitän Thomas erhielt die gewünschten Erklärungen. Ben Brighton und der hünenhafte Schiffszimmermann berich teten abwechselnd. Lediglich die Seekarten verschwiegen sie dem Kapitän. Sie wollten es dem Seewolf überlassen, ob er es für richtig hielt, sie zu erwähnen oder nicht. Außerdem hatten sie strikte Order, über diese Kassette oder ihren Inhalt gegenüber jedermann Stillschweigen zu bewahren. Als sie fertig waren, sah Kapitän Thomas sie aus großen Au gen an. »Weiß der Himmel, das ist ein wahrhaft starkes Garn, was Sie da spinnen, meine Herren! Nicht zu glauben, einfach nicht zu glauben. Aber diese Geschichte mit Sir Thomas Doughty - ich fürchte, da hat Philip Hasard Killigrew einen schweren Fehler begangen. Dieser M ann hat allergrößten Einfluß bei Hof. Er ist M iteigentümer der ›Marygold‹, er hatte also ein Anrecht darauf, die Ladung der ›Isabella‹ zu sehen und zu schätzen, das wird noch eine M enge Unannehmlichkei ten nach sich ziehen!« Er entkorkte eine Rumf lasche und goß drei Gläser voll. Dann beugte er sich vor und sah die beiden M änner an. »Im Vertrauen gesagt - ich mag diesen Doughty auch nicht. Er ist mir zu glatt, ein Höfling, aber der M ann ist gefährlich. Es ist nicht gut, ihn zum Feind zu haben. Na, mal sehen, vielleicht kann ich da etwas tun. Durch Kapitän Drake, dessen uneinge schränktes Wohlwollen ich besitze, habe auch ich bei Hofe einige Beziehungen.« Er runzelte die Stirn. »Wissen Sie was? Ich segele sofort nach Plymouth. Das ist keine Sache, die Auf
schub duldet. Dreißig Tonnen Silber - mein Gott, dieser Kil ligrew ist ein wahrer Teufelskerl! Ein Schiff auf der Reede von Cadiz vor den Augen der spanischen Bewacher so mir nichts dir nichts zu kapern …« Er trank seinen Rum mit einem Ruck aus. »Gedulden Sie sich einen kleinen M oment, meine Herren. Ich muß meine Familie informier en und ein paar Sachen durch meine Frau richten lassen.« Der Kapitän eilte davon.
Eine halbe Stunde später rollte die Kutsche mit ihm und den sechs M ännern davon. Seine Frau Sandr a und die beiden Kin der winkten ihm nach. Sie hatten sich den neuen Gegebenhei ten ohne M urren gefügt. Die Fahrt nach Topsham verlief diesmal ohne die geringsten Zwischenfälle. Als die Kalesche auf die Außenpier rollte, war die Sonne längst aufgegangen. Zwischen dahinjagenden Wol ken warf sie von Zeit zu Zeit ihre Strahlen über die Stadt, über das graugrüne Wasser des Exe und über die ›Isabella‹. Der Seewolf, der von Zeit zu Zeit immer wieder einen Blick zum Himmel geworfen hatte, wußte, daß diese Wetterbesse rung nicht von Dauer sein würde. Der Wind blies immer noch aus West bis Nordwest. Zwar hatten die Böen und die Regen schauer nachgelassen, aber das konnte sich bereits draußen im Kanal wieder ändern. Hasard wußte nur zu gut, daß der Kanal eine äußerst wetterwendische Ecke war. Die Begrüßung zwischen den beiden Kapitänen war äußerst herzlich. Dann zog der Seewolf John Thomas mit sich fort in seine Kammer. Er bestätigte den Bericht seiner M änner nicht nur, sondern ergänzte ihn auch. Die Seekarten erwähnte er
nicht - das hatte noch Zeit. Wieder schüttelte Kapitän Thomas skeptisch den Kopf, als Hasard von seinen Kontroversen mit Sir Thomas Doughty be richtete. »Woher ist dieser geschniegelte Bursche denn eigentlich im mer so gut über alle meine Pläne unterrichtet? Wieso wußte er überhaupt von der Ladung? Das konnte auch bei Hof niemand wissen - es sei denn durch die Spanier!« Er sah den Kapitän aus seinen eisblauen Augen an, und in seinem Gesicht bildeten sich scharfe Linien. »Es ist doch wirklich merkwürdig, wie sehr sich die Aktionen dieser spanischen Agenten und die Sir Thomas Doughtys er gänzten. Ich habe genügend Zeit gehabt, über all das nachzu denken, Kapitän. Es muß da irgendeine Verbindung geben.« Kapitän Thomas sprang erschrocken auf und streckte beide Hände abwehrend von sich. »Junger M ann - sagen Sie um Himmels willen so etwas nicht! Sie reden sich ja um Kopf und Kragen! Wenn Sir Doughty Verbindung zu diesen Spaniern hat, wäre er ein Verräter. Nein, nein, Killigrew, das dürfen Sie nicht sagen. Das darf ich nicht einmal hören. Vergessen Sie nicht, daß Doughty eine Art Ge schäftspartner von Kapitän Drake ist. Können Sie sich über haupt vorstellen, daß sich Kapitän Drake mit einem solchen M ann abgeben würde?« Kapitän Thomas ging erregt in der Kajüte des Seewolfs auf und ab. Aber der Seewolf gab nicht nach. »Kapitän, vergessen Sie nicht: nachdem mich Doughty ins Queen‹s Hotel eingeladen hatte, wurde ein M ordanschlag auf mich verübt. Ich ent ging ihm wirklich nur mit Not. Als wir mit der ›Isabella‹ nach Falmouth gesegelt waren, empfing uns dort am Kai wiederum Doughty. Ich sage Ihnen, dieser Kerl ist hin ter der Ladung Silber her - er weiß, was die ›Isabella‹ geladen hat. Aber woher weiß er das? Und nochmals: Immer wenn Doughty auftauchte, dann waren auch die beiden A genten nicht
weit. M an versuchte mich zu entführen, man folterte einen M ann meiner Besatzung fast zu Tode, man schickte mir einen Brander in Plymouth in der M ill Bay auf den Hals - entweder diese verfluchten Spanier oder Doughty. Woher soll ich wis sen, wer hinter allem steckt? Und selbst hier, auf meinem eige nen Schiff wurde ich trotz der Wachen überfallen und ent ging nur mit knapper Not dem Tode und die ›Isabella‹ ihrer Ver nichtung durch Griechisches Feuer.« Hasard blieb vor John Thomas stehen, seine Augen loderten vor Zorn. »Der Kerl wird uns weiterhin Schwierigkeiten bereiten. Aber nicht etwa offen, sondern im mer irgendwie aus dem Hinterhalt. Zu offenem Kampf ist dieser Gentleman zu feige - und bei Gott, er soll mich kennenlernen. Immer aalglatt, freundlich auf eine Weise, daß man die Falschheit gar nicht übersehen kann, salbungsvolle Reden ›mein lieber junger Freund‹ und was der gleichen Sprüche mehr sind. Nein, Kapitän Thomas, verschonen Sie mich mit dieser Hof schranze und seiner ganzen Brut von M euchelmördern. Sie können sich darauf verlassen, ich werde Kapitän Drake ein Licht stecken. Und hören Sie, was ich Ihnen jetzt sage: Auch Sie werden in Plymouth Schwierigkeiten kriegen, sobald Sie offiziell die Ladung der ›Isabella‹ übernommen haben. Aber ich werde dabeisein, ich werde diesen Burschen auf die schmierigen Finger klopfen, wenn sie sie nach den Silberbarren oder sonst irgend etwas ausstrecken sollten, darauf können Sie Gift nehmen!« John Thomas sah den Seewolf mit einer M ischung von Furcht und Bewunderung an. »Killigrew - ich meine es gut. Unterschätzen Sie Doughty nicht. Seien Sie vorsichtig, ich gebe Ihnen diesen Rat, und er ist verdammt gut gemeint.« Er fuhr sich voller Erregung durch den Bart. »Nun, wir werden sehen. Eins allerdings verspreche ich Ihnen: Die Ladung wird Kapitän Drake übergeben, und
zwar vollständig. Daran gibt es nichts zu rütteln. Ich bin ledig lich vorsichtiger, vielleicht etwas besonnener als Sie, aber ich bin kein Feigling und auch kein Kriecher. Aber ich denke, Sie wissen das, Killigrew ?« Der Seewolf nickte. »Und ob ich das weiß. Wir werden jetzt auslaufen, Kapitän. M al sehen, ob wir wenigstens ohne Zwischenfälle nach Ply mouth gelangen.« Kapitän Thomas warf ihm einen fragenden, sehr aufmerksa men Blick zu. »Haben Sie Bedenken, Killigrew?« »M ir geht dieser verdammte Agent nicht aus dem Kopf. Die ser Don, dessen Partner dort vorn auf dem Kai zu Asche ver brannt ist und dessen Überreste der Wind in den Exe geweht hat. Ich glaube nicht daran, daß dieser andere Kerl aufgegeben hat, er hat ganz sicher eine neue Teufelei ausgeheckt.« Kapitän Thomas lächelte dem Seewolf zu. »Ich glaube, Kil ligrew, Sie sehen allmählich schon Gespenster. Allerdings - ein Wunder wäre das nicht. Aber was soll denn ein einzelner M ann gegen eine kriegsstarke Galeone ausrichten? Überlegen Sie doch mal!« »Ein einzelner M ann?« fragte Hasard. »Ich glaube nicht, daß diese beiden Kerle allein gearbeitet haben. Hinter allem steckt eine ganze Organisation, Kapitän. Aber gut, warten wir ab.« Er nickte Kapitän Thomas zu, dann verließ er die Kammer. »Ben, klar zum Auslaufen. Alle M ann an Deck«, sagte er. Eine halbe Stunde später hatte die ›Isabella von Kastilien‹ die Segel gesetzt und die Leinen los geworfen. Der Hafenmeister Fowler und sein Sohn Ben standen am Kai in der M enschenmenge, die das Auslaufen der Galeone kritisch verfolgte. Dan winkte Ben Fowler vom Vorkastell ein letztes M al zu. Im stillen nahm er sich vor, diesen tapferen Jungen wieder zu besuchen, wenn er seinen Prisenanteil hatte. Er würde Ben
Fowler bestimmt nicht vergessen, denn er hatte ihm aller Wahrscheinlichkeit nach durch seinen M ut und seine Beson nenheit das Leben gerettet. Noch immer schm erzten seine Hände, aber das zählte schon fast nicht mehr. Als die M enschen am Kai kleiner und kleiner wurden und die ›Isabella‹ Fahrt aufnahm, blickte Dan zu den M asten hoch, an denen sich die weißen Segel im Westwind blähten. Sie fuhren wieder, sie würden wieder auf See sein, nur das zählte für Dan in diesem Augenblick.
Eine Stunde nach Sonnenaufgang entdeckte einer der Topp gasten der ›España‹ das Fischerboot, in dem Neil Griffith völ lig durchnäßt und vor Kälte fast erstarrt mit zusammengebisse nen Zähnen hockte. Seine Rechte umklammerte die Ruderpinne, die Linke hielt das Ende der Großschot. Um seine Füße schwappte bei jeder Stampfbewegung des Bootes das Wasser, das während der Fahrt ins Boot geschlagen war. Neil Griffith wußte nicht m ehr, wie lange er schon kein Auge mehr zugetan hatte - und auch jetzt hielt er sich mit der ganzen Kraft seines Willens wach. Er entdeckte die ›España‹, als sie nach Steuerbord abfiel und dann mit weithin leuchtender Bug welle auf ihn zuhielt. Ruckartig richtete er sich aus seiner zusammengekauerten Stellung auf. In seinen Augen brannte der Triumph. Er hatte es geschafft! Jetzt kam die Stunde der Abrechnung, jetzt würde er diesem schwarzhaarigen Satan alles wieder heimzahlen, was er selbst an Niederlagen und Demütigungen erlitten hatte. Neil Griffith belegte die Großschot, erhob sich taumelnd und winkte wie wild mit der Linken. Dabei glitt sein Blick über die ›España‹. Er hatte sie nie gesehen, aber er hatte schon von
diesem Schiff gehört. Es war eine der stärksten Galeonen der spanischen Flotte. Er schätzte ihre Größe auf knapp vierhun dert Tonnen. Aus seinen entzündeten Augen starrte er die Geschützpforten an. Fast unbewußt begann er zu zählen - zehn auf jeder Seite des Rumpfes, schwere Bombarden auf dem Vorkastell, Dreh bassen auf dem Achterkastell. Die Geschütze würden mindes tens Sechspfünder sein, vielleicht sogar stärker. Neil Griffith begann zu grinsen. Sollte dieser Killigrew nur aufkreuzen, er würde eine böse Überraschung erleben, soviel stand fest. Die ›España‹ war fast auf Rufweite heran. Aber der steife Westwind machte jede Verständigung unmöglich. Neil Griffith sah die M änner der Besatzung über Deck laufen. Gleich darauf luvte die ›España‹ an, Neil Griffith sah, wie die Rahen des Großmastes Vierkant und die des Fockmastes hart an den Wind gebraßt wurden. Die Galeone verlor schnell an Fahrt, schließlich trieb sie querschiffs auf ihn zu. Neil Griffith nickte anerkennend. Dieser Kapitän und diese M annschaft beherrschten ihr Schiff. Er korrigierte seinen eige nen Kurs und hielt auf die Galeone zu. Er paßte genau den richtigen Zeitpunkt ab, dann luvte er ebenfalls an und holte gleichzeitig das Segel ein. Sein kleines Boot tanzte in der See auf und ab. Vor ihm, schon bedrohlich nahe, wuchs der massige Rumpf der ›España‹ auf. Schwarz, mit weißen Stückpforten. Er sah die M änner am Schanzkleid auftauchen, sah das Seil, das sie ihm zuwarfen, und geschickt fing er es auf. Dann ließ er sein Boot achteraus treiben, denn er mußte verhindern, daß die hochgehenden Seen ihn gegen die Bordwand der Galeone war fen. Ein zweites Seil wurde geworfen, Neil Griffith fing auch das auf. Dann holten die M änner der ›España‹ das Seil ein, und M eter um M eter näherte sich seine Nußschale dem dickbauchi
gen Rumpf der Galeone. Neil Griffith paßte den richtigen Augenblick ab, als er nur noch knapp zwei M eter von der Bordwand entfernt war. Dann sprang er, das Seil um die Brust geschlungen und unter den Armen hindurchgezogen. Er spürte den Ruck, mit dem ihn die M änner emporrissen, und er fühlte den Anprall, mit dem er an der Bordwand der ›España‹ landete. Eine hochgehende Woge packte ihn, begrub ihn in ihren grün-gischtenden Wassermassen, aber dann wurde er auch schon über das Schanzkleid gezerrt und stand Sekun den später hustend und spuckend an Deck. Irgendwo neben sich hörte er eine dunkle Stimme. »Bringt den Senor unter Deck, gebt ihm warme Sachen und Rum. Anschließend wünsche ich den Senor in meiner Kam mer zu sprechen.« Ein bärtiges Gesicht tauchte vor Neil Griffiths Augen auf. Dunkle Augen starrten ihn an. »Ich hatte Order, zwei M änner an Bord zu nehmen. Wo ist Ihr Partner, Senor?« Neil Griffith löste sich aus den Händen, die ihn immer noch hielten, und streifte das Seil, dessen Schlinge die Seemänner ebenfalls geöffnet hatten, mit einem Ruck vom Körper. »Er ist tot, Capitan. Aus diesem Grunde werde ich die Aktion jetzt zu Ende führen. Ich muß Sie daher bitten, ab sofort alle meine Anordnungen strikt zu befolgen. Hier ist meine Voll macht. Sobald ich trockene Sachen anhabe, werde ich Ihnen erklären, was geschehen soll. Lassen Sie Ihr Schiff sofort ge fechtsklar machen, wir werden die Galeone ›Isabella von Kas tilien‹, die schon sehr bald aus der M ündung des Exe in das offene Wasser des Kanals segeln wird, abfangen, angreifen und vernichten. Sie haben das stärkere Schiff, Capitan, die ›Espa ña‹ ist fast doppelt so groß wie die ›Isabella‹ und verfügt über mehr Geschütze. Lassen Sie Kurs auf die M ündung des Exe nehmen.«
Die dunklen Augen Capitan Esmeraldas starrten Neil Griffith an. »Sie wissen, Senor, welches Risiko wir hier, dicht unter der englischen Küste, mit einem solchen Angr iff eingehen? Ihnen ist auch bekannt, welche äußerst wichtige Aufgabe mein Schiff zu erfüllen hat? Sie wissen, um was für einen kühnen Kämpfer es sich bei diesem Killigrew, der die ›Isabella‹ von der Reede vor Cadiz entführte und dieses Schiff jetzt befehligt, handelt? Sie wissen, daß wir trotz unserer Überlegenheit mit schweren oder sogar schwersten Beschädigungen rechnen müssen, die unter Umständen unsere eigentliche M ission gefährden oder gar verhindern könnten?« Capitan Esmeralda blickte den Geheim agenten an. Dann ent faltete er langsam das Dokument, das Neil Griffith ihm ge reicht hatte, und las es aufmerksam durch. Neil Griffith störte ihn dabei mit keinem Wort. Aber dann, als der Capitan seinen Blick wieder hob, sagte er: »Es bleibt bei meinen Anordnungen. Für alles, was von jetzt an geschieht, trage ich die volle Verantwortung, Capitan.« Capitan Esmeralda nickte finster. Er spürte das nahende Un heil, das sich über ihm und seinem Schiff zusammenbraute. »Kurs Nordnordwest!« befahl er dann und ging in Richtung Achterkastell davon. In seinen scharfen Zügen zuckte es vor Ärger. Er war nicht der M ann, der einem Kampf auswich, aber das hier, das grenzte an Wahnsinn. Das gefährdete seine ganze M ission, das gefährdete unter Umständen sogar ein von langer Hand vorbereitetes Unternehmen der spanischen Krone. Er zuckte zusammen, als einer der Ausgucks brüllte: »M ast spitzen achteraus! Schiff ist sehr schnell - wahrscheinlich eine Karavelle!« Capitan Esmeralda fuhr herum. Er starrte nach achtern über die Reling, aber er sah noch nichts. »Schiff klar zum Gefecht!« dröhnte gleich darauf seine Stimme über die Decks. Er sah, wie die M änner an die Geschütze rannten, wie sie die
Bombarden auf dem Vorderkastell bemannten, wie die M ann schaften der beiden Drehbassen auf das Achterkastell stürmten. Capitan Esmeralda stieß eine Verwünschung aus. »Eine Karavelle«, murmelte er. Nun gut, die war zwar durch ihre wesentlich größere Geschwindigkeit und Beweglichkeit ein nicht zu unterschätzender Gegner, aber wirklich gefährlich konnte sie der ›España‹ wohl kaum werden, wenn sie nicht … Der Capitan zuckte zusammen. Er dachte an die vielen Pul verfässer im Bauch seines Schiffes, an all die anderen Dinge. Abermals blickte er über die Reling nach achtern. Er sah im mer noch nichts. Was, zum Teufel, geschieht, wenn diese Ka ravelle uns wirklich angreift und dann auch noch dieser Kil ligrew mit seiner ›Isabella‹ auf der Bildfläche erscheint? dach te er. Oder waren sie gar in eine raffiniert gestellte Falle gera ten? Capitan Esmeralda wußte, daß er unter diesen Umständen so fort seinen Kurs ändern und das offene Wasser gewinnen muß te. Eine Küste in Lee mußte in seiner gegenwärtigen Lage ge radezu verheerende Folgen haben. »Neuer Kurs Südsüdost«, dröhnte seine Stimme abermals ü ber Deck. »Alle M ann an die Brassen!« Wieder begannen die M änner über die Decks zu hasten. Dann schwang die ›España‹ herum - und damit gewann die rasch auf segelnde Karavelle einen entscheidenden Vorteil. 7. Thorfin Njal stand auf dem Achterdeck seiner Karavelle. Seine grauen Augen hingen wie gebannt an den M asten, die sich über die Kimm schoben. Der Wind zerrte an seiner hünen haften Gestalt, zerzauste sein brandrotes Haar. Seine Stirn furchte sich mehr und mehr, je länger er die fremde Galeone beobachtete, von der sich allmählich außer den Segeln nun
auch der Rumpf und das hohe Achterkastell abzuzeichnen be gannen. M inutenlang musterte er das Schiff, dann schüttelte er den Kopf. »Das ist nicht das Schiff von diesem schwarzhaarigen Wolf, Focart, der von unseren fünf Karavellen nur meine übriggelas sen hat. Nein, das ist nicht der M ann, den ich seit damals su che. Die Galeone dort ist viel größer, das ist eine von diesen verfluchten Dons, die sich in letzter Zeit mehr und mehr hier herumtreiben.« Pierre Focart zog sein Perspektiv aus der Tasche seiner Jacke. Er setzte es ans Auge und blickte eine ganze Weile hindu r ch. »Ein Spanier«, sagte er dann. »Und zwar ein ziemlich harter Brocken. Bis an die Zähne bewaffnet - mindestens zwanzig Sechspfünder, Bombarden auf dem Vorderkastell, Drehbassen achtern. Und eine ganze M enge M änner an Bord. Aber er liegt verdammt tief im Wasser - er muß eine M enge geladen haben. Eine Beute, die sich bestimmt lohnt.« Thorfin Njal, den jeder Freibeuter an der bretonischen Küste nur den »Wikinger« nannte und der seinen für Bretonen so fremdartig klingenden Nam en seinen mit den Wikingern ins Land gekommenen Vorfahren verdankte, fixierte die spanische Galeone. »Eine Beute lohnt sich immer erst dann, wenn man sie hat«, sagte er. »Du solltest das eigentlich seit unserer schmählichen Niederlage im Kampf gegen jenen Seewolf wissen. Auch der Hai glaubte damals, in der Galeone dieses M annes eine leichte Beute zu finden - was übrigblieb außer uns, vegetiert nun auf der Ile de Sein oder liegt tot auf dem Grund der Bucht.« Pierre Focart, der auf dem Freibeuterschiff die gleiche Positi on bekleidete wie Ben Brighton auf der ›Isabella‹, sah seinen Kapitän aus schmalen Augen an. »He, Thorfin, seit wann hast du das Fürchten gelernt? Hat dir das etwa dieser schwarze Satan beigebracht?«
Er grinste, und sein narbiges Gesicht verzog sich dabei zu ei ner Grimasse. Er schob das Perspektiv zusammen. Die Galeone war in den letzten M inuten größer und größer geworden. Im stillen gab er Thorfin Njal recht - auch ihm saß noch immer das blanke Entsetzen in den Gliedern, wenn er daran dachte, wie dieser Fremde mit ihnen umgesprungen war. Aber er ließ sich das nicht anmerken. Der Wikinger fuhr ruckartig herum. Sein roter Bart leuchtete in der Sonne, die eben durch eine Wolken lücke brach. In seinen Augen br annte der Zorn. »Wenn ich Angst vor diesem M ann hätte, dann würde ich ihn nicht suchen, seit wir mit der ›Thor‹ unsere Bucht verlassen haben. Ich habe mir dam als geschworen, diesen M ann, der allein gegen uns alle kämpfte und dennoch siegte, wiederzuse hen, und ich werde ihn finden, Focart!« Während Thorfin Njal sprach, hatte er immer wieder einen raschen Blick auf die ›España‹ geworfen. Focart hatte recht ein großes Schiff, schwer bewaffnet und beladen. Im stillen rechnete er sich seine Chancen aus, die er im Falle eines An griffs mit der ›Thor‹ hatte. Den Wikinger lockte die Beute nicht nur, er brauchte sie einfach, denn seine Leute in der Bucht auf der Ile de Sein hungerten, froren und wollten ihre Frauen und Kinder wieder zu sich holen, die immer noch in jenem Schlupfwinkel hausten, den sie vor M onaten auf Befehl des Hais bezogen hatten. Das alles ließ sich aber nur bewerk stelligen, wenn es ihm und seinen M ännern gelang, Beute zu machen, wenn sie nicht mit leeren Händen zurückkehrten. Ihre große Chance lag in der Schnelligkeit seines Schiffes die schwerbeladene Galeone würde nicht imstande sein, seine Angriffe auszumanövrieren. Aber er mußte sich höllisch davor hüten, in die Reichweite ihrer Breitseiten zu geraten, solange das Schiff und seine M annschaft noch kämpfen konnten. Er beobachtete, wie die ›España‹ verzweifelt versuchte, offe nes Wasser zu gewinnen, und genau daran mußte er sie hin dern. Der Wikinger hatte seinen Entschluß gefaßt.
»Wir greifen an, Focart«, sagte er. »Wir schneiden den Dons den Weg ins offene Wasser ab - zurück zur englischen Küste können sie nicht. Sobald sie ihren Kurs ändern, greifen wir sofort an. Und zwar laufen wir hinter dem Heck der Galeone vorbei. Du bleibst bei den Geschützen. Zerschieß den Dons das Ruder, dann gehört die Galeone uns.« Thorfin Njal richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Klar Schiff zum Gefecht!« dröhnte seine gewaltige Stimme über die ›Thor‹ und ließ die M änner auf ihre Positionen sprit zen. Ein wilder Schrei brandete aus ihren Kehlen hoch. Ver gessen war die Nieder lage gegen den Seewolf, sie brannten jetzt nur noch darauf, es den Dons zu zeigen. Die Karavelle schwang herum. Hoch im Wind preschte sie durch die grüngraue Flut des Ka nals. Thorfin Njal, der Wikinger, ein M ann, den alle bretoni schen Freibeuter respektierten, stand wie ein Baum auf dem Achterkastell seines Schiffes. Seine grauen Augen hielten den Gegner gepackt und ließen ihn nicht mehr los. Diesmal würde er siegen oder untergehen - eine andere M öglichkeit gab es für ihn und seine M änner nicht. Wieder dachte er an den Seewolf. Vor seiner Erinnerung zogen die Szenen jenes erbitterten Kampfes vorbei, die Bilder von den traurigen Überresten der ›Minouche‹ - der Karavelle des Hais, die der Seewolf bei Nacht und Nebel in die Luft gesprengt hatte. Und wieder stellte der Wikinger voller Verwunderung fest, daß kein Haß gegen den Seewolf in ihm war - er empfand nur Bewunderung und Respekt und den unbändigen Wunsch, die sem M ann Auge in Auge gegenüberzustehen.
Auch die ›Isabella‹ hatte längst das offene Wasser des Kanals erreicht. Hasard Killigrew sog prüfend die Luft ein. Das Wetter gefiel ihm ganz und gar nicht. Vom Westen her stand aus dem Atlantik ein steifer Wind in den Kanal, der mehr und mehr aufbriste. Zwar hatten die Böen nachgelassen, auch die Regen schauer prasselten nicht mehr ununterbrochen an Deck, und statt dessen brach hin und wieder die Sonne durch die Wolken, aber der Wind wechselte sprunghaft von West auf Südwest und umgekehrt. Das bedeutete, daß sie nur in langen Schlägen nach Plymouth zurücksegeln konnten -und das kostete Zeit. »Ben, wir lassen an Zeug stehen, was die ›Isabella‹ verträgt. Schick Dan in den M ars, er hat von uns allen die schärfsten Augen. Und sag ihm, daß er höllisch aufpassen soll. Zu allem anderen können wir ihn wegen seiner Finger sowieso noch nicht brauchen.« Ben Brighton nickte. Wenige Augenblicke später enterte Dan in den M ars auf. Er hatte das Perspektiv des Seewolfs bei sich. Die ›Isabella‹ krängte unter dem Winddruck in ihren Segeln schwer nach Backbord, aber sie lief gute Fahrt. Kapitän Thomas, der neben dem Seewolf auf dem Achterkas tell stand, verfolgte die Arbeit der M annschaft. »Alle Achtung, Killigrew, Sie haben eine M annschaft an Bord Ihres Schiffes, die ihr Handwerk versteht. Und Sie haben ein ausgezeichnetes Schiff - lassen Sie sich das von mir sagen. Ich kenne Galeonen und Karavellen, ich habe schon viele Schiffe gesegelt und befehligt - aber die ›Isabella‹ stammt von M eisterhand. Kapitän Drake sollte dieses Schiff unbedingt behalten.« Die Sonne tauchte zwischen den Wolken auf und übergoß die grüngraue, hochgehende See mit ihrem Licht. Die Gischtkronen der Wogen begannen zu leuchten, und in diesem M oment entdeckte Dan die M asten der beiden Schiffe an Steuerbord voraus. Im ersten M oment glaubte er, seinen Augen nicht zu trauen,
und deshalb griff er zum Spektiv, das er bisher in seiner Jacke verwahrt hatte. Als er es ans Auge setzte, lösten sich auf der ›España‹ die ersten Kanonenschüsse. Pulverdampf wölkte auf, und Dan sah, wie die Breitseite wirkungslos verpuffte, denn die Karavelle befand sich außerhalb der Reichweite der Kanonen und lief nun an der Galeone vorbei. Dann schwang sie plötzlich herum, rauschte auf den Gegner zu - der seine Kanonen nicht so schnell nachladen konnte, kreuzte den Kurs der Galeone dicht hinter ihrem Heck und feuerte nun ebenfalls eine Breitseite ab. M it weitaus besserem Erfolg als die Galeone, das sah Dan an den Trümmern, die gleich darauf durch die Luft segelten und dann ins M eer klatschten. Aber der Spanier war auch kein Anfänger - das erfuhr Dan sofort. Noch während die Karavelle hinter dem Heck der Gale one vorbeilief, schwang ihr mächtiger Rumpf herum, und wie der löste sich eine Breitseite. Diesmal fand sie ihr Ziel. Dan beobachtete mit angehaltenem Atem, wie ihre Kugeln das Schanzkleid der Karavelle zerfetzten, wie sie den Besan zer splitterten und der M ast samt Takelage über Bord ging. Er sah noch, daß die M änner an Bord der Karavelle die Taue, die den M ast hielten, wie besessen kappten - dann riß Dan sich aus seiner Erstarrung. Er wußte, daß er seine Beobachtung längst hätte melden müssen, aber er war so in die Beobachtung des Kampfes versunken gewesen, daß er es glatt vergessen hatte. Dan beugte sich weit über die Segeltuchverkleidung, legte die Hände an den M und und brüllte: »Deck! Steuerbord voraus zwei Schiffe! Eine spanische Galeone und eine bretonische Karavelle - sie kämpfen miteinander!« Dans Stimme - immer noch im Stimmbruch - schrillte vor Er regung und überschlug sich. Der Seewolf ruckte herum. Eine spanische Galeone? Eine bretonische Karavelle? Was hatte das zu bedeuten? Er dachte sofort an den zweiten spanischen Agenten, an den M ann, der
ihnen entwischt war. »Kapitän Thomas, übernehmen Sie bitte, ich sehe selber mal nach.« John Thomas nickte nur. In diesem M oment schrie Dan schon wieder eine M eldung zum Deck hinunter. »Backbord voraus treibt ein Boot. Es ist leer, das Segel ist eingeholt. Ein Fischerboot …« Der Seewolf hörte das, als er bereits auf dem Weg zum Großmast war. Ein Fischerboot! schoß es ihm durch den Kopf. Also war dieser Agent mit einem Boot geflohen. Er hatte sich in der Nähe befunden, als sein Komplice auf dem Kai ver brannte, wahrscheinlich hatte er sogar alles mit angesehen. Aber was hatte die spanische Galeone hier so dicht unter der englischen Küste zu suchen? Und was der bretonische Freibeu ter - und auch hier dachte der Seewolf sofort an jene Bucht auf der Ile de Sein, an die beiden Karavellen, die den Kampf mit der ›Isabella‹ überstanden hatten und von denen die eine schwer havariert von der anderen in den Hafen geschleppt worden war. Er dachte wieder an die zerstörte Galeone, die in jener Seeräuberbucht auf dem Strand gelegen hatte, und an die grausigen Bilder, die sich an Bord dieses Schiffes ihren Augen geboten hatte: die an Deck herumliegenden Skelette, die zer trümmerten Schädel, die Schlingen an den Rahen, die lose im Wind baumelten. Der Seewolf enterte auf, und er erreichte den Großmars in Rekordzeit. Dan reichte ihm sofort das Perspektiv und deutete erst zu den beiden kämpfenden Schiffen, dann zu dem treiben den Boot, das am Bug ein gekapptes Tau hinter sich herzog. Eine ganze Weile sah Hasard zu den beiden Schiffen hinüber, und er bewunderte den M ut und die Verbissenheit, mit der die M änner auf der angeschlagenen und viel kleineren Karavelle kämpften. Sie fuhr gerade wieder einen Angriff, trotz des feh lenden Besans. Der Spanier feuerte eine neue Breitseite ab, verfehlte die Karavelle aber nur knapp.
Wieder glitt der Bretone hinter dem Heck der Galeone vorbei, und wieder feuerten seine vier Geschütze an Steuerbord. Dichter Pulverdampf wölkte empor - und dann sah der See wolf, wie diese Breitseite das Ruder der Galeone zertrümmerte. Gleichzeitig flogen von der Karavelle aus den M arsplattformen des Fock- und Großmastes Brandpfeile in die Takelage des Spaniers. Erste Flammen züngelten auf und griffen rasch um sich. Er sah, daß die Spanier wie wild an Deck gestikulierten - be sonders ein M ann mit einem goldenen Helm auf dem Kopf fiel ihm auf, weil der Helm weithin sichtbar in der Sonne leuchtete. Hasard Killigrew stellte sein Perspektiv auf höchste Schärfe und dann erstarrte er mitten in der Bewegung. »Verdammt, Dan, da steht doch dieser verfluchte Agent, die ser M ann, der mich zusammen mit seinem Komplicen in der M ill Bay entführen wollte!« Der Seewolf stieß diese Worte m it einem Knurren hervor. »Los, Dan, sieh nach, du kennst den Kerl ja ebenfalls, sieh nach, ob er es wirklich ist. Wenn ja, dann holen wir uns diesen Burschen.« Dan riß dem Seewolf das Perspektiv förmlich aus der Hand. Er sah, daß man auf den beiden kämpfenden Schiffen die her annahende ›Isabella‹ nun ebenfalls entdeckt hatte. Und dann geriet der M ann mit dem Goldhelm in sein Blickfeld. Dan stieß vor Erregung die Luft aus. »Du hast recht, das ist dieser dreimal verfluchte Hundesohn, der mich in der Fischerkate gefoltert hat. Neil heißt der Kerl, jedenfalls wurde er von dem anderen mit Neil angesprochen. Ich haue ihn in Fetzen, ich schlage ihn wie einen tollen Hund mit dem Knüppel tot, ich …« Der Seewolf sah Dan an. »Nichts tust du, gar nichts, verstanden? Sieh deine Hände an. Du kannst mit ihnen kein Entermesser halten und auch keine M uskete abfeuern. Ich werde mir diesen Kerl vornehmen, und du kannst dich auf mich verlassen. Er wird für alles büßen und
bezahlen, was er und sein Komplize uns angetan haben. Du bleibst im M ars, Dan. Ich will von dir genaue M eldung über alles, was da drüben auf den Schiffen geschieht!« Er wollte sich schon über die Verkleidung schwingen und ab entern, als ihn ein schriller Schrei Dans mitten in der Bewe gung stoppte. Er drehte sich um, und dann sah er, was dort drüben geschah. Die Karavelle, durch den fehlenden Besan in ihrer M anövrier fähigkeit stark behindert, war in eine Breitseite der aus dem Ruder laufenden Galeone geraten. Die schweren Ladungen fuhren in die Takelage, zerschlugen das Vorschiff der Karavel le und zerschmetterten den Fockmast knapp zwei M annslängen über Deck. Der M ast stürzte nach hinten, verfing sich im Rigg des Großmastes, sackte an Backbord über das noch unbeschädigte Schanzkleid und hing schließlich samt der Besegelung im Wasser. Die Karavelle krängte schwer nach Backbord. Zu ihrem Glück trieb der Wind die steuerlose Galeone in die ent gegen gesetzte Richtung. Der Seewolf sah, wie die M änner der Kara velle sofort damit begannen, die Taue, an denen der Fockmast hing, zu kappen. Auf der Galeone hingegen griff der Brand in der Takelage immer weiter um sich. Für den Seewolf war klar, daß damit für die beiden Schiffe der Kampf beendet war. Denn manövrierunfähig waren sie beide. Einen M oment lang kämpfte er mit sich. Aber dann siegte sein Zorn. Nein, diesen verfluchten Agenten würde er nicht entkommen lassen. Es hing allein vom Verhal ten des spanischen Kapitäns ab. Gleichzeitig warf er noch ei nen Blick zu der bretonischen Karavelle hinüber. Noch im mer schufteten die M änner wie besessen, aber sie hatten Erfolg, nach und nach löste sich der Fockmast mit seinem laufenden und stehenden Gut vom Rumpf des Schiffes. Aber dann traute er seinen Augen nicht - der bretonische Kapitän versuchte so
gar mit dem verbliebenen Großmast wieder Fahrt ins Schiff zu bekommen. War der M ann wahnsinnig oder tollkühn? Wollte er etwa in diesem Zustand noch einen Angriff auf die Galeone wagen? Das mußte todsicher zu seiner Vernichtung, zu seinem Untergang führen. Hasard sprang an Deck. »Ben!« brüllte er. »Du kannst Spanisch. Erklär dem Spanier durch Signale, daß er sich ergeben soll, oder wir gr eifen ihn an. Und erklär ihm ebenfalls, daß ich den M ann mit dem Gold helm, der neben dem Kapitän auf dem Achterkastell steht, ha ben will. Geht er auf meine Forderung ein, dann garantiere ich ihm und allen Überlebenden, daß sie wohlbehalten zur franzö sischen Küste gelangen werden. Erfüllt er aber meine Forde rungen nicht, dann werden wir kämpfen, bis einer von uns ver nichtet ist.« Ben Brighton starrte dein Seewolf an und warf dann einen kurzen Blick zu der brennenden Galeone hinüber. »M ann mit dem Goldhelm?« fragte er. »Was ist denn an die sem Kerl so wichtig, daß du ihn gegen alle anderen Spanier eintauschen willst? Das ist doch glatter Wahnsinn. Schiff und M annschaft sind unsere Beute, wir …« Der Seewolf trat hart an Ben Brighton heran. »Das Schiff ist die Beute des Bretonen. Er hat mit den Dons gekämpft. Er hat die Dons lahmgeschossen. Er muß ein toll kühner M ann sein, Ben, denn wer würde es sonst wagen, mit so einer Nußschale einen so überlegenen Gegner anzugreifen? Ich sage dir, diese Karavelle gehört zu den fünf Schiffen, die uns verfolgt und mit denen wir gekämpft haben. Ich glaube auch, diesen rotbärtigen Riesen mit dem Wikin gergesicht schon gesehen zu haben. Wir werden diesen tapfe ren M ännern helfen, ihr Schiff wieder flottzukriegen. Ferris wird mit ein paar M ännern die nötigen Reparaturen ausführen, wenn der Bretone auf meine Bedingungen eingeht und die Spanier an der Küste ungeschoren laufenläßt.«
»Und der M ann mit dem Goldhelm?« fragte Ben Brighton zum zweitenmal und hatte M ühe, seine grenzenlose Verwunde rung über das Verhalten des Seewolfs zu verbergen, auch wenn eine ungeheure Achtung für diesen M ann in ihm aufstieg, der so fair und so kompromißlos handelte, obwohl er der engli schen Krone gegenüber verpflichtet war, diese Galeone als Beute einzubringen. »Der M ann mit dem Goldhelm ist jener zweite Agent, der uns in der vergangenen Nacht wieder entwischt ist. Ich will ihn haben. Er soll bezahlen, aber nur er allein. Und jetzt tu endlich, was ich dir auf getragen habe!« Der Seewolf ging zum Achterdeck hinüber. Er sah nicht die Blicke, mit denen ihn seine M änner bedachten. Enttäuschung, aber auch Respekt und unverhohlene Achtung lag in ihnen. Jeder von ihnen hatte mit eigenen Augen gesehen, wie todes mutig und tollkühn die bretonischen Freibeuter mit dem viel stärkeren Spanier gekämpft hatten. Zwar entging ihnen wert volle Beute und damit auch ein gehöriger Prisenanteil, aber andererseits besaß auch jeder von ihnen Fairneß genug, um die Argumente ihres Kapitäns zu akzeptieren. Diese manövrierunfähige, schwer angeschlagene Galeone zur Beute zu nehmen, das würde an Leichenfledderei grenzen, und dazu war keiner von der Besatzung des Seewolfs bereit. Kapitän Thomas zog ein bedenkliches Gesicht, als Killigrew ihn über seine Absichten informierte. Aber dann nickte auch er. »Etwas anderes würde weder zu Ihnen noch zu Ihren M än nern passen, Killigrew«, sagte er. »Die Situation ändert sich allerdings, wenn der Spanier nicht aufgibt. Denn wenn Sie und Ihre M änner kämpfen, dann haben Sie auch ein Anrecht auf mindestens die Hälfte der Beute.« Der Seewolf stimmte zu. Gleich darauf änderte die ›Isabella‹ ihr en Kurs und hielt di rekt auf den Spanier zu. Hasard sah, wie der M ann mit dem Goldhelm ihnen ent gegenstarrte, und er spürte den abgrundtie
fen Haß dieses M annes fast körperlich.
Capitan Esmeralda blickte der heranbrausenden ›Isabella‹ entgegen. Sein Gesicht war blutverschmiert, ein dicker Ver band bedeckte große Teile seines Kopfes. »Die ›Isabella von Kastilien‹«, murm elte er, und ein scharfer Schmerz durchzuckte seine Brust. »Das Schiff meines guten Freundes Romero Valdez!« Er tastete mit der Linken nach der Reling des Achterkastells, um sich Halt zu verschaffen. Die Wunde, die ihm der Splitter am Kopf gerissen hatte, setzte ihm zu. Über ihm, in der Take lage und im gesamten Rigg, prasselten die Flammen. Capitan Esmeralda war sich darüber im klaren, daß sein Schiff verloren war. Capitan Esmeralda besaß vorzügliche Augen, und daher er kannte er auf dem Achterkastell der herannahenden Galeone auch jenen schwarzhaarigen, hochgewachsenen M ann, über den er schon so viel gehört hatte: Philip Hasard Killigrew. Langsam drehte er sich zu dem neben ihm stehenden Neil Griffith um, der sich von einem seiner Offiziere den goldenen Helm und das Kettenhemd sowie alle anderen Teile einer alt ehrwürdigen Rüstung ausgeliehen hatte. Er wies auf die ›Isa bella‹ und auf den Seewolf. »Da haben Sie die ›Isabella‹, Senor«, sagte er, und in seiner Stimme schwangen Haß und Verzweiflung mit. »Ich habe die se ganze Aktion bereits in Spanien für Wahnsinn erklärt, aber man hat nicht auf mich gehört.« Er atmete schwer. »Jeder Narr weiß, daß man sich in diesen Zeiten mit einem spanischen Schiff nicht allein zwischen zwei feindliche Küsten begibt, ohne Gefahr zu laufen, alles zu verlieren.«
Erneut sah er Neil Griffith an, und sein Blick wurde noch finsterer als vorher. »Wollen Sie mir nun, im Angesicht der sicheren Niederlage, vielleicht sogar des Todes, wohl zwei Fragen beantworten, Senor, auf die ich sicherlich ein Recht habe?« Neil Griffith wandte für einen M oment seinen Blick von der ›Isabella‹ und von seinem Todfeind ab, der von Sekunde zu Sekunde deutlicher wurde. »Fragen Sie, Capitan«, sagte er. »Was hat dieses Schiff so Wichtiges an Bord, daß Spanien ein solches Risiko einging? Und wer, Senor, sind Sie, wie lautet Ihr richtiger Name?« Neil Griffith kämpfte einen Augenblick mit sich. »Also gut, Senor Capitan. Zu Ihrer ersten Frage: Die ›Isabel la‹ hat neben den dreißig Tonnen Silberbarren auch eine wert volle lederne Kassette mit Seekarten der gesamten neuen Welt an Bord. Zu Ihrer zweiten Frage: M ein Name ist Hidalgo Fer nandez Rodriguez. Die spanische Krone hat meinen toten Part ner und mich schon vor Jahren aufgrund unserer Verdienste in den Adelsstand erhoben. I ch werde als Hidalgo zu sterben wis sen, wenn es sein muß, Senor Capitan. Und ich fürchte, es wird sein müssen. Begreifen Sie jetzt, warum ich alles daran setzen mußte, meinen Auftrag auszuführen und diesen Killigrew, sein Schiff und seine Besatzung zu vernichten, wenn es uns schon nicht gelang, diesem Teufel die Seekarten wieder zu entrei ßen?« Capitan Esmeralda blickte den A genten lange an. »Nein, Se nor Rodriguez, es sieht nun nicht mehr danach aus, daß Sie imstande sein werden, Ihren Auftrag zu Ende zu führen. Aber ich begreife wenigstens, warum dies alles geschah, und weiß nun, warum ich hier sterben werde.« Der Capitan wandte sich ab. Dieser M ann da neben ihm ge hörte also dem niederen spanischen Adel an. Aber mochte sei ne Aufgabe auch noch so wichtig gewesen sein, mochte er
Verdienste um Spanien erworben haben, soviel er wollte - Ca pitan Esmeralda verachtete ihn dennoch. Er kannte die Ar beitsweise dieser Agenten und ihr blutiges Handwerk. Weiter gelangte er mit seinen Überlegungen nicht. Denn die ›Isabella‹ drehte plötzlich bei, weit genug entfernt, um nicht in die Reichweite der Geschütze der ›España‹ zu geraten. Gleich darauf erschien ein M ann auf dem Achterdeck und begann damit, der ›España‹ Signale zu übermitteln. Capitan Esmeralda rief eilig einen seiner Signalgasten herbei. Er mußte zweimal brüllen, um sich bei dem Lärm, der auf der Galeone herrschte, verständlich zu machen. Sein Erster Offi zier war schon zu Beginn des Gefechtes gefallen, alle anderen kämpften zusammen mit der M annschaft gegen das Feuer, das aus der Takelage nun auch auf die Decks überzugreifen drohte. An die Folgen wagte der Capitan nicht zu denken, denn die Laderäume seines Schiffes waren vollgestopft mit Pulverfäs sern, M usketen und anderen Waffen. Der Signalgast erschien. Auch sein Gesicht war rußgeschwärzt, seine Linke blutig. »Capitan?« fragte er und bemühte sich um Haltung. »Nehmen Sie die Signale von dem Schiff dort auf, übersetzen Sie mir, was sie uns zu sagen haben.« Skepsis und Verwunderung schwangen in seiner Stimme mit. M it einem sofortigen Angriff hatte er gerechnet, aber damit nicht. Er warf einen Blick auf die Karavelle, die achteraus von der ›Isabella‹ in der immer noch hochgehenden See schlingerte und auf der die Besatzung alle Hände voll damit zu tun hatte, das Schiff notdürftig wieder aufzuklaren. Die Bretonen hatten die Blinde gesetzt, und mit ihr hielten sie die Karavelle mühse lig vor dem Wind. Der Signalgast der »Esparia« verfolgte aufmerksam die Sig nale, die Ben Brighton ihm übermittelte. Sogar unter der Ruß schicht, die sein Gesicht bedeckte, sah Capitan Esmeralda, wie er immer bleicher wurde.
»Was ist, was wollen die Kerle von uns?« fuhr er ihn schließ lich ungeduldig an. Aber der Signalgast hatte Ben Brighton gerade um eine Wiederholung gebeten, dann jedoch hatte er verstanden. Langsam drehte er sich um und sah sowohl den Capitan als auch Neil Griffith an. »Die Botschaft betrifft zum Teil den Senor neben Ihnen, Ca pitan. Dies ist ihr Inhalt: Kapitän Killigrew von der ›Isabella von Kastilien‹ fordert uns auf, unser Schiff samt Ladung an den bretonischen Freibeuter zu übergeben. Dafür garantiert er unser Leben und außerdem, daß wir an der französischen Küste mit ausreichender Kleidung und Verpflegung abgesetzt werden. Er wird von dem bretonischen Kapitän die notwendigen Garantien einholen. Er knüpfte an das alles allerdings die Bedingung, daß wir ihm jenen M ann mit dem Goldhelm ausliefern. Sollten wir uns weigern, droht uns Kapitän Killigrew mit sofortigem En tern und Kampf bis zur Niederlage. Er gibt uns eine halbe Stunde zur Entscheidung. Während dieser Zeit wird er Verbin dung mit dem bretonischen Kapitän aufnehmen, um auch von ihm zu erfahren, ob er die Garantien für unser Leben und unse re Freiheit übernehmen wird.« Capitan Esmeralda starrte den Signalgast mit offenem M unde an. »Ist jeder Irrtum ausgeschlossen?« fragte er dann, nachdem er auch Neil Griff ith einen Blick zugeworfen hatte. .Ausgeschlossen, Senor Capitan«, erwiderte der Signalgast. »Unklare Stellen habe ich mir wiederholen lassen, um absolut sicherzugehen.« »Gehen Sie, die M annschaft erfährt meine Entscheidung, wenn es soweit ist.« Der Signalgast verschwand. Capitan Esmeralda sah Neil Griffith an. »Sie haben es gehört, Senor?« fragte er. »Und Sie wissen auch, was es für Sie bedeuten würde, ginge ich auf dieses An
gebot ein. Lehne ich es aber ab, dann gibt es ein blutiges Ge metzel, an dessen Ausgang nicht der geringste Zweifel beste hen kann. Das also ist Ihre Antwort, Senor? Sie haben an Bord dieses Schiffes das Kommando, ich habe das nicht vergessen.« Neil Griffith alias Hidalgo Fernandez Rodriguez kämpfte ei nen schweren Kampf mit sich. Er begriff vieles an dieser Bot schaft nicht - nur ein Punkt war ihm wirklich klar: die Forde rung Killigrews, ihn auszuliefern. Dieser schwarzhaarige Satan wollte Rache, Rache für alles, was sie ihm zugefügt hatten. Neil Griffith wußte, daß es für die ›España‹ nicht die gerings te Chance gab, Spanien je wieder zu erreichen. Das zerstörte Ruder ließ sich auf See nicht ersetzen, das verbrannte und ver kohlte Rigg ebenfalls nicht. Der nächste Sturm würde die ›España‹ kurz und klein schlagen. Neil Griffith musterte den westlichen Horizont. Dort türmten sich schwere, dunkle Sturmwolken. Die ›España‹ wurde zu dem vom heftig wehenden Westwind mehr und mehr auf die englische Küste zugetrieben. Auch das war nur noch eine Frage der Zeit, wann sie dort stranden würde, wenn sie nicht schon vorher kenterte. In England aber wartete auf alle Spanier harte Gefangenschaft - unbegreiflich, warum dieser Killigrew sie samt Ladung an die Bretonen ausliefern wollte, statt selber die fette Beute mitzunehmen! Capitan Esmeralda beobachtete den stummen Kampf, den der Agent mit sich führte. Und er wußte im M oment nicht einmal, welche Entscheidung ihm lieber sein würde - Annahme oder Ablehnung. M anchmal konnte ein ehrenhaftes Ende besser sein als ein anschließendes Dahinvegetieren. Neil Griffith hatte sich entschlossen. »Bitten Sie den Signalgast aufs Achterkastell, Capitan. Ich will diesem Killigrew meine Antwort übermitteln. Von ihm allein wird es abhängen, was dann geschieht.« »Und wie ist Ihre Antwort, Senor?« fragte Capitan Esmeral da.
»Sie werden es erfahren. Ich habe hier an Bord das Komman do, das konnte dieser schwarzhaarige Bastard an Bord der ›Isa bella von Kastilien‹ nicht wissen. Sonst würde er diesen Fehler sicherlich nicht begangen haben. Er hat sich selber eine Falle gestellt, aus der es für ihn kein Entrinnen mehr gibt, wenn er nicht als erbärmlicher Feigling dastehen will.« Capitan Esmeralda ahnte, was der M ann mit dem goldenen Helm neben ihm plante. Aber er sagte nichts. Nur in einem Punkt hatte dieser Hidalgo recht: Killigrew hatte sich selbst tatsächlich eine tödliche Falle gestellt, aus der es für ihn nur eine M öglichkeit gab, zu entrinnen. Er blickte über die Reling nach achtern. Die ›Isabella‹ war zu dem Bretonen hinübergesegelt, und eben löste sich trotz des hohen Seegangs ein Boot von der Karavelle und wurde zur ›Isabella‹ hinübergerudert. Capitan Esmeralda ließ den Signalgast rufen. »Wir müssen warten, bis die ›Isabella von Kastilien‹ wieder auf Signalweite heran ist«, sagte er zu Neil Griffith. Der nickte nur kurz, dann lehnte er sich mit über der Brust verschränkten Armen an die Reling und wartete. Dabei beo bachtete er, wie es der M annschaft nach und nach gelang, das Feuer einzudämmen und daran zu hindern, auf Decks und La dung überzugreifen. 8. Sie standen sich auf dem Achterkastell der ›Isabella‹ gegen über: der hochgewachsene, schwarzhaarige Seewolf und der rotmähnige, mehr als zwei M eter große Wikinger. Die ›Isabella‹ rollte in der langen Dünung, die vom Atlantik her in den Kanal stand, aber diese beiden M änner störte das nicht. Die eisblauen Augen des Seewolfs fraßen sich in die steingrauen des Wikingers.
Kapitän Thomas, der diese Begegnung schweigend beobach tete, wußte, daß hier zwei ebenbürtige M änner einander maßen. Der Wikinger, in graues, wetterfestes Leder gekleidet und mit einem breiten, schweren Gürtel um die Hüften, in dem eine Pistole und ein breites Entermesser steckten, brach das Schweigen zuerst. »Du also bist dieser Seewolf, der M ann, wie es ihn jedes Jahrhundert nur einmal gibt, der mit seinem Schiff von fünf Gegnern vier zur Strecke brachte, der den Hai in der Piraten bucht im Zweikampf tötete und dann sein Schiff in die Luft jagte?« Der Seewolf rührte sich nicht, seine Blicken drangen dem an deren bis auf die Seele, und er spürte, daß dieser M ann weit eher ein Freund, denn ein Feind sein würde. »M an hat mir davon berichtet, Seewolf. Ich kannte den Hai gut. Er war ein harter Kämpfer, aber er war ein M örder, einer, der Blut und Tod über uns alle brachte. Sein Ende in der Pira tenbucht war ihm von einer Zigeunerin geweissagt worden, nachdem sie ihn vor uns allen verflucht hatte. Von da an ging es abwärts mit uns allen - vielleicht sind die Götter des M eeres jetzt versöhnt, Seewolf.« Er trat einen Schritt näher an Killigrew heran. »Ich wollte den M ann sehen, der das alles getan hat. Ich woll te wissen, ob ich sein Feind oder sein Freund sein würde. Ich habe dich jetzt gesehen, Seewolf - ich bin nicht dein Feind. Hier ist meine Hand, freie Fahrt deinem Schiff und deinen M ännern vor unseren Küsten. Du hast uns geschädigt, du hast uns fast erledigt, aber du warst bei allem das Werkzeug des Schicksals, der Vollstrecker eines längst gesprochenen Ur teils.« Der Wikinger streckte dem Seewolf die Hand entgegen. Impulsiv ergriff Hasard sie. »Auch ich bin nicht dein Feind, Wikinger.« Der rothaarige Hüne fuhr sich durch seinen Bart.
»Du kennst meinen Namen, Seewolf?« fragte er und blickte Hasard aus schmalen Augen an. »Einer meiner Leute erkannte dich. Von deinen Kämpfen ha be auch ich schon gehört, als ich noch bei meiner Sippe auf Arwenack hauste, bevor ich zur See fuhr. Wenn sie von dir sprachen, nannten sie dich Thorfin Njal, oder sie redeten von dem Wikinger. Nur wußte ich damals noch nicht, daß dein Schiff zu jener Gruppe von Karavellen gehörte, die uns ver folgten und uns ans Leder wollten. Vielleicht wäre sonst da mals alles anders gekommen. Ihr habt uns für Dons gehalten, he?« Der Wikinger nickte. »Der Hai war ganz verrückt darauf, dein Schiff zu entern. Und er hatte recht, es ist eins der besten Schif fe, die ich je gesehen habe. Es wurde von einem M eister er baut.« Er ließ seine Blicke über die Decks und durch die Rigg schweifen. Dann sah er den Seewolf wieder an. »Aber der Hai hatte sich verrechnet, du warst nicht der M ann, der es sich so einfach abnehmen ließ.« Ein dröhnendes Lachen drang aus seiner Brust. Der neben ihm stehende Kapitän Thomas hatte das Gefühl, als wenn das ganze Achterkastell bebte. Doch dann wurde der Wikinger plötzlich wieder ernst. Seine grauen Augen bohrten sich in die des Seewolfs. »Du hattest eine Botschaft für mich. Laß hören, aber sag mir nicht, daß du mein Schiff willst, darum würdest du mit mir kämpfen müs sen!« Wieder verf iel er in sein dröhnendes Lachen, das trotz des heulenden Windes über die Decks der ›Isabella‹ rollte und Ferris Tucker unwillkürlich nach der Axt greifen ließ. Hasard konnte sich ein Lächeln nicht verkneif en - das war ein M ann nach seinem Geschmack. »Ja, ich habe eine Botschaft für dich - eine gute, wie ich den ke. Hör zu!« Hasard berichtete dem erstaunten Wikinger, was er dem Spa nier signalisiert hatte und erzählte ihm von der Rolle Neil Grif
fiths soviel, wie er für richtig hielt. Die Augen des Wikingers wurden immer größer. Dann glitt sein Blick unwillkürlich zu der spanischen Galeone hinüber, die steuerlos in der See nach Osten trieb, und aus deren Take lage immer noch dicker, schwarzer Qualm vom Sturm über die See getrieben wurde. Als Hasard zu Ende gesprochen hatte, sah ihn der Wikinger kopfschüttelnd an. »Du bist ein unbegreiflicher M ann«, sagte er. »Nicht nur, daß deine M änner mir helfen werden, meine Karavelle wieder in Ordnung zu bringen - außerdem überläßt du mir auch die La dung der spanischen Galeone und stellst lediglich die Bedin gung, daß ich den Kapitän und seine M annschaft unbeschadet an der bretonischen Küste an Land setze!« Wieder schüttelte er den Kopf. Doch dann streckte er Hasard abermals die Rechte entgegen. »Der Handel gilt. Ich kann mir nicht erlauben, auf dein großmütiges Angebot zu verzichten, obwohl es mein Stolz eigentlich gebieten müßte. Nimm meine Freundschaft dafür. Wann immer du mich oder meine M änner brauchst - wir wer den zur Stelle sein. Schlag ein!« Hasard ergriff die dargebotene Hand ein zweites M al, und damit war der Bund zwischen diesen beiden M ännern für alle Zeiten besiegelt. »So, und jetzt werden wir sehen, wie sich die Dons entschie den haben!« Hasard gab Ben Brighton einen Wink, und der rief sogleich die nötigen Komm andos. Die M ännern stürzten an die Brassen, die Rahen schwangen herum, Pete Ballie preßte seinen stäm migen Körper gegen den Kolderstock, und gleich darauf bläh ten sich die Segel. Die ›Isabella‹ nahm Fahrt auf. »Du kommst doch mit, Wikinger, oder ?« »Und ob, ich will wissen, was diese Dons zu deinem Ultima tum zu sagen haben. Aber der Kapitän dieses Schiffes ist kein schlechter M ann, er hat meine Karavelle ganz schön zerrupft.
Zehn meiner M änner sind tot, doppelt so viele verwundet. Es ist gut, daß dein Schiffszimmermann uns mit ein paar M ännern helfen wird. Was soll mit der Galeone geschehen?« Das war genau die Frage, die sich Hasard im stillen auch schon gestellt hatte. Wenn der Ruderschaden nicht gewesen wäre, dann hätte man sie vielleicht noch mit provisorischer Takelage zur Ile de Sein segeln können - so aber schied diese M öglichkeit aus. »Sie ist deine Beute. Entscheide du, wenn deine M änner die Ladung auf dein Schiff übernommen haben, was mit ihr ge schehen soll. Ich kann ohnehin nicht bleiben, bis ihr fertig seid. Aber beeilt euch, es wird schweres Wetter geben!« Hasard musterte abermals den Westhorizont, an dem sich mehr und mehr dunkle Wolken auftürmten, die im Sonnenlicht, das hier und da über die graugrüne See huschte, noch dunkler und bedrohlicher aussahen. Der Wikinger nickte, dann war die ›Isabella‹ auch schon auf Signalweite an den Spanier heran. »Ben, frag an, wie sich die Herren da drüben entschieden ha ben. Lehnen sie ab, keine langen Verhandlungen mehr, sondern dann greifen wir augenblicklich an.« Ben Brighton nickte und trat an die Backbordreling des Ach terkastells. Gespannt beobachteten ihn Hasard, der Wikinger und auch Kapitän Thomas, der nichts dagegen hatte, wenn es doch noch zum Kampf kommen würde. Die Antwort erfolgte prompt - und sie verschlug den M ännern im ersten Augenblick glatt den Atem. »Ben, hast du das auch alles richtig verstanden?« vergewis serte sich Hasard, nachdem sie alle eine Weile zur ›España‹ hinübergestarrt hatten. Ben Brighton nickte. Seine M iene hatte sich mehr und mehr verdüstert, während er die Antwort Neil Griffiths übersetzte. »Wenn du mich fragst, dieser Kerl da drüben ist gar nicht so dumm. Ohne zum erbärmlichen Feigling zu werden, kannst du
gar nicht ablehnen. Das hat dieser M istkerl verdammt ge schickt eingefädelt. Hüte dich vor diesem M ann, der führt Ar ges im Schilde …« Der Seewolf unterbrach ihn mit einer schroffen Handbewe gung. »Der Don will also einen Zweikampf mit Philip Hasard Killigrew. Und er will, falls er gewinnt, genau wie die anderen M änner der Besatzung freien Abzug. Gut, soll er haben. M ich wundert nur, daß er nicht gleich die ›Isabella‹ samt Ladung und Besatzung verlangt. Vielleicht wäre es dem Hidalgo Fer nandez Rodriguez auch angemessen gewesen, wenn wir ihn dann persönlich nach Spanien gesegelt hätten.« Der Seewolf brach in ein lautes Gelächter aus. »Los, Ben, sag ihm, daß ich einverstanden bin, daß ich die Bedingung akzep tiere. Aber sag ihm auch, daß es in diesem Kampf kein Pardon geben wird. Wir kämpfen miteinander, bis einer von uns bei den tot ist. Nur dann gilt unser Abkommen. Sag ihm das, Ben, mach schon!« Kapitän Thomas schaltete sich ein. »Killigrew - ich finde, das ist zu leichtsinnig. Ich traue diesem Kerl nach allem, was ich von ihm gehört habe, nicht. Ich …« »Nichts da, Kapitän. Er soll seinen Kampf haben. Ich habe vor diesem Kerl keine Angst. Und daß er keine üblen Tricks benutzt, dafür werden meine M änner und der Wikinger schon sorgen. Sollte er aber siegen, sollte er mich wirklich töten, dann wünsche ich, daß mein Wort eingelöst wird. Ist das klar, jedem, ohne Ausnahme?« Erst in diesem M oment hatte der Seewolf bemerkt, daß ein Großteil seiner Besatzung auf dem Achterkastell stand und alles mitgehört hatte. Ferris Tucker, der hünenhafte Schiffszimmermann der ›Isa bella‹, schwang seine Axt. »Es ist klar, Hasard. M it welcher Waffe wird gekämpft?« »Lange Entermesser, suche zwei gleichwertige Waffen her aus, Ferris.«
»Und auf welchem Schiff soll der Kampf stattfinden?« »Hier, auf der ›Isabella‹. Auf dem Quarterdeck. Jeder kann kämpfen, wie er will.« Ferris Tucker atmete auf, durch die M änner ging ein Raunen, während die Galeone schwer überholte. »Ich dachte schon, du wärst verrückt genug, den Kampf auch noch auf dem Spanier stattfinden zu lassen, aber gottlob bist du wenigstens in diesem Punkt vernünftig.« Ferris Tucker drehte sich um und scheuchte die M änner auf die Stationen. Auch Dan, der seinen Platz im M ars längst ver lassen hatte. »Rauf mit dir, Dan, oder ich mach dir Beine. Du kannst run terkommen, wenn es soweit ist!« Dan flitzte los. Er sah Ferris Tucker an, daß in diesem M o ment mit ihm keine Späße zu treiben waren. Wie ein Eichkater jagte er die Wanten zum Großmars hinauf, zumal er von dort aus den allerbesten Blick auf die weiteren Ereignisse hatte. »Himmel, ein Zweikampf zwischen Hasard und diesem ver dammten Folterknecht!« stieß er atem los hervor, als er oben angelangt war. Inzwischen hatte Ben Brighton dem spanischen Agenten ge antwortet. Neil Griffith zeigte »verstanden«. Dann sprach er mit dem Capitan der ›España‹. Bald darauf wurde ein Boot ausgesetzt, und unter dem Kommando eines Offiziers pullten die M änner Neil Griffith zur ›Isabella‹ hinüber. Wegen der hochgehenden See war das schon eine seemännische Leistung ersten Ranges. Der Spanier verfügte über eine ausgezeichnete Besatzung, und der Seewolf sah es dem Gesicht von Kapitän Thomas an, wie sehr es diesem M ann immer noch gegen den Strich ging, daß hier die ganze Besatzung einer kriegsstarken spanischen Galeone auf freiem Fuß belassen wurde. Aber Hasard wußte auch, daß der Kapitän seine Entscheidung akzeptieren mußte. Denn erstens war er nur Gast auf der ›Isabella‹, und zweitens
war es für die ›Isabella‹ völlig unmöglich, und bei der Ladung, die sie führte, auch viel zu gefährlich, die Crew eines 400 Tonnen-Schiffes nach England zur Internierung zu segeln. Ha sard wußte, daß seine eigene Besatzung von sechzehn M ann für ein Schiff wie die ›Isabella‹ ohnehin viel zu schwach war. Außerdem kam aber noch eins hinzu: Bestimmt waren die meisten M änner auf der spanischen Galeone von Preßgangs zum Kriegsdienst auf See gewungen worden. Sie würden froh sein, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben und der Seefahrt auf diese Weise endlich entronnen zu sein. Der Seewolf warf einen verstohlenen Blick auf den Wikinger. Das Schiff dieses M annes war noch viel kleiner als die ›Isa bella‹. Aber trotzdem würde er Wort halten, dieser Typ von M ann starb eher, bevor er wortbrüchig wurde. Hasard wußte nicht, wie der Wikinger den Transport der fremden Besatzung zur Küste bewerkstelligen wollte, aber das war auch nicht mehr seine Sorge, er hatte jetzt andere Proble me zu lösen. Hasard gab sich nicht dem Irrtum hin, daß er spielend mit diesem spanischen A genten fertigwerden würde. Im Gegenteil - dieser verdammte Hundesohn verstand sich bestimmt aufs Kämpfen. Das Boot mit dem Hidalgo kam näher. Schon standen M änner mit Leinen bereit, um es an Lee längsseits zu nehmen und dem Spanier hochzuhelfen. Sein goldener Helm schimmerte zum Seewolf herauf. »Ben, sieh zu, daß das Quarterdeck frei ist. Wenn dieser Kerl an Bord gehievt ist, werden keine langen Reden mehr gehalten. Der Kampf beginnt sofort. Wir haben anschließend noch Ar beit genug, also vorwärts!« Ben Brighton warf ihm einen undefinierbaren Blick zu. Dann reichte er dem Seewolf die beiden Entermesser, die Ferris Tu cker inzwischen besorgt hatte. Aber der Seewolf lehnte ab. »Der Hidalgo soll sich eins aussuchen.« In seiner Stimme
schwang unüberhörbar beißender Spott. Denn Philip Hasard Killigrew konnte sich einfach nicht vorstellen, daß es einen Hidalgo geben konnte, der sich zum Folterknecht erniedrigen ließ. Der Seewolf kannte die Spanier noch nicht gut genug - aber das sollte sich im Laufe der Zeit noch gründlich ändern.
Auf der ›Isabella‹ waren nur die allernotwendigsten Stationen besetzt. Jeder M ann, der abkömmlich war, befand sich auf dem Quarterdeck der ›Isabella‹, auf dem sich die beiden Kämpfer gegenüberstanden. Hasard hielt das lange Entermesser in der Rechten, sein O berkörper war nackt. Seine eisblauen Augen fixierten den Geg ner - keine Bewegung des Agenten entging ihm. Neil Griffith alias Fernandez Rodriguez trug noch immer den goldenen Helm und auch das Kettenhemd. Er hielt das lange Entermesser in der Hand, das eher einem Schwert als einem M esser glich. Die beiden Gegner umkreisten einander. Jeder wartete auf den ersten Ausfall des anderen. Der Seewolf wartete. Er sah den Haß, der in den Augen des Hidalgos loderte. Er registrierte auch die geschmeidigen, leichtfüßigen Bewegungen des ande ren. Und an der Art, wie sein Gegner das schwere Entermesser hielt, erkannte er die Kraft, die in diesem Körper steckte. Nein, der Seewolf gab sich keinerlei Täuschungen hin: Dieser M ann war brandgefährlich! Ein M uskelpaket, eine lebende Kampf maschine, ein M ann, der außer seinem Leben nichts mehr zu verlieren hatte, und selbst das war nicht mehr viel wert, denn er hatte versagt. Versagt und verloren bei allen Aktionen, die er
gegen ihn, den Seewolf, gestartet hatte. So und nicht anders würden seine spanischen Auftraggeber es sehen. Sein Gegner war ein M ann, der Rache wollte, eine letzte Genugtuung, und das machte ihn gef ährlich. Dan trat vor Aufregung von einem Bein auf das andere. Auch er spürte instinktiv die Gefährlichkeit seines einstigen Peini gers, seine wilde Entschlossenheit, den Seewolf zu töten, gleich, ob er dabei überlebte oder nicht. Erst in diesem M oment wurde Dan so richtig klar, daß Hasard Killigrew weit mehr für ihn bedeutete als je ein anderer M ensch zuvor. Dan zuckte vor Schreck förmlich zusammen, als der Spanier plötzlich angriff. M it einem wilden Schrei sprang er auf den Seewolf zu, fintierte mit dem M esserarm und trat gleichzeitig mit dem rechten Fuß zu. Der Tritt erfolgte so überraschend für Hasard, daß er nicht mehr ausweichen konnte. Er krümmte sich unwillkürlich bei dem wahnsinnigen Schmerz, der seinen Un terleib durchzuckte, zusammen. Sofort war der Spanier heran. Sein M esser flog hoch, sausend fuhr die Klinge herab. Hasard hatte das geahnt und sich blitzar tig zur Seite geworfen, aber er geriet dabei ins Straucheln, ver suchte verzweifelt, die Balance zu behalten, stürzte aber aufs Quarterdeck. Neil Griffith, dessen Schlag ins Leere gegangen war und den die Wucht dieses Schlages nach vorn gerissen hatte, wirbelte herum. Er sah Hasard auf dem Quarterdeck liegen. Sofort riß er sein Entermesser abermals hoch, mit beiden Händen diesm al. Er schwang es hoch über den Kopf, und Hasard kam nicht mehr schnell genug vom Deck hoch. Neil Griffith schleuderte das Entermesser mit unheimlicher Kraft. Ein vielstimmiger Schrei brandete über das Schiff, als es sich unmittelbar neben Hasards Hüfte in die Decksplanken bohrte und den Seewolf dabei mit der scharfen Schneide auf schlitzte. Blut quoll aus seinem Körper hervor. Wie von der Sehne geschnellt flog Neil Griffith mit einem
wahren Panthersatz auf Hasard zu. Noch im Flug formte er seine Hände zu Krallen, um den verhaßten Gegner zu erwür gen. Aber diesmal war der Seewolf schneller, er wälzte sich zur Seite, eine breite Blutspur hinter sich herziehend. Dann sprang er auf, holte zum tödlichen Schlag aus, doch auch diesm al reagierte Neil Griffith rasch genug. Er hatte sein Entermesser aus den Planken gerissen, es mit einer Hand am Knauf, mit der anderen an der Klinge gepackt. Noch auf den Knien wehrte er den tödlichen Schlag des See wolfs ab. Funken stoben aus den Klingen der beiden Entermesser, als sie aufeinanderprallten. Neil Griffith gelang es, auf die Füße zu kommen. Aber dies mal griff Hasard an. M it gewaltigen Streichen trieb er den Gegner, der keine Gelegenheit fand, zum Gegenangriff über zugehen, vor sich her. Seine Klinge blitzte hell im Sonnenlicht, das diese makabre Szene beschien. Es gelang Neil Griffith jedoch immer wieder, die mit furcht barer Wucht geführten Hiebe Hasards abzublocken - und dann erhielt er unerwartet noch eine Chance. Hasard glitt auf dem Quarterdeck aus, taumelte, fing sich wieder, aber der Spanier war bereits heran. M it einem Schr ei, der den M ännern der ›Isabella‹ eisige Schauer über die Rücken trieb, vollführte er aus einer Drehung heraus einen so gewalti gen Hieb, daß die Klinge dem Seewolf glatt den Kopf vom Rumpf getrennt hätte. Aber Hasard war blitzschnell in die Knie gegangen, als er die tödliche Schneide heranblitzen sah. Gleichzeitig warf er sich nach vorn, in den ausgestreckten Händen das Entermesser. Er führte den Stoß von unten nach oben, und die lange Klinge drang tief in den Leib des Spaniers. Neil Griffith hielt mitten in Seiner Bewegung inne. Sein En termesser entfiel ihm, und seine Hände krampften sich um den
Griff der Waffe, die nun in seinem Leib steckte. Er taumelte zurück, f ing sich wieder, stand dann, immer noch die Hände am Griff des Entermessers, breitbeinig auf dem Quarterdeck. Aus blutunterlaufenen Augen stierte er den See wolf an, dessen linke Hüfte und linkes Bein über und über mit Blut besudelt waren. »Du Hund«, sagte er leise und voller Haß, »jetzt hast du auch diesmal wieder gewonnen. Ich werde den Teufel grüßen, wenn ich zur Hölle fahre …« Ein Blutschwall brach aus seinem M und. Neil Griffith taumelte. Er torkelte zurück, genau auf die Re ling des Quarterdecks zu. Die M änner, die dort standen, wichen zur Seite und bekreuzigten sich. Neil Griffith prallte gegen die Reling, aber er blieb auf den Beinen. Und noch immer starrte er den Seewolf an, aus Augen, die bereits erloschen. Doch dann ging plötzlich ein Ruck durch seinen muskulösen Körper. M it einer letzten gewaltigen An strengung schnellte er sich vom Quarterdeck hoch. Er flog förmlich über die nicht sehr hohe Reling. Sekunden später klatschte sein Körper ins Wasser. Ferris Tucker, der mit einem Satz an der Reling war, sah ge rade noch, wie eine Woge den Spanier gegen die Bordwand der ›Isabella‹ schmetterte. Dann begrub sie den Agenten unter ihren grünlich leuchtenden Wassermassen und dem weißen Gischt, der an der Galeone emporsprang und aufs Quarterdeck schlug. Das M eer hatte Neil Griffith alias Hidalgo Fernandez Rodriguez zu sich genommen. Hasard, der das alles ebenfalls beobachtet hatte, stand wie er starrt auf dem Quarterdeck. Keiner der M änner, die ihn umga ben, rührte sich - bis schließlich Dan und der Wikinger zugleich vorsprangen und ihn packten. Aber der Seewolf wehr te ab. »Eine Fleischwunde, weiter nichts«, sagte er leise. »Kutscher, bring eine Pütz Seewasser und spül mich ab. Dann verbinde
meine Wunde. Und anschließend an die Arbeit, M änner, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.« Er warf einen besorgten Blick auf die schweren dunklen Wolken, die nun schon fast die ganze westliche Kimm bedeckten. Als der Kutscher die Wunde Hasards versorgte und sie mit M eerwasser desinfizierte, verzog der Seewolf nur für einen M oment das Gesicht. Anschließend säuberte der Kutscher das Quarterdeck. Keiner der M änner verlor ein überflüssiges Wort. Aber jeder wußte, wie knapp Hasard Killigrew diesmal dem Tode entronnen war. 9. Seit vielen Stunden hatten alle verfügbaren M änner pausenlos geschuftet. Ferris Tucker hatte mit seiner Gruppe wahre Wun der vollbracht - der Fockmast und der Besan der ›Thor‹ standen wieder, das Rigg war wieder klar. Die ›Thor‹ stand querab von der ›Isabella‹, sie hob und senkte sich mit der langen Dünung. Der Wikinger und ein Teil seiner M änner schafften in Booten pausenlos die wertvolle Ladung der ›España‹ auf ihr Schiff. Es war eine Knochenarbeit. Der Himmel hatte sich bezogen, längst war auch der letzte Sonnenstrahl hinter schweren Wolkenber gen verschwunden. Hasard, der sich zu dieser Stunde an Bord der ›Thor‹ befand, rechnete jeden Augenblick damit, daß das Wetter losbrechen würde. Zudem hatte sich der Wind gedreht. Er blies jetzt aus Nordwest. Ferris Tucker erschien auf dem Achterkastell. »Wir sind fertig, Hasard. Die ›Thor‹ kann segeln. Was jetzt noch nicht in Ordnung ist, können die M änner in der Bucht auf der Ile de Sein wieder ins Lot bringen.« Der Hüne warf einen Blick zu dem massigen Rumpf der spa
nischen Galeone hinüber, die mit ihrer pechschwarzen, ver kohlten Takelage einen geradezu gespenstischen Anblick bot. »Schade um das Schiff!« sagte er dann. Dabei schnupperte er in den Wind. »Wenn mich nicht alles täuscht, dann dreht der Wind noch weiter auf Nord. Ich meine, wenn wir …« »Wenn wir was, Ferris?« fragte der Seewolf und ahnte be reits, was Ferris Tucker vorhatte. »Wenn wir die ›España‹ mit einem provisorischen Rigg ver sehen würden, dann könnte der Wikinger sie vielleicht doch noch zur bretonischen Küste, wenn nicht sogar zur Ile de Sein segeln. Die ›España‹ muß nur das nächste Wetter überstehen, alles andere schaffen der Wikinger und seine M änner dann schon.« »Du vergißt das zerstörte Ruder, Ferris. Wie willst du das er setzen? Nein, schlag dir das aus dem Kopf, wir …« »Warte! Ich habe mir die Sache angesehen, es sieht schlim mer aus, als es ist. Das Ruderblatt ist zwar zersplittert, aber die andere Hälfte hängt noch einwandfrei in den Lagern am Spie gel. Es ließ sich durchaus ein Notruder anbringen, ich habe schon alles vorbereiten lassen. Wir brauchen es nur von der ›Isabella‹ zu holen, dann …« Hasard sah den riesigen Schiffszimm ermann an, und plötzlich grinste er. »Ich sehe schon, Ferris, daß m an dich in England eines Tages hängen wird - und mich dazu. Du verschaffst bre tonischen Freibeutern eine spanische Galeone, größer und stär ker als unsere ›Isabella‹. Erzähl das mal Thomas Doughty.« »Nicht bretonischen Freibeutern, sondern Freunden, die fort an mit uns gegen die Dons kämpfen werden, Hasard. Das ist ein Unterschied. Außerdem wird dieser Doughty von allem garantiert nichts erfahren.« Hasard schüttelte den Kopf, dann sah er den Wikinger an, der soeben das Achterkastell seines Schiffes betreten hatte. »Wahrscheinlich steckt ihr beide sowieso unter einer Decke. M ich würde gar nicht wundern, wenn bereits ein Kommando
von deinen Leuten dabei wäre, das provisorische Rigg auf der ›España‹ vorzubereiten - oder irre ich mich, Wikinger?« Thorfin Njal brach in sein dröhnendes Lachen aus. Dann sah er den Seewolf an. »Nein, du irrst dich nicht. Und wenn ich die Galeone der Dons in meine Bucht segele, wenn mir das gelingt - du und deine M änner, ihr werdet das nie zu bereuen haben, Seewolf.« Hasard gab sich geschlagen und wandte sich an seinen Schiffszimmermann. »Also gut, Ferris. Aber das braucht nicht einmal Kapitän Thomas zu wissen, jedenfalls nicht, daß wir unsere Hände in diesem Spiel haben. Segelt mit der Galeone erst, wenn wir verschwunden sind habt ihr überhaupt noch Ersatzsegel?« »Die Dons sind vorsichtige Leute. An Bord dieser Galeone befindet sich alles, was wir brauchen.« Wieder grinste der Seewolf. »Paß auf die Dons auf, die du an Bord hast. Ich kenne mich mit ihnen jetzt so einigermaßen aus. Laß dir deine beiden Schiffe nicht zum Schluß noch abnehmen - dieser Capitan Esmeralda ist ein harter Brocken, wenn der merkt, daß die ›España‹ noch zu segeln ist …« Der Wikinger wischte die Worte Hasards mit einer Handbe wegung fort. »Die Dons sind entwaffnet und M ann für M ann gefesselt. Ein Teil - unter ihnen der Capitan - wird an Bord meiner ›Thor‹ gebracht, die anderen bleiben auf der ›España‹. Sie werden uns helfen, das Schiff zu segeln, wenn es soweit ist. Ich werde ihnen sagen, daß ihnen nichts geschieht, wenn sie tun, was ich von ihnen verlange. Wer aber versucht, etwas ge gen uns zu unternehmen, der wird nach Freibeuterart bestraft. Du weißt, was das bedeutet, Seewolf. M ach dir nur keine Ge danken - ich passe auf.« Zusammen mit Ferris Tucker verließ er das Achterkastell der ›Thor‹. Hasard sah ihm nach. Und bevor der Wikinger den Niedergang zum Hauptdeck der Karavelle hinabstieg, drehte er
sich noch einmal um und winkte dem Seewolf zu. »Nochmals Dank für alles, mein Freund, wir sehen uns wie der!« dröhnte seine gewaltige Stimme zum Achterkastell hin über. Dann war er verschwunden. Hasard Killigrew ließ sich bald darauf zur ›Isabella‹ zurück rudern. Stunden später, kaum, daß Ferris Tucker und seine M änner ebenfalls wieder an Bord waren, brach das Unwetter los. Es kündigte sich durch einige heftige Böen an, die heulend durch die Takelage der ›Isabella‹ fuhren. Weiße Schaumkronen sprangen auf die graugrünen Wogen. Während Ben Brighton dafür sorgte, daß das Beiboot der ›I sabella‹ auf dem Hauptdeck wieder festgezurrt und gesichert wurde, starrte Ferris Tucker zur ›España‹ hinüber. »Er wird es schaffen, Hasard«, sagte er dann leise. »Dieser Bär von einem M ann bringt die Galeone zur Ile de Sein, so wahr ich Schiffszimmermann auf der ›Isabella‹ bin. Zu dem neuen Bundesgenossen können wir uns nur beglückwünschen.« Der Seewolf nickte. »Hol Kapitän Thomas an Deck, Ferris. Er ist in meiner Kammer und setzt einen Bericht für Kapitän Drake auf. Sag ihm, daß wir segeln.« Ferris Tucker nickte nur kurz, dann schallten laute Komman dos über Deck. Die M änner der ›Isabella‹ enterten an den Wanten hoch. M it geblähten Segeln rauschte die ›Isabella‹ an der ›España‹ und der ›Thor‹ vorbei. Die Bretonen winkten ihr zu. Der Seewolf sah den Wikinger auf dem Achterkastell des spanischen Schiffes stehen. Eine riesige Gestalt, deren brandro tes Haar im Wind flatterte. Ein letztes M al winkten die beiden M änner einander zu, dann blieben die ›Thor‹ und die ›España‹ hinter der ›Isabella‹ zurück. »Viel Glück, Wikinger«, sagte Hasard leise. Er wußte, daß dem Wikinger und seinen M ännern noch eine höllische Fahrt bevorstand, und es war und blieb durchaus un
gewiß, ob die ›España‹ den gerade losbrechenden Sturm wirk lich überstehen würde.
Am frühen M orgen des nächsten Tages machte die ›Isabella‹ hinter der ›Santa Cruz‹ am Kai in der M ill Bay fest. Hasard hatte das Schiff durch den Sturm geknüppelt, daß sogar Kapi tän Thomas manchmal ein bedenkliches Gesicht gezogen hatte. Und weiß der Himmel, Kapitän Thomas war selbst ein alter erfahrener Seemann, den so leicht kein Sturm und kein Wetter zu beunruhigen vermochten. Er nahm sich im stillen vor, Kapi tän Drake ein Liedchen von den Qualitäten dieses jungen Kapi täns zu singen. Eine halbe Stunde, nachdem die ›Isabella‹ an der Pier vertäut war, verließ der Kapitän nach einem gemeinsamen Frühstück in der Kammer des Seewolfs die ›Isabella‹ und begab sich an Bord seines eigenen Schiffes, der ›Santa Cruz‹. Hasard teilte die Wachen ein, dann begab er sich ebenfalls zur Ruhe. Die Wunde an seiner Hüfte schmerzte, außerdem hatte er seit dem Auslaufen aus Plymouth kaum mehr als ein paar Stunden hintereinander geschlafen. Für die ersten Stunden hatte es den Anschein, als sei mit dem Tod der beiden A genten auch im Hafen von Plymouth wieder Ruhe und Frieden eingekehrt. Jeden Tag wurde Francis Drake mit der ›Marygold‹ zurückerwartet. M it Kapitän Thomas war Killigrew übereingekommen, die Ladung der ›Isabella‹ an Bord der Galeone zu belassen, bis Kapitän Drake persönlich entscheiden würde, was mit ihr geschehen sollte. Am späten Vormittag fand die trügerische Ruhe ihr Ende. Ein Konstabler, ein großer gewichtiger M ann mit einem breiten
Säbel und in blitzender Uniform, erschien auf der Pier und verlangte den Kapitän Philip Hasard Killigrew zu sprechen. Dan, der um diese Zeit Wache ging, pumpte sich sofort auf. »Der Kapitän schläft und ist jetzt nicht zu sprechen«, erklärte er dem verdutzten Konstabler unter dem Grinsen der anderen M änner, die mit ihm zusammen auf Wache waren. »Ich komme im Auftrag des Friedensrichters von Plymouth und muß Kapitän Killigrew sprechen. Wenn er schläft, dann wecken Sie ihn. Und beeilen Sie sich gefälligst!« Dan schwoll der Kamm. Er spürte förmlich das breite Grinsen von Batuti in seinem Rücken. »Kommen Sie später wieder, M ister. Wenn ich sage, daß der Kapitän nicht zu sprechen ist, dann ist er nicht zu sprechen, merken Sie sich das gefälligst!« Dan betonte das »gefälligst« auf eine Weise, die dem Konstabler das Blut in den Kopf trieb. Einen M oment zögerte er. Dann zog er seinen breiten Säbel. »Im Namen der Königin, ich gehe jetzt an Bord und werde den Kapitän persönlich wecken. Platz da!« M it gezogener Waffe betrat er den Laufsteg und wollte Dan, der ihm den Weg versperrte, zur Seite schieben. Aber da geriet er an den Richtigen. Blitzschnell griff Dan zu und hielt plötz lich den Säbel in der Hand. Daß dabei ein höllischer Schmerz seine ramponierten Fingerspitzen durchzuckte, ignorierte er. Er setzte dem überrumpelten Konstabler die Spitze seines eigenen Säbels auf die Brust. »Keinen Schritt weiter, M ann!« sagte Dan. »M it Leuten wie dir werden wir auf der ›Isabella‹ allemal fertig, da müssen schon ganz andere Kaliber aufkreuzen.« Dan stieß ihn vom Laufsteg auf die Pier zurück. »Und jetzt raus mit der Sprache - was wollen Sie von unse rem Kapitän?« Der Konstabler rang mühselig um Fassung. Er streckte mit hervorquellenden Augen die Hand nach seiner Waffe aus. »Geben Sie den Säbel her!« schrie er. »Das ist Widerstand
gegen die Staatsgewalt, das ist Aufruhr und Rebellion. Ich werde …« »Sie werden sagen, was Sie von unserem Kapitän wollen. Dann können Sie Ihren Bratspieß vielleicht zurückkriegen also, wird‘s bald?« Der Konstabler sah, wie auch der riesige Schwarze, der hinter dem Junge stand, plötzlich einen Koffeenagel in der Hand hatte und ihn spielerisch hin und her bewegte. In diesem Augenblick schwang die Bohlentür vom Achter kastell auf, und der Seewolf trat heraus. Auch andere M änner der Besatzung hatten den Lärm auf dem Kai vernommen, und näherten sich, zumal der Konstabler überlaut herumbrüllte. M it wenigen Schritten war Hasard bei den beiden Kampfhäh nen. Er nahm Dan kurz entschlossen den Säbel ab und warf ihn dem Konstabler zu. »Was gibt es hier?« fragte er barsch. »Warum wollen Sie mich sprechen, was wünscht der Friedensrichter von mir?« »Dieser M ann da«, der Konstabler deutete auf Dan und fuch telte mit dem Säbel herum, »dieser M ann Ihrer Besatzung hat soeben Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet, indem er mich mit Waffengewalt an der Ausübung meines Amtes hin derte. Der M ann ist verhaftet und …« Hasard war hundemüde. Jetzt riß ihm die Geduld. »Dieser M ann da hat absolut richtig gehandelt. Ich habe ihm befohlen, niemanden ohne meine ausdrückliche Erlaubnis an Bord zu lassen. Und auf diesem Schiff bin ich Herr über Leben und Tod, hier gebe ich die Befehle! Der M ann ist also nicht verhaf tet, sondern er bleibt an Bord. Und jetzt, verdammt noch mal, will ich wissen, was der Friedensrichter von mir will, oder ver schwinden Sie endlich!« Der Konstabler starrte den Seewolf an. Dann griff er in eine der Taschen seines Uniformrocks und zog ein Dokument her vor, das er sorgsam entfaltete. »Ich habe den Auftrag, den Kapitän der Galeone ›Isabella
von Kastilien‹ wegen M ordverdachts in zwei Fällen festzu nehmen und zur Vernehmung vorzuführen. Außerdem sind Sie angeklagt, eine junge Lady im Queen‘s Hotel vergewaltigt zu haben. Leisten Sie jetzt keinen weiteren Widerstand, sondern kommen Sie mit!« Dem Seewolf verschlug es glatt den Atem. Seine eisblauen Augen verengten sich zu Schlitzen. »So, ich habe also zwei M orde begangen und eine junge Lady vergewaltigt? Anschließend oder vorher?« fragte er sarkas tisch. Der Konstabler begann wieder mit seinem Säbel zu rasseln. »M an fand unter dem Queen‘s Hotel zwei M änner mit durch geschnittenen Kehlen, und zwar genau unter der Suite, in der Sie anschließend die junge Lady vergewaltigt haben. Also müssen Sie der Täter sein. Oder wollen Sie etwa bestreiten, in der fraglichen Nacht Im Queen‘s Hotel gewesen zu sein? Wol len Sie bestreiten, daß Sie mit der jungen Lady nach dem Festmahl in ihre Gemächer gegangen sind?« Der Seewolf begann zu grinsen. Dieser Kerl war ja noch dümmer, als er zunächst gedacht hatte. »Ich will Ihnen mal was sagen, M ister.« Er trat dicht an den Konstabler heran, der langsam zurückwich. »Erstens halte ich es mit jungen Ladys grundsätzlich so, daß ich sie nicht zu ver gewaltigen brauche, sondern daß sich alles auf freiwilliger Basis abspielt. Und zweitens habe ich nicht zwei M änner hin terrücks ermordet, sondern zwei Strolche und M örder kurzer hand durchs Fenster geworfen, als sie plötzlich auf mich ein drangen und mich abmurksen wollten. Das war Notwehr, M is ter Konstabler. Wenn sie sich beim Sturz ihre Hälse gebrochen haben, so geschah ihnen nur recht.« »Gebrochen? Hälse gebrochen?« Der Konstabler sah den Ka pitän aus großen Augen an. Dann schaute er zur Sicherheit noch mal ins Dokument. »Beiden M ännern hat der M örder die Kehle durchgeschnitten,
also kann das, was Sie da von Notwehr und Sturz durchs Fens ter faseln, gar nicht stimmen …« M it einem einzigen Satz war der Seewolf bei dem Konstabler. Hinter ihm begannen die M änner seiner Besatzung zu murren, M att Davies polierte angelegentlich den Eisenhaken seiner Prothese, Ferris Tucker prüfte voller Genuß die Schneide sei ner gewaltigen A xt. Der Seewolf, in dem plötzlich grenzenlose Wut emporstieg, beutelte den Konstabler, daß ihm Hören und Sehen verging. »Ich bin es nicht gewöhnt, daß man das, was ich sage, Gefa sel nennt, Freundchen. M erk dir das ein für allemal. Und jetzt pack dich gefälligst, ehe hier noch ein Unglück geschieht. Ich bin der Kapitän der Prisen-Galeone von Francis Drake. Ich werde an Bord dieses Schiffes bleiben, bis Kapitän Drake mit seiner ›Marygold‹ in die M ill Bay einläuft. Ihm, und nur ihm ganz allein bin ich Rechenschaft schuldig. Richte das deinem Friedensrichter aus und bestell ihm, daß er sich hüten soll, mich weiterhin mit seinem Unsinn und seinen hirnverbrannten Verrücktheiten zu belästigen. Und jetzt verschwinde, oder ich vergesse mich!« Er versetzte dem Konstabler einen Stoß, der ihn meterweit über die Pier katapultierte. Der Konstabler stürzte, rappelte sich wieder auf und rannte mit kreidebleichem Gesicht davon. Auf dem Achterkastell der ›Santa Cruz‹ tauchte Kapitän Thomas auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Was gibt es denn - was ist denn das für ein gottverdammter Lärm vor meinem Schiff? Wie soll ein rechtschaffener Chris tenmensch denn bei seinem solchen Radau schlafen?« polterte er los. Er sah den Seewolf fragend an, und der klärte ihn mit ein paar Worten auf. .Aber das ist ja Wahnsinn! Was fällt diesem fetten Kerl von Friedensrichter denn ein, den Kapitän einer königlichen Prise wie einen Strolch durch den Konstabler verhaften lassen zu
wollen? Killigrew, die Sache hat bestimmt ein Nachspiel - ich kenne diesen Dickwanst. Aber sollen diese Landhaie nur kommen, sie werden sich wundern. Lassen Sie mich sofort holen, Killigrew, wenn sich auch nur noch das geringste in dieser Sache tun sollte!« Kapitän Thomas gähnte herzhaft und verschwand wieder im Achterkastell seines Schiffes. Hasard kehrte über die Laufplanke an Bord seines Schiffes zurück. Vor Ben Brighton, Ferris Tucker und Dan blieb er ste hen. Batuti, M att Davies, Smoky und Pete Ballie standen hinter ihm und grinsten. »Paßt gut auf. Auch ich rechne damit, daß die Obrigkeit diese Schlappe nicht einfach einsteckt, sondern sich revanchieren wird. Ruft mich sofort an Deck, wenn sich dieser Kerl hier wieder sehen läßt oder sonst irgend etwas geschieht!« Damit verschwand er ebenfalls unter Deck. Er verspürte nicht die geringste Lust, wegen dieser idiotischen Sache aufzublei ben.
Zwei Stunden später war es dann soweit. Auf der Pier mar schierte eine starke Abteilung der Stadtgarde auf und riegelte die beiden Schiffe zur Stadt hin ab. Kapitän Thomas auf der ›Santa Cruz‹ kriegte augenblicklich einen Tobsuchtsanfall. Seine Donnerstimme schallte über Deck, die landwärts gelegenen Stückpforten flogen hoch, und auf der ›Santa Cruz‹ wurden die Kanonen ausgerannt. Kapitän Thomas sah aus den Augenwinkeln, daß die ›Isabel la‹ dem Beispiel seines Schiffes folgte. Der Kommandant der Stadtgarde starrte Kapitän Thomas und den Seewolf, die beide auf dem Achterkastell ihrer Schiffe standen, wie Geistererscheinungen an.
Er löste sich von der Front seiner Garde. M it wenigen Schrit ten überquerte er die Pier und blieb vor der Gangway der ›San ta Cruz‹ stehen. »Kapitän!« rief ef mit heller, befehlsgewohnter Stimme. »Wissen Sie eigentlich, was Sie tun, wenn Sie die Stadtgarde, die hier im Auftrag des Friedensrichters aufmarschiert ist, dar an hindern, dem Gesetz Geltung zu verschaffen? Sind Sie sich darüber im klaren, was es bedeutet, wenn Sie mir und meinen Soldaten m it Ihren Kanonen drohen?« Vor Aufregung versagte ihm fast die Stimme. »Ich weiß verdammt genau, was ich tue!« brüllte Kapitän Thomas, der vor Wut kochte. »Und Sie können sich darauf verlassen, daß ich Befehl zum Feuern geben werde, sobald einer Ihrer Soldaten meinen beiden Schiffen auch nur einen einzigen Schritt näher rückt. Ich denke gar nicht daran, mir von euch verdammten Stadtfräcken vorschreiben zu lassen, was ich tun oder nicht tun darf. Und ich lasse ebenfalls nicht zu, daß einer der Kapitäne Francis Drakes, für den ich hier stellvertre tend das Kommando über die beiden Prisen-Galeonen führe, unter derart hirnverbrannten Beschuldigungen verhaftet und zur Vernehmung vor den Friedensrichter geführt wird. Ich werde mich auf gar nichts einlassen. Wenn Sie Ihre Soldaten nicht abrücken lassen, wird geschossen! Haben wir uns jetzt verstanden, Kommandant?« Der Kommandant der Stadtgarde trat zurück, bleich bis unter die Haarwurzeln. In diesem M oment öffnete sich der Kordon der Soldaten, und eine prunkvolle Kutsche rollte auf den Kai. Sofort eilte der Kommandant der Stadtgarde zur Kutsche hinüber und riß eine der Türen auf. Ein fetter, verschlagen wirkender M ann mit weißer Perücke auf dem Kopf, etwa Anfang Dreißig, quälte sich keuchend aus der Kutsche. Aus seinen Schweinsaugen, die fast hinter Fett wülsten verschwanden, blickte er sich um.
»Was ist, wo steckt dieser renitente Bursche, der es wagt, sich meinen Anordnungen und dem Konstabler zu widersetzen? Warum hat man diesen Kerl nicht längst von seinem Schiff geholt und in Ketten gelegt?« schrie er, während an seiner Sei te der vom Seewolf verjagte Konstabler mit gezogenem Säbel erschien. Der Kommandant der Stadtgarde flüsterte dem Frie densrichter etwas zu, und der zuckte zusammen. »Was, schießen wollen diese Kerle? Schießen auf meine Sol daten? Das ist Rebellion, ich werde dafür sor gen, daß man die Anführer hängt, ich …« Erst in diesem M oment entdeckte er die ausgerannten Ge schütze der beiden Galeonen, die bemannten Drehbassen auf dem Vorder- und Achterkastell der ›Isabella‹, und er wurde blaß. Doch dann besann er sich darauf, wer er war und was er wollte. »Ich verlange«, verkündete er mit schriller Stimme, »daß sich der des zweifachen M ordes verdächtige Philip Hasard Kil ligrew sofort dem von mir ausgeschriebenen und unterzeichne ten Haftbefehl beugt und sich, ohne weiteren Widerstand zu leisten, abführen läßt. Wenn sich der zu inhaftierende Philip Hasard Killigrew auch jetzt noch als widerspenstig erweist, dann erhält die Stadtgarde den Befehl, ihn mit Gewalt von Bord der Beutegaleone ›Isabella von Kastilien‹ zu holen. Ich gebe von nun an gerechnet genau fünf M inuten Bedenkzeit …« Auf der ›Santa Cruz‹ löste sich donnernd ein Schuß. Der Friedensrichter zuckte zusammen, seine fette Visage überzog sich mit dicken Schweißperlen. »Samuel Taylor Burton«, dröhnte die Stimme Kapitän Tho mas in das entsetzte Schweigen, währ end das Echo und der Donner des Schusses über die M ill Bay rollte, »das ist meine letzte Warnung. Ich mache Ernst. Ich vertrete Kapitän Drake, und ich werde in seinem Sinne zu handeln wissen. Ziehen Sie augenblicklich die Soldaten der Stadtgarde zurück, oder es geschieht ein Unglück!«
Die M änner hinter den Schanzkleidern der beiden Schiffe ho ben ihre M usketen. Der Friedensrichter Samuel Taylor Burton sah sich hilfesuch end um, aber auch der letzte M ann der Stadtgarde hatte begrif fen, daß es jeden Augenblick zu blutigen Auseinan dersetzungen kommen konnte, und keiner der Soldaten wagte, sich zu rühren. Hasard, der bei Nennung des Namens Samuel Taylor Burton merklich zusammengezuckt war, erinnerte sich plötzlich. M it der Sippe der Burtons hatten die Killigrews seit Urväterzeiten in Fehde gelegen. Die Sippe der Burtons stammte aus der win zigen Hafenstandt M arcet Jew der M ount´s Bay. Und der alte Sir John hatte sogar dem alten Burton zu einer Zeit, als beide noch junge Kampfhähne gewesen waren, ein Weib ausgespannt und Burton dann auch noch fürchterlich das Fell versohlt. Aber das waren nur die üblichen Zänkereien gewesen, Randerschei nungen sozusagen. In Wirklichkeit steckte viel mehr dahinter. Die Burtons neideten den Killigr ews die gesellschaftliche und führungsmäßige Position in Cornwall, seit der alte Sir John von der Königin Elisabeth geadelt und zum Vizeadmiral von Cornwall ernannt worden war. Hasard Killigrew überlegte fieberhaft. Er durfte nicht zulas sen, daß es zum Äußersten kam, Kapitän Thomas befand sich in einem Zustand der Wut, in dem er schon fast nicht mehr zurechnungsfähig war. Hasard beschloß, einzuschreiten. Es war wirklich allerhöchste Zeit. »Ben, paß auf, daß hier an Bord alles klargeht. Du bist mir persönlich dafür verantwortlich, daß kein Schuß fällt, ehe ich das ausdrücklich befehle. Ich glaube, wir kriegen diese Sache auch anders wieder in den Griff.« Er verließ das Achterkastell und trat auf die Pier. »Hier bin ich, Burton. Aber ich rate Ihnen, rühren Sie sich nicht vom Fleck, versuchen Sie besser nichts, was meinen Leu
ten mißfallen könnte. Hören Sie mir statt dessen einen Augen blick zu, und überprüfen Sie dann in Ruhe, ob Ihr Verhaf tungsbefehl nicht auf einem Irrtum beruht.« Der Friedensrichter blinzelte den schwarzhaarigen, hochge wachsenen M ann mißtrauisch an. Er war intelligent genug, um zu merken, daß ihm hier vielleicht eine Brücke gebaut wurde, über die er sich aus der Affäre ziehen konnte, ohne weiteren Schaden an seiner bereits angeschlagenen Autorität zu erleiden. »Also gut, Killigrew, sprechen Sie«, erwiderte er. »Ich werde Sie anhören und dann alles abwägen, ehe ich eine neue Ent scheidung treffe.« Hasard berichtete von den Anschlägen, die auf ihn, auf sein Schiff und auf seine M annschaft in der M ill Bay unternommen worden waren. Er berichtete von dem Versuch, ihn zu entfüh ren, die ›Isabella‹ mittels eines Branders zu vernichten, von den Ereignissen im Queen‘s Hotel, von der Folterung Dans in Topsham, und zum Beweis mußte Dan seine verletzten Finger kuppen vorweisen. Er verschwieg jedoch wohlweislich, wel ches Ende die beiden A genten gefunden hatten, und auch von dem Zusammentreffen mit der spanischen Galeone und dem bretonischen Freibeuter erwähnte er nichts. Der Friedensrichter bewegte zweifelnd den Kopf. »Alles schön und gut, Killigrew«, sagte er. »Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, was an einer Prise, auch wenn es sich um eine spanische Galeone handelt, so wichtig sein könn te, daß man deswegen Anschläge auf Schiff, Kapitän und Be satzung in der geschilderten Art verüben sollte. Ich weiß, daß England Schiffe dringend braucht, aber warum sind dann auf die ›Santa Cruz‹ von Kapitän Thomas nicht auch Anschläge dieser Art verübt worden?« Er schüttelte abermals den feisten Kopf. Dann watschelte er auf den Seewolf zu. In seinen ver schlagenen Augen funkelte Neugierde. Hasard registrierte es genau. Er ließ den Friedensrichter ruhig heran. Der scharfe Verstand
des Seewolfs hatte längst erfaßt, was dieser Dickwanst im Schilde führte, und das kam seinen eigenen Plänen nur ent ge gen. Knapp einen Schritt von Hasard entfernt blieb Samuel Taylor Burton stehen. In seinen verschlagenen Augen brannte jetzt nackte Gier. »Killigrew, ich habe nachgedacht, während Sie mir berichteten, was alles seit Ihrem ersten Einlaufen mit der ›Isabella von Kastilien‹ in der M ill Bay passiert ist. Es klingt zwar äußerst unglaubwürdig, aber lassen wir das jetzt mal bei seite, genau wie diese ganze M ordgeschichte. Offenbar habe ich mich in diesem Punkt eben doch geirrt, und es hat sich wirklich um zwei üble Strolche gehandelt, die Ihnen aus irgendeinem Grund ans Leben wollten. Vielleicht war die angebliche junge Lady ja auch nur eine lie derliche Frauensperson, die mit diesen beiden Strolchen unter einer Decke gesteckt hat. Vielleicht hat man diesen beiden Kerlen dann, als sie bereits mit gebrochenem Genick unter dem Fenster der Suite lagen, zur Vertuschung der ganzen Sache anschließend noch die Kehlen durchgeschnitten, um vorsätzli chen M ord vorzutäuschen. Doch wie dem auch sei - lassen wir das mal beiseite und sehen wir diesen Punkt als erledigt an, womit dann natürlich auch der Haftbefehl hinfällig wird. Wenn dies aber alles so ist«, der Friedensrichter senkte seine Stim me, »dann gibt es für die geschilderten Anschläge nur noch einen einzigen plausiblen Grund: die Ladung. Ist sie denn wirklich so wichtig und wertvoll, daß sie einen solchen Aufwand irgend welcher Dunkelmänner lohnen würde?« Hasard hatteM ühe, ein Lächeln zu unterdrücken. Er hatte den Friedensrichter jetzt genau da, wo er ihn haben wollte. »Ja, Euer Ehren«, flüsterte er mit Verschwörermiene. »Die Ladung ist in der Tat so wertvoll, daß der englischen Krone ein schlimmer Verlust entstanden wäre, hätten jene Anschläge zum beabsichtigten Ziel geführt.« Die Gier in den Augen Samuel Taylor Burtons wuchs.
»Zeigen Sie mir die Ladung, Killigrew. Ich muß sie sehen. M ir als Friedensrichter steht unter den obwaltenden Umständen eine Inspektion der Prise zu - sie ist Eigentum der Krone, deren Vertreter ich bin.« Der Seewolf nickte. »Natürlich, Euer Ehren«, erwiderte er. »Ich denke in diesem Punkt genau wie Sie. Aber lassen Sie die Soldaten der Stadtwache abrücken. M eine M änner sind nervös, es könnten trotz aller Vorsicht unliebsame und viel leicht sogar schwerwiegende Zwischenfälle passieren. Von Kapitän Thomas und der ›Santa Cruz‹ ganz zu schweigen. Und ich weiß auch nicht, ob es gut für Euer Ehren bei Hof ist, wenn Kapitän Drake von diesem ganzen bedauerlichen Irrtum erfährt und sich an maßgeblicher Stelle dann entsprechend über Euer Ehren äußern würde.« Hasard hatte den Friedensrichter genau beobachtet und gese hen, wie der Fettkloß bei seinen letzten Worten zusammenge fahren war. Er kannte den immensen Einfluß, den Kapitän Drake bei Hof hatte, wahrscheinlich genau und konnte sich ausrechnen, was eine derartige Beschwerde über ihn für Folgen haben würde. »Natürlich, Kapitän, sofort. Sie haben völlig recht, ich schi cke die Soldaten und den Konstabler sofort weg!« Er watschelte davon und winkte den Kommandanten der Stadtgarde zu sich heran. Die beiden sprachen einen M oment miteinander, dann erschallten laute Befehle, und gleich darauf rückten die Soldaten ab. Unter den verwunderten Blicken von Kapitän Thomas kehrte Hasard unbehelligt an Bord der ›Isabella‹ zurück. Der Kapitän sah, wie der Friedensrichter hinter Killigrew herwatschelte und dann von kräftigen Armen förmlich an Bord des Schiffes ge hievt wurde. »Dieser Satansbraten«, murmelte Kapitän Thomas und warf einen Blick auf die abmarschierenden Soldaten der Stadtgarde,
»wie in aller Welt hat er das nur wieder angestellt?« l0. Samuel Taylor Burton befand sich im Laderaum der ›Isabel la‹, und die Augen quollen ihm fast aus den Hönlen, als er die dreißig Tonnen Silberbarren sah, die dort fein säuberlich in Verschlagen aufgestapelt lagen. Seine fetten Wurstfinger grapschten nach einem der Barr en, zogen ihn aus dem Ver schlag, dann hob er ihn hoch, starrte ihn an und prüfte sein Gewicht. Keuchend vor Erregung drehte er sich um und sah den See wolf an, der sich ganz allein mit ihm im Laderaum befand. »Hm, M ister Killigrew, ich meine, Kapitän - Sie sind doch ein M ann, der das Leben kennt, oder?« Hasard nickte scheinheilig. »Ah, ich sehe, wir verstehen uns. Sehen Sie, Killigrew, so eine M ordanklage ist eine höchst un angenehme Sache, Notwehr fast immer nur schwer nachzuwei sen. In Ihrem speziellen Fall würde ein solches Verfahren, auch wenn das Gericht Ihre Unschuld als erwiesen betrachten sollte, dennoch einen M akel auf Ihrem Namen zurücklassen und auf diese Weise vielleicht eine glänzende Karriere im Dienst der englischen Krone zerstören …« Er schnaufte, und die Gier stand so offen in seinen fetten Zü gen, daß Hasard alle Beherrschung aufbieten mußte, um nicht herauszuplatzen. »Nun, lieber Killigrew, dies alles wäre aber verm eidbar. Ich habe Ihnen etwas vorzuschlagen - Sie wissen ja, eine Hand wäscht die andere.« Wieder machte der Friedensrichter eine Pause. »Also, Euer Ehren, wie denken Sie sich Ihren Vorschlag?« fragte der Seewolf, um dem Fettsack die Sache etwas zu er
leichtern. »Zwanzig Silberbarren, Kapitän. Dann schlage ich die ganze Anklage nieder und es wird kein Verfahren gegen Sie geben.« Der Seewolf nickte. »Gut, aber vorher setzen wir jetzt gleich hier an Bord, in meiner Kammer, ein Schriftstück auf, aus dem einwandfrei hervorgeht, daß ich in allen Punkten der bestehen den Anklage unschuldig bin und das Verfahren gegen mich eingestellt ist. Sie wissen ja, eine Hand wäscht die andere, Euer Ehren …« Die letzten Worte sprach er mit Verschwörermiene. Der Friedensrichter nickte, dann wollte er den Silberbarren in seine Tasche gleiten lassen, aber Hasard nahm ihm den Barren ab und legte ihn in den Verschlag zurück. »Erst das kleine Schriftstück, Euer Ehren«, flüsterte er und ließ den Dickwanst vor sich die Jakobsleiter emporsteigen, wobei er noch kräftig nachhelfen mußte. M inuten später watschelte der Friedensrichter mit Hasard zum Achterkastell hinüber, nachdem Hasard Ben Brighton noch einen verstohlenen Wink gegeben hatte. Dann schloß sich hinter den beiden die dicke Bohlentür. Der Friedensrichter setzte das Schriftstück auf, und der See wolf prüfte es genau, bevor er es einsteckte. »So, und jetzt meine Barren, Kapitän. Lassen Sie die Barren an Deck holen, damit ich endlich wieder nach Hause komme. Wir deklarieren die zwanzig Barren als Beweismaterial zu Ih rer Entlastung.« Der Seewolf grinste. Und der Friedensrichter wurde plötzlich blaß, denn erst in diesem M oment war ihm klar, auf was er sich - hingerissen durch seine Gier - mit diesem schwarzhaarigen Teufel eingelassen hatte. »Was denn ?« Er fuhr so schnell vom Stuhl in die Höhe, wie der Seewolf es ihm bei seiner Körperfülle nie zugetraut hätte. »Kapitän - Sie wollen mich doch nicht etwa - Sie haben doch nicht …«
Das Grinsen in Hasards Gesicht war wie ausgelöscht. »Ich habe m ir lediglich etwas überlegt, Euer Ehren. Ich schlage vor, daß Sie bis zur Ankunft von Kapitän Drake an Bord der ›Isabella‹ bleiben, als mein Gast natürlich. Das wäre auch zugleich der beste Schutz für die äußerst wichtige und wertvolle Ladung dieser Prise Ihrer M ajestät, wie Sie die Güte hatten, soeben selbst zu bestätigen.« Samuel Taylor Burton sackte in sich zusammen. Schwer krachte er auf den Stuhl, von dem er gerade mit so erstaunli cher Geschwindigkeit hochgefahren war. Er stierte den Seewolf an. »Killigrew, das werden Sie mir noch büßen, ich schwöre es Ihnen!« Breitbeinig stand der Seewolf vor dem Friedensrichter. »Sie sind überarbeitet. Daher auch Ihre viel zu schnellen und falschen Entscheidungen. Spannen Sie an Bord der ›Isabella‹ ein wenig aus. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufent halt.« Er drehte sich um. »Ben,Ferris!« Die beiden erschienen sofort. »Geleitet diesen Gentleman bitte in seine Kammer. Er wird bis zur Ankunft Kapitän Drakes unser Gast an Bord der ›Isa bella‹ sein. Kümmert euch ein wenig um ihn, ich wünsche, daß er zu essen und zu trinken hat und auch sonst nicht irgendwie zu Schaden kommt.« Ben Brighton und Ferris Tucker fackelten nicht lange. »Wenn wir also bitten dürften, Euer Ehren!« Kurzerhand hievten sie den Fettwanst vom Stuhl hoch, nah men ihn zwischen sich und bugsierten ihn in eine kleine Kam mer, die schon in früheren Zeiten hin und wieder Gäste beher bergt hatte. Sorgfältig sperrten sie die Tür zu und scherten sich nicht im geringsten um die Proteste des Dicken.
Zwei Tage später lief die ›Marygold‹ mit Francis Drake an Bord in die M ill Bay ein. Sie ging neben der ›Santa Cruz‹ längsseits. Francis Drake stand während des Einlauf ens und während des Anlegemanövers an Deck. Seine grauen Augen musterten die ›Isabella von Kastilien‹. Seine f achkundigen Augen erkannten sofort die ungewöhnliche Qualität dieses Schiffes. Kapitän Thomas, zu dem Drake zuerst ging, informierte ihn in groben Zügen über alles, was sich während seiner Abwesen heit ereignet hatte. Nachdenklich sah Drake den alten Seebären und Haudegen an. »In diesem Killigrew steckt ein großartiger Seemann, aber nicht nur das - Philip Hasard Killigrew wird es noch weit brin gen, John. Ich werde jetzt zu ihm an Bord gehen, ich möchte die ganze Geschichte aus seinem eigenen M unde erfahren. Und dann werde ich mir diesen korrupten Friedensrichter vorknöpfen der Kerl soll Blut und Wasser schwitzen. England ist durch aufrichtige und tapfere M änner großgeworden, nicht durch so erbärmliche Kreaturen wie diesen Burton.« Er starrte einen M oment vor sich hin. »Nun, die Sache mit der spanischen Galeone allerdings, mit der ›España‹ meine ich …« Er verfiel wieder in Nachdenken. Doch dann richtete er sich plötzlich auf. »Ich denke, es gab wohl keine ander e M öglichkeit. Wichtig war einzig und allein für Killigrew, daß er die ›Isabella‹ samt Ladung gut wieder nach Plymouth zurückbrachte, die Ent scheidung Killigrews war richtig. Außerdem« - er senkte seine Stimme ein wenig - »kann es nie schaden, gerade bei den Bre tonen drüben gute Freunde zu haben. Und ich mag M änner, die sich nach Herz und Gewissen entscheiden, lieber als solche, die unehrenhafte Beute machen. Wir sehen uns noch später, John!«
Francis Drake verließ die ›Santa Cruz‹, von Kapitän Thomas bis zur Laufplanke begleitet, und ging dann langsam zur ›Isa bella von Kastilien‹ hinüber. Schon von weitem sah er die hochgewachsene Gestalt des Seewolfs. Eine Viertelstunde später riß dann sogar Francis Drake die Augen auf, als der Seewolf ihm die schweinslederne Kassette mit den Seekarten aushändigte. Francis Drake, von Gestalt nicht sehr groß, aber stämmig und untersetzt, strich sich durch seinen braunen Vollbart. Dann blickte er den jungen Kapitän aus seinen klaren, durch dringenden Augen eine ganze Weile an. »Killigrew - Sie können ja gar nicht wissen, wie wichtig diese Karten für England sind. Aber ich verstehe jetzt, warum Sie von allen Seiten gejagt wurden, warum sogar die spanische Krone zwei ihrer besten Agenten in M arsch setzte, um wieder in den Besitz dieser Karten zu gelangen. Und Sie haben viel Glück gehabt, daß Sie diesen beiden A genten und ihren An schlägen immer wieder ent gangen sind. Ein gewisser Hidalgo Rodriguez ist mir seit langem bekannt - sein Name natürlich auch. Zusammen mit einem anderen, auf den Ihre Beschrei bung genau paßt, trieb er schon seit geraumer Zeit sein Unwe sen, und man muß zugeben, mit allerbestem Erfolg. Daß Sie diese beiden M änner ausgeschaltet haben, ist ein weiterer, nicht zu unterschätzender Verdienst, den Sie sich erworben haben.« Francis Drake erhob sich. »Ich werde sofort alles Notwendige veranlassen, dam it ich bereits morgen in aller Frühe nach Lon don reisen kann. Das Silber nehme ich mit, die Karten eben falls. Ich werde dafür sor gen, daß Sie und Ihre M änner einen guten Prisenanteil erhalten.« Er blieb noch einmal stehen, ehe er die Kajüte des Seewolfs verließ. »In der Angelegenheit mit Sir Thomas Doughty müssen wir sehr vorsichtig vorgehen. Aber ich werde sorgfältig prüfen, inwieweit er seine Finger in all diesen Dingen hat. Exponieren
Sie sich in dieser Angelegenheit nicht, legen Sie sich mit Sir Doughty nicht an, überlassen Sie diese Sache mir.« Er klopfte dem Seewolf leicht auf die Schulter und verließ dann das Schiff, nachdem er noch den korrupten Friedensrich ter Samuel Taylor Burton mit Schimpf und Schande von Bord gejagt hatte. Am nächsten M orgen wurde das Silber unter der persönlichen Aufsicht von Francis Drake auf Wagen verladen, dann reiste Drake unter entsprechendem Begleitschutz nach London ab. Es dauerte fast eine Woche, bis er zurückkehrte. Sofort rief er die Kapitäne der beiden Galeonen zu sich auf die ›Marygold‹. »Die ›Marygold‹, die ›Isabella‹ und die ›Santa Cruz‹ haben von der Krone den Auftrag erhalten, ein Truppenkontingent zur Irischen See zu verschiffen. Wir werden die Truppen an der Südostküste landen.« Er sah den Seewolf an. »Sie und Ihre M änner erhalten von der Krone außer dem Ihnen zustehenden Prisenanteil noch eine nicht unbeträchtliche Prämie zusätzlich. Schiff und M annschaft haben sich hervorragend geschlagen - und ich bin stolz auf Sie, M ister Killigr ew.« Der Seewolf sah Drake an, als der ihm kräftig die Hand schüttelte. Er wußte, wie sparsam dieser M ann mit Lob war und der Seewolf hatte das Gefühl, daß er vor Verlegenheit rot wurde. Als er später seine M annschaft an Deck versammelte und den M ännern wiederholte, was Francis Drake gesagt hatte, da bran dete ein Jubel auf. M ützen flogen hoch in die Luft, Ferris Tu cker vollbrachte ein halsbrecherisches Kunststück mit seiner gewaltigen Axt, und selbst Ben Brighton schlug sich vor Freu de auf die Schenkel. Ein Hoch auf Francis Drake stieg in den bleigrauen Himmel - und Dan vollführte auf dem Quarterdeck einen wilden Tanz. Vergessen war der Schmerz, der bisweilen immer noch in seinen Fingerkuppen bohrte. »Rum und Whisky für alle, Ben!« rief der Seewolf seinem
Bootsmann zu. Und Francis Drake, der das alles von Bord seiner ›Marygold‹ aus beobachtete, gönnte den M ännern diesen ausgelassenen Abend. Er allein wußte, daß die kom menden Wochen und M o nate allen diesen M ännern das Letzte an Kraft, M ut, Disziplin und Einsatzbereitschaft abverlangen würden …
In 14 Tagen erscheint SEEWÖLFE Ban d 19
An Irlands Küsten von John Roscoe Craig Es muß Ärger geben. Das weiß Philip Hasard Killigrew spätestens in dem M oment, als er mit einem Spezialauftrag von Francis Drake nach Irland fährt und die Typen mustert, auf die er sich bei diesem Unternehmen verlassen soll. Ein M ann fällt Hasard besonders auf - er heißt Isaac Burton, und von dieser Sippe hat Hasard vorläufig die Nase voll. Das wäre alles noch nicht so schlimm. Viel schlimmer ist die Tatsache, daß sie mit zwei Pockenkranken vor Falmouth festliegen und daß niemand von Bord darf. Ausgerechnet jetzt macht Burton Stunk, und Hasard muß ihm zeigen, wer der liebe Gott auf der ›Isabella‹ ist.