Okologie kompakt
Wolfgang Nentwig, Sven Bacher, Roland Brandl
Okologie kompakt 2. Auflage
Autoren Prof. Dr. Wolfgang Nentwig Institut fur Okologie und Evolution Universitat Bern Baltzerstr. 6 CH-3012 Bern e-mail:
[email protected] Prof. Dr. Roland Brandl Tierokologie/Pb Biologie Philipps-UniversitatMarburg D-35032 Marburg
[email protected] PD Dr. Sven Bacher Department of Biology Ecology& Evolution Unit Universityof Fribourg Ch. du Musee 10 CH-1700 Fribourg e-mail:
[email protected] Wichtiger Hinweis fur den Benutzer Der Verlag, der Herausgeber und die Autoren haben aile Sorgfalt walten lassen, urn volistandige und akkurate Informationen in diesem Buch zu publizieren. Der Verlag iibernimmt weder Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung fur die Nutzung dieser Informationen , fur deren Wirtschaftlichkeit oder fehlerfreie Funktion fur einen bestimmten Zweck. Der Verlag iibernimmt keine Gewahr dafur, dass die beschriebenen Verfahren,Programme usw. frei von Schutzrechten Dritter sind. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Der Verlag hat sich bernuht, samtliche Rechteinhabervon Abbildungen zu ermitteln. Sollte dem Verlag gegeniiber dennoch der Nachweis der Rechtsinhaberschaft gefuhrt werden, wird das brancheniibliche Honorar gezahlt. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet iiber http://dnb .d-nb.de abrufbar.
Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de 2. Auflage 2009 © Spektrum AkademischerVerlag Heidelberg 2009 Spektrum AkademischerVerlag ist ein Imprint von Springer 09 10 II 12 13
54321
Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Iede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Obersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Planung und Lektorat: Dr. Ulrich G. Moltmann, Martina Mechler Satz:TypoDesign Hecker,Leimen Umschlaggestaltung: SpieszDesign, Neu-Ulm Titelfotografie: © Sascha Rosner,www.fotouristen.de. Das Umschlagbildzeigt Blattwespenlarven (Nematus sp., Tenthredinidae) beim FraB.
ISBN 978-3-8274-2304-7
Inhalt
Organismen
1
1.1
1 1
1.2
1.3
1.4
2
Organismen und Arten 1.1.1 Eigenschaften von Organismen 1.1.2 Phanotyp, Genotyp, Okotyp 1.1.3 Artbegriff und Artenzahl Die Umwelt der Organismen 1.2.1 Anpassung 1.2.2 Einstrahlung und Photosynthese 1.2.3 Temperatur 1.2.4 Feuer 1.2.5 Wasser als Ressource 1.2.6 Biogene Elemente als Ressourcen 1.2.7 Boden als Ressource Raumliche und zeitliche Aspekte der Umwelt 1.3.1 Flache und Areal 1.3.2 Zeitliche Aspekte der Umwelt 1.3.3 Das Alter von Organismen Das Konzept der okologischen Nische
3 4 7 7 8 11 15 17 23 30
33 33 35 37 38
Populationen
45
2.1 2.2 2.3
46 49
2.4 2.5
Die fundamentale Gleichung fur die Populationsgrofse Die Populationsgrofse Populationsdynamik 2.3.1 Ungebremstes Populationswachstum 2.3.2 Logistisches Populationswachstum 2.3.3 Kontinuierliches Populationswachstum 2.3.4 Populationswachstum und Altersstruktur Evolution von Lebenszyklen Dichteregulation und Populationsschwankungen 2.5.1 Intraspezifische Konkurrenz 2.5.2 Regulation und Limiti erung 2.5.3 Stochastizitat 2.5.4 Dichteregulation in naturlichen Populationen 2.5.5 Zyklen und Chaos
53 53 56 61 62 71 75 75
78 80 82 84
VI
Inhalt
2.6
Systeme von Populationen 2.6.1 Immigration und Emigration 2.6.2 Die Metapopulation 2.6.3 Das Areal
3 Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arten 3.1
3.2
3.3 3.4
3.5
3.6
3.7
86 86 89 92
95 Nahrungserwerb 96 3.1.1 Spezialisierung 96 3.1.2 Optimaler Nahrungserwerb 100 Praferenz oder Wechsel der Nahrung 100 Dichteabhangigkeit: Funktionelle Reaktion 102 Dichteabhangigkeit: Numerische Reaktion 107 Die trophischen Ebenen 108 3.2.1 Zersetzer, Destruenten, Detritivoren 108 3.2.2 Primarproduzenten: Pflanzen 110 3.2.3 Primarkonsumenten: Herbivoren 113 3.2.4 Sekundarkonsumenten: Carnivoren 114 3.2.5 Omnivoren 115 3.2.6 Parasiten, Krankheiten, Vektoren 115 Prinzipien der Wechselwirkungen 117 Wechselwirkungen auf derselben trophischen Ebene 119 3.4.1 Interspezifische Konkurrenz 119 3.4.2 Gegenseitige Forderung 125 3.4.3 Mimikry 125 Wechselwirkungen tiber zwei trophische Ebenen 127 3.5.1 Rauber und Beute 127 Auswirkungen aufIndividuen 127 Auswirkungen auf die Population 130 3.5.2 Herbivoren und Pflanzen 138 Auswirkungen auf die Pflanze 139 Reaktion der Pflanzen 140 Auswirkungen auf die Herbivoren 144 3.5.3 Parasiten und ihre Wirte 146 Auswirkungen von Parasiten auf ihre Wirte 146 Epidemiologie von Mikroparasiten 146 Mutualismus 151 3.6.1 Einteilung von Mutualismen 152 3.6.2 Mutualismen sind kontextabhangig 153 3.6.3 Ausnutzung von Mutualismen 154 Wechselwirkungen tiber mehrere trophische Ebenen 155 3.7.1 Kaskadeneffekte einzelner Populationen 156 3.7.2 Nahrungsnetze 159 Darstellung von qualitativen Nahrungsnetzen 159 Beschreibung von qualitativen Nahrungsnetzen durch Indices 160 3.7.3 Kaskadeneffekte trophischer Ebenen 161
VII
Inhalt
4 lebensgemeinschaften 4.1
4.2
4.3 4.4 4.5 4.6
Struktur von Lebensgemeinschaften 4.1.1 Erfassung von Artengemeinschaften 4.1.2 Grundmuster in Artengemeinschaften 4.1.3 Klassifizierung von Artengemeinschaften Klassifizierung der Artenvielfalt Klassifizierung von Pflanzengesellschaften Tiergemeinschaften Computergestutzte Klassifizierung von Lebensgemeinschaften Okologische Prozesse in Lebensgemeinschaften 4.2.1 Lebensgemeinschaften und regionaler Artenpool Inselbiogeographie Arten-Flachen-Beziehung Neutrale Theorie von Hubbell 4.2.2 Die Bedeutung der Konkurrenz in Artengemeinschaften 4.2.3 Die Bedeutung von Pradation und Storungen fur Lebensgemeinschaften Dynamik von Lebensgemeinschaften Gleichgewichte versus Nichtgleichwichte in Lebensgemeinschaften Biodiversitat Biogeographie 4.6.1 Speziation, Extinktion und Artenvielfalt 4.6.2 Grofsraumige Muster der Artenvielfalt Gleichgewichtshypothesen Hypothesen, die kein Gleichgewicht fordern Geographische Randbedingungen 4.6.3 Biogeographische Gliederung der Erdoberflache
5 Okosysteme 5.1
5.2
5.3
Energiefluss 5.1.1 Energieeinstrahlung 5.1.2 Produktion 5.1.3 Nahrungskette und Nahrungsnetz 5.1.4 Okologische Effizienz und Korpergrofse Stofffluss 5.2.1 Wasser 5.2.2 Kohlenstoff 5.2.3 Stickstoff 5.2.4 Phosphor Informationsfluss 5.3.1 Physikalisch ubertragene Information 5.3.2 Chemisch ubertragene Information
165 169 169 170 173 173 174 176 177 178 178 180 186 187 189 193 196 198 199 201 201 206 207 208 208 209 215 215 215 217 220 221 225 226 228 234 237 239 239 241
Inhalt
VIII
6
Grolllebensraurne der Erde Terrestrische Lebensraume 6.1.1 Tropischer Regenwald (feuchttropische Zone) 6.1.2 Tropisch-subtropische Regenzeitenwalder und Savannen (trockentropische Zone) 6.1.3 HeiBe Halbwusten und Wiisten (subtropisch-tropische Wiistenzone) 6.1.4 Mediterran warmtemperate, durre- und episodisch frostbelastete Gebiete mit Hartlaubwaldern 6.1.5 Warm temperate, regenreiche, episodisch frostbelastete Gebiete mit immergriinen Lorbeerwaldern 6.1.6 Kuhltemperate Zone der laubabwerfenden Walder 6.1.7 Winterkalte Steppen, Halbwiisten und Wiisten (kalt-aride Zone) 6.1.8 Winterkalte Nadelwaldgebiete oder Taiga (boreale Zone) 6.1.9 Tundren und polare Wiisten (polare und subpolare Zone) 6.2 Limnische Lebensraume
6.1
6.2.1 Pliefsgewasser 6.2.2 Seen 6.3
Grofslebensraume des Meeres
6.3.1 Pelagial 6.3.2 Benthal
7 Angewandte Okologie 7.1 Von der Naturlandschaft zur Kulturlandschaft 7.2 Nachhaltigkeit in der Landnutzung 7.2.1 Forstwirtschaft, Landwirtschaft und Fischereiwirtschaft
7.3
Forstwirtschaft Landwirtschaft Fischereiwirtschaft 7.2.2 Biologische Schadlingskontrolle 7.2.3 Genetisch veranderte Organismen Naturschutz 7.3.1 Was wollen wir schiitzen? Arten, Populationen, Gene Schlusselarten, Schirmarten, Gemeinschaften, Lebensraume 7.3.2 Welchen Wert hat Biodiversitati Okonomischer Wert von Arten und ihren Produkten Okonomischer Wert von Okosystemfunktionen Wissenschaftlich-informeller Wert von Arten Ideeller Wert von Arten und Okosystemen 7.3.3 Was bedroht Biodiversitati Selektives Iagen und Sammeln Veranderung von Lebensraumen Floren - und Faunenverfalschung
245 245 247 249 250 251 252 253 254 255 256 257 257 258 259 260 261 263 263 266 267 267 267 269 270 274 276 277 277 280 283 284 285 285 286
287 287 289 290
IX
Inhalt
7.3.4
Artensterben Naturschutzkonzepte Schutz auf Artniveau Lebensraumschutz und Pflegemafsnahmen Schutz durch angepas ste Nutzung Integration oder Segregation?
8 literatur 8.1 8.2
Index
Zitierte Literatur Weiterfuhrende Literatur
293 295 295 296 298 299 303 303 316 327
Vorwort zur 1. Auflage
Die erste Definition von Okologie durch Ernst Haeckel erfolgte 1866. Nimmt man dieses Iahr als Geburtstage der Okologe, so hat sich unsere 140 Jahre alte Wissenschaft seither gewaltig verandert. Ausgehend von dem griechischen Wort oikos (= Haus) verstehen wir unter Okologie aIle Interaktionen zwischen Organismen (Individuen, Populationen, Lebensgemeinschaften) und mit ihrer abiotischen und biotischen Umwelt im Hinblick auf Energie-, Stoff- und Informationsfluss. Hieraus ergeben sich auch die verschiedenen 5pezialgebiete der Okologie und damit auch die Gliederung dieses Buches. Der Bereich, der sich mit der Anpassung der Arten an ihre Umwelt befasst, wird als Okophysiologie oder (bio )chemische Okologie (ecophysiology, (bio)chemical ecology) bezeichnet. Die Interaktionen der Individuen in Populationen und Metapopulationen werden in der Populationsokologie (population ecology) behandelt. Uber Interaktionen von zwei und mehreren Arten gelangen wir zur Gerneinschafts- oder Okosystemokologie (community ecology, ecosystem ecology). Grofslebensraume und Landschaften (landscape ecology) bilden schlieBlich die oberste Integrationsebene auf der Erde. Okologie hat in den 140 Iahren den Weg von einer auf Arten konzentrierten, oft deskriptiven Disziplin zu einer auf Konzepten und Hypothesen basierten, experimentell arbeitenden Wissenschaft gefunden. Der eigentliche 5pagat, den Okologen aber standig vollfuhren mussen, liegt zwischen dem berechtigten Anspruch der Gesellschaft, die sich von der Okologie Losungsansatze fur unsere Umweltprobleme erhofft, und der Durchfuhrbarkeit wissenschaftlich stichhaltiger Untersuchungen, die aIlzu oft durch finanzieIle, aber auch durch erkenntnistheoretische Faktoren limitiert sind. Wir konnen z.B. keine Experimente zu den Folgen des Klimawandels durchfuhren, da kein Kontrollplanet ohne Klimaerwarmung zur Verfugung steht . In solchen Fallen greift die okologische Forschung in den letzten Iahren zunehmend auf die Auswertung von langjahrigen Datenaufnahmen mit neuen statistischen Methoden zuruck, die unter dem Begriff Makrookologie zusammengefasst werden. Zwar ist die Umwelt des Menschen nur ein Teilaspekt heutiger okologischer Pragestellungen und viele Losungsansatze von Umweltproblemen sind vordergrundig eher technischer Natur, dennoch sind angewandte Aspekte der Okologie von groBer Relevanz fur unsere Gesellschaft. Die unterschiedlichen Umwelttechnologien werden sich beispielsweise im 21. Iahrhundert zum Motor der Weltwirtschaft und zu einem der
Vorwort zur 2. Auflage
Erfreulicherweise hat das groBe Interesse an unserem Lehrbuch nach kurzer Zeit eine zweite Auflage errnoglicht. Hierfiir haben wir die zahlreichen Ruckrneldungen und Vorschlage weitgehend berucksichtigen konnen und auch Abbildungen erganzt bzw. uberarbeitet. Vor allem aber fugen wir nun ein eigenes Kapitel tiber weiterfuhrende Literatur ein, in dem wir tiber 100 okologische Fachbucher vorstellen und kurz kommentieren. Hierdurch hoffen wir, den Einstieg in die Spezialliteratur zu erleichtern. Weitere Hinweise und Empfehlungen nehmen wir jederzeit gerne entgegen und bedanken uns dafur, Bern, Fribourg, Marburg im April 2009
Wolfgang Nentwig Sven Bacher Roland Brandl
Vorwort
groBten Wirtschaftszweige iiberhaupt entwickeln. Der Grund hierfur ist einfach: Die iiber aIle natiirlichen Grenzen wachsende Menschheit muss zu ihrem eigenen Wohl die von uns allen verursachten Umweltprobleme losen. Es ist daher von zentraler Bedeutung, dass die Grundlagen der Okologie - wie bei allen anderen exakten Wissenschaften auch - auf nachvollziehbaren und moglichst auch testbaren Hypothesen beruhen. Dieser moderne Wissenschaftsansatz muss breit vermittelt werden und wir hoffen mit diesem Buch hierzu einen Beitrag zu leisten. Obwohl die hier vorliegende Fassung auf den ersten Blick wie eine Kurzfassung des Okologiebuches von 2004 aussieht, handelt es sich nicht einfach urn eine abgespeckte Variante. Wir haben den Inhalt stark iiberarbeitet, gestrafft und umgruppiert, so dass er den Anforderungen des modernen Okologieunterrichts besser entspricht. Denn als vor nunmehr 10 Iahren eine Gruppe von Autoren begann, die erste Auflage des dann 2004 erschienenen Buches zu planen, stand im Vordergrund, ein moglichst ausfuhrliches Okologiebuch fur den deutschsprachigen Raum zu schaffen, das fur das Diplomstudium Biologie mit seinen vielen okologischen Spezialisierungsrichtungen breit einsetzbar war. In den letzten Iahren gab es aber eine ausgepragte Dynamik in der biologischen Hochschullandschaft des deutschsprachigen Raumes. Nach einer Phase der Umwidmung vieler okologischer Lehrstiihle zeichnet sich seit kurzem eine Trendwende ab, die wieder zu einer starkeren Beriicksichtigung okologischer Lehr- und Forschungsinhalte fuhrt. Zudem bietet die inzwischen weitgehend umgesetzte Untergliederung des Studiums in Bachelor- und Masterstudiengange neue Chancen, aber auch einige Probleme fur die Gestaltung eines Lehrbuches. 1m Masterstudium finden wir nun iiberwiegend spezialisierte Studiengange und kleine Studierendenzahlen, so dass ein Lehrbuch kaum umfassend oder aktuell genug produziert werden kann, von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ganz zu schweigen . Fur das Bachelorstudium ist die entscheidende Herausforderung, vielen Studierenden ein rnoglichst umfassendes und modernes Basiswissen in Okologie mitzugeben, denn okologisches Fachwissen und okologisch orientierte Denkansatze sind in vielen Disziplinen auBerhalb der Okologie unverzichtbar. Hierfur ist ein neuer Typ von Lehrbuch notwendig, knapp und kompakt, aber auch so umfassend und aktuell wie moglich, Wenn Grundlagenwissen in Okologie breit vermittelt werden solI, aber nur ein begrenzter Stundenumfang im Curriculum verfugbar ist, stellt sich die Frage, was dieser Okologieunterricht beinhalten solI. Wir haben daher Kolleginnen und Kollegen, die an 30 deutschsprachigen Universitaten in die Okologieausbildung eingebunden sind, angeschrieben und urn Auskunft zur Struktur ihres Curriculums bzw. zum Inhalt des erforderlichen Unterrichts gebeten. Die Antworten haben uns sehr weitergeholfen, uns ein umfassendes Bild der Inhaltc aktueller Okologiestudiengange zu machen, und wir danken allen, die uns auf diese Weise unterstiitzt haben. Diese Antworten haben es uns errnoglicht, den Inhalt eines Okologiebuches zu skizzieren, das den Anforderungen und Erwartungen fast aller Dozierenden entspricht. Wir freuen uns daher, heute ein Buch vorlegen zu konnen, das nach diesem Konzept umgestaltet und teilweise auch gezielt neu geschrieben wurde. Natiirlich bedauern wir auch, dass wir wegen der begrenzten Ausbildungszeit im Bachelorstudium einige Anregungen nicht im gewiinschten Urnfang beriicksichtigen konnten,
XIII
XIV
Vorwort
wir haben aber die Gewissheit, mit diesem Buch nun den Rahmen fur eine solide Bachelorausbildung in Okologie vorzulegen. Wir sind uberzeugt, dass es auf dieser Basis auch allen Dozierenden, die in der Bachelorausbildung Okologie vertreten mussen - obwohl ihr eigenes Forschungsgebiet ein anderes ist - leicht moglich ist, eine zwei- oder dreistundige Okologievorlesung zu halten, die die Erwartungen der Studierenden der Biologie und verwandter Disziplinen sowie von Studierenden im Minor- (Nebenfach-) Bereich erfullt. Wir haben uns in diesem Buch urn eine einheitliche Darstellung in leicht verstandlicher Sprache und mit eingangigen Illustrationen bernuht. Die hier vorgelegte hohe Wissensdichte ist hoffentlich dadurch gut zuganglich und Fragen am Ende jedes Kapitels erlauben eine Uberprufung des eigenen Wissensstandes bzw. Lernerfolgs . Wir sind uberzeugt, dass unser Buch fur die Bachelorausbildung eine mehr als solide Basis darstellt und auch fur Studierende der Geographie, Raum- bzw. Landschaftsplanung, Land- und Forstwirtschaft, Umwelttechnik, Sozialwissenschaften und Politologie geeignet ist. Zudem konnen wir uns gut vorstellen, dass einzelne Bereiche des Buches auch fur die gymnasiale Stufe und fur die Masterausbildung von Bedeutung sein werden . Dieses Buch folgt dem inzwischen klassischen Aufbau von Individuen tiber Populationen und Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arten zu Gemeinschaften und Okosystemen. Es differenziert nicht zwischen Pflanzen- und Tierokologie, sondern geht von den Gemeinsamkeiten aus. Indem wir die aktuelle Literatur und auch die Umsetzung okologischer Grundlagen bzw. das Ausmaf menschlicher Tatigkeit berucksichtigen, erhalt dieses Buch ein hohes MaB an Aktualitat, In der Arbeit an diesem Buch sind wir von vielen Personen unterstutzt worden und wir mochten uns bei Ihnen herzlich bedanken. Viele Kolleginnen und Kollegen gaben uns Auskunft tiber die Struktur ihres Okologieunterrichts. Auf Seiten des Verlages haben wir durch Ulrich G. Moltmann, Martina Mechler und Birgit Iarosch eine sehr gute Zusammenarbeit und grofses Entgegenkommen erfahren. Viele Freunde und Mitarbeiter haben auf vielfaltige Weise zum Gelingen beigetragen. Wir danken daher Jean-Pierre Airoldi, John Hermann, Christian Hof, Adrienne Kaser, Christian Kropf, Marc LUthi, Martin. Schmidt, Kaspar Peter, Rita Schneider, Christine Tolle-Nolting und Corinne Zurbrugg. Bern und Marburg im Mai 2007
Wolfgang Nentwig Sven Bacher Roland Brandl
Die Auflosungen der Fragen, die im Anschluss an jedes Kapitel gestellt werden, sind im Internet zu finden (http://www.oekologiebuch.unibe.ch). Dort wird auch dargestellt, wie dieses Buch fur den Okologieunterricht im ersten und zweiten Studienjahr einer Bachelorausbildung in Biologie verwendet werden kann.
Kapitel1
Organismen
@ lernziele Eigenschaften von Organismen und Arten Anpassung von Organismen an ihre Umwelt Einstrahlung und Photosynthese Bedeutung der Temperatur Feuer als iikologischer Faktor Wasser als Ressource Kohlenstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Phosphor Boden als Ressource Raumliche und zeitliche Aspekte der Umwelt Das Konzept der iikologischen Nische
1.1 Organismen und Arten 1.1.1 Eigenschaften von Organismen Organismen sind die funktionellen Elemente okologischer Systeme. Sie sind immer in Zellen organisiert. Am einfachsten gebaut sind die Vertreter der "bakteriellen Organisationsstufe" (Bakterien und Archaea). Zunehmend komplexere Formen reprasentieren neue Organisationsebenen, beispielsweise durch die Ausbildung von Zellkolonien bei manchen Bakterien und Blaualgen, durch eine Kompartimentierung des Zellinhaltes bei den Eukaryoten (Bildung eines Zellkernes, Entstehung von Mitochondrien und Chloroplasten durch Integration von Mikroorganismen in die Zelle u. a.), durch die Entstehung der Vielzelligkeit (Bildung einer extrazellularen Matrix, die den Zusammenhalt der Zellen sowie die Kommunikation und Energieverteilung zwischen ihnen gewahrleistet), durch Differenzierung dieser Zellen und eine dadurch ermoglichte Arbeitsteilung (Porifera, Schwamme), durch die Bildung echter Organe (inner-
2
1 Organismen
halb der Tiere erstmals bei den Cnidaria, Nesseltiere) und Organsysteme (aIle .Jioheren" Vielzeller) . Weitere Ebenen ergeben sich durch die Organisation der Lebewesen in Populationen, Arten, Lebensgemeinschaften und Okosysternen. Mit jeder zusatzlichen Ebene ergeben sich neue, spezifische Eigenschaften und Moglichkeiten fur die jeweils beteiligten Organismen (emergente Eigenschaften). Organismen bestehen aus Aminosauren, Nucleinsauren, Kohlenhydraten, Lipiden und weiteren organischen und anorganischen Molekulen, Organismen sind zur Bewegung befahigt, manchmal allerdings nur in bestimmten Stadien, und sie reagieren mit einer Antwort auf Reize. AIle Organismen nehmen Nahrung auf und betreiben einen Stoffwechsel. Urn dem weniger geordneten und energiearmeren Zustand (Entropie) entgegenzuwirken, mussen sie also Energie aufnehmen (S. 216). DemAufbau organischer Substanz stehen der Abbau energiereicher und die Ausscheidung energiearmer Molekule gegenuber, Im Organismus wird ein ausgeglichenes Verhaltnis (Homoostase) zwischen diesen gegenlaufigen biochemischen Prozessen angestrebt. Diese werden in der Regel durch Enzyme aufrechterhalten und durch Hormone gesteuert, oftmals in komplexen Reaktionskaskaden. Eine besondere Stellung nimmt das Adenosintriphosphat (ATP) ein , das als Energiespeicher die Synthese energiereicher biochemischer Verbindungen sowie aktive Transport- und Bewegungsvorgange errnoglicht. Daruber hinaus zeichnen sich Organismen durch Wachstum, Entwicklung, Vermehrung und Tod aus. Die Erhaltung der genetischen Information eines Individuurn s wird durch die Dbertragung des Erbgutes auf die nachste Generation gewahrleistet (Vererbung). Die meisten Mikroorganismen vermehren sich ohne eigentliche sexuelle Reproduktion durch Zellteilung. Farne, Moose und Pilze verfugen tiber Zyklen mit sexuellen und asexuellen Phasen, "hahere" Pflanzen und Tiere weisen vorwiegend sexuelle Vermehrung auf. Die hierdurch errnoglichte genetische Rekombination fuhrt zu einer stetigen Veranderung des Genpools einer Art, sodass eine kontinuierliche Anpassung an sich verandernde Umweltbedingungen erfolgen kann. Zu den Nachteilen sexueller Reproduktion gehoren jedoch beispielsweise die Abhangigkeit von Bestaubern oder Sexualpartnern und die erforderliche Investition in Geschlechtsorgane. Zudem wird nur die Halfte des Erbgutes auf die Nachkommen ubertragen, und nur die Halfte der Individuen (die Weibchen) reproduziert. Es gibt zahlreiche Alternativen zur sexuellen Reproduktion, unter anderem klonales Wachstum (die neuen Individuen bleiben mit dem Mutterindividuum verbunden), Jungfernzeugung (Parthenogenese) oder Selbstbestaubung bei Pflanzen (Autogamie). Der Ante il von Arten, die sich sexuell fortpflanzen , liegt jedoch bei tiber 95 % (wenn man die Mikroorganismen nicht mitrechnet, die wahrscheinlich einen Grossteil aller Lebewesen ausmachen, aber bisher schlecht erfasst sind). Dies ist ein starker Hinweis darauf, dass die mit der sexuellen Reproduktion gekoppelte genetische Rekombination ein zentraler Mechanismus ist, urn in einer sich stan dig andernden Umwelt den statusquo einer guten Anpassung zu wahren. Bei den vielfaltigen Abhangigkeiten der Arten von Umweltfaktoren und anderen Arten ist es wichtig, schnell auf Veranderungen reagieren zu konnen (S. 127). Oder, urn mit den Worten der Red Queen aus Alice in Wonderland zu sprechen, man muss laufen, urn in einer sich andernden Welt am gleichen Ort zu bleiben (Carrol 1872): »Now, here, you see, it takes all the running you can do to keep in the sameplace.« Dieser Satz beschreibt den Vor-
1.1 Organismen und Arten
tei! von Dynamik so treffend, dass diese zentrale These der Evolutionsbiologie als Rote-Konigin-Hypothese (red queen hypothesis) bezeichnet wurde (Van Valen 1973, Iaenike 1978).
1.1.2 Phanotyp, Genotyp, Okotyp Der Phiinotyp ist als individuelles Erscheinungsbild die Summe der Merkmale eines Organismus. Die Vielfalt seiner Erscheinungsformen wird durch das Erbgut, die individuelle Entwicklung (Ontogenese) und Umweltfaktoren bestimmt. Die Variationsbreite des Phanotyps eines Individuums oder der Individuen einer Population (oder Art) wird also vom Genotyp begrenzt (phanotypische Plastizitat). Als nichtmobile Organismen zeigen Pflanzen besonders auffallende phanotypische Anpassungen an ihre Umwelt. Hochgebirgspflanzen beisp ielsweise zeichnen sich durch gedrungenen Wuchs aus, wahrend Flachlandindividuen derselben Art im Vergleich hierzu deutlich ausgepragtes Streckungswachstum aufweisen (~ Abb. 1.1). Da in der Regel nur ein Teil des Genoms realisiert wird, konnen Genotypen eine spezifische phanotypische Reaktion auf bestimmte Umweltbedingungen errnoglichen, d. h. Genotypen unterscheiden sich unter verschiedenen Umweltbedingungen in ihrer phanotypischen Antwort. Genetisch fixierte Anpassungen an klimatische oder bodenspezifische (edaphische) Standortbedingungen innerhalb einer Art werden als Okotyp bezeichnet. Solche Okotypen miissen nicht an phanologischen Merkmalen zu erkennen sein, allerdings kann sich ein bestimmtes Umweltregime auch in der Morphologie widerspiegeln.
100
em 50
0 4000
m
3000 2000 1000
Sierra Nevada
Great Basin
0 1.1 Okologische Rassen einer Schafgarbe (Achillea lanulosa) aus verschiedenen Hohen ent lang eines Transektes durch die Sierra Nevada. Individuen aus jeder Population wurden an einem Ort auf Seehohe unter gleichen Bedingungen aus Samen herangezogen. Die Diagramme (blau) zeigen die erbliche Variation der Sprosshohe, den Mittelwert (Pfeil) und ein typisehes Individuum aus jeder Population . Aus Sitte et al. (2002).
3
4
1 Organismen
Beim Wiesenlieschgras (Phleum pratense) bildet sich, abhangig von der Landnutzung, eine Weideform und eine Wiesenform mit unterschiedlichem Verzweigungsmuster. SchwermetaHhaltige Boden fuhren zur Selektion entsprechend toleranter Okotypen, ahnliches gilt bei extremer Verfiigbarkeit von Wasser und Nahrstoffen. In der Forstwirtschaft achtet man daher auf die Herkunft der angepflanzten Baumarten, da Arten lokaler Herkunft dem jeweiligen Standort meist besser angepasst sind (local adapta-
tion).
1.1.3 Artbegriff und Artenzahl Die Taxonomie fasst die Organismen in Taxa (Singular Taxon) zusammen. Unter einem Taxon versteht man eine Gruppe von Individuen, die sich durch das konstante Auftreten spezifischer Merkmale von anderen Individuen unterscheiden. Zusammengehorige Geschlechter werden als ein Taxon gezahlt, Taxa werden bestimmten Kategorien (Rangstufen) zugeordnet. Eine zentrale Stellung nimmt die Art (Spezies) ein, die der Gattung (Genus), der Familie, der Ordnung, Klasse usw. als jeweils ubergeordnete Einheit zugeordnet ist. Der Umfang der hierarchisch hoheren Kategorien ist jedoch nicht definiert und daher relativ, sodass die Art die einzige Kategorie ist, deren Grenzen zumindest im Prinzip objektiv uberprufbar sind. Nach der klassischen Definition von Mayr (1967) ist eine Art "eine Gruppe sich miteinander kreuzender naturlicher Populationen, die reproduktiv von anderen solchen Gruppen isoliert ist", Nah verwandte Arten konnen sich unter bestimmten Bedingungen jedoch noch kreuzen (Hybridisierung). Bei einigen Tierarten sind die Hybride steril (Maultier und Maulesel als Kreuzungen aus Hauspferd und Hausesel), bei anderen, offenbar weniger gut getrennten Arten, jedoch fertil (europaischer Rothirsch Cervus elaphus und asiatischer Sikahirsch Cervus nippon). Bei Pflanzen sind Hybride haufiger als bei Tieren. Ein bekanntes Beispiel ist das Englische Schlickgras Spartina anglica, das vor rund 140 Iahren aus dem einheimischen S. maritima und dem aus Nordamerika eingeschleppten S. alternifolia entstanden ist, als der direkte Hybride Spartina x townsendi durch Chromosomenverdopplung zu S. anglica wurde. Als invasive Art hat es sich inzwischen an der europaischen Atlantikkuste stark verbreitet. Arten unterliegen standigen Veranderungen, die sich durch Mutation, Rekombination und Selektion ergeben, sodass innerhalb einer Art eine bestimmte genetische Vielfalt, also verschiedene Genot ypen vorkommen. Als Anpassung an bestimmte Umwelterfordernisse konnen sich aus einer weniger spezialisierten Art schlieBlich mehrere starker spezialisierte Arten entwickeln (adaptive Radiation). Die rasche Aufspaltung einer Art erfolgt beispielsweise dann, wenn neue Inseln entstehen . So entwickelte sich die Familie der Kleidervogel (Drepanididae) auf Hawaii nach der vulkani schen Entstehung der Inseln vor 27 -30 Millionen Iahren vermutlich aus nur einer zugewanderten Art. Diese bildete bis zu 35 Arten, von denen im Rahmen der Besiedlung durch die Polynesier bereits 14 wieder ausgerottet wurden. Die ebenfalls nur auf eine ursprungliche Ausgangsform zuruckzufuhrenden 14 Arten der Darwinfinken (Emberizidae) der Galapagosinseln (Alter der Inseln 0,7-5 Millionen Jahre) sind ein ahnliches, klassisches Beispiel. Die Pflanzengattung Aeonium (Crassu-
1.1 Organismen und Arten
laceae) kommt auf den 2-16 Millionen Jahre alten Kanarischen Inseln mit etwa 35 Arten vor, die sich aus einer Stammform durch die Aufteilung auf einzelne Inseln in einem konkurrenzarmen Inselokosystern entwickeln konnten. Aus der geographischen Verteilung nah verwandter Taxa kann man Ruckschlusse auf das Genzentrum dieser Gruppe ziehen, also auf das evolutive Ursprungsgebiet, denn oft zeigt sich dort die grolste genetische Variabilitat. Das Genzentrum ist meistens die Region mit der hochsten Artenzahl innerhalb einer Gattung oder Familie ( ~Abb. 1.2). Wenn fur die Entstehung neuer Arten die raumliche Trennung wichtig ist, spricht man von allopatrischer Artbildung. Klassische Beispiele ergaben sich durch die Ausdehnung der Gletscher in Europa wahrend der letzten Eiszeit, welche die Refugien vieler Arten in sudwestliche und sudostliche Refugien trennte. In der folgenden Warmzeit trafen beide Populationen, inzwischen in eigene Arten oder Unterarten differenziert, wieder aufeinander. Die westliche Rabenkrahe (Corvus corone corone) bildet im Bereich der Elbe eine Hybridisierungszone mit der ostlichen Nebelkrahe (Corvus corone cornix), sodass beide als Unterarten betrachtet werden. Das westliche Sommergoldhahnchen (Regulus ignicapillus) lebt heute mit dem ostlichen Wintergoldhahnchen (Regulus regulus) in einem grofsen Teil des Areals zusammen, sie verhalten sich aber wie getrennte Arten . Bei sympatrischer Artbildung ging man bisher davon aus, dass eine neue Art nicht tiber geographische, sondern durch genetische Isolation innerhalb der ursprunglichen Stammpopulation entsteht. Die kIassischen Beispiele betreffen etwa die Artbildung der Artenschwarme von Buntbarschen (Cichlidae) in den grofsen ostafrikanischen Seen oder auch drei Apfelschneckenarten (Lanistes solidus, L. nyassanus und L. nasutus, Ampullariidae) im Malawisee (Berthold 1991). Diese Beispiele zeigen aber,
1.2 Mannigfaltigkeitszentrum der Gattung Hauhechel und Anzahl vorkommender Arten (Ononis, Fabaceae). Nach Sitte et al. (2002). .
5
-
6
1 Organismen
dass der Begriff der Sympatrie hinterfragt werden muss . Er bedeutet "im gleichen Gebiet vorkommend". Im Fall der Apfelschnecken wurden unterschiedliche Tiefen desselben Sees besiedelt. Die Tiere kommen zwar im gleichen See vor, sind aber durch okologische Barrieren getrennt, die genauso wirksam sind wie eine geographische Trennung. Man sollte daher eher von okologischer Artbildung sprechen. Die jeweils nachst verwandten Arten (Schwesterarten, sibling species), die raumlich oder okologisch getrennt vorkommen, werden vikariierende Arten genannt. Die ursprunglich als Mikroorganismen, Pflanzen und Tiere verstandenen Organismenreiche werden inzwischen wegen der Gemeinsamkeiten zwischen Pflanzen und Tieren sowie der groBen Heterogenitat der Mikroorganismen neu unterteilt. Heute werden drei Domanen als hochste taxonomische Kategorie unterschieden: Bakterien (Bacteria), Archaebakterien (Archaea) und Eukaryoten (Eukarya) ( ~ Kasten 1.1).
Kasten 1.1 Hauptgruppen von Organismen Vor allem im Bereich der Einzeller sind die taxonomischen Zusarnrnenhanqe zwischen Alqen, Pilzen und TIeren noch unklar. AufgefOhrt werden die drei Dornanen mit ihren wichtigsten weiteren Untergliederungen. auf die Nennung von kleineren Gruppen wurde jedoch verzichtet. Zahlen in Klammern beziehen sich auf die unqefahre An zahl bekannter, lebender Arten, insgesamt ca. 1.9 Millionen. Nach Westheide und Rieger (1996) sowie Sitte et al. (2002).
Dornane Bacteria (5000) Dornane Archaea (Archaebakterien) (80) Dornane Eucarya (Eukaryoten) (1 801 000) • Myxobionta (Schleimpilze. Myxarnoben) (700) • Heterokontobionta (Netzschleimpilze. Gold -, Kiesel-, Braunalgen) (14000) • Mycobionta (Chitinpilze. Flechten) (111000) • Rhodobionta (19000) - Rhodophyta (Rotalgen) (4000) - Dinophyta/Dinoflagellata (Dinoflagellaten) (4000) - Apicomplexa (Endoparasiten) (25 00) - Ciliophora (Wimperntiere) (8000) • Chlorobionta (300000) - Chlorophyta (GrOnalgen) (7000) - Euglenophyta/Euglenozoa (800) - Streptophyta (292000) o Streptophytina (GrOnalgen) (6000) o Bryophytina (Moose) (24000)
o Pteridophytina (Barlappe, 5chachtelhalme, Farne) (11300) o 5permatophytina (Samenpflanzen) (251000) • Cycadopsida (Palmfarne) (140) • Coniferopsida (Nadelbaurne) (530) • Magnoliopsida (BIOtenpflanzen) (250000) • Protozoa (tierische Einzeller) (1 000) • Metazoa (mehrzellige Tiere) (1 355000) - Porifera (Schwarnrne) (8000) - Coelenterata (Hohltiere) (8600) - Bilateria (1338000) o Spiralia (1251000) • Plathelminthes (PlattwOrmer) (16000) • Nemertini (SchnurwOrmer) (900) • Mollusca (Weichtiere) (100000) • Annelida (RingelwOrmer) (18000) • Arthropoda (GliederfOBer) (1 115000) o Onychophora (160) o Tardigrada (600) o Chelicerata (Spinnentiere) (60000) o Crustacea (Krebse) (40000) o Myriapoda (13000) o Insecta (1 000000) o Nemathelminthes (20000) o Tentaculata (5000) o Deuterostomia (62000) • Echinodermata (Stachelhauter) (6300) • Chordata (Manteltiere. Wirbeltiere) (55 000)
1.2 Die Umw elt der Organismen
Unsere Kenntnisse der einzelnen Artengruppen sind sehr unterschiedlich. GroBe, auffallige Organismen sowie Schadlinge oder Krankhei tserreger sind gut erforscht, wahrend es noch riesige Wissenslucken bei kleinen Organismen und solchen gibt, die schwer zugangliche Lebensraume besiedeln (Tiefsee, Boden, Kronendach des tropischen Regenwaldes). Wahrend bei den Pflanzen ein groBer Teil der Arten bekannt ist, ist vor allem bei den Mikroorganismen und Pilzen sowie bei lnsekten nur ein Bruchteil der tatsachlich zu erwartenden Arten wissenschaftlich beschrieben. Schatzungen oder Hochrechnungen auf die tatsachli che Zahl existierender Arten sind naturgemafs recht unterschiedlich, belaufen sich aber grofsenordnungsmafsig auf etwa zehn Millionen Arten (S. 294). Hiervon sind heute etwa 1,9 Millionen Arten bekannt (~ Abb. 7.11, S. 295).
1.2 Die Umwelt der Organismen 1.2.1 Anpassung Organismen sind offene Systeme. Sie stehen mit ihrem Energie-, Stoff- und Informationshaushalt im Austausch mit ihrer Umwelt (S. 215). Diese kann in einen unbelebten (abiotischen) und einen belebten (biotischen) Teil untergliedert werden. Beide interagieren in vielfaltiger Weise. Im Verlauf der Erdgeschichte haben Mikroorganismen und Pflanzen tiber ihre Stoffwechselprodukte die Zusammensetzung der Atmosphare (z. B. durch Anreicherung mit Sauerstoff) und die Eigenschaften von Gesteinen maBgeblich beeinflusst (z. B. durch die Bildung von Kalkstein und Kohle). Allerdings wurden auch ohne Lebewesen abiotische Stoff- und Energiekrei slaufe auf der Erde stattfinden. Organismen spiegeln die jeweiligen Umweltbedingungen und deren Entwicklung wider, da sie sich an bestimmte Verhaltnisse angepasst haben. Eine genaue Analyse ihrer Morphologie und Physiologie verrat viel tiber okologische Zusamrnenhange, denn Organismen konnen sich nur dann dauerhaft etablieren, wenn die Umwelt ihren okophysiologi schen Moglichkeiten entspricht. Die Summe aller Umweltfaktoren, die im Lebensraum eines Organismus auf diesen einwirken, bezeichnet man als Standort. Diese abiotischen Rahmenbedingungen des Lebens umfassen also unter anderem Einstrahlung und Temperatur, die Verfugbarkeit von Wasser und chemischen Elementen sowie den Boden. Aus pflanzenwissenschaftlicher Sicht ist der Standort eher abiotisch definiert, aus zoologischer Sicht wird in der Regel auch die Vegetation als Standortfaktor berucksichtigt. Die Umweltbedingungen konnen als Summe einzelner Faktoren oder Ressourcen verstanden werden, die bei Dber - oder Unterangebot Stress auslosen. Organismen haben Strategien entwickelt, urn Ressourcen effektiv zu nutzen und urn Stress zu vermeiden. Sie tolerieren einen breiten Bereich von Umweltbedingungen, konnen ihre optimale Entwicklung aber nur in einem engeren Bereich durchfuhren ( ~ Abb. 1.3). Wird der Toleranzbereich links und rechts des optimalen Bereiches verlassen, begeben sie sich in einen latenten Lebenszustand oder sterb en. Neben dem Zuwenig eines Fak-
7
8
1 Organismen
letal
Toleranz
'~-----------
: Stress .
lelal
,. -- ~ ----'-----
~ - n ied ri9 ~ ---
Gradient eines Faklors - - -. hoch - .
1.3 1m Gradienten eines okologischen Faktors hat jede Art neben einem Optimum auch ungOnstige Bereiche, in denen sie weniger gut oder nicht existieren kann.
tors (Liebigs 1840 veroffentlichtes "Gesetz" des Minimums) ist ein Zuviel also genauso negativ. Manche Lebewesen stellen groBe Anspruche an ihren Lebensraum und sind nur unter ganz bestimmten Bedingungen anzutreffen (stenok). Euryoke Organismen besitzen hingegen ein breites Standortspektrum. Verandert sich der Standort, werden stenoke Arten starker beeintrachtigt als euryoke . Bezuglich der stofflichen Versorgung konnen hohe (eu- oder poly-), mittlere (meso-) oder geringe (oligo-) Anspruche gestellt werden; Nahrstoffe betreffend handelt es sich dann urn eutrophe, mesotrophe oder oligotrophe Systeme. Werden bestimmte Bedingungen von einem Organismus bevorzugt, dann wird dies mit dem Zusatz -phil bezeichnet (z. B. thermophil fur warmeliebend), wird ein Zustand gemieden, mit -phob (z. B. photophob fur lichtmeidend). Organismen, die ihre eigene Temperatur oder ihren Wassergehalt in einem optimalen Bereich regulieren, sind bezuglich der Temperatur homoiotherm und bezuglich des Wassergehaltes homoiohydr. Poikilotherme bzw. poikilohydre Organismen folgen mit ihrer eigenen Temperatur oder ihrem Wassergehalt den Schwankungen der Umgebungstemperatur oder -feuchte, tolerieren diese also. Durch die Anpassung von Organismen an bestimmte Umweltbedingungen ergibt sich in einem grofseren Verbreitungsgebiet, dass diese in verschiedenen Teillebensraumen unterschiedlich haufig vorkommen konnen, Eine im mediterranen Gebiet haufige Art wird in Mitteleuropa nur an trockenen und warmen Standorten zu finden sein, eine in Nordeuropa haufige Art wird hingegen in Mitteleuropa auf bestimmte Hohenlagen der Gebirge begrenzt sein (relative Standortkonstanz).
1.2.2 Einstrahlung und Photosynthese Die Sonnenstrahlung ist die wichtigste Energiequelle des Lebens auf der Erde. 1m okologisch bedeutenden Bereich der eingestrahlten Wellenlange von 290-4000 nm besteht ihre spektrale Zusammensetzung zu rund 10 % aus UV-Strahlen, zu etwa 45 % aus sichtbarem Licht und zu 45 % aus infraroter Strahlung ( ~Abb. 1.4). Strahlung anderer Wellenbereiche (Radiowellen, Rontgenstrahlung, ionisierende Strahlung) ist normalerweise okologisch nicht relevant . Der Strahlungshaushalt besteht im Wesentlichen aus Einstrahlung und Abstrahlung. Unterscheiden sich Ein- und Abstrahlung nur wenig bis gar nicht , spricht man
1.2 Die Umwelt der Organismen
blau
ultraviolett
r-
gru n gelb rot sichtbar -~ I '--- infrarot - - - -I
4 ~
IE
extraterrestrische Strahlung ____
u
3
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2
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c
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(Meeresniveau)
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e
Vl
300
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600
Phycocyanin
c
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....£
700 BOO 1000
2000 4000
..-/ Bacteriochlorophyll a
Phycoerythrin
'~":7-::-:-:;-:-:-~::::::~~' . .. An9.11!~o ••••• ••• Artemia
O-t"--
o
-
-,-- - -,-- - -,-- - -r-- - .....-0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 Ande rung de r relativen lonenkcn zentratic n des Meerwasse rs
1.8 Fahigkeit der Osmoregulation bei verschiedenen Meeresorganismen. Angegeben ist die relative Anderung der lonenkonzentration der Korperflussiqkeit in Abhangigkeit von der relativen Anderung der lonenkonzentration des Meereswassers. Ein diagonaler l.inienverlauf deutet an, dassder Organismus zu keiner Osmoregulation fahig ist. Je mehr die Linie von der Diagonalen abweicht, desto starker ausqepraqt ist die Osmoregulation. Katzenhai (Scyliorhinus, Chondrichthyes), Aal (Anguilla, Osteichthyes), Meeraal (Conger; Osteichthyes), Nereis diversicolor (Annelida, Polychaeta), Strandkrabbe (Carcinus maenas, Crustacea), Salinenkrebs (Artemia salina, Crustacea), Seespinne (Maja, Crustacea), Miesmuschel (Mytilus, Mollusca), Seestern (Asterias, Echinodermata). Nach Tardent (1993).
Als homoiohydr werden Organismen bezeichnet, die ihren Wasserhaushalt so kontrollieren konnen, dass sie mehr oder weniger unabhangig vom Wasserhaushalt der Umgebung sind . Hierzu verfugen Pflanzen tiber eine groBe Zentralvakuole, die mit ihrem Wasservorrat fur einen konstanten Wassergehalt des Protoplasmas sorgt. AuBerdem verfugen Pflanzen tiber eine abgedichtete Aufsenflache (Cuticula), Spaltoffnungen zur Regulation der Transpiration und ein differenziertes Wurzelwerk zur kontrollierten Wasseraufnahme. Die Entwicklung der Homoiohydrie fand beim Ubergang vom Wasser zum Land statt. Viele Moose und fast aIle Sprosspflanzen (Kormophyten) sind homoiohydr, einige Moose und Fame sind aIlerdings no ch auf feuchte Lebensraume beschrankt. Unter den Tieren sind die meisten Landtiere homoiohydr.
Pflanzen Der Wasserhaushalt der Landpflanzen wird bestimmt durch die Wasseraufnahme der Wurzeln, durch den Wassertransport zu den photosynthetisch aktiven Teilen und dem dam it verb un den en Wasserverlust an die umgebende Luft. Die Wasserabgabe kann unter gesattigten Bedingungen auch tropfenformig (Guttation) erfolgen. Pflan zen sorgen also fur einen standigen Wasserstrom aus dem Boden in die Atrnosphare. Die Wasseraufnahme erfolgt durch Feinwurzeln, die sich im Boden stark verzweigen
19
20
1 Organismen
100
Tag
Nacht
Nach
100
80
80
~ 60
60
40
40
...
0
E-
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e. ~
20 ~ 0
0
- 20
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Licht
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B
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z
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OJ
40 ~
~ 40
~
20
20 O.
l
20
24
4
Zeit
8
12
16
1.9 Veranderung des Wassergehaltes und des CO2-Gaswechsels der Flechte Ramalina maciformis nach einer Nacht mit Taufall. In eine r kurzen Phase mit erhohtern Wassergehalt (oben) und Licht (unten) bet reibt die Flechte f Or w enige Stunden Photosynthese (oben). Nach Lange et al. (1970).
un d dem Wasser folgen. In der Endodermis wird der Wurzeldruck durch energieabhangige, membrangebundene Pumpen gener iert, d. h. die Wasserverschiebung geht in eine energieabhangige Wasserleitung tiber. Die F6rderleistung des Leitu ngssystems hangt aber vor allem vom Wasserpotenzialun terschied zwischen Blattern und Wurzein und vom Leitungswide rstand abo Solange die Sonne scheint und genugend Wasser aufgenommen werden kann, nim mt die Geschwindigkeit des Transpirationsstro ms mit steigender Transpiration sint ensitat zu. Diese Geschwindigkeit stellt sich schnell und auch kur zfristig auf Schwankungen der Einstrahlung ein, sodass eine ausreichende Wasserversorgung gegeben ist (.- Abb. 1.10). Die Geschwindigkeit des Transpiratio nsstroms betragt bei Moosen, Nadelbaumen und mediterraner Hart laubvegetation bis 2 m lr ', bei Krautern und ringporigen Laubbaumen bis 60 und bei Lianen bis 150 m h' (Huber 1956). Der Transpirationsve rlust der Pflanzen erfolgt tiber die gesamte innere und auBere Oberflache. Bei Kormophyten sind dies die Epidermisaulienwande (cuticular e Transpiration) und die Oberflachen der Zellen, die an Interzellularen grenzen. Vom interzellularen Rau m entweicht das Wasser tiber den SpaltOffnungsapparat nach auBen (stom atare Transpiration). Die cuticulare Transpiratio n kann durch Ein- und Auflagerungen der Epidermis auf wenige Prozent der freien Verdunstung redu ziert werden. Bei Hartlaubgewachsen un d Koniferen bet ragt sie nur 0,5 %, bei Kakteen sogar nur 0,05 % der freien Verdunstung. Diese cuticulare Transpiration macht maxi-
1.2 Die Umwelt de r Organismen
1,01,
f' 160 s:
Ic
.Q
OJ 0,5 .;:;
II>
g>
c
.S N =Kl
a
C
--
N = K2
Popu lationsqrolse
b
Populationsqrorle
2.10 Beispiel fur eine nichtlineare Beziehung zwischen realisierter individueller Wachstumsrate und PopulationsgroBe (Allee-Effekt) (a). Aus der nichtlinearen Beziehung zwi schen individueller Wachstumsrate und PopulationsgroBe ergibt sich eine Wachstumsrate der Population, die in drei Bereiche zerfallt (b). Bereich I mit einer Abnahme der Population, Bereich II mit Wachstum der Population und wiederum Bereich III mit einer Abnahme der Population. Zunahme und Abnahme sind durch die Pfeile Ober der Abbildung symbolisiert . Man beachte, dassbei Kl Bereiche aufeinander treffen, bei denen die pfeile des Populationswachstum voneinander wegzeigen (Iabiles Gleichgewicht), bei K2 aber Bereiche mit aufeinander zu zeigenden pfeilen (stabiles Gleichgewicht).
2.3 Populat ionsdynamik
rechts weisender Pfeil steht fur einen Anstieg der Populationsgrofse, ein nach links weisender dagegen fur eine Abnahme (Pfeile in Abb. 2.lOb). K1 ist dagegen ein labiles Gleichgewicht (die Pfeile zeigen vom Gleichgewicht weg). Hat eine Population genau die Populationsgrofse K1) so bleibt die Populationsgrofse unverandert . Doch bereits kleinste Abweichungen fuhren je nach Richtung der Abweichung zu einer unterschiedlichen Richtung des Populationswachstums. Ist eine Population erst einmal im BereichI, wird sie weiter unaufhaltsam abnehmen. In einer realen Population fuhrt das zwangslaufig zum Aussterben. Wird die Population etwas grofser als K1, fuhrt das zu einem Anwachsen in Richtung K2. Die Beobachtung, dass viele populationsdyn amische Prozesse in kleinen Populationen nicht geordnet ablaufen, ist von besonderer Wichtigkeit fur deren Erhalt. Fur Pflanzenpopulationen konnte gezeigt werden, dass Samenansatz und Samenqualitat einzelner Individuen mit der Populationsgrofse ansteigt. So konnten Fischer und Matthies (1998) fur den Deutschen Enzian Gentianella germanica zeigen,dass die Zahl der Fruchte pro Pflanze,der Samen pro Frucht und somit die Gesamtzahl der Samen pro Pflanze mit der Populationsgrotie zunahm . Aufgrund von Experimenten konnte zudem nachgewiesen werden, dass diese Korrelation nicht von der Habitatqualitat abhing. Alsmogliche Faktoren kommen Inzucht aber auch Bestauber in Frage.
2.3.3 Kontinuierliches Populationswachstum Bishererfolgtedas Wachstum der Population in diskreten Zeitschritten. Die Werte der Parameter waren von der Dauer des gewahlten Zeitschrittes abhangig. VieleOrganismen (z. B. Bakterien, Menschen) haben iiberlappende Generationen (kontinuierliches Populationswachstum). Zur Beschreibung des kontinuierlichen Populationswachstums berucksichtigen wir zunachst wieder die Lange des Zeitschrittes. Die Wachstumsrate der Population in einem Zeitschritt !:.tergibt sich zu N(t+t:..t)-N(t) ~t
(2.19)
Wir betrachten nun diese Wachsturnsrate der Population bei immer kleiner werdenden Zeitschritten. Der Differenzenquotient ~N(t) geht dann m . emen . O'f'C .I . dN(t) lib -----;;:t I rerenzia quotienten ~ u er.
(2.20)
Fur exponentiellesWachstum mit diskreten Generationen war die Wachstumsrate der Population R N(t), also proportional zur Populationsgrofse. Ganz entsprechend solI beim kontinuierlichen Populationswachstum die Wachstumsrate der Population proportional zu N( t) sein. Beim diskreten Wachstum war die individuelleWachstumsrate Rein Proportionalitatsfaktor, der von der Langedes Zeitschrittes abhing und der den Beitragjedes Individuums am Populationswachstum beschrieb. Fur das kontinuierlicheWachstum brauchen wir ebenfalls einen Proportionalitatsfaktor, den wir mit r bezeichnen wollen, da er sich auf kleine Zeitschritte bezieht. Oann ergibt sich: dN(t) dt
= r N(t)
(2.21)
61
62
2 Populationen
Fur eine explizite Darstellung wird diese Differenzialgleichung integriert: (2.22)
N(t) = N (O) eT/
Damit konnen wir fur jede beliebige Zeit t die Populationsgrofse aus der anfanglichen Populationsgrofse sowie dem Parameter r berechnen (die Uberfuhrung der diskreten Gleichung fur exponentielles Wachstum in die kontinuierliche Form findet sich in Case 2000). r hat die Einheit Individuen pro Zeit und kann daher aufbeliebige Zeitschritte umgerechnet werden. Vergleicht man die Gleichungen fur exponentielles Wachstum im diskreten und kontinuierlichen Fall, so kann man die Beziehung zwischen A und r ableiten , wobei Tim diskreten Fall die Anzahl der Zeitschritte ist. Da man die kontinuierliche Gleichung fur beliebige Zeitschritte benutzen kann gilt: N(T)
= AT N(O) = N(O) erT
AT = erT
Tln(A) = rT In(A) = r bzw. A = er
(2.23) (2.24) (2.25) (2.26)
Entsprechend kann man auch ein kontinuierliches Populationswachstum mit Dichteabhangigkeit ableiten, indem man r linear mit N abnehmen lasst. Ganz entsprechend wie fur R ergibt sich: dN(t) =r N (t )(l- N(t )) dt m K
(2.27)
Die integrierte Form der Gleichung lautet: N (t )=
K
1+ K-N(O )
-rmt
(2.28)
N(O) e
Meist (zu Ausnahmen kommen wir etwas sparer) ergeben die Modelle fur logistisches Wachstum in der diskreten oder kontinuierlichen Form eine ahnliche Dynamik der Populationsgrofse, sodass wir die kontinuierlichen Gleichungen nicht weiter diskutieren mussen, Die Annahmen entsprechen sich ebenfalls, mit zwei Ausnahmen: Zum einen wurden die diskreten Zeitschritte aufgegeben, zum anderen wirkt die Dichteregulation ohne Zeitverzogerung.
2.3.4 Populationswachstum und Altersstruktur Nahezu aIle physiologischen Phanomene verandern sich in geordneter Weise mit dem Alter eines Individuums (S. 37 und ~ Kasten 2.2). Zudem unterscheidet sich die Lebensgeschichte der Individuen in einer Population (z. B. wann das erste Mal lungtiere geboren werden; in welchen Intervallen ein Individuum Nachkommen hat ). Lebenstafeln (life history tables) erfassen dies in Tabellenform. Wir betrachten zunachst eine Insektenart, die sich uber mehrere Larvenstadien in diskreten Generationen entwickelt ( ~ Tab . 2.2). Wir bezeichnen aIle Individuen, die in einem gewissen
63
2.3 Popu lat ionsdynamik
Tabelle 2.2: Beispiel einer Lebenstafel fur eine Kohorte von Individuen mit diskreten Larvenstadien. Bei diesem Beispiel handelt essich um die Heuschrecke Chorthippus brunneus. Vereinfacht nach Richards und Waloff (1954). FOr die Erklarung der Spalten sieheText. Spaltel Stadium
Spalte 2 x
Eier Larven I
Spalte 3 a,
I,
Spalte 4
44000
Spalte 5
Spalte 6
q,
Spalte 7 k,
1,000
0,920
0,920
1,099
0,286
0,146
d,
2
3500
0,080
0,023
Larven II
3
2500
0,057
0,014
0,240
0,119
Larven III
4
1900
0,043
0,011
0,263
0,133
Larven IV
5
1400
0,032
0,002
0,071
0,032
Imago
6
1300
0,030
0,030
1,000
Spalte 8
Spalte 9
Spalte 10
22000
16,9
0,50
F,
m,
I,m,
Zeitraum geboren werden, als Kohorte. Die Individuen einer Kohorte durchleben Schritt fur Schritt die einzelnen Lebensstadien, in unserem Fall Larvenstadien. In Tabelle 2.2 sind nun in einzelnen Spalten die wichtigen Kennzahlen einer Kohorte fur die verschiedenen Larvenstadien zusammengefasst. Eigentlich enthalten nur zwei Spalten erhobene Daten . Die anderen Spalten wahlen nur einen anderen Betrachtungspunkt, sodass die in den Daten enthaltene Information je nach Fragestellung moglichst offensichtlich wird: • Spalte 1 benennt die Entwicklungsstadien. Spalte 2 nummeriert diese Stadien von I (Eier) bis 6 (Imagines). Wir kennzeichnen diese Stadien oder auch Altersklassen mit x. Beide Spalten sind wichtig fur die Buchfuhrung. • Spalte 3 enthalt einen Teil der Freilanddaten, namlich die Anzahl von Individuen der Kohorte, die bis zum jeweiligen Stadium x uberlebt haben (aJ.
Kasten 2.2 Altersaufbau einer mensch lichen Population - - - - - - - Die menschliche Population besteht aus rund 100 Jahrgangsklassen und zwei Geschlechtern. Obli cherwe ise wird dies in Alterspyramid en aufgetragen, bei denen die JOngsten zuunterst und die AI testen zuoberst , Frauen rechts, Manner links dar gestellt werden . Solche Pyramiden spiegeln wichtige biologische und soziale Aspekte einer Bev61kerung wider. Der Altersaufbau der deutschen Bev61kerung vorn 31.12.20 00 (Abbi ldung oben) zeigt, dass es in der jOngeren Halfte der Bev61kerung einen MannerOberschuss gab (weil mehr mannl iche als weibli che Kinder geboren werden) und in der alteren Halfte einen FrauenOberschuss (wei l die Frauen eine geringere Sterblichkeit haben) . H6here Mortalitatsraten wahrend der beiden Weltkriege zeigen sich zweifach : Ais reduzierte Jahrgangssta rke und
spater als Geburtenausfall. Eine starke Abnahme der Jahrgangssta rke ab etwa 1965 ist auf ein verandertes Reprodukt ionsver halt en und auf ein damals breit verfOgbares neues VerhOtungsmittel (die Pille) zurOckzufOhren (Pillenknick). Die Veranderung des Altersau fbaus im 20. Jahrhundert zeigt, dass zu Beginn ein pyrami denart iger Aufbau bestand (Abbildung unten), d. h. die Bev61 kerung du rch eine hohe Geburtenrate und hohe Mortalitat gekennzeichnet war. Dies entspricht weitgehend dem fur ein heutiges Entwicklungsland typischen Aufbau . Die fo lgenden Abbildungen zeigen, dass die Mortalitat abnimmt und die Lebenserwartung steigt. Die beiden Weltkriege verzerren jedoch den ehemals regelmal3i gen Aufbau der Alterspyramide.
64
2 Popu lationen
Alter in )ahren
M annlich
W eibllch
100
Frau eniib er schu ss
90 ~ Geburt enau sfall
Geburte nausfall im 1. Weltk rieg
Gefallene des 2. Weltkriegs
im 1. Weltkrieg
80
Geburtenausfa ll wah rend der Wirtschaftskrise um 19 32
70
~
Gebu rt enausfall wahren d der Wirtschaftskrise
um 193 2
60
Geburtenausfall Ende des 2. Weltkriegs
50
M ann er iiberschuss - -
40
Pillenknick
/
30
' \ Pillenknick
20
10
.-----.----(''--- .----+
80 0
600
400
200
o
0
o
200
Tausend je Alt ersjahr
100
1910 Manner
400
600
800
Tausend je Alt ersjahr
1925
1961
193 9
1983
Frauen
80 ~
s: 60
'" ...
~
~
... ~
_.J:. .J:.-
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...
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100
01
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s
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t::
Pseudo/suga meruiesii
110
0,5
°
500
1000 1500 2000
ZapIen pro Baum
Cervus etaphus
0,4 0,3
mit Klilbern
0,2
0
::a:
0,1 0,0
b
5
10
Altersklassen (jahre)
2.15 Beispiele fur trade-offs zwischen Elementen des Lebenszyklus . a) Trade-off zwischen Reproduktion und Zuwachs fur eine Baumart. Jeder Punkt in der Abb ildung symbolis iert ein Baumindividuum . Je mehr Zapfen ein Individuum produziert, desto weniger Zuwachsleistung zeigt dieses Individuum. Die Zuwachsleistung wurde anhand der Baumringe geschatzt. b) Tradeoff zwischen Oberleben und Reproduktion fur weibliche Rothirsche . Fur aile Altersklassen ist die Mortalitatsrate von Altt ieren mit Kalbern groBer als fur Alttiere ohne Kalber, a) nach Eis et al. (1965), b) nach Clutton-Brock et al. (1983).
73
74
2 Populatione n
tionsregime der Umwelt bestimmte Strategien herausgebildet. Entscheidend ist dabei die Reproduktionsleistung eines Individuums im Laufe seines gesamten Lebens (Fitness) . Stellen wir uns eine Art mit einem trade-off zwischen Korpergrofse und Anzahl von [ungtieren vor: Ie grolser das Individuum beim Eintritt in das Reproduktionsalter ist, desto mehr Nachkommen kann dann das Individuum in jedem Iahr produzieren. Aber urn eine bestimmte Korpergrofse zu erreichen, braucht es eine gewisse Zeit, sodass grofsere Individuen erst spater mit der Produktion von Nachkommen beginnen konnen (~ Tab. 2.4). Nehmen wir fur unser Beispiel an, dass fur jedes zusatzliche Iahr, das fur den Aufbau der Korpergrofie genutzt wird, in den Folgejahren pro Iahr 10 Iungtiere zusatzlich zur Welt gebracht werden konnen. Beginnt ein Individuum im ersten Iahr mit der Reproduktion, so hat es nach einem Iahr 10, nach zwei Iahren 20 und nach sechs Iahren insgesamt 60 [ungtiere hervorgebracht. Beginnt ein Tier erst im dritten Iahr, dann hat es nach ein oder zwei Iahren noch kein Iungtier erzeugt, nach drei, vier und mehr Iahren aber 30, 60 usw. Iungtiere. Iede Spalte in der Tabelle gibt damit die gesamte Reproduktionsleistung bis zum entsprechenden Alter fur verschiedene LebenszykIen an. Vergleichen wir nun zwei Umwelten: eine Umwelt, in der ein Individuum aufgrund harter Bedingungen nur drei Jahre alt werden kann, und eine Umwelt, in der ein Individuum funf Jahre uberleben kann. Untersucht man nun die Spalten fur drei und funf Jahre, so findet man, dass sich die fur die jeweiligen Umwelten besten Lebenszyklen, d. h. die LebenszykIen mit der grofsten Fitness, unterscheiTabelle 2.4: Gedankenexperiment zur Bedeutung von trade-offs fur die Evolution von Lebensstrategien in unterschiedlichen Umwelten. Jede Zeile zeigt eine unterschiedliche Lebensstrategie. Bei Strategie I beginnt ein Individuum bereits im ersten Jahr mit der Reproduktion, wobei die KorpergroBe aber nur die Produktion von zehn Jungtieren pro Jahr erlaubt. Mit zunehmendem Alter steigt damit die Ober die gesamte Lebenszeit produzierte Zahl von Jungtieren um jeweils zehn. Beginnt ein Individuum aber erst im dritten Jahr mit der Produktion dann erreicht diesesIndividuum eine GroBe, die die Produktion von 30 Jungtieren erlaubt. Vergleichen wir nun zwei Umwelten, die durch Fettdruck und Schattierung hervorgehoben sind. Diese beiden Umwelten unterscheiden sich darin, dass die Organismen unterschiedlich alt werden und sich so die Reproduktionsleistung je nach Strategie unterscheidet. Zur Verdeutlichung nimmt die GroBe der Reproduktionsleistung mit dunkler werdender Schattierung zu. Wenn ein Individuum ein Alter von nur drei Jahren erreichen kann, dann ist die effektivste Strategie (= die Strategie mit der im Laufe des Lebensdie meisten Jungtiere hervorgebracht werden konnen) im 2. Jahr mit der Reproduktion zu beginnen. Erlaubt die Umwelt ein Alter von sieben Jahren, dann ist die effektivste Strategie im 4. Jahr mit der Reproduktion zu beginnen.
Strategie
Alter 2
3
4
5
10
20
30
40
50
II
0
20
40
60
III
0
0
30
60
IV
0
0
0
V
0
0
VI
0
0
6
7
8
9
60
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80
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50
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0
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0
60
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200
250
240
360
2.5 Dichteregulation und Populationsschwankungen
den. [e harter die Umwelt, desto fruher sollte man zur Reproduktion schreiten. Fitness ist ein relatives Konzept. Nur im Vergleich von zwei Umwelten kann entschieden werden, welcher Lebenszyklus zu einer hoheren Fitness fuhrt, 1m Laufe der Evolution kann ein Organismus nicht immer den fur eine Umwelt optimalen Lebenszyklus verwirklichen. Es gibt Sachzwange, die Kompromisse erzwingen. Ein offensichtl icher Sachzwang besteht zwischen Korpergrofse und Generationszeit. [e groBer eine Art , desto langer muss die Iugendentwicklung sein, urn die endgultige Korpergrofse zu erreichen. Das erfordert zwangslaufig eine hohere Lebensdauer und damit eine Iangere Generationszeit. Ie nach Umwelt, trade-offs und Sachzwangen ergibt sich die Vielfalt an Lebensstrategien , die wir im Pflanzen- und Tierreich beobachten konnen. Die Vielfalt lasst sich in eine gewisse Ordnung bringen. Vergleichen wir eine stabile mit einer instabilen Umwelt. Eine stabile Umwelt sei eine Umwelt mit wenig unvorhersagbaren Schwankungen (z. B. Tiefsee). Eine instabile Umwelt ist dagegen eine Umwelt, in der standig nichtvorhersagbare Veranderungen auftreten. In un seren Breiten treten ausgepragte Veranderungen von Temperatur und Niederschlag im Iahreszyklus auf. Diese Veranderungen sind aber vorhersagbar, da sie Iahr fur Iahr in etwa gleicher Weise wiederkehren. Auf derartige Schwankungen konnen sich die Organismen durch Evolution einstellen. In einer stabilen Umwelt kann die Population ihre Kapazitatsgrenze erreichen. Das fuhrt zu intraspezifischer Konkurrenz zwischen den Individuen. Es werden sich dann Individuen durchsetzen, die eine hohe Konkurrenzkraft besitzen bzw. konkurrenzkraftige Iungtiere hervorbringen. Konkurrenzkraftiger sind die grofseren Iungtiere, was mitunter Brutpflege erfordert. In einer stabilen Umwelt sollten sich demnach aile Elemente des Lebenszyklus auf Konkurrenzfahigkeit hin ausrichten. In einer instabilen Umwelt muss ein Organismus jede Gelegenheit fur die Vermehrung nutzen. Es kommt daher mehr auf die Menge, denn auf die Qualitat an. Ie nachdem, ob man wenige groBe oder viele kleine lungtiere hervorbringt, ergeben sich Merkmalskombinationen (Merkmalssyndrom), die mit einer stabilen bzw. instabilen Umwelt korreliert sind . In einer stabilen Umwelt sind vor allem Merkmale gefragt, die es erlauben, die Kapazitat K des Lebensraumes auszufullen, in einer instabilen Umwelt dagegen vor allem Merkmale, die ein moglich st schnelles Wachstum der Population errnoglichen. Man spricht auch von r-Selektion bzw. K-Selektion ( ~Abb. 2.16). Man beachte aber, dass es sich bei reiner r-Selektion bzw. reiner K-Selektion urn die Endpunkte eines Kontinuums handelt (Piank a 1970).
2.5 Dichteregulation und Populationsschwankungen 2.5.1 Intraspezifische Konkurrenz Dichteabhangigkeit ist eine Notwendigkeit, damit Populationen in einer stabilen Umwelt nicht ohne Grenzen anwachsen . Wir gingen bisher einfach davon aus, dass mit zunehmender Populationsgrofse die intraspezifische Konkurrenz ansteigt und diese auf die Geburten- bzw. Sterberate gewisse Auswirkungen hat : Mit zunehmender intraspezifischer Konkurrenz steigt die Sterblichkeit (z. B. Unterernahrung, Anfallig-
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76
2 Populationen
-
Umwelt und Selektion sreglme
-
K-Selektion
Merkmals syndrom
[ahrllche Reprodukt ionsleistung ger ing
a
wenig Jungtiere Brutpflege moglich
-
Umwelt und Selektionsregime
-
-
Langlebigkeit
wen ige, grol!e Nachkommen
r-Selektion
Merkmalssyndrom
b
[ahrliche Reproduktionsleistung grol!
Kurzlebigkeit
viele, klein e Nachkommen
2.16 Zusammenhang zwischen Umwelt, Selektionsregime und Merkmalssyndrom fOr
K- und r-Selektion.
keit fur Krankheiten) bzw. sinkt die Geburtenrate. Intraspezifische Konkurrenz urn knappe Ressourcen kann zwei unterschiedliche Formen ann ehmen, die man mit Ausbeutungskonkurrenz (scramble competition) bzw. Konkurrenz durch gegenseitige Beeintrachtigung (interference competition) umschreibt. Bei der Ausbeutungskonkurrenz (scramble competition) kommt es zu keiner direkten Interaktion zwischen den Organismen. Vielmehr reduziert der Verbrauch
2.5 Dichteregulation und Populationsschwankungen
einer Ressource durch ein Individuum passiv die Verfugbarkeit dieser Ressource fur andere Individuen in der Population. So kann es in einer Herde nebeneinander grasender Zebras intraspezifische Konkurrenz geben. Gras, das durch ein Individuum gefressen wird, ist nicht mehr fur andere Individuen verfugbar. Dies fuhrt dazu, dass aile Individuen fur die Nahrungssuche weitere Strecken zurucklegen mussen. Diese Mehraufwendungen schlagen sich letztlich auf die Kondition der Individuen nieder. Eine schlechte Kondition erhoht die Anfalligkeit fur Krankheiten, erhoht das Risiko, Raubern zum Opfer zu fallen bzw. fuhrt im Extremfall zum Hungertod oder dass ein Weibchen weniger Junge zur Welt bringt. Die wichtigste Ressource fur festsitzende Organismen wie Pflanzen ist der Raum. Hat ein Individuum einen freien Raum erobert, steht dieser nicht mehr fur andere Individuen zur Verfugung (eine Form der Ausbeutungskonkurrenz). Steigt die Dichte an Individuen, sinkt der verfugbare Raum fur ein Individuum. Pflanzen konnen auf intraspezifische Konkurrenz besonders flexibel reagieren (Schmid 1991). Das zeigt sich deutlich in Experimenten, bei denen Pflanzen in unterschiedlichen Dichten ausgesat werden. Solange die Keimlinge noch klein sind, kommt es zu keiner Interaktion zwischen Individuen. Erst ab einer gewissen Individuengrofse werden zunehmend Individuen aus der Population eliminiert. Diesen Prozess bezeichnet man bei einer Kohorte als Selbstausdunnung, Pflanzen haben aber neben der Selbstausdiinnung noch eine andere Option, urn auf intraspezifische Konkurrenz zu reagieren: Reduktion der Zahl der Module pro Genet. Damit wird nicht die Individuenzahl in einer Population konstant gehalten, sondern deren Biomasse, eine Beobachtung die man als "Gesetz" vom konstanten Ertrag bezeichnet hat ( ~ Abb. 2.17). Unabhangig von der Ausgangsdichte ausgebrachter Samen ist der Ernteertrag in etwa immer gleich. Bei geringer Ausgangsdichte hat man wenige, aber groBe Individuen, bei groBer Dichte viele, aber kleine Individuen. Bei Konkurrenz durch gegenseitige Beeintrachtigung (interference competition) kommt es im Gegensatz zur Ausbeutungskonkurrenz zur direkten Interaktion zwi8 0 0
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200000 Individuen (ha- 1)
2.17 "Gesetz" vom konstanten Endertrag fur Mais. Ab einer bestimmten Dichte (etwa 30000 Individuen pro ha, vertikaler Strich) bleibt der Ertrag gemessen an Biomasse pro ha trotz zunehmender Individuendichte etwa gleich (7 t ha"). Der Ertrag ergibt sich als Produkt aus Dichte mal mittlerer Biomasse eines Individuums . Damit mussdie mittlere GroBe eines Individuums mit der Dichte abnehmen. Nach Daten aus Donald (1963).
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78
2 Populationen
schen den Individuen einer Population. Raum kann nieht nur passiv besetzt werden, sondern wird von vielen Tierarten (z, B. Singvogel) aktiv verteidigt (Territorien). Bei steigender Populationsgrofse konnen nicht mehr alle Individuen Territorien besetzen bzw. mussen mit Territorien minderer Qualitat vorlieb nehmen. Das schlagt sich in der Sterblichkeit und/oder der Reproduktionsleistung nieder. BeiVogeln konnte man wiederholt nachweisen, dass Inhaber von Territorien eine geringere Mortalitatsrate haben als Individuen ohne festes Territorium. Territorialitat fuhrt zu einer regelmaEigen Verteilung der Individuen im Raum ( ~Abb. 2.2).
2.5.2 Regulation und Limitierung Die Regulation der Populationsgrofse beruht auf dichteabhangigen Prozessen. Als Limitierung bezeichnet man dagegen Prozesse, die das Gleichgewieht selbst beeinflussen. Limitierende Prozesse konnen, mussen aber nicht regulierend wirken. Betrachten wir den Fall einer dichteabhangigen Pro-Kopf-Geburtenrate g(N) und einer von der Populationsgrofse unabhangigen Pro-Kopf-Mortalitatsrate 5 (~ Abb. 2.18). Vergleichen wir zwei Gebiete mit unterschiedlichen Mortalitatsraten 51 und 52' so ergibt sich, dass K von der Hohe der Mortalitatsrate abhangt: Die Mortalitatsrate wirkt limitierend. Natiirlich konnen auch dichteabhangige Prozesse limitierend wirken. Nach unseren bisherigen Uberlegungen sollte die Populationsdichte immer einem festen Wert zustreben. Dies ist aber in natiirlichen Systemen nie der Fall.Populationen schwanken nahezu immer ( ~ Abb. 2.3). Zumindest in Ansatzen kann man Unterschiede in der Variabilitat der Populationsgrofse ( ~ Abb. 2.1) zwischen Populationen
--->0,..------- 5 2 ----1-~~--- 5 1
Populatio nsqro fke
2.18 Limitierung und Regulation: Die individuelle Wachstumsrate setzt sich aus (ProKopf-) Geburten- und -Sterberate zusammen. Eine lineare Abnahme der individuellen Wachstumsrate mit der PopulationsgreBe ergibt sich immer dann, wenn zumindest die Geburtenrate mit der PopulationsgreBe abnimmt bzw. die Sterberate mit der PopulationsgreBe zunimmt. 1m gezeigten Beispiel ist nur die Geburtenrate g{N) dichteabhangig, die Sterberate s dichteunabhanqiq. Der dichteabhangige Prozess reguliert die Population. Der dichteunabhangige Prozess beeinflusst dennoch die Gleichgewichtsdichte. So ist im dargestellten Beispiel in Umwelt 2 die Sterberate groBer als in Umwelt 1. Daher ist auch die Gleichgewichtsdichte in Umwelt 2 kleiner als in Umwelt 1 (K2 < K,). Der dichteunabhangige Faktor wirkt in diesem Fall limitierend.
2.5 Dicht ereg ulat ion und Populat ionsschw ankungen
ebenfalls mit einem graphischen Modell von dichteabhangigen und dichteunabhangigen Prozessen erklaren. Dabei solI die Dichteabhangigkeit der Pro- Kopf-Sterbeund Geburtenrate nicht meh r streng einer Geraden folgen, sondern vielmehr einem Band ( ~Abb. 2.19). Man bezeichnet dies auch als unscharf dichteabhangig (density vague, Strong 1986). Damit ergibt sich kein eindeutiger Schnittpunkt meh r, sondern ein ganzer Bereich, in dem die Pro-Kopf-Sterbe- und Geburtenraten etwa gleich sind. Dam it gibt es auch keinen Gleichgewichtspunkt mehr, sondern vielmehr einen Gleichgewichtsbereich. Ie nach Umwelt, Schwankungen der Umwelt bzw. Empfindlichkeit einer Art oder Population auf Umweltschwankungen wird das Band verschieden breit sein bzw. die Starke der Dichteabhangigkeit ebenfalls von Art zu Art bzw. von Population zu Population schwanken. Dabei ergeben sich verschiedene Kombinationsmoglichkeiten, die zu zwei Kernaussagen fuhren : • Ein Anstieg der Umweltvariabilitat fuhrt zu einem Anstieg der Variabil itat der Populationsgrofse ( ~ Abb. 2.19a, b).
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-
Populationsgriill.e
2.19 In naturlichen Systemen folgt die (Pro-Kopf-) Geburten- bzw. -St erberat e nicht unbedingt einer Gerade. Es gibt sicherlich Schwankungen, die in den Beispielen durch ein schattiertes Band symbolisiert sind. Diese Schwankungen fUhren dazu, dasses keinen eindeutigen Schnittpunkt mehr zwischen Geburten - und Sterberate gibt, sondern vielmehr die Populat ionsgroBe in einem gewissen Bereich schwanken kann (Doppelpfeile). Dabei sind die rnoqlichen Schwankungen der Populationsqrofle umso groBer, je groBer die Ungenau igkeit der Regulation ist, vergleiche (a) mit (b), und je schwacher die Regulation ist , vergleiche (c) mit (d).
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80
2 Populationen
• Mit zunehmender Starke der Regulation verringert sich die Variabilitat der Populationsgrofse ( ~Abb. 2.19c, d). Nach diesen beiden Aussagen sollte es systematische Unterschiede in der Variabilitat der Populationsgrofsen bzw. -dichten zwischen Organismen mit unterschiedlicher Lebensstrategie geben. r-Strategen sollten grofsere Variabilitat zeigen als K-Strategen. r-Strategen sind klein, und dam it wirken sich bereits geringere Umweltschwankungen starker aus als bei groBen Arten, die schon allein aufgrund ihrer Korpergrofse Schwankungen besser abpuffern. So konnen grofsere Saugetiere durchaus tiber eine langere Zeit hungern, wahrend kleine Spitzmause nahezu andauernd fressen mussen ( ~ Abb. 5.6). Schoener (1986) verglich die Variabilitat von Zeitreihen der Populationsgrofse von Wirbeltieren (mehr K-Strategen) mit der Variabilitat von Arthropoden (mehr r-Strategen). Entsprechend der Erwartung ergab sich, dass Arthropoden ausgepragtere Populationsschwankungen zeigen, also nach Abbildung 2.1 mehr Population A als Population B oder C ahneln.
2.5.3 Stochastizitat Ganz offensichtlich fuhren unvorhersagbare Umweltschwankungen zu Schwankungen der Populationsgrofse. Man fasst diese Einflusse auf die Populationsgrofse als Umweltstochastizitat zusammen. Diese Schwankungen konnen im Extremfall zum Aussterben einer Population fuhren. Dabei steigt das Risiko des Aussterbens mit sinkender Populationsgrofse ( ~ Abb. 2.20). Die mathematische Behandlung von Stochastizitat verlangt nach anspruchsvollen mathematischen Methoden, auf die hier nicht weiter eingegangen werden soll (Roughgarden 1979, Nisbet und Gurney 1982). Die grundlegenden Ergebnisse sind aber leicht verstandlich und konnen im Computer simuliert werden (Case 2000). Wir wollen in einer Simulation das Risiko des Aussterbens naher untersuchen. Die aktuelle Populationsgrofse liegt dabei weit unter der Kapazitatsgrenze. Daher ist es unnotig, dichteabhangige Prozesse zu berucksichtigen. Wir verwenden daher das Modell fur (diskretes) exponentielles Wachstum. Dazu werden nun Zeitreihen erzeugt, wobei von Zeitschritt zu Zeitschritt der Wachstumsfaktor Anicht mehr konstant ist, vielmehr wird A zufallig aus einem Wertebereich gezogen. Man startet die Population mit 50 Individuen und zieht fur jeden Zeitschritt Aaus einem Bereich zwischen 0,9 und 1,1, wobei jeder mogliche Wert von A mit gleicher Wahrscheinlichkeit auftritt. Dann ist A im Mittel 1 (Case 2000). Nach den bisherigen Erkenntnissen aus dem exponentiellen Wachstum sollte die Populationsgrofse mit A = 1 im Mittel konstant bleiben . Urn das zu prufen, wurden viele derartige Zeitreihen berechnet und fur jeden Zeitschritt die Verteilung der Populationsgrofsen tiber die Zeitreihen erzeugt ( ~Abb. 2.20a). Bereits nach 20 Zeitschritten treten in einzelnen Zeitreihen hin und wieder Werte unter 20 oder auch tiber 70 auf. Der Mittelwert der Verteilung, die erwartete Populationsgrofse, bleibt wie vermutet immer 50, nur einzelne Zeitreihen konnen erheblich von dieser Erwartung abweichen. Statistisch bedeutet dies, dass mit der Zeit die Varianz zunimmt. Diese zufalligen Populationsschwankungen fuhren letztlich bis zum Aussterben (~ Abb. 2.20b).
2.5 Dichteregulation und Populationsschwankungen
0,10
0,05
0,00
a
1,0
o
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1, und damit wachsen die Populationen exponentiell, bei allen anderen Populationen nehmen die Populationsgrofsen exponentiell abo Das Modellsystem starten wir mit jeweils 10 Individuen in den dunkel markierten Siedlungsgebieten (Komplikationen am Rande des Populationssystems werden nicht weiter beriicksich tigt). Ein Vergleich der beiden Beispielrechnungen mit den Wahrscheinlichkeiten e = 0,2 und e = 0,6 zeigt, dass die Abwanderung das Wachstum in einer lokalen Population erheblich behindern kann. Weiterhin zeigt sich, dass sich auch in einigen der hell markierten Siedlungsgebieten eine Population etabliert hat, die auch anwachst, und zwar umso deutlicher, je naher diese Population an den begiinstigteren Populationen legt. Dieses Populationswachstum wird ganzlich durch zuwandernde Individuen getragen. Man bezeichnet Populationen, die netto Individuen an weniger begiinstigte Populationen abgeben, als source- Populationen und aile Populationen, die netto Individuen aufnehmen, als sink-Populationen (source sink-Dynamik). Daraus ergeben sich mehrere Riickschliisse:
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88
2 Populationen
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60
c
e= 0,6
2.23 Modell fur die Auswirkung von Immigration und Emigration auf die lokale Populationsdichte. Dazu wurden 17 Siedlungsgebiete aneinander gelegt. In jedem Siedlungsgebiet 5011 exponentielles Wachstum rnoqlich sein. In den funf mittleren Siedlungsgebieten (dunkel markiert) sei It. = 1,1 in allen anderen dagegen 0,9. Damit kann eine Population eigentlich nur in den funf mittleren Siedlungsgebieten langfristig existiereno Wenn aber nun Austausch von Individuen zwischen benachbarten Gebieten stattfindet (e = Anteil von Individuen eines Siedlungsgebietes, die emigrieren; b) e = 0,2; c) e = 0,6), findet in den Siedlungsgebieten, die an die gunstigen Gebiete angrenzen, ebenfalls exponentielles Wachstum statt, das durch einwandernde Individuen getragen wird. Der Vergleich von (b) und (c) zeigt, dassje mehr Individuen auswandern, zum einen das lokale Wachstum in den gunstigen Gebieten langsamer ablauft, zum anderen, dasssich mit zunehmender Abwanderung die Individuen auch in unqunstiqe Gebiete ausbreiten.
• Nicht uberall, wo man Individuen einer Art vorfindet, muss en fur diese Art Bedingungen herrschen, die ein positives Populationswachstum erlauben. • Mobile Arten, also Arten mit einem groBen e, kann man langfri stig nicht in wenig optimalen Siedlungsgebieten halten. Eine Abwanderung der Individuen in weniger geeignete Gebiete ist fur die source-Population immer ein Verlust. • Da durch Emigration Individuen fur eine Population verloren gehen konnen, werden im Rahmen der Evolution naturlich Strategien der Emigration bevorzugt, die die Balance zwischen Vorteilen (z. B. Absicherungseffekt, rescue effect) und Nachteilen (eventuell Mortalitat wahrend der Abwanderung) herstellen. Wo diese Balance liegt, hangt aber von der entsprechenden Art und ihrer Umwelt abo
2.6 Systeme von Populationen
• Man kann das Beispiel in Abbildung2.23auch alsModellfur ein biogeographisches Arealauffassen. Eigentlich sind nur die dunkel markierten Bereiche die Kernbereiche des Areals. Dann ergibt sich aus Abbildung 2.23,dass in diesen Kernbereichen die Dichte immer grofser sein sollte als in Randbereichen.
2.6.2 Die Metapopulation Falls ein System von Populationen vorliegt, konnen einzelnePopulationen jederzeitin einem Siedlungsgebiet aussterben, konnen aber auch jederzeitneu gegrundet werden. Man spricht hier von einer Metapopulation (Hanski und Simberloff 1997), einem System von Populationen, bei dem sich durch Aussterben einer lokaler Population sowie deren Neubegrundung durch Immigration ein standiger Wandel der raumlichen Verbreitung einer Art uber die potenziellen Siedlungsgebiete hinweg ergibt ( ~Abb. 2.24). Man kann eine Metapopulation auf zwei Ebenenbetrachten: auf der Ebeneder einzelnen Populationen (lokal) und auf der Ebene der gesamten Metapopulation (regional). Eine Variable fur die Beschreibung der regionalen Dynamik ware z. B. die Summe der lokalen Populationsgrofsen, Bereits das Modell in Abbildung 2.23a war recht kompliziert.Will man die lokale Dynamik einzelner Populationen mit Stochastizitat, Dichteabhangigkeit usw. im Detail modellieren,wurde sich ein recht unubersichtliches Bild ergeben. Es gibt aber einen einfachen Ausweg. Betrachten wir eine Metapopulation als ein Ensemble von potenziellen Siedlungsgebieten ( ~ Abb. 2.24). In jedem Gebiet kann prinzipiell eine Population existieren. Eine erste Beschreibung der Metapopulation ist dann der relative Anteil von Siedlungsgebieten, in denen die Populationsgrofse > 0 ist. Wir wollen diesen Anteil mit p bezeichnen. Aufgabe ist es nun, p aus lokalen und regionalen Prozessen vorherzusagen. Dazu einige Vereinfachungen:
•• • • ••• • Zeit (I) p(t) = 4/8 = 0,5
•• • • ••• • Zeit (I + 1) p(! +1) =4/8 =0,5
2.24 Um eine Metapopulation zu beschreiben, benutzt man als Variable den Anteil von Siedlungsgebieten, in der eine Population zu einem Zeitpunkt existiert (symbolisiert durch blau gefallte Kreise). Von einem Zeitschritt zum nachsten konnen manche der Gebiete ohne Population besiedelt werden bzw. in einigen Siedlungsgebieten sterben die Populationen lokal aus. Damit kann zwar der Anteil besiedelter Gebiet mit der Zeit konstant bleiben, das raumliche Muster besiedelter Gebiete andert sich jedoch standiq (dynamisches Gleichgewicht).
89
90
2 Populationen
• AIle potenziellen Siedlungsgebiete seien gleich grofs, haben also gleiches K. Die Gebiete bleiben prinzipiell uber den interessierenden Zeitraum bestehen und andern ihr Ressourcenangebot fur die lokale Population nicht. DiessolIauch beinhalten, dass das AusmaB der Umweltschwankungen fur aIle GebietegleichgroBist; aber die Umweltschwankungen sollen in den einzelnen Gebieten unabhangig auftreten. • Die lokale Dynamik vollziehtsich viel schneller als die regionale Dynamik. Sobald ein potenziellesSiedlungsgebiet erreicht wird, entwickeltsich in kurzester Zeit die Populationsgrofse hin zur Kapazitatsgrenze. Damit mussen wir fur die Beschreibung der Metapopulation bei den lokalen Populationen nur zwei Zustande unterscheiden: unbesetzt (lokale Populationsgrolse = 0) und besetzt (lokale Populationsgrofse = K). • Die bisher beschriebenen Annahmen haben eine weitere Konsequenz: Die Wahrscheinlichkeit, mit der eine lokale Population ausstirbt, ist fur aIle Populationen gleich. AIle Gebiete haben ja dasselbe Ressourcenangebot, zeigen gleiche, aber nicht gleichzeitige, Umweltschwankungen, und aIle lokalen Populationen haben immer die Populationsgrofse K. Da dasAussterberisiko von der Populationsgrofse abhangt und aIle lokalen Populationen immer bei K sind, ergibt sich zwangslaufig, dass fur aIle Populationen das gleicheAussterberisiko existiert. • Weiterhin nehmen wir an, dass fur Austauschprozesse zwischen Populationen die raumliche Lage der Populationen keine Rolle spielt.Wir vernachlassigen damit die Geometrie des Ensemblesvon potenziellenSiedlungsgebieten. Biologisch bedeutet dies, dass ein Individuum, das aus einer lokalen Population auswandert, mit gleicherWahrscheinlichkeit jedesandere Gebiet erreichen kann. Derartige Modelle fur Metapopulationen bezeichnet man als raumlich implizit. Wir betrachten die Veranderungvon p fur kleine Zeitraume tH. Wird tH immer kleiner, haben wir einen Differenzialquotienten dp
dt'
(2.40)
Die Veranderungin der Zeit wird entsprechend unserer Annahmen von zweiProzessen beeinflusst: Der relativen Anzahlvon unbesiedelten Gebieten,die im Zeitintervall besiedeltwerden (1), sowie dem Anteil an besiedelten Gebieten, in denen die lokalen Populationen im Zeitintervallaussterben (E): dp =1-E dt
(2.41)
Man beachte, dass diese Gleichung in der Struktur der Gleichungfur exponentiellesWachstum mit uberlappenden Generationen entspricht. Wir mussen nun fur 1und E annehmbare Beschreibungen finden. Wenden wir uns zunachst 1 zu. Die relative Anzahlzu besiedelnderGebieteist I - p. Nehmen wir zunachst an, dasswir stets genugend Immigranten haben, also die Wahrscheinlichkeit, dass eine lokale Population von mindestens einem reproduktionsfahigen Immigranten erreicht wird, unabhangig von der GroBe der Metapopulation selbst ist (also von p). Dann ergib sich 1 zu i (l - p), wobei i die Besiedlungswahrscheinlichkeit angibt. Iede Population hat die
2.6 Systeme von Populationen
gleiche Aussterbewahrscheinlichkeit e. Damit ist E das Produkt e p. Insgesamt ergibt sich:
dp =i(l- p)-ep
(2.42)
dt
Ein Gleichgewicht p* ist dann erreicht, wenn es in der Zeit keine Veranderung von p mehr gibt, also
~ = 0 und damit:
(2.43)
o= i (l - p*) - e v:
(2.44)
p" = .L.
(2.45)
l+e
r
Wir haben damit ein einfaches Modell fur eine Metapopulation entworfen. ist immer> 0, solange i> 0 gilt. p" ist ein stabiles Gleichgewicht, das zudem noch dynamisch ist. Dynamisches Gleichgewicht deswegen, weil p zwar konstant bleibt, sich aber das Besiedlungsmuster stan dig andert ( ~Abb. 2.24). i und e sind Konstanten die das Gleichgewicht spezifizieren und die von den Eigenschaften sowohl der Art als auch der Umwelt abhangen. Das kann man sich z. B. im Fall von i dadurch klar machen, dass i zum einen mit der Ausbreitungsfahigkeit der jeweiligen Art ansteigen wird. Zum anderen beeinflusst naturlich auch die mittlere Distanz zwischen den potenziellen Siedlungsgebieten i. le weiter die Siedlungsgebiete auseinander liegen, desto kleiner wird i. Dieser theoretische Ansatz lasst sich beliebig erweitern, indem man die vereinfachenden Annahmen sukzessive aufgibt. Restriktiv ist vor allem die Annahme, dass stets eine ausreichende Anzahl von Immigranten verfugbar ist. Daher wird obiges Modell auch gem als Festland-Insel-Modell (mainland island model) bezeichnet, da es sehr gut der Vorstellung entspricht, dass die Immigranten fur die Wiederbesiedlung aus einer stets groBen Population (Festland, mainland) kommen, von dem aus die betrachteten Siedlungsgebiete (lnseln, islands) besiedelt werden ( ~ Abb. 2.25). Den
a
• • • • ••
• .:1•
I_ I\.r----.....
b
·~7·
2.25 Grundkonzept der Metapopulation. Eine Metapopulation besteht aus einem System von diskreten Siedlungsgebieten. In jedem Siedlungsgebiet kann eine Population existieren, kann aber lokal aussterben. Die Wiederbesiedlung unbesiedelter Gebiete erfolgt entweder (a) von einem von der Metapopulation unabhanqiqen Quelle (das so genannte Festland-Insel-Modell) oder die Individuen stammen aus der Metapopulation selbst (b), das klassische Modell.
91
92
2 Populationen
Begriff Insel sollte man nicht zu wortlich nehmen. Man kann sich darunter jede Art von Habitat in einem ansonsten lebensfeindlichen Umfeld vorstellen. Ein Beispiel waren waldbewohnende Insektenarten, die auch auf isolierten Baumen bzw. Hecken in der Agrarlandschaft vorkommen. Geben wir diese Annahme eines Festlands auf, dann mussen wir berucksichtigen, dass i keine Konstante mehr ist, sondern von der Anzahl bereits besiedelter Gebiete abhangen wird . Im einfachsten Fallist i(p) proportional zu p: i(p) = c p; c ist dabei eine neue Konstante. Setzt man diese Beziehung ein, fuhrt das im Gleichgewicht zu
c-e v:> -c
(2.46)
Ein p* > 0 ergibt sich in diesem Fall im Gegensatz zum Festland-Insel-Modell nur dann, wenn c > e. Somit mussen gewisse Bedingungen erfullt sein, damit eine Art in einem Ensemble von Siedlungsgebieten als Metapopulation uberhaupt existieren kann. Dieses klassische Metapopulationsmodell zeigt damit ein Schwellenverhalten. Daher ist zu erwarten, dass es Systeme von potenziellen Siedlungsgebieten gibt, in den en eine Art nicht existieren kann.
2.6.3 Das Areal Die Flache, in der aIle Populationen einer Art vorkomrnen, bezeichnet man als Areal. Die Struktur und Dynamik von Arealen ist Forschungsgebiet der Biogeographie (S. 209, Brown und Lomolino 1998, Gaston 2003). Fur einen Okologen ist das Areal eine Konstruktion aus einzelnen Populationen, die tiber Individuenaustausch in Verbindung stehen oder standen. Die Populationsdichte in einem Areal kann dabei recht komplexe Muster zeigen (.- Abb. 2.26), die durch lokale und regionale Populationsprozesse, aber auch Interaktionen mit anderen Arten bestimmt werden (Brown und Lomolino 1998). Naturlich ist das Areal einer Art nicht nur das Ergebnis okologischer Prozesse, sondern auch von erdgeschichtlichen Ereignissen (Brown und Lomolino 1998). Betrachtet man die Areale von Arten, so fallt auf, dass Lage, Form und GroBe von Arealen selbst zwischen verwandten Arten stark schwanken konnen. So ist z. B. der Rotmilan (Milvus milvus) auf Teilevon Europa begrenzt, wahrend der nah verwandte Schwarzmilan (Milvus migrans) ein Areal hat, dass (aufser Amerika) nahezu die gesamte Erde umfasst . Was bedingt diesen Unterschied in der Arealgrofse! Urn zu erklaren, warum manche Arten ein grofses, andere dagegen ein kleines Areal haben, gibt es mehrere Hypothesen: • Die GroBe des Areals hangt naturlich vom verfugbaren Raum abo Areale in der Palaearktis konnen zwangslaufig grolser sein als Areal auf Madagaskar. Zudem findet man fur eine Reihe von Taxa eine Zunahme der Arealgrofse mit dem Breitengrad (Rapoport'sche "Regel"; Stevens 1989), was mit der zunehmenden klimatischen Variabilitat hoherer Breiten erklart wird. Dadurch sind Organismen an verschiedene klimatische Verhaltnisse angepasst und konnen so grofsere Gebiete besiedeln (fur alternative Erklarungen siehe auch Gaston and Blackburn 2000).
2.6 Systeme von Populationen
- - Grenze des Beobachlungsgebiets 0 31
2.26 Karte der Dichteverteilung des Blauhahers uber Nordamerika . Vereinfacht nach http://www.mbr-pwrc.usgs.gov/bbslhtmg6/htmra/ra4770.html. Hierbei handelt es sich um relative Dichteangaben, die etwa der Anzahl an Individuen entsprechen, die man innerhalb von 2,5 Stunden entlang von Wegen beobachten kann . Blauhaherzeichnunq von R. Pfeifer.
• Die GroBe des Areals hangt vom Alter der Art abo[e alter aus evolutionsbiologischer Sicht eine Art ist, desto grolser sollte die besiedelte Gesamtflache sein, da genugend Zeit zur Verfugung stand, alle prinzipiell geeigneten Gebiete zu besiedeln (AlterAreal-Hypothese, agearea hypothesis; Willis 1922). • Naturlich sollte der Ausbreitungsprozess umso schneller ablaufen, je grofser die Ausbreitungskapazitat einer Art ist. Damit sollten ausbreitungsfahige Arten ein groBeres Areal besitzen als Arten mit beschrankter Ausbreitungsfahigkeit. In groben Zugen ist das auch erfullt, haben doch Arten mit sehr ausbreitungsfahigen Dauerstadien (z. B. Rotatorien, Tardigraden) haufig kosmopolitische Areale. • Eine Art kann natiirlich nor dort vorkommen, wo es die fur diese Art notwendigen Ressourcen gibt. Unmittelbar einsichtig ist das bei einem spezialisierten phytophagen Insekt . Das Vorkommen der Futterpflanze ist Voraussetzung dafur, dass eine nor auf dieser Pflanze vorkommende Insektenart sich uberhaupt ansiedeln kann. Viele monophage Insekten haben aber ein Areal, das kleiner ist als das Areal der Futterpflanze. • Arten, die eine breite Nische besetzen (S. 38), sind naturlich erheblich flexibler in der Nutzung vorhandener Moglichkeiten. Damit sollte es eine positive Beziehung zwischen der Nischenbreite und der Arealgrofse geben (Nischenbreite-Hypothese, nichebreadth hypothesis). Bei phytophagen Insekten ist die Zahl von Pflanzenarten,
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2 Populationen
die als Wirte dienen, ein einfaches MaB fur die Nischenbreite entlang der Ressourcenachse Nahrung und entsprechend der Nischenbreite-Hypothese ist die ArealgroBe von Schmetterlingen mit der Zahl von Futterpflanzen korreliert (Brandle et al. 2002).
7
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Fragen
1. Eine TIerart lebt nur einen Sommer und jedes Weibchen bringt immer vier Junge zur Welt. Falls es keine Begrenzung der Ressourcen qibt, nach wie vielen Sommern harte die Population eine GroBe von mehr als 50 Individuen erreicht, wenn die Population zu Beginn aus nur einem befruchteten Weibchen besteht (das Geschlechterverhaltnis sei 1:1)? 2. Eine Pflanzenpopulation besteht aus 300 Pflanzen . Nach sechsJahren hat die Anzahl Pflanzen auf 250 abgenommen . Wie groB war die mittlere Wachstumsrate der Population pro Jahr? 3. Eine Population von 25 Individuen wachst mit einer individuellen Wachstumsrate von 3 % pro Jahr. Wie graB wOrde die Population bei ungebremstem Wachstum nach 200 Jahren sein? 4. Eine Insektenpopulation nimmt innerhalb von fOnf Jahren von 200 auf 1400 Individuen zu . In welchem Zeitraum verdoppelt sich die Anzahllndividuen? S. Bei welcher Populationsqrofle hat eine logistisch wachsende Population die hochste Wachstumsrate? Leiten Sie dies mathematisch ab oHinweis: Bedenken Sie, dass bei Extremwerten die Ableitung null ist. 6. Zeichnen Sie die drei Grundtypen von Oberlebenskurven auf. Beschriften Sie die Achsen. Bei welchen Organismen findet man die jeweiligen Oberlebenskurven? 7. Ein Limnologe verfolgt die Entwicklungsstadien einer Kocherfliegenart in einem TOmpel und findet 1000000 Eier, 1 000 Larven, 100 Puppen und 10 geflOgelte TIere. Berechnen Sie die k-Werte. 8. Erklaren Sie an einem Beispiel den Unterschied zwischen einem lab ilen und einem stabilen Gleichgewicht. 9. Welche Beziehungen bestehen zwischen KorpergroBe einer TIerart sowie Populationsdichte. Alter und int ri nsischer Wachstumsrate? 10. Art A ist relativ klein und bringt viele Junge zur Welt. Art B ist groB und hat nur aile zwei Jahre einen Nachkommen. Charakterisieren Sie die Habitate, in denen die beiden Arten vorkommen konnten . 11 . Erklaren Sie den Unterschied zwischen .Llmitierunq" und "Regulation". Welche Faktoren wirken regulierend? 12. Warum hangt die Wirkung eines dichteunabhangigen Faktors von den Eigenschaften des dichteabhangigen Faktors abo Erklaren Sie dies anhand einer Skizze. 13. Bei der Diskussion mit einem Kollegen erkennen Sie, dass es recht schwierig ist, die Nischenbreite-Hypothese Oberzeugend zu testen. Welchen Grund konnte das haben?
Die Auflosungen der Fragen sind im Internet zu finden (http://www.oekologiebuch.unibe.ch) .
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Kapitel3
Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arten (@ Lernziele Optimierung und Dichteabhangigkeit beim Nahrungserwerb Die trophischen Ebenen Prinzipien der Wechselwirkungen zwischen zwei Arten Interspezifische Konkurrenz Gegenseitige F6rderung zweier Arten Mimikry Wechselwirkungen zwischen Rauber und Beute Wechselwirkungen zwischen Herbivoren und Pflanzen Wechselwirkungen zwischen Parasiten und ihren Wirten Mutualismus Trophische Kaskaden Nahrungsnetze
ABe Lebewesen sind in ihrem Dasein beeinflusst durch das Vorhandensein von Individuen nicht nur der eigenen Art, sondern auch von der Anwesenheit anderer Arten. Das Schicksal eines Wiesenklees hangt davon ab, ob er in seiner Iugend von Schnecken gefressen wird. Wenn der Wiesenklee bis zur Blute uberlebt hat , ist er auf blutenbesuchen de Insekten zur Bestaubung angewiesen, urn die Reproduktion zu sichern. Viele Wechselwirkungen zwischen Individuen verschiedener Arten finden allerdings nicht unbedingt wie in diesem Beispiel auf direktem Wege, sondern indirekt (z. B.tiber Verhaltensanderungen) oder tiber dritte Arten statt. So hemmt Raupenfraf im Fruhjahr an Eichen und Birken die Entwicklung von Insekten, die sparer im Iahr an den Baumen fressen, weil die Baume in der Zwischenzeit Abwehrstoffe in ihren Blattern angereichert haben. Viele (aber nicht alle) zwischenartliche Wechselwirkungen werden tiber die Nahrung vermittelt. Nahrung wird daher in diesem Kapitel eine zentrale Rolle spielen .
96
3 Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Art en
3.1 Nahrungserwerb ABe Lebewesen entnehmen ihrer Umwelt Produkte, die sie zum Waehstum, zur Unterhaltung ihres Stoffweehsels und zur Fortpflanzung benotigen. Man teilt die Lebewesen naeh ihrer Ernahrungsweise anhand der Herkunft ihrer Energie- (ehemooder phototroph) und Kohlenstoffquelle (auto- oder heterotroph) in vier Gruppen ein (.- Tab. 3.1). Wahrend die Prokaryoten in allen vier Gruppen vertreten sind, haben sieh die Eukaryoten auf zwei Ernahrungsweisen spezialisiert: die photoautotrophen Pflanzen und die ehemoheterotrophen Pilze und Tiere.
3.1.1 Spezialisierung Die Qualitat der Nahrung hat nieht fur alle Organismen die gleiehe Bedeutung, denn die Lebewesen haben sieh untersehiedlieh spezialisiert. Solche Nahrungsspezialisierungen gehen noeh viel weiter als die Herkunft von Energie und Kohlenstoff und sind besonders im Tierreieh vielfaltig ausgepragt, Dort gibt es von extremen Nahrungsspezialisten, wie z. B. der Bohrfliege Urophora cardui, die in Mitteleuropa ihre Gallen nur in den Stangeln der Aekerkratzdistel (Cirsium arvense) erzeugt, bis zu extremen Generalisten, wie dem Mensehen, der sieh von einer Vielzahl tieriseher und pflanzlieher Produkte ernahrt, alle Ubergangsstufen. Pflanzen haben dagegen im Untersehied zu Tieren reeht ahnliche Anspriiehe an ihre Nahrung; sie benotigen CO 2 aus der Luft und einige Nahrstoffe (hauptsachlich Stiekstoff, Phosphor und Kalium) und Wasser aus dem Boden (bei aquatisehen Pflanzen aus dem Gewasser). Gartner maehen sieh dies zu Nutze und ziehen eine Vielzahl versehiedenster Pflanzenarten in der gleiehen Erde und unter ahnlichen Lichtverhaltnissen auf. In welchen Fallen wir von einem Generalisten und ab welchem Grad der Spezialisierung wir von einem Spezialisten spreehen, ist nicht einheitlieh definiert. Bei phytophagen oder aueh herbivoren (= pflanzenfressenden) Insekten, die etwa 25 % aller bekannten Arten ausmaehen und zu einem grofsen Teil spezialisiert sind, sprieht man in der Regel von monophagen Arten, wenn sie sieh von einer Pflanzenart ernahren, von oligophagen, wenn sie von Arten einer Gattung, und von polyphagen Arten, wenn sie von Pflanzen versehiedener Gattungen leben. Pflanzenfresser werden haufig aueh Herbivoren genannt, Fleisehfresser Carnivoren und Allesfresser Omnivoren. Aueh wenn eine Art ein breites Nahrungsspektrum hat und somit als Generalist gilt, haben haufig die einzelnen Populationen oder sogar Individuen ein relativ enges Nahrungsspektrum und neigen somit zur Spezialisierung (composite generalist) . Unter den Mensehen gibt es z. B. viele Vegetarier, und Inuits in Gronland stellen ihre Nah Tabelle 3.1: Einteilung der Lebewesen nach ihrer Ernahrungsweise. Energiequelle
KohlenstoffausCO 2
Kohlenstoffausorganischer Substanz
Licht
photoautotroph (z. B. Cyanobakterien. Pflanzen)
photoheterotroph (z. B. Purpurbakterien)
chemische Verbindungen
chemoautotroph (z. B. Schwefelbakterien)
chemoheterotroph (z. B. Pilze,Ilere,diemeisten Bakterienarten)
97
3.1 Nahr ungserw erb
rung anders zusammen als asiatische Reisbauern. Beim Guppy (Poecilia reticulata) fressen einige Individuen im Wahlversuch bevorzugt Rohrenwurmer (Tubifex), wahrend andere Taufliegenlarven (Drosophila sp.) vorziehen, obwohl beides in gleichen Mengenverhaltnissen angeboten wurde ( ~ Abb. 3.1). Die ganze Population verhielt sich also wie ein Generalist, wahrend sich die Individuen durchaus spezialisiert haben. Allgemein besteht der Nahrungserwerb aus zwei Phasen: dem Suchen von Nahrung und der Handhabung (Uberwaltigen, Fressen, unter Umstanden auch Verdauen und sich hinterher Putzen; handling). Wichtig ist sich klar zu machen, dass ein Tier wahrend der Handhabung einer Beute keine andere, sich vielleicht lohnendere Beute suchen kann. Ein Rauber sollte sich also vor einer Attacke uberlegen, ob er nicht in der Zeit, die er mit der Handhabung dieser Beute verbringt, eine lohnendere Beute finden kann ("Prinzip der verpassten Chance"). Aus diesen Betrachtungen haben MacArthur und Pianka (1966) folgende Schlussfolgerungen gezogen: Rauber mit relativ zu ihren Suchzeiten kurzen Handhabungszeiten sollten ein breites Spektrum an Beutearten akzeptieren, denn die kurze Zeit, die sie mit der Handhabung bereits gefundener Beute verbringen, hat nur einen geringen Einfluss auf die gesamte Suchzeit. Meisen (Parus sp.) z. B., die auf der Suche nach Insekten durch die Vegetation streifen, verbringen einen GroBteil ihrer Zeit mit der Suche nach Beute, wahrend die Handhabungszeit gefundener Beute vernachlassigbar ist. 1m Einklang mit den Vorhersagen haben Meisen (wie iibrigens auch viele andere insektenfressende Vogel) ein breites Beutespektrum. 1m Gegensatz dazu leben z. B. Lowen (Panthera leo) mehr oder weniger in standiger Sichtweite ihrer Beute, verbringen daher kaum Zeit mit der Suche. Bei ihnen wurde die Theorie eine Spezialisierung auf besonders lohnende Beutetypen voraussagen, denn wenn sie eine weniger profitable Beute ignorieren, ist die Wahrscheinlichkeit grofs, dass sie innerhalb kurzer Zeit eine profitablere Beute finden. Tatsachlich spezialisieren sich Lowen auf Beute, die mit einem relativ geringen Energieaufwand uberwaltigt werden kann (kranke, junge und alte Beutetiere). 8
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Muschellange (mm)
3.1 Links: Haufigkeitsverteilung der Nahrungszusammensetzung von Guppys, denen jeweils gleiche Anzahlen von Taufliegenlarven und Rohrenwurmern angeboten wurden. Die Individuen haben sich mehr oder weniger auf eine der beiden angebotenen Beutearten spezialisiert, jedoch haben sich die einzelnen Tiere auf unterschiedliche Beutearten spezialisiert: manche auf Taufliegenlarven andere auf Rohrenwurmer. Nach Murdoch et al. (1975). Rechts: Nahrungswahl von Strandkrabben (Carcinus maenas). Die Tiere bevorzugen die MuschelgroBe, die den groBten Energiegewinn verspricht . Nach Elner und Hughes (1978).
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3 Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arten
Eines der Hauptargumente fur eine Spezialisierung ist, dass nicht jede Nahrung gleicheffizient physiologisch genutzt werden kann und daher eine Spezialisierung auf Nahrung, die leichter umgesetztwerden kann, vorteilhaft ist,weilsiedie Fitnessmaximiert (physiologische Effizienzhypothese, physiological efficiency hypothesis). Dieses Argument leuchtet intuitiv ein, denn da verschiedene Pflanzenarten (und auch Individuen) sich in ihren chernischen und physikalischen Eigenschaften sowie ihrer Verbreitung und Phanologieunterscheiden, ist es unwahrscheinlich,dass Insekten an die meisten ihrer Nichtwirtpflanzen angepasstsind. Die Selektion sollte also eine Bevorzugung gut geeigneterWirtspflanzen fordern, Obwohl dieseauf den ersten Blick einleuchtende Hypothese haufigim Zusammenhang mit Nahrungsspezialisierung genannt wird, ist sie keineswegs durch experimentelle Untersuchungen breit abgesichert. Eine der Vorhersagen, die sich aus dieser Hypothese ergeben, ist, dass eine starkere evolutionare Anpassung der Performance (z. B. Wachstum, Uberleben, Fekunditat) der Nachkommen an cine Pflanzenart eine reduzierte Anpassunggegenuberanderen Pflanzenarten nach sich zieht. Einfach ausgedruckt heiBt das, wenn man bestimmte Pflanzenbesonders gut nutzen kann, kann man andere schlechterverarbeiten (ein so genannter trade-off, S. 73). Experimentelle Hinweise fur einen solchen trade-off hat man in vielen Fallen gesucht, aber in der Regel keine derartige negative genetischeKorrelationgefunden (fur eine der wcnigen Bestatigungen der Hypothese bei Spinnmilben siehe z. B.Agrawal 2000). Ebenso sagt die physiologische Effizienzhypothese voraus, dass Spezialisten ihre Wirtspflanze effektiver nutzen sollten als Generalisten. Mit anderen Worten, wenn Generalisten auf der gleichen Pflanzenartwieihre spezialisierten Verwandten aufgezogen werden,solltensiesichschlechter entwickeln oder eine geringereFekunditat haben als die Spezialisten. Doch auch dieseVorhersagehat sich in den meisten Experimenten nicht bestatigt. Ebenfalls aus dieserTheorie hervorgegangen ist eine dritte Argumentation, die zu erklaren versucht,dass Generalisten ihr breites Nahrungsspektrum beibehalten und verschiedene Nahrungstypen mischen, urn eine balancierte Nahrstoffaufnahme zu gewahrleisten (Pulliam 1975, Rapport 1980). Bei Wirbcltierengibt es hierzu einige klassische Beispiele. Elche (Alces alces) suchen ihre Nahrung in zwei unterschiedlichen Habitaten, zwischen denen sie regelmafsig wechseln. 1mWald fressen sie Blattervon Laubbaumen,wahrend sie in Teichen Pflanzen unter Wasser abweiden. Die Laubblatterhaben einen hohen Energie-, aber einen geringenKochsalzgehalt, wahrend es bei den Wasserpflanzen genau umgekehrt ist.Da Elche beidesbenotigen,mussen sie eine gemischte Nahrung zu sich nehmen (Belovsky 1978). Bei phytophagen Insekten gibt es bislang nur bei Heuschrecken Beispiele fur einen Vorteil vom Mischen verschiedener Pflanzenarten (Bernays und Bright 1993). Bei anderen Insekten (Schmetterlingen, Fliegen, Wanzen) scheint eine gemischte Ernahrung nicht generell vorteilhaft zu sein (Singer 2001). Die Theorie stimmt also offensichtlichnicht immer mit der Natur uberein, ist aber trotzdem nicht unbedingt falsch. Wenn man berucksichtigt, dass auch andere Faktoren eine Rolle bei der Nahrungsauswahl spielen konnen, erkennt man bald, dass die Qualitat der Nahrung unter Umstanden gegen andere Faktoren abgewogen werden muss. Dieses wird im Folgenden ausfuhrlicher diskutiert. Insektenlarven konnen sich, besonders wenn sic noch klein sind, haufig nicht weit fortbewegen. Viele phytophage Insekten leben als Larve sogar innerhalb der Pflanze
3.1 Nahrungserwerb
(Minierer oder Gallbildner). Die Larven wahlen daher in der Regel ihre Wirtspflanze nicht selbst aus, sondern sind an die Pflanze gebunden, auf die das Weibchen ihre Eier abgelegt hat. Die Weibchen wahlen also die Wirtspflanze fur ihre Nachkommen aus. Nach unserer Theorie sollte bei Insekten also die Praferenz der Weibchen fur gewisse Wirtspflanzen mit der Performance der Larven korreliert sein (Praferenz-Performance-Hypothese, preference-performance hypothesis). In Experimenten, in denen Pflanzen verwendet wurden, die relativ nahe mit den naturlichen Wirtspflanzen der Insekten verwandt oder ihnen chemisch ahnlich waren, gab es allerdings haufig nur eine schlechte Korrelation zwischen Eiablagepraferenz der Weibchen und der Performance der Nachkommen. Weibchen des Schwalbenschwanzfalters (Papilio machaon) legen z. B. uberhaupt keine Eier auf einige Pflanzenarten, die praktisch ebenso geeignet fur ihre Larven sind wie ihre normalen Wirtspflanzen (Wiklund 1975). Andere Insekten wiederum legen Eier auf Pflanzen, die nahezu ungeeignet als Nahrung fur die schlupfenden Larven sind. Die Weibchen verhalten sich also auch hier in vielen Fallen nicht so, wie es die Theorie vorhersagt. Es gibt inner- und zwischenartliche Grunde, warum Weibchen nicht immer das offensichtlich Beste fur ihre Nachkommen tun, z. B. wenn es ihnen selbst schadet und ihre Fitness herabsetzt. Interaktionen mit anderen Arten konnen eben falls verhindern, dass eine ansonsten gut geeignete Pflanzenart von den Weibchen als Wirtspflanze akzeptiert wird. Dies konnen entweder Konkurrenten (S. 119) oder naturliche Feinde (S. 127) sein. Wenn eine konkurrenzuberlegene Art auf einer ansonsten bevorzugten Wirtspflanze vorkommt, kann dies zur Verdrangung der unterlegenen Art und schliefslich zur Meidung dieser Wirtspflanze fuhren, auch wenn die Weibchen die Pflanze eigentlich anderen Wirtsarten vorziehen wurden. Doch auch die naturlichen Feinde eines Insekts konnen dessen Wirtswahl beeinflussen . So variiert bei vielen Insektenarten die Anfalligkeit gegenuber ihren naturlichen Feinden mit der Pflanzenart, auf der ihre Larven fressen. Auf einigen Wirtspflanzenarten ist die Mortalitat durch Feinde dementsprechend hoher als auf anderen. Experimente mit Minierfliegen (Agromyzidae), die gezwungen wurden, sich auf verschiedenen Pflanzenarten zu entwickeIn, von denen einige normalerweise nicht genutzt werden , haben gezeigt, dass spezialisierte Schlupfwespen (Parasitoide) hohere Parasitierungsraten der Fliegen verursachen, wenn sich diese auf bekannten, normalen Wirtspflanzenarten befinden, als wenn sie sich auf neuen Wirten entwickeln (Gratton und Welter 1999). Soleh ein Schutz vor Feinden (oder allgemeiner: feindfreier Raum, enemyfree space), der durch die Pflanze vermittelt wird, kann zur Spezialisierung fuhren, wenn Anpassung an eine Wirtspflanzenart die Fitness auf anderen Pflanzenarten reduziert. Dies wird deutlich am Beispiel der Krypsis (S. 128 und 239). Larven, die auf einer Pflanzen art schwer zu entdecken sind, weil sie z. B. in Form und Farbe einem Zweig dieser Pflanze ahneln, konnen auf anderen Pflanzenarten, die ein anderes Aussehen haben, leicht entdeckt werden . Auf der ersten Art sind die Larven also vor ihren Feinden getarnt (kryptisch) und uberleben besser als auf den anderen Arten, wo ihr Uberleben, und damit ihre Fitness, reduziert sind.
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100
3 Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arten
3.1.2 Optimaler Nahrungserwerb Auch wenn viele Arten zur Spezialisierung neigen, akzeptieren die meisten doch zumindest mehrere Nahrungstypen. Selbst fur monophage Arten ist nieht jedes Nahrungsindividuum gleich gut geeignet. Ackerkratzdisteln, die Wirtspflanzen der gallbildenden Bohrfliege Urophora cardui, unterscheiden sieh z. B. in ihrem Stangeldurchmesser, ihrer Hohe oder ihrem Proteingehalt. Dunne Stangel konnen nur kleine Gallen mit wenigen Nachkommen tragen, werden allerdings auch seltener von Feinden (Schlupfwespen) gefunden. In einem anderen Beispiel unterscheiden sieh Muscheln, die einen Hauptteil der Nahrung der Strandkrabbe (Carcinus maenas) ausmachen, in ihrer GroBe. GroBe Muscheln geben mehr Energie, sind aber auch schwieriger zu knacken als kleine Muscheln . Wahrend der Nahrungssuche begegnet eine Bohrfliege oder eine Strandkrabbe unterschiedliehen Wirtspflanzen oder Beuteindividuen. Welche sollten akzeptiert, welche abgelehnt werden? Tiere, die ihre Wirte effizient nutzen, erreichen gegenuber Artgenossen eine erhohte Fitness. Die naturliche Selektion wird diese Individuen also bevorzugen . 1m Zuge der Evolution sollten sieh also Strategien zum optimalen Nahrungserwerb (optimal foraging) ausbilden. In diesem Kapitel beschaftigen wir uns dam it, wie solche Strategien aussehen konnen, Weiterfuhrende Literatur zu diesem Thema gibt es bei Krebs und Davies (1997).
Praferenz oder Wechsel der Nahrung Kommen wir noch einmal zuruck zur Strandkrabbe. Wenn man Strandkrabben die Wahl zwischen verschieden grofsen Muscheln lasst, zeigen sie eine Praferenz fur die grofste, die den hochsten Energiegewinn pro Zeit zu versprechen scheint ( ~Abb. 3.1). Die grofsten Muscheln enthalten zwar die meiste Energie, doch benotigt die Krabbe so lange, sie zu knacken, dass wiederum kleinere Muscheln mitunter einen grofseren Energiegewinn pro Zeit zu liefern scheinen. Die kleinsten Muscheln sind zwar leicht zu knacken, aber sie enthalten so wenig Energie, dass sich der Aufwand kaum lohnt. Die profitabelsten Muscheln sind also die mittelgroBen. In der Natur werden aber eine Reihe von verschieden groBen Muscheln gefressen und nicht nur die profitabelsten. Warum fressen die Krabben manchmal kleinere und manchmal grofsere Muscheln? Ein moglicher Grund konnte sein, dass die Zeit, die sie brauchen, urn die profitabelsten mittelgrofsen Muscheln zu finden, ihre Wahl beeinflusst. Wenn es lange dauert, urn eine profitable Muschel zu finden, dann kann die Krabbe eine hohere Energieaufnahme pro Zeit erreichen, wenn sie weniger profitable Muscheln frisst, die leichter zu finden sind, als wenn sie langer nach den besten Muscheln sucht. Kasten 3.1 zeigt ein einfaches Modell, mit dem man quantifizieren kann, wieviele Individuen von jedem Beutetyp gefressen werden, wenn ein Rauber die Wahl zwischen zwei Beutetypen mit unterschiedlichem Energiegehalt hat (Charnov 1976). Das Modell sagt voraus, dass, wenn der profitablere Beutetyp haufig angetroffen wird, der Rauber ausschliefslich diesen fressen sollte. Diese Schlussfolgerung erscheint offensiehtlich, denn wenn eine besonders lohnende Beute leicht zu haben ist, sollte man sich nicht mit der weniger profitablen zufrieden geben. Eine weitere Vorhersage ist, dass die Entscheidung, sich auf den besseren Beutetyp zu spezialisieren, unabhangig
3.1 Nahrungserwe rb
101
von der Haufigkeit der Begegnung mit der weniger profitablen Beute ist, denn die funfte Gleichung in Kasten 3.1 enthalt nicht mehr die Variable A.zo Auch dies leuchtet ein: Wenn die lohnende Beute haufig genug angetroffen wird, sodass die schlechtere Beute ignoriert werden kann, ist es unter keinen Umstanden vorteilhaft, sich mit der schlechteren Beute abzugeben, selbst wenn der Rauber dieser haufig begegnet. Die dritte Vorhersage dieses Modells besagt, dass bei geringen Dichten der lohnenderen Beute beide Beutetypen gefressen werden (und zwar bei jeder Begegnung). Wenn aber die Dichte der lohnenderen Beute steigt, sollte es einen abrupten Wechsel von keiner Praferenz (beide Beutetypen werden gefressen) zu einer absoluten Praferenz der lohnenderen Beute (nur diese wird gefressen, die schlechtere wird immer ignoriert) geben. Diese Vorhersage wird auch die Alles-oder-Nichts-Regel (zero-one rule) genannt. In der Natur findet man hingegen selten Tiere, die der Alles-oder-NichtsRegel entsprechen, also keine komplette, sondern eine teilweise Praferenz (partial preference) fur bevorzugte Nahrungstypen zeigen. Einige Tiere lehnen in manchen
Kasten 3.1 Modell der Beutewahl zweier unterschiedlich profitabler - - - Beutetypen Nehmen wir an, ein Rauber sucht wahrend T, Sekunden Beute (T, = Suchzeit) . Er begegnet dabei zwei Beutetypen mit den jeweiligen Begegnungsraten )'1 und ~ (Begegnungen pro Sekunde) . Die Beutetypen enthalten j ew eil s E, und E1 Kilojoule pro Ind ividuum Energie und der Rauber benotiqt h, und h1 Sekunden, die Beute zu handhaben (uberwaltiqen, fressen, verdauen), bevor er w ieder neue Beute suchen kann . Die Prof itabil itat der Beute , also der Energiegewinn des Raubers pro Zeit, wahrend er die jeweilige Beute frisst, ist demnach E/h , und E/h 1 . Wenn der Rauber beide Beutetypen frisst, nimmt er folgende Energ ie zu sich:
Die gesamte Zeit T, die er dazu benotiqt, ist die Suchzeit T, und die Handhabungszeit Th (Th = T,A,h , + T,~hl) zusammen.
Die Rate, mit der der Rauber Energie zu sich nimmt ist demnach
Nehmen wir an, dass der Beutetyp 1 den hoheren Energ iegewinn pro Zeit ver spricht. Wenn der Rauber den gesamten Energ iege w inn pro Zeit EITma xim ieren will, so llt e er sich auf Beutetyp 1 speziaIisieren, wenn der Energ iegewinn vom alle inigen Fressen der Beute 1 grosser ist als der Energiegew inn vom Fressen beider Beutetypen . Oder rnathematisch
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Sk *. Die Inseltheorie macht aber daruber hinaus auch Aussagen zJm Artenu~satz. Wie man Abbildung 4.12aleicht entnehmen kann, ist der Artenumsatz fur kleine Inseln grofser als fur groBe (Tk > Tg) . • Die Einwanderungsrate hangt naturlich vor allem davon ab, wie leicht Arten vom Festland aus eine Insel erreichen konnen: Ie grofserdie Entfernung zum Festland, umso geringer die maximale Einwanderungsrate ( ~Abb. 4.12b). Neben der geographischen Distanz zwischen Festland und Insel kann es auch noch andere Faktoren geben, die die Isolation beeinflussen, wie etwa die vorherrschende Windrich-
4.2 bkologische Prozesse in Lebensgemeinschaften
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4. 12 Mod if ikation der Oberlegungen in Abbildung 4.11. a) Vergleich von lwei unterschiedlich groBen Inseln (Index k kennzeichnet die Parameter f Or die kleine Insel, der Index 9 fOr die groBe Insel). Die Flache der Insel solite sich auf die Aussterberate auswirken: Die Aussterberate sollt e bei groBeren Inseln weniger stark mit der Artenzahl ansteigen als bei kleineren. Dies f Ohrt zu einer Zunahme der Artenzahl mit der lnselfla che. Zudem ist der Artenumsatz auf groBen Inseln ger inger als auf kleinen . b) Vergleich von zwei Inseln, die unterschiedlich we it vom Festland entfernt sind, oder von lwei Inseln, die aufgrund von Meeresstromung unterschiedlich leicht erreicht werden kon nen (Index n f Or nahe Insel, ffOr ferne Insel). Die Entfernung wirkt sich auf die Einwanderungsrate aus. Letztlich erg ibt sich eine Abnahme der Artenzah l mit zunehmender Distanz zum Festland, wobei der Arte num satz auf nahen Inseln groBer ist als auf fernen.
tung oder die Stro mungsverhaltnisse im Meer. Fuhrt man entsprechende Dberlegungen wie beim Einfluss der Flache auf die Aussterberate durch, nur dass nu n die maximale Einwanderungsrate verande rt wird (In > If)' dann ergibt sich (naturlich bei gleicher Hache der Insel), dass die Artenzahl mit zunehmender Isolation sinkt, wobei der Artenu msatz auf entfern ten Inseln geringer ist als auf Inseln, die naher zum Festland liegen (T f < Tn; ~ Abb. 4.12b). Die klassische Inseltheorie ging davon aus, dass Einwanderungsraten allein durch Isolation, die Aussterbera ten allein durch die Plache beeinflusst werden. Das ist aber in dieser Einfachheit sicher nieht richt ig. Vom Festland zuwan dern de Ind ividu en einer Art ko nnen das lokale Aussterben dieser Art auf den Inseln verhind ern . Dieser Absicherungseffekt (rescue-effect, S. 87) hangt yom Isolations grad aboDie Isolation beeinflusst daher auch die Aussterbera te. Damit muss man fur die Betra chtung von nahen un d entfernten Inseln nieht nu r die Abhangigkeit der Immigrationsrate von der Artenzahl verander n, sondern auch die Aussterberate : Fur nahe Inseln mu ss diese flacher verlaufen. Wurde man diese Beziehungen entsprec hend Abbildung 4.12 auftragen, dann ergabe sich, dass die Artenzahl wie im klassischen Modell auf nahen Inseln groBer ist als auf entfern ten, der Unterschied aber groBer wird. Zudem hat der Absicher ungseffekt einen Einfluss au f den Artenumsatz: Anders als im klassischen
183
184
4 Lebensgemeinschaften
Modell ist mit dem Absicherungseffekt der Artenumsatz auf fernen Inseln grofser als auf nahen Inseln. Die Einwanderungsrate kann wiederum auch von der Inselflache beeinflusst werden (Zieleffekt, target-effect). GroBere Inseln lassen sich leichter finden . Die langere Kustenlinie erhoht etwa die Chance, dass Samen oder andere Ausbreitungsstadien angeschwemmt werden. Damit steigt mit der Inselgrofse die maximale Einwanderungsrate. Andert man die klassische Theorie entsprechend ab, dann bleibt die grundlegende Aussage erhalten, dass mit zunehmender Distanz zum Festland die Artenzahl fallt. Doch wiederum wird die Differenz grofser und der Artenumsatz zeigt ein verandertes Bild. Im Gegensatz zur klassischen Theorie ist nach Berucksichtigung des Zieleffekts der Artenumsatz auf grofsen Inseln grofser als auf kleinen . Will man nachweisen, dass ein System der Inseltheorie folgt, muss man prufen, ob der geforderte Artenumsatz, der sich aus den Annahmen des Modells ergibt, auch stattfindet. Findet man keinen Artenumsatz, haben die Muster andere Ursachen! Letztlich muss man ein System tiber langere Zeit beobachten, urn eventuelle Aussterbe- und Einwanderungsereignisse zu erfassen. Weiterhin muss man plausibel machen, dass der Artenumsatz nicht durch Veranderungen im Gebiet bedingt ist. Die Inseltheorie fordert einen Artenumsatz aus stochastischen Grunden und nicht wegen veranderter Standortbedingungen. Von 1947 bis 1975 haben Vogelkundler jahrlich die Brutvogel in einem kleinen Waldgebiet von etwa 16 ha in Sudengland erfasst. Die Einwanderungen und das lokale Aussterben von Arten zeigen die geforderten Beziehungen zur Artenzahl ( ~Abb. 4.13). Auch liegt der Schnittpunkt beider Geraden bei 32 Arten, was dem langjahrigen Mittel der beobachteten Artenzahl nahe kommt (Gaston und Blackburn 2000). Eine genaue Analyse der Daten zeigt aber, dass in dem Gebiet jedes Iahr eine Gruppe von 14Arten brutete. Eine weitere Gruppe von 19Arten konnte im Beobachtungsgebiet aus verschiedensten Grunden nie grofsere Populationen etablieren. Damit sind Einwanderungs- und Aussterbeereignisse nicht stochastisch, sondern haugen von Eigenschaften der Arten ab - ein klarer Widerspruch zur Theorie. Man beachte, dass die Beziehung der Aussterberate zur Artenzahl ( ~ Abb. 4.13) nicht durch den Ursprung verlauft. Abbildung 4.13 macht deutlich, dass zwar die prinzipiellen Mechanismen der Inselbiogeographie wirken , dass aber daruber hinaus Standortfaktoren und auch Eigenschaften der Arten das Arteninventar bestimmen. Die Artenzahl als einfachste emergente Eigenschaft kann solche komplexen Zusammenhange nicht erfassen. Gerade fur isolierte Gebiete spielt die Ausbreitungsfahigkeit der Arten eine entscheidende Rolle. Nur bei hinreichender Ausbreitungsfahigkeit kann eine Art einen Standort besiedeln. Die Artenzahl von Pflanzengesellschaften ist daher haufig allein dadurch begrenzt, dass nicht genugend Arten in das Gebiet zuwandern konnen (ausbreitungsbegrenzte Gemeinschaften, dispersal limited communities). Dies kann man einfach dadurch nachweisen, dass man Arten kunstlich einbringt. Haufig konnen die eingebrachten Samen keimen und die Arten etablieren sich zumindest tiber einige Jahre. Die Inseltheorie macht zudem Aussagen tiber die Beziehung von Artenumsatz zur Inselflache sowie zur Isolation. Eine der ersten Untersuchungen dazu wurde von Diamond (1969) durchgefuhrt, der die Brutvogelarten auf Inseln vor der kalifornischen Kuste 50 Jahre nach einer ersten Untersuchung durch Howell (1917) nochmals erfasste. Entsprechend der Annahmen der Inseltheorie fand er fur den Beobachtungszeitraum von etwa 50 Iahren einen Artenumsatz. Zudem zeichnet sich eine Abnahme
4.2 6kologische Prozesse in Lebensgemeinschaften
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5.3 Jahrliche Nettoprimarproduktion von organischer Substanz (gemessen als 9 m-Z) in den Weltmeeren und auf dem Festland. Nach Berlekamp et al. (2001) (http://www.usf.uni-osnabrueck.de/-hlieth).
220
5 Okosysteme
grofsere Tiefen sedimentieren, erklart sich die geringe Produktivitat durch Nahrstoffbzw. Lichtmangel. Nur in Bereichen von Auftriebsstromungen, die z. B. vor den Westkusten Sudarnerikas (Humboldtstrom) und Sudafrikas (Benguelastrom) fur eine Nahrstoffverlagerung an die Oberflache sorgen, oder in flachen Meeresteilen wird mehr Biomasse produziert (S. 237). Bezogen auf die Produktion entsprechen die meisten Bereiche der Weltmeere daher terrestrischen Wu sten.
5.1.3 Nahrungskette und Nahrungsnetz Wie aus den Hauptsatzen der Thermodynamik hervorgeht, setzen Organismen die zugefuhrte Energie mit Verlust urn. Pflanzen nutzen nur einen Teil der verfugbaren Strahlung, Herbivoren fressen nur einen Teilder pflanzlichen Primarproduktion, und Rauber oder Parasiten nutzen nur einen Teilihrer Beute- oder Wirtspopulation. Energetisch betrachtet heiBt dies, dass die Produktion (P) der vorherigen trophischen Ebene durch die nachfolgende trophische Ebene nur zu einem Teil assimiliert wird. Aus Sicht der hoheren trophischen Ebene besteht die vorherige trophische Ebene also aus einem nicht genutzten Teil (N) und einem aufgenommenen Teil (1) (input) ( ~Abb. 5.4). Fur den jeweiligen Organismus unverdauliche Nahrungspartikel werden als Faeces (F) ausgeschieden, worunter meist Kot und Urin zusammengefasst werden. Die aufgenommene Nahrung wird, unter Berucksichtigung der ausgeschiedenen Faeces (I - F), als assimilierter Nahrungsteil (A) bezeichnet. Ein grofser Teilvon A ist die Respiration (R), der unvermeidbare Teil jeglicher Aktivitat fur Stoffwechsel, Bewegung usw. Die eigentliche Produktion (P) des betreffenden Organismus kann unterteilt werden in energetische Aufwendungen fur das eigene Korperwachstum, fur Teile des Korpers, die ausgeschieden oder abgestofsen werden (Haare , Federn, Geweihe, Exuvien, Nektar, Blatter, Rinde) und fur die Reproduktion (etwa Samen/Pollen, Eizellen bzw. Investition in Speicherstoffe oder fur Embryonen). P ist der Teilvon A, der an die nachste trophische Ebene als potenziell nutzbar weitergereicht wird ( ~ Abb. 5.4).
1
t
~,
trophische Ebene 2
3
5.4 Schema des Energieflussdiagramms fur einen Organismus (hier als Black Box gezeichnet) mit der Biomasse 82 und eine trophische Ebene. A Assimilation, 8 Biomasse, I Input, F Faeces, N Nichtgenutzter Anteil, P Produktion, R Respiration . Die Ziffern 1 bis 3 entsprechen den trophischen Ebenen.
5.1 Energiefluss
Naeh dem Tod des Organismus steht P zusammen mit F den Destruenten zur Verfugung. Somit ergibt sieh:
A=I-F=R+P
(5.1)
In einem Okosystem sind versehiedene trophisehe Ebenen (Primarproduzenten, Herbivoren, Carnivoren usw.) (S. 108) naeh dem oben besehriebenen System hintereinander gesehaltet (Nahrungskette). In der Nahrungskette nimmt die Summe der Respirationsverluste kontinuierlieh zu und geht dem System verloren. Der Energiehaushalt ist also offen, d. h. es muss immer neue Energie von aufsen zugefuhrt werden. Die Summe der nieht genutzten Anteile bzw. der Exkrete nimmt ebenfall s kontinuierlieh zu, steht aber noeh den Destruenten zur Verfugung. Dureh den Abbau und die Remineralisation stehen den pflanzliehen Primarproduzenten somit wieder anorganisehe Substanzen zur Verfugung, sodass der Stoffkreislauf gesehlossen ist. Dies kann innerhalb eines Okosystems erfolgen , aber aueh im Verbund mehrerer Okosysteme (.- Abb. 5.5). 1m Allgemeinen werden zwei Grundtypen von Nahrungsketten untersehieden: Herbivoren- bzw. FraBnahrungsketten und Destruenten- bzw. Detritusnahrungsketten . Herbivorennahrungsketten beginnen bei griinen Pflanzen (Produzenten) und gehen von Herbivoren zu deren Raubern (Konsumenten). Destruentennahrungsketten fuhren von Detritus (toter organiseher Substanz) zu Mikroorganismen und anderen Destruenten sowie deren Raubern, haben also keine eigenen Produzenten. In vielen Bachen gibt es kaum pflanzliehe Primarproduktion und organisehe Substanz wird uber das Einzugsgebiet eingetragen. Zudem wird tote organisehe Substanz in die Tiefsee verfrachtet, dureh Fliefsgewasser in Hohlen oder dureh den Wind in niedersehlagsfreie Wusten, wo sieh dureh diese alloehthone organisehe Substanz eine Nahrungskette aufbaut. Beide Typen von Nahrungsketten sind miteinander verb un den, da aIle Bestandteile der Herbivorennahrungskette als tote organisehe Substanz der Detritusnahrungskette ebenfalls zur Verfugung stehen. In der Realitat fuhrt eine soleh enge Verzahnung der Nahrungsketten dazu, dass sie eher als Nahrungsnetze vorliegen, zumal sieh viele Organismen von mehreren trophisehen Ebenen ernahren (S. 159). Die insgesamt eher geringe Zahl trophiseher Ebenen zeigt, dass Nahrungsketten in der Natur meist kurz sind und die Zahl der Vernetzungspunkte in einem Nahrungsnetz begrenzt ist. Dies hat vor allem energetisehe Grunde, da mit zunehmender Kettenlange die Effizienz des Energietransfers sinkt.
5.1.4 Okologische Effizienz und KorpergroBe Bei jedem Ubergang von einer trophisehen Ebene zur nachsten wird die verfugbare Nahrung nur zu einem kleinen Teil genutzt. Naeh einer Faustregel werden durehsehnittlieh 10 % der verfugbaren Energie an die naehfolgende trophisehe Ebene weitergegeben (Effizienz der Nahrungskette) . Wenn drei trophisehe Ebenen vorhanden sind , betragt die Gesamtnutzung bestenfalls einige Promille.
221
222
5 Okosysterne
Sonnenlicht
Photosynthese
Atmung
1-
Prlrnarproduzenten
NPP
Eintrag von organischer Substanz
1
1 Warme
Speicherung vo n to tem o rganischem Material
Gemeinschaft
~
Export
5.5 Energieflussdiagramm eines bkosystems. Warmeverlust durch die Photosynthese (BPP, Bruttoprimarproduktion) und Atmungsverlust bei der Prirnarproduktion (NPP, Nettoprirnarproduktion), Verminderung der verfOgbaren Produktion Ober die trophischen Ebenen von Herbivoren, Carnivoren, Spitzencarnivoren, Akkumulation der organischen Abfalle bei den Destruenten, Akkumulation der Atmungsverluste (R, Respiration). Nach Odum (1999).
Urn die okologische Effizienz analysieren zu konnen, bieten sich nach Abbildung 5.4 folgende Berechnungen an: Die Konsumptionseffizienz K (auch Nutzungseffizienz) misst den Anteil der Nahrung 12 , der von einem Organismus aus dem Angebot der vorherigen trophischen Stufe PI tatsachlich genutzt wird: (5.2)
5.1 Energiefluss
In Graslandokosystemen fressen Herbivoren etwa 25 % der pflanzlichen Biomasse. In Waldokosystemen mit einem hohen Holzanteil sinkt dieser Anteil auf 1-5 %. Sinkt die Dichte der Tiere, sinkt auch ihre Effizienz . Die Effizienz von Zooplankton beim Fressen von Phytoplankton kann bei 50 % liegen. Pradatoren haben je nach Rauberoder Beuteart eine niedrige Effizienz . Die Assimilationseffizienz A (auch Verdaulichkeitsindex) ist der prozentuale Anteil der von einem Konsumenten aufgenommenen Nahrung I z, der fur Produktion und Respiration Az zur Verfugung steht, wahrend der Rest der aufgenommenen Nahrung als Kot und Urin ausgeschieden wird. (5.3) Organismen, die ihre Nahrung extern verdauen und dann vollstandig aufnehmen wie viele Bakterien und Pilze, kommen zu einer Assimilationseffizienz von fast 100 %. Ahnlich gut aufzunehmen ist die tierische Nahrung vieler Carnivoren, die Werte urn 80 % aufweisen konnen. Pflanzenmaterial ist in der Regel schwer verdaulich, sodass Herbivore niedrige Werte zwischen 15 und 70 % aufweisen (bei Holz 15 %, Blattnahrung urn 50 %, Samen und Fruchte bis 70 %). Die Assimilationseffizienz von Detritivoren liegt zwischen 20 und 40 %. Die Produktionseffizienz P misst, nach Abzug der Verluste fur Kot und Urin, den Anteil der aufgenommenen Nahrung Az, der in neue Biomasse Pz investiert wird.
(5.4) Eine hohe Produktionseffizienz liegt vor, wenn die Atmungsverluste gering sind und hohe Energieanteile in Korperwachstum bzw. Reproduktion eingesetzt werden. Die Produktionseffizienz liegt fur Insekten (ohne soziale Arten) zwischen 40 und 60 % (Herbivoren urn 40 %, Detritophagen urn 50 %, Carnivoren bis 60 %). Unter den sozialen Insekten investieren Bienen einen groBen Teil ihrer Energie in die Temperaturregelung ihres Stocks, sodass die Produktionseffizienz mit 10 % sehr niedrig ist, Andere Invertebraten weisen Werte auf, die generell unter denen der Insekten liegen (Herbivoren urn 20 %, Carnivoren bis 30 %, Detritophagen bis 40 %) . In einzelnen taxonomischen Gruppen kann es betrachtliche Abweichungen von diesen Werten geben. Ektotherme Wirbeltiere weisen eine niedrigere Produktionseffizienz auf (Fische urn 10 %), die nur bei endothermen Wirbeltieren noch niedriger ist, da der grolste Teil der aufgenommenen Encrgie zur Erhaltung der Korpertemperatur benotigt wird (Saugetiere 2-3 %). Wenn diese Tiere klein sind, d. h. die Oberflache im Vergleich zum Korpervolumen groB ist, ergeben sich hohe Abstrahlungsverluste und eine extrem niedrige Produktionseffizienz (kleine Saugetiere 1,5 % , Vogel 1,3 %, Insektivoren 0,9 %) (S. 224) . Das Schema in Abbildung 5.5 zeigt die allgemeine Struktur eines Okosystems. Fur ein konkretes Okosystem kann es jedoch hiervon Abweichungen geben. Wie auf Seite 218 erklart wird, ist die Biomasse der Primarproduzenten in marinen Okosystemen relativ klein und die Biomasse der Konsumenten (herbivores Zooplankton, Pradatoren) groB. Der Herbivorennahrungskette und der Destruentennahrungskette kommt also den Energiefluss betreffend die grofste Bedeutung zu, und der wichtigste
223
224
5 Okosysterne
Stoffspeicher befindet sich auf dem Boden und im Sediment. Wei! in limnische Okosysteme viel totes organisches Material aus dem angrenzenden terrestrischen Bereich eingetragen wird, weist die Detritusnahrungskette dort den hochsten Energiefluss auf. Waldokosysteme haben eine hohe Primarproduktion, jedoch eine wenig ausgepragte Herbivorennahrungskette. Auf dem Boden sam melt sich totes organisches Material an und die Detritusnahrungskette nimmt eine zentrale Stellung ein. Im Unterschied hierzu nutzen Herbivoren in Graslandern einen deutlich hoheren Anteil der pflanzlichen Primarproduktion. In beiden Systemen hat die lebende Biomasse jedoch eine grofse Bedeutung als Stoffspeicher. Von reinen Destruentennahrungsketten abgesehen, fliefst der grofste Anteil der Energie in einem Okosystem also von der pflanzlichen Primarproduktion (bzw. durch allochthon, d. h. von au Ben eingetragenes organisches Material) in das Destruentensystem. Mikroorganismen, detritivoren Tieren und deren Raubern kommt daher eine grofsere Bedeutung zu als den Herbivoren. Die GroBe eines Organismus hat beachtliche Auswirkungen auf seinen Energiehaushalt. Kleine Tiere benotigen zwar weniger Energie als grofse,da sie aber pro Volumen eine relativ grofsere Oberflache aufweisen, ist ihr relativer Energiebedarf groBer. Aus dieser Uberlegung heraus konnen Tiere erst ab einem bestimmten Energieumsatz und einer bestimmten Korpergrofse homoiotherm sein. Dies ist bei Saugetieren und Vogeln gegeben, auch bei einigen Fischen mit hoher Stoffwechselintensitat (Thunfische) bzw. bei sehr grofsen Reptilien (Sauriern). Wirbellose konnen hingegen nur poikilotherm sein. Zwischen Energieumsatz oder Stoffwechselrate und Korpergrofse besteht eine allgemeine Beziehung : Stoffwechselrate (Ruhe) = Bo x Korpergewicht 0,75
(5.5)
Hierbei ist Bo ein art- oder gruppenspezifischer Faktor. Diese Beziehung wurde 1932 durch Kleiber fur Vogel und Saugetiere entdeckt und 1960 durch Hemmingsen auf Einzeller, Poikilotherme und Homoiotherme erweitert. Gillooly et al. (2001) und West et al. (2002) formulierten schliefslich die "drei-Viertel-Potenz" des Korpergewichts als allgemeine Gesetzmafsigkeit des aeroben Energiestoffwechsels von Lebewesen. Diese bezieht sich nicht nur auf Organismen, sondern auch auf isolierte Zellen, Mitochondrien und Enzymkomplexe (~ Abb. 5.6) und erstreckt sich tiber eine bemerkenswerte Skala von rund 25 logarithmischen Einheiten. Fur Saugetiere und Vogel bedeutet die aufSeite 223 beschriebene Produktionseffizienz, dass ihre minimale Korpergrofse aus energetischen Grunden nicht unter die einer Spitzmaus oder eines Zaunkonigs fallen kann. Diese Tiere mussen immer Nahrung suchen und die kleinsten Saugetiere haben selten Ruheperioden von mehr als zwei Stun den . Nahrungsketten setzen immer bestimmte GroBenrelationen voraus. Wenn in einem Gewasser kleine, in einem anderen nur grofse Planktonalgen vorkommen, werden die Rauber im ersten Fall kleine Zooplankter, dann grofse Zooplankter und schlielslich Fische sein, im zweiten Fall direkt groBere Zooplankter oder sogar kleine Fische. Die Nahrungskette kann also im zweiten Fall urn ein Segment kurzer sein. Da
5.2 5tofffluss
~ ~ s ... 10
& ...
s: u
.s 10 ~
- 10
s...
E
10-
20
- f - - - - . - - -- - . - - - - - . - - -- - - . - - - - - , - - -- - ,
10- 20
10- 10
10- 5
10
10
Kiirpergewichl (g)
5.6 Stoffwechselrate von Enzyrnen, Mitochondrien, Zel/en, Einzel/ern, Poikilotherrnen (jeweils auf 20 O( korrigiert) und Hornoiotherrnen (bei 39°C) in Abhanqiqkeit vorn Korpergewicht. Nach Gil/ooly et al. (2001) und West et al. (2002).
die Nahrungsketteneffizienz bei durchschnittlich 10 % liegt, kann dies eine urn den Faktor 10 hohere Fischproduktion bedeuten. Die hier beschriebene energetische Basis der Grofsenverteilung von Organismen fuhrt letztlich dazu, dass kleine Arten bedeutend haufiger sind als groBe. Dies wurde fur Landarthropoden verschiedener Lebensraume (Nentwig 1982), fur Saugetiere (Carbone und Gittleman 2002) sowie fur Meeresplankton und Landpflanzen (Belgrano et al. 2002) gezeigt. Dieser Zusammenhang lasst sich nutzen, urn Populationsdichten, Individuenhaufigkeiten oder Artenzahlen abzuschatzen (May 1990).
5.2 Stofffluss Ie nach Element erfolgt der Ein- oder Austrag in bzw. aus einem Okosystem auf verschiedene Weise. Die Zufuhr geschieht oftmals durch die Luft (etwa bei Kohlenstoff und Stickstoff), mit Pliefsgewassernoder durch Verwitterung des Gesteins (typischerweise bei Calcium, Eisen, Magnesium, Phosphor und Kalium). Wichtige Speicher sind Boden und Sediment, vor allern in Gewassern, und die Waldvegetation. Da viele Substanzen wenig mobil sind bzw.langfristig absorbiert werden, konnen Elemente fur grofse Zeitraume lokal oder regional gespeichert werden. Der Austrag erfolgt dann meist mit Pliefsgewassern und gelangt letztlich ins Meer. Fur ein Okosystem ist die Stoffbilanz oftmals nicht ausgeglichen (Likens et aI. 1977, Ellenberg et aI. 1986), denn
225
226
5 Okosysteme
der Abbau organischer Substanz kann temperaturbedingt verlangsamt sein, sodass Tundragebiete eher zur Akkumulation neigen . Erosionsprozesse, Wind und Feuer fuhren hingegen zu Bilanzverlusten, da sie groBe Mengen von Nahrstoffen tiber weite Oistanzen transportieren (Grier 1975).
5.2.1 Wasser Oer Wasservorrat der Erde umfasst 1400 Millionen krn" freies, also verfugbares Wasser, das zu 97 % als Meerwasser vorliegt. Oas Sufswasser ist als Eis und Schnee (74,9 %) oder im Grundwasser (24,5 %) festgelegt, lediglich 0,6 % in Seen, Flussen, in der Atmosphare und in Organismen ( ~Abb. 5.7). Durch Sonnenenergie angetrieben, verdunstet jahrlich eine halbe Million krrr' Wasser und regnet wieder auf die Erde. Der globale Wasserkreisiauf ist ein wichtiger Bestandteil unseres Klimageschehens und der Motor unserer Fliefsgewasser, Da ein Orittel des Landniederschlags von verdunstendem Meerwasser stammt, verbindet der globale Wasserkreislauf marine und terrestrische Okosysteme. Fur terrestrische Lebensraume steht also mehr Wasser zur Verfugung als uber dem Land verdunstet. Oer globale Wasserkreislauf wird durch Niederschlag, Infiltration, Oberflachenabfluss, Evaporation und Kondensation gesteuert. Vor allern Pflanzen tragen tiber aktive Wasseraufnahme, -speicherung und -abgabe in die Atmo sphare (Transpiration) zum Wasserhaushalt bei (S. 17). Niederschlage und Temperaturen sind weltweit verschieden , sodass unterschiedlich viel Wasser verdunstet. Entscheidend fur das Klima ist jedoch weniger die absolute Hohe der Niederschlage, sondern das Verhaltnis zwischen Niederschlag und Verdunstung. In einem humiden Klima ist der Jahresniederschlag hoher als die jahrliche Verdunstung, in einem extrem humiden (perhumiden) Klima sogar doppelt so hoch.
0,04
~
~ ~ ~ luftfeuchtigkeil ~ EiS
...
0,04
__- land
t lthosphare
125 000
I
~
Flusse, Seen
~
Bodenfeuchte
~
Grundwas ser
Niederschlag
...........
5.7 Links: Der globale Wasserkreislauf. Angaben in Millionen km 3, pfeile beziehen sich auf den Jahresfluss, Kasten auf die GroBe des Speichers. Nach Berner und Berner (1987). Rechts: Schematische Darstellung der einzelnen Parameter des Wasserkreislaufs in einem Okosystem.
5.2 Stofffluss
U < 250 mm
250 -500 mm
.
500 - 1000 mm
.
1000 - 2000 mm
227
• > 2000 mm Niederschlag
5.8 Globale Verteilung der Niederschlaqe (Jahressumme). Nach Walter und Breckle (1999).
Dies trifft auf etwa 3 % der terrestrischen Oberflache zu, vor allem aquatornahe Bereiche im tropischen Regenwald und einige kustennahe Zonen. Ubertrifft die Verdunstung den Niederschlag, ist das Klima arid, ist die Verdunstung doppelt so hoch wie der Niederschlag, ist das Klima extrem arid . Dies trifft auf etwa 12 % der terrestrischen Oberflache zu, die vor allern im Bereich der Wendekreise und im Regenschatten hoher Gebirgszuge liegen, d. h. hier befinden sich die groBen Wustengebiete der Erde ( ~Abb. 5.8). Neben der Hohe des Niederschlags ist auch seine Verteilung wichtig, denn fast uberall gibt es mehr oder weniger ausgepragte Regen- und Trockenzeiten. Ie Hingerdie niederschlagsfreie Zeit ist, desto starkere Anpassungen sind bei Pflanzen und Tieren erforderlich. In den Tropen und Subtropen sind daher Regen- und Trockenzeiten Zeitgeber fur die Jahreszeiten genauso wie Temperatur und Licht in der gemafsigten Zone. Bei Iahresniederschlagen unter 250 mm im Iahr kann sich nur eine wustenoder halbwustenartige Vegetation entwickeln. Bei Niederschlagen bis 750 mm wachst Grasland, Savanne oder offenes Waldland, bei Niederschlagen bis 1 250 mm entstehen trockene oder laubabwerfende Walder, ab 1250 mm nasse Walder (S. 246). Primarund Sekundarproduktion sind also mit der Niederschlagsmenge positiv korreliert (Smith und Smith 1999).
228
5 Okosysteme
Von den 110000 krrr' Niederschlag auf dem Festland verdunstet zwei Drittel sofort, viel fliefst oberflachlich ab oder fallt fern von menschlichen Siedlungen, sodass nur 9000 krrr' durch den Menschen genutzt werden konnen ( ~Abb. 5.7). Da es viele Regionen mit Wassermangel gibt, ist der Nutzungsdruck durch den Menschen hoch und es gibt entsprechend viele okologisch bedenkliche Auswirkungen des anthropogenen Eingriffs in den Wasserhaushalt (Nentwig 2005). Diese haben regional durchaus gegenlaufigen Charakter: Grofsflachige Rodungen von Tropenwaldern fuhren wegen des Vegetationsverlustes zu weniger Evapotranspiration, also zu verringerten Niederschlagen. Da gleichzeitig auch die Ruckstrahlkraft der Erdoberflache (Albedo, S. 9) grofser wird, nimmt durch die verstarkte Oberflachenaufheizung die Austrocknung weiter zu. In anderen Regionen werden Flusse begradigt und Feuchtgebiete entwassert, sodass es zu beschleunigtem Wasserabfluss kommt, aber auch zu erhohter Hochwassergefahrdung dicht besiedelter Kulturlandschaften. Die anthropogene globale Klimaveranderung (S. 232) fuhrt wegen des Abschmelzens von Gletschereis und polaren Eiskappen zur Ausdehnung des Wasserkorpers (Anstieg des Meeresspiegels), zu einer erhohten Verdunstungs- und Niederschlagsrate und in Verbindung mit Landnutzungsanderungen zu einem beschleunigten Wasserabfluss. Global wird sich der Wasserhaushalt also deutlich andern, wobei dies regional sowohl Zu- als auch Abnahme bedeuten kann. Ubermassige Grundwasserentnahme fuhrt zu einem Absinken des Grundwasserspiegels urn viele Meter und zu Landsenkungen, wie in Regionen Indiens, Chinas, Mexikos oder im kalifornischen San Joaquin Tal. In kustennahen Bereichen dringt Salzwasser in die abgepumpten grundwasserfuhrenden Schichten ein. Bei der kunstlichen Bewasserung landwirtschaftlicher Kulturen wird oft zu wenig Wasser eingesetzt und es fliesst nicht oberflachlich ab, sondern verdunstet auf dem Acker, sodass dort eine Salzkruste entsteht. Bei einem Salzgehalt von 0,3 % und 10000 rrr' Wasser ha'" konnen das jahrlich bis 30 t Salz sein. Ungenugende Bewasserung fuhrt, wenn die Versalzung toxisch fur Pflanzen wird , zu permanentem Verlust landwirtschaftlich nutzbarer Flache.
5.2.2 Kohlenstoff Etwa 0,1 % der Masse der Erde besteht aus Kohlenstoff (C) . Ursprunglich kam der gesamte Kohlenstoff als Kohlendioxid (COz), Kohlenmonoxid (CO) oder Methan (CH 4 ) aus dem Erdinneren. Auch heute noch erfolgt eine Kohlenstoffzufuhr aus tieferen Erdschichten durch Vulkanismus und mineralreiche Quellen. Im Rahmen des geochemischen Stoftkreislaufs wurde der groBte Teil des COz im Wasser der Weltmeere als Kohlensaure gelost. Diese lost Calciumion en aus dem Boden, sodass Carbonat gebildet wird:
COz + Hp
~
H+ + HCO; (Kohlensaure)
Ca z+ + 2 HCO; ~ COz + Hp + CaC03 (Calciumcarbonat)
(5.6)
(5.7)
5.2 Stofffluss
Durch die Evolution der Organismen wurde der rein anorganische Kreislauf des Kohlenstoffs intensiviert, denn durch die Photosynthese (S. 8) wird Kohlenstoff aus dem CO 2 der Atmosphare als organische Biomasse fixiert und durch die Respiration als Gas wieder frei. Dieser biologische Teildes Kohlenstoftkreislaufs ist also primar ein Gaskreislauf. Der Kohlenstoftkreislauf ist gemeinsam mit dem Wasserkreislauf der bedeutendste Kreislauf fur die Erde. Viele limnische und marine Organismen (z. B.Algen, Foraminiferen, Korallen, Bryozoen , Muscheln) entziehen dem Wasser Carbonat und tragen mit ihrem Absterben zur Bildung gewaltiger kalkreicher Sedimente bei. Das wasserunlosliche Calciumcarbonat ist in vielen Mineralien (z. B. Kreide, Kalkstein, Marmor) enthalten und weit verbreitet. Als Sedimentschicht liegen diese Verbindungen heute in vielen durch geologische Prozesse aufgefalteten Gebirgszugen (z. B.Alpen, Pyrenaen, Kaukasus, Himalaja) vor. Bei unvollstandigem bzw. fehlendem biologischen Abbau von Biomasse wird dem atrnospharischen Kreislauf Kohlenstoff entzogen und bildet inerte Depots (Senken, sinks). Im Karbon, das vor 350 Millionen Iahren begann, baute sich die in den damaligen Feuchtgebieten uppig nachwachsende Biomasse unter Wasser, d. h. unter Luftabschluss, nur langsam aboIn grofserer Tiefe kam es durch Temperatur- und Druckanstieg zur Vertorfung und Verkohlung, d. h. der prozentuale Anteil an Wasser, fluchtigen Bestandteilen, Wasserstoff und Sauerstoff nahm ab, der an Kohlenstoff nahm zu. Das hierdurch entstandene Gemisch aus Kohlenstoffverbindungen und mineralischen Anteilen stellte ein Kohlenstoffdepot dar, welches dem direkten Kreislauf entzogen war. Steinkohle ist meist 80-320 Millionen Jahre, Braunkohle 20-60 Millionen Jahre alt (Osteroth 1989). Erdol entstand durch die Ablagerung von Mikroorganismen in Binnenseen und flachen Randmeeren vor 100-500 Millionen [ahren und ein hiermit gekoppelter Prozess bildete Erdgas. Wegen ihrer heutigen energetischen Nutzung fasst man diese Kohlenstoffverbindungen als fossiIe Energietrager zusammen. Unter den biogenen Elementen ist Kohlenstoff das mit Abstand vielseitigste Element, und es kommt in allen Kompartimenten der Erde vor ( ~Tab. 5.1). Kohlenstoff findet sich in der Biomasse als organische Kohlenstoffverbindung und in der Luft als gasformige Verbindung (vor allem COl) ' C0 2 liegt im Wasser zu weniger als 1 % als Kohlensaure vor, vielmehr dissoziiert es pH -abhangig zu Hydrogencarbonat und H+lonen. CO 2 + Hp H 2C0 3 HCO ;
¢:}
¢:}
¢:}
H lC0 3 (Kohlensaure) (vorherrschend bei pH 4)
W + HCO; (Hydrogencarbonat) (vorherrschend bei pH 8) H+ + CO; - (vorherrschend bei pH 12)
(5.8) (5.9) (5.10)
Diese verschiedenen Formen von gelostem anorganischen Kohlenstoff in Gewassern bezeichnet man als DIC (dissolved inorganiccarbon). Im Unterschied hierzu werden die gelosten organischen Verbindungen, die zumeist durch Abbau toter Biomasse entstehen, als DOC (dissolved organic carbon) bezeichnet. Die Verweildauer von DOC kann im Wasser Jahrhunderte betragen.
229
230
5 Okosysteme
Tabelle 5.1: Globale Stoffflusse und Vorrate von Kohlenstoff (10 15 9 C a') sowie Angaben der jahrffchen Veranderung . Erganzt nach Schlesinger (1997) . Bereich Land
Fluss
Speicher Vorrat in derlebenden Vegetation Vorrat in anderen Organismen undtoter Biomasse Vorrat im Gestein Vorrat alsgewinnbare fossile Energietrager
600 ijahrlich -1) 1500 20000000 4000 ijahrlich -6)
Abgabe an dieAtmosphare durch Vegeta tion (Respiration)
60
Abgabe an dieAtmosphere vom Boden (Respiration)
60
Abgabe andieAtmospheredurch menschliche Aktivitat
6
Austrag durch Fliisse insMeer Meer
Vorrat als KohlendioxidlKohlensaure Vorrat als geloste organische Substanz Vorrat in der Biomasse
40000 ijahrlich +3) 3000 17
Abgabe an dieAtmosphare (Respiration)
90
Abgabe in das Sediment Atmosphere
Vorrat alsKohlendioxid Vorrat alsMethan Vorrat alsKohlenmonoxid Abgabe an die Landvegetation (Photosynthese) Abgabe an das Meer (Photosynthese)
0,1 760 ijahrlich+4) 6 0,2 120 92
Durch Exkretion von Organismen und durch den Abbau toter Biomasse entstehen sowohl niedermolekulare, leicht verfiigbare und (vor allem durch Mikroorganismen) schnell wieder aufnehmbare organische Verbindungen als auch hochmolekulare Humussubstanzen. Als Endprodukte des Abbaus pflanzlicher Substanz stellen diese ein Gemisch aus Fulvosauren, Humussauren und Huminstoffen dar, das von Mikroorganismen nur schwer verwertbar ist und daher nur langsam abgebaut wird . Wenn die Produktionsrate groBer als die Abbaurate ist (wie beispielsweise in der Tundra), kommt es durch Torfbildung zu einem Entzug der Biomasse aus dem aktiven Stofffluss, sodass diese Stoffe fur Millionen Jahre nicht mehr verfugbar sind. Obwohl es einen intensiven Austausch zwischen den meisten Bereichen der Biosphare gibt und etwa so vie! Kohlenstoff durch Respiration freigesetzt wird, wie durch Photosynthese fixiert wird, ist der Kohlenstoffhaushalt der Erde in geologischen Zeitraumen nie vollig ausgeglichen gewesen. Geringfugige Veranderungen der Kohlenstoffbilanz ergaben uber lange Zeitraume grofsere Schwankungen des COz-Gehalts der Atmosphare. Dieser hing vermutlich stark von der Temperatur der Weltmeere und globalen Strornungsverhaltnissen, von der GroBe des vereisten bzw. eisfreien Festlan-
5.2 5tofffluss
des und von der Starke des Vulkanismus aboIn der Kreidezeit (vor 100 Millionen Iahren) war die COz-Konzentration der Atmosphare vier- bis achtmal so hoch wie heute, gleichzeitig herrschte das warmste Klima aller Zeiten. Von einem fruhtertiaren Zwischenmaximum abgesehen ist dann der COz-Gehalt der Atrnosphare kontinuierlich auf etwa 250 ppm gegen Ende der letzten Eiszeit gesunken, urn mit der Industrialisierung wieder anzusteigen. Den Weltmeeren kommt eine wichtige Rolle als Kohlenstoffspeicher zu. COz der Luft lost sich im Rahmen eines komplexen Gleichgewichts im Wasser und kann als Carbonat sedimentieren. Hierdurch konnen die Ozeane als Kohlenstoffpumpe und der Meeresboden als Kohlenstoffsenke wirken. Ein Teil der zunehmenden atmospharischen COz-Belastung, die sich durch die anthropogene Veranderung des globalen Kohlenstoffkreislaufs ergibt, kann somit reduziert werden; allerdings ist es schwierig, dies zu quantifizieren. Vor allem durch die Nutzung fossiler Energietrager greift der Mensch in den globalen Kohlenstoffhaushalt ein, denn Kohlenstoff, der seit Millionen Iahren nicht mehr in der Atmosphare war, wird als COz frei. Als weitere Ursache fur den COz-Anstieg in der Atmosphare gelten die Rodungen der Tropenwalder, die den aktuellen Biomassespeicher reduzieren, die zukunftige COz-Aufnahme verringem und das in den Waldern gebundene COz freisetzen. Beide Prozesse fuhren zu einem kontinuierlichen Anstieg des COz-Gehalts der Atmosphare. Mit Beginn der Industrialisierung 1750 betrug der COz-Gehalt knapp 280 ppm, 1950 waren es 310 ppm, 2006 wurde bei jahrlichen Zuwachsraten von 1,5 ppm 380 ppm erreicht. Dieser jahrliche Zuwachs entspricht sechs bis sieben Milliarden Tonnen Kohlenstoff, von denen funf Milliarden aus der Verbrennung fossiler Energietrager und eine Milliarde aus der veranderten Landnutzung stammen. Wenn dieser Trend anhalt, wird Ende des 21. Jahrhunderts eine Verdopplung des COz-Gehalts der Atmosphere auf etwa 700 ppm erreicht sein C ~ Kasten 5.1). Obwohl der jahrliche Zuwachs nur 6 % der 100 Milliarden Tonnen Kohlenstoff ausmacht, welche die Biosphare jahrlich durch Respiration freisetzt, ergeben sich hierdurch problematische Auswirkungen auf Klima und Biosphere. Etwa 45 % der einfallenden Sonnenstrahlung werden an der Erdoberflache absorbiert und in langwellige Strahlung umgewandelt, die die Atrnosphare erwarrnt, d. h. die Atmosphare wirkt als Strahlungsfalle. Die Absorption hangt von den Gasen ab, die die langwellige Strahlung absorbieren und Treibhausgase genannt werden. Das wichtigste ist Wasserdampf, gefolgt von Kohlendioxid und Methan. Ohne diesen Treibhauseffekt lage die Durchschnittstemperatur der bodennahen Luftschichten bei -18°C und nicht wie jetzt bei ca. +15°C. Eine Zunahme der Konzentration dieser Gase fuhrt daher zu einer Erwarrnung der Erdatmosphare. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist wegen der anthropogen bedingten Zunahme der Konzentration von COz (und CH 4 sowie einiger anderer Treibhausgase) eine Zunahme der Durchschnittstemperaturen zu verzeichnen ( ~Abb. 5.9). 1m 20. Iahrhundert nahm die globale Jahresmitteltemperatur durchschnittlich urn 0,6 °C zu, in Europa aufgrund der groBen regionalen Unterschiede sogar urn 0,8 "C. Gebieten mit starker Erwarrnung (z. B. Arktis, Zentralasien) stehen solche mit gleichbleibender Durchschnittstemperatur (z. B. Teile der Antarktis) gegenuber. Vor allcm die letzten
drei Jahrzehnte brachten in Europa eine fur das letzte Jahrtausend einmalige Erwar-
231
232
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5 Okosysterne
Kasten 5.1 Den CO 2-Anstieg in der Atmosphere bremsen Der Anstieg des CO2-Gehalts der Atmosphere spiegelt eine vergleichsweise primitive Nutzung fossiler Energietrager durch Verbrennen wider. Zu den zahlreichen Alternativen qehoren eine effizientere Energienutzung und die vorrangige Behandlung von erneuerbaren Energien. Nach wie vor wird der gro13te Teil der nutzbaren Energie ver schwendet und alternative Moqlichkeiten werden kaum genutzt. Das CO2 der Atmosphere kann zudem durch Aufforstungen deutlich reduziert werden . Das Kyoto -Protokoll von 1997 regelt die landerspezifische Senkung der Emission von Treib hausgasen bis 2012 um 5 % unter das Niveau von
1990, Deutschland verpflichtete sich fur eine Reduktion um 21 %, die EU um 8 %. Mit der Unterzeichnung durch Russland trat das Kyoto-Protokolls 2005 in Kraft und Ende 2006 hatten es aile Staaten der We lt auBer Australien, Serbien, Somal ia, Tschad, die USA und Simbabwe ratifiziert. Das Kyoto-Protokoll wird sein Ziel nicht erreichen, denn fur 2010 werden 11 % hohere Emissionen als 1990 erwartet. Dennoch ist es ein grosser Erfolg, weil es der erste globale Versuch ist, die klimarelevanten Emissionen zu reduzieren . Inzwischen sind Verhandlungen uber Nachfolgeregelungen angelaufen.
mung, und das letzte Iahrzehnt des 20. Jahrhunderts war das warmste des Iahrtausends . Die Nachte sind seit 1950 urn 0,2 °CIDekade warmer geworden und die frostfreie Zeit in den hoheren Breiten wurde langer, Das Fruhjahr beginnt heute fruher, der Herbst spater und die Wachstumsperiode ist urn ca. zehn Tage verlangert. Extreme Froste sind seltener geworden und in den tropisehen Hochgebirgen stieg die 0 °C_Isotherme seit 1970 urn 150 man. Der aktuelle Klimawandel wird sich fortsetzen und die Modelle sagen eine weitere globale Erwarrnung im 21. Jahrhundert voraus; urn 2100 mit Temperaturen, die etwa 3°C tiber denen von 2000 liegen werden ( ~Abb. 5.9). In Europa ist im Mittelmeerraum und im Nordosten ein warmeres Klima zu erwarten, weniger entlang der Atlantikkuste. Es wird allgemein feuehter und die Niederschlage werden in vielen Teilen der Erde zunehmen, in Europa vor allem im Norden (IPCC 2007) . Der Meeresspiegel ist im 20. Jahrhundert wegen der thermisehen Expan sion des Meerwas sers bereits urn 18 em gestiegen und wird im 21. Jahrhundert urn weitere 80 em steigen . Flaehe Inseln
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5.9 Durchschnittliche Temperatur der Erdoberflache als gemessene Temperaturdaten 1900-2000 und als berechnete Szenarien von 2000-2100. Die drei oberen Szenarien (A2, A1 und 81) gehen von unterschiedlichen Annahmen aus, das Szenario 2000 nimmt an, dass es nach 2000 zu keiner weiteren Erhohung der Emission von Treibhausgasen kommt (was nicht der Fall ist), Nach (PCC (2007).
5.2 Stofffluss
wie die Malediven, Kustenlander wie Bangladesch und Holland oder viele Kustenstadte wie Bangkok und Dakka sind hierdurch ernsthaft gefahrdet. Auf dem Land hat sich die Erwarrnung besonders auf die vereisten Gebiete ausgewirkt und die schneebedeckte Plache der Erde hat urn 10 % abgenommen. In den Alpen verloren die Gletscher in 150 Iahren 50 % ihres Volumens und werden Ende dieses Iahrhunderts mit wenigen Ausnahmen verschwunden sein. Perrnafrostboden werden auftauen und instabile Bodenverhaltnisse werden vor allem im Gebirge zunehmen. Durch die Klimaveranderung werden vor allem im Norden und in den mittleren Breiten Vegetationsveranderungen auftreten. In Europa konnen immergriine Walder vom Siidwesten vordringen, laubabwerfende Walder expandieren von Mitteleuropa nach Osten und Norden, einige Gebiete (pannonisches Tiefland, ostliches Harzvorland) konnen versteppen, im Norden verliert die Tundra Teile ihres Areals. Daneben wird es aber auch stabile Zonen ohne wesentliche Veranderungen geben, hierzu zahlen die Tropen und manche Regionen Mitteleuropas. Durch diese Veranderung der Lebensraume werden viele Arten aussterben. Endemiten oder Reliktarten besiedeln oft nur sehr kleine Areale und sind stenok, d. h. sie konnen von expandierenden Arten leicht verdrangt werden. Besonders anfallig sind Arten aufInseln und der Hochgebirge. Beispielsweisebetragt der Anteil alpiner Pflanzenarten an der europaischen Flora fast ein Viertel (ca. 2 500 Arten) (Vare et al. 2003), die alpinen Zonen in Europa entsprechen aber nur 3 % der Gesamtflache des Kontinents. In der Sierra Nevada in Spanien, im Sudural, in den Bergen Kretas und Sudgriechenlands sowic Teilen der Alpen ist daher mit starkem Artenverlust zu rechnen (Pauli et al. 2001). Viele Tiere sind mobil und konnen ungiinstige Habitate vermeiden bzw. geeignete aktiv aufsuchen, sie reagieren daher rasch. Das Fehlen geeigneter Habitate bzw. der Verlust von Futterpflanzen fuhren allerdings auch bei Tieren zum Aussterben von Populationen. Fiir 58 europaische und amerikanische Schmetterlingsarten wurde nachgewiesen, dass diese im 20. Jahrhundert ihr Areal urn 35-200 km nach Norden verlagerten, was etwa der klimabedingten Verschiebung entsprach (Parmesan 2001), einzelne Arten verloren jedoch Lebensraume im Suden oder in Hochlagen, ohne neue zu gewinnen. Wahrend die Verbreitung vieler gebietsfremder Arten vor allem durch die Globalisierung gefordert wird, sorgt der Klimawandel dafur, dass sie immer mehr geeignete Lebensraume finden und sich in Europa ausbreiten konnen. Spektakular ist die Ausbreitung von einigen Pflanzen in den wintermilden Lagen urn die Alpen (Walther et al. 2001), in denen sich inzwischen der Kampferbaum (Cinnamomum camphora) aus dem Himalaja, Kirschlorbeer (Prunus laurocerasus) aus Kleinasien und die Hanfpalme (Trachycarpus fortunei) aus Ostasien wie heimische Arten verhalten (Laurophyllisierung). Es wird allgemein angenommen, dass der Druck durch land- und forstwirtschaftliche Schadorganismen (etwa Schwammspinner Lymantria dispar) bzw. von Parasiten und Krankheitserreger (etwa die Erreger von Malaria und DengueFieber) zunehmen wird, auch wenn die Datenlage hierzu noch unbefriedigend ist.
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5.2.3 Stickstoff Die Atrnosphare enthalt 78 % molekularen Stickstoff (N z), der fur die meisten Organismen nieht direkt nutzbar ist, sondern in Nitrat oder Ammonium umgewandelt werden mus s. Zwar oxidieren Blitze und Feuer N z (dies entspricht einem Eintrag von bis zu 5 kg N ha! a-I in die Biosphare), der Haupteintrag erfolgt aber durch Mikroorganismen. Fur die Biosphare sind drei grofse Stickstoffspeicher von Bedeutung, die durch Mikroorganismen verbun den sind: Atmosphare, lebende und tote Biomasse (inklusive Humus, Sediment und Boden) ( ~Tab. 5.2). Fur keinen Bioelementkreislauf sind daher Mikroorganismen so wichtig wie fur den Stickstoffkreislauf ( j-Abb. 5.10). Sie setzen Stickstoffverbindungen hauptsachlich auf drei verschiedenen Ebenen urn. 1. Stickstofffixierung. Mikroorganismen nehmen den molekularen Stiekstoff aus der Atmosphare auf und bilden NH;, zum Teil auch NO) . Hierzu sind verschiedene Gruppen von Prokaryoten in der Lage: • Freilebende Bodenbakterien wie Azotobacter chroococcum (aerob) und Clostridium pasteurianum (anaerob), beide in gemafsigten Gebieten, oder Beijerinckia in den Tropen . • Symbiontische Knollchenbakterien wie Rhizobiumleguminosarum (mit Fabaceae), weit verbreitet bei tropischen Pflanzen. • Cyanobakterien (Anabaena, Nostoc, Calothrix, Mastigocladus), oft symbiontisch in Pilzen, Flechten, Moosen und Farnen. Der Wasserfarn Azolia enthalt Anabaena azoliae in Hohlraumen der Blatter. Da Azolia in Reisfeldern sehr haufig ist, tragt er mit seiner Stiekstofffixierung so viel ein, dass auch bei drei Ernten keine Dungung erforderlich ist. Auch die vor allern im tropischen Regenwald auf Blattern langlebi-
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