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Arkadi und Boris Strugazki
Ein Roboter bricht aus und Wladimir Firsow
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Scanned by Manni Hesse 2007
7 9
Arkadi und Boris Strugazki
Ein Roboter bricht aus und Wladimir Firsow
Meutere/ ouf dem Mond
VERLAG KULTUR UND FORTSCHRITT BERLIN 1969
Originaltitel: Ein Roboter bricht aus: Спонтанный р е ф л е к с Aus dem Russischen von Erich Einhorn Meuterei auf dem Mond: Бунт Aus dem Russischen von Gisela Kuhnert Der Abdruck dieser Übersetzung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags «Das Neue Berlin" Umschlag und Illustrationen: Hans Räde
Verlag Kultur und Fortschritt, 108 Berlin, Glinkastr. 13-15 7/1969 Lizenz-Nr. 3-285/178/69 Satz und Druck: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden
Arkadi und Boris Strugazki Ein Roboter bricht aus Urm verspürte Langeweile. Eigentlich ist Langeweile als Reaktion auf Eintönigkeit oder Unzufriedenheit mit sich selbst und Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber nur dem Menschen und einigen Tieren eigen. Langeweile setzt ein subtiles und höchst organisiertes Nervensystem voraus. Dazu gehört die Fähigkeit, zu denken oder zumindest zu leiden. Urm hatte kein Nervensystem im üblichen Sinne des Wortes, und er konnte auch nicht denken, geschweige denn leiden. Er konnte nur rezipieren, sich Vorgänge einprägen und handeln. Dennoch verspürte er Langeweile. Und das lag daran, dafj sein Herr fort war und es für ihn ringsum nichts Neues mehr gab, woran sich sein Gedächtnis üben konnte. Für Urm war aber das Speichern von Erinnerungen der Zweck seines Daseins. Er war von einem unersättlichen Wissensdurst, von einem grenzenlosen Drang erfüllt, soviel wie möglich in sich aufzunehmen und zu behalten. Dies galt für alle ihm unbekannten Tatsachen und Erscheinungen, deren Bestehen in Raum und Zeit als Reizquelle zumindest für eins seiner fünfzehn „Sinnesorgane" dienen konnte. Waren keine unbekannten Tatsachen und Erscheinungen vorhanden, so mufjte er eben welche ausfindig machen. Urm kannte aber alles ringsum genau bis ins kleinste. Seitdem er existierte, kannte er diesen großen quadratischen Raum mit den grauen rauhen Wänden, der niedrigen Decke und der Eisentür. Es roch hier stets nach erwärmtem Metall und Maschinenöl. Von oben drang ein vages tiefes Brummen hierher, das die Menschen ohne Spezialgeräte nicht vernehmen konnten. Urm hatte aber ein vortreffliches „Gehör". Die Tageslichtlampen an der Decke brannten nicht, doch Urm „sah" alles im Raum dank seiner Infralichtanlage und den Impulsspeichern. Urm empfand also Langeweile und beschlofj, sich auf die Suche nach neuen Eindrücken zu machen. Sein Herr war schon
eine halbe Stunde fort. Urm wußte aus Erfahrung, daß sein Herr nicht so bald zurückkehren werde. Das war sehr wichtig, denn einst hatte Urm ohne Befehl einen kleinen Spaziergang durchs Zimmer gemacht, und als der Herr ihn dabei erwischte, nahm er an ihm eine Änderung vor, so daß Urm, von Neugier geplagt, außerstande war, auch nur einen Peilungsfühler zu rühren. Jetzt war dies offenbar nicht mehr zu befürchten. Urm tat einen wuchtigen Schritt vorwärts. Der Zementboden erdröhnte unter seinen dicken Kautschuksohlen, und er hielt einen Augenblick lauschend inne, wobei er sich etwas vorbeugte. In den Lauten, die vom vibrierenden Zement ausgingen, war aber kein einziger ihm unbekannter Ton, und Urm strebte der gegenüberliegenden Wand zu. Er trat dicht an sie heran und schnupperte. Sie roch nach feuchtem Beton und rostigem Eisen. Nichts Neues. Da machte Urm kehrt, ritzte die Wand mit seinem scharfen stählernen Ellbogen, durchquerte das Zimmer und blieb vor der Tür stehen. Es war gar nicht einfach, die Tür zu öffnen; Urm musterte eine Weile das Schloß und verglich es mit seinen früheren Erfahrungen. Schließlich streckte er die zackige Greifzange der linken Hand aus, packte geschickt den Schloßriegel und drehte ihn. Die Tür ging mit einem leisen Knarren auf. Das war interessant, und Urm öffnete und Schloß sie einige Male, bald schnell, bald langsam, horchte und prägte sich alles ein. Dann trat er über die hohe Schwelle und sah sich einer Treppe gegenüber. Sie war schmal, ziemlich hoch und hatte Steinstufen. Urm zählte blitzschnell achtzehn Stufen bis zum ersten Treppenabsatz, wo Licht brannte. Er wußte bereits, was Stufen sind, und stieg gemächlich die Treppe hinauf. Vom Treppenabsatz führte eine Holztreppe mit zehn Stufen zu einem breiten Korridor nach rechts. Nach einigem Zögern bog er dorthin ab, ohne recht zu wissen, warum er es tat. Der Korridor war noch interessanter als die Treppe. Allerdings war diese bedeutend schmaler. Der Korridor strömte Wärme aus und erstrahlte in infrarotem Licht. Es ging von gerippten Heizkörpern aus, die in einigem Abstand vom Boden an der Wand befestigt waren.
Diese Heizkörper erweckten Urms Interesse, denn er sah sie zum erstenmal. Er bückte sich und packte eine Rippe mit beiden Zangen. Ein Knacks, ein metallisches Kreischen, und eine dichte Wolke heißen Dampfes schoß zur Decke. Siedendes Wasser rauschte ihm vor die Beine. Urm hob die Rippe in die Höhe, betrachtete sie, ließ aus seinem Brustpanzer die elastischen Fühler der Mikromanipulatoren hervorschnappen und untersuchte vorsichtig die Bruchstelle. Dann zog er die Fühler wieder ein, die Rippe rollte zu Boden, und Urm watete durch die Pfützen. Er erreichte das Ende des Korridors. Über einer niedrigen Tür flammte eine rote Tafel auf. „Vorsicht! Ohne Schutzkleidung Eintritt verboten!" las Urm. Er wußte, was „Vorsicht" bedeutete, wußte aber auch, daß dieses Wort nur für Menschen galt. Ihn, Urm, konnte das nicht angehen. Er streckte die Hand aus und stieß die Tür auf. Hier gab es viel Interessantes und Neues. Vor ihm lag ein Riesensaal mit vielen Gegenständen aus Metall, Stein und Plasten. In der Mitte des Saals stand eine runde, meterhohe Betonkonstruktion, die wie ein flacher Kasten mit einem Eisenoder Bleideckel aussah. Zahlreiche Kabel liefen von diesem Ding zu den Wänden, an denen Marmortafeln mit glänzenden Geräten und Schalthebeln angebracht waren. Rings um den Betonkasten lag ein Schutznetz aus Kupferdraht, von der Decke hingen glänzende Kniehebel herab, die genau wie Urms Hände in Zwick- und Greifzangen ausliefen. Urm schritt geräuschlos über den Kachelboden, näherte sich dem Kupfernetz, ging herum und blieb stehen. Dann ging er noch einmal herum. Das Netz hatte keinen Durchschlupf. Da hob Urm ein Bein und trat mühelos hindurch. Kupferdrahtfetzen blieben an seinen Schultern hängen. Zwei Schritt vor dem Betonkasten machte er halt. Sein runder, globusartiger Kopf drehte sich nach rechts und links. Urm bewegte die Ebonithörmuscheln, die Antennen seiner Peiler spitzten sich. Der Bleideckel des Kastens strahlte infrarotes Licht aus, das selbst in dem warmen Raum zu spüren war. Außerdem ging von dem Kasten noch eine Ultrastrahlung aus. Urm konnte bei Röntgen-
und Gammastrahlen gut sehen, und es schien ihm, als sei der Deckel durchsichtig und als liege unter ihm ein schmaler, tiefer Schacht, der mit leuchtendem Staub gefüllt war. Aus seinem „Gedächtnis" stieg langsam der Befehl auf, unverzüglich fortzugehen. Urm wufjte nicht, von wem dieser Befehl stammte und wann er ergangen war. Offenbar kannte ihn Urm schon, solange er existierte, ebenso wie vieles andere, das er nie gesehen und erlebt hatte. Urm gehorchte nicht. Seine Neugier war stärker. Er beugte sich über den Kasten, streckte die Zangen aus und hob mit einiger Anstrengung den Deckel. Eine Flut von Gammastrahlen blendete ihn. An den Marmortafeln flammten rote Signallichter auf, eine Sirene heulte. Einen Augenblick lang erblickte Urm durch die transparenten Umrisse seiner Hände das Innere des Betonschachts, dann schmifj er den Deckel hin und rief mit tiefer, rauher Stimme: „Opasnost! Gefahr! Danger! Wej hsian! Abunai!" Das dumpfe Echo rollte durch den Saal und verhallte. Urm schwenkte seinen Rumpf herum und hastete dem Ausgang zu. Der Schock, den der Strom radioaktiver Teilchen in seinen Kontrollzählern ausgelöst hatte, trieb ihn vom Betonkasten weg. Natürlich konnten ihm weder die starken Strahlungen noch die mächtigen Teilchenströme etwas anhaben; selbst der Aufenthalt in der aktiven Zone des Reaktors konnte für ihn keine schädlichen Folgen haben. Urms Schöpfer hatte ihm aber den Drang eingeprägt, sich von den Quellen intensiver Strahlungen möglichst fernzuhalten. Urm trat auf den Korridor, Schloß die Tür umständlich hinter sich, stieg über den gerippten Heizkörper und stand wieder auf dem Treppenabsatz. Im nächsten Augenblick gewahrte er einen Menschen, der eilig die Holztreppe herabstieg. Dieser Mensch war viel kleiner als Urms Herr. Er hatte einen weiten hellen Staubmantel an, und sein Haar war ungewöhnlich lang und blond. Solche Menschen hatte Urm noch nie gesehen. Er sog die Luft ein und spürte den bekannten Duft weißen Flieders, den er auch an seinem Chef schon wahrgenommen hatte, nur viel schwächer. 6
Der Treppenabsatz lag im Halbdunkel, die Treppe hinter dem Mädchen war jedoch hell erleuchtet, deshalb bemerkte sie Urm erst nicht. Als sie seine Schritte vernahm, blieb sie stehen und rief ungehalten: „Wer ist dort? Bist du's, Iwaschow?" „Guten Tag, wie geht's?" fragte Urm heiser. Das Mädchen schrie auf. Aus dem Halbdunkel näherten sich ihr ein glänzender Kopf mit schmalen Glasaugen, wuchtige Stahlschultern und dicke bewegliche Arme. Urm betrat die unterste Stufe der Holztreppe, und das Mädchen stieß wieder einen Schrei aus. Es war noch nie vorgekommen, daß ein Mensch auf seinen Gruß nicht geantwortet hatte, aber dieser sonderbare schrille unartikulierte Laut hatte nichts mit den Antworten gemein, an die Urm gewöhnt war. Sein Interesse wuchs, und er ging auf das Mädchen zu, das erschrocken zurückwich. Die Holzstufen knarrten unter seinen Tritten. „Zurück!" kreischte das Mädchen. Urm machte halt, neigte den Kopf zur Seite und horchte. „Zurück, du Ungetüm!" Urm kannte den Befehl „Zurück". Auf diesen Befehl mußte er den Rumpf wenden und seine Schritte in die entgegengesetzte Richtung lenken, bis der Befehl „Halt" kam. Gewöhnlich gingen aber die Befehle von seinem Herrn aus, außerdem war Urm von Forschungsdrang erfüllt. Er stieg die Treppe hinauf, bis er sich vor dem Eingang zu einem kleinen Zimmer befand. „Zurück! Zurück! Zurück!" schrie das Mädchen. Urm blieb nicht stehen, verlangsamte aber seine Schritte. Ihn interessierte das Zimmer. Er sah zwei Schreibtische, Stühle, ein Zeichenbrett, einen Schrank mit Büchern und dicken Mappen. Während er die Schubladen herauszog, die Mappen öffnete und laut die Aufschriften las, die mit schwarzer Tusche deutlich am Rand der Zeichnungen standen, schlüpfte das Mädchen ins Nebenzimmer, versteckte sich hinter dem Sofa und packte den Telefonhörer. Urm bemerkte es, da er auch im Nacken ein Objektiv hatte, doch der kleine langhaarige Mensch interessierte ihn nicht mehr. Er stapfte über die am Boden verstreuten Pa-
piere und ging weiter. Hinter seinem Rücken schrie das Mädchen ins Telefon: „Nikolai Petrowitsch? Nikolai Petrowitsch, ich bin's, Galja! Nikolai Petrowitsch, Urm, Ihr Urm ist hier bei uns eingedrungen! Urm! J a ! Ich weiß nicht . . . Ich bin ihm begegnet, als er aus der großen Reaktorhalle kam . . . J a , ja, er war in der Reaktorhalle . . . Was? Anscheinend nicht." Urm hörte nicht zu. Er trat in die Halle, blieb dort wie gebannt stehen und bewegte intensiv die schwarzen Peilantennen. Er war perplex. An der gegenüberliegenden Wand hing etwas Großes, Glänzendes und Kaltes. Im infraroten Licht schien es ein graues, undurchdringliches Quadrat zu sein,' das jedoch bei gewöhnlicher Beleuchtung silbrig glitzerte. Aber nicht das wunderte Urm. In dem sonderbaren Quadrat befand sich ein schwarzes Monstrum, auf dessen Kopf sich Hörner bewegten. Der Kopf war rund wie ein Globus. Urm konnte nicht feststellen, wo sich das Monstrum befand. Der Entfernungsmesser teilte ihm mit, daß ihn 12,08 Meter von dem unbekannten Gegenstand trennten, das Peilgerät widerlegte dies aber: Da war gar kein Gegenstand, nur eine glatte, fast vertikale Fläche in einer Entfernung von 6,04 Metern. Urm hatte bisher nichts dergleichen erlebt, und sein Peilgerät und seine Objektive hatten ihm noch nie so widerspruchsvolle Angaben gemacht. In seinen Organismus war das Bedürfnis eingegraben, alles, womit er in Berührung kam, vollständig zu klären, und er schritt entschlossen vorwärts, wobei er folgendes feststellte und es sich einprägte: Nach dem Entfernungsmesser beträgt die Entfernung das Doppelte der vom Peilgerät gemeldeten . . . E r schritt auf den Spiegel zu. Das Glas zerplitterte, und Urm prallte gegen die Mauer, die sich dahinter befand. Offenbar war hier nichts mehr zu tun. Urm kratzte am Stuck, schnupperte, machte kehrt und schritt zum Ausgang, ohne auf den Wächter zu achten, der mit kalkweißem Gesicht am Notsignal zog. Ein Schneesturm, ein weißer Wirbel schlug ihm entgegen. Als Nikolai Petrowitsch Koroljow den Hörer auflegte, war Piskunow bereits im Vorraum und zog hastig seinen Mantel an. 2
Ein Roboter
„Wo willst du hin?" „Dorthin, versteht sich . . . " „Wart mal, wir müssen uns doch überlegen, was wir tun wollen, wenn dieses Ungetüm im Kraftwerk herumzutollen beginnt..." „Wenn es nur im Kraftwerk wäre", unterbrach Rjabkin Koroljow. „Und das Laboratorium? Und die Lagerräume? Und wenn er hierher, in die Siedlung, einen Abstecher macht?" Koroljow dachte angestrengt nach. Piskunow trat ungeduldig von einem Bein aufs andere, die Hand auf der Klinke. „Wir müssen alle vier hin", schlug Kostenko zaghaft vor. „Wir müssen ihn finden und . . . festhalten." Piskunow verzog das Gesicht, und Rjabkin, der am Garderobenständer seinen Mantel suchte, brummte mürrisch: „Ihn festhalten ist leicht gesagt. Woran soll man ihn festhalten? An den Hosen? Er ist eine halbe Tonne schwer, die Schlagkraft seiner Hand beträgt 300 Kilo. Schweig lieber, Kostenko. Du bist neu hier, hast noch keine Ahnung . . . " „Hört mal", sagte Koroljow entschlossen. „Wir machen folgendes: Ich rufe gleich im Praktikantenheim an und bringe dort alle auf die Beine. Du, Rjabkin, rennst inzwischen zur Garage . . . Teufel noch mal, heute ist ja Sonnabend, da sind sicher alle im Klub . . . Macht nichts, hol wenigstens drei Fahrer. Sie sollen die Bulldozer anlassen. Nicht wahr, Piskunow?" „Ja, ja, so schnell wie möglich. Bloß . . ." „Und du, Piskunow, rennst ins Institut. Du mufjt herausfinden, wo Urm ist, und sofort in der Garage anrufen. Kostenko, du gehst mit ihm. Schnell, Genossen, es eilt. Wenn der Kerl blofj nicht inzwischen durchs Tor gekommen ist!" Sie zogen sich hastig ihre Mäntel an und stürmten auf die Strafje. Rjabkin glitt aus und rifj Kostenko mit. „Verflucht." „Was ist los, die Brille?" „Nein, alles in Ordnung." Der scharfe Wind fegte Wolken trockenen Schnees über die -1 A
Straße, heulte in den Drähten, brummte im Eisengewirr der Hochspannungsmasten. Die Fenster des Hauses warfen mattgelbe Lichtquadrate auf die Schneewehen, alles andere aber lag in tiefem Dunkel. „Also bis nachher", sagte Rjabkin. „Seid vorsichtig, Freunde, setzt euch nicht unnötigen Gefahren aus." Er glitt wieder aus, lag strampelnd im Schnee, schimpfte auf das Gestöber, auf Urm und überhaupt auf alle, die mit der ganzen Geschichte etwas zu tun hatten, und verschwand dann im Dunkel. „Ich verstehe nicht, was die Bulldozer sollen", brach Kostenko das Schweigen. „Was würden Sie vorschlagen?" erkundigte sich Piskunow. „Ich weiß nicht. . . Verstehe es einfach nicht. Wollen Sie Urm vernichten?" Piskunow seufzte. „Wir wollen ihn aufhalten." Er hob seine Mantelschöße und watete durch eine Schneewehe. Kostenko folgte ihm betreten. Vor ihnen lag ein Schneefeld, dahinter die Chaussee. Jenseits der Chaussee befand sich das Kraftwerk. Um den Weg zu verkürzen, ging Piskunow über die Ödfläche, auf der im Herbst die Baugrube für ein neues Gebäude ausgehoben worden war. Kostenko hörte, wie Piskunow etwas vor sich hin brummte und über einen Haufen verschneiter Ziegel und Armaturen stolperte. Sie kamen immer schwerer voran. Im Schleier des Schneetreibens schimmerten die verstreuten Lichter des Instituts. „Warten Sie doch", sagte Kostenko schließlich. „Wir wollen ein wenig verschnaufen . . . " Piskunow hielt inne. Er kannte Urm wie kein anderer im Institut. Jede Schraube, jede Elektrode, jede Linse dieser großartigen Maschine war durch seine Hände gegangen. Er war der Meinung gewesen, jede Bewegung Urms unter allen Umständen berechnen und vorhersagen zu können. Und nun . . . Urm hatte „eigenwillig" seinen Keller verlassen und trieb sich im Kraftwerk herum. Wie hatte das geschehen können?
Urms Verhalten wurde von seinem „Gehirn", einem ungemein komplizierten und subtilen Apparat aus GermaniumPlatin-Schaum und Ferrit, gesteuert. Hatte eine gewöhnliche Rechenmaschine Zehntausende Trigger - Schaltelemente, die Impulse empfingen, speicherten und auslösten -, so waren in Urms „Gehirn" ungefähr 18 Millionen logische Zellen untergebracht. Ihnen waren Reaktionen auf eine Unzahl von Situationen, veränderte Umstände einprogrammiert, und sie konnten eine Unmenge von Operationen auslösen. Was konnte auf das „Gehirn", auf das Programm eingewirkt haben? Die Strahlungen des Atomreaktors? Nein. Folglich war im „Gehirn" selbst etwas los. Ein Programm. Ein neues kompliziertes Programm. Piskunow leitete selbst die Programmierung . . . Die Programmierung . . . Daran lag es also! Piskunow erhob sich langsam. „Ein spontaner Reflex!" sagte er. „Sicherlich ist es ein spontaner Reflex! Idiot!" Kostenko starrte ihn erschrocken an. „Wie bitte . . . " „Jetzt ist mir alles klar. Natürlich . . . Wer hätte das gedacht? Alles ging so g l a t t . . . " „Schauen Sie mal!" rief Kostenko plötzlich. Er sprang auf. Den grauschwarzen Himmel über dem Institut durchzuckte eine blaue Stichflamme, vor der sich die Umrisse der schwarzen Gebäude deutlich und zugleich irreal aus dem Schneetreiben abhoben. Die Lichter an der Umfriedung des Instituts blinzelten und erloschen. „Das ist der Umformer", sagte Piskunow heiser. „Er befindet sich gerade gegenüber dem Reaktorturm. Urm ist dort. . . Und der Wächter . . . " „Los!" rief Kostenko. Sie begannen zu rennen. Das war aber nicht so einfach. Der Gegenwind erschwerte jeden Schritt, sie stolperten in Löcher, auf denen Pulverschnee lag, fielen hin, erhoben sich wieder, stolperten wieder. „Schneller, schneller!" stachelte Piskunow den anderen an. Der Wind und die Aufregung trieben ihm Tränen in die 12
Augen, sie rannen ihm über die Wangen, froren an den Wimpern ein, behinderten die Sicht. Piskunow packte Kostenko an der Hand und riß ihn mit. „Schneller! Schneller!" In der Siedlung hatte man wahrscheinlich die Stichflamme über dem Institut bemerkt. Eine Sirene heulte, in den Wachhäusern waren plötzlich alle Fenster erleuchtet, der Lichtstrahl eines Scheinwerfers huschte übers Feld, holte Schneehügel, die Gitter der Hochspannungsmaste aus dem Dunkel, glitt über die Umfriedung des Instituts und machte schließlich am Tor halt. Vor dem Tor hasteten kleine schwarze Schatten umher. „Wer ist dort?" fragte Kostenko schwer atmend. „Die Wache, vielleicht auch Miliz . . . " Piskunow blieb stehen, rieb sich die Augen, seine Stimme überschlug sich. „Sie haben . . . das Tor . . . verriegelt. - Ein Glück! Dann ist Urm noch dort." Offenbar war Alarm geschlagen worden. Nun tasteten bereits drei Scheinwerferstrahlen die Umfriedung des Instituts ab. Schnee wirbelte im bläulichen Licht. Durch das Heulen des Windes drangen Rufe, jemand schimpfte laut. Schließlich heulten Motoren auf, man hörte das Kreischen von Gleitketten. Riesige Bulldozer rollten aus der Garage. „Kostenko", sagte Piskunow. „Schauen Sie sich das aufmerksam an. Wir wohnen der ungewöhnlichsten Razzia in der Geschichte der Menschheit bei. Lassen Sie sich nichts entgehen, Kostenko!" Kostenko schielte zu Piskunow hinüber. Es schien ihm, als seien die Wangen des Ingenieurs tränennaß. Aber es war wohl geschmolzener Schnee. Nun kam das Kreischen der Gleitketten von rechts. Die Bulldozer hatten die Chaussee erreicht. Man konnte bereits die zitternden Lichtkegel der Planierraupen erkennen. Fünf Lichter. „Fünf gegen einen", flüsterte Piskunow. „Er hat keine Chancen mehr. Der spontane Reflex wird ihm nichts helfen." Plötzlich trat eine Änderung ein. Kostenko wußte zunächst nicht recht, was geschehen war. Der Schneesturm heulte wie
vorher, Pulverschnee fegte über den Boden dahin, immer noch heulten die Motoren der Bulldozer. Die Scheinwerferstrahlen glitten aber nicht mehr übers Feld, sondern faßten das Tor ein. Die Torflügel standen weit offen, und vor ihnen war kein Mensch zu sehen. „Was mag dort los sein?" fragte Kostenko. „Sollte er tatsächlich . . ." Piskunow vollendete den Satz nicht, und wie auf Verabredung rannten sie zum Institut. Bis zum Tor waren es kaum noch zweihundert Meter, als Piskunow einen Mann mit einem Gewehr beinah überrannt hätte. Der Mann stieß einen Schrei aus und sprang zur Seite. Piskunow packte ihn an der Schulter. „Was ist los?" Der Mann, der eine Pelzmütze mit der Kokarde der Miliz trug, schüttelte fassungslos den Kopf. „Er ist uns entkommen", sagte er. „Hat das Tor umgestoßen und ist fort. Beinahe hätte er Makejew niedergestampft. Ich will zur Siedlung, Hilfe holen . . . " „Wohin ist er entkommen?" Der Milizionär wies unsicher nach links. „Dorthin, scheint mir, zur Chaussee . . . " „Er wird also bald auf die Bulldozer stoßen, kommen Sie." Und dann geschah etwas, was sie ihr Leben lang nicht vergessen würden. Aus dem Schneetreiben tauchte plötzlich etwas Riesenhaftes, Unförmiges auf, rote und grüne Lichter blinzelten ihnen entgegen, und eine schrille Stimme sprach: „Guten Tag, wie geht's?" „Halt, Urm!" brüllte Piskunow verzweifelt. Kostenko sah den Milizionär davonrennen, sah, wie Piskunow die geballten Fäuste schüttelte, dann stampfte der Riese, in Dampf gehüllt, die balkendicken Beine hochhebend, an ihm vorbei und verschwand im Schneegestöber. Urm schloß sorgfältig die Tür hinter sich, wie er es stets tat, wenn sie nicht zugeschlagen war, und blieb nach einigen Schritten stehen. Ringsum war alles voller Laute, voller Bewegung
und grellem Licht. Durch die Nacht drangen Funkwellen wie ein buntes Kaleidoskop. 13,5 Meter vor Urm befand sich ein niedriges Gebäude mit breiten Fenstern hinter schmiedeeisernen Gittern. Die Mauern strahlten starkes infrarotes Licht aus. Aus dem Gebäude drang ein mächtiges tiefes Dröhnen. Millionen Schneeflocken wirbelten durch die Luft und schmolzen augenblicklich auf Urms wuchtigen Panzerschultern, die vom Atommotor erhitzt waren. Urm drehte den Kopf hin und her und fand, daß sein interessantes und nächstes Untersuchungsobjekt das niedrige Gebäude gegenüber sein müsse. Er bemerkte einen windgeschützten Pfad, der zum Eingang führte. Um das Gebäude waren kleine Tannen gepflanzt, und er hielt sich eine Weile auf, um eine von ihnen zu knicken und zu betrachten. Dann öffnete er die Tür und trat ins Gebäude. Die beiden Männer, die in der schmalen Stube am Tisch saßen, sprangen auf und starrten ihn entgeistert an. Er Schloß die Tür hinter sich, schob sogar den Riegel vor und blieb vor ihnen stehen. „Guten Tag, wie geht's?" fragte er. „Genösse Piskunow?" gab einer der Männer zurück. „Genösse Piskunow ist nicht da. Was soll ich ihm ausrichten?" erkundigte sich Urm gleichmütig. Die Menschen interessierten ihn nicht. Seine Aufmerksamkeit galt einem kleinen struppigen Wesen, das sich in einer Ecke an die Wand drückte. ,Warm, lebendig, riecht stark, kein Mensch', entschied Urm und sagte: „Guten Tag, wie geht's?" „Rrr . . .", entgegnete das Wesen mit dem Mut der Verzweiflung, fletschte die scharfen weißen Zähne und preßte sich noch fester in die Ecke. Urms ganze Aufmerksamkeit galt dem Hund, und er achtete gar nicht darauf, daß die Milizionäre eine Barrikade aus Tisch und Schrank errichtet hatten und nun ihre Pistolen zogen. Das Hündchen jaulte kläglich und sprang mit eingezogenem Schwanz an Urm vorbei. Urm war jedoch schneller als der Hund. Er war schneller als das schnellste Tier. Blitzschnell und
lautlos machte sein Rumpf eine halbe Umdrehung, und sein langer ausgestreckter Arm, der wie ein Fernrohr aussah, packte das Hündchen. Im selben Augenblick knallte ein Schuß. Dem einen Milizionär waren die Nerven durchgegangen. Die Kugel prallte mit einem metallischen Klicken von Urms Rückenpanzer ab und blieb in der Wand stecken. Stuck rieselte zu Boden. „Laß das, Sidorenko!" brüllte der andere Milizionär. Urm lieft das zitternde Hündchen los und starrte die beiden Männer an, die mit bleichen Gesichtern, doch fest entschlossen, ihre Waffen schußbereit hielten. Er schnupperte neugierig. In der Luft lag der ihm unbekannte Geruch rauchlosen Pulvers. Das Hündchen verkroch sich zwischen den Stiefeln der beiden Milizionäre. Doch Urm interessierte sich nicht mehr für das Tier. Er machte kehrt und ging zur nächsten Tür, die eine Warntafel mit einem Schädel, gekreuzten Knochen und einem roten Blitz trug. Die Milizionäre sahen versteinert zu, wie seine Zangenfinger das Schloß abtasteten. Die Tür sprang auf. Da besannen sie sich und stürzten ihm nach: „Halt! Zurück! Zurück !" Verzweifelt klammerten sie sich an Urm. Der Gedanke, was dieses stählerne Monstrum im Transformatorenraum anstellen könnte, raubte ihnen fast den Verstand. Doch Urm beachtete sie gar nicht. Ihre Bemühungen machten auf ihn keinen Eindruck. Mit dem gleichen Erfolg hätten sie versuchen können, einen fahrenden Traktor aufzuhalten. Da stieß der eine Milizionär seinen Kameraden zur Seite und feuerte schräg von unten das ganze Magazin auf Urms Kopf ab. Der lichtüberflutete Transformatorenraum hallte von den Schüssen wider. Urm wankte. Die Ebonitmuschel des rechten akustischen Rezeptors zerbrach. Das gebogene Horn des Peilers blieb an einem Draht hängen. Das Glasdach klirrte, Scherben flogen herab. Urm hatte noch nie einen Überfall erlebt. Er hatte keinen Selbsterhaltungstrieb und keine Erfahrung im Kampf gegen den Menschen. Er konnte aber Tatsachen vergleichen, logische Schlüsse ziehen und ein Verhalten wählen, das seine Sicherheit am besten gewährleistete. Diese Kombinationen dauerten
Bruchteile von Sekunden. Im nächsten Augenblick machte er kehrt und stürmte mit drohend ausgestreckten Zangen auf die Menschen los. Die Milizionäre entwichen jeder in eine andere Richtung. Der eine versteckte sich hinter der Schalttafel, der andere sprang hinter den massiven Stahlmantel des nächsten Transformators und lud hastig seine Pistole. „Sidorenko! Renn in die Wachstube und gib das Alarmsignal!" brüllte er. Sidorenko konnte jedoch die Tür nicht erreichen. Urm war viel schneller als der Mensch. Kaum steckte der Milizionär den Kopf hinter der Schalttafel hervor, versperrte ihm Urm mit zwei Sätzen den Weg. Da beschlossen die beiden Milizionäre, gleichzeitig hinauszurennen. Doch auch das gelang ihnen nicht, denn Urm sauste mit der Geschwindigkeit eines D-Zuges von der Schalttafel zum Transformator und zurück. Die Schalttafel bekam einen Sprung, als Urm sie anstieß. Durch die Schußlöcher in der Glasdecke heulte der Wind. Schließlich wurde Urm dieses Spiels überdrüssig, und er beschloß, die Menschen in Ruhe zu lassen. Plötzlich blieb er vor dem Transformator stehen und steckte die Hände unter das Gehäuse. Die Milizionäre benutzten die Gelegenheit und rannten in die Wachstube. Im selben Augenblick ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen, eine blaue Stichflamme schoß empor, und das Licht erlosch. Aus dem Transformatorenraum drang der beizende Geruch von verbranntem Metall, Rauch und heißem Lack. Die Milizionäre wußten anfangs nicht, was geschehen war. Plötzlich erbebte die Wachstube von schweren Schritten, und eine schrille Stimme rief durch die Finsternis: „Guten Tag, wie geht's?" Das Schloß knackte. Die Tür ging kreischend auf, im dunklen Rechteck hob sich für eine Sekunde die wuchtige Silhouette des stählernen Monstrums ab, dann schnappte die Tür wieder zu. Urm stapfte über den verschneiten Hof des Instituts. Es war stockfinster, und selbst Urms infrarote Sehkraft konnte kaum die Dunkelheit durchdringen. Er unterschied nur eine schwache Strahlung um Rumpf und Beine, auf denen die Schneeflocken
schmolzen. Einige schwach phosphoreszierende Menschenschatten huschten zwischen den Gebäuden dahin. Urm schenkte ihnen keine Beachtung. Er schritt weiter und lieft sich von den Angaben des Peilers leiten, obwohl ein Horn von der Kugel abgerissen und eine genaue Entfernungsmessung jetzt unmöglich war. Urm fühlte sich von den fernen Lichtern der Siedlung angezogen, die durch das Schneetreiben matt herüberschimmerten. Dann flammten dort blaue Scheinwerferstrahlen auf. Er stieß auf eine Mauer, blieb unentschlossen stehen und wandte sich nach links. Er wußte sehr wohl, daß, Mauern im allgemeinen Türen haben. Bald darauf erreichte er den Ausgang, ein großes Eisentor. Es war verschlossen. Auf der anderen Seite erscholl erregtes Stimmengewirr, und durch einen Spalt drang helles blaues Licht. „Guten Tag", sagte Urm und stemmte sich gegen das Tor. Es ließ sich nicht eindrücken, war fest verriegelt. Irgendwo in der Ferne knirschte Metall. Jenseits des Tores ging etwas sehr Interessantes vor sich. Urm verstärkte den Druck, trat einen Schritt zurück, warf den Kopf in den Nacken und stieft mit voller Wucht seine Panzerbrust gegen das Tor. Die Stimmen auf der anderen Seite verstummten, dann rief jemand: „Zurück! He, schieß nicht auf diesen Satan!" „Guten Tag, wie geht's?" sagte Urm und warf sich wieder gegen das Tor. Es fiel zu Boden. Der Riegel war stärker als die in die Betonmauer eingelassenen Angeln, und nun lag das Tor wie ein Brett im Schnee. Urm schritt an den zurückweichenden Milizionären vorbei und verschwand im Schneesturm. Er stapfte mühevoll über den mit Pulverschnee bedeckten unebenen Boden. Plötzlich verlor er das Gleichgewicht und glitt aus. Er war nie zuvor gefallen, stemmte sich mit den Armen gegen den Boden und richtete sich mit angezogenen Beinen wieder auf. Er blieb stehen und sah sich um. Vor ihm blinkten die Lichter der Häuser. Links, ganz nahe, erblickte er drei Menschenfiguren, etwas weiter weg ratterten Bulldozer, die hinterein-
ander dem Tor zurollten. Urm wandte sich nach links. Als er an den Menschen vorbeikam, begrüßte er sie und erkannte in einem von ihnen den „Chef". Der Chef konnte ihn daran hindern, sich weiter zu bewegen. Urm wußte dies und beschleunigte deshalb seine Schritte. Urm erreichte einen glattgestampften Platz. Ein heller Lichtkegel hüllte ihn vom Kopf bis zu den Füßen ein. Metallriesen mit schweren Stoßplatten rollten auf ihn zu und stoppten zischend und fauchend. Urm befand sich fünf Schritt vor dem vorderen Bulldozer, drehte langsam seinen runden Kopf nach rechts und links und wiederholte: „Guten Tag, wie geht's?" Koroljow sprang vom Bulldozer. Der Fahrer rief erschrokken: „Wo wollen Sie hin. Genösse Ingenieur?" Im selben Augenblick tauchte Piskunow auf der Chaussee auf. Mit wirrem Haar - er hatte seine Mütze im Schnee verloren -, die Hände in den Taschen seines offenen Mantels vergraben, machte er einen Bogen um den Bulldozer und blieb einige Meter vor Urm stehen. Urm überragte ihn wie ein Turm, seine eckigen Schultern schimmerten im Scheinwerferlicht, sein dampfender Rumpf glänzte feucht, sein runder Schädel mit den schmalen Glasaugen, den abstehenden Rezeptormuscheln und dem Peilerhorn sah einem furchterregenden und zugleich komischen Kürbiskopf ähnlich, mit dem die Burschen im Dorf die Mädchen erschrecken. Sein Kopf pendelte gleichmäßig hin und her, die Augen verfolgten jede Bewegung Piskunows. „Urm!" rief Piskunow laut. Urms Kopf hörte zu pendeln auf, seine Arme streckten sich senkrecht aus. „Urm, aufgepaßt!" Urm antwortete: „Ich bin bereit." Jemand lachte nervös. Piskunow tat einen Schritt vorwärts und legte seine behandschuhte Hand auf Urms Brust. Er fingerte hastig am Panzer herum, um den Schalter zu finden, der die Rechenmaschine in Urms Gehirn mit der Kraft- und Bewegungsanlage verband.
Da geschah das Unerwartete - unerwartet für alle, außer für Piskunow, der gerade das am meisten gefürchtet hatte. Offenbar hatte Urm Assoziationen behalten, die ihm signalisierten, daß ihn diese Geste des Chefs lahmen konnte. Kaum hatten Piskunows Finger den Schalter berührt, da machte Urm eine Wendung, sein gepanzerter Arm fuhr blitzartig über Piskunow hinweg, der sich gerade noch bücken konnte, und Urm schritt ohne Hast auf die Chaussee zurück. Koroljow gewann als erster die Fassung wieder. „He, Jungs!" schrie er. „Laßt die Bulldozer an und schneidet ihm von links und rechts den .Weg zum Tor ab . . . Piskunow! He, Piskunow!" Piskunow hörte aber nicht. Während die Bulldozer von beiden Seiten der Chaussee heranrollten, Schneewolken aufwirbelnd, rannte er Urm nach.
„Halt, Urm!" brüllte er, und seine Stimme überschlug sich. „Halt, du Bestie! Zurück! Zurück!" Er geriet außer Atem. Urm schritt immer schneller aus, und die Entfernung zwischen ihnen vergrößerte sich zusehends. Schließlich blieb Piskunow stehen, steckte die Hände in die Taschen und blickte ihm mit eingezogenem Kopf nach. Koroljow und Rjabkin rannten auf Piskunow zu, gefolgt von Kostenko. „Warum hast du das getan?" fragte Koroljow. Piskunow schwieg. Dann sagte er: „Er gehorcht nicht. Verstehst du, Kolja ? Er gehorcht nicht. Das ist ein spontaner Reflex." Koroljow nickte. „Das denke ich auch." „Gewiß!" rief Rjabkin. „Ebensogut hätten Sie es einem Eisenbahnzug überlassen können, sich selbst die Strecke zu wählen . . . " „Was ist das, ein spontaner Reflex?" fragte Kostenko schüchtern. Er bekam keine Antwort. „Eigentlich ist es allerhand." Koroljow schneuzte sich und steckte das Taschentuch ein. „Er gehorcht nicht! Das ist doch . . . " „Nun aber los!" sagte Piskunow entschlossen. Unterdessen hatten die Bulldozer einen Halbkreis um Urm gebildet, der gemächlich über die Chaussee stapfte. Ein Bulldozer schnitt ihm den Weg ab, ein anderer folgte ihm auf den Fersen, die anderen drei rollten von den Seiten heran, zwei von links, einer von rechts. Urm hatte längst gemerkt, daß er umringt war, sich aber wohl nicht weiter darum gekümmert. Er setzte seinen Weg fort, bis sein Brustpanzer an den Bulldozer stieß. Er stemmte sich nach vorn, der Bulldozer schwankte ein wenig, und der Fahrer griff bestürzt an die Hebel. Urm nahm einen kurzen Anlauf und warf sich gegen die Planierraupe. Stahl knirschte auf Stahl, und unterhalb des Scheinwerferkegels stoben Funken durch das Schneetreiben. Im gleichen Augenblick erreichte die Stoßplatte des hinteren Bulldozers Urm. Er machte halt, nur sein Schädel drehte sich langsam wie ein Globus. Aus dem Brustpanzer krochen wie kleine schwarze Schlan-
gen die Mikromanipulatoren hervor, fuhren über den Rand der Platte und zogen sich zurück. Von rechts und links rollten noch zwei Bulldozer heran und schnitten Urm den Rückzug ab. Urm war gefangen. „Genossen Ingenieure! Genösse Piskunow! Was sollen wir weiter tun?" rief der Fahrer des ersten Bulldozers. „Genösse Piskunow ist nicht da. Was soll'ich ihm ausrichten?" fragte Urm, holte aus und schlug auf die Stoßplatte los. Die Schläge folgten in gleichmäßigen Abständen wie die eines Boxers am Punchingball; bei jedem Schlag lehnte sich Urm zurück, und Funken sprühten unter seinen stählernen Fingern hervor. Piskunow, Koroljow, Rjabkin und Kostenko eilten herbei. „Man muß etwas unternehmen, sonst haut er sich kaputt", sagte Rjabkin besorgt. Piskunow kletterte schweigend auf die Raupenkette des Bulldozers, Rjabkin packte ihn jedoch am Mantel und zog ihn herunter. „Was fällt dir ein?" brummte Piskunow gereizt. Rjabkin sagte: „Du bist der einzige, der Urm bis in alle Einzelheiten kennt. Wenn er dir was antut, dann kann sich das hier noch einige Monate hinziehen. Ein anderer muß es versuchen." „Stimmt", sagte Koroljow. „Ich gehe." Einer der Arbeiter, die sich um die Ingenieure geschart hatten, schlug vor-. „Vielleicht nehmen Sie einen von uns? Wir sind jünger und flinker." „Laßt mich lieber", sagte Kostenko finster. Koroljow warf ihnen einen ironischen Blick zu. „Wer von euch weiß, was man tun muß?" Alle schwiegen. „Na seht ihr. Ich weiß es aber. Und wenn ich, wenn mir . . . ihr versteht, dann holt die Laboranten. Piskunow soll sich heraushalten." Er warf die Pelzjacke zu Boden und kletterte auf den Bulldozer. Piskunow riß sich von Rjabkin los.
„Lassen Sie mich, Rjabkin! Was für ein Unsinn! Ich werde selber . . . " Rjabkin antwortete nicht. Kostenko^ trat von der anderen Seite hinzu und faßte Piskunow fest um die Schultern. Der verstummte, biß sich auf die Lippen und blickte Koroljow nach. Urm tobte mittlerweile. Sein Unterkörper war von den Bulldozern fest eingeklemmt, sein Oberkörper bewegte sich jedoch frei und drehte sich blitzschnell hin und her, während seine stählernen Fäuste auf die Stoßplatten einhämmerten. Dampfwolken zogen durch das Schneegestöber. Ein Faustschlag hat eine Stoßkraft von 300 Kilogramm, ging es Kostenko durch den Kopf. Mit zusammengebissenen Zähnen hockte Koroljow zwischen den Bulldozern vor Urm und pafjte einen geeigneten Augenblick ab. Das Gekreisch und Gehämmer dröhnte ihm in den Ohren. Er wußte, daß Urm ihn bemerkt hatte, denn die Glasaugen blickten ihn unverwandt an und schienen unheilvoll zu funkeln. „Sachte, sachte", flüsterte Koroljow. „Hör doch endlich auf, du Schuft!" Plötzlich entstand ein neuer Laut - etwas krachte, entweder war es Urms Arm oder die Stoßplatte des Bulldozers. Jetzt durfte keine Sekunde mehr verloren werden. Koroljow bückte sich, Urms Arm stieß hart an seinem Kopf vorbei, Koroljow preßte sich an den Stahlpanzer. Da geschah wieder etwas Unerwartetes. Urms Arme sanken herab. Das Dröhnen hörte auf, nur das Heulen des Sturms über den Feldern und das Fauchen der Traktoren waren noch zu hören. Bleich und schweißbedeckt richtete sich Koroljow auf und hob die Arme zu Urms Brustpanzer. Ein scharfes Klicken, und die grünen und roten Lichter an Urms Schultern erloschen. „Schluß", sagte Piskunow heiser und Schloß die Augen. Alle redeten plötzlich laut durcheinander, man lachte und scherzte. Die Fahrer halfen Koroljow auf und hoben ihn herüber. Piskunow umarmte und küßte ihn. „Jetzt aber ins Institut", sagte er abgehackt. „An die Arbeit.
Das wird eine Woche, einen Monat in Anspruch nehmen . . . Wir müsseh ihm diese Mätzchen abgewöhnen und ihn zu einem richtigen Urm, einer Universal-Roboter-Maschine, machen." „Was war eigentlich in Urm gefahren?" fragte Kostenko. „Was ist das, ein spontaner Reflex?" Koroljow, der müde und übernächtig aussah, erklärte es ihm: „Urm wurde im Auftrag der Direktion für interplanetarische Flüge konstruiert. Er unterscheidet sich von den anderen kybernetischen Maschinen, auch von den vollkommensten, dadurch, daß er unter Verhältnissen arbeiten soll, die nicht einmal der genialste Programmierer genau voraussehen kann. Zum Beispiel auf der Venus. Wer weiß, was für Verhältnisse dort herrschen? Vielleicht ist sie mit Wasser bedeckt oder mit Wüste, vielleicht auch mit Dschungeln oder siedendem Pech. Dorthin Menschen zu schicken ist einstweilen unmöglich. Das ist viel zu gefährlich. Auf die Venus werden wir Urms, Dutzende Urms schicken. Wie soll man aber die Programme für sie aufstellen? Der Haken ist ja gerade der, daß man bei dem jetzigen Stand der Kybernetik den Maschinen nicht beibringen kann, abstrakt zu .denken' . . . " „Das ist mir nicht ganz klar." „Stell dir mal vor, wir lassen eine kybernetische Maschine eine unbekannte Gegend erforschen, um die Aktivität des Bodens, das Vorhandensein von Mineralien, Pflanzen, Tieren usw. zu ermitteln. Die Maschine soll diese Gegend im Kreis durchstreifen und dann diesen Kreis von Nord nach Süd durchqueren. Wissen wir, daß die Gegend eben ist, so kann die kybernetische Vorrichtung höchst einfach sein: ein bis zwei Rezeptoren, ein Gyrokompaß, ein paar Relais . . . Heute gibt es.in Sowchosen Zehntausende solcher Geräte an Traktoren und selbstfahrenden Kombinen. Sie eignen sich aber nur für verhältnismäßig ebenes Gelände. Wenn wir aber nicht wissen, wie das Gelände beschaffen ist? Und wenn es dort Schluchten, Sumpf und Sandboden gibt? Da können unsere Maschinen kaputtgehen oder steckenbleiben . . . Deshalb müssen wir sie
mit einem komplizierten Gehirn und einem ausgedehnten Programm versehen. Man kann der Maschine ,beibringen', Furten zu suchen, oder ihr verbieten, tief ins Wasser zu gehen oder sich Schluchten zu nähern. Man kann ihr beibringen, Hindernisse zu umgehen oder sie womöglich zu überwinden, und zwar mit Hilfe von allerlei Vorrichtungen, zum Beispiel mittels eines hochleistungsfähigen Gleichgewichtsr6