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Science Fiction UllsteinBuchNr.31073 im Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M - Berlin - Wien Titel der Originalausgabe: Children of the Atom Aus dem Amerikanischen übersetzt von Uwe Anton Umschlagentwurf: Hansbernd Lindemann Umschlagillustration: Vincent DiFate Alle Rechte vorbehalten Copyright © 1953 by Wilmar H. Shiras Nachwort Copyright © 1978 by Marion Zimmer Bradley Übersetzung Copyright © 1983 by Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M - Berlin - Wien Printed in Germany 1983 Gesamtherstellung: Elsnerdruck GmbH, Berlin ISBN3548310737 Oktober 1983
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Shiras, Wilmar H.: Kinder des Atoms / Wilmar H. Shiras. [Aus d. Amerikan. übers, von Uwe Anton]. - Frankfurt/M; Berlin; Wien: Ullstein, 1983. (Ullstein-Buch; Nr. 31073: Science-fiction) Einheitssacht.: Children of the atom «dt.) ISBN 3-548-31073-7 NE: GT
Wilmar H. Shiras
Kinder des Atoms
Für meinen Gatten RUSSELL und meine Tochter ALICE
INHALT 5 VERSTECKSPIEL 46 SICH ÖFFNENDE TÜREN 88 NEUE GRUNDLAGEN 133 PROBLEME 189 KINDER DES ATOMS 231 NACHWORT
VERSTECKSPIEL Der Psychiater Peter Welles musterte den Jungen nachdenklich. Warum hatte die Lehrerin Timothy Paul zur Untersuchung geschickt? »Ich weiß selbst nicht, ob mit Tim etwas nicht stimmt«, hatte Miss Page zu Dr. Welles gesagt. »Er kommt mir völlig normal vor. In der Regel ist er ziemlich ruhig und antwortet im Unterricht nicht ungefragt, das ist es nicht. Er kommt mit den anderen Jungs ziemlich gut zurecht und scheint auch einigermaßen beliebt zu sein, obwohl er keine speziellen Freunde hat. Seine Noten sind zufriedenstellend - in sämtlichen Fächern hat er Zweien. Aber wenn man so lange Lehrerin war wie ich, Peter, dann bekommt man ein gewisses Gespür dafür. Er macht so einen verkrampften Eindruck - manchmal hat er einen gewissen Blick - und ist oft geistesabwesend.« »Und was vermuten Sie?« hatte Welles gefragt. Manchmal waren solche Hinweise sehr wertvoll. Miss Page befand sich seit dreißig Jahren im Schuldienst; sie war vor einiger Zeit Peters Lehrerin gewesen, und er hielt sehr viel von ihrer Meinung. »Ich hätte es nicht sagen sollen«, gab sie zurück. »Eigentlich habe ich nichts in der Hand noch nicht. Aber bei ihm liegt etwas in der Luft, und wenn man das unterbinden könnte ...« »Ärzte werden oft gerufen, bevor sich die Symptome weit genug ausgeprägt haben, so daß auch der Doktor sie erkennen kann«, sagte Welles. »Ein Patient, die Mutter eines Kindes oder ein geübter Beobachter kann oft erkennen, daß etwas verkehrt läuft. Aber in solchen Fällen hat der Arzt es schwer. Verraten Sie mir, worauf ich Ihrer Meinung nach achten sollte.« »Bitte geben Sie nicht allzuviel darauf, Peter. Es ist mir einfach so in den Sinn gekommen; ich weiß, daß ich kein ausgebildeter Psychiater bin. Aber es könnt Größenwahn sein. Oder auch ein Rückzug aus der Gesellschaft. Ich muß ihn stets zweimal ansprechen, bevor er mich im Unterricht bemerkt - und echte Kumpel hat er auch nicht.« Welles hatte zugestimmt, den Jungen zu untersuchen. Und er hatte versprochen, sich nicht zu sehr von >den Spinnereien einer alten FrauIst das nicht komisch ?< Und sie lachten über alles oder langweilten sich und wollten sich überhaupt nichts ansehen. Sie quatschten und quäkten so ...« »Ich weiß«, sagte Dr. Welles, als Stella innehielt und ihm einen Blick zuwarf, der um Verständnis bat. »Entweder rannten sie alle los und ließen mich stehen, oder ich setzte mich ab und ging allein in den großen dunklen Räumen umher und konnte mir alles in Ruhe so lange ansehen, wie ich wollte.« »Dunkel?« Stella runzelte die Stirn. Sie versuchte sich die Szene in Erinnerung zu rufen. »Sie kamen mir dunkel vor. Es gab natürlich Lieht, aber es war dämmrig. Da waren Mumien und Vasen und so, und ich wanderte wohl ziemlich lange umher. Dann fand ich mich vor einem großen steinernen Ding mit einer Aufschrift wieder, die ich als ägyptisch erkannte. Es war groß und breit und schwer, und einen winzigen Augenblick lang konnte ich mich an alles erinnern. Ich wußte, daß ich schon mal dagewesen war - in Ägypten; und daß ich es schon oft gesehen hatte.« Stella hatte beim Erzählen den Augenblick noch einmal durchlebt. Nun schaute sie herausfordernd und gleichzeitig ängstlich zu Peter empor, der ruhig und mit ausdrucksloser Miene an der Pfeife sog. »Damit hat es angefangen«, sagte Stella und wartete auf einen Kommentar. »Weiter.« »Dann ging ich in andere Räume und sah mir andere Sachen an. Mit der Keilschrift war es fast ebenso. Ich konnte mich beinahe erinnern, wie man sie lesen mußte, obwohl ich diese speziellen Schriftzeichen wohl noch nie gesehen hatte. Dann fanden mich die anderen, und wir gingen nach Hause. Oh, wie sie immer redeten. So dumm. Sie hielten alles, das auch nur ein bißchen andersartig war, für komisch und konnten sich darüber kaputtla124
chen. Pat sorgte immer für die Kinder, und sie zeigte ihnen Bilder und sagte: > Schaut euch den komischen Mann an. Er ist ganz schwarz. Ist er nicht komisch? Schaut euch den Mann mit den Federn auf dem Kopf an. Ist er nicht komisch ?Seht mal, seht mal, ist der nicht komisch ?< Was ist komisch daran?« »Gar nichts«, sagte Peter mit solch unerwarteter Wärme, daß sich Stella ein Herz faßte und fortfuhr. »Dann bat ich meinen Onkel um Bücher über alte Zeiten und Länder und Sprachen, und er hat mir alles besorgt, was ich haben wollte. Zuerst fragte er nach Romanen, und als er mir Haggard brachte, war ich sicher, daß ich recht hatte. Er ging wieder mit mir ins Museum, ohne die anderen. In der Bibliothek holten wir Bücher über verschiedene Sprachen, und ich begann sie wieder zu lernen.« Sie schien einen Kommentar zu erwarten, doch das Nicken des Psychiaters war kommentarlos. »Ich bekam Bücher in Arabisch, Chinesisch, Hebräisch, Griechisch, Hindustanisch, Sanskrit, Angelsächsisch und Sumerisch.« »Sumerisch!« »Ja. Ein Sumerisches Lesebuch von C. J. Good.« Stellas Augen leuchteten. »Einiges davon ist in Keilschrift.« »Ich verstehe. Weiter.« »Und so habe ich mir diese Theorie aufgestellt. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß die Dinge einen Sinn ergaben, außer, wenn ich wiedergeboren wurde und eine gewisse Erinnerung an diese anderen Leben habe. Oder es war eine Gotteseingebung, und ich bin mir jetzt ziemlich sicher, daß es keine Inspiration ist. Andere Jungen und Mädchen hatten für solche Sachen kein Interesse; warum sollte ich es also haben? Sie dachten nicht über Dinge wie Leben, Tod, Zeit, Persönlichkeit und andere Religionen nach - nicht mal über ihre eigene Religion. Wie konnte ich mich dafür so sehr interessieren und so viel wissen und so schnell lernen, wenn ich mich nicht zum Teil daran erinnerte? Und die Geschichten, die ich las, bestärkten mich nur noch. Kipling und ...« »Gibt es keine andere mögliche Erklärung?« »Mir fällt keine ein. Ich weiß, daß die anderen Kinder mir nicht zustimmen werden, doch ich glaube, daß es bei ihnen genauso ist wie bei mir, nur daß sie nicht wissen, daß sie sich überhaupt an 125
etwas erinnern.« »Glaubst du blind an diese Theorie?« »Nein«, sagte Stella. »Manchmal war ich mir ganz sicher. Einmal habe ich unseren Pfarrer gefragt, ob es Reinkarnation gebe, und er sagte, er wisse es nicht. Er sagte, er habe einmal eine kleine Sturmböe vorbeiziehen sehen, und als sie zu einem Heuhaufen kam, nahm sie die Gestalt herumwirbelnden Heus an, und als sie die Straße überquerte, nahm sie einen Staubkörper an, und wäre sie zu einem Teich gekommen, wäre sie zu einem Wassergebilde geworden.« »In anderen Worten - ja?« »Er meinte >vielleichtdumm< zu bezeichnen pflegte, und wollte etwas Zeit und Geld für Forschungsarbeiten. Ich kenne ihn schon seit zehn Jahren; deshalb habe ich ihn gebeten, bei uns mitzumachen. Seine Weisungen, die er herzlich gerne akzeptiert hat, lauten, euch fast alles anstellen zu lassen, was ihr wollt, aber dafür zu sorgen, daß ihr am Leben und unverletzt bleibt. Seine Verantwortung liegt darin, alles zu beobachten, was vielleicht gefährlich sein könnte, und allein er - und nicht ihr - hat darüber zu urteilen.« »Es dürfte ziemlich schwer sein, den überlebenden Aktionären zu erklären, weshalb wir geduldet haben, daß eure Fortschritte zu Explosionen führten.« »Er ist noch ziemlich jung, nicht wahr?« sagte Jay zweifelnd. Dr. Foxwell hustete so heftig, daß Tim argwöhnisch aufschaute. Der große Arzt holte eine Tüte Hustenbonbons aus der Tasche und steckte sich eins in den Mund. Elsie erhaschte seinen Blick und grinste. »Mr. Gerrold hat vier Jahre Graduationsarbeit in naturwissenschaftlichen Fächern hinter sich«, sagte Dr. Welles, »und ich bin mir ziemlich sicher, daß er in der Laborarbeit und bei Experimenten all meinen Wunderkindern weit voraus ist. Wir gaben Tims Vorstellung von getrennten Laboratorien auf und haben uns für ein großes, gemeinsames Labor entschieden, damit Mr. Gerrold leichter auf dem laufenden bleiben kann, was da so vor sich geht. Niemand wird sich in die Arbeit eines anderen einmischen und sie noch nicht einmal ohne Erlaubnis begutachten. Bitte, haltet 146
euch an diese Regeln und erklärt sie den Neuankömmlingen.« »Muß er mir die Genehmigung geben, bevor ich anfangen kann? Wann wird er kommen?« fragte Fred. Er hatte verärgert die Stirn gerunzelt. »Er wird Montag hier sein. Ja, du mußt auf seine Genehmigung warten«, sagte Dr. Welles. »Nun, muß er auch mein Vorhaben billigen, bevor ich damit anfangen kann?« fragte Elsie. »Es kann überhaupt nicht gefährlich sein.« »Was ist es denn?« »Tantchen züchtet Hühner, und fast täglich legen sie Eier mit zwei Dottern. Ich will so schnell wie möglich einen Inkubator bauen und sie ausbrüten. Das ist doch in Ordnung, oder? Tim und ich dachten, Dr. Foxwell könnte uns mit den Röntgenaufnahmen helfen.« »Aber warum?« fragte Stella. »Hältst du die Teratologie nicht auch für schrecklich interessant?« Elsie schien die Sache damit für erledigt zu halten. Die Ärzte wechselten einen Blick, und Dr. Foxwell bot Dr. Welles ein Hustenbonbon an. »Ich habe gerade zum ersten Mal davon gehört«, sagte der Arzt, »aber ich werde mich höchstpersönlich um die Röntgenstrahlen kümmern, Dr. Welles.« »Was halten Sie von Fred?« fragte Dr. Foxwell später Peter Welles. »Ich weiß nicht so recht«, gestand Welles ein. »Ich gebe zu, daß er mir ein wenig Sorgen bereitet - diese Aggressivität und Selbstsicherheit, die er äußerlich zur Schau stellt, könnte auf eine tiefe grundlegende Unsicherheit hindeuten. Andererseits könnte es sich auch bloß um überspielte Schüchternheit in einer neuen Situation handeln, die sich in ein paar Tagen, wenn er sich an die anderen Kinder gewöhnt hat, vielleicht wieder legt. Leider gibt es keine Möglichkeit, dies mit Sicherheit festzustellen, außer wir warten ab, was geschieht.« »Er ist doch bei einer Reihe von Pflegeeltern aufgewachsen, nicht wahr?« sagte Dr. Foxwell. »Ja. Als seine Eltern zwei Jahre nach der Explosion in Helium City den üblichen dahinsiechenden Strahlentod erlitten, kam der Staat für seine Unterbringung bei mehreren Privatfamilien auf. Dabei eignete er sich ein gutes naturwissenschaftliches Wissen an, 147
doch das ist anscheinend sein einziges Interesse. Ich fürchte, daß er die Schule vielleicht nur als eine Art gemeinnützige Institution ansieht, die lediglich zu seinem Nutzen eingerichtet wurde und die von seiner Seite keinerlei Entgegenkommen erwartet. Natürlich könnte er der Meinung sein, nachdem er unter solchen Umständen gelebt hat, daß sich andere Leute nur wegen des Geldes, das der Staat ihnen bezahlt, für ihn interessieren.« Innerhalb von vierzehn Tagen lief das schulische Leben schon routinemäßig ab. Der offizielle Unterrichtsstoff des ersten Halbjahres bestand für die Kinder aus Algebra, Literatur, Grammatik, Aufsatz und elementarer Sozialwissenschaft. Man erlaubte ihnen auch, mit einer Sprache zu beginnen, und da ihre gehobene Intelligenz ja allgemein bekannt war, wurde ihr Unterrichtsstoff durch das Erlernen eines Musikinstrumentes ihrer Wahl bereichert und auch durch einen Lesestoff, der weit über das hinausging, was man Kindern von vierzehn Jahren normalerweise zugestand. Über diese Arbeit mußten sie regelmäßig Hausaufgaben abfassen, die für Reporter und gelegentliche Besucher aufbewahrt wurden. In Wirklichkeit versammelten sich die Kinder jeden Morgen um neun in der Aula und verbrachten drei Stunden damit, über das Fernsehen übertragenen Universitätsaufbaukursen beizuwohnen. In diesem Jahr, 1973, befanden sich die Kurse im dritten Semester. Drei Tage pro Woche wurden halbstündige Kurse für Astronomie, Physik, Psychologie, Biologie und organischer und nichtorganischer Chemie abgehalten. An den anderen drei Wochentagen bestanden die Vorlesungen aus Kunst der Renaissance, Wirtschaftswissenschaft, ökonomischer Geographie, europäischer Geschichte, der Geschichte der Vereinigten Staaten und Philosophie. Theoretisch konnte ein Student zwischen vier und sechs dieser Kurse auswählen, zu Hause studieren und durch die jährlich abgehaltenen Prüfungen der Universität Bescheinigungen über die einzelnen Kurse erhalten. Später sollten weitere Kurse ausgestrahlt werden. Auf diese Art konnte ein Schüler sogar die Hochschulreife bekommen, ohne jemals einen Klassenraum betreten zu haben. Mathematik jedoch verlangte so viele schriftliche Aufgaben, daß sie noch immer ausschließlich über Fernkurse gelehrt wurde. Sprachen wurden mittels einer Kombination aus Schallplatten und Korrespondenzkursen gelehrt. Die Wunderkinder konnten sich ihre Fächer aussuchen. Elsie 148
zum Beispiel kämpfte mit der analytischen Geometrie. Nach dem Mittagessen konnten sich die Kinder ihren privaten Projekten widmen. Für einige stellte das Laboratorium die Hauptattraktion dar. Andere zogen sich auf ihre Zimmer zurück und schrieben. Die Pflege der Haustiere und die täglichen Hausarbeiten beanspruchten eine beträchtliche Zeit, und auch ihr Spielbedürfnis kam keineswegs zu kurz. »Auf jeden Fall brauchen wir uns niemals Sorgen zu machen, wie wir sie beschäftigt halten«, bemerkte Miss Page. »Sie haben mehr zu tun, als sie Zeit haben. Und es spornt sie auch an, daß sie zusammen sind. Haben sie wirklich all diese Kurse belegt?« »Nein, natürlich nicht«, gab Mr. Gerrold zurück. »Den meisten ist der Stoff bereits bekannt, und sie hören nur zu, um sich zu überprüfen, wenn und falls sie Lust dazu haben.« Mr. Curtis, der blinde Historiker, rief die Kinder zu einer Stunde, die allen paßte, manchmal zusammen, sprach mit ihnen über die Geschichte und empfahl ihnen Bücher. Sie alle mochten den Blinden, der, da er nicht sehen konnte, daß sie bloß Kinder waren, ihr zartes Alter immer wieder vergaß und mit ihnen wie mit reifen Erwachsenen sprach. Er hoffte, daß jeder von ihnen einen Text schreiben würde, der auf der Geschichte basierte - einen historischen Roman, eine Biographie, vielleicht ein Drama oder ein Lehrbuch -, und einige hatten sich bereits für ein Thema entschieden und angefangen, sich Notizen zu machen. An diesem Abend kam es um Mitternacht zu einem großen Aufruhr auf dem Hof. »He!« schrie Max aus dem Fenster. »Was ist los?« »Die Hunde sind alle draußen«, rief Jay zurück. »Ich muß die Gattertüren offengelassen haben. Komm schon, und hilf uns!« Max und die anderen Jungen zogen sich schnell Hosen, Pullover und Schuhe über und eilten hinaus. Die Dunkelheit war ein Alptraum aus bellenden, umherrennenden Schemen. Grigio, der Blindenhund von Mr. Curtis, war als einziger nicht auf freiem Fuß. Guarda und ihre sechs Welpen und Companion und ihre sieben Welpen vergnügten sich ausgiebig bei einem Rennen, dessen Parcours einer Acht folgte und, wenn er überhaupt einen Anfang hatte, bei den Katzenkäfigen hinter Tims Haus begann, an der Nordseite des Jungenhauses vorbeiführte, dann über die Straße, vorbei an der Südseite des Mädchenhauses, 149
um die Katzenkäfige herum, in denen sich Elsies und Stellas Tiere befanden, über die Straße, an der Südseite des Jungenhauses vorbei und wieder um Tims Katzenkäfige ging. Die Katzen verliehen ihrer Mißbilligung über diese Heimsuchung lautstark Ausdruck. Je emsiger die Jungen die halbwüchsigen Welpen zu fassen versuchten, desto wilder wurde die Jagd. Jay und seine Tante konnten sich nicht mehr Gehör verschaffen, als sie den Hunden Befehle zuriefen. Die Welpen waren noch nicht dressiert, und obwohl Mrs. Curtis und Jay sich darauf zu konzentrieren versuchten, die Muttertiere zu fangen, hatten Guarda und Companion die Gelegenheit beim Schöpf ergriffen und zeigten sich keineswegs willig, zu gehorchen. Elsies Onkel kam mit einer Schachtel unter dem Arm herbeigelaufen. »Knochen!« rief er. »Ich habe Knochen. Wenn ihr Jungs vielleicht mit dem Schreien und Herumlaufen aufhören würdet, können wir die Hunde hineinbringen.« »Gut«, sagte Mrs. Curtis. »Bleibt alle stehen - je mehr wir sie jagen, desto schlimmer wird es. Stellt euch hier unter das Flutlicht. Laßt die Knochen nicht los; versucht die Hunde zurück in ihre Zwinger zu locken.« Das war alles andere als einfach, doch schließlich gelang es ihnen. »Du mußt wirklich besser darauf achten, daß die Türen der Verschläge richtig zugesperrt sind, Jay«, sagte Mrs. Curtis, als die Welpen sich endlich in ihren Gattern befanden. »Tantchen, ich habe sie geschlossen«, sagte Jay. »Ich weiß noch, wie ich an der Tür gerüttelt habe, um sicher zu gehen, weil sie letzte Woche einmal offen war und zwei von Guardas Welpen hinausliefen. Schon damals war mir nicht klar, wie ich so unaufmerksam gewesen sein konnte.« »Das ist aber komisch«, sagte Tim und gähnte. »Ich war so sicher, daß ich immer meine Katzen einsperre, aber gestern war mein großer Angorakater draußen.« »Gehen wir zu Bett«, sagte Mrs. Curtis müde. »Vielen Dank für die Knochen, Mr. Waters.« Während der Abendstunden hörten Dr. Weites und Dr. Foxwell manchmal die Tonbänder ab, die in der Aula die Gespräche der Kinder vor den Vorlesungen aufgezeichnet hatten. 150
»Hört mal, das ergibt doch keinen Sinn«, sagte Elsies Stimme. »Was?« fragte Tim. »Dieses Mathe. Hier steht: vier Bruchstrich null gleich Unendlich.« »Das stimmt.« Das klang wie Max. »Wie ist das möglich? Vier Bruchstrich null bedeutet vier geteilt durch null. Wenn man durch nichts teilt, teilt man überhaupt nicht. Die Lösung müßte vier lauten.« Mehrere Stimmen wollten ihr antworten, aber die Ärzte konnten nichts verstehen. Elsie anscheinend auch nicht, denn ihre Stimme erhob sich über den Lärm. »He! Einer auf einmal. Was hast du gesagt, Tim?« »Ich sagte, daß es die richtige Lösung ist. Es ist eine Übereinkunft.« »Du meinst, man hat sich einfach die Lösung ausgedacht und behauptet nun, sie sei richtig? Aber wie kann man so etwas tun?« »Das ist schon richtig. Genau, wie man festlegt, daß jede Zahl mit der Potenz null eins ergibt.« »Herrjeh! Wie kann man so was in Gleichungen einsetzen, und sie erweisen sich als richtig?« »Es funktioniert. Deshalb wissen wir, daß es richtig ist.« »Willst du damit sagen, daß die Leute mit solchen Informationen Brücken bauen und Flugzeuge fliegen? Das kapier ich nicht.« »Das hast du falsch verstanden, Elsie.« Das war wieder Max. »Es heißt nicht vier geteilt durch nichts. Null ist nicht nichts. Null ist null.« »Nun, wenn null nicht nichts ist, möchte ich gern wissen, was sonst.« »Es ist null, das ist es. Du mußt es so lesen: das Verhältnis von vier zu null.« »Oh! Und was bedeutet das - wenn es überhaupt etwas bedeutet? Meinst du damit, daß vier unendlich größer als null ist? Das ergibt auch keinen Sinn.« »Doch, das ergibt Sinn«, sagte Max hitzig. »Nein. Das ergibt keinen Sinn. Vier ist nicht unendlich mehr als nichts. Es ist nur vier mehr. Wenn ich kein Geld hätte und dann vier Dollar bekäme, wäre ich dann unendlich reich?« »Ich sagte, es ist das Verhältnis, Elsie.« »Nun, dann das Verhältnis. Im Verhältnis zu nichts ist vier immer noch vier. Es ist nicht unendlich.« 151
»Hört mal zu, ihr beiden«, sagte eine andere Stimme. »Spart euch den Atem. Ihr könnt es niemals so erklären, daß sie es auch begreift.« »Wenn es Sinn ergäbe, Fred, könnten sie es«, warf Elsie ein. »Es muß eine Möglichkeit geben, es zu erklären«, sagte Tim hartnäckig. »Das Verhältnis ...« »Ich glaube, ich weiß, was Verhältnis bedeutet«, sagte Elsie schroff. »Verhältnis heißt in Bezug zu. Es bedeutet, eins geteilt durch das andere. Hört mal, was ist null geteilt durch vier?« »Null«, gaben die Jungs im Chor zurück. »Nun, das stimmt ja wohl. Nichts ist immer noch nichts, egal, durch was man es dividiert. Aber vier überhaupt nicht geteilt...« »Sag mal, Elsie, kannst du nicht die Klappe halten?« unterbrach die Stimme eines Mädchens. »Ich muß diese Seite noch beenden, bevor das Programm beginnt.« Ein paar Minuten lang nahm das Band noch die üblichen leisen Geräusche eines Raumes auf, in dem mehrere Menschen zusammengekommen waren. Dann konnte man die ersten Worte des Universitätsdozenten für organische Chemie hören. »Heute werden wir uns Estern widmen«, sagte der Professor langsam. »Ein Ester ist sehr leicht zu verstehen. Aus Ihren Kursen über unorganische Chemie werden Sie sich erinnern, daß ein Salz entsteht, wenn sich eine Base mit einer Säure verbindet. Nun, wenn sich eine organische Säure und eine organische Base verbinden, ist das Ergebnis ein Ester. Ein Ester ist ein organisches Salz. Ich wiederhole, ein Ester ist ein organisches Salz.« »Oh, ich verstehe!« rief Elsie. »Genau wie Lots Frau!« Tumult, und dazwischen Stellas Stimme, die rief: »Hieß sie wirklich so?« Dann Pandämonium. Am nächsten Morgen erschien Elsie zu spät zum Frühstück. Sie ging direkt zu Tim und Max, die beisammen saßen. »Tut mir leid, daß ich gestern so dumm war«, sagte Elsie. »Ich habe es jetzt herausbekommen. Max hatte recht; ich habe es nicht richtig gelesen, sonst hätte ich es sofort verstanden. Es heißt nicht vier geteilt durch null, oder das Verhältnis von vier zu null, sondern vier Bruchstrich null. Die vier steht über der Null. Dann begreift natürlich jeder, daß die Antwort >unendlich< lautet, weil...« - sie schaute sich um, um sich zu vergewissern, daß alle zuhörten - »wenn es nichts unter der vier gibt, das eine Schwer152
kraftanziehung auf die vier ausüben kann, geht sie natürlich in einen ewig währenden freien Fall über, der bis in die Unendlichkeit führt.« Peter Welles bedauerte, daß er nicht alle Gesichter gleichzeitig beobachten konnte. Einige der Zuhörer begriffen sofort und konnten sich vor Lachen nicht mehr halten. Stella, die sich nicht für Mathematik interessierte, blickte verwirrt drein; Max, der Mathematik ernst nahm, sah Elsie besorgt an, bis er begriff, daß sie ihn aufzog, und Fred schnaubte: »Hält die sich für klug!« und widmete sich wieder dem Frühstück. Dr. Welles fühlte sich verpflichtet, Elsie später unter vier Augen die Leviten zu lesen, sich in Zukunft nicht mehr so herauszustellen, war mit dem Herzen jedoch nicht bei der Sache. »Ich habe diese dumme Aufgabe wirklich nicht verstanden«, verteidigte sich Elsie. »Und als ich auf die Idee kam, es so herum darzustellen, hielt ich es für lustig. Außerdem wird jetzt keiner von uns die richtige Lösung jemals vergessen.« »Du solltest versuchen, es wirklich zu verstehen, statt dir die richtige Antwort mechanisch durch einen Scherz einzuprägen.« »Oh, ich habe es verstanden«, erwiderte Elsie. »Danach bin ich daraufgekommen. Sechs geteilt durch zwei ist drei, weil man drei Zweien braucht, um eine Sechs zu bekommen. Aber wie viele Nullen ergeben eine Vier? Eine unendliche Anzahl natürlich.« »Und Lots Frau?« Elsie kicherte. »Das ist mir nur so herausgerutscht«, sagte sie. »Ich habe noch nie etwas gehört, das so wie die Faust aufs Auge paßte. Sie etwa?« »Wie wäre es denn, wenn du auf etwas genauso Zutreffendes wartest, bevor du wieder eine ganze Vorlesung ruinierst?« sagte Peter, obwohl er still in sich hineinlachte. In der dritten Woche nach Unterrichtsbeginn wurde eine Schulzeitung vorgeschlagen. »Die können wir nicht brauchen«, lautete Tims Meinung. »Wir müssen uns dumm stellen. Was nutzt eine Zeitung, wenn wir darin nichts zeigen können?« »Wir müssen irgend etwas zeigen«, sagte Max. »Drucken wir doch eine, die wir vorzeigen können. Wir müssen sie nach Hause schicken und so weiter.« »Es macht nicht viel Spaß, eine dumme Schülerzeitung zu 153
schreiben«, murrte Elsie. »Gewissermaßen doch«, grübelte Fred, und einige Kinder fingen an zu strahlen, als sie diese Idee in Betracht zogen. »Wir können darin veröffentlichen, was die Leute sowieso schon über uns wissen«, stimmte Beth zu. »Tims Katzen und Jays Hunde - schließlich hat Tim doch gute Zuchtergebnisse vorzuweisen, und Jay bildet Blindenhunde aus -und ein paar von den Buchbesprechungen und einige Nachrichten über die Reisen, die wir machen, und so weiter.« »Wir könnten einiges von dem Zeug verwenden, das wir vor langer Zeit geschrieben haben und das niemand veröffentlichen würde«, sagte Tim. »Und ein paar von Stellas Gedichten«, sagte Fred boshaft. »Die sind genau richtig, um Außenstehende zu verwirren.« Beth rettete die Situation schnell, indem sie sagte: »Ich werde für jede Ausgabe einen Cartoon zeichnen. Alle wissen, daß ich zeichnen kann.« »Hin und wieder könnten wir etwas Gutes hineinnehmen«, sagte Elsie. »Soll es eine literarische Zeitung oder ein Nachrichtenblatt werden?« Nach ausgiebiger Diskussion wurde beschlossen, daß die Zeitung hauptsächlich Nachrichten enthalten solle. Max wurde zum Chefredakteur gewählt, und die Kinder wollten sich mit dem Vervielfältigen abwechseln. Sie wollten jedem Schüler ein Maximum von einer Seite zugestehen, einschließlich einer vollen Seite mit Nachrichten. »Wie sollen wir sie nennen?« fragte Elsie. »Nennen wir sie doch >Nichts NeuesA< nicht 154
hinauskommen.«'"" Die Kinder brüllten vor Lachen. »Fred ist clever«, sagte Tim ein wenig unwillig zu Elsie. »Es war ein schrecklicher Name, das mußt du eingestehen«, sagte Elsie. »Du solltest dir lieber einen der Männer aussuchen und die Schule nach ihm benennen.« »Oh, vielleicht fällt uns doch noch ein guter Name ein«, sagte Max. »Denken wir eine Weile darüber nach. Wer wird etwas für diese Zeitung einreichen? Wir wollen sie doch jetzt Samstag herausbringen, nicht wahr?« Unter den Dingen, die nicht in »Nichts Neues« erschienen, war Maxens aufrechter Versuch, Elsie weiter in Mathematik zu unterweisen. Max war ein brillanter Mathematiker, und er bewunderte Elsie sehr, in der er schnell eine andere Art von Brillanz festgestellt hatte. Ein paar Tage später brachte er, nachdem er und Tim völlig daran gescheitert waren, Elsie die Null begreiflich zu machen, die Sache beim Mittagessen wieder zur Sprache, wobei Max nicht wußte, daß Elsie die Erklärung inzwischen verinnerlicht hatte. »Sieh mal hier, Elsie. Null ist infinitesimal.« »Nein, ist es nicht. Null ist nichts.« »Das ist ja der Witz dabei. Wenn du vier über null setzt, wird die Null im Vergleich zu einer Infinitesimalen.« »Das ergibt doch keinen Sinn!« rief Elsie. »Doch«, sagte Max, während alle anderen hoffnungsvoll lauschten. »Der Mensch ist infinitesimal; im Vergleich zu Gott ist der Mensch nichts.« »Nein, das ist er nicht!« schrie Elsie. »Gott hat das Nichts nicht gemacht! Das hat er den Arabern überlassen!«** »Da hat sie dich, Max«, kreischte Tim vor Freude, und Dr. Foxwell fühlte sich befleißigt, auf den Tisch zu klopfen und um Ruhe zu bitten, während die unglückliche Beth, die ihre Milch getrunken hatte, als Elsie sprach, sich mit mehreren ihr angebotenen Servietten so trocken wie möglich rieb, sich aber aus Angst, sie könne etwas verpassen, weigerte, den Raum zu verlassen. Elsies ungestümes Flüstern wurde von einem hitzigen Ge*• Anm. d. Übers.: Unübersetzbares Wortspiel. »A« ist eine amerikanische Schulnote, die der deutschen »Eins« - also Sehr gut entspricht. Gemeint ist demzufolge in etwa: » ... daß sie über drei Einsen nicht hinauskommen.« •" Anm. d. Übers.: Die Araber haben die Null in die Mathematik eingeführt.
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sprach am anderen Ende des Tisches übertönt, wo Fred und ein neuer Junge, Giles Bradley, Absolut-Null diskutierten, ohne irgendwohin zu kommen. Es stellte sich bald heraus, daß Fred über das mathematische Absolut-Null gesprochen hatte, während Giles nicht unverständlicherweise der Meinung war, er habe sich auf die Temperatur bezogen. Stella und Beth schnappten das auf und begannen mit einer Diskussion über das Absolute in der Philosophie, woran sich Tim und Jay prompt beteiligten. Fred redete dagegen, indem er behauptete, es gäbe überhaupt nichts Absolutes. Dr. Foxwell hämmerte vergeblich auf den Tisch, als die Diskussion hitziger wurde, und marschierte dann in den Gang und schlug die Essensglocke. »Ich bitte um Ruhe!« sagte er. »Bei Tisch sollten keine Streitgespräche geführt werden. Das nächste Kind, das mehr sagt als >Würdest du mir bitte das Salz gebenGemeinschaftsarbeitheißt, das zu tun, was ich euch sage, und zwar schnell.< Ich würde es nicht wagen, bei ihnen nach dieser Methode vorzugehen. Selbst gewöhnliche Kinder lassen sich das nicht gefallen.« »Sie hatten immer eine faire Haltung, Pagey«, sagte Peter Welles. »Das verstehe ich nicht«, sagte Mr. Curtis. »Verlangt man von den Kindern nicht, die Regeln einzuhalten?« »Und ob man das verlangt. Wir beziehen uns auf die Schularten, die darauf bestehen, daß alle Kinder ihre eigenen Interessen und Aktivitäten aufgeben müssen, um daran teilzuhaben, was die Schule für sie beschlossen hat; die Art von Schule, die darauf besteht, daß alle Schüler an allen Ballspielen teilnehmen müssen ; oder an allen Tanzkursen. Miss Pages Ansicht ist immer gewesen, daß die Regeln befolgt werden müssen, den Kindern ansonsten aber freie Hand gestattet wird; keine rhetorischen Taschenspielertricks oder Schmachtfetzen über die ureigene Freizeitgestaltung eines Kindes.« »Was, kein >Schulgeist