Jonathan Lethem
KNARRE MIT BEGLEITMUSIK Roman Aus dem Amerikanischen von BIGGY WINTER Deutsche Erstausgabe WILHELM HEY...
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Jonathan Lethem
KNARRE MIT BEGLEITMUSIK Roman Aus dem Amerikanischen von BIGGY WINTER Deutsche Erstausgabe WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN
HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY Band 06/5928 Titel der amerikanischen Originalausgabe GUN, WITH OCCASIONAL MUSIC Deutsche Übersetzung von Biggy Winter Das Umschlagbild ist von Michael Koelsch Redaktion: Wolfgang Jeschke Copyright © 1994 by Jonathan Lethem Amerikanische Erstausgabe by Harcourt Brace & Company, Orlando Mit freundlicher Genehmigung des Autors und The Marsh Agency, London Copyright © 1998 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Printed in Germany Mai 1998 Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München Technische Betreuung: M. Spinola Satz: Schaber Datentechnik, Wels Druck und Bindung: Presse-Druck, Augsburg ISBN 3-453-13320-X
INHALT
ERSTER TEIL ZWEITER TEIL Sechs Jahre später
Es war überhaupt nichts dabei. Super Chief war pünktlich, wie fast immer, und das Objekt
so
leicht
auszumachen
wie
ein
Känguruh im Smoking. RAYMOND CHANDLER
Kapitel 1 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Ehrenwort, es war da, als ich aufwachte. Das Gefühl. Und zwar zwei Wochen, nachdem ich aus meinem letzten Fall, dem Job im Auftrag von Maynard Stanhunt, ausgestiegen war. Das Gefühl war schon da, bevor ich noch die musikalische Umsetzung der Nachrichten aus meinem Nachttischradio vernommen hatte, doch es waren die Musiknachrichten, die die Bestätigung brachten: Ich hatte wieder Arbeit vor mir. Ich würde einen Fall bekommen. Durch das chorartige Arrangement stocherten sich Geigen mit Serien ansteigender Läufe, die nie ein Ende finden wollten, nie einen Höhepunkt erreichten, sondern bloß verklangen und durch neue von derselben Sorte ersetzt wurden. Es war ein Ton der Besorgnis; es betraf etwas Persönliches und Tragisches; Selbstmord oder Mord; eher nichts Politisches. Genau die Art von Musiknachrichten, die mich die Ohren spitzen läßt. Morde werden kaum mehr veröffentlicht. Für gewöhnlich ist das etwas, das man zwischen zwei Drinks abends in der Kneipe hört
oder man stößt anläßlich eines
Falles, den man bearbeitet, darauf, und dann ist man selbst die Stimme an der Theke, die eine Mordgeschichte zum besten gibt, und das Publikum hat Angst, sie zu glauben.
Die Geigen ließen mir keine Ruhe. Die Geigen sagten mir, ich sollte an diesem Morgen aufstehen und in mein Büro gehen. Sie sagten, daß da draußen so was wie ein Fall wartete. Sie verursachten meiner Brieftasche Herzklopfen. Also duschte und rasierte ich mich, kratzte mir mit der Bürste das Zahnfleisch blutig und stolperte in die Küche, um die Wunden mit kochendheißem Kaffee auszubrennen. Doch da lag noch der Spiegel, und die dicken, nur zur Hälfte geschnupften Straßen meiner Mischung streckten sich quer darüber wie weiße Gummifinger. Ich nahm die Rasierklinge
und
schob
den
Stoff
zurück
in
das
Wachspapiertütchen, ehe ich den Spiegel an meinem Ärmel sauberwischte. Und dann machte ich Kaffee. Langsam. Als ich damit fertig war, neigte sich der Vormittag fast seinem Ende zu, aber ich ging trotzdem ins Büro. Mein Wartezimmer teilte ich mir mit einem Zahnarzt. Ursprünglich sollte die Wohnung zwei Psychoanalytiker beherbergen,
deren
Kundschaften
vermutlich
besser
zueinander gepaßt hätten als die des Zahnarztes und die meine
damals, als alle noch wild darauf waren, anderen
Leuten ihre Probleme auf die Nase zu binden. Manchmal kam mir die Ironie der Sache zu Bewußtsein: daß nämlich die Psychiater zweifellos gehofft hatten, Kerle wie mich arbeitslos zu machen, und nun war s gerade umgekehrt. Ich persönlich könnte mir nicht vorstellen, all diese intimen Fragen zu beantworten. Ich bin zwar gewillt, das Tabu gegen das Stellen von Fragen zu brechen gewillt , es ist ja doch mein Beruf!
was heißt,
, aber wenn es ans
Beantworten geht, bin ich nicht anders als der Nächstbeste auch: Ich mag s nicht. Daran läßt sich nun mal nichts ändern. Ich fegte an den Mittagspatienten des Zahnarztes vorbei in mein Büro, wo ich mir den aufgestellten Kragen um- und das markige Grinsen ablegte. Ich war zwar seit fast einer Woche nicht dagewesen, aber der Raum hatte sich in der Zwischenzeit
überhaupt
nicht
verändert.
Die
Lampen
flackerten immer noch, und die Staubflusen unter den Möbeln rollten erschrocken davon, als ich die Tür aufriß. Der nasse Fleck an der Wand war nicht zu sehen, weil ich letzte Woche einen Stuhl davorgestellt hatte, aber das änderte nichts daran, daß ich wußte, er war dort. Ich hängte Hut und Jacke auf den buckligen Kleiderständer und setzte mich an den Schreibtisch. Erst einmal griff ich nach dem Telefon
nur um den
Amtston zu kontrollieren, dann legte ich es wieder hin: Amtston okay. Also stellte ich das Radio an, um die gesprochenen Nachrichten zu hören, falls es welche gab. Nur allzuoft sind die Dissonanzen der allerersten Berichte längst geglättet, wenn sie den verbalen Leuten in die Hände kommen, und dann bleibt einem nichts als dieses unbehagliche Gefühl, daß irgend etwas passiert ist irgendwo, irgendwann. Aber
diesmal
nicht.
Diesmal
kam
die
Nachricht:
Maynard Stanhunt, wohlhabender Arzt aus Oakland, in einem heruntergekommenen Motelzimmer, fünf Blocks von seiner
Praxis
entfernt,
erschossen
aufgefunden.
Der
Sprecher erwähnte die Namen der Inquisitoren, die den Fall untersuchen würden, fügte hinzu, daß Stanhunt von seiner Ehefrau getrennt gelebt hatte, und das war s. Hinterher suchte ich einen anderen Sender, weil ich hoffte, daß dort mehr darüber gebracht wurde, aber die Story war wohl nach der Aufhebung der morgendlichen Sperre für das gesprochene Wort der Aufmacher auf allen Wellenlängen, und nirgendwo gab es mehr davon. Meine Gefühle waren gemischt. Ich hatte nicht damit gerechnet, das Mordopfer zu kennen. Maynard Stanhunt war ein arroganter Mensch gewesen, ein reicher Doktor, der sich, passend zu seinem Haufen Kohle auf der Bank, einen
ordentlichen
Überschuß
an
Karmapunkten
angesammelt hatte, und das gab er einem ohne Unterlaß zu verstehen, wenngleich auf subtile Art und Weise. So fuhr er etwa einen ehrwürdigen Markenwagen statt des klobigen Einheitsmodells; er hatte eine schicke Praxis im California Building und dazu eine schicke platinblonde Ehefrau, die gelegentlich nachts nicht heimkam, so sagte er wenigstens. Vermutlich hätte ich den Kerl beneidet, wenn ich ihm nie begegnet wäre. Ich beneidete Stanhunt deswegen nicht, weil er sich sein Leben so rettungslos versaut hatte. Er war süchtig nach Forgettol. Man darf mich da nicht falsch verstehen, ich hänge ebensosehr am Stoff wie alle anderen, vielleicht sogar
noch
stärker,
aber
Stanhunt
verwendete
das
Vergessen, das ihm Forgettol bescherte, dazu, sein Leben zu zerlegen wie eine Weihnachtsgans. Ich fand das damals
heraus, als ich ihn eines Abends zu Hause anrief und er meinen Namen nicht mehr erkannte. Er klang keineswegs unzusammenhängend oder benommen
er wußte nur
einfach nicht, wer ich war oder weshalb ich anrief. Er hatte mir den Auftrag in seiner Praxis gegeben
vermutlich weil
ihn die Vorstellung anwiderte, ein schäbiger Privatinquisitor könnte mit seinen dreckigen Schuhen über die teuren Teppiche daheim latschen
, und nun wußte sein Abend-
Ich nicht mehr, wer ich war. Das war einigermaßen berechtigt. Ich sehe tatsächlich ein wenig verlottert aus, und ich denke, Maynard Stanhunt legte Wert auf ein sauberes Heim. Alles an Maynard Stanhunt wirkte sauber, bis auf den Job, für den er mich ausersehen hatte, nämlich seine Frau ordentlich durchzukneten und daraufhin nach Hause zu schicken. Natürlich rückte er damit nicht gleich heraus. Das tun sie nie. Ich befand mich bereits seit fast einer Woche in seinen Diensten ich annahm
in einem reinen Überwachungsjob, wie
, bevor er mir sagte, was er wirklich wollte.
Ich gab mir gar keine Mühe, ihm zu erklären, daß ich mich deshalb selbständig gemacht hatte, weil ich den Teil des Jobs, wo es darauf ankam, Leute zu tyrannisieren, ganz und gar nicht mochte. Ich weigerte mich einfach, es zu tun, und er feuerte mich
oder ich warf ihm den Krempel vor
die Füße, wie man will. Und nun hatte sich der goldene Junge doch tatsächlich um die Ecke bringen lassen! Zu schade. Ich wußte, der Umstand, daß ich für den Toten gearbeitet hatte, würde
mir einen Besuch von der Inquisitionsbehörde einbringen. Das freute mich zwar nicht gerade, jagte mir aber auch keine Angst ein. Der Besuch würde kurz und oberflächlich sein,
weil
die
Inquisitoren
vermutlich
bereits
einen
Verdächtigen im Auge hatten: Wenn sie nicht drauf und dran gewesen wären, den Fall mit einem siegreichen Tusch abzuschließen, hätten sie es nie zugelassen, daß darüber in den gesprochenen Nachrichten berichtet wurde. Aus demselben Grund wußte ich, daß dabei nichts für mich zu holen war. Zu schade. Die ganze Sache würde nur so wimmeln von Inquisitoren, und da blieb dann für gewöhnlich kein Platz für Jungs wie mich und ihre Arbeit vorausgesetzt, daß überhaupt ein Klient vorhanden war. Wahrscheinlich hatte man den Fall schon abgeschlossen, noch ehe er richtig eröffnet war, und der eine arme Teufel, der einen Klienten hätte abgeben können, war vermutlich schuldig bis über beide Ohren. Für Mord gab s einen ausgiebigen Aufenthalt im Froster, und der Kerl, den das Büro aufs Korn genommen hatte, stand wohl knapp vor seinem Gang in die Gefrierkammer. Es war nicht mein Problem. Ich kehrte zurück zu den Musiknachrichten.
Schon
wurde
die
Bevölkerung
mit
einlullenden Harfenklängen beruhigt, deren Septimen das Rumpeln einer Tuba begleitete, welches den unerbittlichen Lauf der Gerechtigkeit repräsentieren sollte. Ich senkte den Kopf auf den Schreibtisch und ließ mich davon in den Schlaf singen. Ich weiß nicht, wie lange ich schlief, aber was mich
aufweckte, war die Stimme des Zahnarztes. »Wachen Sie auf, Metcalf!« sagte er noch mal. »Im Wartezimmer sitzt ein Mann, der sich nicht für ein neues Gebiß interessiert!« Der Zahnarzt drehte sich auf dem Absatz herum, verschwand zur Tür hinaus und ließ mich allein mit meinem gefühllosen Kinn, das nach seiner kurzen, masochistischen Bekanntschaft mit der hölzernen Schreibtischplatte nach einer belebenden Massage verlangte.
Kapitel 2 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
»Mein Name ist Orton Angwine.«
Er war ein großer,
schüchtern wirkender Junge mit einer kleinen Stimme, die mich vermutlich nicht hätte wecken können. Dazu hätte er schon um den Schreibtisch herumgehen und mich an der Schulter schütteln müssen. Doch der Zahnarzt hatte ihm diese Mühe erspart, und so rieb ich mir schon die Triefaugen
und
sammelte
Spucke
in
meinem
ausgetrockneten Rachen, um mir den Mund für das bevorstehende Gespräch zu schmieren, als er vor mich hintrat und zusah, wie ich versuchte, mich wieder in den Griff zu bekommen. Als mir klar wurde, daß er es ohne Einladung nicht tun würde, bedeutete ich ihm, sich zu setzen, und dann betrachtete ich ihn genauer. Ich versuche oft, den momentanen Karma-Status einer Person zu erraten, noch ehe er zum erstenmal den Mund auftut, und bei diesem Jungen war ich rasch mit einer ziemlich niedrigen Einschätzung bei der Hand. Seine Augen waren
eingesunken,
das
sandfarbene
Haar
klebte
schweißnaß an der Stirn, und seine Unterlippe spannte sich eng
um
die
Zähne.
Er
konnte
nicht
viel
älter
als
fünfundzwanzig sein, aber offensichtlich lebte er bereits lange genug, um etliche Dinge zu bereuen. Er sah aus, als hätte er vor kurzer Zeit einen tiefen Fall getan, und die
Teile, aus denen er bestanden hatte, wären hinterher falsch zusammengesetzt worden; nun war er ein ganz anderer, eine verlorene Seele. Und ich schätzte, es war nicht mehr als ein, zwei Wochen her, daß sich dies zugetragen hatte. »Mein Name ist Orton Angwine«, wiederholte er mit einer Stimme, die sich anhörte, als hätte man bei der Wäsche zuviel Bleiche hineingetan. »Okay«, sagte ich. »Mein Name ist Conrad Metcalf, und ich bin Privatinquisitor. Das wußten Sie ja. Sie haben es irgendwo gelesen, und das hat Ihnen Hoffnung gemacht. Lassen Sie mich vorausschicken, daß es Sie siebenhundert Dollar pro Tag kosten wird, diese Hoffnung am Leben zu erhalten. Was Sie um diese Summe bekommen, wird in keinem Fall ein neuer Freund fürs Leben sein. Ich falle denen, die mich bezahlen, genauso auf die Nerven wie den Kerlen, auf die sie mich ansetzen. Und die meisten Leute verlassen mein Büro und wissen Dinge über sich selbst, die sie gar nicht wissen wollten nach
meiner
außer sie verlassen es gleich
Begrüßungsansprache.
Finden
Sie
allein
hinaus?« »Ich brauche Ihre Hilfe, und ich will gern dafür bezahlen«, stieß er hervor, als ich geendet hatte. »Sie sind meine letzte Chance!« »Das wußte ich bereits. Ich bin jedermanns letzte Chance. Wieviel Karma haben Sie noch übrig?« »Verzeihung.« Er lehnte sich zurück und legte die Beine übereinander. Das war die Standardreaktion. In einer Welt, in der es
als ungehörig galt, seinen Nächsten nach der Uhrzeit zu fragen, war ich die personifizierte Unverschämtheit und somit gewöhnt daran, mit derselben die Leute aus ihrem anfänglichen Unbehagen zu beuteln. So verdiente ich mir meinen Lebensunterhalt. Angwine hatte vermutlich noch nie zuvor eine direkte Frage beantwortet
mit Ausnahme
jener, die ihm das Inquisitionsbüro gestellt hatte. Das waren Fragen, die jedermann beantwortete. »Eines wollen wir klarstellen«, sagte ich. »Sie bezahlen mich dafür, Fragen zu stellen. Das ist der eigentliche Unterschied zwischen uns beiden: Ich stelle Fragen und Sie nicht. Und noch etwas: Ich benötige Ihre Mitarbeit. Sie können lügen, das tun die meisten Leute, und mich hinterher zum Teufel wünschen. Aber fangen Sie gar nicht an, bestürzte Kulleraugen zu machen. Und nun geben Sie mir Ihre Karte. Ich muß den gegenwärtigen Stand Ihres Karmas wissen.« Er war zu verzweifelt, um sich in wirkliche Empörung hineinzusteigern. Er faßte bloß in seine Jackentasche und schob mir die Plastikkarte über den Schreibtisch. Als ich sie durch meinen Taschendecoder zog, vermied er meinen Blick. Sie war leer. Der Magnetstreifen auf seiner Karte war komplett gelöscht. Der Junge stand auf Null; das hieß, er war ein toter Mann. Ich nahm an, er wußte das. Wenn die Inquisitionsbehörde deine Karte auf Null setzte, hieß das, du durftest dich nicht dabei erwischen lassen, die Tür einer öffentlichen Bedürfnisanstalt laut
zuzuschlagen, ohne daß dein Karma-Status ins Negative absank. Das Klappern dieser Tür wäre der letzte Ton gewesen, den man für lange, lange Zeit von dir zu hören bekommen hätte
oder vielleicht sogar für immer. Ich
hatte seit geraumer Zeit kaum mehr eine Karte auf Null gesehen, und wenn, dann in den zitternden Händen eines Menschen, der mit Pauken und Trompeten in die Bredouille geschlittert war. Pure Formalität. Es hieß nichts anderes, als daß das Bündel, das sie gegen dich zusammengetragen hatten, fertig geschnürt war und du dich noch ein, zwei Tage frei auf den Straßen herumtreiben durftest, eine wandelnde Werbetrommel für das System. Da konntest du dich noch so sehr bemühen, deinen Karma-Status hochzuhieven, indem du alten blinden Geißen über die Straße halfst, oder dich, ganz im Gegensatz dazu, in eine Bar verfrachten und blödsaufen
es machte keinen Unterschied; zwischen dir
und dem Rest deines Lebens stand eine schwere Eisentür, und alles, was du tun konntest, war zusehen, wie sie ins Schloß fiel. Ich schob die Karte zurück. »Sie stecken tief drin«, sagte ich und gab meiner Stimme einen etwas weicheren Klang. »Für gewöhnlich bin ich keine große Hilfe mehr, wenn es einmal soweit ist.« Das wenigste, was ich für ihn tun konnte, war ehrlich sein. »Ich möchte, daß Sie es versuchen!« sagte er mit flehendem Blick. »Na gut, ich habe gerade nichts Besseres zu tun«, sagte
ich. Nichts Besseres, als einem wandelnden Leichnam das Geld aus der Tasche zu ziehen. »Aber wir müssen rasch handeln. Ich werde Ihnen jetzt Fragen stellen, eine nach der anderen und wahrscheinlich mehr, als man Ihnen in Ihrem ganzen Leben gestellt hat, aber ich brauche eine offene Antwort auf jede einzelne davon. Was sollen Sie denn nun eigentlich angestellt haben?« »Beim Inquisitionsbüro behauptet man, ich hätte einen Mann namens Maynard Stanhunt getötet.« Ich fühlte mich dämlich. Die Nachrichten hatten mich dazu gebracht, in meiner Phantasie das Bild eines Mannes zu formen, der, ob zu Recht oder zu Unrecht, auf dem Weg in die Gefrierkammer war, um das Büro gut aussehen zu lassen. Und als der Kerl dann vor meinem Schreibtisch stand, erkannte ich ihn nicht wieder. »Vergessen Sie s«, sagte ich. »Hier
geht auf meine
Rechnung.« Ich öffnete die Schreibtischlade, nahm das Briefchen heraus und schob es ihm hinüber. Es enthielt eine Kostprobe meiner eigenen Mischung die
ich
persönlich
einem
Mann,
der
eine Mischung, vom
Schicksal
geschlagen war, nur empfehlen konnte. »Nehmen Sie den Stoff und verschwinden Sie. Nichts, was ich tun könnte, würde für Sie irgend etwas ändern. Wenn ich beim Stanhunt-Fall auch nur einen Finger rühre, begehen wir beide Selbstmord, wie ein Liebespaar, das gemeinsam von der Brücke springt. Ich habe vor kurzem für Stanhunt gearbeitet, und schon
ohne Ihr Zutun wird es
mir
schwerfallen, mir das Inquisitionsbüro vom Leib zu halten.
Nein, danke; innigsten Dank.« Ich holte eine Rasierklinge hervor und ließ sie neben das Päckchen fallen. Angwine machte keine Anstalten, sie zu ergreifen. Er saß bloß da, wirkte niedergeschlagen und bestürzt und mit jeder Minute jünger. Ich machte eine Handbewegung, die ihm bedeuten sollte, daß die Sache für mich erledigt war. Dann griff ich selbst nach dem Briefchen; wenn er es nicht brauchte, dann brauchte ich es. Ich schüttelte das Pulver schlampig auf dem Tisch aus und schob es mit der Klinge zusammen, ohne mich im geringsten
darum
vergeudete,
weil
zu es
kümmern, in
den
wieviel
Ritzen
davon
der
ich
hölzernen
Schreibtischplatte verschwand. Angwine erhob sich und schleppte sich schweren Schrittes aus meinem Büro. Ich erwartete, daß er die Tür hinter sich zuschlug, aber das tat er nicht. Vielleicht hielt er mich für einen echten Inquisitor, nicht nur für einen P.I. und dachte, ich würde ihn dafür bestrafen. Das verstand ich. Der Junge hatte kein Karma mehr, das er für dramatische Abgänge erübrigen konnte. Meine Mischung bestand zum größten Teil aus Akzeptol (um mich mit allem im Leben abzufinden), dazu aus einer Prise Regrettol (für den bittersüßen Beigeschmack aus schmerzlichem Bedauern) und genug Addiktol, um selbst in meinen dunkelsten Momenten scharf darauf zu sein. Ich schnupfte eine
Straße durch
eine zusammengedrehte
Hundertdollarnote auf und spürte fast augenblicklich den Effekt.
Guter
Stoff.
Ich
hatte
jahrelang
mit
meiner
Mischung herumexperimentiert, aber als ich auf dieses
spezielle Verhältnis gestoßen war, wußte ich, daß ich damit meine magische Formel gefunden hatte, meinen Gral. Er sorgte dafür, daß ich mich so fühlte, wie ich mich fühlen wollte. Besser. Zumindest für gewöhnlich. In meiner Branche konnte ich es mir nicht leisten, viel Forgettol zu schnupfen, und so ging ich auf Nummer Sicher und schnupfte gar keins. Doch dieses eine Mal hätte ich welches vertragen können, denn die Angwine-Episode lag mir schwer im Magen. Ich glaube nicht, daß man es schlechtes Gewissen nennen konnte, es war bloß dieses nagende Gefühl, daß ich, ein Kerl, der sich als jedermanns letzte Chance verkaufte, diesen Bluff nicht einmal mehr vor mir selbst aufrechterhalten konnte. Ich war nichts als ein weiterer, ganz gewöhnlicher Inquisitor, der vor Angwines Misere die Augen verschloß; und dabei machte es keinen Unterschied, daß ich es privat machte, statt für das Amt zu arbeiten. Und wenn man nicht Teil der Lösung ist, dann ist man Teil des Problems, richtig? Ich schnupfte noch eine Straße und seufzte. Es war mehr als bloße Dummheit, sich in den Stanhunt-Mord hineinziehen zu lassen. Dennoch nahm dieses Gefühl der Unvermeidlichkeit von mir Besitz, das mich immer am Beginn eines neuen Falles überkommt. Ich war mit diesem Gefühl aufgewacht, und seither hatte es mich nicht wieder verlassen. Wenn du jung bist, denkst du, sich zu verlieben ist
gleichbedeutend
damit,
einem
schönen
fremden
Mädchen zu begegnen. So ähnlich war das Gefühl gewesen,
das ich bei den musikalischen Nachrichten gehabt hatte. Doch plötzlich, aus heiterem Himmel, entbrennst du bis über beide Ohren in Liebe zur kleinen Schwester deines besten Freundes, zu dem Mädchen, das immerzu da war und das dich, noch schlimmer, schon in einigen deiner miesesten Momente erlebt hat. So ungefähr verhielt es sich mit meinem neuen Fall. Ich wischte den Schreibtisch mit dem Ärmel ab, griff nach Hut und Jacke und ging.
Kapitel 3 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Maynard
Stanhunts
Praxis
befand
sich
im
California
Building an der Vierten Straße, nahe der Bucht. Ich fuhr hin und stellte meinen Wagen auf Stanhunts Parkplatz ab; er würde ihn ohnedies nicht mehr brauchen. Dann ging ich in die Eingangshalle und wartete auf den Lift. Alles im Innern des Gebäudes sah genauso aus wie beim letztenmal aber der Mord war ja auch nicht im California verübt worden. Zusammen mit einer evolvierten Sau fuhr ich nach oben. Sie trug ein geblümtes Kleid und ein Käppchen, aber sie roch immer noch nach Stall. Sie lächelte mir zu, und ich lächelte gequält zurück, und dann stieg sie im vierten Stock aus. Ich verließ den Aufzug im siebenten und drückte die Klingel an der Tür der Praxis von Testafer und Stanhunt, Fachärzte für Urologie. Während ich wartete, machte ich mir Gedanken über die Ironien des Lebens. Als zwei Wochen zuvor diese Tür hinter mir zugefallen war, hatte ich nicht damit gerechnet, je wieder den Fuß in die Räume dahinter zu setzen, oder zumindest erst dann, wenn ich Probleme mit der Prostata bekam. Der Summer ertönte, und ich trat ein. Das Wartezimmer war leer, bis auf einen Kerl mit einem ordentlichen geraden Haarschnitt; er hatte einen adretten
Anzug an und konnte vom Inquisitionsbüro sein oder auch nicht. Ich zog beide Möglichkeiten in Betracht und schob die endgültige Beurteilung auf. Er sah kurz hoch, als ich eintrat, und senkte den Blick umgehend wieder auf sein Magazin. Ich schloß die Tür. Der Empfangsschalter war unbesetzt, also ließ ich mich gegenüber von Mister Anzug auf dem Sofa nieder. Testafer und Stanhunt stellten, wie alle Ärzte, die sich mit Problemen intimerer Natur befaßten, ihren Patienten für
eine
durchschnittliche
Behandlung
und
einen
ausgesprochen gleichgültigen Empfang exorbitante Beträge in Rechnung. Aber die Kunden waren froh, ohne Aufsehen in die Praxis hinein- und auch wieder hinauszukommen, und dankbar, daß alles soweit sauber schien und ihre Beschwerden vergingen. Stanhunt war der Neue hier oder war es zumindest bis gestern gewesen. Testafer hatte bereits
seinen
Batzen
beiseitegebracht,
den
Laden
Stanhunt übergeben und nur sein Messingschild an der Tür gelassen. vermutlich
Aber nicht
sein
engeres
wesentlich
Fachgebiet von
dem
hatte
sich
Stanhunts
unterschieden: radikale Beutelschneiderei. Ich war schon sechs oder siebenmal in der Praxis gewesen, ohne mit Testafer zusammenzutreffen, aber wenn es jetzt irgend jemandem gelingen sollte, ein Wörtchen mit ihm zu reden, dann mir. Eine Tür ging auf, und die Schwester kam heraus
eine
Rothaarige mit einem Paar forscher Brüstchen, die es immer schafften, ein wenig zur Seite zu gucken, als würde
sie ihre Unterwäsche in einem Diskontladen für fehlerhafte Ware erstehen. Als sie mich wiedererkannte, zog sie die Mundwinkel nach unten. Mühsam grub ich ihren Namen aus den trüben Schwaden meiner Erinnerung aus, aber sie sprach, ehe ich ihn verwenden konnte. »Unmöglich, daß Sie hierherkommen auf der Suche nach weiterer Arbeit!« sagte sie. »So geschmacklos können Sie einfach nicht sein, und auch nicht so dumm. Beinahe, aber doch nicht ganz.« Sie war gut in ihrem Job, das mußte ich ihr zugestehen. »Ich hätte nie gedacht, daß ich einen so häßlichen Eindruck bei Ihnen hinterlassen habe, Prinzessin. Eigentlich kam ich hierher auf der Suche nach einem freundlichen Gesicht; ich sehe, ich muß mich mit Doktor Testafer begnügen.« »Wenn ich Doktor Testafer sage, welchem Beruf Sie nachgehen, wird er mir sagen, ich soll Ihnen sagen, er sei nicht hier. Also: Er ist nicht hier.« »Sie sind ein wahrer Schatz, das muß man Ihnen lassen.
Und
jetzt
halten
Sie
Ausschau
nach
dem
Terminkalender.« »Wir haben für die nächsten achtundvierzig Stunden geschlossen. Ich nehme an, daß selbst Ihnen klar sein müßte, weshalb.« Ich beschloß, ihr ein wenig Feuer unter dem Hintern zu machen
oder zumindest den Versuch. »Sagen Sie
Testafer, ich möchte ihm das Material übergeben, das sich im Laufe meiner Arbeit für Maynard bei mir angesammelt
hat.«
Purer
Bluff.
»Ich
wollte
es
noch
ein
wenig
zurückhalten, aber das hat nun wohl keinen Sinn mehr.« »Sie werden « »Ich werde den Doktor um sechzehn Uhr dreißig sprechen, Baby. Notieren Sie es. Sagen Sie ihm, ich habe einen fürchterlichen Schmerz
hier.« Ich zeigte ihr die
Stelle mit der Hand. Zu
diesem
Aufmerksamkeit
Zeitpunkt von
Mister
hatten Anzug.
wir Er
bereits legte
die seine
Zeitschrift hin und stand auf, wobei er sich mit seiner großen, fleischigen Hand das Kinn massierte, als würde er das mögliche Aufeinandertreffen von Kinn und Hand im allgemeinen überlegen; im speziellen von meinem Kinn und seiner Hand. »Ich versuche die ganze Zeit, aus Ihnen schlau zu werden, Mister«, sagte er. »Ich halte Sie für reichlich ungehobelt.« Falls er wirklich ein Inquisitor war, dann gab er sich jedenfalls nicht dadurch zu erkennen, daß er eine Frage stellte. »Versuchen Sie nicht, aus mir schlau zu werden«, sagte ich. »Habe es selbst schon versucht. Funktioniert nicht.« »Dann rate ich Ihnen, nach Hause zu gehen und noch ein wenig daran zu arbeiten. Und kommen Sie vielleicht erst dann wieder, wenn Sie daraufgekommen sind, wie man sich entschuldigt. Nicht eher.« Sein großspuriges Auftreten verwunderte mich, denn seine Augen wurden von keinem Hauch Intelligenz getrübt. Ich hätte ihn gern als Inquisitor gesehen, aber ich war mir
immer noch nicht sicher. »Entschuldigungen
gehören
wohl
kaum
zu
jenen
spezifischen Aktivitäten, deren Übung man vor dem Spiegel zu
absolvieren
pflegt«,
erklärte
ich,
»aber
Ihrem
Gesichtsausdruck nach zu schließen wissen Sie ohnedies nicht, wovon ich rede.« Daran ließ ich ihn ein Weilchen würgen, was sichtlich seine Zeit dauern würde. »Notieren Sie es«, wiederholte ich, zur Schwester gewandt. »Ich werde pünktlich sein; sehen Sie zu, daß der Doktor informiert ist, damit er es auch sein kann.« Ich wandte mich dem Ausgang zu, denn ich zog es vor abzugehen, solange ich noch die Nase vorn hatte. Der Anzug machte keinen Versuch, mich aufzuhalten. Ich betrat den Fahrstuhl und spielte die Szene geistig noch mal ab, während ich zusah, wie die Knöpfchen eines nach dem anderen aufleuchteten. Mein goldener Charme war bei der Biene wiederum heftig zutage getreten, aber darüber zerbrach ich mir schon lange nicht mehr den Kopf. Ich befand mich in einem Dauerkrieg mit den Mitgliedern des schönen Geschlechts; das lag an dem, was man mir blutend und immer noch schlagend aus der Brust gerissen hatte. Mir war es lieber, sie verabscheuten mich, denn wenn sie mich mochten, gab es nicht viel, was ich dazu beitragen konnte. Ich war kein Mann mehr. Daran trug Delia Limetree Schuld, und ich würde es ihr nie vergeben. Nicht, daß sie je zurückgekommen wäre, um meine Vergebung zu erbitten.
Delia
Limetree
und
ich
hatten
uns
einer
dieser
Behandlungen von theoretisch zeitlich begrenzter Wirkung unterworfen, bei denen die Nervenenden von zwei Leuten vertauscht werden, so daß man Einblick bekommt, wie es ist, ein Mann zu sein, wenn man eine Frau ist, und eine Frau, wenn man ein Mann ist. Es hätte vergnüglich und interessant werden sollen. Das war es auch, bis sie verduftete, ehe wir die Operation rückgängig machen konnten. Sie hinterließ mir nicht einmal einen Abschiedsbrief. Ich habe nie erfahren, ob das Erlebnis, über einen Penis zu verfügen, sie so anwiderte, daß sie sich in ein Kloster oder eine Irrenanstalt zurückzog, oder ob ihr das so gefiel, daß sie es nicht wieder aufgeben mochte. Soweit ich wußte, verfügte sie bis dato über die männliche Anlage, und ich verfügte
nun, man kann sich vorstellen, was mir dann
blieb. Es sah zwar immer noch aus wie das männliche Gerät und funktionierte auch entsprechend, soweit es die andere Seite betraf, aber die Empfindungen auf meiner Seite waren die weiblichen. Um dem Abhilfe zu schaffen, boten mir die Ärzte immerzu das generelle maskuline Paket an,
doch
persönlichen
was
ich
wollte,
Nervenenden,
waren
meine
diejenigen,
eigenen,
welche
Delia
irgendwo da draußen gebrauchte oder nicht gebrauchte, was weiß ich. Eines Tages würde ich sie zu fassen kriegen und mir zurückholen, was mir gehörte, doch bis dahin hatte ich der ganzen Sache abgeschworen. Aber das war schon in Ordnung. Guter Stoff war mir ohnedies immer
schon lieber gewesen. Alles in allem hieß das, daß mir das Zwischenspiel da oben gar nicht übel gefallen hatte, und dabei ganz besonders die Art, wie ich mit Mister Anzug fertiggeworden war, und so fühlte ich mich recht gut, als ich unten in der Eingangshalle
ankam.
Und
in
ebendiesem
Augenblick
traten links und rechts zwei Kerle vom Inquisitionsbüro an mich heran und packten mich an den Armen. »Du solltest dich in deine Wohnung zurücktrollen, Schwachkopf«, sagte der Typ zu meiner Linken. »Wir schicken jemanden hin, der sich mit dir unterhalten wird. Bis dann bleib auf deinem Hintern hocken.« »Hierherzukommen war ein Fehler, Metcalf«, sagte der andere. Er zielte mit seinem Magneten auf meine Tasche, und ich hörte das verräterische digitale Piepsen. »Fünfzehn Karmapunkte, Schnüffler. Und jetzt kratz die Kurve.« Ich steckte die Hand in die Tasche und wickelte die Finger schützend um meine Karte. »Fünfzehn Punkte ist hart, Jungs. Ich habe eine Lizenz.« »Die hast du den Leuten da oben aber nicht gezeigt.« »Gehört der Knabe zu euch, Jungs? Gratuliere. Seine zwei Gehirnzellen geben ein hübsches Pärchen ab.« Der Rechte packte mich am Kragen und versuchte, mir ins Gesicht zu schlagen. Ich wich der Faust aus, was dazu führte, daß mir ein Maulvoll Handgelenk zwischen die Zähne fuhr. »Stell uns keine Fragen, Schwachkopf. Du solltest es besser wissen.« Sie stießen mich auf die Drehtür zu. »Hau ab!«
Ich stolperte durch die Drehtür, die Hand auf den Mund gepreßt. Ein evolvierter Dackel watschelte gerade durch die andere Hälfte der Tür, und als ich dem Glas einen Stoß versetzte, wurde er rascher, als ihn seine kurzen Beine tragen konnten, in die Eingangshalle katapultiert. Er fiel den beiden Inquisitoren direkt vor die Füße, und während ich
noch
hinsah,
halfen
sie
ihm
bereits
auf.
Eine
herzerwärmende kleine Szene. Ich ging um die Ecke zum Parkplatz. Der Mund tat mir weh, aber als ich meine Hand betrachtete, war sie bloß naß von Spucke, nicht von Blut. Bis zu meinem Termin bei Doktor Testafer blieben mir zwei Stunden; ich wußte nicht, was ich ihn fragen sollte. Ich hatte keine anderen Hinweise, und ich hatte keinen einzigen anderen Klienten. Was noch? Nun, es sah so aus, als würden die Inquisitoren zu Hause auf mich warten. Und vielleicht auch in meinem Büro. Na, wenigstens hatte ich es geschafft, diese lästigen fünfzehn entfernen
überzähligen
Punkte
von
meiner
Karte
zu
Kapitel 4 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Ursprünglich hatte Stanhunt mich ja angeheuert, um ein Auge auf sein Frauchen zu haben. Nun mußte ich mich langsam fragen, ob das nicht nur ein Vorwand gewesen war, ob meine Schnüffelei nicht bloß für irgend jemanden irgendwo ein Alibi schaffen sollte
ob Stanhunt mir nicht
den Part des gutgläubigen Trottels zugeschanzt hatte, noch ehe er von mir verlangte, für ihn den Schläger zu spielen. Wie auch immer, ich hatte eine Woche damit zugebracht, seiner schöneren Hälfte an den Fersen zu kleben, und das machte
mich
vermutlich
gegenwärtig
zum
einzigen
Sachverständigen auf diesem Gebiet. Und ich hatte mich entschieden, weiterzumachen. Sie und Stanhunt waren frisch getrennt gewesen, und es hatte nach wie vor elektrisierend zwischen den beiden geknistert
kurz zuvor, als Stanhunt noch in der Lage
gewesen war, jemanden zum Knistern zu bringen. Nun gab es einen Kurzschluß, und ich fragte mich, ob sich die Dame im Finstern anders benahm als früher. Ich fragte mich auch, ob vielleicht sie es war, die die Drähte durchschnitten hatte. Sie
hatte
bekommen
mich
nur
ein
einzigesmal
zu
Gesicht
als den Kerl, der sich in einer Bar an sie
heranmachte, Schnaps im Atem und eine schnelle Nummer
im Sinn. Stanhunt verdächtigte seine Ex, sich allzu heftig herumzutreiben, also dachte ich, ich würde das mal unter die Lupe nehmen. Und um die Anmache realistischer zu gestalten, waren sowohl Suff als auch Gelüste authentisch. Ich legte meine Rollen stets mit Methode an. Celeste Stanhunt war eine äußerst gutaussehende Frau, die noch gewann, wenn man bezahlt wurde, um in ihre Fenster zu gucken. Kurz gesagt, ich hatte es gar nicht nötig gehabt, sie im Geist auszuziehen. Das Problem, mit dem ich mich jetzt herumschlug, war, ob ich dort weitermachen sollte, wo ich zuletzt Spanner gespielt hatte, oder ob es nicht klüger wäre, einfach hinzugehen und an die Tür zu klopfen
was mir vom Typ
her nicht lag und sozusagen eine freiwillige Fehlbesetzung dargestellt hätte. Ich entschied mich dennoch für letzteres. Wenn sie mich wiedererkannte, konnte ich ihr immer noch reinen Wein einschenken und gestehen, daß ich für ihren Exgatten gearbeitet hatte; das mußte ohnedies früher oder später bei den Untersuchungen ans Tageslicht kommen. Also fuhr ich hinauf in die Hügel, durch ruhige Alleen mit viel Freiraum zwischen den Häusern. Für meinen Geschmack waren die Straßen ein wenig zu ruhig; mir wäre es lieber gewesen, wenn Kinder vor den Häusern gespielt hätten, gebrüllt und einander gejagt hätten vielleicht sogar mit harmlosen Fragen und harmlosen Repliken. So, wie es eben war, bevor uns die Babyköpfe ins Haus
standen,
bevor die
Wissenschafter
zur
Ansicht
kamen, es dauere zu lang, bis ein Kind erwachsen wurde,
und darangingen, den Vorgang zu beschleunigen. Und Doktor Twostrands Evolutionstherapie brachte die Lösung dafür
derselbe Prozeß, der es bereits ermöglichte, Tieren
den aufrechten Gang und die Sprache zu geben. Nun wandte man ihn bei den Kindern an, und die Babyköpfe waren das beglückende Resultat. Ein neuerlicher Triumph der modernen Wissenschaft, und obendrein noch hübsch ruhige Straßen. Celeste Stanhunt wohnte in einem großen Haus am Ende der Cranberry Street, wo hinter den Bäumen die Einschienenbahn in beinahe rechtem Winkel durch die Hügelkette schnitt. Das Haus hockte hoch oben auf dem Fels wie ein Raubvogel auf einem frischen Kadaver, und so war es weitaus einfacher, zur Vordertür zu spazieren, als rundum zur anderen Seite zu schleichen, um dort gute Sicht durchs Erkerfenster zu haben. Auf mein Klingeln hin öffnete mir die andere Frau die Tür. Ich wußte immer noch nicht, wie sie hieß, obwohl ich sie in meiner Eigenschaft als Celeste Stanhunts Schatten schon ziemlich oft gesehen hatte. Sie war blaß und mager und umweht von einem Hauch klösterlicher Weltfremdheit, als würde sie nie aus dem Haus kommen. Ich selbst hatte sie bestimmt nie weggehen sehen. Sie fungierte als Mutter, sowohl für einen Babykopf, der kam und ging Linie ging
in erster
, als auch für eine junge, frisch evolvierte
Katze, die zumeist daheim blieb und nur das Haus verließ, um
in
der
Nachbarschaft
für
die
Sammelkassa
der
Katzenpfadfinder Plätzchen zu verkaufen. Die junge Frau
liebte sie beide zärtlich, aber das Kätzchen wußte das weitaus besser zu würdigen als der Babykopf. Celeste Stanhunt war in das Haus an der Cranberry Street geflüchtet, nachdem sie Maynard verlassen hatte. Mein
Eindruck
war,
daß
dies
eine
vorübergehende
Maßnahme darstellte, bis sie ein neues Zuhause finden oder zu Maynard zurückkehren würde, und daß sie und die blasse junge Frau bloß Freundinnen waren. Vermutlich hätte ich beim letzten Mal neugieriger sein sollen; nun würde ich das nachholen. Sie sagte kein Wort, stand nur da wie alle Leute in so einem Fall. Es wäre ja unhöflich gewesen, mich zu fragen, wer ich war. »Ich suche Mrs. Stanhunt«, sagte ich. Die junge Frau runzelte die Stirn. In der Cranberry Street schneiten einem nicht oft unerwartete Besucher ins Haus. »Mein Name ist Conrad Metcalf«, erklärte ich freundlich. »Es ist mir klar, daß dies eine schwere Zeit ist, aber genau deswegen bin ich gekommen.« Sie tat einen zögernden Schritt rückwärts ins Haus. Mein Mitgefühl machte die Sache schwierig. Ich war immer noch ein widerwärtiger Anblick, aber sie mußte mir dennoch auf halbem Weg entgegenkommen. »Treten Sie ein«, sagte sie. »Ich nenne ihr Ihren Namen.« Ich folgte ihr in die Halle. Das Haus hatte elegante,
hohe Räume und war
makellos sauber
aber das wußte ich bereits. Die junge
Frau zeigte auf das Sofa, und ich ging hin und ließ mich darauffallen, während sie nach oben verschwand. Dies war kein Haus, in dem man von der untersten Stufe aus nach oben brüllte; es war ein Haus, in dem man bis ganz hinauf stieg und dort mit leiser, zurückhaltender Stimme meldete, daß ein Gast wartete. Und sie gab sich alle Mühe, mich wissen zu lassen, daß es sich genau so verhielt. Ich saß derweil da und versuchte auszuknobeln, was ich Mrs. Stanhunt fragen würde ich
in
und was ich mit dem, was
Erfahrung brachte, anfangen würde,
falls
ich
überhaupt etwas in Erfahrung bringen konnte. Dieser Fall war sehr sparsam inszeniert, vielleicht ein wenig zu sparsam. Ich brauchte einen Hauptdarsteller. Ich brauchte einen
Anhaltspunkt.
Ich
brauchte
einen
Klienten.
Verdammt, ich brauchte sogar ein Sandwich! Und ich gab mir
wenig
Chancen,
daß
Celeste
Stanhunt
herunterkommen und mir ein Sandwich anbieten würde. In Gedanken versunken, wie ich war, entging mir das leise Tapsen kleiner Katzenpfoten hinter mir, und plötzlich stand das Kätzchen an meiner Seite. Es trug ein rot-weißes Kleidchen und einen Armvoll Bücher wie ein Schulmädchen. Durch seine Schnurrhaare hindurch lächelte es und blickte zu Boden. »Hallo, Mädchen!« sagte ich. »Ich lerne lesen«, sagte das Kätzchen. Es legte die Bücher auf den Couchtisch, setzte sich auf den Boden und zog die winzigen Schuhe aus.
»Lesen!« wiederholte ich. »Ich wußte gar nicht, daß das immer noch unterrichtet wird.« »In der Wachstumskolonie. Ich gehe jeden Tag hin. Und dann gehe ich mit meiner Mutter zur Bibliothek.« »Celeste ist deine Mutter.« Ich machte eine Feststellung daraus, denn es konnte mir Schwierigkeiten einbringen, so einfach in Häuser reinzuplatzen und wehrlose kleine Katzen auszufragen. »Sei nicht dumm! Pansy ist meine Mutter!« Irgendein streunendes Katzenvieh ist deine Mutter, dachte ich, verkniff es mir aber. »Pansy und Celeste wohnen zusammen«, versuchte ich wiederum mein Glück. »Celeste ist zu Besuch hier.« »Celeste war noch nie zu Besuch hier.« Das ging ja tadellos. »Sei nicht dumm! Celeste kommt oft zu Besuch!« Ich
überlegte
Schwestern,
kurz
Sexpartner,
die
möglichen
Beziehungen:
Arbeitgeber/Arbeitnehmer.
In
meiner Sparte beginnt man stets damit, die Menschen auf diese Weise einzuordnen, und in Wirklichkeit gibt es dabei gar nicht so viele Kategorien. »Nenn mich nicht dumm«, sagte ich. »Du und Pansy, ihr lebt allein hier.« »Sei nicht dumm!« Jetzt war es ein lustiges Spiel. »Manchmal wohnt doch Barry bei uns!« »Nenn mich nicht dumm. Barry ist ein Hase.« »Sei nicht dumm! Barry ist ein Junge!« »Barry ist ein Babykopf, Mister Metcalf«, sagte Celeste
Stanhunt von der Treppe herab. »Sasha, du solltest jetzt nach oben gehen und mich mit Mister Metcalf alleinlassen. Pansy wartet auf dich.« »Okay«,
sagte
das
Kätzchen,
wäre
aber
lieber
dageblieben und hätte das lustige Spiel weitergespielt. »Mister Metcalf ist dumm, Celeste!« »Das weiß ich«, erwiderte Celeste unverblümt. »Und jetzt geh nach oben.« »Wiedersehen, Sasha«, sagte ich. Das Kätzchen trollte sich über die Treppe nach oben, erst auf allen vieren und dann, ein wenig verlegen, wiederum auf den Hinterbeinen. Ich hörte eine gedämpfte Stimme und daraufhin eine Tür, die leise geschlossen wurde. Celeste
sah
gut
aus.
Ihre
Haltung
verdiente
Bewunderung. Offensichtlich hatte sie mich erkannt und wußte
nicht,
was
Unterlippe zitterte
sie
tun
sollte.
Ihre
wohlgeformte
aber nur ein klein wenig. Es war der
einzige Makel an ihr und gewiß zu vernachlässigen. »Ich bin ganz Ohr, Mister Metcalf. Ich würde sagen, es ist höchste Zeit für eine Erklärung.« Sie machte eine gewichtige Pause. »Sie arbeiten für Danny.« Danny. Geistig vermerkte ich den Namen auf dem zerfledderten Notizblock, den ich Gedächtnis nenne. Aber der Stift setzte aus. »Nein, ich fürchte nicht. Oder sollte ich mich eher freuen darüber?« »Ich habe heute so viele Fragen beantwortet, daß es mir reicht bis zum Grab«, erklärte sie. »Entweder es liegt
jetzt irgendeine Art von Legitimation auf dem Tisch, oder ich rufe die Bullen.« »Die Bullen?« Ich lächelte. »Was für einen häßlichen Ausdruck Sie verwenden.« »Und
Sie
verwenden
eine
Menge
häßlicher
Fragezeichen!« Sie streckte die Hand aus. »Her damit, Blindgänger!« Ich zog meinen Ausweis hervor. »Das letztemal, daß ich für jemanden arbeitete, war
für Ihren
Gatten, Mrs.
Stanhunt. Das ist jetzt zwei Wochen her.« Sie betrachtete meinen Ausweis und warf ihn mir auf den Schoß. »Sie sind wirklich Privatdetektiv.« Das wirkte offenbar besänftigend auf sie. »Sie arbeiten nicht « »Es hat alles seine Ordnung«, sagte ich. »Ich arbeite nicht für Danny. Im Augenblick arbeite ich für überhaupt niemanden. Man könnte sagen, ich fröne einem Hobby.« »Sie müssen meine Grobheit entschuldigen«, sagte sie. Jetzt hätte sie gern alles zurückgenommen. »Die letzten vierundzwanzig Stunden waren ein Alptraum.« Ihr Tonfall hatte sich nun komplett geändert; jetzt paßte er zum Haus und zum Wagen und zum Doktor. Für eine Minute hatte sich das Furnier gelöst, aber sie leimte es so rasch wie möglich wieder an. Ich spielte mit. »Sie müssen mich nicht um Nachsicht bitten. Ich hatte daran Mitschuld. Sie hätten auch das Recht gehabt, mich auf der Stelle hinauswerfen zu lassen.« »Die Inquisitoren haben mich heute schon ziemlich rauh
angefaßt«, sagte sie, und ihre Unterlippe begann wieder zu zittern. Und dann zeigte sie mir, wie tapfer sie sich mir zeigen wollte. »Aber wenn es irgend etwas gibt, womit ich Ihnen helfen könnte »Ich
möchte
einem Freund von Maynard « da
lieber
keine
Mißverständnisse
aufkommen lassen, Mrs. Stanhunt. Ihr Gatte hat mich nicht zu seinen Freunden gezählt. Unser Verhältnis gründete sich einzig und allein auf Angebot und Nachfrage.« »Ich verstehe. Und Sie haben ihm angeboten « »Ich habe Sie etwa eine Woche lang beschattet. Nichts Persönliches. War nur ein Job.« Sie hob eine Augenbraue. »Also war diese kleine Szene damals in der Bar
bloß Teil des Jobs.«
»Wenn ich einen Auftrag kriegen kann, dann arbeite ich zumeist rund um die Uhr, wenn Sie das meinen. Ich hole mir meine Dividenden, wo ich kann.« Selbst ich wußte nicht, was das bedeuten sollte. Sie nahm eine Zigarette aus der Schachtel, die auf dem Kaffeetischchen stand, und begann mit den Zündhölzern herumzufuhrwerken. Sie war nervös und behandelte die Zigarette wie eine Zigarre; gerade, daß sie nicht das Ende abbiß. »Es ist mir immer noch nicht ganz klar, Mister Metcalf, ob Sie im Augenblick arbeiten oder nicht.« »Ich denke ja. Verzeihen Sie, wenn ich Ihre Zeit in Anspruch nehme.« Ich legte ein Bein über das andere. »Wenn
Sie sagen, die
Inquisitoren hätten Sie rauh
angefaßt, meinen Sie dann, man hätte Sie als Verdächtige
behandelt?« Sie lächelte. »Das ist hinterlistig, selbst für Sie. Nein, sie waren ohnedies halbwegs zivilisiert. Wenn ihnen dieser Gedanke in den Sinn gekommen ist, haben sie jedenfalls nichts in der Richtung verlauten lassen.« »Man hat Sie nicht gefragt, wo Sie vergangene Nacht waren, zum Zeitpunkt des Mordes?« »Ich sagte ihnen, ich sei hier gewesen, Mister Metcalf. Und wenn Sie mich fragen, werde ich Ihnen dasselbe sagen.« »Dann laß ich es. Wir wollen die Sache andersrum angehen: Kennen Sie einen gewissen Orton Angwine?« Die Antwort kam rasch, aber der Rhythmus stimmte nicht. »Bis heute morgen kannte ich ihn nicht. Ich habe gehört,
irgendeine
Sache
hätte
ihn
gegen
Maynard
aufgebracht.« »Die Inquisitoren scheinen das jedenfalls zu denken. Sind Sie sicher, daß Ihnen bei diesem Namen sonst nichts einfällt? Die meisten Feinde beginnen ihre Laufbahn als Freunde
aber ich bin sicher, das wissen Sie ohnedies. Er
war nie hier im Haus?« »Nein.« »Die meisten Leute würden sagen: Soweit ich mich erinnern kann, nein.« Sie schaltete schnell. »Soweit ich mich erinnern kann, nein«, wiederholte sie, wobei sie meinen Tonfall imitierte. »Gar nicht schlecht«, sagte ich. »Aber mein Job ist es, Lügner zu entlarven, und nicht, ihnen zu helfen, ihrer
Darbietung den letzten Schliff zu verleihen. Wie verhält sich also die Geschichte mit Angwine?« »Hingegen kann es sicher nicht Ihr Job sein, jeden Menschen, der Ihnen begegnet, einen Lügner zu nennen, Mister Metcalf. In dieser Lizenz, die Sie haben, steht, daß es Ihnen erlaubt ist, mir Fragen zu stellen. Aber es steht nicht darin, daß ich sie beantworten muß.« »In dieser Hinsicht verlasse ich mich ganz auf die Umstände. Wollen wir unsere Karten doch auf den Tisch legen, Celeste. Sie können es sich nicht leisten, mich einfach abzuschütteln. Sie wissen nicht, wer der nächste ist, mit dem ich rede, und was ich herausfinden könnte. Sie möchten wissen, auf welcher Seite ich stehe
nun, das
möchte ich auch. Wir sind beide ungewollt Mitwirkende an einer Morduntersuchung, nur glaube ich, Sie stecken da ein bißchen tiefer drin, als Sie zugeben. Was mich betrifft, so bin ich mein eigener Herr. Wenn ich mich bezahlen lasse, so heißt das noch lange nicht, daß ich mich kaufen lasse. Und jetzt möchten Sie furchtbar gern, daß ich Sie mit dem Eindruck verlasse, Sie hätten sich behilflich gezeigt. Womit wir zwei wären. Das einzige Problem ist, daß ich immer eine flunkersichere Weste trage. Tut mir leid, ich kam mit dem Ding schon auf die Welt. Lug und Trug prallt davon ab und landet auf dem Teppich wie Zecken, die der Hund sich aus dem Fell schüttelt.« Ich sah ihr zu, wie sie die Beine kreuzte und wieder gerade hinstellte, während sie das überdachte. Es war ein Anblick, der einen Mann höchst anregend hypnotisieren
konnte. Aber als ich aufsah, waren ihre Augen hart und kalt auf mich gerichtet. »Das hört sich an, als würde ich einen unschätzbaren Freund gewinnen, wenn ich Ihnen helfe«, meinte sie vorsichtig. »Aber meiner Erfahrung nach geben harte Männer wie Sie keine guten Freunde ab.« Der Nachmittag plätscherte dahin, und ich hatte einen Termin
beim
Arzt.
Außerdem
brachte
mich
dieses
Herumgerede nirgendwohin. »Sie legen zwar langsam die Maske ab«, sagte ich mißmutig, »aber drunter wartet schon die nächste.« Ich erhob mich vom Sofa. »Gehen Sie noch nicht « »Falls Sie in einer Stunde noch immer mit mir reden wollen, rufen Sie mich in der Praxis Ihres Mannes an.« Ich liebte es, bei der Außenarbeit Telefonate zu empfangen es brachte diejenigen, denen ich gerade einen Besuch abstattete, üblicherweise völlig aus der Fassung. »Und hinterher in meinem Büro. Es ist im Verzeichnis.« Unvermutet fuhr sie aus ihrem Sessel hoch und preßte sich mit all den richtigen Stellen an mich
und das hieß
bei ihr fast überall. Sie konnte nicht wissen, was für ein Fehler das war. Ich stieß sie zurück in ihren Sessel, aber nicht allzu grob. »Scheißkerl.« Ich strich mir mit der flachen Hand die Jacke glatt. »Ich verstehe«, sagte ich. »Sie haben vor etwas Angst.« In der Tür drehte ich mich noch einmal um. »Grüßen Sie das Kätzchen von mir.«
Im Wagen öffnete ich das Handschuhfach und legte mir auf der Karte von Big Sur und Umgebung ein paar Straßen meiner Mischung auf. Ich schnupfte sie von der Klinge meines Taschenmessers, bis ich aufhörte zu zittern, dann wischte ich alles sauber und begann die Rückfahrt nach Oakland. Ich fuhr über die Frontage, die Straße, die zwischen der Autobahn
und
der
Bucht
verläuft.
Der
Himmel
war
blankgeblasen und blau. Ich versuchte mich darauf zu konzentrieren, um meine Gedanken von der Erinnerung an das abzubringen, was ich gerade in den Armen gehalten und was sich an meinen Körper gedrängt hatte. Außerdem mußte ich immer wieder mit der Tatsache fertigwerden, daß ich mir meinen Lebensunterhalt damit verdiente, den Schorf von den Wunden im Leben anderer Leute zu kratzen. Doch der Tag, an dem es mir nicht mehr gelingt, jeden Anflug von Selbstmitleid abzuschütteln, ist der Tag, an dem ich für immer erledigt bin. Wer nennt mich da schon wieder dumm?
Kapitel 5 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Das Foyer des California Building war frei von Inquisitoren, und das ist genau die Art von Freiheit, die mir behagt. Ich durchquerte die Halle, ging zum Lift und drückte den Knopf. Dank meiner Träumerei am Meer war ich ein paar Minuten zu spät dran für meinen Termin mit Doktor Testafer, aber wenn mein Bluff funktioniert hatte, würde er warten auf mich. Und ich war überzeugt davon, daß der Bluff funktioniert hatte. Immerhin hatte ich einen Auftrag für Stanhunt ausgeführt, und Testafers Geschäfte waren eng verquickt mit denen des Toten. Er würde warten, weil die Möglichkeit bestand, daß ich irgend etwas Essentielles wußte. Ich saß auf demselben Sofa wie vorhin und erwartete, daß die Schwester jeden Moment aus der Tür trat und wir beide
unser
neckisches
Geschäker
wiederaufnehmen
konnten, aber lange Zeit kam überhaupt niemand. Dann kam ein korpulenter, rotgesichtiger Mann mit nervösen Augen und gepflegten Kleidern aus dem Hinterzimmer. Er hatte volles, jedoch schneeweißes Haar, was die rötliche Hautfarbe darunter noch stärker betonte. Er war nicht gekleidet wie
ein Arzt, der daranging, Patienten zu
empfangen, aber meine innere Stimme sagte mir, daß es sich um Testafer handelte. Ich stand auf.
»Mein Name ist Metcalf, Herr Doktor.« »Sehr gut«, sagte er, sah aber nicht so drein, als wäre das sein Ernst. »Ich habe Sie bereits erwartet. Folgen Sie mir bitte.« Ich folgte ihm in den Untersuchungsraum im hinteren Teil der Zimmerflucht. Er setzte sich an Maynard Stanhunts Schreibtisch
nur stand diesmal hinter einer Kette von
Titeln GROVER TESTAFER auf der Namenstafel. Er faltete die Hände auf der Schreibtischplatte, und ich merkte, daß sie so auffallend weiß waren wie seine Wangen rot. »Jenny sagte mir, es befänden sich einige Unterlagen aus unserer Praxis in Ihrem Besitz.« »Nun,
da
hat
es
wohl
ein
Übermittlungsproblem
gegeben, Herr Doktor. Ich bewahre alle meine Unterlagen hier auf.« Ich klopfte mir auf den Kopf. »Darunter ist nichts, was Ihnen gehören könnte.« »Aha. Dann soll ich wohl den Grund erraten, aus dem Sie mich sprechen wollen.« Ich warf meinen Ausweis auf den Tisch. »Der Grund ist der übliche. Ich führe im Moment Ermittlungen durch und hätte Ihnen gern ein paar Fragen gestellt. Ich kann wohl kaum der erste sein, der diesen Wunsch vorbringt.« »Nein«,
antwortete
er
und
brachte
ein
Lächeln
zustande. »Ich habe heute schon eine Stunde mit den Inquisitoren vertan. Sozusagen als Aufwärmtraining für Sie.« »Verzeihen Sie, wenn ich die Sache vorantreibe, aber mein Klient hat nicht mehr viel Zeit.«
»Ja, ja«, sagte er. »Soviel ist mir schon klar.« »Vielleicht können Sie mir dabei helfen. Wie lautet der Vorwurf gegen Angwine eigentlich?« »Die Inquisitoren sagten, sie hätten einen Drohbrief gefunden
anscheinend genau hier.« Er klopfte auf den
Schreibtisch. »Sie fragten mich, ob ich schon mal mit ihm zusammengetroffen sei, und ich sagte nein. In letzter Zeit verbrachte ich nur sehr wenig Zeit in der Praxis. Ich hatte sie ja an Maynard übergeben, legte alles in seine Hände. Offenbar war Angwine sein Patient, anfangs jedenfalls. Sein Name steht zweimal im Terminbuch, vor etwa drei Wochen. Von der Beschreibung her konnte Jenny sich nicht an ihn erinnern, aber wir haben hier ja viele Patienten.« »Mhm«, nickte ich, »und ich nehme an, bei den Untersuchungen konzentrieren Sie sich nicht unbedingt aufs Gesicht. Haben Sie den Brief gesehen?« »Nein, ich wollte, ich hätte. Aber die Inquisitoren waren schon hier, als ich noch nicht einmal von Maynards Tod erfahren hatte.« »Haben Sie irgendeine Theorie, was zwischen Angwine und Stanhunt vorgefallen sein könnte?« Er gab sich Mühe, so auszusehen, als würde er konzentriert nachdenken, was hieß, daß er es nicht tat. »Nein«, sagte er schließlich. »Eigentlich nicht. Ich nehme an, es war irgend etwas Persönliches.« »Alles, was man anfaßt, ist persönlich«, stellte ich fest. »Könnten Sie etwas konkreter werden?« »Etwas
zwischen
den
beiden,
meine
ich.
Ohne
Zusammenhang mit der Praxis.« »Ich verstehe«, nickte ich, und in gewisser Weise verstand ich auch. Testafer war ein Mann, der sich bemühte, möglichst viel Distanz zwischen sich und einer Angelegenheit zu schaffen, die nach Unannehmlichkeiten roch.
Seine
Verschwommenheit
konnte
einerseits
ein
Deckmantel für irgendeine Beteiligung an der Sache sein, andererseits aber entsprach sie auch durchaus seiner Persönlichkeit. »Maynard
und
ich
waren
nicht
besonders
eng
befreundet«, erklärte er. »Ich war reif für den Ruhestand, aber es ist immer vorzuziehen, wenn irgend möglich eine Praxis weiterführen zu lassen. Maynard war ein guter Arzt, jemand, dem ich sie guten Gewissens übergeben konnte. Wir hatten eine äußerst erfolgreiche Geschäftsverbindung und wohl beide Respekt voreinander, aber befreundet waren wir nie.« »Sie sind doch eher noch jung für einen Ruhestand, oder? Wie alt sind Sie, fünfundfünfzig? Achtundfünfzig? Sie müssen eine hübsche Stange auf der hohen Kante haben.« Testafer wand sich angesichts meiner Wortwahl. »Ich bin fast sechzig, Mister Metcalf. Sie können gut schätzen.« Die hübsche Stange erwähnte er nicht. Und ich kam zu der Überzeugung, daß es Zeitverschwendung wäre, ihn in dieser Richtung weiterzudrängen. Bisher hatte ich nichts als unverbindliches Geschwätz bekommen; ich würde ihn ein wenig aus der Deckung scheuchen müssen. »Und wie sieht die Sache nun für Sie aus?« fragte ich.
»Werden Sie sich nach einem neuen goldenen Jungen umsehen oder die Bude hier schließen?« Jetzt hatte ich ihn ein wenig angekratzt. »Ich habe meine Patienten, an die ich denken muß! Ich werde sie wiederum empfangen wie früher, bis es mir gelingt, ein neues Arrangement zu treffen!« »Natürlich. Und was ist mit Mrs. Stanhunt? Wird sie Maynards Praxishälfte erben oder fällt alles an Sie zurück?« »Mrs. Stanhunt und ich haben noch keinen Kontakt aufgenommen. Aber es wird gewiß gebührend für sie gesorgt werden, bis « Er improvisierte, und das machte ihn nervös. »Bis ein neues Arrangement getroffen wird?« half ich ihm auf die Sprünge. »Nun, ja.« Ich warf ihm eine Bemerkung mit heimtückischem Drall zu. »Ich nehme nicht an, daß Danny eine tragende Rolle in Ihren Plänen spielt.« Er sah mich eingehend an. »Ich fürchte, ich weiß nicht, was Sie meinen.« »Fürchten Sie nicht«, sagte ich. »War wohl ein Irrtum.« »Das denke ich auch.« Ich fingerte lang genug an meiner Hemdmanschette herum, um ihn unruhig zu machen. Wer immer Danny auch sein mochte, Testafer war nicht erpicht darauf, über ihn zu reden. »Was können Sie mir über das Haus sagen, in dem Celeste Stanhunt sich momentan aufhält?«
»Pansy Greenleaf wohnt dort zusammen mit ihrem Sohn«, sagte er. »Nur, daß der nicht mehr viel daheim ist. Er ist ein Babykopf.« Testafer gebrauchte den Ausdruck mit Bedauern in der Stimme. »Hab ich gehört. Außerdem scheint sie ein evolviertes Kätzchen zu einer Art Kindersatz befördert zu haben. Womit
verdient
Mrs.
Greenleaf
eigentlich
ihren
Lebensunterhalt?« »Keine Ahnung«, sagte er sarkastisch. »Ich habe sie noch nie danach gefragt.« Sein Tonfall gab mir zu verstehen, daß seine Worte als Beleidigung gemünzt waren. »Sie war mit den Stanhunts befreundet«, fügte er abschließend hinzu. »Zum Unterschied von Ihnen«, ergänzte ich. »Ganz richtig.« Ich tat so, als würde ich plötzlich bemerken, wie spät es war. »Nun ja, ich will Sie nicht länger aufhalten. Sie haben mir sehr geholfen.« »War mir ein Vergnügen«, sagte er und schluckte. Er wollte mich schon zur Tür draußen haben. »Wenn Ihnen noch irgend etwas einfällt, das Sie mir sagen wollen « Ich schrieb meine Telefonnummer auf seinen Rezeptblock und stand auf. »Ich finde allein hinaus. Wiedersehen.« Ich ging hinaus in die Diele, wobei ich die Tür hinter mir schloß. Die Schwester war nicht zu sehen. Also öffnete ich die Tür zum Wartezimmer, warf sie ohne hindurchzugehen
wieder zu, und trat dann an den Aktenschrank, um einen Blick in die Kartei zu riskieren. Zuerst suchte ich nach Orton Angwine: kein Karteiblatt. Ich blätterte in der einen oder anderen Faltmappe, aber alles
sah
ziemlich
alltäglich
aus.
Wenn
mit
diesen
Karteiblättern irgend etwas nicht stimmte, dann brauchte es einen anderen Urologen, um das herauszufinden. Ich hörte Testafer hinter mir im Untersuchungszimmer herumwandern, also war ich darauf gefaßt, nicht mehr lange Zeit zu haben. Wenn er die Tür öffnete, würde ich genau vor ihm stehen. Andererseits war er wohl nicht der Typ, der viel Wesens machen würde, wenn er mich beim Stöbern ertappte. Er hatte bereits Angst vor mir, hatte Angst davor, was meine Nachforschungen ans Tageslicht bringen mochten, sonst hätte er sich nicht so bemüht, hilfsbereit zu erscheinen, und mich vielleicht überhaupt nicht empfangen. Mein Problem war, daß ich nicht wußte, warum er Angst vor mir hatte. Ich konnte ihn zum Beispiel fragen, wer Danny war, aber dann mußte ihm sofort klar sein, daß ich es nicht wußte. Und ohne ihn in Unruhe zu versetzen, würde ich rein gar nichts aus ihm herausbekommen. Ich griff nach einer anderen Karteikarte. Auch sie schien recht harmlos: ein siebenundsechzigjähriger Typ namens Maurice Gospels mit kongestiver Urethritis
was immer
das war. Ich schloß den Aktenschrank und steckte das Karteimäppchen in die Innentasche meiner Jacke. Dann kehrte ich zur Tür des Untersuchungszimmers zurück und
öffnete sie. Testafer saß über den Schreibtisch gebeugt, einen Strohhalm zwischen seiner Nase und dem weißen Pulver auf dem Taschenspiegel vor sich auf dem Tisch. Als ich eintrat, zuckte er hoch, und ein Streifen halbgeschnupfter Stoff entströmte langsam seiner Nase. Er sagte nichts, und ein paar Sekunden lang sagte ich auch nichts. Es war mir, als würde ich in einen Spiegel blicken, der zwanzig Jahre in der Zukunft stand. »Hier«, sagte ich und warf die Fairmappe auf den Tisch. Hastig bedeckte er den Spiegel mit der Hand, um den ausgelegten Stoff zu schützen. »Dieses Zeug hat Stanhunt aus der Praxis mitgenommen. Ich habe keine Verwendung mehr dafür.« Hektisch auf der Suche nach etwas Inkriminierendem blätterte
Testafer
den
Inhalt
von
Maurice
Gospels
Karteimappe durch, während ein senkrechter weißer Strich sich den Weg über seine Oberlippe bis zum Kinn bahnte. Ich hingegen machte, daß ich rauskam.
Kapitel 6 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Während ich zu meinem Büro zurückfuhr, wappnete ich mich innerlich gegen die unvermeidliche Konfrontation mit den Knaben vom Inquisitionsbüro. Früher oder später mußte es einfach dazu kommen. Aber wenn ich Glück hatte, würde ich
mit
ihrer Hilfe
zu Orton Angwine
zurückfinden. Denn wenn diesen Ermittlungen eine Zukunft beschert sein sollte, dann nur mit seiner Hilfe
sowie auch
die rosige Zukunft meiner Brieftasche einzig und allein von seinem Geld abhing. Ich hatte keine Hemmungen in dieser Hinsicht, denn wenn ich ihm nicht half, würde sein Geld ihm ohnedies nichts nützen. Doch
mit
Ausnahme
zweier
evolvierter
Hasen
in
winzigen dreiteiligen Anzügen war das Wartezimmer leer. Die beiden Mümmelmänner blätterten in Photomagazinen und gönnten mir nur einen flüchtigen Blick aus ihren roten Augen, als ich eilig meinen Teil des Apartments ansteuerte. Das Surren der Reinigungsgeräte des Zahnarztes im hintersten Zimmer verfolgte mich durch meine Tür; irgend jemand mußte sich wohl auch um die Säuberung von Karnickelbrücken kümmern, und meinem hauseigenen Zahnarzt ging es finanziell nicht so berauschend, daß er das Geschäft hätte sausen lassen können. Ich hängte meinen Mantel auf, setzte mich an den
Schreibtisch und machte ein paar tiefe Atemzüge, ehe ich meine Karte hervorholte und sie durch den Decoder in der Schreibtischlade zog. Es war schon vorgekommen, daß die Inquisitoren es mit der Wahrheit nicht ganz genau nahmen, wenn es darum ging, wieviel sie von einer Karte abzogen oder
ihr
hinzufügten.
Außerdem
erinnerte
ich
mich
ohnedies nicht genau, wie hoch mein Karma vor der Episode im Foyer des California Building gewesen war. Der Streifen auf meiner Karte zeigte fünfundsechzig Punkte an, was nicht so übel war, denn für gewöhnlich erstatteten mir die Inquisitoren all jene Punkte zurück, die ich während der Ermittlungen für einen Fall verloren hatte, und wenn es sich
ergab,
vorteilhaftem
daß
mein
Licht
zähneknirschend
laufender
erscheinen ein
Job
ließ,
paar
das
dann
Büro
legten
Extrapunkte
Fünfundsechzig war recht angenehm
in sie
drauf.
ausreichend, um in
Ruhe zu arbeiten, aber nicht so hoch, daß die Jungs in Versuchung
kamen,
mich
aus
purem
Übermut
zu
piesacken. In den Augen der Behörde war fünfundsechzig bescheiden;
mit
viel
mehr
jedoch
hätte
ich
mich
übernommen. Aber niedriges Karma war eines der Dinge, mit denen zu leben man in diesem Job lernte. Ich griff nach dem Telefon, drückte die Nummer des Feinkostgeschäfts unten an der Ecke ein und bestellte ein Sandwich mit Eiersalat. Dann rief ich beim Verzeichnis an und
erkundigte
mich
beim
Computer
nach
einigen
Rufnummern. Es überraschte mich wenig, daß es unter Orton Angwine keine Eintragung gab. Ich versuchte Pansy
Greenleaf, die junge Frau, bei der Celeste momentan wohnte, gab dem Computer sogar die Adresse in der Cranberry Street an, hatte aber kein Glück. So zum Spaß erkundigte ich mich nach meiner eigenen Nummer, und tatsächlich, mein Name war da. Ein Trost. Dann ging ich die Post durch. Sie stapelte sich bereits seit fast einer Woche, hauptsächlich Rechnungen und Reklamesendungen, dazu die Postkarte eines Kerls in Las Vegas, der mir Geld schuldete, und ein Werbestift von einer Luftfahrtlinie. Ich ließ den Stift aus dem Umschlag gleiten, und er blieb frei vor meinem Gesicht schweben antigrav, so was hatte ich nie zuvor gesehen. Mir scheint, die größten Innovationen kündigen sich uns immerzu auf möglichst banale Weise an: Man erwartet irgendeine Art von Paradigmenverschiebung, und dann kommt per Post ein Schreibstift, ein Kamm oder ein Schnupfhalm mit der Telefonnummer eines Händlers darauf. Zum Überdruß ist es nie ein guter Stift. Man schreibt eine Woche damit, und dann ist er ausgetrocknet. Es klopfte an der Tür. »Herein!« sagte ich. Ich klemmte den
Stift
in
die
Brusttasche
und
kramte
in
der
Schreibtischlade nach Geld für das Sandwich. Aber es war nicht der Sandwichbote. Der erste Mann, der eintrat, war etwa so alt wie ich und hatte schiefe Zähne und einen Zehndollarhaarschnitt
der
Standardtyp vom Büro, einer von denen, die alle gleich aussehen
und
denken
und
sich
nur
durch
die
unterschiedliche Geschmacksrichtung ihrer Hustenbonbons
unterscheiden: Sie rücken einem so dicht auf den Pelz, daß man
das
Bonbon
riechen
und
ob
ihres
originellen
Charakters beeindruckt sein kann. Ich hatte mich mit diesen Leuten schon tausendmal herumschlagen müssen und konnte mich bereits auf die nächsten tausendmal freuen. Todsicher wäre auch ich zu einem dieser Kerle geworden, hätte ich weiterhin für das Büro gearbeitet. Der zweite Typ war eine ganz andere Sache. Er war feist, ungepflegt und schlecht rasiert; dazu trug er einen Achselstreifen und ein paar Dienstmedaillen. Da war meinetwegen ja ein hohes Tier angerückt! Er schob sich ins Zimmer, knallte die Tür hinter sich zu, sagte: »Metcalf?«, und ich muß gestehen, ich zuckte tatsächlich zurück, als er mir unverwandt ins Auge blickte. »Der bin ich«, sagte ich. »Wo waren Sie vor einer Stunde?« »Ihr Jungs seid doch nicht gekommen, um den Boden zu bohnern, oder? Ich hatte einen Termin beim Arzt.« Der Fettwanst setzte sich mir gegenüber auf den Platz, auf dem am selben Morgen noch Angwine gesessen hatte. Der andere warf einen kurzen Blick auf den staubigen Stuhl in der Ecke, hinter dem sich der Wasserfleck verbarg, und zog es vor, an der Tür stehenzubleiben. »Geben Sie mir Lizenz und Karte«, sagte der Boss. Er
betrachtete
meine
Ausweisdokumente,
und
ich
betrachtete die Decke. Als er sie genau auf halbem Weg zwischen uns beiden wieder hinlegte, ließ ich sie zur Demonstration meiner Kaltblütigkeit dort liegen.
»Wo ist Inquisitor Carbondale?« fragte ich. »Er wurde nach Marin County versetzt«, sagte der Fettsack. »Mein Name ist Morgenlander. Und das ist Inquisitor Kornfeld.« Bei der Erwähnung seines Namens nickte der Schweigsame an der Tür leicht. »Gut zu wissen, daß ihr Knaben das Ohr am Puls der Zeit habt.« »Wäre fein, wenn ich dasselbe von Ihnen sagen könnte, Schnüffelarsch.« Morgenlander lächelte. »Die Vermutung ist aufgetaucht, daß Sie sich mit der Stanhuntsache beschäftigen. Wir wollen diese Frage bereinigen.« »Kein Problem, Inquisitor. Die Antwort ist ja.« Ich holte die Zigaretten aus der Schublade. »Die Antwort ist nein«, stellte Morgenlander fest. »Wäre ein Interessenkonflikt. Weil Sie mein Verdächtiger sind, Schnüffelarsch.« »Ihren Verdächtigen kenne ich schon, Morgenlander. Der Junge geht bereits auf dem Zahnfleisch. Gute Arbeit.« »Stimmt, Angwine hat ein Problem. Seine Zukunft ist restlos aufgebraucht. Wäre schade, wenn dasselbe einem Arschgesicht wie Ihnen passieren sollte.« Ich wandte mich an Kornfeld, der bislang keine Miene verzogen hatte. »Habe ich wirklich einen Arsch im Gesicht? Seien Sie ganz ehrlich, bitte.« »Laß die ungehörigen Satzzeichen, Schnüffelarsch«, sagte Morgenlander umgänglich. »Wenn s nach mir geht, ist deine Lizenz alte Pisse im Schnee.« Er ruckte an seinem Kragen, als wäre sein Kopf in Ausdehnung begriffen und er
müßte Platz dafür schaffen. »Und jetzt erzähle Inquisitor Kornfeld von deinem Termin beim Arzt.« »Ich bin bei einem Facharzt in Behandlung«, sagte ich, »um feststellen zu lassen, ob sich der Arsch von meinem Gesicht entfernen läßt.« Ich zündete mir eine Zigarette an und nahm einen Zug. Morgenlander langte über den Tisch und schlug sie mir aus dem Mund. Sie rollte unter den Stuhl in der Ecke und schwelte im Staub vor sich hin. »Du
verschwendest
meine
Zeit,
Schnüffelarsch.
Antworte auf meine Fragen.« Er holte seinen Magneten aus der Jackentasche und zielte damit nachlässig auf meine Karte. Ich spuckte in die Ecke; die Bruchbude wurde sowieso von Tag zu Tag unappetitlicher. »Nur zu«, sagte ich. »Wer hat dich auf den Stanhunt-Fall angesetzt?« »Ich war schon dran, noch ehe er ein Fall wurde«, sagte ich. »Arbeitete für Stanhunt, bevor er sich ein Loch im Hinterkopf einhandelte.« »Du arbeitest für Angwine.« »Würde ich gern. Hab ihn aus den Augen verloren.« »Quatsch«, sagte Morgenlander. »Er hat dich zum Arzt geschickt. Versucht immer noch zu kassieren.« Ich würde fürchterlich schwindlig sein, wenn mich das Karussell erst mal abwarf. »Das soll heißen, Angwine ist ein Erpresser.« Ich hoffte, in der Aufregung würde die Frage, die darin steckte, der allgemeinen Aufmerksamkeit entgehen.
»Spiel nicht schwer von Begriff, Schnüffelarsch. Was wollte er, daß du dem Doktor sagst?« Ich
beschloß
mitzuspielen.
»Er
erwähnte
nichts
Konkretes. Habe Testafer bloß mal auf den Zahn gefühlt.« Es klopfte. Inquisitor Kornfeld trat einen Schritt von der Tür weg und rief: »Herein!« Ein Irisch-Setter-Evolut vom Feinkostladen unten trug eine weiße Papiertüte mit einem Fettfleck an der Unterseite herein. Nervös sah er die beiden Inquisitoren an und trapste dann an ihnen vorbei, um mir die Tüte zu reichen. Ich bedankte mich bei dem Setter und gab ihm fünf Mäuse mehr, als die Rechnung ausmachte. Er schluckte überwältigt und verzog sich zurück ins Wartezimmer, wobei ich jeden Moment darauf wartete, daß er sich auf alle viere niederfallen ließ und jaulend davonrannte. Kornfeld schloß die Tür und lehnte sich wieder daran. Niemand sagte etwas, während ich die Tüte öffnete und das Sandwich hervorholte. Es war einer jener komischen Momente, wenn ein bißchen stinknormale menschliche Aktivität
jeden
Anwesenden
so
sehr
in
Verlegenheit
brachte, daß er aufhörte, große Töne zu spucken und vorübergehend seine Rolle vergaß. Ich vertilgte eine komplette dreieckige Hälfte vom Sandwich und war schon dabei, mir mit der Papierserviette übers Kinn zu wischen, als Morgenlander wieder das Wort an mich richtete diesmal sogar ohne Schnüffelarsch. Irgendwie hatten wir uns dank des Hundes und eines Eiersalat-Sandwiches über diese Niederungen emporgehoben und benahmen uns
wieder zivilisiert. »Ist ein schwieriger Fall«, sagte er. »Bekam Angwine höherenorts auf dem Silberteller geliefert, und jetzt stehe ich unter ziemlichem Druck, es dabei bewenden zu lassen.« Morgenlanders
Tonfall
verriet,
daß
Fachsimpelei
bevorstand, und Kornfeld schien sich mit einemmal gar nicht wohl zu fühlen in seiner Haut, obwohl er kein Wort gesagt hatte. Aber vielleicht bildete ich es mir auch nur ein. »Angwine ist eine Kanalratte«, fuhr Morgenlander fort. »Mir egal, ob er in den Froster wandert oder nicht, aber da ist mehr an der Sache dran als das.« Ich nickte beifällig, um ihn am Reden zu halten. »Ich sage nicht, daß er unschuldig ist. Er hat den Mord begangen. Ich sage bloß, an der Sache ist noch mehr dran. Und ich möchte Sie eindringlich davor warnen, Metcalf, mir im Weg herumzustehen. Dann müßte ich Sie nämlich zerlegen. So stehen die Dinge, also tun Sie sich was Gutes und lassen Sie die Finger davon.« Er steckte den Magneten wieder ein und nickte Kornfeld zu. Ich schluckte und bemühte mich um ein Lächeln. Eine Menge Fragen lagen mir auf der Zunge, aber Kornfeld schien es lieber zu sein, wenn ich den Mund hielt. Außerdem gab es gesündere Wege, eine Untersuchung voranzubringen,
als
den
Versuch,
einen
Inquisitor
auszuquetschen. Als ich mit dem Daumen an das zweite Sandwichdreieck stupste, fiel ein glänzendes Würfelchen Eiweiß auf das Wachspapier. »In
Wirklichkeit
habe
ich
enormen
Respekt
vor
Privatdetektiven«, sagte Morgenlander. Er lächelte mir zu, und seine Zunge sah aus, als könnte man daran ein Streichholz anreißen. »Sollten nur wissen, wann es an der Zeit ist, die Finger von gewissen Dingen zu lassen«, erklärte er. »Jetzt ist es an der Zeit.« Mühsam stemmte er sich hoch und schüttelte die Ärmel seiner Jacke aus. Während des ganzen Besuches hatte Kornfeld kein einziges Wort gesprochen. Jetzt lüftete er den Hut, sagte mit quiekender Stimme »Tag« und öffnete Morgenlander die Tür. Der Fette drehte sich noch einmal um und ließ mich sein schiefes Lächeln sehen, worauf ich grüßend die Hand hob. Dann schloß sich die Tür hinter den beiden, und ich hörte, wie sie an den Karnickeln vorbei durch das Wartezimmer und hinaus zum Lift gingen. Ich war allein mit meinem Eiersalatsandwich und einem Maul voll Fragen. Ich drehte mich um und ließ das Rollo hoch; der Blick von meinem Fenster ging nach Osten, aber ich konnte die Farben des Sonnenunterganges in den Reflexen auf den Hügeln über Oakland sehen, das Schimmern der letzten Sonnenstrahlen in den Bändern aus Fensterscheiben hoch über der Bucht; es erinnerte mich an golddurchwirkte Wandtapeten. Aus dieser Entfernung sahen die Hügel recht hübsch aus. Ich drehte mich zurück, schob das Sandwich beiseite und schüttete ein wenig Stoff auf die Holzplatte des Schreibtisches. Nachdem ich ihn mit dem Taschenmesser zerteilt hatte, wollte ich mich gerade darüberbeugen, als das Telefon summte.
»Metcalf«, sagte ich. »Ich bin es, Orton Angwine!« meldete sich die Stimme am anderen Ende. »Ich muß mit Ihnen reden!« »Soll mir recht sein«, sagte ich. »Ich höre, Sie arbeiten an dem Fall«, fuhr er unsicher fort. »Richtig. Warum kommen Sie nicht rauf in mein Büro. Ich warte auf Sie.« »Nein. Ich will nicht den Inquisitoren in die Arme laufen. Kommen Sie zu mir.« »Ich bin sicher, daß die Inquisitoren wissen, wo Sie sind«, wandte ich behutsam ein. »Sie befinden sich im Brennpunkt
eines
beachtlichen
Ausmaßes
von
Aufmerksamkeit.« »Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, ich konnte meinen Schatten abschütteln. Ich bin in der Bar des Hotels Vistamont.« »Na gut«, sagte ich. »Bleiben Sie dort.« Ich beugte mich über die Schreibtischplatte, schnupfte auf, was ich ausgelegt hatte, und warf dann das halbe Sandwich mitsamt dem Wachspapier in den Papierkorb. Mit einem letzten Blick betrachtete ich die rosigen Hügel auf der anderen Seite der Bucht, zog das Rollo wieder herab und ging nach unten zu meinem Wagen.
Kapitel 7 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Ich hielt an und kaufte von einer griesgrämigen alten Ziege, die den Zeitungsstand betrieb, die Abendausgabe des Oakland Photographic. Das gedruckte Wort hatte in den Nachrichtenmedien zwar immer mehr an Bedeutung verloren, war jedoch noch bis vor einem Jahr nicht völlig verschwunden gewesen; dann wurde es verboten. Das hatte gewirkt. Ich stellte den Wagen in zweiter Spur ab und blätterte die Zeitung durch. Die üblichen Bilder ohne Untertitel von der Regierung an der Arbeit: der Präsident beim
Händeschütteln
Kongreßabgeordneten
mit
dem
beim
Generalinquisitor,
Händeschütteln
mit
die den
verschiedenen Interessengruppen, der Gouverneur beim Händeschütteln mit dem Karmapunkte-Sieger des Monats. Ich blätterte weiter zum Lokalteil und stieß auf eine Serie ausdrucksstarker
Photos
des
Hotelzimmers,
in
dem
Stanhunt getötet worden war: die mit Kreide gezogenen Umrisse des Leichnams auf dem Teppich; ein riesiger Blutfleck auf dem Bettüberwurf; die Inquisitoren, die ein Ende des Vorhangs hochhielten, auf dem ein blutiger Handabdruck
zu
weißumhüllten
erkennen
war;
und
Leichnams,
der
ins
das
Bild
Heck
des eines
geschlossenen Polizeitransporters geschoben wurde. Das erinnerte
mich
an
die
Standardbilder
der
Karma-
Bankrotten, die ins Kühlhaus wanderten, um dort für unbestimmte Zeit auf Eis gelegt zu werden. Machte vermutlich nicht viel Unterschied. Das letzte Photo zeigte Inquisitor Morgenlander, wie er mit ausgestreckter Hand offenbar mit jemandem zu seiner Linken sprach, der nicht mehr im Bild war. Inquisitor Kornfeld stand hinter ihm, die Zähne zusammengebissen wie immer. Kern der Aussage: Unsere edlen Inquisitoren taten wieder einmal ihre Pflicht in ihrem immerwährenden Kampf gegen das Böse. Eine grobe Vereinfachung. Ein Mord geschah nicht in einem Vakuum
so als eine Art
Schluckauf. Er war vielmehr die unerbittliche Konsequenz einer Serie vorangegangener Geschehnisse, die in diesem Mord ihren Höhepunkt fanden und deren Auswirkungen sich weit über die üblichen Untersuchungen hinaus in die Zukunft erstreckten. Ich horchte in mich hinein, während ich diese Überlegungen anstellte und mußte lachen. Ein Mord war ein Flohmarkt. Ein Mord war eine fröhliche Männerpartie. Ein Mord war ein Probealarm. Ein Mord war immer das, wozu ihn das Inquisitionsbüro machte. Ich warf die Zeitung auf den Beifahrersitz und setzte meine Fahrt hinauf in die Hügel fort. Es war jetzt schon dunkel. Die Ashby Avenue war still und zumeist ein malerischer Anblick, und so plätscherte ich mit meinen Gedanken müßig in den Ereignissen des Tages; ich hoffte auf ein paar neue Assoziationen, aber es führte zu nichts, außer weiter hinauf in die Hügel. Ich hatte ja gerade meinen Stoff gehabt, und vermutlich dämpfte das frische
Akzeptol in meinem Blut die dazu notwendige Entrüstung. Wahrscheinlich hätte ich besser daran getan, das Autoradio aufzudrehen. Das Hotel Vistamont war erste Klasse, himmelweit entfernt von jener Sorte Wanzenburg, in der Stanhunt das Unglück gehabt hatte, sein Leben zu lassen. Im Vistamont wären Todesfälle
falls sie dort überhaupt vorkamen
wohl mitsamt den Fingerabdrücken vom Boden abgelöst und
in
irgendeinen
weniger
renommierten
Laden
verfrachtet worden, ehe man die Inquisitoren auf den Plan rief. Aber wer weiß, vielleicht hatte es sich mit Stanhunt ganz genauso zugetragen
Das Vistamont war jedenfalls
ein Haus, in dem reiche Leute wohnten, die später sagen wollten, sie hätten Oakland besucht, die aber nicht wirklich den Wunsch hatten, sich die Schuhe dreckig zu machen. Es war ein großes, labyrinthartiges Gebäude und beherbergte so
viele
unterschiedliche
Restaurants
und
Freizeiteinrichtungen, daß nie die Notwendigkeit eintrat, sich hinauswagen zu müssen in die böse weite Welt. Ich stellte den Wagen auf dem Parkplatz des Hotels ab und
klemmte
mir
die
Zeitung
unter
den
Arm.
Ich
spekulierte mit der Hoffnung, daß die Bilder bei einem Mann, der Dreck am Stecken hatte, irgendeine Reaktion hervorrufen mußten, egal, ob sie ihm schon bekannt waren oder nicht. Um die Wahrheit zu sagen, die Photos waren so starker Tobak, daß sie Angwine in jedem Fall aus dem Gleichgewicht bringen mußten, aber ich suchte verzweifelt nach irgendwelchen Hinweisen, und ich bin nicht unbedingt
berühmt für Takt und Finesse. Ich hielt einen Moment inne, um dem Türsteher Gelegenheit zu geben, mich zu mustern. Er war ein Schwarzer, ein älterer Mann, einer der letzten Menschen, die einen Dienstleistungsjob innehatten. In diesen Tagen verrichteten EvoluTiere so ziemlich jede Arbeit, die sie in der Lage waren zu verrichten, aber das Vistamont war berühmt
für
das
verbissene
Festhalten
an
seinen
Traditionen, und das war eben eine davon. Er bedachte mich mit einem freundlichen Lächeln und hielt mir die Tür auf, und ich tippte mir zum Dank an den Hut. Die Bar war eine finstere, in den Boden versenkte Angelegenheit, bei der die Tische in einer trüben Suppe zu schwimmen
schienen.
Der
momentane
Hit
bei
gewinnorientierten Architekten war das Ersinnen immer neuer
Wege,
die
den
Leuten
erlaubten,
einander
vorzugaukeln, in Gesellschaft zu sein, während sie in Wirklichkeit auf eine möglichst große Distanz zwischen sich und ihrem Nächsten Wert legten. Dies hier war ein hervorragendes Beispiel dafür. Ich tastete mich hinunter in die
Versenkung
und
hielt
Ausschau
nach
Angwine.
Zugegeben, er hatte wenigstens das richtige Plätzchen gefunden, um sich zu verkrümeln. Ich entdeckte ihn im entferntesten
Winkel
in
einem
Drehsessel
an
einem
Tischchen für zwei. Ich ließ mich ihm gegenüber mit dem Rücken zur Wand in den zweiten Sessel gleiten. Das Plüschding war so weich, daß ich darin versank. »Das hat aber gedauert«, sagte Angwine und blickte
auf. Sein Gesicht wirkte weniger sorgenzerfurcht, besser gewappnet gegen die bittere Realität einer Existenz ohne den Polster einiger Karmapunkte auf der Karte. »Noch geht meine Zeit auf meine eigene Rechnung«, erwiderte ich. Angwine kicherte leise. »Hie Geld, hie Ware, nicht wahr, Metcalf.« Er griff in die innere Jackentasche, zog einen Umschlag hervor und warf ihn auf den Tisch zwischen uns. Ich griff danach. Er enthielt vierzehnhundert Dollar. »Heute und morgen«, sagte er, als er sicher war, daß ich nachgezählt hatte. »Heute ging s auf meine Rechnung. Ich nehme das als Honorarvorschuß bis Freitag.« Ich steckte das Geld ein und ließ den Umschlag auf dem Tisch liegen. In der Dunkelheit konnte ich die Adresse darauf nicht erkennen, aber ich hielt es für einen Fehler, irgend etwas bei mir zu tragen, was man mit Angwine in Verbindung bringen konnte. »Das ist optimistisch«, sagte er mit finsterem Gesicht. »Was ist optimistisch?« »Anzunehmen, daß Sie Freitag noch für mich arbeiten werden.« »Also
ehrlich,
es
ist
mir
schleierhaft,
wieso
die
Inquisitoren Sie noch nicht aus dem Verkehr gezogen haben. Immerhin, die Tatsache, daß wir jetzt miteinander reden, gibt Grund zu einigem Optimismus. Morgenlander ist nervös. Er hat nicht genug stichhaltiges Material, um die Sache perfekt zu machen, und das wurmt ihn.« »Na, mir kam er recht zuversichtlich vor.«
»Nur nicht die Laune verlieren, Angwine. Sie kennen sich
nicht
aus
beim
Umgang
mit
Inquisitoren.
Morgenlander ist letzten Endes nur ein Mittelsmann. Die Kerle haben sich entschlossen, mit der Sache an die Öffentlichkeit zu gehen, und jetzt steht Morgenlander im Lichte derselben. Er ist unter enormem Druck, die Sache hinzukriegen, aber es muß alles seine Richtigkeit haben oder zumindest sehr überzeugend wirken, wenn es nicht seine Richtigkeit hat.« »Versteh ich nicht.« »Ich auch nicht, aber ich arbeite daran.« Ich bemühte mich, eine Kellnerin herbeizuwinken, aber das war, als würde man in einem Fuchsbau hocken und versuchen, einen Hubschrauber vom Himmel zu locken. »Ich werde rausfinden, wer Stanhunt erledigt hat und warum. Wenn Sie es waren, dann würde ich vorschlagen, nehmen Sie Ihr Geld zurück und geben Sie s für strammen Stoff und lockere Weiber aus, und zwar ziemlich rasch, denn ich bin sicher nicht imstande, Ihnen die Mauer zu machen.« »Ich war es nicht.« Ich ließ die Zeitung auf den Tisch fallen, aber in dieser Dunkelheit war es vergebliche Liebesmüh, damit einen besonderen Effekt erzielen zu wollen. »Was für Beweise hat man gegen Sie?« fragte ich. Pause. Ich starrte in Angwines Gesicht, aber darin stand nichts geschrieben, was ich hätte lesen können. »Ich habe ihm gedroht«, sagte er schließlich. »Die Inquisitoren haben einen Brief, der von mir stammt. Aber man interpretiert ihn
völlig falsch « »Morgenlander
behauptet,
es
handelte
sich
um
Erpressung. Hatten Sie was gegen Stanhunt im Ärmel?« »Es war eher eine persönliche Sache. Meine Schwester arbeitete für ihn, und hat ihr Leben ruiniert. Ich ließ ihn wissen, was ich davon halte.« »Erzählen Sie mir mehr.« »Sie zieht ein Kind für ihn auf. Einen Babykopf. Ein kleines Monster « »Alle Babyköpfe sind Monster«, sagte ich, und dann klopfte ich auf den Busch und wußte, daß ich recht hatte. »Heißt Ihre Schwester vielleicht Pansy Greenleaf?« Jetzt hatte ich mir doch Angwines volle Aufmerksamkeit eingehandelt
und möglicherweise etwas mehr Respekt.
Er beugte sich vor, so daß seine Gesichtszüge besser zu erkennen waren. »Ganz richtig«, sagte er. »Sie müssen bereits mit ihr gesprochen haben.« »Nein, habe ich nicht, aber ich hätte es tun sollen. Ich werde es morgen nachholen, wenn ich kann. Fahren Sie fort mit Ihrer Geschichte.« Er sank zurück in den Schatten. »Jetzt bin ich mir dessen nicht mehr so sicher«, sagte er, »aber anfangs dachte ich, er selbst hätte meine Schwester geschwängert und zahlte ihr dafür, daß sie es nicht an die große Glocke hängte.« »So, wie dieses Haus aussieht, war s aber wohl doch kein schlechtes Geschäft für sie«, bemerkte ich. »Sie verstehen mich falsch. Bevor ich nach L.A. ging,
führte meine Schwester ihr eigenes Leben. Und nun verkriecht sie sich. Sie hat Angst, mir zu sagen, was los ist. Stanhunt hat sie behandelt wie eine Marionette.« »Also wollten Sie die Fäden durchschneiden, an denen sie hing«, schloß ich, »oder Geld dafür kassieren, falls Sie es bleiben ließen.« »Nur zu, Metcalf! Beleidigen Sie mich! Tausend Dank!« »Keine Ursache, Junge! Kommen Sie, Angwine, Ihre Story sieht nicht besonders gut aus, selbst im schwachen Licht des wenigen, was ich bisher in Erfahrung bringen konnte.« Gelegentlich
kommen
mir meine Metaphern
bemerkenswert flüssig über die Lippen. »Morgenlander hat Sie als Erpresser klassifiziert, und Doktor Testafer zeigte den Inquisitoren Ihren Namen im Terminbuch, wo er sich öfter als einmal findet. Sie und Stanhunt verbindet mehr als nur ein Abendspaziergang rund um den Häuserblock!« Er faltete seine Hände auf dem Tisch wie ein artiger Schuljunge. »Ursprünglich wollte ich ihn wegen der Sache besuchen, über die ich gerade gesprochen habe. Ich war ziemlich aufgeregt und warf ihm ein paar häßliche Dinge an den Kopf, um eine Reaktion zu provozieren.« Seine Hände zuckten auf eine Weise, die mir verriet, daß er sich diese Erinnerung nicht aus den Fingern gesogen hatte. »Aber er verteidigte sich mit keinem Wort. Offensichtlich hatte er etwas zu verbergen, und das Geld drängte er mir praktisch auf.« »Okay, immer langsam. Also haben Sie beide eine Art Kompromiß geschlossen
das Tauschgeschäft hieß: Ihre
Rage gegen sein Bares auf die Hand.« »Er versuchte, mir Angst einzujagen, behauptete, ich wäre in tieferem Wasser , als ich ahnte, und forderte mich auf zu gehen. Aber er konnte sehen, daß ich elend beisammen war, und bot mir Geld an. Ich nahm es. Für ihn hatte es sichtlich keinerlei Bedeutung. Für mich sehr wohl.« »Und so wurden Sie in die Familie aufgenommen. In die Marionettenfamilie.« »Rutschen Sie mir doch den Buckel runter, Metcalf.« Ich lächelte. »Woher kommen Sie eigentlich, Angwine? Wo hat man Ihnen beigebracht, das unschuldige Opfer zu spielen? Sie geben ja die Pointe für jeden nur denkbaren schlechten Witz ab!« Fragen sind an sich etwas Unverschämtes, und dies war eine Frage, die noch dazu eingebettet war in lauter Unverschämtheiten. Es überraschte mich, als er die eine Frage herauspickte und sie geradlinig beantwortete, aber ich glaube, er war ein ziemlich verzweifelter Mann. »Ich bin aus L.A. hierhergekommen«, sagte er ernst, »nach sechs Jahren in der Army. Während der ganzen Zeit versuchte
ich,
Militärsoziologie Armeeinquisitoren
zu
einem
zu
akademischen
kommen.
haben
mich
Grad
Vergeblich, immer
in die
wieder
rausgeschmissen. War ihnen wohl lieber, ihre Toiletten billig geputzt zu bekommen, so sehe ich das jetzt. Also nahm ich meinen Abschied, mit einem bißchen Karma und einem bißchen weniger Geld. Und kam her, um meine
Schwester zu besuchen.« »Wo wohnen Sie hier?« »Anfangs war ich bei einem Freund in Palo Alto untergekommen, dann für ein paar Tage bei meiner Schwester, bevor Celeste Stanhunt einzog. Und jetzt wohne
ich
nirgendwo.«
Er
machte
eine
resignierte
Bewegung mit der offenen Hand. »Morgenlander hat mir klar zu verstehen gegeben, daß ich mich nicht mehr in der Nähe des Hauses in der Cranberry Street blicken lassen darf.
Ich
habe
zwei
verbracht,
aber
dort
Nächte
in
muß
man
der
Jugendherberge
ein
Minimum
an
Karmapunkten nachweisen, und das kann ich nicht mehr.« Langsam erwärmte ich mich für ihn, aber das war bloß der
generelle
Effekt,
den
früher
oder
später
jeder
Jammerlappen auf mich ausübt, der noch erbärmlicher dran ist als ich. Ich war so vorhersehbar wie Pawlows sabbernde Hunde. Irgendwo
hatte
anscheinend
eine
Kellnerin
ihre
Übersichtskarte konsultiert und bemerkt, daß wir darauf aufschienen. Jedenfalls beugte sie sich nun über den Tisch und fragte, ob wir was trinken wollten. Ich bestellte Tequila und trug ihr auf, einen Spiegel mitzubringen. Angwine schüttelte nur den Kopf in der Düsternis, und die Kellnerin verschwand wieder. Ich hatte eine Eingebung. »Sie bezahlen mich mit Stanhunts Geld, wie?« Er überlegte eine Weile und entschied sich dann für die Wahrheit. »Allerdings. Und jetzt werden Sie es mir gleich
zurückgeben
und
mir
raten,
die
ganze
Sache
zu
vergessen.« »Nein«, sagte ich. »Ich finde es nur komisch. Wir haben wohl beide an derselben Zitze genuckelt. Bloß ist jetzt die Milch versiegt.« Ich klopfte mir auf die Jackentasche. »Der letzte Rest?« »Mehr oder weniger.« Die Kellnerin kam zurück. Sie stellte meinen Drink hin und
legte
einen
Plastikhalm
mit
kleinen dem
Taschenspiegel
und
Vistamont-Logo
und
einen der
Telefonnummer des Hotels daneben. Ich zahlte mit einem Zwanziger, und wo ich schon die Geldtasche auf dem Tisch hatte, nahm ich gleich ein Briefchen meiner Mischung heraus und faltete es auf. Als ich den Stoff mit dem Taschenmesser zurechtschob, merkte ich mit einem Auge, daß Angwine jede meiner Bewegungen verfolgte. »Sie schnupfen nicht, oder?« »Nein.« »Das Militär?« »Nein. Hab einfach nie angefangen damit.« Ich spürte einen neuerlichen Anflug von Mitleid für den Jungen, aber diesmal durchsetzt mit Verachtung. »Sie geben einen ziemlich spaßigen Erpresser ab, Angwine.
Stanhunt
konsumierte
Forgettol,
und
zwar
Unmengen davon. So vor ihn hinzutreten und ihn zu bedrohen, ohne zu wissen, was er im Moment alles vergessen hatte und was nicht
das ist verdammt dumm.
Die Variante von Stanhunt, zu der Sie damals sprachen,
erinnerte sich vielleicht nicht einmal daran, wer Ihre Schwester war!« Ich beugte mich vor und schnupfte den Stoff durch den Plastikhalm hoch, ehe ich mich zurücklehnte und mir den Überschuß durch die Kehle rieseln ließ. Als ich genug hatte, wischte ich mit dem Ärmel über den Spiegel und steckte den Halm ein. Angwine mußte die ganze Zeit damit verbracht haben, sich seine Rede auszudenken, denn als er schließlich damit ansetzte, klang es auswendiggelernt. »Es ist einfach nur eine raffiniertere Version von guter Bulle/schlechter Bulle«, sagte er. »Was?« »Sie arbeiten gar nicht für mich. Sie sind bloß ein Handlanger der Inquisitoren. Sie beobachten mich und stellen mir Fragen. Dabei machen Sie sich meine Angst vor denen zunutze, aber in Wahrheit gibt es gar keinen Unterschied zwischen Ihnen und denen.« Er kicherte. »Es ist einfach ein Spiel. Die Inquisitoren nehmen mein Karma, Sie nehmen mein Geld, und dann ist das Spiel vorbei. Sie spielen den Zynischen, Illusionslosen, tun so, als wären Sie mehr als ein Rädchen im Getriebe, aber das ist nichts als Pose.« Seine Stimme bekam einen hysterisch ansteigenden Beiklang
der Tonfall eines Mannes, der versuchte, sich
selbst zu überzeugen. »Sie leben und arbeiten unter dem Schutzschirm dieser Leute, sonst hätten die Sie schon längst ausgeschaltet!« »Da liegen Sie völlig falsch, Angwine. Es ist weitaus komplizierter, als Sie denken.«
»Aber sicher«, sagte er. »Erklären Sie es mir doch.« Sein Gesichtsausdruck wirkte auf mich wie der eines Häschens, das die Umstände zu einer reißenden Bestie gemacht hatten. »Erst mal hätte ich Ihren Fall sofort abgelehnt, als Sie in meinem Büro auftauchten, wenn ich
Ihnen
nicht
geglaubt hätte. Die Inquisitoren spezialisieren sich auf saubere Lösungen, die zumeist auf Kosten der Wahrheit gehen; das ist einer der Gründe, weshalb ich ausgestiegen bin und Privatdetektiv wurde. Sie haben recht, wenn Sie eine Art von Symbiose zwischen den Inquisitoren und mir feststellen, aber die Kerle sind auch ohne meine Hilfe durchaus in der Lage, das Spiel guter Bulle/schlechter Bulle zu inszenieren, und das wissen Sie. Ich habe schon viel Zeit damit verbracht, mir den Kopf darüber zu zerbrechen, warum das Büro mich toleriert. Das ist nicht einfach, und ich bin nicht besonders erpicht darauf, es Ihnen jetzt zu erklären. Wie ich schon einmal sagte, Sie kaufen sich mit Ihrem Geld keinen neuen Freund fürs Leben. Ich arbeite für Sie, aber Sie sind nicht mein Boss, weil ich besser als Sie weiß, wie ich vorgehen muß. Und wenn Sie sich in meiner Gesellschaft nicht wohl fühlen
nun, Sie müssen ja nicht
meinem lokalen Fanklub beitreten, auch wenn Sie die Mitgliedschaft schon bezahlt haben. Mir ist schon lange klar,
daß
mein
Job
nicht
nur
darin
besteht,
das
aufzudecken, was die Menschen voreinander geheimhalten, sondern auch
oder in erster Linie
darin, das zu
erfahren, was sie vor sich selbst geheimhalten.« Darüber ließ ich Angwine brüten, während ich mein Glas zur Brust nahm und mich umsah. Jetzt hatten sich meine Augen halbwegs an die schwache Beleuchtung gewöhnt, und ich konnte die anderen Gäste an ihren Tischen ausmachen
gerade eben. Es überraschte mich etwas,
einen Känguruh-Evoluten in der Nähe des Fensters zu erblicken, der allein bei einem Drink saß. Das Mondlicht, das durch das Fenster hereindrang, schien ihm in sein pelziges Gesicht. Er starrte zu unserem Tisch herüber und sah weg, als ich zurückstarrte, aber er war zu weit entfernt, um zu hören, worüber wir redeten, und so beachtete ich ihn nicht weiter. Die Vorschriften, die Evoluten den Zutritt zu gewissen Lokalitäten untersagten, wurden zusehends laxer gehandhabt, und intolerante Naturen wie ich mußten sich eben daran gewöhnen. »Ich habe die Sache zu Ende gedacht«, sagte Angwine. »Auf mich wartet die Tiefkühltruhe.« Ich wandte mich zurück in seine Richtung. Angwine war wieder zum Häschen geworden, aber diesmal nicht zur reißenden Bestie. Er war ein ängstliches Häschen
ängstlich und
müde. »Wie kommen Sie darauf?« »Es ist unabwendbar. Sie sprechen es nicht aus, aber ich habe es genau überdacht, und es ist das einzig Logische. Ich sollte mich darauf vorbereiten, aber ich weiß absolut nichts darüber.« »Es
ist
ziemlich
einfach«,
sagte
ich.
»Man
wird
etikettiert, eingelagert, und wenn man einen guten Anwalt oder ein Familienmitglied in einflußreicher Stellung hat, dann geht man nicht verloren und wird früher oder später wieder aufgetaut. Aber so hat das meines Wissens nach schon immer funktioniert.« »Was meinen Sie damit?« Ich bemühte mich, nicht zu hart zu sein. »Der einzige Unterschied zwischen einem Gefängnis und dem Froster besteht darin, daß man im Gefängnis Karten spielt, Geburtstage feiert und einen gesunden Widerwillen gegen den Rest der Menschheit aufbaut, wohingegen man im tiefgefrorenen Zustand nichts davon tut. Außerdem ist es billiger und einfacher zu verwalten für die Gesellschaft, die schließlich für die Rechnung aufkommen muß. In jedem Fall kommt man verblödet und verarmt raus und hört, daß die Braut längst mit nem anderen Kerl pennt. Aber es ist immer so und wird s immer sein, daß Geld und gute Beziehungen darüber entscheiden, ob man mit einem blauen Auge davonkommt oder die ganze Speisekarte vorgelegt kriegt. Haben Sie jemanden, der sich um Sie kümmern würde?« »Meine Schwester«, sagte er mit kraftloser Stimme, »nur sie.« »Keine Kumpel aus L.A.? Keine Kameraden aus der Militärzeit?« »Eigentlich nicht.« »Ihre Schwester ist nämlich nicht gerade aus der Sache heraus«, hielt ich ihm vor Augen, »wo sie doch das Kind
des Mannes aufzieht, den Sie angeblich umgebracht haben. Wann haben Sie zum letztenmal mit ihr gesprochen?« »Als Celeste auftauchte und ich auszog.« »Ich kann versuchen, Ihretwegen mit ihr zu reden«, bot ich ihm an. »Über das, was sie zu tun hat, wenn man Ihnen die Karte wegnimmt.« »Ja«, sagte er leise. »Das wäre gut.« Eine Zeitlang saßen wir schweigend da. Ich hatte genug mit meinem Drink und wußte es, aber ich hob dennoch das Glas, um meine Hände zu beschäftigen, und leckte es innen so weit aus, wie meine Zunge reichen wollte. Dabei warf
ich
einen
Blick
hinüber
zum
Känguruh
am
Fenstertisch, und das Känguruh senkte rasch die Augen zurück auf sein eigenes Glas. Schließlich sagte ich: »Hier ist der Schlüssel zu meinem Büro. Sie können heute nacht dort bleiben und morgen früh den Schlüssel nebenan beim Zahnarzt lassen. Bleiben Sie von den Aktenschränken weg und gehen Sie nicht ran, wenn das Telefon klingelt.« »Okay«, sagte er, sichtlich überrascht. »Vielen Dank.« »Keine Ursache.« Ich setzte meinen Hut auf. »Ich gehe jetzt, aber Sie erreichen mich über den Telefonbeantworter bei mir zu Hause. Halten Sie mich auf dem laufenden.« »Okay.« »Wenn ich rausgehe, geben Sie acht, ob mir jemand folgt. Tun Sie nichts, stellen Sie es nur fest.« »Okay.« Ich stemmte mich aus meinem bodenlosen Sessel hoch
und wandte mich auf gummiartigen Beinen Richtung Theke,
wobei
ich
der
Versuchung
widerstand,
mich
umzusehen. Ich ließ einen Zwanziger auf den Tresen fallen und sagte: »Bringen Sie meinem Freund einen Drink.« Die Kellnerin nickte und warf einen Blick hinüber zu Angwine. Ich steckte die Hände in die Taschen und verließ die Bar. Das Licht in der Eingangshalle schmerzte in den Augen, aber die Luft roch ein wenig frischer hier. Ich nickte dem Portier zu und trat hinaus auf den Parkplatz. Ich blieb eine Minute lang im Wagen sitzen und gab dem Pochen in meinen Schläfen ausreichend Gelegenheit, seine Tätigkeit einzustellen, doch es wollte sie einfach nicht ergreifen. Ich fühlte mich nicht gerade großartig, aber jetzt bezahlte jemand für meine Zeit, und zwar ein Junge, dem selbst nicht mehr viel Zeit blieb. Eine Stimme in meinem Kopf flüsterte mir ein, nach Hause zu fahren und mir noch einen Nachschlag durch die Nase zu jagen, doch eine andere Stimme meinte, es wäre höchste Zeit, endlich ein wenig Beinarbeit zu zeigen. Ich seufzte und entschloß mich, diesmal auf die zweite Stimme zu hören. Also machte ich mich auf den Weg zum Schauplatz des Verbrechens. Der Mord war nachts verübt worden, und wenn ich es geschickt anstellte, würde ich mit demjenigen ein paar Worte wechseln können, der den Leichnam gefunden hatte. Aus Erfahrung wußte ich, wenn ich bei Hotelangestellten Glück haben wollte, mußte ich mich an die
Nachtschicht
Nachtschicht
und
halten. mich
Ich
weiß
schien
nicht,
einfach
wieso.
eine
Die
gewisse
Seelenverwandtschaft zu verbinden. Wenn ich jedoch Pech hatte, würden die Inquisitoren den Ort immer noch rund um die Uhr hermetisch abriegeln. Egal, dann würde ich eben die Neulinge unter ihnen anzapfen, um zu einem Zipfel Insiderwissen über die Vorgangsweise der Behörde bei diesem Fall zu kommen. Ein Haufen kurzweiliger Aussichten zwischen mir und meinem unvermeidlichen Rendezvous mit einem Kater.
Kapitel 8 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Vom Hotel Vistamont zum Bayview-Motel für Erwachsene war es ein langer Rutsch die Karmaspirale hinab, aber wenn Stanhunt und sein Mörder ihn gewagt hatten, dann konnte ich das auch. Ich bog in den Parkplatz ein und stellte den Wagen ab; außer dem meinen waren noch vier oder fünf weitere Fahrzeuge da, und die Nummernschilder verrieten mir, daß alle im Staat Kalifornien zugelassen waren. Das Bayview-Motel war ein Etablissement für Urlauber, die von ihren Ehemännern und -frauen Urlaub machten, und man sah auf seinem Parkplatz deshalb keine Nummernschilder von außerhalb des Staates, weil die Leute dort für diese Art von Urlaub ihre eigenen Versionen eines Bayview-Motels hatten. Aber der Kasten erlaubte tatsächlich einen hübschen Anspruch genommenen
wenngleich wohl selten in
Ausblick über die Bucht.
Ich stieg aus dem Wagen und hielt inne: Hinter mir vernahm ich das leise Schnurren eines Motorrads, das die Geschwindigkeit verringert. Ich fuhr rechtzeitig herum, um einen Motorroller um die Ecke biegen und in der nächsten Seitenstraße verschwinden zu sehen. Auf meinem Weg von den
Hügeln
herab
hatte
ich
zwar
den
einzelnen
Scheinwerfer bemerkt, der mir hartnäckig folgte, wobei mir fast so war, als würde ich den Atem des Fahrers an
meinem Nacken spüren, aber ich hatte mich bemüht, mich davon nicht zu einer falschen Reaktion hinreißen zu lassen. Ein Verfolger ist wie ein Pickel; er fällt zu gegebener Zeit ab. Man kann versuchen, den Vorgang zu beschleunigen, aber normalerweise macht man damit die Sache bloß schlimmer. Ich ging hinüber zum Empfang des Motels und sah durchs Fenster. Die Eingangshalle war mit Ausnahme des Portiers menschenleer, und ich konnte das blecherne Jaulen eines Radios hören, das irgendwo im Hintergrund spielte. Ich trat ein, wobei ich sorgfältig der Türmatte auswich; sie sah aus, als könnte sie meinem Schuhwerk ernstliche Schäden zufügen, und ganz gewiß machte sie es nicht sauberer. Die Empfangshalle war schmuddelig. Schmuddelig ist das einzige Wort dafür. Die Möblierung war halbwegs neu, aber geschmacklos, und die Wände brauchten dringend einen neuen Anstrich. Selbst die Musik, die irgendwo aus dem Radio kroch, klang, als wäre sie mit Staub bedeckt. Der Nachtportier hob den Kopf von seiner Lektüre und musterte mich mit Augen, wie sie mir aus identischen grauen Tränensäcken seit dreiundvierzig Jahren aus dem Spiegel
entgegenblicken.
Fünfzigern,
seine
Haut
Er
war hatte
irgendwo die
in
Farbe
den von
Zigarettenasche, und sein Haar war im Begriff, den Kampf gegen eine weiße Glatze zu verlieren. Ich schloß die Tür hinter mir, und eine kleine Klingel kündigte mit kraftlosem Trillern mein Eintreffen an.
Der Portier senkte den Blick wieder; seine Zeitschrift erschien ihm sichtlich wichtiger als meine Person. Ich sagte guten Tag. »Wir müssen das Mädchen zu Gesicht bekommen«, sagte er. »Tiere haben keinen Zutritt. Wenn es ein Tier ist, müssen Sie mit ihm woanders hingehen.« »Ich bin allein«, sagte ich. »Ich stelle Nachforschungen in einem bestimmten Kriminalfall an, und ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen.« Er blickte nicht auf. »Nur mit Legitimation.« Ich zog meinen Ausweis hervor, und der Mann sah ihn beinahe an. Nach einer Minute steckte ich ihn wieder ein. »Privatdetektiv«, sagte er zu sich selbst. »Nein, das geht nicht. Sie können morgen früh mit dem Manager reden.« Seine Handbewegung gab mir zu verstehen, daß ich mich als entlassen betrachten konnte
nur machte er
sich nicht die Mühe, die Geste zu Ende zu führen; er reduzierte sie auf ein Zucken zweier Finger. Ich trat einen Schritt zur Seite und bemühte mich, einen Blick ins Hinterzimmer zu werfen. Der Portier tat so, als würde ich nicht existieren. Vom Radio abgesehen kam kein
Laut
aus
dem
anderen
Raum.
Das
Licht
war
abgeschaltet, und soweit es sich feststellen ließ, waren wir beide allein. Auch das Schlüsselbrett war ziemlich voll, und so hatte ich das Gefühl, ich konnte dem Kerl ziemlich hart auf die Zehen treten,
ohne viel
Aufmerksamkeit zu
erregen. »Okay«, sagte ich und streckte meine Hand nach dem
Schlüsselbrett
aus.
»Schätze,
ich
werde
mich
mal
umsehen.« Er klappte die Zeitschrift zu und schob sie beiseite, ehe er hochsah. Ich konnte einen zweiten Blick in seine Augen werfen, und da wurde mir klar, weshalb er sie zwischen den Seiten einer Zeitschrift versteckte. Das Motel war Marke graue Maus, genau wie der Portier
wenn man von
seinen Augen absah. Die unterschieden sich um einige Klassen vom Rest; diese Augen waren schon einige Tode gestorben und lebten immer noch. Der Teil von mir, der mit dem Gedanken gespielt hatte, dem Kerl auf die Zehen zu treten, riet mir nun, von diesem Vorhaben abzusehen. Nicht, weil ich plötzlich dachte, ich könnte es nicht mit ihm aufnehmen. Ich war sicher, daß ich es konnte, aber etwas in diesen Augen sagte mir, daß das Unterfangen wohl seinen Preis hätte. »Sense, Mann«, sagte er mit steinerner Miene. »Sense! Hauen Sie ab, Mann, Sie sind an den Falschen geraten!« »Ich bin genau an den Richtigen geraten. Ich möchte mit Ihnen reden.« »Aber ich möchte nicht mit Ihnen reden.« Es klang zwar gleichmütig, doch seine Finger trommelten unruhig auf den Tisch. Ich schälte die äußerste Banknote von der Rolle, die Angwine mir gegeben hatte, hielt sie hoch, damit er sehen konnte, daß es ein Hunderter war, und riß sie mitten durchs Porträt in die Hälfte. Eine der beiden Hälften steckte
ich ein, die andere warf ich auf den Tisch, direkt neben seine Hand. Er zeigte keine Reaktion. »Ich führe das traute Paar wieder zusammen, wenn Sie mich einen kurzen Blick in das Mordzimmer werfen lassen«, gurrte ich. Er lächelte, und das unheimliche Leuchten in seinen Augen erlosch. »Immer gern zu Diensten.« Der halbe Schein verschwand in
die Tischlade, die von
einem
Schlüssel versperrt wurde; der Schlüssel verschwand in seiner Jackentasche. Er stand auf und schüttelte den Kopf langsam, als hätte er Nackenschmerzen, und holte einen Schlüsselbund von der Wand. Ich nannte meinen Namen und bot ihm die Hand an. Er sah mich komisch an, ignorierte meine Hand und sagte: »Shand.« Ich hielt es für seinen Nachnamen, aber so, wie es klang, hätte es auch ein Husten oder Niesen sein können. »Sie hatten Dienst, vergangene Nacht?« Ich trat zur Seite, um ihm den Vortritt zu lassen. »Anzunehmen«, sagte er über die Schulter. Ich erkannte das Zimmer von den Bildern wieder, die ich in der Zeitung gesehen hatte; es war ein Motelzimmer wie jedes andere, mit einem riesigen Videoschirm an der Wand und einer Kamera, die wie ein Geier über dem Bett lauerte. Der zerrissene Vorhang war bereits erneuert worden, aber das
Tischchen ließ deutlich den Fleck
erkennen, wo man das Blut abgescheuert hatte. »Gibt s ein Band von dem Mord?« fragte ich.
»Nee.«
Shand
Nasenflügel.
zupfte
»Das
war s
nachdenklich wohl
nicht,
an
seinem
weshalb
sie
hiergewesen sind.« »Wer?« »Mister Stanhunt und derjenige, der ihn umgebracht hat.« Shand ließ sich nicht zu persönlichen Spekulationen hinreißen. »Haben Sie ihn zu Gesicht bekommen?« »Ich habe Mister Stanhunt gesehen.« »War er bei der Anmeldung allein?« »In den letzten beiden Wochen war Mister Stanhunt immer wieder hiergewesen, und er hat sich stets allein angemeldet. Ich trete den Gästen nicht aus Spaß auf den Schlips. Er zahlte pünktlich seine Rechnung, und damit hatte es sich.« »Ja,
er
hatte
die
pünktlich zu bezahlen
Gewohnheit,
seine
Rechnungen
vielleicht eine zuviel. Sie haben ihn
nie in Begleitung gesehen?« »Sagte ich doch schon.« Shand war an der Tür stehengeblieben, eine Hand auf dem Türknauf; er wollte offenbar keinen Zweifel daran lassen, daß es ihn zu seiner Zeitschrift zurückzog. Ich setzte mich auf das Bett. »Sie haben den Leichnam entdeckt?« »Genau. Die Tür war offen. Ich sah ne Weile hin, und dann
benachrichtigte
ich
das
Büro.
Bin
nicht
reingegangen.« Aus seinem Mund klang es wie eine Partie Romme.
»Keine Waffe?« »War doch nicht meine Sache, danach zu suchen. Wenn die Inquisitoren auf eine Waffe gestoßen sind, haben sie es mir jedenfalls nicht auf die Nase gebunden.« Ich nickte. Shand starrte mich einfach an mit diesen toten Augen, die schon so viel gesehen hatten, daß sie nun gar nichts mehr sahen. »Arbeiten Sie schon lange hier?« fragte ich. »Hängt davon ab, was Sie
lang
nennen. Ich arbeite
schon lange in solchen Buden wie dieser hier, aber ich hab einen Hang zum Kommen und Gehen.« »Und vermutlich ist Ihre Neugier auch nicht mehr das, was sie einmal war.« Das gefiel ihm. »So könnte man es sagen.« Er kramte in seiner Jackentasche und holte eine kleine Phiole heraus. Ich sah ihm zu, wie er den Verschluß abschraubte, den kleinen Finger hineintauchte und ihn mit einem Häubchen aus weißem Pulver an der Spitze zurückzog. Während er sich ein Nasenloch zuhielt, schob er sich das Pulver mit einer gewandten Bewegung in das andere, ehe er die Phiole wieder zuschraubte und einsteckte. Ich stellte mir vor, wie das Pulver
Akzeptol oder Avoidol, wahrscheinlich
den leeren Raum hinter seinen Alptraumaugen füllte. Das Geräusch eines ankommenden Wagens draußen auf dem Parkplatz war zu hören, und wir hoben beide den Kopf. Er drehte mir den Rücken zu und sagte: »Na, das war s dann « »Ich möchte noch ein paar Minuten hier im Zimmer
bleiben«, erklärte ich. Er
wandte
sich
um,
bedachte
mich
mit
einem
durchdringenden Blick und zuckte die Achseln; ich wurde als nicht der Mühe wert befunden. »Ich komme später wieder und schließe ab«, sagte er und ging in Richtung Empfang davon. Es gab keineswegs etwas Spezielles, wonach ich mich in dem Raum umschauen wollte. Ich wollte den Raum selbst sehen, wollte versuchen, ihn mit Stanhunts Augen zu betrachten. Überflüssig zu erwähnen, daß es sich natürlich nicht um ein besonders hübsches Zimmer handelte. Ich stellte mir Stanhunt in dem Moment vor, als er es zum erstenmal angesehen hatte
genauso wie mich, soll
heißen, mit gerümpfter Nase. Alles, was Maynard Stanhunt getan
und
gesagt
hatte,
war
Verkörperung
seiner
Verachtung für dieses Motelzimmer gewesen und für die Art von Leben, die in derartigen Räumen geführt wurde. Doch irgend etwas hatte ihn hierhergebracht, und zwar öfter als einmal. Irgend etwas machte es ratsam oder notwendig, seine Wertmaßstäbe herabzusetzen und einen kleinen Teil seines Lebens Sterben
und nicht zu vergessen sein
in diesem Zimmer zu verbringen.
Mein Job bestand nun darin festzustellen, woraus dieses irgend etwas bestand. Ich hatte den Verdacht, es würde sich als etwas ganz Simples herausstellen, wenn ich darauf stieß, doch im Moment hatte ich noch keinen Schimmer. Schritte auf dem Korridor unterbrachen mein Grübeln. Ich blickte auf in der Erwartung, Shand zu sehen, doch es
war nicht Shand. In der Tür stand der Känguruh-Evolut, den ich in der Bar des Vistamont gesehen hatte. Er trug eine Leinenjacke und Hosen aus synthetischem Stoff mit elastischer Taille. Die Pfoten hatte er in den Hosentaschen versenkt. Er trat ins Zimmer, und ich stand vom Bettrand auf. »Du mischst dich in Dinge, die dich nichts angehen, Schwachkopf«,
sagte
er.
Er
sprach
in
einer
Art
abgehacktem Singsang; seine Stimme war eine Spur zu hoch für den bedrohlichen Beiklang, den er ihr gern verliehen hätte. »Ich verstehe«, erwiderte ich. »Das hoffe ich in deinem Interesse. Wäre schade, wenn ich dir deine beschissenen Eier abschneiden müßte.« »Da kann ich dir nur beipflichten, Joe.« Ich versuchte, mich an ihm vorbeizudrängen, aber er trat mir von der Seite
in
den
Weg,
und
unsere
Schultern
stießen
zusammen. »Nicht so schnell, Schwachkopf. Wir haben was zu besprechen. Gehen wir zu deinem Wagen.« Ich sagte nichts. Er griff in die Innentasche seiner Jacke und zog eine kleine schwarze Pistole heraus. Er hielt sie recht zwanglos in der Pfote, so wie man einen Schokoriegel oder ein
Stück Seife hält. Nur würde diese Knarre
niemanden satt oder sauber machen. Er paßte nur schlecht auf den Beifahrersitz meines Wagens. Die Innenbeleuchtung erlosch, als ich meine Tür zuwarf, und seine Gestalt verkümmerte zu einer struppigen
Silhouette. Ich konnte die Waffe in seiner Pfote nicht mehr sehen, aber ich wußte, sie war noch dort. »Hör zu und hör gut zu«, sagte er mit einem Vibrato in der
Stimme;
es
hörte
sich
an,
als
hätte
er
den
Schlägerjargon bisher an seinem kleinen Bruder geübt. Ich bin kein Fachmann, was das Alter von Känguruhs angeht zumindest nicht, ohne einen eingehenden Blick auf ihre Zähne werfen zu können
, aber es lag auf der Hand, daß
Joey noch ein wenig naß hinter den Ohren war. »Du machst gewisse Leute mißmutig«, sagte er. »Du weißt gar nicht, wie ungesund das sein kann. Angwine ist keine gute Gesellschaft für dich; du solltest dich mit ihm zusammen nicht so oft sehen lassen. Du solltest vielmehr die Finger von ihm lassen und nach Hause gehen. Wir schicken
dir
statt
dessen
einen
schnuckeligen
Scheidungsfall.« »Wer ist wir ?« »Du sollst mir keine Fragen stellen, Schwachkopf. Ich bin
nicht
hergekommen,
um
deine
kindischen
Amateurschnüfflerfragen zu beantworten.« »Mach nicht auf Mensch bei mir, Joe! Gegenüber einem Känguruh hab ich immer noch meine Vorrechte! Wer hat dich also geschickt?« Für den Fall, daß ich die Pistole vergessen hatte, rammte er sie mir in den Bauch. Wie die meisten Evoluten hörte auch er es nicht gern, wenn man ihn an seinen Stammbaum erinnerte. »Ich arbeite für Phoneblum, wenn dir das etwas sagt.«
Mir kam ein Verdacht. »Danny Phoneblum?« Er bohrte mit der Knarre in meinem Brustkorb herum. »Ganz recht. Du wirst dir noch wünschen, nie von ihm gehört zu haben. Schon aus der Ferne hatte Danny die Nase voll von dir, und du tust mir jetzt schon leid, wenn er dich mal aus der Nähe sieht.« Sein Herumgestochere mußte den Antigrav-Stift in meiner Hemdtasche gelockert haben, denn nun machte er sich selbständig und schwebte zwischen uns beiden in der Luft, was das Känguruh einen Augenblick lang irritierte, ehe es hinlangte und den Stift zu Boden klatschte. »Also
seid
ihr
beide,
du
und
Danny,
echte
Busenfreunde, wie?« »Allerdings.« Er rutschte auf dem Sitz herum, richtete seinen
mächtigen
Schwanz
zurecht
und
hielt
dabei
unbeirrbar den Lauf der Pistole gegen meinen Solarplexus gepreßt. Es muß unbequem für ihn gewesen sein. »Dann kannst du ihm sicher eine Botschaft von mir überbringen, nicht wahr?« »Klar.« »Sag ihm, nächstes Mal, wenn er mit mir reden will, soll er mir kein Beuteltier schicken.« Er entfernte die Pistole von meiner Mitte, und in der Dunkelheit konnte ich nicht sehen, was er damit vorhatte. Doch im nächsten Moment landete sie so hart auf meinem Mund, daß der Schlag meinen Hinterkopf gegen die Nackenstütze schleuderte. Ich bemerkte augenblicklich den Geschmack
von
Blut
im
Mund,
aber
der
hohe
Drogenspiegel in meinen Adern verhinderte, daß ich viel Schmerz spürte. Es folgte eine Sekunde absoluter, unnatürlicher Stille. Er war vermutlich genauso verblüfft wie ich von der Heftigkeit dieser unmittelbaren Gewaltanwendung. Gewalt hat bei diesem Spiel aus Sprücheklopferei und forschen Retourkutschen normalerweise nichts zu suchen, denn sie bereitet dem flotten Ping-Pong ein unelegantes Ende und läßt einen wünschen, man wäre morgens unter der warmen Bettdecke geblieben. »Okay«, sagte ich durch das Blut und die Spucke hindurch, die sich in meinem Mund ansammelten, »bist ein echter Teufelskerl.« »Du
denkst,
du
kannst
dich
da
rausbluffen,
Schwachkopf, aber du irrst dich. Diesmal nicht. Gib es auf.« Ich legte die Hände auf das Lenkrad, um nicht in Versuchung zu geraten, sie um seinen feisten Hals zu legen. »Botschaft verstanden. Und jetzt hüpf weiter, Cassidy.« Er öffnete die Tür, und die Deckenbeleuchtung flammte auf. Sein Känguruhmaul verzog sich zu einem schiefen, schwarzen Grinsen, und darüber zuckte seine glänzende Nase. »Beim erstenmal hattest du s richtig, Schwachkopf. Joey Castle ist der Name.« »Werd s mir merken.« Er schob sich rückwärts aus dem Wagen, die Pistole nach wie vor auf meine Magengrube gerichtet, schlug die
Tür zu und verschwand in der Finsternis. Ich holte den Schlüssel aus der Hosentasche und startete den Motor. Im ersten Moment dachte ich daran, ihm zu folgen, aber ich war noch zu benebelt, um zu fahren. Also blieb ich bei laufendem Motor und abgeschalteten Scheinwerfern im Wagen sitzen. Ich wischte mir nicht über den Mund, weil ich keine Lust hatte, mir die Hände blutig zu machen. Als ich hörte, wie draußen ein Motor ansprang, drehte ich mich um und sah gerade noch das reflektierende Nummernschild seines Motorrollers aus dem Parkplatz auf die Straße biegen. In düsterer Stimmung blieb ich noch fünf oder zehn oder zwanzig Minuten so sitzen. Der halbe Hunderter in meiner Jackentasche fiel mir ein, aber ich konnte mich nicht dazu überwinden, aus dem Wagen zu steigen und Shand mit blutigem Mund gegenüberzutreten. So dachte ich an das Känguruh und daran, was für eine grüne Flasche es war. So grün, daß es sein Großmaul nicht halten konnte und mir seinen und Phoneblums Namen und sogar seine persönliche Beziehung zu letzterem verraten mußte.
Wenigstens
hatte
ich
eine
anständige
Gegenleistung für mein Maulvoll Knarre bezogen. Ein leidlich gutes Geschäft. Ich fuhr los und wählte für den Rückweg die Straße entlang der Bucht. Das bedeutete einen Umweg, aber nachts bot das Wasser einen Anblick, den ich dringend benötigte.
Kapitel 9 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Ich benutze den Wecker nur, wenn ich an einem Fall arbeite.
An
erfreulichen
diesem Traum
Morgen von
hatte
normalem,
ich
gerade
wiederum
einen genital
ausgerichtetem Sex mit einer ideal konstruierten Blondine ohne jede Ähnlichkeit mit Celeste Stanhunt
, als der
Wecker ansprang und statt der Blondine den Aufwachtraum in mein Hirn projizierte. Diesmal bestand die Szene des Morgens aus einer Serie Zeichentrickschafen, die vor einem Hintergrund aus konturlosem Weiß über einen hölzernen Zeichentrickzaun sprangen. Das letzte Schaf blieb mit den Hinterbeinen am Zaun hängen und kollerte in einem Höllenkrach aus Geblöke und splitterndem Holz über das Gras,
worauf
eine
riesige
Hand
aus
den
Wolken
herablangte, das Schaf packte, ihm den Staub vom Fell schüttelte und es mit einem Klaps auf den Hintern zurückschickte zum Rest der Herde. Dann drehte sich die Hand, um das Zifferblatt einer Armbanduhr zu enthüllen, und das Zifferblatt kam näher und näher, und das Ticken wurde lauter und lauter, bis ich schließlich aufwachte. Mit Notizblock und Bleistift saß ich beim Kaffee und versuchte, mein weiteres Vorgehen stückchenweise zu planen, aber der Kaffee brannte in den frischen Wunden meines Zahnfleisches, was dazu führte, daß ich meine
Konzentration ausschließlich dafür aufwenden mußte, das Trinken meines Frühstückskaffees mittels eines einzigen Mundwinkels zu bewerkstelligen. Nachdem ich eine zweite Tasse
hinabgewürgt
Notizblock
zurück
hatte,
und
kehrte
schrieb
den
ich
zu
meinem
Namen
Danny
Phoneblum darauf, einfach um ihn einmal vor Augen zu haben. Darunter schrieb ich Pansy Greenleaf, dann Grover Testafer und Celeste Stanhunt. Ich malte noch ein paar Kreise und Dreiecke auf den Block, riß dann das Blatt ab und warf es in den Papierkorb. Nach dem Frühstück tätigte ich einen Anruf und erkundigte
mich
nach
Testafers
Adresse
und
Telefonnummer, welche ich anstandslos erhielt, und die Telefonnummer des Hauses an der Cranberry Street, welche nicht zur Verfügung stand
auch dann nicht, als ich
dem Computer meinen persönlichen Code für autorisierten Zugriff anbot. Entweder war mein Code eingezogen worden oder Celeste Stanhunts Privatsphäre zählte höher als meine Autorisierung. Wie auch immer, der Effekt war derselbe: Falls ich ein Wörtchen mit Celeste oder Pansy Greenleaf wechseln wollte, mußte ich dem Haus einen Besuch abstatten. Und ich wollte ein Wörtchen mit den beiden wechseln
zum
Henker, einen ganzen Haufen Wörter! Aber noch war der Tag ja jung. Ich hatte viel Zeit. Doch erst einmal würde ich hinauffahren in die El Cerrito-Hügel und mir Doktor Testafers luxuriöse Adresse anschauen. Ich war in der richtigen Stimmung für malerische Gegenden.
Das Haus des Doktors befand sich am Daymont Court, welcher zwar dem öffentlichen Straßennetz angehörte, aber das merkte man kaum, denn er endete in zwei Zufahrtstraßen, die beide mit dicken Ketten versperrt waren. Der Briefkasten an der linken Zufahrt trug die Aufschrift TESTAFER, also parkte ich den Wagen an einer Seite des schattigen Plätzchens und machte mich zu Fuß auf den Weg. Nachdem ich die Kette hinter mir gelassen hatte,
marschierte
ich
festen
Schritts
über
den
knirschenden Schotter, um nicht irrtümlich für einen Einschleichdieb gehalten zu werden. Das Haus stellte sich als verpfuschte amerikanische Kopie eines französischen Landhauses heraus, zusätzlich verschandelt von Sturmfenstern aus Aluminium und einer Satellitenschüssel auf dem niedrigen Schindeldach. Vor dem Haus stand kein Wagen, aber ich ging dennoch zur Tür und drückte die Klingel. Eine sanfte Frauenstimme drang aus einer unsichtbaren Gegensprechanlage: »Doktor Testafer ist im Moment nicht hier.« »Mein Name ist Conrad Metcalf«, sagte ich, ohne zu wissen, ob es irgendwo ein Mikrofon gab, das meine Worte weiterleitete. »Ich bin Privatinquisitor und habe eigentlich gehofft, mich ein wenig mit Ihnen unterhalten zu können.« Wer auch immer Sie sind
das sagte ich aber nicht.
Es folgte ein kurzes Schweigen, während ich die Umgebung der Tür nach der Sprechanlage absuchte. »Ich
ich komme gleich«, sagte die Stimme.
Ich wartete vor dem Hauseingang, aber das Geräusch kam von rechts, und als ich mich umdrehte, bemerkte ich eine kleinere Tür, die in einen niedrigeren Flügel führte. Es stellte sich heraus, daß die Stimme einem Schafmädchen mit schwarzen Ohren gehörte, das einen Morgenmantel und Pantoffel trug. Es stand in der Tür, eine Hand am Gürtel des Mantels, und blinzelte mit großen, wäßrigen Augen in die helle Sonne. Ich ging hinüber zu der kleinen Tür. »Conrad Metcalf«, wiederholte ich. Das Schaf reichte mir gerade bis an die Brust, und so trat ich wieder einen Schritt zurück, um nicht den Eindruck zu erwecken, die kleine Dame durch meine Körpergröße einschüchtern zu wollen. »Mein Name ist Dulcie.« Die Stelle zwischen ihrer Lippe und der schwarzen Nasenspitze zitterte ein wenig, wenn sie sprach. »Bitte
treten Sie ein.«
Ich nickte. »Es ist ziemlich niedrig hier drinnen«, sagte sie, »aber ich habe die Schlüssel zum Haupthaus nicht.« Sie drehte sich um und trippelte durch die Tür; ich bückte mich und folgte ihr. Der Raum war so lang und breit wie zu erwarten, aber nur halb so hoch wie normale Räume. Ich blieb gebückt am Eingang stehen, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt
hatten;
dann
schleppte
ich
mich
mit
eingezogenem Kopf zu dem Sofa, das am anderen Ende des Zimmers stand, und setzte mich hin. Mit etwas Mühe hätte ich die Decke aus sitzender Stellung erreichen
können. Testafer hatte anscheinend diesen ganzen Flügel des Hauses so umbauen lassen, daß er zu dem Schaf oder zu jemand anderem mit diesen Körpermaßen paßte. Die Farben in diesem Raum bestanden ausschließlich aus kindlichen Rosa- und Blautönen, und so ziemlich alles außer den Türgriffen und den Wasserhähnen war mit Teppichen ausgelegt. Die Vorhänge waren geschlossen, und statt vom Sonnenschein wurde der Raum von zwei großen Stehlampen erhellt, die genau wie ich den Kopf einziehen mußten, um hier reinzupassen. Ich fühlte eine gewisse Seelenverwandtschaft mit ihnen
alle drei waren
wir Außenseiter in diesem Puppenhaus. Das Schaf führte ein nervöses kleines Tänzchen auf, ehe es sich für den Lehnstuhl mir gegenüber entschloß und sich darin niederließ. Mit den Ellbogen auf den Knien beugte ich mich vor und sagte: »Hat Doktor Testafer dir erzählt, was Doktor Stanhunt zugestoßen ist?« »Doch, ja«, nickte sie. »Er war sehr bestürzt.« »Das sind wir alle«, sagte ich. »Ganz besonders mein Klient. Er steht kurz davor, den Gang in den Froster anzutreten, und ich persönlich glaube nicht, daß er den Doktor getötet hat. Kanntest du Stanhunt gut?« Das Schaf zuckte zusammen, aber das konnte vieles bedeuten: Ich bin kein Doolittle. »Ich habe ihn nur einmal getroffen.« »War er zu Besuch hier?« »Ja.« »Kommst du je raus von hier, Dulcie?«
Sie verzog die Nase. »Nicht sehr oft.« »Muß ein einsames Leben sein«, bemerkte ich. »Sie werden von mir kein Wort gegen Grover hören, wenn das Ihre Absicht ist. Ich bin durchaus glücklich hier, und wäre es nicht so, würde ich weggehen.« »Davon bin ich überzeugt. Sagt dir der Name Danny Phoneblum etwas? Doktor Testafer schien das Thema unangenehm zu sein, und ich dachte, vielleicht könntest du die Angelegenheit für mich klären.« »Ich fürchte, nein.« »Komisch«, Testafers
sagte
Worte.
Ich
ich.
»Das
erwähne
sind
genau
Phoneblum,
Doktor
und
alle
fürchten, nein. Wovor fürchtest du dich, Dulcie?« Ihre Augen weiteten sich, und ein seltsames Geräusch entrang sich ihrer Kehle, eine Art würgendes Blöken. »Ich ich sollte gar nicht mir Ihnen reden. Grover wird böse auf mich sein.« »Hast
du
je
ein
Känguruh
namens
Joey
Castle
kennengelernt? Einen Schlägertyp, der für Phoneblum arbeitet
oder es zumindest gestern abend noch tat?«
»Nein.« Es klang entschieden. Dulcie war offenbar erleichtert, endlich eine klare Antwort geben zu können. »Na gut. Versuchen wir es anders. Doktor Testafer machte sich Sorgen wegen irgendwelcher Papiere, die verlorengegangen waren. Etwas aus der Patientenkartei. Was kannst du mir darüber sagen?« »Gar nichts.« Sie schüttelte den Pantoffel von ihrem rechten Huf und kratzte sich auf unnatürlich monotone
Weise an der Flanke; offenbar hatte sie einen Floh unter ihrer Wolle. »Okay«, sagte ich. »Du fürchtest dich vor jemandem, und du willst nicht reden.
Wie du möchtest. Ich bin ein
geduldiger Mensch, ob du es glaubst oder nicht. Dies hier ist ein großer Teppich, und er scheint mir ordentlich verlegt zu
sein.
Trotzdem
daruntergekehrt
ist.«
werde Ich
ich
herausfinden,
gratulierte
mir
zu
was
meiner
Metapher und überlegte, von welcher Seite ich nun an die Sache
herangehen
sollte.
Ich
war
keineswegs
so
zuversichtlich, wie ich klang, und ich bin auch nicht wirklich geduldig
nicht einmal ein bißchen.
»Grover steht unter großem Druck«, sagte das Schaf plötzlich
zu
meiner
Überraschung.
»Sie
müssen
das
verstehen. Es ist nicht seine Schuld. Danny Phoneblum « »Das reicht«, sagte eine Stimme von der Tür. Grover Testafer zielte mit einer Waffe in meine Richtung. Es war eine elektronische Dartpistole, und er hielt sie so, als wüßte er genau, wie man damit umgeht. »Hallo, Herr Doktor!« sagte ich. Das Schaf zitterte bloß in seinem Sessel. Testafer trat ein und schloß die Tür hinter sich, ohne mich eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Wie ich feststellen konnte, beherrschte er schon den Trick, leicht in die Knie zu gehen, um in diesen Raum zu passen, und nun watschelte er wie eine Ente auf uns zu und bezog neben einer der beiden Stehlampen Stellung, wodurch sein rosiges Gesicht von unten erhellt wurde und aussah wie
eine Dämonenfratze. »Stehen Sie auf«, sagte er. »Okay«, erwiderte ich müde. »Hinaus mit Ihnen.« Ich bedachte Dulcie mit einem Lächeln und wankte mit gekrümmtem Rücken zur Tür. »Los!« Er drehte sich zu dem Schaf um. »Und du bleibst hier.« Seine Stimme klang spröde. Ich legte die Hand auf den Türgriff. »Ein guter Rat, Grover. Sie sollten vorangehen « »Maul halten!« Nun, ich hatte ihn gewarnt. Ich öffnete die Tür, machte einen Schritt nach links und preßte mich an die Hauswand. Testafer sagte: »Scheiße!«, und ich sagte gar nichts. Um durch diese niedrige Tür zu kommen, mußte er sich so tief bücken, daß er mit der Stirn fast die Knie berührte, und als seine Hand mit der Waffe erschien, trat ich dagegen, so fest ich konnte, und das war sehr fest. Dann holte ich aus und landete eine harte Gerade, die mir fast die Knöchel brach, auf seinem Kinn. Sein voluminöser Körper sackte in der Tür zusammen, aber ich packte ihn am Kragen, ehe er nach hinten ins Hausinnere zurückfiel und stieß ihn gegen die Wand. Dann bückte ich mich nach der Waffe, aber meine rechte Hand war gefühllos und schloß sich nicht richtig, also stieß ich die Pistole mit dem Fuß davon, und sie verschwand irgendwo in dem hohen Gras. Testafer stand an die Hauswand gepreßt, als würde ich ihn immer noch dort festhalten, und sein Gesicht zerfiel zu fünf oder sechs Jahrzehnten Angst und Unsicherheit.
Spucke sickerte aus dem Mundwinkel, wo ihn meine Faust getroffen hatte. Er tat mir richtiggehend leid. »Gehen wir rein, wir haben zu reden«, wollte ich sagen, doch was rauskam, war ein krächzendes Keuchen. Er nickte wortlos und ging schwankenden Schritts auf die große Haustür zu. Dulde folgte den Instruktionen, die sie erhalten hatte; nicht der leiseste Pieps drang aus dem niedrigen Flügel des Hauses. Testafers Unterkunft wirkte ein wenig geschmackvoller und weitaus geräumiger. Das Wohnzimmer war hell und luftig, zumindest vergleichsweise. Eine komplette Wand wurde von Bücherregalen eingenommen, in denen sich alte Zeitschriften in glänzenden Plastikginbänden stapelten. Ich konnte in eine weißblau verflieste Küche sehen und dahinter auf eine überdachte Terrasse an der Rückseite des Hauses. Testafer stolperte geradewegs in die Küche und spülte sich den Mund aus, wobei er das Wasser wie alten Wein über den Gaumen wirbeln ließ, ehe er es ausspuckte. Ich konnte kein Blut erkennen, aber mir tat die Hand weh, und darauf war auch kein Blut zu sehen. Hinterher kam er zurück ins Wohnzimmer und blieb vor mir
stehen.
Abwesenheit
Irgendwann hatte
er
seine
während Haltung
seiner
kurzen
wiedergefunden.
»Setzen Sie sich«, sagte er, und ich setzte mich. Den Tisch zwischen uns bildete eine aus einem riesigen Baumstamm
geschnittene,
auf
Hochglanz
polierte
Holzscheibe. Nur ein kleines silbernes Kästchen stand darauf, und es überraschte mich nicht allzusehr, als
Testafer das Kästchen aufklappte und ein wenig Stoff auf den Tisch streute. »Sie sind ein äußerst hartnäckiger Mensch, Mister Metcalf«, sagte er, und während er sprach, merkte ich, wie er dabei die Kiefer bewegte, offenbar, um festzustellen, was weh tat und was nicht. Ich entschloß mich, direkt zum Geschäftlichen zu kommen.
Ich
hatte
es
satt,
die
Leute
behutsam
abzuklopfen und nichts damit zu erreichen. »Ich muß mit Phoneblum reden«, sagte ich und bemühte mich, so zu klingen, als wüßte ich genau, was ich damit meinte. »Dabei könnte ich Ihnen behilflich sein, denke ich«, erwiderte er zurückhaltend. »Sie fassen die Dinge anders an als die Inquisitionsbehörde.« »Ich versuche es zumindest, ja.« »Ich sollte Sie warnen, daß diese Sache nicht in Ihre Zuständigkeit fällt.« »Eine der Freuden meines Jobs ist es, selbst zu entscheiden, wo meine Zuständigkeit anfängt und wo sie aufhört«, sagte ich. »Wer ist dieser Phoneblum, daß ihm soviel Respekt gezollt wird?« Testafer beugte sich vor und begann, mit einem Elfenbeinmesserchen
aus
dem
Kästchen
auf
dem
ausgelegten Stoff herumzuhacken. Er bedachte mich mit einem kurzen Blick unter den Brauen hervor und wandte sich wieder dem weißen Pulver auf
der glänzenden
Tischplatte zu. Die Sonne schickte einen Strahl durchs Fenster, der den Tisch kreuzte, und während Testafer den Stoff bearbeitete, konnte ich winzige Stäubchen sehen, die
auf dem Lichtstrahl davontanzten. »Ich habe den größten Teil meines Lebens damit verbracht, mir dies hier zu schaffen«, sagte er und machte eine ausladende Geste mit dem Arm. »Ich fühle mich nie wohl in der Stadt. Ich mag die vielen Leute nicht. Ich koche gern und liebe Musik.« Er legte das Messer zurück in das Silberkästchen. »Wir alle müssen Kompromisse eingehen. In einer idealen Welt gäbe es keinen Danny Phoneblum.« Ich nickte, um ihn in Gang zu halten. »Kennengelernt habe ich ihn durch Maynard, und ich akzeptierte ihn nur insoweit, als ich wußte, daß diese Verbindung für Maynard von Wichtigkeit war
weshalb,
das wußte ich nicht. Er ist ein windiger Ganove, wissen Sie. Aber er hatte ein Stück von Maynard in der Hand, und das fand ich heraus, als es schon zu spät war.« »Hat er auch ein Stück von Ihnen in der Hand?« »Nein
nein.«
Er
unterwarf
seine
Kiefer
einem
neuerlichen Test. »Phoneblum verfügt über Mittel und Wege, Leben und Karma anderer manipulieren
nach Belieben zu
er könnte mir das Leben unangenehm
machen, verstehen Sie, doch er hat es bisher nicht getan. Das heißt nicht, daß er mich in der Hand hat. Auch kein Stück von mir.« Er holte einen Halm aus dem Kästchen und beugte sich über den Tisch. »Sie sagen, er ist ein Ganove
in welcher Branche?«
Testafer unterbrach das Schnupfen, aber er blieb über den Stoff gebeugt. »Ich habe keine Ahnung.« »Und wer hat eine Ahnung?«
Er richtete sich auf und ordnete sein Hemd am Kragen und an den Manschetten mit exakt abgestimmten Griffen von Daumen und Zeigefinger jeder Hand. Sein Gesicht war immer noch rot, aber jetzt wirkte es gefaßter. »Phoneblum vermutlich.« »Ich weiß nicht recht, aber ich hatte den Eindruck, Ihre Schafdame hätte es mir eine Minute später verraten. Da Sie offenbar nur Vermutungen haben, wie wäre es, wenn wir rübergehen und sie fragen?« Über
das
Schaf
wollte
er
nicht
sprechen.
Seine
Fingerknöchel wurden weiß, als er sie um seine Knie krampfte, wie damals in seiner Praxis bei unserer ersten Begegnung.
»Dulcie
spricht
nicht
oft
mit
Fremden«,
brachte er mühsam hervor. »Sie ist sehr
leicht zu
beeindrucken.« Er fixierte mein Gesicht und stand plötzlich auf, so abrupt, als hätte ihn jemand an unsichtbaren Fäden hochgerissen. »Sie sind noch jung«, sagte er. »Ich bin älter, als ich aussehe.« Der Ausspruch war nicht von mir, aber ich hatte ihn so oft gestohlen, daß er schon fast mir gehörte. »Sie erinnern sich nicht mehr an die Zeit vor der Inquisition.« »Nein«, räumte ich ein. Er trat an das Wandregal und griff nach einem der alten Magazine. »Das sind Programmzeitschriften von früher«, erklärte er. »Es gab damals so viele Fernsehsendungen, daß
man
einen
Programmführer
brauchte,
um
zu
entscheiden, was davon man sich ansehen wollte.« »Es ist vermutlich gegen das Gesetz, so was im Haus zu haben«, bemerkte ich. »Das ist mir egal. Ich sammle sie. Ein Hobby von mir. Hier, sehen Sie.« Er reichte mir die Zeitschrift, die in einer Hülle aus durchsichtigem Plastik steckte und auf dem Umschlag ein Ensemble von Artisten -Jongleure, Zauberer und darunter den Namen ihrer Sendung zeigte. »Abstraktes Fernsehen ist kein Fortschritt«, sagte er. »Da vermißt man etwas, das früher eine Alltäglichkeit war. Eine
Kunstform,
die
gänzlich
verschwunden
ist
aus
unserem Leben.« Das ließ mich ungerührt. »Woran diese Zeitschriften Sie erinnern, das ist doch nur etwas, woran sich eine Menge Leute erinnern, obwohl sie es eigentlich nicht dürften, und das hat gar nichts mit Fernsehen zu tun. Was Sie vermissen und was früher eine Alltäglichkeit war, das sind diese gewissen zwischenmenschlichen
Beziehungen im
Leben.
jeder.
In
meinem
Beruf
weiß
das
Und
die
Sendungen, von denen Sie reden, reflektierten das eben.« »Sie verstehen nicht, was ich meine. Wovon ich spreche, das ist eine ausgestorbene Kunstform « »Ich
habe
das
alte
Fernsehen
nicht
miterlebt«,
unterbrach ich ihn, »aber ich bin sicher, Fernsehen war damals das gleiche wie jetzt. Kunst spiegelt die Kultur wider. Das abstrakte Zeug, das man jetzt hat, zeigt nur, wie tief die Kultur gesunken ist. Sie denken, Sie weinen irgendwelchen alten Sendungen nach, aber was Ihnen in
Wahrheit fehlt, ist der menschliche Kontakt von einer Art, die jetzt nicht mehr möglich ist.« Ich redete ohne viel nachzudenken, wie es mir gerade einfiel. Er nahm mir die Zeitschrift aus der Hand. »Sie würden anders denken, wenn Sie sich daran erinnern könnten.« »Möglich. Hören Sie, Doktor
nicht, daß ich das alles
nicht äußerst interessant finden würde, aber ich bin gekommen, um über Phoneblum zu reden. Ich muß ihn treffen.« Er legte die Zeitschrift sorgfältig an ihren Platz im Regal zurück und wandte sich wieder mir zu. Sein Lächeln wirkte etwas geheimnisvoll. »Ich habe keinen Zweifel, daß Ihnen das auch früher oder später gelingen wird«, sagte er, »obwohl ich es Ihnen als Erlebnis nicht empfehlen kann. Aber es liegt nicht in meiner Macht, Sie mit ihm in Kontakt zu bringen. Phoneblum kommt und geht nach Belieben.« »Sie wissen so viel mehr, als Sie mir sagen, daß es Ihnen schon bei den Ohren raussickert, Doktor. Wovor haben Sie denn solche Angst?« Sein Lächeln verflüchtigte sich. »Sie begreifen es wirklich nicht. Wenn Sie sich sehen könnten, so wie ich Sie sehe
für mich sind Sie und Danny Phoneblum wie zwei
Erbsen in einer Schote. Denken Sie daran, wenn Sie ihm begegnen.
Sie
sind
beide
gefährliche,
launische,
eigenwillige Männer, die gern über ihre Mitmenschen, die mit ihnen nichts zu tun haben wollen, herfallen und sie rücksichtslos in Anspruch nehmen. Sie drängen beide anderen Menschen Ihre grelle, gewaltsame Schablone auf.
Der einzige Unterschied zwischen Ihnen beiden besteht darin, daß Dannys Bösartigkeit dreister ist nicht in Selbstgerechtigkeit, so wie Sie
er kleidet sie
, und daher ist er
noch gefährlicher als Sie. So werde ich also bei diesem Spiel auch weiterhin auf ihn setzen.« »Klar.« Ich stand auf, um zu gehen. »Sie sorgen nur dafür, daß Sie keine nassen Füße kriegen. Offenbar eine liebe Gewohnheit. Bloß sollten Sie diesmal besser eine Arche bauen, es wird eine Weile regnen.« »Ein interessantes Konzept.« »Interessant, ja.« Ich ging zur Tür. Er blieb stehen, wo er war. Ich fand, daß noch eine sinnige Bemerkung über ihn und das Schaf angebracht wäre, aber mir wollte einfach nichts einfallen. Also machte ich die Tür auf und blickte hinaus in den sonnigen Garten; es war Mittag. Ich wandte mich um und sah Testafer an. »Bis bald, Grover!« »Wenn Sie meinen.« Rasch schloß ich die Tür, um sein idiotisches Grinsen nicht mehr zu sehen. Bevor ich auf der Zufahrtstraße zu meinem Wagen zurückmarschierte, holte ich Testafers kleine elektrische Waffe aus dem hohen Gras. Ich sicherte sie und steckte sie in die Innentasche meiner Jacke. Dulcies niedrige Tür war geschlossen, aber unten schien Licht durch den Spalt. Sobald er den Motor meines Wagens hörte, würde Testafer ihr vermutlich umgehend einen Besuch abstatten, und ich fragte mich, was dann folgte.
Würde er sie bumsen? Würde er sie schlagen? Schlug er sie häufig? Manchmal ist es besser, sich keine Gedanken zu machen, aber mir das abzugewöhnen, werde ich wohl nie schaffen.
Kapitel 10 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Manchmal, so im Laufe eines Vormittags, fange ich an, mir einzubilden, daß ich über Nacht nüchtern und abstinent geworden bin, daß ich es nicht mehr brauche und nie mehr brauchen werde, und dann erwischt es mich, und ich fühle mich wirklich nüchtern, und dann durchwühle ich meine Sachen auf der hektischen Suche nach einem Briefchen und einem Halm. Gegen Ende meiner Unterhaltung mit Testafer mußte sich der letzte Hauch Addiktol aus meinem Blutkreislauf verabschiedet haben, und als ich bei meinem Wagen am Anfang der Zufahrtstraße angelangt war, hatte ich ein, zwei Straßen meiner Mischung bereits bitter nötig. Ich durchsuchte meine Taschen
in
der
Hoffnung,
irgendwas zu entdecken, das mir über das Schlimmste hinweghelfen würde, bis ich wieder zu Hause war. Keine Zigarre.
Dann
erinnerte
ich
mich,
irgendwann
zwei
halbvolle Briefchen im Handschuhfach gesehen zu haben. Es versprach, ein warmer Tag zu werden, und das baumumstandene Plätzchen am Beginn von Testafers Zufahrt wirkte fast wie eine Lichtung irgendwo mitten im Wald. Vom Wagen aus war das Haus nicht zu sehen, und die einzigen Geräusche dort lieferte die Natur
die Vögel,
der Wind in den Baumkronen. Ich ließ die Wagentür offen und warf den Inhalt des Handschuhfachs auf meinen
Schoß. Schließlich stieß ich auf ein zwei Jahre altes Päckchen; es stammte aus einer Zeit, als ich noch keine verläßliche Mischung entdeckt hatte und noch mit unterschiedlichen Kombinationen experimentierte. Der Inhalt war zu einer Kugel verklumpt, und ich zerbröselte sie zwischen Daumen und Zeigefinger. Vermutlich dachte ich nicht allzuviel an die mögliche Wirkung, als ich die Krümel einen nach dem anderen in meine rückwärts gekippten Nasenlöcher schob, und als ich dann einen Blick auf das Päckchen in meiner Handfläche warf, war es leer. Ich warf es weg und schloß die Wagentür. Während ich darauf wartete, daß der Stoff Wirkung zeigte, wurde ich mir plötzlich des Schmerzes in meiner rechten Hand gewahr, mit der ich dem Doktor eine versetzt hatte. Das Gefühl
des
Isoliertseins
auf
dieser
stillen
Lichtung
verschwand, und ich drehte gerade den Zündschlüssel, als der Stoff plötzlich den Weg in mein Blut fand. Der Unterschied zwischen diesem Zeug und meiner üblichen Mischung rief eine Bewußtseinsveränderung in mir hervor. Ich wäre nicht mehr in der Lage gewesen, die Auswirkungen
meiner
persönlichen
Mischung
zu
beschreiben, ebensowenig wie ich in der Lage gewesen wäre, den Begriff Bewußtsein an sich zu beschreiben, weil die beiden für mich längst zu einem untrennbaren Ganzen geworden waren. Doch diese ältere Mixtur war anders; ich spürte darin eine außerordentlich starke Dosis Believol, und meine gewohnte Quantität an Regrettol fehlte zur Gänze.
Und so saß ich bei laufendem Motor im Wagen und ließ das neue Gefühl durch mich hindurchströmen, während die Sonne in die Windschutzscheibe schien. Believol, die Droge, die uns Vertrauen schenkt und alles glauben läßt, was wir glauben sollen, ist eine merkwürdige Sache. Es wäre nett, der Versuchung zu unterliegen und die angenehme, beruhigende Welt, mit der es uns versorgt, zu bewohnen
darum tun s ja auch viele Leute. Aber für
mich ist das nichts. Die skeptische Seite meines Charakters neigt dann zur Überkompensation, und dann geht der Schuß
nach
hinten
los:
Ich
werde
paranoid
und
mißtrauisch. Noch mehr als sonst, meine ich. Wie auch immer, da draußen in der Sonne auf Testafers Zufahrt ertappte ich mich dabei, wie ich mich vom Believol verwöhnen und mitreißen ließ; es verschaffte mir die Vision eines freundlichen, harmonischen Daseins, das nicht das meine war, das nicht das meine sein konnte, das ich jedoch kurzfristig mit Hilfe eines Briefchens altem Stoff durchleben konnte. Ich hätte einiges darum gegeben, den jungen Kerl, der damals Stoff wie diesen schnupfte, über die vielen Jahre
hinweg,
die
seither
vergangen
waren,
darauf
aufmerksam machen zu können, in was für einer lausigen Branche er sich betätigte, und wie ihn eine Blondine mit grauen
Augen
demnächst
in
einen
müden,
vorzeitig
ausgebrannten alten Narren verwandeln würde. Als ich schließlich auf die Uhr sah, war es Viertel vor eins. Der Gedanke an Orton Angwine, der in irgendeiner Imbißbude
oder
einem
Selbstbedienungsrestaurant
verkrochen hilflos zusehen mußte, wie die letzten Stunden seines gegenwärtigen Lebens verrannen, während ich in der Sonne saß und meinen Gedanken an die Drogen nachhing, die ich einst und jetzt nahm, beschämte mich plötzlich so, daß ich in Bewegung geriet. Ich nahm den Fuß vom Bremspedal und ließ den Wagen rückwärts aus der Zufahrt rollen, fand den richtigen Weg in dem gewundenen Straßengewirr, das den Hügel überzog, und fuhr wieder hinunter ins flache Land. Mein erster impulsiver Drang ging dahin, das bißchen Elan, über das ich im Moment verfügte, auszunützen und persönlich
bei
dem
Haus
in
der
Cranberry
Street
aufzutauchen. Die Nebel in meinem Hirn lichteten sich, sobald mich der Fahrtwind auf der Fernstraße umwehte, und ich ging wieder daran, an dem Fall herumzurätseln. Die Wirkung der Drogen ließ nach
der Effekt der
richtungweisenden Anteile der Mischung wie Akzeptol, Believol und Avoidol (die erprobten Rezepte für die Fähigkeit, sich mit allem abzufinden, alles zu glauben und, zumindest im Geiste, allen Widrigkeiten aus dem Weg zu gehen), verlor sich immer zuerst
, aber ich hatte noch
genug im Blut, um mich wohl zu fühlen. Kratz an der Oberfläche jeglicher Mischung, und darunter findest du immer dasselbe: Addiktol. Das, was uns süchtig macht. Der Rest ist bloß Glasur auf der Torte. Als ich an dem Haus am Ende der Cranberry Street vorfuhr, machte ich mir weder die Mühe, den Wagen zu verbergen noch meine Absicht, zur Tür zu gehen und den
Klingelknopf zu drücken. Etliche Fahrzeuge waren in der Nähe abgestellt, aber keines davon kam mir bekannt vor, also hatte ich auch keine Ahnung, ob jemand zu Hause war und wenn ja, wer. Mir war s egal, denn wen ich auch antraf, ich hatte was, worüber ich reden wollte. Und wenn niemand aufmachte, würde ich sicher eine Möglichkeit finden, mir die Zeit zu vertreiben. Also klingelte ich und wartete, aber niemand kam an die Tür. Doch als ich die Klinke niederdrückte, ging sie praktisch Durchblick
von
allein
durch
die
auf.
Ich
hatte
Eingangshalle
ungehinderten und
in
das
Wohnzimmer, in dem ich am Vortag gesessen und mit dem Kätzchen und anschließend mit Celeste geplaudert hatte, aber keine Seele war zu sehen. Ich trat ein, schloß die Tür und sah mich um. Im Erdgeschoß war alles ordentlich und nett
zu nett;
es wirkte eher wie ein Museum, denn wie ein bewohntes Heim. Die Fenster waren so
angelegt, daß sie das
Sonnenlicht in höchstem Maße einließen, und genau das taten sie momentan. Das Innere des Hauses war in Licht gebadet. Offenbar hatte niemand die Fenster und den Sonnenschein davon in Kenntnis gesetzt, daß keiner zu Hause war und sie daher vorderhand ihre Aktivitäten einstellen konnten. Ich ging in die Küche. Dort war auch niemand. Ich durchforstete den Kühlschrank und die Vorratsschränke, konnte mich aber nicht aufraffen, einen Bissen zu essen. Also kehrte ich ins Wohnzimmer zurück und betrachtete die
Aussicht durchs Panoramafenster. Nach all der Zeit, die ich damit zugebracht hatte, von draußen hineinzulinsen, fühlte ich mich jetzt fast nackt. Ich blieb ein Weilchen am Fenster stehen
und
blickte
über
die
Pfeiler
der
Einschienenbahntrasse hinab zum Ufer der Bucht, über der immer noch der Nebel hing. Dann konzentrierte ich meinen Blick auf eine andere Stelle, und statt durch das Glas zu sehen, sah ich hinein
auf mein Spiegelbild mit Hut und
schmuddeligem Mantel, das in einem luxuriösen Salon stand
und
romantische
über
einem
Anwandlungen
kalten, kriegte.
nassen Wem
Meeresufer wollte
ich
eigentlich was vormachen? Von meiner Wohnung bis zur Bucht dauerte es mit dem Wagen genau fünf Minuten, und nicht im Traum fiel es mir je ein, diese Fahrt zu unternehmen! Als ich mich auf den Weg nach oben machte, dämpfte der Teppich auf der Treppe meine Schritte und machte mich zu einem unbeabsichtigt-heimlichen Schnüffler. In diesem Haus stieß mich alles mit der Nase auf den Umstand hin, daß ich hier völlig fehl am Platz war. Oben angekommen, fing ich mit Celestes Zimmer an, wo ich erst mal das Rollo runterließ, um mich wohler zu fühlen in meiner Haut. Das Bett war ungemacht, und ein Nachthemd lag über die Kissen gebreitet; davon abgesehen wirkte das Zimmer ebenso penibel aufgeräumt wie das Erdgeschoß. Ich ging zur Kommode und zog die obersten beiden Laden auf, aber da gab es nichts zu entdecken außer Socken und Unterwäsche. Auch in den unteren beiden Schubladen fand
sich nichts als Kleidungsstücke, und die mittlere Lade war fast leer. Celeste wohnte erst seit etwa zwei Wochen in diesem Zimmer, und
das merkte man.
Es war ein
Gästezimmer, und sie benutzte es nur vorübergehend; falls sie Geheimnisse hatte, bewahrte sie sie anderswo auf. Die Kleider strömten einen hübschen Geruch aus, und ich erfreute mich ein Weilchen daran; nach einer Minute löschte ich das Licht und trat wieder hinaus auf den Korridor. Es gab noch drei weitere Zimmer auf der oberen Etage. Ich warf einen raschen Blick in ein schlampiges Loch, das dem Babykopf gehören mußte, und in ein schmuckes Nest, das ich dem Kätzchen zuordnete. Beide Bewohner waren abwesend. Zu diesem Zeitpunkt war ich bereits ziemlich sicher, allein im Haus zu sein, und gab mir keine besondere Mühe, mich leise zu bewegen. Als ich durch die Tür in Pansy Greenleafs Zimmer trat, dauerte es eine Minute, bis sich meine Augen an die Düsterkeit darin gewöhnten und die Gestalt ausmachen konnten, die auf dem Bett lag. Sie schlief oder war bewußtlos und eingewickelt in eine Unmenge von Laken, und nur das schwarze Haar, das sich über das Kissen ringelte, verriet mir, daß mehr auf dem Bett lag als ein Klumpen Wäsche. Ohne das Licht einzuschalten, schloß ich die Tür hinter mir. Der Nachttisch war übersät mit Drogenhäufchen und allem, was man benötigte, um den Stoff zur intravenösen Verabreichung vorzubereiten. Die Nadel lag neben Pansy
auf dem Bett. Bei näherer Betrachtung war alles äußerst kompetent zurechtgelegt, was mich zu der Annahme brachte, daß sie nicht zum erstenmal gespritzt hatte. Ich streckte gerade die Hand nach ihrem Hals aus, um den Puls zu fühlen, als sie die Augen aufklappte. Sie blinzelte ein paarmal mechanisch, und dann schloß sie den Mund und bemühte sich, genug Spucke zusammenzukriegen, um ein Wort hervorzubringen. »Sie sind der Inquisitor«, krächzte sie, ohne auch nur mit einem Muskel zu zucken. Mühsam zerrte sie ein wenig Stimme aus irgendeinem kleinen Reservoir an Leben in einer ansonsten toten Hülse. »Ganz recht«, sagte ich. »Ich wußte, Sie würden kommen«, fuhr sie fort. »Meine Karte ist auf der Kommode.« »Ich will kein Karma von Ihrer Karte«, erklärte ich. »Diese Sorte Inquisitor bin ich nicht.« Die Augen fielen ihr wieder zu. Sie kam mir vor wie ein Teil des Raums, grau und matt und nur hin und wieder müde aufflackernd, um sogleich wieder zurückzusinken in graue Mattigkeit. Ich nahm die Nadel vom Bett, damit Pansy nicht versehentlich darauf landete, und legte sie auf den Nachttisch zu allem übrigen. Ganz offensichtlich hing die gute Frau nicht erst seit heute an der Nadel, aber genauso offensichtlich zeigte sich, daß
ihr
Zustand
nicht
der
allerbeste
war,
und
die
Vorstellung, daß sie das Zeitliche segnen könnte, während ich mich im Haus befand, wollte mir nicht gefallen. Ich ging
hinüber zu der Kommode, auf der ihre Karte lag, und lärmte ein wenig, indem ich versuchsweise die Schubladen aufriß und wieder hineinrammte, aber sie reagierte nicht. In den Laden befand sich eine Menge Papiere. Ich begann ohne bestimmte Absicht darin zu blättern, und fand Rechnungen und Quittungen und Briefe und schließlich eine Mappe mit Bauplänen und einem schriftlichen Angebot. Ich warf einen flüchtigen Blick auf die Blaupausen und hätte sie vermutlich im selben Moment wieder vergessen, hätte ich nicht bemerkt, daß es sich um Pläne für ein zweites Gebäude auf dem Grundstück in der Cranberry Street handelte. Daraufhin unterzog ich sie einer neuerlichen Betrachtung. Mit Bauplänen konnte ich normalerweise nicht viel anfangen, aber der Entwurf für die obere Etage des Gebäudes ließ keine Zweifel aufkommen. Er zeigte eine Wand
die Nordwand, falls ich die Zeichnung nicht
verkehrtherum hielt
, an der sich acht Stockbetten
befanden. Als ich genauer hinsah, merkte ich, daß die Wand nur sechs Meter lang war, was hieß, daß pro Bett nicht mehr als dreiviertel Meter veranschlagt wurde. Es sah aus wie der Schlafsaal für eine Kaserne voll EvoluTiere. Komische
Vorstellung, all
diese Tiere in
Stockbetten
untergebracht wie Soldaten, und noch komischer, sie sich im hinteren Teil des Gartens an der Cranberry Street vorzustellen
Ich
merkte
mir
den
Namen
der
Architektenfirma und legte die Papiere zurück in die Lade. »Das sind meine Sachen«, flüsterte Pansy, während ich
ihr den Rücken zuwandte. »Ich suche nach einer Geburtsurkunde«, sagte ich. »Von Barry « Ein Anflug von Panik in ihrer Stimme. »Sie werden keine finden.« »Was soll ich mit Barry? Ich dachte an Sie.« »Das verstehe ich nicht.« »Ich bin ein Freund Ihres Bruders, Mrs. Greenleaf. Ich wollte bloß feststellen, was mit dem Namen Angwine passiert ist. Wer war Mister Greenleaf, und wo ist er jetzt?« Sie griff mit beiden Händen nach den Bettkanten und wandte mir das Gesicht zu. »Es gibt keinen.« Ihre Stimme war kaum zu vernehmen. »Soso.
Pansy
Angwine?
Das
klingt
etwas
unharmonisch.« »Patricia.« »Noch nie verheiratet gewesen?« »Nein.« Ich schob die offenen Laden zurück und trat wieder ans Bett. Pansy sah mir bloß hohläugig und schweigend zu, als ich mit den Fingern durch das weiße Pulver auf dem Nachttisch fuhr und sie mir an die Nase hielt, um daran zu riechen. »Wessen Kind ist Barry eigentlich?« erkundigte ich mich. Vermutlich hatte sie erwartet, ich würde sie gleich über die Drogen ausfragen, denn sie ließ den Blick einigemale zwischen den Dingen auf dem Nachttisch und mir hin und her wandern,
als bestünde irgendein
Zusammenhang
zwischen meiner Frage und dem Stoff. Doch in Wahrheit hatte ich einfach nichts besseres zu tun mit meinen Händen. »Privatsache«, sagte sie schließlich. Die Augen wollten ihr wieder zufallen, aber sie kämpfte mit all ihren Kräften dagegen
an.
Ich
machte
sie
nervös.
Wenn
ich
es
fertigbrachte, sie am Reden zu halten, während sie sich wachrüttelte, konnte ich möglicherweise etwas erfahren, was zählte. »Sie haben für Stanhunt gearbeitet«, erinnerte ich sie, »Was haben Sie da getan?« Ein Niesen brach aus den Tiefen ihres armseligen, gequälten Leibes hervor, und sie bedeckte sich das Gesicht mit beiden Händen wie ein verwundeter Soldat in einem schlechten Kriegsfilm, der sich den Bauch festhält, um die Eingeweide am Hervorquellen zu hindern. Ich faltete rasch eine Hundertdollarnote zu einem behelfsmäßigen Umschlag und schob ein wenig von ihrem Stoff hinein, ehe sie die Hände vom Gesicht nahm. »Möchten Sie ein Glas Wasser?« fragte ich. Sie nickte. Ich ging in das Bad auf der anderen Seite des Korridores, füllte ein Glas und brachte es ihr. Sie ergriff es mit beiden Händen und leerte es langsam. »Sie wollten mir gerade erzählen, was Sie für Stanhunt gearbeitet haben«, sagte ich. »Stanhunt « Sie zögerte und schwieg. »Er hat Ihnen dieses Haus gekauft.« Sie sah mich an, mit einem beinahe scharfen Blick.
»Nein. Ich habe es selbst gekauft.« »Mit wessen Geld?« Sie hätte gelogen, aber es kam ihr nichts Passendes in den Sinn, und so starrte sie mich bloß an. Leuten, die es geschafft
haben,
Schwierigkeiten
sich
geraume
herauszuhalten,
Zeit
fällt
aus
das
jeglichen
Beantworten
direkter Fragen immer ein bißchen schwer. Sie scheinen ihre Antworten nie im vorhinein zu durchdenken, so wie es geübte Lügner gemeinhin tun gehören
nicht
beantwortet,
als ob sie fänden, Fragen sondern
verscheucht
wie
lästige Fliegen. »Ihr Bruder hält Barry für Stanhunts Sohn und glaubt, das Haus wäre der Dank dafür, daß Sie die ganze Affäre und Ihre Schwangerschaft nicht an die große Glocke gehängt haben.« »Und Sie glauben das auch.« »Ich
bin
gern
bereit,
mir
eine
andere
Version
anzuhören. Ihr Bruder hat seine Hausaufgaben nicht gemacht; wären Sie Stanhunts Geliebte, weshalb würde Celeste dann ausgerechnet hierhergerannt kommen, wenn sie einen Schlupfwinkel braucht?« Gelegentlich, wenn man laut
denkt,
verspüren
die
Leute
den
Drang,
sich
einzumischen und einem die richtige Richtung zu weisen. »Doktor Stanhunt und ich hatten nie ein Verhältnis.« »Das glaube ich Ihnen. Maynard Stanhunt hatte alle Hände voll zu tun mit Celeste. Und Celeste ist eine beachtliche Handvoll. Ich nehme an, das finden Sie gerade heraus.«
»Celeste ist meine Freundin«, sagte sie und erstarrte ein wenig. Dann bedachte sie mich mit einem Blick, der mir sagte, daß das Frage-und-Antwort-Spiel beinahe vorüber war. »Ich habe ihr das Gästezimmer angeboten. Und das tut mir nicht leid.« »Ich weiß nicht, ich denke, die Sache ist komplizierter.« Unten schlug die Klingel an, und wir zuckten beide zusammen. Ich erwartete Celeste bereits seit geraumer Zeit
ich wußte, daß sie das Haus nur selten verließ
,
aber Celeste würde nicht klingeln. »Ich mache schon auf«, sagte ich. Da ich annahm, daß es jemand vom Inquisitionsbüro war, konnte ich die Angelegenheit ebensogut gleich hinter mich bringen. Mein Wagen stand draußen vor dem Haus, und wenn sie sich mit mir unterhalten wollten, dann wußten sie, wohin sie sich wenden mußten. Pansy stellte das leere Glas auf den Nachttisch, und der Beschlag an der Außenseite färbte sich weiß von dem dabei aufgewirbelten Stoff. »Okay«, sagte sie. Sie hatte immer noch zu tun, sich durch den Nebel hindurchzukämpfen. Ich lief hinunter, holte tief Atem und öffnete die Tür. Ein ordentlich gekleidetes weibliches Wesen Ende zwanzig oder Anfang dreißig stand vor mir, und hinter ihr kam ein junger Kerl in Anzug und Schlips die Stufen hoch. »Guten Tag«, sagte sie. Ich sagte dasselbe. »Wir sind Studenten der Psychologie. Falls Sie etwas Zeit erübrigen können, würden wir Ihnen gern einige
ausgewählte Stellen aus Freuds Die Zivilisation und ihre Unzufriedenen vorlesen.« Ich
brauchte
eine
Minute,
um
meine
Verblüffung
wegzublinzeln. In der Gegend, wo ich wohnte, geschahen solche Dinge nicht. »Nein«, sagte ich, »vielen Dank. Ich glaube nicht an diese Sachen.« Sie nahm es mit Würde und Anstand und wünschte mir einen schönen Tag. Der Junge im Anzug taxierte bereits das Nachbarhaus, als ich die Tür wieder schloß. Als ich oben ankam, saß Pansy Greenleaf besser sagen, Patricia Angwine? Nachthemd
glattgestrichen
und
oder soll ich
auf dem Bettrand, das die
braunen
Augen
beträchtlich lebendiger und klarer. Der Nachttisch war abgeräumt und sauber. »Ich weiß gar nicht, wie Sie heißen«, sagte sie. Also nannte ich ihr meinen Namen und wartete, während sie überlegte. »Sie müssen wissen, wo mein Bruder steckt « »Ihr Bruder steckt tief in der Scheiße. Die letzte Nacht habe ich ihn in meinem Büro schlafen lassen. Und was weiter
mit
ihm
passiert,
könnte
stark
von
Ihnen
abhängen.« »Sie meinen, ich müßte Vorkehrungen treffen für die Wartung seines Körpers « »Ich meine, Sie müßten mir endlich sagen, was Sie über den Mord wissen, damit ich die Intrige zerschlagen kann! Noch ist er kein Körper im Froster, Pansy! Er ist ein verängstigter Junge. Er hat einen Fehler gemacht, als er
sich mit Stanhunt einließ, aber ich glaube nicht, daß er ihn umgebracht hat. Glauben Sie es?« »Ich weiß nicht.« Ich konnte nur lächeln. »Verraten Sie mir etwas. Was geschieht nun? Werden Sie jetzt das Haus für immer behalten können?« »Doktor Stanhunts Tod hat damit nichts zu tun.« »Habe ich direkt vergessen! Doktor Stanhunts Tod berührt Sie ja in keiner Weise. Aber was ist mit dem Babykopf?« »Sie können ihn selbst fragen«, sagte sie. Sie hatte sich jetzt wieder halbwegs in der Gewalt, was hieß, daß sie ungehalten war über die Fragerei. »Ich glaube nicht, daß ihn die Angelegenheit sehr interessieren wird.« »Ja, das könnte ich tun«, nickte ich. »Wo treibt er sich denn rum? Ich meine, wenn er nicht hier ist.« Das fügte ich hinzu, um etwas höflicher zu klingen. In die Cranberry Street kam der Gnom höchstens, um sich ein Sandwich zu holen. »Die meiste Zeit über ist er in der Babybar auf der Telegraph Avenue. Ich nehme an, dort gibt es auch Schlafgelegenheit.« »Er hält sich fern von Ihnen, stimmt s?« Ein kurzes,
ärgerliches Flackern huschte über ihr
Gesicht. »Er ist nicht anders als die anderen auch. Das kommt von der Wachstumstherapie. Er ist nicht mehr derselbe wie davor.« »Und wie ist es mit Celeste?« fragte ich. »Wie soll es
bei ihr weitergehen?« »Ich denke, das sollten Sie sie selbst fragen.« »Ich denke, das werde ich auch. Wo ist sie jetzt?« »Weiß ich nicht. Als ich heute morgen aufstand, war sie schon weg.« »Und wann wird sie zurückkommen?« »Das ist ihre Sache.« »Nun, erwarten Sie sie zum Mittagessen?« »Bei Celeste habe ich gelernt, nie irgend etwas zu erwarten.« Das
Gespräch
hatte
den
Reiz
eines
einseitigen
Tischtennismatches angenommen. Ich wußte zwar nicht, welchen Schritt ich als nächsten unternehmen würde, aber dieser hier hatte jedenfalls keine Zukunft mehr. »Ich gehe jetzt«, sagte ich. »Gibt es irgendwelche letzten Worte, die Sie Ihrem Bruder zukommen lassen wollen?« Sie wandte das Gesicht ab. Jetzt sah sie schon ziemlich gefaßt aus, aber ich konnte mir nicht vorstellen, daß sie sich besonders gut fühlte. Zehn Minuten zuvor war sie noch zu weit hinüber gewesen, um die Nadel vom Bett auf den Nachttisch zu bewegen. »Verschwinden Sie von hier«, sagte sie schließlich. Ich bemerkte, wie sie sich innerlich stählte, als sie das sagte. Ich ging zur Tür. »Sie brauchen nicht anzunehmen, daß mein ganzes Leben sich um meinen Bruder dreht«, fuhr sie fort. »Ich habe ihn jahrelang nicht zu Gesicht bekommen. Ich kenne
ihn gar nicht mehr, und er kennt mich ganz gewiß auch nicht mehr. Jetzt habe ich mein eigenes Leben. Wenn er einen Fehler gemacht hat, dann sollte er auch dafür bezahlen.« »Offenbar bestand sein Fehler darin, Sie aufzusuchen.« Sie kreuzte die Arme über der mageren Brust und warf einen einzigen giftigen, eisigen Blick auf mich und durch mich hindurch. »Raus jetzt! Bleiben Sie mir vom Leib und bleiben Sie weg von diesem Haus! Und wenn Sie noch mal in mein Zimmer kommen, während ich schlafe, dann bringe ich Sie mit bloßen Händen um. Bei Gott, das schwöre ich.« Sie saß da auf ihrer Bettkante und leierte es vor sich her, als wäre es die Wettervorhersage, aber ich sah, wie ihr dürrer Körper zitterte. Ich machte mir nicht die Mühe, sie darauf hinzuweisen, daß sie nicht unbedingt geschlafen hatte, als ich in ihr Zimmer gekommen war, sondern ging wortlos hinaus und geradewegs zu meinem Wagen. Ich blickte die Straße rauf und runter, aber die Freudianer hatten
es offenbar
aufgegeben und waren nach Hause gegangen. Der Himmel war trübe; Wolken bildeten Knoten um die Sonne. Ein feuchter Wind blies über die Hügel hinter dem Haus und jagte mir Kälteschauer über den Nacken. Es würde Regen geben. Ich schloß die Wagenfenster und fuhr zurück in die Stadt.
Kapitel 11 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Natürlich erwartete beim Inquisitionsbüro keiner, daß ich plötzlich
so
einfach
durch
den
Haupteingang
hereinspazieren würde. Das erwarteten sie bei niemandem. Nachdem ich am Schalter meinen Namen genannt hatte, kam weder Morgenlander noch Kornfeld noch irgendein anderer Mann, der den Stanhunt-Fall bearbeitete, um mich in Empfang zu nehmen; es war überhaupt kein Mann. Es war eine Braut, eine Biene, eine Frauensperson ich weiß nie, wie ich die Weiber nennen soll, wenn ich nicht grob klingen will. Weil s bei mir immer grob klingt. Aber nun, in ihrer Gegenwart, wünschte ich mir, anders zu sein, jemand zu sein, der ich nicht war. Als sie auf mich zutrat, erhob ich mich von dem Stuhl, auf dem ich gewartet hatte, und plötzlich standen wir uns dichter gegenüber als beabsichtigt. Mir gefiel s, aber es war zu dicht. Sie konnte nicht einmal die Hand heben, um die meine zu schütteln. Also trat ich einen Schritt zurück. Vermutlich
irrte
ich
mich,
aber
mir
schien,
ihre
Körperwärme wäre an mir hängengeblieben, so als hätte sie einen Hitzeabdruck auf meinen Kleidern hinterlassen. »Catherine Teleprompter«, sagte sie. »Was führt Sie her, Mister Metcalf?« Die Frage verriet mir, daß ihr voller Name Inquisitor
Catherine Teleprompter lautete. Ich hatte schon eine Handvoll kennengelernt, die so jung waren, aber noch keine, der mir so gefiel. Ich verbannte den lüsternen Ausdruck aus meinem Gesicht und sagte: »Wir wollen in Ihrem Büro darüber reden.« Sie führte mich über einige Flure und um etliche Ecken herum
zu
ihrem
Büro,
das
die
Größe
eines
Schnapsgläschens hatte. Ich nahm an, sie war neu. Sie ging um den Schreibtisch herum und setzte sich, und ich ließ mich auf dem zweiten Stuhl nieder, der gerade noch Platz im Zimmer hatte. Sie lehnte sich zurück, und ihr Haar wogte wie ein schwarzer Vorhang über ihre Schulter und entblößte einen Hals, an dem ich mich gern eine Stunde lang sattgesehen hätte. Eine Stunde täglich, oder auch eine Stunde alle fünf Minuten.
Er
war
auch
schuld
daran,
daß
wir
Schwierigkeiten hatten, das Gespräch in Gang zu bringen. Ich sah sie an, und sie sah mich an, wie ich sie ansah, und sie wußte es, und ich wußte, daß sie es wußte, und das Ganze noch mal, zum Quadrat. Schließlich durchbrach sie den Bann, indem sie sich ihrem Terminal zuwandte. Der rötliche Lichtschein legte sich über ihr Gesicht, als sie mit zusammengekniffenen Augen auf den Bildschirm starrte. Ich hatte das Gefühl, sie trug normalerweise eine Brille, wollte sie jedoch vor mir nicht aufsetzen. »Conrad Metcalf«, sagte sie. »Ganz richtig.« »Privatinquisitor. Lizenz gültig bis Mai. Unsere letzte
Eintragung ist von Inquisitor Morgenlander gezeichnet. Er erklärt, er mußte Sie gewaltsam davon abhalten, einen Fall weiterzuverfolgen.« »Das war doch erst gestern! Alle Achtung. Ist mir ehrlich schleierhaft, wieso man euch einen Haufen lahme Bürokraten nennt.« »Ich nehme also an, Sie wollen mit Morgenlander sprechen.« »Wollte ich, bis ich Sie sah.« »Betreffend was?« fertigte sie mich kurz ab. »Sie können sagen, mein Motor will nicht anspringen, und ich lasse anfragen, ob er wohl ein Starterkabel dabeihätte.« Sie öffnete eine Schreibtischlade. »Reichen Sie mir Ihre Karte, Mister Metcalf.« Ich wühlte in meiner Tasche. »Hören Sie « »Ihre Karte«, unterbrach sie mich. Ich schob die Karte hinüber. Ich wartete, während sie sie durch den Decoder zog. »Sie verfügen nicht über jenes Ausmaß an Karma, das es Ihnen erlauben würde, hier hereinzuplatzen und als Antwort auf meine Fragen dumme Scherzchen zu liefern, Mister Metcalf.« Sie legte meine Karte vor sich auf den Tisch. »Es betrifft diesen Fall«, sagte ich. »Ich soll meine Hände davon lassen, aber er hört nicht auf, sich um meine Beine
zu
schlängeln
und
zu
schnurren.
Ich
muß
Morgenlander davon informieren, daß ich mich bemüht
habe, seinen Instruktionen Folge zu leisten.« Ich bot ihr eines meiner besseren Lächeln an, und sie akzeptierte es zögernd. »Ich sehe nach, ob er im Haus ist«, sagte sie. »Nein, noch nicht. Ich hätte Ihnen vorher noch gern ein, zwei Fragen gestellt.« Ich wollte nach meiner Karte greifen, aber sie bedeckte sie mit der Hand. Fast hätte ich meine Hand auf die ihre gelegt, und erst im letzten Moment besann ich mich eines Besseren. »Über Morgenlander«, erklärte ich und zwang mich, meine Gedanken auf den Fall zu konzentrieren. Funktionell war ich nicht-männlich, und der Anblick einer hübschen Inquisitorin sollte nicht ausreichen, mich das vergessen zu lassen. Die gefährliche Lage, in die ich mich hier begab, existierte nicht für mich. »Wer hält ihn an der kurzen Leine, was diesen Fall betrifft, und weshalb? Er ist ein Außenseiter, kommt aus einem anderen Verwaltungsbezirk. Warum bringt man ihn überhaupt da herein, wenn man ihn dann nicht arbeiten läßt?« Sie sah mich durchdringend an. »Solche Fragen sollten Sie nicht stellen, ehe Sie nicht wissen, wem Sie sie stellen. Sie könnten mehr bekommen als nur Antworten.« »Möglicherweise würde mir das gar nichts ausmachen.« Ich konnte mich einfach nicht beherrschen. »Möglicherweise aber doch, wenn Sie wüßten, was ich damit meine. Hier.« Sie schob die Karte in meine Reichweite. »Ich will Sie aus meinem Büro haben. Solche Konversationen kann ich mir nicht leisten.«
Sie drückte auf einen Knopf an ihrem Terminal und verlangte Morgenlander zu sprechen. Als er sich meldete, nannte sie meinen Namen, bat darum, mich abholen zu lassen und beendete die Unterhaltung. »Schade«,
sagte
ich.
»Wir
hätten
so
anregende
Zwiegespräche führen können.« »Sie haben früher mal selbst für das Amt gearbeitet, nicht wahr?« »Allerdings.« »Als Inquisitor.« »Nur so bekommt man eine Lizenz als P.I.« Sie musterte mich, als hätte sie mich gerade zum erstenmal erblickt. »Was ist damals passiert?« »Entweder wird es Ihnen auch passieren, oder Sie würden die Antwort auf
diese Frage ohnedies nicht
verstehen«, sagte ich. »Ich versuche nicht, es Ihnen zu erklären.« Es klopfte
oder besser, man vernahm ein leises
Scharren an der Tür. Inquisitor Teleprompter berührte eine Taste auf ihrem Schreibtisch, und die Tür glitt auf; Inquisitor Kornfeld stand davor, der schweigende Mann, der
finster
vor
herumgelehnt
sich
war,
hin
stierend
während
in
meinem
Morgenlander
das
Büro Wort
geführt hatte. Offenbar arbeiteten er und Morgenlander immer noch zusammen, trotz der Spannungen, die ich zwischen
den
beiden
ausgemacht
hatte.
Er
nickte
verständnisvoll in Catherine Teleprompters Richtung, als wäre ich nichts als eine Art sperriges Paket, das darauf
wartete, von der Stelle bewegt zu werden, und deutete mit dem Daumen erst auf mich und dann auf die Tür. Ich
griff
nach
Jackentasche,
ehe
meiner ich
Karte, eine
steckte
meiner
sie
in
die
vergammelten
Visitkarten hervorholte und auf den Platz legte, den zuvor mein Karma innegehabt hatte. »Rufen Sie doch mal an«, sagte ich, aber dann fiel mir kein Grund auf dieser Welt ein, weshalb sie das je tun sollte, und so nickte ich bloß, lächelte und beließ es dabei. Kornfeld sah nicht sehr beeindruckt drein. Er hielt mir die Tür auf, wohl, um mir klarzumachen, daß ich den Abschied
nicht
weiter
hinauszögern
sollte.
Inquisitor
Teleprompter sah mich an, ohne mit der Wimper zu zucken, und sagte: »Darauf würde ich nicht bauen.« Aber ihre Nüstern waren geweitet, als sie es sagte, und ich hatte so ein Gefühl, daß sie die Beine unter dem Tisch gekreuzt hielt. Ich war ihr wohl auch ein wenig unter die Haut gefahren, zumindest andeutungsweise. Kornfeld warf mir fast die Tür auf die Fersen. Ich erwartete einen Rausschmiß, und da überraschte es mich beinahe, als er mich am Arm nahm und mich zu den Aufzügen hinsteuerte, weg vom Haupteingang. Eine Woge Paranoia schwappte über mich, als ich merkte, daß ich mich auf dem Weg ins dunkle Herz des Büros befand, ohne zu wissen, warum. Nicht, daß sich die Bude in irgendeiner Weise verändert gehabt hätte seit den Tagen, als ich diese heiligen Hallen durchschritten hatte
im Gegenteil, es war
genau diese penetrante Übereinstimmung mit damals, die
in mir den Drang weckte, mich loszureißen und zum nächstbesten Ausgang zu rennen. Wir stiegen in den Aufzug. Kornfeld lehnte sich an die Wand und drückte einen Knopf, während ich weiter hinten stand, die Gedanken irgendwo anders. Als sich die Tür schloß, wandte er sich mir zu, und seine Augen leuchteten für den Bruchteil einer Sekunde auf, ehe er auf mich zukam, die Faust in Höhe des Gürtels, und sie mir haarscharf in die Magengrube rammte. Es stellte, wenn man so sagen kann, das erste Wort dar, das wir miteinander wechselten. Vermutlich hätte ich dankbar sein sollen, daß der Junge mit einemmal so auftaute, aber ich klappte nur einfach vornüber
in erster
Linie deshalb, weil mir die Luft wegblieb, und weniger des Schmerzes wegen, obwohl letzterer ganz ansehnlich war. Kornfeld hingegen lehnte sich wieder an die Wand der Liftkabine, anscheinend fertig mit mir. Selbst wenn er gewalttätig wurde, bediente der Kerl sich einer lakonischen Kürze. Die Aufzugtür öffnete sich, er packte mich wieder am Arm und schleppte mich über den Flur, so, wie ich war vornübergebeugt und nach Luft schnappend. Auf dem Weg zu
Morgenlanders
Büro
schaffte
ich
es,
mich
zusammenzureißen, obwohl mir immer noch das Blut ins Gesicht schoß, wenn ich mich aufrichtete. Kornfeld öffnete die Tür und schob mich hindurch. Morgenlander war ein höheres Tier auf Besuch; ihm gebührte ein nettes Ambiente mit Spannteppich und einem
kleinen Kühlschrank unter dem Fenster für Bier und ein paar Happen. Der Sessel, in den ich fiel, war mit echtem Leder bezogen
oder zumindest einer täuschend echten
Kopie. Morgenlander sah nicht besser rasiert oder weniger zerknittert aus als beim erstenmal. Er hielt die Hände über einem Wust von Papieren gespreizt und hatte einen Stift hinter dem Ohr stecken. »Danke«, sagte er mit einem Blick auf Kornfeld. »Lassen Sie mich doch mal allein mit ihm, okay?« Es
folgte
Kornfeld:
eine
»Nein.
merkbare Das
Pause,
kann
ich
und
dann
nicht
sagte
machen.«
Morgenlander nickte nur, und Kornfeld ging zu einem Stuhl an der Wand und setzte sich. Ich hatte Kornfeld eigentlich dem hoffnungsvollen Nachwuchs zugezählt, der immer einen Schritt hinter dem großen Vorbild herläuft, aber nun wurde mir klar, daß ich die Feinheiten ihrer beruflichen Verflechtungen nicht ganz korrekt eingeschätzt hatte. Morgenlander machte sich wieder ans Werk. »Spaßig, wie Sie hier reinspazieren«, sagte er zu mir. »Sie suchen sich immer die spaßigste Art aus, an die Dinge ranzugehen. Wirklich spaßig.« Er beugte sich über den Schreibtisch und knackste
zur
Unterstreichung
seiner
Worte
mit
den
Fingerknöcheln. »In Wirklichkeit bin ich ein Clown«, sagte ich. »Wenn einer von euch beiden den ernsten Part übernehmen will die Rolle ist noch zu haben.« »Spaßig«, lächelte Morgenlander und zeigte wieder die Spitze seiner abgenutzten Zunge. »Gut, daß Sie in
Wirklichkeit ein Clown sind, denn als P.I. sind Sie ein Pickel am Arsch. Sie erschweren alles. Wissen Sie, daß Angwine die Nacht in Ihrem Büro verbracht hat?« »Den Schlüssel hatte er von mir.« Morgenlander lächelte stärker, und seine Augenwinkel legten
sich in
Falten
wie
beim
Weihnachtsmann
im
Kaufhaus, der so ein komisches Gefühl kriegt, wenn sich die kleinen Mädchen auf seinen Schoß setzen. »Warum sind Sie hier, Metcalf?« »Sie haben mir den Fall weggenommen, aber ich bin auf eine Spur gestoßen.« Ich angelte nach einer Reaktion und war bereit, den Haken mit einem appetitlichen Köder zu versehen. »Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen. Legen Sie Angwine nicht eher auf Eis, als Sie nicht mit jemandem namens Danny Phoneblum ein Wörtchen geredet haben.« Morgenlander
zeigte
keinerlei
Reaktion
bei
der
Erwähnung des Namens. Er sah hinüber zu Kornfeld und wieder zurück zu mir. »Wer ist Phoneblum?« »Sie wissen jetzt genausoviel wie ich. Der Name taucht einfach immer wieder auf. Und jetzt sagen Sie noch mal, ich würde Ihnen nie einen Gefallen tun.« »Raus mit ihm«, sagte Morgenlander. Er lehnte sich zurück und fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. Kornfeld stand auf und legte die Hand auf meine Schulter. »Daheim, auf meiner eigenen Spielwiese, kriegen Leute wie Sie keine Lizenz, Metcalf«, fuhr Morgenlander fort. »Dort müßten Sie froh sein, nicht ins Kühlfach zu wandern.« Er sah zu
Kornfeld hoch. »Ziehen Sie ihm fünfundzwanzig Punkte ab und werfen Sie ihn auf die Straße.« Kornfeld brachte mich mit dem Aufzug nach unten, und diesmal hielt ich die Arme über dem Magen gekreuzt. Er ging mit mir durch die Korridore, am Empfangschalter vorbei und hinaus ins Freie. Es begann gerade zu regnen, und dicke, längliche Tropfen fielen mir auf die Knie und in den Nacken. Kornfeld holte seinen Magneten hervor und zielte auf das Karma in meiner Tasche. »Ich bin schon unten auf fünfundsechzig«, sagte ich. Er rührte sich nicht, stand bloß da. »Vierzig ist zu wenig«, erinnerte ich ihn. »Das wissen Sie.« Der Wind nahm den Regen und schleuderte ihn schräg in mein Gesicht. Ein Wagen des Büros fuhr hinter uns auf den
Parkplatz,
und
zwei
Inquisitoren
rannten
mit
aufgestelltem Kragen an uns vorbei die Treppe hoch. Kornfeld und ich standen da und wurden naß. Sein Daumen zuckte, und ich sah den kleinen Indikator auf der Rückseite des Magneten aufleuchten. »Sie hätten Phoneblum nicht erwähnen sollen«, sagte er mit einem melancholischen Unterton in der Stimme. »Innigen Dank, Kamerad«, sagte ich. Meine Finger ringelten sich instinktiv um die Karte in meiner Tasche. »Ich werde in Zukunft daran denken.« »Blöder Scheißer«, sagte er und wandte sich ab, um ins Gebäude zurückzukehren. »Blöder kleiner Scheißer.«
Kapitel 12 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Als ich in den Wagen stieg, fühlte ich mich ziemlich mies dank dieser prosaischen Mischung aus einem Hieb in den Magen,
den
abhanden
gekommenen
fünfundzwanzig
Punkten von meiner Karte und zwei oder drei Nasen voll Stoff, die in meinen Adern fehlten. Außerdem rann mir das Regenwasser in den Kragen, und ein Sandwich brauchte ich auch. Die Wolken balgten sich immer noch am Himmel wie ein Haufen Kinder an der Straßenecke, und es sah ganz so aus, als hätten sie die Sonne bis auf weiteres eisern unter Verschluß. Ich hatte keine klare Vorstellung von meinem nächsten Schritt, und eigentlich fühlte ich mich nicht ausreichend
bezahlt,
um
mein
Mittagessen
im
Auto
runterzuwürgen. Also fuhr ich nach Hause. Als ich um die Ecke bog, legte ich beinahe zwei über die Fahrbahn torkelnde Fußgänger flach, und als ich mich auf die Hupe lehnte, nahm der eine Kerl ein großes Horn aus seiner Manteltasche und hupte damit laut in meine Richtung. Ich muß zugeben, das war eine Premiere. Ich parkte so nahe an meinem Wohnhaus, wie es nur ging, aber das war dennoch nicht nah genug für meinen Geschmack. Der Regen fiel in langen, trägen Wänden vom Himmel
und
lief
in
schmutzigen
Bächen
durch
die
verstopften Rinnsale. Die Schultern bis über die Ohren
hochgezogen
galoppierte
ich
zum
Eingang
meines
Wohnhauses und sprang erleichtert in die Düsternis unter dem baufälligen Vordach. Dort blieb ich eine Minute stehen und sah zu, wie das Wasser von oben herabfiel und ein paar Handbreit von meinen Schuhen entfernt auf den Gehsteig klatschte. Ich hatte einen vagen Verdacht. Der Verdacht erwies sich als berechtigt. Joey benötigte etwa eine Minute, um mich einzuholen, und er mußte ziemlich sicher sein, daß ich ihn nicht gesehen hatte, weil er auch nicht die mindesten Anstalten machte, sein Näherkommen
zu
verheimlichen.
Er
trug
einen
schmutzfarbenen Regenmantel und eine Art weißen Turban auf dem Kopf, der seine Ohren seitlich nach unten preßte. Ich
stand
gut
verborgen
in
der
Dunkelheit
des
Eingangstors, und ich sah ihn weitaus früher als er mich, lange bevor unsere Blicke sich trafen. Als sie es schließlich taten, traf ihn nicht nur mein Blick, sondern so ziemlich alles, was ich aufbringen konnte. Mein Vorteil war der Überraschungseffekt. Vermutlich besaß ich auch mehr Intelligenz und Erfahrung als er, aber in einem Kampf mit einem Känguruh verließ ich mich allemal noch lieber auf den Überraschungseffekt. Ich nützte ihn nach Kräften aus, indem ich ihn ansprang, die Arme um seinen Nacken warf und mit dem Knie so fest und so oft ich konnte in seine Weichteile trat. Ich bin zwar kein Athlet, aber für den täglichen Gebrauch reicht s normalerweise. Jedenfalls trieb unser zähes Ringen uns hinaus in den Regen und über den halben Gehsteig vor dem Gebäude.
Ich wußte, daß ich ihn hatte, aber ich war noch nicht fertig mit ihm. Ich schob und zerrte ihn auch über die zweite
Hälfte
des
Gehweges,
lehnte
ihn
an
einen
abgestellten Wagen und preßte ihn mit der Hüfte gegen die Beifahrertür. Mein Gesicht war im nassen Fell seines Halses vergraben, und der Mief erfüllte meine Nase, aber ich wußte, ein Schritt zurück, und er hätte Platz, seine starken Beine und Füße einzusetzen, was ich mir nicht leisten konnte. Also arbeitete ich meine Hände nach oben, verschränkte sie unter seinem Kinn und schmetterte seinen Kopf rückwärts auf das Dach des Wagens. Der Turban löste sich auf und fiel über meine Arme wie die weiße Fahne der Kapitulation. Ich ließ seinen Kopf ein zweitesmal gegen das Blech krachen, wobei ich hart gegen seine kräftigen Nackenmuskeln anzukämpfen hatte, doch dann spürte ich, wie seine Umklammerung sich lockerte und seine Arme herabfielen. Jetzt
war
ich
fertig.
Die
blinde
Kraft
seiner
Beinmuskulatur hielt ihn aufrecht, aber der Rest seines Körpers funktionierte nicht mehr allzu gut. Ich legte einen Arm um seine Schultern und führte ihn in die Halle, lehnte ihn dort an die Wand und fischte die Kanone aus seinem Beutel. Die Eingangstür schloß sich lautlos auf ihren hydraulischen Angeln und sperrte das Prasseln des Regens aus. Das einzige Geräusch war das Pochen des Blutes in meinen
Schläfen.
Ich
steckte
die
Knarre
in
meine
Jackentasche, schubste das Känguruh, das gegen meine Brust gesunken war, wieder zurück und hängte mich über
das Treppengeländer. Ich war zwar der Sieger bei dieser Sache, aber so, wie wir beide in dieser Eingangshalle zusammengesackt, ausgepumpt und stumm herumlehnten, hätte
man
Schwierigkeiten
gehabt,
das
zweifelsfrei
festzustellen. Die Pfützen zu unseren Füßen krochen über den Boden, bis sie ineinander rannen und zu einer einzigen größeren wurden. Ich sah, wie Joeys Lider flatterten und sich öffneten. »Arschgeige«, sagte er. Er tastete nach seinem Hinterkopf, und seine Pfote kam naß zurück
nicht nur vom
Regenwasser. Ich nahm seine Kanone aus der Tasche. »In den Aufzug.« Wir fuhren nach oben. Das Känguruh sah irgendwie komisch aus, so hingegossen auf meinem Sofa; die klobigen Beine hielt es gekreuzt, und sein nutzloser Schwanz hob einen Zipfel seines Regenmantels hoch wie irgendein merkwürdiger Auswuchs oder eine Erektion. Ich hielt die Waffe auf seine Mitte gerichtet und wechselte sie nur von einer Hand in die andere über, während ich mir die Jacke auszog und die Tür abschloß. Das schmutzige weiße Tuch hatte es irgendwie bis herauf geschafft, und das Känguruh wickelte es wieder um seinen Kopf, diesmal als Bandage statt als Turban. Ich wischte mir das Gesicht mit einem
Blatt
Känguruh
Küchenpapier
gegenüber
auf
ab
und
der
setzte
anderen
mich
dem
Seite
des
Couchtisches hin. Ich leerte die Taschen meiner Jacke aus; Testafers
elektrischen Pfeilwerfer schob ich ins Regal hinter mir, und Pansy Greenleafs Stoff kam in die Hemdtasche. Dann legte ich die Kanone auf den Tisch und nahm meinen Spiegel zur Hand. Der Stoff auf dem Spiegel war das letzte Päckchen, das ich hatte. Ich schüttelte es aus und schob es mit einem Heftchen
Zündhölzer
zu
einer
schlampigen
Linie
zusammen. Das Känguruh sah mir belemmert zu, wie ich sie aufschnupfte. Meine vertraute Mischung übernahm wieder die Zügel, und die Realität normalisierte sich und wurde so angenehm mittelmäßig wie eh und je. Ich wischte mir mit dem Handrücken über die Nase, griff nach der Waffe und lehnte mich zurück. »Ich
möchte,
daß
du
mich
mit
Phoneblum
zusammenbringst«, sagte ich. »Du machst einen Fehler.« »Dann ist es mein Fehler.« Ich schob ihm das Telefon hin. »Ruf ihn an.« Er griff danach und tippte eine örtliche Nummer ein; seine roten Augen wanderten nervös durchs Zimmer, während er wartete. Nach dem vierten oder fünften Klingeln sagte er: »Ja, Castle hier. Ich muß Danny sprechen. Es ist wichtig. Sag ihm, ich bin bei dem P.I. Nein, ruf ihn bloß.« Er bedeckte das Mikrophon mit der Hand und sagte zu mir: »Du hast Glück, wenn man das Glück nennen kann.« Ich lächelte, und er reichte mir das Telefon. Ich hielt die Waffe weiterhin auf sein Herz gerichtet
falls ich seine
Anatomie richtig einschätzte. »Hallo«, sagte eine Stimme durch die Leitung. »Hallo«, sagte ich. »Mein Name ist Metcalf. Ich glaube, Sie wollten mich sprechen.« Eine kurze Pause, und dann wieder die Stimme: »Ich habe Ihnen jemanden geschickt, der ein Wörtchen mit Ihnen reden sollte, wenn Sie das meinen. Ich hätte gedacht, die Botschaft wäre klar.« »Sie haben ein Känguruh geschickt, um Männerarbeit zu tun«, sagte ich. »Ich bin nicht so leicht in Angst und Schrecken zu versetzen wie Doktor Testafer.« Die Stimme lachte. »Doktor Testafer verträgt mehr, als er sich anmerken läßt, Mister Metcalf. Sie überraschen mich. Ich hätte gedacht, ein Mann in Ihrer Sparte würde wissen, wann er seine Recherchen einstellen sollte. Wir hatten
bei
diesem
Fall
bereits
einen
anderen
Privatinquisitor eingesetzt, dem wir helfen mußten zu begreifen « »Sie denken wohl eine ganze Menge. Wann und wo können wir uns treffen, um die Dinge abzuklären?« Wiederum ein kurzes Schweigen. »Ich kann Ihnen nicht ganz folgen, was den Zweck eines solchen Treffens angehen soll.« »Die Sache ist die: Ich habe einen Klienten, der auf bestem Weg in den Froster ist, und wenn ich ihn dabei schon nicht aufhalten kann, so habe ich wenigstens vor herauszufinden, wer es ist, für den er eins auf den Schädel kriegt. Sie können mich nicht kaufen, und wenn Joey hier
alles ist, was Sie aufzubieten haben, dann können Sie mich auch nicht rausprügeln aus dem Fall. Wenn Sie nicht mit mir reden wollen, wandert Joey direkt in Morgenlanders Arme. Ich glaube nicht, daß Ihr Känguruh seinen Mann steht, wenn das Büro ihm die Daumenschrauben ansetzt, Phoneblum. Wenn Sie anderer Meinung sind, dann nehmen Sie mich beim Wort.« »Morgenlander ist natürlich ein Problem«, sagte die Stimme nachdenklich und wie in vertraulicher Zwiesprache mit einem Freund. »Sie liegen in fast allem völlig falsch, aber Morgenlander ist tatsächlich ein Problem. Kommen Sie mich besuchen. Es wird sich zeigen, wer hier die Dinge abklärt.« Er lachte in sich hinein und gab mir eine Adresse in Piedmont. Ich legte die Waffe auf meiner Seite des Tisches ab und schrieb die Adresse auf das Tütchen, in dem sich der Stoff befunden hatte. Er sagte sieben Uhr, und ich sagte okay. Dann ließ ich das Känguruh wieder telefonieren und begann damit, das Magazin seiner Knarre zu leeren. Joey sagte ein paarmal ja und beendete das Gespräch. »Ich muß jetzt gehen«, murmelte er. »Gib mir die Waffe.« Ich steckte die Patronen ein und warf ihm die Kanone zu; er fing sie mit seiner Brust auf. »Bist ein tüchtiger Junge«, sagte ich. »Phoneblum muß wirklich zufrieden sein mit deiner Arbeit. Aber komm bloß nicht wieder hierher, okay?« »Leck mich«, sagte er, und seine Augen starrten mich unter dem schmutzigweißen Lappen wütend an. Ich zeigte
zur Tür. Er wollte sie gerade öffnen, als ich ihm nachrief: »Phoneblum scheint deinetwegen nicht gerade in tiefer Sorge zu sein, Joey. Sei nicht überrascht, wenn dir der Teppich unter den Füßen weggezogen wird, falls das, was daruntergekehrt wurde, nicht dort liegen bleibt!« Ich hatte keinen Schimmer von irgendwas, ich ließ nur die Muskeln spielen, solange sich die Gelegenheit dazu bot. Joey verzog das Maul, blähte die Nüstern und knallte die Tür ins Schloß. Ich trat ans Fenster und sah zu, wie er auf dem Weg zu seinem Motorroller durch die Pfützen platschte. Als er um die Ecke bog, stieß ich erleichtert die Luft aus und versuchte mich zu entspannen, aber meine Brust schien einfach zu eng, und in meinen Ohren klingelte es andauernd. Ich schloß die Augen und bemühte mich, ein paar Minuten lang gleichmäßig zu atmen, doch dann gab ich es auf und ging in die Küche, um mir einen Drink zu holen. Ich stand am Fenster und nuckelte an einem Glas Scotch und betrachtete den immer dunkler werdenden Himmel, während die Sonne hinter den Wolkenschleier am anderen Ende der Bucht sank. Der Regen war zwar vorbei, aber die Sonne hatte sich dennoch geschlagen gegeben, und jetzt kroch sie auf allen vieren davon. Sie hatte meinen Segen; am liebsten wäre ich mit ihr gegangen, zu irgendeinem anderen Winkel auf dieser Erde. Ich sah auf die Uhr an der Wand. Es war halb sechs, anderthalb Stunden noch bis zu meinem Rendezvous mit Phoneblum.
Ich warf einen Blick auf den Kühlschrank; ich mußte ihn nicht öffnen, um zu wissen, daß nichts drinnen war. Gerade hatte ich die Pizzeria am anderen Ende, als es klopfte. »Nur immer rein!« sagte ich; wer immer es auch vorhatte, er würde es auf die eine oder andere Weise ohnedies schaffen. Es war Angwine, bloß daß er aussah wie ein Schatten von Angwine und nicht wie der echte. Sein Gesicht war fahl und seine Stimme ein Flüstern. Ich mußte ihn erst beruhigen,
ehe
ich
einen
klaren
Satz
aus
ihm
herausbrachte. »Ich fuhr mit dem Taxi rauf zu Testafer. Auf dem ersten Blick war niemand zu sehen, aber die Tür zu dem kleinen angebauten Häuschen stand offen. Ich ging hin, und da war Blut auf dem Türknauf! Vielleicht habe ich sogar meine Fingerabdrücke dort zurückgelassen, ich weiß nicht!« Ich sagte der Pizzeria, ich würde später noch mal anrufen. »Haben Sie was gesehen?« fragte ich Angwine. »Nur Blut, überall Blut!« sagte er. »Ich wollte mich dort nicht erwischen lassen!« »Was wollten Sie denn von Testafer?« Angwine sah zu Boden. »Ich konnte einfach nicht stillsitzen. Ich wollte rausfinden, was er über Stanhunt und meine Schwester weiß. Doch ich bin sicher, niemand ist mir gefolgt. Sie haben sich zwar hinter mich gehängt, aber ich habe sie abgeschüttelt.« »Wie dumm von Ihnen«, bemerkte ich. Ich stellte meinen Drink neben Testafers elektrischer Waffe ab.
Angwine ging zu meinem Sofa und setzte sich auf den Platz, wo nur Minuten zuvor das Känguruh gesessen hatte. Ich öffnete die Schreibtischlade, warf die Handvoll Patronen und Testafers Waffe hinein und schloß sie wieder ab. »Sie bleiben hier«, sagte ich. »Und ich sehe mich mal um dort oben.« »Ich mußte irgend etwas unternehmen! Ich wurde schon fast verrückt!« »Halten Sie den Mund, ja? Ich verstehe Sie schon.« Er sah hoch zu mir, als ich mich umdrehte und zur Tür ging,
und
ich
erwartete
fast,
er
würde
in
Tränen
ausbrechen. Mir fiel keine Nettigkeit ein, die ich ihm hätte sagen können, also sagte ich gar nichts und machte mich auf den Weg.
Kapitel 13 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Als ich in einiger Höhe angekommen war, hielt ich eine Minute lang an und sah zu, wie die letzten Reste des Sonnenuntergangs in Nacht übergingen. Es war nicht der schönste, den ich je gesehen hatte, aber er sah jedenfalls besser aus, als ich mich fühlte. Danach stieg ich wieder in den Wagen und fuhr durch das Netzwerk aus Straßen, das hinauf zum Daymont Court führte, wo Testafers Haus darauf wartete, daß jemand den Fehler machte, in diese mysteriösen Blutspuren zu stolpern. Was soll s, dachte ich, warum nicht ich? Diesmal parkte ich den Wagen einen Häuserblock
entfernt
und
ging
zu
Fuß
durch
die
Wasserpfützen auf der Straße zu der dicken, versperrten Kette am unteren Ende der Zufahrt. Keine Fahrzeuge in Sicht, kein Anzeichen für die Anwesenheit von Inquisitoren. Ich war allein, wenn auch nur für den Augenblick. In der Dunkelheit erschien mir die Zufahrtstraße länger als bei Tageslicht. Über meinem Kopf neigten sich die Baumkronen
einander
zu,
und
die
Reflexe
in
den
Wasserpfützen wirkten wie ein Netz, das zwischen der Absperrung und dem Haus ausgelegt war. Als ich das Ende der Zufahrtstraße erreicht hatte, blieb ich stehen, aber es gab nichts zu sehen oder zu hören. Als ich unter den Bäumen hervor in den mondhellen Garten vor dem Haus
trat, sah ich sofort, daß die Tür zum Apartment des Schafes offenstand. Tatsächlich, am Türknauf klebte Blut. Ich dachte an Angwine und wischte mit dem Ärmel darüber, aber es war bereits eingetrocknet. Hinter der niedrigen Tür war es finster, also mußte ich erst nach dem Schalter an einer der Stehlampen tasten, nachdem ich eingetreten war. Das erste, was ich erblickte, war meine Hand; sie war rot beschmiert, nur vom Berühren der Lampe. Als ich meinen Blick davon losriß, stieß ich fast einen Stuhl um, so heftig prallte ich zurück vor dem, was praktisch unter meinen Füßen lag. Irgend jemand hatte dieses Schäfchen fürchterlich zugerichtet. Irgend jemand hatte die kleine Dame praktisch von
innen
nach
außen
gestülpt.
Sie
lag
auf
dem
blutgetränkten Teppich, alle viere von sich gestreckt, und in nahezu jedem Winkel des Raumes lagen Fetzen ihres Fleisches. Der betäubende Gestank, der von dem Kadaver hochstieg, verriet mir, daß die Gedärme aufgerissen waren. Ich fuhr mir mit der Hand über die Stirn, als mir plötzlich das Blut auf meinen Fingern einfiel, doch da spürte ich schon die klebrige Spur, die es auf meiner Haut hinterließ. Darauf wollte ich instinktiv einen Schritt zurücktreten, um mich irgendwo anzulehnen, und krachte mit dem Kopf gegen die Decke. In dem Versuch, aus der Art, in der man das Schaf getötet
hatte,
herauszulesen,
irgendeinen zwang
ich
bedeutsamen
mich
dazu,
den
Hinweis Kadaver
eingehender
anzusehen,
aber
ich
konnte
mich
nicht
konzentrieren. Die leere Körperhöhlung wirkte wie ein Labyrinth, das meine Augen gegen ihren Willen immer wieder zu dem zerhackten schwärzlich roten Herzen führte, und ich brachte es einfach nicht fertig, in diesem Labyrinth nach Hinweisen zu forschen. Also löschte ich das Licht und ging nach draußen. Ich wanderte hinüber zum Haupthaus und probierte die Klinke, aber die Tür war versperrt. Mit einemmal überkam mich panische Angst, und ich vergrub die Hände in den Hosentaschen und joggte über die Zufahrt zurück zum Daymont Court. Ich schaffte es zum Wagen, ohne gesehen zu werden, und fuhr rasch die Straßen hinunter nach Berkeley. Offenbar ließ meine Aufmerksamkeit zu wünschen übrig,
denn
ich
geriet
unversehens
direkt
in
eine
Straßensperre auf der Alcatraz Avenue. Bevor ich noch wußte, wie mir geschah, hatten die Inquisitoren bereits den ganzen Straßenblock lahmgelegt. Blendendes Licht schien in meinen Wagen. Irgendwo bellte ein Hund, vermutlich hatten ihn die Sirenen der Inquisitoren erschreckt. Ein Klopfen am Seitenfenster. Eilig rubbelte ich mir mit dem Daumen das Blut von der Stirn, während ich langsam das Fenster öffnete. Zwei Inquisitoren mit Helmen auf dem Kopf schwenkten Schlagstöcke und Signallampen, und einer von ihnen beugte sich herab und sagte: »Ihre Karte, Ihre Berufszulassung.« Ich holte die beiden Karten aus meiner Jackentasche
und hielt sie ihm wortlos hin. Der Inquisitor reichte sie seinem Partner weiter und steckte den Kopf in meinen Wagen. Ich drückte mich zur Seite, aber er war mir immer noch zu nahe für meinen Geschmack. »Wohin fahren Sie?« »Nach Hause.« »Woher kommen Sie?« »Bin bloß spazierengefahren.« »Ist ein Privatdetektiv«, sagte der andere. »Conrad Metcalf.« »Bloß spazierengefahren, wie? Bearbeiten Sie einen Fall?« Gewiß
zitterte
dahingemetzelten
ich
wie
Schafes
Espenlaub. tauchte
Das
immer
Bild
des
wieder
vor
meinen Augen auf, und eine Sekunde lang hatte ich das irrationale Gefühl, daß die beiden das wüßten und daß die Straßensperre nur den Zweck hatte, mich abzuschießen. »Nee«, sagte ich. »Fünfundvierzig Punkte«, stellte der andere fest. »Recht wenig.« »Genau dasselbe habe ich dem Typen gesagt, der das auf dem Gewissen hat«, bemerkte ich. »Was hatten Sie denn auf dem Kerbholz, Mister?« »Nichts.« »Und was würden wir in Erfahrung bringen, wenn wir dem Büro Ihren Namen eingeben?« »Finden Sie s raus.« »Das werde ich auch tun«, sagte er. »Fahren Sie an den
Straßenrand und stellen Sie den Motor ab.« Ich befolgte seine Anweisungen, blieb im Wagen sitzen und sah teilnahmslos den Vorgängen draußen zu, während ich darauf wartete, daß der Kerl Zugriff auf meine Daten bekam.
Die
Jungs
fertigten
die
Fahrzeuge
ziemlich
gründlich ab, nahmen ein paar davon auseinander und stöberten in Kofferräumen und Handschuhfächern. Sie ließen Unmengen von Karma durch ihre Decoder laufen und schüttelten tadelnd den Kopf, ehe sie die Karten zurückgaben.
Ein
ganzer
Haufen
von
ihnen
stand
beisammen, als sie eine flotte Brünette auf dem Rücksitz ihres Wagens einer Leibesvisitation unterzogen; aber das war nichts Außergewöhnliches. Ich hatte in meinem Leben schon eine ganze Menge davon gesehen, und nicht immer so harmlose wie diesmal. Nach einer Weile kamen die beiden Kerle zurück zu meinem Wagen und gaben mir meine Karten. Einer von ihnen lächelte kryptisch. »Ihre Akte wird gerade geprüft«, sagte er. »Nicht verfügbar.« »Was meinen Sie damit?« »Viel Glück, Kumpel. War nett, Sie kennenzulernen. Fahren Sie jetzt weiter.« »Nicht verfügbar?« »Ich sagte, fahren Sie weiter!« Sie öffneten die Absperrung, und ich fuhr durch.
Kapitel 14 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Im Aufzug auf dem Weg nach oben überkamen mich fürchterlich
böse
Vorahnungen,
aber
als
Apartment betrat, war alles unverändert unheimlich
unverändert.
eingeschlafen
Angwine war auf
ich
mein
geradezu dem Sofa
auf demselben Plätzchen, auf dem er
zuletzt gesessen hatte. Das Licht brannte, und aus dem Radio strömte billige Musik. Ich langte hinüber und schaltete es ab, ehe ich meinen Drink vom Bücherbord holte und ihn mitnahm in die Küche. Das Eis war in der Zwischenzeit geschmolzen, aber das störte mich nicht. Ich überlegte die Alternativen, die sich mir jetzt noch boten, nachdem ich meine Fingerabdrücke zwanglos im ganzen Rückweg
Testafer-Haus in
eine
verstreut
hatte
Verkehrskontrolle
und
auf
dem
geschlittert
war.
Angenommen, Testafer hatte das Schaf selbst umgebracht, dann würde er jetzt jeden Moment nach Hause kommen und ein Mordstheater aufführen. Am besten war wohl, mich sofort mit dem Inquisitionsbüro in Verbindung zu setzen und den Leuten dort alles zu erzählen, was ich wußte, ehe sie mich von sich aus in die Mangel nahmen. Und falls es Angwine
tatsächlich
gelungen
war,
seinen
Schatten
abzuschütteln, konnte ich mir ein paar bitter benötigte Karmapunkte verdienen, wenn ich ihnen diesbezüglich
einen Tip gab. Das konnte gewiß nicht schaden. Es war höchste Zeit, ein bißchen was beizutragen, um die Sache flüssig in Gang zu halten
verdammt, um sie überhaupt in
Gang zu halten! Ich stand in der Tür und sah Angwine beim Schnarchen zu. Er tat mir leid, aber ich hatte keine Gewissensbisse seinetwegen. Mehr als das, was ich für ihn tat, konnte man nicht tun. Er war der Typ, der über jedes Teppichmuster gestolpert wäre, damals, als die Teppiche noch Muster hatten. Und wie die Dinge jetzt standen, hatte jemand wie er keine Chance im Leben. So betrachtet sah es auch nicht besonders gut aus für jemanden wie mich. Aber ich beklagte mich nicht. Ich schaltete bei Angwine das Licht aus und ging mit meinem Drink ins Schlafzimmer. Dort setzte ich mich aufs Bett, rief das Büro an und verlangte Morgenlander. Die Puppe am anderen Ende sagte, er sei nicht im Haus. Also verlangte ich Catherine Teleprompter und bekam die gleiche Antwort. Als ich verlauten
ließ,
daß
ich
einen
Mord
melden
wollte,
informierte sie mich, daß sie den Anruf zurückverfolgen lassen würde, worauf ich sagte, es würde mich wundern, wenn sie das nicht schon längst getan hätte. Dann sagte sie nichts mehr, sondern verband mich mit einem anderen Apparat. Es meldete sich ein Inquisitor mit einem müden skeptischen Unterton in der Stimme. »Sie wollen einen Mordfall melden«, stellte er fest. »Ganz richtig. Ein evolviertes Schaf wurde getötet. Ich habe den Leichnam aufgefunden.«
»Das ist kein Mord«, sagte er. »Wie ist Ihr Name?« »Privatinquisitor Metcalf. Ich arbeite an dem StanhuntMord und bin der Meinung, daß zwischen den beiden Todesfällen möglicherweise ein Zusammenhang besteht.« »Wo ist das passiert?« »In einem Privathaus in El Cerrito.« Ich gab ihm die Adresse. »Wo befinden Sie sich jetzt?« »Zu Hause.« Es folgte eine Pause von einer Minute, in der der Inquisitor auf seiner Tastatur herumspielte. Ich hörte das Geräusch seiner Finger. »Conrad Metcalf«, sagte er dann. »Ganz recht.« »Sie sollten besser persönlich herkommen, Metcalf. Nein, warten Sie, ich schicke einen Mann zu Ihnen. Bleiben Sie in Ihrer Wohnung. Wir setzen uns mit Ihnen in Verbindung.« »Klingt
verlockend,
aber
ich
habe
andere
Pläne.
Trotzdem schönen Dank.« »Ich sperre Ihre Lizenz«, drohte er. »Bleiben Sie in Ihrer Wohnung!« »Tut mir leid. Wir müssen das auf ein andermal verschieben.
Sagen
Sie
Morgenlander,
unter
meiner
Privatnummer kann er eine Nachricht hinterlassen.« Ich schnitt die quäkende Stimme brutal ab und trank mein Glas aus. Auf diese Weise setzte ich natürlich alles aufs Spiel, und vielleicht war es auch nicht grade das
klügste, aber es war die einzige Art und Weise, wie ich die Angelegenheit weiterbringen konnte. Das Büro war drauf und dran, die ganze Sache zu unterdrücken, und ich mußte unbedingt
zuerst
mit
Phoneblum
plaudern,
ehe
das
geschah. Phoneblum mußte der Schlüssel zu dem Fall sein. Er hatte Pansy Greenleaf an der Kandare, Doktor Testafer, das Känguruh und die Familie Stanhunt, einschließlich des Verblichenen. Und fast sah es so aus, als würde auch Inquisitor Kornfeld sich hinzugesellen: Phoneblum hatte gekniffen, als ich Morgenlander erwähnte
das hohe Tier,
das Kornfeld und Teleprompter und vermutlich auch den Rest der Belegschaft ganz kribbelig machte. Ich wünschte mir, mehr zu wissen. Wie sich der Mord an dem Schaf da einfügte oder der Plan für die Tierkaserne in der Cranberry Street. Was Maynard Stanhunt in dieser Flohkiste von Motel getrieben hatte. Und was die hochherrschaftlichen Stanhunts mit dem bleichgesichtigen kleinen Junkie namens Pansy Greenleaf verband. Ich hätte mich gern Orton Angwines Theorie angeschlossen, daß nämlich Doktor Stanhunt ein Verhältnis mit Pansy gehabt hatte, aber dazu konnte ich mich einfach nicht überwinden. Nein, ich konnte es mir nicht leisten, auf meinem Hintern sitzenzubleiben, bis die Inquisitoren eintrudelten. Ich hatte dringende Geschäfte zu erledigen, auch wenn ich noch nicht wußte, was für Geschäfte das waren. Es gab nur ein Problem: Was sollte ich mit Angwine anfangen? Wenn
ich ihn hier in meinem Apartment schlafen ließ, dann fehlte eigentlich nur Geschenkpapier und eine hübsche Schleife. Ich stellte das Glas in die Spüle. Angwine schnarchte immer noch drüben
im
Dunkeln. Also ging ich
ins
Wohnzimmer und stupste sein Bein ein wenig mit dem Fuß an. Seine Lider zuckten, und er öffnete die Augen. »Ich gehe weg«, sagte ich. »Die Tür schließt automatisch. An Ihrer Stelle würde ich nicht hierbleiben.« Ich
holte
einen
Hut
aus
dem
Garderobeschrank,
schlüpfte wieder in die Jacke und sperrte die Lade auf, in der die Kanone lag. Die Jungs würden bald kommen wozu es ihnen zusätzlich kompliziert machen, wenn sie die Wohnung auseinandernahmen? Als ich die Tür hinter mir schloß, saß Angwine mit erstauntem Gesicht auf dem Sofa; vielleicht hatte ich ihn bei einem hübschen, glaubwürdigen Traum unterbrochen. Ich
hatte
gerade
die
Straße
zu
meinem
Wagen
überquert, als der geschlossene Bus der Inquisitoren vor meinem Haus hielt. Also duckte ich mich hinter den Wagen und sah durch die Fenster zu, wie die Besatzung ausstieg und
ins
Haus
marschierte,
der
ganze
Trupp
dicht
beisammen wie ein Schwarm Raubfische. Als sie alle drinnen waren, stieg ich ins Auto, startete den
Motor
und
löste
mit
zitternden
Fingern
die
Handbremse. Ich hatte keine Zeit, abzuwarten und mir anzusehen, was weiter geschehen würde. Es war ohnedies nicht schwer vorherzusagen. Also fuhr ich um die Ecke und hielt dort an, bis das Zittern sich gelegt hatte.
In
gewisser
Weise
würde
meine
Arbeit
natürlich
einfacher sein, wenn mir Angwine nicht mehr am Hals hing. Ich hatte mich zu sehr verausgabt, um ihn zu schützen, und meine Objektivität eingebüßt. Jetzt konnte ich wieder als freier Mann agieren und nur meine eigenen Interessen schützen. Das gefiel mir weit besser. Und wenn es mir gelang,
dabei
Unwahrheiten
die
Wahrheit
herauszulösen,
aus dann
dem
Kokon
würde
von
Angwine
vielleicht auch etwas für sein Geld kriegen. Wenn nicht nun, dann hatte ich es zumindest versucht; außerdem handelte es sich gar nicht um sein Geld. Ich fühlte mich okay. Ich fühlte mich wie ein absolutes Schwein.
Kapitel 15 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Es war halb sieben. Ich fuhr nach Oakland, parkte in einer ruhigen Nebenstraße und ging zu Fuß weiter. Die Mischerei war der einzige Laden in der Straße, der noch offen hatte, und
ihre
Neonbeleuchtung
spiegelte
sich
in
den
Regenpfützen und den Schaufenstern der geschlossenen Geschäfte. Eine steife Brise wehte von der Bucht her mit Kollisionskurs auf die Hügel zu, und sie stach mich in Ohren und Nase, als ich die Stufen zum Eingang hochlief. Eine elektronische Klingel ertönte, als ich die Tür öffnete. Ich legte mir den aufgestellten Kragen um und trat an den Ladentisch. »Bin gleich bei Ihnen«, sagte der Mischer, während er die
zusammengekniffenen
Augen
nicht
vom
Monitor
abwandte. Sein faltiges Gesicht und die Brille mit den dünnen
Metallfassungen
waren
in
grünliches
Licht
getaucht. Er war kaum älter als fünfundvierzig, aber sein nach hinten gerutschter Haaransatz betonte die Runzeln auf seiner hohen Stirn, und die Härchen über seinen Ohren waren so weiß wie das Pulver, das in ordentlichen kleinen Häufchen auf seinem Labortisch lag. Er übertrug eine chemische Formel vom Monitor auf einen Notizblock zu seiner Linken, ohne die Augen vom Bildschirm zu nehmen, tippte eine weitere Gruppe von Namen und Rezepten ein
und murmelte selbstvergessen einen Kommentar über das Gesehene vor sich hin. Ich wartete. »Name«, sagte er, als er sich mir zuwandte. Seine Augen hinter den Brillengläsern musterten mich rasch und gleichgültig. »Conrad Metcalf«, antwortete ich und überraschte ihn daraufhin mit der Rezeptur für meine Mischung. Ich wußte sie immer auswendig, keine Ahnung, wieso. Er drehte sich zurück zu seiner Tastatur und tippte sie ein. »Akzeptol«, sagte er. »Größtenteils.« »Kriege
heutzutage
nicht
viele
Mischungen
ohne
Forgettol zu Gesicht«, stellte er fest. »Mochte ich nie « »Geschmäcker und Ohrfeigen « »Genau. Hören Sie mal
Wenn ich Ihnen ein, zwei
Namen nenne, können Sie mir dann die Zusammensetzung ihrer Mischungen auf diesen Bildschirm zaubern?« Er hielt inne mit dem Tippen, drehte sich zu mir um und starrte mich unverwandt an. »Das war eine Frage, was ich da gerade gehört habe, Mister.« Ich legte meine Lizenz auf den Tresen und wartete, während er sie studierte. Dabei hielt er seine Brille in einer Hand und streckte die andere in die Luft, als würde es ihm Unglück bringen, das Ding auch nur anzurühren. Als er wieder aufsah, nahm ich meine Karte und steckte sie zurück in die Jackentasche. »Nun, wie steht s damit?«
»Sie wissen, daß ich das nicht tun kann«, sagte er mit gepreßter,
vorwurfsvoller
Stimme
und
blinzelte
mich
gequält an. Ich nahm einen von Angwines Hundertern aus der Tasche, riß ihn in der Mitte durch und legte eine Hälfte dorthin, wo vor kurzem meine Lizenz gelegen hatte. Der Mischer betrachtete den halben Hunderter ein wenig wohlgesinnter als zuvor meine Karte. Mit einem kleinen Stups den Nasenrücken hoch rückte er seine Brille zurecht und sah mich an, die Hand immer noch vor seiner Nase. »Einen von dieser Sorte für jeden Namen«, sagte er leise. Ich lächelte, zog einen zweiten Schein hervor, riß ihn entzwei und legte die gleiche Hälfte neben die erste. Die anderen beiden Hälften wanderten zurück in meine Tasche. »Grover Testafer«, sagte ich. Er stellte sich nervös vor seinen Computer und tippte den Namen ein. »Es wird eine Minute dauern«, erklärte er, »ich muß nach der Formel suchen. Er bezieht den Stoff von einer anderen Mischerei.« Seine Finger flitzten so rasch über die Tasten, daß ich nicht verfolgen konnte, was er eintippte. Seine gefurchten Gesichtszüge tauchten in das grüne Licht; er wirkte auf mich wie irgendein Wesen aus der finstersten Unterwelt, versunken in die Anbetung eines phosphoreszierenden Gottes. Ein Rezept erschien auf dem Bildschirm.
»Standard«,
verkündete
der
Mischer.
»Forgettol, Avoidol, Addiktol. Nichts Außergewöhnliches. Sehr viel Avoidol.« »Erzählen Sie mir was über Avoidol, ich verwende es
nicht.« Beim Fachsimpeln fühlte er sich wohl. Er legte die Nervosität ab. »Beschleunigt hauptsächlich den Vorgang der Verdrängung. Und die Flucht aus der Realität. Ich füge es Ihrer Mischung hinzu, wenn Sie es ausprobieren wollen.« »Nein, danke.« Ein Geräusch an der Tür ließ uns beide aufblicken. Ich ging rasch hin und griff nach der Klinke. Der Typ auf der anderen Seite der Scheibe hatte die Klinke auch schon umfaßt, und ich riß sie ihm mit einem Ruck aus der Hand. »Verzeihung«, sagte er. Ich zog meine Lizenz hervor und hielt sie ihm unter die Nase
so kurz, daß er kein Wort darauf erkennen konnte.
Sein Mund öffnete sich, zuckte eine Weile, aber nichts kam heraus. »Wir haben für ein paar Minuten geschlossen«, erklärte ich. »Bitte gedulden Sie sich und entschuldigen Sie die Unannehmlichkeit.« Der Junge sah, daß ich mich nicht von der Stelle rührte. Vor sich hin murmelnd zog er ab, und ich schloß die Tür hinter ihm und ging zurück zum Tresen. Die beiden Hunderterhälften waren verschwunden; an ihrer Stelle befand sich eine frische Phiole meiner Mischung, versehen mit dem Aufkleber der Mischerei und meiner Rezeptur. Ich ließ die Phiole in meine Tasche gleiten und sagte: »Okay. Vergessen Sie Testafer. Probieren Sie s mit Maynard Stanhunt.«
Falls ihm der Name aus dem Radiobericht über den Mord im Gedächtnis geblieben war, ließ er es sich nicht anmerken. »Da haben wir etwas Interessanteres«, sagte er, nachdem die Formel auf seinem Monitor erschienen war. Ich blickte ihm über die Schulter, aber die Symbole sagten mir nichts. »Die
Mischung
besteht
fast
ausschließlich
aus
Forgettol«, stellte er fest. Er sah genauer hin. »Was ich komisch finde, ist das Zeug, das er als Modifikator verwendet.« Die Formel verschwand vom oberen Rand des Bildschirms, als er begann, den Rest von Stanhunts Akte zu studieren. »Was meinen Sie damit?« »Ich habe schon gehört, daß dies die Sache der Zukunft sein soll«, erklärte er. »Aber jetzt habe ich sie zum erstenmal
zu
Gesicht
bekommen.
Mister
Stanhunt
verwendet einen Zusatz, der eine verzögerte Freisetzung bewirkt, was eine Koppelung der Einzeldosen ermöglicht mit dem Effekt, daß man nie völlig clean ist. Äußerst raffiniert, wenn man die Sache handhaben kann.« »Und wenn man es nicht kann?« Er wieherte leise. »Dann vergißt man, wie man seinen Lebensunterhalt verdient, wo man wohnt, wie man heißt und so weiter.« »Und wo liegen die Vorteile?« Er sah mich zweifelnd an; er hatte bemerkt, wie ihm die Worte allzu flott von den Lippen kamen, und nun besann er sich plötzlich eines Besseren. Ich fürchtete schon, er würde
ab nun den Mund überhaupt nicht mehr aufbringen, aber da sagte er: »Ich weiß wirklich nicht, worauf ich mich da einlasse.« »Sie lassen sich auf überhaupt nichts ein. In einer Minute spaziere ich hier raus, und Sie haben zwei Scheine mehr
in
der
Tasche.
Was
sind
die
Vorteile
des
Modifikators?« Er rieb sich die Stirn mit den Fingerspitzen, und ich sah, wie er schluckte. »Entweder ist Ihr Mann ein Arzt, oder er hat einen Arzt an der Hand, der ihm Hilfestellung gibt. Oder er ist sehr dumm. Wenn man versucht, Forgettol zu modifizieren, so ist das jedesmal ein Drahtseilakt. Eines Tages
wird
es
zweifellos
gelingen,
alle
Unsicherheitsfaktoren zu beseitigen, aber soweit ist es noch nicht.« Er lächelte schief. »Wenn er es richtig macht, kann er mit diesem Stoff ganze Teile seines Lebens auslöschen und dann die beiden Enden so zusammenfügen, daß das Gefühl der Kontinuität gewahrt bleibt. Das ist auch der Sinn des Ganzen: sich mit Dingen beschäftigen zu können,
ohne
je
einen
weiteren
Gedanken
daran
verschwenden zu müssen. Und was so unterdrückt wird, kommt nie mehr wieder hoch. So funktioniert die Sache, wenn man klug an sie herangeht, was er aber nicht tut. Denn auf diese Weise hier kann sie nicht kontrolliert werden.« Er sah mich ärgerlich an. »Wenn das alles ist « »Noch nicht ganz.« Ich grub in meiner Hüfttasche nach dem gefalteten Hundertdollarschein, in dem sich der Stoff von Pansy Greenleafs Nachttisch befand -Auftrag und
Bezahlung in einem. »Werfen Sie einen Blick darauf«, sagte ich und schob das Päckchen über den Ladentisch. Seine
kurzsichtigen
Augen
zuckten
ein
paarmal
zwischen meinem Gesicht und dem Hundertdollarpäckchen hin und her, und dann siegten Neugier und Habsucht, und er nahm es und trug es zum Mikroskop. Ich lehnte mich über den Tisch und sah ihm zu. Er warf mir über das Okular hinweg einen bösen Blick zu und begann dann, in einem Nachschlagewerk zu blättern, das offen auf dem Tisch neben dem Mikroskop lag. So machte er ein paarmal die Runde zwischen Okular, Buch und Monitor, ehe er den Stoff in eine kleine Tüte schob und die Tüte vor mich auf den Tresen legte. Der Hunderter war verschwunden. »An Ihrer Stelle würde ich das nicht unbedingt öffentlich herumzeigen«, sagte er bedachtsam. »Was ist es?« »Blanketrol.
Fällt
unter
die
staatlich
kontrollierten
Substanzen. Stecken Sie es weg.« »Wie wirkt es?« Die Furchen auf seiner Stirn vertieften sich. »Ich verrate Ihnen alles über Blanketrol«, sagte er, »und dann nehmen Sie es und verschwinden von hier. Ich will so tun, als ob Sie nicht ohnedies schon alles darüber wüßten, okay?« »Wenn es Ihnen Spaß macht.« »Blanketrol ist ein sehr harter Stoff«, sagte er. »Es war der ursprüngliche Prototyp für Forgettol. Wurde aus dem Verkehr gezogen, als sich herausstellte, daß es das
Innenleben
der
Testpersonen
zur
Gänze
aushöhlte.
Diejenigen, die es konsumiert hatten, funktionierten zwar weiter, aber rein mechanisch.« Wiederum schob er seine Brille hoch. »Stellen Sie es sich als das Gegenteil von déjà vu vor
nichts erinnert Sie an irgendwas, nicht einmal an
Sie selbst.« »Prächtig.« »Es freut mich, daß Sie so denken. Und nun stecken Sie es ein, geben Sie mir mein Geld und verschwinden Sie, bevor ich das Büro anrufe.« Ich sah tief in seine Hinterglas-Augen, und sie blinzelten sich los vom Kontakt mit den meinen. Als ich den Umschlag in die Tasche steckte, widerte mich meine Umgebung plötzlich zutiefst an, und nichts erschien mir elender und dreckiger als diese Mischerei und diese schmierige Brillenschlange von einem Mischer, der sich selbstzufrieden
anmaßte,
eine
Droge
als
legitimer
einzustufen als die andere. Ich langte über den Tresen und faßte ihn am Kragen, noch ehe einer von uns beiden irgendeine Vorstellung davon hatte, was ich tat. Ich improvisierte. »Behalten Sie Ihre Hälfte der Kohle«, sagte ich, »und ich behalte die meine. Ich werde Ihre Hilfe ohnehin
bald
wieder
brauchen.
Wenn
Sie
das
Büro
informieren wollen, nur zu. Ich denke, es ist uns beiden klar, warum das keine so tolle Idee wäre. Wir sehen uns wieder, in ein, zwei Tagen.« Ich schubste ihn weg vom Tresen, knöpfte mir den Mantel zu und verließ den Laden, ehe er noch ein Wort sagen konnte.
Nachdem ich in den Wagen gestiegen war, öffnete ich mein Seitenfenster und blieb eine Minute lang sitzen; der Wind pfiff durch den Kühlergrill und wehte eine Serie trockener
Blätter
Windschutzscheibe
über und
die
hinüber
Motorhaube, in
die
Berge.
die Meine
Stimmung war auf dem Nullpunkt. Ich wußte nicht, ob mir die Tatsache gefallen wollte, daß ich in einem Kriminalfall auf nichts anderes zurückgreifen konnte als auf die verschiedenen
Drogen,
welche
die
Hauptpersonen
konsumierten. Das erinnerte mich zu sehr an mein eigenes Leben. Ich befühlte die neue Phiole in meiner Tasche, nur um sicherzugehen, daß sie auch wirklich da war. Sie war da und auch das Blanketrol. Eine endlose, trübsinnige Minute lang dachte ich daran, es mir selbst zu verpassen, doch dann holte ich es hervor, öffnete die Wagentür und ließ es in den Rinnstein rieseln.
Kapitel 16 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Die Adresse, die Phoneblum mir gegeben hatte, stellte sich als ein Haus oben in den Hügeln heraus
und dieses Haus
hatte einen Hügel ganz für sich allein. Sehr eindrucksvoll. Doch als ich in der Dunkelheit darauf zuging, sah ich das Leuchten der holographischen Projektoren zu beiden Seiten des Weges, und als ich ihren Strahl kreuzte, löste sich das Haus in
der Nacht auf und ließ einen überdachten
Treppenabgang erkennen, der aus dem Boden ragte wie der Eingang zu einer U-Bahn-Station. Ich drehte am Griff und öffnete das Tor. Die Treppe war mit orangerotem Astroturf belegt, und auf den Wänden sah man
die
übermalten
Spuren
unleserlicher
Graffiti.
Phoneblum enttäuschte mich rasch. Am liebsten wäre ich stehengeblieben und hätte etwas dazugekritzelt, aber ich war schon spät dran, und außerdem fiel mir im Augenblick nichts Sinniges ein. Vielleicht auf dem Rückweg. Die
Treppe
führte
zu
einem
grell
erleuchteten
Betonboden hinab, auf dem ich einen Schatten erkennen konnte, der sich vor einer offenbar nackten Glühlampe hin und her bewegte. Als ich auf halbem Weg nach unten war, kamen
zwei
Füße
in
Sicht,
die
unter
einem
Tisch
hervorragten und einen schlappen Rhythmus auf den Betonboden hämmerten. Ich brachte den Rest des Abstiegs
hinter mich. Der Mann hinter dem Schreibtisch konnte nicht älter sein als fünfzig, aber sein Gesicht war überzogen von einem Netz aus roten Adern, die so stark hervortraten, daß ich den spontanen Eindruck hatte, sie würden sich durch die Haut hindurch eine Art Fluchtweg erkämpfen. Ich konnte es ihnen nicht verdenken, nachdem ich eine erste Wolke seines Atems genossen hatte. Die Miasmen drangen mir in jeden Winkel meiner Nase und zupften an jedem Härchen darin. Falls das Phoneblum war, dann würde unsere Unterhaltung nicht lange dauern, und wenn er es nicht war, dann wußte ich, weshalb man den Mann an einen Schreibtisch tief unter der Erde verbannt hatte. Zum Außendienst wäre er wohl kaum tauglich gewesen: Dieser Atem
war
ein
unmißverständliches
Brandzeichen,
signifikanter als jeder Fingerabdruck. Der Typ grinste, um mehr davon aus den Mundwinkeln zischen zu lassen, und ich fiel fast in Ohnmacht. Er sah bei meinem Anblick richtiggehend erfreut aus, und als sich der Lauf einer Waffe in mein Rückgrat bohrte, verstand ich seine unbekümmerte Fröhlichkeit. Es stellte sich heraus, daß sich am anderen Ende der Waffe das Känguruh, der Möchtegernrabauke, befand. Er hielt den Lauf seiner Kanone in meinen Rücken gepreßt, während er sorgfältig meine Taschen abklopfte. Ich hob die Arme und wartete geduldig. Als er auf die Tasche stieß, in der die Phiole mit meiner Mischung steckte, griff er hinein und zog sie heraus. Ich sah ihm über meine Schulter
hinweg zu, wie er sich bemühte, die Schrift auf dem Klebeetikett zu entziffern; das Fell auf seiner Stirn war ganz zerknittert vor Konzentration, und seine Kehle hüpfte auf und ab, als er tonlos die Buchstaben aneinanderreihte. Ich nahm ihm die Phiole aus der Pfote, um ihn aus seiner Zwangslage zu befreien. Mit einem Hieb auf den Rücken stieß er mich vorwärts und sagte: »Er ist sauber.« Ich glaube, er war enttäuscht, daß sich nichts gefunden hatte, was einen Hieb in meinen Solarplexus gerechtfertigt hätte. »Gut«, sagte der Mann am Schreibtisch und grinste wieder. »Bring ihn hinunter.« Das Känguruh legte die Pfote auf meinen Nacken und führte mich einen langen Korridor entlang und durch zwei Türen zu einem wartenden Lift. Wir stiegen ein und drehten uns mit dem Gesicht zur Tür wie normale Passagiere in einem Aufzug, die bestrebt waren, einander zu ignorieren; nur die Kanone in seiner Hand störte hier den Eindruck ein wenig. Nach der Demütigung vor meinem Wohnhaus tat das Känguruh so, als würde es mich nicht kennen. Was mir durchaus recht war. Langsam sanken wir an zwei Etagen vorbei, ehe wir mit schmirgelndem Getriebe und rasselnden Ketten auf dem Grund auftrafen. Die Tür öffnete sich, und das Känguruh stieß mich aus dem Lift direkt in das Wohnzimmer von Phoneblums Refugium. Hier sollte sich wohl alles den Anschein des Hauses geben, das einstmals oben auf dem Hügel gestanden haben
mußte, dort, wo jetzt nichts war als das Hologramm. Antike Möbel
waren im Halbkreis um einen offenen Kamin
arrangiert, neben dem sich sogar ein Stapel Feuerholz befand, also war er vielleicht doch nicht nur fürs Auge. Über all das spannte sich eine reich verzierte Stuckdecke, und dennoch konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, als wäre auch sie nur das sorgfältige Detail einer alten Filmkulisse. Das alles hier wirkte einfach nur perfekter durchdacht, mehr nicht. Es gab zwar Vorhänge, aber ich sah genau, daß sich dahinter keine Fenster befanden; sie hätten
wohl
Regenwürmer
auch
nur
erlaubt
den wie
Blick ein
auf
Erdreich
Diorama
aus
und dem
Biologieunterricht. Wäre vielleicht gar nicht uninteressant gewesen, aber ich denke, das war nicht unbedingt der Effekt, auf den man es hier abgesehen hatte. »Steck die Kanone weg, Joey.« Phoneblum
diesmal
war ich sicher, daß es sich um Phoneblum handelte betrat den Raum durch die Schlafzimmertür, ging zum Tisch und stupste seine Zigarre im Aschenbecher aus. Er hielt sie an die Nase, roch daran und legte sie sorgsam neben den Ascher. Seine Finger waren dick, aber elegant. Mit dem Urteil über den Rest seiner Person hielt ich mich einstweilen noch zurück. Unter all diesen Fleischbergen mußte sich das Skelett eines Kolosses verbergen, doch falls es irgendwo an ihm einen hervorstehenden Knochen oder eine wie immer geartete Kante gab, dann entzog sie sich meinen Blicken. Er trug Hemd und Hosen, aber seine Kleider wirkten wie Zeltplanen, die sich straff über diese
Fleischmassen spannten. Eine enorm weite Strickweste hing über allem, und ein dazupassender Schal, den er um den Hals gewickelt trug, preßte seinen weißen Vollbart gegen den ausladenden Brustkorb. Er hatte eine hohe Stirn, und eine üppige Mähne wogte um den mächtigen Schädel. Seine Augenbrauen zuckten aufmerksam über den Augen, die beinahe völlig in den Fleischwülsten ihres Umfeldes versanken. Ungeachtet all dessen bewegte er sich mit einer Anmut
oder war s Affektiertheit? , der ein
Echo aus der Vergangenheit anhaftete: die Erinnerung an einen jungen, schlanken Mann, der noch irgendwo in diesem alten, absurd fetten begraben lag. »Geh nach oben«, sagte er zu Joey, und das Känguruh hüpfte gehorsam zurück zum Aufzug. Ich sah wortlos zu. Der Koloß drehte sich um und lächelte mich ohne den geringsten Anflug von Arglist an. »Setzen Sie sich doch, Mister Metcalf.« Ich ließ mich in einem Sessel nieder und überließ Phoneblum das Sofa. Er würde jeden Zentimeter davon benötigen. Als sich die Aufzugtür hinter dem Känguruh geschlossen hatte, trat der Fette hinter das Sofa, packte die Lehne mit beiden Händen und kippte seinen massigen Körper darüber weg. Sein Schal löste sich und fiel auf die Kissen. »Sie sagten, wir hätten etwas zu besprechen.« Seine Stimme klang tief und theatralisch; ich dachte dabei an blankpoliertes Holz, aber ihr Tonfall war völlig neutral. »Jedesmal, wenn ich um eine Ecke biege, renne ich gegen Ihr Känguruh«, sagte ich. »Das sollte reichen für
den Anfang.« »Sie sind Inquisitor?« »Ganz recht.« »Machen Fragen Sie nervös? Ich ziehe es üblicherweise vor, das Korsett der uns vorgeschriebenen Anstandsregeln ein wenig zu lockern.« »Soll mir recht sein. Fragen sind mein täglich Brot und die Butter drauf.« Die Fleischkugel von Gesicht verzog sich zu einem Lachen.
»Sehr
gut.
Und
ich
werde
Ihnen
helfen
herauszufinden, auf welcher Seite Ihr Brot gebuttert ist, und wer die Butter streicht. Sehen Sie, Mister Metcalf, ich bin alt genug, um mich noch gut an eine Zeit zu erinnern ah, ich langweile Sie nur mit meinen Reminiszenzen. Erlauben Sie mir, Ihnen einen Drink anzubieten « Ich nickte. Mit verblüffend wenig Anstrengung erhob er sich aus den Tiefen des Sofas und öffnete ein Schränkchen voller
Flaschen
mit
bernsteinfarbenem
Inhalt
und
geschliffenen Gläsern. Ohne zu fragen goß er mir eine großzügige Menge von etwas ein, das sich als Scotch herausstellen sollte, und ich nahm das Glas in Empfang, ohne mich zu bedanken. Ich senkte das Flüssigkeitsniveau darin auf die Hälfte, noch während er sich auf dem Sofa ausbreitete. »Joey besitzt eine egoistische Ader«, sagte er fast entschuldigend. »Er meint es nicht böse. Er bemüht sich, alles richtig zu machen, und er ist recht intelligent. Ich muß
ihm
noch
beibringen,
seinen
Enthusiasmus
zu
zügeln.« »Dort, wo ich herkomme, bringt man Marionetten nichts bei; man läßt die Puppen nach unserer Pfeife tanzen.« »Oh! Das ist nicht fair
uns beiden gegenüber, Mister
Metcalf! Joey ist weit mehr als eine Marionette, und ich halte mich für etwas Subtileres als einen Puppenspieler. Für einen Katalysator eventuell.« So, so, eine Plaudertasche also
in einer Zeit, in der
Plaudertaschen selten und dünn gesät waren. Ich, für meine Person, war auch eine Plaudertasche, aber dazu noch ein gewitzter Profi. Bei Phoneblum hingegen sah es ganz so aus, als wäre das Plaudern seine große Passion. »Eigentlich interessiert mich die Meinung, die Sie von sich selbst haben, nicht übermäßig«, erklärte ich. »Sie hetzen mir Joey an den Hals, um mich mit Gewalt von einem Fall abzubringen! Dafür habe ich sogar einen abgesplitterten Zahn als Beweis!« »Ich könnte mir vorstellen, daß so etwas zu Ihrem erwählten Beruf gehört.« »Was nicht heißt, daß ich mich darum reißen muß. Sie wollen mich raushaben aus diesem Fall. Warum?« »Der Fall, von dem Sie sprechen, könnte mir nicht gleichgültiger sein. Aber Sie haben Leute verstimmt, an denen ich hänge, und daher habe ich Sie gebeten, damit aufzuhören.« »Leute, an denen Sie hängen. Und wer könnte das sein?« »Doktor Testafer. Celeste Stanhunt. Und die Kinder in
der Cranberry Street.« »Es
gibt
nur
ein
Kind
in
der
Cranberry
Street,
Phoneblum, und das ist das Kätzchen. Die Leute, von denen Sie sagen, Sie würden an ihnen hängen
das ist
derselbe Verein, der kalkweiß wird, wenn man Ihren Namen nennt.« Das bremste ihn etwas ein. Seine Augenbrauen trafen sich in der Mitte und kletterten daraufhin skeptisch über die breite Stirn nach oben
offenbar hatten seine Brauen als
Kompensation für das fortschreitende Schlappwerden des übrigen Körpers ihre eigene Ausdruckskraft entwickelt. Phoneblum hob sein Glas, um ein Schlückchen zu machen, und zog dann das Schlückchen so lange hinaus, bis ihm eine Antwort einfiel. »Mein Leben ist kompliziert«, ächzte er schließlich. »Die Inquisition hat mir alles genommen, was mir lieb und wert war. Die heutige Gesellschaft ist mein natürlicher Gegner. Ich tue zwar mein Bestes, um die fragilen Verbindungen zwischen einst und jetzt zu bewahren, doch sehr häufig reißt der Faden « Er kniff die Augen zusammen, um seinen Schmerz zu verdeutlichen. Er war ein Schmierenkomödiant. Ich war auf meine Rolle
systematisch
festgelegt,
aber
er
war
ein
Schmierenkomödiant. »Doktor Testafer nannte Sie einen Ganoven«, sagte ich. »Er ist nicht mehr so jung « »Möglicherweise
schätzt
Doktor
Testafer
mein
Wohlwollen nicht hoch genug ein«, unterbrach er mich ärgerlich, »aber seien Sie versichert, er wird sein Leben so
leben, wie es meinem Gutdünken entspricht.« Ich verpaßte ihm einen Trick aus der Hinterhand. »Ich war heute abend schon oben bei ihm. Irgend jemand hat sein Schaf geschlachtet.« Phoneblum sah eine Sekunde lang verblüfft drein. Er streckte den Arm aus und stellte sein Glas auf die hölzerne Armstütze des Sofas. »Keine Sorge«, sagte ich. »Sie werden es Angwine anhängen. Das ist Auftragsarbeit.« »Sie verlieren einen Klienten«, stellte er fest. »Ganz richtig. Mag sein, daß das Büro Ihr natürlicher Gegner ist, aber von meiner Warte aus sieht es verdammt so aus, als würden Sie beide aus dem abgekarteten Spiel um Angwine profitieren.« »Ich kenne Angwine gar nicht.« »Und
jetzt
haben
Sie
keine
Chance
mehr,
ihn
kennenzulernen. Seine Zeit ist um. Sie und das Büro hatten den Festschmaus, und er zahlt die Rechnung.« »Was also, wenn ich fragen darf, bezwecken Sie dann mit der Fortführung Ihrer Recherchen?« »Ich kann einfach nicht stillsitzen. Ich bin der Meinung, die Bretter über der Fallgrube, in die Angwine stürzen soll, sitzen nicht so, wie sie sollen. Und wenn ich den richtigen Nagel herausziehe, dann könnte es sein, daß die ganze Konstruktion Ihnen um die Ohren fliegt.« »Was für eine hübsche Vorstellung. Ich wünsche Ihnen viel Glück dazu. Aber Sie glauben doch nicht im Ernst, daß das Büro Ihren Verdacht noch in Erwägung zieht, sobald
der Fall dort einmal geschlossen ist, oder? Wie gut steht es denn um Ihr Karma?« »Mein Karma geht Sie überhaupt nichts an. Es wird reichen, solange es nötig ist.« »Na, wenn das so ist.« Er griff wieder nach seinem Drink und seufzte philosophisch
er war der Typ, dem
man die Philosophie abnahm. »Sie erinnern mich an meine Person, vor langer, langer Zeit. Und selbst jetzt sind wir gar nicht so verschieden voneinander. Wir löcken wider den Stachel
aber Sie sind dabei störrisch, unflexibel. Dumm,
letzten Endes. Ich habe gelernt, Kompromisse zu schließen. In klugem Taktieren liegt Stärke, Lebensfähigkeit. Ihre mangelnde Elastizität hat Sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt.« »Aber nicht ich bin s, der sich unter die Erde verkriecht, Phoneblum!« »Genau das meine ich. Kläffen und ans Bein pinkeln. Es ist beängstigend.« »Kläffen war gar nicht nötig, um Celeste Stanhunt zu ängstigen«, entgegnete ich; ich hätte die Sache gern wieder an ihre Ursprünge zurückgeführt, zu den Tatsachen und Spuren
wenn man sie überhaupt so nennen konnte
, die den Fall betrafen. »Sie fürchtete sich, weil sie mich für einen Ihrer Gorillas hielt. Was haben Sie gegen Celeste in der Hand?« »Sie mißverstehen unsere Beziehung völlig. Ich selbst habe
Maynard
Stanhunt
mit
seiner
späteren
Braut
bekanntgemacht. Man könnte sagen, die beiden waren
meine Schöpfung. Celeste ist sehr vergeßlich, aber sie schuldet mir eine Menge, und in ihren lichteren Momenten ist sie auch bereit, das anzuerkennen.« »Nun, gegen Ende zu hat Ihre Schöpfung nicht mehr übermäßig gut funktioniert. Stanhunt hatte mich auf Celeste angesetzt, um sie im Auge zu behalten, wenn sie ihm in die Cranberry Street davonlief.« »Ja«, nickte er düster. »So ist sie nun einmal. Wir machten es uns zur Angewohnheit, sie stets im Auge zu behalten .« »Ist Pansy Greenleaf Celestes Geliebte?« Seine Brauen schafften es beinahe, sich zu verknoten. »Nein,
nein!
Keineswegs!
Sie
ist
einfach
eine
gute
Bekannte der Familie.« »Noch jemand, der sein Leben so lebt, wie es Ihrem Gutdünken entspricht?« »Wenn Sie so wollen.« »Nun, Ihr Gutdünken wirkt sich nicht wirklich gut aus für unsere kleine Freundin Pansy. Ich habe sie dabei erwischt, wie sie grade ein Nickerchen machen wollte
auf
illegalen Stoff hin, direkt in den Arm. Blanketrol, für Leute, denen es nicht reicht, bloß zu vergessen. Einem Mischer zufolge, mit dem ich gesprochen habe, höhlt Pansy damit ihren Kopf aus wie einen Kürbis.« »Ihr Bruder hat einen Mord begangen. Ich könnte mir vorstellen, weshalb sie « »Schon gut«, sagte ich, um die Sache zu verkürzen. »Wer versorgt sie mit dem Stoff?«
»Höre
ich
da
etwa
eine
bösartige
Unterstellung
heraus?« »Wenn Sie so wollen « Er lächelte und nahm ein Schlückchen. Ich packte die Gelegenheit beim Schopf, um mich zurückzulehnen und langsam und tief Atem zu holen. Hatte ich dringend nötig. Ich war nicht daran gewöhnt, daß die Fragen in beiden Richtungen liefen. Außerdem fühlte ich mich ein wenig beengt hier, in Phoneblums Untergrundheim. Und immer wieder fielen mir das Känguruh und der Mann mit dem Pesthauch ein, die mich da oben in ihrem hell erleuchteten Betonbunker erwarteten, und ich fragte mich, ob das Rauskommen aus diesem Loch ebenso leicht gehen würde wie das Reinkommen. »Ich
benutze
Drogen
nicht
einmal
zum
eigenen
Gebrauch«, sagte Phoneblum, nachdem er den Schluck Scotch versenkt hatte, »geschweige denn zur Weitergabe. Aber
Pansys
Unbesonnenheiten
sind
mir
seit
Jahren
bekannt. Es ist äußerst schmerzlich zu hören, daß sie sich auf die Nadel verlegt hat, aber ich mußte schon des öfteren erfahren,
daß
man
in
einem
solchen
Fall
als
Außenstehender machtlos ist. Verwenden Sie Drogen? Ich persönlich habe den Reiz dieser Gewohnheit nie begriffen.« »Ich habe meine Mischung für Momente, in denen ich sie brauche.« Ich verwünschte mich innerlich für den defensiven Tonfall, in dem der Satz herauskam. »Das Büro und die Mischerei
für mich sind die beiden
ein und dasselbe«, sagte er. »Die Droge ist ein Werkzeug
zur Kontrolle der Massen. Sie zügelt ihre Reaktionen auf die Unterdrückung, glauben Sie nicht? Sie
halten
sich
für
einen
Außenseiter,
für
einen
Suchenden nach der Wahrheit unter all diesen Lügen, und dennoch beteiligen Sie sich an der größten Lüge, die es gibt: Sie ziehen diese Lüge durch Ihre Nasenlöcher hoch und lassen sie in Ihrem Blut kreisen.« »Armleuchter.« »Kläff, kläff.« Das Gespräch entglitt mir zusehends. »Wir wollen zum Wesentlichen zurückkehren«, wies ich Phoneblum zurecht; er hatte mich doch tatsächlich daran erinnert, daß ich jetzt ein, zwei Schniefer meiner Mischung hätte gebrauchen können, aber wenn ich mich so umsah, bot sich kein Plätzchen an, wo ich den Stoff hätte auslegen können. »Sie kennen Pansy ja schon ein paar Jahre. Wer ist der Vater des Jungen?« »Keine Ahnung.« »Wer
hat das Haus bezahlt? Das ist eine recht
anheimelnde Wohngegend.« Er seufzte wiederum. »Sie zwingen mich zu einigen unliebsamen Enthüllungen, Mister Metcalf. Pansy Greenleaf hat früher einmal für mich gearbeitet, und vor nunmehr zweieinhalb Jahren half ich ihr, das Anwesen in der Cranberry Street zu erwerben.« »Vor zweieinhalb Jahren. Zur selben Zeit, als Celeste und Stanhunt heirateten.« »Tatsächlich? Wie interessant.«
»Ja, interessant. Waren Celeste und Pansy schon damals befreundet?« »Als Maynard eine Kraft für seine Praxis suchte, empfahl ich ihm Pansy«, erklärte Phoneblum. Jetzt begann es langsam nach Improvisierung zu schmecken, aber seine Zungenfertigkeit
überbrückte
Zusammenhänge.
»Dem
beschieden,
die
aber
die
Versuch
beiden
fehlenden war
jungen
logischen
kein
Frauen
Erfolg blieben
Freundinnen.« »Vor zweieinhalb Jahren hatte Maynard Stanhunt noch keine Praxis«, erinnerte ich ihn. »Sie gehörte Doktor Testafer. Ich glaube, Sie waren es doch, der bei der Übergabe mithalf.« »Allerdings.« »Wie kommt es, daß Sie so großes Interesse an dieser Praxis hatten? Was sollte da für Sie herausspringen?« »Ich brauche laufend Ärzte«, antwortete er. Ich wartete ab, daß er weitersprach, aber er schwieg. Ich trank mein Glas aus und stellte es auf den Boden zwischen seine Füße und die meinen. »Sie erwähnten vorhin einen anderen Detektiv, der sich wohl leichter abschrecken ließ als ich.« »Nachdem
Sie
Maynard
ihre
weiteren
Dienste
verweigert hatten, wandte er sich an mich mit der Bitte, jemanden zu engagieren, der, wie Sie sich auszudrücken belieben,
ein Auge auf Celeste haben
sollte. Und so
betraute ich einen anderen Detektiv mit dieser Aufgabe, der dort weitermachte, wo Sie aufgehört hatten. Maynard
überließ
das
alles
mir
nach
seinen
schlimmen
Erfahrungen mit Ihnen wollte er den Neuen gar nicht kennenlernen, und ich beugte mich seinem Wunsch.« »Wie heißt der Mann?« »Ich habe das sichere Gefühl, Sie haben vor, Ihren Nachfolger aufzusuchen und mit Fragen zu belästigen.« »Klar.« »Die Geschäftsverbindung mit ihm hat nicht lang gedauert, müssen Sie wissen. Sechs Tage vor dem Mord wurde er gefeuert.« »Großartig. Wie heißt er?« Der Fettsack lachte leise in sich hinein. »Welchen Beweggrund
sollte
ich
wohl
haben,
Ihnen
das
zu
verraten?« »Ganz einfach. Ich finde es so oder so heraus. Entweder Sie verraten es mir, oder ich bin gezwungen, all Ihre Lieben deswegen auszuquetschen.« »Nun gut. Es reizt mich, Sie in dem Glauben zu lassen, daß Ihre Drohungen bei mir wirken könnten. Vermutlich bewundere ich Ihr Imponiergehabe. Sein Name ist Walter Surface. Aber Sie werden feststellen, daß er gar nichts weiß.« »Er interessiert mich trotzdem. Und wer beschattete Celeste nach Surface?« »Nach zwei Fehlschlägen gelang es mir, Maynard von der
Sinnlosigkeit
außenstehender
Überwachung
zu
überzeugen, doch er verlangte, daß meine Mitarbeiter Celeste im Auge behalten sollten. Ich war einverstanden
damit. Und das war das Ende der Geschichte.« »Wurde sie zum Zeitpunkt des Mordes von jemandem beschattet?« Phoneblums Gesicht umwölkte sich. Ich war über irgend etwas gestolpert, wußte aber nicht, worüber. Er blies die Backen auf und ließ sie wieder in sich zusammenfallen wie einen Blasebalg. Eine Hand strich über seinen Bart, während seine Brauen ihren rituellen Tanz über die Stirn inszenierten. »Leider nein«, sagte er dann leise. »Wir besitzen kein verbürgtes Wissen, was ihren Aufenthaltsort zur fraglichen Zeit betrifft.« War es also doch Celeste gewesen? Und versuchte Phoneblum, ihr die Mauer zu machen? Das erschien mir unglaubwürdig, aber ich wußte nicht, was mir glaubwürdiger erscheinen sollte. »Und was machte Stanhunt im Bayview-Motel?« »Wenn ich das wüßte « »Wurden Sie schon vom Büro einvernommen? Sie stecken doch bis zum Hals in dieser Sache.« »Ich werde vom Büro nicht einvernommen«, sagte er in sachlichem Tonfall. Ich nehme an, er war bloß ehrlich; er schien
von
einer
nach
innen
gerichteten,
geistesabwesenden Stimmung erfaßt zu sein. »Davon abgesehen sind meine Hände sauber. Das muß selbst Ihnen klar ersichtlich sein.« »Sie tun so, als würden Sie sich den Teufel um das Büro scheren, doch als ich am Telefon Morgenlander erwähnte, da zuckten Sie hoch. Was hebt ihn von den anderen ab?«
»Morgenlander ist ein Außenseiter. Er führt einen heiligen
Krieg,
und
er
ist
ein
unwillkommener
Eindringling.« »Sie widersprechen sich selbst, Phoneblum. Entweder ist das Büro Ihr Freund oder nicht. Sowohl als auch
das
geht nicht.« »Das Büro und ich sind zu einer Übereinkunft gelangt. Ein Bilderstürmer wie Morgenlander ist eine Gefahr für die Stabilität.
Er
steckt
die
Nase
in
Dinge,
die
seiner
Aufmerksamkeit nicht bedürfen. So ähnlich wie Sie.« »Vielen
Dank.
Ich
fühlte
eine
augenblickliche
Wesensverwandtschaft mit dem Kerl, als er mir eine aufs Maul gab.« »Sie sind ein ewiger Nörgler, Mister Metcalf. Man sollte denken, bei Ihrer Erfahrung würden Sie über solche Dinge spielend hinwegsehen.« Der Versuch, mir eine Antwort auszudenken, machte mich nur noch müder. Ich holte mein Glas vom Boden und stand auf. »Verzeihen Sie«, sagte Phoneblum, »ich hätte Ihnen einen zweiten Drink anbieten sollen!« »Nein, danke nein! Ich trinke nicht gern auf leeren Magen.« Ich stellte das Glas auf den Schrank mit den Flaschen und wischte mir die vom Beschlag feuchten Finger auf dem Hosenboden ab. »Ich denke, ich höre jetzt auf, Sie zu belästigen. Vielen Dank für die Zeit, die Sie mir geschenkt haben.« »Eine Minute noch. Weshalb wohl, glauben Sie, habe ich
Ihnen erlaubt, mir Fragen zu stellen?« »Sagen Sie s mir.« »Sie gefallen mir. Ich glaube, Ihre Absichten sind wirklich
ehrlich.
Es
würde
mich
freuen,
Ihnen
Unannehmlichkeiten ersparen zu können. Stellen Sie Ihre Arbeit an dem Fall unverzüglich ein, und ich sehe zu, daß Ihnen Ihr verlorengegangenes Karma zurückerstattet wird. Diese Recherchen haben keine Zukunft, Mister Metcalf. Gar keine Zukunft.« »Sie vermischen Ihre Drohungen gern mit verlockenden Angeboten, Phoneblum.« »Ich habe niemanden bedroht. Ich möchte nur einfach den Schaden reparieren, der bereits angerichtet wurde.« »Der Schaden für Angwine ist dicht davor, irreparabel zu werden. Niemand wird sich um seinen Körper kümmern. Man wird ihn in irgendeinen Billigkühlschrank schieben, in dem er für immer verschwindet.« Es sah wirklich kompliziert aus, wenn Phoneblum ein Lächeln aufsetzte. Ich hatte das Gefühl, wiederum an etwas gerührt zu haben, aber ich wußte nicht, was es war, und Phoneblum hatte gewiß nicht vor, mich aufzuklären. »Sie haben eine sehr zynische Meinung von unserem Strafsystem,
Mister
Metcalf«,
sagte
er
nachsichtig.
»Zynisch, jedoch einigermaßen naiv. Wie kommen Sie auf den Gedanken, daß Körper, für die keine Patenschaft besteht, unbedingt für alle Zeiten in gefrorenem Zustand verbleiben müssen?« »Ach, Sie meinen die Sklavenlager«, sagte ich. Es
schüttelte mich, und ich hoffte, man sah es mir nicht an. Langsam bekam ich das Gefühl, daß ich es hier mit unterschwelliger Großtuerei zu tun hatte, daß Phoneblum einfach nicht anders konnte als sich aufzuspielen. »Ja.« »Ich kenne die Gerüchte«, sagte ich, während meine Gleichmütigkeit
zurückkehrte.
»Persönlich
sehe
ich
eigentlich keinen großen Unterschied zwischen der großen Kühltruhe und dem Pseudoleben dieser armen Teufel mit der Sklavenkapsel auf dem Hinterkopf. Aber falls ich Angwine wiedersehen sollte, werde ich ihn fragen, was er vorzieht, und es Sie wissen lassen. Vielleicht können Sie etwas arrangieren.« Ich wollte gehen
und wandte mich zum Gehen. Und
ich stand bereits vor der Aufzugtür, ehe ich bemerkte, daß dort, wo ein Knopf hätte sein sollen, ein Schlüsselloch war. »Ich finde es äußerst rüde, mir zu unterstellen, daß ich so etwas arrangieren könnte«, sagte Phoneblum, kokett wie immer. Aber als ich mich umwandte, merkte ich, daß er nicht mehr lächelte. »Doch andererseits sollte ich von Ihnen nichts anderes erwarten. Sie sind von Natur aus rüde.« »Verbindlichsten Dank.« »Und nun möchten Sie gern gehen.« »Gut beobachtet.« »Ich würde mir wünschen, von Ihnen zu hören, daß Sie künftig die Finger von dem Fall lassen werden.« »Und ich würde mir wünschen, das sagen zu können.«
Phoneblum preßte die Lippen zusammen. Er nahm das Telefon vom Tisch und drückte eine einzige Taste. »Ja«, sagte er unmittelbar darauf. »Schicken Sie Joey herunter, Mister Rose. Unser Besucher ist bereit, uns zu verlassen.« Er legte das Telephon wieder hin. »Bitte
nehmen Sie
doch noch ein Gläschen, während Sie warten!« Ich hatte keine Gelegenheit, sein Angebot abzulehnen. Hinter mir öffnete sich die Aufzugtür, und noch ehe ich mich umdrehen konnte, krachte etwas Stumpfes, Schweres gegen meinen Hinterkopf. Ich hatte gerade noch Zeit zu denken: Na endlich hat das Känguruh seine Chance bekommen! Dann hob sich der Boden, rollte sich ein und umklammerte meine Schläfen, während die Härchen aus dem Teppich sich in meine Nase bohrten. Es war ein außergewöhnlich interessantes Erlebnis.
Kapitel 17 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
In meinem Wagen kam ich wieder zu mir. Dafür war ich ihnen zu Dank verpflichtet. Sie hatten die Schlüssel in die falsche Hosentasche gesteckt, und so wußte ich, daß sie meine Kleider durchsucht hatten, doch abgesehen davon kam
es
mir
fast
so
vor,
als
wäre
ich
bei
ereignislosen Beobachtungsjob hinweggedöst
einem
wenn da
nicht der pochende Schmerz in meinem Nacken und das Klingeln in den Ohren gewesen wäre. Ich war allein. Langsam drehte ich den Kopf, um meinen Nacken zu testen, und sah zum Beifahrerfenster hinaus. Das holographische Haus stand still und dunkel und friedlich da und sah genauso aus wie vorhin, als ich es zum erstenmal erblickt hatte. Seit diesem Moment hatte ich eine Reihe seiner Geheimnisse in Erfahrung gebracht, aber das ließ sich das Haus nicht anmerken. Mit etwas Glück konnte die Welt untergehen, und dieses Haus würde immer noch auf die Kuppe dieses Hügels projiziert werden
still
und dunkel und friedlich. Ein tröstlicher Gedanke. Ich sah auf die Uhr. Es war neun. Ich hatte zwei Stunden bei Phoneblum verbracht, und so etwa eine halbe Stunde völlig weggetreten in meinem Wagen. Ich war hungrig und brauchte meinen Stoff und danach vielleicht einen Drink
das wußte ich noch nicht sicher. Dazu mußte
ich ein wenig Ordnung in alles bringen, was ich von Phoneblum erfahren hatte, und mir überlegen, wie die Dinge jetzt lagen. Der Fettsack hatte seine Finger zwar überall drin, aber für die Morde konnte ich ihm keine klar umrissene Schuld zuweisen
noch nicht.
Alles, was ich sicher wußte, war, daß ich zweieinhalb Jahre zurückgehen mußte, zu dem Zeitpunkt, als Celeste Maynard Stanhunt kennenlernte und Pansy Greenleaf zu ihrem Haus und ihrem Baby kam. Was damals geschehen war, bildete den Hintergrund für alles, was folgte. Außerdem war ich mehr als nur beiläufig interessiert an der genauen Beschaffenheit von Phoneblums Geschäften. Falls er der Lieferant für Pansys illegales Blanketrol war, dann
würde
das
eine
der
Hauptrichtungen
seines
Einflußbereiches erklären. Und falls sein Wort tatsächlich soviel Gewicht beim Büro hatte, wie er zu verstehen gab, dann mußte ich das wissen
zu meinem eigenen Schutz.
Andere, wesentlichere Fragen blieben nach wie vor unbeantwortet. Was hatte Maynard Stanhunt wirklich in diesem Motelzimmer gewollt? Am liebsten hätte ich mich selbst laut ausgelacht, aber ich war nicht in der Stimmung. Ich nahm mir eine Minute Zeit, um mir den Nacken zu massieren, startete dann den Wagen und fuhr ziellos hinunter ins flache Land. Ich hatte so eine Ahnung, daheim würden die Burschen vom Inquisitionsbüro auf mich warten, und noch war ich nicht ganz in Form, um mich in die Schlacht zu stürzen. Sie würden Antworten von mir wollen, die ich nicht hatte
auf Fragen, die ich selber gern
gestellt
hätte.
Ich
hatte
ihnen
Angwine
als
kleine
Morgengabe verpackt hinterlassen, aber mein Gefühl sagte mir, daß die Angelegenheit damit nicht erledigt war. Zwischen Phoneblum jeweiligen
und
Einflußsphären
Morgenlander und ihren
tobte
offenbar
so
eine
Art
Parteienkampf, und ehe ich keinen Durchblick hatte, wie es mit dieser Seite der Angelegenheit stand, fand ich es besser, nicht an das Büro anzustreifen. Wenn sich dessen Arbeitsweise seit meinen Zeiten nicht stark verändert hatte, dann würde man dort den Tod des Schafes als letzten Nagel zu Angwines Sarg verwenden
doch um das
herauszufinden, mußte ich mich bis zu den Nachrichten am nächsten Morgen gedulden, die die Sache offiziell machen würden.
Ein
bereits
abgeschlossener
Fall
mochte
schwieriger zu lösen sein, aber ich würde bei dem Versuch auf weniger Zehen treten. Alles deutete darauf hin, daß es am klügsten wäre, einige Zeit in meinem Büro zu verbringen. Ich konnte mir ein Sandwich bestellen, ein paar Straßen auslegen und darauf warten, daß die Meute an meiner Wohnungstür des Wartens müde wurde und den Hut draufwarf. Wenn die Inquisitoren mich sprechen wollten, wußten sie, wo ich zu finden war
ich würde mich ja nicht verstecken, sondern
bloß ein bißchen Ruhe suchen. Mir gefiel die Bude bei Nacht ohnedies: kühl, dunkel und kein Zahnarzt. Vielleicht konnte ich sogar ein paar klare Gedanken fassen. Ich glaube, ich sollte langsam lernen, daß es nie so simpel ist. Als ich aus dem Lift trat, roch ich Parfum, und
der Geruch wurde immer stärker, je näher ich meinem Büro kam. Auf dem Flur war niemand zu sehen, aber die Tür
zum
Wartezimmer
war
unversperrt,
und
im
Wartezimmer auf dem Sofa saß mit untergeschlagenen Beinen Celeste Stanhunt. Ich mußte sie überrascht haben, denn sie schwang eilig die Beine vom Sofa und strich sich den Rock über die Knie. Das hatte keine Bedeutung mehr. Ich besitze zwar kein photographisches Gedächtnis, aber das Bild ihrer Knie
und der cremigweißen Handbreit Haut
darüber
war bereits von dem kurzen Blick, den ich beim
Eintreten
darauf
werfen
durfte,
in
mein
Bewußtsein
gebrannt. Falls nötig, konnte ich immer noch darauf zurückgreifen. »Metcalf«, sagte sie, und es klang, als hätte sie es während des Wartens eifrig geübt. »Wie sind Sie reingekommen?« »Ich kam schon vor einer ganzen Weile.« »Der Zahnarzt.« »Ja. Nicht böse sein.« »Ich bin nicht böse«, sagte ich, durchquerte das Wartezimmer und schloß die Tür zu meinem Büro auf. »Ich bin vielmehr müde und hungrig und habe Kopfweh. Und genug vom Reden.« Sie folgte mir auf den Fersen. »Pansy sagte, Sie wären im Haus gewesen.« »Stimmt. Hatte mit meiner Arbeit zu tun.« Ich setzte mich hinter den Schreibtisch, wischte mit dem Ärmel darüber, holte die Phiole mit dem frischen Stoff
hervor und streute eine nicht zu knapp bemessene Menge davon auf die Tischplatte. Ich denke, Celeste kapierte, daß sie im
Augenblick nicht
Aufmerksamkeit
war.
Sie
das primäre Objekt meiner setzte
sich
auf
den
Stuhl
gegenüber und wartete schweigend, während ich ein paar Nasenvoll schnupfte. »Hunger?« fragte ich. Sie schüttelte so heftig den Kopf, als würde allein schon die Frage sie ängstigen. Also rief ich unten an und bestellte mir eine Pizza. Ich mußte dem Bäcker erstmal ein Loch in den Bauch reden, um auch eine kleine mit Pilzen belegt zu bekommen, aber schließlich gab er nach. Ich legte das Telefon hin, lehnte mich zurück und genoß das Gefühl, wie der Stoff durch meine Adern schoß. Ich sah die Welt durch einen rosafarbenen Blutkreislauf
oder so ähnlich. Celeste
arrangierte ihre beachtliche Figur auf dem Stuhl neu und zeigte am Ende des Vorgangs wieder Knie, was meine Aufmerksamkeit rasch auf sie zurücklenkte. »Wo
waren
Sie
eigentlich,
als
ich
beim
Haus
vorbeikam?« erkundigte ich mich. »Sie fragen zuviel. Das macht mich nervös.« »Versuchen Sie einfach zu antworten. Soll helfen.« Ihre Lider begannen zu flattern. »Ich
Grover Testafer
hatte mich angerufen. Wir trafen uns zum Mittagessen.« »Wozu?« »Er wollte über die Praxis sprechen. Über die Abfindung für Maynards Anteil. Er wollte auch über Pansys Bruder sprechen und über Sie «
»Hat
Maynards
Tod
Ihnen
irgendeinen
Vorteil
gebracht?« Sie sah mich scharf an, und da wurde für einen kurzen Augenblick zum erstenmal wieder das aus hartem Holz geschnitzte Prachtstück sichtbar, das mir damals auf der Cranberry Street gegenübergesessen hatte. Doch sogleich glättete sie ihre Federn wieder, und ihre Stimme klang hübsch gesittet. »Eigentlich nein. Ich werde das alles vermutlich einen Anwalt erledigen lassen. Ich will nichts damit zu tun haben. Maynard hatte zwar ein stattliches Einkommen, aber sehr wenige Vermögenswerte « »Sie klingen, als wüßten Sie, worüber Sie reden.« »Bis heute wußte ich es nicht, doch dann erklärte Grover mir alles.« Ich
versuchte,
die
chronologische
Abfolge
zu
rekonstruieren. Um elf Uhr vormittags war Grover noch daheim gewesen und hatte mir mit einer elektrischen Kanone unter der Nase herumgefuchtelt
und als ich mich
in der Cranberry Street eingefunden hatte, war Pansy Greenleaf bereits allein im Haus und bis oben voll mit Blanketrol gewesen. Das hieß, Testafer konnte Celeste als Alibi angeben, falls man ihn mit dem Tod des Schafes in Verbindung bringen würde. Und das hieß auch, daß Celeste vor ihrer Verabredung mit Testafer noch etwas anderes getan hatte und an einem anderen Ort gewesen war. Meine Gedankengänge wurden von einem Klopfen an der Tür unterbrochen. Ich rief, es sei offen, und der
Pizzabote
ein menschlicher Bote
kam mit dem weißen
Pappkarton herein und legte ihn vor mich auf den Schreibtisch.
Der
Bote
war
ein
hochaufgeschossener,
pickeliger Junge, der Celeste Stanhunt mit verstohlenen Blicken auffraß, während ich in meinen Taschen nach etwas Kleinerem als Angwines Hundertern kramte. Ich zahlte, gab ihm ein Trinkgeld, und er ging wieder. Die Pizza war zwar heiß, aber sie hatte schon einen zweiten Durchgang im Ofen hinter sich, was sich an der Kruste zeigte, und die Pilze waren nicht im Käse eingeschmolzen, sondern einfach obendrauf geschmissen. Ich nahm zwei Bissen von der Spitze eines Stückes und schob es wieder zurück an seinen Platz; mein Interesse an Celeste war einfach zu groß. »Und was haben Sie jetzt vor?« fragte ich. »Der Fall ist ja abgeschlossen.« »Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll«, sagte sie. »Aber
Ich möchte, daß Sie für mich arbeiten.«
»In welcher Hinsicht?« »Ich
glaube
nicht,
daß
Pansys
Bruder
Maynard
umgebracht hat. Das alles macht mir angst.« Sie dehnte das letzte Wort so ausgiebig, daß es mit einemmal allerlei angenehme erotische Verheißungen enthielt. »Ich benötige Ihren Schutz.« »Haben
Sie
das
Büro
von
Ihrer
Vermutung
verständigt?« »Ich verstehe nicht.« »Angwine wurde aus jeder nur möglichen Richtung gehetzt und in die Enge getrieben. Wenn Sie nun der
Behörde mitteilen, daß Sie ihn für unschuldig halten, dann hätte das wohl einiges Gewicht. Immerhin sind Sie die Ehefrau.« »Ich bin die Witwe.« Sie lächelte ohne Koketterie. »Die Witwe«, wiederholte ich. »Und Sie benötigen Schutz. Vor wem?« »Vor demjenigen, der Maynard getötet hat. Sie sind anscheinend der einzige, der daran interessiert ist, seine Identität herauszufinden.« »Ich könnte mein Interesse verlieren. Der Lohn dafür ist minimal.« Ich zierte mich. Mein Interesse galt ihrem Geld und, wenn möglich, noch einigem mehr, und das wußte sie genausogut wie ich. Sie legte wieder einmal dieses gewisse Vibrieren in ihre Stimme
offenbar hatte sie es stets abrufbereit auf Lager,
für den Fall, daß sie es einsetzen wollte. »Wenn Sie mir nicht helfen wollen « »Zuvor müssen Sie mit offenen Karten spielen, mir alles sagen, was Sie wissen. Beantworten Sie meine Fragen. Stellen Sie sich vor, es wäre eine Prüfung. Wenn Sie sie bestehen, dann besprechen wir das Honorar.« »Ich habe Ihnen schon alles gesagt, was ich weiß.« »Weil Sie es sind, verbeiße ich mir das Lachen. Beantworten Sie jetzt einfach meine Fragen. Womit hat Pansy Greenleaf sich das Haus in der Cranberry Street verdient?« Celeste klimperte verblüfft mit den Wimpern, aber ich klimperte nicht zurück. Sie schluckte und sagte: »Sie
arbeitete für Danny Phoneblum. Er hat das Haus gekauft. Er kümmert sich gern um die Leute in seiner Umgebung.« »Was hat sie für ihn getan?« »Keine Ahnung.« »Versorgt er sie mit Drogen?« »Ich möchte mich nicht dumm stellen, Mister Metcalf, aber ich dachte, Drogen wären gratis! Man bekommt sie jederzeit in der Mischerei.« »Nicht die Sorte, die Pansy verwendet. Kommen Sie, Celeste! Sie läßt sogar die Nadeln herumliegen!« Diesmal starrte sie mich ohne Wimperngeklapper an, und ihre Stimme klang bar jeder Sympathie. »Er gibt sie ihr. Er würde mich umbringen, wenn er wüßte, daß ich Ihnen das gesagt habe.« »Ich war mir ohnedies schon ziemlich sicher.« »Bei Danny macht das keinen Unterschied. Es geht um das Prinzip
daß ich Ihnen etwas gesagt habe «
»Macht er mit derartigen Geschäften sein Geld?« »Ich
ich weiß nicht viel von Dannys Geschäften. Das
bekommt mir gewiß auch besser.« Ich zupfte ein Pilzchen von der Pizza und steckte es in den Mund. »Reden wir von etwas anderem. Sie heirateten Stanhunt, Phoneblum kaufte Pansy das Haus und Doktor Testafer zog sich in den Ruhestand zurück
und alles zur
gleichen Zeit. Was geschah vor zweieinhalb Jahren?« Sie überlegte. »Als Maynard und ich beschlossen, hierzubleiben und zu heiraten, fand Grover, nun konnte er beruhigt die Praxis übergeben
das wollte er ohnehin
schon
seit
langem.
Maynard
wollte
darüber
erst
entscheiden, wenn wir beide uns hier niedergelassen hatten.« »Und was war mit Pansy?« »Sie machen zuviel Zusammenfall
von
Wesens um diesen
Umständen.
Es
gibt
da
zeitlichen keinerlei
Zusammenhang.« Sie saß ruhig und gerade da, sah aber so aus, als würde sie sich nicht wohl fühlen in ihrer Haut. »Was
haben
Sie
getrieben,
ehe
Sie
Maynard
kennenlernten?« »Da
da war ich an der Ostküste.«
»Und wie ist es dort?« »Wie bitte?« »Ich sagte, wie ist es dort? Sie müssen nicht antworten, wenn Ihnen nichts dazu einfällt.« Sie sah mich verwundert an. Ich stand auf, ging zur Tür und hielt sie auf. »Gehen Sie heim, Celeste. Sie lügen wie gedruckt. Ich verschwende nur meine Zeit.« Sie kam auf mich zu, aber nicht, um zu gehen. Sie klebte sich an mich wie ein Abziehbild, bestrebt, an jeder nur erdenklichen Stelle Druck auszuüben und diese Stellen dann solange zu bearbeiten, bis sie zu reagieren begannen. Ihre Zunge schoß in meinen Mund, und ihr Duft stieg mir in die Nase. Sie wand die Arme um meinen Nacken und hob sich auf die Zehenspitzen, um besser in meinem Mund wühlen zu können, wobei sie die Reibung, die sich durch die Aufwärtsbewegung ihrer Vorderseite ergab, weidlich ausnützte; zwischen unseren Körpern befanden sich zwar
zwei, drei Lagen Stoff, aber ich schwöre, ich spürte, wie ihre Brustwarzen über meine Rippen strichen und sich heiß in meine Haut bohrten. Unwillkürlich nahm ich eine Hand aus der Hosentasche und die andere von der Klinke, packte ihre schmucken Hinterbacken und hievte ihre Schenkel noch höher gegen die meinen, was ihre Zunge noch tiefer in meine Kehle versenkte. Ich spürte etwas Hartes zwischen uns, das sich anfühlte wie
eine
Wurst
oder
ein
Werkzeuggriff,
der
sich
absurderweise zwischen unseren Körpern verfangen hatte, und einen kurzen Moment lang dachte ich, sie hielte eine Kanone gegen meinen Bauch. Dann kam ich drauf, daß es mein Penis war
empfindungslos zwar, aber dennoch
physisch höchst präsent und höchst erregt. Doch alles, was ich
spürte,
war
der
gewohnte
feminine
Kitzel,
das
Ineinandergreifen sanfter, lang inaktiv gewesener Rädchen. Wenn ich es mir in den Kopf gesetzt hätte, wäre ich vermutlich imstande gewesen, Celeste zu vögeln, hätte aber nicht das gefühlt, was ihr in dieser Hinsicht in den Sinn gekommen wäre. Diese Überlegung mußte mich urplötzlich aus dem Text gebracht haben, denn sie rollte ihre Zunge wieder ein, trat eine Handbreit zurück und sah mich verwirrt an. »Conrad « Ich sagte nichts. Der Kuß hatte mir mehr zugesetzt, als ich mir eingestehen wollte. Er hatte mich zurückgewirbelt in eine Zeit, in eine Vergangenheit, als jemand völlig anderer meinen Hut und meinen Mantel und meinen
Namen getragen hatte. Celeste hatte mich zwar mit Begehrlichkeit erfüllt, aber es war keineswegs Celeste, die ich
begehrte.
zurückerobern, möglicherweise
Mit
Celeste
was war
es
ich nicht
würde
ich
wiederhaben mehr
nicht
das
wollte;
zurückzuerobern,
möglicherweise doch, aber Celeste stellte jedenfalls nicht die Richtige für den Versuch dar. Sie konnte nur meine Frustration, meine hilflose Wut wiedererwecken. Für Celeste, das wußte ich so sicher, wie unsere Lenden sich aneinander gerieben hatten, war Gefahr das Berauschende, und wenn keine Gefahr dabei existierte, dann würde etwas anderes herhalten müssen, irgendein
anderes
wahnwitziges
Aphrodisiakum.
Der
Wunsch, sie zu schlagen, war plötzlich ebenso stark wie der, sie zu vögeln, und vermutlich war ihr Wunsch, geschlagen zu werden, ebenso stark wie irgend etwas sonst. Also schlug ich sie. Dafür war mein Rüstzeug gewiß besser geeignet als für das andere. Ich pflanzte ihr meine Rückhand quer über die Zähne, genau so, wie es mir selbst schon
oft
widerfahren
war,
und
sie
kam
aus
dem
Gleichgewicht und taumelte rückwärts, bis sie auf den staubigen Stuhl in der Ecke fiel. Ich ging zurück zu meinem Schreibtisch, setzte mich hin und stützte den Kopf in die Hände. Nach einer Schrecksekunde stand sie auf und kam zum Schreibtisch. Ich dachte, sie würde mir eine langen, aber sie zog statt dessen ein paar Geldscheine aus der Tasche
und warf sie vor mich hin. Ich lugte zwischen den Fingern hindurch; es waren zweitausend Dollar, in vier Scheinen. »Das war gut«, sagte sie. »Jetzt ist es mir klar. Sie sind ein hartgesottener Typ. Sie werden mich beschützen, das weiß ich.« »Ich bin nicht hartgesotten«, seufzte ich. »Sie begreifen das nicht.« »Nehmen Sie das Geld.« »Ich übernehme momentan keine neuen Aufträge«, sagte ich. »Ich arbeite immer noch den Rest von Angwines Honorar ab. Bis dahin bin ich ausgebucht.« Sie sagte nichts darauf. Ich öffnete die Lade, nahm die Zigaretten heraus, steckte mir eine zwischen die Zähne und hielt ihr die Schachtel hin. Sie schüttelte den Kopf. Ich zündete die meine an und nahm einen tiefen Zug. Im Haus rund um uns herrschte Stille, Todesstille, und draußen, vor dem Fenster, schien die Nacht mit ihrer Finsternis die Existenz der Stadt auszulöschen. Doch unter dem Mantel der Nacht lebte die Stadt weiter. Unabhängig voneinander durchquerten Menschenwesen die Dunkelheit auf dem Weg zu ihren einsamen Zielen
zu einem öden Hotelzimmer, zu
einem Rendezvous mit dem Tod. Niemand stellte sich je diesen Menschenwesen in den Weg, um sie zu fragen, wohin sie gingen außer mir
niemand wollte es wissen. Niemand
dem Menschenwesen, das Fragen stellte, dem
minderwertigsten Geschöpf von allen. Nur ich war dumm genug anzunehmen, daß diese Stille, die sich wie ein behandschuhter Würgegriff um die nackte Kehle der Stadt
gelegt hatte, nicht in Ordnung war. Ich drückte die Zigarette aus und sah zu Celeste hoch. Sie stand mit ausdruckslosem Gesicht vor dem Schreibtisch und hielt die Hände übereinander auf die Brust gepreßt wie ein Schulmädchen, das sein heiliges Ehrenwort gibt. Als sie merkte, daß ich sie anstarrte, richtete sie die Augen auf mich, und ihre Lippen begannen sich lautlos zu bewegen. »Wovor haben Sie Angst?« fragte ich. Sie sah mich mit weit aufgerissenen Augen an, und eine Sekunde lang fiel die Maske herab, und sie war nackt und ehrlich, und diese eine Sekunde lang wollte ich sie an mich drücken und noch einmal küssen, aber dann war die Sekunde vorbei, dahin, und die andere Version von Celeste, die harte, zynische, kehrte zurück. »Ich habe vor gar nichts Angst!« fauchte sie. »Klar.« Sie schnappte die Geldscheine vom Tisch und stopfte sie zurück in ihre Tasche. »Ich weiß überhaupt nicht, warum ich hergekommen bin.« »Dann sind wir zu zweit.« »Wir werden nie zu zweit sein!« Sie wußte, ein besserer Abgang würde sich nicht mehr bieten, und so drehte sie sich um und marschierte zur Tür. Ich sah keinen Grund, sie aufzuhalten. Die Tür fiel hart ins Schloß, und ich hörte zu, wie ihre Schritte auf dem Korridor verhallten. Ich wandte mich wieder meiner Pizza zu, aber der Käse war inzwischen zu Hartgummi geworden. So klaubte ich nur ein paar Pilze von der Oberfläche, löschte das Licht und
machte mich auf den Weg hinunter zu meinem Wagen.
Kapitel 18 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Die
Inquisitoren
Kornfeld
und
Teleprompter
warteten
bereits in meiner Wohnung auf mich. Ich blickte mich nach Morgenlander um, aber er war nirgends zu sehen. Die Bude sah aus wie immer
wenn sie sie durchsucht hatten, dann
hatten sie es behutsam getan
, und Angwine war
verschwunden, ohne die geringste Spur zu hinterlassen. Auf dem Sofa waren noch die Vertiefungen zu erkennen, wo die Inquisitoren gesessen hatten, aber als ich die Tür öffnete, saßen sie nicht, sondern waren auf den Beinen. Die Vertiefungen befanden sich nicht so dicht beieinander, daß ich mich von irgend etwas ausgeschlossen fühlen mußte; falls Kornfeld und Teleprompter poussierten, dann taten sie das nicht in der Geschäftszeit
oder zumindest
nicht bei einer Überwachungsaktion. Ich wäre natürlich lieber
der
Auffassung
gewesen,
daß
Catherine
Teleprompter sich prinzipiell von all diesen Büroclowns fernhielt, aber eigentlich ging mich das nun wirklich nichts an. »So spät noch aus?« sagte Kornfeld allzu aufgekratzt. »Noch an einem Fall gearbeitet?« »An sich nein«, antwortete ich. Ich war müde, trotz der Dosis, die ich jüngst inhaliert hatte, und keineswegs in der Stimmung für Geschäker. Mit Catherine zu plaudern hätte
mir nichts ausgemacht, aber Kornfeld verspürte offenbar zur Abwechslung einmal selbst den Wunsch, sich verbal zu äußern. »Sie müssen doch irgendwo gewesen sein«, sagte er. »Wir warten seit acht.« »Verbindlichsten Dank
dafür. Verleiht
meinen
vier
Wänden eine fühlbar belebtere Atmosphäre. Ich weiß das wirklich zu schätzen.« »Man hat Ihnen doch nahegelegt, sich aus diesem Fall herauszuhalten, oder? Mehr als einmal!« »Man hat es mir öfter nahegelegt, als Sie denken. Es wird langsam eintönig.« Die Tür stand immer noch offen. Kornfeld ging um mich herum und schloß sie. »Über den Fall wollen wir gar nicht reden. Der Fall ist abgeschlossen. Wir wollten Sie nur wissen lassen, daß Orton Angwines Karma erloschen ist. Soweit es uns betrifft, ist die Sache damit ausgestanden.« »Großartig.« Ich wandte mich ab von Kornfeld und sah Catherine Teleprompter an. Außerhalb des Büros wirkte sie kleiner und weniger furchterregend, was mich nicht von dem
Wunsch
festzuhalten
abhielt, es
sie
ließ
den
mir
zu
Wunsch
schnappen nur
und
erfüllbarer
erscheinen. Diesmal hatte sie den schwarzen Wasserfall ihres Haares mit einer Spange gebändigt, was mir einen hübschen Ausblick auf ihre Kehle bescherte. Ich sah, wie sich etwas darin bewegte, als unsere Augen sich trafen, aber kein Wort kam heraus. »Nur eine einzige Sache bleibt noch zu erledigen«,
sagte Kornfeld hinter mir. »Ich benötige Ihre Karte.« »Wer kriegt die Lorbeeren für die Verhaftung?« fragte ich, während ich in meiner Tasche nach der Karte fischte. »Morgenlander?« »Morgenlander wurde heute nachmittag von dem Fall abgezogen«, sagte Kornfeld. »Er fand sich in diesem Revier nicht zurecht. Es war ein Fehler, ihn einzubeziehen.« Ich reichte ihm meine Karte. Kornfeld nahm sie und knipste seinen Magneten an. Ich vermutete, jetzt war der Moment gekommen, wo sie als Schlußstrich unter den Fall meine Karmapunkte wieder auf ein halbwegs akzeptables Niveau bringen würden
sozusagen als Lohn dafür, daß ich
ihre merkwürdige Interpretation der Vorfälle geschluckt hatte, ohne allzuviel daran zu würgen. Das rote Licht auf Kornfelds Magneten blinkte einmal, er strich damit über meine Karte und gab sie mir zurück. »Nun, wie stehe ich da?« fragte ich. »Sie
sind auf
fünfundzwanzig Punkte abgerutscht,
Metcalf. Ihre Akte wird gerade geprüft. Stellen Sie mir keine Fragen mehr, sonst wäre ich gezwungen, Ihnen die Fresse zu polieren.« Ich fühlte mich, wie vor den Kopf geschlagen. Ich steckte die Karte ein und ließ mich auf das Sofa fallen; Catherine
Teleprompter war
vergessen, der Fall
war
vergessen. Seit meinem Ausscheiden aus dem Büro war mein Karma nie mehr so niedrig gewesen; mir wurde speiübel. Ich konnte mir einreden, daß das nur ein Schreckschuß war, daß die Höhe des Karmas in Wirklichkeit
ohnedies nichts zu sagen hatte, daß nichts weiter zählte als das Minimum, so daß man sich unbehelligt und frei bewegen konnte
das alles konnte ich mir einreden, aber
daß es so tief abgesackt war, verursachte mir trotz allem Übelkeit. Ich spürte, wie meine Zunge trocken wurde. Catherine schritt weiträumig an mir vorbei wie an einem Autowrack und gesellte sich zu Kornfeld an der Tür. Ich brachte es kaum über mich aufzublicken. Kornfelds Flosse lag auf der Klinke, aber noch ging er nirgendwohin, noch sah er mir bloß zu, wie ich auf dem Sofa hockte und litt, und als sich unsere Augen trafen, lächelte er. Ich hatte ihn unterschätzt. Ich war der Täuschung erlegen, daß jemand, der nicht ansteht, einem im Lift die Eingeweide durchzukneten, ansonsten nicht viel in seinem Arsenal haben kann. Zum Beispiel hatte ich keine Ahnung gehabt, daß der Mann lächeln konnte
geschweige denn
zu einem so unpassendem Zeitpunkt. »Sie sind der Größte, Kornfeld«, sagte ich. »Aber in Phoneblums
Westentasche
passen
Sie
immer
noch
bequem. Er hat wirklich einen guten Griff. Sie und das Känguruh !« »Kopfloses Gewäsch, was Sie da von sich geben«, stellte Kornfeld fest. »Die ganze Sache stinkt doch nach einer Notoperation in letzter Minute, hinter der Phoneblum steht! Aber der Faden wird nicht ausreichen für einen solchen Bruch im Bein!« Das erste, was mich im Stich läßt, ist stets mein Talent für sinnige Metaphern. »Ihr wolltet Morgenlander
nur reinbringen, um was fürs Auge aufweisen zu können, und sogar ihm war klar, daß die Sache stinkt. Und was Sie grade eben mit meiner Karte gemacht haben, zeigt bloß, wie gestrichen voll eure Hosen sind!« »Was ich grade eben mit Ihrer Karte gemacht habe, geschah auf Befehl von oben«, erwiderte Kornfeld ohne besondere
Regung.
»Ich
treffe
keine
Karma-
Entscheidungen, das sollten Sie wissen.« »Daß ich nicht lache! Sie sind doch der Inquisitor, der den Fall bearbeitet! Morgenlander ist draußen
das sagten
Sie selbst.« »Der Befehl kam von weiter oben. Es ist nicht mein Problem, wenn Sie nicht mehr wissen, wie das Spiel gespielt wird. Die Regeln sind dieselben wie früher.« Ich sah Catherine an. Sie wollte den Blick nicht abwenden, und so endete es damit, daß sie zu blinzeln begann, um Druck abzulassen. »Haben Sie gehört?« fragte ich sie. »Es ist ein Spiel. Sie brauchen meinetwegen kein schlechtes Gewissen zu kriegen. Ich weiß eben nicht mehr, wie das Spiel gespielt wird.« Sie sagte immer noch nichts. »Wie sind Sie überhaupt in die üble Lage geraten, mit Kornfeld herumziehen zu müssen?« erkundigte ich mich. »Arbeiten Sie nicht die Tagschicht?« »Ich habe mein Interesse an dem Fall zum Ausdruck gebracht«, sagte sie. Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Sie sah ganz so aus, als wollte sie noch etwas hinzufügen, konnte es
aber vor Kornfeld nicht
oder vielleicht war bei mir einfach
nur der Wunsch Vater des Gedankens. Es folgte eine halbe Minute verlegenes Schweigen, und dann öffnete sie die Tür und trat hinaus auf den Flur. Kornfeld schloß sie hinter Catherine
und
sagte:
»Ich
habe
Ihre
Lizenz
nicht
eingezogen.« »Oh, danke vielmals!« »Nein«, erklärte er, »ich wollte sagen, das habe ich vergessen. Händigen Sie sie mir aus.« Ich gab ihm die Lizenz. Er steckte sie zu seinem Magneten in die Tasche und rückte die Schultern seiner Jacke gerade, indem er am Kragen zog. Dann sah er mich mit ausdrucksloser Miene an zum letzten Mal
wie er sichtlich erwartete,
, zuckte die Achseln und griff nach der
Klinke. Fast hätte ich ihn gehen lassen, bei Gott. Doch irgend etwas in mir ergriff die Initiative, und ich fuhr vom Sofa hoch und stürzte mich auf ihn; ich faßte ihn am Kragen, den er sich gerade gerichtet hatte, und nagelte ihn mit den Ellbogen gegen die Tür. Sein Gesicht wurde rot, der Mund öffnete sich, als wollte er etwas sagen, aber er beschränkte sich darauf, sich wortlos unter meinem Griff zu winden. An meinem
Daumen
spürte
ich
den
Puls
in
seiner
Halsschlagader. Es fühlte sich angenehm weich an. »Du kriegst alles retour, was du mir angetan hast, und noch einen Brocken extra«, sagte ich. »Ich reiße dir den Arsch auf. Ganz weit. Das ist ein Versprechen.« Ihn grob anzufassen konnte mich natürlich den Rest
meines Karmas kosten, aber ich bezweifelte, daß er die nötigen Voraussetzungen dafür mitbrachte, mir die Punkte auf der Stelle von der Karte rubbeln zu können. Das wäre gar nicht der Stil des Büros gewesen, und Kornfeld war eine Bürotype vom Scheitel bis zur Sohle. Man würde mir eine Nacht gönnen, um es zu überschlafen, und erst dann, am nächsten Morgen, sollte es an der Tür klopfen. Außerdem glaubte ich nicht, daß Kornfeld er mich haßte wie die Pest
auch wenn
es wirklich darauf abgesehen
hatte, mich um mein letztes Karma zu bringen. Ich war der Meinung, er konnte es sich nicht erlauben, denn das würde automatisch zu eingehenden Ermittlungen führen, und zwar in einer Sache, unter die er sichtlich rasch einen Schlußstrich ziehen wollte, ehe noch jemand auf die Idee kam, einen genaueren Blick darauf zu werfen. Ihn am Kragen zu packen war also ein kalkuliertes Risiko
bloß
hatte ich es zu dem Zeitpunkt, zu dem ich es tat, noch nicht kalkuliert. Ich war einfach drauflos geprescht und hatte der Kalkulation vorgegriffen. »Sie sind ein Narr!« keuchte er. »Was, ehrlich?« grinste ich und drückte seinen Hals ein wenig fester. »Du denkst, ich brauche dich, um das zu hören?« »Lassen Sie mich los!« »Gib mir meine Lizenz zurück.« Ich preßte die Daumen an jene Stellen an der Kehle, wo es am profitabelsten war. »Ihr könnt sie mir wegnehmen«, sagte ich, »aber da müßt ihr mir schon was Ansehnlicheres an den Hals schicken.«
Er mühte sich ab, die Lizenz aus seiner Jackentasche zu graben, und ich ließ seine Kehle los und nahm sie ihm aus der Hand. Er massierte die Druckstellen und ordnete sich die Frisur, die Augen groß vor furchtsamer Ungläubigkeit. »Erfreuen Sie sich daran, solange Sie können, Metcalf«, sagte er. »Ich würde an Ihrer Stelle nicht damit rechnen, sie noch lang zu haben.« »Leck mich.« Kornfeld riß die Tür auf und ging. Draußen hörte ich ihn in
gedämpftem
Tonfall
mit
Catherine
Teleprompter
sprechen, und dann verklangen ihre Schritte auf der Treppe.
Zuletzt
pneumatischen
war
unten
Türschließers
zu
das
Wimmern
vernehmen,
als
des die
Haustür zuging. Ich blickte hinab auf meine Hände; die Finger waren gekrümmt, als krallten sie sich immer noch um Kornfelds Hals. Ich streckte sie. Und dann schwor ich mir eines: Niemand außer mir würde diesen Fall zu einem Abschluß bringen. Ich würde die Antwort auf alle Fragen finden, auf die alten und auf die neuen, und ich würde es noch erleben, daß Orton Angwine aus dem Froster spazierte. Nicht, weil ich den Jungen so schätzte, das war es nicht. Im Moment haßte ich Kornfeld mehr, als ich Angwine schätzte, aber es war nicht nur der Haß, der mich zu meinen Schwur veranlaßt hatte. Wenn ich es für irgend jemanden tun wollte, dann für Catherine Teleprompter, so seltsam das auch klingt. Ich wollte ihre Frage, weshalb ich das Büro verlassen hatte, beantworten. Ich wollte ihr zeigen, was mir der Job
bedeutete, und wie es aussah, wenn ich ihn erfolgreich durchgeführt hatte. Wie sehr er sich von der Büro-Version unterschied. Doch letzten Endes tat ich es auch nicht für sie. Es kam wie immer alles auf mich zurück, auf mich und meinen altmodischen Hang zur Entrüstung. Ich konnte nur darüber lachen, schon in dem Moment, als ich meinen Schwur ablegte; entweder ich oder der Rest der Welt sollten sich dringend überholen lassen. Vermutlich beide. Den Rest des Abends verbrachte ich mit diesem und jenem. Aus der Anzahl der leeren Eiswürfelbehälter, die ich am nächsten Morgen in der Spüle vorfand, nehme ich an, daß es
etwas mit
einer
nahtlos aneinandergereihten
Aufeinanderfolge von Drinks zu tun hatte, aber um die Wahrheit zu sagen, erinnere ich mich an absolut nichts.
Kapitel 19 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Jedenfalls wachte ich am nächsten Morgen mit einem Kopf auf, der sich anfühlte wie das Retourgeld auf einen Fünfer, mit dem man eine Flasche Wein um 4 Dollar 98 bezahlt. Ungeachtet dessen entschlossen, mich so zu verhalten, wie ein Inquisitor sich eben verhält, wenn er einen Fall zu lösen hat, traktierte ich die Innenseite meines Schädels mit Zahnpasta,
Mundwasser,
Augentropfen
und
Aspirin,
während ich im Geist eine Liste jener Orte und Leute zusammenstellte, die ich aufsuchen mußte. An erster Stelle der Liste stand die Firma Copperminer & Bayzwaite. Den Namen hatte ich von den Bauplänen in Pansy Greenleafs Kommode, und ich konnte hier genausogut anfangen wie irgendwo anders. Die musikalische Interpretation der Nachrichten an diesem Morgen klang oberflächlich und fröhlich und paßte nicht besonders gut zu meinem Brummschädel, also schaltete ich sie ab. Die Information, die ich brauchte, würde ohnedies nicht in den musikalischen Nachrichten auftauchen. Ich machte mir eine Tasse Kaffee, der so stark war, daß er die Zähne fletschte, und schob eine Scheibe trockenen
Toast
und
ein
paar
Bissen
aus
einem
verschrumpelten Apfel hinterher. Als ich endlich den Fuß vor meine Apartmenttür setzte, stand die Sonne hoch und
hell am Himmel, und meine Uhr sagte elf. Ich
fuhr
die
University
Avenue
entlang
bis
zum
Parkplatz im Albernathy-Komplex, in dem Copperminer & Bayzwaite ihre Büros hatten. Der Hochbaukomplex bestand nur aus Glas und Chrom, und wenn man von der Bucht hochkam, konnte man kaum hinsehen, so sehr blendete er das Auge. Als ich in den Schatten darunter fuhr, umfing mich so plötzliche Finsternis, daß ich fast gegen einen Straßendamm überließ
ich
aus
Beton
meinen
geschlittert
Wagen
der
wäre.
Bulldogge,
Dankbar die
den
Parkplatz beaufsichtigte, und nahm den Lift nach oben. Architekturbüros sind stets ein gutes Argument gegen Architekten, und Copperminer & Bayzwaite stellten da keine Ausnahme dar. Das Empfangs- und Wartezimmer diente allen nur vorstellbaren Zwecken
mit Ausnahme
von Empfang und eventuellem Warten. Ich trat trotzdem ein, enthielt mich aber des Hinsetzens, nachdem ich einen Blick
auf
das
geworfen
hatte,
was
hier
als
Stühle
durchgehen sollte. Der Raum als solcher war in einem Stück aus geschmolzenem Glas geformt und durchzogen von Balken aus blank poliertem Aluminium; einige davon kreuzten sich an bestimmten Stellen und bildeten dort Mulden,
welche
offenbar
als
Sitzgelegenheit
gedacht
waren, doch sie sahen nicht so aus, als würde ich je wieder daraus hochkommen, und so ließ ich es sein und blieb stehen. Nach einigen Minuten ging am Ende des riesigen Raumes eine Tür auf, und einer der Architekten kam
heraus, um mich in Empfang zu nehmen, wobei er mir schon
auf
halbem
Weg
die
Hand
zur
Begrüßung
entgegenstreckte. Er sah gepflegt und forsch aus, und das Haarbüschel, das von seinem Hinterkopf wegstand, sollte wohl den Eindruck von Jungenhaftigkeit vermitteln. Ich hob die Hand, um die seine abzufangen, denn hätte ich das nicht
getan,
wäre
er
womöglich
noch
an
mir
vorbeigesegelt, oder er hätte in der Begeisterung seine Fingerkuppen direkt in meine Magengrube gerammt. Ich denke, er hielt mich für einen Klienten. »Cole Bayzwaite«, sagte er. »Conrad Metcalf«, antwortete ich, indem ich die Silben meines Namens möglichst in die Länge zog, um seinen Übereifer etwas zu dämpfen. »Gehen wir doch in mein Büro.« Er trat zur Seite, wies mir mit einer Handbewegung den Weg und beugte sich dann mit korrektem Hüftknick zu seiner Sekretärin hinab, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern. Ich ging weiter in sein Büro, suchte mir den benutzerfreundlichsten Stuhl aus und setzte mich. Cole Bayzwaite schloß die Tür und ging um seinen weitläufigen Schreibtisch herum zu einem ledernen Lehnstuhl. Ich holte meine Lizenz heraus und legte sie vor ihn auf den Tisch. Mit einer Schlagartigkeit, als wäre es bislang bloß von seinem schwellenden Optimismus gehalten worden, fiel ihm das Kinn herab, und seine Mundwinkel kräuselten sich zu einem Ausdruck des Mißtrauens. »Sie
müssen
annehmen,
ich
könnte
Ihnen
in
irgendeiner Weise behilflich sein«, sagte er. »Ganz recht. Ich bin bei der Arbeit an einem Fall auf Ihren Namen gestoßen und überlege, ob Sie nicht bereit wären, mir ein paar Fragen zu beantworten.« »Oh, ich denke, das würde schon gehen.« »Ihre
Firma
hat
eine
Reihe
Pläne
für
eine
Art
Schlafbaracke entworfen, die auf einem Grundstück gebaut werden soll, auf dem bereits ein Gebäude existiert. Erinnern Sie sich an den Auftrag?« »Wir entwerfen jede Menge Baupläne«, sagte er. »Ich würde einen Namen brauchen.« »Maynard Stanhunt.« Er tippte ihn in den Computer auf seinem Schreibtisch ein und starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den Monitor. »Nein. Er ist nicht in der Liste unserer Klienten.« »Versuchen Sie es mit Pansy Greenleaf. In ihrem Zimmer fand ich die Pläne.« Er sah mich ein paar Sekunden lang merkwürdig an, ehe er den Namen eintippte. »Nein. Tut mir leid. Sie müssen die Firma verwechselt haben.« »Nichts unter Stanhunt? Unter dem Namen seiner Frau vielleicht? Sie heißt Celeste « »Absolut nichts. Tut mir leid.« Sah aus wie ein Reinfall, aber ich hatte einfach keine Lust, es dabei bewenden zu lassen. Ich mußte einen Weg finden, mich Bayzwaite gegenüber zu qualifizieren und ein wenig Zeit zu gewinnen. »Also gut«, sagte ich. »Fangen wir noch mal an. Ich will mal Ihre Intelligenz anzapfen. Lassen
Sie mich einen Raum beschreiben: acht Stockbetten an einer Wand, weniger als ein Meter Länge pro Bett. Dieser Raum
befindet
sich
im
Oberstock
eines
einfachen
Holzhauses, einen Steinwurf entfernt von einem großen, modernen, bestens eingerichteten Wohnhaus in einer teuren Gegend. Wozu könnte so etwas gut sein?« »Ich
das weiß ich wirklich nicht.«
»Für Tiere«, sagte ich. »Das denke ich jedenfalls. EvoluTiere. Schlafquartiere für Dienstboten vielleicht.« »Wir haben ein Schaf«, sagte er. »Wir haben ihm ein komplettes
Zimmer
im
hinteren
Trakt
des
Hauses
eingerichtet, aber es schläft lieber eingerollt auf dem Boden.« »Wer hat ein Schaf?« »Meine Familie. Was ich damit sagen will Tiere, selbst
evolvierte,
schlafen
ich denke,
wahrscheinlich
nicht
aufgereiht in Stockbetten.« Es war mir gelungen, Bayzwaites Interesse zu wecken, aber das bestärkte mich nur in dem Gedanken, daß der ganze architektonische Aspekt reine Zeitverschwendung sein könnte. Vielleicht hatte derjenige, der für den Entwurf der Pläne verantwortlich war, nur das Papier mit dem Logo von Copperminer & Bayzwaite aus dem Architekturbüro gestohlen.
Möglicherweise
hätte
ich
die
Sekretärin
ausquetschen sollen. »Okay«, sagte ich. »Ein guter Einwand. Aber wofür sind die Betten dann da? Sechzehn Schlafplätze, stellen Sie sich das vor! Das ist eine Menge für einen einzelnen Raum.«
»Hört sich nach Kindern an«, bemerkte er. »Kinder?« »Ganz recht.« »Was für Kinder? Es gibt keine Kinder. Es gibt nur Babyköpfe. Welche Körpergröße haben Babyköpfe?« »Sie würden jedenfalls in Ihre Stockbetten passen«, sagte Bayzwaite. »Du lieber Himmel.« »Verzeihung?« »Ich sagte, lieber Himmel, Cole. Das sage ich immer, wenn ich mich ein wenig dämlich fühle. Es gibt Babyköpfe in diesem Kriminalfall, zumindest einen, also hätte ich schon vorher auf diese Zusammenhänge kommen können. Sie waren mir eine große Hilfe.« Bayzwaite zerfloß zu einem breiten Lächeln. Er hatte einen
Privatinquisitor
bei
der
Lösung
eines
Falles
unterstützt, und das machte ihn stolz. Er würde eine gute Story für seine Kumpel haben. Das machte sogar den Umstand wett, daß ich kein neuer Klient war. Ich schüttelte ihm wieder die Hand und stand auf. Und das war s dann. Beinahe.
Vielleicht
sind
mir
Happy-Ends
einfach
zuwider, aber irgend etwas kratzte mich, als ich die Hand nach der Türklinke ausstreckte. Ich drehte mich noch mal um, und Bayzwaites Lächeln nahm seine vorherige Stellung wieder ein, aber erst nach einer merkbaren Reaktionszeit, die mir erlaubte festzustellen, was sich unter dem Lächeln verborgen hatte, und das war nichts Gutes. Ich setzte meinerseits ein Lächeln auf, das Bayzwaites
Versuch in den Schatten stellen mußte, und ließ die Türklinke wieder los. »Da fällt mir etwas ein«, sagte ich. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, noch einen einzigen Namen auf Ihrer Kundenliste zu suchen?« »Schießen Sie los«, sagte er, machte eine Pistole aus Daumen und Zeigefinger und betätigte den unsichtbaren Abzug. »Danny Phoneblum.« Ein
Zauberwort.
Konversation,
Es
wo
beendete
immer
es
schlagartig
ausgesprochen
jegliche wurde.
Bayzwaite war schon die Kinnlade herabgefallen, als er meine Lizenz erblickt hatte, doch nun gefror sein ganzes Gesicht
zu
einer
starren
Maske,
die
sich
um
das
unerläßliche Lächeln spannte. Er legte die Hände auf die Tastatur und tippte den Namen ein. »Nichts.« Ich ging zurück und trat an seine Seite, von wo aus ich auf den Bildschirm sehen konnte. »Sie haben es falsch geschrieben«, stellte ich fest. »Pe-Ha, nicht Ef.« Diesmal verfolgte ich seine Finger auf den Tasten, und da er das merkte, schrieb er diesmal richtig. Der Name erschien auf dem Bildschirm, zusammen mit der Adresse oben auf dem Hügel. Da war ich doch beinahe zur Tür hinaus gewandert, ohne auf diese Idee zu kommen, und dabei hatte der Name hier bloß darauf gewartet, daß ich ihn ausspuckte! »Was für ein Zufall!« sagte ich. »Dann wird er es wohl gewesen
sein, der den Auftrag für diese Entwürfe gegeben hat. Ich nehme an, er hat das Projekt nicht weiter verfolgt, und Sie haben es einfach vergessen. Aber der Name blieb in Ihren Unterlagen hängen. Vermutlich
hören Sie, existiert in
dieser Firma eine Versandliste, etwa für Einladungen zum Firmenjubiläum oder so?« »Wir haben nur die Namen«, sagte er steif. »Was für ein Glück für mich. Also, weiter
Die Entwürfe
müssen Sie doch irgendwo abgelegt haben, oder?« In
diesem
Moment
bemerkte
ich
eine
leichte
Verlagerung der Atmosphäre. Bisher waren wir irgendwie körperlos gewesen, selbst als unser neckisches Geschäker eine etwas feindseligere Schlagseite bekommen hatte. Doch nun schlüpften wir unversehens beide in unsere Körper und nahmen aneinander Maß. Ich war nicht größer als er, hatte bloß ein paar Pfund mehr auf den Rippen. Nicht,
daß
wir
nun
kurz
davor
gestanden
hätten,
aufeinander einzuprügeln, aber das physische Element war mit einemmal fast greifbar vorhanden. »Ich bin nicht sicher«, sagte er zögernd. »Dann sehen wir doch mal nach.« Ich trat dicht an ihn heran, schubste ihn ein wenig zur Seite und legte die Hände auf die Tastatur. »Verzeichnis«, sagte ich laut, als ich den Befehl eintippte. »Datei
Phoneblum.« Die
Entwürfe erschienen auf dem Bildschirm. Ich machte einen Schritt zurück. »Soso. Also Sie dachten bei der Sache, von der ich sprach, am ehesten an Babyköpfe. Sieht das hier so aus, wie ich es beschrieben
habe?« »Ja.« »Stammt der Entwurf von Ihnen?« »Wir entwerfen Tausende von Vorschlägen « »Gut, gut. Sie erinnern sich an Phoneblum?« »Nein.« Zu rasch, zu sicher. »Was wäre, wenn ich Ihnen sage, daß diese Pläne zusammengeknüllt in der Hand eines Toten gefunden wurden?« Bayzwaite schluckte. »Dann würde ich Ihnen wohl erklären, daß ich mich mit der Behörde in Verbindung setzen möchte, bevor ich ein weiteres Wort sage. Ich beherrsche dieses Frage- und Antwortspiel nicht besonders gut.« »Nun, sie wurden nicht in der Faust eines Toten gefunden, also machen Sie sich keine weiteren Gedanken deswegen.« Ich lachte auf. »Und heute ist niemand mehr besonders gut bei diesem Frage- und Antwortspiel, also machen Sie sich deswegen auch keine Gedanken.« Ich merkte, daß ich nicht weiterkam. Die Entwürfe kannte ich bereits, und die Verbindung zu Phoneblum hatte sich schon mehr als bestätigt. Bayzwaite noch weiter in die Mangel zu nehmen, würde mir nichts mehr bringen. Falls ich später Lust bekam, jemanden in die Mangel zu nehmen, konnte ich immer noch auf ihn zurückkommen. Er lief mir nicht weg. Ich zog eine Visitkarte aus der Brusttasche. »Rufen Sie mich an, bevor Sie die Behörde anrufen. Ich arbeite hart
daran, einem Jungen den Froster zu ersparen, und ich bin dankbar für jede Hilfe, die ich kriegen kann. Falls Ihnen oder Ihrem Partner noch irgend etwas in den Sinn kommen sollte « Ich legte die Karte vor ihn hin auf den Tisch und nahm meine Lizenz, die ich vorhin ganz vergessen hatte. Bayzwaite legte die Karte in die Schreibtischlade. Sein Gesicht war ausdruckslos. Ich verließ Bayzwaites Büro, nickte der Sekretärin zu und schritt durch die Höhle aus erstarrtem Glas zum Ausgang. In diese Richtung gehend gefiel mir der Effekt der
mittäglichen
Wänden
Sonnenstrahlen
beinahe
alles
auf
wirkte
den in
verzogenen erster
Linie
verschwommen schwarz-weiß, wie ein Unterwassertraum. Ich ging über den Korridor und drückte den Aufzugknopf. Die Bulldogge brachte meinen Wagen, und ich fuhr hinaus in den Sonnenschein. In einer Seitenstraße hielt ich an, holte
den Spiegel aus
dem
Handschuhfach und
schnupfte ein wenig von dem neuen Stoff
meine erste
Nase voll an dem Tag. Es ließ meine Erinnerung an die letzten beiden Tage hell aufleuchten: das Känguruh im Regen, Morgenlander in meinem Büro und alles andere
deutlicher als
Angwine in der Bar des Vistamont. An sich
hätte die Droge mir jenes Gefühl der Distanziertheit verschaffen sollen, das ich so sehr brauchte; statt dessen konzentrierte und intensivierte sie bloß meine Unruhe. Dieser
Fall
wurde
langsam
zu
einer
Art
rasch
wachsendem Krebsgeschwür; er füllte jedes bißchen Raum, dessen
er
habhaft
werden
konnte,
und,
was
noch
schlimmer war, er verschmolz mit dem gesunden Gewebe, so daß man nicht mehr wußte, wo man den Schnitt ansetzen mußte. Er war mit meinem Leben verschmolzen. Ich hatte seinetwegen schon fast mein ganzes Karma verloren, und mein Klient war bereits tiefgefroren und eingelagert. Ich dachte an Celeste Stanhunt und Catherine Teleprompter und kam zu dem Schluß, daß ich auch meinen Sinn für Objektivität verloren hatte. Mit diesem aufheiternden Gedanken steckte ich den Spiegel zurück, schloß das Handschuhfach und startete den Motor. Es war höchste Zeit, die Babyköpfe zu finden. Einen im besonderen.
Kapitel 20 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Die Gegend rund um die Telegraph Avenue in Oakland war eine einzige Müllkippe, und falls doch irgendwo eine Ausnahme existierte, dann gewiß nicht in Gestalt der Babybar in der Dreiundzwanzigsten Straße. Die Bar befand sich
im
Erdgeschoß
eines
aufgelassenen
Hotels
für
Durchreisende; die Fassade des Gebäudes bestand aus braunem Sandstein, der im Begriff war, zu Staub zu zerbröckeln wie eine Art innerstädtische archäologische Ausgrabungsstätte. Die Fenster über der Eingangsfront waren mit Brettern und Blechplatten vernagelt, und das lange, schmale Fenster der Bar selbst war gestopft voll mit staubigen Weihnachtsmännern aus Karton und Girlanden und Unmengen von archaischem Flitterkram. Wie man so hörte, pflegten die Babyköpfe im Obergeschoß des Hotels zu schlafen, wenn sie nicht in der Stimmung waren, heim zu ihren Eltern zu gehen
und nach all dem, was ich in der
Cranberry Street mitbekommen hatte, waren sie nicht besonders oft in der Stimmung. Ich hoffte, Barry Greenleaf in der Bar anzutreffen, und hoffte darüber hinaus, er würde nicht zu angesäuselt sein, um ein Wort herauszubringen. Wenn Barry den anderen Babyköpfen glich, denen ich im Lauf meiner Arbeit schon begegnet war, dann trank er sich bei
dem
Versuch
zu
Tode,
die
unangenehmen
Nebenerscheinungen der Evolutionstherapie, der er sich unterworfen hatte, zu neutralisieren. Und in den Babybars begann man früh am Tage mit dem Trinken. Außer den glosenden Lämpchen im Fenster und den krächzenden Musikfetzen, die zu mir auf die Straße herausdrangen, war im Innern der Bar kein Lebenszeichen auszumachen, doch verglichen mit der Umgebung wirkte das Lokal beinahe einladend. Ich trat in den Schatten der Eingangstür
und
versuchte,
sie
zu
öffnen.
Sie
war
versperrt. Ich rüttelte am Griff, und die Tür ging einen Spalt auf, hinter dem ein Babykopf zu mir hochsah. Auf seinem
kahlen
Schädel
glänzten
die
Reflexe
der
Beleuchtung, und hinter seinem Ohr steckte eine Zigarette; er trug eine rote Spielhose mit einem gestickten gelben Fisch auf dem Latz. »Ausweis«, sagte er barsch mit hoher Stimme. »Wie bitte?« »Ausweis, Kumpel. Siehst mir leicht altbacken aus.« Ich hielt ihm meine Lizenz hin. Er nahm sie und schloß die Tür; ich hörte, wie der Riegel innen vorgeschoben wurde. Nach ein, zwei Minuten fiel mir auf, daß ich soeben dasselbe Stückchen Papier aus der Hand gegeben hatte, für dessen Besitz ich am Vortag einem Inquisitor an den Kragen gegangen war. Also klopfte ich ein paarmal erfolglos, hieb anschließend mit der flachen Hand gegen die Tür und fing daraufhin an, sie einzutreten. Ich nahm gerade Anlauf, um mich mit der Schulter
dagegenzuwerfen, als sie sich wieder öffnete. Diesmal erschien ein anderer Babykopf in dem Spalt und sagte: »Das sollten Sie besser lassen.« Ich drückte die Tür auf und zwängte mich an ihm vorbei in das Halbdunkel der Babybar. Eine Reihe glänzender Glatzköpfe drehte sich an der Theke um, als ich in den Raum stolperte, und ganze Ansammlungen davon kamen an den Tischen in Bewegung. In der Bar wimmelte es geradezu von Babyköpfen, es waren mehr, als ich je zuvor an einem Ort gesehen hatte, ja mehr, als mir gefühlsmäßig lieb war
ich hätte nicht
gedacht, daß überhaupt so viele existierten. Das Innere der Bar war wie das Fenster mit staubigem, angejahrtem Plunder dekoriert
offenbar handelte es sich dabei um
Relikte aus dem früheren Leben der Bar: um einen rotgesichtigen Karton-Iren, der einen nie leerwerdenden Bierkrug
stemmte,
um
einen
lüstern
zwinkernden
Weihnachtsmann mit einem unglücklich dreinschauenden Rentier im Schlepptau und um ein Neujahrstransparent, auf dem stand: 2008! FREU DICH ODER TRINK BEI AL! Die fluoreszierenden Teile des Inventars trugen eine dicke Staubschicht, und die Schrift hinter der Bar flackerte lustlos und streute Lichtblitze über die Decke wie eine Ambulanz, die in einer dunklen Gasse parkte. Aus dem Hinterzimmer sickerte Musik. Auf der Suche nach dem Babykopf, der sich mit meiner Lizenz davongemacht hatte, ließ ich den Blick rasch über die Anwesenden schweifen, aber er war nicht im Raum
jedenfalls
konnte
ich
ihn
in
dem
Getümmel
nicht
entdecken. Der Kleine, den ich bei meinem gewaltsamen Eindringen flachgelegt hatte, war wieder auf den Beinen; er flitzte von hinten kommend um mich herum wie um einen Hochspannungsmast mitten auf der Straße und verschwand im Hinterzimmer. Ich ging zur Theke und setzte mich auf einen Barstuhl. Die Konversation in dem Loch hatte mir von Anfang an nicht besonders angeregt geschienen, doch nun war sie vollkommen verstummt. »Whiskey und Soda«, sagte ich. Der Babykopf hinter der Bar befand sich dank einer primitiv konstruierten Rampe auf meiner Höhe, und nun wieselte er herbei und brachte sein Gesicht dicht vor meines. »Sie haben hier überhaupt nichts zu suchen!« fauchte er mich gehässig an, und seine glatte, ausladende Stirn legte sich in übertrieben angewiderte Falten. »Vorher nicht, aber jetzt schon«, sagte ich. »Eins von euch Früchtchen hat meine Lizenz mitgenommen. Die brauche ich wieder.« »Was für eine Lizenz?« »Privatinquisitor.« Jetzt hörte bereits die ganze Gesellschaft interessiert zu. Hinter mir vernahm ich das Scharren kleiner Füße. Ich zog kurz die Möglichkeit einer körperlichen Konfrontation mit einem Haufen Babyköpfen, die sich an meine Beine hängten und mir über den Rücken krabbelten, in Betracht und kam zu dem Schluß, daß ich darauf gern verzichten
konnte; zu sehr stieg das Bild eines Schwarmes Piranhas vor meinem geistigen Auge auf. »Ein Fragensteller!« höhnte der Gnom hinter der Bar. »Wie entzückend! Wir brauchen Ihre Lizenz nicht, Mister Inquisitor! Die können Sie sich sonstwohin schieben! Wir brauchen keine Lizenz, um Fragen zu stellen. Wir stellen Fragen, wo und wann wir wollen!« Der Kleine grinste affektiert, und seine Augen glotzten unter der helmartigen Schädeldecke hervor. »Gratuliere«, sagte ich. »Auch schon was.« Da keine Antwort kam, zog ich eine weitere von Angwines Hundertdollarnoten hervor, riß sie auf der Theke entzwei
und
steckte
meine
Hälfte
zurück
in
die
Hemdtasche, aber langsam, so daß der Vorgang von allen Anwesenden verfolgt werden konnte. Dann strich ich mir übers Haar und legte die Beine übereinander, um den Moment in die Länge zu ziehen. »Dafür möchte ich drei Dinge«,
sagte
ich.
»Erstens,
meine
Lizenz
zurück.
Zweitens, ein Kerlchen namens Barry Greenleaf sprechen.« Ich schob eine Pause ein. »Und ich habe einen Whiskey mit Soda bestellt. Danach siehst du die zweite Hälfte.« Ich mußte ihn beeindruckt haben, denn der Barjunge drehte sich um und ging daran, meinen Drink einzugießen. Hinter mir wetzten zwei der Anwesenden aufgeregt ins Hinterzimmer davon; vermutlich waren die Babyköpfe vorübergehend knapp bei Kasse. Durch die Musik hindurch hörte ich, wie ein paar von ihnen ihre Gespräche leise wieder aufnahmen.
Ein Glas erschien vor mir auf der Theke, und ich hob es hoch und kippte etwas von seinem Inhalt in meine Kehle. Es schmeckte nicht schlecht, aber gut schmeckte es auch nicht. Der Whiskey war echt, aber das, was Soda hätte sein sollen, erinnerte mich eher an sprudelndes Spülwasser. Ich trank die Hälfte und stellte das Glas zurück auf die Theke. Der Barjunge kam und holte sich den halben Hunderter. Ich griff in meine Hemdtasche, um sicherzugehen, daß die andere Hälfte immer noch darin steckte und schluckte dann den Rest Whiskey, wobei ich darauf achtete, die Zunge möglichst zur Seite zu schieben, während er meine Mundhöhle passierte. Ein
Babykopf
kam
aus
dem
Hinterzimmer
und
watschelte entschlossen in meine Richtung. Er war in ein Laken gehüllt, das an einer Schulter von einer Fibel gehalten wurde wie eine römische Toga. Dazu trug er hohe Schnürschuhe ohne Socken und eine Armbanduhr aus Plastik. In einer einzigen Bewegung schwang er sich auf den Stuhl neben mir und legte die Hände mit gespreizten Fingern auf die Theke, als erwartete er, daß sie auf diese Weise in geheimnisvolle Schwingungen geriet. Nach einer reglosen Minute drehte er sich zu mir und griff unter das Laken; er zog meine Lizenz hervor und schob sie durch eine Pfütze verschütteten Alkohol über die Theke in Griffweite meiner Hand. Ich nahm sie und steckte sie wortlos ein. »Barry ist oben«, sagte der Babykopf. »Haben Sie vor, ihn mitzunehmen?« Seine Stimme war hoch und neugierig
fast
wie
die
eines
Kindes,
wenn
man
es
recht
betrachtete. Ich konnte den Fusel in seinem Atem riechen. Ungeachtet dessen und ungeachtet seiner merkwürdigen Aufmachung
oder vielleicht gerade deswegen
hatte ich
den Eindruck, mich in Gesellschaft des Baby-Bosses zu befinden. »Nein«, sagte ich. »Ich möchte ihm nur ein paar Fragen stellen.« »Er will aber nicht herunterkommen.« »Dann gehe ich hinauf.« »Was wollen Sie von ihm?« Ich hatte eine Eingebung. »Ich arbeite für einen Anwalt, einen Mann, der auf Erbschaften spezialisiert ist. Es könnte sein, daß Barry zu einigem Karma kommt und außerdem zu einem Haus und einem gewissen Geldbetrag. Falls er sich
nicht
dafür
Verzichtserklärung
interessiert, zu
braucht
unterschreiben,
er
und
nur der
eine ganze
Schwung geht an seine kleine Schwester. Sie ist eine Katze.« »Lassen Sie sehen.« »Stiehl mir nicht die Zeit. Wenn Barry nicht da ist « »Er ist oben. Geben Sie mir das Geld.« »Führ mich hinauf zu ihm.« Der Barjunge kam zu uns und zeigte dem Babykopf in der Toga die abgerissene Hunderterhälfte. »Bring ihn rauf«, sagte er. »Barry soll das selbst entscheiden.« Mein Nachbar sah auf die Armbanduhr und nickte mir zu, als wäre Zeit ein entscheidender Faktor bei seinem
weiteren Vorgehen. Vielleicht war sie das sogar. »Okay«, sagte
er.
»Kommen
Sie.«
Er
hüpfte
vom
Barstuhl,
sammelte den Saum des Lakens vom Boden auf und trabte eilig ins Hinterzimmer. Ich folgte ihm. Die Babyköpfe hatten den Raum hinter der Bar in eine dunkle, modrig riechende Diskussionshöhle umgewandelt; ein Grüppchen saß hier im Kreis um einen niedrigen Holztisch mit abblätterndem Furnier und einem Betonziegel anstelle eines fehlendes Beines und ließ eine enorme, stinkende Pfeife kreisen. Von einem Nagel an der Wand hing
ein
Radio,
aus
dem
von
statischen
Störungen
durchsetzte Musik drang. Der süßlich-feuchte Geruch der Pfeife brachte mich fast zum Kotzen. »Ich habe ein Full-House!« rief einer aus der Runde. »Drei Fragen und zwei Antworten!« »Ein Einfaltspinsel ist auch bloß ein Büschel Tierhaare!« kam die Antwort. Als
wir
den
Raum
durchquerten,
legte
sich
die
Unterhaltung, und die Anwesenden musterten mich mit stumpfen, gleichgültigen Augen. Ich konnte mir zwar keinen
Reim
machen
auf
die
kurzen
Schnipsel
von
Konversation, die ich aufgeschnappt hatte, aber daran verschwendete ich keinen weiteren Gedanken; vermutlich hätte das Zeug ebensowenig Sinn ergeben, wenn ich ein großes dickes Wörterbuch voll Übersetzungen bei mir gehabt hätte. Der Babykopf in der Toga führte mich durch eine Seitentür im hinteren Teil des Raums, und als sie sich hinter uns wieder schloß, hörte ich, wie das Geschnatter
erneut aufgenommen wurde. Wir betraten die vor sich hinschimmelnde Halle des früheren Hotels. Die Fenster waren zwar vernagelt, aber durch die Ritzen drang gerade ausreichend Licht, um festzustellen, daß es sich bei dem, was sich wie Moos unter meinen Füßen anfühlte, in Wahrheit um verfaulende Teppichreste handelte, und was sich anfühlte wie Regen auf meinen Schultern, waren Spinnweben. Ich war zu früh dran
in zehn, zwölf Jahren würden Moos und Regen
gewiß hier auftauchen, aber noch war es nicht soweit. Ich blieb vor den Aufzügen stehen, aber der Babykopf ging daran vorbei zur Treppe und begann hinaufzusteigen. Entweder funktionierten die Aufzüge nicht mehr, oder die lieben Kleinen langten nicht zu den Knöpfen hinauf. Ich folgte ihm durch das ganze Hotel zu einem Zimmer auf der ersten Etage. Vier kleine Glatzköpfe befanden sich darin, einschließlich desjenigen mit dem gelben Fisch auf der Spielhose, der mit meiner Lizenz durchgebrannt war, und zweien, die aussahen wie Mädchen. Ich trat ein. Der Zwerg, der ausgestreckt auf dem Bett gelegen hatte, hob den Kopf und starrte mich an, und ich erkannte ihn augenblicklich wieder
aus jenen Tagen, die ich damit
verbracht hatte, in der Cranberry Street durchs Fenster reinzulugen. Eine Sekunde lang dachte ich, er hätte dichtes Haar auf dem Kopf, aber dann merkte ich, daß es eine blonde Damenperücke war, die man so stark eingekürzt hatte, daß das
Haar
nun
wie
bei
einem
zerrupften,
fettigen
Bürstenschnitt in allen Richtungen abstand. Damit konnte er niemanden lange täuschen
und ich weiß gar nicht, ob
das überhaupt in seiner Absicht lag
, denn darunter war
Barry Greenleaf ebenso kahl wie alle anderen hier. Niemand sagte ein Wort. Ich bemühte mich redlich, in seinen Gesichtszügen irgendeine Ähnlichkeit zwischen ihm und Pansy Greenleaf, Maynard Stanhunt oder einem der anderen Hauptakteure in diesem Fall festzustellen, aber ohne
Ergebnis.
Die
Evolutionstherapie
hatte
Verformung jede
durch
eventuell
die
vorhanden
gewesene Ähnlichkeit verwischt. Die anderen Babyköpfe saßen in losem Kreis um Barrys Bett auf dem Boden, und sie rutschten auf den Hinterteilen davon, um mir Platz zu machen. Barry setzte sich halb auf, stützte sich auf einen Ellbogen, und die verfilzte blonde Perücke glitt ihm von der Glatze übers Ohr. Außer dem Fußboden gab es nichts in dem Raum, worauf ich mich hätte setzen können, und nach einem kurzen Blick auf diesen entschied ich mich fürs Stehenbleiben. »Hallo, Barry!« sagte ich. »Mein Name ist Conrad Metcalf. Ich arbeite für deinen Onkel Orton.« »Onkel wie? Mir ist nicht ganz klar, wen Sie meinen.« Seine Stimme war leise, triefte jedoch vor Abfälligkeit. »Orton Angwine. Pansys Bruder « »Okay, okay. Was wollen Sie?« »Ich arbeite an deinem Stammbaum, Barry, aber da fehlen ein paar Äste. Wer ist dein Vater, Barry?« »Ich habe keinen Vater.«
»Ist es Maynard Stanhunt?« »Mein Vater ist Doktor Theodore Twostrand. Das ist der Erfinder der Evolutionstherapie. Er ist der Vater von uns allen.« Er wandte sich seinem kleinen Publikum zu. »Wer ist euer Vater?« fragte er. »Doktor Twostrand!« antwortete einer der anderen Babyköpfe pflichtschuldig. Barry richtete den Blick wieder auf mich. »Er ist der Vater von uns allen.« »Ich war heute mittag bei einem Architekten«, sagte ich. »Bei demjenigen, von dem die Entwürfe für die Babykopf-Unterkünfte
auf
dem
Grundstück
in
der
Cranberry Street stammen. Irgend jemand hat ihn dafür bezahlt, und ich glaube nicht, daß das Doktor Twostrand war.« »Weiter, weiter«, sagte
Barry,
»kommen
Sie zur
Sache.« »Irgend jemandem liegst du am Herzen, Barry. Irgend jemand glaubt, daß du nach Hause zurückkehren wirst, und ist bereit, für dein Wohlbefinden dort eine Menge Geld hinzulegen, um sicherzustellen, daß du auch bleibst. Ich kannte Maynard Stanhunt. Er hatte einen Haufen Geld, aber trotzdem hätte das nicht zu ihm gepaßt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er alles für dich ausgegeben hätte.« Barry tat so, als würde er gähnen. »Wer ist dein Vater, Barry?« »Der Architekt wahrscheinlich. Wie lautet denn Ihre Theorie?«
»Je näher ich es betrachte, desto mehr Verbindungen sehe ich zwischen Danny Phoneblum und der Liegenschaft in der Cranberry Street. Sein Name stand auf den Bauplänen,
und
nicht
der
von
Stanhunt.
Pansy
hat
angeblich irgendwann mal für ihn gearbeitet, aber niemand kann sagen, was sie da getan hat. Vielleicht nur das Kind des Fettsacks ausgetragen, darauf würde ich jedenfalls tippen. Sie hat ihm einen Sohn geboren und wurde dafür mit einem Haus und der lebenslangen Versorgung mit illegalem Stoff und Nadeln entlohnt.« Es war tatsächlich nur eine Theorie gewesen, ehe ich es ausgesprochen hatte, doch nun, einmal laut herausgesagt, klang es gut. Jedenfalls gut genug, um damit zu arbeiten. Wahrscheinlich würde ich es nicht schaffen, aus dem Kleinen
hier
eine
Bestätigung
dieser
Theorie
herauszukriegen; die relevantere Frage war jedoch, ob er es überhaupt wußte. »Sie haben doch schon alle Antworten«, bemerkte Barry. »Wozu brauchen Sie dann mich noch?« »Du bist ein Familienmitglied, Barry. Als Familie mag es zwar keine Großtat sein, und möglicherweise willst du nichts mehr mit ihr zu tun haben, aber das ändert nichts an den Tatsachen. Du steckst mitten drin in diesem Fall. Du brauchst nichts zu tun, du brauchst deine Karten nicht zu zeigen, aber du bist und bleibst ein Mitspieler. Wenn ich auf etwas Neues stoße, komme ich wieder. In der Zwischenzeit hast du meine Nummer.« Ich hielt ihm meine Visitenkarte hin. Er nahm sie, ohne einen Blick darauf zu
werfen, und steckte sie unter die nackte Matratze. Ich wandte mich zum Gehen. Ich war nicht enttäuscht; ich hatte Barry gefunden, und nun hatte ich einen Gesichtswinkel, aus dem ich die Sache neu betrachten und weiterarbeiten konnte. Ich hatte es eilig damit. Doch als ich die Hand nach der Türklinke ausstreckte, sagte Barry: »Einen Moment noch. Ich möchte Ihnen ein, zwei Fragen stellen.« Ich drehte mich um. »Ach ja?« »Wer bezahlt Sie?« Ich dachte nach. »Niemand. Jetzt nicht mehr.« »Was ist denn meinem Onkel, wie heißt er gleich, in die Quere gekommen?« »Die Inquisitionsbehörde hat ihn aus dem Verkehr gezogen.« »Sie mögen das Büro wohl nicht sehr, oder?« »Ich mag das Büro nicht sehr«, sagte ich, »aber möglicherweise mag ich es auf andere Art nicht als du.« Er kaute ein Weilchen darauf herum und beließ es dann dabei. »Ist Pansy sehr traurig?« »Das solltest du sie selbst fragen.« »Werde ich vielleicht.« Er sah hinunter auf seine glatzköpfigen
Gesinnungsgenossen.
»Wie
wär s?
Hat
jemand Lust auf ein Picknick im Schlaraffenland?« »Wenn das alles ist, kann ich ja gehen«, sagte ich. »Eine Frage noch«, rief Barry. Seine Augen leuchteten auf, als hätte er sie zum erstenmal wirklich geöffnet, und ich
bekam
einen
kurzen
Einblick
in
die
teuflische
Intelligenz, die zumindest flüchtig darin aufblitzte. »Ja?« sagte ich. »Wie fühlt man sich so als lausige, aufgeblasene, beschissene Niete?«
Kapitel 21 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Immer wieder ließ ich mir Barrys faszinierende Frage durch den Kopf gehen, während ich nach unten trabte, durch das schummrige Hinterzimmer und die schäbige Bar
wo ich
die zweite Hälfte von Angwines Hunderter herausrückte hinaus in die Nachmittagssonne auf der Telegraph Avenue. Höchste
Zeit,
Walter
Surface
aufzuspüren,
Nachfolger als Detektiv im Stanhunt-Fall
meinen
im ersten
Stanhunt-Fall. Er konnte sich als Phoneblums Kreatur entpuppen oder auch nicht, in jedem Fall würde er mir aber einige interessante Antworten liefern können; natürlich nur, wenn ich die richtigen Fragen stellte
und meinen Fuß
lang genug in die Tür kriegen konnte, um sie vorzubringen. Seine
Adresse
und
seine
Nummer
schienen
im
öffentlichen Telefonbuch auf, das ich stets im Kofferraum mitführte, doch als ich an einer Telefonzelle anhielt und auf dem Boden des Wagens nach herumliegendem Kleingeld suchte, erntete ich nichts als ein paar leere Tüten, die einst meine Mischung enthalten hatten, und den Antigrav-Stift, den mir das Känguruh aus der Hemdtasche geschlagen hatte. Ich überlegte, mir in einem der Läden an der Telegraph Avenue Kleingeld zu besorgen, fand aber dann, daß es die Mühe nicht wert war. Wenn ein Privatinquisitor einem anderen Privatinquisitor nicht mal mehr einen
Besuch abstatten konnte, ohne sich vorher telefonisch anzumelden, wer dann? Surfaces Büro befand sich in der obersten Etage eines siebenstöckigen Gebäudes am Rand des Lagerhausdistrikts in einem jener Stadtviertel, wo man seinem Wagen, nachdem man ihn geparkt hatte, unwillkürlich einen letzten kurzen Blick über die Schulter zuwarf, und wenn einem nur die geringsten Zweifel kamen, ob man ihn gut versperrt hatte, dann ging man eben die ganze Strecke wieder zurück und kontrollierte die Tür. So, wie die Gegend aussah, war es Phoneblum gelungen, den einen P.I. im Branchenverzeichnis ausfindig zu machen, der die Kohle noch
nötiger
hatte
als
ich.
Das
ergab
Sinn.
Hoffnungslosigkeit war eine Eigenschaft, die Phoneblum offensichtlich zu schätzen wußte, wenn er zufällig darauf stieß
und die er sich heranzüchtete, wenn das nicht der
Fall war. Die
Stimme,
die mich
zum Eintreten
aufforderte,
gehörte einer Frau, und ich tippte auf eine Sekretärin, was eine positive Überraschung in meiner ansonsten eher tristen Einschätzung von Surfaces Situation darstellte. Doch hinter der Tür verbarg sich nichts als ein Einzelraum, und die Frau hatte ihre Füße auf dem einzigen Schreibtisch darin liegen. Das Büro war etwas kleiner als das meine, etwas häßlicher, etwas verdreckter. Genauso ging das in meinem Kopf immer vor sich
ich verglich sein Büro mit
meinem und wußte, wenn ich Surface gegenüberstand, würde ich seine Gesichtszüge nach Parallelen zu jener
Visage absuchen, die mir aus dem Spiegel entgegensah. »Ich möchte Walter Surface sprechen«, sagte ich. »Sie können mir eine Nachricht für ihn hinterlassen«, antwortete die Frau. Entweder sah sie gut aus für fünfzig oder schlecht für fünfunddreißig; das letztere schien mir zutreffender. Sie drehte sich um und sah mich an, wobei ihre Füße vom Schreibtisch glitten und eine unschöne Rinne in der ansonsten perfekten Staubschicht hinterließen. »Ich muß ihn persönlich sprechen«, sagte ich. »Und es eilt.« Ich legte meinen Ausweis auf den Tisch. »Er ist nicht da.« »Können Sie ihn nicht anrufen?« Ich zeigte auf das Telefon;
die
Staubschicht
darauf
hatte
die
gleiche
makellose Oberflächenbeschaffenheit wie jene auf dem Schreibtisch. »Ich will ihn nicht aus dem Bett holen«, sagte sie. »Ich werde ihm Ihre Nachricht überbringen. Sie hätten eher kommen sollen. Vor einer Woche hätte er Sie gut brauchen können.« »Was ist passiert?« »Sie haben wohl das Blut unten in der Halle nicht gesehen. Walter ist überfallen worden. Er kann jetzt keine Besucher
empfangen.
Ich
denke,
das
werden
Sie
verstehen.« »Wer sind Sie?« fragte ich. Sie schien gar nicht zu bemerken, daß es Fragen waren. Vermutlich verbrachte sie viel Zeit in der Gegenwart von Inquisitoren. »Ich helfe sonst Walter nur gelegentlich aus«, sagte sie.
»Und so wird s wohl wieder sein, sobald er aus dem Bett kann.« Während sie sprach, löste sich ihr Blick von meinem, ohne daß ihre Augen sich auf irgendein neues Objekt zu konzentrieren schienen, und ihre Stimme wurde immer undeutlicher. »Sie und Walter stehen einander nahe«, half ich ihr weiter. Sie sagte ja, aber es war eigentlich nur ein Seufzer. Mir wurde klar, daß es ihr genauso ging wie dem Schreibtisch und dem Telefon: Was vor einer Woche geschehen war, hatte alle drei arbeitslos gemacht, und seither setzten sie nur noch Staub an. »Es ist wirklich unumgänglich, daß ich mit ihm rede«, sagte ich. »Sie könnten mich doch eigentlich selbst zu ihm begleiten und nachsehen, ob er etwas braucht. Hier werden Sie doch nicht benötigt.« Ihre Augen hellten sich etwas auf. »Nie ruft einer an!« sagte sie. »Als würden sie es alle schon wissen!« »Ja, so ist s nun mal.« »Genausogut kann ich bei ihm sein«, sagte sie, aber sie sprach zu sich selbst. Dann sah sie hoch zu mir. »Es geht ihm gar nicht gut.« »Ich verstehe.« Ich wartete eine Minute, bis sie sich wieder beruhigt und die Tränen weggeblinzelt hatte, dann sagte ich: »Hören Sie zu. Walter war hinter einer äußerst wichtigen Sache her, als er überfallen wurde; er hat versucht, jemandem zu helfen, der es wirklich nötig hatte. Immer noch nötig hat. Wenn ich mit ihm sprechen kann
ein paar Minuten nur
, dann könnte ich vielleicht dort
weitermachen, wo er aufgehört hat.« Es klang hübsch, war aber etwas ungenau. Angwine befand sich bereits im Froster, und es hieß wohl, ein bis zwei Augen zuzudrücken, wenn man andeuten wollte, daß Surfaces Beitrag zu dem Fall
zumindest, wie ich ihn sah
irgend jemandem auch
nur im geringsten genützt hätte. Aber es war sicher das, was seine Freundin hören wollte. Ich holte ihren Mantel von einem Haken an der Wand und machte einen Schritt Richtung Tür. »Ich fahre hinter Ihnen her«, sagte ich. »Es ist nur ein paar Häuserblocks von hier«, sagte sie leise und stand auf. Als sie in den Mantel schlüpfte, achtete sie darauf, nicht an mich zu streifen. Ich nahm meine Lizenz vom Schreibtisch, wischte den Staub am Hosenbein ab und ging zusammen mit ihr zum Aufzug. Ich hielt einen halben Block hinter ihr an und sah ihr nach, als sie die Treppe zu einem heruntergekommenen, mit grünen Schindeln verschalten Haus hochging. Vor der Eingangstür drehte sie sich um, sah zu mir herüber, und ich winkte sie ins Haus. Als die Tür hinter ihr zufiel, holte ich den Spiegel aus dem Handschuhfach, legte eine Straße aus und begann zu schnupfen. Als ich fertig war damit, steckte ich den Spiegel zurück und ging die Stufen zur Haustür hoch. Die Freundin von Surface flatterte herbei, als ich eintrat
ich glaube, sie
hätte meinen Mantel auf einen Kleiderbügel gehängt, wenn ich ihn abgelegt hätte. So hingegen blieb sie einfach
unschlüssig neben mir stehen. Als meine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten, wünschte ich mir, sie hätten es nicht getan: Die Bude war ein einziger Schweinestall. Meiner Nase hingegen war ein solcher Aufschub nicht vergönnt; sie hatte in dem Moment, als ich zum erstenmal nach dem Eintreten Atem holte, bereits die beißenden Komponenten des Geruches ausgemacht. Surface oder sein Mädchen hielten irgendein Tier im Haus, und seit einer Woche oder so hatten sie wohl nicht mehr mit dem nötigen Eifer saubergemacht. Das Haus hatte eine ausgiebige Durchlüftung bitter nötig. Ich konnte ihnen zwar vergeben, aber meine Nase nicht. Jede Pore darin war von dem eben geschnupften Stoff geöffnet, und ich befürchtete, mich mit Surface
nur
unterhalten
zu
unter
ständigem
können.
Also
Grimassenschneiden
griff
ich
nach
meinen
Zigaretten. Die Frau merkte, was ich vorhatte, zog einen geschwärzten
Aschenbecher
unter
einem
Stoß
durchweichter Zeitungen hervor und hielt ihn mir hin. »Danke. Wo ist Surface?« »Hier
drin.«
Sie
zeigte
auf
eine
Tür.
»Er
hat
geschlafen.« Sonst sagte sie nichts, aber das brauchte sie gar nicht. Ich ging durch die Tür. Es war ein großes Zimmer, in dem ein Sessel, eine Frisierkommode und ein riesiges Doppelbett standen. Die einzige Beleuchtung stammte vom Fernseher. Der Musikkanal lief, wo hellblaue Dreiecke einen endlosen
einschläfernden
durchscheinenden
Tanz
Hintergrund
vor
einem
aufführten.
wäßrig Das
weißlichblaue Licht vom Bildschirm fiel auf die dunkle Gestalt, die ausgestreckt in der Mitte des Bettes lag. Ich trat einen Schritt näher heran. Die Gestalt in dem Bett sah furchtbar klein aus. Als sie das dunkle Gesicht vom Kissen hob, wurde mir klar, daß Walter Surface und ich nicht so viel gemeinsam hatten wie erhofft oder gefürchtet. Das Tier im Haus war Surface! Er war ein evolvierter Affe. Die Verblüffung raubte mir eine Sekunde lang die Sprache, zugleich aber zweifelte ich keinen Augenblick daran, daß dies tatsächlich der Typ war, den ich finden wollte. Seine Gesichtszüge waren menschlich genug, um feststellen zu können, daß ihm das Schicksal hart zusetzte, daß die tausend Falten von der Versenkung in Dinge herrührten, die den meisten Menschen denn, Affen
geschweige
auf ewig verborgen bleiben. Wäre er ein
Mensch gewesen, hätte ich gesagt, er ist schwerbeladene fünfzig Jahre alt. Bei einem Affen konnte und wollte ich mich nicht auf Schätzungen einlassen. »Sie sind Surface«, sagte ich, als ich meine Stimme wiedergefunden hatte. »Stimmt.« Seine dünnen Lippen bewegten sich kaum, aber die Stimme schnurrte daraus überraschend laut hervor. »Mein Name ist Metcalf. Ich arbeite an gewissen Dingen, die mit dem Stanhunt-Fall in Zusammenhang stehen.« Ich sah davon ab, die Hand auszustrecken, weil ich eigentlich nicht den Wunsch hatte, die seine zu ergreifen, auch nicht für die Dauer eines Händeschüttelns.
Der Geruch stammte von ihm, das wurde mir klar, als er sich unter den Laken bewegte und es dabei etwas lüftete. Ich denke, seine Freundin war wohl an den Gestank gewöhnt, genauso, wie sie an Fragen gewöhnt war. Liebe ist wohl manchmal mehr als blind. Surface
schloß
die
Augen.
»Nancy
hat
Sie
reingelassen.« Ich bejahte. »Sie sagte, Sie möchten mir ein paar Fragen stellen.« Er kräuselte die Lippen und blies die Luft durch die Nüstern aus. »Eines muß Ihnen klar sein, Mister Metcalf. Ich kenne Sie nicht. Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.« Der Bildschirm flackerte und wurde dunkel, und plötzlich war alles
finster.
Ich
dachte,
er
hätte
unabsichtlich
die
Fernbedienung fallen lassen, aber als der Bildschirm wieder hell wurde, hielt er eine Waffe in der Hand. Saubere Arbeit. »Eine Bewegung, und es pfeift beim Atmen«, sagte er; sein ledriger Mund dehnte sich seitlich. Die Waffe schien sich recht wohl zu fühlen in seiner kleinen schwarzen Hand. »Wäre mir ein Vergnügen, Ihnen zu zeigen, wie Sie rote Blasen aus dem Hemd zaubern können«, fuhr er fort. »Den Trick habe ich letzte Woche gelernt. Ich kann ihn auch weitergeben.« »Sollten Sie auch tun. Bloß bin ich nicht der rechte Mann
dazu.
Ich
war s
nicht,
der
Ihnen
den
Trick
beigebracht hat, also lassen Sie den Dampf wieder ab.« »Setzen Sie sich hin, legen Sie die Hände auf die Knie und halten Sie den Mund. Was ich gehört habe, reicht mir,
um zu wissen, daß ich nichts mehr hören will. Ich halte die Kanone und ich stelle die Fragen. Ich habe eine Lizenz für beides.« Ich setzte mich hin, stellte den Ascher auf die Armlehne des Sessels und legte die Hände auf die Knie, ganz wie geheißen. »Wo ist das Känguruh? Das ist der Kerl, dem ich ein Ding verpassen möchte.« »Dann sind wir zwei, Surface. Auch ich möchte nicht zusammen mit dem Känguruh gesehen werden, es sei denn, jemand schneidert mir aus seinem Fell ein nettes Jäckchen.« Das Affengesicht verzog sich zu einer Art bitterem Lächeln. Seine Zähne leuchteten gelb. Ich dachte kurz an Affen, die Känguruhs umbringen, und danach flüchtig an Känguruhs, die Schafe umbringen. Doktor Twostrands Evolutionstherapie war ein echter Hit. Er hatte die Tiere wirklich aus dem Dschungel herausgeholt. »Also gut«, sagte der Affen-Evolut. »Was soll mich davon überzeugen, daß Sie nicht für Phoneblum arbeiten?« »Wahrscheinlich nichts«, antwortete ich. »Vergessen wir s.« Die Tür hinter mir öffnete sich. Es war Nancy mit zwei
Gläsern.
Die
Gastgeberin.
Sie
hatte
sich
zusammengerissen, während sie weg gewesen war, doch als sie jetzt die Waffe in der Hand ihres Liebsten erblickte, kamen ihr wieder die Tränen. »Du lieber Himmel, Walter!« »Ich traue ihm nicht.« Der Affe setzte sich auf, und die
Decke fiel ihm vom Oberkörper. Er hatte ein großes Heftpflaster über den Rippen, und darunter befand sich weiße Watte, gelbgefärbt von Antiseptikum. Nancy blieb stehen, wo sie war, die Gläser in den Händen. »Ich will ihn draußen haben«, sagte Surface. »Du bist einfach zu vertrauensselig, Nancy, verdammt noch mal.« »Er hätte sich doch auch mit einer Pistole an meinem Kopf Eintritt verschaffen können«, stellte sie fest. »Hören Sie auf sie, Walter! Ich stehe auf Ihrer Seite!« »Ach, zum Geier.« Er ließ die Knarre aufs Bett fallen. »Gib schon her!« Nancy brachte ihm den Drink, und er kippte die Hälfte davon in einem Schluck. Sie gab mir das andere Glas und lehnte sich mit verschränkten Armen an die Wand. Es war ein großes Glas voll Gin, kaum überschattet vom Schreckgespenst Tonic. Machte gar nichts. Meine Zigarette war mir zwischen den Lippen ausgegangen; ich legte sie in den Aschenbecher und nahm einen großen Schluck Gin. War
auch
eine
Möglichkeit,
die
Geruchsnerven
zu
betäuben. »Wenn Phoneblums Schläger mich tot sehen wollen, dann finden sie auch einen Weg«, stellte Surface fest; er sah der Logik ins Auge, was mich wiederum an mich selbst denken ließ. »Sie würden jedenfalls nicht hier reinkommen und zulassen, daß ich eine Kanone auf sie richte.« Ich sagte nichts, lutschte nur an meinem Drink. »Welche Branche?« fragte er und kratzte sich vorsichtig mit dem Daumennagel an seinem Verband.
»Gleiche wie Sie«, sagte ich. »Ich bin der Typ, an dessen Stelle man Sie engagiert hat. Habe mich geweigert, einen bestimmten Auftrag auszuführen, und flog raus. Genauso wie Sie, möglicherweise. Bloß hat s bei mir nicht mit einer blutigen Halle geendet.« »Was für ein unverschämtes Glück Sie haben.« Ich nahm wieder einen Schluck, diesmal ließ ich mir Zeit. »Ich hätte gern Phoneblum abgeschossen, Surface. Vielleicht können Sie mir dabei helfen.« »Und vielleicht können Sie mir dabei helfen, ins Gras zu beißen. Nein, danke.« »Niemand weiß, daß ich hier bin. Außerdem sagten Sie doch selbst, wenn diese Brüder Sie haben wollen, dann kriegen sie Sie auch. Warum reden wir nicht ein Weilchen übers Geschäft? Machen Sie Ihrem Herzen Luft!« Seine intelligenten Augen glitzerten über den müden Tränensäcken. Eine gute Minute lang starrte er mir damit ins Gesicht. Dann seufzte er, warf einen Blick auf die Waffe, auf den Drink in seiner Hand und sagte schließlich: »Schießen Sie schon los.« Ich merkte, wie Nancys Anspannung nachließ. Offenbar war es ihr lieber, wenn der Affe sich aufsetzte und redete. »Phoneblum behauptet, er habe Sie beauftragt, Celeste zu überwachen«, sagte ich. »Hatten Sie je Kontakt zu ihrem Ehemann?« »Doktor Stanhunt?« »Ja«, nickte ich. »Maynard Stanhunt.« »Habe
ihn
nie
zu
Gesicht
bekommen.
Das
war,
scheint s, der springende Punkt.« »Bei mir war es umgekehrt. Ich bekam meinen Auftrag vom Herrn Doktor und kam nie mit
Phoneblum in
Berührung. Ich nehme an, Maynard hatte es keinen Spaß gemacht, mit mir zusammenzuarbeiten, und so ersuchte er Phoneblum, das Arrangement zu übernehmen.« »Vermutlich.«
Surface
legte
die
Knarre
auf
das
Fensterbrett neben dem Bett und stocherte dabei unter den Vorhang. Ein Sonnenstrahl zuckte über das Bett und verschwand wieder. »Wie lange haben Sie sie beschattet?« erkundigte ich mich. »Eine Woche.« »Irgendwas rausgefunden?« »Nur das, was Phoneblum anscheinend ohnedies schon wußte.« »Und was war das?« Surface verzog ungeduldig das Gesicht. »Der Freund.« Dann merkte er, daß ich damit nichts anfangen konnte. »Sie wußten doch von dem Freund, oder?« »Nein.« Surface kniff die Augen zusammen und fixierte mich. »Das war es, was Doktor Stanhunt wissen wollte«, sagte ich, »aber ich habe nie was davon bemerkt. Sind Sie sicher?« Er runzelte ungehalten die Stirn. »Natürlich bin ich sicher!« »Wo?«
»In diesem Motel. Dem Bayview. Dem Loch, in dem Stanhunt umgelegt wurde.« Ich war baff. »Erzählen Sie mir mehr davon.« »Sie kam zwei-, dreimal die Woche hin, blieb lange Zeit in einem der Zimmer und tauchte mit zerwühltem Haar wieder auf. Das Übliche.« Er sah mich an wie einen leicht Unterbelichteten,
und
ich
fühlte
mich
unterbelichtet.
Entweder log er, oder mir war das Essentielle völlig entgangen. »Haben Sie den Knaben gesehen?« »Einmal. Würde ihn nicht wiedererkennen.« Ich dachte ein Weilchen darüber nach. Mit einemmal hatte sich ein klaffendes Loch in meinem Bild der ganzen Situation aufgetan, ein Loch, das aussah wie der Dritte in einem Liebesdreieck, ein
Loch,
das aussah wie der
Hauptverdächtige in den Ermittlungen, die es hätte geben sollen. Dadurch wurde Angwine natürlich nicht völlig entlastet, obwohl der Gedanke an Angwine und Celeste als Liebespaar absolut lächerlich war. Sie hätte ihn bei lebendigem Leib aufgefressen. Ich versuchte draufzukommen, wer dann übrigblieb, aber mir fiel niemand ein. »Wieso stehen Sie denn auf so schlechtem Fuß mit Phoneblum?« fragte ich. Surface stieß ein hartes, schrilles Lachen hervor. »Er wollte jemanden haben, der ihm den Rabauken machte, was ich gelegentlich übernehme. Bloß sah es diesmal eher danach aus, als würde ich der Lackierte sein bei dem
Geschäft, und so sagte ich nein. Das gefiel ihm nicht.« Surface setzte eine Grimasse auf, und das erinnerte mich daran, daß ich zu einem Affen sprach. Er legte die Hand auf seinen Verband. »Dann flogen die Drohungen hin und her. Die seine hat er wohl wahrgemacht.« »Das hat er wohl. Hat er von Ihnen verlangt, Celeste eins auszuwischen?« Wiederum bedachte er mich mit diesem sauren Blick. »Hat Ihnen Phoneblum erzählt, daß er das von mir verlangte?« »Phoneblum sagte nichts in dieser Richtung. Aber ich hatte meine Aufträge ja von Stanhunt bekommen, und er wollte, daß ich Celeste ein paar Prügel verabreiche und sie heimschicke.« »Wie nett.« Seine Stimme klang grimmig. Er sah hinüber zu Nancy. »Hast du das gehört?« Nancy antwortete nicht. »Das hätte ich in Erwägung gezogen«, sagte er und wandte sein Gesicht wieder mir zu. »Verdammt, ich hätte es wahrscheinlich getan. Bloß lag die Sache in meinem Fall etwas anders.« »Wie anders?« Er seufzte. »Als Phoneblum Stanhunt vom Liebhaber berichtete, erlitt der Doktor einen Anfall von Eifersucht«, sagte er. »Und Phoneblum wandte sich an mich mit einem Angebot von fünftausend Dollar, wenn ich den Knaben ein für allemal aus dem Spiel nehme.« »Ein Mord.«
»Ganz richtig. Nur habe ich abgelehnt.« »Und Phoneblum wurde nervös. Er dachte, Sie wüßten zuviel.« »Wahrscheinlich.« Der Bildschirm wechselte die Farbe, und der Raum ging von hellem Blau und Grün zu Weiß und Gold über. Surface schaltete die Nachttischlampe auf dem Fensterbrett ein und den Fernseher aus. Nancy nahm mir das Glas ab und verließ das Zimmer. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich mich bereits an Surfaces Geruch gewöhnt, und ich glaube, auch er hatte sich an das gewöhnt, was mich ihm so zuwider machte. Er schob die Waffe weiter weg und ließ sich wieder zurücksinken in die Kissen. »Was haben Sie über Celeste in Erfahrung gebracht?« Diesmal klang seine Stimme etwas versöhnlicher. »An sich nicht viel«, sagte ich. »Ich habe jede Menge Zeit damit vertrödelt rauszufinden, daß sie die Vorhänge nicht schließt, wenn sie sich umzieht.« »Das hätte ich Ihnen auch sagen können.« »Aber ich war zuerst dran, Schlaukopf.« Ich hatte den Affen zum Lächeln gebracht, beinahe wurde es ein Lachen, aber als er die nötige Luft dazu holte, wurde nur eine Grimasse daraus, weil das Luftholen seiner Wunde ganz und gar nicht guttat. Ich sah ihm zu, wie er den Schmerz hinunterwürgte. »Ich werde Ihnen sagen, was ich alles beisammen habe«, erklärte ich, »und Sie füllen die Lücken aus. Okay?«
Er nickte. »Celeste ist
oder war früher mal
von einer
beachtlichen Härte. Lernte Phoneblum mehr oder weniger geschäftlich kennen. Vor etwa zweieinhalb Jahren braucht sie plötzlich Abwechslung und verläßt die Stadt für eine Weile
oder vielleicht wird sie vorübergehend aus dem
Verkehr gezogen. Zu diesem Zeitpunkt kriegt sie eine maßgeschneiderte, entrümpelte Vergangenheit, und schon stehen ihre Aussichten besser. Als sie den reichen Doktor heiratet, ist das Vorhaben offenbar abgeschlossen. Bis auf den Umstand, daß Phoneblum sie immer noch in der Hand hat. Und sie nicht ausläßt.« »Klingt ziemlich einleuchtend«, sagte der Affe. »Erzählen Sie mir, was Sie über Phoneblum wissen.« Er runzelte die Stirn. »Erzählen Sie mir, was Sie noch nicht wissen.« »Jede Menge. In welcher Branche ist er tätig?« »Branche? Sex. Drogen. Karma. In welcher Branche ist er nicht tätig?« »Ich verstehe«, sagte ich. »Kennen Sie den Club The Fickle Muse? Der gehört ihm. Gehen Sie ins Hinterzimmer und fragen Sie nach einem Kerl namens Overholt.« Ich wiederholte den Namen. »Was
er
verkauft,
ist
das,
was
Phoneblum
heranschaffen kann«, sagte Surface. »Mit einem Wort, alles.« »Dann
muß
Phoneblum
das
Büro
in
seiner
Westentasche haben.« Er lächelte wieder und schloß die Augen. »Allerdings, das denke ich auch.« Ich stand auf. Es war fast fünf, und draußen wurde es langsam schattig. Ich wollte noch Pansy besuchen und Celeste, falls sie zu Hause war. Und nach all dem, was ich gehört hatte, konnte mir womöglich auch noch
der
Gedanke kommen, bei der Fickle Muse reinzusehen. Ich trat näher ans Bett heran. Surfaces Augäpfel bebten unter den dunklen Lidern. Seine Haut, wo sie unter der dichten Behaarung zu sehen war, wirkte fein wie die einer alten Frau. »Vielen Dank, Walter«, sagte ich und trat wieder einen Schritt zurück. »Sie waren mir eine große Hilfe. Eines Tages werde ich mich dafür revanchieren.« Er antwortete, ohne die Augen zu öffnen. »Ist nicht wichtig.« »Ich lasse auch Nancy danken.« »Okay.« Der sturmgebeutelte, gestandene Profi bis zuletzt. Ich verspürte einige Bewunderung für ihn. Ich hätte ihm etwas von Angwines Geld dagelassen, wenn ich nicht davon überzeugt gewesen wäre, daß er es mir ins Gesicht geschmissen hätte. So legte ich nur meine Visitenkarte auf die Kommode und ging hinaus in die letzten Minuten des hellen Tages.
Kapitel 22 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Langsam hatte ich genug von dem Haus in der Cranberry Street. Ich kam gerade noch rechtzeitig oben an, um den Sonnenuntergang zu sehen, wie er sich in den auf die Bucht hinausgehenden Fenstern spiegelte. Das nutzte auch nichts. Ich wußte zuviel von diesem Haus und seinen Bewohnern, um etwas daran erfreulich zu finden. Und immer noch wußte ich nicht genug. Ich stand schon wieder da und klopfte an die Tür. Pansy Greenleaf öffnete. Einen Moment lang stand sie zögernd mit aufgerissenen Augen da, und mir war, als würden wir einen neuen Anfang miteinander machen. Als würden wir vergessen, daß sie sich beim letztenmal aus ihrer drogenumnebelten Apathie hochgerappelt und mir geschworen hatte, mein Leben einem gewaltsamen Ende zuzuführen, falls ich je wieder zurückkam. Der Moment zog sich so lange hin, daß ich mich schon fragte, ob sie sich doch nicht an unsere letzte Begegnung erinnerte. Aber dann verhärtete sich das weiche Fleisch an ihren Wangen, die Augen wurden zu schmalen Schlitzen, und sie ballte die Hand am Türrahmen zur Faust. »Hallo, Patricia!« Sie antwortete nicht. »Heute sehen Sie besser aus«, stellte ich fest. »Das
freut mich. Wir müssen miteinander reden.« »Ich bin beschäftigt.« »Ist noch jemand da?« Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und sah über sie hinweg ins Haus. »Celeste vielleicht? Ich muß auch mit Celeste reden.« »Nein. Niemand ist da.« »Ich verstehe. Beschäftigt wie gestern, meinen Sie. Das ist schlechtes Zeug, Pansy. Ich habe es unter dem Mikroskop betrachten lassen. Es frißt Sie mit Haut und Haar auf.« »Das ist meine Angelegenheit.« »Ist es nicht. Es ist Danny Phoneblums Angelegenheit. Es ist sein Geschäft, Prinzessin. Sie sind bloß Kundschaft.« Ich betrat das Haus, und um das zu tun, mußte ich sie mit der Schulter beiseiteschieben. Als ich ins Wohnzimmer einbog, wurde ich vom Anblick dreier Babyköpfe empfangen, die hübsch nebeneinander aufgereiht auf dem Sofa saßen. Sie paßten nicht zum Haus, um
es
einfach
auszudrücken.
lächerlich prosaisch
Ihre
Existenz
wirkte
wie die Pointe eines Witzes, die
jemand mißverstanden und ernst genommen hatte. Sasha, das Kätzchen
das nirgendwo zu sehen war
gehörte eher
in dieses Haus als ein Babykopf; es wirkte menschlicher. Barry saß an
einem Ende des Sofas, ein wenig
weggerückt von den anderen beiden; seine grellgelbe Perücke saß ihm immer noch irrwitzig schief auf dem Kopf. Der Babykopf in der Toga, der mich in dem schäbigen Hotel an der Telegraph Avenue nach oben geführt hatte, saß am
anderen Ende, wo er damit beschäftigt war, sein Laken zu einem schmutziggrauen Seil zu drehen. In der Mitte hockte einer, den ich noch nicht kannte; er trug einen roten Spiderman-Overall,
eine
dunkle
Brille
und
eine
Baseballkappe auf dem gewaltigen kahlen Schädel. »Barry«, sagte ich. »Lange nicht gesehen.« »Mister Arschloch«, sagte Barry. »Nehmen Sie doch Platz.« Hinter mir kam Pansy ins Zimmer. Ich drehte mich um, lächelte ihr zu und bekam als Gegenleistung ein Bündel Dolche aus ihren Augen. »Ich muß um Verzeihung bitten«, sagte ich. »Sie haben Besuch. Reden Sie doch einfach weiter, wo Sie aufgehört haben, ich werde still sein wie ein Mäuschen.« Pansy schwieg. Barry runzelte die Stirn und sagte: »Still wie ein Läuschen.« Die anderen Babyköpfe kicherten. Pansy zog sich hinter einen freien Sessel zurück. »Ein Mensch namens Kornfeld war hier. Er suchte Sie. Sagte mir, ich sollte ihn anrufen, falls Sie mich noch mal belästigen.« »Bürohengst«, beruhigte ich sie. »Belanglos. Schuldet mir
ein
paar
Karmapunkte.
Wollte
sich
vermutlich
erkenntlich zeigen.« »Sie sind in Schwierigkeiten«, stellte sie fest. »Ich brauche Sie gar nicht aus tiefstem Herzen zu hassen. Ich sollte eher Mitleid haben mit Ihnen.« »Vielen Dank, Pansy. Denken Sie an mich, das nächste Mal, wenn Sie vom Bett fallen und auf Ihrer Nadel landen.«
»Sie sollten sich jetzt trollen, Großmaul«, sagte Barry. »Sie mischen sich in Sachen ein, die Sie nichts angehen.« »Mich einzumischen ist mein Leben!« erklärte ich und wandte mich den drei Babyköpfen zu. »Hab Nachsicht mit mir.« Der
Babykopf
mit
der
dunklen
Brille
hatte
sie
abgenommen und an seinen Kragen gehängt. Er und der andere mit dem Laken starrten zu mir hoch, hohläugig und wie benommen, trotz der emotionalen Turbulenzen, die durch den Raum wirbelten. Die beiden Gesichter riefen eine Art
stereophonen
Effekt
hervor
Hoch-
und
Tieftonlautsprecher des Haarsträubenden. Ich wandte mich wiederum an Pansy. »Eigentlich suche ich Celeste«, sagte ich. »Haben Sie sie gesehen?« »Da kommen Sie zu spät«, antwortete Pansy. »Heute morgen war sie da, ging aber wieder weg.« »Sagte sie, wohin sie gehen wollte?« »Sie war aufgeregt. Sagte, Sie würden sich weigern, ihr zu helfen. Sie wollte Inquisitor Morgenlander anrufen und ihm sagen, daß Orton unschuldig ist.« »Und was meinten Sie dazu?« Pansys Hand umklammerte die Sessellehne, und ihre Augen suchten mit einemmal etwas auf dem Boden. Dann blickte sie hoch und sah mich grollend an. »Ich sagte, was für eine Dummheit. Es ist doch klar, daß Orton es getan hat.« Ihre Wangen röteten sich, aber sie wandte den Blick nicht ab. »Das war tapfer.« Und irgendwie meinte ich das auch
so. »Fahren Sie zur Hölle.« Sie drehte sich um und ging hinaus. Ich horchte und konnte gerade eben ihre Schritte auf der teppichbelegten Treppe ausmachen. Und dann das Knarren eines Bettes oben. Barry hatte einen selbstgefälligen Ausdruck im Gesicht, ganz so, als hätte er persönlich jede einzelne von Pansys Bewegungen choreographiert und wäre nun erfreut, sie so präzise ausgeführt zu sehen. Hochtöner und Tieftöner ließen bloß die Augen hin und her rollen, wie Zuschauer bei einem Tennisspiel. »Warum bist du zurückgekommen?« fragte ich. »Ich war schon seit Wochen nicht da«, erklärte Barry. »Und
was
Sie
sagten,
klang,
als
würde
es
hier
richtiggehend spannend werden.« »Und?« »Ich hatte recht. Es wird ja richtiggehend spannend.« »Liebst du deine Mutter, Barry?« »Ich liebe überhaupt nichts.« Er sprach das Wort so aus, als würde er genau wissen, was es bedeutete; ich hingegen nicht. »Dann wird dich wohl kalt lassen, was ich dir jetzt sagen werde.« »Das war bisher mit allem so, was Sie sagten.« Ich holte tief Atem. Aber mich ließ es nicht kalt. »Celeste Stanhunt ist deine Mutter, nicht Pansy Greenleaf. Es
hat
eine
Weile
gedauert,
aber
nun
ist
es
mir
klargeworden. Pansy arbeitet für Danny Phoneblum, aber
niemand will mir verraten, was sie tut. Sie ist dein Kindermädchen, Barry. Oder besser, sie war es bis zu deiner Flucht aus dem Nest.« Barry lächelte nur. »Sie können sich nicht vorstellen, wie wenig mich das interessiert.« »Das glaube ich nicht.« »Meine Motive übersteigen Ihr Begriffsvermögen.« »Vermutlich.« Ich ging in die Küche, nahm mir ein Glas von der Anrichte und hielt es unter den Wasserhahn. »Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.« »Welche Frage?« »Wie man sich fühlt, wenn man so ist wie Sie.« »So einfach klang die Frage nicht«, sagte ich. »Du hast dazu Worte verwendet, die ich nicht ganz verstanden habe.« »Sie sind ein Arschloch«, erklärte Barry. »Von der schlimmsten Sorte. Sie denken nämlich, Sie repräsentieren Wahrheit und Gerechtigkeit oder so etwas ähnliches.« Ich trank das Glas Wasser aus, ehe ich antwortete; ich mußte Dampf ablassen, auch wenn er erst drei Jahre alt war. »Wahrheit und Gerechtigkeit«, sagte ich. »Ich frage mich, ob du auch nur die geringste Ahnung hast von dem, was du, verdammt noch mal, daherredest, oder ob dir die Worte einfach deswegen aus dem Maul sprudeln, weil man irgendwas mit deinem Hirn angestellt hat. Wahrheit und Gerechtigkeit. Nette, einfache Worte.« Ich hielt inne. Vor Babyköpfen war die Lektion fehl am Platz. Vielleicht vor allen anderen Leuten auch.
Und
dann
machte
ich
den
Fehler,
ihnen
etwas
zurücklassen zu wollen, worüber sie nachdenken konnten. »Und wenn ich euch sage, daß Wahrheit und Gerechtigkeit zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sind?« Dem Tieftöner gefiel das ganz außerordentlich. Er wandte sich an den Hochtöner und sagte: »Und wenn ich euch sage, daß Wahrheit und Gerechtigkeit vier völlig verschiedene Paar Schuhe sind?« Worauf der Hochtöner wie auf ein Stichwort einfiel: »Und wenn ich euch sage, daß Liebe und Geld sechs verschiedene Paar Schuhe sind?« »Ein andermal«, seufzte ich. »Habe weder Zeit noch Lust dazu.« »Und
wenn
ich
sage,
daß
Zeit
und
Lust
verschiedene Paar Schuhe sind?« rief Barry mir nach.
zwölf
Kapitel 23 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Ich kannte die Fickle Muse, war ein-, zweimal als Gast dortgewesen
und als solcher nur deshalb, weil sie so
lange Öffnungszeiten hatte; ein paarmal hatte ich mich beruflich dort herumgetrieben, um jemandem an den Fersen zu bleiben, den es mit Übermacht zur Flasche zog und
dem
es
nichts
ausmachte,
in
einem
finsteren,
dreckigen Loch von Bar zu hocken, um ihr nahe zu sein. Ich hatte sogar schon von dem Hinterzimmer gehört, war aber noch nie dringewesen. Den Namen Overholt kannte ich nicht. Und so setzte ich mich in meinen Wagen und fuhr hin, obwohl ich nicht genau wußte, ob der Laden so früh schon offen war. Er war. Wenn man vom Parkplatz aus die Fickle Muse betrat, wirkte das wie der Schritt in eine Zeitmaschine, die einen von
sechs
Uhr
abends
bis
weit
nach
Mitternacht
transportierte. Die Typen an der Theke sahen aus, als hätten sie schon ihre gewohnten Lokalrunden hinter sich und wären nur hier gelandet, weil sich sonst nichts mehr anbot. Auf dem Boden
schwamm
nächtliche
Zigarettenstummeln
Ausbeute
an
bereits eine in
volle einer
Marinade aus Whiskey und geschmolzenen Eiswürfeln, und die Juke-Box spielte die Sorte von melancholischen Ein-
letzter-Drink-noch-Liedern, bei denen jedermann den Text mitnuschelte; bloß wußten alle, daß es hier, in der Fickle Muse, keinen letzten Drink gab
zumindest keinen
einzelnen. Ich ging zur Theke und setzte mich so dicht wie möglich an die Tür zum Hinterzimmer. Der Barkeeper war ein Riesenkerl,
der
mit
Rausschmeißer spielte sein
Anblick
nicht
Sicherheit
seinen
eigenen
in den wenigen Fällen, in denen
jedem
Rausschmiß
zuvorkam.
Es
brauchte eine Weile, bis er sich dazu bequemte, meine Bestellung entgegenzunehmen, und wiederum eine Weile, bis er das Glas vor mich hinstellte. Das machte mir nichts aus. Vermutlich hätte ich nervös sein sollen, da die Zeit drängte, aber hier in der Fickle Muse fühlte ich mich wie eingebettet
in
einen
Kokon
aus
Zeitlosigkeit
und
Anonymität. Wer brauchte schon Karma? Ich leerte das Glas und schob fünfzig Dollar mehr, als es ausmachte, unter den Untersatz. Als der Blick des Barkeepers auf das Geld fiel, gerieten seine Augenbrauen in Bewegung, aber nur ganz leicht. Vermutlich hätte er den Rest behalten, ohne auch nur zu fragen, wenn ich nicht meinen Finger gekrümmt und ihm nachgezischt hätte. So drehte er sich noch mal um und brachte seinen Kopf auf gleiche Höhe mit meinem. »Ich möchte Overholt sprechen«, sagte ich. »Kann sein, daß Overholt noch nicht da ist.« Es kam ihm so rasch und flüssig über die Lippen, als wär s ein
Pilotfisch, der auf dem Echo meiner Worte dahinflitzte. Er war fast früher fertig als ich. Ich holte einen der halben Hunderter heraus, die nun in allen meinen Taschen steckten. Der Barmann hielt ihn für komplett, bis er ihn in der Hand hatte. Da gerieten seine Brauen wiederum in Bewegung. »Ich bringe ihn
in Ordnung, sobald ich Overholt
gesprochen habe«, sagte ich. »Ich mache ihn so gut wie neu.« »Neu muß er nicht sein«, knurrte er. »Bloß ganz.« Seine Augen wanderten zur Tür neben der Theke. »Herzlichen Dank«, sagte ich. »Sie brauchen mir nicht zu danken«, antwortete er, nahm mein Glas und trug es zu der Reihe Flaschen, die vor dem Spiegel standen. Dann brachte er es voll zurück. »Sie schulden mir keinen Dank, Mister. Sie zahlen eben gern viel Geld für Ihre Drinks.« Er stapfte zurück zu seinen Stammkunden. Ich kippte den Drink und ging durch die Tür. Das Hinterzimmer bestand aus nichts als einem Billardtisch und Wänden drumherum daß
dieser
auf drei Seiten so dicht am Tisch,
Umstand
mit
Sicherheit
die
Stöße
beeinträchtigen mußte. Von der hinteren Wand führte ein dunkler Korridor weg. Eine einzelne Lampe hing von der Decke herab bis drei Handbreit über den Bällen
ein
schlecht gezielter Hüpfer, und die Glühlampe war kaputt. Ein großer, wuchtiger und ein kleinerer Typ standen vorgebeugt auf ihre Queues gestützt und studierten die
Situation auf dem Tisch. Ich schloß die Tür hinter mir und stellte mein Glas auf das grüne Tuch. Als der Große hochblickte, wußte ich, der Kleinere war Overholt.
Manche
unsichtbarer
Leute
Tinte
ins
tragen
gewisse
Gesicht
Dinge
geschrieben.
mit Der
Muskelprotz hatte nichts als ein paar falsch buchstabierte Worte auf der Visage. Mit Bleistift. Aber er bewies Haltung. Er nahm mein Glas vom Tisch und gab es mir zurück in die Hand. Dann machte er seinen Stoß. Es war ein guter Stoß, und Overholt und ich standen schweigend daneben, während er eine Serie von Bällen versenkte. Er stieß nur zweimal mit dem Queue gegen die Wand, und es brachte ihn nicht aus der Ruhe. Er hob einfach das Ende des Queues höher und machte so seinen Stoß. Als er einen verhaute, grunzte er nur. Das Queue richtete sich auf, senkte sich mit einem Ende zu Boden, und er lehnte sich darüber wie zuvor. Eine Minute lang dachte ich schon, ich würde das Ende des Spiels abwarten müssen, aber dann ergriff Overholt das Wort. »Hier geht s nicht zum Klo«, sagte er. »Ich suche nach einem Typen namens Overholt«, entgegnete ich. Overholt
lächelte
fein.
Seine
Lippen
waren
aufgesprungen, als würde er sie zu oft mit der Zunge befeuchten. Er strich sich mit einer Hand übers Haar und legte sie zurück auf das Queue. »Der bin ich«, sagte er. »Gut. Ich habe gehört, Sie können Dinge besorgen, die
man sonst nirgends bekommt.« Ich wußte nicht mit absoluter Sicherheit, wovon ich sprach. »Das mag schon dann und wann der Fall gewesen sein.« Es klang wie das Eingeständnis einer Unart, die er sich nicht abgewöhnen konnte. »Ich würde gut bezahlen, wenn es jetzt der Fall wäre.« »Vielleicht.« Er musterte mich. »Ich muß Ihren Namen kennen und erfahren, wie Sie zu meinem gekommen sind. Ich muß Ihre Karte sehen.« Da nutzte dreistes Auftreten wenig. Ich konnte nur hoffen, daß er meinen Namen nicht von Phoneblum gehört hatte. Also warf ich meine Karte in den Lichtkegel der Lampe, wobei ich darauf achtete, die Bälle nicht zu berühren.
»Habe
einen
Kerl
namens
Phoneblum
kennengelernt«, sagte ich. »Er hat Sie mir empfohlen.« Overholt beugte sich vor und las meinen Namen. »Ein großer, fetter Mensch«, fuhr ich nervös fort. »Damit möchte ich ihm nicht nahetreten.« Overholt lächelte dünnlippig und steckte meine Karte ein. Ich machte mich darauf gefaßt, Reißaus zu nehmen. Wenn es darum ging, meinen Hals zu retten, konnte ich auch ohne Karte türmen
es befanden sich ohnedies nur
noch fünfundzwanzig Punkte darauf. »Er ist ein großer, fetter Mensch, keine Frage«, nickte Overholt. »Kommt nicht viel aus dem Haus.« Ein kurzes Schweigen folgte, während dessen ich jede Regung
Overholts
so
unauffällig möglich war.
eingehend
verfolgte,
wie
es
Er klopfte auf die Jackentasche, in der er meine Karte versenkt hatte. »Keine Angst«, sagte er. »Sie bekommen sie zurück. Nur eine Sicherheitsmaßnahme.« Plötzlich merkte ich, daß ich seit endloser Zeit den Atem anhielt, und blies ihn langsam aus. »Er meinte, Sie könnten mir helfen bei der Suche nach Blanketrol.« Er blickte hinüber zu dem Muskelpaket. Ich blickte auch hin, aber es gab nichts zu sehen. Dann wandte er das Gesicht wieder mir zu und sah mir zum erstenmal in die Augen. »Kann sein.« »Ich brauche es«, drängte ich. »Sie werden doch dieses Zeug nicht verwenden. Das ist eine ganz schlimme Sorte.« Die Sorge in seiner Stimme klang beinahe echt. »Meine Sache. Ich brauche es.« Er
seufzte.
»Dafür
müßte
ich
fünfhundert
Dollar
bekommen.« Ich lachte innerlich auf. Genau das war vom Inhalt des Umschlags, den Angwine mir in der Bar des Vistamont übergeben hatte, noch übrig. Irgendwie mutete es mich komisch an, es für die gleiche Droge auszugeben, die ich vor kurzem aus dem Wagenfenster in den Straßenstaub gekippt hatte. Es war mir ein Rätsel, weshalb es soviel kosten sollte, und ich fragte mich, ob ich mir mit den fünfhundert nicht mehr einhandelte als nur den Stoff. Aber diese Frage konnte ich nicht beantworten, ohne das Geld hinzulegen. Und was sollte ich mit dem neuen Päckchen Blanketrol
tun? Vielleicht war ich jetzt schon reif, es zu benutzen? »Kein Problem«, hörte ich mich sagen. »Okay«, nickte er. »Gehen wir nach oben. Ich muß einen Anruf tätigen.« Er reichte das Queue seinem monumentalen Partner, der nur leicht verdrießlich dreinsah. Er war zwar gerade dabei gewesen, das Match zu gewinnen, aber offenbar hatte er schon viele Partien Pool hinter sich
und
unzählige weitere warteten in der Zukunft. Das Geschäft ging vor. »Kommen Sie mit«, sagte Overholt. Er bog in den dunklen Korridor, der auf der anderen Seite des Tisches vom Billardzimmer wegführte, und ich folgte ihm. Wir gingen eine kurze Treppe hoch und kamen in ein kleines Rauchzimmer mit Fernseher, Telefon und einigen Sesseln. Er lud mich ein, Platz zu nehmen, und ich nahm Platz. »Das Geld«, erinnerte er mich. Ich holte es heraus. Er kontrollierte es und sagte: »Gut.« Ich fühlte mich dämlicher und dämlicher. Wie es aussah, kam ich auf keinen grünen Zweig. Eilig zerbrach ich mir den Kopf, was ich für meine fünfhundert Dollar noch herausschinden könnte, aber mir fiel nichts ein. Wie ein Automat war ich den unterschiedlichen Hinweisen gefolgt, um Theorien zu bestätigen, die völlig belanglos waren. Ich verschwendete nur meine Zeit. Gerade, als ich heftig werden und mein Geld und meine Karte zurückverlangen wollte, sprach Overholt wieder. »Sie ist da drinnen«, sagte er und zeigte auf die Tür. »Wenn es
nach Ihrem Geschmack ist, gibt s mehr davon.« Ich
wollte
nicht,
daß
Overholt
meine
Verwirrung
merkte, aber ich glaube, sie war wohl nicht zu übersehen. »Danny sagte Ihnen doch « »Aber ja«, versicherte ich ihm. »Danny sagte es mir.« Ich stand auf und ging durch die Tür. Ich stand in einem Schlafzimmer. Die schummrige Beleuchtung war nicht schummrig genug, und so blieben mir die angefaulten Bretter am unteren Rand der Wände nicht verborgen. Das ganze Loch stank nach Schimmel vermutlich tropfte das Wasser aus einem angeknacksten Leitungsrohr irgendwo ins Holz. Das Mädchen war bereits ausgezogen. Sie lag auf dem Bett, und als ich ins Zimmer trat, drehte sie sich um, lächelte und streckte mir die weißen Arme entgegen. Sie sah wirklich schön aus, aber ihre Bewegungen wirkten irgendwie unbeholfen. Ich hatte sofort ein schlechtes Gefühl. Also schloß ich die Tür hinter mir, ging zum Bett und wartete ab, bis sie die Arme um mich geschlungen hatte. Dann nahm ich ihr Gesicht zwischen meine Hände und hielt es fest, so daß ich ihr in die Augen sehen konnte. Sie lächelte
mit
ausdruckslos;
dem sie
Mund, blickten
aber zwar
die in
Augen
meine
waren
Richtung,
konzentrierten sich aber auf irgendeinen Punkt hinter mir auf jene Stelle ungefähr, wo ich eingetreten war. Ich wartete einen Moment, aber nichts änderte sich. Sie sah direkt durch mich hindurch. Und als ich mit einer Hand über ihren Hinterkopf strich, wußte ich, warum.
Die Sklavenkapsel verbarg sich in ihrem Haar
ein
kleines Bündel Drähte, die von den Implantaten nach außen
führten
und
mit
einem
Tropfen
Plastik
zusammengeklebt waren. Es schien ihr nicht weh zu tun, als ich die Kapsel berührte, aber als sie merkte, daß ich ihrem Körper keine Aufmerksamkeit schenkte, ließ sie die Arme von meinen Schultern rutschen und auf das Bett plumpsen. Die Vorgänge drangen bis zu ihr durch, bis zu diesem rein funktionellen Teil ihres Bewußtseins, aber es dauerte eine Weile. Doch so, wie sie ihre Tage verbrachte und wo sie sie verbrachte, war das wohl egal. Ich stieß sie zurück, und sie fiel auf den Rücken. Ich wollte
nichts
anderes
als
möglichst
schnell
hier
wegkommen, aber ich denke, ich hatte sie ein wenig heftiger gestoßen als beabsichtigt, und sie kicherte leise. Das
weckte
alte
Erinnerungen
in
mir,
bittere
und
unwillkürliche Erinnerungen, von denen ich gedacht hätte, sie wären längst Vergangenheit. Ich nehme an, eine nackte Frau auf einem Bett flachzulegen wird isolierte Handlung
auch als simple,
wohl immer ein sexuelles Element
enthalten: ein spielerisches, ein aggressives, oder beide. Und zwar unabhängig davon, wie lange es her ist seit dem letzten Mal. Ich richtete mich auf. Durch den Nebel aus Abscheu, der
mir
die
Sinne
trübte,
bekamen
gewisse
Dinge
unvermutet Hand und Fuß. Phoneblums Anspielungen auf die Sklavenlager paßten mit einemmal nahtlos in den Rest, und mir wurde klar, weshalb er auf ein gutes Verhältnis mit
dem
Büro
Wert
legen
mußte:
Er
benötigte
einen
rechtzeitigen Wink, wenn ein passabel aussehender Körper auf Eis gelegt wurde. Das Mädchen auf dem Bett war alles, was ich brauchte, um mir ein Bild davon zu machen, wie es funktionierte. Und mir fielen auch auf Anhieb ein Dutzend unerfreuliche
Gründe
ein,
weshalb
Phoneblum
die
gelegentlichen Dienste von ein, zwei Ärzten in Anspruch nehmen mochte. Ich öffnete die Tür und ging nach draußen, wo Overholt auf mich wartete. Er sah mich fragend, fast mitfühlend an. »Irgend etwas hat Ihnen nicht gefallen.« »Nein, nein«, widersprach ich. »Ist schon okay.« »Wir haben sie in allen Größen lagernd, verstehen Sie. Männer, Frauen, Gruppen. Jedes Alter. Nur immer raus mit der Sprache.« »Werd s mir merken.« »Wir sind immer für Sie da.« Er zog die Stirn in Dackelfalten; es ging ihm nahe. Ich war gerührt. »Okay«, sagte er nach einer Minute. »Hier.« Er reichte mir einen Briefumschlag, der zu flach war, um Drogen zu enthalten. »Bringen Sie das zur Mischerei Ecke Telegraph und 59. Straße. Sie werden dort erhalten, was Sie wünschen.« Ich stopfte den Umschlag in meine Jackentasche. »Wir wickeln die Drogengeschäfte nicht direkt ab«, erklärte er; ich hatte den Eindruck, er wollte gar nicht mehr aufhören zu reden. »Zu gefährlich. Außerdem ist das nur ein Nebenzweig unseres Unternehmens.«
»Verstehe.« »Okay.« Er trat hinter das kleine Tischchen, auf dem das Telefon stand und setzte sich. Anscheinend war er enttäuscht, daß ich nicht mehr Interesse an dem Mädchen oder an einer Unterhaltung mit ihm zeigte. Er hielt mir meine Karte hin. »Wir haben sie durch den Decoder laufen lassen«, sagte er. »Fünfundzwanzig ist wirklich wenig. Ich könnte Ihnen da behilflich sein « »Nein«, unterbrach ich ihn. »Vielen Dank, nein. Das würde nicht funktionieren. Das Büro sieht mir momentan genau auf die Finger. Man würde es dort merken.« Er grinste breit, wie ein Straßenhändler, dem sein Gehilfe soeben ein Stichwort geliefert hatte. »Sie verstehen nicht, Mister Metcalf. Das Karma, das wir verkaufen, ist von erster Güte. Die Behörde kann sich nicht daran stoßen. Ich habe einen direkten Draht.« Er brach ab. »Und, um ehrlich zu sein, Sie haben noch ein bißchen was gut bei uns.« Der kranke, irrationale Teil von mir, der immer noch vor Angst bibberte, wenn er daran dachte, wie tief sein Karma gesunken war, ließ mich zögern und überlegen. Aber ich brauchte nicht lange nachzudenken, um zu der Einsicht zu gelangen, daß es wirklich keinen Unterschied mehr machte. Overholt wußte nicht, wer ich war, sonst hätte er mir dieses Angebot gewiß nicht unterbreitet. »Ich weiß Ihren Vorschlag zu schätzen«, sagte ich und bemühte mich, ein klein wenig Verbindlichkeit in meine Stimme zu legen, damit er es sich nicht so zu Herzen
nahm. »Aber es würde in meinem Fall nicht funktionieren.« »Okay.« In einer Geste der Resignation warf er die Hände hoch, und ich bekam meine Karte zurück. Ich ließ ihn dort hinter dem Telefon sitzen und ging allein hinaus. Auf halbem Weg nach unten und außer Sicht blieb ich auf der Treppe stehen, lehnte mich an die Wand und schnappte nach Luft. Die Sache mit dem Mädchen hatte mich arg hergenommen. Der Gedanke an all die Dutzenden,
vielleicht
sogar
Hunderten
Leute,
die
Phoneblum sich aus dem Froster geholt hatte, ging mir weniger nahe als der Anblick dieses einen Mädchens mit dem leeren Lächeln und dem Klumpen aus Draht und Plastik im Haar, das mir in einem kalten, feuchten Zimmer die Arme entgegenstreckte und die Beine breitmachte. Ich wurde das Bild einfach nicht los, also ließ ich es eine Weile da, wo es war, und versuchte, mich daran zu gewöhnen. Nach einer Minute ging ich die restlichen Stufen hinab und durch das Hinterzimmer, wo der Muskelprotz zwischen Pooltisch und Wand herumlatschte. Er legte die Bälle für bestimmte Stöße auf und veränderte wiederholt ihre Stellung zueinander, wobei er mit Leichtigkeit drei davon in seinen großen, breiten Händen unterbrachte. Ich sah ihn an, und er grinste. Vermutlich war ich lange genug oben gewesen, so daß er annehmen konnte, ich hätte mit dem Mädchen eine schnelle Nummer geschoben. Ich gab mir alle Mühe, deswegen wütend zu werden, aber ich schaffte es nicht. Und so grinste ich zurück und ging weiter in die Bar.
In der Fickle Muse war alles weitergegangen wie bisher mit anderen Worten, die Luft war gesättigt mit dem einzigartigen Geruch von Männern, die Alkohol ausdünsten und Zigarrenrauch von sich geben. Die Musik war jetzt lauter, aber keineswegs flotter. Ich hätte gern einen Drink gehabt, aber es war so voll, daß ich nicht ohne Schieben und Drängeln bis zur Bar vorstoßen konnte, und das war s mir nicht wert. Eine Straße, die ich mir im Wagen auflegte, würde es auch tun. Als ich mir mit den Schultern einen Weg durch die Menge bahnte, hörte ich die Stimme des Barkeepers desjenigen, der die Hälfte meines Hunderters in der Tasche hatte. Ich drehte mich nicht um. Irgendwie fühlte ich mich nicht in der rechten Stimmung, um ihn auszuzahlen. Ich schätzte, er würde wohl ebenso lang brauchen wie ich, um sich durch das Gewühl zu kämpfen, und wenn es etwas gab in diesem Leben, das ich wirklich meisterlich beherrschte, dann war es das Starten eines Wagens in höchster Eile. Ich erreichte den Ausgang und stemmte mich mit vollem Gewicht dagegen, aber es stellte sich heraus, daß das gar nicht nötig gewesen wäre, denn es zog jemand anderer von draußen an der Tür, und ich fiel ihm beinahe in die Arme. Ich begann, meinem Gegenüber ein paar mürrische Schimpfworte an den Kopf zu werfen, als ich sah, wer es war. Grover Testafer stand vor mir wie ein ängstlicher, rotgesichtiger Tormann in Erwartung eines Elfmeters. Daran war an sich nichts Komisches, aber ich mußte ein Auflachen unterdrücken. Eine Sekunde darauf,
als das Känguruh hinter ihm auftauchte wie der Senf hinter dem
Würstchen,
da
konnte
beherrschen und wieherte los.
ich
mich
nicht
mehr
Kapitel 24 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Die beiden waren ein ziemlich spaßiges Paar. Offiziell war wohl Testafer der Boss, denke ich, aber als er mich sah, drehte er sich dennoch ratsuchend zu Joey um. Das Känguruh verzog nur die Schnauze. Ich hörte auf zu lachen und drängte mich zwischen den beiden durch, um rasch zu meinem Wagen zu kommen; aber schon während ich den Versuch machte, wußte ich, es würde nicht klappen. Und tatsächlich, noch ehe ich den Schlüssel im Schloß hatte, hörte ich bereits ihre Schritte hinter mir, und ein Schatten legte sich zwischen den Mond und sein Spiegelbild im Seitenfenster. »Hallo, Grover«, sagte ich, als ich mich umdrehte, aber es war Joey, der neben mir stand und wieder einmal die kleine schwarze Pistole in seiner Pfote hielt. »Hallo, Metcalf«, erwiderte Testafer mit schwacher Stimme. Er war einfach nicht gewöhnt an soviel geballte Aktivität, das merkte man. Er kam einen Schritt näher, blieb aber hinter dem Känguruh und seiner Waffe in Deckung. »Warum schicken Sie Joey nicht in die Wüste, damit wir plaudern können«, schlug ich vor. »Niemand schickt mich in die Wüste, Schwachkopf«, sagte Joey. »Ich komme und gehe, wie s mir paßt.«
»Schon gut«, sagte ich. »Nimm bloß die Knarre weg.« »Ich halte die Knarre für eine gute Idee, Metcalf«, sagte Testafer. »Sie sind gewalttätig.« »Das
Produkt
meiner
Zeit«,
entgegnete
ich
achselzuckend. »Wie es eben so ist.« Ich lehnte mich an den Wagen und steckte die Schlüssel wieder ein. Wenn wir uns eine Weile unterhalten sollten, wollte ich es bequem haben. Es war kühl im Freien, und die Luft war trocken. Keine Spur von Nebel. Noch nicht, jedenfalls. Ich hatte mich wieder von meinem Ausflug die Treppe hoch erholt. Ich hätte ganz gern eine Dosis geschnupft, aber ansonsten fühlte ich mich okay. »Wir suchen Celeste«, erklärte Testafer. »Wenn Sie wissen, wo sie ist, sollten Sie es uns besser sagen.« »Da drinnen ist sie jedenfalls nicht«, antwortete ich und deutete mit dem Kinn auf die Fickle Muse. So sicher versteckt hinter der Kanone des Känguruhs kam Testafer groß in Fahrt. »Vielleicht sollten Sie uns sagen, ob Sie ihr heute schon begegnet sind«, meinte er. »Und vielleicht sollten Sie uns auch verraten, was Sie da drinnen gesucht haben.« Er hatte sich einen Trick einfallen lassen, der es ihm erlaubte, Fragen zu stellen, ohne sein eigenes zartbesaitetes Feingefühl zu verletzen; ich nehme an, das schenkte ihm die prickelnde Illusion, über den Dingen zu stehen. »Vielleicht sollten Sie mir sagen, was Sie von ihr wollen«, entgegnete ich. »Ja, das, denke ich, sollten Sie tun.«
»Sie redet sich den Mund fusselig«, mischte sich das Känguruh ein. »Sie macht Ärger.« Joey ließ mich sein finsterstes Gesicht sehen und rückte die Kanone ein Stückchen dichter an mich heran, als würde schon der Umstand, daß er sie in der Pfote hielt, mich davon abhalten, Fragen zu stellen. Aber da irrte er sich. »Woher der Bammel?« fragte ich. »Oder ist es am Ende Phoneblum, der den Bammel hat und der euch beide an die Front schickt, damit ihr euch mit seinen Nöten herumschlagt?« In
diesem
Moment
kam
der
Barkeeper
aus
der
Eingangstür der Fickle Muse. Er brachte einen Kumpel mit, der ihn vergleichsweise schmalbrüstig aussehen ließ: den kraftstrotzenden Poolspieler aus dem Hinterzimmer. Nur wußte ich, daß auch der Barkeeper nicht schmalbrüstig war. Die beiden sahen sich kurz auf dem Parkplatz um und schritten dann geradewegs in die Richtung, in der ich stand und mit Testafer und dem Känguruh schwatzte. Sie bewegten sich im harmonischen Gleichklang, und ich hatte das Gefühl, daß sie nicht zum erstenmal im Verband agierten. Es war ohne Zweifel eine interessante Situation: Hier lehnten
Joey,
Grover
Gedankenaustausch
am
und
ich
Wagen,
für
einen
während
die
netten beiden
Schläger aus der Fickle Muse zielstrebig auf dem Schotter näher knirschten, um sich über uns drei herzumachen. Der Mond schien hell, aber Joeys Kanone war schwarz, und er hielt sie tief. In Wahrheit standen natürlich vier gegen
einen, aber die vier glaubten alle, es stünden zwei gegen drei, und der eine dachte nicht im Schlaf daran, die anderen aufzuklären. Testafer machte keinen glücklichen Eindruck. Er wußte nicht, sollte er sich hinter dem Känguruh und seiner Pistole verstecken (die von Sekunde zu Sekunde kleiner aussah) oder zu seinem Wagen flitzen. Er entschied sich für das erstere. Der Barkeeper schritt entschlossen an ihm und dem Känguruh vorbei und packte mich am Kragen. Ich stand
ja
praktischerweise
bereits
gegen
den
Wagen
gepreßt, und so brauchte er mich dort nur festzuhalten, als hätte er mich eigenhändig in diese Stellung gebracht. Sein Kollege stand hinter ihm wie ein Reserveset Schultern. »Hundert Mäuse sprechen sich aber rasch herum«, sagte ich. »Wie oft wollt ihr sie noch teilen?« Der Barkeeper drehte sich zu seinem Kumpel um. »Stopf dem Blindgänger mit seinen Fragen das Maul.« »Ich bin Inquisitor«, sagte ich und ließ den Teil mit der Privatlizenz unerwähnt. »Fragt doch Doktor Testafer hier. Er beantwortete mir gerade ein paar Fragen nach dem kleinen Zimmer im Oberstock. Und wie Overholt es anstellt, daß die Körper nicht zu faulen beginnen, wenn sie sich an den Zehen stoßen.« Der Barkeeper drehte sich um und starrte Testafer an. Ich nahm seine Pranken und half ihm, meinen Kragen loszulassen. anzusehen bemerken.
Er und
war
zu
über
ihn
beschäftigt
damit,
nachzudenken,
um
Testafer es
zu
»Ich habe Sie schon mal gesehen«, stellte er fest. »Sie kommen sonst immer mit dem Fettberg.« Testafer verschluckte fast seine Zunge. Er sah noch kleiner aus als Joeys Pistole. Ich hatte den Mann bereits in seiner gewohnten Umgebung erlebt
oben auf dem Hügel,
umgeben von plüschigen Möbeln und alten Zeitschriften und
einem
kleinen
Spezialmischung
Filigrankästchen
mit
seiner
, und dies hier stellte definitiv nicht
seine gewohnte Umgebung dar. Ich weiß nicht, wie Phoneblum ihn dazu gebracht hatte, das Känguruh zu begleiten und den Laufburschen zu spielen, aber er hatte ganz gewiß keine glückliche Hand damit bewiesen. Joey befand sich nicht so sehr außerhalb seines Milieus, aber auch er schien ein wenig aus der Fassung gebracht. Er stolperte rückwärts, fuchtelte mit der Kanone herum und wußte nicht, wohin er zielen sollte. Das Muskelpaket aus dem Billardzimmer pflanzte sich vor ihm auf hatte
ihm
sein
Instinkt
geraten,
das
offenbar
Problem
dort
anzupacken, wo die Knarre lauerte. Schlagartig fiel mir auf, daß ich soeben Augenzeuge eines Konflikts zwischen Leuten wurde, die alle im Grunde genommen für Phoneblum arbeiteten. Die Tatsache, daß sie einander nicht kannten, ließ darauf schließen, daß Phoneblums Position weniger sicher war, als er vorgab daß er seinen Busenfreunden hier in der Fickle Muse nicht eingestehen durfte, welchen Ärger er hatte mit Celeste, mit dem Büro und mit mir. Eine Menge amüsante Betrachtungen, aber ich konnte
es mir leider nicht leisten abzuwarten, ob und wie lange das Mißverständnis fortdauerte. Ich holte unauffällig die Autoschlüssel heraus und ging daran, hinter meinem Rücken die Wagentür aufzusperren. Die Situation gefiel Testafer definitiv nicht. Er sah das Känguruh an, Bedrängnis in den Augen. »Hat keinen Sinn«, sagte er. »Sie ist nicht da. Gehen wir.« Joey nickte. »Pfeifen Sie diese Gorillas zurück, Testafer. Sie sind doch bekannt hier, oder?« Er streckte die Hand mit der Waffe aus, aber die beiden Schlägertypen sahen nicht besonders beeindruckt drein. »Wir könnten ihm den Schädel einschlagen«, regte der Poolspieler an. »Vergiß das Känguruh«, sagte der Barkeeper, »hat nichts zu bestellen. Gib mir seine Kanone. Und dann hol Overholt. Ich will ihn zu Rate ziehen.« Der andere lachte auf. Selbst um sie als Einzelgegner in Betracht zu ziehen, waren er und der Barkeeper zu kräftig, doch gemeinsam genommen stellten sie zwei Hälften von etwas dar, über das man besser gar keinen Gedanken verschwendete. Der Billardspieler machte einen Schritt auf Joey zu und entwand ihm mit einem Griff die Pistole. Der arme Joey kannte die Regeln nicht. Er hatte die Kanone so lange geschwungen, ohne sie zu benutzen, daß keinerlei Gefahr mehr von ihr auszugehen schien. Mit der stumpfen Verblüffung eines Tiers blickte er auf seine leere Pfote, als wollte er ihr die Schuld geben, daß sie nicht abgedrückt hatte. Der Billardspieler gab die Waffe dem Barkeeper
weiter und wandte sich wieder Joey zu. Er packte ihn hart an den Schultern
wenn man es Schultern nennen konnte
und stieß ihn zu Boden, ehe er sich Richtung Bar trollte. Joey stand auf und klopfte sich den Staub von den Kleidern. Ich zog den halben Hunderter aus der Tasche und hielt ihn dem Barkeeper hin. »Da hast du, Mann«, sagte ich. »Gib nicht alles auf einmal aus.« Ich öffnete die Wagentür. Jetzt lag es am Barkeeper, mit der Kanone zu fuchteln. »Hierbleiben«, knurrte er. »Und jetzt stellt euch alle schön nebeneinander an den Wagen.« Joey war in Trance. Bemüht, den Anordnungen eiligst nachzukommen, drückten er und Testafer sich zwischen dem Barkeeper und mir vorbei, und da beschloß ich, ein wenig Unfrieden zu stiften. Ich nahm die beiden am Genick und beförderte sie mit Schwung auf die Knarre in der Hand des Barkeepers zu. Als der Staub sich legte, rappelten sich Joey und der Barkeeper hoch und rangelten um die Waffe. Testafer krabbelte flott auf allen vieren hinter einen abgestellten Wagen. Ich konnte mich nicht entscheiden, wem ich den Sieg gönnte, also lehnte ich mich an die Wagentür, um in Ruhe den Kampf zu genießen. Der Barkeeper hieb Joey die Kanone aus der Hand, aber das war nur auf den ersten Blick eine gute Idee, denn es gab dem Känguruh die Chance, seinen großen Fuß ins Spiel zu bringen. Ich hatte beinahe das Bedürfnis wegzusehen, denn ich wußte, was gleich passieren würde, und nach dem Gesichtsausdruck des Barkeepers zu urteilen, wußte er es
auch. Die Zeit schien stillzustehen, während er gebückt nach der Waffe tastete
für mich sah es so aus, als wollte
er zwei nasse Stöckchen aneinanderreihen, um mit einem Kerl fertigzuwerden, der einen Flammenwerfer auf ihn richtete. Noch ehe die Pistole sich von dem Schotter löste, auf dem sie gelandet war, versetzte das Känguruh der Magengrube des Barkeepers eine Serie kurzer, harter und vernichtender Schläge. Der Koloß kippte nach vorn, packte das Bein des Känguruhs, um sich daran festzuhalten, und fiel flach hin, als es weggezogen wurde. Er sah beinahe klein aus, als er so eingerollt auf dem Boden lag. Die Nacht deckte ihn zu, als wäre sie fertig mit ihm. Es war eine ziemlich eindrucksvolle Bestätigung für Joeys Herkunft aus dem Tierreich. Und ich hatte keine Lust, mir den zweiten Akt anzuschauen. Also stieg ich in den Wagen und steckte flink den Schlüssel ins Startschloß. Bedauerlicherweise war Joey noch nicht fertig mit mir. Er griff nach der Knarre, die neben der zuckenden Gestalt auf dem Boden lag, und ließ einen Schuß los, der die Windschutzscheibe
vor
meiner
Nase
zersplitterte.
»Aussteigen«, krächzte er. Ich nahm die Hände vom Lenkrad, ließ aber den Motor laufen. »Tu die Waffe weg, Joey.« »Denkste, Flachgesicht.« Er verzog die Schnauze zu einem
höhnischen
Grinsen.
»Jetzt
reicht s
mir.
Aussteigen.« Ich seufzte und stieg wieder aus. Der Barkeeper lag jetzt reglos auf dem Schotter, und Testafer hatte sich
längst verkrümelt, also waren es nur wir beide, ich und das Känguruh, die einander in der Dunkelheit des Parkplatzes gegenüberstanden. Die Lichter und die Musik in der Fickle Muse schienen unendlich weit weg. Joey atmete schwer und
hatte
einen
aufgerissenen
irrlichternden
Augen.
Das
Blick
geborstene
in
den
Glas
weit
meiner
Windschutzscheibe nahm ich als Beweis dafür, daß ihm wiederum eingefallen war, wie man einen Abzug betätigt. »Okay, Joey«, sagte ich. »Es ist deine Vorstellung. Aber wenn du dich nicht sputest, könntest du unerwünschte Zuschauer kriegen.« Ich deutete mit dem Kinn auf die Leuchtschrift der Bar. Ich konnte es gar nicht glauben: Er schnappte den Köder und sah hin. Das war der letzte Pinselstrich, der das Bild des Känguruhs als blutiger Dilettant vollendete. Ich löste den Clip des Antigravstiftes aus meiner Hemdtasche und schubste den Stift vorsichtig in die Höhe von Joeys Augen. Als das Känguruh sich zurückdrehte und den Stift in der Luft zwischen uns beiden erblickte, kalkulierte es wohl instinktiv seine Flugbahn
basierend auf einem Gewicht,
das der Stift nicht hatte
und schlug mit seiner freien
Hand danach. Der Stift stieg hoch und traf Joey mitten ins Auge. Es gelang ihm noch, einen Schuß abzugeben,
bevor
meine
rechte
Faust
satt
ins Blaue auf
der
Unterseite seines Kiefers landete. Es war ein so solider Treffer, daß ich ihn fast bereute. Meine Hand war augenblicklich nutzlos. Aber ich hatte nicht die Zeit, über meine mitgenommenen Knöchel Tränen zu
vergießen, und so legte ich die kaputte Hand um seinen Nacken und hielt ihn fest, damit ich seine Nase mit der noch funktionstüchtigen Linken bearbeiten konnte. Ich landete ungefähr drei Volltreffer, ehe ich beide Hände schlaff herabhängen lassen mußte, aber da sah Joey auch nicht mehr so großartig aus. Zwischen seiner Schnauze und meinen Fingern spannten sich ein paar glitzernde Fäden Spucke; die Knarre war immer noch in seiner Pfote, aber als ich mit dem Knie dagegenstieß, verschwendete er keinen einzigen Blick, um herauszufinden, wohin sie fiel. Von unserer letzten Keilerei wußte ich noch, daß es ein sinnloses Unterfangen war, ein Känguruh zum Umfallen bringen zu wollen. Also kickte ich die Pistole unter einen Wagen, packte meinen Stift ein und ließ Joey schwankend auf seinen großen Füßen zurück. Die beiden Schüsse lockten erneut den Billardspieler und ein paar andere Kerle aus der Fickle Muse hervor, was ich als Fingerzeig des Schicksals betrachtete, mich in meinen Wagen zu verziehen. Mit meinen Händen war zwar nicht viel anzufangen, aber ich schaffte es gerade noch, den
Rückwärtsgang
Bewegung
zu
einzulegen
setzen,
als
die
und
den
Vorhut
Wagen an
in
meinem
Seitenfenster auftauchte. Ich ließ die Räder auf dem Schotter kreisen, um die Ausfahrt zur Straße zu erwischen, und konnte im Rückspiegel einen letzten Blick auf den Schauplatz der Handlung werfen, ehe ich wegfuhr. Der Barkeeper hatte sich auf ein Knie erhoben; irgend jemand fischte unter einem Wagen nach der Kanone. Ich konnte
sogar
Testafers
rotes
Gesicht
zwischen
zwei
Autos
entdecken. Sie sahen aus wie eine Schar Puppen oder Marionetten, die mitten in schwärzester Nacht irgendein idiotisches Possenspiel aufführten. Ich trat das Gaspedal bis
zum
Boden
durch
und
verließ
die
Szene
mit
quietschenden Reifen, ehe noch jemand die Knarre in die Hand bekam und anfing, wiederum in meine Richtung zu ballern. Nach ein paar Minuten bog ich in eine fremde Zufahrt ein und schaltete die Scheinwerfer aus. Niemand folgte mir. Ich verschränkte die Hände, was einige Zeit und Mühe kostete, und spannte sie an, bis die Knöchel knacksend in ihre Originalstellung zurückschnappten. Beinahe hätte ich aufgebrüllt vor Schmerz. Als ich wieder in der Lage war, meine Finger zu gebrauchen, legte ich mir ein wenig Stoff auf dem flachen Teil des Armaturenbrettes auf. Es folgte die trostlose Wartezeit, bis die Droge den Weg in meinen Blutkreislauf
fand,
aber
dann
verflüchtigte
sich
der
Schmerz. Ich wartete noch ein Weilchen, und als mein Herz aufgehört hatte, wie wild zu hämmern, fuhr ich weiter, die Straße hinab zu meinem Büro.
Kapitel 25 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Kaum war ich durch die Drehtür in die Eingangshalle meines Bürogebäudes getreten, als Catherine Teleprompter aus einer dunklen Ecke auftauchte und mich am Arm nahm. Sie trug das Haar wieder offen
ich erwähne das,
weil es das erste war, was ich bemerkte. Sie zog mich zurück in das Dunkel, aus dem sie getreten war, und legte den Finger über die Lippen. Ich lächelte und tat das gleiche. Meinen Händen tat das Hochheben ohnedies gut. Catherine brachte ihren Mund dicht an mein Ohr und begann zu flüstern. Aber ich hatte Schwierigkeiten, mich auf etwas anderes zu konzentrieren als auf ihren warmen Atem auf meiner Haut. »Sie sind oben!« sagte sie. »Dann werden sie wohl mit mir reden wollen«, flüsterte ich zurück. »Kornfeld
hat
Ihre
Datei
aus
dem
Computer
genommen, ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat.« Ich
drehte
mich
so,
daß
sie
in
der
schwachen
Beleuchtung der Halle mein Lächeln sehen konnte. »Zu meiner Zeit«, antwortete ich, »war das das Ende der Straße.« Ich lachte lautlos. »Aber das sagt nichts. Meine Zeit ist schon seit langem dahin.« Catherine antwortete nicht. Sie hielt meinen Arm immer
noch fest, und ich hütete mich, ihn ihr zu entwinden. Ich hoffte nur, sie würde nicht versuchen, nach meiner Hand zu greifen. »Ich möchte nicht, daß Sie hinaufgehen«, wisperte sie schließlich. »Okay«, sagte ich. »Aber ich möchte mit Ihnen reden. Natürlich nur, wenn Sie meinen, Sie könnten es sich leisten, dieses Gespräch mit mir zu führen. Letztes Mal waren Sie sich dessen nicht so sicher.« Das ganze Gewicht der weitläufigen verschnörkelten Decke der Eingangshalle schien auf uns zu lasten, wie wir uns so in diesen finsteren Winkel preßten. Es war absolut still im Haus, aber ich konnte Kornfeld spüren, oder wer immer in meinem Büro auf mich wartete. Nicht nur das ich konnte sie quer durch die ganze Stadt spüren, wie sie auch
im
Wohnzimmer
meines
Apartments
auf
mich
warteten! Nun war es also soweit. Ich hätte mich gern zusammen
mit
Catherine
Teleprompter
irgendwohin
verdrückt, bloß gab es nichts, wohin ich mich hätte verdrücken können. Also schlug ich vor, das Gespräch in meinem Wagen zu führen. »Besser in meinem«, sagte sie. »Da kann ich Kornfeld über Funk abhören.« Ich erklärte mich einverstanden und folgte ihr hinaus zum Wagen. Sie setzte sich hinter das Lenkrad und machte sich
am
Funkgerät
zu
schaffen,
bis
der
Empfang
zufriedenstellend war. Die Stimme aus dem Büro leierte
ohne Unterlaß Codezahlen und Koordinaten herunter und weckte in mir alte Erinnerungen an lange Nächte im Dienstwagen, allein oder zusammen mit einem Partner, als ich noch genau gewußt und darauf geachtet hatte, was die Stimmen aus dem Gerät sagten. Jetzt nicht mehr. Ich wußte, jetzt konnte ich in Catherines Wagen sitzen, so lang ich wollte, und es wäre mir völlig schnuppe. Außer vielleicht, wenn sie meinen Namen durchsagten
und dann
nur vielleicht. Ich hielt mein Bein gegen die Beifahrertür gelehnt, so daß die Deckenbeleuchtung anblieb, aber ich sah Catherine nicht an. Ich war Millionen Meilen weit weg. Bei der Heimfahrt von der Fickle Muse hatte das geborstene Glas der
durchschossenen
Windschutzscheibe
mein
Bild
hunderttausendfach reflektiert, und nun, in Catherines Wagen, war ich wiederum zu einem einzigen Ganzen geworden
zu
einem
Ganzen,
das
sich
über
die
gekrümmte Plexiglasscheibe des Dienstwagens hinzog, so daß ich aussah wie ein Sumo-Ringer. Oder Phoneblum. »Sagen Sie mir, was Sie davon halten«, sagte ich leise nach einer Weile. »Ich denke, in ein paar Tagen könnten sich die Wolken wieder ein wenig verzogen haben«, antwortete sie. »Aber bis dahin möchte ich nicht in Ihren Schuhen stecken. Da wäre ich lieber irgendwo anders
oder jemand anderer.
Kornfeld kann Sie nicht leiden.« »Das habe ich mir auch schon gedacht.« »Es hat keinen Sinn weiterzumachen, das wissen Sie.
Angwine
liegt
auf
Eis.
Morgenlander
wurde
wieder
abberufen. Der Fall ist abgeschlossen.« »Der Fall ist abgeschlossen. Wie einfach sich das sagt. Das Mantra des Inquisitors: Der Fall ist abgeschlossen. Der Fall ist abgeschlossen.« Sie lachte beinahe. »Wie haben Sie es nur einen einzigen Tag lang im Büro ausgehalten?« »Einer von uns beiden hat sich seit damals verändert. Ich oder das Büro. Bin noch nicht draufgekommen, wer.« »Ich denke, das waren Sie.« Ich drehte mich herum und sah sie an. Sie saß etwas seitlich hinter dem Lenkrad, und mir wurde klar, daß sie mich die ganze Zeit über fixiert haben mußte. Und nun hatte ich keine andere Wahl, als ihr in die Augen zu sehen. Ich nahm meinen Fuß von der Tür weg, damit das Licht ausging, was das Problem für den Moment löste. Ich wollte keine Entscheidung treffen, was den Blickkontakt zwischen uns betraf; ich wollte sie hinausschieben. »Sie sind doch mit Kornfeld unterwegs gewesen«, sagte ich. »Da müssen Sie ja einigermaßen Einblick in den Fall haben.« Meine
Augen
gewöhnten
sich
langsam
an
die
Dunkelheit. Licht von der Straßenbeleuchtung fiel schwach durch die Scheiben und auf Catherines Hals und ließ ihn weiß gegen den schwarzen Hintergrund ihres Haares hervortreten. Ich sah, wie sich ihre Kehle bewegte, während sie eine Antwort überlegte, aber es kam nichts. Außer, so ahnte ich, der süße, warme Hauch, den ich vor
ein paar Minuten auf dem Ohr gespürt hatte. Ich seufzte. »Okay, Catherine. Betrachten Sie es so, wenn Sie nicht allzuviel darüber lachen müssen. Betrachten Sie mich als das Gewissen des Büros, als das winzige, unstete Molekül von Gewissen, das sich losgerissen hat und nicht
mehr
einfangen
läßt,
selbst
wenn
der
Fall
abgeschlossen ist und die Angelegenheit brenzlig wird. Ich bin Ihre große Chance, Catherine. Werden Sie es los. Sagen Sie mir, was Sie über den Fall wissen. Dann können Sie ihn vergessen. Sie können sogar vergessen, daß Sie mir gesagt haben, was Sie wissen. Sie werden sicher besser schlafen, hinterher.« Wir waren wieder still. Ich konnte die kleinen Fältchen auf ihrer Stirn erkennen, und die Angespanntheit in den Mundwinkeln. Es war eine Rede, die ich schon einmal gehalten hatte, an die ich sogar geglaubt hatte. Wie auch immer, es schien, als hätten meine Worte an etwas in ihrem Innern gerührt. Als sie wieder sprach, wirkte ihre Stimme tiefer, weniger spröde; es klang, als würde sie in Hypnose sprechen, direkt aus einem wahreren, echteren Selbst heraus. »Es macht mir nichts aus, wenn Sie mir Fragen stellen«, sagte sie. »Versuchen Sie herauszufinden, was Sie wissen müssen.« Ich sah sie an, aber ihre Augen waren hart. Konnte durchaus sein, daß ich meinen Fall auf Kosten dessen voranbrachte, was zwischen uns in der Luft lag. »Okay«, begann ich. »Vorab: Wie sehen die Beweise
gegen Angwine aus? Was stand in dem Brief, der gefunden wurde?« »Ich habe den Brief nur einmal zu Gesicht bekommen. Ich bin erst gestern zu diesem Fall gestoßen, und ich mußte mich durch eine Menge Material hindurchlesen, um auf dem laufenden zu sein. Mein Eindruck ist der, daß Angwine Geld wollte, für sich und seine Schwester. Er wurde
selbstgerecht
und
beschuldigte
Stanhunt
moralischer Verfehlungen. Angwine betrachtete sich als Vertreter der Interessen seiner Schwester und ihres Kindes gegen Stanhunt, und als Celeste zu ihnen ins Haus zog, nahm er sich auch ihrer Klagen an. Stanhunts übermäßiger Drogengenuß war Angwine ein Greuel, und er beschuldigte ihn, sich heimlich mit einer Frau zu treffen.« »Ich habe für Stanhunt gearbeitet. Er hatte kein Verhältnis. Er wollte Celeste zurück.« »Wir sind ziemlich sicher, daß er sich im Bayview-Motel mit einer Frau getroffen hat.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe selbst hinter Celeste hergeschnüffelt, und sie war es, die ein Verhältnis hatte! Sie können einen anderen P.I. namens Walter Surface fragen. Er sagt, er hat sogar einmal ihren Liebhaber gesehen.
Maynard
genommen,
um
Konfrontation Ehemann
ein
Stanhunt Auge
zwischen
hat auf
Liebhaber
dort
sie
ein
zu
und
Zimmer
haben.
Eine
eifersüchtigem
das ist ein besseres Motiv, als irgend etwas,
das man gegen Angwine vorbringen könnte.« Sie seufzte. »Hören Sie. Ich kann nicht mehr tun, als
Ihnen
unsere
stichhaltigen
Beweise
darzulegen.
Ihr
Material paßt da überhaupt nicht hinein.« »Aber was sind Ihre stichhaltigen Beweise? Ich komme immer noch nicht mit.« »Angwine drohte Stanhunt in dem Brief, er würde ihm nachspionieren. Gab ihm zu verstehen, daß er Stanhunts Seitensprung widerwärtig fand, wer immer die Frau auch war. Gut. Also folgt Angwine Stanhunt zum Bayview-Motel und entdeckt, daß die fragliche Frau seine Schwester ist. Sie hat es Angwine verschwiegen. Aber es ist nicht das erstemal, denn so ist sie zu ihrem Kind gekommen, und vielleicht ist die Flamme nie erloschen. Angwine verliert den Verstand und bringt Stanhunt um. Das erklärt alles, einschließlich der Tatsache, daß Pansy wenig Neigung zeigt, sich vor ihren Bruder zu stellen.« Ich muß zugeben, das ließ mich schlagartig erstarren. Es war die erste logisch anmutende Erklärung, die ich bislang gehört hatte, und das schloß auch alles ein, was ich in meinem Hirn zusammengeflickt hatte. Ich hätte es gern geglaubt, nur hing ich zu sehr an meiner Theorie, daß Celeste und nicht Pansy die Mutter des Babykopfs war. Und außerdem war Angwine unschuldig. Er hatte mir zwar nicht ganz die reine Wahrheit eingeschenkt, aber den Mord hatte er nicht begangen. Darauf hätte ich mein Leben verwettet. Teufel auch, das hatte ich ja bereits getan »Und was ist mit dem Schaf?« fragte ich. Sie
wurde
sarkastisch.
»Außer
Angwines
Fingerabdrücken in sämtlichen Blutflecken haben wir nicht
viel. Vielleicht können Sie ihn wenigstens von diesem Verdacht reinwaschen.« »Er ist da hineingestolpert, als er zu mir zurückgerannt kam«, sagte ich; selbst mir fiel auf, daß es lahm klang. »Er hat es nicht getan, Catherine. Mein Wort darauf. Es ist zu einfach.« »Manchmal ist das einfache das richtige. Herr im Himmel, Metcalf! Was tue ich bloß! Ich sollte Sie aus dem Verkehr ziehen oder meinetwegen auch laufen lassen, aber doch nicht hier sitzen und Ihnen Munition für Ihre idiotische, eigensinnige Privatinquisition liefern!« Sie sah mich
mit gerunzelter Stirn
an. Ȇberlassen Sie die
Entscheidung im übrigen mir, ja? Sie verfolgen Ihre Spur, ich die meine. Ich sagte, Sie können mir Fragen stellen, aber das ist auch schon alles. Wickeln Sie mich nicht ein in Ihre krausen Theorien!« Gekränkt wandte ich mich ab; ich ärgerte mich über mich selbst. Mit fünfundzwanzig Punkten Karma auf der Karte saß ich da und unterhielt mich angeregt mit einem Inquisitor. Kurzdefinition eines Narren. »Verzeihung«, sagte ich. »Ich werde mich bemühen, etwas professioneller zu sein. Was wissen Sie über einen Kerl namens Phoneblum?« »Den Namen kenne ich nicht.« Ich überlegte, die Wagentür wieder aufzustemmen, um ihr in die Augen sehen zu können, ließ es dann aber doch sein. »Er steckt bis zu seinem fetten Hals in diesem Fall. Kornfeld kannte den Namen jedenfalls. Hat mich zwanzig
Punkte gekostet, ihn in seiner Gegenwart zu erwähnen. Ich hatte das Gefühl, er wollte Morgenlander vor etwas schützen.« »Morgenlander war ein Clown«, stellte sie fest. »Feuerte immerzu aus allen Rohren. Hörte nicht auf, Eingaben an die Direktion des Büros zu machen. Legte jedes Wort auf die Goldwaage.« Ich
stützte
Armaturenbrett,
mich
mit
was
mich
den daran
Händen
gegen
erinnerte,
daß
das sie
schmerzten. »Morgenlander dachte, es wäre mehr dran an dem Fall«, sagte ich. »Er bemühte sich zu verhindern, daß er zu den Akten gelegt wurde.« »Ich weiß. Er hatte ja auch Erfolg damit, bis die Sache mit dem Schaf passierte.« »Schlimm, schlimm.« »Schlimm für Sie, denke ich.« Ich lachte leise. »Sie vergessen, daß Morgenlander mir das Leben nicht unbedingt erleichterte. Nannte mich immer Schwachkopf. Ich glaube nicht, daß er mich als Gewinn für seine Untersuchungen ansah.« Sie schwieg. Vermutlich wartete sie darauf, daß mir die Fragen ausgingen. »Wo sollten Sie eigentlich in diesem Moment sein?« erkundigte
ich
mich.
»Beim
Überwachen
der
Eingangshalle?« »Ich bin nicht im Dienst.« Es hätte ermutigend klingen können, dafür sagte sie es aber zu neutral. Ich hätte sie bei diesem Fall gern auf meiner Seite gehabt, und wenn ich
an der Oberfläche meiner Empfindungen kratzte vor dem ich mich sonst hüte
etwas,
, hätte ich gern noch viel
mehr gehabt. Aber das war nicht drin. Sie spürte meinen Wunsch nach ihrem beruflichen Beistand, und das machte sie nervös. Falls sie meine übrigen Wünsche spürte, so behielt sie ihre diesbezüglichen Gefühle bei sich. Plötzlich erregte etwas in dem monotonen Geratter, das aus dem Lautsprecher quoll, meine Aufmerksamkeit. Ich dachte, ich hätte den Namen Stanhunt vernommen. Auch Catherine mußte das gedacht haben, denn sie drehte die Lautstärke höher, und wir hörten beide schweigend zu. Die Stimme gab die Adresse des Sexclubs in der Stadt durch und sagte etwas von einem Mord ohne Verdächtigen oder von einem Verdächtigen ohne Mord. Ich hörte eine Weile hin, aber die Stimme schweifte zu anderen Dingen ab, ehe sie zu den dramatischen Vorgängen in dem Sexclub zurückkehrte, ohne ihn jedoch noch einmal beim Namen zu nennen. Ich sah Catherine im selben Moment an, als sie mich ansah. »Vielleicht sollten wir einen Blick hinwerfen«, schlug ich vor. »Vielleicht sollte ich einen Blick hinwerfen«, entgegnete sie. »Sie sollten sich bis auf weiteres aus der Sache raushalten, das wissen Sie.« Ich lächelte. »Ich würde bloß in meinen eigenen Wagen steigen und hinfahren. Wäre nur Treibstoffverschwendung. Sie können mich genausogut mitnehmen.« Sie seufzte und drehte den Startschlüssel. Auf der
ganzen Fahrt redeten wir kein Wort. Das gab mir die Möglichkeit,
mir
vorzustellen,
wir
wären
zwei
gewöhnliche Leute zusammen in einem Wagen
ganz aus
keinem besonderen Grund, außer, daß uns das gefiel; und wir würden in ein Restaurant oder in ein Kino fahren, vielleicht sogar aufs Land für eine hübsche Nacht zu zweit. So weit hergeholt war das doch gar nicht, oder? Ich schloß die Augen und ließ mich von dieser Vorstellung einlullen, während sie fuhr, doch ich wurde ziemlich heftig aus meinen Träumen gerissen, als wir vor dem Sexclub in die Sirenen und Scheinwerfer der Inquisition eintauchten und anhielten.
Kapitel 26 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Ich folgte Catherine durch alle Absperrungen, ohne auch nur ein einziges Mal meine Lizenz zücken zu müssen und ohne daß
mir jemand Fragen stellte, die
ich nicht
beantworten konnte. Und nur ein paar Worte mit dem Inquisitor vor der Tür zum Mordzimmer waren notwendig, um
uns
Eintritt
Etablissement, Rüstzeug
in
zu
verschaffen.
dem
man
Der
sowohl
Club das
war
ein
gewünschte
schwarze Ledersachen, Ketten, elektronische
Sicherheitsvorrichtungen
mieten konnte, wie auch das
entsprechende schalldichte Zimmer zu seiner Anwendung. Dazu hatte man die Gewähr, daß in den Mauern des Clubs alles erlaubt war, solange ihn nur beide Parteien mehr oder weniger lebendig wieder verließen. Genau das war hier nicht der Fall gewesen, und der Inquisitor an der Tür ließ uns wissen, daß die Person, bei der es nicht der Fall gewesen war, Celeste Stanhunt hieß. Ich trat hinter Catherine ein, aber sie hatte nur ein, zwei Schritte getan, als sie sich mit gesenktem Kopf und der Hand über dem Gesicht wieder umwandte und hastig hinausging. Worauf sich außer einem kleinen Stück leeren Bodens nichts mehr zwischen mir und dem blutigen Haufen befand, der einst Celeste Stanhunt gewesen war. Meine Schuhe waren schon mit Blut getränkt, noch ehe ich
dazukam, mir zu überlegen, wie ich das vermeiden konnte. Jemand hatte bei Celeste von unten angefangen, was bei gewissen Dingen nicht schadet, doch dann hatte er weitergemacht, und zwar bis weit über einen Punkt hinaus, an dem es angebracht gewesen wäre aufzuhören. Er hatte eine fürchterliche Schweinerei angerichtet. Ich kann es nicht anders ausdrücken, auch wenn es gefühlskalt klingt. Celeste trug keinerlei Kleidung, aber ich mußte auf meine Erinnerungen
als
Schnüffler
an
ihrem
Fenster
zurückgreifen, um zu wissen, wie sie nackt aussah, denn aus dem Anblick, den sie jetzt bot, hätte man das nicht beurteilen können. Ich stand da wie angewurzelt, sah auf sie hinab und dachte nach und fühlte anfangs gar nichts, aber dann überkam es mich; und es überkam mich heftig. Mir wurde nicht übel, wie es Catherine ergangen war bei mir schon vor langer Zeit gelegt
das hat sich
, aber ansonsten
verspürte ich so ziemlich alles Denkbare. Ich fing an, in meinen Ärmel zu schluchzen, seit Jahren das erstemal, daß ich weinte. Es verging bald wieder, aber hinterher hatte ich das Gefühl, mein Gesicht wäre ein wunder Babypopo mit überfälligem Windelwechsel. Ich ertrug es nicht mehr, den Leichnam anzusehen. Also drückte ich mich schrittweise rückwärts aus der Tür, an dem Inquisitor vorbei bis zu einer Wand, an die ich mich lehnen konnte. Ich schloß die Augen, aber das Bild wollte nicht vergehen. Mein Versuch, die Fassung wiederzuerlangen, wurde von
einer
wohlbekannten,
wenngleich
unerwarteten
Stimme unterbrochen. »Ist ne Finte«, sagte Morgenlander. Ich öffnete die Augen. Er sprach zu Catherine und dem Inquisitor an der Tür. »Wir sollen glauben, daß sie vergessen hat, ihren Todeswächter einzuschalten«, fuhr er fort, »aber ich für mein Teil laß mir nichts vormachen.« Der alte Morgenlander, mit seinem Kugelkopf und der schwarz aussehenden Zunge und ebensolchen Zähnen! Ich war sicher, er würde irgendwas Dummes von sich geben, sobald er mich erblickte, aber in gewisser Weise war ich froh, ihn zu sehen. Als Mensch war er ein armseliges Exemplar, aber als Inquisitor wirkte er gar nicht so übel. Wenn man Kornfeld als roboterhafte Vision des Büros der Zukunft nahm, dann war Morgenlander im Gegensatz dazu ein Relikt aus der Vergangenheit. Er repräsentierte die menschliche Seite, auf Teufel komm raus. »Sie können ja einen Bericht schreiben«, sagte der Inquisitor, der uns ins Zimmer gelassen hatte. »Können Sie vergessen«, erwiderte Morgenlander. »Ich war doch nicht hier.« »Ich verstehe«, sagte der Inquisitor. Die Kerle von der Beweisaufnahme drängten sich auf dem Weg zum Schauplatz des Verbrechens durch den Korridor. Meine guten Wünsche begleiteten sie. Als sie vorbei waren, fiel Morgenlanders Auge auf mich, und seine Gesichtszüge
verzerrten
sich
zu
einer
angeekelten
Grimasse. Wobei sie keinen langen Weg zurückzulegen hatten.
»Ich glaub s einfach nicht«, sagte er. »Die Fliege in der Suppe. Wo kommen Sie denn her?« »Hallo, Morgenlander.« Noch war ich nicht in der Verfassung für eine originelle Retourkutsche. »Es
überrascht
mich,
daß
Sie
immer
noch
frei
herumrennen, Metcalf. Hab ich Ihnen nicht genug Karma berechnet?« »Mehr als genug, danke schön. Ich dachte, Sie arbeiten nicht mehr an diesem Fall?« »Der Fall ist abgeschlossen. Gehen Sie heim, Metcalf. Seien Sie ein kluges Kind.« »Der »Angwine
Fall hat
war doch
abgeschlossen«, nicht
auch
entgegnete Celeste
ich.
Stanhunt
umgebracht, oder?« Morgenlander stand schweigend vor mir in seinem schlabbrigen, schmuddeligen Anzug und starrte mich an, als wäre das, was ich soeben gesagt hatte, nicht ganz so selbstverständlich gewesen, wie es klang. Er bewegte seinen Unterkiefer vor und zurück; offenbar wollte er mit der Zunge den Gaumen glattschleifen. Dann schüttelte er die Ärmel seiner Jacke aus, wie er es damals in meinem Büro getan hatte, als ich ihm zum erstenmal begegnet war. »Okay, Metcalf. Gehen wir auf ein Schwätzchen.
Teleprompter,
kommen
Sie
mit
Ihrem
Kumpel hier nach unten. Ich brauche ihn, um ihn mit ein paar Ideen zu bombardieren. Wollen mal sehen, ob sie Löcher in ihn schießen oder bloß Kerben hinterlassen.« So gingen wir alle hinunter, Morgenlander voran; mit
eingezogenem Kopf und den Händen in den Hosentaschen pflügte er durch die Rudel von Inquisitoren. Als wir ins Freie kamen, war es ruhiger geworden. Etliche Fahrzeuge fehlten jetzt, und die Straße war wieder für den Verkehr freigegeben. Aber irgend jemand hielt es offenbar immer noch für nötig, das Rotlicht auf einem Wagendach rotieren zu lassen, und als Morgenlander auf dem
Gehsteig
stehenblieb und sich zu mir und Catherine umdrehte, wurde sein Gesicht in eine Serie roter Masken verwandelt, die
ununterbrochen
aufleuchteten
und
erloschen.
Vermutlich war ich immer noch in ziemlich schlechter Verfassung,
denn
die
Sache
hatte
eine
hypnotische
Wirkung auf mich. Ich merkte gar nicht, wovon der Mann sprach, bis er schon mittendrin war. »Celeste hat zweimal versucht, mich anzurufen«, sagte er
soeben.
»Verdammt,
wollte
keine
Nachricht
hinterlassen. Und vom Büro habe ich es erst vor einer Stunde erfahren, ungefähr zu dem Zeitpunkt, als sie aufgeschlitzt wurde.« Er seufzte. »Ich sagte ihnen noch, sie sollten ihr einen Schatten anhängen. Diese Arschgeige Kornfeld.« »Gestern abend sagte sie mir, sie hätte Angst«, erklärte ich. »Sie hielt Angwine nicht für den Mörder. Das war es, was sie Ihnen sagen wollte, falls sie Sie erreicht hätte.« Morgenlander verzog den Mund. »Damit hielt sie aber hinterm Berg, als sie Gelegenheit hatte, es mir zu sagen.« »Sie änderte häufig ihre Einstellung.«
Er kaute eine Weile in seinem Mund herum und spuckte dann in den Rinnstein. »Beschissener Fall«, kommentierte er. »Der
Fall
ist
abgeschlossen.«
Einmal,
nur
ein
»Wo
ist
einzigesmal wollte ich der erste sein, der es sagt. Morgenlander
wandte
sich
an
Catherine.
Kornarsch jetzt?« fragte er. »Keine Ahnung«, antwortete sie. »Weiß
er,
daß
Sie
mit
diesem
Amateurdetektiv
herumziehen?« Er zeigte mit dem Daumen auf mich; gerade, daß er ihn mir nicht in die Brust rammte. »Beim letzten Stand der Dinge wollte er Ihren Arsch, Metcalf.« »Wir versuchen, heute nacht einen Bogen um ihn zu machen«, sagte Catherine. »Viel Glück«, ächzte Morgenlander. »Denken Sie daran, die Wände haben Ohren. Kornfelds Ohren.« Er deutete mit dem Kinn über meine Schulter hinweg auf die beiden Inquisitoren, die an der Eingangstür zum Club lehnten. »Er hat die ganze Ostseite der Bucht in seiner Tasche. Verdammt, ich weiß gar nicht, warum ich Ihnen das alles sage. Schaut ganz so aus, als wären Sie ein Teil des Problems.« Er ließ sein häßliches, sumpfiges Lachen los. »Ist mir auch egal. Ich bin draußen. Aber eines Tages werde ich oder jemand anderer kommen und Ihren Busenfreund an die Wand nageln. Ich habe es bloß nicht geschafft
allein.
Er
hat
mich
Falschmeldungen.« Ich hielt den Mund und hörte zu.
vollgestopft
mit
»Sie
haben
es
auf
die
brutale
Art
gespielt,
Morgenlander«, stellte Catherine fest. »Wieso überrascht Sie die Reaktion? Sie haben alle nervös gemacht. Sie sollten leidenschaftsloser an solche Dinge herangehen, kühlen Kopf behalten.« »Zum Teufel, Teleprompter, Angwine ging den Bach runter, und er war nicht der erste! Von mir erwartet man, daß ich was unternehme!« Catherine verzog das Gesicht. »Machen Sie sich auf den Weg und schreiben Sie Ihren Bericht, Morgenlander. Reden Sie sich ein, daß Sie verstehen, was da lief.« Jemand schaltete die roten Lampen aus. Ich sah mich um. Hinter uns auf der Straße wurden die Einsatzfahrzeuge immer spärlicher. Oben würde die Spurensicherung den Großteil der Nacht mit dem Leichnam und dem Zimmer zu tun haben, aber alle anderen gingen jetzt heim oder zurück auf die Straße, um an ihren Quoten zu arbeiten. Man mußte in jeder x-beliebigen Nacht zwei-, dreihundert Punkte Karma eliminieren, sonst erledigte man seinen Job nicht. Teleprompter
und
Morgenlander
standen
in
der
plötzlichen Dunkelheit da und starrten einander giftig an. Ich hatte das Gefühl, die Konversation hatte sich mehr oder
weniger
erschöpft.
Ich
persönlich
hätte
nichts
dagegen gehabt, nach Hause zu gehen und mich um ein Sträßchen meiner Mischung zu kuscheln, aber ein anderes Gefühl sagte mir, ich sollte soviel wie möglich aus Morgenlander rausholen, solange ich die Chance dazu
hatte. »Schon mal den Namen Phoneblum gehört?« fragte ich. »Ich meine, außer von mir.« Ich hoffte, er würde keine Schwierigkeiten machen, mir eine Frage zu beantworten. »In letzter Zeit hat sich meine Arbeit darin erschöpft, den Leuten diesen Namen an den Kopf zu werfen und zu erleben, wie sie zusammenzucken
oder mir die Faust in
die Magengegend treiben.« »Und
was
davon
hätten
Sie
jetzt
gern?«
fragte
Morgenlander säuerlich. Als ich nicht antwortete, sagte er: »Ah, rutschen Sie mir doch den Buckel runter.« Er drehte sich um und stapfte eilig davon. Aus irgendeinem Grund hielt ich den Blick zu Boden gesenkt, und nun bemerkte ich trotz der Dunkelheit die blutigen Fußspuren, die er auf dem Fahrbahnbelag hinterließ. Ich prüfte es nicht nach, aber ich wußte, daß ich ganz ähnliche Spuren hinterließ. Catherine und ich gingen schweigend zum Wagen zurück und setzten uns auf unsere angestammten Plätze. Ich denke, wir wären vielleicht irgendwohin gefahren, hätte sich irgend etwas geboten. Das Funkgerät murmelte immer noch vor sich hin, und Catherine griff danach und schaltete es ab. Als sie wieder sprach, hörte ich ein Zittern in ihrer Stimme. Das Schlachthaus da oben hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht, und ihre glasklaren Ideen, was den Fall betraf, sahen nicht mehr so glasklar aus. »Wer hat sie umgebracht?« fragte sie leise. Es kam mir so vor, als hätte sie sich für den Versuch entschlossen, mir
zu glauben, um herauszufinden, ob sich meine Version leichter schlucken ließ als jene Kornfelds. Beinahe wäre ich herausgeplatzt: Wer nicht? Aber es wäre eine häßliche Bemerkung gewesen, und so hielt ich mich zurück. Als ich in diese Branche einstieg, hatte ich die dumme Vorstellung gehabt, daß mein Job darin bestand, den schuldigen Hauptdarsteller aus einem ganzen Ensemble Unschuldiger herauszupicken. In Wahrheit verhielt es sich eher so, daß man die ein, zwei Unschuldigen herauspickte, die es sich verdienten, nicht mit einem Ensemble von Gaunern in einen Topf geworfen zu werden. Und ich hatte erst bei Orton Angwine versagt und nun bei Celeste Stanhunt. Es ist schlimm, wenn man endlich draufkommt, wer vertrauenswürdig ist, und im selben Moment taucht er in zwei Hälften gehackt in einem Sexclub auf. »Phoneblums Känguruh hat vor zwei Stunden nach ihr gesucht«, erklärte ich Catherine. Ich bemühte mich, meine Gedanken auf die Einzelheiten des Falles zu konzentrieren und meinen Zorn und die Schuldgefühle zu vergessen, die in mir beinahe den verrückten Drang weckten, selbst die Morde zu gestehen. »So gesehen, auch Doktor Testafer«, fuhr ich fort, »aber das da oben sah nicht gerade so aus, als wäre ein Doktor am Werk gewesen.« »Eher ein Verrückter.« »Vielleicht hat Barry Greenleaf sie umgebracht«, sagte ich, immer alberner werdend. »Heute nachmittag habe ich ihm verraten, daß Celeste seine Mutter ist.«
»Haben Sie sie geliebt?« Ihre Stimme klang immer noch leise und sanft. Ich sah sie an, aber sie blickte geradeaus. »Wie kommen Sie denn darauf?« »Es steht in Ihrer Akte«, sagte sie. »Ich dachte, der Zugriff zu meiner Akte wäre nicht möglich.« »Ich hatte Zugriff.« Da gestattete ich mir ein Lächeln. Ich wußte nun, daß das Etwas, das, wie ich fühlte, zwischen uns beiden in der Luft lag, mehr war als nur Wunschdenken. Noch wußte ich nicht, was ich damit anfangen konnte, aber ich hatte jedenfalls meine Bestätigung. »Dann ist die Akte etwas ungenau«, sagte ich. »Celeste und ich trafen uns zweimal. Beim erstenmal war ich betrunken, und beim zweitenmal log sie mir etwas vor. Ich glaube, einmal habe ich sie geschlagen. Und das war s auch schon.« Catherine
murmelte
beifällig,
als
wollte
sie
ihr
Verständnis dafür zum Ausdruck bringen, daß Celeste Prügel verdiente oder daß ich es verdiente, jemanden prügeln zu dürfen. »Sie und Kornfeld?« Streng genommen war es keine Frage,
aber
ich
setzte
ein
Fragezeichen
dahinter.
»Morgenlander nannte ihn Ihren Busenfreund.« Jetzt lag es an ihr zu lächeln. Ich denke, sie bekam jetzt die gleiche Art von Bestätigung, die ich gerade erhalten hatte. »Das wäre er gern gewesen«, sagte sie. »Aber so ist
es nicht.« »Wäre
er
gern
gewesen?«
fragte
ich.
»Hat
er
aufgegeben?« Sie seufzte. »Wäre er immer noch gern.« »Das ist wohl unter anderem daran schuld, daß mir mein Leben momentan so verdammt schwer gemacht wird, oder?« »Könnte sein.« Ich mußte lachen. Und hätte Kornfeld den aktuellen Zustand meiner Sexualität gekannt, hätte er mitgelacht. Aber vermutlich fehlte dieser Lagebericht in meiner Akte. Catherine saß neben mir, hörte mir beim Lachen zu und falls sie sich fragte, was denn so komisch war, dann behielt sie die Frage für sich. Schließlich verstummte ich, und es wurde still im Wagen. Eine ganze Weile. Wir blickten beide geradeaus durch die Windschutzscheibe, nur blickte ich auf das Spiegelbild
von
Catherine,
und
als
ich
ihren
Augen
begegnete, merkte ich, daß sie auf das meine blickte. Und dann hielten wir uns an den Händen. Einfach so. In einer Sekunde noch nicht, in der nächsten ja. Ich würde gern sagen, ich fühlte mich wie ein Schuljunge, aber als Schuljunge habe ich so etwas nicht getan. Also fühlte ich mich wie jemand anderer, der es als Schuljunge getan hatte und jetzt daran erinnert wurde. Es machte mir den Nacken heiß. Es machte mich verdammt nervös. Wir
hielten
Händchen,
bis
unsere
Handflächen
schweißnaß waren. Mir fiel ein, daß es möglicherweise ich
war, von dem der nächste Schritt erwartet wurde, denn sie wußte nicht, daß mir für das, was sich hier entwickelte, die Nervenenden fehlten, und ich hatte nicht vor, es ihr zu sagen. »Gehen wir irgendwohin«, sagte ich. »Zu dir.« »Bei mir ist es ungünstig«, entgegnete sie. »Gehen wir zu dir.« Ich sah sie zweifelnd an. »Sollte dort nicht Kornfeld jemand zur Überwachung zurückgelassen haben?« »Ja«, sagte sie. »Mich.«
Kapitel 27 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Ich ging in die Küche, um uns Drinks zu holen, und wo ich schon dort war, legte ich mir auf dem Tisch eine Straße auf.
Nach
kurzem
aufgedrehtem übertönen.
Ich
Zögern
Wasserhahn, weiß
schnupfte um
nicht,
das
woher
ich
sie
bei
Geräusch
zu
meine
plötzliche
Schamhaftigkeit herrührte, jedenfalls war sie vorhanden. Als ich wieder hinauskam, saß Catherine vorteilhafterweise mitten auf dem Sofa: Für welche Seite ich mich auch entschied, ich würde dicht neben ihr sitzen. War mir sehr recht. Mein Apartment stand ihr ganz gut, viel besser jedenfalls als mir. Vermutlich hatte sie das Sitzen darin in den vergangenen paar Tagen auch kräftig geübt. Ich reichte ihr das Glas. »Setz dich zu mir«, sagte sie. Ich setzte mich zu ihr. Es war wirklich dicht. Danach verlor ich so ziemlich jedes Zeitgefühl. Wir tranken und redeten, und nach einer Weile hatte ich es satt, ewig um die Drinks zu rennen, und brachte die Flasche aus der Küche mit und stellte sie auf den Couchtisch. Es wurde Mitternacht, es wurde eins, es wurde zwei, und es war mir egal. Wir redeten über eine Menge dummer Dinge, und das war schön, und dann redeten wir über eine Menge schöner Dinge, und das war noch
schöner. Aber wir redeten nie über den Fall. Nicht ein einziges Mal. Als die Konversation schließlich einschlief, küßte ich sie. Es war nicht wie bei Celeste. Es war das erstemal seit Jahren, daß ich eine Frau wirklich küßte, denn die Sache mit Celeste zählte nicht, hatte nichts in mir geweckt. Wir stellten die Gläser weg und blieben eine Weile auf dem Sofa. Ich bemühte mich, das Tempo ein wenig zu zügeln, aber das war nicht leicht. Als ihre Brust in meine Hand geriet, war es wie der erste Regentropfen auf heißem,
trockenem,
rostigem
Metall:
Das
Wasser
verdunstet sofort, und das Metall ist so trocken wie zuvor. Ich achtete nicht auf den Schmerz in meinen Fingern; es war schon so lange her, daß es mehr als ein paar möglicherweise gebrochene Finger dazu brauchte, mir Einhalt zu gebieten. Wir gingen hinüber und ließen uns auf dem Bett nieder. Ich schaltete das Licht aus. Als sie nach mir griff, schloß ich die Augen. Die Empfindungen stimmten nicht ganz, aber das war nicht wichtig
endlich war es überhaupt nicht
wichtig. Es gefiel mir, was ich empfand, und wenn ich die Hüften ein wenig bewegte, spürte ich mein Gewicht in ihrer Hand. So blieben wir eine Weile, und dann zog ich mich aus ihrer Hand zurück, beugte mich über sie und tat uns zusammen. Sie legte die Arme um mich, und ich streckte die Beine und ließ meinen Körper langsam auf den ihren sinken. Es war nicht so schlimm wie befürchtet. Vielleicht war
es nur meine Einbildung, oder alte Erinnerungen sickerten in die Gegenwart herein, aber ich schwöre, ich konnte ihren Druck rund um mich spüren, genauso, wie es sein sollte. Ein paarmal fiel ich raus, und meine Hüften bewegten sich weiter, bevor ich es merkte, aber ich war kein solcher Profi, daß mir das nicht auch sonst schon mal passiert wäre. Ich hatte sie zu der Überzeugung gebracht, daß ich ein Mann war und sie eine Frau, und sobald wir den Rhythmus raushatten, war ich selbst auch schon beinahe davon überzeugt. Und dann kam alles zurück, und ich fing fast zu heulen an auf ihrer Schulter, in ihr schwarzes Haar. Alles stürzte auf einmal über mich herein. Ich wußte plötzlich, daß ich das, wonach ich suchte, nicht in der Vergangenheit verloren hatte. Und ich schwöre, der Gedanke kam mir mit genau diesen Worten. Ich wußte mit einemmal, daß mir die Frau, die mich so zurückgelassen hatte, nicht mehr wichtig war, daß ich sie nicht wiederhaben wollte, und daß es mir nicht um Rache ging, und daß
ich nicht Celeste wollte oder irgend
jemanden sonst, sondern nur die Frau, die sich in diesem Moment unter mir bewegte. Ich wollte Catherine, ich wollte sie mit allem, was ich hatte
bloß hatte ich es nicht mehr.
Was ich ihr zu bieten hatte
oder was ich ihr hätte bieten
sollen
fehlte, und ich rede nicht von meinem Penis. Ich
wollte Catherine, aber ich wollte sie mit einem anderen Ich nehmen, mit einem Ich, das nicht mehr zur Verfügung stand. Das, was ich wollte, lag nicht verloren in der
Vergangenheit, hatte nie dort gelegen. Es war verloren in der Zukunft. Ein Ich, das ich hätte sein sollen, aber nicht war. Ein Faden in meinem Innern, den ich losgelassen und von dem ich angenommen hatte, ich könnte ohne ihn leben, weil ich nicht wußte, was er bedeutete. Und
dann
überwältigte der
physische
Aspekt alle
Innenschau. Ich hielt sie fest und vögelte sie, was das Zeug
hielt.
Meine
Leidenschaftlichkeit
konnte
man
wahrscheinlich fast für eine Art Wut halten. In Wahrheit aber war es eine Mischung aus Verlangen und Angst, in ziemlich gleichem Ausmaß. Als ich spürte, daß ich dem gewachsen war, sah ich ihr in die Augen und hielt ihr Gesicht fest, um sicherzugehen, daß sie in die meinen sah. Der letzte Akt dauerte lang, und ich überstürzte nichts und ließ auch nicht zu, daß sie etwas überstürzte. So endeten wir schließlich in einem wirren Haufen auf dem Bett; ihre Knie waren gegen meine Brust gestemmt, und mein Gesicht preßte sich an ihren Hals. Sie schlief ein, ich nicht. Als ich sicher war, daß ich sie nicht
wecken
würde,
suchte
ich
meine
Gliedmaßen
zusammen, ging ins Bad und verbrachte eine ganze Weile vor dem Spiegel. Mein Penis glänzte, aber ich wischte ihn nicht ab. In der Beinahe-Finsternis sah ich okay aus; meine Gestalt war in der Straßenbeleuchtung, die durch das gerippte Glas des Badfensters drang, gerade noch zu erkennen,
aber
ich
hütete
mich
davor,
das
Licht
einzuschalten. Längst schon gehörte ich in die Kategorie von Dingen, die weitaus besser aussahen, wenn man das
Licht ausgeschaltet ließ. Ich mußte die roten Adern in meinen Augen und die roten Ringe um meine Nasenlöcher und die Striemen und blutunterlaufenen Stellen auf meinen Händen nicht sehen, um zu wissen, daß sie vorhanden waren. Als mir mein Anblick reichte, ging ich wieder ins Schlafzimmer, hob vorsichtig die Decke und betrachtete Catherine; ich hatte einfach Lust dazu. Erst brachte ich mein Gesicht ganz dicht an ihre Haut und sah sie mir aus der Nähe an, und dann ließ ich die Decke wieder sinken und trat einen Schritt zurück, um Catherine in die Umgebung meines Schlafzimmers einzufügen. Sie sah aus jeder Entfernung gut aus. Ich deckte sie zu, schlüpfte in einen Bademantel und ging hinaus ins Wohnzimmer. Unsere Gläser und die Flasche standen immer noch auf dem Tisch, und ihr Mantel war über meinen Sessel geworfen. Davon abgesehen war es immer noch mein Apartment, und nichts wies darauf hin, daß zum erstenmal in Jahren eine Frau in meinem Bett schlief. Zum Teufel, ich trinke sogar aus zwei Gläsern, wenn ich zerstreut bin, und so war es ganz einfach, mir vorzustellen, ich wäre allein. Ich holte die Phiole mit meiner Mischung aus der Küche und leerte alles, was noch da war
nicht sehr viel
auf
den Tisch. Der Himmel draußen vor dem Fenster wurde am Rand schon ein wenig hell, und die Sterne verschwanden langsam aus dem Bild. Es war Morgen. Ich sah zu, wie die Nacht sich von den Gebäuden zurückzog, während ich den
letzten
Rest der
Mischung einsog und über
meinen
nächsten Schachzug nachdachte. Meine Hoffnungen lagen nicht bei der Behörde, trotz des Inquisitors, der in meinem Bett schlief. Catherine hatte nicht genug Einfluß im Büro, und sie war ohnedies nicht so ganz überzeugt von meinen Theorien. Falls Morgenlander sich immer noch auf dem Schauplatz herumtrieb, dann konnte
es
mir
möglicherweise
gelingen,
ihn
so
zu
beschwatzen, daß er seinen Widerwillen mir und meinem Beruf
gegenüber
vergaß,
aber
das
war
ein
kühner
Gedanke. Ich hatte den lustigen Einfall, Phoneblum noch mal aufzusuchen und ihn mit alldem zu konfrontieren, was ich wußte, doch für den unwahrscheinlichen Fall, daß er kapitulierte, war mir nicht ganz klar, was ich verlangen sollte. Wenn
ich ihn
soweit brachte, daß er meine
Karmasorgen eliminierte, dann wäre ich wohl die nächste Made, die sich unter seinem Daumen wand, genau wie Pansy, Stanhunt und Testafer und so
viele
andere.
Einschließlich, wie zu vermuten war, Kornfeld. Ich war jetzt sicher, daß ich diesen Fall lösen konnte. Die Frage lautete, an wen ich mich wenden sollte, sobald er gelöst war. Ich hatte zwar einmal einen Klienten gehabt zwei sogar, wenn man Celeste mitzählte
, aber sie waren
von der Bildfläche verschwunden. Ich konnte den Fall lösen, aber zur Rettung meines eigenen Kopfes war es wohl besser, wenn ich es nicht tat. Kornfeld trat ein, als ich den Tisch saubermachte. Ohne zu klopfen. Er sah aus, als hätte er die ganze Nacht kein
Auge zugetan, aber andererseits hatte auch ich kein Auge zugetan. Zumindest war der Mann komplett angezogen, inklusive Pistole. Ich war im Schlafrock. »Holen Sie Ihre Kleider«, sagte er. Ich tat wie geheißen. Er schaute nicht ins Schlafzimmer, und wenn er Catherines Mantel oder ihren Lippenstift auf dem Glas wiedererkannte, dann sagte er jedenfalls nichts, sondern stand nur da und sah mir zu, wie ich an den Hemdknöpfen fummelte. Sonnenstrahlen kamen durchs Fenster und brachten seine Pistole zum Glitzern. Als ich die Schuhe anhatte, verlangte er meine Karte und die Lizenz. Ich reichte ihm beides. Er steckte die Lizenz ein und ließ die Karte durch den Decoder laufen. Ich streckte die Hand wieder danach aus, aber Kornfeld schob sie in die Tasche zu meiner Lizenz und lächelte. »Ist bloß noch ein Souvenir«, sagte er. »Sie erhalten eine neue, nachdem Sie Ihre Zeit abgesessen haben.« Ich muß ihn ungläubig angestarrt haben. »Willkommen in der Welt des erloschenen Karmas, Metcalf. Holen Sie Ihren Mantel.« Wir gingen hinunter zu seinem Wagen. Ich werde es natürlich nie ganz sicher wissen, aber ich glaube nicht, daß Catherine auch nur geseufzt hat im Schlaf.
Kapitel 1 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Es war kurz, aber süß war es nicht. Ich wachte mit dem Gefühl auf, immer noch das Mützchen Schlaf zu brauchen, das mir bereits gefehlt hatte, als Kornfeld mich abholte. Mit einem häßlichen Pyjama angetan lag ich in einem kahlen, weißen quadratischen Raum
einem Raum, der ganz
genauso aussah wie der, in dem ich mich vor ein paar Minuten, dachte ich, befunden hatte, zusammen mit den Ärzten, die mich für den Froster vorbereiteten. Ein Krankenpfleger saß in einer Ecke auf einem Stuhl, vertieft
in
eine
Zeitschrift.
Ich
stieg
vom
Untersuchungstisch, ärgerlich und nahe daran zu meckern, weil die Sache nicht mal richtig funktionierte. Da bemerkte der Mann, daß ich bei Bewußtsein war, und gab mir meine Straßenkleider; alles war sauber und ordentlich gefaltet, und mir wurde schlagartig klar, daß ich meine Zeit abgesessen hatte. Der komische Geschmack in meinem Mund war sechs Jahre alt. Ich zog mich langsam an. Der Pfleger trieb mich nicht zur Eile. Nach einer Weile fragte er nur, ob ich soweit sei, und als ich ja sagte, gingen wir hinaus auf den Korridor und nahmen den Aufzug ins Erdgeschoß. Als wir in der Kabine standen, musterte mich der Pfleger schweigend und lächelte. Ich bemühte mich zurückzulächeln, aber ich war
ziemlich durcheinander. Ich hätte mir gewünscht, mich auch intuitiv so zu fühlen, als ob sechs Jahre vergangen wären, aber das Gefühl wollte sich einfach nicht einstellen. Der Pfleger führte mich zu einer Schreibstube, wo ein Inquisitor träge auf eine Computerkonsole einhackte. Er fuhr eine Minute lang damit fort, hielt dann inne, klappte den Bildschirm in die Schreibtischplatte ein und lächelte. Ich saß derweil auf einem Stuhl und wartete geduldig, während sich die beiden in eine gemurmelte Unterhaltung und den Papierkram vertieften. Ich sah zum Fenster hinaus auf das Gebäude gegenüber, in dessen Glaswänden sich die Sonnenstrahlen brachen. Wahrscheinlich war es bloß eine Täuschung meiner frisch aufgetauten Augen, aber ich schwöre, alles sah gänzlich verkehrt aus
die Farben waren zu grell, die
Konturen verwischt. Wie ein schlecht retuschiertes Foto. Und da fiel mir ein, daß ich in Kürze aus dem Tor des Büros treten und für immer hinausgehen würde in dieses schlecht retuschierte Foto. Das war jetzt meine Welt, und alles andere war dahin. Ich merkte, daß ich innerlich noch völlig in Anspruch genommen war von meinem letzten Fall, und da mußte ich lachen. Es war, zum Henker, verdammt komisch. Als ob es noch irgend etwas gegeben hätte, was man einen Fall nennen konnte! Der Pfleger ging, und der Inquisitor öffnete eine Schublade des Schreibtisches, holte eine Metallkassette in der Größe einer Schuhschachtel heraus und stellte sie vor mich hin. Sie enthielt den Kram, den man mir vor sechs
Jahren aus den Taschen genommen hatte, alles sorgfältig beschriftet und in Plastik verpackt. Es war nicht viel. Die Schlüssel zu meinem Wagen und meiner Wohnung, die sich beide vor etwa fünf Jahren und elf Monaten verflüchtigt hatten, als ich aufhörte mit den Zahlungen. Immerhin bildeten die Schlüssel einen tröstlichen Klumpen in meiner Hüfttasche
ich konnte sie zum Nägelputzen verwenden.
Der Rest bestand aus den abgerissenen Hälften sechs verschiedener Hundertdollarscheine und dem AntigravStift. Ich spielte eine Minute lang mit dem Geld herum und versuchte, etwas zusammenzukriegen, das so aussah, als könnte
ich
es
einem
Bankkassier
unterjubeln
oder
zumindest in einem schummrigen Nachtlokal über die Theke schieben, aber wie ich nun erkannte, hatte ich die Gewohnheit, immer die gleiche Hälfte der Geldscheine einzustecken. Falls ich nicht auf einen Kerl stieß, der die entgegengesetzte
Gewohnheit
hatte,
waren
die
Papierfetzen nutzlos. Ich faltete sie zusammen und steckte sie trotzdem ein. Ich
riß
gerade
die
Namensschildchen
von
den
Schlüsseln und dem Stift, als ich bemerkte, daß der Inquisitor sich über den Schreibtisch vorgebeugt hatte und mich mit seinem Blick fixierte. Ich sah auf, und er grinste. Er war etwa Mitte zwanzig, aber der Gedanke drängte sich mir auf, daß er schon eine Menge karmische Wracks wie mich
im
Froster
verschwinden
und
wieder
daraus
hervorkommen gesehen hatte, und daß es ihn überheblich machte, uns dabei zuzuschauen, wie wir uns mit unserem
rührenden Aufgebot von Habseligkeiten abmühten. Plötzlich stand er auf und schloß die Tür zum Korridor. »Ich habe schon auf Sie gewartet.« »Oh, gut«, sagte ich verblüfft. »Ich gebe Ihnen fünfzig Dollar für diesen Stift«, sagte er und trat wieder hinter den Schreibtisch. »Das ist der erste der Serie.« Er sprach so, wie man zu Kindern sprach, damals, als es noch Kinder gegeben hatte. »Es ist ein Sammelstück«, ergänzte er. Ich mußte lächeln. »Dieser Stift hat mir das Leben gerettet«, sagte ich. Das betrachtete er als Verhandlungstaktik. »Okay, hundert.« »Er ist nicht zu verkaufen.« Er blickte mich sonderbar an. »Ich versuche, Ihnen einen Gefallen zu tun, alter Knabe. Ihr Geld schaut nicht besonders flott aus.« Das konnte man wohl sagen. »Hundertfünfzig«, warf ich ihm hin. Er lehnte sich zurück und verzog den Mund zu einem Lächeln; nach einer Weile lachte er leise in sich hinein und griff nach seiner Brieftasche. »Ich hätte mir den Stift auch einfach aneignen können, ohne ein Wort zu sagen, das wissen Sie.« »Nein, hätten Sie nicht«, widersprach ich leicht gereizt. »Hätten Sie es gekonnt, dann hätten Sie es auch getan.« Er klappte die Brieftasche auf, und Musik lag in der Luft eine
kleine
Fanfare
von
Hornbläsern,
die
erst
verstummte, als er die Brieftasche wieder einsteckte, nachdem er mir das Geld gegeben hatte. Die Fanfare verursachte mir Gänsehaut. Ich hoffte, die Musik stammte aus der Brieftasche und nicht von den Scheinen. Er öffnete eine andere Schublade und nahm ein kleines Briefchen heraus, das mit einem Aufreißer aus Plastik versiegelt war; und dann eine frische Karte mit meinem Namen darauf. »Fünfundsiebzig Punkte«, sagte er. »Viel Glück.« Er bedachte mich mit seinem idiotischen Grinsen. Offenbar war mein Entlassungsgespräch vorüber. Als ich an der Schnur des Aufreißers zog, sah ich, daß das Briefchen mit einer
Allerweltsmischung
Stoff
angefüllt
war.
Eine
berührende Geste. Ich steckte das Päckchen in die Tasche. Unversehens verspürte ich den Drang, diesen Schmutzfleck, der aussah wie ein Lächeln, vom Gesicht des Inquisitors zu wischen, aber ich beherrschte mich. Ich schnippte den Stift in seine Richtung, und er kalkulierte blitzschnell die Flugbahn und packte ihn gerade noch, bevor er über seinen Kopf hinwegsegelte. Ich stand auf. »Tag«, sagte ich und ging. Ich durchquerte die menschenleere Halle und trat hinaus in den Sonnenschein. Noch hatte ich keine Ahnung, was ich als nächstes tun würde, aber meine Füße waren klug genug, auf eine gewisse Distanz zwischen mir und dem Büro zu drängen, und sie machten sich umgehend an die Arbeit. Als ich um die erste Ecke biegen wollte, spürte ich, daß
jemand mich von hinten am Arm berührte. Surface. Der Affe sah klein und gebückt aus, aber einerseits waren sechs Jahre vergangen, und andererseits hatte ich ihn noch nie außerhalb seines Bettes gesehen. Er trug einen schmierigen grauen Anzug und einen roten Schlips mit kleinen gestickten Ponys drauf. Die Schuhe, die er anhatte, waren wirklich hübsch, aber so abgetragen, als hätte er sie seit zwei Jahrhunderten an den Füßen. Er blickte zu mir hoch. Das Ledergesicht war von Runzeln durchzogen, aber der Ausdruck darin wirkte überraschend sanft. »In der Zeitung stand Ihr Name auf der Liste derjenigen, die heute entlassen werden«, sagte er. »Ich dachte, Sie würden vielleicht jemanden brauchen, der Ihnen einen Drink spendiert.« Ich
war
gerührt.
Noch
konnte
ich
mich
nicht
entscheiden, ob ich wirklich jemandem leid tun wollte, der so schlecht aussah wie Surface, aber ich war dennoch gerührt. »Gern«, grinste ich. »Nach Ihnen, bitte.« Der alte Affe drehte mir seinen runden Rücken zu, schritt entschlossen den Block entlang, und ich folgte ihm. Ich wußte nicht, wie spät es war, aber die Sonne stand hoch am Himmel, und mir kam der Gedanke, daß Surface früh aufgestanden sein mußte, um mich nicht zu verfehlen. Da fühlte ich mich plötzlich wie ein verlaufener Hund, den sein Herrchen vom Tierasyl abgeholt hatte, und ich fragte mich, ob ich vielleicht mehr brauchte als einen Drink, um wieder auf die Füße zu kommen.
Wir gingen an der Rückseite des Inquisitionsbüros entlang
bis
zu
dem
riesigen
Parkplatz.
Inquisitoren, die ins Gebäude oder
Außer
den
hinaus zu ihren
schwarzen Dienstfahrzeugen gingen, waren nur zwei, drei Leute unterwegs. Als ich denen ins Gesicht sah, wandten sie den Blick ab, sahen auf die Uhr oder zum Himmel oder in den Rinnstein. Meine Paranoia war in Hochform, wie üblich beim geringsten Anlaß; sie verriet mir, daß mir von meinem Aufenthalt im Froster etwas zurückgeblieben war, irgendein
undefinierbarer
Stempel
auf
meiner
Ausstrahlung, den jeder erkennen konnte, bis ich einen Weg finden würde, ihn zu überdecken. Dann lachte ich mich selbst aus; alles, was ich brauchte, war ein Drink und eine Straße. Ich tippte Surface auf die Schulter. »Wo bekomme ich denn meine Lizenz zurück?« Er sah mich an und verzog das Gesicht. Ich hätte nicht gedacht, daß noch mehr Falten darin Platz hatten, aber so war es. Die Falten knickten einfach ab und brachen in die Hälfte. Sein Gesicht fiel praktisch in sich zusammen. »Die Fragen erledigen wir später«, sagte er zwischen den Zähnen hindurch.
Kapitel 2 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Wir stiegen in seinen Wagen und fuhren zu seinem Apartment, wo er mir in der Küche einen Drink eingoß. Das Loch war noch verkommener als damals vor sechs Jahren bei unserem ersten Zusammentreffen. Ich sah auch keine Spur von seiner Freundin, und vielleicht war das eine die Folge des anderen
in welcher Richtung, darüber wollte
ich keine Vermutungen anstellen. Die Welt, die er damals um sich aufgebaut hatte, schien jedenfalls dahin. Vor langer Zeit war er einmal ein Affen-P.I. gewesen, mit allen Zutaten. Jetzt war er nur noch ein alter Affe. Wir schwiegen eine ganze Weile. Das schien uns beiden nicht ungelegen. Die Flasche, die er auf den Tisch stellte, war von Anfang an kaum halbvoll, und wir hatten keine Mühe, den Rest zu schaffen. Meinen leeren Magen traf das ziemlich hart, aber ich war s zufrieden. Ich brannte nicht darauf
herauszufinden,
was
Surface
an
Eßbarem
aufzutischen hatte. So entschloß ich mich nachzusehen, was für Stoff das Briefchen enthielt. Es war der zweite Puffer zwischen mir und dieser neuen Welt. Ich fürchtete, wenn ich erstmal mit dem Fragen begänne, würde ich die Antworten darauf nicht mögen. Und so wünschte ich mir, daß der Stoff mir helfen würde, alle meine Fragen zu vergessen.
Ich leerte den ganzen Inhalt des Päckchens auf den Tisch. Es reichte nicht aus, um es in Portionen zu teilen. Es war kaum genug für den Moment, aus welchen Zutaten die Mischung auch bestand. Ich zerdrückte sie mit dem Daumennagel und rollte den Umschlag ein, um sie damit aufzuschnupfen. »Das würde ich an Ihrer Stelle sein lassen«, sagte Surface. »Die Standpauken habe ich alle schon hinter mir«, entgegnete ich. Er knirschte mit den Zähnen und stieß sein leeres Glas weg. »Langsam, Metcalf. Ich versuche Ihnen zu erklären, daß dieses Zeug etwas ist, das Sie nicht haben wollen!« »Wollen ist falsch«, sagte ich, »brauchen ist das Wort.« »Aber von dem hier kriegen Sie nicht nur das, was Sie brauchen, sondern noch einiges darüber hinaus.« Er strich sich mit der Zunge über die Lippen und sprach langsam und deutlich
der zweite innerhalb einer Stunde, der mich
behandelte wie ein Kind. Es gefiel mir nicht. »Sie haben noch keine Erinnerungen, die Sie auslöschen könnten«, setzte er hinzu. »Ich habe genügend, noch vom ersten Aufenthalt außerhalb des Frosters«, sagte ich. »Verlassen Sie sich drauf. Ich kann ein paar davon entbehren.« »Der Stoff ist jetzt anders«, sagte er. Seine Stimme klang leise und beharrlich. »Tun Sie mir den Gefallen und lassen Sie die Finger davon.« Ich seufzte, rollte
das Briefchen wieder auf und
benutzte es, um die Mischung zu einem kleinen Häufchen an einem Ende des Tisches zusammenzuschieben. Alle meine guten Gefühle waren verraucht, und schon wurde der Alkohol in meinem Magen sauer. »Okay, Surface, ich tue Ihnen den Gefallen.« Ich blickte so tief in diese schwarzen Augen, wie ich nur konnte, aber er blinzelte kein einzigesmal. »Und Sie tun mir einen Gefallen. Sie verraten mir, was Sie in einen Spießer verwandelt hat. Sie hatten ja mehr Rückgrat, als Sie damals im Bett lagen und sich vom Musikkanal berieseln ließen.« Ich zwang mich zu einem Auflachen, um meine Angst dahinter zu verstecken. »Falls ich mal so werde wie Sie, lassen Sie es mich wissen, damit ich mir eine Kugel in den Schädel jage, solange ich noch den Mumm dazu aufbringe.« Nun senkte er endlich den Blick und griff nach seinem Glas, aber das war ja leer. »Sie müssen sich an ein paar neue Dinge gewöhnen, Metcalf. Das ist nicht meine Schuld. Aber man rennt nicht mehr rum und spuckt Fragen in alle Richtungen.« »Ich habe vor, mir eine Lizenz zu lösen.« »Es gibt keine Lizenz mehr«, sagte er. »Aber es gibt doch Inquisitoren.« »Keine privaten.« »Nun, jetzt gibt s einen«, tönte ich großspurig. »Hier bin ich. Es gibt keinen anderen Namen für das, was ich tue.« »Ihre Rolle hat sich überlebt«, sagte er allzu bestimmt;
seine Stimme klang dumpf und leblos. »War doch früher schon ein Drahtseilakt. Und jetzt hat es sich damit, Metcalf. Geben Sie s auf.« »Schau an, wer da große Töne spuckt«, hob ich vollmundig an; es sollte sich zu irgend etwas Schmissigem auswachsen, aber mein Herz war nicht recht dabei. Seine Lippen zogen sich zurück und formten ein schiefes, bitteres Lächeln. »Ich bestehe ausschließlich aus meiner Rolle!« stellte ich fest, halb zu mir selbst. »Sonst ist nichts da. Ich habe genau nachgesehen.« »Sehen Sie noch mal nach«, sagte er. »Die Rolle wurde gestrichen. Jetzt können Sie nicht mal mehr ungestraft soviel quatschen. Und das Fragen müssen Sie ganz vergessen.« »Das Fragen muß ich ganz vergessen«, wiederholte ich. »Ich werde es mir merken.« Ich fuhr mit dem Finger durch das weiße Häufchen und zog eine kleine Spur quer über den Tisch. Gern hätte ich etwas davon durch meine Nase gejagt. »Was stimmt nicht mit dem Stoff?« fragte ich. »Es gibt keine individuellen Mischungen mehr. Bloß Einheitsprisen.« »Und was ist drin in diesen Einheitsprisen?« »In erster Linie Amnesie verursachendes Forgettol. Große Mode. Ziehen Sie sich s rein, wenn Sie möchten, aber vergessen Sie nicht, vorher Ihren Namen und die Adresse
auf
Ihren
Handrücken
zu
schreiben.
In
Großbuchstaben.« »Ich denke, ich laß es lieber.« »Wie Sie wollen.« Er seufzte. »Ich kann Ihnen wohl ebensogut
ein
paar
weitere
gute
Ratschläge
geben,
Metcalf. Fangen Sie nicht an, über die Vergangenheit zu reden. Sich zu erinnern ist ungezogen. Dafür gibt s dieses Zeug da, und jeder verwendet es. In Los Angeles ist es verboten zu wissen, wie man seinen Lebensunterhalt verdient. Wenn Sie den Stoff nicht verwenden, dann tun Sie wenigstens so,
als ob.
Und wenn Ihnen Leute
begegnen, die hinter vorgehaltener Hand murmeln, dann reden die nicht mit Ihnen. Gaffen Sie niemanden an.« Ich wartete auf den Rest, aber der Vortrag war zu Ende. Surface stand auf, ging zum Schrank und begann darin herumzukramen,
offenbar
auf
der
Suche
nach
einer
frischen Flasche. Ich hockte stumm da und versuchte runterzuwürgen, was er gesagt hatte, aber es ging nicht; es blieb mir im Hals stecken. Endlich machte er eine neue Flasche ausfindig, die etwas voller war als jene, die wir gerade geleert hatten, aber nicht sehr viel. Er verteilte den Inhalt gleichmäßig in unseren beiden Gläsern, setzte sich hin und trank das seine aus. Ich fragte mich, wieviel Alkohol wohl nötig war, bis dieser kleine Körper zu protestieren begann, aber dann wurde mir klar, daß er zum gegenwärtigen Zeitpunkt seine Toleranzgrenze wohl schon ziemlich ausgeweitet hatte. Wenn man keine Ahnung hat, wieviele Flaschen im Haus so rumstehen, dann wohl nicht deshalb, weil man nichts
trinkt. Die Droge meiner Wahl sah natürlich anders aus, und mein Auge hing immer noch an dem Häufchen weißen Pulvers. Mein Kreislauf schrie nach Addiktol Bestandteil,
den
jede
Mischung
dem einen
enthielt.
Und
möglicherweise sehnte sich sogar ein Teil von mir danach, endlich alles sausen zu lassen und die allgemein gültige Realität zu akzeptieren. Ich schob das Häufchen Einheitsforgettol zurück in den kleinen Umschlag, faltete ihn und steckte ihn ein. Ich würde den Stoff brauchen, um so zu tun als ob, wie Surface mir aufgetragen hatte. Und wenn meine Nerven allzusehr ins Vibrieren gerieten, dann konnte ich ihn immer noch aufschnupfen, und zum Teufel mit den Konsequenzen. Surface stellte sein Glas hin. »Verdammt, Metcalf«, sagte er, »es ist schon Jahre her, daß ich soviel geredet habe.« »Eigentlich haben wir momentan gar nicht geredet.« Mit einer Handbewegung wischte er meinen Sarkasmus zur Seite. »Ich meine den heutigen Tag, seit ich Sie abgeholt habe.« Ich spürte einen Anflug von Ungeduld; ich hätte ihm gern gesagt, daß wir erst vor zwei Tagen ausgiebig miteinander
geredet
hatten,
aber
das
war
natürlich
irrational. Surface war freundlich zu mir gewesen, und ich mußte zu ihm ebenso freundlich sein. Außerdem war mir letzten Endes das bewußte Miterleben des Niedergangs erspart geblieben, der eingesetzt hatte, während ich im
Froster lag. Ich würde darauf achten müssen, die Leute nicht
darauf
hinzuweisen,
wieviel
inzwischen
verlorengegangen war. »Okay«, sagte ich. »Ich weiß gute Ratschläge immer zu würdigen. Danke für die Drinks.« Ich trank aus, was in meinem Glas noch übrig war. »Nehmen Sie s nicht zu schwer«, sagte er. »Halten Sie die Augen offen und den Mund geschlossen. Sie werden die Regeln schon lernen.« »Ich lasse mir das Maul zuschweißen, sobald ich raushabe, wie man mit dem Arsch pfeift.« »Genau das meine ich.« Ich glaube, er freute sich. Er hatte sich vorgenommen, mir Schwierigkeiten zu ersparen, und ich benahm mich so, als hätte ich kapiert. Ich wußte nicht, ob ich ihm die schlechte Nachricht sagen sollte oder nicht
daß mich eine
flüchtige Bemerkung, die er vor einer Minute fallengelassen hatte, zu einer Erkenntnis gebracht hatte, die den ganzen Fall, sechs Jahre alt oder nicht, einer Lösung verlockend nahe erscheinen ließ. Konnte durchaus sein, daß ich keine Lizenz besaß, aber das würde mich nicht davon abhalten, das zu Ende zu führen, was ich angefangen hatte. Ich war ziemlich sicher, daß der niedergeschlagene alte Affe auf der anderen Seite des Tisches das nicht hören wollte. Doch der alte Surface, der kampferprobte, mit allen Wassern gewaschene Privatinquisitor, den ich vor sechs Jahren oder zwei Tagen kennengelernt hatte, wäre der Sache möglicherweise anders gegenübergestanden, hätte
vielleicht Gefallen gefunden an dem Gedanken, daß ich immer noch verbissen meinen Job tat. Ich dachte nicht lang darüber nach. Der Surface, der es hätte hören wollen, war seit sechs Jahren tot. Daran mußte ich mich langsam gewöhnen. Ich stand auf und zog meinen Mantel an. »Nehmen Sie es nicht zu schwer, Metcalf«, sagte Surface noch mal. »In Ordnung.« Ich wollte nur noch raus aus dem Loch, denn möglicherweise bestand die Gefahr, daß das, woran er litt, ansteckend war. Außerdem machte mich das Stillsitzen nervös. Der Stoff in meiner Tasche fiel mir ein, und meine Hände begannen zu zittern. Ich trug Surface nicht auf, sich wieder mal zu melden bei mir oder auf sich achtzugeben oder irgend etwas in der Art. Ich hatte das Gefühl, er wäre dankbar, wenn ich den Mund hielte, und so drehte ich mich nur um und hob die Hand, ehe ich die Tür öffnete. Er nickte mir zu, und ich trat hinaus ins Freie und die wenigen Stufen hinunter auf die Straße. Die Sonne stand jetzt in der Nachmittagshälfte des Himmels, und mein Magen fing an, sich selbst zu verdauen. Es waren etwa zehn Querstraßen bis zu einem Lokal, wo ich immer gern mal ein Sandwich mitgenommen hatte. Vielleicht war es immer noch da. Ich machte mich auf den Weg.
Kapitel 3 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Das Lokal, an das ich gedacht hatte, gab es nicht mehr, aber dafür ein anderes ein Stück weiter im selben Block. Offensichtlich aßen die Leute immer noch Sandwiches. Ich wechselte den Fünfzigdollarschein des Inquisitors in einen Zehndollarhaufen
Brot
mit
Mayonnaise
und
einen
Dreidollarbecher Limonade, und als die Kassa aufklappte, um mein Geld in Empfang zu nehmen, ließ sie ein kleines musikalisches Trommelfeuer los, das solange anhielt, bis die Geldlade wieder eingeschoben wurde. Der Junge hinter der Theke lächelte, als wäre das die natürlichste Sache der Welt. Ich hätte gern zurückgelächelt, aber das Lächeln wollte mir nicht auf die Lippen. »Ich nehme an, Ihre Musikbox gibt das Wechselgeld heraus«, bemerkte ich. Der Junge runzelte die Stirn, als hätte er Mühe, mich zu verstehen.
Er
zog
einen
kleinen
Apparat
aus
der
Hosentasche und sprach in ein seitlich angebrachtes Mikrophon, das sich offenbar hinter den Schlitzen verbarg. »Das mit der Musikbox, gerade eben«, sagte er. »Nur ein Scherz«, kam eine Stimme aus dem Kästchen. »Ah ja.« Er sah mich an und lachte. Ich wünschte mir inständig, daß er es darauf angelegt hatte, mich zu verkohlen, aber keine Spur davon. So kam
ich zu der Einsicht, daß es sich hier wohl um das handelte, was Surface gemeint hatte, als er von Leuten sprach, die hinter vorgehaltener Hand redeten, und da rann es mir kalt über den Buckel. Ich trug mein Sandwich zu einem Tisch im hintersten Winkel, aber der Appetit war mir vergangen. Ich aß es trotzdem. Als ich fertig war, nahm ich den Becher und
die
Papierserviette
und
steckte
sie
in
den
Abfallbehälter an der Eingangstür. Er belohnte mich mit einem Fanfarenstoß im Westentaschenformat, und diesmal enthielt ich mich jeglichen Kommentars. Statt dessen ging ich hinaus auf die Straße und verwendete eine stille Minute darauf, die Sache sorgfältig aus meinen Gedanken zu löschen. Meine Hände zitterten, also steckte ich sie in die Hosentaschen. Mein nächster Schritt sollte, wenn ich es richtig sah, darin bestehen, zu irgendeiner Art von Unterkunft und einem Fahrzeug zu kommen, was in meiner Lage nur eines bedeuten konnte. In einem Wagen kann man sich aufs Ohr hauen, aber mit dem Zimmer in einer Penne kann man nicht durch die Gegend kutschieren. Ich machte eine Autovermietung
ausfindig
und
händigte
dem
übergewichtigen Kerl im Lehnstuhl den Hunderter als Kaution für eine robuste Rostlaube mit halbvollem Tank aus. Als ich ihm den intakten Schein reichte, achtete ich sorgfältig darauf, das Bündel, das aussah wie ein Stapel Hunderter, vor seinen Augen zu schwenken. »Ich benötige Ihre Karte«, ächzte er. Etwas ganz Neues, sie jemandem vorzuzeigen, der kein
Inquisitor war, aber ich dachte daran, was Surface über das Mundhalten und Lernen der Regeln gesagt hatte, und holte sie hervor. Ich hatte so ein komisches Gefühl, als würde er mir gleich ein paar Punkte abziehen, aber er sah sie nur an und schrieb die Seriennummer ab, ehe er sie mir wieder zurückgab. Zum erstenmal warf ich einen Blick auf die neue Karte. Mein Name stand zwar drauf, aber ansonsten war sie mir fremd. Zu sauber. Auf meiner alten hatten sich die Abdrücke von tausend trüben Tassen angesammelt, und das vermißte ich. Als das erledigt war, ließ mich der Kerl noch ein paar Formulare unterschreiben, und dann durfte ich mit dem Wrack davonfahren. Der Hunderter war mein letztes echtes Geld gewesen, wodurch ich mit nichts dastand außer mit dem Wagen, dem halbvollen Tank und den Kleidern, die ich auf dem Leib trug. Und dem Päckchen Stoff, falls mich der Wunsch überkam, alles rasch zu vergessen. Die Sache sah besser und immer besser aus. Ich fuhr hinauf in die Hügel bis zu einer Aussicht, die mir zusagte, stieg aus und betrachtete sie. Wind kam aus der Bucht herauf und brachte den Geruch nach Salz mit sich, was mich an den weiten Ozean denken ließ. Ich schwelgte kurz in der Vorstellung, einfach in den Wagen zu steigen, bis ans Ende der Halbinsel zu fahren und mir einen stillen Strand zu suchen, wo ich den Stoff und das Zeug, das
aussah
wie
Geld,
ja
vielleicht
sogar
meine
fünfundsiebzig Punkte Karma in die Fluten werfen würde, um mich dann im Sand auszustrecken und abzuwarten,
was passierte.
Ein
Weilchen überließ ich
mich dem
Tagtraum, wie man es so tut, wenn man ganz genau weiß, daß er nie Wirklichkeit werden wird, und begann dann, wieder an den Fall zu denken. Ich stieg in den Wagen und fuhr zu dem Haus an der Cranberry Street. Es gab gar keinen besonderen Grund dafür
ich hatte einfach nur Lust dazu. Hier hatte der Fall
seinen Ausgang genommen, hier, wo ich dazu ausersehen war, Celeste durch die Fenster zu beobachten, und vielleicht ging mir nun durch den Kopf, daß der Fall auch hier enden könnte. Möglicherweise war das Haus längst abgerissen, aber ich war bereit, ein wenig von meinem Benzin zu opfern, um das herauszufinden. Das Haus stand immer noch. Ich kann nicht sagen, ob es mich froh machte oder nicht. Jedenfalls stellte ich den Wagen ab und ging an die Rückseite des Gebäudes sozusagen um der alten Zeiten willen. Der hintere Teil des Gartens war immer noch unverbaut; wer auch immer die Pläne sechs Jahre zuvor hatte entwerfen lassen, er hatte es sich offenbar anders überlegt. Ich wanderte beinahe ums ganze Haus herum, bemühte mich aber nicht, in die Fenster zu gucken. Von außen betrachtet hatte sich nichts verändert. Guten Mutes ging ich zur Tür und klingelte. Ich wartete so lange, daß ich mich schon zum Gehen wandte, als endlich die Tür aufging. Es war Pansy Greenleaf
oder
Patricia Angwine. Ich wußte immer noch nicht, welcher Name der richtigere war. Sie wirkte beträchtlich mehr als
sechs Jahre älter, aber ich erkannte sie auf den ersten Blick. Sie erkannte mich nicht. Ich war keinen Tag älter geworden
nun, vielleicht einen Tag
, aber sie stand da,
blinzelte in die Sonne und starrte mich verständnislos an. »Mein Name ist Conrad Metcalf«, sagte ich. Was nicht mehr Eindruck auf sie machte als der Anblick meines Gesichtes. Ich wartete, aber sie starrte mich nur ausdruckslos an. »Ich möchte mit Ihnen sprechen«, sagte ich. »Oh. Treten Sie ein. Ich ziehe mein Gedächtnis zu Rate.« Sie ging voraus, und ich folgte ihr durch die Halle. Das Haus schien nicht so erstklassig in Schuß wie früher, aber als ich in das sonnendurchflutete Wohnzimmer trat, dessen riesiges Fenster auf die Bucht hinausging, hatte dieser Umstand seine Bedeutung verloren. Der Architekt hatte diesen Raum so entworfen, daß man sich unweigerlich klein und fehl am Platz vorkam, und das funktionierte auch. Pansy schlich immer noch durchs Haus wie ein Einbrecher, und nun wohnte sie bereits seit mindestens acht Jahren darin, also wußte ich, daß es auch bei ihr funktionierte. Sie führte mich durch die Tür, zeigte auf einen Platz auf dem Sofa und blieb für einen Moment stehen, um meine Gesichtszüge zu studieren, wobei sie die Stirn in einer Karikatur angestrengten Nachdenkens in Falten zog. »Bin gleich wieder da«, sagte sie. Ihre Stimme klang unbeschwert. Sie sah zwar zwanzig Jahre älter aus, aber
die Wolke aus Schuldbewußtsein und Kummer, die sie früher stets umgeben hatte, schien sich vollkommen verflüchtigt zu haben. Ich setzte mich auf das Sofa und wartete, während sie in der Küche verschwand. Soweit ich feststellen konnte, waren wir allein im Haus. Der Fleck, wo ich saß, war sonnenwarm, und vor mir über den Tisch zogen sich die letzten Spuren eines ganzen Fächers von Straßen dahin; daneben lag eine Rasierklinge und ein Strohhalm. Ich brauchte
also
nicht
zu
raten,
womit
Pansy
gerade
beschäftigt gewesen war, als ich geklingelt hatte. Ich spürte einen Anflug von Neid. Als sie zurückkam, setzte sie sich mir gegenüber und stellte etwas auf den Tisch zwischen uns, das aussah wie ein Taschenrechner. »Conrad Metcalf«, sagte sie in das Mikrophon. Fast hätte ich mich angesprochen gefühlt, aber mein Versuch zu antworten wurde von dem Klang ihrer eigenen Stimme aus dem Apparat auf dem Tisch abgeschnitten. »Tut mir leid«, sagte die Stimme. »Daran erinnerst du dich nicht.« Pansy sah mich an und lächelte verwirrt. Ich bemühte mich, sie nicht allzusehr wie ein Idiot anzustarren. »Ihr Name ist mir unbekannt«, sagte sie. »Vielleicht sollten Sie Ihr Gedächtnis zu Rate ziehen. Dies könnte das falsche Haus sein.« Ich überlegte hurtig. »Sie haben meinen Namen falsch verstanden«, sagte ich. »Maynard Stanhunt. Versuchen Sie
es noch mal.« »Oh«, machte sie ärgerlich. Sie drückte ein Knöpfchen am Mikrophon und sprach den neuen Namen hinein. »Maynard Stanhunt«, wiederholte der kleine Apparat. »Das war dieser nette Arzt. Er und Celeste waren so nett zu dir, damals. Sie sind nicht mehr da.« »Sie sind dieser nette Arzt«, sagte sie arglos, als wären diese Worte nicht Sekunden zuvor in ihrer eigenen Stimme aus dem Ding auf dem Tisch gekommen. »Das ist schon so lange her. Wie nett, Sie wiederzusehen.« Ich war zutiefst erschüttert, aber ich arbeitete im Eiltempo, um es mir nicht anmerken zu lassen. »Ja«, sagte ich, »es ist wirklich nett, wieder zurück zu sein.« »Nun«, nickte sie, »das freut mich.« »Das ist nett«, sagte ich. Das Wort war höllisch ansteckend. »Es ist nett, wenn man sich freut.« »Ja«, nickte sie. »Ich möchte Ihnen gern ein paar Fragen stellen«, sagte ich. »Oh«, machte sie wieder. »Fragen.« Ich nehme an, ihr Finger lag auf dem Knöpfchen, denn das Ding auf dem Tisch sagte: »Nur wenn es wirklich unumgänglich ist.« »Es ist wirklich unumgänglich«, antwortete ich, ehe sie eine Chance hatte, es zu wiederholen. Verwirrt sah sie den Apparat an und dann wieder mich. Mein direktes Eingehen auf die aufgezeichnete Stimme hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Ich vermutete,
es war unhöflich, sich offen anmerken zu lassen, daß sie überhaupt existierte. »Oh. Ich denke, dann ist es in Ordnung. Wenn es wirklich unumgänglich ist.« »Verraten Sie mir, wie Sie es bewerkstelligen, das Haus zu erhalten«, sagte ich. Sie runzelte die Stirn wie eine Hausfrau, der der Kuchen im Backofen zusammengefallen ist. »Das Geld für das Haus«, sagte sie ins Mikrophon. »Joey gibt es dir«, erwiderte ihre Stimme. »Joey gibt mir das Geld«, sagte Pansy. »Er ist so nett zu mir.« »Joey«, wiederholte ich. »Und was ist mit Danny passiert?« »Danny«, sprach sie zu dem Ding. Ihre Stimme antwortete: »Danny Phoneblum. Er ist so groß und dick. Er war dein bester Freund. Praktisch immer. Dann wurde er alt und zog ins Altersheim. Er ist sehr gut zu Joey. Er behandelt ihn wie einen Sohn, den er nie hatte. Whiskey mit Soda und einem Streifchen Zitronenschale, das hat er gern.« »Ich glaube, ich habe die Frage nicht verstanden«, sagte Pansy bekümmert. Ich
hingegen
Erinnerungen Äußerlichkeiten
begann
waren
langsam
erlaubt,
beschränkten
wenn und
zu sie
rigoros
verstehen. sich
auf
eingekürzt
wurden. So blieb mehr Platz im Hirn für den neuesten Hit, der demnächst aus dem erstbesten Trinkbrunnen oder
Zigarettenautomaten erklingen würde. »Etwas anderes«, wechselte ich das Thema. »Sagen Sie mir, wem hat man eigentlich den Mord an Celeste unter die Weste gejubelt?« »Den Mord an Celeste«, wiederholte Pansy. »Celeste hat uns vorübergehend verlassen«, antwortete die Stimme. »Celeste hat uns verlassen«, sagte Pansy. »Das ist nicht dasselbe wie ermordet werden.« »Nein«, räumte ich ein. »Es ist nicht dasselbe.« »Sie müssen einen Fehler gemacht haben«, sagte sie. »Ziehen Sie Ihr Gedächtnis zu Rate.« »Es ist schon in Ordnung«, versicherte ich. »Ich habe einen Fehler gemacht. Erzählen Sie mir von Ihrem Bruder. Ist er schon aus dem Froster?« »Mein Bruder«, sagte sie. »Du erinnerst dich nicht an deinen Bruder«, sagte ihr Gedächtnis. Pansy sah mich an und hob die Schultern. »Orton Angwine«, beharrte ich. »Orton Angwine«, wiederholte sie. »Der Name sagt dir überhaupt nichts«, antwortete das Gedächtnis. »Der Name sagt mir überhaupt nichts«, erklärte Pansy. »Tut mir leid.« »Kein Problem.« Das Gespräch ermüdete mich. Das Verhältnis von Wiederholungen zu Informationen war extrem uninteressant. Ich hatte schon mit dem Gedanken
gespielt, daß ich nicht Pansy interviewen sollte, sondern ihr maschinelles
Gedächtnis,
war
aber
wieder
davon
abgekommen. Im Gedächtnis klafften zu viele Lücken. Nicht so viele wie bei Pansy, aber jedenfalls zu viele. »Sie sind so voll komischer Fragen, Doktor Stanhunt«, sagte
Pansy.
»Ich
wünschte,
ich
könnte
sie
besser
verstehen.« »Tut mir leid, Pansy. Ich würde nicht fragen, wenn es nicht unumgänglich notwendig wäre.« »Sie sollten ein Gedächtnis verwenden.« »Ich verwende eine ganz neue Art von Gedächtnis«, sagte ich. »Ein Gehirnimplantat. Man muß dabei nichts laut aussprechen. Man denkt ganz einfach das Gewünschte, und es spricht zu einem mit leiser Stimme im Kopf.« »Oh.« Sie überdachte das eine Weile. »Klingt sehr praktisch.« »Es ist großartig«, bestätigte ich. »Und ich weiß es wirklich zu schätzen, daß Sie mir geholfen haben, ein paar Dinge herauszufinden. Ich war lange weg und muß wohl einiges aufholen.« »Sie und Celeste«, strahlte sie, »ihr beide wart auf einer Reise!« »Ganz richtig. Und nun erzählen Sie mir von Doktor Testafer. Erinnern Sie sich an ihn?« »Doktor Testafer«, sagte sie ins Mikrophon. »Der gute Doktor Testafer«, antwortete das Gedächtnis. Es klang wie der Anfang eines Kinderreims. »Er wohnt auf dem Berg. Er war Doktor Stanhunts Partner, bevor er sich
zur Ruhe setzte. Gin und Tonic, mit Eis.« »Er ist Ihr Partner«, sagte Pansy zu mir. »Es überrascht mich, daß Sie nicht in Verbindung mit ihm sind.« »Das wäre ich ja gern«, sagte ich. »Wohnt er immer noch im selben Haus wie früher?« »Das reicht«, kam eine Stimme von hinten. Barry Phoneblum stand in der Halle. »Barry«, sagte Pansy, und zum erstenmal, seit ich geklingelt hatte, klang ihre Stimme warm und lebendig. »Du erinnerst dich gewiß an Doktor Stanhunt. Doktor Stanhunt, das ist mein Sohn Barry.« »Wir kennen uns bereits«, stellte Barry sarkastisch fest. Er trug ein einfaches Hemdchen und gestreifte Hosen, beides recht ordentlich, und diesmal keine Perücke. Er war nicht größer als beim letzten Mal, aber sein Gesicht war nun das eines Teenagers, und die Anzahl von Falten auf seiner ausladenden Stirn hatte sich um den Zuwachs aus sechs Jahren vermehrt. An seinen Schläfen standen die Adern wie Würmer unter der Haut hervor. »Ich möchte, daß du nach oben gehst, Pansy«, sagte er mit fester Stimme. »Doktor Stanhunt und ich müssen etwas besprechen.« Seine Worte waren an sie gerichtet, aber seine Augen auf mich. Es erinnerte mich an Celeste, als sie nach Hause gekommen war und das Kätzchen weggeschickt
hatte.
Immerzu
ließ
ich
mich
dabei
erwischen, wie ich Leute ausfragte, die so dumm waren, mir die Antworten zu liefern. »Oh«, sagte Pansy. Sie griff sich das Gedächtnis vom
Tisch und ließ es in die Tasche ihrer Bluse gleiten. Die Rasierklinge und den Halm ließ sie liegen, aber vermutlich gab es oben Reserve. Jetzt hatte sie ja neue Dinge zu vergessen. »Okay«, sagte sie. »Guten Tag, Doktor Stanhunt. Bitte grüßen Sie Celeste von mir.« Ich versprach es ihr. Auf Zehenspitzen ging sie die Treppe hoch, und Barry und ich blieben im Wohnzimmer zurück. Mit einer einzigen, versierten Bewegung schwang er sich auf den Sessel gegenüber und schlug die Füße unter sich, um
zu
vermeiden, daß sie in der Luft baumelten. Wahrscheinlich hatte
er
nun
bereits
ausreichend
Erfahrung
als
Einmeterzwerg in einer Welt von beinah Zweimeterriesen. Als er in seine Jackentasche griff, erwartete ich, daß daraus ein Gedächtnis zum Vorschein kommen würde. Statt dessen erschien eine Knarre. Als Barry sie aus der Tasche zog, spielte sie ein paar Takte einer unheilschwanger pochenden
Geigenkomposition,
die
klang
wie
die
Begleitmusik einer alten Krimiserie im Radio. »Metcalf«, sagte er. »Das Känguruh meinte, Sie würden zurückkommen, und ich habe ihm nicht geglaubt.« »Hat nicht lange auf sich warten lassen, das Einnisten im
Schoß
der
Familie,
wie?«
grinste
ich.
»Die
Evolutionstherapie hält auch nicht, was sie verspricht.« »Saftsack«, sagte er. »Meine Beweggründe übersteigen Ihren
Intellekt.«
Saftsack
zumindest hörte es sich so an.
war
jetzt
sein
Kennwort,
»Lassen wir s auf einen Versuch ankommen.« Er zog nur höhnisch die Mundwinkel nach unten. Das Telefon lag auf dem Tisch zwischen uns, und er beugte sich vor und nahm es, ohne die unsichtbare Linie zwischen dem Pistolenlauf und meinem Herzen je zu verändern. Ich sah zu, wie er auf die Tasten tippte. Wie die Nummer auch lautete, seine kleinen Finger kannten sie auswendig. Er drückte das Telefon mit der Schulter gegen sein großes Ohr und wartete, daß jemand dranging. »Barry hier«, sagte er, nachdem es am anderen Ende etwa zweimal geklingelt haben mußte. »Gib mir das Känguruh.« Und dann ließ man ihn ein, zwei Minuten lang warten, während ich lustige Grimassen zog, aber er lachte nicht. »Scheiße«, sagte er, als die Antwort kam. »Dann sag ihm, ich habe Metcalf hier vor dem Lauf. Er wird wissen, was das heißt.« Sie redeten noch ein Weilchen länger, und dann legte er das Telefon wieder hin und sah mich verdrießlich an; seine Stirn war bis zum Scheitel hinauf gerunzelt. »Sie sind wohl ganz versessen darauf, Prügel zu beziehen, kleiner Nimmersatt«, sagte er. »Kleiner Feinspitz«, korrigierte ich. »Denn wenn sie nicht wirklich perfekt sind, schicke ich sie zurück.« Er lachte nicht. »Was hat Pansy Ihnen erzählt?« fragte er. »Nichts, was ich nicht auch von einer Backsteinmauer hätte erfahren können. Wir versuchten, Tic-tac-toe zu
spielen, aber sie wußte nie, ob sie Kreis oder Kreuzchen ist.« Das gefiel Barry gar nicht. Ich denke, es lief seinem Besitzerinteresse
an
Pansys
Person
zuwider.
Sein
Unterkiefer wurde starr, und sein Gesicht rötete sich überall dort, wo sich die Haut nicht weiß über die Knochen spannte. »Du kannst mich, Metcalf.« Seine Stimme bebte. »Ich könnte dich jetzt einfach wegblasen, wenn es mir nicht so zuwider wäre, hinterher den Dreck wegzuwischen. Keinem würdest du fehlen.« »Du kannst mich, Phoneblum. Drück jetzt ab, und der Rückstoß bricht dir die Nase.« Er entfernte die Pistole von seiner Nasenspitze. »Nenn mich nicht Phoneblum, Saftsack!« »Vielleicht kaufst du ihm keinen Schlips zum Vatertag«, sagte ich. »Und vielleicht hat er dich noch nie zum Fußball mitgenommen. Aber das ändert nichts an den Tatsachen.« »Ich
hatte
Ihr
Interesse
an
Genealogie
ganz
vergessen.« Jetzt war er wieder der alte. Zwei Seelen wohnten
in
seiner
Brust
eine
sprach
mit
Babykopfgeplapper, die andere im Unterweltjargon. Und er konnte sich für keine von beiden entscheiden. »Das zeugt von
einer
ergreifenden
Unfähigkeit,
über
zufällige
verwandtschaftliche Beziehungen hinauszublicken.« »Ich weiß, was du meinst. Ich habe ein echtes Problem, über die Beziehung zwischen der Hand des Känguruhs und den Fäden, an denen du tanzt, hinauszublicken.« Während ich sprach, rückte ich meine Füße auf dem Teppich vor und
schob die Knie unter den Rand der gläsernen Tischplatte. »Ich habe mir mehr von dir erwartet, Barry. Du warst mir immer ein Pickel am Hintern, aber zumindest hattest du Stil.« »Was für dümmliche Andeutungen«, sagte er. »Ich nehme den Kies von dem Känguruh nur, damit für meine Mutter genug da ist. Mehr ist darüber nicht zu sagen.« »Deine Mutter ist tot«, sagte ich. »Ich habe in ihrem Blut gestanden.« Es war darauf angelegt, ihn zurückzucken zu lassen, und es funktionierte. Ich riß den Couchtisch mit den Knien hoch und stieß ihn in Richtung Barry. Das Telefon und die Rasierklinge fielen in einer Wolke aus feinem weißem Pulver zu Boden, und der Tisch kippte auf Barry, ohne daß die gläserne Wand zwischen uns beiden brach. Dahinter saß er nun in der Falle. Die Waffe war immer noch in seiner Hand, aber unter dem Gewicht der Glasplatte konnte er sie nicht auf mich richten. Ich plazierte meine Schuhsohle auf die Stelle, unter der sich sein Gesicht befand. »Wirf mir die Knarre rüber, Barry. Wenn das bricht, gibt s einen Haufen Splitter!« Er fing zwar an, in seinem Käfig herumzuwetzen, ließ aber die Waffe nicht los. Ich drückte mit dem Fuß gegen das Glas, bis der Sessel nach hinten kippte und Barry hervorkollerte. Die Kanone fiel in eine Ecke. Die Glasplatte glitt zurück auf den Boden und blieb angelehnt an den Sessel aufrecht stehen. Sie war immer noch ganz. Ich ging zu Barry, packte ihn am Kragen und schüttelte
ihn ein bißchen, bis mein Ärger abklang und sein Hemd zerriß.
Dann
stellte
ich
ihn
wieder
hin.
Wäre
mir
unangenehm gewesen, wenn er den Eindruck gewonnen hätte, seine Klamotten würden mir mißfallen. Als ich aufblickte, merkte ich, daß Pansy uns von der Treppe herab beobachtete; ihre Hände lagen hübsch gefaltet auf dem Geländer, und sie sah nicht übermäßig besorgt drein. Ich hatte keine Ahnung, was sie dachte, daß hier vorging, und ob sie überhaupt noch über das geistige Rüstzeug verfügte, um Vermutungen darüber anstellen zu können. Und ich wollte darüber eigentlich auch gar nicht nachdenken. Ich wollte gehen. Das gewiß unmittelbar bevorstehende Eintreffen des Känguruhs war nicht der einzige Grund dafür. Barry lag zusammengekrümmt auf dem Teppich und sah aus wie ein abgetriebener Fötus. Ich stieg über ihn hinweg, und als ich seine Knarre aufhob, spielte sie mir wieder ein schönes Liedchen vor. Die Geigen wußten nicht, daß der Fall erledigt war. Ich steckte die Waffe ein, strich meine Jacke glatt und ging zur Tür. Pansy sah mir schweigend dabei zu. »Sie sollten Ihrem kleinen Jungen ein Malbuch oder ein Markenalbum kaufen«, sagte ich. »Er weiß nicht, wie er die Zeit totschlagen soll. Am Ende fängt er noch an zu masturbieren.« Als
ich
durch
masturbieren
die
Tür
trat,
hörte
ich
Pansy
in ihr kleines Mikrophon sagen, aber ich
war draußen, noch ehe die Antwort kam.
Kapitel 4 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Auf meinem Weg zu Testafers Haus geriet ich in eine Verkehrskontrolle. Der Wagen stand mit laufendem Motor an einer engen Stelle der Straße, und ich sah ihn erst, als es schon zu spät war. Ein Inquisitor winkte mich an den Straßenrand, kam näher und beugte sich in mein Fenster. »Karte«, sagte er. Ich gab sie ihm. »Sieht so sauber aus«, bemerkte er. »Ist neu.« Ich schaute ihm in die Augen und hoffte, er würde nicht sehen, wie meine Hände auf dem Lenkrad zitterten. Sie zitterten aus verschiedenen Gründen. Die Kanone in meiner Jackentasche war einer davon. Der Stoff, der nicht in meinen Adern kreiste, ein anderer. Er winkte einen zweiten Inquisitor herbei. »Wirf mal einen Blick darauf«, sagte er. »Ein frisch Aufgetauter.« Er schnippte ihm meine Karte zu. Komisch, ich hatte bisher eigentlich keine besondere emotionale Bindung zu ihr verspürt, aber nun, da ich sie in den Händen zweier Kerle aus dem Büro sah, fühlte ich mich geradezu zärtlich zu ihr hingezogen. »Prächtig«, nickte Nummer Zwei. »Wär schön, wenn s mehr von der Sorte gäbe.« Ich enthielt mich jeglichen Kommentars.
»Wagenpapiere?« sagte Nummer Eins. »Mietwagen.« Die Quittung war im Handschuhfach, und ich holte sie heraus. Er warf einen Blick darauf und reichte sie mir zurück. »Wohin soll die Fahrt gehen?« Ich hob die Schultern. »Will mich nur ein wenig in der alten Umgebung umsehen.« »Pläne?« Ich dachte nach; ein Heiterkeitserfolg wäre mir wohl sicher gewesen, wenn ich ihnen erzählt hätte, daß ich als Privatinquisitor an einem Fall arbeitete, der sechs Jahre auf dem Buckel
hatte. »Ich versuche nur,
mich wieder
zurechtzufinden«, sagte ich. Das entlockte ihm ein Lächeln. Er wandte sich an Nummer
Zwo.
»Hörst
du?
Er
versucht,
sich
zurechtzufinden.« Nummer Zwei lächelte auch und trat näher an meinen Wagen heran. »Was haben Sie denn angestellt, Metcalf?« »Eigentlich nichts«, sagte ich. »Bin bloß einigen Leuten auf die Zehen getreten. Uralte Geschichten.« »Wer hat Sie denn eingelocht?« Ich überlegte flink. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren die beiden Kornfelds Jungs. »Morgenlander«, antwortete ich. Sie tauschten einen Blick. »Unglückswurm«,
sagte
Nummer
Zwei;
in
seiner
Stimme lag ehrliches Mitgefühl. Er gab mir meine Karte zurück. Ich hatte das Richtige gesagt.
»Verdammte Schande«, nickte Nummer Eins. »Schon vor Jahren hätte man die letzten seiner Trophäen freilassen sollen.« Ich schob die Karte in die Hüfttasche meiner Hose und hielt
den
Mund.
Plötzlich
erschien
ich
den
beiden
vertrauenswürdig, was für Morgenlander nichts Gutes bedeuten konnte. Und das verursachte mir ein Gefühl der Niedergeschlagenheit
etwas, das ich nicht erwartet hätte.
Doch Morgenlanders Tage waren bereits sechs Jahre zuvor gezählt gewesen, also hätte es mich eigentlich nicht überraschen dürfen. Aber ich denke, irgendein dämlicher, optimistischer Teil von mir hatte gehofft, er würde mehr oder weniger ungeschoren davonkommen. »Okay«, sagte Nummer Zwo. »Stecken Sie nicht Ihr ganzes Geld in Spazierfahrten mit dem Mietwagen. Sie sind noch jung. Sehen Sie sich nach einem Job um.« Ich bedankte mich und wünschte einen guten Tag. Die beiden gingen zurück zu ihrer Straßensperre, und ich rollte das Fenster hoch und fuhr davon. Ich dachte an Kornfeld und kam zu dem Schluß, daß es mir überhaupt nichts ausmachen würde, wenn sich ein Revanchespiel ergeben sollte. Diesmal hatte ich weit weniger zu verlieren als beim letztenmal. Wenn schon nichts anderes, dann schuldete ich dem Kerl einfach noch eine
Gerade
in
den
Solarplexus,
und
wenn
seine
Magengrube inzwischen sechs Jahre schlaffer geworden war, um so besser. Ja, Kornfeld hatte sich eine Erwähnung in meinem
geistigen Terminkalender verdient, aber Doktor Testafer war zuerst dran. Ich brauchte Grovers freiwillige oder unfreiwillige Hilfe bei ein, zwei fehlenden Gliedern der Kette. Als ich am Ende der Straße angekommen war, parkte
ich
den
Wagen
wiederum
auf
dem
baumbestandenen Plätzchen, von dem Testafers Zufahrt abging. Der Ort weckte Erinnerungen in mir. Vor drei Tagen oder sechs Jahren zählte
es kam darauf an, wie man
hatte ich hier meinen Stoff geschnupft, und die
Nase juckte mich schon, wenn ich nur daran dachte. Während ich zu Fuß zu Testafers Haus wanderte, bemühte ich mich, mir den Gedanken an das weiße Pulver aus dem Kopf zu schlagen, aber es fiel mir schwer. Die Sache funktionierte wie ein Schachtelmännchen, das auf einer übereifrigen Feder sitzt: Schon beim leisesten Daranrühren springt es hoch. Das Haus wirkte ziemlich unverändert
das Haupthaus,
meine ich. Das kleine angebaute Häuschen links sah unbewohnt aus. Vermutlich hatte Doktor Testafer nach Dulcie allen Schafen abgeschworen. Ich klingelte, und nach einer Minute kam Testafer an die Tür. Er rief in mir wie immer die Vorstellung hervor, als müßte er seit frühester Jugend fünfzig Jahre alt sein, und die sechs Jahre, die diesmal dazukamen, ließen ihn auch nicht älter aussehen. Er war immer noch so rot im Gesicht, als wäre er gerade treppauf gelaufen, und möglicherweise fehlten ein paar dieser feinen weißen Büschel, die sich für Haare ausgaben. Doch wenn man das Wenige in Betracht
zog, mit dem er zu Rande kommen mußte, so sah er recht gut
aus,
überraschend
gut.
Bei
unserem
letzten
Zusammentreffen hatte er sich zwischen zwei geparkten Wagen vor den herumschwirrenden Kugeln in Sicherheit gebracht
ein hilfloser Fisch, den es an Land gespült hatte.
Hier in der Tür seines Hauses wirkte er nicht so fehl am Platz. »Hallo, Grover«, sagte ich. Er blickte mich verständnislos an. Ich spürte, wie sich die Faust der Wut in meinem Magen ballte. Hier spielte sich das gleiche ab wie bei Pansy! »Hinein!« knurrte ich. Ich stemmte die Hände gegen seine Brust und schob ihn rückwärts ins Haus, ehe ich die Tür hinter mir zutrat. »Holen Sie Ihr Gedächtnis.« Seine Brauen hoben sich ungläubig. »Los!« rief ich. Ich schubste ihn weiter, und er stolperte vor mir her ins Wohnzimmer. Doch mit einemmal stieß mir die ganze Sache sauer auf, sehr sauer. Ich hätte ihm furchtbar gern eine verpaßt, aber er war zu alt dazu, also bückte ich mich und wischte mit dem Arm über ein Tischchen, auf dem dicht gedrängt Nippsachen aus Glas und Keramik standen. Sie zerbarsten auf dem Boden zu tausend Scherben. Testafer fuhr fort rückwärts zu stolpern, bis er auf das Sofa fiel. Ich drehte mich um und wollte mich über das Fach mit den alten Zeitschriften hermachen, aber es war nicht mehr da. »Wo ist Ihr Gedächtnis?« fragte ich. »Holen Sie s raus.« Die Tür zur Küche schwang auf, und ein Kerl erschien
mit einem Drink in jeder Hand
Gin-Tonic, wenn Pansys
Gedächtnis es richtig gespeichert hatte. Der Knabe war etwa so alt wie Testafer und sah so dünn und weiß aus wie Grover fett und rot. Ich brauchte nicht lange, um zu kapieren: Testafer hatte einen kleinen Liebling. Eigentlich keine Überraschung. Nachdem er die Praxis aufgegeben hatte, vermißte er wohl die Penisse in seiner Hand. Auf ulkige Weise hatte er mein vollstes Verständnis. Ich ging dem Knaben entgegen und nahm ihm die Gläser ab. »Machen Sie einen Spaziergang«, sagte ich. Er ließ die Drinks los, als hätte er sie extra für mich gemacht. Als Grover sprach, war es ein heiseres Flüstern. »Du solltest besser gehen, David«, sagte er. »Es ist alles in Ordnung.« Schweigend bahnte David sich einen Weg durch die Glasscherben
und
Keramiktrümmer
und
verduftete
folgsam. Grover hatte von Schafen, die sich wie Menschen benahmen, umgesattelt auf Menschen, die sich wie Schafe benahmen. Als ich mich ihm zuwandte, lag sein Gedächtnis neben ihm auf dem Sofa, und er hielt ein Mikrophon an einem dünnen Draht in der Hand. Ich hatte rasch gelernt, die Dinger zu verabscheuen. Grover starrte mich mit einem verzweifelten Ausdruck in den Augen an, und einen sonderbaren Moment lang verrauchte meine Wut, und er tat mir leid. Aber eben nur einen Moment lang. »Metcalf«, sagte ich. Er wußte, was ich meinte. Er wiederholte es ins
Mikrophon, und aus dem Kästchen kam seine Stimme so ruhig und langsam, als hätte er geraume Zeit an dieser speziellen Eingabe gebastelt. »Der Detektiv«, sagte die Stimme. »Ein gefährlicher, impulsiver Mann. Maynard machte den Fehler, ihn in diese Sache hineinzuziehen, und dann konnte er ihn nicht mehr loswerden.
Danny
Phoneblums
Gegenspieler.
Ein
im
Grunde abstoßender, lästiger Charakter.« Testafer
sah
mich
ausdruckslos
und
mit
zusammengepreßten Lippen an, während seine Stimme aus dem Apparat drang. Ich mußte unwillkürlich lächeln. Die Beschreibung gefiel mir nicht schlecht. Zumindest fand ich es beruhigend, daß sich wenigstens irgendwo irgendeine Spur meiner Arbeit niedergeschlagen hatte. Ich reichte Testafer eines der beiden Gläser, und er nippte nervös daran, während er abwartete, ob die Information zu Ende war. Das war sie. »Das ist eine sehr alte Eintragung«, sagte er leise, Furchtsamkeit im Blick. Ich betrachtete ihn eingehend auf der Suche nach dem Anzeichen einer echten Erinnerung, einem Hinweis auf Feindseligkeit oder Schuldbewußtsein, aber es gab nichts dergleichen. »Ist schon okay«, sagte ich. »Sie ist durchaus aktuell.« Er kriegte es nicht mit, oder vielleicht doch, und es erschreckte ihn. Wie auch immer, der Effekt war der gleiche: Er saß da und fixierte mich baß erstaunt, wie ein Baby, wenn man lustige Gesichter zieht. Ich setzte mich in den Lehnstuhl ihm gegenüber und nahm einen Schluck aus
dem Glas in meiner Hand. Gin und Tonic, tatsächlich. Allmählich ging mir der Dampf aus, und der Drink schmeckte unheimlich gut. Ich spürte meine Wut nicht mehr und bemühte mich auch nicht sehr darum. Es überstieg einfach meine Kraft, wütend auf einen Kerl zu bleiben, der nicht die blasseste Ahnung hatte, wovon ich sprach. Ich spürte das Gewicht der Vergangenheit wie Ballast auf mir
etwas, das mit mir herumzuschleppen nur
ich so dämlich war; ich fing an mich zu fragen, ob es nicht langsam an der Zeit wäre, all das abzuwerfen. Wenn ich Testafer ansah, erschien mir das durchaus erstrebenswert. Eine Sekunde lang beneidete ich ihn und begann, an alle meine Taschen zu klopfen, um das kleine Päckchen mit dem Stoff zu orten. Eine Sekunde lang. Dann überlegte ich, woran ich da dachte, holte tief Atem, stellte das Glas auf den Boden, leckte mir den Alkohol von den Lippen und ließ den Gedanken an den Stoff sausen. Sorgsam ballte ich erneut die Faust meiner Wut, stand auf, ging um den Tisch herum und
packte
Testafers
Gedächtnisapparat.
Das
Mikrophonkabel spannte sich zwischen uns. Er blickte mit leicht geöffnetem Mund und weit aufgerissenen Augen hoch zu mir. Jetzt spürte ich meine Wut wieder, spürte sie klar und kalt und wollte, daß er sie auch zu spüren bekam. Ich hoffte, es würde ihm ein Gefühl der Verwundbarkeit vermitteln, sein Gedächtnis in meiner Hand zu sehen. »Dulde, das Schaf«, stieß ich zwischen den Zähnen hervor.
In seinen Augen glomm zum erstenmal etwas, das über die Furcht eines Kindes in der Geisterbahn hinausging. »Sagen Sie es«, forderte ich ihn auf. Er sagte es. »Deine treue Gefährtin«, kam seine Stimme aus dem Kästchen. »Ihr Leben wurde auf tragische Weise vorzeitig beendet. Der Mord ist nach wie vor ungeklärt.« »Das ist eine Lüge«, sagte ich. »Den Mord hat man Orton Angwine angehängt.« Grover Testafer war weit davon entfernt, sich wohl zu fühlen in seiner Haut. Die Hand, in der er das Mikrophon hielt, zitterte. »Angwine wurde nur des Mordes an Maynard schuldig gesprochen«, erklärte er. »Und wer hat das Schaf umgebracht?« Er schloß die Augen. »Wer hat das Schaf umgebracht?« wiederholte ich. Er beugte sich hinab, spitzte die Lippen und sagte: »Wer hat das Schaf umgebracht?« So, wie er dabei die Augen geschlossen hielt, sah er aus, als würde er ins Mikrophon beten. »Der Mord ist nach wie vor ungeklärt«, sagte das Gedächtnis. »Der Mord ist nach wie vor ungeklärt«, sagte Testafer zu mir, ohne die Augen zu öffnen. »Ich habe ihn geklärt, Grover. Machen Sie die Augen auf und sagen Sie mir, wer das Schaf umgebracht hat.« Ich packte seine Hand und drückte zu, bis er das Mikrophon fallenließ. Diesmal öffnete er die Augen, aber er sagte
nichts. »Sie brauchen das da nicht.« Ich zeigte auf das Kästchen. »Eine Weile hat s ja geklappt bei mir, aber als Sie die Augen schlossen, haben Sie es verpatzt. Wer hat das arme Schaf umgebracht?« Ich ließ das Kästchen und das Mikrophon auf den Boden fallen und zertrat beides mit dem Schuhabsatz. Es bestand nur aus Plastik, Draht und Computerchips und zerkrümelte selbst auf dem weichen Teppich ohne besondere Mühe meinerseits. Danach kickte ich das ganze zur Seite, bis es sich mit dem Haufen Scherben vermischt hatte, der bereits dalag. Testafer wurde immer röter im Gesicht und schüttete sich den Drink übers Hemd, als er versuchte, ihn in einem Zug zu leeren. Ich glaube, sogar seine Lider wurden am Rand ein wenig naß, ehe er sich fing und seine Gefühle wieder einholte. »Ich habe es getan«, flüsterte er, sobald es seine zugeschnürte Kehle erlaubte. »Sagen Sie mir, wie Sie darauf gekommen sind.« »Das war nicht schwer«, erklärte ich. »Anfangs schloß ich Sie noch aus, weil Sie voll in Dulcies Eingeweide trafen. Das brauchten Sie nicht, um sie zu töten, und jemand, der sich ein wenig auskennt, würde es vermeiden, eine solche Schweinerei anzurichten. Aber Sie sind kein Chirurg und Sie sind ganz gewiß kein Tierarzt. Wenn das Gemetzel kluge Berechnung war, dann hat es beinah funktioniert, wenn es aus Dummheit geschah, dann hätten Sie beinah Glück gehabt. Beinah.« Er verriet mir nicht, was von beidem richtig war.
Vermutlich Dummheit und Glück. »Dulde wußte Dinge, die den Fall hätten platzen lassen können«, fuhr ich fort. »Ich hatte nichts davon aus ihr herausgekriegt, aber das wußten Sie nicht. Als ich ging, waren Sie außer sich und frustriert und in Panik. Schon damals habe ich mich gefragt, ob Sie sie wohl schlagen würden. Da war es kein großer Schritt, Sie für den Mord in Betracht zu ziehen.« Ich sah zu, wie Testafer auf dem Sofa vor mir verfiel und alterte. Sechs Jahre lang hatte er diese Erinnerungen bei sich behalten. Ganz ohne Zweifel hatte er das Forgettol und den Gedächtnisapparat nur als Fassade für seine Umgebung benutzt. Doch nach dem Ausmaß zu schließen, in dem er zu schrumpfen schien, durchlebte er ebenso ohne Zweifel zum erstenmal hautnah die Eingeweideseite dieser Erinnerung. »Um Himmels willen«, sagte er durch seine Finger hindurch, »wühlen Sie nicht alles wieder auf!« Er klang, als würde man ihn zwingen, auf der Stelle dem Kadaver ins Auge zu sehen. »Nur keine Aufregung«, sagte ich. »Ich nehm s nicht so genau mit dem Tierschutz. Sie können mich mit der Antwort auf zwei Fragen bestechen.« Es war mein Ernst. Nicht, daß ich der Meinung war, er hätte schon genug gelitten
ich würde mir nie anmaßen,
Missetaten und Leid gegeneinander aufzurechnen. Aber von nun an spielte ich hier nur noch mit, um mich selbst zufriedenzustellen, und was Testafer betraf, so war ich
bereits zufriedengestellt. Ich gewährte ihm eine Minute, um sich das Gesicht abzutrocknen. »Celeste hat vor acht Jahren nicht die Stadt verlassen«, sagte ich. »Sie kam hierher, um bei Ihnen zu wohnen. Sie waren ihr Hausarzt. Sie leisteten ihr Beistand, als Barry zur Welt kam, und sie hat Ihnen vertraut. Phoneblum wurde grob zu ihr, und sie wollte weg von ihm.« Er nickte. »Nicht
Phoneblum
hat
Maynard
mit
Celeste
bekanntgemacht, das waren Sie. Sie mußten ihn vor der Übernahme in Ihre Praxis einführen, die beiden lernten sich kennen, und ungeachtet Ihrer Warnungen flogen die Funken.« »Das stimmt so ziemlich«, sagte er. »Celeste und das Schaf standen auf freundschaftlichem Fuß seit damals, als Celeste sich hier versteckte und sie beide hier wohnten. Dulcie wußte alles von Phoneblum, und Sie dachten, ich hätte es aus ihr rausgequetscht. Sie glaubten ihr nicht, als sie behauptete, sie hätte ihr kleines schwarzes Mäulchen gehalten, und Sie waren wütend auf uns beide, aber ausgelassen haben Sie es allein an ihr.« Er nickte nur. »Sie hat sich Ihnen gegenüber anständig verhalten, Grover. Sie hat niemanden verpfiffen. Vielleicht wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn sie mich überhaupt nicht zur Tür hineingelassen hätte, aber sie hat nichts Wichtiges ausgeplaudert.«
Er schwieg. Einmal hatte er geschluchzt, ein zweitesmal würde er es nicht tun. Er bereitete sich darauf vor, mir irgendein glaubhaftes Theater vorzuspielen und meine Fragen zu beantworten. Bloß hatte ich keine mehr. Das war der letzte Stein des Puzzles gewesen. Ich brauchte keine Informationen mehr von Testafer und hatte nichts mehr hier verloren, wo ich in sein rundes rotes Gesicht sehen mußte, während er Trübsal blies. Ich mußte weiter, den Job zu Ende führen
und ich brauchte Stoff, ganz
dringend. Ich war bereits auf den Beinen und wandte mich gerade zum Gehen, als mir plötzlich ein Gedanke kam. Der Gedanke
lautete
folgendermaßen:
Testafer
war
Arzt,
Testafer war ein reicher Mann und Testafer war vor allem ein Mann, der es vorzog, etwas Besseres zu schnupfen als das behördlich verordnete Zeug. Zumindest hatte es sich vor sechs Jahren so verhalten. »Sie haben nicht zufällig irgendwo ein Häufchen alten Stoff herumliegen, oder?« fragte ich. »Irgendwas, das ein bißchen
weniger barbarisch
ist
als der
Einheitsstoff?
Irgendwas, das nicht soviel Forgettol enthält?« Er lächelte. »Das gleiche wollte ich Sie auch gerade fragen.«
Kapitel 5 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Ich saß bei offener Tür in meinem Wagen, legte die Hände aufs Lenkrad und sah ihnen beim Zittern zu. Es hörte nicht auf. Ich brauchte Addiktol, und ich brauchte es bald. Ich fuhr zur Mischerei. Es brannte Licht, und irgendein sauer gewordener Schatten von Hoffnung regte
sich
schwach in meinem Herzen. Die Annahme, daß der Mischer noch
irgendwo
ein
paar
Reste
der
alten
Zutaten
herumstehen hatte, aus denen er etwas zusammenrühren konnte, was annähernd meiner alten Mischung entsprach, erschien mir nicht allzu weit hergeholt. Und wenn nicht, dann würde ich mich damit zufriedengeben, ein bißchen Addiktol zu nehmen
pur, nichts sonst, vielen Dank,
Wiedersehen.
eintrat,
Als
ich
verflüchtigte
sich
der
Schatten von Hoffnung, als hätte man ihn weggebleicht. Ein
Typ
steckte
soeben
seine
Karte
in
einen
Verkaufsautomaten an der gegenüberliegenden Wand. Es gab keinen Tresen mehr, kein Regal voll kleiner weißer Fläschchen, keinen freundlichen alten Mischer. Nichts. Die Automaten hingen nebeneinander an den Wänden wie Pißbecken im Bahnhofsklo, und ich mußte nicht abwarten, bis der Mann ein Briefchen aus dem Auswerfer holte, um zu wissen, wofür sie da waren. Ich ging wieder hinaus ins Freie; mir war schlecht. Das
Gratispäckchen in meiner Tasche brannte ein Loch in das Gewebe, aber es hatte keinen praktischen Wert. Offenbar konnte ich mir jederzeit soviel holen, wie ich wollte. Ich hatte den komischen Einfall, bloß ein ganz klein wenig zu schnupfen, aber ich wußte, das war ein schlechter Scherz. Wenn ich mal anfing, würde ich eine ganze Weile nicht aufhören. So fuhr ich ins Hügelland zu Phoneblums früherer Bleibe. Die Nacht senkte sich auf die Bäume und Dächer herab, und ich gab mir alle Mühe, mich von ihr aus meiner Beklommenheit manövrieren zu lassen, aber keine Rede davon. Das nackte Verlangen hatte meine Eingeweide eisern im Griff. Ich fuhr den Wagen an den Straßenrand und warf das Briefchen aus meiner Tasche in den Wald, um seiner Verlockung nicht doch noch zu erliegen. Falls ich irgendwann doch etwas davon haben wollte, konnte ich das Zeug jederzeit bekommen, aber momentan hatte ich zu arbeiten. Und dazu mußte ich nicht allein mein eigenes Gedächtnis
im
Auge
behalten;
mir
war
bereits
klargeworden, daß darüber hinaus auch die Erinnerungen der anderen Leute in mein Aufgabengebiet fielen. Zuerst erkannte ich Phoneblums Wohnsitz nicht wieder. Das große vorgetäuschte Haus gab es nicht mehr, wodurch der Treppenschacht entblößt auf dem höchsten Punkt des Hügels zurückgeblieben war. Ich blieb dennoch stehen, weil ich nicht daran zweifelte, daß an genau dieser Adresse die Pflicht auf mich wartete, ganz egal, wie sie sich an der Oberfläche darbot. Das war nicht die Art von Besitz, der
häufig den Eigentümer wechselt. Die
Veränderung
reflektierte
zweifellos
den
Machtwechsel von Phoneblum zum Känguruh, der während meiner Abwesenheit stattgefunden hatte. Phoneblum hatte das große vorgegaukelte Haus dargestellt, das sich auf dem Hügel breitmachte
nichts als Bluff und Schnörkelei,
um seine Verworfenheit stilvoll zu bemänteln. Und das Känguruh
als ich feststellte, daß ich das Känguruh gerade
mit einem Treppenschacht verglich, mußte ich innerlich lachen und hörte auf zu vergleichen. Ich wollte Joey aufs Korn nehmen, war aber noch nicht soweit, um mich mit ihm anlegen zu können
noch nicht.
Ich stellte den Motor und die Scheinwerfer ab und sah zu, wie der Mond aufging. Wiederum waren meine Hände in Bewegung, diesmal zuckten die Daumen, aber langsam gewöhnte ich mich daran. Bei Überwachungen langweile ich mich immerzu, und dies war keine Ausnahme. Ich dachte an Maynard und Celeste und das Hotelzimmer, und dann dachte ich an Walter Surface und das Känguruh. Ich dachte an Catherine Teleprompter, fragte mich, wo sie jetzt wohl war und wie sie aussah. Ich dachte an eine Menge Dinge. Schließlich dachte ich an Stoff, an eine Menge Stoff. Große Haufen Stoff. Ich hatte mich in meinem Leben schon über viele Junkies mokiert, dabei aber stets verdammt gut aufgepaßt, daß immer ein Halm für meine eigene Nase in Reichweite war, falls ich ihn brauchte. Nun kam ich darauf zurück und entschuldigte mich bei jedem einzelnen von ihnen. Mein
Organismus
versuchte,
ohne
den
Kraftstoff
zu
funktionieren, der ihn jahrelang am Laufen gehalten hatte, und es war die Hölle. Ich spürte geradezu, wie mein Blutkreislauf die Fettreserven um die letzten Spuren des lebensnotwendigen
Addiktols
anbettelte,
die
möglicherweise noch irgendwo lagerten, und dann spürte ich, wie die Fettzellen ihre Hosentaschen nach außen drehten und sagten: Tut mir leid, Kumpel, nichts mehr da. Ich weiß nicht, wie lange ich dort so saß. Bestimmt hielt ich meinen Blick nicht sehr lang auf den Eingang zum Treppenschacht gerichtet. Die Hände rutschten mir vom Lenkrad, und ich schlief ein. Meine Träume waren wirr und nebelhaft,
unverständlich
wie
Babykopfgeplapper.
Ich
wachte erst auf, als die Sonne bereits wieder am Himmel stand, aber es war nicht die Sonne, die mich aufweckte. Es war
die
unverwechselbare
Stimme
des
Känguruhs,
unangenehm dicht an meinem Seitenfenster. Meine Hand zuckte schon zu der Knarre in meiner Jackentasche, als ich merkte, daß Joey gar nicht zu mir sprach. »Steigt ein«, sagte er. Ich hob den Kopf so weit, daß ich sehen konnte, wie er es zu Barry Phoneblum und zwei Rabauken vom alten Schlag sagte. Das Känguruh sperrte die Beifahrertür des Wagens vor mir auf, und der Babykopf kletterte hinein. Die Rabauken stiegen hinten ein, und einer von ihnen zog eine Kanone hervor und kontrollierte das Magazin. Ich legte die Hand auf Barrys Waffe in meiner Tasche und duckte mich.
»Ich sagte dir doch, er würde nicht hierherkommen«, erklärte Barry. Joey ging um den Wagen herum und setzte sich hinter das Lenkrad. Sein Fenster war geschlossen, und als er etwas sagte, verstand ich es nicht. »Vermutlich hat er was Besseres zu tun«, fuhr Barry fort. Ich wünschte bei Gott, das hätte ich. Das Känguruh startete den Motor, und sie fuhren weg. Kein Zweifel, daß sie auf der Suche nach mir waren. Ich verwünschte
mich,
weil
ich
ausgerechnet
in
Joeys
Vorgärtchen hatte einschlafen müssen, und dann schickte ich dem Schutzpatron der doofen Nüsse und bibbernden Junkies rasch ein Gebet zum Himmel. Wie dumm von mir, überhaupt hierher zu kommen! Als ich damals Phoneblum ins
Haus
geschneit
war,
hatte
ich
eine
zweifache
Lebensversicherung gehabt: einerseits seine Sorge um seine
verschiedenen
»Schutzbefohlenen«,
andererseits
seinen sonderbaren Sinn für Klasse und Fairneß. Bei dem Känguruh hatte ich nichts davon. Nur das Glück des Dummen, noch am Leben zu sein. Als ich sichergehen konnte, daß die Luft rein war, setzte ich mich auf und machte kurz Inventur. Beide Beine waren vom
Eingekeiltsein
unter
dem
Armaturenbrett
eingeschlafen, der Geschmack in meinem Mund erinnerte an Kotze, und als ich die Hand von der Knarre in meiner Tasche nahm, begann sie wieder zu zittern. Ansonsten war ich intakt. Ich fuhr den Hügel hinab, entdeckte ein
öffentliches Telefon und meldete ein R-Gespräch mit Surface an. Es war höchste Zeit, das Herumschleichen um den heißen Brei einzustellen.
Kapitel 6 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Am
Telefon
hatte
der
alte
Affe
nicht
besonders
enthusiastisch geklungen, doch als ich beim Büro ankam, wartete
er
bereits
vor
dem
Gebäude
und
ging
im
Gleichschritt mit mir die Stufen zur Eingangshalle hoch. »Danke, daß Sie gekommen sind, Walter«, sagte ich. »Nichts zu danken«, grunzte er. Wir
traten
ein.
Das
Büro
wirkt
immer
völlig
überrumpelt, wenn Leute aus eigenem Antrieb auftauchen; es gibt dort keine Empfangshalle, sondern eher eine Art Rampe, über die man die Leute hinausbefördert, und einen langen, geraden Korridor, damit man ihnen Tempo macht, bevor
sie
an
der
Rampe
anlangen.
Was
das
Hineinbefördern betrifft, so ist man wohl der Ansicht, man müßte die Leute ohnedies zur Hintertür hineinschleifen oder
bewußtlos
auf
dem
Boden
eines
Dienstwagens
transportieren. Kurz und gut: Man geht auf seinen eigenen Beinen rein, und alle Blicke wenden sich einem zu. Jetzt war es nicht anders. Wir schritten auf einen Tisch zu, der so etwas wie ein Empfangsschalter war, obwohl der Typ dahinter ganz gewiß noch nie etwas Ausgefalleneres als eine Pizza für die Jungs in den oberen Etagen in Empfang genommen hatte. »Ich möchte mit Inquisitor Kornfeld sprechen«, sagte
ich. Der Mann überraschte mich, indem er wortlos den Namen in seinen Computer tippte. »Nicht anwesend«, sagte er. »Okay, dann Inquisitor Morgenlander.« Das gleiche Resultat. Ich hatte ein komisches Gefühl. Das waren die beiden gegnerischen
Parteien
gewesen,
als
ich
mich
beim
letztenmal verabschiedet hatte, und Kornfeld schien ein sicherer Kandidat dafür, daß die Dinge im Büro eine ganze Weile auf seine Weise laufen würden. Doch was mir Sorgen bereitete, war weniger der Umstand, daß keiner der beiden sich im Gebäude aufhielt, sondern daß der Typ hier seinen Computer zu Rate ziehen mußte, um das festzustellen. »Inquisitor Teleprompter«, sagte ich. Er nahm die Finger von der Tastatur. »Ich sehe mal nach.« Zum erstenmal richtete er den Blick auf mich und den Affen und musterte uns eingehend. Ich quittierte das mit
einem
Lächeln,
und
er
wandte
sich
an
die
Haussprechanlage und drückte ein paar Knöpfe. »Miss Teleprompter«, sagte er. »Da ist ein Kerl, der mit Ihnen sprechen möchte.« Er hörte kurz zu und sah mich an. »Wie ist der Name?« Ich nannte ihn, und er gab ihn weiter. »Warten
Sie
bitte
hier«,
sagte
er
mit
leicht
aufgerissenen Augen. Ich denke, er war verblüfft. Surface und ich traten gerade von dem Tisch weg, um ein wenig auf und ab zu gehen, als ein Schwarm
büroeigene Gorillas mit steifen Schultern und finsteren Mienen
auf
uns
zukam
und
uns
umringte
wie
ein
Gummiband. »Mister Metcalf?« fragte einer von ihnen. »Metcalf zusammen.«
und Der
Surface«, Affe
sagte
machte
ich.
keinen
»Wir
reisen
ausgesprochen
dankbaren Eindruck, aber er widersprach auch nicht. Die Inquisitoren packten uns an den Armen und drängten uns zum Lift. Ich bezweifelte, daß wir alle zusammen in eine Kabine paßten, und wollte gerade vorschlagen, daß Surface und ich die nächste nehmen würden, aber dann ging es doch. Die ausladenderen unserer Begleiter zogen den Bauch ein, und schon ging es nach oben. Als der Lift auf der zweiten Etage anhielt, manövrierte unsere Eskorte uns zu einem der Direktionsbüros. Ich war zwar beeindruckt, aber nicht so dumm anzunehmen, daß es als gutes Zeichen galt, wenn Catherine sich inzwischen weiter nach oben gehievt hatte. Soviel ich wußte, war das Spiel hier oben ebenso schmutzig wie das Spiel unten auf den Straßen. Nach der Eingabe eines Codes drängten unsere Begleiter uns durch die Tür, wobei uns zwei folgten und der Rest draußen auf dem Korridor zurückblieb. Es war eines der besseren Büros, mit einem großen Panoramafenster, das auf die Bucht hinausging, und einer Menge geschmackvoller Fotos und Erinnerungsstücken an den Wänden. Catherine saß hinter einem Schreibtisch, wie es ihn größer nicht geben konnte, sah sechs Jahre älter aus und
keinen
Tag
schlechter.
Dasselbe
Haar
war
zurückgekämmt und entblößte dieselbe Kehle, und ich verlor mich dort für eine Minute, ehe ich bemerkte, wie hart ihre Augen waren. »Filzt die beiden«, sagte sie. Die Jungs machten sich an die Arbeit. Sie fanden die Waffe, die ich bei mir hatte, und ein kleines Notizbuch bei Surface und legten die Sachen zusammen mit unseren Karten vor Catherine hin. Sie warf alles in eine Schublade und trug den Kraftpaketen auf, draußen zu warten. »Setzen«, ordnete sie an. Wir setzten uns. »Sie hätten die Stadt verlassen müssen, Metcalf«, sagte sie. »Sie wissen doch, wie die Sache läuft.« Ich ließ meinen Blick in ihre Augen wandern, aber dort war Endstation. Sie blieb reglos. Sie blinzelte nicht einmal es sei denn, sie stimmte ihr Blinzeln haargenau mit dem meinen ab. Der Effekt war eindrucksvoll. »Ich bin erst zwei Tage alt, Catherine«, sagte ich. »Gib mir doch eine Chance!« »Nennen Sie mich nicht Catherine«, entgegnete sie. »Ich habe Ihnen schon eine Chance zuviel gegeben, indem ich Sie und Ihren Affen in mein Büro ließ.« Ihre Stimme klang wie der Bohrer des Zahnarztes. Unsere Blicke trafen sich wieder. Ich sah die Frau an, mit der ich vor zwei Tagen ins Bett geklettert war, aber ich mußte mich zu der Einsicht zwingen, daß sie dort nicht sechs Jahre lang gewartet hatte, bis ich aus dem Bad zurückkam. Je tiefer ich diese Erinnerungen begrub, um so
besser. »Okay«, sagte ich. »Mir ist alles klar. Du gehörst jetzt zur Elite des Hauses. Meinen Glückwunsch, und es tut mir leid. Wo ist Kornfeld?« Sie
fuhr
nicht
aufbrausend
hoch.
Soviel
gab
es
immerhin noch zwischen uns. »Schon lange weg«, sagte sie. »Er hat es zu weit getrieben, und jetzt liegt er für eine Weile im Froster.« Sie ließ es so klingen, als hätte sie selbst dafür gesorgt, und vielleicht hatte sie das auch. »Also wenn du etwas mit Kornfeld zu erledigen hast, mußt du dich ein Weilchen gedulden.« »Ich schulde ihm etwas. Eine harte Gerade in die Magengrube. Aber das hat Zeit. Wer ist eigentlich an seine Stelle getreten? Oder spreche ich gerade mit ihr?« »Das könnte stimmen«, sagte sie. Ich sah Surface an; er schoß mir einen angewiderten Blick zurück. »Dann bist du diejenige, mit der ich sprechen will«, sagte ich. »Hat nichts zu tun mit früher.« »Du hast fünf Minuten.« »Ich bin sicher, du wirst die Zeit völlig vergessen«, versicherte ich ihr. »Es bleibt spannend bis zur letzten Sekunde.« »Meine Aufmerksamkeit pflegt bald nachzulassen.« »Es ist ganz einfach: Da gibt es ein paar Morde, bei denen sich nie jemand die Mühe gemacht hat, sie aufzuklären. Und dazu einen Jungen im Froster, der nicht dorthin gehört.«
»Wenn du den Namen Stanhunt erwähnst, hast du drei Minuten.« »Wie wäre es mit sechs Minuten für zwei Stanhunts?« »Los, weiter.« »Ich rede rasch und mit hoher Stimme, und du kannst es aufnehmen und nachher langsam abspielen, okay? Ich habe den Stanhunt-Fall geklärt. Beide Stanhunt-Fälle.« Surface
knurrte
und
ächzte,
als
stünde
er
auf
Catherines Seite. »Ist ein tolles Ding«, sagte ich rasch, »ein sorgfältig ausbalancierter Mechanismus, der ins Schwanken geriet und in sich zusammenfiel. Und es beginnt und endet mit Danny Phoneblum.« »Du warst geradezu besessen von Phoneblum«, stellte Catherine fest. »Ich habe mir die Sache vorgenommen. Hoffnungslos.
Du
kannst
ihn
nicht
in
den
Fall
hineinziehen.« »Ich war besessen von der Wahrheit«, sagte ich. »Phoneblum ist der Fall. Phoneblum und Celeste. Schon als ich sie zum erstenmal sah, wußte ich, daß sie eine Vergangenheit
abschütteln
wollte,
die
sich
nicht
abschütteln ließ. Es hat einige Zeit gebraucht, aber schließlich bin ich von selbst draufgekommen: Sie war Phoneblums Betthase, ich weiß nicht, wie lang, aber jedenfalls lang. Er liebte sie, und vielleicht hat sie ihn auch geliebt. Sie schenkte ihm einen Sohn. Testafer war der Geburtshelfer.« »Du strapazierst deine Glaubwürdigkeit bereits jetzt bis
zum äußersten.« »Eine Minute noch. Der Name des Jungen ist Barry. Phoneblum wünschte sich einen Erben und wollte, daß Celeste bei ihm blieb und den Jungen aufzog. Aber er behandelte sie nicht gut, schlug sie, und so rannte sie ihm davon und zog beim Doktor ein. Das hat mir Testafer gestern nachmittag bestätigt.« Sie verzog das Gesicht. »Celeste nahm das Baby mit und ließ Phoneblum im unklaren über ihre neue Adresse. Zu dieser Zeit arbeitete Doktor Testafer einen Arzt namens Maynard Stanhunt in seine Praxis ein, und als Stanhunt und Celeste sich kennenlernten, sprühten die Funken. Testafer riet Celeste zwar unter vier Augen von Maynard ab, aber er unterließ es, seinen Goldjungen darüber aufzuklären, daß er der Exbraut
eines
wutschnaubenden
Gangsters
den
Hof
machte.« »Eine ziemlich müde Geschichte, Metcalf.« »Paß auf«, sagte ich, »hier kommt das Büro ins Spiel. Als Phoneblum
seine
abspenstige
Madonna
mit
Kind
ausfindig macht, ist er erheblich geladen. Er will sie zurückhaben, aber sie sagt nein, und er spuckt sich schon in die Hände, um den Neuen an ihrer Seite aus dem Weg zu räumen, da kommt dem Fettsack eine Idee. Unter all seinen
Geschäften
befindet
sich
auch
ein
kleines
Sklavenkapsel-Bordell, bestückt mit aufgetauten Leibern aus dem Froster, an die er mit freundlicher Genehmigung deines alten
Kumpels
Kornfeld herankommt. Und er
benötigt immer mal einen Arzt, um Frostschäden zu behandeln. Also nimmt er das Kind an sich und zwingt Stanhunt
und
Testafer
durch
Drohungen,
sein
Krankenrevier zu betreuen.« Ich holte tief Atem und fuhr fort. »Für Phoneblum arbeitet
ein
Junkie,
ein
Mädchen,
das
seine
Drogengeschäfte schmeißt. Er kauft ihr das Haus in der Cranberry Street und macht aus ihr eine Kinderfrau für den Kleinen.« »Pansy Greenleaf«, warf Surface ein. »Richtig. Und so hat Phoneblum seinen Erben, er hat seine Ärzte und er kann Celeste wieder unter Druck setzen. Was an diesem Punkt ihrer Beziehung wohl alles ist, was er will.« Catherine
und
Surface
waren
plötzlich
ganz
still
geworden. Ich hatte sie in Fahrt gebracht. Was das betraf, so hatte ich auch mich selbst in Fahrt gebracht, und nun mußte ich nur noch den Rest rüberbringen. Ich hoffte, ich würde uns nicht alle drei enttäuschen. »Das einzige Problem ist«, fuhr ich fort, »daß Celeste die Unart hat, sang- und klanglos zu verduften. Sie packt ihre Sachen und verläßt den Doktor, was sowohl Stanhunt als auch Phoneblum schwer im Magen liegt, denn sie ist es schließlich, die das Gleichgewicht zwischen den beiden herstellt. Also stecken sie die Köpfe zusammen und schicken Detektive aus, die Celeste auf den Fersen bleiben sollen, um zu versuchen, das hübsche kleine Dreieck wieder zum Funktionieren zu bringen.«
»Sie und mich«, sagte Surface. »Sie und mich«, nickte ich. »Nur stellt es sich heraus, daß nicht Celeste jene Seite des Dreiecks ist, die auf Dauer herausbricht.
Als
Stanhunt
tot
in
dem
Hotelzimmer
gefunden wird, kippt die Waage in die andere Richtung. Phoneblum hat keinen Grund mehr, die Finger von Celeste zu lassen. Sie weiß das und wird nervös und hält jeden, der sie komisch ansieht, für einen von Phoneblums Gorillas mich eingeschlossen. Als ihr klar wird, daß ich mein eigener Herr bin, versucht sie, mich zu ihrem Schutz zu engagieren, und ich knabbere am Köder, beiße aber nicht an. Sehr schlecht. In der Nacht, als sie starb, stieß ich zufällig auf Testafer und das Känguruh, die auf Phoneblums Anordnung hin die Stadt durchkämmten und nach Celeste Ausschau hielten.« »Celeste Stanhunt wurde von einem Unbekannten getötet, den sie in einem Sexclub aufgelesen hatte«, sagte Catherine. »Er hat sie vergewaltigt und ermordet. Sie hat darum gebettelt, und schließlich ist es passiert.« »Phoneblum hat sie in jener Nacht gefunden und sich dafür gerächt, daß sie ihn verlassen hatte«, sagte ich. »Dem stand nichts mehr im Wege, nachdem ihm Stanhunt abhanden gekommen war. Zuvor hatte er in Anbetracht des prachtvollen Arrangements seine Wut in Wartestellung gehalten. Und mit Kornfeld und dem Büro in seiner Tasche drohte ihm auch nicht die Gefahr einer Bestrafung. Ich kann es nicht beweisen, aber ganz genau so ist es gelaufen.«
»Die Einzelheiten des Falles kommen mir wieder in den Sinn«, sagte Catherine. »Das Junkie-Mädchen hatte einen Bruder. Er kam aus L.A. herauf und brachte Stanhunt in diesem Hotel um. Er ist nach wie vor schuldig. Und der Rest ist irrelevant.« »Orton Angwine hat so wenig mit dem Fall zu tun, als wäre er nie in der Stadt aufgetaucht«, widersprach ich. »Die Vorgänge in diesem Hotelzimmer hatten mich ganz verrückt gemacht
bis gestern. Ich habe zwar nicht sechs
Jahre damit zugebracht, darüber nachzudenken, aber wenn ich es getan hätte, wäre ich möglicherweise ebensowenig zu irgendeiner Erkenntnis gekommen.« Ich zeigte auf Surface. »Dazu hat mir eine Bemerkung verholfen, die Sie gestern in Ihrer Küche fallen ließen. Alle Fingerzeige
lagen
fein
säuberlich
vor
mir,
aber
ich
benötigte einen kleinen Tritt in den Hintern, um den geistigen Sprung zu schaffen.« »Meine Güte, Metcalf«, warf Surface ein, »Sie hören sich aber wirklich gern reden!« Ich verriet ihm nicht, daß ich gerade meine Sucht ausschwitzte. Das verhinderte mein Stolz. Aber hätte ich zu reden
aufgehört,
wäre
ich
wahrscheinlich
bewußtlos
umgefallen. »Ihr
beide
schwindlig
habt
gemacht«,
mich sagte
mit ich.
euren »Bei
Theorien dir«,
ich
ganz sah
Catherine an, »hatte Stanhunt diese Affäre im Hotel, und bei Ihnen«, ich wandte mich an Surface, »hatte Celeste das gleiche.« Ich lachte. »Ihr hattet beide halb recht.«
»Also, laß schon hören.« Sie wollte mir Tempo machen. Meine fünf Minuten mußten längst vorbei sein, aber ich wußte, jetzt hatte ich alle Zeit der Welt. »Ich komme noch darauf zurück. Doch zuerst muß ich weiter ausholen. Es gab da eine Art Steigerung bei den Detektiven, die von Stanhunt und Phoneblum engagiert wurden, und das ist von Bedeutung. Ich war der erste, ich verhandelte nur mit Stanhunt, der von mir bloß verlangte, Celeste unter Druck zu setzen und ihr die Heimkehr an den heimatlichen
Herd
nahezulegen.
Aber
Schnüffler
zu
engagieren war nicht Stanhunts starke Seite, und als es mit mir nicht klappte, überließ er Phoneblum die künftige Auswahl.
Der
Fette
betraute
Walter
hier
mit
der
Fortführung der Aufgabe.« Ich deutete auf Surface. »Als sein Bericht mit der Feststellung kam, daß Celeste sich so nebenbei was angefangen hatte, bot Phoneblum Surface einen ansehnlichen Batzen Geld, wenn er den neuen Herzbuben umlegte. Aber Walter sagte nein. Und er stellte seine Arbeit ein, ohne Stanhunt je zu Gesicht bekommen zu haben. Stimmt das bisher?« Surface grunzte bestätigend. »Phoneblum hatte auch an einer anderen Front Sorgen. Aus seinem
Sohn
und Schützling war
ein
Babykopf
geworden, der ausgerissen und in die Telegraph Avenue gerannt war, um dort Whiskey zu schlabbern und dumm herumzuquatschen. Phoneblum hatte zwar immer noch die Hoffnung, sein eigen Fleisch und Blut zurückzulocken
er
plante ein Babykopfquartier hinter dem Haus in der
Cranberry Street
, sah sich jedoch auch nach einem
anderen Kandidaten als Erben um. Und er fand einen in einem
jungen
Känguruh
namens
Joey
Castle.
Joey
entwickelte sich zu einem überaus gelehrigen Schüler.« »Das unterschreibe ich«, sagte Surface. Er dachte vermutlich an seine Rippen. »So, und jetzt stellt euch das bildlich vor«, fuhr ich fort. »Nach den Erfahrungen mit Surface und mir ist Phoneblum sauer und verzichtet auf Hilfe von außerhalb. Er hat doch seinen neuen Känguruh-Revolverhelden mit dem juckenden Zeigefinger am Abzug. Phoneblum gibt ihm den Auftrag, Celeste zu beschatten, auf dieselbe Weise wie bei Walter ohne, daß das Känguruh Maynard Stanhunt je zu Gesicht bekommen hat. Der Auftrag war der gleiche: Celestes Neuer muß von der Bildfläche verschwinden.« Der besseren Wirkung halber hielt ich inne, und die beiden schossen mit den Augen Pfeile auf mich ab. »Maynard Stanhunt
war schwer forgettolsüchtig
zumindest nach dem Standard von vor sechs Jahren. Als ich ihn damals zum erstenmal daheim anrief, wußte er nicht mehr, wer ich war. Ich warnte sogar Angwine vor den Gefahren, sich mit Leuten anzulegen, deren Gedächtnis von einem Tag zum nächsten riesige Lücken aufweist; aber die sich
daraus
ergebenden
Zusammenhänge
und
Auswirkungen hatte ich selbst nicht richtig durchdacht. Maynard und Celeste Stanhunt hatten beide eine Affäre im Bayview-Motel, sogar im selben Zimmer. Miteinander.« Ich wandte mich an Surface. »Walter, Sie hatten
damals Stanhunt vor sich, aber das wußten Sie nicht. Er war der Kerl, den Sie im Motel sahen. Sicher, Celeste hatte ihn
verlassen,
aber
ihre
Entschlossenheit
geriet
ins
Wanken, wie das so oft vorkommt. Also erklärte sie sich bereit, ihren Ehemann zu stillen Nachmittagen im Motel zu treffen. Aber sein Morgen-Ich, dasjenige, das den Detektiv engagierte, wußte nichts von dieser Vereinbarung.« Surface fiel das Kinn herab. »Gestern erzählten Sie mir, daß es in L.A. gegen die Gesetze
verstößt,
zu
wissen,
wie
man
seinen
Lebensunterhalt verdient, und in diesem Moment klickte es bei mir. Stanhunt war ein früher Prototyp dafür. Der Teil seines Ichs, bei dem nichts mit Celeste lief, war mörderisch eifersüchtig auf den Unbekannten, mit dem sie sich im Bayview-Motel traf, und so ersuchte er Phoneblum, seine Jungs
hinzuschicken,
Känguruh
wußte
um
den
ebensowenig
Kerl
umzunieten.
Das
wie
Sie,
wie
Walter,
Stanhunt aussah. Und so tat Joey einfach das, was man ihm aufgetragen hatte, und servierte den Liebhaber ab. Stanhunt engagierte seinen eigenen Killer.« Ich machte Pause, um ihnen Zeit zu geben, die Sache geistig nachzuvollziehen. Catherines Gesichtszüge waren einem steten Wandel unterzogen, zumeist in die skeptische Richtung, aber am Ende war sie doch zu klug, um nicht einzusehen, daß meiner Schilderung das Gewicht des tatsächlich Vorgefallenen zukam. Ich sah ihr dabei zu, wie sie nach und nach zu dieser Einsicht kam, und dann sah ich ihr dabei zu, wie sie sich daran erinnerte, daß sie meine
Karte in ihrer Schublade hatte, und daß nichts von alldem aus diesem Zimmer dringen mußte, wenn sie es nicht wollte. Sie wurde rasch wieder hart und realistisch vermutlich hatte sie in den vergangenen Jahren reichlich Gelegenheit gehabt, diese Fähigkeit zu trainieren. Sie hatte sich stärker verändert als Barry oder Surface oder Testafer oder irgend jemand sonst, dem ich seit meiner Rückkehr aus dem Froster begegnet war. Sie paßte jetzt haarscharf zu
diesem
Schreibtisch
und
dem
Büro
mit
dem
Panoramafenster. »Eine interessante Geschichte«, sagte sie. »Und was erhoffst du dir damit?« »Ich will Angwine aufgetaut haben«, antwortete ich. »Ich mache dir hier im Büro die Hölle heiß, wenn das nicht geschieht.« Sie lächelte nur fein. »Komm, laß mir doch die Illusion, Teleprompter«, sagte ich. »Laß mich doch denken, ich wäre eine Bedrohung für dich. Damit brichst du dir keinen Zacken aus der Krone, der Kerl ist harmlos
und unschuldig.«
Sie tippte etwas in den Computer ein. Ich nahm an, es handelte sich um Angwines Akte, die sie aufrief, aber im Grunde genommen konnte es
alles und jedes sein.
Vielleicht wollte sie einfach nur Zeit gewinnen. Sie kniff die Augen zusammen, und ich dachte daran, wie sie sich nicht mit Brille zeigen wollte, damals, als wir uns kennengelernt hatten. »Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte sie.
Ich überlegte. Angwines vierzehnhundert Dollar hatten mich weit gebracht. »Das reicht mir nicht«, sagte ich. »Ich will mehr als das.« Sie starrte mir unverwandt in die Augen, und diesmal war ich es, der nicht blinzelte. »Okay«, sagte sie. »Morgen. Du hast mein Wort.« »Danke.« »Dank nicht mir. Dank deinem Glücksstern. Und jetzt nehmt euer Zeug und verschwindet.« Sie öffnete die Schublade, gab Surface seine Karte und das Notizbuch zurück und dann gab sie mir meine Karte und legte die Knarre auf den Tisch. Ich griff danach, aber ihre Hand lag immer noch darauf, und sie sah mich an, und ich sah sie an und ich glaube, daß ich möglicherweise den leisesten Anflug eines Lächelns über ihr Gesicht huschen sah. Der Augenblick verging, und sie ließ mich die Waffe nehmen und in die Jackentasche stecken. Dann
beugte
sie
sich
über
das
Mikrophon
der
Sprechanlage und sprach zu dem Tarzan, der draußen vor der Tür die Stellung hielt. »Bringt sie raus«, sagte sie. »Werft sie auf die Straße.« Sie nahmen es wörtlich, der Teufel soll sie holen.
Kapitel 7 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Die Parkuhr vor dem Seniorenheim zur Grauen Walnuß spielte mir ein paar Takte hawaiianischer Gitarrenmusik, als ich den Groschen einwarf, aber ich blieb nicht da, um der Melodie zu lauschen. Es war eine lange Fahrt hinauf in die Hügel gewesen, und mein Kopf fühlte sich nicht allzu gut an. Mein Blutkreislauf hörte nicht auf zu betteln, und mir gingen langsam die Argumente fürs Neinsagen aus. Die Entzugserscheinungen waren wie ein Karussell, von dem ich nicht abspringen konnte, und statt auf einem hölzernen Pferdchen ritt ich auf einem Stachelschwein. Ich trat in das Gebäude. Es war ein ansprechendes, ruhiges Haus, überall antikes Rosenholz und Schalen mit frischen Blumen. Ich ging ins Verwaltungsbüro. Mein Erscheinen schien die Frau hinter dem Schreibtisch zu erschrecken; ich weiß nicht, ob die Ursache dafür meine roten Augen und das käsige Gesicht waren oder die Person, die ich vorhatte zu besuchen. Vielleicht alles mitsammen. Man hatte ihn in einen Aufenthaltsort gebracht, einen gefälligen
Raum
mit
Fenstern
auf
drei
Seiten
und
ausreichend Korbmöbeln, auf denen man Limonadengläser abstellen konnte. Er sah fern
oder, besser, man hatte ihn
vor den Fernseher plaziert, denn als ich hinter seinem Rollstuhl hervortrat und in seiner Blickrichtung stand,
bemerkte er es gar nicht, obwohl seine Augen offen waren. Wenn
man
von
der
Stumpfheit
in
den
einst
so
außergewöhnlich lebhaften Augen absah, hatte er sich kaum verändert. Sein Bart war ungepflegt, aber er besaß immer noch alle Haare auf dem Kopf. Ich bedeutete dem Pfleger zu gehen und setzte mich in einen der Korbsessel. Und so saßen wir eine Weile still da; ich sah den Staubteilchen zu, die auf den Sonnenstrahlen flimmerten, und er tat, als würde er fernsehen. Das einzige Geräusch war sein rasselnder Atem. Dann beugte ich mich hinüber und stellte den Apparat ab. »Phoneblum«, sagte ich. Er murmelte wie im Schlaf. Ich stand auf und packte ihn am Aufschlag des Morgenrocks. In seinen Augen wurde es bedeutend heller. »Wachen Sie auf«, sagte ich. Er legte seine großen keulenartigen Hände auf die meinen und stieß mich weg. Ich wartete, während er blinzelnd seine Benommenheit loswurde. Die Falten auf seiner Stirn formten sich zu einem Fragezeichen, als er mich genauer musterte. »Sie sind ein Inquisitor«, stellte er fest. Die Stimme rollte aus seiner Kehle wie Donner aus zweiter Hand, billig eingekauft. Es war eine Stimme aus der Vergangenheit, und es beeindruckte mich, daß er immer noch darüber verfügte. »Ganz richtig«, nickte ich. »Sehr gut.« Er krümmte einen Finger und rieb sich mit dem Knöchel an der Nase. »Machen Fragen Sie nervös? Ich
ziehe
es
üblicherweise
vor,
das
Korsett
der
uns
vorgeschriebenen Anstandsregeln ein wenig zu lockern.« Er fuhr bereits mit leerem Tank, aber die alten Sprüche starben nicht leicht. Im Geist nahm ich vor ihm den Hut ab. Es war nur Bluff, aber sein rostiges Eisen war besser als der blitzblanke Schliff der meisten übrigen Leute. In anderer Umgebung und wenn man Fernseher, Rollstuhl und die Staubschicht abzog, hätte ich durchaus geglaubt, er säße immer noch fest im Sattel. Doch was fehlte, war die harte, brillante Intelligenz in seinen Augen. Er wußte nicht, mit wem er sprach. »Fragen sind mein täglich Brot
und die Butter drauf«,
sagte ich. Daran erinnerte er sich nicht. Er nickte nur und sagte: »Gut. Was kann ich für Sie tun?« »Ich möchte Sie etwas über Celeste fragen.« Ich beobachtete ihn, wie er daran kaute. Ohne Zweifel erkannte er den Namen wieder. Er schien ihn wieder einen Schritt zurück ins Traumland zu führen. »Sie erinnern sich an Celeste?« fragte ich. »Ja, sicher«, antwortete er. Nun sah er mich nicht mehr an. »Ich erinnere mich an Celeste. Natürlich.« »Ich bearbeite den Mord an ihr.« Sein Blick schoß zurück zu mir. »Das ist schon lange her«, sagte er. »Zwei, drei Tage. Ich habe immer noch ihr Blut an den Schuhen.« Ich sagte es leichthin, aber ich merkte deutlich, daß er
Wirkung zeigte. Sein Kopf hob sich. »Ja«, sagte er leise. »Ich auch.« »Sie haben sie getötet«, half ich ihm auf die Sprünge. »Ich entsinne mich nicht«, sagte er. »Ich habe eine Menge Leute getötet.« »Sie haben sie geliebt.« Seine Miene verdüsterte sich. Ich wartete. »Ich entsinne mich nicht«, beteuerte er schließlich. Seine Gesichtszüge erschlafften. »Versuchen Sie, sich zu erinnern«, drängte ich. »Die eine war etwas Besonderes. Sie haben sie geliebt und Sie haben sie getötet.« Ich faßte ihn wiederum am Kragen. Seine Augen wurden klar, und sein Kinn straffte sich. »Ich glaube auch, daß ich das getan habe«, sagte er. »Manchmal gehen die beiden Dinge Hand in Hand.« Er lächelte durch seinen Bart hindurch. »Die Weiber sind schon von Natur aus vom Boden bis zur Mitte zweigeteilt, nicht wahr? Ich machte den Umstand nur komplett.« Das gab mir den Rest. Ich war mit mir selbst uneins gewesen, aber nun machte er es mir leicht. Ich ließ seinen Morgenmantel los, tat einen Schritt zurück und nahm Barrys Kanone aus der Jackentasche. Sie spielte wieder die schaurige Musik, als ich sie in der Hand hielt. Ich entsicherte sie und zielte auf Phoneblums breite Brust. Er gab ein gutes Ziel ab. Ich sah zu, wie er sich bemühte, seinen Blick auf die Waffe zu konzentrieren. Er begann zu schielen, um es zu schaffen. Seine Finger krümmten sich ein wenig um die
Armstützen seines Rollstuhls, aber seine Miene zeigte keine Furcht. »Werden Sie mich jetzt umbringen?« fragte er. »Gut möglich«, antwortete ich. Keine Ahnung, was mich zögern ließ. Er kniff die Augen zusammen und starrte in die meinen. »Kenne ich Sie, Sir?« Es folgte eine lange, harte Minute, in der ich versuchte mich zu zwingen abzudrücken. Die winzigen Staubteilchen in der Luft schienen langsamer zu werden und funkelnd in dem Raum zwischen dem Ende des Laufs und dem Anfang von
Phoneblums
ausladender
Brust
hängenzubleiben.
Schließlich wurde mir klar, daß es nicht mehr geschehen würde. Ich sicherte die Waffe und steckte sie wieder weg. »Nein«, sagte ich angeekelt. »Es handelt sich um eine Verwechslung. Ich habe mich in der Person geirrt.« Phoneblum sagte nichts. Er sah nicht einmal erleichtert drein. Ich bückte mich, stellte den Fernseher wieder an, strich mir die Jacke glatt und verließ den Raum. In der Empfangshalle unterließ ich es, meinen Namen ins
Gästeregister
einzutragen.
Ich
war
nicht
in
der
Stimmung. Ich ging direkt hinaus zum Wagen und setzte mich hinein. Er hatte noch genug Saft für eine weitere Fahrt, aber ich war nicht sicher, ob ich noch genug hatte. Ich dachte an das Briefchen, das ich ins Unterholz geworfen hatte, und dann dachte ich an die Mischerei. Aus dieser Entfernung erschienen mir die Verkaufsautomaten gar nicht mehr so schlecht. Ich versuchte mir einzureden,
daß der Job zu Ende geführt war, daß ich es dabei belassen konnte. Ich versuchte es wirklich sehr und schaffte es sogar, den Motor zu starten und den Wagen Richtung Mischerei zu wenden. Aber es half alles nichts. Der Job war nicht zu Ende geführt. Ich ließ die Reifen knirschen, wendete erneut und fuhr über die Hügelkette zur Fickle Muse. Ich war zu früh dran. Nachdem ich den Wagen auf dem Parkplatz abgestellt hatte, sah ich zu, wie die Sonne unterging, und wartete, daß die Bude aufmachte. Der Himmel sah aus wie ein gigantischer blauer Fleck. Als schließlich ein Typ aufsperrte, folgte ich ihm auf dem Fuß und bestellte einen Drink, auf die entfernte Möglichkeit hin, daß ich damit meine Nerven eine halbe Stunde lang an der Nase herumführen könnte. Und was hinterher passieren würde, tat nichts mehr zur Sache. Den Barkeeper kannte ich nicht, aber das war auch nicht notwendig. Das Gesicht war ein anderes, aber der Typ war der gleiche geblieben. Er brachte mir meinen Drink. »Erster Gast des Abends«, bemerkte er, als käme dem irgendeine Bedeutung zu. »Sieht so aus«, sagte ich. Als ich das Wechselgeld bekommen hatte, ging ich zum öffentlichen Telefon in der Ecke der Bar, und als ich den Anruf beendet hatte, trank ich aus und kehrte zurück auf den Parkplatz, um dort zu warten. Es dauerte nicht lang. Es sah so aus, als wäre das Känguruh allein gekommen, aber ganz sicher konnte ich mir dessen nicht sein. Joey fuhr jetzt ja keinen Motorroller mehr.
In Deckung hinter einer Kanone stieg er aus dem Wagen. Es überraschte mich nicht, und es war mir egal. Er würde
mich
nicht
umbringen,
ehe
er
nicht
herausbekommen hatte, was ich wußte und was ich wollte. Ich mußte es nur in die Länge ziehen. Er stapfte über den Parkplatz bis zu meinem Wagenfenster. »Steig ein«, sagte ich. Er setzte sich neben mich, die Hand mit der Knarre auf dem Schoß. Die Situation erinnerte mich lebhaft an das erste Mal, als wir auf dem Parkplatz des Bayview-Motels miteinander ins Plaudern gekommen waren. Jetzt wußte ich, daß er damals als blutiger Anfänger zum Schauplatz seines ersten Mordes gepilgert war. Und als er mit mir zusammengestoßen war,
hatte
sich damit
schlimmster Alptraum erfüllt. Doch ich
wohl sein
brauchte nur
hinzusehen, um zu erkennen, daß es das Känguruh seit damals weit gebracht hatte. Äußerlich war Joey der gleiche geblieben
vielleicht ein wenig feister um den Kragen, ein
wenig gelber auf den Zähnen
, aber innerlich war er ein
anderer. Das konnte ich in seinen Augen lesen. »Metcalf «, begann er. »Sag nichts«, unterbrach ich ihn. »Ich weiß, wie es sich anhört. Du bist jetzt der große Macher und schwingst eine aalglatte Zunge. Du wirst mir sagen, was vergangen ist, ist vergangen, und daß es die Mühe nicht mehr lohnt. Du wirst mir sagen, Idealismus wäre aus der Mode gekommen, während ich im Froster war. Du wirst Drohungen und Lockrufe zu einem schmackhaften Cocktail mischen und ihn
mir
ins
Ohr
gießen.
Ich
weiß
alles.
Du
bist
jetzt
Phoneblum.« Er kräuselte die Lippen zu einem routinierten Lächeln. Es war nicht Teil seines früheren Repertoires, und ich nahm es
als
Bestätigung
meiner
Vermutungen.
»Ich
Phoneblum?« sagte er. »Nun ja, das stimmt so ziemlich.« »Ich kenne dieses Gespräch schon vorher in- und auswendig«, fuhr ich fort. »Du klopfst mich nach meinem Preisschildchen ab, um herauszufinden, was es dich kostet, mich zum Verschwinden zu bewegen. Ich sage dir, ich bin nicht käuflich. Du weist mich diskret darauf hin, daß du keineswegs hierher hättest kommen müssen, um mir dein Ohr zu leihen. Du hättest auch eine ganze Wagenladung deiner Jungs schicken können.« »Hört sich gut an!« unterbrach er mich. »Gefällt mir!« »Okay«, sagte ich, »jetzt habe ich dir deinen Text vorgesprochen. Und nun laß meinen hören.« Er dachte kurz nach. »Du behauptest, du kannst mir soviel Scheiße anhängen, daß es stinkt«, begann er. »Ich höre dir geduldig zu und mache dich zartfühlend darauf aufmerksam, daß du und deine Informationen seit sechs Jahren gestorben sind.« Er unterbrach sich. »Sieh mal, du bist ein komisches Gespenst, Metcalf. Du kannst mir nicht weh tun, aber ich kann dir weh tun, und zwar beträchtlich. Du bist in gewisser Weise ohne jede Substanz.« »Das hört sich auch ganz gut an«, bemerkte ich. »Nur hast du nicht spitzgekriegt, wie die Sache wirklich läuft.« »Nicht spitzgekriegt? Inwiefern?«
»Es hört sich eher so an: Ich sage dir, es war ein großer Fehler, mich ins Kühlhaus zu schicken. Das, was vor sechs Jahren passierte, ist gestern für mich.« Ich sah, wie sein Griff um die Waffe wieder fester wurde. Störte mich nicht. Jetzt gehörte er mir. Einen üblen, viel Schmutz aufwirbelnden Mord auf dem Parkplatz seines eigenen Clubs würde er sich zweimal überlegen
und er
würde keine Chance kriegen, zweimal zu überlegen. »Außerdem sage ich dir, daß es der größte Scheißfehler deines Lebens war, diese Wagenladung Jungs nicht zu schicken«, fuhr ich fort. »Und jetzt geht s dir an die Fresse.« Die Knarre zuckte hoch, aber ich schlug sie wieder nach unten,
und
zwar
kräftig,
und
bohrte
sie
in
seine
Oberschenkel, während ich meinen Schädel gegen seine Schnauze krachen ließ. Er geriet in Panik und versuchte instinktiv aufzuspringen, aber dafür war der Mietwagen nicht groß genug. Ich benutzte mein ganzes Gewicht, um ihn wieder in den Sitz zu quetschen und riß mit beiden Händen an dem Finger, den er am Abzug hatte. Er wollte nicht, daß die Kanone in seinem Schoß losging, und so ließ er sie fallen. Sie landete klappernd zwischen seinen Beinen und dem Schwanz auf dem Wagenboden. Er versetzte mir einen Hieb gegen das Kinn, aber er war nicht mit ganzem Herzen dabei. Vermutlich hatte er sich seit unserem letzten Walzer vor sechs Jahren in keinem Faustkampf mehr befunden, wohingegen mein einziges Problem darin bestand, daß meine Hände immer noch von
dem Schwinger schmerzten, mit dem ich ihm zwei Abende zuvor den Kiefer gebrochen hatte. Seine Hauptwaffen waren stets seine mächtigen Beine gewesen, aber die hatte er nun ja unter dem Armaturenbrett festgeklemmt. Es war ganz allein meine Nummer. Als ich meine Fäuste nicht mehr ballen konnte, bückte ich mich rasch nach seiner Knarre und schlug sie ihm ein paarmal ums Maul. Dann öffnete ich das Fenster und warf sie hinaus. Ich versuchte zu reden, aber ich hatte zuviel Blut im Mund. Anscheinend hatte er doch ein, zwei Harte gelandet. Ich spuckte aus. Joey sah auch nicht besonders scharf aus. Sein Kopf hing lose nach hinten über die Lehne, als wäre sein Nacken außer Funktion. Aber als ich zu sprechen begann, merkte ich, daß er zuhörte. »Es gibt einen Grund, warum Phoneblum so begierig war, einen Erben zu haben«, sagte ich. »Es muß immer jemanden geben wie ihn, ebenso wie es immer jemanden geben muß wie mich.« Ich wischte mir das nachfließende Blut vom Mund und holte Barrys Knarre hervor. Sie spielte mir die Begleitmusik der Krimiserie, und zum erstenmal schien sie zu passen. »Glaub nicht, daß das hier für den Stanhunt-Mord ist«, fuhr ich fort. »Du hast zwar abgedrückt, aber es war ein Versehen. Das habe ich schon berücksichtigt.« Joeys Augen wurden ganz groß vor Angst. Er verstand jedes meiner Worte. »Das hier kriegst du dafür, daß du flink die Zügel in die Hand genommen hast«, sagte ich. »Du kriegst es für die
Mädels oben in der ersten Etage der Fickle Muse, für ihre sechs kaputten Lebensjahre, gegen die ich nichts tun konnte, weil ich im Froster lag. Es ist für alles, von dem nur du weißt, daß du es getan hast, für Dinge, die du getan hast, weil du willig in Phoneblums Fußstapfen getreten bist.« »Metcalf«, sagte Joey. »Um Himmels willen.« Ich
ignorierte
ihn.
»Heute
nachmittag
hatte
ich
Phoneblum an derselben Stelle. Aber ich war um Jahre zu spät dran. Bei dir bin ich haargenau zur rechten Zeit gekommen. Außerdem wollte ich jemanden kaltmachen, der noch weiß, wer ich bin.« Ich drückte ab. Der erste Schuß breitete seine Visage über den ganzen oberen Teil der Rückenlehne aus, aber seine
Beine
zuckten
immer
noch.
Ich
hatte
einen
Heidenrespekt vor diesen Beinen. Also schoß ich das Magazin in seine Magengegend leer, und eine Kugel verirrte sich in sein Rückgrat und machte dem Zucken ein Ende. Danach nahm ich seine Schlüssel an mich, ließ ihn liegen und machte eine Spazierfahrt mit seinem Wagen. Er lag mir weit besser als die Mietkutsche.
Kapitel 8 • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •• • • •• • • •• • • • •• • •• • • •
Am nächsten Morgen saß ich in Joeys Wagen vor dem Inquisitionsbüro. Ich fühlte mich ganz okay. Den Großteil der Nacht hatte ich oben in den Hügeln verbracht, hatte den Mond betrachtet und mir die steifen Finger massiert. Offenbar hatte sich inzwischen sogar mein Blutkreislauf daran gewöhnt, daß er ohne Drogen auskommen mußte. Ich öffnete das Wagenfenster, lehnte mich zurück und horchte auf die Geräusche des neuen Tages. Das Warten machte mir nichts aus. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund sah plötzlich alles so gut aus. Ich ertappte mich sogar dabei, wie ich die Gebäude bewunderte, die während meiner Abwesenheit hochgeschossen waren. Nach etwa einer halben Stunde kam Angwine blinzelnd heraus in den Sonnenschein, befingerte seine neue Karte und versuchte, sich zurechtzufinden. Aber mein Mitgefühl hielt sich in Grenzen. Er fand sich jetzt nicht schlechter zurecht als vor sechs Jahren. Als er vorbeiging, rutschte ich in meinem Sitz nach unten. Wenn man es recht besah, hatte ich ihm nichts zu sagen. Ich wollte nur eben einen Blick riskieren. Nach einer Weile sperrte ich Joeys Wagen ab und ging ins Gebäude. Ich suchte mir einen Inquisitor und händigte ihm meine Karte und Barrys Kanone aus, die mir noch
einmal das Thema aus der Krimiserie vorspielte. Es war mir schon richtiggehend ans Herz gewachsen. »Mein Name ist Conrad Metcalf«, sagte ich. »Sie suchen vermutlich bereits nach mir.« Jetzt, da ich mich sozusagen freigemacht hatte von meinen Verpflichtungen, war der Froster keine besondere Strafe für mich. Ich kam mir vor wie ein Penner, der Schaufenster
mit
Pflastersteinen
einschlägt,
um
ein
warmes Plätzchen für die Nacht zu kriegen. Und wenn es mir nicht gefiel, dort, wo ich beim nächstenmal aufwachen würde, dann konnte ich wiederum Ärger machen
so
lange, bis ich eine Stelle fand, die meine Kragenweite war, oder
bis
man
mir
die
Gratisbeförderung
abstellte.
Irgendwann dazwischen mochte ich vielleicht sogar auf Kornfeld stoßen und ihm den Magenhieb verpassen, den ich schon so lange unerledigt mit mir herumschleppte. Als ich mich im Warteraum auf den Froster vorbereitete, wechselte einer der Inquisitoren ein paar freundliche Worte mit mir, wie es in diesem Stadium eben so üblich ist, und lud mich auf eine Nase voll Stoff ein, von der Sorte, die er selbst gerade schnupfte. »Forgettol?« erkundigte ich mich. Er schüttelte den Kopf, nein, nein, und genoß meine Frage
sichtlich.
»Meine
Privatmischung«,
sagte
er.
»Versuchen Sie mal.« Also waren die Mischer immer noch am Werk. Intern. Erschien logisch. Ich nahm den angebotenen Halm. Das hieß natürlich, daß ich mit einem Kater aufwachen würde,
aber zum Teufel, es war mein Kater. Was leichtfiel.
für
eine
Seltenheit:
eine
Entscheidung,
die