1
2
Atlan-Centauri-Zyklus Nr. 10 von 12
Kampf um Kharba von Achim Mehnert Was bisher geschah: Wir schreiben den Feb...
6 downloads
372 Views
304KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
1
2
Atlan-Centauri-Zyklus Nr. 10 von 12
Kampf um Kharba von Achim Mehnert Was bisher geschah: Wir schreiben den Februar des Jahres 1225 NGZ. Auf Einladung der Historikerin Li da Zoltral besucht Atlan das Epetran-Archiv, in dem Schätze und geheimes Wissen der Lemurer lagern. Diese Erste Menschheit besiedelte schon vor weit über fünfzig Jahrtausenden die Milchstraße; von ihr stammen alle gegenwärtig in der Galaxis existierenden humanoiden Völker ab. Als Unbekannte unter den Augen der Besucher einen Krish'un stehlen, einen Umhang lemurischer Tamräte, nimmt Atlan die Ermittlungen auf. Mit dem Schweren Jagdkreuzer TOSOMA fliegt er nach Omega Centauri, einem wegen seiner hyperenergetischen Bedingungen bisher unerforschten Kugelsternhaufen. Auf der Handelswelt Yarn enthält er Informationen über lemurische Hinterlassenschaften, die ihn zum Planeten Acharr führen. Dort stößt er auf eine Steuerzentrale der Lemurer. Sein Verdacht wird zur Gewissheit: Die Familie da Zoltral zieht im Hintergrund die Fäden. Sein nächstes Ziel ist ein von Lemurer-Abkömmlingen gegründetes Reich, das Tamanium Shahan, für das er einen Angriff zurückschlägt. Dann erfährt er, dass seine Freundin Li da Zoltral auf die Wasserwelt Tarik entführt wurde, und befreit sie aus einem Biolabor, in dem man Experimente an ihr durchzuführen versuchte. Auf dem Planeten Theka, einem Urlaubsparadies im Talzor-System, findet er endlich einen entscheidenden Hinweis auf die lemurische Heimatwelt in Omega Centauri. Die Spur führt ins unmittelbare Zentrum des Kugelsternhaufens... Gellend heulte der Alarm auf, Sekunden nach unserer Rematerialisation. »Kein Anruft« Agir-Ibeth Nir-AdarNalo Nilmalladah III., der haspronische Leiter für Funk und Ortung, wandte sich mir empört zu. »Die haben ohne Warnung das Feuer eröffnet. Anscheinend haben sie uns erwartet.« Wer immer die auch waren! Mit einem raschen Blick verschaffte ich mir Klarheit. Ein Schwerer Kreuzer von 230 Metern Durchmesser, der aus dem Ortungsschatten einer Sonne jagte, hatte einen massiven Angriff auf uns gestartet. »Offensichtlich ein Baylamor- Wachschiff vom Lemurtyp, kein Arkon-Raumer«, erklang die Stimme January Khemo-Massais, unseres afroterranischen Kommandanten. »Hoffentlich kommen nicht noch mehr.« »Sämtliche Schutzschirme oben.« Cisoph Tonk blieb hinter dem Feuerleitpult erstaunlich ruhig. »Erneuter Beschuss. Schweres Kaliber aus Gegenpol-Kanonen. Was ist mit den Antiortungsfeldern? Der Kreuzer hätte uns gar nicht bemerken dürfen.« Keine 20.000 Kilometer hinter uns entstand eine kleine Sonne, blähte sich sekundenlang auf und fiel wieder in sich zusammen. Etwas weniger Vorhalt, und wir hätten uns im Zentrum der Explosion befunden. »Massiver Impuls- und Desintegratorbeschuss«, hörte ich wieder den Hasproner. Ich ignorierte die Meldung. Das waren Mückenstiche, mit denen wir leicht fertig wurden, auch ohne unsere Paratronschirme, die noch immer nicht funktionierten. »Torpedos von achtern. Sie bleiben dran!« Das sah schon anders aus, eine Rotte Marschflugkörper konnte uns durchaus gefährlich werden. Noch immer klangen an- und abschwellende Alarmtöne durch die Zentrale der TOSOMA. Ortung und Funkkontrolle lieferten eine Flut von Daten auf den Displays und in den Holos der verschiedenen Missionsstationen. Noch bestand keine direkte Gefahr, aber ein einziger Treffer der Gegenpol-Kanonen des Schweren Kreuzers konnte das ändern. »Alarm aus!«, ordnete ich an. »Cisoph, Feuer erwidern! Sekundärwaffen auf Ziel ausrichten. Transform bombe als Warnung vor den Bug. Mal sehen, ob sie das beeindruckt.« Die zu einem Pferdeschwanz gebun denen schwarzen Haare unseres Feuerleitoffiziers tanzten, als er sich an den Kontrollen zu schaffen machte. »Altra, Ausweichkurs und beschleunigen!«, befahl Khemo-Massai. »Wenn er sich nicht abschütteln lässt, bereiten wir ihm eine kleine Überraschung. Transition auf der Stelle.« Die MVH-Geschütze in den Doppeltürmen spien Intervall- und KNK-Thermostrahlen. Sie erzielten keine Wirkungstreffer, obwohl sie genau im Ziel saßen. Sie sollten den Angreifer in Schach halten. Über die Abstrahlsektoren feuerte Cisoph Tonk eine Transformbombe auf unseren Verfolger ab. »Eine halbe Million Kilometer vor Schiff!« Die TOSOMA raste währenddessen mit wenig mehr als drei viertel Licht geschwindigkeit in Richtung des gigantischen »Sonnenleuchtfeuers«, das auf der: Panoramagalerie zu sehen war. Es war beeindruckend, aber dafür hatte ich jetzt keinen Sinn. Die Marschflugkörper näherten sich. Tonk schoss sie. der Reihe nach ab. »Vier Stück sind durchgekommen«, meldete er. Gleichzeitig warfen wir einen Blick auf die taktische Anzeige der Schirmstaffeln, um uns über mögliche Schäden zu informieren. Der Hasproner kam uns zuvor. »Primärabsorption stabil. Die wechselnde Energiestruktur des Schirmsystems zerstreut die einschlagende Waffenenergie.« Dafür feuerte der Schwere Kreuzer jetzt aus allen Rohren. Unsere kleine Demonstration schien ihn nur noch wütender gemacht zu haben. »Die denken gar nicht dran, sich zurückzuziehen.« Cisoph Tonks Finger huschten über die Kontrollen. »Ich will nicht unken, Atlan, aber die können uns jeden Moment wieder unter Beschuss nehmen. Mit schwerem Kaliber.« Der muskulöse Polynesier hatte die Worte noch nicht ausgesprochen, als im Raum eine weitere
3
Sonne aufging, diesmal viel zu nah. Die TOSOMA wurde aus ihrem Kurs gerissen. Nur die Andruckabsorber bewahrten uns vor Schlimmerem. »Schirmsystem angeschlagen. Ein direkter Treffer, und es bricht zusam men.« Das Wachschiff legte mit seinen sekundären Waffensystemen nach. Gleichzeitig schickte es eine weitere Staffel Torpedos. Du hättest dich nicht auf die erschwerte Zielverfolgung bei relativistischen Geschwindigkeiten verlassen sollen, warf mir mein Extrasinn vor. Wir liegen bei knapp 75 Prozent Lichtgeschwindigkeit und werden trotzdem getroffen. Ich schaute zur Panoramagalerie. Wir rasten von unserem Zielobjekt fort, hinaus in den interstellaren Raum. Mein Patensohn hatte die TOSOMA wieder unter Kontrolle und schaffte es sogar, den gegnerischen Strahlenbündeln auszuweichen. Der Schwere Kreuzer klebte an uns wie ein arkonidischer Paskan-Egel. »Cisoph, Feuer erwidern mit Primärsystemen! « Anstelle einer Antwort deutete der abgebrochene Ertruser ein Nicken an, ohne den Blick von den Kontrollen des Feuerleitstands abzuwenden. »Verstümmelter Funkruf des Kreuzers«, meldete Agir-Ibeth. »Adressat und Inhalt?«, fragte ich. »Empfänger nicht lokalisierbar. Auch den Inhalt kann ich nur bruchstückhaft rekonstruieren. Es geht natürlich um die TOSOMA. Ich habe den Eindruck, dass der Kreuzer sich nicht zurückziehen wird. Er soll uns um jeden Preis aufhalten.« Um jeden Preis! Was das bedeutete, war klar. Kurz schaute ich zu Altra Atlan hinüber, der den Gravohub der SublichtKomponente unserer Metagravs zuschaltete. Unser Schiff beschleunigte mit 1200 Kilometern pro Sekundenquadrat. Diese Geschwindigkeit war zu hoch für Raumtorpedos. Sie konnten uns nicht mehr einholen. Die Transition auf der Stelle und der anschließende »Fangschuss« blieben uns erspart. Mir ließ der Funkspruch keine Ruhe. Bedeutete er, dass wir mit weiteren Wachschiffen rechnen mussten? Wie sahen Crest-Tharo da Zoltrals logistische Möglichkeiten aus? Was auch immer in Omega Centauri vor sich ging, ich war überzeugt davon, dass er sich nach Kräften bemühte, kein Sterbenswörtchen nach draußen dringen zu lassen. Vermutlich hielt er den Kreis der Eingeweihten so eng wie möglich. »Direkter Treffer!«, riss mich Cisophs Stimme aus meinen Gedanken. Erst bei einem Blick auf die Anzeigen begriff ich, dass nicht wir getroffen waren, sondern unser Angreifer. Das rote Halbraumfeld des Schweren Kreuzers existierte nicht mehr, dafür verwandelte sich der 230-MeterRaumer in einen verwaschenen Fleck vor dem leuchtenden Hintergrund der Sterne. Einer Supernova gleich, blähte er sich auf. Glühende Materie wurde in alle Richtungen geschleudert, erstarrende Trümmerstücke rasten ins All hinaus. »Cisoph?« Khemo-Massai fuhr sich durch sein schwarzes Kraushaar und fuhr aus dem Kommandositz hoch. »Was ist geschehen?« Ich konnte seine Frage verstehen. Schließlich wollte auch ich das Wachschiff nicht vollständig zerstören. Es hätte gereicht, es außer Gefecht zu setzen. »Direkter Treffer, aber mach mir jetzt keinen Vorwurf. Ich habe denen nur eine einzige Überladungs-Gravitraf-Bombe rübergeschickt.« Der Polynesier schüttelte verständnislos den Kopf. »Mittlerer Kaliberbereich. Das lässt keinen kalt, bedeutet aber nicht zwangsläufig die vollständige Zerstörung.« »Strukturerschütterungen? Hinweise auf weitere Schiffe?« »Negativ. Ich sehe zwei Möglichkeiten. Entweder ist der Funkspruch nicht angekommen. Die Vielzahl an hyperphysikalischen Phänomenen in diesem Bereich und die gewaltigen Streustrahlungen könnten die Übermittlung verhindert haben. Oder er wurde zumindest so beeinträchtigt, dass sich beim Empfänger nichts mehr damit anfangen ließ. Denkt daran, wie verstümmelt wir den Funkspruch aufgefangen haben, obwohl wir uns in unmittelbarer Nähe des Kreuzers aufhielten. - Es könnte natürlich auch sein, dass... « »Dass es weit und breit keine weiteren Schiffe gibt, mit denen wir rechnen müssen«, fiel ich dem Hasproner ins Wort. »Wieso hat uns dann gerade dieses eine Schiff erwartet?«, überlegte Khemo-Massai laut. »Hat es wahrscheinlich gar nicht«, vermutete ich. »Es befand sich wohl auf einem Patrouillenflug und kreuzte rein zufällig unseren Weg. Da wir in seiner unmittelbaren Nähe rematerialisierten, hat es unsere Strukturschocks angemessen. Selbst die Antiortungsfelder wirken nur bis zu einem gewissen Punkt.« »Ihr Banausen solltet euch lieber mal dieses Schauspiel ansehen.« Zuunarik, unser 2. Pilot, traf den Nagel auf den Kopf. Jetzt, da die unmittelbare Bedrohung durch das lemurische Wachschiff nicht mehr existierte, hatte auch ich Gelegenheit, mich einem der fantastischsten Naturschauspiele zu widmen, die ich je gesehen hatte. Wir befanden uns im Zentrum von Omega Centauri; um uns herrschte das reinste Sternengewirr. In einem Würfel von zwanzig Lichtjahren Kantenlänge standen hier circa 180 Sonnen pro Kubiklichtjahr. Das bedeutete 1,44 Millionen Sterne in einem Raumkubus von 8000 Kubiklichtjahren und einen mittleren Abstand von einem Lichtmonat oder weniger zwischen zwei Sonnen. Die gewaltigen, sich überlappenden Gravitationsfelder brachten zahlreiche hyperphysikalische Begleiterscheinungen mit sich. Was es an Stern größen und Spektralklassifizierungen gab, war dort draußen versammelt. Automatisch spielte der Syntron Ausschnittsvergrößerungen ein. Den meisten in der Zentrale stockte der Atem. 1. Der Atem der Dämonen waberte umher und verwandelte das Angesicht der Sonne in eine unruhig flirrende Maske. Kranakah stieß ein bedrohliches Grollen aus und wälzte sich schwerfällig vorwärts. Verzehrender Hass loderte in seinen vier Augen, aus denen er seinen Gegner musterte. Das Denken fiel ihm schwer, als er die aufpeitschenden Anfeuerungen seiner Anhänger hörte. »Töte ihn!«, schrien sie. »Töte ihn, und du bist unser Anführer!« Anführer, das wollte Kranakah schon sein, solange er zurückdenken konnte. Statt seiner war Granugah, dieser Schwächling, ihr Anführer geworden. Vielleicht war jetzt die Chance gekommen, auf die er sein Leben lang gewartet hatte, aber Kranakah war vorsichtig genug, seinen verhassten Widersacher
4
nicht zu unterschätzen. Granugah wich langsam zurück, ein deutliches Zeichen für die Angst, die er vor seinem Herausforderer empfand. Kranakah folgte ihm und bewegte sich gleichzeitig seitwärts, um ihn daran zu hindern, ihn zu um gehen und in seinen Rücken zu gelangen. Rhythmisch stapften die Grosmaahs mit den Füßen und stimmten einen mythischen Gesang an. Sie bereiteten die Götter auf die baldige Ankunft eines Blutopfers vor. Vielen von ihnen war gleichgültig, welcher der Kämpfer sein Leben aushauchte, wenn nur die Dämonen des Himmels dadurch gnädig gestimmt wurden. »Aufhören!«, stieß Granugah aus. »Ich kämpfe mit dir, aber nicht heute.« »Den Göttern ist egal, wann du stirbst.« Kranakah setzte nach und griff nach dem Stammesführer, erreichte ihn aber nicht. Bebend vor Zorn trommelte er sich mit den Händen gegen die Brust und versuchte einen neuen Angriff. Granugah wich ihm mühelos aus. Grosmaahs waren hoch gewachsen und schwerfällig, das galt vor allem für Kranakah, der zwar über enorme Körperkräfte verfügte, von der Natur aber mit besonders großer Trägheit bedacht worden war. Granugah schielte nach seinem Speer und dem Faustkeil, wagte jedoch nicht, nach den Waffen zu greifen, die am Rand des Kampfplatzes lagen. Wenn er sich auf Krana kahs Herausforderung einließ, kämpften sie bis zum Tod, aber mit bloßen Händen. Waffen waren im Kampf um die Führerschaft verboten. Niemand hatte je gewagt, dieses Ritual zu missachten. Unablässig gab Kranakah wütende Angriffsschreie von sich. Der Gesang der Grosmaahs, der sich allmählich in wüstes Gebrüll verwandelte, putschte ihn auf und trieb ihn voran. »Stammesführer warst du die längste Zeit. Stam mesführer werde ich bald sein.« »Dann wird der Stamm den Dämonen zum Opfer fallen. Sie werden ein Dunkel über uns bringen, das die Welt verschluckt. Zusammen mit uns allen.« »Du fürchtest die Dämonen? Fürchte mich. Ich werde dich zu ihnen schicken.« Granugah atmete den stinkenden Atem seines Gegners. Für einen Moment war er unachtsam. Kranakah warf sich mit seiner ganzen Körperfülle nach vorn und überraschte den Anführer. Mit einem dumpfen Geräusch schlugen ihre tonnenförmigen Brustkörbe gegeneinander. Der Boden zitterte unter den Füßen der beiden Kontrahenten, die sich, ineinander verkrallt, gegenseitig auf den Beinen hielten. Beide waren starke Grosmaahs, die stärksten des Stammes; keiner konnte einen entscheidenden Vorteil erringen. Sie stöhnten unter der nur schemenhaft erkennbaren Sonne an diesem besonders heißen Tag. Granugah versuchte seinen Gegner von sich zu stoßen. Aber dazu musste er dessen Arme loslassen. Kranakah war schneller, als er gedacht hatte. Sein Herausforderer riss die Arme in die Höhe und donnerte sie auf Granugahs Schädel. Grunzend torkelte der Stammesführer zurück. Er sammelte seine Kräfte und machte sich bereit zum Gegenangriff. Zwar hätte er den Kampf am liebsten verschoben, aber Kranakah war nicht viel mehr als ein Tier, das besinnungslos um sich schlug. Plötzlich setzte ein durchdringendes Heulen ein. Augenblicklich hatten die beiden Gegner ihre Fehde vergessen. Die Gesänge brachen ab. Ratlos schau ten die Grosmaahs sich um, aber sie konnten nicht erkennen, woher das Heulen kam. »Die Götter zürnen«, sagte Granugah. »Sie klagen dich an. Du sollst warten, bis sie einverstanden sind. Wir kämpfen später.« »Du fürchtest selbst den Wind. Kämpfe gegen ihn, und du wirst unterliegen.« Granugah bereitete sich auf eine neue Attacke vor, aber trotz seiner Worte zögerte auch Kranakah. Nach einer Weile zog der Herausforderer sich mit wogenden Schritten zurück. Er stieß einen seiner Anhänger beiseite und spähte in die Sonne. Allmählich ließ das Heulen nach. Granugah spürte Erleichterung. Waren die Götter der Sonne und die Dämonen des Windes besänftigt? Es schien so, als hätte er richtig gehandelt. Oder hatten die Grosmaahs wirklich nur die Stimmen der Natur vernommen? Aber so stark hatten sie noch nie zu den Grosmaahs gesprochen. Das Licht der dicht stehenden Sonnen erzeugte ein Hintergrundleuchten. Auf keinem Planeten, der im Zen trumsbereich von Omega Centauri eine Sonne umkreiste, wurde es jemals richtig Nacht. In Thantur-Lok war ich auf Arkon I in einem vergleichbaren Sternhaufen geboren worden, aber diese »Leuchtfeuerkonstellation« war einmalig, und so nahe waren wir ihr noch nie gewesen. Sie stand im Mittelpunkt verschiedener optischer Darstellungen, nicht zuletzt einem strategischen Holo. Nüchtern sammelten die Orter die Daten, die vom Syntron in annähernder Nullzeit visuell aufbereitet wurden. Ein Produkt überlegener lemurischer Technologie. Mein Extrasinn hatte Recht. Als bemerkenswert hatte Epetran die Konstellation in seinen Aufzeichnungen beschrieben, aber das war eine glatte Untertreibung. Sie war in vielen Dingen nicht weit von einem Wunder entfernt. Sie raubte selbst mir den Atem. Insgesamt zwanzig blaue Riesensonnen bildeten ein regelmäßiges Polyeder. In Gedanken verband ich die Eckpunkte miteinander und erhielt als -Ergebnis einen der fünf platonischen Körper. In diesem Fall ein Pentagon-Dodekaeder, bei dem zwölf regelmäßige Fünfecke die Außenfläche des gedachten Körpers bildeten. Das war insofern nicht verwunderlich, als zwölf die heilige Zahl des lemurischen duodezimalen Rechensystems darstellte. Beiläufig warf ich einen Blick in die Runde. Niemand beachtete mich, alle waren in die Darstellungen der Holos versunken. Ich hatte kein Problem damit, solange die Orter keine weiteren Wachschiffe registrierten, und mit jeder verstreichenden Minute wurde ich sicherer, dass unsere diesbezüglichen Vermutungen sich als richtig erwiesen. Khemo-Massai hatte sich zu seiner vol1en Größe aufgerichtet. Sein fein gezeichnetes Gesicht zeigte ein begeistertes Lächeln. Versonnen nickte er vor. sich hin. Cisoph Tonk zeigte seine Begeisterung ebenso unverhohlen wie der Kommandant. »Unsere Erkenntnisse von Theka stimmen also.«
5
Ich konnte ihm nur beipflichten. Ein lemurischer Sonnentransmitter! Diese Information hatten wir im TalzorSystem gefunden. Ich überflog die angezeigten Daten und vergegenwärtigte mir die Größe des lemurischen Bauwerks. Der Durchmesser betrug' 42 Lichtstunden oder 45,2 Milliarden Kilometer, jede der dreißig Kanten hatte eine Länge von 16,128 Milliarden Kilometern. Der Durchmesser des Umfangs einer der Seitenflächen schließlich betrug 27,428 Milliarden Kilometer. »Nur die Lemurer konnten so etwas bauen«, seufzte Tonk. Dann machte er eine abwertende Handbewegung. »Aber auch nur, weil sie über Situationstransmitter verfügten.« »Über Stoßimpuls-Generatoren«, korrigierte mein Patensohn. »Keiner kannte sich so gut mit der Wirkungsweise von extern induzierten Halbraum-Durchgängen aus wie sie.« Altra Atlan besaß selbst ein umfangreiches Wissen über jede Art von Technologie. Eigentlich musste er sich jetzt vorkommen wie im Paradies. Mit seinen 43 Jahren hatte er auf dem Gebiet der lemurischen HalbraumTechnik bereits einige praktische Umsetzungen für die Orbanaschol- Werften geleistet. Er war felsenfest der Überzeugung, dass auf diesem Gebiet noch ungeahntes Potenzial schlummerte. Wieder und wieder ging mein Blick zu dem unglaublichen »Leuchtfeuer«. Komm mal wieder auf den Boden, spottete mein Extrasinn. Schließlich hast du in deinem Leben schon mehr als einen Sonnentransmitter gesehen. Du solltest am besten wissen, dass niemals einer mit einer räumlichen Anordnung dabei war, gab ich zurück. »Das ist hier ist ein absolutes Novum.« Tonk schaute mich an. »Dieser Sonnentransmitter? Inwiefern?« »Ich kenne das galaktozentrische Sechseck, Twin, Horror und das Temur-Sonnenfünfeck. Das waren alles Doppelanordnungen oder Drei-, Fünf- und Sechsecke, aber alle in der Ebene positioniert. Genauso war es bei Archi-Tritrans und dem Gercksvira-Fünfeck.« »Du hast Recht, hier ist es anders. Zum ersten Mal haben wir es mit einer räumlichen Anordnung zu tun. Das könnte auf eine besondere Bedeutung hinweisen.« »Vielleicht handelt es sich aber auch nur um einen Zufall«, warf Zuunarik ein. Ich verfluchte mein hervorragendes Erinnerungsvermögen, weil ich bei dem Gedanken an Gercksvira unwillkürlich an die unsterbliche Ermigoa denken musste. Sekundenlang spürte ich ihre Lippen auf den meinen. Nach unserem letzten Kuss war sie gestorben, weil sie zuvor ihren Zellaktivator abgenommen und mit einem Desintegrator zerstrahlt hatte. Viel Zeit mit ihr war mir nicht vergönnt gewesen. Wohl aber mit Li da Zoltral. Ich warf der jungen Arkonidin einen kurzen Blick zu, den sie mit einem verschmitzten Lächeln quittierte, und wollte mich wieder in die Aufnahmen des galaktischen Wunders vertiefen. Aber ich kam nicht mehr dazu. »Interessieren hier vielleicht irgendwen die Ortungsergebnisse?«, durchbrach eine meckernde Stimme die Stille. »Wenn auch nur einer von euch Traumtänzern seinen Blick von diesem kosmischen Murmelspiel losreißen kann, hätte ich nämlich welche anzubieten.« Sofort war der Zauber des Augenblicks vorbei. Es gab nur ein Besatzungsmitglied an Bord der TOSOMA, das sich wie ein Elefant im Porzellanladen benehmen konnte. Agir-Ibeth Nir-Adar-Nalo Nilmalladah III. »Meldung!«, forderte ich übertrieben formell. Sie kam so kühl und sachlich, wie ich erwartet hatte. »Zwanzig blaue Riesensonnen vom Spektraltyp A4V Durchmesser jeweils 2,5 Millionen Kilometer. Oberflächentemperatur liegt bei 8400 Kelvin.« Ich fragte mich, ob der Leiter der Abteilung Funk und Ortung überhaupt einen Blick für die Holos übrig gehabt hatte. Wahrscheinlich war er der Einzige, der das kosmische Schauspiel in unserer unmittelbaren Nähe mit nüchterner Sachlichkeit betrachtete. »Diese Daten sind allgemein zugänglich«, antwortete der Kommandant. »Weitere Details?« »Allgemein zugänglich?« Der Hasproner strich sich mit den Händen über die Knochenkämme an seinem fellbedeckten Schädel, ein deutliches Zeichen für seine Verärgerung. »Ihr habt doch gar nichts mehr mitbekommen. Eine ganze Flotte hätte uns erwarten können. Der eine Pott hat euch wohl nicht gereicht?« »Unsinn. Du hast die Messungen selbst durchgeführt, da draußen ist niemand. Außerdem hätten wir bei Un serer Geschwindigkeit sofort in die nächste Transition gehen können.« Mein Patensohn war die Ruhe in Per son, neben seiner hohen fachlichen Kompetenz und seiner extremen Reaktionsschnelligkeit eine weitere seiner positiven Eigenschaften. Trotzdem stimmte ich dem Hasproner zu. »Diese. Details haben Zeit. Selbst wenn es keine weiteren Wachschiffe gibt, müssen wir die TOSOMA nicht auf dem Präsentierteller zeigen.« »Was sagt die Funküberwachung?« , wollte Khemo-Massai wissen. »Eine Reihe normaler Funkmeldungen, auch sie beeinträchtigt. Darin ist von Sonnendodekaeder und Kharba die Rede, wenn ich mich nicht irre. Ein einziger Hyperfunkspruch, aber frag mich nicht nach dem Inhalt.« »Von einem Planeten? Kannst du einen Empfänger lokalisieren?«»Negativ. Ich habe die Ruffrequenzen entschlüsselt, aber solange niemand antwortet, sind mir die Hände gebunden. Die Rufe kommen irgendwo aus dem Innern dieses Murmelspiels.« Noch immer rasten wir ziellos durch den Raum. Ich wechselte einen kurzen Blick mit dem Kommandanten und entschied, was Priorität hatte. »Wir begeben uns in den Ortungsschutz einer Sonne, aber bitte nicht zum Sonnentransmitter gehörig. Ich will die TOSOMA aus der unmittelbaren Nähe weghaben. Agir-Ibeth Nir-Adar-Nalo Nilmalladah der Dritte, was kannst du mir anbieten?« »Einen roten Überriesen in 52 Lichtstunden Entfernung. Perfekt für unsere Zwecke. Da sind wir weit weg vom Schuss, können aber auch in einer Blitzaktion zum Leuchtfeuer vorstoßen.« Außerdem war das ein hervorragender Verfügungsraum, fand ich, der ideale Ort, um sich mit den sechs Schlachtschiffen zu treffen, die uns die shahanoische Tamrätin Cherhay zur Verfügung gestellt hatte. »Schon unterwegs«, kam mir mein Patensohn zuvor, bevor ich eine entsprechende Anweisung geben konnte. Kharba, dachte ich. War das der
6
Name unseres Zielplaneten? Und wenn ja, wo lag er? Ich wandte mich wieder an den Hasproner. »Lass mal hören, was gen au Uns dort draußen erwartet.« Agir-Ibeth warf mir einen skeptischen Blick zu. »Wir haben es nicht nur mit den blauen Murmeln zu tun. Da gibt es noch ein paar nette Dreingaben. Die fünf Sonnen der Spitzen der oberen Sonnenfünfecke des Dodekaeders weisen nämlich Planeten auf. Deren Sonnenentfernung beträgt 862,7 Millionen Kilometer, und zwar bei allen.« »Also wurden sie künstlich positioniert«, meldete sich unser arkonidischer Chefwissenschaftler Rintar da Ragnaari zu Wort. »Zweifellos. Die jeweiligen Sonne-Planet-Distanzen stimmen so genau überein, dass es kein Zufall sein kann. Irgendwo von dort kamen auch die Funksprüche, nehme ich an. Aber wie gesagt, bei den herrschenden Verhältnissen kann ich es nicht gen au sagen. Drei der Planeten sind mondlose Welten ähnlich dem solaren Merkur. Durchmesser beinahe deckungsgleich, nämlich 4936, 5095 und 4898 Kilome ter. Schwerkraft liegt bei 0,4 Gravos, außerdem verfügen sie allesamt über eine Achsneigung von neunzig Grad.« »Das bedeutet, dass sie quasi auf ihrer Umlaufbahn rollen«, folgerte ich. »Exakt. Wobei sie ihren Nordpol offensichtlich stets der Sonne zuwenden.«»Wie ich dich kenne, hast du dir den Höhepunkt bis zum Schluss aufbewahrt«, warf Altra ein, während er die TOSOMA in Richtung des roten Überriesen jagte. »Worauf du dich verlassen kannst«, bestätigte der Hasproner. »Ich habe nämlich auch eine erdähnliche Welt anzubieten. Oder lemurähnlich, wenn euch das lieber ist. Schließlich haben wir noch einen Wasserstoff-Methan-Ammoniak-Riesen. Der Durchmesser beträgt 143.284 Kilometer bei einer lieblichen Schwerkraft von 2,34 Gravos.« Besser könnte es gar nicht passen, befand mein Extrasinn. Wer immer einen Planeten mit wichtigen Anlagen der Lemurer sucht, wird nach einer lemurähnlichen Welt Ausschau halten. So eine bietet sich da ja an. Mach also ruhig den Fehler und fall darauf herein. Wie Recht er hatte! Dieser Planet roch geradezu nach einer Einladung und damit nach einer Falle. Die atmosphärelosen drei Planeten konnten wir getrost ausklammern, also musste sich jeder Besucher für einen der beiden anderen entscheiden. »Agir-Ibeth Nir-Adar-Nalo Nilmalladah III., Fernuntersuchung des Wasserstoff - Methan - Riesen. Besonderes Augenmerk auf energetische Emissionen, Schutzfelder und planetare Bebauung.« Klug gedacht, pflichtete mir der Extrasinn bei. Vielleicht haben die Lemurer darauf spekuliert, dass die Haluter eher auf Sauerstoff- als auf Wasserstoffwelten nach lemurischen Anlagen suchen. Der Hasproner stürzte sich mit Feuereifer in die Arbeit, während ich mich an eine Besonderheit erinnerte, die mir auf Theka aufgefallen war, als ich das Mosaik-Ornament im Park der Hotelanlage rekonstruiert hatte. Dabei war ich rückwärts vorgegangen, hatte also ein Dodekaeder vorausgesetzt und diese dann Stück für Stück auseinan der genommen. Zunächst hatte ich gedanklich die Seitenflächen aufgeklappt und dabei jeweils sechs Fünfecke für die obere und die untere Hälfte erhalten. Dabei ergab sich als Form bei flächiger Ausbreitung abermals ein Fünfeck, bei dem fünf Fünfecke das zentrale sechste umgaben. Die obere und die untere Hälfte aufeinander gelegt und bei den zentralen Fünfecken die Diagonalen ergänzt, dazu in das entstandene Pentagramm weitere eingezeichnet, erhielt ich als Ergebnis exakt das Mosaik-Ornament. Anschließend ordnete ich in Gedanken die im Ornament eingezeichneten Symbole, vier fünfzackige und ein zehnzackiges mit jeweils einem zentralen Punkt ausgestattet, den jeweiligen Sonnen des Dodekaeders zu und hatte die zur Konstellation gehörigen Planeten eindeutig gekennzeichnet. Dass nur einer davon durch einen zehnzackigen Stern symbolisiert wurde, unterstrich dessen besondere Bedeutung. Was lag also näher, als darin die Hauptwelt der Lemurer in Omega Centauri zu sehen? Sämtliche Erfahrungen, die ich früher mit Sonnentransmittern gemacht hatte, hatten gezeigt, dass sie alle über solche Steuerplaneten verfügten. Wieso sollte es ausgerechnet in diesem Fall anders sein? Dennoch gab es einen Unterschied. Im exakten Zentrum des Ornaments, gleichbedeutend mit dem geometrischen Zentrum des Dodekaeders, war ein weiterer Punkt angegeben. Was hatte es damit auf sich? Stand er nur für die Transmitterzone? Das glaubst du doch wohl selbst nicht, tadelte mich mein Extrasinn. Mit diesem Punkt hat es eine ganz andere Bewandtnis. Richtig, antwortete ich lakonisch. Ich habe sogar schon eine bestimmte Vermutung. Aber eben nicht mehr als eine Vermutung, deshalb brachte ich sie meiner Mannschaft gegenüber auch nicht zur Sprache. 2. In der Ferne, weit außerhalb der Sichtweite des Dorfs, lag das Heiligtum. Granugah fühlte gleichzeitig Angst und Hoffnung, wenn er daran dachte. Einst hatte es den Grosmaahs gehört, aber die verhassten Humano iden aus einer anderen Welt hatten es ihnen gestohlen. Die Fremden hatten Götter und Dämonen überlistet, eine andere Erklärung gab es nicht. »Wenn wir Erlösung finden werden, dann im Heiligtum.« Der Anführer der Grosmaahs war fest entschlossen, es für sein Volk zurückzuerobern. »Das hast du schon oft gesagt«, antwortete Kranakah. »Jedes Mal kamst du geschlagen zurück. Diesmal wird es nicht anders sein. Die Dämonen haben sich gegen dich gewandt. Ich habe das Zeichen gedeutet, das sie uns vom Himmel sandten. Du sollst nicht länger unser Anführer sein.« Zustimmendes Gemurmel setzte unter Kranakahs Anhängern ein. Die Worte des Rivalen flößten den Gros maahs Angst und Schrecken ein, und sie ließen auch Granugah nicht unberührt. Mit Schaudern dachte er an den feurigen Schweif, der Tage zuvor über den Himmel gezogen und am Firmament verschwunden war. »Die schlechten Neuigkeiten reißen nicht ab, seit der Feuerball den Pfad der Kriegsgöttin beschrieben hat«,
7
fuhr Kranakah fort. »Die Haarg-Pflanzen sterben. Wenn wir essen wollen, müssen wir in den Bergen nach Nahrung suchen.« »Schon seit vielen Sonnen haben wir schlechte Ernte an Haarg-Pflanzen. Das hat nichts mit dem Zeichen zu tun. Es war auch früher schon so, erinnert euch.« »Du willst das Zeichen nicht richtig deuten, und deine Anhänger sind zu dumm dazu.« Kranakahs Vorwürfe machten Granugah wütend. Er grunzte und wiegte seinen Oberkörper hin und her. »Niemand kann das Zeichen deuten, auch du nicht. Allein im Heiligtum werden wir erkennen, was wir tun sollen.« »Ich weiß das auch so. Wir müssen uns um unseren Nachwuchs kümmern. Die Eier verdorren in den Gelegen und fangen an zu stinken. Was hast du getan, dass die Götter uns so strafen?« Granugahs Brut war gesund. Viele Male am Tag kontrollierte er sein Gelege, und bisher hatte er keinen Schaden entdeckt. Trotzdem hatte auch er Angst um seine ungeschlüpften Nachkommen. Voller Sorge sah er sich nach seinen Leuten um. Noch waren die meisten auf seiner Seite, aber er hatte bereits einige an seinen Widersacher verloren. Wenn er nicht zulassen wollte, dass ihm auch die restlichen die Gefolgschaft verweigerten, musste er zum Heiligtum gehen. »Ich werde einen der Fremden entführen«, kündigte er an. »Entweder hilft er uns, oder wir töten ihn.« »Du führst uns ins Verderben, deshalb werde ich nicht mit dir gehen. Aber ich werde bis zu deiner Rückkehr über das Dorf und die Eier wachen.« Granugah wusste genau, was Kranakah dachte. Wenn der Stammesführer nicht zurückkam, fiel dem Herausforderer die Führerschaft ohne Kampf zu. Granugah fürchtete sich vor den verhassten Humanoiden. Sie waren viel mächtiger als die Grosmaahs. Sie besaßen Waffen, die Blitze schleuderten, die viel weiter flogen als jeder Speer. Beinahe bedauerte Granugah seine Worte, aber nun gab es kein Zurück mehr. Wenn er seine Anhänger nicht endgültig verlieren wollte, musste er sie zum Heiligtum führen. Agir-Ibeth sah mich an. »Woher hast du das gewusst?« Ich bemerkte, dass sich alle Köpfe in seine Richtung wandten, weil niemand den Sinn der Frage verstand. Für mich allerdings war sie die Bestätigung meiner Überlegungen. »Lemurische Hinterlassenschaften?«, gab ich anstelle einer Antwort zurück. »Ich wusste es nicht, aber ich konnte es mir ausrechnen. Wo hätten Lemurer, die jederzeit mit einem Angriff der Haluter rechneten, eine wichtige Einrichtung wie die Schaltstation wohl installiert, um sie zudem mit einfachsten Mitteln möglichst effektiv zu tarnen?« »Natürlich nicht auf einem Sauerstoffplaneten, weil die Schwarzen Bestien dort zuerst gesucht hätten«, folgte Li meinen Gedankengängen als Erste. Ich nickte. »Sondern zum Beispiel auf einem Planeten für Wasserstoffatmer. Was also hast du entdeckt?« »Eine große lemurische Station«, antwortete der Hasproner. »Aber leider nicht nur die. Ich messe eine Menge energetischer Streustrahlung funktionstüchtiger Einrichtungen an. Wahrscheinlich lemurische Abwehrforts. Die Signaturen der überschweren Gegenpol-Kanonen sind eindeutig. Sie sind über den gesamten Planeten verteilt.« »Was kannst du uns über die Station sagen?« »Sie liegt auf Höhe des Äquators. Es handelt sich um ein Tarvian-Dreieck wie bei der unterseeischen Anlage auf Theka.« Ich war fasziniert, wie schnell meine Vermutungen sich bestätigten. »Unser Tarvian gleicht dem auf Theka wie ein Ei dem anderen«, fuhr der Hasproner fort. »Es handelt sich um ein gleichschenkliges Dreieck, das sich an den Himmelsrichtungen orientiert. Die zehn Kilometer messende Basis verläuft exakt nordsüdlich, die beiden nordöstlich und südöstlich ausgerichteten Schenkel mit ihren jeweils 7,81 Kilometern laufen in Richtung Osten zusammen.« »Ist das Kharba?« »Schon möglich.« In Wahrheit hätte ich sogar eine Wette darauf abgeschlossen. »Crest-Tharo da Zoltral weiß, was er tut«, warf Altra ein. »Und er ist uns stets um eine Nasenlänge voraus.« Nur um eine Nasenlänge?, spottete mein Extrasinn. Bereits seit deinem Besuch im Epetran-Museum auf der Kristallwelt, wo er den Krish'un in seinen Besitz brachte, hält er dich zum Narren. Wir kommen ihm näher, antwortete ich, obwohl ich mir da gar nicht so sicher war. Noch immer konnte ich nur Spekulationen anstellen, statt mich auf gesicherte Fakten zu stützen. »Da Zoltral?«, fragte der Zaliter Zuunarik. »Wir wissen noch immer nichts über seine wirklichen Pläne.« »Wir wissen, dass seine Familie die Finger in allen möglichen Klongeschäften hat. Ihr glaubt doch nicht, dass sich das auf legale Bereiche beschränkt. Der Mann verdient sein Geld in Dunkelzonen, die wir uns noch gar nicht vorstellen können.« Ich bezweifelte, dass Crest-Tharo da Zoltrals Antrieb finanzieller Natur war. Er hatte andere Ambitionen, nämlich den Aufstieg innerhalb der arkonidischen Hochadelsgesellschaft. Streben nach Macht war bei Männern seines Schlags ungleich gefährlicher als Profitsucht. Nach sämtlichen Informationen, die wir seit unserem Aufbruch von Arkon I gesammelt hatten, befürchtete ich, dass er kurz davor war, sein Ziel zu erreichen. Ein Ziel, das uns nicht gefallen würde, da war ich sicher. Am wenigsten wahrscheinlich Li. Einen Moment lang erwiderte sie meinen nachdenklichen Blick, dann wandte sie sich brüsk ab. Ich war mir nicht sicher, wie sie wirklich damit zurechtkam, dass ihr großes und berühmtes Geschlecht in dunkle Machen schaften verstrickt war. Aber ich glaubte ihr, dass sie ebenso sehr wie ich an der Aufklärung der mysteriösen Vorfälle interessiert war. Trotzdem - etwas fraß sie in sich hinein. Ihr mehrfach ungewöhnliches Verhalten, bei dem sie scheinbar vergessen hatte, wer sie war und was sie tat, beunruhigte mich stärker, als ich mir eingestehen wollte. Im Augenblick benahm sie sich ganz normal, aber ich fürchtete ihren nächsten Anfall. Den letzten von Theka hatte ich noch in wacher Erinnerung. »Jedenfalls hat da Zoltral uns nicht abschütteln können.« Mein Patensohn grinste mich an. »Keine Spur lässt sich so perfekt verschleiern, dass sie einem ehemaligen
8
Imperator entgeht.« »Wir stochern blind in der Gegend herum«, antwortete ich im Gegensatz zu meiner tatsächlichen Meinung, weil ich die Euphorie dämpfen wollte. »Du willst doch nicht leugnen, dass du der Überzeugung bist, Crest-Tharo da Zoltral auf dem Wasserstoffplaneten zu finden?«, hielt Altra Atlan mir entgegen. Ich konnte mir ein anerkennendes Lächeln nicht verkneifen. »Ich bin sicher, dass er dort sein Hauptquartier hat. Das bedeutet aber nicht, dass er selbst sich dort unten aufhält.« Wünschst du, es würde sich anders verhalten?, höhnte mein Extrasinn. Würdest du der Begegnung lieber aus dem Weg gehen, weil du etwas über Li da Zoltral erfahren könntest, was du eigentlich gar nicht wissen willst? Ich ignorierte den Einwand; er fasste nur meine Zweifel in stumme Worte. »Das Ornament lässt keinen anderen Schluss zu«, sagte Cisoph Tonk. »Der Wasserstoffriese ist der Planet, den wir gesucht haben. Aber da Zoltral war schon vor uns dort. Wenn er auf dieser Welt die Steuerzentrale für den Sonnentransmitter gefunden hat, weißt du, was das bedeutet. Da Zoltral wird die Kontrolle über die lemurischen Rechner übernehmen, weil sich nur dann sämtliche Anlagen nutzen lassen.« Natürlich war ich mir darüber im Klaren. Nur zu diesem Zweck hatte er den Krish'un-Umhang von Arkon I stehlen lassen, einem der am besten gesicherten Planeten der Milchstraße. Ohne Krish'un war er machtlos, gen au wie ich. Da wir aber beide im Besitz eines solchen waren, ging ich von einer Patt-Situation aus. »Er wird alles daransetzen, die Kontrolle über die Steuerzentrale zu erlangen«, ließ ich verlauten. »Dazu muss er die Anerkennungsprozedur als Tamrat für die Hochrang-Bevollmächtigung ablegen.« »Hoffentlich nützt dir der Umhang noch etwas. Da Zoltrals Vorsprung ist beträchtlich. Wir können nur schätzen, was er schon alles unter seine Kontrolle gebracht hat. Vielleicht ist bereits die gesamte Anlage in seiner Hand, und du läufst geradewegs in eine Falle.« »Wir sind ja noch nicht mal da«, beruhigte ich die Gemüter. »Genauso wenig wie wir wissen, ob er schon so weit gekommen ist.« »Geh ruhig einmal davon aus.« Ich konnte die Besorgnis in Altra Atlans Worten hören. »Wie gesagt, der Mann weiß, was er macht. Du hast nur eine Chance, auf gleicher Augenhöhe gegen ihn vorzugehen. Du musst dir so schnell wie möglich die Tamrat-Berechtigung holen.« »Und dazu muss ich auf den Planeten hinunter.« »Dann sollten wir einen Plan ausarbeiten, wie wir vorgehen, damit nichts schief geht.« Ich nickte, in Gedanken bereits den festen Boden des Wasserstoffriesen unter meinen Füßen. »Ich habe schon eine Idee, was wir tun.« Dabei kam es auf absolut perfektes Timing an. Zabco Crosta fühlte sich wie lebendig begraben. »Kharba!« Der hochgewachsene, schlanke Arkonide spie das Wort beinahe aus. Er fragte sich, wer auf die Idee gekommen war, ihn auf diesen Wasserstoffplaneten im unzugänglichen Zentrum des Kugelsternhaufens Braangon zu versetzen. Er hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, sondern als Feuerleitoffizier auf der AVUNTA hervorragende Arbeit geleistet. Es war auch keine Strafversetzung, sondern sollte sogar eine Beförderung darstellen, wie man ihm versichert hatte. Aber das half ihm auch nicht weiter. Lieber heute als morgen hätte er diesen unwirtlichen Planeten, ja den gesamten Sternhaufen hinter sich gelassen. Zabco Crosta griff nach einer Tasse und nippte an dem starken terranischen Kaffee, der eine Wohltat für Seele und Gaumen war. Missmutig stellte er die Tasse wieder ab. Vielleicht fehlte ihm das Verständnis für die historische Bedeutung der Anlage, zu deren Sicherung er abkommandiert worden war. Sie war lemurischen Ursprungs, viel mehr war dem Feuerleitoffizier nicht darüber bekannt. Für ihn war sie ein archaisches Relikt, auch wenn Crest-Tharo da Zoltral das anders sah. Irgendein Geheimnis umgab diesen Planeten, aber darin war Crosta nicht eingeweiht. Ihm bedeutete auch die Tatsache nichts, dass er einer von wenigen Auserwählten war, die die Station betreten durften. Anfangs hatte er auf eigene Faust Untersuchungen angestellt, bei denen er auf komplizierte Maschinen gestoßen war. Aber zu den meisten Bereichen war ihm von positronischen Sicherheitssystemen der Zutritt verwehrt worden, und sein ohnehin nur oberflächliches Interesse hatte sich bald ganz gelegt. Seitdem saß er die meiste Zeit des Tages in der Feuerleitstation herum und ging seinem Routinedienst nach. Am frustrierendsten fand Zabco Crosta die Tatsache, dass er im Grunde überflüssig war. Die Abwehrsysteme der Station benötigten niemanden, der sie bediente. Bisher hatte es keinen Angriff gegeben, und er hatte keine Ausnahmesituation miterlebt, nur die Befehlsdateien durchgesehen, auf die ihm ein Zu griff möglich war. Sie machten das Abwehrbollwerk weitgehend autark. Dennoch versah Crostas einen Dienst gewissenhaft. Besonders seit dem gestrigen Angriff eines fremden Raumers auf das einzige Wachschiff, das da Zoltral in diesem Sektor aufgeboten hatte. Anscheinend war der Schwere Kreuzer dabei zerstört worden. Crosta hatte einen Hyperfunkspruch mit der Bitte um Verstärkung abgesetzt. Aber der Rest der Flotte hielt sich in Baylamor auf, so dass auf Grund der hyperphysikalischen Gegebenheiten nicht mit einer raschen Verstärkung zu rechnen war. Mittlerweile zweifelte Crosta sogar daran, dass sie notwendig war. Der unbekannte Angreifer war nämlich wieder verschwunden, ohne weitere Aktionen zu unternehmen. Um sich abzulenken, versetzte der Feuerleitoffizier sich in Trance und absolvierte verschiedene Dagor-Meditationen. Das tat er jeden Tag mehrmals, denn er hatte viel Zeit. Die einzige Abwechslung waren die sporadischen Angriffe der Grosmaahs. Die Wilden, die draußen in der Wasserstoff -Methan-Ammoniak –Atmosphäre lebten, stellten keine wirkliche Gefahr dar, sondern wurden von den Bodentruppen immer wieder zurückgeschlagen. Crosta wünschte sich einen stärkeren Gegner, um der Eintönigkeit zu entkommen. Er hatte eine Nachricht von Crest-Tharo da Zoltral erhalten. Mit dem Auftauchen eines 150 Meter durchmessenden Beiboots eines arko nidischen Schlachtkreuzers der ATLANTIS-Klasse war zu rechnen. Oder mit dem Versuch, sich Kharba
9
mittels eines Stealth-Shifts zu nähern. Er fragte sich, wer so verrückt sein mochte, ausgerechnet einer Wasserstoffwelt einen heimlichen Besuch abzustatten. Es gab lohnendere Ziele in der Galaxis, wahrscheinlich sogar in Braangon. Leider beschränkte sich da Zoltrals Anweisung, wie es seine Art war, auf das Wesentliche. Er teilte seinen Leuten nichts mit, was sie nicht direkt betraf. War der Angreifer von gestern das angekündigte Schiff gewesen? Aber warum hatte es sich dann so schnell wieder zurückgezogen? Crosta fragte sich, ob es noch einmal auftauchen würde, sah aber keinen Sinn darin, das erst mit einem Tag Verzögerung zu tun. Auf jeden Fall war Zabco Crostas Wachsamkeit größer als in den vergangenen Wochen. Vorsichtshalber hatte er sogar Alarmstufe 1 ausgelöst. Zwar hielt er das selbst für übertrieben, da es keinerlei Anzeichen einer Gefahr gab, andererseits wollte er aber auch nichts dem Zufall überlassen. Da Zoltral war ein mächtiger Mann, der Versagen nicht duldete. Crosta erhob sich aus seinem Sessel und führte eine Reihe von Dehnübungen durch. Anschließend' mache ich einen Rundgang, um mir die Beine zu vertreten, dachte er, als plötzlich der Boden unter seinen Füßen zu zittern begann. Gleichzeitig heulten Sirenen auf. Stöße erschütterten die Station. Crosta beobachtete seine Tasse, die vibrierend von einer Konsole rutschte und am Boden zersprang. Die Scherben tanzten vor seinen Füßen. Er warf einen verwirrten Blick auf die Kontrollanzeigen der Instrumente. Bisher war es auf Kharba zu keinen nennenswerten seismischen Aktivitäten gekommen. »Meldung!«, forderte er. Augenblicklich war sämtliche Langeweile von ihm abgefallen. Systematisch las er eine Anzeige nach der anderen ab und kam zu dem Schluss, dass nicht der Planet selbst die Veränderung ausgelöst hatte. »Schwere Beben auf der gesamten Planetenoberfläche«, meldete die emotionslose Stimme des Rechners. »Auslöser sind Strukturaufrisse im Raum-Gefüge.« Also doch! Das konnte nur eines bedeuten. Crosta war wie elektrisiert. Die Worte waren noch nicht verklungen, als der Arkonide die optische Bestätigung erhielt. Von wegen nur ein Beiboot! Kharba wurde von einer kleinen Flotte angegriffen. Crosta zählte sechs Kugelraumschiffe von 600 Metern Durchmesser. Dazu sechs Beiboote der Außenbord-Trägerklasse eines Schlachtkreuzers mit 150 Metern. Und Crest-Tharo da Zoltral hatte vor einem einzigen gewarnt! Anscheinend war es nur die Vorhut gewesen mit dem Ziel, die Lage zu sondieren. Zabco Crosta verwünschte die Tatsache, auf Verstärkung noch unbestimmte Zeit warten zu müssen. »Schutzschirme hochfahren!«, befahl Crosta in dem Wissen, dass seine Worte überflüssig waren, weil die Station die Verteidigungsmaßnahmen schon selbsttätig durchgeführt hatte. Die Kontrollen bestätigten seine Vermutung. Gleichzeitig eröffneten die schweren Waffen der lemurischen Festungen das Feuer und deckten die Angreifer mit massiven Abwehrschlägen ein. Noch immer liefen Wellen der Erschütterung durch die Station. Wer immer die Angreifer waren, sie gingen ein hohes Risiko ein. Ihre Schiffe waren viel zu nah an Kharba in den Normalraum zurückgestürzt, aber Crosta glaubte keine Sekunde an eine fehlerhafte Berechnung der Unbekannten. Sie wussten genau, was sie taten. Das bedeutete, dass sie mit den Verteidi gungsmechanismen der lemurischen Anlage vertraut waren. Oder einer ähnlichen. Jedenfalls hatten sie die einzige Möglichkeit gewählt, nicht schon aus großer Entfernung vernichtet zu werden. »Sirenen in der Feuerleitzentrale abschalten!«, befahl Crosta. »In sonsti gen Bereichen aktiv lassen, bis die Gefahr vorüber. ist!« Mit Vergnügen dachte er daran, dass die Grosmaahs draußen ganz schön durchgeschüttelt werden mussten. Die planetengebundenen Batterien jagten unterdessen eine Salve nach der anderen in den Raum. 3. Der Atem der Dämonen fegte über das Land. Granugah hatte Angst, dass er die Nurgaah-Wälder auffraß. Die dichten grauen Schwaden behinderten die Sicht. Die Grosmaahs konnten nur wenige Meter weit sehen, aber Granugah kannte den Weg auswendig, war ihn schon viele Male gegangen. Seine Leute hatten sich zu beiden Seiten der Hohlgasse verteilt und bewegten sich lautlos voran. Der Wasserstoff war gesättigt von Feuchtigkeit, die sich schwer in die fellartigen Umhänge der Gruppe legte. »Der Atem wird uns verschlingen«, knurrte Tregargh, ein junger Grosmaah, als die Schwaden plötzlich in eine andere Richtung getrieben wurden. »Die Götter sind mit uns«, versuchte Granugah ihn zu beruhigen. »Sie lassen nicht zu, dass die Dämonen uns schaden.« »Aber Kranakah sagt ...« »Kranakah!« Die tiefe, grollende Stimme des Stammesführers klang verächtlich. »Er weiß nichts. Er versteht die Götter nicht, auch wenn er das behauptet.« »Verstehst du sie?« Granugah gab keine Antwort. Er hielt inne, denn vor ihnen war der Weg versperrt. Eine Steinlawine war aus der Höhe herabgestürzt und hatte die Passage verschüttet. Als er sie das letzte Mal genommen hatte, war sie noch benutzbar gewesen. »Der Fluch der Dämonen«, sagte Tregargh. »Die Geister der Steine wollen unser Leben.« »Dann hätten sie den Berg zum Einsturz gebracht, während wir hier entlanggehen. Wir klettern hinüber.« »Vielleicht ist es ja eine Falle der Fremden. Die Legenden sagen, dass nichts fremder sein kann als sie. Sie atmen nicht unsere Luft.« Granugah gab ein abwehrendes Knurren von sich. Der junge Tregargh begleitete die Gruppe zum ersten Mal bei einem Vorstoß. Entweder musste er noch viel lernen, oder er hatte ein feines Gespür für die Mächte des Bösen und ihre Helfer, die verhassten Humanoiden. »Die Fremden entfernen sich nicht so weit vom Heiligtum. Sie kümmern sich erst um uns, wenn wir uns den Mauern nähern. Dann aber setzen sie ihre
10
Blitzschleudern ein.« Schreckliche Waffen, gegen die die Grosmaahs mit ihren Speeren nichts ausrichten konnten. Vielleicht besaßen die Verdammten noch viel schrecklichere, aber davon wollte Granugah gar nichts wissen. Der Stammesführer erinnerte sich an jedes einzelne Mal, an dem er und seine Anhänger die kleinwüchsigen Humanoiden angegriffen hatten. Immer wieder waren die Grosmaahs brutal zurückgeschlagen worden, denn die Fremden bewachten das Heiligtum, als gehörte es ihnen. Aber das tat es nicht. Es war schon immer da gewesen. Seit Anbeginn der Zeit erhoben sich seine stählernen Fassaden, so hoch wie einhundert Grosmaahs übereinander gestapelt. Vor zahlreichen Umläufen waren die Fremden auf diese Welt gekommen und hatten das Heiligtum besetzt. Niemand hatte sie eingeladen, und sie hatten nicht gefragt. Sie hatten die Grosmaahs davongejagt, und die, die nicht freiwillig gegangen waren, hatten sie getötet. Deshalb hasste Granugah sie, so, wie es jeder seiner Leute tat. Viele Grosmaahs hatten seitdem ihr Leben verloren, aber die Überlebenden gaben nicht auf. Sie mussten ihr Heiligtum befreien, denn es erinnerte sie daran, dass sie nicht allein im Universum waren. Sie hatten eine ruhmreiche Vergangenheit hinter sich, auch wenn sie sich nicht mehr genau dar an erinnerten. Irgendwann in ferner Vergangenheit, so besagten die Legenden, waren die Grosmaahs von der Ursprungswelt, der sie entstammten, hierher gekommen. Gestrandet in Raum und Zeit! Der tiefere Sinn dieser Worte; die von Generation zu Generation weitergereicht wurden, war Granugah nicht klar. Aber im Inneren des Heiligtums würde er sie begreifen, das wusste der Anführer der Grosmaahs. »Wir sollten nicht weitergehen«, sagte Tregargh. »Sondern die Dämonen anrufen, damit sie uns gegen die Fremden helfen.« »Die Dämonen helfen den Fremden.« »Vielleicht ändern sie ihre Meinung, wenn wir sie ihnen als Opfer darbringen.« »Erst werden wir einen der Fremden entführen. Er wird uns sagen, was sie auf unserer Welt wollen und warum sie unser Heiligtum stehlen. Danach können wir ihn opfern.« Granugah machte sich an den Aufstieg über die Geröllhalde. Die Kletterei bereitete ihm Schwierigkeiten. Die großen, schwerfälligen Grosmaahs waren für das Leben in der Ebene geschaffen. Unter ihrem Gewicht lösten sich Steine und rutschten den Hang hinunter. Nur unter größten Anstrengungen gelang es den Grosmaahs, die andere Seite zu erreichen. Je weiter sie vorrückten, desto vor sichtiger wurden sie. Granugah war schon ein paar Mal in dieser Gegend gewesen, und mit Hilfe der Götter hatten die Fremden ihn nie entdeckt. »Hier kommen sie manchmal entlang. Wir werden sie überraschen.« Granugah und seine Leute stapften an hoch aufragenden Silikatverwerfungen vorbei und überwanden ein Feld von HaargPflanzen. Bei ihrem Anblick überkam den Anführer ein bohrendes Hungergefühl, aber er ignorierte den Drang, sich zu stärken. Die Grosmaahs stolperten eine weitere Anhöhe hinauf. Granugah registrierte, dass sich Tregargh ständig an seiner Seite aufhielt. Der Junge fürchtete die Dämonen, genau wie der wesentlich ältere Granugah. Endlich erreichten die Grosmaahs die Hügelkuppe. Wie auf ein geheimes Kommando blieben sie stehen. Durch wirbelnde Wolkenbänke fraßen sich Strahlenbündel der Götter, erfassten Nebelschwaden und das Land darunter. Und das Heiligtum. Selbst aus der Entfernung erschien es endlos. Im Tanz der Schwaden wurden immer wieder Ausschnitte der hoch aufragenden Fassade sichtbar, deren oberer Rand nicht zu erkennen war. Die Mauern waren gewaltig. Viele Stunden konnte ein Grosmaah an ihnen entlang laufen. Sie waren von bronzener Farbe und wirkten grob und unbearbeitet. Zahlreiche Vorsprünge, Erhebungen und Kuppeln unterbrachen ihren Verlauf. »Die Götter haben das Große Tarvian gebaut«, sagte Tregargh. »Kein sterbliches Wesen ist dazu fähig.« »Das Heiligtum!«, knurrte Granugah. »Benutze nicht den verdammten Namen der Dämonen, sonst hören sie uns.« Er trieb seine Leute hinter einen Wall, damit sie eine Pause einlegen und wieder zu Kräften kommen konnten. Danach bewegten sie sich in dem natürlichen Sichtschutz weiter, bis sie ein Feld hoch aufragender Felszinnen erreichten, die wirkten, als hätten die Geister der Steine sie aufgestellt. Granugah hatte es vor einer Weile bei einem Angriff auf das Heiligtum entdeckt. »Verteilen!« trieb seine donnernde Stimme die Grosmaahs an. Er selbst kauerte sich hinter einen Felsen und beobachtete, wie seine Leute in Deckung gingen. Nun kam es auf Granugah an. Er kletterte aus seinem Versteck und verbarg sich im Schatten einer der Zinnen, sorgsam darauf bedacht, dass die Fremden im Heiligtum ihn nicht sahen. Er wusste, dass sie künstliche Augen besaßen, mit denen sie die Grosmaahs bereits aus großer Entfernung entdecken konnten. Die Fremden kamen schneller, als Granugah erwartet hatte. Abfällig musterte er die kleinwüchsigen Humanoiden. Selbst in ihrer seltsamen Kleidung flößten sie ihm keine Angst ein. Ohne ihre Waffen, im Kampf Mann gegen Mann, hatten sie keine Chance gegen die Grosmaahs. Er hasste die Fremden, denn sie hatten große Schuld auf sich geladen. Es hieß, dass sie im weit zurückliegenden Dunkel der Vergangenheit den Ahnen der Grosmaahs schreckliche Dinge angetan hatten. Zu zehnt waren sie, gingen in Zweierreihen nebeneinander. Zwar hielten sie keine Waffen in den Händen, aber Granugah wusste, dass sie stets welche bei sich trugen. Es war unmöglich, sie in der kurzen Zeit zu überwältigen, die sie benötigten, um sie hervorzuholen. Die Grosmaahs hatten es versucht und waren dafür bitter bestraft worden. Granugah rief die Götter an, den Grosmaahs beizustehen. Ohne deren Unterstützung konnten er und seine Leute die Fremden nicht besiegen. Trotzdem würde Granugah es versuchen, denn um des Heiligtums willen war das seine Pflicht. Ein scharfer Windstoß fuhr durch die Hohlgasse und trieb die Schwaden vor sich her. Für Augenblicke verlor
11
Granugah die Fremden aus den Augen. Keiner seiner Leute ließ sich sehen, aber er wusste genau, wo sie sich verbargen. Die Fremden änderten die Richtung, bewegten sich jetzt in Richtung des Heiligtums. Granugahs Anspannung wuchs. Dies war der Augenblick, auf den er gewartet hatte. Er stieß einen donnern den Schrei aus und schwenkte seinen Speer. Mit lautstarkem Gebrüll griffen seine Leute an. Aus mehreren Richtungen ergoss sich ein Steinhagel über die Fremden. Granugah hörte die hasserfüllten Schreie seiner Anhänger. Die Fremden hielten inne. Granugah konnte nicht glauben, was er sah. Die Steine verletzten sie nicht. Wie von Geisterhand prallten sie von deren unheimlichen Anzügen ab und fielen zu Boden. Granugah fluchte auf die Dämonen und den unseligen Bund, den sie mit den Winzlingen eingegangen waren. Götter, warum helft ihr uns nicht? Ist es meine Schuld? Habe ich euch erzürnt? Aber sosehr er auch lauschte, die Götter antworteten ihm nicht. Dafür zogen die verhassten Fremden jetzt ihre Waffen und eröffneten das Feuer. Plötzlich waren überall die Lichtblitze, die Granugah so sehr fürchtete. Der Stammesführer sah, wie sich einer der Fremden von der Gruppe absonderte und ein Stück in den Hohlweg eindrang. Eine solche Gelegenheit würde Granugah kein zweites Mal bekommen. Er löste sich aus dem Schatten und lief schwerfällig davon. Der Fremde erblickte ihn und machte sich unverzüglich an die Verfolgung. Hatten die Götter Granugahs Hilferuf erhört? Ein sengender Blitz raste an Granugah vorbei. Voller Schrecken schrie er auf, als er die Hitze spürte. Der Atem der Dämonen wollte ihn verzehren. »Werft doch endlich!«, schrie Granugah seinen Leuten zu. Sie mussten den Fremden außer Gefecht setzen, um ihn gefangen zu nehmen. »Ich treibe ihn euch zu!« Augenblicke später prasselte ein Regen aus Gesteinsbrocken auf den Winzling nieder. Granugah blieb stehen, um seinen Triumph auszukosten. Stattdessen spürte er die Verachtung der Dämonen. Denn wieder richteten die Steine keinen Schaden an. Zauberei! Der Fremde erhob sich in die Luft und schleuderte den Grosmaahs seine Blitze entgegen. Dann flog er davon. »Verschwindet!«, rief Granugah seinen Leuten zu. »Taucht zwischen den Felsen unter!« »Die Götter zürnen!«, schrie der junge Tregargh entsetzt. Seine Stimme drohte sich zu überschlagen, als er zum Himmel deutete. »Sie steigen zu uns herab, um uns zu vernichten!« Sämtliche Blicke folgten seinem ausgestreckten Arm. Blankes Entsetzen bemächtigte sich der Grosmaahs. Eine leuchtende Kugel, einen lang gezogenen, flammenden Schweif hinter sich herziehend, stürzte aus dem Himmel herab. Hoch über den Grosmaahs, die sich duckten und ihre Köpfe einzogen, raste sie dahin. »Ist das einer der Götter?«, fragte Tregargh verzweifelt, während er sein Heil in haltloser Flucht suchte. »Sucht er nach uns?« Granugah gab ihm keine Antwort. Auch ihn trieb die Furcht voran. Ein langer, wütender Schrei drang aus den Nebelschwaden. Ein hungriger Krakk, ganz in der Nähe. Alles hatte sich gegen die Grosmaahs verschworen. Granugah packte seinen Speer fester. »Gute Arbeit, Altra«, lobte ich meinen Patensohn. Der junge Arkonide saß regungslos in seinem Pilotensessel und konzentrierte sich auf seine Aufgabe. Die TOSOMA raste mit Irrsinnswerten dem Wasserstoffriesen entgegen. »Um Haaresbreite«, stöhnte January Khemo-Massai. »Es hätte keine Licht sekunde mehr sein dürfen.« Eine Kurztransition hatte uns so nahe an Kharba herangebracht, wie es eben noch zu vertreten war. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie auf dem Planeten die Verteidigungsmaschinerie anlief. Die Antiortungsfelder halfen uns jetzt nicht mehr, dafür hatten wir alles hochgefahren, was wir aufbieten konnten. Doppelt gestaffelten HÜ-Schirm, Wabenschirm und sogar die Normal- und Prallfelder. »Virtuellbildner aktiv. Ist mit Altras Steuersyntron gekoppelt. Wir fliegen im Verbund«, meldete Uvtash-Mura. Der Swoon und seine Spezialisten produzierten Abbilder der TOSOMA, die unser Gegner für echte Angreifer halten musste. Für einen außen stehenden Beobachter sah es so aus, als befände die TOSOMA sich in einem Pulk von Schwesterschiffen. Aber das war noch nicht alles. Auch die sechs Schlachtschiffe, die uns die shahanoische Tamrätin Cherhay zur Verfügung gestellt hatte, waren bei dem roten Überriesen zu uns gestoßen. Auf einem Schirm der HoloGalerie erkannte ich, wie sie sich vom Verbund absonderten und ausschwärmten. Ihre doppelt gestaffelten Halbraumfelder leuchteten in einem intensiven Rot. »Sprunghafter Energieanstieg an der Planetenoberfläche«, meldete Agir-Ibeth. »Abwehrforts werden aktiv.« »Raumschiffe, die von Kharba auf steigen?«, fragte Khemo-Massai. »Negativ.« Also war das Wachschiff, auf das wir gestoßen waren, tatsächlich die einzige mobile Einheit in diesem System. Wenigstens etwas. So mussten wir die Schlachtkreuzer der Lemurer-Nachkommen nicht ins Feuer schicken. Sie konnten uns decken und Ablenkungsmanöver fliegen. Der Hasproner rief: »Wir sind in der Zielerfassung! « Im nächsten Augenblick wurde die TOSOMA getroffen. Die wabernde Energie fraß sich in den Schirm und verpuffte wirkungslos. Mit einem raschen Blick überzeugte ich mich, dass auch unsere fünf virtuellen Doppelgänger unter Feuer lagen. Die Verteidiger fielen auf den Trick herein, hoffentlich bis ich meine letzte Karte ausspielte. Die äußere Schicht der Atmosphäre kam rasend näher, Kharba sprang uns geradezu entgegen. »Altra, nach eigenem Gutdünken umschalten auf Gravopuls-Projektoreinheiten.« Khemo-Massais Worte machten mir bewusst, wie nahe wir wirklich schon waren. Aber bei dem, was da auf uns zukam, konnte sich die Distanz zu dem Gasriesen unendlich weit gestalten. Die Abwehrforts belegten uns mit Sperrfeuer, aber sie mussten sich auf zwölf Angreifer verzetteln, obwohl es nur sieben gab. Die neolemurischen 600-Meter-Kreuzer stießen abwechselnd in Richtung des Planeten vor, mal mit Impulsgeschützen, mal mit Thermostrahlern feuernd. Sie näherten sich in einer Zangenbewegung, zogen die
12
Aufmerksamkeit auf sich und drehten in Break-Formation wieder ab. Wie wir auf Gravitrafbomben und Paratronwerfer verzichteten, taten sie es mit ihren Gegenpol-Kanonen. Wir hatten nicht vor, den halben Planeten in Schutt und Asche zu legen, und wollten keine Umweltkatastrophen auslösen. Umso virtuoser spielte Cisoph Tonk auf der Klaviatur unserer Sekundärwaffen. Die acht MVH-Geschütze mussten auch ohne Einsatz unserer Primärwaffen dort unten ein ganz schönes Chaos anrichten. Mach dich nicht lächerlich, hielt mir der Extrasinn vor. Das sind Mückenstiche gegen die Technik der Lemurer. Damit knackst du keinen Schutzschirm. Wenn du gewinnen willst, kommst du um die Transformkanonen nicht herum. Ich will keinen Krieg gewinnen, antwortete ich. Ich will nur heil dort unten landen. Seit wann bist du so zartbesaitet, alter Draufgänger? Im Gegensatz zu deinem Barbaren-Freund von Larsaf In hast du doch immer auf die Politik der Stärke gesetzt. Worauf du dich verlassen kannst. Einer der Virtu-Raumer wurde in einen überirdischen Schein getaucht, als er sich unvermittelt im Schnittpunkt von einem halben Dutzend Geschützstellungen befand. »Wir müssen ihn zerstören, sonst werden sie misstrauisch!«, forderte der Swoon. Ich war anderer Meinung. Nur kon ventioneller Beschuss bisher, kein Angriff mit Gegenpol-Kanonen. »Noch nicht«, wehrte ich deshalb ab. »Wir sind noch zu weit entfernt. Uvtash-Mura, lass ihn abdrehen und zurückfallen. Sobald er nicht mehr unter Feuer liegt, aufschließen.« Was bei unserer Geschwindigkeit nicht so einfach werden würde. Altra Atlan lieferte bei alle dem eine fliegerische Meisterleistung ab. Stoisch steuerte er die TOSOMA in Richtung der Atmosphäre, die inzwischen die. Holos ausfüllte. Sein Gesicht kam mir grau vor, er schien um Jahre gealtert. Ich sah den Schweiß auf seiner Stirn, sein Gesicht eine verzerrte Maske hochkonzentrierter Anspannung. Er wurde bis an die Grenzen seines Könnens beansprucht. Ohne die Unterstützung des Logik-Programm-Verbunds wäre er längst zusammengebrochen. »Drei der Tamanien-Raumer ziehen sich zurück«, meldete Agir-Ibeth. »Sie sind kurz davor, geknackt zu werden.« Zwei rasten in den freien Raum hinaus, während der dritte Richtung Sonne trudelte. Ich war sicher, dass seine Begleiter sich um ihn kümmern würden. Wir konnten jedenfalls nichts für ihn tun, jeden Moment konnten wir selbst die Getroffenen sein. »Die Schirme halten nicht ewig!«, rief Cisoph Tonk. In Gedanken winkte ich ab. Die Staffelschirme waren andere Kaliber gewohnt. So konnten uns die Verteidiger nicht beikommen. Wir wichen keinen Meter von unserem Kurs ab. Das wurde uns fast zum Verhängnis. »Empfangsfeld baut sich vor uns auf!«, gellte die Stimme des Hasproners. »Ausweichmanöver! « Der Kommandant reagierte im Bruchteil einer Sekunde. Altra ebenso. Trotz der Absorber spürte ich, wie er die TOSOMA aus der Bahn riss. Die Maschinen jaulten angesichts der rüden Behandlung, aber das interessierte niemanden. Anscheinend waren wir zu nahe gekommen. Empfangsfeld. Das bedeutete Gegenpol-Kanonen. Das Empfangsfeld baute sich unmittelbar im Ziel oder kurz davor auf, vor der Abstrahlung der Sprengkörper. Damit lagen Schussgenauigkeit und Schussgeschwindigkeit weit unter den Möglichkeiten einer Transformkanone, ebenso die eingesetzten Kaliber. Unsere Chance! Während mir noch die Informationen durch den Kopf gingen, blähte sich neben der TOSOMA eine Miniatursonne auf, die unseren Verbund wie Blätter davon wirbelte. Keiner der Schirme meiner kleinen Flotte war beschädigt worden, aber allzu viele dieser direkten Treffer würden sie nicht verkraften. »Verbundflug korrigieren!«, ordnete ich an. Uvtash-Mura hatte den Virtuellbildner unter Kontrolle. »Nichts passiert«, beruhigte er mich, und die taktischen Displays bestätigten seine Worte. Aber die planetaren Anlagen schossen sich jetzt ein, wobei sie ein paar überraschende Finten präsentierten, die nicht auf Maschinenmist gewachsen sein konnten. Irgendwer hockte da unten, der sein Handwerk verstand. Cisoph Tonk zuckte mit den Achseln. »Was soll ich machen, wenn mir die Mittel fehlen, die Batterien auszu schalten?«, fragte er frustriert. »Glaubt ihr vielleicht, die haben da unten keine. brauchbaren Schutzschirme?« »So kommen wir nicht mehr lange durch«, pflichtete der Hasproner ihm bei. »Jetzt greifen sie schon mit Fusionsbomben an. Wir müssen Wirkungstreffer erzielen, sonst ...« Er ließ den Rest des Satzes offen, aber ich wusste auch so, was er meinte. Wir wurden unglaubwürdig, und außerdem schienen die Verteidiger ihr besonderes Augenmerk nun der TOSOMA zu widmen. Hatten sie etwas gemerkt? Wieder schluckten unsere Schutz schirme einen direkten Treffer, Die absorbierten Energiemengen waren beachtlich. »Noch so einen Treffer, und der äußere Paratronschirm verabschiedet sich.« Ich konnte nicht länger warten. »Zwei Virtu-Schiffe, frontaler Angriff! « Der Mikrotechniker vom Planeten Swoofon gab der Syntronik einen kurzen Befehl, der das vorab errechnete Szenario zur Ausführung brachte. In den Holos konnte ich verfolgen, wie sich zwei der Produkte des Virtuellbildners aus dem Verbundflug lösten und mit Maximalgeschwindigkeit in die Atmosphäre Kharbas eintauchten. Mit selbstmörderischem Einsatz stürz.., ten sie sich auf die Abwehrforts. Ich versetzte mich in die Lage des Abwehrchefs. Er konnte sie nicht ignorieren, sondern musste das Feuer auf sie konzentrieren. Genau das geschah eine Sekunde später. »Kein Punktbeschuss mehr auf die TOSOMA«, vernahm ich erleichtert. Während wir eine Galgenfrist bekommen hatten, vergingen die beiden virtuellen Schwesterschiffe der TOSOMA unter dem Bombardement der Gegenpol-Kanonen. In einer gewaltigen Explosion zerstob ein weiteres der virtuellen Schiffe. Die fünf verbliebenen Schlachtkreu zer des Tamaniums Shahan flogen immer wieder gewagte Ablenkungsmanöver, um das Feuer auf sich zu ziehen und der TOSOMA ein wenig Luft zu verschaffen. Der sechste, der schwer getroffen worden war,
13
drehte ab. Aber auch die anderen hatten die Weisung erhalten, sich außer Schussweite zurückzuziehen, sobald sich ein Angriff mit gesundem Menschenverstand nicht mehr vertreten ließ. Wir hatten vereinbart, dass sie kein tödliches Risiko eingehen sollten. Selbst die Kombination aus Halbraumfeld, Normal- und Prallfeldern hielt nicht ewig, wenn man die stationären Geschützbatterien nicht unerbittlich ausradierte. Altra Atlan flog ein waghalsiges Manöver nach dem anderen. Er schlug Haken und fintierte. Dabei verringerten wir den Abstand zu dem Wasserstoffriesen ständig. Unbeweglich kauerte mein Patensohn in seinem Sessel und hatte den Schweren Jagdkreuzer sicher im Griff. Ich versuchte, mehrere Holos gleichzeitig im Auge zu behalten. Auf einem sah ich die näher kommende, brodelnde Atmosphäre des Wasserstoffriesen, auf einem anderen unsere vorgetäuschten Schwesterschiffe. Syntrongesteuert hielten sie noch immer den lockeren Verbundflug bei. »Wenn wir es nicht mit Dummköpfen zu tun haben, und den Eindruck habe ich nicht, müssten sie dort unten langsam misstrauisch werden«, unkte Zuunarik. »Wir sollten ihnen ein paar Trümmer liefern«, sagte Agir-Ibeth, ohne den Blick von seinen Ortungsschirmen zu nehmen. »Die kriegen sie noch früh genug«, ließ sich Cisoph Tonk vernehmen. »Aber erst wenn wir in die äußeren Schichten der Atmosphäre eingetreten sind.« Aus sämtlichen Sekundärgeschützen hagelten Strahlen. Der Polynesier feuerte mit äußerster Konzentration. Im Raum bildete sich eine weitere kleine Sonne. »Nur noch wir und ein Virtu-Raumer!«, rief jemand. Was für die Verteidiger auf der Planetenoberfläche bedeutete, dass sie ihr wütendes Abwehrfeuer auf immer weniger Ziele einengen konnten. »Jetzt nehmen sie unsere Begleiter aufs Korn«, meldete der Hasproner. Nestara Cherhays Kugelraumer. Ohne sie hätte es uns längst erwischt. Mehrere Bodenbatterien hatten sich auf sie eingeschossen. Ringsum detonierten die von den Gegenpol-Kanonen geschickten Bomben. Cisoph Tonk meldete: »Schirme halten noch, aber nicht mehr lange. - Atlan, wir verlieren sie!« Ich hatte die drohende Gefahr ebenfalls erkannt. Anscheinend wollten die Verteidiger die Schlachtkreuzer ausschalten, um sich dann in aller Ruhe unseren kleineren Einheiten widmen zu können. »Sie sollen abdrehen!«, befahl ich. »Wir sind gleich da. Sie können ohnehin nichts mehr für uns tun.« Ich beobachtete, wie sich die Kugelraumer von Shahan Sekunden später zurückzogen, um ihre Wunden zu lecken. Anscheinend hatten sie nur auf den Rückzugsbefehl gewartet. »Eintritt in die Atmosphäre in zehn Sekunden«, meldete Altra Atlan. In Gedanken zählte ich mit. Neun Sekunden. Acht. Sieben. Sechs. Fünf. Unmittelbar vor uns blähte sich das letzte Virtu-Schiff auf und verwandelte sich dann in eine molekulare Gaswolke. Vier. Drei. Zwei. Eins. »Eintritt!« Wir feuerten ein letztes Mal. Im gleichen Augenblick explodierte die TOSOMA. 4. Zabco Crosta hatte das Gefühl, wieder an Bord der AVUNTA zu tun. Endlich fühlte er sich nicht länger nutzlos. Zwar führten die Abwehrforts den Verteidigungskampf gegen die Angreifer selbständig durch, aber die Effizienz war durch seine Unterstützung größer. Er hatte sich nämlich geirrt. Die alten lemurischen Anlagen mochten autark sein, richteten sich jedoch nach ihrer Grundprogrammierung. Sie verfügten über keinerlei Phantasie die Angreifer hingegen sehr wohl. Sie legten einige haarsträubende Kapriolen hin, wie er sie während seiner Dienstzeit noch nicht erlebt hatte. Fantasie konnte man nur mit Fantasie bekämpfen. Hätte Crosta nicht die Koordinierung des Abwehrkampfs übernommen, wäre möglicherweise einer der fremden Raumer durchgedrungen. So jedoch nicht. Der Feuerleitoffizier fand schnell heraus, dass die sechs Schiffe aus dem Shah'taman nur den Vorstoß der Bei boote decken sollten. Zwar stießen sie immer wieder vor, begaben sich aber nie in eine infinite Gefahr. Sobald sie begriffen, dass es ihnen an den Kragen ging, drehten sie ab und zogen sich zurück, um kurz darauf einen neuen Anflug zu riskieren. Reine Ablenkungsmanöver, von denen Crosta sich nicht täuschen ließ. Ganz anders der kleine Verbund, der stoisch auf Kharba zuhielt. Crosta begriff, dass es dessen Kom mandanten gleichgültig war, wenn er ein paar seiner Schiffe verlor. Ihm reichte, eines davon durchzubringen, damit es seine unheilvolle Mission beenden konnte. Allerdings kam Crosta nicht dahinter, wie diese Mission aussehen sollte. Große Zerstörungen konnten die Angreifer nicht anrichten. Darum ging es offenbar auch nicht. Sonst hätten sie schon viel früher das Feuer eröffnet, und zwar mit schweren Waffen. Das taten sie aber nicht. Worum also ging es ihnen stattdessen? Zwei ihrer 150-Meter-Einheiten verglommen, dann die nächste und noch eine. Vor einem solchen Beiboot hatte Crest-Tharo da Zoltral gewarnt. Seine Informationen schienen lückenhaft zu sein, anders konnte Crosta sich die Lage nicht erklären. Wenn da Zoltral . davon erfuhr, wollte Crosta nicht in der Haut von dessen Agenten stecken. Nacheinander wurden zwei weitere Beiboote abgeschossen, ohne dass das den Vormarsch der übrigen gestoppt hätte. Zabco Crosta fütterte den Rechner mit neuen Anweisungen. Er ließ das Feuer auf die noch immer Ablenkun gen fliegenden Schlachtkreuzer konzentrieren. Er war gespannt, ob sich die Taktik des Gegners dadurch än dern würde. Seine Erwartungen wurden enttäuscht. Die großen Kugelraumer drehten ab, aber die 150Meter-Einheiten setzten ihren Weg unbeirrt fort. Sie forderten den Abschuss geradezu heraus. Der Feuerleitoffizier fand keine Erklärung dafür. Wollten sie sterben? Oder hielten sie noch eine Überraschung bereit, mit der er nicht rechnete? Zabco Crosta würde es herausfinden. Nachdem die Schlachtkreuzer abge dreht waren, konzentrierten die Batterien ihr Abwehrfeuer auf die verbliebenen zwei Beiboote. Sekunden später existierte nur noch eines, das andere war vernichtet worden. Was tust du jetzt?, dachte
14
Crosta. Was ist dein Plan? Komm schon, zeig es mir. Das Schiff drang in die Atmosphäre von Kharba ein, dann schlugen die Batterien unerbittlich zu. Kein Schiff aus dem kleinen Verbund existierte mehr. Zabco Crosta begriff nicht, was das zu bedeuten hatte. Hatte er es mit einer Bande von Selbstmördern zu tun? Während er die Trümmerstücke beobachtete, die der Oberfläche von Kharba entgegenrasten und in weitem Umkreis um die Station einschlugen, kam er zu dem Schluss, dass es eine andere Lösung geben musste. Selbst als sich kurz darauf sein Vorgesetzter meldete und ihn belobigte, blieb Crosta misstrauisch. Er konnte sich nicht erklären, warum er mit seinem Erfolg nicht zufrieden war, aber irgendetwas kam ihm an dem Angriff seltsam vor. Er rief sämtliche Aufzeichnungen der Schlacht ab und begann mit einer akribischen Untersuchung. Die riesigen Trümmerstücke rasten dem Wasserstoffplaneten entgegen, glühende und strahlende Fragmente, die Hunderte von Ortungsechos produzierten. In einem davon herrschte rege Betriebsamkeit. »Wir müssen abbremsen!«, forderte Khemo-Massai. »Sonst zerschellen wir auf der Oberfläche.« Ich behielt die Anzeigen im Auge. Mit jeder Sekunde schnellte der Planet näher heran. Die TOSOMA stürzte mit viel zu hohen Werten auf ihn zu. »Noch nicht«, gab ich zurück. »Sonst, merken sie, was gespielt wird.« Wir mussten Kurs und Geschwindigkeit halten, solange es ging. Andernfalls war alles umsonst, was ich eingefädelt hatte. Bisher waren die Verteidiger darauf hereingefallen. Der Syntron hatte die vorgetäuschte Explosion des letzten Virtu-Schiffs so hinbekommen, dass die TOSOMA mit ihren Emissionen davon vollständig überlagert wurde. Wir ließen uns einfach fallen und waren für Beobachter nicht mehr als ein besonders großer Trümmerbro cken, kaschiert durch das simulierte energetische Chaos um uns herum. Ich verließ mich auf Altras Kalt schnäuzigkeit, mit der er uns bis hierher gebracht hatte. »Wie lange willst du noch warten, Atlan?«, fragte Zuunarik. »Bis wir sicher sein können, dass uns ihre Ortung nicht mehr erfassen kann.« »Dir ist doch klar, dass das erst am Planetenboden sein wird? Abzubremsen, wenn wir bereits zerschellen, halte ich für eine schlechte Taktik.« Der Zaliter verstand sich ebenso gut auf Hohn und Spott wie mein Extrasinn. »Besser spät als nie«, erwiderte ich und widmete meine Aufmerksamkeit dem Planeten. »Altra, siehst du den Gebirgszug etwa fünfzig Kilometer westlich?« »Ja, Atlan. Ich weiß, worauf du hinauswillst.« Die Stimme meines Patensohns war gedämpft, er brauchte unbedingt eine Ruhepause. »Gut, aber nur ganz minimale Kurskorrekturen. Keine harten Schlenker. Es muss alles ganz natürlich ausse hen.« Leicht gesagt, das war mir klar. Aber uns kam zugute, dass die Trümmer sich ohnehin in einem weiten Umkreis verteilten. Bei einem Absturz aus dieser Höhe konnten das Tausende von Kilometern in alle Richtungen sein. Damit war unsere Hoffnung, nicht entdeckt zu werden, gar nicht so aussichtslos. Altra tat sein Bestes. Ein abstürzendes Raumschiff von 150 Metern Durchmesser unter diesen Umständen im entscheidenden Moment unter Kontrolle zu bekommen wäre eine Meisterleistung. Schließlich wurde es nicht von Maschinen gelenkt, sondern allein von den entfesselten Kräften der Natur. Immer näher kam die feste Oberfläche des Planeten, aber noch machte _ Altra keine Anstalten, etwas zu unternehmen. In Gedanken pflichtete ich ihm bei. Ein paar Sekunden Aufschub benötigten wir noch, auch wenn das anschwellende Gemurmel in der Zentrale ständig intensiver wurde. Nur die Ruhe, Leute, dachte ich, behielt die Worte aber für mich. Meine Crew musste reden, um ein Ventil zu haben, aber es würde keiner in Panik verfallen. Dafür war jeder Einzelne von ihnen zu routiniert. Unter uns wurde das Gebirgsmassiv größer. »Wir tauchen ein«, kommentierte Agir-Ibeth unnötigerweise. »Noch schlappe fünf Kilometer.« Jetzt zeigte Altra, was in ihm steckte. Von einer Sekunde zur andern fing er den freien Fall der TOSOMA ab. Heulend fuhren die Gravopuls-Projektoren hoch und gaben Gegenschub. Die Bilder in den Holos ruckten und wechselten so rasch, dass mein Verstand sie nicht mehr erfassen konnte. Draußen jagte ein Kaleidoskop aus Felsformationen und freiem Himmel an uns vorbei. Jeden Moment mussten wir aufschlagen. Altra bremste brutal ab, und aus dem Schiffsinnern drang ein tausendfaches, disharmonisches Crescendo. Jetzt bewährte sich die ausgeschäumte Wabenstruktur der Sandwich-Panzerbauweise. Die integrierten Projektoren zur Schwingungs- und Vibrations-Absorption leisteten ganze Arbeit. Die TOSOMA machte einige Bocksprünge, als ihre träge Masse sich gegen die Schubumkehr stemmte. Dann hatte sie sich stabilisiert. Fünfhundert Meter über null kam sie zur Ruhe, bevor Altra sie sicher auf ihrem energetischen Prallfeld landete. »Saubere Landung«, kommentierte der Hasproner. »Ich habe mich meine Existenz schon als kosmischen Staub weiterführen sehen.« »Habt ihr etwas anderes erwartet?«, erklang Khemo-Massais sonore Stimme. »Ich habe selten einen kompetenteren Kosmonauten erlebt.« Altra Atlan da Orbanaschol grinste verlegen in die Runde angesichts so viel Lobes. Ich wollte nicht auch noch in diese Hymne einfallen, sondern ver schaffte mir einen Überblick über den Standort der TOSOMA. Zwischen zwei Bergrücken war sie perfekt versteckt. Man konnte sie nur durch einen Zufall und aus der Luft entdecken. Aber ich glaubte nicht, dass da Zoltrals im Großen Tarvian stationierte Leute weitreichende Patrouillenflüge unternahmen. Zweifellos fehlten ihnen die logistischen Möglichkeiten, um auch nur einen Teil des Riesenplaneten effektiv überwachen zu können. »Knappe fünfzig Kilometer bis zur Steuerstation«, meldete sich Li da Zoltral zu Wort. »Und rings um uns Berge. Keine angenehmen Aussichten, wenn wir die Flugaggregate nicht benutzen.« »Genau das werden
15
wir unterlassen«, erwiderte ich. »Überhaupt verzichten wir so weit wie möglich auf Teile unserer Ausrüstung, um nur ein Minimum an Energie zu emittieren. Was wir nicht brauchen, bleibt abgeschaltet. Ich will da Zoltral nicht vorzeitig warnen.« »Ich habe es befürchtet, das wird eine schöne Kletterei.« Zanargun stöhnte. »Wer sagt denn, dass ausgerechnet du bei dem Kommandotrupp dabei sein wirst? Das ist zunächst mal mein Vorrecht.« Da musste ich dem Chef der Abteilung für Außenoperationen beipflichten. Ich stieß ein gekünsteltes Husten aus, weil ich die bevorstehende Diskussion kommen sah. Wie üblich wollte mich natürlich jeder aus meinem verschworenen Haufen begleiten. Dabei hatte ich meine Wahl bereits getroffen und erstickte die anstehende Diskussion im Keim. »Natürlich wirst du mich begleiten, Zanargun. Zur Sicherheit möchte ich noch zwei weitere Männer aus deiner Abteilung dabeihaben.« Li gab ein enttäuschtes Knurren von sich und warf mir einen vernichtenden Blick zu. Ich blinzelte ihr verschwörerisch zu. »Du bist mit von der Partie, schließlich handelt es sich um deine Familie.« Ein guter Vorwand, fand ich, der keine Proteste der Nichtberücksichtigten hervorrufen konnte. »Außerdem brauche ich einen Wissenschaftler, Phazagrilaath, und ... « »Und einen Hellseher, der euch durch seine besonderen Fähigkeiten jederzeit aus der Bredouille helfen kann«, beendete Ulbagimuun den Satz für mich. Der Kolonial-Arkonide vom Planeten Gorian hatte Recht. Sein Dryhanensinn reichte zwar nicht an Telepathie heran, nicht einmal an die vollwertiger Empathen, dennoch wollte ich auf seine Paragabe bei dem bevorstehen den Einsatz auf keinen Fall verzichten. »Ich finde, das reicht«, warf Khemo-Massai ein. »Mit einer kleinen Gruppe seid ihr beweglicher.« Ganz meine Meinung. Deshalb war die Auswahl meiner Begleiter auch bereits abgeschlossen, selbst auf die Gefahr hin, dass der eine oder andere wieder mürrisch zurückbleiben würde, weil er sich nicht ebenfalls die Füße vertreten durfte, wie mir zuweilen flapsig zugetragen wurde. »Deine 'Befürchtung vor einer anstrengenden Kletterpartie ist übrigens unberechtigt«, wandte ich mich an Li. »Die TOSOMA ist tief zwischen den beiden Bergzügen gelandet. In südlicher Richtung gibt es einen Pass, der wie für uns gemacht ist. Er führt direkt in Richtung des Großen Tarvians.« Trotzdem waren fünfzig Kilometer durch eine für Sauerstoffatmer lebensfeindliche Wasserstoff-Methan-Ammoniak-Atmosphäre kein Pappenstiel. »2,34 Gravos«, sagte Zanargun. »Ohne die Gravoneutralisatoren ist dieser Ausflug nicht zu bewältigen.« »Deshalb werden wir sie auch benutzen. Außerdem den Funk, um in Verbindung zu bleiben, aber die Systeme werden so weit wie möglich heruntergefahren. Richtfunk bis dreißig Meter, mehr sollten wir nicht riskieren.« »Das ist alles? Was ist mit den Gravopaks?« »Wer Angst um seine Füße hat, bleibt an Bord«, entschied ich. »Um es noch einmal zu sagen, außer auf gedrosselten Funk und die Gravoneutralisatoren wird auf sämtliche Technik verzichtet. Keine Schutz schirme keine Überwachungs- und Aufklärungseinrichtungen der Kampfanzüge. Ich will jedes überflüssige Quäntchen emittierter Energie einsparen. Die besonderen Bedingungen auf dieser Welt, die Atmosphäre und die Methan-Stürme helfen uns, aber wir wissen nicht, wie weit. Die Einschränkungen sind nur bei unmittelbarer Lebensgefahr aufgehoben. Sollten wir entdeckt werden, ist der Befehl ebenfalls nichtig. Ab dann gehen wir mit aller Härte vor. Wer darüber hinaus quer schießt, schiebt die TOSOMA per Hand nach Hause. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt.« Ich war mir sicher, dass dem so war, auch wenn natürlich wieder ein paar spöttische Kommentare folgten. Wir legten unsere Kampfanzüge an, kontrollierten unsere Ausrüstung und machten uns auf den Weg. Zanargun und ich übernahmen die Spitze, die beiden Männer seiner Abteilung bildeten den Abschluss. Es handelte sich um zwei langjährig erfahrene Arkoniden, Karusan Gorro und Baro Cenendirk. Gorro hatte unter Yart Fulgens Ägide dem Antiterror-Kommando angehört. Cenendirk war bei der zweiten ComaExpedition zum Pulsar Borgia an Bord der BASIS gewesen und hatte an der Großen Leere an zahlreichen Außenmissionen teilgenommen. Beide waren durchtrainierte Kraftpakete, die sich den Kraftraum mit ihrem Chef zu teilen schienen. Dank der Mikrogravoneutralisatoren, die den Außendruck von 2,34 Gravos auf für uns gewohnte Werte reduzierten, kamen wir zunächst zügig voran. Ohne sie wären die fünfzig Kilometer unüberwindlich gewesen. Lediglich das unwegsame Gelände hielt uns häufig auf, wenn wir Felsformationen übersteigen oder unbezwingbare Geländegegebenheiten umgehen mussten. Die Südpassage, die ich von der TOSOMA aus lokalisiert hatte, war uns dabei zwar eine große Hilfe, aber sie hatte auch ihre Tücken. Zuweilen brach der Korridor vor uns wie aus heiterem Himmel ab, oder wir standen vor einer Felswand und mussten unverrichteter Dinge umkehren und einen anderen Weg suchen. Wir bemühten uns, die ungefähre Richtung beizubehalten. Dennoch legten wir den einen oder anderen zusätzlichen Kilometer zurück. Trotz einer tief hängenden, undurchdringlichen Wolkendecke herrschten gute Sichtverhältnisse. So waren wir vor Überraschungen einigermaßen sicher. Mehrmals spürte ich Lis Blicke auf dem Krish'un ruhen. Ich trug ihn als Umhang über dem Kampfanzug. Sollten wir frühzeitig entdeckt werden, würde er sich hoffentlich als Hilfe erweisen - wobei ich nicht an Crest-Tharo da Zoltral dachte. »Du bezweifelst, dass der Krish'un uns helfen wird«, deutete ich ihren Blick. »Nein, aber ich mache mir Sorgen, weil nur er allein uns helfen kann. Wir sind ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Dieser Gedanke behagt mir nicht besonders.« Ich zuckte mit den Achseln. Mir wäre es ebenfalls lieber gewesen, wenn wir über eine weitere Option verfügt hätten, das Gehirn der Steuerstation von meiner angeblichen Tamrat-Berechtigung zu überzeugen. Aber die gab es nicht. Also konnten wir nur hoffen, dass mein Ausflug nach Imperium-Alpha nicht umsonst gewesen war. »Ich frage mich, ob der Planet bewohnt ist. Bisher haben wir keine Spuren entdeckt, aber das sagt gar
16
nichts«, überlegte Phazagrilaath laut. Er wirkte auf den ersten Blick massiv und gedrungen, dabei war der Ishkhorer 1,79 Meter groß. »Methanatmer«, plapperte er weiter. »Oder Wasserstoffatmer, wie wir heute politisch korrekt sagen. Ich kann sie mir schon vorstellen.«Die Funkübertragung klappte trotz der minimalen Aussteuerung hervorragend. Allerdings gelang die Übertragung nur, solange sich unsere Gruppe nicht trennte. Ich hoffte, dass es nicht dazu kommen würde. Wenn wir die Energieniveaus des Funks höher regel ten, potenzierte sich das Risiko, dass wir angemessen wurden. Zanargun schien die Konzentration in Person zu sein. Nicht eine Sekunde ließ er die Umgebung aus den Augen. Ich ließ mich zu Ulbagimuun zurückfallen, der mit seiner 1,58 Meter großen dürren, ausgezehrten Gestalt, die an die eines asketischen Yogis erinnerte, ständig wie kurz vor dem Hungertod aussah. »Alles in Ordnung?«, wandte ich mich an den Dryhanen. »Ich registriere nichts Ungewöhnliches«, antwortete er mit stoischer Ruhe. »Wenn man davon absieht, dass unser guter Phazagrilaath keineswegs den Mund hält, wenn er mal nicht wie ein Wasserfall redet. Er plappert dann stumm auf sich selbst ein.« »Weil ich der Einzige bin, der meinen Ausführungen in angemessener Weise folgen kann«, antwortete der Ishkhorer. »Ich vergeude meine wertvolle Spucke doch nicht an Ignoranten.« Ich achtete nicht auf die beiden, die sich noch eine Weile aufzogen, sondern konzentrierte mich wie Zanargun auf die Umgebung. Das Gefälle vor uns wurde seichter, und mit einem Blick zurück überzeugte ich mich, dass wir die Ausläufer der Berge erreicht hatten. Bei einem kurzen Blick auf meinen Armbandchronographen stellte ich fest, dass die Stunden nur so verflogen waren. Dennoch fühlte ich mich frisch und ausgeruht. So wie alle Aktivatorträger, gab mein Extrasinn zu bedenken. Wie viele davon hast du denn in deinem Gefolge? Ich schluckte die Spitze und nahm mir vor, in Kürze eine Rast einzulegen. Wir wichen einer Geröllhalde aus und erreichten eine Felskante. Mit einem raschen Blick erkannte ich, dass das Gestein knappe fünf Meter tief abfiel. »Wir springen«, forderte ich meine Begleiter auf und überwand den Höhenunterschied als Erster. Die anderen folgten mir kommentarlos. Nur Phazagrilaath maulte: »Wenn ich mir die Hacken breche, darf mich einer von euch tragen.« »Schreckliche Vorstellung«, antwortete der schmächtige Dryhane. »Geist trägt Körper. Nicht mit mir.« »Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper«, musste der Ishkhorer mal wieder. das letzte Wort behalten. Er deutete nach vorn. »Was ist das denn da für eine Suppe?« Ich hatte es ebenfalls gesehen. Unwillkürlich hielt ich inne. Vor uns begann eine freie Fläche, die sacht abfiel. Ein Stück voraus wallte Nebel. Es war keine träge Nebelbank, sondern unzählige Schwaden, die in ständiger Bewegung waren. Von oben schienen wir auf einen endlosen Ballen rotierender Zuckerwatte zu sehen. Vom Tal her erreichte uns ein schwacher Wind, der die Myriaden schmutziger Fetzen vor sich hertrieb, sich drehte und sie wieder in die andere Richtung jagte. »Schöne Aussichten, aber wir müssen da durch.« Ich streckte eine Hand aus und deutete in die Ferne. Mein fotografisches Gedächtnis ließ keinen Zweifel zu. »Das Große Tarvian liegt genau vor uns. Also, Leute, keine Müdigkeit vortäuschen.« Meine Worte erinnerten mich wieder an die angedachte Rast. Ich beschloss, noch eine weitere Stunde damit zu warten. Zunächst wollte ich mich mit den Verhältnissen innerhalb des Nebels vertraut machen. »Da drin können wir uns leicht verlieren. Zudem stört dieses Zeug möglicherweise unsere Funkfrequenz, zumal bei der schwachen Sendeleistung«, sagte Zanargun. »Bleibt also alle dicht beieinander.« Die Sichtverhältnisse waren so schlecht, wie wir befürchtet hatten. Dennoch verzichteten wir aus gegebenem Anlass auf die Helmscheinwerfer. Mit jeder Minute, die verstrich, wuchs meine Überzeugung, dass wir, von da Zoltral und seinem Anhang abgesehen, allein auf dieser Welt waren. 5. Granugah stolperte an der Spitze seiner Leute vorwärts. Alles war anders gekommen, als er geplant hatte. Nicht nur, dass ihnen der verhasste Fremde entkommen war. Ragganur, einer seiner Anhänger, war bei dem Kampf gegen den Krakk schwer verletzt worden. Zwei Männer transportierten ihn auf einer Trage, die sie in aller Eile gebaut hatten. Zwar hatten sie den Krakk mit Speerwürfen verjagt, aber Granugah wusste, was ihn im Dorf erwartete. Er war mit großen Versprechen aufgebrochen und kehrte mit leeren Händen zurück. Der Atem der Dämonen begleitete die Grosmaahs bei jedem Schritt. Sie konnten eben noch ein paar Meter weit sehen. So schlimm hatte es Granugah seit vielen Monden nicht mehr erlebt. Er fragte sich, ob sie tatsächlich die Götter erzürnt hatten. Es hatte Zeiten gegeben, da war alles leichter gewesen, aber seit einiger Zeit glaubte er, dass sich das Schicksal gegen die Grosmaahs wandte. Was sie auch unternahmen, alles ging schief. Alles hatte sich gegen sie verschworen. Besonders gegen ihn, schließlich war er der Stammesführer, und ein Stammesführer, der keine Erfolge für seinen Stamm errang, blieb nicht lange der. Anführer. Das wusste er aus Erfahrung. Seit er klein war, hatte er eine Menge Anführer erlebt, aber keiner hatte sich so lange gehalten wie Granugah. Mit den Misserfolgen der letzten Zeit aber konnte das bald vorbei sein. Das alles war nicht sehr gut. Niemand konnte erfolgreich sein, wenn sich die Götter gegen ihn wandten. »Der Krakk hat aufgegeben«, sagte Tregargh, der sich an seiner Seite hielt. Granugah lauschte. Seit einer Weile hörte er schon keine Schreie der Bestie mehr, aber das musste nichts bedeuten. »Vorsicht«, mahnte er. »Manchmal schlägt ein Krakk plötzlich und unerwartet zu. Ich habe es selbst schon erlebt.« »Was ist, wenn mehrere kommen?«»Dann sinken unsere Chancen zu überleben. Krakks sind so schlimm wie Dämonen. Du hast gesehen, wie stark ein einzelner ist, mehrere sind die Hölle. Glücklicherweise sind sie
17
Einzelgänger. Sie vertragen sich nicht, sondern töten sich beim Kampf um Beute gegenseitig.« Ragganur, der sich auf der Trage von einer Seite auf die andere warf, stöhnte und lenkte Granugah ab. »Macht schneller, sonst ist es zu spät für Ragganur.« Immer wieder schaute Granugah zum Himmel hoch. Die leuchtende Kugel ging ihm nicht aus dem Sinn, aber sie tauchte nicht wieder auf. Sie hatte so sehr gestrahlt, dass er sie selbst jetzt, da der Himmel sich immer mehr zuzog, noch sehen könnte. Hatte es sich wirklich 'um einen der Götter gehandelt? Aber wozu stieg er dann vom Himmel herab? Die Grosmaahs liefen einen Pfad entlang, der sich nach einer Weile verbreiterte. Granugah kannte ihn. Zu meist hatte man hier weite Sicht, jetzt hatte der Atem der Dämonen das Land unter seine Kontrolle gebracht. »Verteilt euch!«, rief Granugah. »Sichert das Feld. Ein Krakk kann schneller auftauchen, als ihr reagiert. Ge nauso schnell schlägt er seine Beute und ist im selben Moment wieder verschwunden.« Die Hälfte seiner Leute verschwand im Nebel, die anderen blieben bei der Trage zurück. Granugah hielt seinen Speer umklammert. Sein Instinkt drängte ihn, die Geister anzugreifen. Ein Stück voraus wusste er die NurgaahWälder. Sie schienen verschwunden. Zwischen den Nebelschwaden waren nur hin und wieder vereinzelte Baumstämme zu erahnen. Granugah hielt den Standort, damit sich seine Leute orientieren konnten. Hier würden sie sich wieder treffen, wenn die Dämonen ihnen nicht noch mehr zusetzten. Plötzlich vernahm er 'einen spitzen Schrei. Er kam geradewegs aus dem Nichts. »Granugah!« Auf seine Gehörorgane konnte der Stammesführer sich verlassen. Sofort wusste er, aus welcher Richtung der Schrei gekommen war. »Komm mit!«, forderte er Tregargh auf. Die beiden Grosmaahs hielten ihre Speere umklammert, jederzeit bereit, sie auf ein Ziel zu schleudern, und liefen gemeinsam los. Vor ihnen tanzten die Nebelschwaden ihren sinnverwirrenden Tanz. Sie konnten Granugah nicht aufhalten. Ihn leitete sein archaischer Instinkt, der ihn schon häufig aus gefährlichen Situationen gerettet hatte. Er und Tregargh wären fast gegen Lurgatah geprallt. Mehrere Grosmaahs standen beieinander. Lurgatah deutete mit seinem Speer auf den Boden, als der Stammesführer auftauchte. Granugah stieß ein bedrohliches Grollen aus. In der porösen Silikatkruste waren schwache Fußabdrücke zu erkennen, viel kleiner als die von Grosmaahs. Die verhassten Fremden waren in der Nähe. »Schwärmt aus!«, grollte Granugah. »Bringt mir einen, tot oder lebendig! Wenn ihr auf mehrere stoßt, tötet sie alle!« Er selbst beteiligte sich an der Suche, aber sie führte zu keinem Erfolg. Die Spuren der Winzlinge brachen bereits nach einer kurzen Strecke wieder ab, als der Boden härter wurde. Nur die Füße der Grosmaahs hinterließen weiterhin Abdrücke. Granugahs Glaube an die Götter wurde erschüttert. Erneut wandten sie sich gegen ihn, denn wiederum war es Granugah nicht gelungen, einen der Fremden zu fangen. Die Verdammten waren zwischen den Skelettbäumen des Dschanari-Waldes untergetaucht. Noch nie hatten sie sich so weit vom Heiligtum entfernt, aber mit der Unterstützung der Dämonen wuchs auch ihr Mut. Schließlich stellten die Grosmaahs die Suche ein und marschierten weiter in Richtung ihres Dorfs. Ragganur ging es immer schlechter. Granugah beobachtete den Himmel. Allmählich wurde es dunkel, und die Nacht brach an. Er erkannte, dass seine Leute am Ende ihrer Kräfte waren. »Wir legen eine Rast ein und schlafen ein paar Stunden«, entschied er. »Wir halten abwechselnd Wache.« Sein Instinkt sagte ihm, dass sich die verhassten Fremden immer noch in der Nähe aufhielten. Unruhig wogten die Nebelschwaden und zogen die Blicke wie magisch an. Mal sah ich hierhin, dann dorthin. Ständig war unsere Umgebung in Bewegung und narrte meine Sinne. Eine Tatsache, die mir nicht sonderlich behagte. Zu gern hätte ich Infrarotüberwachung oder die Individualorter benutzt, aber das Risiko war zu groß. »Mir gefällt diese Suppe ganz und gar nicht«, bemerkte Phazagrilaath. »Mittlerweile kann man keine drei Meter weit mehr sehen, und ich habe den Eindruck, dass es immer noch schlimmer wird.« »Nicht mal eine Sonne scheint dieser Planet zu besitzen«, stimmte Li wider besseres Wissen zu und schüttelte sich. Obwohl ihr in ihrem Schutzanzug nicht kalt sein konnte, drückte sie sich wie nach Wärme suchend nahe an mich. Dass mir weder der Planet noch die Umgebung gefielen, hatte gravierendere Gründe. Ich war mir der Gefahr bewusst, dass auf Dauer die Aufmerksamkeit schwand, wenn man ständig auf vermeintliche Bewegungen reagierte. Tauchte ein Wesen aus dem Dunst auf, sah man es sowieso erst im letzten Moment. War man zudem noch nachlässig, weil man meinte, es einmal mehr mit tosenden Schwaden zu tun zu haben, konnte es schon zu spät sein. Wir saßen beisammen und stillten unsere Bedürfnisse über die internen Reservoire unserer Anzüge. Zanargun deckte mit Gorro und Cenendirk unsere Flanken. Da sie bereits zahlreiche Planeten unterschiedlichster Beschaffenheit betreten hatten kamen sie mit den widrigen Umständen am besten zurecht. Meine anderen Begleiter hatten da wesentlich größere Probleme. Entweder waren sie an Planeten mit für sie angenehmen Bedingungen gewöhnt oder an das Leben auf Raumschiffen, auf denen ohnehin andere Gesetzmäßigkeiten galten. Manchmal war ein unheimliches Heulen zu hören. Aus welcher Richtung es kam, ließ sich nicht bestimmen, auch nicht, ob es einer Kehle entfuhr oder vom Wind erzeugt wurde. Ich hatte den Eindruck, dass es seinen Herkunftsort wechselte, wie ein Rudel Wölfe, das uns in respektvollem Abstand umkreiste. Die grauen Bodenablagerungen waren auch nicht dazu angetan, die Stimmung zu heben. Ulbagimuun rutschte unruhig hin und her. Sein Kopf war auf die Brust gesunken, so dass sein Gesicht hinter den schulterlangen,
18
schlohweißen Haaren nicht zu sehen war. »Spürst du etwas?«, fragte ich den Dryhanen. Er antwortete nicht, sondern hob langsam den Kopf. Der Ausdruck in seinem ohnehin von Runzeln und Fal ten übersäten Gesicht war erschreckend. Die Lippen seines schmalen Munds wirkten verkniffen und wie zwei blutleere Striche. Er schien meine Frage nicht gehört zu haben, so sehr war er in Konzentration versunken. »Ulbagimuun!« Mit einem Satz war ich auf den Beinen und berührte ihn an der Schulter. »Droht uns eine Gefahr?« Im selben Moment schoss der Dryhane in die Höhe. Seine dürren Arme schlackerten aufgeregt. Nur seine Stimme war von der gleichen sanften, weisen Art wie immer, als er das Wort erhob. »Da ist etwas. Es ist groß und wütend. Es hat Hunger.« Ich zweifelte keine Sekunde, dass seine Worte den Tatsachen entsprachen. Auf den Parasinn des Dryhanen war unbedingter Verlass. Was das hieß, war klar. Nämlich, dass ich mich getäuscht hatte. Wir waren nicht allein. Wie von selbst ging meine Hand zum Kombistrahler, und ebenso rasch zog ich sie zurück. Was auch geschah, Energiewaffen verboten sich von selbst, sonst hätte ich da Zoltral auch gleich anfunken und über unsere bevorstehende Ankunft unterrichten können. »Wir brechen auf«, scheuchte ich die anderen auf die Beine. Mit einem Mal hatte ich ein ungutes Gefühl. Mein in Jahrtausenden erworbener Instinkt 'trog mich selten. Misstrauisch spähte ich in das immer währende Wogen. Plötzlich schrie Zanargun auf. »Atlan, hinter dir!«Ich fuhr herum, aber da waren nur Fels und Gestein. Gestein, das sich unvermittelt in Bewegung setzte! Ein amöbenartiges Wesen schälte sich aus den Verunreinigungsschwaden, wo es so regungslos verharrt hatte, dass es wie gewachsener Fels aussah. Auch jetzt war es noch trist und grau wie der Hintergrund. Sand rieselte von seinem unförmigen Körper. Um sich auf uns zu stürzen, musste es seine beinahe perfekte Mimikry aufgeben. Sein gieriges Grollen, das von einem Sturm stinkenden Atems begleitet wurde, ließ mich aktiv werden. Allein das Maul schien so groß wie ich zu sein. »Keine Strahler!«, schrie ich über das Gebrüll hinweg. »Benutzt die Vibratormesser!« Neben mir peitschte ein oberschenkeldicker Tentakel das Geröll beiseite. Die Steine sirrten in alle Richtungen davon. Karusan Gorro eilte so schnell herbei, dass ich ihn kaum kommen sah. Die Bestie erst recht nicht. Gorro erwischte den Tentakel, der sich eben wieder in die Luft erhob, und schlitzte ihn auf einer Länge von zwei Metern auf. Eine zähe gelbe Masse spritzte heraus, widerlich dampfend, als handele es sich um Säure. Die Riesenamöbe brüllte ihre Wut hinaus und riss ihren Tentakel zurück. Sie begriff sofort, dass sie diesmal keine wehrlosen Opfer erwischt hatte. Aber offensichtlich verlangte es sie viel zu sehr nach Nahrung, um ihre vermeintliche Beute entkommen zu lassen. Wahrscheinlich war sie schon halb verhungert, sonst hätte ihr Überlebensinstinkt sie vorsichtiger sein lassen. Jedenfalls ging sie aufs Ganze. Mit Schwung warf sie sich nach vorn, um mit ihrem fürchterlichen Gebiss gewaltiger Fangzähne nach Gorro zu schnappen. Der Arkonide war jedoch zu flink, ganz im Gegensatz zu der Amöbe, die mir einen eher trägen Eindruck machte. Ihre übliche Beute konnte also auch nicht besonders schnell sein, andernfalls wäre diese Spezies längst ausgestorben. Aber die Bestie war noch am Leben. Ihr Hunger trieb sie voran. Immer mehr Tentakel wurden sichtbar. Sie schnellten in alle Richtungen. Und wir gingen von allen Seiten gegen das Untier vor. Die Enden der Tentakel wurden von den Vibratormessern zerfetzt, ganze Stücke abgeschnitten. Die Amöbe gab nicht auf. Immer wieder setzte sie nach. Sie wechselte jetzt die Taktik. Mit einer Geschwindigkeit, die mich überraschte, wandte sie sich Phazagrilaath zu, wobei sie versuchte, uns andere mit ihren Tentakeln auf Distanz zu halten. Sie schaffte es auch, den Ishkhorer von uns zu trennen. Er wollte seitlich ausweichen, aber das sah die Amöbe voraus. Sie schnitt ihm den Weg ab. Ich stieß einen wüsten Fluch aus, als ich begriff, dass wir nicht mehr rechtzeitig kommen würden, um ihn zu retten. Die Bestie schien sich um ihre verstümmelten Tentakel nicht zu kümmern, also mussten wir den eigentlichen Körper angreifen. Aber es war unmöglich, ihn zu erreichen, ohne dem gewaltigen Maul zu nahe zu kommen. Ich sah nur noch eine Möglichkeit, den Ishkhorer zu retten, auch wenn wir uns dadurch verrieten. Mit einer entschlossenen Bewegung zog ich meinen Kombistrahler, um dem Spuk ein Ende zu bereiten. Ich kam nicht dazu, den Abzug durchzuziehen. Plötzlich hechtete Li an mir vorbei. Sie tauchte zwischen zwei zuckenden Tentakeln hindurch und sprang geradewegs auf die furchteinflößenden Zahnreihen zu. Als sich die Amöbe ihr zuwandte, schlug sie einen Haken. Mit einem Satz, der sie mehrere Meter durch die Luft trug, landete sie auf einem Tentakel, der aufgeregt durch die Luft peitschte. Ich stieß einen stummen Schrei aus, aber Li ließ sich nicht abwerfen. Sie schlitzte den gesamten Fangarm der Amöbe auf und zog sich daran immer weiter in die Höhe. Statt sich gleich auf den Hauptkörper zu konzentrieren, den sie beinahe erreicht hatte, zerschnitt sie noch einige Sekunden kreuz und quer den Fangarm. Dann warf sie sich von der Seite gegen das graue Gewebe des Untiers. Immer wieder stieß sie zu, schnitt gewaltige Stücke aus der Kreatur, die sich, vor Schmerzen halb wahnsinnig, im Blutrausch selbst zu zerreißen schien; weil es ihr nicht gelang, ihre Peinigerin zu erreichen. Schließlich sackte die Amöbe schreiend zusammen und verendete. Li, die eben noch wie eine Verrückte gewütet hatte, sprang lässig von dem Kadaver. Sie lächelte mich kalt an. »Unsere Rast ist beendet«, sagte sie tonlos und setzte sich in Bewegung. »Warte«, hielt ich sie zurück. Etwas an dem Kadaver erregte meine Aufmerksamkeit. Als ich näher trat, bestätigte sich mein Eindruck. Nickend deutete ich auf den Nacken der Amöbe. »Das Wesen ist tot, aber das ist nicht unser alleiniges Verdienst.« Meine Begleiter sahen, was ich meinte. Drei Speere steckten in dem toten Körper. Lange, wuchtige Lanzen. Hart wie Eisenholz, erkannte ich, als ich nach einem griff. »Mir fällt ein Stein vom Herzen«, gab Phazagrilaath grinsend von sich. »Wir sind
19
nicht allein auf diesem öden Planeten. Langweilig wird es uns nicht werden.« »Bestimmt nicht. Ich frage mich nur, ob wir durch Zufall von diesen Speeren verschont geblieben sind.« »Wir könnten eine Weile hier abwarten, ob die Jäger sich zeigen, um uns unsere Beute streitig zu machen. Wenn sie dann immer noch friedlich bleiben, haben wir gute Karten.« »Wir könnten dich auch zurücklassen, damit du das allein herausfindest«, sagte Ulbagimuun mit seiner sanften Stimme. »Wenn wir Crest-Tharo da Zoltrals finstere Pläne durchkreuzt haben, holen wir dich wieder ab.« Li schien der Disput nicht zu inter essieren. Ohne ein Wort zu verlieren, setzte sie sich in Bewegung. Ich gab den restlichen Mitgliedern meines Außenteams einen stummen Wink, ihr zu folgen. 6. Mit jedem Kilometer, den wir hinter uns brachten, nahm die Beklemmung zu. Ein labiler Charakter konnte auf dieser Welt leicht paranoid werden. Ich hatte das Gefühl, belauscht und belauert zu werden. Immer wieder hielten wir inne. Meistens herrschte Totenstille, gelegentlich vernahm ich eigentümliche Geräusche. Bald war ich nicht mehr sicher, ob ich sie mir nicht nur einbildete. Ich verzichtete darauf, meine Begleiter danach zu fragen, weil ich sie nicht noch weiter verunsichern wollte. Die Wogen bildeten Gesichter, einmal Augen, dann wieder eine Mundpartie. Immer waren sie seltsam verschwommen.. Mir war klar, dass sie nicht wirklich existierten, und an Geister glaubte ich erst recht nicht. Aber die Gewissheit, dass fünf Meter vor uns eine ganze Kompanie unheimlicher amöbenhafter Wesen lauern konnte, zerrte an den Nerven. Selbst wenn es nur da Zoltrals Leute waren, in diesen Nebelschwaden konnten sie uns problemlos eine Falle stellen, aus der es kein Entkommen gab. »Irgendwas ist da vorn«, drängte sich Lis Stimme in meine Gedanken. »Ich habe eben eine Bewegung gesehen.«Zanargun schüttelte den Kopf. »Das ist der verdammte Nebel. Er narrt uns alle.« »Das ist mir bewusst, aber ich kann zwischen Realität und Trugbild unterscheiden.« Hastig deutete Li nach vorn. »Dort ist es. Es bewegt sich gleichmäßiger als der Nebel« Auch ich hatte den Eindruck, eine Bewegung gesehen zu haben. Ein durchdringendes Jaulen erklang, lang gezogen und zermürbend. Längst hatte ich mein Vibratormesser wieder in der Hand. Wenn uns jetzt etwas überraschend angriff, hatte ich dadurch Zeit gewonnen, vielleicht so viel, dass es mir das Leben rettete. »Zanargun, halte deinen Strahler bereit«, wies ich den Luccianer an. »Nur du, und benutze ihn erst, wenn du hundertprozentig sicher bist, dass es nicht anders geht.« Diese Sicherheit wollte ich haben. Ich vertraute ihm. Er würde nicht überhastet schießen. Ich hob eine. Hand und bedeutete meinen Leuten anzuhalten. Wir waren nicht allein, das wussten wir seit dem Zwischenfall mit der Amöbe. Sie hatte meine Erwartungshaltung grundlegend geändert. Wahrscheinlich gab es hier noch eine Menge anderer Kreaturen, für die wir nicht mehr als eine kleine Zwischenmahlzeit darstellten. Angestrengt starrte ich an die Stelle, an der ich die Bewegung gesehen zu haben glaubte, dann ging ich vorsichtig in die Richtung weiter. Meine Nackenhaare sträubten sich, ein untrügliches Zeichen. Gefahr im Verzug. Die Außenmikrofone meines Anzugs empfingen ein undefinierbares Gurgeln, wie ich es noch nie zuvor gehört hatte. »Da ist es wieder«, beharrte Li. »Diesmal bin ich völlig sicher.« »Zanargun hat es dir schon einmal gesagt«, antwortete Phazagrilaath. »Du lässt dich von dem Nebel täuschen.« Aber der Ishkhorer klang nicht so, als sei er sich seiner Sache sicher. Meine Begleiter hatten sich ebenfalls wieder in Bewegung gesetzt, damit sie mich nicht aus den Augen verloren. Ein Schatten tauchte neben mir auf. Li! Ohne sich um mich zu kümmern, tänzelte sie an mir vorbei und setzte sich ein Stück ab. Sekunden später konnte ich sie nur mehr erahnen statt erkennen. »Bleib hier«, versuchte ich sie aufzuhalten. »Wir bleiben so dicht zusammen, dass jeder die anderen noch sehen kann. Ich will hier draußen keinen verlieren. Peilsignale kommen nicht in Frage, wenn plötzlich einer verschwunden ist.« Am liebsten hätte ich meine Gruppe mit einem Seil aneinander gebunden. Li dachte nicht daran, auf mich zu hören. Bevor die Schwaden sie vollends verschluckten, lief ich los. Ich wusste, dass die anderen mir folgen würden. »Musst du unbedingt etwas beweisen?«, fauchte ich hinter ihr her. »Komm zurück, Li ...« Sie tauchte in den Nebel ein, und ich ließ den Satz unbeendet. Bange Sekunden vergingen, aber es kam keine Antwort. Ich rief sie erneut, erfolglos. Nach zwei Minuten tauchte sie endlich wieder auf. Mir fiel ein Stein vom Herzen, aber gleichzeitig war ich wütend. »Ich habe es aus der Nähe gesehen«, verteidigte Li ihre Extratour ohne Schuldbewusstsein. »Es war ein Lebewesen, entfernt humanoid, vielleicht auch xenomorph, aber bei den Sichtverhältnissen konnte ich das nicht eindeutig entscheiden.« »Hat es dich bemerkt?« »Ich weiß nicht, vielleicht. Leider ist es mir nicht gelungen, es zu stellen. Dann würdest du mir sicher keine Vorhaltungen machen.« »Was ist mit den Infrarot-Optiken?«, überlegte Baro Cenendirk, der sich jetzt doch sichtlich unbehaglich fühlte. »Bleiben ausgeschaltet. Ich habe keine Lust, mich zu wiederholen. Wir kommen auch ohne sie zurecht. Weiter jetzt!« Verunsichert setzten wir den Weg fort. Genauso intensiv wie unsere Umgebung hielt ich dabei Li im Auge. Deutlich merkte ich ihr die innere Unruhe an. Mir wurde klar, dass ich jederzeit mit einem neuerlichen Alleingang rechnen musste. Oder damit, dass sie wieder die Kontrolle über sich verlor wie bei dem Kampf gegen die Amöbe. Unauffällig musterte ich sie, von Sorge und Zweifeln geplagt. Wenn all das hier hinter uns lag, musste ich mich um die Probleme kümmern, die sie mit sich herumtrug. Ein Geheimnis umgab sie, von dem sie. selbst nichts wusste, da war ich sicher. Und wie es aussah, bewirkte dieses Geheimnis, dass sich ihre Persönlichkeit, zumindest phasenweise, veränderte. Mir war klar, dass ein solcher Prozess einen Punkt erreichen konnte, wo er irreparabel wurde. Es lag an mir,
20
dafür zu sorgen, dass es nicht so weit kam. Die Ödnis, durch die wir uns bewegten, blieb unverändert. Mehr als einmal jagten wir Schemen nach, die vielleicht gar nicht existierten. Zumindest waren sie immer wieder verschwunden, wenn wir sicher waren, einen im Nebel stellen zu können. Ich malte mir aus, dass es aus Sicht der seltsamen Schemen ähnlich sein könnte. Wie wir waren sie Jäger und Gejagte zugleich. Sie bedrohten durch ihre bloße Präsenz und wurden gleichzeitig bedroht. Unsere beiden Gruppen, so unterschiedlich sie auch sein mochten, mussten einem Beobachter austauschbar erscheinen. Eine Erfahrung, die ich im Laufe meines langen Lebens häufig gemacht hatte. Ich schaute immer öfter auf meinen Chronographen, weil ich begann, das Zeitbewusstsein zu verlieren. Plötzlich blieb Li so abrupt stehen, als sei sie gegen ein unsichtbares Hindernis gelaufen. »Dem Ersten, der wagt, mir wieder Halluzinationen zu unterstellen, geht es schlecht. Macht einfach mal eure Augen auf!« Niemand wagte einen Einwand. Angestrengt versuchten wir zu sehen, was Li einmal mehr als Erste entdeckt hatte. Ein heftiger Windstoß trieb die Schwaden auseinander, gerade so lange, dass ich sicher sein konnte, keiner Täuschung zu erliegen. Diesmal sah ich es ebenfalls. Ein schwarzer Schatten kreuzte unseren Weg und war im nächsten Moment wieder verschwunden. Hatte das Wesen uns entdeckt? Ich glaubte nicht. Dann verschluckte der Nebel die Umgebung aufs Neue und mit ihm das Wesen, das ich gesehen hatte. Aber das war unmöglich. Es konnte nicht sein, nicht hier in Omega Centauri. »Hinter uns!«, schrie Karusan Gorro, der fünf Meter zurückgefallen war. Ich fuhr herum und glaubte meinen Augen nicht trauen zu dürfen. Dort ebenfalls. Aber diesmal gab es keinen Zweifel. Keine Amöbe verfolgte uns, keine anderen exotischen Wesen, sondern Vertreter einer Spezies, die mir seit zahlreichen Jahrtausenden bekannt war. Die Gestalten, die den Weg von einer Seite zur anderen passierten, waren eindeutig maahkähnlich. Zwar waren sie nicht ganz so groß, etwas über zwei Meter, aber immerhin. Die Ähnlichkeit war zu gravierend, als dass es sich um einen Zufall handeln konnte. Meine Gedanken überschlugen sich. Als wir mit der TOSOMA in den Kugelsternhaufen eingeflogen waren, hatten wir einen verstümmelten Funkspruch aufgefangen, in dem von Grossarts die Rede war. Diese mutierten MaahkAbkömmlinge hatten einst auf Rhaytr-Ozy, dem ersten Planeten der blauen Riesensonne Hydra oder Tarlora im vormaligen 103. Tamanium, 77.801 Lichtjahre von Sol entfernt, jahrhundertelang versucht, andere Völker zu unterwerfen, um symbiotische Träger für die Häute ihrer toten Artgenossen zu finden. Sie hatten die Condos Vasac unterwandert und waren im Zuge des Kampfs der USO gegen die akonische Geheimorganisation im Jahre 2408 schließlich von Maahks aus Andromeda fast vollständig ausgerottet und aus der Milchstraße vertrieben worden. Handelte es sich bei den Wesen, auf die wir jetzt trafen, vielleicht um Nachkommen dieser Maahk-Mutanten? Oder möglicherweise um ebenjene Maahks, die die Grossarts seinerzeit vertrieben hatten? Es war auch nicht auszuschließen, dass es sie schon zu Zeiten des Methankriegs hierher verschlagen hatte. Aber wie waren sie ausgerechnet nach Omega Centauri gelangt? Vielleicht durch den KhorsalSonnentransmitter? Immerhin war damals ein Teil meiner 9. Flottille zum Temur-Sonnenfünfeck abgestrahlt worden. Denkbar war es, aber was war dann hier mit ihnen geschehen, dass sie in solche Primitivität zurückgefallen waren? Viele Fragen, keine Antworten, und es blieb keine Zeit, länger darüber nachzudenken. Die Maahkähnlichen hatten uns gesehen. Drohend schwenkten sie ihre Speere, die ich sofort wiedererkannte. Sie waren von derselben Art, die ich im Leib der toten Amöbe entdeckt hatte. Zanargun hatte den Strahler erhoben, aber er schoss nicht. Ich deutete in den Nebel. »Dort hinüber!« Als der Wind ihn kurz auseinander gerissen hatte, hatte ich einen dichten Wald gewaltiger, scheinbar bis in unendliche Höhen reichender graubrauner Bäume gesehen. Vielleicht konnten wir uns dort verstecken. »Zu großes Risiko. Was ist, wenn wir uns verlieren?« »Bleibt dicht beisammen. Denkt dran, keine Peilsendung.« Ich lief los, als sich neben mir ein Speer in den Boden bohrte. Wie gigantische knöcherne Finger ragten die Baumriesen himmelwärts. Sie hatten kaum etwas mit irdischen Bäumen gemein. In den mächtigen Stämmen, die an gewachsenen Stein erinnerten und an ihrer Basis Durchmesser von zwanzig und mehr Metern erreichten, ließen sich ganze Wohnkomplexe einrichten. Unübersichtlich wucherten die Luftwurzeln ineinander und bildeten ein Geflecht, in dem wir uns tagelang verstecken konnten, ohne selbst bei besten Sichtbedingungen entdeckt zu werden. Aber wir hatten keine Zeit, uns zu verstecken. Also blieb uns nichts anderes übrig, als zu klettern. »Die Bäume müssen Tausende von Jahren alt sein«, überlegte Phazagrilaath mit wissenschaftlichem Interesse. »Ich wüsste zu gern, wie tief dieses Wurzelgeflecht in den Boden reicht.« Mir bereitete eher Sorgen, dass wir erneut gezwungen waren, vom direkten Weg abzuweichen. »Wenn möglich halten wir uns an der Peripherie des Waldes. Zwischen den Wurzeln haben wir auch einen ausreichenden Sichtschutz.« »Woher mögen diese unheimlichen Geräusche stammen?«, fragte Li. »Sie klingen wie klagende Stimmen.« »Von keinem lebendigen Wesen. Der Wald verursacht sie.« Der Wind hatte nämlich weiter aufgefrischt. Aus der Ebene kommend, erreichte er den Wald und erzeugte das bedrohlich klingende Flüstern, das tief in seinem Innern zu entstehen schien. »Trotzdem bin ich sicher, dass wir beobachtet werden.« »Hast du wieder einen der Maahkähnlichen gesehen?« »Ich muss sie nicht sehen, um zu wissen, dass sie da sind. Die haben mir nicht den Eindruck gemacht, als ob sie sich so schnell von einer. Verfolgung abbringen lassen. Vergesst nicht, dass sie die Gegebenheiten auf ihrer Welt gewohnt sind.« »Wenn ihre Augen an
21
diese Suppe angepasst wären, hätten wir die Burschen längst am Hals«, vermutete der Ishkhorer. Ich stimmte ihm zu, war aber ebenfalls überzeugt, dass wir die Kreaturen nicht abgeschüttelt hatten. Manchmal waren die Wurzeln nicht von den Nebelschwaden zu unterscheiden. Unheimlich wallte es rings um uns, und mehrmals war ich nahe daran, mich auf einen Gegner zu stürzen, den ich erst auf den zweiten Blick als eine natürliche Formation erkannte. Die dichten Schwaden verbargen unsichtbare Gegner, aber bisher zeigten sie sich nicht. Auch wenn sie hier beheimatet waren, hatten sie. mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen wie wir. Ich fragte mich, was sie von uns wollten. Sahen sie wirklich nur eine Beute ins uns wie die Amöbe, oder wurden sie von anderen Beweggründen getrieben? Du solltest nicht vor ihnen weglaufen, sondern versuchen, ihren Antrieb zu ergründen, wies mein Extrasinn mich zurecht. Wir haben keine Zeit, uns um sie zu kümmern. Wir müssen zum Großen Tarvian, und zwar so schnell wie möglich, lehnte ich ab. Du hast doch die gleiche Vermutung wie ich, beharrte der Extrasinn. Diese MaahkNachfahren haben etwas mit dem Tarvian zu tun. Du kannst sie nicht ignorieren. Im Grunde hoffst du, über sie an Informationen zu kommen. Ich konnte ihm nicht widersprechen, mir war dieser Gedanke tatsächlich gekommen. Die Anwesenheit der Maahkähnlichen auf dieser bedeutungsvollen Welt war ein zu großer Zu fall, als dass ich ihn einfach ignorieren 'durfte. Dennoch vergaß ich nicht, wie sehr mir die Zeit im Nacken saß. »Atlan!« Zanarguns Ausruf war eine einzige Warnung. Er deutete zwischen zwei Bäumen hindurch. Sie waren durch dichtes Wurzelgeflecht verbunden. Ich konnte nicht erkennen, welche der Wurzeln zu welchem der Bäume gehörte. Eine huschende Bewegung zerriss die Schwaden, die sich sofort wieder schlossen. Schnell gab ich meinen Begleitern ein Zeichen. Mit einem Satz stand ich auf einer Wurzel, die eine Brücke zwischen den Bäumen bildete, und spähte unter mich. Ich war bereit, mich augenblicklich fallen zu lassen, wenn etwas auf mich zukam. Ohne Schutzschirm hatte mein Kampfanzug den Speeren, die wir gesehen hatten, wenig entgegenzusetzen. Dann half nur noch Reaktionsschnelligkeit. Ich ging in die. Hocke und verfluchte die Sichtverhältnisse. »Elendes Katz-und-Maus-Spiel«, sagte Zanargun, der neben mir auf tauchte. Stumm nickte ich. Peitschend bäumte sich die Wurzel auf, die eben noch starr und unbeweglich gewesen war. Mit einem brutalen Ruck wurde ich von den Füßen gerissen. Etwas hielt mich und zog mich zu sich heran. Unter mir bildete sich eine Mulde. Instinktiv warf ich mich nach hinten und versuchte mich festzuhal ten, aber meine Hände griffen ins Leere. Ich vernahm saugende Geräusche, die eine unangenehme Assoziation in mir wachriefen. Während ich den Rand der Mulde zu erreichen versuchte, warf ich einen hastigen Blick hinunter. Bewegungen waren im Innern der Wurzel zu erkennen. Unzählige sich bewegende Dinger bildeten den Untergrund. Lebewesen? Ich konnte nicht erkennen, um was es sich dabei handelte, wohl aber, dass das Gewimmel sich auf mich konzentrierte. Alarmierte Rufe drangen an meine Ohren, dann sah ich meine Kameraden auftauchen. Die Wandung der Wurzel bewegte sich, als wollte sie sich wieder schließen. Mit einem schmatzenden Geräusch fegte es mich von den Beinen. Über mir waberte der Nebel in einem kleiner werdenden Ausschnitt, in dem die Außenwelt zurückwich. Ich stieß mich ab - und kam nicht los. Deutlich spürte ich Bewegungen in meinem Rücken, die rasch langsamer wurden. Klebrige Fäden fixierten mich zu einem Zweck, den ich nicht näher ergründen wollte. Noch waren meine Arme frei. Ich riss das Vibratormesser aus der Scheide und rammte es in die Wandung der sich schließenden Wurzel. Mit aller Kraft gelang es mir, mich ein Stück in die Höhe zu ziehen, dann tauchten Arme und Hände in meinem Blickfeld auf. »Zieht ihn hoch!«, vernahm ich Lis Stimme. »Bevor das Ding uns alle zu sich runterreißt.« Ein halbes Dutzend Hände packten mich. Ich spürte, wie die klebrigen Dinger. in meinem Rücken darum kämpften, ihre Beute nicht wieder zu verlieren. Für Augenblicke hatte ich den Eindruck, sie zu hören. Myriaden einzelner Gedankenfetzen, die nur in ihrer Gesamtheit einen Sinn ergaben. Fressen! Ich warf mich nach vorn. Es war, als kämpfte ich mich aus zähem Honig frei. Mit einem Ruck gab der Widerstand nach, und ich glitt in die Höhe. Gemeinsam mit Li und Zanargun und seinen beiden Männern sprang ich auf den sicheren Erdboden. »Ruhig bleiben! Keine Freudenfeier jetzt!«, empfing uns Ulbagimuun und zog uns zwischen mehreren Bäumen hindurch. Er deutete zu Boden. »Wofür haltet ihr das?« »Für Fußspuren. Nicht besonders gut zu erkennen, aber sie zeigen deutlich, wohin die maahkähnlichen Wesen sich gewandt haben.« Ich zählte mehrere Dutzend der verräterischen Abdrücke und warf einen beiläufigen Blick hinter mich. »Schwere Brocken. Wir hinterlassen jedenfalls trotz unserer Kampfanzüge nur vereinzelte Spuren.« »Deshalb haben die Maahkähnlichen uns bisher noch nicht aufgespürt.« »Unser Kampflärm muss sie ange lockt haben«, sagte Phazagrilaath. »Ohne den Nebel hätten sie uns entdeckt. Sie sind in diese Richtung ge gangen. Ich glaube, denen geht es wie uns. Sie haben allmählich die Nase voll und brechen die Suche nach uns ab.« Ich musste nicht lange überlegen. »Umso besser für uns, drehen wir den Spieß doch um.« Wir machten uns an die Verfolgung der Unbekannten. 7.
Der Atem der Dämonen blieb hinter den Grosmaahs zurück, als sie ihr Dorf erreichten. Die Götter sorgten
dafür, dass er nicht bis zu den Hütten vordrang. Zumindest in dieser Hinsicht ließen sie Granugahs Volk
22
nicht allein. Im Schutz eines Felsüberhangs standen die etwa fünfzig Hütten, in denen der Stamm lebte. Im Berg gab es zudem eine große Höhle, in die sich die Grosmaahs zurückzogen, wenn die Stürme zu heftig wurden und die Hütten zu zerstören drohten. »Granugah! «, durchbrach ein Schrei die Stille. Zwischen den Felsen kletterte ein Grosmaah hervor, der grüßend seinen Speer schwenkte. »Naagruth!«, erwiderte Granugah den Ruf des Wachpostens. »Hast du geschlafen?« Aus den Hütten tauchten die ersten Grosmaahs auf. Die Rufe hatten sie alarmiert. Es war noch früh am Morgen, und Granugah erkannte, dass die meisten eben erst wach geworden waren. Aufgeregt redeten sie durcheinan der und umringten die Ankömmlinge. »Was ist geschehen?«, hallte es allerorts wider. »Seht doch, Ragganur ist verletzt. Sie müssen in einen Kampf verwickelt worden sein. Die Götter haben ihnen nicht beigestanden.« »Diese Wunden! Es muss ein Krakk gewesen sein.« Granugah ignorierte die Worte. Statt zu antworten, schaute er sich nach Kranakah um. Sein Herausforderer war nirgends zu sehen. Diesen Augenblick hätte Kranakah sich nicht entgehen lassen dürfen. Was führte er im Schilde? »Tragt Ragganur in die Höhle!«, befahl der Stammesführer, wobei er den Grosmaah auf der Trage betrachtete, der wieder das Bewusstsein verloren hatte. In der Menge entdeckte er zwei der Heilfrauen. »Purgah und Faargh, es geht Ragganur schlecht. Kümmert euch um ihn, aber beeilt euch.« Eine der Frauen hastete zu ihrer Hütte zurück, um Kräuter und Heilsalben zu holen, während die andere die Männer begleitete, die Ragganur in den Schutz der sicheren Höhle trugen. Granugah schaute ihnen zweifelnd nach. Er war nicht bereit, es zuzugeben, aber er fürchtete, dass der Transport zu viel für Ragganur gewesen war. »Granugah! «, drang eine aggressive Stimme an sein Gehör. »Endlich bist du zurück. Die Götter sind gnädig mit dir. Aber wie ich sehe, bringst du einmal mehr schlechte Nachrichten. Und einen weiteren Grosmaah, den du ins Schattenreich der Dämonen schickst.« In der Menge bildete sich eine Gasse. Kranakah trat auf Granugah zu. »Du hast versagt, und nun kommst du zurück, um dich im Dorf zu verstecken. Du bist schwach, die Götter wissen das.« »Es war ein Krakk.« »Und Ragganur ist einer deiner Männer. Hattest du uns nicht versprochen, einen der Fremden gefangen zu nehmen?« Zustimmendes Gemurmel, dumpf wie ein heraufziehender Sturm, ging durch die Reihen. Vereinzelt wurden zustimmende Rufe laut. Kranakahs Anhänger formierten sich. Granugah begriff, dass die Geduld des Stammes erschöpft war. Die Grosmaahs wollten endlich einen Erfolg sehen, der sie an die viel gepriesene goldene Zukunft glauben ließ. Dabei war ihnen gleichgültig, ob Granugah oder Kranakah sie dorthin führte. Solange nur ein Wunder eintrat, das sie wieder hoffen lassen konnte. »Ein Gottesurteil!«, rief jemand. »Bevor die Dämonen uns alle richten. « Granugah stieß ein tiefes Grollen aus. Sein gewaltiger Brustkorb hob und senkte sich. »Wenn Kranakah uns anführt ist unser Stamm dem Untergang geweiht«, gab er zurück. »Die Götter werden das verhindern. « Die Grosmaahs zogen sich zurück und bildeten einen weiten Kreis. Erst jetzt bemerkte Granugah den Speer, den Kranakah lässig an seiner Seite trug. »Diesmal werde ich dich töten und unseren Stamm in eine strahlende Zukunft führen.« »Die gibt es nur, wenn es uns gelingt, endlich wieder in unser Heiligtum zu rückzukehren.« Aber Kranakah verstand das nicht. Er war ja auch bei den Vorstößen zum Heiligtum niemals dabei gewesen, sondern hatte immer im Dorf abgewartet, um Granugah dann mit Anschuldigungen und Beleidigungen zu überziehen. »Zu spät«, vernahm der Anführer eine Stimme. Sie gehörte Purgah. «Ragganur ist tot.« Kranakah stieß einen animalischen Schrei aus. Er riss seinen Speer in die Höhe und warf sich auf den Stammesführer. Die Grosmaahs brüllten auf. »Kranakah benutzt seinen Speer!« Entsetzen schwang in der Stimme mit. Die Grosmaahs konnten den Frevel nicht fassen, dass der Herausforderer gegen die traditionellen Regeln ver stieß, die einen waffenlosen Kampf forderten. Granugah wich zur Seite aus. Zum Glück hielt auch er seinen Speer noch in der Hand. Beinahe hätte Kranakah ihn überrascht. Hart prallten die Speere der bei den Rivalen gegeneinander. Leidenschaftlich feuerten die Stammesmitglieder die Kämpfer an, wobei die Sympathien durchaus gleichmäßig verteilt waren. Die Kontrahenten umschlichen einander und belauerten sich aufmerksam. Kranakah stieß grollende Laute aus. Mit seinen beweglichen, knochenlosen Händen führte er seinen Speer vor dem Körper. Granugah wartete ab. Er begriff, dass sein Herausforderer ihn locken und zu einem unvorsichtigen Angriff provozieren wollte. Aber den Gefallen tat der Stammesführer ihm nicht. Er zog sich zurück und lauerte auf den richtigen Moment. Sein Gegner war nicht weniger wachsam. Kranakah hatte sich besser unter Kontrolle als bei ihren vorangegangenen Zweikämpfen. Kranakah stapfte zur Seite und warf sich den Speer von der linken in die rechte Hand. Er stieß zu, ohne den alten Stammesführer zu erreichen, und ließ sich nach links fallen. Sein Gewicht brachte den Boden zum Erbeben. Mit aller Macht riss Kranakah den Speer an sich und stach damit nach Granugahs Beinen. Granugah stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus. Der Speer hatte ihn nur gestreift, aber trotzdem eine blutige Wunde gerissen. Der Stammesführer blieb auf den Beinen. Er stolperte rückwärts und erfasste die Situation als Erster. Beidhändig führte er seinen Speer und rammte Kranakahs Waffe zur Seite. Der Aufprall riss ihm beinahe die Hände ab. Kranakah stieß einen hasserfüllten Schrei aus und kam wieder auf die Beine, während die beiden Speere zersplitterten. Die Bruchstücke wirbelten in alle Richtungen davon. Die Grosmaahs schrien durcheinander, als sich ein langer Span in Kranakahs Oberarm bohrte. Grünliche Blutflüssigkeit drang träge aus der Wunde. Mit einem dumpfen Geräusch schlugen die massigen Körper der Kämpfer gegeneinander. Der Herausforderer brüllte vor Wut und drosch wie von Sinnen auf Granugah ein, der seinerseits versuchte, seine kräftigen Beine um den stämmigen Leib Kranakahs zu legen. Er tastete
23
nach dem Faustkeil, den er hinter einem breiten Gürtel befestigt hatte, erreichte ihn jedoch nicht. Kranakah hatte nämlich den gleichen Gedanken. Einer von ihnen würde schneller sein, aber der Herausforderer ging kein Risiko ein. Im letzten Moment entschied er sich anders und packte Granugahs Arme. »Die Dämonen erwarten dich!«, stieß er keuchend aus. »Ich werde dich zu ihnen schicken.« Jubel brandete unter einigen Zuschauern auf, während andere den Herausforderer beschimpften und sich auf Granugahs Seite schlugen. Es kam zu vereinzelten Rangeleien, aber ein Rest von Logik bewahrte den Stamm davor, aufeinander loszugehen und ein Blutbad anzurichten. »Hört auf!«, rief Granugah, während er gemeinsam mit Kranakah zu Boden ging. Ineinander verkrallt wälzten sich die massigen Gegner durch den feinen Silikatstaub, der sich von ihrer blassgrauen, fast farblosen Haut nicht unterschied. Von den Rändern des Kampffelds erhob sich orkanartiger Jubel. Dann verfielen die Grosmaahs wieder in ihren rhythmischen Singsang. Granugah landete krachend auf dem Rücken, als sein Herausforderer ihn herumwarf. Für Sekunden blieb ihm die Luft weg, als er auf etwas Hartes schlug. Obwohl die kautschukartigen Harze seiner Schuppenhaut den Aufprall dämpften, hatte er das Gefühl, dass sein sprödes Knochengerüst in unzählige Teile zersprang. Mit der Kraft der Verzweiflung bekam er einen Arm frei. Die sechs Finger tasteten durch den Silikatstaub und bekamen einen schlanken Gegenstand zu fassen. Der Stammesführer ächzte auf, als Kranakah ihm mit Wucht ins Gesicht drosch. Instinktiv griff Granugah nach einem armlangen Span neben sich und stieß ihn nach vorn. Röcheln und Gurgeln zeigten ihm, dass er getroffen hatte, dann konnte er wieder atmen. Rücklings rutschte Kranakah von dem Stammesführer weg, mit bei den Händen das abgebrochene Stück des Speers umfassend, das in seiner Brust steckte. Grünes Blut quoll aus seiner Brust und verfärbte die blassgrauen Schuppen. Seine Hände zitterten, sein Körper bäumte sich ruckartig auf. Granugah sah in glasige Augen, nahm wie in Trance wahr, wie Kranakahs kraftlos gewordene Hände von dem Span abrutschten. Ringsum trat Stille ein. Es war vorbei. »Ihr habt mit Waffen gekämpft«, fand Tregargh als Erster die Sprache wieder. »Die Götter werden diesen Frevel nicht dulden. Sie werden uns alle töten.« Granugah erhob sich und schaute auf den reglosen Kranakah hinab. Dann blickte er zum Himmel hoch, wo die Sonne kaum noch zu sehen war. Wandte sie sich von den Grosmaahs ab? Hatte er den Zweikampf nur gewonnen, um sein Volk zu verlieren? »Wir werden die Götter besänftigen«, sagte er. »Wir werden ihnen ein Opfer bringen, das ihrer würdig ist.« »Auf zum Heiligtum!«, rief jemand aus der Menge. »Wir werden es für die Götter befreien.« Als hätten sie nur auf dieses Stichwort gewartet, gerieten die Grosmaahs in überschäumende Hysterie. Sie stampften mit den Füßen auf, bis der ganze Platz erbebte. »Hei-lig-tum! Hei-lig-tum!«, schrien sie in einer nicht enden wollenden Litanei. Granugah erkannte, dass sich auch Kranakahs Anhänger dem Sprechgesang anschlossen. Da sie keinen eigenen Führer mehr hatten, er kannten sie den rechtmäßigen Stammesführer wieder an. »Hei-lig-tum! Hei-lig-tum!« Die Grosmaahs brachten sich selbst zur Raserei. Granugah begriff, dass nichts sie mehr aufhalten konnte. Nun lag es an ihm, sie zu führen und seinen eigenen Traum zu erfüllen. Nämlich das Heiligtum zu befreien. Wenn er sein Volk nicht verlieren wollte, musste er es dorthin führen. »Wir nehmen die Blasphemie der Fremden nicht länger hin.« Bei seinen Worten trat augenblicklich Ruhe ein. »Sie und die Dämonen der Dunkelheit, mit denen sie sich verbündet haben, sind schuld, dass die Götter sich von uns abwenden. Wir aber werden die Götter davon überzeugen, dass wir ihre Kinder sind.« Die Grosmaahs jubelten ihm zu, wie sie es noch nie zuvor getan hatten. Von Zweifeln geplagt, setzte sich Granugah in Bewegung. Er und sein Volk sollten bekommen, was sie wollten. Auch wenn er fürchtete, sie alle damit in den Tod zu führen. Die trostlos aussehenden Hütten waren primitiv und machten keinen besonders vertrauenerweckenden Ein druck. Der Gedanke, dass sie von Lebewesen bewohnt wurden, die Nachfahren einer stolzen Rasse von Raumfahrern waren, erschütterte mich. Die Maahkähnlichen hatten wirklich alles vergessen, was ihre ruhmreiche Vergangenheit ausmachte. Noch etwas war anders bei ihnen. Die Maahks, die ich kannte, waren logische Denker gewesen, kalt in ihrem Gebaren untereinander wie auch Fremden gegenüber. Die Wesen, die wir beobachteten, waren anders. Von ihren logischen Fähigkeiten war nicht viel übrig geblieben. Der Kampf, den wir gesehen hatten, belegte es eindrucksvoll. Sie waren zu Primitiven geworden, von Emotionen geleitetet. »Translatoren sind gleich so weit«, informierte mich Zanargun. Wir hockten zwischen Felsen oberhalb des steinzeitlichen Dorfs und hatten miterlebt, was der heimkehrenden Gruppe widerfahren war, der wir unbemerkt gefolgt waren. Den Wächter, den die Maahkähnlichen aufgestellt hatten, hatten wir kurzerhand umgangen. Er hatte unsere Annäherung nicht bemerkt, wir ihn aber sehr wohl. Er schien seine Aufgabe nicht ernst zu nehmen. Ich hoffte im Interesse dieser Wesen, dass sie nicht wirklich auf ihn angewiesen waren. »Wie ich erwartet habe«, antwortete ich. »Die Sprache des Stammes ist ähnlich primitiv wie seine Lebensumstände.« »Sie brechen auf«, sagte Ulbagimuun. »Dreimal dürft ihr raten, was ihr Ziel ist.« »Verrät dir das dein kluger Parasinn? Dann schätze ich, dass ich den auch habe«, warf Phazagrilaath in seiner höhnischen Art ein. »Wenn du mir schon mit Rätseln kommst, mach es bitte etwas komplizierter.« »Mein gesunder Dryhanenverstand verrät es mir«, konterte der Ishkhorer mit leiser Stimme. Seine tiefroten Augen sahen mich flehend an. »Atlan, warum musstest du ausgerechnet diesen Schwätzer mitnehmen?«
24
Ich winkte ab und gab keine Antwort. Der Translator bestätigte unsere Vermutung. Diese Wesen hatten tat sächlich vor, die stark befestigte Anlage mit Speeren und Steinschleudern anzugreifen. Sie würden geradewegs in ihr Verderben rennen. Die Sprache der Grosmaahs, wie sich die Wesen nannten, basierte auf den Sprachwurzein des Kraahmak, war aber nach der langen Zeit höchstens noch ein sehr weit entfernter Dialekt. »Die Burschen haben keine Chance gegen die hochgerüsteten Arkoniden in der Steuerstation«, murmelte ich gedankenverloren. »Wie ich dich kenne, spielst du mit dem Gedanken, sie aufzuhalten. Dazu haben wir keine Zeit.« Phazagrilaath warf mir einen skeptischen Blick zu. »Wir haben auch gar keine Möglichkeit dazu«, pflichtete ich ihm bei. »Außerdem ist das nicht unsere Aufgabe. Trotzdem sollten wir die Burschen nicht aus den Augen lassen. Etwas Besseres kann uns gar nicht passieren, denn sie führen uns ohne Umwege an unser Ziel.« Es dauerte nicht lange, bis die Grosmaahs aufbrachen. Nur einige Frauen und die Kinder blieben im Dorf zu rück. Wir kletterten aus unserem Versteck und machten uns an die erneute Verfolgung. Insgeheim bewunderte ich den Mut dieser Wesen. Zweifellos waren sie schon häufig mit den Arkoniden aneinander geraten, und ebenso zweifellos hatten sie dabei stets den Kürzeren gezogen. Aber sie gaben nicht auf. Stundenlang verfolgten wir die Maahkähnlichen. Sie bemerkten nicht, dass wir uns in ihrer Nähe aufhielten, zuweilen sogar so dicht, dass unsere Translatoren Gesprächsfetzen auffingen. Aus den Unterhaltungen schlossen wir, warum die Grosmaahs die Arkoniden im Großen Tarvian angreifen wollten. Es stellte eine Art Heiligtum für sie da, und in seiner Besetzung durch die Arkoniden sahen sie einen blasphemischen Akt. Es handelte sich um ein primitives Volk. Im Laufe der Zeit war es mutiert oder degeneriert und zu dem geworden, was es heute war. »Was willst du tun, wenn die Grosmaahs das Große Tarvian tatsächlich angreifen?«, fragte der sanftmütige Ulbagimuun. »Sie sind nicht mehr als Kanonenfutter. Sollen sie untergehen, nur weil sie technisch unterlegen sind? Sie haben das gleiche Recht auf Leben wie du und ich und wie jeder Arkonide in der Schaltstation. Vielleicht sogar mehr, weil sie ihre Heimat verteidigen.« »Und eine hochgezüchtete technische Station, die sie als Heiligtum verehren«, entgegnete ich mit gespieltem Sarkasmus. Ulbagimuun sah mich überrascht an. »Ich glaube nicht, dass du irgendeine Art von Religion gering achtest. Dazu kenne ich dich zu gut. Religion ist etwas Heiliges, auch wenn du ein nüchtern operierender Draufgänger bist, war sie dir stets heilig.« »Ich bin hier, um eine Mission durchzuführen. Ich muss dir nicht sagen, wie viel davon abhängt. Da kann ich nicht auf ein paar Halbwilde Rücksicht nehmen.« Ulbagimuuns Augen leuchteten weise. »Er war schon immer ein harter Brocken, dieser ehemalige Lordadmiral der USO, und ein erfolgreicher obendrein. Aber deine Worte sind nur die harte Schale" um den weichen Kern, das weiß ich. Andernfalls würde ich dich auf der Stelle hier stehen lassen.« Ich beschleunigte meine Schritte. Rein logisch betrachtet durfte ich keine Rücksicht nehmen, sondern musste im Zweifelsfall über Leichen gehen. Das Problem war nur, dass für mich weniger Religion als vielmehr jegliches Leben an sich heilig war. Der Dryhane schloss zu mir auf, und ich gestattete mir ein kurzes Lächeln, was er mit einem wissenden Nicken quittierte. Unablässig hielt ich die Umgebung im Auge, ohne Anzeichen einer Bedrohung auszumachen. Dass sie auf diesem Planeten jedoch zuweilen wie aus dem Nichts auftauchte, hatten wir bereits deutlich genug erfahren. »Es dauert nicht mehr lange, bis wir das Große Tarvian erreichen«, drängte sich Zanarguns Stimme in meine Gedanken. In den Schwaden vor uns ließen sich die zweihundert Meter hohen Mauern allenfalls erahnen, obwohl wir sie fast erreicht hatten. Die bronzefarbene Fassade wirkte zwischen den Verun reinigungen unwirklich. Die winzigen, meist nur für Sekundenbruchteile sichtbaren Ausschnitte schwammen in den unruhigen Bewegungen hin und her. Bei den herrschenden Verhältnissen wunderte ich mich, dass ich sie überhaupt sehen konnte. Dann erkannte ich den Grund. Wie geisterhafte Erscheinungen hatten sich schwach leuchtende Kreise gebil det. Sie wirkten wie milchige Röhren, die aus der Umgebung gestanzt worden waren. »Scheinwerfer!«, sagte ich. Was ich sah, waren die Lichtkegel, die sich zitternd durch die ständig in Bewegung befindlichen Schwaden fraßen. Ich kannte die Leistungsfähigkeit arkonidischer Suchscheinwerfer, die jede Dunkelheit mühelos kilometerweit durchdrangen. Bei dieser unwirklichen Umgebung versagten selbst sie. Aber sie halfen mir, die Entfernung bis zum Großen Tarvian einzuschätzen. Es waren keine zwei Kilometer mehr. Der Hohlweg, durch den wir den Grosmaahs folgten, ließ keinen Spielraum für Überlegungen. »Wir verteilen uns zu beiden Seiten.« Ich deutete zu einer Böschung, wo die Steigung recht gering war. »Zanargun, du kletterst mit deinen Männern dort hinauf. Ulbagimuun, du begleitest sie. Behaltet die Grosmaahs im Auge und folgt ihnen weiterhin. Wenn wir getrennt werden und den Kontakt verlieren, schlagt los.« Gefolgt von Li und Phazagrilaath, huschte ich über den Weg und machte mich auf der gegenüberliegenden Seite an den Aufstieg. Glücklicherweise sahen die Felsformationen von unten schroffer aus, als sie waren. Wir kamen gut voran. Vorsichtig tastete ich mit den Fingerspitzen über den Krish'un. Ich hatte keinen Zweifel. In Kürze würde er sich bewähren müssen. In dem Moment brach die Hölle los. Blitze drangen aus dem Nichts und verwandelten die Nebelschwaden in glühende, rot leuchtende Schimären, die Granugah wie dämonische Augen betrachteten. Entsetzt schrie der Anführer auf. »Die Metallwesen! Verteilt euch! Sucht Deckung!« Die Grosmaahs zerstreuten sich, aber sie waren viel
25
langsamer als die Helfer der Fremden. Eines der unheimlichen metallischen Monster kam direkt auf Granugah zu. Er wusste, dass er es nicht aufhalten konnte. Nicht mit seinem Speer und nicht mit dem Faust keil. Schon gar nicht mit seinen körperlichen Kräften. Hinter ihm schrie einer seiner Männer gequält auf. Ein Aufschrei, der sich tief in Granugahs Seele fraß. Der Stammesführer erstarrte, dann brach der Schrei abrupt ab. Die Augen des Metallwesens glühten höllisch, es schien ihn auszulachen. Granugah bewegte sich zur Seite, so schnell das einem Grosmaah möglich war, und tauchte in den Schwaden unter. Er wusste, dass ihm das nicht lange helfen würde. Die Verdammten konnten bei Nacht sehen, und selbst der dichteste Nebel behinderte ihre Sicht nicht. Der Atem der Dämonen war ihr Verbündeter. Ein Sirren und Summen begleitete die Lichtblitze, die den Grosmaahs entgegengeschleudert wurden. In dem Durcheinander verlor Granugah seine Leute aus den Augen. Er lief in Richtung der Felsen, zwischen die sie sich auf der Suche nach Schutz gewandt haben mussten. Plötzlich entdeckte er ein rot glü hendes Leuchten zwischen den Schwaden. Granugah ging zögernd näher, bis zwei furchteinflößende. Augen daraus wurden. Nur die Augen, mehr nicht. Aber die Augen griffen nicht allein an. Sie befanden sich in einem Kopf, der auf dem Hals eines Körpers sitzen musste, auch wenn Granugah ihn nicht sehen konnte. Der Stammesführer fühlte sich gehetzt, war jedoch zu langsam, um dem Metallwesen entkommen zu können. Er stieß drohende Laute aus, um sich das Monster vom Leib zu halten, dachte daran, seinen Leuten die Flucht zu befehlen. Aber damit war nichts gewonnen, und er bezweifelte, dass sie ihm gehorchen würden. Granugah erkannte, dass er einen Fehler gemacht hatte. Er entfernte sich wieder vom Heiligtum. Er wischte mit der Hand über den Boden und bekam einen Stein zu fassen. Ihn in die Schleuder einlegen, durchspannen und zielen war eins. Der Stein raste den Augen entgegen, dann entstand ein klingendes Geräusch, beinahe melodisch. Er hatte das Metallwesen getroffen, wagte aber nicht nachzusehen, ob er es auch gefällt hatte. Wahrscheinlicher war, dass es den Schlag mühelos weggesteckt hatte. Um ihn herum wehrten sich seine Männer nach Leibeskräften. Bereits nach wenigen Minuten war es kein Angriff mehr, der die Grosmaahs trieb, sondern purer Überlebensinstinkt. Sie hatten erwartet, gegen die Fremden zu kämpfen, und gehofft, dass sie trotz der eigenwilligen Kleidung, die sie stets trugen, verwundbar waren. Aber die Metallwesen drangen weiter vor. Sie trieben die Grosmaahs zurück. Granugah stolperte ziellos umher und fiel beinahe über eine Leiche. Als er sich umschaute, entdeckte er weitere tote Grosmaahs. Sie waren furchtbar entstellt, manche von ihnen erkannte der Stammesführer nicht wieder. Teile ihrer Körper waren verbrannt, sie stanken bestialisch. Er vernahm Schreie, dann die Geräusche von Steinen, die auf Metall schlugen. Einem Teil seiner Leute war es gelungen, sich zwischen die Felsen zurückzuziehen. Sie bombardierten die Metallwesen aus der Höhe mit Felsbrocken. Hinter einer Silikatverwerfung fand Granugah Schutz. Verzweifelt hielt er Ausschau nach den Glühaugen. Folgte das Monster ihm nicht mehr? Einmal in seinem Leben wollte Granugah eins der Metallwesen aus der Nähe sehen. Ihm Auge in Auge gegenüberstehen, um zu erkennen, wer diese Verdammten waren, die sich nicht verletzen oder töten ließen. Auch wenn er dabei selbst den Tod fand. Als einer der Verdammten an ihm vorbeiglitt, wollte Granugah sich erheben, aber er war wie gelähmt. Sie waren zu dritt. Nie zuvor in seinem Leben, nicht im Angesicht des größten und stärksten Krakks, hatte er jemals Angst gehabt. Jetzt umfing sie ihn mit eisigen Fängen, die seine Gedanken einfroren. Stumm und starr betrachtete er die Unheimlichen, und von nahem waren sie noch viel schrecklicher. Eine mächtige Bedrohung ging von dem dunklen Metall aus. Es hatte eine eigene, lautlose Sprache, die von der Macht der Dämonen berichtete. Granugah begriff seine Hilflosigkeit. Nicht nur er war verloren, sondern sein ganzer Stamm, wenn ihm die Götter nicht zu Hilfe kamen. Er hatte einen erschütternden Gedanken. Vielleicht wäre Kranakah doch der bessere Anführer gewesen. Mit donnerndem Krachen fuhren die Metallwesen zwischen die Felsen. Nicht mal das Gestein leistete ihnen Widerstand. Schreie von Grosmaahs erreichten Granugah. Schreie der Angst und der Verzweiflung. Und solche des Schmerzes. Sie waren es, die immer wieder am schnellsten erstarben. Dann war wieder einer seiner Leute gestorben, dachte Granugah verzweifelt. Noch waren die meisten am Leben. Noch konnte er sie retten. Der Stammesführer sprang aus seinem Versteck. Ihm blieb keine andere Wahl. »Grosmaahs!«, schrie er, ohne sich um die metallischen Ungeheuer zu kümmern, die überall waren. »Die großen Mächte sind gegen uns. Kämpft nicht weiter, sondern zieht euch zurück! Flieht! Flieht zurück zum Dorf, und rettet eure Frauen und Kinder!« Granugah sah zwei Dinge gleichzeitig. Eines der Metallwesen hatte ihn entdeckt und steuerte direkt auf ihn zu. Viel mehr aber erschütterte ihn, dass seine Grosmaahs aus ihren Verstecken kletterten. Jedoch nicht, um zu fliehen. Todesmutig warfen sie sich den Ungeheuern entgegen, um zu ihrem Anführer vorzudringen. Die Welt brach für Granugah zusammen. So sah also das Ende der Grosmaahs aus. 8. Arkonidische Kampfroboter! Kein lebendes Wesen, dessen Bewaffnung nur aus vorsintflutlichen Werkzeugen bestand, hatte gegen diese Hightech-Maschinen eine Chance. Diese Narren rennen sehenden Auges in ihren Untergang. Ich konnte meinem Extrasinn nicht widersprechen. Obwohl die Grosmaahs erkennen mussten, dass sie gegen die Roboter hoffnungslos unterlegen waren, zogen sie sich nicht zurück. Immerhin versteckten sie sich zwischen den Felsen, was ihre Lebenserwartung aber höchstens um einige Minuten verlängerte. Erschüttert erkannte ich, dass die Roboter nicht darauf programmiert waren, Gefangene zu machen. Sie wollten die Grosmaahs
26
auch nicht vertreiben, sondern töten. Plötzlich war mir die Gefahr einer Entdeckung egal. Ich konnte nicht zulassen, dass Maschinen lebende, intelligente Wesen abschlachteten. Selbst wenn es sich nur um degenerierte Methans handelte. Ich fuhr die Leistung meines Minikorns auf Normalwerte hoch. »Feuer frei auf die Kampfroboter!« Nun war egal, ob unser Funkverkehr angepeilt wurde. Ich versuchte zu erkennen, was sich auf der anderen Seite des Hohlwegs abspielte, aber der Nebel verhinderte jede Sicht. Ein gleißend heller Strahl fraß sich in die Felsen und verdampfte das Gestein. »Schutzschirme hochfahren! Volle Einsatzbereitschaft der Kampfanzüge!«, befahl ich, froh, endlich wieder auf die gesamte Hightech unserer Anzüge zurückgreifen zu können. »Zanargun, geht vor, wie du es für richtig hältst.« Li da Zoltral hatte ihren Kombistrahler gezogen und jagte an mir vorbei. Ich aktivierte mein Gravopak und folgte ihr, weil auch ich mir aus der Höhe keinen Überblick verschaffen konnte. Am Fuß der Felsen brodelten die Dämpfe besonders stark. Wenn man Pech hatte, stolperte man über einen Gegner, dann war es zu spät. Zum Glück machten die technischen Möglichkeiten unserer Kampfanzüge diesen Nachteil den künstlichen Optiken der Roboter gegenüber jetzt wieder wett. Endlich fühlte ich mich nicht länger blind. Auf dem Display meiner Helminnenseite erschienen die Kampfroboter als besonders hervorgehobene Piktogramme mit Entfernungsanzeigen. Ohne zu überlegen, wandte ich mich dem mir nächsten zu und nahm ihn unter Feuer. In dem Durcheinander konnte ich keinen meiner Freunde sehen, aber die ID-Orter zeigten mir, wo sie waren. Ich hörte panische Schreie der Grosmaahs und erkannte Todesangst. Manche von ihnen irrten ziellos umher und waren nicht mehr als Zielscheiben für die Roboter. »Die Grosmaahs werden uns ebenfalls für Feinde halten. Wenn es sein muss, betäubt sie«, gab ich über Funk durch. Dann musste ich mich einer der Ma schinen erwehren. Sie tauchte wie aus dem Nichts auf. Ich schätzte die metallisch schimmernde Gestalt auf zweieinhalb Meter Größe. Ihr tonnenförmiger Oberkörper war mittels Horizontal- und Vertikalgelenken mit den Beinen verbunden. Den ovalen Kopf umgab ein Sensorband für 360-GradRundum-Erfassung, durch das hektisch ein roter Aktivscanner lief. Die beiden Handlungsarme endeten in verschiedenen Waffen, aus dem Brustkorb ragte ein leistungsfähiger Desintegrator. Ich schoss und brachte mich gleichzeitig seitlich in Sicherheit. Jedenfalls dachte ich das. Aber plötzlich war der Roboter neben mir. Bedrohlich schimmerte es in der Abstrahlmündung des Desintegrators. Ich raste in die Höhe, als die Maschine feuerte, und schlug einen Haken. Sie ließ sich nicht abschütteln. Ich tauchte zwischen den Felsen unter und änderte die Richtung. Gedanken lesen konnte der Roboter nicht, und besonders vorsichtig war er hoffentlich auch nicht. Irrte ich mich, dann vielleicht zum letzten Mal. Ich behielt das Gestein im Auge und rechnete mir aus, wo er im nächsten Moment auftauchen musste. Als ich eine huschende Bewegung ausmachte, stieg ich steil in die Höhe. Dann war er unter mir. Bevor er seinen Kurs korrigieren konnte, feuerte ich schon wieder. Der Strahl erfasste den Kampfroboter und ließ ihn in einer ohrenbetäubenden Explosion vergehen. Spätestens jetzt wussten da Zoltrals Anhänger, dass sie einen neuen Gegner hatten. Keine Sekunde zweifelte ich daran, dass die neue Lage den Arkoniden in der Festung zeitverlustfrei übermittelt wurde. Mit einem raschen Rundblick wurde mir klar, dass ich mir keine Strategie zurechtlegen konnte, weil jeder Windstoß neue Voraussetzungen schuf. Ich musste mich auf mein Glück verlassen und darauf, schneller zu sein als die Kampfroboter. Die irrsinnige Vorstellung entrang mir ein humorloses Lachen, Während ich kopfüber in den Nebel eintauchte und wie ein Stein in die Tiefe fiel. Unter mir erklangen die Schreie mehrerer Grosmaahs. Dann sah ich sie. Sie waren in den Nahkampf mit zwei Robotern verwickelt. Nahkampf!, höhnte mein Logiksektor. So kann man dieses Gemetzel wohl kaum nennen. Wie Recht er mal wieder hatte. Zu ungleich waren die Voraussetzungen, als dass die Grosmaahs eine Chance gehabt hätten, den Kampf zu überleben. Ohne nachzudenken, raste ich dem Boden entgegen, Dauerfeuer gebend. Eine der Maschinen erstarrte unter dem direkten Treffer zur Bewegungslosigkeit, ehe sie reagieren konnte, und ich nahm die andere ins Visier. Sie feuerte gleichzeitig, nicht auf den Grosmaah, sondern auf mich, der ich von ihrer Syntronik als der un gleich gefährlichere Gegner eingestuft wurde. Aber in Gedankenschnelle wechselte ich die Position, um ihr keinen Angriffspunkt zu bieten. Trotzdem schlug der Treffer knisternd in meinen Schirm, der sich grellrot verfärbte. Ich hielt den Abzug durchgezogen und ließ ihn erst wieder los, als der Kampfroboter mit Donnergetöse in Millionen Stücke gerissen wurde. Die Grosmaahs waren klug genug, in dem Durcheinander schnell das Weite zu suchen. Ringsum wurde gekämpft. Ich suchte nach Li, entdeckte sie aber nicht. Dafür tauchte unter mir ein weiterer Grosmaah auf, aber er hatte keine Augen für mich. Die deckenähnlichen Umhänge, in die er sich gewickelt hatte, standen in Flammen. Verzweifelt versuchte er sich die Fetzen vom Körper zu reißen. Ich wollte landen, um ihm zu helfen, aber da tauchten zwei weitere Kampfmaschinen aus den Nebelschlieren auf. Sie rasten mit Kollisionskurs auf mich zu. Ich hatte den Eindruck, dass die Sichtverhältnisse mit jeder Minute schlimmer wurden. Ich riss den Thermostrahler in die Höhe und gab eine kurze Schussfolge ab. Beim ersten Strukturriss erhöhte ich die Salvenfrequenz, durchdrang den Schutzschirm einer der beiden Maschinen und riss ihr den Waffenarm ab. Dann verlor ich sie und die andere in den Schwaden aus den Augen. Mir war klar, dass beide noch da waren. Solange sie handlungsfähig blieben, würden sie den Angriff nicht abbrechen. Das Gravopak trug mich höher, und Li geriet in mein Blickfeld. Sie feuerte aus zwei Waffen gleichzeitig und stieß einen animalischen Schrei aus, der mir das Blut stocken ließ. Sie zu rufen erschien mir sinnlos. Die kleinste Ablen
27
kung konnte tödlich für sie enden. Für mich allerdings auch. Ein sengender Strahl fraß sich in meinen Schutzschirm, der die Energie absorbierte, bevor sie zu mir durch schlug. Schon wieder die beiden Kampfmaschinen! Für eine Sekunde stand mein Schutzschirm-Aggregat kurz vor dem Zusammenbruch. Ich verließ mich auf meinen Instinkt und ignorierte die Display-Anzeigen, machte einen Satz nach vorn, jagte mit Höchstgeschwindigkeit dahin und ließ mich urplötzlich abfallen. Wo ich gerade noch gewesen war, verwandelten sich die Gase des Planeten in kochendes Plasma. Trotz des Schutzanzugs bildete ich mir ein, meine. angesengten Nackenhaare zu spüren. Mit einer Rolle rückwärts verbesserte ich meine Lage. Der Kampfroboter, der sich auf mich eingeschossen hatte, feuerte noch immer und bot mir ein hervorragendes Ziel. Ich zog den Auslöser meines Strahlers durch. Der Strahl bohrte sich in die Brust des Roboters. Wie in Zeitlupe begann er zu trudeln, drehte sich um sich selbst und segelte langsam auf mich zu. Das Leuchten in seinem Sensorband erstarb, aber zur Sicherheit verabreichte ich ihm einen Fangschuss, der ihn endgültig zerstörte. Das kostete mich wertvolle Zeit, in der sich der andere Roboter mir zugewandt hatte. Seines Waffenarms be raubt, ließ er den aus seiner Brust ragenden Desintegrator sprechen. Keine Zeit für ein Duell. Ich befand mich in einer ungünstigen Position. Er trieb mich vor sich her. Ich gab einen Schuss ab, ohne zu treffen, und flog dem Planetenboden entgegen. Unten erkannte ich heftiges Geschützfeuer und versuchte es im Zick zackkurs zu umfliegen. Mein Verfolger blieb hartnäckig an mir dran. Zweimal verfingen sich Treffer in meinem Schutzschirm, dann war ich wieder in dem Hohlweg. Drei verkohlte Leichen bewiesen mir, dass die Kampfmaschinen ganze Arbeit leisteten. Die Grosmaahs taten mir Leid, gleichzeitig wuchs mein Zorn auf die seelenlosen Maschinen und diejenigen, die sie ins Feld schickten. Mein Verfolger war jetzt im Vorteil, weil er diesmal von oben kam. Ich suchte nach einer Ausweichmöglich keit, fand aber keine, weil die Felsformationen zu beiden Seiten mich einkeilten. Ich hatte mich selbst in eine Sackgasse manövriert. Mir blieb nichts anderes übrig, als zu landen. Ich fand Deckung unter einem schmalen Überhang. Ich drückte mich mit dem Rücken an die Wand und spähte unter der Kante hindurch. Aus einer anderen Richtung konnte die Maschine nicht kommen. Über mir löste sich Gestein. Ich sprang zur Seite, um nicht getroffen zu werden. Noch immer war die Maschine nicht zu sehen, aber die Anzeigen ver rieten mir, dass sie draußen lauerte. Plötzlich geriet der Hang ins Rutschen. Ich begriff. Der Roboter bestrich das poröse Gestein mit dem Des integrator, um mich ins Freie zu treiben, und sein Plan ging auf. Mir blieb keine andere Wahl, ich musste nach vorn ausweichen, wollte ich nicht verschüttet werden. Bevor ich reagieren konnte, nahmen Li und Phazagrilaath, die unvermittelt aus den Nebelschwaden auftauchten, den Roboter von zwei Seiten unter Feuer. Eine grelle Stichflamme drang aus seiner Brust, dann explodierte er. Der Druck warf mich gegen die Wand und trieb meine beiden Kameraden durch die Luft. »Weg hier!«, schrie Li. Sie riss den Ishkhorer mit sich. »Die Detonation hat einen Gesteinsrutsch ausgelöst!« Ich warf mich nach vorn und kroch aus dem direkten Gefahrenbereich. Dann war ich wieder in der Luft. Unter uns ging ein Steinhagel nieder, dem wir gerade noch entkamen. Entsetzte Grosmaah-Schreie machten mir klar, dass nicht alle so viel Glück hatten. Phazagrilaath deutete nach unten. »Die Grosmaahs! Sie ziehen sich nicht zurück. Seht euch das an, sie stoßen weiter in Richtung Steuerstation vor.« Von sehen konnte nun wirklich keine Rede sein, trotzdem täuschte sich der Ishkhorer nicht. Den Maahkähnlichen war nicht daran gelegen, sich in Sicherheit zu bringen, obwohl Granugah, den wir mittels des Translators als ihren Anführer ausgemacht hatte, ihnen das lautstark befohlen hatte. Dank unserer Unterstützung mach. ten sie dabei sogar wieder etwas Boden gut. Aber mir entging auch nicht, dass sie schwere Verluste hatten. Wohin ich sah, lagen Tote und Schwerverletzte. Bisher kümmerten die Grosmaahs sich nicht um uns. Sie mussten mitbekommen haben, dass wir sie gegen die Kampfroboter unterstützten, aber das hatte nichts zu besagen. Vielleicht hatten sie vor, sich später auf uns zu stürzen. Wenn dann noch welche von ihnen am Leben waren! Vor uns gab es weitere Bewegungen. Dumpfe Geräusche drangen aus den Schwaden. Da vorn war etwas. Reflexhaft brachte ich die Waffe in Anschlag, dann zögerte ich. Die Konturen, die sich aus dem Nebel schälten, waren nicht die eines Roboters. Langsam wurden in Schutzanzüge gepackte Hünen sichtbar. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass es jemandem, der noch nicht mit diesen Wesen zu tun gehabt hatte, kalt über den Rücken laufen musste. »Naats!«, stieß Phazagrilaath aus. Crest-Tharo da Zoltral warf die gefürchtetsten Diener des Kristallimpe riums in die Schlacht. Sie rückten zu Boden und in der Luft vor. Eine ganze Kompanie drang zur Unterstützung der Kampfroboter aus den Schwaden hervor. Li stieß einen fürchterlichen Schrei aus. Bevor ich reagieren konnte, raste sie wieder an mir vorbei und warf sich den schier unüberwindlichen Gegnern ent gegen. Glücklicherweise hatten wir die meisten Kampfroboter inzwischen eliminiert, aber das machte die Lage nicht einfacher. Ich überlegte, ob ich mich zum Großen Tarvian absetzen sollte, wollte meine Leute aber noch nicht allein lassen. Am Boden wälzten sich die Naats mit ihrem wiegend-schaukelnden Gang den Grosmaahs entgegen. Ich flog nach unten, um den Maahk-Nachfahren beizustehen. Die Infrarot-Ortung brachte mich sicher durch die Nebelschwaden und zeigte mir meine Ziele. Nut, dass ich sie nicht erreichte! Hinter den Felsen tauchten zwei Naats auf, die ich im letzten Augenblick sah. Sie zögerten keinen Moment,
28
sondern eröffneten sofort das Feuer. Ich gab Vollschub und tauchte unter ihnen weg, während ich einen Volltreffer erhielt. Sie hatten mich im Kreuzfeuer. Wimmernd machte sich mein Schutzschirm-Aggregat bemerkbar. Jederzeit konnte die Überlastung meinen Schirm zum Zusammenbruch bringen. Ich ließ mich absacken, erwiderte das Feuer und raste dicht über dem Boden dahin. Die beiden Naats waren schräg über mir, und es gelang mir nicht, sie abzuschütteln. Wieder wurde ich getroffen, brachte aber selbst auch einen Treffer an. Ich. konzentrierte meine Gegenwehr auf zwei Angreifer. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Übermacht der Naats den Sieg davontrug. Ich konnte nur eines tun: ihnen zwischen den Felsen ausweichen. Ich schlug einen Haken und raste in die Höhe. Vielmehr, ich wollte es. Aber die Naats sahen meine Absicht voraus. Einer von ihnen rammte mich frontal. Ich fühlte mich wie von einer Dampfwalze getroffen, auch wenn unsere Schirme uns auf Distanz hielten. Gemeinsam wurden wir aus der Bahn gerissen. Immerhin feuerte der zweite Naat nicht mehr, weil er seinen Kameraden nicht gefährden wollte. Ich überschlug mich und trudelte dem Boden entgegen. Für Sekunden setzte mein Antigrav aus. Es gelang mir nicht, meinen unkontrollierten Flug zu stabilisieren. Ich schlug auf, aber zum Glück funktionierte mein Schutzschirm noch. Den Naat, der mich gerammt hatte, hatte es schlimmer erwischt als mich. Sein Schirm war zusammengebrochen. Hart schlug der dunkelhäutige Hüne neben mir auf. Aber bevor ich mich gesammelt hatte und auf ihn anlegen konnte, war sein Begleiter schon heran. Wie ein monströser Schatten stieß er auf mich herab. Ich riss meinen Thermostrahler in die Höhe und schoss. Der Naat wurde in gleißendes Licht getaucht, ohne seinen Kurs zu ändern. Dann feuerte er ebenfalls. Mit einem kurzen Schub meines Antigravpaks brachte ich mich in Sicherheit und schoss gleichzeitig. Der sonnenheiße Strahl fraß sich in seinen Schutzschirm und brachte ihn zum Flackern. Noch einmal feuerte ich; endlich brach der Schirm des Naats zusammen. Das war sein Ende. Und deines, du Narr!, kündigte mein Extrasinn an. Aus den Augenwinkeln sah ich den anderen Naat. Er hatte schon auf mich angelegt, schneller, als ich mich umstellen konnte. Keine Zeit mehr, die Waffe herumzureißen und ihn ins Visier zu bekommen. Ich schloss mit dem Leben ab. Und riss erstaunt die Augen auf, als er in die Knie sank. Ich sah seinen Blick, erkannte, wie er versuchte, sich noch einmal zu erheben, aber die Kraft nicht mehr aufbrachte. Stattdessen brach er vollends zusammen und kippte konvulsivisch zuckend zur Seite. Ich starrte den Grosmaah an, der über mir in die Höhe wuchs. Blut tropfte von seinem Speer, mit dem er den Naat getötet und mein Leben gerettet hatte. Granugah? War er das, der Anführer des Stammes? Ich hatte Schwierigkeiten, die Grosmaahs auseinander zu halten, aber mein Instinkt sagte mir, dass ich mich nicht irrte. Noch immer hielt er den Schaft seines Speers umfasst. Eine scheinbare Ewigkeit versanken unsere Blicke ineinander. Er, ein halbwilder, degenerierter Maahk-Nachfahre, und ich, ein Sauerstoff atmender Humanoider, den er für einen seiner Todfeinde halten musste. Ich war nur noch am Leben, weil der Schutzschirm des Naats ausgefallen war. »Flieht!«, krächzte ich, als ich endlich die Sprache wiederfand. »Flieht, sonst werdet ihr alle sterben.« Der Grosmaah starrte mich an, als begreife er nicht, was ich von ihm wollte. Aber der Translator hatte zu verlässig übersetzt. Unendlich lange schien sich der Augenblick hinzuziehen, dann ließ der Grosmaah seinen Speer sinken und wandte sich ab. Entschlossen rappelte ich mich auf, Die Kämpfe gingen weiter, aber ich . konnte nicht länger warten, sondern musste die Sorge um meine Leute verdrängen. Einen günstigeren Moment würde ich nicht finden. Ich musste das Chaos nutzen, solange die Lage noch so unübersichtlich war. »Atlan an alle«, gab ich über Funk durch. »Rückmeldung!« »Ulbagimuun hier«, meldete sich der Dryhane. »Phazagrilaath« , erklang die gehetzte Stimme des Ishkhorers. »Zanargun hier. Alles klar beim Rest meiner Gruppe.« »Li?«, fragte ich nach. »Bei dir alles in Ordnung?« »Das solltest du mal meine Gegner fragen«, antwortete sie außer Atem. »Sicher, mach dir keine Sorgen um mich.« Was ich dennoch tat, aber das musste ich ihr ja nicht im offenen Funkkreis auf die Nase binden. Stattdessen sagte ich: »Setzt unsere Planung um! Sofortiger Vorstoß zur Station!« Damit hatte ich keinen Einfluss mehr auf das, was hinter mir geschah. Meine Einsatztruppe musste allein klarkommen. Und mir den Weg ebnen. Im Schutz der Nebelschwaden raste ich davon. Vor mir lag das Große Tarvian. 9. Zabco Crosta hatte sich in seiner Leitstelle abgeschottet. Zu ungeheuerlich war seine Vermutung, als dass er riskiert hätte, seinen Vorgesetzten ohne handfeste Beweise damit zu behelligen. Unzählige Male hatte er sich die Holos des Angriffs auf Kharba angesehen und die Daten studiert. Stundenlange Analysen lagen hinter ihm. Längst war seine Schicht vorbei, aber statt zu schlafen, hatte er den Rechner wieder und wieder mit Daten gefüttert und Simulationen durchgeführt. Wieso hatten die Angreifer nicht Ernst gemacht? Die Frage ging ihm nicht aus dem Kopf. Ihr Vorgehen war so offensichtlich sinnlos, dass sich etwas dahinter ver bergen musste, was sich nicht auf den ersten Blick erschloss. Natürlich war ihnen klar gewesen, dass sie mit ihrer Taktik abgeschossen werden würden. Ausnahmslos. Das hatten sie einkalkuliert. Crosta kam zu dem Schluss, dass es sogar Teil ihres Plans gewesen war. Sie mussten abgeschossen werden! Aber wozu? Die sechs Shah'taman-Schlachtkreuzer hatten sich genau gegenteilig verhalten. Sie hatten darauf geachtet, nicht wirklich gefährdet zu sein. Waren sie in ernsthafte Bedrängnis geraten, hatten sie abgedreht. Ein
29
weiteres Indiz, das sein Misstrauen anheizte. Der Einsatz des Himmelfahrtskommandos hatte weder eine nachvollziehbare taktische Grundlage, noch ließ sich ein Vorteil daraus ableiten, der einen solchen Verlust an Intelligenzwesen und Material auch nur im Ansatz rechtfertigte. Crosta spielte mit dem Gedanken, Roboter ausschwärmen zu lassen, um die auf die Planetenoberfläche gestürzten Trümmerstücke zu untersuchen. Zweifellos waren sie äußerst aufschlussreich. Er verwarf die Idee, weil sie ihm undurchführbar erschien. Der größte Teil Kharbas bestand aus weißen Flecken auf der Landkarte, und die Trümmer hatten sich in einem Gebiet verteilt, das Millionen von Quadratkilometern umfasste. Die Hoffnung, dass die Roboter tatsächlich fündig würden, war verschwindend gering. Zabco Crosta untersuchte noch einmal die Energieemissionen der abgeschossenen Schiffe. Wie nicht anders zu erwarten, waren sie gewaltig. So gewaltig, dass es keine Überlebenden geben konnte. Vielleicht hätte er den Angreifern während des Gefechts ein paar ferngesteuerte Sonden entgegenschicken sollen. Natürlich wären sie zerstört worden, aber vorab hätten sie möglicherweise wertvolle Daten geliefert, da sie viel näher am Geschehen dran waren als die planetengebundenen Aufklärungsmöglichkeiten. Andererseits hätte er bei der Gewalt der Detonationen vermutlich keine brauchbaren Daten mehr empfangen können. Siedend heiß Überfiel die Erkenntnis den Arkoniden. Bei den She'Huhan! Der Feuerleitoffizier fragte sich, wie er so blind hatte sein können. Er hätte viel früher darauf kommen müssen. Die Angreifer hatten ihn getäuscht. Der gesamte Angriff war eine Finte gewesen, eine geschickte Ablenkung mit nur einem Ziel. Einem Raumschiff oder einem Stealth-Shift die unbemerkte Landung auf Kharba zu ermöglichen. Auch wenn er keine hundertprozentige Sicherheit hatte, ging er das Risiko ein. Zabco Crosta löste Alarm aus. Hinter mir versperrte eine Bombenkette den Weg. Die Mikrofone meines Anzugs erfassten ein akustisches Inferno, als die Sprengsätze detonierten. Ich konnte mir die Verwirrung vorstellen, die auf dem Schlachtfeld um sich greifen musste. Selbst die kampferprobten Naats, die ihren Herren treu bis in den Tod waren, würden kostbare Zeit brauchen, bis sie wussten, was um sie herum geschah. Ich fuhr meinen Antigrav hoch und raste vom Kampfplatz weg. Ich musste nicht sehen, was dort geschah, ich wusste es auch so. Zanargun hatte die Bomben so platziert, dass sie einen Teil des Hohlwegs verschütteten. Zudem hoffte ich, dass möglichst viele der verbliebenen Kampfroboter vernichtet wurden. Deine Bomben verschonen keine Grosmaahs. Ich weiß, antwortete ich meinem Extrasinn. Aber ich vertraue darauf, dass Granugah endlich eingesehen. hat, dass ihm nichts anderes übrig bleibt, als in sein Dorf zurückzukehren, wenn er nicht sein gesamtes Volk verlieren will. Natürlich gab es dafür keine Sicherheit, aber ich hatte getan, was ich konnte. Was ich musste. Mehr konnte ich für die Grosmaahs nicht tun. Hinten gingen die Blendgranaten hoch und sorgten für zusätzliches Chaos. Meine Leute waren darauf vorbereitet und hatten sich entsprechend geschützt, aber die Naats waren für eine Weile in hellem Aufruhr. Offen sichtlich beschloss mein Team, diesen Vorteil zu nutzen. Schweres Geschützfeuer setzte ein, die Kämpfe gingen in ihre Endphase. Jetzt würde sich zeigen, was unser auf der TOSOMA erarbeiteter Plan wert war. Einziges Ziel war es, mir zu ermöglichen, möglichst nahe an die lemurische Station heranzukommen oder gar in sie einzudringen. Viel Zeit blieb mir so oder so nicht. Ich hielt den Kombistrahler schussbereit. Noch einmal verdichteten sich die Schwaden, als stellten sie einen letzten Wall gegen unbefugte Eindringlinge dar. Ich ignorierte sie, denn endlich hatte ich das Große Tarvian direkt vor Augen. Bisher hatte ich lediglich Ausschnitte gesehen, jetzt schälte sich die bronzene Fassade aus dem Nebel. Da ich in unmittelbarer Nähe war, schienen mich die Mauern zu erschlagen. »Atlan, Baro Cenendirk ist tot«, meldete sich Zanargun über Funk. »Er wollte ein paar Naats aufhalten, die unser Spiel durchschaut haben. Sie sind hinter dir her. Gorro und ich verfolgen sie.« Ich stieß eine Verwünschung aus. Ich hatte keine Zeit, mich mit eventuellen Verfolgern herumzuschlagen. Bei dem Versuch, Kharba mittels der Tamratberechtigung zu überlisten, konnte Jede Störung fatale Folgen haben. »Ihr müsst sie aufhalten«, antwortete ich. »Ich werde gleich meine eigenen Probleme bekommen.« »Mach dir keine Sorgen, sie rechnen nicht mit Uns. Soll ich unsere anderen Leute nachholen?« Kurz dachte ich an Li. Sie war in Gefahr, und alles in mir drängte danach, sie in Sicherheit zu bringen. Ich zwang mich zu logischem Vorgehen. »Noch nicht. Sie müssen die Naats und die Kampfroboter so lange wie möglich binden.« Ich warf einen Blick zurück und glaubte Bewegungen von Gestalten zu erkennen. Aber inzwischen hatte ich mich an die sinnverwirrenden Eindrücke gewöhnt, die die hiesigen Umweltbedingungen erzeugten. Dann blieben die Schwaden übergangslos hinter mir zurück. Keine fünfzig Meter vor mir ragte die pockennarbige Fassade der lemurischen Station in die Höhe. Die Erhebungen, Kuppeln und sonstigen Aufbauten und Vorsprünge verliehen ihr ein abstoßendes Aussehen. Die historische und politische Bedeutung sprach hingegen eine ganz andere Sprache. Sie erweckte starke Faszination in mir. Einmal mehr fühlte ich mich an das Große Tarvian auf Theka wie auch an das Tarkhil auf Gortavor erinnert. Ich schüttelte den Gedanken ab und überwand die letzten Meter in der Gewissheit, dass das Steuergehirn mich längst registriert hatte. Wenn jetzt der Tod über mich kam, dann so schnell, dass ich es nicht einmal mehr bemerken würde. Bange Sekunden verstrichen, aber nichts geschah. Ich führte meine Arme nach hinten und breitete den Krish'un aus, der unter all den Widernissen nicht gelitten hatte. Nichts schien ihn
30
zerstören oder beeinträchtigen zu können. Ich landete und fuhr herum. Meine Verfolger waren nicht zu sehen. Ich brauchte nicht nachzudenken, sondern handelte. »Halaton kher lemuu onsa.« Der traditionelle Gruß auf Lemurisch. Gesegnet sei das Land der Väter. Ich konnte keinen Fehler gemacht haben. Ich hatte diese Prozedur bereits durchgeführt, damals bei Taraak. Auf dem Weg hierher hatte ich sie in Gedanken tausendfach wiederholt. Wieder warf ich einen raschen Blick hinter mich. Keine Naats! Plötzlich ertönte eine Stimme aus dem Nichts. »Ich bin Kharba. Wer sind Sie, und was führt Sie zu mir?« Ich wusste sofort, dass es die Stimme des Tarvian-Rechners war. Nun kam es darauf an, dass ich das Gehirn der Station davon überzeugen konnte, ein erbberechtigter Nachkomme der alten Le murer zu sein. »Ich bin Atlan da Gonozal«, antwortete ich. »Als arkonidischer Nachfahre des Großen Tamaniums der Lemurer fordere ich meine bedingungslose Anerkennung sowie deine Unterstellung unter meine Befehlsgewalt.«»Sie sind bereits der zweite um Anerkennung nachsuchende Tamrat innerhalb kurzer Zeit«, informierte mich das Gehirn. Die Worte versetzten mir einen Stich. Ich hatte mich also nicht getäuscht. Crest-Tharo da Zoltral war schon hier gewesen. »Mit einer solchen Situation habe ich nicht gerechnet. Ich benötige einen stichhaltigen Beweis, um Sie als Tamrat anzuerkennen.« Jeden Moment mussten die Naats auftauchen, wenn Zanargun sie nicht stoppen konnte. Ich verdrängte den Gedanken an sie aus meinem Kopf und stellte das Gehirn auf die Probe. »Wie du siehst, verfüge ich über die gleiche Legitimation wie Tamrat da Zoltral.« »Den Krish'un-Umhang eines Tamrats des Großen Tamaniums.« »So ist es. Du hast ihn schon registriert, bevor ich dich darauf hinweisen musste.« Wenn Kharba dieser Ausweis nicht reichte, war ich verloren. Aber nach allem, was ich wusste, verfügte auch da Zoltral über keine weiterreichende Kennung. Diesmal gab es weder ein Tamrat-Armband noch einen Alpha kode als endgültige Legitimation. Kharba musste die galaktopolitische Lage kennen und wissen, dass solche Beweisstücke nicht mehr beizubringen waren, weil sie nicht mehr existierten. Selbst ein Jahrtausende alter Lemurer, der wie ein Geist aus der Vergangenheit auftauchte, konnte dem Gehirn der Steuerstation damit nicht mehr dienen. »Ich erkenne Ihre Zugangsberechtigung als Tamrat an, Atlan da Gonozal.«Mir fiel ein Stein vom Herzen. Un willkürlich drehte ich mich um. Noch immer keine Naats. Ich atmete erleichtert auf, als sich in der Wand vor mir eine Öffnung bildete. Ohne zu zögern, drang ich in den dahinter liegenden Gang ein. Ein einziger Gedanke beseelte mich: Crest-Tharo da Zoltral zu stellen. Ob da Zoltral wusste, dass mir der Zutritt zur Steuerstation gelungen war? Ich hielt es für klüger, das Gehirn nicht danach zu fragen, aber ich musste damit rechnen. Also beeilte ich mich, um da Zoltral möglichst wenig Zeit zu geben, Maßnahmen gegen mich in die Wege zu leiten. Es war, wie ich erwartet hatte. Alles lief auf eine finale Auseinandersetzung zwischen ihm und mir hinaus. »Kharba«, wandte ich mich an das Zentralgehirn. »Das Große Tarvian unverzüglich mit Schlafgas fluten. Kampfroboter ausschwärmen lassen, die alle Lebewesen, die darauf nicht ansprechen, mit Paralysatoren betäuben. Sämtliche Roboter meiner direkten Befehlsgewalt unterstellen. Mit Vorrangschaltung dafür sorgen, dass sich keine Maschine gegen mich richtet.« »Nach Unterstellung der Stationsroboter unter die Befehlsgewalt eines Tamrats ist diese Option ausgeschlossen«, belehrte mich das Steuergehirn. Das war mir klar, aber ich wollte auf Nummer Sicher gehen. »Haben Sie weitere Anordnungen, Tamrat Atlan da Gonozal?« Die Frage wunderte mich. Ich beeilte mich, meinen Raumanzug auszuziehen, der mich die ganze Zeit gegen die Methandämpfe geschützt hatte. Vielleicht war ich erfolgreicher, wenn der Krish'un aus Imperium-Alpha deutlich seine Wirkung entfalten konnte? »Ich bin ein Erbe der Ersten Menschheit, Kharba«, erinnerte ich den Rechner. Da meine Befehlsgewalt anerkannt worden war, wurde zwar jeder meiner Befehle augenblicklich umgesetzt, aber seine Schaltung sah nicht vor, dass das Gehirn aus eigener Initiative um weitere Instruktionen nachsuchte. Es befand sich in einer Zwickmühle. Bisher hatte da Zoltral die gleichen Rechte wie ich, sich widersprechende Anweisungen waren also vorprogrammiert, Ich war erstaunt, dass Kharba mich nicht darauf hinwies. Das konnte bedeuten, dass der Arkonide nicht mit meinem Auftauchen gerechnet und noch keine Befehle erteilt hatte, die einen Konflikt auslösen könnten. Oder etwas ganz anderes, nämlich ... Ich wagte nicht, den Gedanken zu Ende zu führen. Zweifellos lässt er sich von seiner ungeheuren Geltungssucht leiten, gab mein Extrasinn zu bedenken. Aber er ist zu klug, um darüber sein logisches Denken zu vernachlässigen. Ganz meine Meinung. Also gibt es nur eine Erklärung. »Station gegen Eindringlinge von außen blockieren!«, befahl ich. »Das gilt auch für außerhalb der Station operierende Roboter und Naats. Zutrittsgenehmigung nur mit Kennwort Ermigoa. Und jetzt, Kharba, führe mich zu Tamrat Crest-Tharo da Zoltral.« Noch während ich die Worte aussprach, kannte ich die Antwort. »Dein Krish'un ändert nichts daran. Tamrat da Zoltral befindet sich nicht - auf Kharba«, informierte mich der Rechner mit nüchternem Pflichtbewusstsein. Ich hatte es befürchtet. Die Zwickmühle, die ich zunächst angenommen hatte, existierte gar nicht, da sich nur ein einziger Tamrat, nämlich ich, m dieser Station aufhielt. Da Zoltral war schon längst nicht mehr hier. Deshalb befolgte Kharba auch all meine Befehle, ohne mich auf ein Paradoxon hinzuweisen. Meine Hoffnung, meinen Gegner derart mühelos ausgeschaltet zu haben, war blauäugig gewesen. Immerhin hatten meine präventiven Maßnahmen dafür gesorgt, dass mir weitere Kämpfe erspart blieben. Mich
31
durchlief es siedend heiß, als ich mich an die Markierung im exakten Zentrum des Ornaments auf Theka er innerte. Von Anfang an hatte ich die Vermutung gehabt, dass es sich dabei um mehr als die bloße Kennzeichnung der Transmitterzone handelte. Sollte ich nun die Bestätigung erhalten? Bevor ich die Probe aufs Exempel machte, musste ich mich um die Mitglieder meines Einsatzkommandos kümmern. Ungeduldig stellte ich den Funkkontakt her. »Zanargun, hörst du mich?«, rief ich den Luccianer. »Ausgezeichnet, Atlan« , kam nach wenigen Sekunden seine Rückmeldung. »Wir haben deine Verfolger erwischt. Die Grosmaahs sind verschwunden. Aber uns wird langsam der Boden unter den Füßen heiß. Wir mussten uns weiter zurückziehen und liegen jetzt zwischen den Naats und der Station in Stellung.« »Ihr seid alle zusammen?« »Ja.« »Setzt euch sofort ab«, drängte ich und verkniff mir die Frage nach Li da Zoltral. Bei allen persönlichen Gefühlen hatte ich die gleiche Verantwortung für jeden meiner Leute dort draußen. »Bei dir alles klar?« »Ich habe die Station unter Kontrolle. Rückt hierher vor. Wenn ihr die Fassade erreicht, gebt Kennwort Ermi goa durch. Kharba wird euch dann passieren lassen.« »Schon unterwegs.« Die Verbindung brach ab. »Kharba«, sagte ich in Erwartung eines weiteren Tiefschlags. »Ich erwarte erweiterte Anerkennung als Hochrang-Bevollmächtigter über die gesamte Sonnentransmitteranlage.« »Anerkennung verweigert«, rea gierte das Gehirn lapidar. »Du hast keine Veranlassung, dich zu weigern. Mittels meiner autorisierten Tamrat- Vollmacht erwarte ich die sofortige Umsetzung meiner Forderung.« »Ich bedaure, aber die geforderte Einstufung hat übergeordnete Priorität. Meine Systemdaten lassen mir in dieser Hinsicht keinen Handlungsspielraum. Ich muss Sie an das zuständige Kharag-Gehirn verweisen, den Hauptrechner der Kharag-Stahlwelt. Nur er kann die gewünschte Hochrang - Bevollmächtigung aussprechen.«Die Stimme klang gleichermaßen bedauernd wie unerbittlich. Die Worte waren wie bittere Galle. Die Kharag-Stahlwelt. Die Zentrumsmarkierung des Theka-Ornaments. Ich presste die Lippen zusammen. Mein Instinkt hatte mich nicht getrogen. Es steckte mehr dahinter, als wir gedacht hatten. Es war also nicht zu Ende, und noch immer war Crest-Tharo da Zoltral mir gegenüber im Vorteil. Ungeduldig wartete ich darauf, dass die Mitglieder meines Einsatzteams zu mir stießen. Zu meiner Erleichterung waren sie bis auf Baro Cenendirk vollzählig und unverletzt, als sie endlich kamen. Trotz meiner inneren Unruhe gestattete ich mir den Luxus, Li in den Arm zu nehmen. Mein Tamrat-Umhang schmiegte sich um uns beide. Sie war jetzt wieder eine sanfte junge Frau. Nichts war verblieben von ihren bestialischen Anwandlungen, die sie im Kampf gegen die Naats gezeigt hatte. »Das Spiel ist noch nicht zu Ende, was?« »Nein, und ich muss dafür sorgen, dass da Zoltral nicht weitere Pluspunkte sammelt. Kharba, wie erreiche ich die Stahlwelt?« »Sie müssen die Transmitter-Verbindung benutzen, Tamrat Atlan da Gonozal. Sie ist der einzige Zugang zur Kharag-Stahlwelt.« Ich hatte nichts anderes erwartet. »Zeige mir den Weg dorthin!«, forderte ich. Meine Leute folgten mir, als ich mich auf den Weg machte. Ohne meine Tamrat-Zugangsberechtigung wären wir alle schon hundertmal tot gewesen, als wir den mehr fach abgesicherten Transmitter erreichten. Kharba hatte uns sicher geleitet. Ich stellte rasch fest, dass es nicht möglich war, ein Ziel zu programmieren. Es gab lediglich eine feste Verbindung zur Gegenstation, die Kharba als Stahlwelt bezeichnet hatte. Vor mir baute sich ein hoch aufragender, leuchtender Torbogen auf. Ich gab Kharba letzte Instruktionen, um die Sicherheit meiner Leute zu gewährleisten. Natürlich wollten sie mich begleiten, allen voran Li, aber ich ließ mich auf keine Diskussion ein. Die Anwesenheit eines Tamrats würde das Kharag-Gehirn der Stahlwelt akzeptieren, aber meine Begleiter hätten sich wahrscheinlich in tödliche Gefahr begeben. Dieses Risiko wollte ich nicht eingehen. Ich musste die Hauptstation der Lemurer in Omega Centauri allein aufsuchen, und ich war sicher, dass mein nächster Schritt mich endlich dorthin bringen würde. Dann trat ich in das Abstrahlfeld. ENDE Atlan und sein Team haben allen Gefahren des Wasserstoffplaneten getrotzt und sich zu einer stark befestigten Transmitter-Station durchgekämpft. Dort ist es nicht möglich, ein Ziel einzugeben - es handelt sich um eine feste Verbindung zu der Gegenstation, die der Rechner als »Stahlwelt« umschrieben hat. Um das Geheimnis von Omega Centauri zu lüften, muss der Arkonide den Schritt ins Unbekannte wagen. DER TAMRAT So heißt der nächste Band unserer spannenden Miniserie, der in zwei Wochen überall im Zeitschriftenhandel erhältlich ist. Geschrieben wurde er von PERRY RHODAN-Autor Rainer Castor.