KLEINE
B I B L I O T H E K DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTUR RUNDLICHE
JOSEF
MAGNUS
HEFTE
WEHNEU
DER...
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KLEINE
B I B L I O T H E K DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTUR RUNDLICHE
JOSEF
MAGNUS
HEFTE
WEHNEU
DER KAISER VON HAITI TOUSSAINT LOUVERTUR.ES U N D ' FALL
VERLAG
SEBASTIAN
AUFSTIEG
LUX
M u R N A u -MÜNCHEN -INNSBRUCK•B AS E L
JCJ in langgezogener Pfiff gellte über die Kaffeefeldcr des Grafen Noe auf der Insel Haiti; er wurde von Hütte zu Hütte weitergegeben und übersprang den einzigen Fluß der Insel, den Artabonite; hundert Pfiffe vereinigten sich und drangen vom französischen in den spanischen Teil Haitis hinüber. Es war Samstag; die adeligen Grundbesitzer hatten ihre Plantagen verlassen und tanzten in den glitzernden Städten, aber auch die Negersklaven huschten aus ihren Behausungen, um auf den Tanzplätzen im Wald die Gunst einer kurzen Freiheit zu genießen. Der Urwald in der Nähe des Gutes Breda, das dem Grafen Noe gehörte, starrte schwarz wie eine Basaltmauer. Durch die verfilzten, von Lianen und Luftwurzeln verflochtenen Bäume drang kein Licht heraus. Lautlos glitten Hunderte von schwarzen Körpern in das Dickicht, wo in der Mitte einer Lichtung Pechfackeln aufloderten. Blutrote Blüten tropften im Geäst, Holzfeuer flammten unter den Kesseln, die mit Rum gefüllt waren. An der Schmalseite des Platzes wurden zwei hölzerne Throne sichtbar; auf ihnen saßen in gefiederten Gewändern Papalui, der Priesterkönig, und Mamalui, die Priesterkönigin. Zwischen den beiden Thronen ringelte sich im geschnitzten Käfig die heilige Schlange Wodu. Das schwarze Volk Haitis — Männer und Frauen vom Senegal und aus dem Somaliland, von Neu-Guinea und dem Bantuland zusammengeraubt — sammelte sich als vielgliedriger Ring um die Schlange. Der Tanz begann. Papalui, der Priester, sprang vom Thron und umkreiste im rauschenden Federgewand das heilige Tier. Die Kupferspangen an seinen Gelenken klirrten. Die Tänzer ringsum gingen in die Hocke und wiegten die Oberkörper, eine heisere Frauenstimme schrie inbrünstig den Tanzruf: „Damballa goubamba — king do ki la Damballa goubamba — king do ki la" Die hockenden Menschen wiederholten den Refrain „king do ki la". Mamalui füllte eine Kürbisflasche mit dem heißen Rum Tafia, der mit serkörntem Schießpulver versetzt war, und goß immer wieder die gewölbten Hände der Neger voll, während der tanzende Pa2
palui bald die Gestalt des Geiers, bald die des Tigers oder der großen Boa annahm. Mamalui speiste die halb Berauschten mit Bohnen, Reis und Wassermelonen, bis die fünf mit Ziegenhaut bespannten Trommeln im Hintergrund aufdröhnten. Ein junger, sehniger Neger sprang in den Kreis. Er wölbte den Oberkörper vor, daß sein Bauchfell glänzte. Er sprang in den Donner der Trommeln hinein, die Erde schnellte ihn zurück; er überschlug sich in der Luft, er wirbelte Räder, stand jäh, ein Bild aus schwarzem Erz, dann tanzte er, bald Mann, bald Frau, geschmeidig und weich den Tanz der Geschlechter, nur noch von einer Trommel begleitet. Mondlicht brach durch das Palmdach, Schwärme von Leuchtfunken rieselten herab. Da schwieg auch die letzte Trommel. Mamalui, die Priesterin, beugte sich über die Lehne ihres Säulenthrons mit den geschnitzten Dämonen. Sie hob den Stabkäfig empor, öffnete das Gitter, und die schwarze Schlange ringelte auf ihren Schoß, reckte den Kopf und blickte starr die Versammlung an. Es war totenstill. Kein Atem mehr wurde gehört. Nur der Körper der Priesterin zitterte leise, und dieses Zittern teilte sich den Menschen ringsum mit. Mamalui hielt die göttliche Schlange hoch empor und verließ ihren Thron. Wo die Priesterkönigin gesessen hatte, hob nun die göttliche Schlange Wodu ihr züngelndes Haupt. Mamalui war schon im Tanze. Eine fremde Kraft hatte von ihr Besitz ergriffen. Sie tanzte am Ring der Schwarzen entlang, die Hände schlaff am Körper, nur mit den Füßen stampfend. Langsam erdröhnten die Trommeln wieder, die Augen der tausend Menschen folgten gebannt dem fanatischen Tanz. Die Schritte der Priesterkönigin wurden schneller, schneller wiegten sich die Körper der hockenden Neger. Nun flog sie. Wenn sie über das Feuer wirbelte, lohten die Flammen auf und Wodu wuchs. In den Augen der Schwarzen wuchs er in das Dach und vereinigte sich mit dem späten Mond, er zauberte, während das Weib, vom Geiste Damballas getrieben, das Feuer immer wieder entfachte. Die Flammen schössen nach allen Seiten ihre glühenden Garben. Und plötzlich griff Mamalui in die dicht prasselnde Lohe und zauberte einen Hahn daraus hervor. 3
Der Hahn wirbelte zu ihren Häuptern, er stand auf ihrer Schulter, seine Federn schwirrten, die Trommeln rollten. Im Wirbel der Funken und des Gefieders schrie die Tänzerin, oder war es der Hahn? Sie war er selber geworden. Mit den Armen schlug sie auf und nieder, als bewege sie Flügel, die Neger schrien in das Feuer und in das Dunkel, ein Machetemesser blitzte im schwelenden Gewölk des Brandrauchs. Mamalui stürzte zu Boden und trank das Blut des geköpften Hahns. Ein Bock stürmte herein. Seine grünen Augen stutzten am Feuer, sein Gehörn troff von Gold. 'Papalui stieß ihm das Messer in die Kehle, er knickte ein, das Blut schoß, sprengte sich aus, und schwarze Leiber tranken die Tropfen vom Boden. Ein Riese sprang mit einem Satz mitten in die Glut, warf seine Arme hoch und schrie heiser: „Commencons! Danse Colinda! Boudum! Boudum!" Er ergriff eine Frau und drehte sie. Auch die übrigen begannen nun den Tanz. Mamalui hatte Rum und Zucker entzündet und warf die bläulichen Flammen in das Gewühl, sie schüttette die Opferschale aus, sie stampfte, flog und schrie den Cancan: „Eh! eh! Bomba! Heu! heu!" Das Kreisen um die Schlange Wodu wurde immer schneller. Einige stürzten besinnunglos nieder. Der Tanz ging über sie hinweg. Papalui und Mamalui tauschten die Throne, die schwelende Mondscheibe verbarg ihr Licht in den Wipfeln, die Gewächse rochen scharf . . . Am Eingang des Tanzplatzes stand der Neger Toussaint Louverture in der Livree eines Kutschers des Grafen Noe; er war etwa dreißig Jahre alt und vor zehn Jahren aus Afrika geraubt worden. Seiner würdigen Haltung sah man den Häuptlingssohn noch an; seine ruhigen, traurigen Augen spähten in das Gewimmel seiner schwarzen Brüder und Schwestern — es widerte ihn an. Endlich schwang er sich auf sein kleines struppiges Pferd. Die Botanisiertrommel, die an einem Riemen über seiner Schulter hing, war mit Arzneipflanzen gefüllt. Mit zusammengepreßten Lippen ritt er in die Morgenröte: er würde diesem merkwürdigen Spuk um die Schlange Wodu ein Ende bereiten, würde seine Brüder vom bannenden Geiste Damballas frei machen. 4
Freiheit kostet Blut Um dieselbe Zeit beschloß der Konvent der Revolutionäre in Paris, den Negersklaven in allen Kolonialländern, die zu Frankreich gehörten, die bürgerliche Freiheit zu geben. Am 21. Januar 1793 hatte König Ludwig XVI. das Schafott bestiegen und neun Monate später war auch seine Gemahlin Marie Antoinette dem Fallbeil der Guillotine zum Opfer gefallen. Es war einige Zeit nach dem Tode der Königin, als das freie Volk von Paris in den barocken Theatersaal des „Vereins der Freunde der Schwarzen" strömte, um der Verkündung des Konventsbeschlusses durch den Anführer der Radikalen, Maximilien Robespierre, beizuwohnen. In den ersten Reihen saßen die Mitglieder des Klubs der „Amerikanischen Kolonisten", Mischlinge weißer und schwarzer Herkunft, reiche Mulatten aus Haiti, deren Söhne in Paris studierten. In ihrer Mitte prangte in der goldbestickten Uniform eines Obersten Vincent
Die Lage Haitis in der Kette der westindischen Inseln. 5
Oge, Metzgerssohn aus der Capstadt von Haiti; er galt als der kommende Gegenspieler der aristokratischen französischen Pflanzer auf der fernen Insel, die ebenfalls eine Abordnung in die französische Hauptstadt entsandt hatten. Aber wo blieben die Neger? Die Sklaven von Haiti hatten zwar noch keinen Vertreter aufstellen können, aber es gab genug Schwarze in Paris — und man sah nur einen einzigen von ihnen auf der Bühne stehen, und dieser Neger war ein Weißer, der Hausknecht des Barons Cloets; man hatte ihn schwarz bemalt, damit wenigstens einer die schwarze Bevölkerung Haitis symbolisch vertrete. Die Neger selbst in Paris hatten sich seit der Hinrichtung Ludwigs XVI. verkrochen: ihr Herz gehörte noch immer dem König, der ihnen vor seinem Tode öffentlich die Freiheit versprochen hatte. Warum hatte man ihn ermordet? Und war diesen wilden Revolutionären Robespierres überhaupt zu trauen? Sie sahen nicht wie freie und gleiche Brüder aus! Da war es besser, abzuwarten und sich von ihren Versammlungen und Kundgebungen fernzuhalten. Die Eröffnungsrede hielt Henri Gregoire, der im Konvent den König zu Fall gebracht hatte. Nach ihm sprach Hauptmann Mauduit, Offizier der französischen Truppen auf Haiti. Er beschwor die Versammlung, die Freilassung der Negersklaven nicht zu übereilen. Er schilderte den Reichtum der Insel, der ohne die schwarzen Arbeiter dahinschwinden werde. Es gab allein im französischen Teil der Insel achttausend Zuckerplantagen, dreitausendzweihundert Kaffeepflanzungen, achthundert riesige Baumwollfelder und ebensoviele Indigokulturen. Mauduit wies auf die Schiffahrt hin mit ihren fünfzehntausend schwarzen Matrosen und schilderte beredt die früheren Sklavenaufstände auf Haiti, bei denen den fünfhunderttausend rebellischen Negern nur dreißigtausend Weiße gegenübergestanden hätten. Er warnte eindringlich vor dem Mißbrauch der Freiheit, wenn sie bedingungslos verliehen werde, und wies zum Schluß auf England hin, dessen Schiffe nur darauf warteten, nach dem unvermeidlichen Ausbruch einer schwarzen Revolution die brennende Insel zu besetzen. Der unerschrockene Warner wurde von den Anhängern des Mulatten Oge mit Hohngelächter bedacht und von Henri Gregoire 6
niedergedonnert. Am Schlüsse bestieg der radikale Propagandist der französischen Revolution, Robespierre, die Bühne. Seine kalten logischen Sätze hämmerten in den Saal; er sprach von der unteilbaren Freiheit, die ohne Vorbehalt und Einschränkungen gewährt werden müsse. „Eher soll die Welt zugrunde gehen, als ein einziger unserer Grundsätze", rief er der Versammlung zu. Dann trat er unter Trommelwirbeln in das Spalier der Nationalgarde und verlas den Beschluß des Konvents: „Der Nationalkonvent erklärt die Abschaffung der Sklaverei in allen Gebieten Frankreichs, in den Kolonien und für ewige Zeiten. Er beschließt, daß alle Menschen, ohne Unterschied der Farbe, deren Heimat die Republik ist, französische Bürger sind und an allen verfassungsmäßigen Rechten teilhaben." Kurze Zeit später näherten sich zehn mächtige Segler, mit jungen Soldaten der Republik beladen, der Insel Haiti. Die schmalen Gesichter der Soldaten unter den Hüten mit der blauweißroten Kokarde strahlten vor Glück: sie waren die ersten Franzosen, die den Negern die Freiheitsbotschaft Robespierres verkünden würden. Sie umfuhren den spanischen Teil der Insel, auf der im Jahre 1537 ihr Entdecker Christoph Kolumbus begraben worden war. Sie hatten nicht vergessen, was man ihnen von den Negern erzählt hatte: die Ärmsten arbeiteten sechzehn Stunden am Tag für neun Liter Korn oder Mais und vier Pfund Schweinefleisch, Geflügel und Eier in der Woche; nur zu Weihnachten erhielten sie Sirup, Kaffee, Tabak und Kattun. Mußte man sich nicht beeilen, ihnen die Freudenbotschaft zu bringen? Da die Schiffe nicht bis an den Strand vordringen konnten, sprangen zwölf nackte junge Soldaten in die See; der Führer der Staffel trug eine Messingbüchse mit dem Beschluß des Konvents um den Hals — die frohgemuten Schwimmer spurteten, die Musik spielte; drei von der Staffel verschwanden plötzlich, an die Haifische hatte man nicht gedacht. Aber neun erreichten das Ufer. An Bord des Seglers wartete man, bis sie zurückkehrten. Sie verschwanden im Busch . . . Am selben Tage schrieb der Anführer der Mulatten, Vincent Oge, einen Brief an die Nationalversammlung auf Haiti; er war nach 7
Nordamerika gefahren, hatte dort Waffen eingekauft, auf Haiti zweihundert Partisanen angeworben und sah die Mulatten schon als die neuen Herren der Insel. Sein Brief forderte kurz die Wahl von „gelben", das hieß, mulattischen Abgeordneten, und die Stadt Leogane: sie sollte die gelbe Hauptstadt werden, wenn nötig mit Waffengewalt. Gegen Abend erspähte der Ausguckposten auf einem der französischen Segler einen der neun Schwimmer drüben am Ufer. Man ließ ein Boot zu Wasser und holte den Jungen an Bord. Was er zitternd und stammelnd erzählte, war schaurig genug. Die Staffel der Neun war in die finstere Höhle „La Laterne" — die Laterne — geführt worden. Dort hatte sie der schwarze Oberst Jean Francois, der in spanischen Diensten stand, empfangen und sie heftig beschimpft, weil sie den König nicht beschützt hätten. Auf einen Wink des Negers habe ein gewisser Macaya den Trupp in den Wald gebracht u n d . . . kurz und gut: man hatte den acht Unglücklichen bei lebendigem Leib die Haut abgezogen, nur der Erzähler war entkommen. Nicht besser erging es Vincent Oge und seinen Partisanen. Die Nationalversammlung der Weißen Haitis zerriß seinen Brief und schickte fünfzehnhundert Mann gegen die Aufrührer. Oge wurde gefangengenommen und verriet die Namen seiner Freunde, auch den seines besten Freundes Chavanne. Das Gericht in Port au Prince verurteilte ihn und die gelben Verschwörer dazu: „ . . .vom Henker der hohen Gerechtigkeit vor das Haupttor der Pfarrkirche geführt zu werden, dort, barhaupt und im Hemde, den Strick um den Hals, kniend und jeder eine brennende, zwei Pfund schwere Wachskerze in der Hand, das Sündenbekenntnis abzulegen und mit lauter und deutlicher Stimme zu erklären, ihre Verbrechen, deren sie überführt wurden, seien frech, tollkühn und dazu noch schlecht vorbereitet gewesen; daß sie Reue empfänden und Gott und das Gericht um Verzeihung bäten; daß sie, dies getan, auf den Waffenplatz der Stadt geführt würden, entgegengesetzt dem Richtplatz der Weißen am anderen Ende der Stadt; daß ihnen dort auf einem zu diesem Zweck errichteten Schafott Arme, Beine, Schenkel und Hüften lebend gebrochen würden, um an Ort und Stelle zu verbleiben, das Gesicht gen Himmel gerichtet, solange es Gott gefalle, 8
sie am Leben zu erhalten; daß danach ihre Köpfe auf Pfähle gesteckt würden, und zwar derjenige des besagten Vincent Oge an der Hauptstraße nach Dondon, derjenige von Jean Baptiste, genannt Chavanne, auf dem Wege nach Grande Riviere gegenüber der Siedlung Fisch. Geschlossen mit der Verfügung, daß die Güter des besagten Oge und des besagten Jean Baptiste, genannt Chavanne, eingezogen und zugunsten des Staates beschlagnahmt werden." Kurz darauf brach der allgemeine Aufstand der Neger und Mulatten Haitis gegen die weißen Unterdrücker aus.
Die Wodupriester tanzen wieder Die Machtverhältnisse im französischen Teil der Insel vor diesem Aufstand sahen etwa so aus: Die Regierung lag in den Händen der französischen Aristokraten; ihr Gouverneur, der Herr von Blanchelande, stützte sich einerseits auf das Parlament der weißen Siedler, die „Nationalversammlung", andererseits auf das noch königstreue französische Besatzungsheer unter General Rochambeau, das in den Forts des Landes Wache hielt. Die Neger waren noch nicht organisiert, wohl aber die „Gelben", die Mulatten; ihre besten Köpfe dienten als Offiziere bis zum General aufwärts in der französischen Armee, sie waren kluge Taktiker und hatten sich, bevor der Aufstand begann, weder für schwarz noch weiß entschieden. Im Parlament war als dritte Gruppe noch die Partei der „kleinen Weißen" vertreten. Sie waren revolutionär gestimmt und hielten es mit den Negern. Abseits aller Verbände gab es starke Räuberbanden; sie hausten in den Höhlen des Gebirges und raubten bei günstiger Gelegenheit das Land aus. Ihre Führer, Jean-Franjois, Biasson, Dessalines, Boukmann, warteten in ihren buntscheckigen spanisch-französischen Uniformen nur auf den Ausbruch der Rebellion. Ihre zuverlässigen Leibwächter waren die Maronen, Nachkommen der aus Spanien vertriebenen Araber; als See- und Landräuber in allen Teilen der Welt, bildeten sie eine Art Blutsbrüderschaft: jeder Marone trug, von einem glühenden Eisen eingebrannt, den Buchstaben M auf der Brust. Trotz des Entsetzlichen, das man ihren Gefährten angetan hatte, ließen die Kapitäne der zehn Segler die jungen Grenadiere in der 9
großen Hafenstadt Port au Prince an Land gehen. Die ärmeren weißen Bürger schlössen sich ihnen an, auch, ein Teil der Besatzung lief zu ihnen über. Der lärmende Haufe öffnete die Gefängnisse und plünderte die Häuser der reichen Kaufleute und Plantagenbesitzer. Hauptmann Mauduit war der einzige Offizier, der den Meuterern entgegentrat; er entriß ihnen mit einer Handvoll Soldaten die Fahne, sah sich aber gezwungen, sie in die Kathedrale von Port au Prince zu tragen und sie auf dem Altar niederzulegen. Als er die Altarstufen hinabschritt, durchbohrte ihn einer der Meuterer mit dem Bajonett. Man schnitt ihm den Kopf ab, trug ihn durch die Kirche und spießte ihn auf dem Hauptplatz der Stadt auf denselben Pfahl, auf dem vorher das Haupt Oges gesteckt hatte: die Gelben hatten ihren Märtyrer längst begraben und Kränze an seinem Grab niedergelegt. Die Partei der „kleinen Weißen" übernahm die Regierung in Port au Prince; die alten Soldaten der Garnison, viertausend Mann, wurden zu einem Bankett eingeladen, betrunken gemacht, entwaffnet und dann gefesselt auf die Schiffe gebracht — Richtung Paris. Zu dieser Zeit standen auch die Neger unter ihrem Führer Boukmann auf. Wodupriester tanzten vor ihnen her, im Norden wurden hundert Dörfer verbrannt, Geistliche ermordet, Weiße gehängt. Ein | Drittel der Nordprovinz sank in Asche, die Arbeit eines Jahrhunderts war vernichtet. Jean-Francois forderte in einem Brief an die Nationalversammlung alle Weißen auf, Haiti zu verlassen. Der gelbe General Beauvais unterstellte zwei Divisionen von Negern seinem Kommando.
Toussaint Louverture tritt auf Graf Noe war beim Ausbruch der Revolution von seinem Gut Breda geflohen und hatte seinem Kutscher Toussaint die Verwaltung übertragen. Er hätte keinen geschickteren Treuhänder finden können. Toussaint hielt zwar das Gut in Ordnung und seine schwarzen Mitbrüder in Zucht; man hörte indes schon bald auf den Höfen der Meiereien militärische Kommandos erschallen. Schwarze Unter10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.01.01 07:00:57 +01'00'
Offiziere bildeten schwarze Rekruten aus, während Toussaint Vorräte aufstapelte — die junge schwarze Armee der Zukunft sollte genügend Proviant haben. Währenddessen zog der gelbe General Beauvais mit seinen schwarzen Divisionen vor Port au Prince auf. Treugebliebene französische Truppen konnten ihn zwar bis zum Fort Dauphin verjagen, aber hinter ihrem Rücken schlugen Flammen aus der Stadt; sie brannte achtundvierzig Stunden, der Schaden betrug fünf Millionen Pfund. Kurze Zeit darauf überbrachten 2wei Mulatten der Nationalversammlung in der Capstadt einen Brief, der von Jean-Francois, Biasson und — zum erstenmal — auch von Toussaint Louverture unterzeichnet, war. Dem kleinen häßlichen Neger Toussaint allein war der Inhalt dieses Briefes zu danken: die Neger boten ihre völlige Unterwerfung an, nur die weißen und schwarzen Gefangenen sollten gegenseitig ausgetauscht werden. Dieser erste Schritt des kommenden Negerführers Toussaint war wohlüberlegt und entsprang einem weitsichtigen Verstand. Toussaint wollte wohl die Stärkung des Einflusses und der Machtstellung der Neger; aber er sah klar ein, daß Schwarze und Weiße zusammenarbeiten müßten, um eine Entwicklung zu verhindern, die für die ganze Insel zum Verhängnis werden konnte. Robespierre war im Jahre 1794 gestürzt und der Guillotine überantwortet worden; es war Zeit, Ordnung zu schaffen. So begab sich Toussaint, als Christ und Königstreuer, selber in die Capstadt, führte die weißen Gefangenen mit sich und bot den Aristokraten die neue Ordnung an — hochmütig wies man ihn ab. Gouverneur de Blanchelade konnte zwar Port au Prince zurückerobern, aber der gekränkte Toussaint hielt sich nun zurück und ließ den Dingen ihren Lauf. Die Neger verwüsteten das Land, sie besetzten das Gebirge und schlugen die weißen Regimenter zurück. Blanchelande hatte der Insel durch die Zurückweisung des Negerführers den schlechtesten Dienst erwiesen; die geschlagenen, bisher königstreuen Regimenter fielen ab und gingen zu den Republikanern über. Haiti wurde Republik nach jakobinischem Muster. Die beiden republikanischen Kommissare Frankreichs, Sonthonax und Bolverel, verhafteten Blanchelande und schickten den alten Herrn nach Paris. Sein Haupt fiel unter dem Fallbeil. 11
Mitten in dem flammenden Aufstand ernannten die Kommissare den tüchtigsten Mann der Insel, den General Rochambeau, zum Oberbefehlshaber über sämtliche Streitkräfte zu Wasser und zu Lande. Noch einmal gelang es, die Neger aus den Bergen zu vertreiben, ohne sie entscheidend schlagen zu können; sie plünderten, brannten und mordeten weiter. Die politische Verwirrung wuchs. Die Kommissare gaben ihren Truppenführern hochtrabende Titel, um auf die Eingeborenen Eindruck zu machen. Francois machten sie zum „Großadmiral von Frankreich" und Biasson zum „Vizekönig der eroberten Länder"; sie verhandelten und bestachen die pomphaft aufgedonnerten Negerführer, sie verhandelten mit den Gelben und ordneten an, daß sämtliche Offiziersstellen im Heer mit Mulatten besetzt würden, sie haßten die Aristokraten und schickten sie auf die Guillotine; aber kaum hatten die Negerführer ihre neuen Uniformen und Goldstücke empfangen, so riefen sie die Schwarzen abermals zum Aufstand auf, oder sie liefen zu den Spaniern über und ließen sich von ihnen befördern und bestechen. Es war ein blutiger Karneval der Eitelkeit, der Jahr um Jahr die Insel immer heilloser verwüstete. Die zusammengeschmolzene Gruppe der Aristokraten entschloß sich angesichts dieser Lage zum Verrat. Hinter dem Rücken der französischen Kommissare verhandelten sie mit den Engländern und lieferten ihnen die Insel aus. Es war ein geschichtlicher Streich, und Sonthonax und Bolverel, die ihn nicht verhindert hatten, wurden nach Paris vor den Konvent befohlen, um sich zu verantworten. Nach ihrer Abreise stürzten sich Gelbe und Schwarze mit verdoppelter Wut auf die Städte und Plantagen. Die Engländer landeten und durchstachen die Dämme des Flusses Artibonito, die Spanier drüben jenseits der Wälder erkannten ihre Chance und zogen Truppen zusammen, um sich an der Beute zu beteiligen. Die Insel schien endgültig für Frankreich verloren zu sein. Aus allen Wäldern dröhnten die Trommeln zum Tanz vor der Schlange Wodu. Das war die Stunde, für die sich Toussaint Louverture monatelang gerüstet hatte. In aller Stille hatte er vier Regimenter ausgebildet und die Neger Maurepas, Beiair, Mayse und Chrisophe zu ihren Generälen ernannt. Er selbst war aus dem französischen Teil der Insel zu den Spaniern geflüchtet, die ihm vertrauten — zu ihrem 12
Unheil! Während der Nacht schlichen sich Toussaints vier Regimenter über die Grenze und versteckten sich in den spanischen Wäldern . . . An einem kühlen Maimorgen verließ Toussaint die kleine Grenzkapelle, wo er die Messe gehört hatte, schwang sich auf das kleine wendige Pferd, das ein Diener im Gebüsch für ihn bereithielt, und ritt auf den vereinbarten Sammelplatz. Sofort ließ er die Hörner das Angriffssignal blasen und gab den Truppen Befehl zum Vormarsch. Der genau vorbereitete Plan gelang; Toussaint zerschlug im Nu die ahnungslosen spanischen Truppen, die sich eben zum Überfall auf den französischen Teil Haitis sammelten, und bahnte sich blutig den Weg bis zur Grenze, um den Engländern entgegenzutreten und zugleich den Spaniern den Weg zu verlegen. Von dort ritt er eilig zum neuen Gouverneur des französischen Teils, dem General Laveaux, und meldete seine Rückkehr. Laveaux beförderte Toussaint zum Obersten und trug ihm auf, vom Norden der Insel bis zum Süden eine schwarze Truppenkette zwischen Engländer und Spanier zu legen und je nach Bedarf den einen oder anderen anzugreifen. Toussaint nahm den Auftrag an. Die Aufgabe war schwierig; aber diese Form des Kleinkriegs, der Guerilla, lag den Negern ebenso wie den räuberischen Maronen, die Toussaint als Verbündete gewann. Der Buschkrieg, dieses wilde Breschenschlagen, dieses Jagen und Einkesseln paßte den Afrikanern — und Toussaint war überall. Er drillte die Truppen während der Gefechte, er zwang sie, ihr fürchterliches und verräterisches Geschrei beim Angriff abzustellen, und sie lernten eifrig. Aufständische Neger traten unter seine Fahnen. Bald konnte er neue Regimenter aufstellen. Immer länger wurde die schwarze Kette vom Norden zum Süden. Wo das Land freigekämpft war, führte. Toussaint die Pflanzer und die Arbeiter auf ihre Farmen zurück, ernannte Beamte und überwachte den Wiederaufbau. Über hundert Reitpferde standen gesattelt die ganze Front entlang und warteten ständig auf ihn. Er brauchte nur zwei bis drei Stunden Schlaf; ein paar Bananen, eine Handvoll Biskuits, ein Glas Wasser genügten dem Obersten — er war überall! Und täglich gingen Meldungen an General Laveaux. Am 15. April 1795 erhielt Frankreich durch den Frieden zu Basel 13
auch den spanischen Teil von Haiti. Die Revolution begann sich zu verbürgerlichen. Auch Toussaint zog seine Folgerungen, indem er sich einiger aufsässiger schwarzer Generäle entledigte. Den undisziplinierten Jean-Francois ließ er abschieben, der alte Biasson folgte ihm, andere Marodeure lieferte er den Gelben aus. Die Mulatten waren wütend über die Erfolge des schwarzen Toussaint, der inzwischen zum Brigadegeneral aufgerückt war, und begingen eine Dummheit: sie verhafteten den General Laveaux. Es war Toussaint ein leichtes, ihn wieder zu befreien. Zu Tränen gerührt, schloß Laveaux seinen Retter in die Arme und ernannte ihn zum Unterstatthalter; künftig bedurften alle Maßnahmen des Gouverneurs der Zustimmung Toussaints. Auch der neue Herr aller Neger war gerührt; er nannte Laveaux den „guten Vater der Schwarzen", er schwor, er wolle einmal mit ihm zusammen im Grabe liegen. Auch die Regierung in Paris ließ es an Ehrungen nicht fehlen. Während Napoleon Bonaparte in Mailand einzog, wurde Toussaint zum Divisionsgeneral ernannt; man verlieh ihm Ehrensäbel und Ehrenpistole und holte seine Kinder zur, Erziehung nach Paris. Toussaint gründete drei neue Regimenter und legte sich eine Leibgarde von neunzig Reitern zu, die in weißen Hosen, purpurnen Wämsern, silbernen Helmen, mit roten Federbüschen und silbernen Trompeten vor ihm hergaloppierten, wenn er ausfuhr; die Vorreiter schwenkten die Fahnen mit der Inschrift: „Wer wird durchs Ziel gehen? Das Land kehrte langsam, aber stetig zur Ordnung zurück. Die Schwarzen hatten sich die Freiheit erkämpft, wählten Abgeordnete in die französische Nationalversammlung und schickten sie nach Paris. Toussaint .hätte jetzt die Möglichkeit gehabt, das Erziehungswerk an seinem Volk zu vollenden und durch kluge Politik die Gelben in Schach zu halten, die sich immer noch widerspenstig zeigten und bei Laveaux gegen ihn intrigierten. Der Gouverneur, dem Toussaints Aufstieg unheimlich geworden war, schenkte ihnen nur allzu willig Gehör. Wie erstaunt aber war der „gute Vater der Schwarzen", als er eines Morgens folgenden Brief von Toussaint erhielt: 14
„Mein General, mein Vater, mein guter Freund! Immer war es mein heißester Wunsch, Sie zum Abgeordneten der Neger ernannt zu sehen, damit Sic Ihr wahres Vaterland, Frankreich, wiedersehen und dort die Sache verteidigen, für die wir gekämpft haben. Ihre Kinder, die Schwarzen, haben Sie, ihren Wohltäter, zum Abgeordneten gewählt. Ich umarme Sie tausendmal und wünsche Ihnen Glück. Reisen Sie ab, denn ich sehe voraus, daß sonst Unannehmlichkeiten über Sie hereinbrechen könnten, bei denen ich nur mit Schmerzen Zuschauer sein würde. Ihr Sohn, Ihr treuer Freund Toussamt Louverture." Was blieb dem Gouverneur anderes übrig, als sofort mit den Vollmachten abzureisen, die Toussaint aufs sorgsamste vorbereitet hatte? Schwieriger war es, den Kommissar der französischen Republik von der Insel fortzukomplimentieren. Der geschickte Diplomat nämlich ernannte, als er ebenfalls plötzlich zum Abgeordneten gewählt wurde, Toussaint zum kommandierenden General aller Truppen auf Haiti, der schwarzen, gelben und weißen, und bot sich als Vermittler an, falls die Gelben und die Weißen Schwierigkeiten machen würden. So hoffte er die Sache hinauszuzögern. Eines Morgens aber erschien Toussaint in großer Uniform mit seinen Generälen vor dem unfreiwilligen Abgeordneten, küßte ihm die Hand und überreichte ihm einen Brief, während gleichzeitig und wie zufällig die Offiziere ihre Degen aus den Scheiden rissen. Zitternd las der Genearl: „Bürger — Repräsentant! Ihr seid Zeuge der Veränderungen gewesen, die die Wiedergeburt und Ruhe der Kolonie bewirkt haben. Ordnung, Friede, Eifer für die Zivilisation und die Siege über den äußeren Feind erlauben es Euch endlich, Euer Amt als Abgeordneter anzutreten. Gehen Sie nach Frankreich! Berichten Sie die Wunder, die sich unter Euren Augen zugetragen haben, und bleiben Sie stets der Verteidiger unserer heiligen Sache! Toussaint Louverture." Durch so beredte und deutliche Argumente bedrängt und bedroht, nahm auch der Kommissar den nächsten Segler nach Paris, allerdings mit dem heimlichen Vorsatz, dort gegen Toussaint zu hetzen. 15
Er hatte Erfolg. Ein halbes Jahr nach seiner Abreise landete im Auftrag Napoleons General Hedonville mit einem Stab junger Offiziere auf Haiti. Die französischen Herren, vom Rausch der napoleonischcn Siege erfaßt, waren alles andere als Politiker. Sie nannten Toussaint den „Affen mit dem Leintuch um den Kopf" und ließen ihn ihre Verachtung spüren. Waren sie gekommen, ihn mundtot zu machen? Hedonville war so ungeschickt, bei einem Empfang seinen Trinkspruch auf Toussaint in die Worte zu kleiden: „Es wird Ihr höchstes Glück sein, Ihren Lebensabend in Frankreich zu verbringen." Nun, Toussaint hatte die Fünfzig längst überschritten, aber er kochte vor Zorn über diese Herabsetzung und erwiderte dem Prahler: „Sie werden kein Schiff finden, das mich tragen kann." Und als die Herren ihn ersuchten, ihnen die Emigranten auszuliefern, die vor dem Terror aus Frankreich nach Haiti geflüchtet waren, schlug er es ihnen ab. Er schenkte den politischen Flüchtlingen herrenlose Plantagen und verkündete in Port au Prince unter Glockengeläut und Kanonendonner von der Kanzel herab den allgemeinen Frieden für alle Einwohner Haitis. In jenen Tagen aber ging eine entscheidende Wandlung in ihm vor. Er hatte nicht übersehen, daß Frankreich seine Verdienste nicht mehr anerkannte und wohl auch nicht mehr anerkennen konnte. Die Briefe an die Regierung in Paris, in denen er sich über Hedonville beschwerte, blieben ohne Antwort. So nahm er sich sein Recht selber, inszenierte einen Aufstand gegen den General und zwang ihn, Haiti zu verlassen. Kurz darauf begann er den Krieg gegen die Gelben, die ewigen Störenfriede im Lande, und schloß Handelsverträge mit Amerika und England. Der Mulattenkrieg wurde mit äußerster Grausamkeit geführt. Toussaint stellte den Negerführer Dessalines, der den Beinamen „Der Tiger" trug, an die Spitze der Südarmee und erlaubte allen Unterführern schriftlich, nach eigenem Gutdünken vorzugehen. Hatte Toussaint, der Oberkommandierende aller Streitkräfte, seine Grundsätze aufgegeben, die so deutlich auf einen allgemeinen Frieden hingewiesen hatten? Drohte seine Seele wieder in ihre ursprüngliche Wildheit zurückzufallen? Er fragte in den Kirchen die Kinder gelegentlich den Katechismus ab, aber er unternahm kaum 16
Das Denkmal für Dessalines, den „Tiger", Negergeneral im Dienste Toussaints, auf dem Platz der Republik in Haiti. 17
etwas, als Dessalines im Laufe der Monate zehntausend Mulatten umbrachte und an den Abenden nach den Hinrichtungen Siegesgesänge anstimmen ließ. Er berief die Weißen in hohe Ämter, befahl aber, daß ihre Söhne unter schwarzen Offizieren dienten. Er beschimpfte den Massenmörder Dessalines, entließ ihn aber nicht. Im November des Jahres 1800 war der Sieg über die Gelben errungen und wurde pomphaft gefeiert. Die Capstadt war mit Triumphbogen geschmückt. Ein Redner verglich Toussaint vor dem „Altar des Vaterlandes" auf dem Marsfeld der Stadt mit dem Ersten Konsul der Republik, mit Napoleon Bonaparte. Die schönste weiße Frau der Stadt rezitierte ein Huldigungsgedicht, in dem er ebenfalls dem Korsen gleichgestellt wurde, und setzte ihm die Krone des Eroberers auf das Haupt. Andere Redner verglichen ihn beim Bankett im Rathaus im überschwenglichen Stil der Zeit mit Bacchus, Herkules und Alexander dem Großen. Toussaint ließ sich alle Schmeicheleien mit gemessenem Anstand gefallen und führte konsequent die Pläne aus, die ihn Tag und Nacht beschäftigten: einen unabhängigen, selbständigen Staat auszubauen. Er erließ eine Kulturverordnung, in der härteste Strafen auf Faulheit und Diebstahl gesetzt wurden, und steckte seine Garde in die Uniformen der alten königlichen Armee. Dann stürmte er in die spanische Provinz der Insel hinüber, unterwarf und organisierte sie. Während seiner Abwesenheit meuterten in der französischen Provinz die schwarzen Arbeiter, die sich nach dem Sieg ihres Anführers ein Herrenleben erträumten. Toussaint schickte ihnen den Dessalines auf den Hals; dieser Wüterich ließ jeden, der die Arbeitsaufnahme verweigerte, an den nächsten Baum hängen. In kurzer Zeit mußten jetzt zehn „freie" Sklaven mehr arbeiten als vordem dreißig. Wer seinen Arbeitsplatz verließ, wurde durchgepeitscht. Nachdem die Ordnung wiederhergestellt war, sandte Toussaint einen Bericht über seine gesamten Erfolge an Napoleon. Die Überschrift lautete: Der Erste der Schwarzen dem Ersten der Weißen." Napoleon antwortete nicht. Der „schwarze Kaiser" ging weiter. Auf den 8. Juli 1801 lud er die Herren und Damen der neuen schwarz-weißen Gesellschaft in den Gouvernementspalast von Cap Francais, um die neue Verfassung zu verkünden. 18
Schwarze Diener in roten Fräcken reichten gekühlte Fruchtsäfte herum. Die Saaltüren glitten auf, die schwarzen Offiziere salutierten, und Toussaint trat ein. Er trug die Kleidung der aristokratischen Pflanzer: blütenweiße Pantalons, eine Weste aus feiner Leinwand und um das Haupt ein weißes Tuch. Nach einer kurzen Ansprache verlas er seine Verfassung. Er selbst war darin zum Gouverneur auf Lebenszeit ernannt, mit dem Recht, seinen Nachfolger zu bestimmen. Bei diesem Nachsatz blickte jedermann auf Dessalines, der ununterbrochen trank. Die Sklaverei sei abgeschafft, hieß es weiter, doch war in dem Dokument das Wort „Gleichheit" überall vermieden. Die Stellung der Insel zu Frankreich war mit dem lapidaren Satz umrissen: „Der Erste Konsul wird mir Kommissare schicken, die mit mir verhandeln." Betroffen und schweigsam hörte die Versammlung die Paragraphen an. Es war nicht zu verkennen, daß sich in ihnen die Unabhängigkeit der Kolonie vom Mutterlande ankündigte. Und der weiße Napoleon in Paris las das ihm übersandte Dokument sorgfältig durch und faßte seine Entschlüsse. Napoleon hatte soeben eine peinliche Niederlage einstecken müssen. Sein Versuch, zur Unterbindung der englischen Seewege nach Indien Ägypten zu erobern, war gescheitert. Napoleon mußte die Welt mit einem neuen kühnen Unternehmen überraschen, um sie möglichst schnell die ägyptische Affäre vergessen zu lassen. Er beschloß, ein großes lateinamerikanisches Reich zu gründen als Block gegen Nordamerika. Es gab hierfür kein geeigneteres Sprungbrett als Haiti. Der kleine Negerhäuptling da drüben würde schon parieren. Am 8. Oktober 1801 ließ Napoleon seinen Schwager, den General Leclerc kommen, den Gatten seiner schönen und leichtsinnigen Schwester Pauline, und befahl ihm, ein Expeditionskorps von fünfundzwanzigtausend Mann auszurüsten, das so schnell wie möglich in Richtung Haiti in Marsch gesetzt werden müsse. Außerdem diktierte er einen Brief an Toussaint, der nach mancherlei Lobsprüchen mit den Sätzen schloß: „Sie haben dank Ihrer großen Begabung den Bürgerkrieg beendet und Gesetze, Religion und Gott wieder zu Ansehen gebracht. 19
Die Verfassung allerdings, die Sie erließen, enthält neben vielem Guten auch Punkte, die der Würde und Souveränität des französischen Volkes, von dem Haiti nur einen Teil ausmacht, widersprechen. Aber Sie werden der erste sein, der Frankreichs Souveränität anerkennt. Eine gegenteilige Haltung würde Sie mitsamt den tapferen Schwarzen, deren Mut wir so sehr bewundern, als Rebellen in den Abgrund reißen." Am 4. Dezember stach die französische Flotte in See. Fünfunddreißig Linienschiffe, einundvierzig Transporter, sechs spanische und vier holländische Fregatten nahmen Kurs über den Ozean. Leclerc verwahrte den Brief Napoleons in seiner Brusttasche. Pauline Bonaparte, die ihren Gatten begleitete, plauderte mit den beiden Söhnen Toussaints, die in Paris erzogen worden waren und jetzt zum Vater zurückkehren sollten; der kleine Isaac war sieben Jahre alt, sein größerer Bruder trug schon die Uniform der französischen Kadetten.
Pest, Hunger und Krieg Am 29. Januar 1802 gellten die Negertrommeln über die Landzungen und Wälder Haitis. In rasendem Galopp sprengte Toussaint, seinen Garden voraus, über die Hügel „seines" Landes. Das Herannahen einer starken französischen Flotte war ihm gemeldet worden. Als sein Pferd den letzten Erdriegel vor der Bucht von Sumana genommen hatte, lag das Meer breit vor ihm. Unter der blutroten Sonne standen die Segel. Er sprang vom Pferd, riß sich das weiße Tuch vom Kopf und winkte zum Flaggschiff der Flotte hinüber, immer wieder. Das Schiff antwortete nicht. Satt und fett lag es da, wie eingeschmolzen in den Bleikessel des Meeres. Toussaints weiße Sekretäre hatten ihn eingeholt. Er schrie sie an: „Was ist das? Ganz Frankreich kommt nach Haiti. Man hat uns getäuscht. Man will sich rächen, man will die Schwarzen knechten. Wo sind meine Generäle?" Man sandte Boten aus, um die Truppenführer herbeizuzitieren. Eine Stunde verging, bis die Meldereiter zurückkehrten und berichteten, daß General Rochambeau soeben ausrücke. Gegen wen? Rochambeau war unzuverlässig. Hielt er es mit denen auf den Schiffen? Ein anderer Berittener meldete, auch Dessalines marschiere bereits. Wer hatte ihnen den Befehl gegeben? Ein böser Blitz flammte in 20
Toussaims Augen auf, er sprach plötzlich afrikanisch, niemand verstand ihn. Die Signale zu den Schiffen hinüber wurden mit roten Tüchern wieder aufgenommen, eine Stunde lang. Dann wurden die Decks drüben lebendig: Tausende von Soldaten sangen die Marseillaise, Kampflied der Revolution und Hymne Frankreichs. Einige Schüsse fielen. Die Schwarzen sahen den Rauch, die Blitze, eine plumpe Kugel schmetterte in den Berg, nur wenige Schritte von Gouverneur Toussaint entfernt. Toussaint schrie: „Aufgesessen!", und die Kavalkade stob zum nächsten Gutshof. Dort trafen in der Nacht und am nächsten Tag die ersten schwarzen Generäle ein. Toussaint diktierte den Schreibern seine Befehle. Wo der Feind nach der Landung den Angriff versuche
Das „Kaiserschloß" von Haiti, das alle europäischen Stile in sich vereinigte und von unerhörter Pracht war, liegt heute zu Ruinen vtrfallen. 21
sollten alle Städte der Umgebung sofort in Flammen aufgehen. Die Weißen in diesen Landstrichen sollten getötet oder als Geiseln ins Gebirge gebracht werden. Die schwarzen Korps sollten zurückweichen, die Straßen zerstören, die Felder verwüsten, die Gutshäuser niederbrennen und Brunnen und Quellen mit Leichen vergiften. Alle schwarzen Kräfte sollten sich schließlich auf den Hochebenen des Gebirgs sammeln und die Angreifer anfallen, bis die Regenzeit, die Fieberzeit, komme. Der Befehl wurde sofort vervielfältigt. Jeder Anwesende erhielt ein Exemplar, auch die abwesenden Generäle Dessalines und Dommage wurden verständigt. Toussaint rechtfertigte seinen wütenden Erlaß mit den Worten: „Sie haben meine Ordnung nicht gewollt; nun sollen sie meine Unordnung kennenlernen!" Der Krieg der „verbrannten Erde" ist so alt wie der Krieg selbst. Die Geschichte zeigt, daß er meist auch seine Urheber verschlingt. Einige Offiziere Leclercs, die trotz des hohen Wellengangs mit einem Boot gelandet waren, ließen Napoleons Brief an Toussaint eiligst in der Capstadt vervielfältigen und warfen dann die Papierbündel unter die Menge. Als sie die Stadt in der Abenddämmerung verließen, sahen sie auf den öffentlichen Waffenplätzen bereits Truppen in Reih und Glied; sie wurden auf Toussaint vereidigt, ihre Offiziere verteilten Pechfackeln an die Mannschaften. Am 2. Februar gelang es der Division Rochambeau, das Fort Dauphin in die Hände der Franzosen zu bringen. Leclerc schickte die beiden Söhne Toussaints zu ihrem Vater auf sein Gut Ennery; sie sollten ihn bewegen, zu einer Unterredung auf die Schiffe zu kommen. Toussaint weigerte sich. Es war eine tragische Szene für alle, als Leclercs Abgesandte Toussaints Quartier unverrichteterdinge verließen. Der kleine Isaac blieb bei der Mutter; der Ältere kehrte zur Flotte zurück, er war auf Leclerc vereidigt und wollte seinen Schwur nicht brechen .. . Als Leclerc vor der Stadt Cap Francais kreuzte, erhielt er Feuer vom Fort Picolet. Toussaints General Jean Christophe ließ von seinen Schwarzen die Capstadt anzünden, nachdem man den Weißen gestattet hatte, sich in die Umgebung zu retten. An der Spitze der obdachlos Gewordenen ging der greise Bürgermeister 22
Telemach. Unmittelbar danach landete Leclerc. Noch am Abend dieses Tages verhängte er in der brennenden Stadt die Acht über Toussaint und alle, die mit ihm zusammengearbeitet hatten. Kurz darauf ergab sich Port au Prince den Franzosen. Der schwarze Artilleriekommandant Lacombe hatte den Schlüssel zur Schatzkammer im Meer versenkt; man machte ihn nieder, erbrach die Tresore und erbeutete zweieinhalb Millionen Francs. Das Glück schien Toussaint verlassen zu haben. Sein Freund, der schwarze General La Plume, fiel von ihm ab, nach ihm auch die Generäle Clervaux und Maurepas. Scharen von Negern, die ihren unerbittlichen „Erzieher" Toussaint haßten, liefen zu Leclerc über. Toussaint selbst erlitt in der Natternschlacht seine erste Niederlage. Währenddessen zog der „Tiger" Dessalines über die heiße Ebene von Cul de Sac. Die Stadt Leojane sank in Asche. In St. Marc zündete der schwarze General selber sein eigenes Haus an. Toussaint zog sich mit achttausend Mann in die steile Felsenfestung Crete a Pierrot zurück, die den Schlüssel zu seiner Gebirgsstellung bildete. Die Maronen liefen zu den Franzosen über. Ein Fort nach dem anderen fiel, Dessalines brannte ein Dorf nach dem anderen nieder, ohne die Einwohner zu schonen. Wo die Franzosen auftauchten, unterwarfen sich ihnen die Neger — und fielen ihnen in den Rücken, wenn sie abzogen. Freund und Feind waren nicht mehr zu unterscheiden. Die Wodupriester tanzten noch immer. Am 25. März fiel Crete ä Pierrot, aber die Franzosen hatten fünftausend Mann verloren. Leclerc weinte bei der Siegesparade, die eine Trauerparade war. Er beklagte über die Hälfte seiner Soldaten, die in den bisherigen blutigen Kämpfen verwundet oder getötet worden waren. Von seinem Expeditionskorps waren insgesamt nur noch zwölftausend Mann kampffähig. Toussaint in seinem Hauptquartier Cahos hinter Crete ä Pierrot war keineswegs verzweifelt. Finster und schweigsam erwartete er die Regenzeit, die Zeit des großen Fiebers . . .
Das große Fieber Das Fieber brach im April aus und befiel zuerst die Truppen Leclercs. Die Krankheit begann mit Kopfweh, Erbrechen und brennendem Durst. Das Gesicht wurde dunkelrot und hart, schwoll an, und 23
gelbe Flecken bedeckten den Körper. Der Kranke erbrach schwarzes Blut und starb nach kurzer Zeit unter entsetzlichen Qualen. Leclerc richtete einen Brief an Napoleon: „Die 5. Kompanie des 3. Infanterieregiments ist bis auf den Flügelmann während der Parole auf dem Exerzierplatz zusammengebrochen. Dreihundertundsechs Mann wälzten sich in Krämpfen und verwundeten sich zum Teil mit ihren eigenen Waffen. Ich habe keine Soldaten, um die Toten bestatten zu lassen. Wir warfen Kalkgruben aus und schichteten die Leichen übereinander. Die Schakale zerrten sie nachts wieder hervor. Die Haifische weigern sich, die Leichen zu verzehren, wir sehen die Toten im Hafen auf den Wellen tanzen. Es regnet unablässig. Die Neger vermehren sich wie das Ungeziefer, obwohl ich jeden Tag genügend erschießen lasse. Ich selbst bin k r a n k . . . " Napoleon antwortete mit einem Verweis, der Schwager möge von jedem Mittel Gebrauch machen, auch vom Verrat: „Ich dulde nicht, daß noch eine einzige Epaulette auf den Schultern eines Negers sitzt." Verrat? Solche Kunst wollte erlernt sein, und Leclerc erlernte sie bald. Er bombardierte Negerbeamte und schwarze Generäle mit Versprechungen. Sein General Rochambeau schrieb einen äußerst liebenswürdigen Brief an Charles Beiair, um ihn zum Abfall zu bewegen. Man umwarb Dessalines und verstand es, ihn auf Beiair eifersüchtig zu machen. Leclerc und General Fressinet, mit dem Toussaint unter Laveaux gedient hatte, schrieben Briefe an den Diktator, er möge im Namen des gemeinsamen Vaterlandes dem schrecklichen Blutvergießen ein Ende machen. Toussaint blieb fest. Er antwortete kühl, er sei entschlossen zu siegen oder zu sterben, er werde aber einen Frieden annehmen, der auf der Grundlage voller Gleichberechtigung aufgebaut sei. Leclerc unterließ es nicht, dem Neger Jean Christophe von diesem Schreiben Kenntnis zu geben, und Jean Christophe begann, sich in eine Doppelrolle hineinzuspielen. Bei einer Unterredung mit dem schwarzen Oberbefehlshaber in dessen Hauptquartier Fort Marmelade schilderte er die Verzweiflung der Franzosen, verschwieg aber, daß er bereits mit ihnen in Fühlung getreten war. Toussaint durchschaute ihn zwar, doch es graute ihm, Hand an den alten Freund zu 24
Von diesem Regierungssitz in Port au Prince aus wird heute die Negerrepublik Haiti mit etwa vier Millionen Einwohnern verwaltet. 25
legen, der ihn immer wieder seiner Treue versicherte. Er befahl ihm schließlich, zu seinen Regimentern zurückzukehren. Sobald Christophe Fort Marmelade verlassen hatte, richtete er eine Botschaft an das Volk von Haiti, in der er den allgemeinen Frieden verkündete. Seine Trompeter ritten von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt. Die Botschaft trug das Siegel der Echtheit, denn Christophe kam ja unmittelbar aus Toussaints Hauptquartier. Er übergab Lime und Fort Francais den Franzosen, die Einwohner der Capstadt kehrten glücklich und mit Hab und Gut in ihre verwüsteten Häuser zurück. Toussaint sandte seine Reiter über die Insel bis in den ehemals spanischen Teil hinein, um die falsche Prophetie Christophes zu widerrufen. Dann brach er vom Lager Grande Riviere auf, stellte sich an die Spitze der schwarzen Scharen und suchte von neuem den Kampf. Aber schon bald nach dem Aufbruch schlug eine ungeheure Müdigkeit ihre Flügel über dem Mann zusammen, der schweigsam und eilig den Seinen vorangesprengt war. Irgendeine Gewalt hatte ihn gebannt, das Urteil war über ihn gesprochen, die Macht, die er um der Freiheit seines Volkes willen erstrebt, erschien ihm plötzlich als entsetzlicher, blutiger Wahn, und er war nichts als der Sklave dieser blutbefleckten Göttin, die mehr Opfer verschlang, als sie verdauen konnte. Toussaint wollte nicht mehr. An einem der nächsten Tage traf in der Abenddämmerung ein Eilbote Leclercs im Lager ein und überbrachte ein Schreiben. Toussaint schickte alle Offiziere hinaus. Nur seinen Sekretär behielt er zurück. Dann erbrach er den Brief: „General, lassen wir ab von diesem sinnlosen Gemetzel. Ich mache Ihnen folgenden Vorschlag: Sie bleiben wie vordem Gouverneur und General en chef der Kolonialarmee von Haiti. Alle Ihre Offiziere behalten ihren Rang. Ich selbst bleibe auf Haiti als Vertreter der französischen Regierung, um beim Wiederaufbau des Landes mitzuwirken. Ich schwöre bei Gott, die Freiheit und Unabhängigkeit des Volkes von Haiti zu respektieren. Leclerc, Generalkapitän" Toussaint las stehend den Brief. Er entglitt seiner Hand. Der Sekretär stürzte herbei und hob ihn auf. Erschöpft wandte sich Toussaint zum zweiten Sekretär, der gekrümmt im Kerzenlicht saß und befahl: Schreiben Sie: 26
„Generalkapitän, ich nehme Ihre Bedingungen an, die die Unabhängigkeit meines Volkes und den Zustand meiner Armee garantieren. Für meine Person indessen verzichte ich auf alle Ämter und Würden. Ich werde mich in das Privatleben zurückziehen und nur meinen Garten in Ennery bebauen. Toussaint Louverture." Als der Bote sich entfernt hatte, ließ Toussaint die Trommel rühren und verlas seinen Offizieren die beiden Briefe. Dann zog er sich zurück. Leclerc hob die über Toussaint verhängte Acht auf. Da nun der Friede gesichert schien, verlangten die französischen Grenadiere die Heimkehr nach Frankreich. Eine Kompanie kranker Soldaten erstürmte bei Nacht einen Segler, um sich einzuschiffen. Aber das Schiff war stumm: der schwarze Tod war der Kompanie zuvorgekommen, die ganze Besatzung des Seglers lag tot in den Kojen. Toussaint begab sich ohne Furcht und auf die Vereinbarungen vertrauend in das Hauptquartier seines Gegners. Als er durch die Capstadt ritt, jubelte das Volk noch einmal dem Kaiser Haitis zu. Die Menseben knieten nieder, wo er einherzog, die Frauen hielten ihm ihre Kinder und Schalen mit Früchten entgegen. Leclerc umarmte den Mann, der den Frieden gebracht hatte, und Toussaint erreichte unter Tränen, daß seine schwarzen Generäle in die französische Armee übernommen wurden, auch Dessalines. Dann ritt er nach seinem Gut Ennery, legte die Uniform ab und lebte während der Frühlingsmonate in Frieden mit Frau und Kind. Er empfing Besuche aus aller Welt, auch aus England, mit dem Frankreich sich vorübergehend verständigt hatte. Aber Leclerc war nicht gesonnen, die Dinge auf sich beruhen zu lassen. Während die Pest weiterhin die französische Armee dezimierte und bis auf fünftausend Mann verschlang, sann er auf Verrat und suchte nur noch nach einer geeigneten Gelegenheit, sich des gefürchteten Negerführers zu entledigen. Gegen einen Ehrendegen, ein paar Pistolen und eine Handvoll Dukaten schrieb in seinem Auftrag Dessalines einen Brief an Leclerc, Toussaint bereite eine Verschwörung vor. Eine Abschrift des Briefes ging an den Gutsherrn von Ennery. Toussaint verteidigte sich nicht. Er floh auch nicht, als ihm der An27
marsch des französischen Generals Brunnet gemeldet wurde; ohne Gegenwehr ließ er sich gefangen nehmen. Um Mitternacht wurde er auf die Fregatte „Creole" gebracht. Zum ersten Male bestieg er ein Schiff. In der Capstadt ging er auf den Segler hinüber, an dessen Bug der Name „Heros" flimmerte. In derselben Nacht plünderten die Grenadiere Brunnets das Haus Toussaints in Ennery und zündeten es an. Man brachte auch die Familie und die Dienerschaft an Bord des „Heros"; das Schiff lichtete die Anker und landete nach einer Gewaltfahrt von sechsundzwanzig Tagen in Brest. Der Kapitän berichtete Napoleon, Toussaint habe erklärt: „Mit mir ist der Stamm des schwarzen Freiheitsbaumes gestürzt; die Wurzeln werden treiben, sie sind tief und zahlreich. Das Marineministerium verfügte, daß Toussaint zunächst in der Festung Brest verwahrt werden solle. Er dürfe seinen Diener Mars Plaisir behalten, die Familie aber solle von ihm getrennt leben. Die Frauen und Isaak wurden in Bayonne interniert, Placide nach Bei Isle en Mer verbracht. Einige Tage später kam der endgültige Befehl: die Konsuln der Republik haben angeordnet, daß Toussaint Louverture nach Fort Joux an der Schweizer Grenze transportiert und dort eingesperrt werde. Sein Diener dürfe ihn begleiten. Toussaint nahm Abschied von seiner Familie. Er verlor weder Würde noch Fassung, als er sich von allem löste, was ihm teuer war, er ließ dem Kapitän danken. Dann trat er seine Fahrt an. Nach drei Wochen stieg der Wagen mit dem Verbannten gegen den verschneiten Schweizer Jura. Es war September geworden. Das Land glänzte. Die Türme eines mittelalterlichen Forts tauchten ihre Helme in das Licht. Die Zugbrücke schnarrte über den breiten Graben, dann kappte meterdicke Finsternis alle Flelligkeit.
Napoleons Rache Toussaint sitzt auf dem einzigen Stuhl seiner Zelle. Das Fenster ist vergittert. Vor dem Auge bleicht Eis. Es ist rot gefärbt, man sieht die Abendsonne nicht, nur ihre rote Zunge. Der Wärter schlägt den Holzladen zu, nun ist es Nacht. 28
Napoleon ist noch nicht befriedigt. Toussaint ist ein Neger, der ihm zwanzigtausend Soldaten verzehrt hat; er ist ein Tölpel, der ihm einen gewaltigen Plan zerschlagen hat; er hat Verträge mit den Engländern geschlossen, hat irgendwo Massen von gemünztem Gold vergraben. Dieses schwarze Phantom ist ein Teil des unberechenbaren, gänzlich unmathematischen Schicksals, das aus dem Chaos heraus die Welt seines grenzenlosen Willens bedroht, ein Ungeheuer, das nicht leben darf. Napoleon läßt sich täglich Bericht erstatten und trifft persönlich die Anordnungen. Der Diener wird entfernt, Reis und Kartoffeln werden gekürzt. Jede Nacht dringen Wächter ein, reißen den Gefangenen aus dem Schlaf, fragen ihn aus, was er mit den Engländern abgemacht und wo er seine Schätze vergraben habe. Er darf nicht mehr zu dem täglichen Rundgang in den Kerkerhof. Die große Welt braust auf. Ausländische Zeitungen bringen lange Spalten über den Fremdling. Die Engländer erneuern den Krieg und kapern Schiffe. Man verschärft die Haft und nimmt dem einsamen Gefangenen die Uhr, das Rasierzeug, das Taschentuch - aber das Phantom geht weiter im Volke um. Ein Mensch verkleidet sich als Priester und dringt bis in die Zelle Toussaints vor, um mit ihm Verbindung aufzunehmen. Die Wärter werden strafversetzt. Ein Wahnsinniger verlangt vom Kommandanten den Schlüssel zu Toussaints Zelle: er wolle den Neger zum König der Vendee ausrufen. In Marseille greift man drei Schwarze auf. Sie stammen fatalerweise aus Haiti. Man kerkert sie ein. Dann kommt der Winter. Das Fort zittert unter Schneestürmen. Das Thermometer zeigt dreißig Grad unter Null. Man kürzt das Holz. Dann wird Cafarelli zu dem Eingekerkerten geschickt. Cafarelli ist Spion. Er soll Toussaint das Geheimnis der vergrabenen Schätze entreißen. Toussaint ist krank. Hustenstöße erschüttern ihn. Er ist dem Tode nahe, aber er hat kein Geheimnis. Seine Verbindungen mit England sind über den amerikanischen Konsul in Port au Prince gegangen, der britische General Maitland hat ihm als Zeichen seiner Hochachtung ein Zaumzeug geschenkt, die Amerikaner haben zehntausend Gewehre und hundert Fässer Pulver in Mehlfässern durch die Blok29
kade geschmuggelt und er hat sechzehn Kanonen von ihnen gekauft. Das ist alles. Und die Schätze? Man möge die Rechnungsbücher prüfen — er besitze nichts mehr, als was er am Leibe trage. Er wünsche nur seine Frau und seine Kinder wiederzusehen. Als nach Wochen der Ringkampf mit Cafarelli beendet ist, nimmt der Spion ein schmales blaues Heft mit, in das Toussaint seine Angaben niedergeschrieben hat. Am 7. April 1803 findet der Wärter um elf Uhr morgens Toussaint Louverture auf dem Stuhl neben dem Fenster sitzend, die Stirn gegen den Kamin gelehnt. Das stoppelige Gesicht ist voller Frieden. In den Augen spiegelt sich der Tod. Man begräbt Toussaint Louverture im Keller des Kerkerbaus. Dies ist das Ende Toussaints, nicht das Ende der Revolution auf seiner Heimatinsel. Leclerc stirbt an der Pest. Dessalines übernimmt die Herrschaft und läßt sich nach französischem Zeremoniell in der Capstadt zum Kaiser krönen. Am Abend wirft er den Prunkmantel ab und tanzt mit dem schwarzen Volk vor der Woduschlange. Nach der Ermordung Dessalines' besteigt General Jean Christophe, der ehemalige Kellner, den Thron Haitis als König. Baumeister aus aller Welt, auch Deutsche, erbauen ihm im Urwald der Insel ein Schloß, halb Heidelberg, halb Sanssouci, dazu eine Festung. Das Prachtschloß zeigt alle Stile Europas, von der Gotik bis zum Rokoko, und das Fort Henri wird die größte Befestigungsanlage der Welt. „König Henri", der sich den ersten gekrönten König der Neuen Welt und Verteidiger des Glaubens nennt, verfällt dem Größenwahn. Er stiftet mehrere Orden und adelt seine Officiere — unter ihnen gibt es einen „Herzog von Limonade" und einen „Grafen von Pfauenfeder". Dann bricht der offene Wahnsinn bei ihm aus. Er verübt beispiellose Grausamkeit, um sein Volk zur Tugend zu erziehen, und plant den Bau von Pyramiden. Die Insel erhebt sich erneut zur Revolution; sie nimmt in der Gestalt der „Pfahlmänner" die Form des Kommunismus an. König Henri zieht sich auf seine Festung zurück. Dann kommt jene Nacht, in der die Pfahlmänner gegen das Fort stürmen. Der Himmel donnert und blitzt. Der irre König hastet zu den Geschützstellungen und schreit: 3C
„Alle Batterien feuerfertig! Rohre gegen den Himmel!" Die Kanoniere gehorchen. Aus dreihundert senkrecht aufgerichteten Rohren fährt das Feuer gegen das schwarze Gewölk: König Henri liefert Gott eine Schlacht! Der Angriff der Pfahlmänner wird abgeschlagen. Henri feiert den Sieg auf seine Weise: er läßt wie weiland Herodes dem Täufer Johannes seinem Hofkaplan das Haupt abschlagen und es auf goldener Schüssel an seine Tafel bringen. Kurz darauf erschießt er sich mit einer silbernen Kugel aus seiner Prunkpistole und wird im Keller des Forts begraben. Die Geschichte Haitis ist bis auf unsere Tage mit Blut getränkt: fast kein Präsident des Insellandes, das später in die Republik Haiti und in die Dominikanische Republik geteilt wurde, stirbt eines natürlichen Todes. Werden die Wurzeln des schwarzen Freiheitsbaumes treiben, wie Toussaint es prophezeit hat? Afrika, der schwarze Kontinent, gibt in unserer Zeit die Antwort.
Umschlagestaltung: Karlheinz Dobsky Fotos: Bilderdienst Ullstein, Karte Seite 5 Unesco. Bild auf dem Umschlag: Die Festung König Henris, des ehemaligen Sklaven Jean Christophe; Titelbild: Toussaint Louverture, der „Schwarze Kaiser". L u x - L e s e b o g e n 3 5 2 (Geschichte) H e f t p r e i s 3 0 P f g . Natur- und Kulturkundhche Hefte - Bestellungen (vlerteljährl 6 Hefte DM 1.80) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt. — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in Jeder guten Buchhandlung vorrätig. — Druck: Hieronymus Mühlberger. Augsburg — Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München. — Herausgeber: Antonius Lux.
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