Talon Nummer 15 „Jagdbeute“ von Thomas Knip
an und verschwand im dichten Dunst, der den Himmel bedeckte. Vor zwei Tage...
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Talon Nummer 15 „Jagdbeute“ von Thomas Knip
an und verschwand im dichten Dunst, der den Himmel bedeckte. Vor zwei Tagen hatte er die Grenze zum Südsudan überschritten. Es war etwas mehr als eine Woche her, dass er von Shions Tempel aufgebrochen war und sich Richtung Osten gewandt hatte. Er wusste selbst nicht, wohin ihn sein Weg führte. Nachdem er dem schwarzen Löwen erklärt hatte, dass er dessen Nachfolge im Tempel nicht annehmen wollte, streifte er ziellos durch die Savanne. Sobald er den Dschungel verlassen hatte, atmete er innerlich auf und genoss die Freiheit, die ihm die karg bewachsene offene Landschaft bot. Die Intensität, mit der die Farben und Gerüche der Pflanzen und Bäume auf ihn eingeströmt waren, hatte ihm in all den Tagen, in denen er sich im Dschungel aufgehalten hatte, schier die Luft zum Atmen geraubt. Doch noch etwas anderes waberte fast greifbar in der Umgebung der uralten Tempelanlage, die tief verborgen zwischen den Baumriesen lag. Etwas hatte die Landschaft verändert, seitdem Eser Kru versucht hatte, die schwarze Kraft in den Tempelmauern freizusetzen. Der Magier, dessen zu Staub zerfallene Überreste vom Wind davon getragen
1. Talon betrachtete sich den Kadaver der Antilope, der im halbhohen blassgelben Gras der Savanne lag. Er legte einen Finger auf das rötlich schimmernde Fleisch und verscheuchte dabei eine Vielzahl der Fliegen, die sich daraufhin mit einem nervösen Summen an einer anderen Stelle versammelten. Das Fleisch war noch warm. Es mochte keine halbe Stunde her sein, dass die Antilope den Tod gefunden hatte. Sie war keinem Raubtier zum Opfer gefallen. Zumindest keinem, das seinen Hunger stillen wollte. Fast unversehrt lag der schlanke Körper des Tieres vor ihm. Doch es war der ganzen Länge nach gehäutet worden. Das Fleisch hatte seinen Jäger nicht interessiert. Nur das Fell war mitgenommen worden. Und die Schädelplatte mit dem langen Geweih. Das Blut, das aus der offenen Stelle am Kopf geflossen war, hatte den Boden in einer großen Lache rings um den Kadaver dunkel gefärbt. Talon erhob sich aus seiner knienden Position und ließ seinen Blick schweifen. Die leicht gewellte Hügellandschaft stieg zum Osten hin 2
mehr als ein, zwei Kilometer vom Standpunkt des Schützen entfernt. Ohne wirklich zu wissen, was ihn antrieb, hastete er los. Mit weiten Schritten durchschnitt der muskulöse Körper das trockene Savannengras, das sich raschelnd hinter ihm schloss. Die Augen des hochgewachsenen, schlanken Mannes mit den rotbraunen Haaren visierten verschiedene Punkte in der Landschaft an und sondierten sie. Er suchte nach Anhaltspunkten, die ihm einen Aufschluss über die Position des Jägers gaben. Ein zweiter Schuss zerriss die träge Ruhe des Nachmittags. Erschrocken das drang leise Krächzen von Vögeln an Talons Ohren. Sein Blick suchte den Horizont ab und entdeckte mehrere dunkle Punkte, die nach oben davon stoben. Aufgeschreckt versammelte sich der Vogelschwarm hoch über dem Boden und kreiste abwartend über der Stelle, von der er aufgestiegen war. Der Punkt lag kaum einen halben Kilometer von Talon entfernt. Er beschleunigte seine Schritte. Seine nackten Füße berührten dabei kaum die trockene, brüchige Erde. Knorrige Akazienbäume warfen mit ihren weit ausladenden Kronen große Schatten auf den Boden. Ihre Stämme standen bald so dicht beieinander, dass sie einen freien Blick erschwerten. Das Geräusch des nächsten Schusses vermischte sich mit dem leisen, aufheulenden Jaulen eines Motors, das rasch lauter wurde. Talon kniete sich nieder und verbarg sich im Unterholz eines der Bäume.
worden waren, hatte die Zeit selbst angegriffen und die Vergangenheit in die Gegenwart gerissen. Talon verstand es selbst kaum. Eser Kru hatte einen Dutzende von Kilometern durchmessenden Kreis erschaffen, in dem die Zeit anders verlief. Er hatte es selbst feststellen können, als er durch einige der Dörfer gekommen war, die am Rand dieser Zone lagen. Jegliches technische Gerät, das an die Moderne erinnern konnte, fehlte. Und die Menschen bewegten sich schlafwandlerisch, als seien sie gefangen in einem Traum, der sie in eine andere Realität zwängte. All das, was geschehen war, seitdem er Shions Ruf gefolgt war, erschien ihm so unwirklich. Als sei er all die Zeit in einem wirren Traum gefangen gewesen, aus dem er nun langsam erwachte. Der durchdringende Geruch des verwesenden Körpers holte ihn endgültig zurück in die Realität. Die Antilope war nicht von jemandem erlegt worden, der auf der Suche nach Nahrung war. Das Tier hatte für die Sucht nach billigen Trophäen sein Leben lassen müssen. Talon wusste, dass er sich hier im südlichen Ausläufer eines Nationalparks befand, in dem Jagen untersagt war. Doch noch viel mehr erstaunte es ihn, dass jemand trotz des tobenden Bürgerkriegs die Muße fand, auf die Jagd zu gehen. Das Bellen eines Schusses durchschnitt die Stille der Savanne. Talons Kopf fuhr herum. Langsam verhallte das Echo des Knalls. Die tiefblauen Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Er war nicht 3
aus dem gegenüberliegenden Ende der offenen Lichtung. Der Motor röhrte unangenehm laut auf. Ruckend kam der schwere Wagen zum Stehen. Sofort öffneten sich die Seitentüren, und zwei Schwarze sprangen aus dem Innenraum. Einer von ihnen hielt eine lange Stange in der Hand, während der andere bereits im Laufen gekonnt ein Netz ausbreitete, das er mit beiden Armen hielt. Überrascht sahen sich die Männer Talon gegenüber, der auf die tote Löwin zusprang. Nur mit einem Lendenschurz bekleidet passte der halbnackte Mann mit weißer Hautfarbe nicht zu dem, was sie erwartet hatten. Unschlüssig blieben sie stehen und warfen einen Blick in das verdunkelte Foyer des Wagens. Aus dem beigefarbenen Rover löste sich ein Schatten, der sich durch eine Öffnung im Dach nach oben schob. Der Mann bildete einen völligen Kontrast zu den beiden, die den Wagen bereits verlassen hatten. Nicht nur die gepflegte Kleidung unterschied ihn von den Afrikanern, die gespannt abwarteten. Auch die hellere Hautfarbe wies auf eine andere Herkunft hin. Während der Mann, dessen Gesicht halb durch einen Hut verdeckt wurde, den beiden Schwarzen einen Befehl auf Arabisch gab, zog er sein Jagdgewehr vom Sitz und legte es vor sich auf das Dach des Geländewagens. Die beiden Männer, die nicht mehr als ein ausgeblichenes T-Shirt und eine speckige Jeans trugen, sahen sich trotz der Anweisung unschlüssig an. Ein weiterer scharfer
Sein Blick richtete sich auf eine offene Fläche zwischen den verkrümmt gewachsenen Stämmen. Er spürte etwas, das sich ihm mit hoher Geschwindigkeit näherte. Etwas Vertrautes, das ihn mit Unruhe erfüllte. Dann brach die Löwin aus dem Schatten der Bäume aus und hastete über die kaum bewachsene Lichtung direkt auf den Mann zu, ohne ihn bisher wahrgenommen zu haben. Talons Herz schlug schneller. Seitdem ihn das Rudel verstoßen hatte, hatte er den Kontakt zu den Löwen der Umgebung völlig verloren. Sie mieden ihn aus Furcht wegen seines Sieges über Shion. Nahezu lautlos erhob er sich aus dem Unterholz. Die Löwin war kaum dreißig Meter von ihm entfernt. Aus seiner Kehle lösten sich tiefe, grollende Laute, von denen er selbst nicht wusste, wann er sie sprechen gelernt hatte. [Hierher, rasch!] drang seine Stimme über die Lichtung. Die Löwin hielt inne. Überrascht sah sie die Silhouette des Mannes im Schatten des Akazienbaums und wusste nicht, wie sie das Gehörte mit dem Bild in Verbindung bringen sollte. Doch noch bevor sie die Richtung ändern konnte, bellte ein weiterer Schuss auf. Der kräftige Körper wurde von der Wucht des Geschosses getroffen und mitten im Lauf durch die Luft gewirbelt. Mehrmals überschlug sich die Raubkatze und blieb dann regungslos im Gras liegen. „Nein!“ schrie Talon auf und jagte aus seiner Position hervor. In diesem Augenblick brach ein Geländewagen 4
Nachdem die beiden Schwarzen ihre Überraschung überwunden hatten, verständigten sie sich mit kurzen Rufen. Die Jahre der Erfahrung bei der Jagd nach Tieren ließ sie Hunderte Male eingeübte Handgriffe und Aktionen mit einer Gekonntheit durchführen, die keinen Unterschied dabei machte, ob es sich bei der Beute um ein Tier oder einen Menschen handelte. Talon musste mehrmals die lange Stange abwehren, die immer wieder seine Deckung durchbrach und sich schmerzhaft in seinen Körper bohrte. Der Angreifer konnte dabei außer Reichweite von Talons eigenen Attacken bleiben und umging den Weißen wie ein Tier, das er in die Enge getrieben hatte. Von einer Wildheit erfüllt, die ihn lange nicht mehr durchströmt hatte, setzte Talon nach und ließ dabei für einen Augenblick das Netz außer Acht. Erst als er das Rascheln der feinen Schnüre hörte, wandte er sich um und hob schützend den Arm an. Das Maschengespinst glitt von der Haut ab und wurde sofort von dem zweiten Mann zurückgezogen, doch Talon packte das Netz mit der Linken und riss den Farbigen mit aller Kraft zu sich her. Durch die Wucht des Angriffs kam der Mann ins Straucheln und stolperte zu Boden. Ein erschrockener Schrei löste sich von seinen Lippen. Er blickte hoch und sah den Schatten des Mannes, der den Arm mit dem Messer emporhob. Doch noch bevor die Waffe herabstoßen konnte, wurde der Kopf des Mannes zur Seite geschleudert. Wie in Zeitlupe löste sich das Messer aus
Ruf vom Wagen trieb sie vorwärts. Sie taxierten den Weißen, der nun neben der Raubkatze in die Knie ging und sie untersuchte. Sekunden später richtete er seinen Blick auf die Schwarzen, die sich vorsichtig näherten. Sie zuckten förmlich unter dem Blick zusammen, in dem viel mehr die Wildheit eines Tieres als der Verstand eines Menschen zu schimmern schien. Knurrende Laute lösten sich von Talons Lippen. Wut und Schmerz brannten wie ein loderndes Feuer in seiner Brust. Er sah, wie die Afrikaner versuchten, ihn zu umzingeln. Lauernd erhob er sich, die Muskeln bis aufs Äußerste angespannt. Nervös zupfte der Mann mit dem Netz an den Maschen und achtete darauf, sich nicht in einem der Enden zu verfangen, die über den Boden schleiften. Sein Partner stieß mit dem langen Stock, an dessen einem Ende eine Schlaufe befestigt war, zögerlich nach dem Mann mit der hellen Hautfarbe. Die Situation erschien so unwirklich, dass er ungewollt kicherte. Erst die scharfen Worte vom Landrover brachten ihn wieder zur Besinnung. Der Mann schrie ihnen auf Arabisch zu, sich um den Weißen zu kümmern. Diese Worte verstand auch Talon, der diese Sprache lange nicht mehr gehört hatte. Seine Hand tastete nach hinten und zog ein altertümlich anmutendes Messer aus der Schlaufe, die seinen Lendenschurz hielt. Matt schimmerte die Klinge, deren Oberfläche mit einem feinen Muster verziert war, in der hoch stehenden Sonne auf. 5
das ihre Freundin zufrieden stellen sollte. Diese ließ sich damit jedoch nicht abspeisen. „Komm“, forderte Giulia Mendes sie auf und legte die passende Anzahl von Rand auf den Tisch. „Ich bring’ dich jetzt nach hause. So hat das ja keinen Sinn!“ „Tut mir leid“, brachte Alice hervor. Sie schüttelte ihre schulterlangen, gewellten dunkelblonden Haare und hielt den Kopf gesenkt. „Ich weiß nicht, was mit mir los ist“, wollte sie sich entschuldigen, während sie ihre Einkaufstüten packte. „Was mit dir los ist? Du bist überfallen und fast getötet worden. Das ist passiert!“ klärte Giulia ihre Freundin auf. Die aus Brasilien eingewanderte Journalistin winkte ein Taxi herbei. Als der Wagen hielt, schob sie ihre Freundin auf den Rücksitz und setzte sich neben sie, dann nannte sie dem Fahrer eine Adresse im Westen, in der Nähe der gewaltigen Dockanlagen des Hafens. „Das war vor über einem Monat, Gilli“, begehrte Alice auf. „Ich sollte da langsam drüber hinweg sein.“ „Klar“, warf die Frau mit der dunkel getönten Haut ein. „Deshalb bist du ja auch ausgezogen und hast dir ein Quartier am anderen Ende der Stadt genommen -“ Der Wagen musste wegen eines anderen, der plötzlich die Spur wechselte, heftig bremsen. Die Brasilianerin fluchte gründlich und schnauzte den schwarzen Fahrer an, sie gefälligst lebend ans Ziel zu bringen. Der Mann schluckte eine Bemerkung geflissentlich herunter und konzentrierte sich auf den Verkehr.
der Hand und fiel zu Boden. Nur einen Herzschlag später sackte auch Talons Körper zur Erde. Grinsend stellte sich der Mann mit der Stange vor seinem Partner auf und reichte diesem die Hand, während er den schweren Metallstab in den Boden rammte. Dennoch stupste er dem Weißen, den er mit der Stange niedergeschlagen hatte, vorsichtig in die Seite und vergewisserte sich, dass dieser außer Gefecht gesetzt war. 2. Alice Struuten schrak zusammen. Klirrend setzte die Tasse auf dem Unterteller auf, während der Kaffee in einer breiten Bahn über den Rand schwappte. „Heyhey, ist schon gut! War nur’n Auspuff.“ Eine schlanke Hand legte sich beruhigend auf ihren Unterarm. Besorgt beugte sich eine Frau mit leicht gewellten, tiefschwarzen Haaren vor, die bis zur Taille reichten. Giulia Mendes blickte ihrer Freundin forschend in die Augen. Sie hatte sich zusammen mit Alice verabredet, um mit der jungen Frau einen Stadtbummel zu machen, damit die Fotografin endlich wieder auf andere Gedanken kam. Im Augenblick saßen sie in einem Straßencafé am Greenmarket Square und wollten den anbrechenden Frühling in Kapstadt genießen. Doch Alice benötigte mehrere Minuten, bis sich das unwillkürliche Zittern in ihrem Körper wieder gelegt hatte. Ein hilflos wirkendes Lächeln löste sich verkrampft von ihren Lippen, 6
ganze Eis selbst verdrücken?“ Auf ihrem Weg durch das Treppenhaus nach oben plärrten ihnen mehrere Fernsehapparate durch die geschlossenen Türen entgegen. Alice war froh, als sie endlich ihre Wohnung im fünften Stock erreicht hatte. Ein Aufzug war in dieser Gegend ein Luxus. Sie kramte in ihrer Handtasche und suchte nach dem Haustürschlüssel. „Al?“ unterbrach sie Giulia Mendes. „Was ist denn?“ Endlich hatte sie den Schlüssel in der Hand. Fragend sah sie ihre Freundin an, die ihr die Antwort noch schuldig geblieben war. Die Brasilianerin legte schweigend ihre rechte Hand gegen das Holz der Tür und drückte sie ohne Probleme nach innen. Leicht schwang die Tür zur Seite und gab den Blick auf den Flur frei. „Nein…“ flüsterte Alice entsetzt und ließ den Schlüssel wieder in der Tasche verschwinden. „Bitte nicht“, brachte sie nur hervor. Ihre Freundin wies sie mit einer Handbewegung an, zu schweigen und lauschte. Nach einer Weile nickte sie kurz und drückte die Tür dann auf. „Bist du verrückt?“ presste Alice leise zwischen ihren Lippen hervor. „Wir wissen doch gar nicht, ob noch jemand drin ist!“ „Die Wohnung ist leer“, behauptete Giulia kurzentschlossen und trat ein. Sie kommentierte das Bild, das sich ihr bot, mit einem leisen Pfiff. Über den Flur ließ sich ein Blick in jedes Zimmer der kleinen Wohnung werfen. Und jedes Zimmer war verwüstet worden. Schubladen waren aus ihrer Halterung gerissen
„Das war kein normaler Überfall, Al. Nicht, so wie du mir die Männer beschrieben hast. Einbrecher tragen keine Maßanzüge. Mir kommt das eher so vor, als wärst du jemandem auf die Füße getreten.“ „Aber wem denn?“ brach es aus der Fotojournalistin hervor. „Ich mach’ Berichte für Reisemagazine oder ab und zu den ‚National Geographic’. Manchmal auch für Firmen, ja. Aber das ist doch harmlos!“ „Vielleicht ein Ex…“ „Gill!“ fuhr Alice sie an und blickte ihrer Freundin wütend in die Augen. „’tschuldige, Liebes. War ’ne blöde Bemerkung.“ Wie um sich selbst zu schützen, zog Alice Struuten die Einkaufstüten fester zu sich her und sah schweigend aus dem verschmierten Seitenfenster. Den Rest der Fahrt verbrachten die beiden Frauen schweigend nebeneinander. Je weiter das Taxi in den Hafenbereich kam, desto mehr ebbte der Verkehr ab. Gleichförmig zogen sich Reihen von Mietskasernen die geraden Straßen entlang. Auf eine Bemerkung von Alice stoppte das Taxi. Die junge Frau rundete den genannten Betrag nur wenig nach oben auf und zwängte sich aus dem Wagen. Kurz sah sie an der kalkweißen Fassade des unscheinbaren Hauses empor, das im Sonnenlicht grell aufleuchtete. „Soll ich noch mit rauf kommen?“ fragte Giulia und sah ihre Freundin abwartend an. Alice lächelte schwach und legte ihren Kopf kurz an die Schulter der Frau, die etwas größer als sie selbst war. „Klar. Oder meinst du, ich will das 7
habe sie die Antwort auf eine lange gestellte Frage gefunden. Erst nach einer Weile sah sie ihre Freundin an. „Ganz besondere, Gill. Ganz besondere. Von etwas, das es gar nicht geben dürfte.“ Ihre Erinnerungen kreisten um einen Tempel, tief im Dschungel verborgen und einen Mann, der mit einem schwarzen Löwen kämpfte...
worden, der Inhalt lag weit über den Boden verstreut. Alice war nun auch in ihre Wohnung eingetreten. „Nein, oh nein!“ schrie sie leise auf. Sie zwängte sich an der dunkelhäutigen Frau vorbei und betrat den Wohnbereich. Trotz des Chaos, das sich ihr bot, konnte sie schnell erkennen, dass es die Einbrecher nicht auf Wertgegenstände abgesehen hatten. Sie verließ das Zimmer und hastete in einen weiteren Raum, den sie auch als Dunkelkammer für ihre Fotografien benutzte. Unwillkürlich flossen ihr Tränen über das Gesicht, als sie die Zerstörung betrachtete, die dort angerichtet worden war. Die schmalen Fächer, in denen sie die Negative ihrer Filme aufhob, waren vollkommen geplündert worden. Hilflos zuckte ihr Kopf herum und suchte den Raum ab. Dann brannte sich ihr Blick auf einer Stelle fest. Sie trat an die Wandtafel heran, an deren oberen Ende einige leere Klammern schief in der Verankerung saßen. An mehreren von ihnen konnte sie die Fetzen von Fotopapier erkennen. Sie legte die Hand gegen das helle Metall der Tafel. Die Gedanken tanzten wild durch ihren Kopf. Langsam trommelten ihre Finger gegen die kühle Oberfläche, während sich in ihr ein Bild formte. Giulia war neben sie getreten und besah sich verständnislos die leere Tafel. „Was für Bilder hattest du denn dort aufgehängt?“ fragte sie die Fotografin. Alice Struutens Kopf machte nickende Bewegungen, als
3. Leichte Schläge gegen seine Wangen brachte Talon wieder zur Besinnung. Unwillkürlich wollte er die Hand abwehren und merkte erst jetzt, dass er in seinen Bewegungen eingeschränkt war. Langsam erst klärten sich die Schleier vor seinen Augen, und im gleichen Maße drangen auch nun die Geräusche aus der Umgebung zu ihm durch. Seine Unterarme ruckten hoch und wurden auf halbem Weg zurückgehalten. Talon kniff die Augen zusammen, um den Blick endgültig zu klären und sah die dicken Stricke, die seine Unterarme umschlangen. Sie liefen an einem Gurt zusammen, der um seine Hüfte gebunden war und umschnürten auch seine Fußknöchel. Jetzt erst wurde ihm bewusst, dass er auf dem Boden lag. Er warf den Kopf herum und sah sich mehreren Augenpaaren gegenüber, die ihn aus dem Dämmerlicht hell anstrahlten. Aus den Silhouetten, die wie er am Boden kauerten, löste sich eine Frage. Talon setzte eine verständnislose Miene auf. Erneut wurde die Frage gestellt. Es dauerte, 8
unseren eigenen Leuten!“ Angewidert spuckte der Mann aus und stieß mit dem linken Fuß etwas Erde weg. „Manche von uns sind nicht bereit zu kämpfen. Weder für die Befreiungsfront, noch für die Befreiungsarmee oder die Unabhängigkeitsbewegung. Andere von uns haben gekämpft, nur leider für die falsche Gruppe. Und Ibn Said profitiert von unserer Uneinigkeit.“ Der Schwarze schüttelte den Kopf und stellte sich Talon als ‚Husa’ vor. Dieser nannte seinen Namen, den der ältere Mann mit Stirnrunzeln hörte. Dann fuhr er fort. „Und Masud Ibn Said verdient an ihnen allen. Früher wurden wir einfach erschossen. Heute haben wir immerhin einen Wert… wir werden als Sklaven verkauft, damit sich jede Gruppe wieder neue Waffen kaufen kann. An einen Landsmann könnte man uns ja nicht verkaufen. Das wäre unmenschlich. Aber an einen stinkenden Araber, ja, das ist was anderes!“ höhnte Husa. Zustimmung der anderen Eingesperrten war zu hören. „Aber du, weißer Mann, was machst du hier? Ich hätte nicht gedacht, dass Said es wagt, einen Weißen einzusperren. Woher kommst du? Amerika? England?“ Talon sah den Schwarzen eine lange Zeit an. Dann wanderte sein Blick über die Gesichter der anderen Männer, die ihn interessiert betrachteten. „Ich bin nur durch den Süden des Landes gezogen und offensichtlich den falschen Leuten begegnet, Husa“, erklärte er. Er konnte sehen, dass die Antwort die Männer nicht
bis er die Sprache als Arabisch verstand, wenn auch durch einen Dialekt stark verfremdet. „Wie geht es dir?“ lautete die einfach gestellte Frage. Talon benötigte einige Augenblicke, um seinen Kopf zu klären und antwortete dann. „Es geht“ lösten sich die Worte rau von seinen Lippen. Er musste husten und verzog das Gesicht. „Du sprichst Arabisch?“, stellte die Stimme überrascht fest. „Ich konnte es schon besser“ erwiderte der Weiße und versuchte sich aufzurichten. In seinem Rücken spürte er das harte Metall von Gitterstäben. Talon rutsche über den matschigen Boden und schob sich an den rostigen Stangen hoch, bis er eine sitzende Stellung einnehmen konnte. „Wo bin ich hier?“ fragte er die Menschen, die im Schatten des Käfigs, der an seinem oberen Ende durch eine dichte Holzplatte abgedeckt wurde, zu einer formlosen Masse verschwammen. Ein dürrer Mann mit eingefallenen Gesichtszügen löste sich aus der Gruppe und robbte etwas zu dem halbnackten Mann herüber. „Im Vorhof der Hölle, weißer Mann“, erklärte er rau. „Du bist hier zu Gast bei Ibn Said.“ „Wem?“ hakte Talon nach. „Masud Ibn Said“, erklärte eine andere Stimme, und der dürre Schwarze nickte zustimmend. Schnaufend ließ er sich neben dem Weißen nieder und grinste ihn mit matten Augen an. „Wir sind alle als Sklaven an Ibn Said verkauft worden. Verkauft von 9
wuchteten ihn nach oben. Er prallte hart auf den Boden und unterdrückte einen Fluch. Dann wurde er auf die Füße gestellt und sah sich dem bulligen Aufpasser gegenüber, dessen massiger Schädel unter den kurz geschorenen Haaren vor Schweiß dunkel glänzte. „Eine falsche Bewegung, und ich breche dir das Genick“, erklärte er Talon nüchtern und wies dann einen der anderen beiden Männer an, ihm die Fußfesseln zu lösen. Kribbelnd schoss das Blut in die taub gewordenen Teile seines Körpers zurück. Ein Stoß in den Rücken trieb ihn nach vorne. Fast wäre er gestolpert, da seine Füße einfach wegknickten, doch der Wächter hielt ihn an der Schulter fest und schob ihn vor sich her. Talon taumelte mehr als er ging und folgte den Anweisungen, ohne sich zu wehren. Im Augenblick hätte er keine Chance gehabt, zu entkommen. Die kleine Gruppe machte an einem Trog Halt. Talon wurde von dem Bulligen gegen eine Mauer gedrückt, während die beiden anderen Männer Holzbottiche in den flachen Trog tauchten. Das Wasser klatschte hart gegen Talons Körper, und so sehr er die Abkühlung genoss, so sehr fühlte er sich auch gedemütigt. Der untersetzte Wächter trat an ihn heran und schnupperte vorsichtig. Mit einem zufriedenen Nicken winkte er seine Männer ab. „So stinkend hätte ich dich Sayyid Ibn Said nicht präsentieren wollen!“ kommentierte er die Aktion und stieß Talon weiter vorwärts. Dieser beherrschte sich nur mit Mühe. Er
zufrieden stellte. Doch keiner von ihnen hakte nach, und Talon sah keinen Anlass, ihnen mehr über seine Vergangenheit zu erzählen. Soweit er sie überhaupt kannte. Die Männer um ihn herum schwiegen, und so betrachtete sich Talon so gut er konnte die Umgebung. Aus seiner Position konnte er kaum mehr erkennen als einen Korridor, der im Halbdunkel lag. Immer wieder hörte er über sich Schritte, die über das Holz wanderten. Die Wachen hielten sich ständig über den Käfigen auf und kontrollierten von oben, dass die Gefangenen ruhig blieben. Von irgendwo her klang anhaltendes Husten. Mehrere Stunden vergingen, in denen Talon nicht erkennen konnte, welche Tageszeit herrschte. Zwischendurch hatte er in eine Ecke uriniert, die ihm die Männer gezeigt hatten. Der beißende Geruch wies darauf hin, dass diese Stelle kaum gereinigt wurde. Er robbte in seinem eigenen Schmutz so weit wie möglich von der Stelle weg und sank in einen leichten Dämmerschlaf. Ein schmerzhafter Hieb riss Talon aus seinem Schlaf. „Du, aufstehen!“ hörte er auf Arabisch eine Stimme. Er reckte den Kopf nach oben und sah einen bulligen Mann, der im Holzboden eine Luke aufgemacht hatte und mit einem Schlagstock auf ihn wies. Mühsam schob sich Talon an den Gitterstäben empor und stellte sich mit kleinen Schritten so, dass er unterhalb der Luke stand. Zwei weitere Männer packten ihn und 10
Audienzsaal wirkte. Vor der Tür hatten zwei Männer mit Kalaschnikovs Position bezogen. Schwere Teppiche verzierten die weiß gekachelten Wände. Die Fenster ließen das grelle Tageslicht nur durch eine fein gearbeitete Jalousie aus geschnitztem Holz ins Innere dringen und schufen ein wohltuendes ruhiges Licht. Das eine Ende des Zimmers wurde von einem schweren Schreibtisch eingenommen, hinter dem ein schlanker Mann in einem weißen Kaftan über einem Dokument saß. Es dauerte eine Weile, bis er bereit war, die Ankömmlinge zu beachten und aufzusehen. Obwohl Talon ihn nur undeutlich auf dem Dach des Geländewagens hatte erkennen können, wusste er, dass er demselben Mann gegenüberstand. Eine Handbewegung wies dem bulligen Mann an, das Zimmer zu verlassen. Die Tür schloss sich hinter ihm, und der Mann am Schreibtisch faltete die Finger vor der Brust. Er betrachtete sich den Weißen ausgiebig und lehnte sich dann in seinem Sessel zurück. „Ich bin Masud Ibn Said“, stellte er sich in mäßigem Englisch vor. Nachdenklich schürzte er die Lippen und betonte damit das spitze Kinn, das von einem schmalen Bart eingerahmt wurde. Die dunklen, fast schwarzen Augen wanderten unablässig hin und her und schienen jede Bewegung in dem Raum zu registrieren. „Du“, fuhr er dann fort. „Wer bist du? So kleidet sich kein Weißer. Und dann dieses Messer - “, Masud öffnete eine Schublade und zog die
hatte bereits an den Fesseln gezerrt, doch die Taue waren aus zähen Fasern gedreht worden und gaben jeder seiner Anstrengungen flexibel nach, ohne reißen zu wollen. Sie verließen die Pferche, die halb in die Erde eingelassen worden waren und betraten über einen schrägen Aufgang den eigentlichen Bereich des Hauses. Überall waren bewaffnete Männer postiert, die ihre halbautomatischen Waffen schussbereit in beiden Händen hielten. Im Gegensatz zu den Männern die die Gefangenen bewachten, waren diese Wächter eindeutig arabischer Herkunft. Sie hoben sich mit ihrer hellen Hautfarbe und dem feinen Schnitt ihrer Gesichtszüge deutlich von den Wächtern bei den Käfigen ab. Offenbar hatte Ibn Said eine klare Vorstellung davon, wie weit er den Südsudanesen vertraute. Über einen leeren Hof, der von meterhohen Mauern umschlossen war, kamen sie in einen weiteren Trakt, der mit modernen Annehmlichkeiten nicht zurückhielt. In regelmäßigen Abständen sorgten schwere Deckenventilatoren, die sich langsam drehten, für eine beständige Kühle. Im Hintergrund war arabische Musik zu hören, immer wieder unterbrochen durch das leise Kichern heller Frauenstimmen. Der bullige Wächter führte Talon über eine Treppe ein Stockwerk nach oben. Durch einen schmalen Korridor gelangten sie einen großzügig eingerichteten Raum, der wie eine Mischung aus einem Arbeitszimmer und einem 11
Weiße Sklaven gibt es nicht viele.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Du bist zu wild. Du würdest nur Ärger machen.“ Ibn Said trat einen Schritt auf Talon zu. „Oder soll ich dich einfach töten?“ Zwei blaue Augen sahen ihn nur kühl und abweisend an. Talon war nicht bereit, mit einem Wort auf die Scharade einzugehen, die der Araber hier vollführte. Dieser hielt dem Blick lange stand und nickte dann leicht. „Ja, ich werde dich töten.“ Mit einem Seitenblick betrachtete er den halbnackten Mann und schlug ihm unverhofft mit der linken Hand ins Gesicht. „Verdammt, bei Allah, sag’ endlich etwas! Ich dulde es nicht, dass du mich anschweigst!“ „Was willst du hören?“ brachte Talon in arabischer Sprache gepresst zwischen seinen Lippen hervor und verzog das Gesicht verächtlich. „Dass ich um mein Leben bettle?“ Ibn Saids Augen blitzten leicht auf. Der Mann, der Ende Vierzig sein mochte, verzog sein Gesicht zu einem dünnen Lächeln. „Nein“, erwiderte er. „Das werde ich noch früh genug hören, sobald du siehst, gegen wen du kämpfst…!“
alte Klinge hervor, die Talon bei sich getragen hatte, „- woher hast du es? Solche Waffen benutzen nicht einmal die primitiven Stämme im Südwesten.“ Der Araber stand auf und kam hinter seinem Schreibtisch hervor, wobei er eine sichere Distanz zu dem Weißen bewahrte und das Messer fest in der Rechten hielt. „Ich habe letztens diesen Zeichentrickfilm gesehen, ‚Tarzan’. Mein Sohn Selim liebt ihn. Er will seitdem dauernd einen kleinen Affen haben.“ Kurz schüttelte er den Kopf. „Aber das ist ein nur Film, eine Geschichte!“ Er streckte Talon wütend die Klinge entgegen. „Du bist kein Agent der Amerikaner, das sieht jeder. Aber was machst du dann hier?“ Ibn Said blieb vor einem der Fenster stehen und legte nachdenklich den Finger ans Kinn. „Ich könnte dich laufen lassen. Aber dann erzählst du vielleicht einer Zeitung oder einem Geheimdienst, was du hier gesehen hast, und mein kleines Geschäft wäre ruiniert. Ich könnte dich verkaufen. Das wäre ein Vergnügen!
Fortsetzung folgt in Talon Nummer 16 „DIE SPIELE BEGINNEN“
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Talon erscheint bei vph Verlag & Vertrieb Peter Hopf, Goethestr. 7, D-32469 Petershagen. © Copyright aller Beiträge 2003 bei Thomas Knip und vph. Nachdruck, auch auszugsweise, nur nach schriftlicher Genehmigung durch den Verlag gestattet.
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