Klaus Bittermann ist Autor und Verleger und lebt in Berlin. Buchveröffentlichung u. a.: »Geisterfahrer der Einheit. Kom...
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Klaus Bittermann ist Autor und Verleger und lebt in Berlin. Buchveröffentlichung u. a.: »Geisterfahrer der Einheit. Kommentare zur Wiedervereinigungskrise«, Berlin 1995. Außerdem: »Strandgut der Geschichte«, München 1999. Ob das fertige und abgelieferte Buch allerdings noch jemals erscheinen wird, das wissen die Götter.
Edition TIAMAT Deutsche Erstveröffentlichung Herausgeber: Klaus Bittermann 2. Auflage: Berlin, 1999 © Verlag Klaus Bittermann Grimmstr. 26 — 10967 Berlin Druck und Bindung: Fuldaer Verlagsanstalt Buchumschlag unter Verwendung eines Photos vom Ossi Jens Jeremies beim Versuch, das zweite Tor der Jugoslawen zur 2:0-Führung bei der WM 1998 zu verhindern © imago / Oliver Behrendt ISBN: 3-89320-026-6
Klaus Bittermann (Hg.)
It's a Zoni Zehn Jahre Wiedervereinigung Die Ossis als Belastung und Belästigung
Unter der Mitarbeit von: Björn Blaschke, Molly Bluhm, Wiglaf Droste, Gerhard Henschel, Willy Hochkeppel, Martin Kahl, Michael O.R. Kröher, Christof Meueler, Clemens Nachtmann, Jürgen Roth, Michael Rudolf, Fritz Tietz, Mathias Wedel, Joseph von Westphalen, Hans Zippert Und mit Illustrationen der international renommierten Künstler © TOM, Rattelschneck, Achim Greser & Heribert Lenz
Critica Diabolis 87 Edition TIAMAT
digitally remastered and brought to you
by BOOKZ 'R' US german department 2001
INHALT
Jenseits der Zivilisation Die Rache der Zonen-Zombies von Klaus Bittermann -7-
Deutscher als alle anderen Eine innige Feindschaft von Fritz Tietz - 35 Die Seele des Zonis Vier ganz tiefe Einblicke von Mathias Wedel - 41-
Die echteren Deutschen von Gerhard Henschel - 55 -
Siehst Du im Osten das Morgenrot? von Willy Hochkeppel - 59 Betretene Beigetretene von Michael O.R. Kröher - 67 -
Mandy heißen statt Reisefreiheit von Wiglaf Droste - 81 Guben, Little Storping Ein Hilfesuchen an die Rächer von Clemens Nachtmann - 85 -
Erblindung als Widerstand von Mo/.'y Blum - 95 Dreschflegel von Jürgen Rot h - 98 -
Rügen muß man Rügen nicht Eine aufschlußreiche Reportage von Hans Zippert -105-
Was in Bautzen wirklich geschah von Wiglaf Droste -115Stadt und Land/Hand in Hand oder: Äsen wie Schrott in Krankreich... von Björn Blanchke
- 118 Dreißig Jahre Puhdys von Michael Rudolf -128Auferstanden aus der Muckibude DDR Rammstein fühlt deutsch von Chriatof Meucler -131-
mdr — »nahe dran- ist auch daneben von Martin Kahl -136Deutschlands Sendung Der mdr in den Zeiten des Krieges von Gerhard Henschel -142Kleine Kulturgeschichte der Aversion von Joseph von Westphalen -145D357 von © TOM - 156 -
Jenseits der Zivilisation Die Rache der Zonen-Zombies Eine ebenso vorurteilsfreie wie eindrucksvolle Tirade
Klaus Bittermann
Zehn Jahre nach dem unglückseligen Fall der Mauer
ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Wie sich natürlich schon vorher vermuten ließ, hat sich zwar einiges verändert, schließlich wurde ja auch genug in die Zone reingebuttert - in Leipzig z.B. gibt es einen neuen
Bahnhof, einen neuen Messebau, den niemand braucht, und die Innenstadt wurde auch hochgepäppelt -, aber unbeeindruckt von der westlichen Wiederaufbauhilfe ist der Ossi der gleiche geblieben, und trotz der glanzvollen architektonischen Werke bleibt die Zone die gleiche soziale Wüste, die sie schon zu DDR-Zeiten gewesen ist. Noch mehr als unmittelbar nach der Wende tummeln sich Rechtsextremisten und Glatzen in den fünf überflüssigen Bundesländern und sorgen für eine trübe und aggressive Stimmung. Zwar ist die Zeit der Großveranstaltungen wie in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen vorbei, aber die Zonis sind immer noch gut im Geschäft, wenn es um ihren Lieblingssport geht, sich selbst und Ausländern das Leben in der Zone zur Hölle zu machen. Ansonsten ist der Ossi der unangenehme Zeitgenosse geblieben, der er schon immer war, eine ästhetische Zumutung und ein verdruckster Typ, der schnell und schwer beleidigt ist, sich vom Wessi übervorteilt, betrogen und reglementiert fühlt, während er ab-
sahnt, was an Milliarden abzusahnen geht, die in irgendwelchen schwarzen Löchern verschwinden, von denen es in der DDR nur so wimmelt. Im übrigen schwärmt er von der guten alten Zeit unter Erich, als eben alles noch besser war und die Ostlimonadenmarken Club Cola und Rotkäppchen sich noch nicht im westlichen Verdrängungswettbewerb behaupten mußten. Nach zehn Jahren erhebt der Ossi immer frecher sein häßliches Haupt, dabei jengelt und quengelt er, was das Zeug hält. Aber statt abzuhauen und woanders sein Glück zu suchen, klebt er einem an den Hacken, weshalb der freie und geduldige Westen sich wohl oder übel damit wird abfinden müssen, daß er hereingelegt worden ist und daß man die da drüben nicht mehr los wird, nicht mal mehr umsonst an die Russen, denn die lassen sich inzwischen auch nicht mehr alles andrehen. Aufbauhilfe-Ost und Solidaritätszuschlag, gutes Zureden und Aufklärung, Schmeicheleien und Postwurfsendungen - nichts hilft. Zwar hält der Zoni gerne die Hand auf und nölt herum, weil er nicht jeden Tag Begrüßungsgeld abkassieren kann, zwar hat er das bankrotte und abgewirtschaftete Land vertrauensvoll in die Hände der Westler übergeben, auf daß die wieder aufbauen, was er verkommen ließ, aber es paßt ihm nicht, daß er mit seinesgleichen nicht im eigenen Mief vor sich hin dünsten kann. Obwohl ihm die Bruchbude DDR schon lange nicht mehr gehört, tut er immer noch so, als wäre er der Hausherr, der die Hosen anhätte, aber es sind nur lächerliche Shorts in Übergröße, die ihm um die dürren Beinchen flattern und in denen ihn niemand ernst nehmen kann. Daß einfach Fremde auftauchen, ohne daß ihn jemand gefragt hat, ob die das dürfen, und seine Idylle stören, das läßt er sich so ohne weiteres nicht gefallen, wes-
halb er zum nationalen Befreiungskampf aufgerufen hat. Mittlerweile ist er damit so erfolgreich, daß er in einigen miesen Plattenbaugegenden mit Wabenunterkünften, auf die der Zoni besonders steht, »national befreite Zonen« eingerichtet hat, in die sich Ordnungshüter kaum mehr wagen. In der Tat fällt es schwer, sich vorzustellen, warum irgend jemand ihre unwirtlichen Landstriche und Wüsteneien besucht, aber die Bundesregierung führt einen zähen, wenn auch aussichtslosen Kampf, um die DDR zu zivilisieren. »Ostdeutsche müssen Demokratie lernen«, meinte Otto Schily in einem Interview mit dem Tagesspiegel (6.6.99), aber nach zehn Jahren vergeblicher Mühe, hört sich diese Forderung recht müde und wenig überzeugend an. Und wie lausiger Zweckoptimismus, wie mißlungene Propaganda gar sieht auch die Initiative Hertha Däubler-Gmelins aus, die sich »Bündnis für Demokratie, Toleranz und gegen Gewalt« nennt, auch wenn sich die Zonis mit diesem Wortmonster an die guten alten SED-Zeiten erinnert fühlen dürften. Aber das alles sind vergebliche Unterfangen, um nicht zugeben zu müssen, daß man längst alle Hoffnung hat fahren lassen und man die biologische Lösung des Problems für die aussichtsreichste hält, wenn der »gelernte DDR-Bürger«, als der sich der Zoni trotzig gerne selber bezichtigt, ausstirbt. Der SPD-Bürgermeister von Wittenberg jedenfalls hat sich die Illusion, die Ossis seien demokratiefähig, abgeschminkt: »Daß alle Deutsche Ossis wären, das kann ich mir nun wirklich nicht wünschen. Dann hätte ich Angst um die Demokratie.« (Spiegel 38/98) Dummerweise sind die in der Zone aufgewachsenen Kinder noch unangenehmer als ihre Eltern. Die verlegten sich aufs Murren und Drohen, während sich ihr Widerstand in die hartgepolsterten Einheitssesselgarnituren verflüchtigte. Ihre Nachkommenschaft aber haben sie scharf wie Eierhandgranaten gemacht,
indem sie ihnen von krummen Babybeinen an beibrachten, sich der Gruppe unterzuordnen, wie Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg vermutet. Und in der Tat läßt sich schwer leugnen, daß die Ossis in der Kindererziehung insofern erfolgreich waren, als sie ihre Fremdenphobie eben so sicher wie bombenfest auf ihren Nachwuchs wie eine genetische Veranlagung übertrugen. Der Jugendamtsleiter in Magdeburg, Rainer Förster, erklärte: »Die Kinder setzen nur noch in die Tat um, was die Eltern formulieren.« (Spiegel 13/1998). Und auch der Rechtsextremismus-Experte und Beobachter der Ostszene Bernd Wagner schreibt über die perfekte Arbeitsteilung bei den Zonis: »Viele Übergriffe geschehen in dem Bewußtsein, nur auszuführen, was die Mehrheit der Leute denkt.«
In vielen ostdeutschen Städten ist die »national befreite Zone« inzwischen Wirklichkeit geworden, eine Art sozialer GAU, bei dem nur Zubetonieren hilft. In Magdeburg beispielsweise terrorisieren jugendliche »Glatzen« ein ganzes Stadtviertel: »Sie sind überall. In den Höfen, den Fluren, den Hauseingängen. Sie sind kaum älter als Anna (14), manche sogar noch jünger. Sie tragen Bomberjacken, kurze Haare, Stiefel. Ihnen gehört die Siedlung. Anna kennt sie, und früher war sie auch mal mit ihnen befreundet. Aber das ist lange vorbei, >die< haben es jetzt auf sie abgesehen. Manchmal zischen sie nur >Zecke verrecke« und >wir kriegen dichMan kann immer zusammengeschlagen werden«, sagt Anna, >auch wenn es nicht jeden Tag passiert.«« (stern 17/98) Und in Leipzig-Grünau, so hat BamS (vom 8.4.99) herausgefun10
den, »regieren Skinheads eine Trabantenstadt« und terrorisieren andere Zonenbewohner aus dem Viertel, die sich abends »keinen Fuß mehr vor die Tür ( z u ) setzen« trauen. Nicht daß man in diesem Fall mit den Zonis, die sich untereinander fertig machen, großes Mitleid aufbringen müßte, aber interessant ist, daß die da drüben selbst die eigenen Stammesmitglieder quälen und drangsalieren, Leute, die den gleichen Stallgeruch aufweisen und mit der gleichen verwachsenen Kinnlade sprechen; und das zeigt das ganze Ausmaß der sozialen Verwahrlosung, die im Osten herrscht. Im Gegensatz zur völlig daneben liegenden Selbsteinschätzung der Zonis, die sich auf den familiären Zusammenhalt viel einbilden und über die Nestwärme ins Schwärmen geraten - »Wir sind ehrlicher, offener und herzlicher« (taz, 12.8.99) -, herrschen Neid, Haß und Mißgunst in der Familie vor, in der der eigene Vater denunziert werden würde, gäbe es noch den alten Blockwart, die Gestapo oder die Stasi, die früher solche Anzeigen entgegengenommen haben. »Es ist nicht viel von der DDR übrig geblieben. Die Gemeinschaft, sich untereinander zu helfen, ist nicht mehr da. Das merkt man an den eigenen Geschwistern« (taz, 12.8.99), gesteht denn auch Manuela Skubowsky ein, die in der DDR aufgewachsen, 1994 nach Bayern ausgewandert ist und sich dort eine Stelle als Notarsangestellte abgegriffen hat. Auf der anderen Seite gibt sie ein gutes Beispiel dafür ab, daß man sich vor der Sentimentalität der Ossis besser in acht nimmt, weil sie ihre Gemeinschaftsgefühle, die sie melancholisch befingern, schnell und gerne drangeben, wenn es ums eigene Fortkommen geht. Obwohl »Bad Liebenwerda in Brandenburg immer meine Heimat bleiben« wird und »obwohl ich viele Freunde im Osten aufgegeben habe«, hat Manuela Skubowsky ihre Entscheidung nie bereut. 11
Die, die den Absprung nicht geschafft haben, greifen nun zur Selbsthilfe, die in der Zone mal wieder nichts gutes bedeutet. Außerhalb des organisierten rechtsextremistischen Zonenmobs ist das Bündnis, das die Jungzonis eingehen, um kollektiv »ausländische«, »linke« oder sonstige »Zecken« »aufzumischen«, prekär und instabil. Aber kaum zerfällt eine Gruppe, bildet sich eine neue, die sich für den Außenstehenden von der alten durch nichts unterscheidet. Während sich eine traditionelle Gang noch durch ein gemeinsames Interesse auszeichnet, das auf die Partizipation gesellschaftlichen Reichtums hin orientiert ist, ist das Handeln der Zonis rein destruktiv und richtet sich in erster Linie gegen Schwache und Wehrlose, gegen Frauen, Schwangere, Körperbehinderte und Alte, wie z.B. gegen die nigerianische Frau eines Fußballprofis, der vom Chemnitzer Fußballclub verpflichtet worden war, ohne daß ihm jemand darüber aufgeklärt hätte, was ihn erwartet. Auch eine Methode, den Anteil der spärlich vorhandenen Ausländer aufzustocken, um sie dann der in der Zone üblichen Behandlung zu unterwerfen. Am 17. Januar 1998 wurde sie »in einem Supermarkt mit ausländerfeindlichen Sprüchen beschimpft, geschlagen und schließlich am Boden liegend gewürgt«, während »Kassierer und Kunden tatenlos zuschauten. Niemand half der Frau, niemand hinderte den Täter am Verlassen des Ladens.« (stern 17/98) In Greifswald war es ein 57jähriger Obdachloser, der von vier Zonis ermordet wurde. Genau von diesem Ort schien Deutschlands meistgesuchtester Mörder Zurwehme angezogen worden zu sein, in dieses Milieu wollte er noch einmal eintauchen, bevor er verhaftet wurde. Im Wettbewerb für die abstoßendste Zonenstadt, in welcher es für wehrlose Menschen lebensgefährlich ist, wollte Königs Wusterhausen nicht nachstehen: »Am 22. Februar traten Rechte in Königs Wusterhau12
sen zwei behinderte Jugendliche zusammen, traktierten sie mit einer Eisenstange und versuchten, einem der beiden die Haare anzubrennen.« Und sonst? »Im sächsischen Borna flogen Brandsätze auf ein alternatives Jugendzentrum, in Weißwasser wurden zwei Asylbewerber krankenhausreif geschlagen, in Chemnitz ein Marokkaner.« (stern 17/98) »In Schwerin (attackierten) drei Jugendliche, darunter ein 14jähriges Mädchen, eine Chinesin, traten der Schwangeren in den Bauch; in Frankfurt (Oder) bedrohten zwei Rechtsradikale mit vorgehaltener Pistole einen polnischen Studenten, der im Oktober vergangenen Jahres schon einmal überfallen worden war, um ihn einzuschüchtern. In Eberswalde schlugen drei Rechtsextreme zwei Passanten zusammen, weil sie sich weigerten, den Hitlergruß zu zeigen.« Noch mehr? Bitte schön: ..Am 30. September 1996 schlugen Skins den Italiener Orazio Giamblanco im brandenburgischen Trebbin zum Krüppel. Am 16. Juni 1996 warfen junge Neonazis im brandenburgischen Mahlow beim Überholen einen Stein in das Auto eines farbigen Briten. Das Auto prallte gegen einen Baum, der Fahrer, Noel Martin, ist seitdem querschnittsgelähmt. Am 6. August 1997 fielen sieben Jugendliche in Frankfurt (Oder) über den Asylbewerber Mohammad Mouzain her. Er erlitt Blutergüsse und eine Platzwunde am Kopf. Am 5. Oktober 1997 schlugen Jugendliche in Fahrland bei Potsdam einen ungarischen Arbeiter mit Baseballschlägern krankenhausreif.« (Spiegel 13/98) Sogar Bild (vom 27.5.99) titelte empört: »Wieder ein Asylant verprügelt«: »Jetzt hat es Doan Van T. (29) erwischt. Er wurde in Brandenburg/Havel von drei Deutschen überfallen und schwer verletzt.« Bild versucht den Zonis dabei klar zu machen, daß sie sich selber das Wasser abgraben, wenn sie so weitermachen, und daß auf diese Weise auch noch die letzten Touristen vergrault werden, 13
aber das ist dem Zoni nur recht, denn erst wenn er mit seiner dünstenden Achselhöhle allein ist, ist er richtig glücklich. Diese Botschaft ist inzwischen angekommen: Die zahlreichen Türken gehen lieber in den Tiergarten als in das Berliner Umland. Die Endstation für Ausländer in Berlin heißt Wannsee.
Wie die kleine Aufzählung zeigt, haben die Umtriebe des rechten Zonenmobs eine andere Qualität bekommen. Weniger Großveranstaltungen und mehr Abenteuer an der nächsten Ecke. Jeder kann sich an diesem Spiel beteiligen und seinen Beitrag zu einem Klima leisten, das die Zone für jeden normalen Menschen unbewohnbar macht, denn die Ossis erweisen sich als unberechenbare Katastrophe, die über jeden hereinbrechen kann. Wie eine Tretmine funktioniert dann der Zoni, und die Folgen sind ebenso verheerend, wenn man sich zufällig in dessen Nähe befindet. Meldungen von einem ganz normalen Wochenende, vom ganz normalen Wahnsinn bei den Zonis: »Ein Mann bedroht eine Frau mit einem Knüppel, weil sie mit ihrem afrikanischen Mann und den gemeinsamen Kindern in ein Mehrfamilienhaus ziehen will. Skinheads schießen mit einer Schreckschußpistole auf eine besetzte Telefonzelle. Ein 19jähriger sieht vom Balkon aus einen Mann, der türkisch aussieht, geht auf die Straße und sticht ihn von hinten nieder.« (Süddeutsche Zeitung, 3./4J5. April 1999) Daß es sich bloß um Einzelfälle handelt, die nichts über den Alltag in der Zone aussagen, behauptet höchstens noch die alte Zonenpresse, aber ernsthaft läßt sich das auch mit dem besten seelsorgerischen Willen nicht mehr behaupten. Sogar der evangelische Bischof von Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, stellt resigniert fest, daß der Rechtsextremismus »in manchen ostdeutschen Regionen zur dominierenden 14
Jugendkultur« (Spiegel 13/98) wird, während Bernd Wagner schätzt, daß fast jeder dritte Jugendliche in den neuen Ländern eine rechtsextreme Orientierung aufweist. Die Phobie vor Ausländern, die angeblich das Land überschwemmen und einem die sowieso nicht vorhandenen Arbeitsplätze wegnehmen, spielt dabei eine um so größere Rolle in der Phantasie der Zonis, je weniger Fremde es in Wirklichkeit gibt. »Beinahe jede zweite bundesweit registrierte Gewalttat wurde 1997 in den neuen Ländern begangen. Angesichts des geringen Ausländeranteils, der in Ostdeutschland unter zwei Prozent liegt, ist das Risiko f ü r Ausländer im Osten um ein vielfaches höher als im Westen, wo der Fremdenanteil über zehn Prozent liegt. Bezogen auftausend Einwohner wurden in Ostdeutschland im vorigen Jahr dreimal so viele rassistische Straftaten registriert wie in Westdeutschland.« (Spiegel 13/98) Daß in diesem Klima des primitiven Ressentiments ein Unrechtsbewußtsein nicht aufzuspüren ist, ist nicht schwer zu erraten und wird Tag für Tag aufs Neue belegt. Der Messerstecher, der einen Mann sein Werkzeug in den Rücken rammte, weil er ihn für einen Türken hielt, bedauerte lediglich, daß er kein zweites Messer dabei gehabt hätte, mit dem er noch einen Ausländer hätte »abstechen« können. Und als Magdeburger Zonis für »Ordnung« sorgen wollten und deshalb den 23jährigen Gordon fast zu Tote trampelten, so daß das Opfer mit schweren Kopfverletzungen nie wieder ein normales Leben wird führen können, da fragten sie bloß, »wann sie ihre Springerstiefel wiederbekämen, die die Polizei als Tatwaffen beschlagnahmt hatte.« (stern 17/98) Mittlerweile haben sie herausgefunden, daß nur der Promille-Gehalt im Blut stimmen muß, damit man für Mord nicht mehr als fünf Jahre bekommt. Also lassen sich die Zonis an ihren Treffpunkten und Clubs bis zur Halskrause 15
vollaufen, bevor sie mit den Kumpeln losziehen, um Ausländer »platt zu machen«. Daß bis heute nicht noch mehr passierte, ist dabei nur der Tatsache zu verdanken, daß die Wahrscheinlichkeit, einem Ausländer über den Weg zu laufen, ziemlich gering ist, weshalb es ja auch einer entsprechend großen kriminellen Energie bedarf, Ausländer aufzuspüren. Aber das ist nicht das Problem bei den Zonis, weil sie sowieso nichts anderes zu tun haben und es ihnen Spaß macht. Wenn in anderen Kulturen »cherchez la fem-
me« eine beliebte Freizeitgestaltung ist, so heißt sie im Osten »cherchez le Ausländer«. In Sachsen mußte die Soko Rex installiert werden, ein speziell gegen rechte Zonenschläger ausgebildetes Sonderkommando, was schon allein ein recht deutliches Indiz dafür ist, welche Dimensionen die blinde, aber auch die gezielte Gewaltanwendung erreicht haben muß. Aber auch wenn dies die einzige richtige und mögliche Antwort auf den Zonenmob ist, versucht man das Problem mit sozialarbeiterischer Zuwendung aus der Welt zu schaffen, d.h. man belohnt die rechtsextremen Zonis, indem man ihnen Jugendclubs zur Verfügung stellt, damit sie sich mental und juristisch besser auf die nächste Straftat vorbereiten können: »Im »Treff 2< trinken rechtsradikale Jugendliche Bier und planen im Vollrausch die nächsten »Maßnahmen« gegen >die Linken«.« (BamS vom 18.4.99) In kaum einer Stadt wurde mehr in sozialarbeiterischen Aktionismus investiert wie in Magdeburg: »Über 40 Freizeitheime und Clubs gibt es in der 250.000-Einwohner-Stadt, sogar ein alter Fischkutter wurde restauriert, um mit Problemjugendlichen auf der Ostsee zu schippern« (Spiegel 13/98), mit dem Ergebnis, daß Magdeburg zum »Synonym für Gewalt im Osten« (ebenda) avancierte. Die Zonis nehmen die Bemühungen westlicher Fürsorge lächelnd zur Kenntnis, und es bereitet ihnen 16
großes Vergnügen, daß jede Zuwendung an sie verschleuderte Energie bedeutet. Mit großem Verständnis reagieren sie auf die Straftaten ihres Nachwuchses, denn genau so wollte man es ja auch, als man dem imperialistischen Westen den Kampf ansagte. Im Osten stößt die Zoni-Avantgarde deshalb auf wenig Widerstand. Selbst die Meinungshoheit in den Schulen überläßt man den Kampfzonis, obwohl sie kaum in der Lage sind, eine Meinung zu formulieren. Aber daß der Holocaust gar nicht so schlimm war und Ausländer in »Ghettos« zusammengefaßt werden müßten, das kriegen sie noch hin, ohne befürchten zu müssen, auch nur mit dem kleinsten aufklärerischen Gedanken behelligt zu werden, denn die Lehrer haben inzwischen vor der Stumpfheit ihrer Schüler längst kapituliert, abgesehen davon, daß ihre Zivilcourage auch wieder nicht soweit reicht, ein blaues Auge zu riskieren.
In Schutz genommen werden diese gefährlichen Dosenbiervertilger von der Ostpresse, die immer noch der guten alten DDR nachtrauert. Sieben Jahre nach dem in Hoyerswerda wiederauferstandenen Deutschland, »wie die nach 1945 Geborenen es nur vom Hörensagen kannten« (Wolfgang Pohrt), brachte die junge Welt in einem Artikel (vom 7. August 1998) das Kunststück fertig, das, was Hoyerswerda berühmt gemacht hat, mit keinem Wort zu erwähnen, aber mit jeder Zeile die Ereignisse vom September 1991 zu rechtfertigen. Bereits mit der Überschrift »Alle zittern um ihren Job« wurde der sich selbst bejammernde und bemitleidende Ton angeschlagen, der sich durch den gesamten Artikel zieht. Und dann: »Zu DDR-Zeiten war das ganz anders. Da gab es in der Braunkohle Arbeitsplätze in Hülle in Fülle«, denn lieber an einer Staublunge gestorben als langsam und 17
auf fiese Weise vom Westen mit erzwungener Langeweile gefoltert. Zwar will der Zoni von anderen nicht belästigt werden, aber mit sich selbst kann er kaum mehr anfangen, als sich mit lebensgefährlichem Fusel abzufüllen. »-Allein in Schwarze Pumpe waren 17.000 Menschen beschäftigt«, erinnert sich der Bürgermeister« (ebenda) wehmütig an die schönen vergangenen Zeiten, als noch jeder Zoni einer ebenso unproduktiven wie sinnlosen und umweltbelastenden Arbeit nachgehen durfte. Und als Mitte Februar 1999 in Guben Omar Ben Noui von einigen Zonis zu Tode gehetzt wurde, da brachte A\e junge Welt (vom 15. März 1999) eine Recherche, die mit folgendem rührseligem Kitsch über die »kulturelle Einöde« aufmachte: »Ein paar Meter von der Hauptstraße entfernt zeugen endlose Fabrikruinen mit verwaschenen Klinkerfassaden und zertrümmerten Fensterscheiben von der einstigen Bedeutung der Industriestadt, in der bis zum Ende der DDR das Chemiefaserkombinat Guben und Textilfabriken mit der Verarbeitung von Wolle und der Herstellung von Hüten 20.000 Menschen beschäftigten. Heute erinnert nur noch ein Alibibetrieb des HoechstKonzerns daran, wer nach der Wende von der Abwicklung des Chemiefaserkombinats profitierte.« Und weiter: »Innerhalb von zehn Jahren ist die Einwohnerzahl von 35.000 auf 28.000 gesunken. Abwanderung und Massenarbeitslosigkeit, die mit über 22 Prozent noch ein bißchen höher liegt als in den übrigen Städten der brandenburgischen Provinz, haben den Ort in eine kulturelle Einöde verwandelt, deren Tristesse wie allgegenwärtig zu sein scheint.« Es kommen einem die Tränen, wenn sanft der Eindruck erweckt wird, daß es bei diesen traurigen Verhältnissen niemand zu wundern braucht, wenn irgend jemand durchdreht. Dennoch sind es niemals die Zonis, die Ausländer verfolgen und verprügeln, immer 18
sind es »Neonazis« und »Glatzen«, als ob sie vom Westen oder von einem fremden Stern kämen. In Wirklichkeit sind die Zonis nette Kerle, und die Trendmeldung des Verfassungsschutzes, derzufolge Brandenburg hinter Mecklenburg-Vorpommern Platz zwei auf der Fremdenfeindlichkeitsskala belegt, ist wahrscheinlich reine Westpropaganda, um den Osten mies zu machen. Es folgt ein Zitat aus dem Rührstück »Brandenburger trifft Asylbewerber« und wie toll sich beide verstehen: »Konflikte oder Übergriffe seitens der Dorfbewohner gibt es nicht. Im Gegenteil, die Bewohner der Gemeinde kommen gut mit den Asylbewerbern aus. Sembten scheint geradezu ein Paradebeispiel dafür /u sein, wie brandenburgische Dorfbewohner ohne Fremdenfeindlichkeit mit einer relativ großen Zahl Asylbewerber aus verschiedenen Kulturkreisen zusammenleben können. Gelegentlich helfen einige der Heimbewohner den Sembtenern sogar bei den Gartenarbeiten oder beim Holzhacken.« (ebenda) In einem, gemessen an der Aufwallungsprosa, wenn der Westen wieder einmal einer Schandtat überführt wird, unbeteiligten und interesselos-distanzierten Ton wird auch der Tathergang beschrieben. Dabei vergißt man nicht zu erwähnen, daß Omar Ben Noui »sich der Verfolgung durch fundamentalistische Fanatiker und der drohenden Zwangsrekrutierung in Algerien durch das Militär entziehen wollte«, was soviel heißt wie: Zuhause hätte es ihn wahrscheinlich auch erwischt. In Wirklichkeit aber war wieder einmal die westliche Presse schuld, die es »an professioneller Sachlichkeit mangeln« ließ, von der die junge Welt, quasi durchdrungen ist und unter der man dort versteht, sich wegen eines Toten nicht unnötig aufzuregen und vielmehr Ursachenforschung zu betreiben, die bei der jungen Welt immer mit einer großen Portion Verständnis für die vom Schicksal so schlimm 19
gebeutelten Täter einhergeht. Die wahren Täter aber kommen aus dem Westen. Die Mär von der Schuld der Westpresse wurde schon verbreitet, als in der jungen Welt über die Vorfälle in Gollwitz berichtet wurde. Die Gollwitzer Gemeindevertretung hatte die Unterbringung von 60 russischen Aussiedlern abgelehnt. Die »Neudeutsche Barbarei«, so hieß es in einem Kommentar, bestünde jedoch nicht in diesem Beschluß, sondern darin, daß die Bewohner von der Presse des Antisemitismus bezichtigt wurden, weil es sich bei den Aussiedlern um russische Juden handelte. Das ist interessant. Nicht die Tatsache, daß sich die 400-Seelen-Gemeinde schon präventiv gegen die in ihrer Phantasie »klauenden und vergewaltigenden Ausländer« wehrt, die angeblich auf Kosten des Steuerzahlers ein tolles Leben führen, sondern daß die Presse, bzw. natürlich die westliche Schweine-Presse, die armen Einheitsverlierer als Abschaum der Nation vorführt, sei das eigentlich Verwerfliche in diesem Konflikt. Schützend stellt sich die junge Welt vor die Zonis in dem Moment, in dem alle dumpfen Ressentiments aus ihnen herausquellen, genauso übrigens wie die eher feingeistigen, die sie vom Westen abgekupfert haben, wie z.B.: »Die Ausländer kommen aus einem anderen Kulturkreis, den wir nicht verstehen.« Dieses Vorurteil läßt sich bis in die linken Wohngemeinschaften der dunklen achtziger Jahre zurückverfolgen, weshalb übrigens auch das Gerede von der Kultur als Mittel der Völkerverständigung eines der großen abendländischen Mißverständnisse darstellt. Den Einwohnern von Gollwitz ist es wurst, ob es sich bei den Aussiedlern um Türken, Russen, Juden, Rumänen, Polen oder Neger handelt, ihre xenophobischen Äußerungen gehören zum Standardrepertoire der Zonis. Sätze, die mit »Wir haben nichts gegen Ausländer, aber...« das Ressentiment einleiten, haben 20
die Bewohner von Gollwitz zwar nicht erfunden, aber das ist noch lange kein Grund, diese Leute in Schutz zu nehmen oder ihren Beteuerungen zu glauben, und das in einer Gesellschaft notorischer Lügner. Seit der »Übernahme der DDR«, so hieß es im Leitartikel der jungen Welt, sei »der Klassenauftrag ein anderer geworden. LPG-Dörfer sind als braune Nester in der Traditionslinie des >DDR-Totalitarismus< zu lokalisieren, als der geistige Nährboden von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus.« Abgesehen davon, daß der »geistige Nährboden« in diesem Zusammenhang eine merkwürdige Metapher ist, über die sich lange vergeblich grübeln läßt, ist es empirisch mittlerweile ganz gut belegt, daß in diesen Käff'ern das dumpfe Vorurteil brütet. Gäbe es diesen »Klassenauftrag« der westlichen Bourgeoisie, man müßte ihn also begrüßen, denn dann bestünde wenigstens der Hauch einer Chance, solche Vorfälle wie in Gollwitz zu unterbinden. Und handelt die westliche Presse nicht auch ganz im Sinne von Marx, indem sie die Schmach der Ossis noch schmachvoller macht und damit den Klassenkampf fördert? Das ist natürlich nur ein Witz, denn in Deutschland und in der Zone brechen keine Klassenkämpfe aus, schon gar nicht mehr, seit es keine Bahnsteigkarten mehr gibt, die sich die Deutschen laut Lenin erst besorgen würden, wollten sie sich an so etwas wie einer Revolution beteiligen. Und außerdem: Zwischen welchen Klassen sollte der Klassenkampf denn stattfinden? Außer einem fröhlichen Hauen und Stechen aller gegen alle ist nichts in Aussicht, das nach einer vielversprechenden Zukunft aussieht. Verschwörungstheoretische Hirngespinste vom geheimnisvollen »Auftrag zur Verschleierung der gesellschaftlichen Verhältnisse«, den die Kapitalisten in den Vorstandsetagen ausbaldowern, ergeben noch keine vernünftige Zeitung. Eine schlechte Zeitung
aber wird daraus, wenn sie sich plötzlich auf der Seite Stolpes befindet, der bei den Bewohnern von Gollwitz hoch im Ansehen steht, weil er sie in Schutz genommen hat.
Auch wenn Stolpe die Straftaten seiner Zonis gerne herunterspielt, ist ihm doch nicht verschlossen geblieben, daß Brandenburg im Ausland und bei den Reiseveranstaltern nicht sonderlich hoch im Kurs steht und auch die Westler mittlerweile einen großen Bogen um die märkischen Sandhaufen machen. 2,5 Millionen Mark zweigt nun die Regierung jährlich für ein Projekt namens »Tolerantes Brandenburg« ab, um die »Zivilcourage« zu fördern, also etwas, das man den Zonis erst lang und breit erklären müßte und das sie doch nie kapieren würden. Unter diesem Gesichtspunkt eine lächerliche Summe für ein derart gigantisches Unternehmen, die vermutlich ohne Wirkung in irgendwelchen Kanälen versickern wird, ohne daß ein Brandenburger etwas davon mitbekäme. Was man sich im Stolpe-Land bisher als Antwort auf den herumvagabundierenden Zonenmob einfallen ließ, hört sich dann auch äußerst abstrus an: >»Noteingang. Wir bieten Schutz und Informationen bei rassistischen und faschistischen Übergriffenin< im Osten« titelte denn auch die Süddeutsche Zeitung vom 26.8.98. Auf Seite l stellte Annette Ramelsberger in einem aufschlußreichen Artikel fest, daß zwei Drittel aller Neonazis in den neuen Bundesländern leben: »Von den 2400 dem Verfassungsschutz bekannten Ultrarechten halten sich hier 62,1 Prozent auf - obwohl in den neuen Ländern nicht einmal ein Viertel der deutschen Bevölkerung wohnt. Auch von den bundesweit insgesamt 7400 gewaltbereiten Skinheads lebt knapp die Hälfte, 46,6 Prozent, im Osten. Das korrespondiert mit den Zahlen über fremdenfeindliche Übergriffe im Osten.« Dabei wurden in Mecklenburg-Vorpommern 1997 Ausländer SOmal öfter angegriffen als in Nieder24
Sachsen, in Brandenburg kam es zu 20mal mehr Übergriffen als in Bayern. Dem Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutzes zufolge gab es im Jahr 1997 in Mecklenburg je 100.000 Einwohner 3,14 ausländerfeindliche Gewalttaten, in Brandenburg 2,26, in Sachsen-Anhalt 1,61. Im Vergleich dazu liegt die Quote in den westlichen Bundesländern bei 0,11 bis 0,17. Die Affinität der Zonis zu den rechten Parteien wurde jahrelang bagatellisiert, und auch heute finden sich nur sporadisch Berichte über die unverbrüchliche Freundschaft der Zonis zu den Rechten. Bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt hatten im April 1998 30 Prozent der Jungzonis der DVU ihr Vertrauen ausgesprochen. Die rechtsradikale Gesinnung der Zonis ist dabei keineswegs eine aus dem Westen importierte Seuche, sie ist auch keine Folge der sozialen Unsicherheit und des Arbeitsplatzverlustes nach der Wiedervereinigung. Wäre Hitler nicht Österreicher gewesen, wäre er aus der Zone gekommen. »Schon 1988 zählte das Ministerium für Staatssicherheit der DDR mehr als 1000 rechte Skinheads im Land. >Das war nicht die Wende, was wir jetzt erleben, das war angelegt«, sagt Verfassungsschützer Ruhlich. Wie damals stehen auch jetzt die meisten Rechtsextremisten in Lohn und Brot. Arbeitsplätze allein helfen deswegen kaum gegen rechtes Gedankengut. »Wir müssen was anderes in die Köpfe reinbringenjeloofen< kam. Ein anderer verkauft jetzt samstags vor dem Stadion T-Shirts. Das Modell mit der Aufschrift >BFC Dynamo - Rekordmeister der DDR< kostet 30 Mark. Und wenn ein Tor fällt, rufen die Leute: >DiinahmooBrüder, zur Sonne, zur Freiheit«.« (Spiegel 13/99) So sind sie, die Zonis, brutal und sentimental.
Nein, in diesem autistischen Land will niemand freiwillig leben, weshalb Westler die sogenannte »Buschzulage« kriegen, um sie wenigstens etwas für die 28
Unannehmlichkeiten zu entschädigen, die sie in der Zone erleiden müssen. Kein Wunder auch, daß Bücher über den Rechtsextremismus in der Zone wie z.B. Bernd Sieglers »Auferstanden aus Ruinen« in Japan auf ein reges Interesse stoßen, und zwar nicht nur bei jenen, die aus beruflichen Gründen sich darüber informieren müssen, welchen Gefahren sie in der Zone ausgesetzt sind. Verschlägt es dennoch ganz normale Menschen in den Osten, die nie im Traum daran dachten, etwas anderes sein zu wollen als beispielsweise Hausfrau, müssen sie sich auf einen Kulturschock gefaßt machen, der in irgendeinem albanischen Gebirgsdorf nicht schlimmer sein könnte. So erging es Luise Endlich, die von Wuppertal nach Frankfurt/Oder umziehen mußte, weil ihr Mann dort eine Anstellung gefunden hatte. Frau Endlich ist nicht besonders anspruchsvoll, ihre Welt spielt sich zwischen Waschzwang und Vorhängegardinen ab, das ganz normale gesamtdeutsche Grauen also, in dem sich auch die Ossis wohlfühlen und das die beiden deutschen Stämme miteinander verbindet. Luise Endlich aber ist westliche Standards gewöhnt, weshalb sie schwer daran zu knabbern hatte, als sie bemerkte, daß die Zonenhandwerker ihr Handwerk nicht beherrschen, die Kellner immer noch so mufflig, maulfaul und gästefeindlich eingestellt sind wie früher, als es hieß, »Sie werden plaziert«, daß die Küche in den Restaurants eine Katastrophe ist und die Zonis in ihrer Freizeit am liebsten in braunen Trainingsanzügen der NVA herumlaufen, wenn sie nicht gerade im Sommer die Ostseestrände bevölkern. Dort lassen sie die Hüllen ganz fallen und präsentieren aufdringlich und stolz der Öffentlichkeit ihre schrumpligen Würstchen, die unter einem glänzenden Schweinespeckbauch vor sich hin baumeln. Kann jemand den schwabbelnden Königsberger Klopsen und dem unappetitlichen Fleischgehänge nichts abgewinnen,
wird er als Wessi entlarvt, der sich ins angestammte Revier der Zonis an die Ostseestrände drängt, während die da drüben es als das Natürlichste auf der Welt empfinden, mit ihrem offenen Hängehintern
schauzulaufen. Luise Endlich ist keine Schriftstellerin, sie hat sich um die wolkigen Begriffe wie »innere Einheit«* nie irgendwelche überflüssigen Gedanken gemacht, sie war auch nie am »Zusammenwachsen, was zusammengehört« interessiert, sondern hatte nur ihr eigenes kleines Wohlergehen im Auge, sie achtete auf die kleinen Dinge des Alltags, die das Leben angenehm oder eben auch nervenaufreibend machen können. Als ihr die Ossis genügend auf die Nerven gegangen waren, schrieb sie sich ihren Ärger von der Seele und faßte
ihre Erfahrungen mit der Zone in »einfache Geschichten«. »Es sind alltägliche Begebenheiten, in denen sie von der Trägheit, der Verschlossenheit und den versteckten Feindseligkeiten des Ostens berichtet. (...) Als das Buch erscheint, tauchen Flugblätter auf, in denen die Autorin beschimpft wird. In der Buchhandlung von Frankfurt (Oder) wird es nicht verkauft, aber damit die Leute wissen, worüber sie sich aufregen, können sie in dem Laden ein Exemplar für zwei Tage ausleihen. In der Märkischen Oderzeitung schreibt ein Schriftsteller, ihm sei beim Lesen des Buches >speiübel< geworden, wegen der >Arroganz, mit der gelebtes Leben qualifiziert wirdKarl Marx hat geschrieben, das Grundprinzip allen Wirtschaftens muß das Schaffen von mehr Freizeit sein.« Ende der Debatte«. Die Ossi-Redakteure sehen wieder klar. Neues Deutschland.
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Betretene Beigetretene Die Ostgoten bleiben, wozu sie gemacht wurden: Fremdkörper
Michael O.R. Kröher
Sage keiner, er nehme die Grenze nicht mehr wahr! Während der Zugfahrt, sagen wir: von Hamburg nach Berlin, genügt ein kurzer Blick aus dem Abteilfenster, schon weiß man zweifelsfrei: Man befindet sich noch hüben, im satten Schleswig-Holstein, oder schon drüben, im bettelarmen MeckPomm. Hüben die viel zu hell verputzten Einfamilienhäuschen mit ihren Tropenholz-Gitterfenstern und die zergliederte Landschaft. Drüben die viel zu teuren Eingangstüren vor nachträglich angebauten Windfängen, weiße PVCFensterrahmen und eine Gegend, die sich von der sozialistischen Flurbereinigung nach lange nicht erholt hat. Noch deutlicher ist der Übergang, wenn man mit dem Auto fährt. Etwa von Ratzeburg nach Schwerin über Gadebusch: Kurz hinter Mustin überquert man noch die backsteinverblendete »Freundschaftsbrükke«, 1990, logo, betont solide aus Beton erbaut, schon wuchern Schlaglöcher im Straßenbelag wie Krater auf der Oberfläche ferner Asteroiden. Nach wenigen hundert Metern buckelt dann die Straße im konvexen Profil des alten Kopfsteinpflaster-Belags, der dann auch prompt die Lücken zwischen den Schlaglöchern ausfüllt. Am Ende ist nur noch eine Straßenhälfte befestigt: jene, die nach Westen führt, raus aus diesem Elend. 67
Ähnlich offen treten die Unterschiede zu Tage bei den Menschen. Ihr Staatswesen mag eine neue Verfassung haben, solide und ausgewogen, modern und zugleich bewährt wie die übrigen Bundesländer. Ihre innere Verfassung ist jedoch noch immer diffus. Manchmal sogar konfus: Junge Ostgoten sind entweder geprägt von früh beginnender und dann schier aussichtsloser Arbeitslosigkeit oder vom schnellen Schuldurchlauf in nur 12 Jahren bis zum Abitur. Beide Typen unterscheiden sich radikal vom bürgerlichen Mittelmaß und der Wohlstandsverwahrlosung, die in westdeutschen Waschbeton-Gesamtschulen und an sogenannten Jugendtreffs in den Fußgängerzonen vorherrschen. Der Jung-Ossi trägt seine zur generalisierten Feindseligkeit geronnene Resignation zu Schau wie sein westlicher Altersgenosse die Fishbone-Jacke. Oder er verströmt ein missionarisches Gutmenschentum, das außerhalb des Beitrittsgebiets spätestens in der zweiten Hälfte der 80er Jahre, nach dem letzten Heimleuchten der Friedensbewegung durch Lichterketten, als ausgerottet gelten durfte. Kommt dann noch das märkische Bellen hinzu, wie es in weiten Teilen Brandenburgs und der Uckermark für Umgangssprache durchgeht, oder ein sächsischer Zungenschlag, der in manchen Regionen der Welt für eine endemische Mißbildung des Rachenraumes und des Gaumensegels angesehen wird wie andernorts der Kröpf oder der Kretinismus, dann gleicht der Nach-Wende-Ossi mehr und mehr einem Alien. Ganz anders die Vorläufer-Generation. Die redlichen Ostgoten, die sich, sagen wir als ideologisch unverdächtige »Dispatcher« in irgendeinem Industriezweig, als Ingenieure oder Kinderärzte mehr schlecht als tapfer durch die nicht enden wollenden Aren Ulbricht und Honecker geschlagen haben, fallen heute in den Menschenmassen von Volksfesten wie dem Hamburger Hafengeburtstag oder dem Münchener Okto68
berfest noch genauso auf wie seinerzeit '89, als sie kichernd oder mit rotem Kopf vor den Beate-UhseLäden Schlange standen, um dann drinnen ihr »Begrüßungsgeld« in die Münzschlitze der Peep-ShowKabinen zu versenken. Fast glaubt man, Otto, Quelle und die anderen Großversender hätten ein eigenes Sortiment fürs Beitrittsgebiet aufgelegt. Denn noch immer ist es das besonders kleine Karo auf der bügelfreien, etwas zu kurz gekauften Hose, die besonders schlecht sitzende Socke, der kundigere Kunden schon im Katalog ansehen, daß sie mieft, die besondere verwaschene Farbe des Pepita-Mantels, die den AltOstgoten wie früher auffallen lassen. Und ihre Unsicherheit. Im überfüllten Bierzelt kriegen sie noch immer keinen Blick des Zapfers hinterm IVesen, sie können noch immer nicht mit der als Coolness ausgegebenen Stumpfheit der Kellnerinnen umgehen, und sie meckern noch immer über Cappuccino aus der Espressomaschine: Sie hätten lieber »echten« Filterkaffee mit Schlagsahne und keine geschäumte Milch, weil sie die für einen billigen Behelfhalten. Im Grunde sind die Ostgoten in der allmählich zur Vereinheitlichung neigenden Gemeinschaft der europäischen Völker das geblieben, wozu sie die ununterbrochene Folge von Nazi- und Stasi-Barbarei gemacht hat: Nicht nur Fremdlinge, sondern Fremdkörper. Im historischen Sinn also weniger Subjekte als Objekte. Weder Täter noch Opfer, eher Gegenstände der Geschichte. Nun ist es nicht mehr so, daß die Bewohner des Beitrittsgebiets das nicht merkten. Zehn Jahre nach dem Anschluß des damaligen »Dunkeldeutschland« an die Restrepublik ist den dort Ansässigen ihr Handicap meist durchaus bewußt. Und sie reagieren darauf: Primitivere Geister durch jede Form der Aggressivität gegenüber jenen, die sie gesellschaftlich noch tiefer 69
gestellt wähnen: durch Ausländerhaß, Asylantenhatz,
Mord, Totschlag, Brandstiftung und das Verprügeln der Anhänger gegnerischer Vereine aus der FußballRegionalliga. Sensiblere Gemüter neigen eher zur Betretenheit. Dabei gibt es erhebliche regionale Unterschiede. Im brandenburgischen Rheinsberg lungern zum Beispiel die mit Malteser- und Hakenkreuzen tätowierten Outcasts auch sonntags demonstrativ vor dem aus Tucholskys Erzählung bekannten, romantischen Rokoko-Schloß herum. Sie kratzen die Stoppeln ihrer geschorenen Glatzen, rülpsen Lübzer Pilsener, das sie für zwei Mark pro Halbliterdose in der Frittenbude nachtanken, und entschlagen sich öffentlich des so angesammelten Wassers an den Stämmen der mächtigen Platanen, die andernorts in Europa den Schatten spenden könnten für eine Boule-Bahn oder für Zigarre schmauchenden Altherrenrunden. Ihre Schäferhunde fletschen die Zähne, wenn die Besitzer an den Halsbändern zerren - was sie tun, sobald sich Ausflügler mit dunklerer Haut- und Haarfarbe auch nur in Sichtweite wagen. Nebenan, auf dem Parkplatz hinter dem Schloßpark, sucht ein Nebenerwerbs-Bienenzüchter den Anschluß an die Dynamik des Marktes für biodynamische und andere, vermeintlich gesunde Lebensmittel. Das Schild, das er vor seinem Verkaufsanhänger aufgestellt hat, zeigt, wie das Denken in den Kategorien des dialektischen Materialismus und ähnlich »wissenschaftlichen« Gesellschaftmodellen überführt wird in Instrumente eines Marketing, das sich an die besonderen Zielgruppen der Neuen Bundesländer richtet. Es preist den angebotenen Honig als »schadstoffarm durch vernunftbetontes Imkern«. Ganz anders geht es zu in den hoch eleganten, polierten Passagen etwa in der Leipziger Innenstadt, am nagelneuen Kopfbahnhof mit Deutschlands schön70
ster Wartehalle, oder am Potsdamer Platz in BerlinMitte. Hier gibt es weder Glatzen noch dialektischen Materialismus, weder Schäferhunde noch biodynamisches Marketing. Alles schick, alles so glatt wie in Düsseldorf oder in Mainhattan oder in Stuttgart: Pizza und Pasta, Quiche und Croque als »Takeaway«Food, schlammfarbene Cargo-Pants am Wühltisch von H&M, Techno-Gedröhne aus dem MediaMarkt, in der Mitte ein »Duftquiz« zu einem neuen Aftershave, präsentiert von irgendeiner nabelfreien Kabel-TVModeratorin. Nur das Kellergeschoß des weitläufigen Einkaufszentrums am Potsdamer Platz verrät den Fortbestand der Prolokratie. In einem Seitenwinkel der marmornen Pracht ist die Aldi-Filiale untergebracht. Sie wird deutlich besser frequentiert als die teuren Sportboutiquen, Zigarrenläden und Handy-Shops in den Stockwerken darüber. Zwischen diesen Polen liegt, wie überall in Deutschland, die Provinz. Dort hat der warme Regen der SoliZahlungen aus westdeutschen Finanzämtern inzwischen den sauren Regen aus maroden Ost-Schloten endgültig verdrängt. Es herrscht eine subventionierte Behaglichkeit, die vor keinem Geschmacksfrevel zurückschreckt. Zugleich eine tiefe Verunsicherung, wie sie allenfalls noch im entnazifizierten Westdeutschland der 50er Jahre geherrscht haben mochte: Die Statthalter der Macht und Honoratioren wissen, daß sie als Auslaufmodelle gelten. Daß sie nur von den neuen, auswärtigen Herren geduldet werden, weil seinerzeit, nach dem Beitritt und der Entsorgung historisch belasteter Kader, niemand anders bereit stand. Eine neue Generation, die alles besser machen möchte, die für einen Aufbruch zu haben wäre, ist entweder schon ausgewandert oder nie nachgewachsen. Zum Beispiel in Mittweida. Das sächsische Stadt71
chen, 18 Kilometer von Chemnitz entfernt, versteckt sein strukturelles Vakuum hinter emsiger Tiefbautätigkeit. Überall sind die alten Kopfsteinpflasterstraßen aufgerissen, werden neue Bordsteine und Siele gelegt, muß der Verkehr über zum Teil komplizierte Umleitungen in großen Bögen um ganze Sanierungsfelder geführt werden. Die Mittel für die meisten Erdbewegungen, Asphaltarbeiten und Plattenlegereien kommen vom Land - und somit aus den Stützungszahlungen des Bundes im Rahmen des »AufbauOst«-Programms. Ringsherum, in den Häuserzeilen, Vorgärten und Hinterhöfen, gammeln unrenovierte Ost-Liegenschaften neben den klobigen Glasfassaden postmoderner Palazzi Prozzi, die provinzielle Wendegewinnler mit den Hochbau-Förderprogrammen Anfang der 90er Jahre eilig hochgezogen haben. Auch dort hält sich kaum ein gewerblicher Mieter für länger als ein paar Monate auf. Sonnenstudios, SoftwareBeratungsfirmen und ominöse Marketing-Agenturen dämmern in nahezu menschenleeren Büros mit grellblau gemusterter Auslegeware. Im 19. Jahrhundert war Mittweida der klassische »Marktflecken«: In der Mitte ein kopfsteingepflasterter Platz mit Brunnen, umliegend das Rathaus, die Apotheke, Einzelhändler, Gasthäuser und stattliche Bürgerresidenzen. Davon abgehend die Hauptstraße mit zahllosen Läden, bis heute mit Tradition geführten Fachgeschäften: Uhren, Schuhe, Zeitschriften, Juwelen, und - seit einigen Jahren aufgeblüht - einem Reisebüro. Auf einem der beiden Stadt-Hügel thront das Gymnasium: Ein überschweres wilhelminisches Spukschloß, Heimat von Heinrich Manns Professor Unrat oder zumindest seiner knebelbärtigen Wiedergänger. An trüben Spätwintermorgen heben sich die neugotischen Spitzbogenfenster mit milchig grünlichem Licht aus dem sternlosen Himmel vor dem Morgengrauen ab. 72
Gegenüber die Fachhochschule, das ehemalige »Technikum«. Hier studierten die Gebrüder Heinkel und bauten später das erste deutsche GanzmetallFlugzeug; hier entwickelte Walter Bruch vor dem Krieg das PAL-Farbfernseh-System - dessen Lizenzen die DDR später nicht bezahlen konnte und deshalb auf das technisch schlechtere SECAM ausweichen mußte.
Ähnlich wie die Bergakademie im benachbarten Freiberg hat die Fachhochschule Mittweida seit ihrer Gründung im Kaiserreich in jeder Ära hohes Renommee sammeln können. Doch anders als bei der Freiberger Akademie, deren bedeutendster Alumnus Alexander von Humboldt sein dürfte, ist man in Mittweida nicht auf jede Epoche des Forschens und Lehrens stolz: In der DDR waren die bestens ausgerüsteten Elektrotechnik-Abteilungen der Ingenieursschule die Zuchtanstalt für besonders raffinierte Wanzen und andere Technologien der gefürchteten »Firma Guck & Horch«. Sie bildeten quasi die ausgelagerten Entwicklungslabors der Stasi. Nach 1990 wurde der gesamte Lehrkörper der Fachhochschule gegauckt und vom Wissenschaftsrat evaluiert - wie in allen Hochschulen des Beitrittsgebiets. In Mittweida waren die Verluste jedoch besonders hoch; die Entstasifizierung traf die Mehrheit der Elektrotechniker, Maschinenbauer, Mess- und Regeltechniker und Informatiker. Der Kanzler allerdings blieb übrig - der Mann, der unter anderem den Etat verwaltet. Der ist ein stämmiger 50jähriger, klein, dafür mit um so größerer Nase, auf der eine Brille mit feinem Metallrand, aber viel zu großen Gläsern sitzt. Sein breiter sächsischer Zungenschlag wirkt auf unvorbereitete Besucher wie vergorener Fußschweiß. Der Kanzler trinkt gern Köstritzer Bier. Dazu kehrt er bevorzugt in einem Gasthaus auf der Magistrale 73
ein, das Fischernetze, Positionslampen und anderen maritimen Tinnef unter die niedrigen Decken gehängt hat - offenbar zur Steigerung der Gemütlichkeit, mitten in Sachsen. Wie den meisten reiferen Ostgoten war es auch ihm nicht vergönnt, die unbewußten Teile seines Konsumverhaltens auf die Waren- und Dienstleistungsangebote im Kapitalismus zu adaptieren. So trinkt er die großen Humpen leer, so schnell er kann — als ob der Vorrat nach jeder Bestellung zu Ende gehen könnte. Die Wirkung stellt sich prompt ein. Anders als in den meisten zivilisierten Regionen der Welt wird im nachsozialistischen Sachsen gerne früh diniert. Auswärtige, die erst gegen sieben Uhr ins Lokal kommen, finden die Einheimischen dort bereits nach der Suppe oder der Vorspeise. Gegen halb neun hat der Kanzler dann den Pegel erreicht, bei dem er sich auf Goethe beruft, weil ihm »so kannibalisch wohl« ist »als wie 500 Säuen«. Den Rektor der Fachhochschule, der seinen Kanzler gerne bremsen würde, stutzt der gleich um so derber zurecht. »Von dir habe ich noch einen ganz besonderen Antrag in Bearbeitung«, sagt er mehr zu den Umsitzenden als zu seinem Vorgesetzten. Seine Betonung streicht heraus, daß er den Rektor duzen darf, als einziger am Tisch. »Der Rektor möchte gern sein Sofa behalten dürfen im Büro«, dröhnt der Kanzler, »das ist aber im Etat nicht vorgesehen.« Er nimmt noch einmal einen tiefen Schluck Dunkelbier. »Aber keine Angst, ich sorge dafür, daß du mittags in aller Ruhe in die Polster pupen kannst!« Der Rektor windet sich vor Peinlichkeit. Der Kanzler bestellt noch eine Runde Köstritzer. Im Vergleich zu dem vierschrötigen Kanzler ist der Rektor ein Feingeist. Zwar ist auch sein Sächsisch unüberhörbar, doch weitaus geschliffener, fast aristokratisch. Seine Intellektualität betont er auf der Visi74
tenkarte durch den Zusatz »habil.« nach dem Professorentitel: Anders als die eher handfesten Ingenieure, aus denen sich sein Lehrkörper zusammensetzt, hat der Rektor die akademischen Mühen eines Habilitationsverfahrens auf sich genommen - und bestanden. Die Leitung der Fachhochschule hat der 60jährige erst vor wenigen Jahren übernommen; sein Ziel ist, die internationale Reputation raschestmöglich zurückzugewinnen. Dazu hat er neue Studiengänge eingerichtet. Zum Beispiel Medientechnik, zuletzt auch Medienmanagement. Das macht sich gut in der postsozialistischen Diaspora, wenngleich die beiden Professoren, die die Fachrichtung vertreten, mit ihrem breiten Niederbayerisch und Fränkisch dort wie Kuckuckseier wirken. Für die beamtenähnlichen Posten auf Lebenszeit haben sie sich auch ohne »habil.« qualifiziert, weil zumindest einer von ihnen im benachbarten Freistaat, dem »Patenschafts-Bundesland« des ebenfalls freistaatlich organisierten Sachsens, einen wichtigen Job bei der Landesmedienanstalt hatte.« Ich stamme noch aus den Seilschaften von Franz-Josef Strauß«, sagt der Professor ganz unverblümt. Neben seiner Aufbauarbeit an der Hochschule hat der Rektor ein Sachbuch geschrieben. Es soll seinen Gemeinsinn und seine Modernität demonstrieren, seine Bereitschaft, sich aus dem Elfenbeinturm der Ingenieurswissenschaften heraus zu bewegen und zugleich an der Lösung einer gesellschaftlich brisanten Frage konkret mitzuarbeiten. Es behandelt die Überwindung der Massenarbeitslosigkeit in der postindustriellen Gesellschaft - und ist mit der beseelten Emphase eines Konvertiten geschrieben. Eines Menschen, der weder aufhören kann noch möchte, sich am angeblich so freien Durchatmen in der freien Marktwirtschaft zu erfreuen. Seine zentrale These ist: Um die Arbeitslosigkeit zu beseitigen, müßten die Motori-
sierung, die Mechanisierung und die Automatisierung so weit wie möglich wieder rückgängig gemacht werden. Körperliche Arbeit solle wieder an die Stelle von Maschinen treten. Das spare unersetzliche Ressourcen, etwa an fossilen Brennstoffen, schone die Umwelt - und bringe die Vollbeschäftigung zurück. Das Buch ist in einem kleinen Verlag erschienen »im Westen«, wie der Rektor betont. Dennoch, so wundert er sich, verkauft es sich ausgesprochen schlecht. Außer im Münchener Merkur, wo es sein Medienprofessor über ein anderes Mitglied der StraußSeilschaft rezensieren ließ, ist es bestenfalls wohlwollend übergangen worden. Doch auch die Abendgesellschaft in der sächsischen Seemannskneipe vermag nicht tiefer auszuloten, inwiefern die Rückkehr zu Spitzhacke und Schaufel etwa beim Bau von Autobahnen heutzutage einen ähnlichen Effekt auf die Arbeitslosenzahlen haben könnte wie zu Beginn der Naziherrschaft. Vielmehr bringt sich schon bald der auf seine Weise beschwingte Kanzler ins Spiel. »Früher war nicht alles schlecht«, sagt er unvermutet. Erst nach einer Reihe höchst irritierter Nachfragen stellt sich heraus, daß er von der DDR spricht, in der, wie er nicht müde wird zu wiederholen, »zwar vieles nicht in Ordnung, aber eben nicht alles schlecht war«. Der Gastprofessor aus den USA, ein gutmütiger Nickelbrillenträger, der den ganzen Abend über Pfefferminztee getrunken hat und sich selbst als »Egghead« bezeichnet, greift das Thema auf, indem er mit seinem putzigem Akzent eine Anekdote aus seiner Existenz im Gästehaus der Hochschule berichtet: Dort fühlt er sich noch immer an seine früheren Besuche in der DDR erinnert, obwohl die Zimmer hinter der Backstein-Fassade des Gründerzeitbaus inzwischen komplett neu eingerichtet sind. Aber die Hochschule hat das ehemals honorige Hotel übernommen 76
und zum Gästehaus deklariert, als das Etablissement kurz nach der Renovierung pleite gegangen war. Niemand aus der freien Marktwirtschaft wollte dort absteigen. Jetzt haben die Zimmer zwar alle Telefon doch die Leitung ist tot. »Nicht mal den Pförtner oder die Telefonzentrale der Hochschule kann man anrufen«, erzählt der Gastprofessor belustigt. Weder seine Frau noch seine Uni in Wisconsin habe er erreichen können, auch von dort sei man nicht zu ihm durchgedrungen. »Wie damals in der DDR!« »Trotzdem«, sagt der Kanzler, »es war nicht alles schlecht, damals.« Er verlangt nach mehr Dunkelbier. Doch tatsächlich: »Köstritzer ist aus«, bedauert die Bedienung. »Hab ich's nicht geahnt«, murmelt der Kanzler und weicht routiniert aus auf helles Radeberger. »Radebrecher«, wie er sagt. Die übrige Gesellschaft hingegen nimmt die Ansage als Zeichen für den Aufbruch. Draußen, in den Straßen von Mittweida, herrscht kurz nach zehn Uhr Abends ähnlich gähnende Stille wie andernorts um zwei Uhr morgens. Dafür dröhnen und klappern am nächsten Tag die Asphaltkipper und Molkereilaster ab halb sieben wie sonstwo erst ab acht. »Die Uhren gehen hier anders«, hatte der niederbayerische Medienprofessor gesagt. Der Rektor ist bereits vor acht wieder im Dienst, eilt mit wehenden Mantelschößen über den Campus. »Der alte Plattenbau dort oben wird demnächst abgerissen«, sagt er. Auch da drüben das Gebäude: »Da waren die Stasi-Labors drin. Da will keiner mehr arbeiten. Und schon gar nicht studieren.« Die anderen Hörsäle und Praktikumsräume sind ab acht dicht besetzt, um Viertel nach beginnt der Unterricht. »Wie früher«, sagt dazu der Kanzler. Um Mittweida zu verlassen, kann man vier Mal täglich den Interregio nehmen. Am Bahnhof steht noch ein Kiosk in jener Original-Architektur, die 77
seinerzeit von Suhl bis Wladiwostok, von Czernowitz bis Archangelsk im gesamten Ostblock einheitlich gebaut wurde. Die Auslagen zeigen Reiseprospekte über das Städtchen und sein ziemlich gesichtsloses Weichbild. Der Zug fährt nach Chemnitz oder nach Rostock. Wer weiter in den Westen will, muß umsteigen. Zum Beispiel am Berliner Flughafen Schönefeld. Der Bahnhof war zu DDR-Zeiten ein Zweckbau der sozialistischen Apartheid: Ein Teil wurde von DDRBürgern und den Reisenden aus Ländern des Ostblocks genutzt, der andere von Westdeutschen und anderen Devisenbringern. Vom benachbarten Airport starteten die Aeroflot-, Lot- und Malev-Charternugzeuge an die Sonnenküsten von Bulgarien und Rumänien. Damit sie auch und vor allem West-Touristen mitnehmen konnten, durften die quasi exterritorial aus Westberlin anreisen und die Flieger besteigen. Eine Ausstellung privater Schwarzweißfotos in der Wartehalle erinnert an diese große Zeit. Das Exterritoriale ist längst vorbei in Berlin-Schönefeld. Jetzt wirkt der Eisenbahn-Knotenpunkt extraterrestisch: Die flachen Betonschrägen und die viel zu breiten Unterführungen zu den Bahnsteigen sehen aus, als führten sie zu den Startrampen eines Weltraumbahnhofs, den Außerirdische für ihre Heimreise angelegt haben. Dabei wurden sie nur so gebaut, damit bei Staatsempfängen die Limousinen bis ans Gleis fahren konnten. Die tatterigen Staatschefs der »befreundeten« Ostblockländer brauchten dann, wenn sie mit dem Zug ankamen, nur noch in den zu ihren Füßen wartenden Wagen umsteigen. Heute liegt die Großanlage nahezu leer und entvölkert da. Am Auskunftsschalter wartet ein dicker Bahner auf Ratsuchende. Er streicht sich über die pralle Kugel unter seinen Rippen, schlürft laut Kaffee, den er aus einer Thermoskanne nachschenkt, und stu78
diert zwischendurch das Englischbuch seines Fortbildungskurses. Die Dame am Fahrkartenverkauf te-
lefoniert mit daheim. Durch die schmucklosen Betonflure streicht eine eisige Brise. »Det is' Ostwind«, sagt der Gemütsmensch hinterm Auskunftstresen, als der einzige Fremde in der Wartehalle merklich fröstelt. • Damit hamwa hier Erfahrung.« Wenn der Eurocity aus Budapest hält, steigt kaum ein Reisender aus. Eine junge Mitropa-Angestellte traut sich jedoch auf den Perron. Auch sie friert in ihrer dünnen Kellnerinnen-Uniform, verschränkt die Arme und stampft mit den Füßen. Ihren Blick hat sie fest auf eine Seite des Horizonts geheftet, weg von den Flughafengebäuden, weg von Werbeplakaten und Leuchtreklamen: Da es nicht von dem öden Grasland ausgehen kann, das sich dort ausdehnt, muß es die bloße Richtung sein, die ihre innere Orientierung anzieht wie den Kompaßsinn eines Zugvogels. Offenbar ist es der Osten, der sie unwillkürlich lockt und ruft. Dort liegen nicht nur die endlosen Weiten von Tundra und Taiga, sondern auch die Wurzeln jenes universellen Gesellschaftsmodells, das nach dem letzten, verheerenden Krieg plötzlich überall jenseits von Helmstedt und Herleshausen galt. Im Osten hat alles begonnen, und es wirkt noch immer fort. Es liegt wie ein unsichtbares Tuch über Land und Leuten, spürbar aber nur für die, die das Kraftfeld am und im eigenen Leib erlebt haben, von ihm geprägt wurden. Sibirien. Der Zug fährt an, schnell springt die junge Frau durch die letzte, von innen offen gehaltene Tür wieder in den Speisewagen.
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Mandy heißen statt Reisefreiheit
Wiglaf Droste Einer kam durch, Christus kam nur bis Eboli, aber mancher Zoni ist tatsächlich »im Westen angekommen«, also »in der Demokratie«, und wird dafür dann auch sehr gelobt von Leuten, die sich mit Demokratie auskennen, von Wolfgang Schäuble und dem PDSVorstand beispielweise. Der Preis, der fiir's Ankommen im Westen und in der Demokratie bezahlt werden muß, wird von vielen als solcher gar nicht empfunden: Es handelt sich ums Hirn, und das ist für die meisten kein nennenswerter Verlust; manche bemerken ihn nicht einmal und leben ganz unverändert weiter. Einer dieser ulkigen Kopfamputierten steht am Tresen einer Gastwirtschaft und hat Mitteilungsdruck. Er sei aus Eisenach, erzählt er im fauligen Argot der Thüringer, und anstatt daß man sich sofort und ohne weitere Umstände die Finger in die Ohren steckt und davonläuft, bleibt man, von perverser Neugier an den Stuhl genagelt, am Nebentisch hocken und hört dem Mann zu, der es den ganzen weiten Weg von Eisenach bis nach Kassel geschafft hat. »Hou joo«, fließt es soßig aus ihm heraus, »die besde Zoit wor nodürlich die Wendezoit! Wos do olles lös wor! Sovül Oufbruch! Do hot sovül ongefongen!« Diesen Brei gibt ein Mann von sich, der zirka Mitte vierzig ist, der also in der von ihm mystifizierten Zeit um 1989 offenkundig zwar nicht bei Trost und Verstand, aber doch zumindest reichlich volljährig war und es 81
besser wissen müßte. Er weiß aber nichts, also
quatscht er, was alle quatschen. Hätte man nach 1989 nicht doch sofort alle Zonis erschießen sollen? Oder wenigstens alle Thüringer und Sachsen? Zehn Jahre danach erscheint der Gedanke noch naheliegender, als er damals schon war. Aber so ist das: Hinterher ist man immer schlauer. Der Eisenacher hat sich warmgesprochen und kommt jetzt zum entscheidenden Punkt: dem »Ünrechdsstodt De De Örr«. Er schlägt die Hände über dem Kopf zusammen vor nachträglichem Glück, der Todesfalle DDR entronnen zu sein; je länger es die DDR nicht mehr gibt, desto heimtückischer, finsterer, mörderischer und eben unrechtsstaatlicher erscheint sie ihm jetzt, ihm, der seit Jahren in Kassel lebt, einer Stadt, aus deren Mitte immerhin eine veritable »Bürgerinitiative zur Aufhebung des Sonntagsrasenmähverbots« hervorging. Denn daran erkennt man den picobello Rechtsstaat: am Menschenrecht auf Wagenwaschen samstags und Rasenmähen sonntags. Nicht, daß es solche Autowasch- und RasenmähBürgerrechtler in der DDR nicht gegeben hätte; schließlich war die Zone deutsch und das wohl ihre größte Hypothek: Wer einmal die akkurat geharkten Wege in Mecklenburg gesehen hat, weiß, was ich meine. Wenn schon ständig von den »Verbrechen des Sozialismus« gesprochen wird — warum schweigt man dann die Mecklenburgischen Wegehark-Exzesse tot? Und warum spricht niemand über das Verbrechen, das an Abertausenden von unschuldigen Kindern begangen wurde und das hier »Mandy heißen statt Reisefreiheit« genannt werden soll? Um nämlich ihre eingeschränkte Freizügigkeit zu kompensieren, zeugten die DDRler, die sonst weder viel zu tun noch viel zu lachen hatten, erstens jede Menge Kinder. Und gaben ihnen dann zweitens bevorzugt Namen, die nach Weitläufigkeit klingen soll82
ten, ganz so, als wären die Namensgeber quasi weitgereiste Leute, und als würden jene, die diese Namen bekamen, eines Tages sogar noch weiter reisen, in ferne, exotische, Postkartenglück versprechende Länder. Und deshalb brachte die Zone mehr Silvios hervor als ganz Italien. Eve und Steve waren ebenfalls beliebt, und Timo war ein Klassiker. Leuten die Reisef'reiheit zu entziehen oder einzuschränken, mag man weise finden und für einen freundlichen Akt den Angehörigen anderer Nationen gegenüber halten; den am Herumzigeunern Gehinderten aber auch noch Vornamen zu verpassen, die sich auf »Handy« und auf »Livio« reimen, ist unmenschlich hart, wenn nicht barbarisch. Im Licht der Kranzgebindekerzen, angezündet für Tausende Silvios und Mandys, leuchtet nicht nur der Eisenacher, den man nur deshalb nicht gehirngewaschen nennen kann, weil zum Waschen nichts da war, ganz und gar als Depp - sondern eben auch seine Kehrseite: Zonis, die, nicht minder gedankenfrei, an der retrospektiven Goldenanpinselung der DDR arbeiten und diesem längst nicht mehr existierenden Land eine regelrecht leichenwäscherische Loyalität hinterherwerfen. So sind sie, die Deutschen: Die einen prügeln, zugunsten der ebenfalls versunkenen Bundesrepublik, auf die Leiche DDR ein wie afghanische Taliban-Milizionäre auf Ungläubige, und die anderen, die man für die Klügeren hielt, erweisen sich ihrerseits als manisch auf die DDR fixiert und verteidigen den ExStaat gegen egalweg jeden Anwurf, sei er vernünftig, idiotisch, infam oder auch nur langweilig. Seit 1989 ziehen sich die Beerdigungsfeierlichkeiten nun schon hin, aber dennoch wollen die Deutschen nicht davon ablassen. Manchmal könnte man denken, es sei die reine Nekrophilie.
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Citvscr & Lenz
Guben, Little Storping Ein Hilfeersuchen an die Rächer
Clemens Nachtmann
Das Ortsschild weist das Dorf als das besterhaltene im ganzen Land aus. Es ist ein strahlender Sommertag, vor dem Gasthaus sitzen zwei wurzelseppige Gestalten beim Spiel, Typ: leicht beschränkt und verschlagen, aber harmlos aussehend. Sie unterhalten sich in einer Karl Valentin ebenbürtigen NullKonversation - natürlich über das Wetter: »Schöner Tag, Hubert?« »Ja,... es ist ein schöner Tag!« »Gestern war es auch schön.« »Ja, gestern war auch ein schöner Tag.« »Das Wetter schlägt um.« »Ich weiß nicht.« Plötzlich stürzt rückwärts ein Mann aus dem Lokal und fällt hin. Als er sich erheben will, tritt ein weiterer Mann aus dem Lokal, in der einen Hand ein Bier, in der anderen eine Pistole, richtet sie auf den vor ihm Kauernden und drückt ein paarmal ab. Gänzlich unbeeindruckt, als ob nichts geschehen wäre, setzen die beiden Wurzelseppen ihr Spiel fort. Das Opfer schleppt sich noch bis zum Dorfteich, dort bricht es tot zusammen. Später klärt sich dieses rätselhafte Geschehen auf: man erfährt, daß das in Rede stehende Dorf einst zunehmend verfiel - bis dort eines Tages ein Mord geschah und der immens reiche Täter den Einwohnern eine üppige Geldsumme anbot, wenn der Mord nicht angezeigt werde. Die Bevölkerung trat daraufhin zur Beratung zusammen und nahm mit großer Mehrheit das Angebot an. Da sie nun einmal Blut 85
geleckt hatten, beschlossen die Dorfbewohner, ihre Dienste auch anderen anzubieten. Seither kann jeder gegen großzügige Bezahlung seine Feinde in fraglichem Dorf umbringen: die Bewohner verschaffen ihm ein wasserdichtes Alibi und lassen die Toten unauffällig verschwinden. Sie irren, liebe Leser, wenn Sie glauben, es sei'die ganze Zeit die Rede gewesen von abscheulichen Käffern wie Guben, Cottbus, Fürstenwalde oder Würzen, die man nie in seinem Leben betreten möchte, deren Namen man am liebsten gar nicht kennen, ja nicht einmal ignorieren mag, die man aber unfreiwilligermaßen fast Tag für Tag in der Zeitung lesen muß und denen dann Nachrichten etwa des eben ausgebreiteten Inhalts folgen, daß ein Asylbewerber, ein Ausländer oder gelegentlich auch mal ein Westdeutscher am hellichten Tag unter den Augen zahlloser Maulaffen feil haltender Umstehender gejagt/verprügelt/totgeschlagen wurde. Nicht von der deutschen Ostzone war die Rede, sondern von Little Storping. Es handelt sich um die Anfangssequenz einer der besten Folgen der Krimiserie »Mit Schirm, Charme und Melone«. Aber, liebe Leser, Sie haben wiederum völlig recht: die Art und Weise, wie in diesem Film das Agieren einer sich als Mörderbande konstituierenden Dorfgemeinschaft gezeigt wird, läßt beim Zuschauer den Eindruck zurück, als hätte der Drehbuchschreiber schon 1967 die Zustände im deutschen Osten nach der Wiedervereinigung vorausgeahnt. Die beklemmende Atmosphäre, die sich in dem beschaulich-idyllischen Ambiente einstellt; die Brutalität, die sich hinter der arglos-freundlichen Maske der Dorfeinwohner verbirgt; die namenlose Panik, die ein Hand in Hand arbeitendes Mordkollektiv beim gejagten Opfer auslöst; die alptraumhaften Szenen, die sich in Little Storping abspielen - kurz: der verrückte Ausnahmezustand, der hier in einem abseitig gelege86
nen Dorf herrscht, ist im deutschen Osten Wirklichkeit gewordene verrückte Normalität, und zwar flächendeckend. Schon der deutsche Titel der Folge, der eine durchaus geglückte Übersetzung des englischen Originals »Murdersville« darstellt, sollte in großen Lettern als Leuchtschrift am Eingang jedes einzelnen Zonenkaffs sowie an den ehemaligen Grenzübergängen gut sichtbar postiert werden: »Willkommen im Dorf des Todes«. Und erst recht gleichen sich einzelne Schrekkensszenen fast bis ins Detail: so bittet im Film die von der Dorfbevölkerung in die Enge getriebene und zunehmend von Panik ergriffene Emma Peel einen Hauern, der gerade sein Heu wendet, um Hilfe, worauf der sie, ohne ein Wort zu sagen, mit seiner Heugabel erstechen will. Zum Vergleich: im brandenburgischen Königs Wusterhausen, im braunen Gürtel um Berlin gelegen, wollte sich der von drei Glatzen verfolgte William Z. aus Kamerun in ein am Bahnhofsvorplatz stehendes Taxi flüchten, woraufhin der Taxifahrer nur meinte: »Verschwinde!« Bei der Polizei gab er später an, daß »Ausländer ihm sowieso auf die Nerven« gingen. Ein Bahnangestellter, den William Z. daraufhin um Hilfe bat, verwies ihn lapidar auf die Notrufsäule. Bei den Ermittlungen wegen unterlassener Hilfeleistung konnte der Angestellte nicht mehr ausfindig gemacht werden. Emma Peel gelang es, im Gegensatz zu William Z., ihre Verfolger abzuschütteln, worauf sie von den eingangs erwähnten, feist grinsenden Wurzelseppen mit dem dorfeigenen Helikopter über einer Wiese verfolgt wird. Im deutschen Osten verfügen die Dorfgemeinschaften zwar noch nicht über Hubschrauber, die werden nach wie vor nur von Polizei und BGS eingesetzt, wenngleich - Helau, Herr Habermas! - die Demokratisierung und Diffusion des staatlichen Gewaltmonopols insbesondere in den an der Grenze zu Polen 87
gelegenen Städten und Dörfern durch die Einrichtung von freiwilligen Bürgerwehren und die ohnehin vorhandene Mitmachbereitschaft beim Aufspüren von Flüchtlingen schon derart weit gediehen ist, daß man in Anlehnung an die Städtebenennungspraxis der DDR einer besonders trostlosen Agglomeration ruhig den Namen »Ulrich-Wegener-Stadt Guben« verleihen könnte. Aber die Zonis brauchen keinen Helikopter, um
Angst und Schrecken zu verbreiten, Handys und Autos tun's auch: »Zusätzliche Kameraden mobilisierten die Nazis (bereits 15 an der Zahl, C.N.) per Telefon. An einer Aral-Tankstelle stießen sie auf Omar Ben Noui sowie einen weiteren algerischen Flüchtling und einen Asylbewerber aus Sierra Leone ( . . . ) Die drei Männer versuchten, den sechs Autos, die sie durch das Gubener Plattenbauviertel jagten, zu Fuß zu entkommen ( . . . ) Omar Ben Noui und der zweite Flüchtling (...) flüchteten sich in den Eingang eines Wohnblocks. Als auf ihr verzweifeltes Klingeln hin niemand den Türöffner betätigte, trat der 28-jährige Algerier in Panik die Glasscheibe der Tür ein. Dabei durchtrennte die Scheibe die Hauptschlagader am Knie. Ben Noui gelang es noch, sich in den ersten Stock zu schleppen, wo er im Treppenhaus verblutete (...) Währenddessen fuhr der Nazimob >Sieg Heil< brüllend durch die Gubener Innenstadt« (Jungle World 8/99, S. 10). Freilich gerät die Parallelisierung von Little Storping und der Zone damit auch schon an ihre Grenzen - und zwar nicht etwa deshalb, weil man es das einemal mit einem bloßen Kunstprodukt, das andere Mal mit tatsächlich mörderischer Realität zu tun hätte, sondern weil der Film ein Stadium der Bandenbildung festhält, über das die deutschen Verhältnisse wohl schon immer, die heutigen Verhältnisse in der Zone aber auf jeden Fall hinausgehen. Die bürgerliche 88
Gesellschaft zerfällt einer Diagnose von Wolfgang Pohrt zufolge dann in ein Ensemble von Banden, »wenn den Menschen die Gesellschaft, der sie zugerechnet werden, fremd geworden oder fremd geblieben ist. Bande heißt, daß Menschen sich zur zweiten Natur, zur Gesellschaft, wie zur ersten verhalten« (»Brothers in Crime«, S. 80). Bande heißt eine temporäre Koalition atomisierter Einzelner zu dem Zweck, Beute zu machen. Die Einwohner von Little Storping geben vor diesem Hintergrund geradezu das Musterbeispiel einer Bande ab: die Jagd nach Geld ist das Motiv ihres kollektiven mörderischen Treibens, aber gleichzeitig findet ihr Mordeifer im schnöden materiellen Interesse sein begrenzendes Prinzip. Im Gegensatz dazu sehen die Dörfer des Todes in der deutschen Zone so schäbig und heruntergekommen aus wie eh und je: selbst wenn die Zonis so pfiffig wären wie die Leute aus Little Storping, die mit der Beute zuerst ihr Dorf aufmöbelten - sie würden mit dem Erbeuteten nichts anfangen können, weil bei ihnen die Dekomposition des Subjekts schon derartig weit fortgeschritten ist, daß sie weder für Dinge noch für Menschen noch irgendein lebendiges Interesse aufbringen und sich ihrer Lebendigkeit nur noch dadurch versichern, daß sie anderen nach dem Leben trachten. Kein noch so erbärmliches materielles Motiv treibt die völkischen Banden zu ihren täglichen Menschenjagden. Überflüssiges Menschenmaterial, das die Zonis im Angesicht des Kapitals objektiv sind, empfehlen sie sich durch praktizierten Totschlag an Nicht-Deutschen als zuverlässige Hilfstruppen einem Staat, den sie gerne so hätten, wie ihr Bewußtsein längst ist: faschistisch. Die »Zecken« und »Assis«, die sie eliminieren wollen, das wissen die Ossis nur zu gut, sind niemand anderes als sie selber. Daß ihnen ihr völkisches Engagement nicht vergolten wird, spornt dabei ihren Tot89
schlagseifer nur noch weiter an: so leer und spekulativ ihr Motiv, so leidenschaftlos, stur und nie zu einem definitivem Ende kommend ihre Taten. Verfolgt werden von den Zonis all diejenigen, die ihrem eigenen freudlosen, miefigen, stumpfen und erloschenem Dasein nicht gleichen, die von ihnen verdächtigt werden, spontaner menschlicher Regungen überhaupt noch fähig zu sein. So gezielt sie sich also ihre Opfer aussuchen, so gleichgültig sind diese wiederum im Hinblick auf das, was die Zonis zum Totschlag treibt. Gäbe es keine Ausländer mehr in der Zone, würden die Ossis sich welche erfinden und müßten sich dazu bei ihresgleichen umsehen, so daß man manchmal überlegt, ob es nicht vielleicht besser wäre, tatsächlich alle Flüchtlinge und Nicht-Deutschen zu evakuieren: diese hätten in westdeutschen Ortschaften ein jedenfalls ungleich geringeres Risiko zu gewärtigen, zum Opfer kahlrasierter Klopsköpfe zu werden, während die sich selbst und ihrem Hader überlassenen Zonis sich endlich gegenseitig massakrieren oder Hand an sich legen könnten. Der leere, subjektlose Idealismus, der der Mordbrennerei in der Zone zugrundeliegt, schlägt dabei auch auf den Prozeß der Bandenbildung durch. Während die Bewohner von Little Storping, insofern noch in der Planung von Verbrechen bürgerliche Konventionalformen wahrend, sich, um an Geld zu kommen, durch herausgehobenen Willensakt, also durch Versammlung, Beratung und Beschluß als Bande konstituieren, bedarf es in der Zone zur Verfolgung von Ausländern etc. nicht mal mehr willentlicher Verabredung. Kein Wille, sondern der Kriseninstinkt atomisierter und überflüssiger Existenzen stiftet hier einen Konsens verbrecherischen Inhalts, der ebenso real wie eigentümlich ungreifbar ist: real, weil alle Fraktionen der Gesellschaft Hand in Hand arbeiten, als ob sie sich abgesprochen hätten; und eigentümlich 90
ungreifbar, weil die gesellschaftlichen Fraktionen als formale Antagonisten, gegeneinander, agieren. Schon die nationalsozialistische Volksgemeinschaft war, anders, als manchmal angenommen, kein monolithischer Block, sondern ein plurales Ensemble konkurrierender und rivalisierender Instanzen; genauso verhält es sich heute in der Zone. Die nicht unbedingt glatzköpfigen Mordbrenner, die selber Hand anlegen; eine Polizei, die, wenn überhaupt, regelmäßig dann am Tatort eintrifft, wenn den Opfern schon der Schädel zertreten wurde, und die hinterher verlautbart, daß »keine Anzeichen für einen fremdenfeindlichen Hintergrund« vorlägen; Sozialarbeiter, die, in Kleidung und Physiognomie ihrer Klientel bereits angeglichen, in sämigem Betroffenheitsjargon von »akzeptierender Sozialarbeit« faseln und als Jugendclubs getarnte Nazi-Kaderschmieden betreiben, die die OstJugend dankbar als Logistikzentren nutzt, um ihre höchst eigene Art von Freizeiterlebnissen zu planen; Politiker und — ganz besonders: linke — Journalisten und Intellektuelle, die in weinerlichem Tonfall unter Verweis auf fehlende Arbeitsplätze, Jugendclubs, Frust und zerbrochene »Identitäten« um Verständnis für die Mörder werben; eine Bevölkerung schließlich, die die Taten ihrer braunen Avantgarde in jeder Hinsicht ermuntert, beklatscht oder duldet, um dann hinterher, wenn die Imageoffensive ausgerufen wird, mit gramzerfressener Miene und voll nachträglichem Gratismut beim garantiert nutzlosen Selbstdarstellungstheater mitzumachen - alle zusammen schmieden in antagonistischer Kooperation einen Konsens, der zwar das Prädikat »rassistisch« durchaus verdient, aber merkwürdigerweise keine oder jedenfalls nur sehr wenige explizite Rassisten als seine Träger benötigt. Vermutlich sind die Zeiten, wo sich die allgemeine Mordbereitschaft zum gemeinschaftlichen Pogrom 91
wie in Hoyerswerda oder gar zum temporären Faschismus wie in Rostock verdichten konnte, auch
vorbei; nach Rostock zerfiel der geschlossen auftretende Mob wieder in seine Bestandteile. Seither ist das Verfolgen, Verprügeln und Ermorden von Ausländern in der Zone zu einer Normalität geworden, an der keiner mehr Anstoß nimmt; als spektakuläre Ereignisse waren die Pogrome von 1991ff. noch in den Schlagzeilen und riefen bisweilen — wenn auch lahme — Empörung hervor. Der alltägliche Schrecken, dem Nicht-Deutsche nicht bloß in den »national befreiten Zonen« im Osten ausgesetzt sind, ist den Zeitungen oft nicht mal mehr eine Agenturmeldung wert und mobilisiert keinen mehr zum Widerstand. Womit wir abschließend beim entscheidensten Unterschied wären: Emma Peel und John Steed brachten in einem atemberaubendem Showdown das Dorf des Todes schließlich zur Strecke. Im Deutschland des Jahres 1999 ist jedoch niemand willens oder fähig, dem Zonenmob das Handwerk zu legen - am allerwenigsten die Linken. Entweder sie sind damit beschäftigt, Rassismus als »Diskurs« zu »dekonstruieren«, bekämpfen fleißig die Nazis, um sich nur ja nicht mit dem Zonenvolk anlegen zu müssen, dem diese entstammen und ohne deren Unterstützung sie längst abgeräumt wären, verbitten sich als ortsansässige »Antifa« irgendwelche Aktionen von anderen Linken in ihren Kaff als Einmischung »arroganter Wessis« in die inneren Angelegenheiten ihres Ost-Biotops, oder sie machen, wenn's ganz dick kommt, auf Multi-Kulti und veranstalten an der Grenze zu Polen ein Camp unter der Parole »Keine Grenze ist für immer«. Die Vertriebenenverbände, die das schon immer gesagt haben, werden genauso wie die Bundesregierung angesichts einer solch unerwarteten Unterstützung Tränen der Rührung vergießen. Weil also keine irdische oder überirdische Macht in 92
der Lage ist, das Morden in der Zone zu beenden, deshalb an dieser Stelle ein dringendes Hilfeersuchen an die Rächer , die Spezialagenten im Dienste ihrer Majestät, deren Oberbefehl schon Admiral Arthur Harris unterstand, der in Deutschland die Mindestbedingungen sozialer Revolution wiederhergestellt hat: Mrs. Peel, Mr. Steed, Sie werden nach wie vor gebraucht! Im Deutschland des Jahres 10 der Wiedervereinigung könnten Sie die ostzonalen Dörfer des Todes gleich dutzendweise aufmischen. Und sie könnten dabei unter Beweis stellen, daß Sie es auch mit einem Gegner aufnehmen können, gegen den die menschenfressenden Riesenpflanzen, die durchgedrehten Wissenschaftler oder die Roboter, mit denen Sie einst zu tun hatten, vergleichsweise mindere Bedrohungen darstellten und gegen den selbst die Fieslinge aus Little Storping noch harmlose Zeitgenossen waren: mit den gleichermaßen wehleidigen wie aggressiven Zonis nämlich.
»The Avengers« ist der englische Originaltitel von »Mit Schirm, Charme und Melone«.
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Erblindung als Widerstand
Molly Bluhm Der 18jährige Tim Zabel verbrannte sich die Netzhaut, als er die Sonnenfinsternis im August 1999 ohne Schutzbrille betrachtete. Seine Sehkraft wurde um last 90 Prozent gemindert, die Heilungsaussichten sind nicht gut - 50 zu 50, sagen die Ärzte. Tim Zabel stammt aus dem Ostberliner Bezirk Weißensee. Die Verbrennung zog er sich in Friedrichshain zu. Seine Freundin brachte ihn in ein Krankenhaus in Marzahn. Weißensee, Friedrichshain, Marzahn: Die Zone läßt grüßen. Warum sah Tim Zabel ohne Brille in die Sonne? Hat er in der Kinderkrippe zu oft »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit, Brüder, zum Lichte empor« hören müssen? Nein. Tim Zabel wurde gewarnt. Aber nur von Westmedien, von Wessis eben. Denen glaubt man nicht als guter Zoni. Wessis sind an allem schuld und lügen. Alle. Das ist bekannt im Osten - eine zweite Netzhautverbrennung gab es im mecklenburgischen Schwerin. Sie haben es so schwer, die Zonis. Sie recken den Fugenfinger gen Westen und halten das für eine Haltung. Sie kaufen Ostprodukte, die längst von Westfirmen hergestellt werden. Sie hören wieder die Puhdys und die Stern Combo Meißen. Freiwillig. Vor acht, vor sechs, vor vier Jahren noch waren sie klüger als jetzt, im Jahr zehn nach der Zone. Jetzt regredieren sie Richtung Identität. Unappetitliches kollektives Gemurkse erscheint ihnen heute als menschliche 95
Wärme. Unterkriechen bei Mutter Staat, das war schön. Zumindest die heutigen Zonis, die Zonis ohne Zone, wollen das so sehen. Der Zoni fühlt sich geprägt durch die Gesellschaft, in der er lebte, und er hat nie begriffen, daß das westliche System, in das er unbedingt hineinwollte, gerade darauf basiert, seine einzelnen Mitglieder sich selbst zu überlassen. Der damit einhergehende Gewinn an individueller Freiheit gibt dem Zoni nichts; er spürt nur den Verlust des Behütetseins und Versorgtwerdens und empfindet ihn als asozial. So erscheint ihm die Gesellschaft, die er nicht mochte, solange es sie gab, um so wünschenswerter, je länger sie versunken ist. »Die DDR war vielleicht nicht toll, aber sie hat sich um ihre Leute gekümmert. Und deswegen war sie eben doch gut. Jedenfalls besser als der Westen.« So etwas kann man oft hören in der Zone. Daß in den noch verbliebenen Zonenzeitungen kein verbitterter Neues-Deutschland-Rentner behauptete, die DDR hätte viel mehr und hochwertigere Sonnenfinsternisse produziert als der Westen, erscheint in diesem Zusammenhang wie ein kleines Wunder. Zehn Jahre lang haben sich die Zonis abwickeln lassen. Gewehrt haben sich die wenigsten. Ihre Widerstandsform war und ist die Flucht ins Widerliche: doof sein und pampig werden. Skinheads, die Ausländerjagen, sind vielen Zonis näher als die Gejagten — denn die Skins sind ja »die eigenen Leute«, und die bedeuten dem Zoni etwas. Mit denen kann man auch heute noch stundenlang am Stück die richtige Nationalhymne hören. Wenn es um Zonis geht, grenzt sich der Zoni nicht ab. Da hält er zusammen. Und entwickelt tränenreiches Mitgefühl für Jungzonis, die vom Hitlergrüßen den kollektiven Tennisarm haben. Befindlichkeit heißt das Zauberwort der Zonis. In wessi- und ausländerfreien Gruppen marschieren sie in eine immer glorreicher schimmernde Vergangen96
heit zurück - in die Zeit, in der sie sich noch nicht begeistert mit Bananen und Begrüßungskleingeld demütigen ließen. Die narzißtische Kränkung, die sie sich damit selbst zugefügt haben, werden die Zonis den Wessis nicht verzeihen. Von Leuten, denen man blind hinterhergelaufen ist, läßt man sich nicht noch einmal belügen und betrügen. Lieber kuckt man ohne Schutzbrille in die Sonne. Ich wünsche Tim Zabel gute Besserung. Für die anderen Zonis stehen die Genesungschancen weit schlechter.
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Dreschflegel
Jürgen Roth
1989 initiierte der ostdeutsche, der pro forma noch sozialistische Staatsbürger in seinem schier unbändigen Vereinigungsfuror die bis dato grauenhafteste Zeitungsoffensive der Republik. »Die Mauer ist durchbrochen — Vorwärts zur politischen Revolution!« titelte die doppelt verrannt-vernagelte neue ARBEITER PRESSE (17. November 1989) und feierte: »Die übelste Grenze aller Grenzen in der Welt, die nie einen anderen Zweck hatte, als die Arbeiterklasse in Deutschland und Europa zu spalten und zu unterjochen, ist durchbrochen.« »Das Werk der Erhebung der Arbeiterklasse« war eher eines der Bekloppten, der Heilsusen und Nationalarschlöcher. »Bewegende Szenen spielten sich ab. Wildfremde Menschen umarmten sich vor Freude weinend.« (Frankfurter Rundschau, 11. November 1989) »Der Jubelnacht« folgte die Großpresseerhebung. »Deutschland umarmt sich«, jaulte Bild (11. November 1989) im schwarz-rot-goldenen Passepartout und wiederbelebte per Konterfei und Zitat Greisenkopf Axel S. »Was immer jetzt geschehen mag«, schloß das wildfaselnde Blatt, »diesen Tag wird uns keiner mehr nehmen. Es war ein Tag für Deutschland.« Fürwahr. »Ganz Deutschland feiert«, grölte vierundzwanzig Stunden später BamS, »ein Fest des Volkes. Über eine Million DDR-Bürger kamen an diesem Wochenende rüber zu uns« und schmissen mit jenen Brocken 98
um sich, die sie in Bierekstase aus dem antifaschistischen Schutzwall gebrochen hatten, einem Bauwerk dessen wahre Funktion bald deutlich wurde: den gierigen Turnier und seifegeilen Konsumspeichler den germanisch berauschten Zoni zu unser aller Frommen zu kasernieren. Daß die Bundesrepublik heute Angriffskriege führt - es ist den ehemaligen DDR-Insassen zu danken. Sie entfesselten Gewaltpotentiale, die gebändigt schienen. Erst schlug man sich gegenseitig auf die Schultern, dann die »Ausländer« tot. »Prosit Neujahr, Deutschland - Es wird ein wunderbares 1990«, versprach Bild (30. Dezember 1989): »Noch nie in den vergangenen 40 Jahren sind die Deutschen so fröhlich in ein neues Jahr gegangen wie jetzt«. Es lockten Bambule, Brutalitäten und »Blut«: »Wahnsinn 500.000 feierten am Brandenburger Tor Silvester. Berlins Himmel brannte. Um 1.38 Uhr die Tragödie: Riesige Video-Wand kippte um. 165 Menschen begraben.« Ein letztes Mal traf es die Richtigen. Bereits am 14. August 1989 hatte der Spiegel geahnt: »Explodiert die DDR?« - um nachzulegen, das »Trauerspiel« DDR (41/1989) unerbittlich »anzuprangern« (H. Schneider), das »Volk ohne Angst« (44/1989) zu erfinden und den Sieg des »Volkes« (»Das Volk siegt«; 46/1989) freilich endlich mit der ersten von ungezählten Augstein-Episteln zu zelebrieren; daselbst der frühdemente Herausgeberkönig und Preußenleichenbeschauer seinen »alten Freund Axel Springer« entmumifizierte und messerscharf schloß, »daß Krenz sich an seiner Peking-Lösung verschluckt hat«, während Augstein an der Flasche des hochprozentigen Deutschlandstoffes hing und die Welt Mores lehrte. »Wir können und müssen humanitäre Hilfe leisten« (51/1989), dröhnte er Richtung verschwindender DDR, meinte jedoch keine Bomberstaffeln, sondern die »staatliche Einheit« - und bürstete die 99
europäischen Nachbarn (»vertragswidrige Zögerer in Paris«) samt atlantischen Freunden ab: »Mitterand ist nun schon fast jedes Mittel recht, die von Frankreich vertraglich garantierte Hilfe beim Zusammenfügen Restdeutschlands zu verweigern. Polens Westgrenze muß dazu herhalten.« Die allerdings auch zügig inkl. Arsch weit offenstand: »Die darwinistisch gestimmte Geschichte läßt sich offenkundig nicht genug Zeit für den Blick zurück, für die dem Menschen doch so bekömmliche »Trauerarbeit«.« (4/1990) »Zehntausende machen sich heiß mit dem Schwenken schwarz-rot-goldener Fahnen« (Spiegel 51/1989), »die Deutschen erwachen wieder einmal, diesseits und jenseits der Elbe« (Walter Boehlich), die zivilisierte Staatengemeinschaft hätte nein sagen können. Sie schaute leider zu, wie der Mob rechts zu mucken begann. Ab 1990 drosch der Osten gezielt zu Klump — »Trauerarbeit« (Augstein) der ureigenen Art, »nahe am Pogrom« (Spiegel 14/1990). Parallel wuchsen »Angst im Osten - Ärger im Westen« (Spiegel 8/1990), »in Westdeutschland kocht Haß auf die DDR-Übersiedler hoch«, das Desaster gewann weiter an Dynamik, und früher als erhofft begann auseinanderzubrechen, was nie hätte zusammenwachsen dürfen. Jahrelang ging das so, und jahrelang sorgte die Presse sich. Rastlos führte sie Ost- und Weststandpunkte ins Feld und zeugte die häßlichsten Blüten nationaler Reflexionstherapie. Die Woche, das Diskussionsblättchen Nr. eins, engagierte Pros und Contras sonder Zahl und ließ keinen Schwaller ungehört, um »ein zärtliches Kribbeln in die Hirne [zu] treiben« (Matthias Biskupek; 3. Oktober 1997) und den Gemeinplatz zu widerlegen, »die Ostdeutschen seien träge und lethargisch« (ders.). Waren sie nie, werden sie nie sein — ist es ihnen ums Schlagen, Vermöbeln oder wenigstens die Androhung von Gewalt zu tun. Die Zeugnisse zonaler 100
Härte sind Legion. Mochte Bild seinen knalldummen Mehrreiher »Deutsche Gespräche - Ost trifft West« mit und zwischen Hausfrauen, Taxifahrern und Pfaffen starten (Volks-O-Töne Ost: »Heute sind Bananen was Alltägliches. Das finde ich irgendwie schade«; 17. Mai 1997; »Ich bin bestimmt nicht ausländerfeindlich. Aber irgendwie kann ich nicht verstehen, daß Ausländer alle Arbeit haben, und wir sind daheim«; 22. Mai 1997) und die parallel geführte »große BamSSerie über Menschen, die dem Osten Mut machen«, ging es aufwärts ausnahmslos in puncto Drescherei. Die letzten 1,6 Prozent Nichtpaßdeutsche bekamen zu spüren, wie »heiß« (Spiegel) der Zonenmensch ist. Ein Leserbrief in der Frankfurter Rundschau (12. Juni 1997) etwa erklärte, »daß Cottbus [...] alles bisher Erlebte in den Schatten stellt. Im Stadion der >Freundschaft< mußte man phasenweise um Leib und Leben fürchten. [...] Nach dem 1:1 von 96 setzte ein solcher Stein-, Flaschen- und Knallkörperhagel ein, daß es schwerfiel, die Fassung zu bewahren. Die farbigen Spieler von 96 wurden bei Einwürfen bespuckt, geschlagen und mit Bananen beworfen. Der Pöbel ließ es sich nicht nehmen, 20.000fach zu skandieren: >Haut den Nigger um!< [...] Der häßliche Deutsche [...] war für 90 Minuten in Cottbus zu Hause«, und nicht nur da - sondern selbst dort, wo, weit ab von Hoyerswerda, Rostock, Usedom und Frankfurt/Oder, »Kultur« beheimatet ist, fünfzig Meter südlich des Leipziger Uniturms, im altehrwürdigen und ehedem für sog. »alternative Veranstaltungen« und politische Renitenz gerühmten Studentenkeller Moritzbastei.
Eins der friedlichen Happenings fand Ende März 1999 während der Buchmesse statt. Diverse Verlage hatten geladen, Aufpasser postiert und jeden des 101
Feldes verwiesen, der nicht über gültige Papiere verfügte. Man trieb zwischen Bars und düsteren Gewölben hin und her, bis die Reisegruppe zerfiel. Die Herren Blaschke und Körner tauchten weg, Frau Rönneburg und ich beschlossen, am unterdessen eröffneten gesamtdeutschen Diskobierabend zu partizipieren. Die folgenden Stunden verliefen nicht eben spektakulär. Ein Getränk folgte dem anderen, und gegen eins wollten wir unser letztes Weizenbier vor der Tür zu uns nehmen. Die Luft stand nämlich jetzt, und die
Ostjugend verursachte einen Krawall, der trotz größter Toleranz nicht mehr zu ertragen war. Am Ausgang hoben wir freundlich die Pokale, erklärten dem Personal, fünf Schritte durch die Abendbrise machen, die Gläser leeren, zurückbringen und heimgehen zu wollen. »Ihr bleibt hier.« Ein junger Mann baute sich breit-
beinig auf, verschränkte die Arme und blockierte den Weg. »Warum denn? Wir wollen nur kurz an die Luft.« »Keine Gläser draußen.« »Keine Gläser draußen?« »Keine Gläser draußen. Vorschrift. Und jetzt haut ab.« Wir waren, gelinde gesagt, konsterniert. Frau Rönneburg sammelte am schnellstens wieder Kraft und erklärte, das alles sei doch kein Problem, man renne ja nicht davon, nein, man wolle garantiert in Sichtweite verweilen, fünf Minuten trinken usw., es liege einem an den Behältnissen ja wirklich nichts, man habe selber welche zu Hause. Keine Chance. »Nee, ihr trinkt drinnen.« Langsam wurde er fuchsig. Sein Kollege, ein gleich tumber Brocken aus dem Sportinstitut, rückte herzu und verrammelte zusätzlich den schmalen Gang. »Das kann nicht euer Ernst sein, daß wir unser Bier nicht dräu ...« 102
»Anordnung des Hauses. Ihr geht jetzt zurück«, blökte der erste, beide rückten auf uns zu, Frau Rönneburg unternahm einen Schritt nach links, versuchte durchzuflutschen und, ihr Weizen geschickt balancierend, den Spalt ins Freie zu erreichen. Das Muskelpaket sprang retour, schob sich zwischen Tor und Dame und drückte Frau Rönneburg mit dem Gesicht an die Wand. Alles passierte so schnell, daß ich kaum reagieren konnte. Die zweite Arschgeige beobachtete jede meiner Regungen, während ihr Kompagnon Frau Rönneburg in eine Art Polizeigrif'f nahm. Freilich registrierte um uns herum nicht ein Jungmensch das ungeheuerliche Geschehen. Derart behandelt der Zoni vor aller Augen Frauen. Was er zu Hause treibt, ist leicht auszudenken. »Ihr seid NPD-Saalordner, was?« fauchte ich ziemlich hilflos, ohne Widerspruch zu ernten. Frau Rönneburg verlor die Contenance, ballerte der Drecksau bedauerlicherweise keine, beließ ihr Getränk im Glas, nannte die Unholde aber beim Namen und erklärte, man werde »die Geschäftsführung sprechen«. »Eure Sache«, brummte der Fickfrosch. Frau Rönneburg verlangte eine Entschuldigung, das beherrscht der hirnamputierte Ostnachwuchs nicht. Er verrichtet stramm seinen Dienst und hält dem Herrn die Scheiße vom Hals. Die Scheiße sind Gäste, die sich normal benehmen. Freizeitvergnügen rechts der Elbe heißt: Zucht und Ordnung, Flegeln und Pöbeln, sozusagen öffentlicher Kraftraum. O. Lafontaine muß auch den Zonenbewohner gemeint haben, als er Helmut Schmidt »Sekundärtugenden« attestierte, »mit denen man ein KZ führen kann«. »Weil in Deutschland immer einer tritt und der andere getreten wird« (Kurt Tucholsky), zogen wir ab - freilich ohne Hinweis unserer zwei Blockwärter, wo die Geschäftsführung residiere. Daß wir nach zwan103
zigminütiger Suche und ebenso langem Warten von den hohen Damen und Herren des Musentempels aufgeklärt wurden, die Randale ihrer Schergen sei »in Ordnung gewesen«, »wenn jemand Fehler gemacht hat, dann beide Seiten«, wir sollten uns nicht so haben, man nehme gar nichts zurück, man könne ja gehen, man möge sich ein bißchen dalli schleichen und nicht mehr blicken lassen - geschenkt. Wir verließen die Moritzbastei durch den Lieferanteneingang. Die Gläser nahmen wir mit. Der Sturmtrupp sucht heute noch.
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Rügen muß man Rügen nicht Eine aufschlußreiche Reportage
Hans Zippert Schon kurz vor der drohenden Wiedervereinigung, als nur Oskar Lafontaine wußte, was das kosten würde, wurden Stimmen laut, nach denen »die da drüben« ruhig alles behalten könnten, bis auf »Sanssoucci und Rügen«. Das war kurzsichtig gedacht, und hätte nur neue schlechtbeleuchtete Transitautobahnen und Kontrollpunkte mit Ohrvorzeigen und Kofferraumdurchleuchten hervorgebracht. Rügen ist so weit weg von Frankfurt oder Bielefeld, daß man gar nicht mehr glaubt, überhaupt noch in Deutschland zu sein. Elf Stunden hat es gedauert, bis wir in Stralsund ankamen. Neben vorhersehbaren Stockungen hat uns ein unerwarteter Stau in Schwerin mindestens eine Stunde gekostet. Ein Möbelhaus und ein BMW-Händler feierten gleichzeitg verkaufsoffenen Sonntag, was sich alle Schweriner, die sowohl ein Auto, als auch eine Schrankwand besaßen, nicht entgehen lassen wollten. Wir hatten in der langsam vorrückenden Schlange Gelegenheit zu unschönen Gedanken über die Frage, »ob sowas auch bei uns möglich wäre«. Auf der Küstenstraße ging es dann allerdings auch nicht recht voran, obwohl sämtliche Automobilniederlassungen geschlossen hatten. Wahrscheinlich war genau das der Fehler, denn nun wußten die ostdeutschen Automobilisten überhaupt nicht mehr wohin. Schwerin war einfach zu weit, weshalb man kurz entschlossen die nächstgelegene Straße verstopfte. 105
Gern hätten wir geschrieben, daß der bloße Anblick von Rügen uns für all die Strapazen entschädigte, doch in der Dämmerung unterscheidet die Insel nichts vom Rest Mecklenburg-Vorpommerns, der das Auge des Fahrers nicht gerade mit optischen Sensationen von der Fahrbahn ablenkt. Wir hatten aber vorsichtshalber Bücher dabe'i, in denen die Schönheit Rügens dokumentiert ist, allerdings wurden alle Fotos am Tage und in der Hauptsaison bei strahlendem Sonnenschein aufgenommen. Bücher mit dem Titel »Rügen im Zwielicht der Nebensaison« oder »Unbelaubte Bäume auf Rügen« warten noch auf ihre Fertigstellung. Doch auch wenn es sich im Moment unserer Ankunft nicht beweisen ließ, Rügen mußte ganz einfach sehr schön sein, sonst hätten sie es 1933 nicht extra mit einem Damm am Festland festgeschraubt. Der wurde 1945 zwar gesprengt, aber ab 1947 war die Insel wieder sicher mit Stralsund verbunden. Eine Vorsichtsmaßnahme, über die man zu DDR-Zeiten sicher sehr froh war, denn durch den Damm verhinderte man, daß die Insel eines Tages einfach Richtung Dänemark abdriftete. Nicht umsonst war Rügen auch in volkseigenen Zeiten das beliebteste Urlaubsziel. Millionen Ostdeutsche hofften, der Damm könnte unter ihrem Gewicht zerbrechen und die Insel Kurs auf das nächstgelegene Kap des Kapitalismus nehmen. Inzwischen hat sich das Problem erledigt, Rügen ist kapitalistisch geworden, ohne daß Dämme brechen mußten. Helmut Kohl hat Rügen und Sanssouci für uns gekauft, sich dabei aber auch viel wertloses Brachland aufschwatzen lassen. Selbst eine anerkannte Sehenswürdigkeit wie Rügen besteht zu einem großen Prozentsatz aus vollkommen unansehnlichen Stellen. Bürgersteige, auf denen nichts mehr wächst, Landstraßen voller Teer und Einkaufszonen mit Warenangeboten, die einer 106
Kriegserklärung gleichkommen. Gleich an der ersten Abzweigung verließen wir die Hauptdurchgangsstraße und bogen nach Putbus ab. Allein der Klang dieses Ortsnamens verführt zum Abbiegen, auch wenn man gar nicht weiß, daß es sich bei Putbus um die »letzte komplett geplante Residenzstadt Nordeuropas« handelt. Eine Information, die völlig überflüssig ist, solange man nicht weiß, welches eigentlich die vorletzte komplett geplante Residenzstadt war und warum man nach Putbus plötzlich mit dem kompletten Planen von Residenzstädten in Nordeuropa aufgehört hat. Darüber schweigen sich die Reiseführer aber aus. Nach kurzer Fahrt durch malerische aber noch unbelaubte Alleestraßen erreichten wir die ersten Schlaglöcher, die teilweise beträchtliche Ausmaße hatten. Schilder mit der Aufschrift »Straßenschäden« oder »10 km« warnen den ungestümen Fahrer, und in Garz mußte sogar der gesamte Ortskern wegen »Straßenschäden« umfahren werden. Die Ausmaße der dortigen Schlaglöcher vermochten wir uns nicht vorzustellen, denn die Umgehung verlief erschreckend weiträumig. Vielleicht war ganz Garz in einem Schlagloch verschwunden. Putbus konnte man nur schmalspurig befahren, was wahrscheinlich auch komplett geplant war, aber der zentrale Platz verfehlte nicht seine zentrale Wirkung. Wir rissen das Steuer herum und fuhren mehrere nicht eingeplante Runden um den vollkommen ausgestorbenen Ortsmittelpunkt. Das Ziel unserer Reise aber lag noch weit entfernt, schweren Herzens beendeten wir die Umlaufbahnen und schwenkten nach rechts Richtung Göhren ein. An der Straße passiert man ein ganz erstaunliches Bauwerk, das viel Ähnlichkeit mit einem Weltraumbahnhof aufweist, allerdings auch die Möglichkeit zum Betanken von Zweitaktfahrzeugen bietet. Die Tankstelle für ein neues Jahrtausend ließ in uns 107
gewisse Befürchtungen über einen weiteren verkaufsoffenen BMW-Händler aufkeimen, die sich als grundlos erwiesen. Uns begegnete nur noch ein Fahrzeug, bevor wir die Bundesstraße erreichten, und das war ein Reisebus aus Wuppertal Elberfeld. Fast eine dreiviertel Stunde waren wir nun unterwegs, und inzwischen wollten die Kinder nicht mehr glauben* auf einer Insel zu sein. Auf einer Insel sieht man mindestens auf zwei Seiten das Meer, günstigstenfalls sogar auf vier. Das letzte Stück Meer hatten wir bei Stralsund überquert, und das hätte auch ein sehr breiter Fluß oder ein See sein können. Kinder glauben nur, was sie sehen, Erwachsene glauben nur, was sie auf Landkarten sehen, und da ist Rügen eindeutig als Insel eingezeichnet. Besonders viel Wasser fließt im Süden wirklich nicht zwischen Insel und Festland, das liegt möglicherweise daran, daß zu DDR-Zeiten auch das Salzwasser knapp war, vielleicht paßt aber einfach nicht mehr Wasser zwischen Insel und Festland. Den Inselbeweis für Kinder kann nur ein Blick vom Mittelturm des Jagdschloß Granitz erbringen, dort genießt man laut Reiseführer »eine herrliche und umfassende Aussicht.« Natürlich nur, falls es am nächsten Morgen nicht mehr regnen sollte. Wir sammelten Kraft für den Inselrundblick in einer Ferienwohnung in Göhren. Ein Badeort, den man nicht als mondän bezeichnen kann, auf den sich aber erstaunlich viel reimt: Mohren, Föhren, stören, betören, hören, Sören oder Chören. Die Fremdenverkehrsverwaltung könnte problemlos mit dem Slogan »Machen Sie sich einen Reim auf Göhren..« werben oder gestreßte Eltern aufforden »mit den Gören nach Göhren« zu kommen. Stattdessen verspricht man eine »Sinfonie in Grün und Blau«, was aber weder als Androhung noch als Verheißung prickelnder S/M-Praktiken verstanden werden sollte, sondern nur als poetischer Hinweis auf 108
die changierende Färbung des Meeres. Ja, Rügen hat wir wollen diesen Kalauer lieber aussprechen, damit wir ihn auch irgendwie innerlich bewältigt haben Rügen hat einfach mehr vom Meer. Auch Sylt oder Amrum sind vom Wasser umgeben, aber das ist einfach nur sehr weit weg oder ganz plötzlich wieder da und dann schlägt es Wellen. Manchmal sind auch Quallen drin, aber letztendlich ist es nur schmuddeliges Salzwasser, dessen Farbe ungefähr dem Wasserglas eines Zeichenschülers ähnelt, der sich nur mit Umbra ausgedrückt hat. Was wir am Nordseewasser lieben, ist nicht die Farbe, sondern das Geräusch und vielleicht der Geruch. Ganz anders das Meer von Rügen, das man allerdings unbedingt von oben betrachten sollte. Dann sieht man, es sind vor allem die ersten zwanzig Meter Meer, die schön sind, dahinter beginnt eigentlich die übliche öde und endlose Fläche, deren Beschaffenheit sich gar nicht so genau feststellen läßt. Es könnte sich auch um die Folie handeln, wie sie in der Augsburger Puppenkiste immer recht eindrucksvoll zur Meerimitation eingesetzt wird. Die ersten zwanzig Meter, vom Strand aus gesehen, aber sind wirklich sehr gelungen und an den schönsten Stellen türkisfarben wie in unglaubwürdigen Prospekten. Noch standen wir aber mitten in Göhren und hatten das Meer nicht gesehen. Dafür aber Inselbewohner. Sie nahmen unsere Ankunft stoisch zur Kenntnis, wiesen uns eine Ferienwohnung zu und verschwanden dann wieder hinter Türen mit der Aufschrift »Privat«. Gab es die zu DDR-Zeiten eigentlich auch schon oder stand da dann »volkseigen«? Uns gefiel die völlige Abwesenheit des Servicegedankens durchaus, hier war man noch nicht vergiftet von permanent verlogener Freundlichkeit und devoter Kundenbehandlung, hier in Göhren stellte man sich dem Lauf der Ereignisse aus Prinzip nicht in den Weg. Hätten wir 109
erklärt, wir wollten gleich noch ein paar Frauenleichen im Säurebad auflösen, man hätte uns ungerührt den Weg zur nächsten Apotheke gewiesen. Wir erfuhren auch erst durch hartnäckiges Nachfragen, daß Ferienwohnungsbewohner das Recht hatten, im hoteleigenen Swimming-Pool zu baden, die dezenten Göhrener wollten uns diese Dienstleistung keineswegs aufdrängen. Am nächsten Morgen besichtigten wir dann das Meer und sahen, daß es gut war. Die Eisdiele am Strand war geschlossen, was wir sehr bedauerten, denn wir hätten gerne die Eisbecher »Joseph Beuys« (gemischte Früchte, 5,70 DM) oder »Kurt Schwitters« (Nougat, Krokanteiscreme mit feinherbem Kaffeelikör, Schokosauce und Sahne, 7, 80 DM) probiert. Am Strand erwartete uns ein reichhaltiges Angebot an Muscheln, die sozialistische Einheitsmuschel gehört längst der Vergangenheit an, sehr ansprechend waren auch die meisten Steine gestaltet, und auf das Auslegen von Quallen hatte die Kurverwaltung dankenswerterweise verzichtet. Die Oma kannte das Meer noch von früher und wollte lieber Binz sehen. Die Verschandelungsarbeiten dort waren in vollem Gange. Immerhin gab es eine fast geschlossene Reihe von Häusern im sogenannten »klassischen« Bäderarchitekturstil, doch wo immer es möglich war, hatte man postmoderne Glasmetallungeheuer mit Gaubengeschwüren errichtet und nach Möglichkeit mit Holzimitatverkleidungen versehen. Die Vielfalt der Baustile ist ungeheuer und wird in Deutschland wahrscheinlich nur von der Innenstadt Dortmunds überboten. Man traf auf echte, falsche und entartete Bäderarchitektur, auf Ruinen slawischer Burgen, komplett geplante Residenzstädte, Plattenbauten, Ladengalerien und auf nationalsozialistische Monumentalbauten. Die Strapazierfähigkeit der Insel muß gigantisch sein, es wäre also an 110
der Zeit, daß endlich das Ehepaar Christo hier tätig wird, damit Rügen auch das hinter sich hat. Jetzt wollten wir die Insel von oben sehen. Vom Schinkelturm des Jagdschlosses in Granitz. Gibt es in Deutschland eine Stadt ohne Schinkel-Bauwerk oder Chagall-Fenster? Die Anreise zum Aussichtspunkt erfolgt mit dem »Rasenden Roland«, einer dampfbetriebenen Schmalspurbahn, die von Putbus nach Göhren, aber auch von Göhren nach Putbus fährt. Dem Charme dieses altertümlichen Fahrzeugs kann man sich nicht entziehen. Ganz langsames Dampflokfahren ist eine wunderbare Art der Fortbewegung, es hat auf die Umgangsformen der Menschen einen wohltuenden Einfluß. Niemand käme auf den Gedanken, seinen Laptop einzuschalten oder in sein Handy zu schreien. Niemand hört CDs mit zischender Klopfmusik, denn die Dampflok entwickelt eine beträchliche Lautstärke. Von der Haltestelle bis zum Schloß wanderten wir etwa zwanzig Minuten durch einen Wald, und erfuhren dann von der schlechtgelaunten Kartenverkäuferin, daß der Turm vom TUV geschlossen worden sei. Wir waren böse. Der TÜV als direkter Nachfolger der Stasi? Die totale technische Überwachung, hat man das 1989 wirklich gewollt? Mißmutig besichtigten wir das Museum, behielten aber aus Trotz nichts in Erinnerung. Nur ein völlig unaufgeräumtes Zimmer und eine Sammlung mit scheußlichen Hirschtrophäen. »Wenn das Max Goldt wüßte«, hatte jemand ins Gästebuch geschrieben und jemand anderes: »Leider zuviel Kommerz, aber von irgendwas muß man ja leben, und heutzutage schenkt einem ja keiner mehr was.« Am nächsten Tag fuhren wir nach Stralsund, weil die Oma sehen wollte, was noch übrig geblieben war und ob sie noch irgendetwas wiedererkennen würde. Das Parkdeck auf dem wir den Wagen deponierten, hatte es zu ihrer Zeit auf jeden Fall noch nicht gege111
ben, genausowenig wie die riesigen Baulücken oder die Parfümerie Douglas. Das Meeresmuseum stammt aus der DDR-Zeit, als die Ozeane noch vor Fischen überquollen und das »Fang- und Verarbeitungsschiff Arnold Zweig« seine Runden drehte. Warum gibt es eigentlich kein Minensuchboot »Heinrich Böll« oder wenigstens ein Butterschiff »Ingeborg Bachmarm«? Weil man im Westen das Nützliche einfach nicht mit dem Kulturellen zu verbinden versteht. Solange man im Museum blieb, schien alles in Ordnung, doch dann machten wir den Fehler und gingen essen. Inzwischen ist es ja soweit gekommen, daß man den Niedergang der Kochkultur daran erkennt, daß man es nicht mehr versteht, schmackhafte Pommes Frites zuzubereiten. Wir wollen uns nicht länger zu diesem deprimierenden Kapitel verbreiten, aber wenn zwei Kindern die Pommes Frites nicht schmekken, dann ist das doch wohl ein Fall für die UNESCO oder wenigstens den TÜV. Noch schamloser als das Weltkulturerbe Pommes wurden aber die Erinnerungen der Oma mit Füßen getreten. Nicht nur, daß sie kein Gebäude aus ihrer Jugendzeit mehr wiederfinden konnte, es wußte noch nicht einmal jemand, wo es vielleicht mal gestanden haben könnte. Wir fuhren deprimiert zurück nach Göhren, die Oma wollte nichts mehr von der Zone wissen. Abends in der Ferienwohnung sahen wir eine Dokumentation über Schneehasen: »Der sieht ja aus wie Heino«, rief die Oma. So sehr hatte sie das Ganze mitgenommen. Jetzt konnten nur noch die Kreidefelsen helfen. Daß Caspar David Friedrich sie hat bauen lassen, um sie dann malen zu können, stand in keinem Reiseführer, aber wenn wir Fremdenverkehrsdirektoren wären, hätten wir diese Behauptung längst in die Welt gesetzt, sonst kommt eines Tages noch heraus, daß die Felsen auch von Schinkel sind. Die Kreidefelsen erwiesen sich als zuverlässige Attraktion. Nicht 112
in Göhren, sondern hier war die Sinfonie in Grün und
Blau. Trotzdem ist selbst Brahms an der Beschreibung der Wasserfärbung gescheitert, und auch wir wollen es einfach und amtlich als kreidefelsenblau bezeichnen. Die Felsen weisen wirklich alle Qualitäten auf, die man von einem guten Felsen verlangen kann. Sie sind schroff, kantig, bizarr, gezackt und ganz groß im Auftun von Abgründen. Und, auch das soll nicht unerwähnt bleiben, die Rügener Kreidefelsen hinterlassen einen vollkommen undeutschen Eindruck - eine der wenigen Stellen, an denen man das Land verlassen kann, ohne eine Grenze zu überschreiten. Deswegen kamen die DDRBürger natürlich besonders gerne hierher, und deshalb hatte man am Königsstuhl sicherheitshalber einen Wachturm aufgebaut, falls jemand nicht nur mental, sondern auch real außer Landes gehen wollte. Wir durften Rügen am nächsten Tag unbehelligt verlassen. Obwohl wir nicht nach Kap Arkona und Hiddensee gekommen waren, hatten wir genug gesehen. Mehr als genug.
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Was in Bautzen wirklich geschah
WiglafDroste Bautzen - bei diesem Wort denken viele haßerfüllt oder, vor Rührung über sich selbst die Nase hochziehend, an früher: an Dunkeldeutschland, schlimm schlimm, aber auch an die mutigen »Schdohsi!«-Rufe der Helden von Leipzig und an Jürgen Fuchs, den Dissidenten mit dem fettigen Haar, der wegen einiger Monate im Knast die DDR postum gleich zum »Auschwitz in den Seelen« machen wollte. Soviel zu den Krämerseelen — trotz derer aber nicht der MfS-Muff bleiben wird von der gefürchteten sächsischen Kleinstadt, sondern: Bautz'ner, der Senf mit dem Apostroph, den die Häftlinge im Stasi-Knast ebenso selbst herstellen mußten wie die Apostrophe. Zwischen ihren baren, feuchten und fies riechenden Fußsohlen zerrieben sie die Senfkörner, und wer nicht mitmachte, ging über die Oder - oder doch wenigstens über die Elbe, bei Hamburg, beziehungsweise über die Glienecker Brücke in Berlin. Besonders hart traf es die Hersteller der Geschmacksrichtung Scharfer Senf - Der Starke: Als Zutaten wurden schon zu DDR-Zeiten »Wasser, Senfsaat, Branntweinessig, Salz, Zucker, Gewürze« und, natürlich, »natürliches Aroma« angegeben - letzteres bestand aus dem Schweiß der Delinquenten. Über diese wichtigen Fakten aber fehlt bis heute jedes öffentliche Wort; sie sind totgeschwiegenes DDRUnrecht. Noch entsetzlicher aber war: Nach der Pro115
duktion mußten die Stasi-Knackis den Senf selber aufessen. Pur, wie schwäbische Rockmusik. So grausam konnte er sein, der reale Sozialismus. Ebenfalls legendär am Bautz'ner ist sein Gefäß, jener berüchtigte Whisky-Tumbler aus verschiedenerlei bizarr gepreßtem Fensterglas. Hält man heute dieses divers geriffelte und genoppte Behältnis in* der Hand, so muß man, ob man will oder nicht, an Kleingärtner- und Datschen-Feste denken und an das, was die Zonis bei solchen Gelegenheiten aus genau diesen Bottichen in sich hinein versenkten: an ein Osterzeugnis namens Whisky »Der Falckner«, das heute vielen leider nur noch von früher aus der Mitropa bekannt ist und das, Fluch des Mauerfalls, brutal vom Markt gerissen wurde. Den genauen Original-Inhalt des Bautz'ner-Glases zu verschweigen, gebietet dagegen die Höflichkeit: Gleichermaßen lehm- wie durchfallfarben klebt eine Art Würzmörtel im Glase, zäh und tot wie sonst nur Gerhard Schröder oder seine Anhänger. Das schöne Lied von Foyer des Arts fällt einem dabei ein, »Tun Se Senf drauf«, aber so gar nichts, worauf man Bautz'ner »drauftun« möchte — außer auf wiederum Bautz'ner Senf; »wir empfehlen heute Erdnuß an Salz und Bautz'ner an Bautz'ner«, wie der Feinspitz im Restaurant sagt. Einzige Ausnahme ist die von Menschenund Zungenhassern frenetisch angepriesene Thüringer Bratwurst; auch dieses teils in Tierversuchen, teils pyrotechnisch entwickelte Produkt verlangt dringend nach der Stasi unter den Senfen: ordentlich Bautz'ner drübergejaucht, und geteiltes Leid ist immerhin doppeltes Leid. So empfiehlt es sich, die Bautz'ner Pressglas-Welt gleich per Palette zu erwerben und an adäquate Menschen zu verschenken — zum Beispiel an geriebene, seifige Wessis wie Stefan Raab oder Ingo Appelt: als das, was solche Leute Spaß nennen. Hossa.
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Geeignete Empfänger sind aber auch an Dementia nostalgica leidende Ossis. In diesem Fall löffelt man den Inhalt der Gläser in Plastiktüten hinein und verschickt ihn mildtätig als Päckchen nach drüben mit jenem aus heftigem Klopfen der eigenen Schulter und aus schwerem Grusel sich zusammensetzenden Gefühl, mit dem man früher Kerzen für die Brüder und Schwestern im Osten ins Fenster stellte und das sich humanitäre Hilfe nennt. Ein Satz aber gilt und wird gelten, gleichsam wie in Senf gemeißelt: Bautz'ner - den schmiert sich der Zoni auf die wunde Seele. Vor allem, wenn er erfährt, daß sein persönlicher Bautz'ner längst nicht mehr ihm gehört - sondern der Westfirma Develey in 82001 Unterhaching. Weshalb der Zoni dann auch wütend und chronisch PDS wählen muß, die Partei des Senfs, mit Branntweinessigtränen in den Augen.
P.S.: Regelmäßig auf Platz zwei der Zonen-Senf-Meisterschaften landete der in Erfurt hergestellte BornSenf, dessen Name, Konsistenz und Geschmack bis heute erklären, wie man die trotzig getrötete Hymne »Born in the GDR« und das daran festklebende »Lebensgefühl« zu verstehen hat: Born to be Senf.
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Stadt und Land / Hand in Hand oder: Äsen wie Schrott in Krankreich...
Björn Blaschke Der Untergang der DDR hat bereits Monate vor ihrer Gründung eingesetzt; und er war - ähnlich einer echten sozialistischen Blutwurst — vom Schlachter hausgemacht. Sicher, immer wieder behaupten revanchistische Ostzonale mit dem Langmut und der Intelligenz einer Rindskopfsülze in Gelee, die Währungsreform West habe von vornherein die Entwicklung des Ostsektors gehemmt. Doch tatsächlich verurteilten die Medien in der Sowjetischen Besatzungszone mit ihrer Propaganda gegen eben diese Währungsreform das Projekt »Tätärä« zum Scheitern. Mit Reimen, die selbst einem kerngesunden und wohlgenährten Nachkriegsler den Magen umdrehten, agitierten sie gegen den illegalen Export von Nahrungsmitteln in die Westsektoren - und bewirkten damit genau das Gegenteil: Gegen wenige neue Westpfennige ergriff jeder kriegsversehrt einbeinige Kohlkopf lieber die Flucht, um nicht im Magen eines Werktätigen zu enden, wenn die Sowjets für ihre Zonis 1949 dunkle Geschäfte filmisch nachstellten und dazu dichteten: Tag und Nacht Hände sich regen/ bei sengender Glut im Feuersegen. Dabei darf man nicht vergessen/ die größte Energie gibt nur ein nahrhaftes Essen. Das aber holt vom Bauersmann/ 118
der Schieber in größten Mengen heran So ist der schaffende Mensch unterernährt/ weil der Gauner seine Kalorien verzehrt « Da konnte Reinhard Perlewitz von der »Maschinen Ausleihe Station Ernst Thälmann«, der erste Hen necke der Landwirtschaft, mit seinem Stalingrader »SDS-Nati-Raupenschlepper« übermenschlich viele Hektar Land pflügen, eggen und bestellen, um den Zoni zu ernähren - angesichts dieser schlechten Propaganda ist es kein Wunder, daß Hunderttausende Menschen die SBZ verließen und Walter Ulbricht und Co. in der Lage waren, den Parteigängern, die jenseits der D-MARKationslinie ausharrten, problemlos die Zunge herauszuschneiden und sie durch ein geschmacksresistentes Lederimplantat zu ersetzen..., kurz: angesichts dieser Propaganda ist es kein Wunder, daß der Zoni zu dem wurde, was er wurde - und blieb: ein kulinarischer Dumpfbeutel. Daß es ist, wie es ist, ist daran zu erkennen, daß nur Solei-hartgesottene Reisende, die einen Campingkocher für ihr Hotelzimmer vergessen haben, im Anschlußgebiet ein Restaurant mit original ZonenKüche aufzusuchen wagen. Einst mußte sich der planwirtschaftlich-vorausschauende Mensch, der schon morgens für das Abendessen einen Tisch in einem volkseigenen Restaurant reservieren wollte, eine Abfuhr abholen: »Nu, mer sin oohsgebuucht, ne woohr« - meist eine faustdicke Lüge, aber vorgetragen mit einer Leichtigkeit, die nur eine Alupfanne aus recycletem DDR-Geld auf die Waage brächte. Das ist heute anders; der Zoni weiß schließlich, wo der Fleischklopfer hängt. Trotzdem bewegt er sich kaum schneller und gibt selten klare Auskünfte. Immerhin ist es mittlerweile möglich, zu erfragen, was die Speisekarte bietet. Bis 1989 bekam man normalerweise Stadt und Land/Hand in Hand« - im preußischen 119
Stechschritt vorgetragen: »Is' nich!« oder »Fleischsoosengombonende!« »Fleischsaucenkomponente«. Ein Wort, das man einer gratinierten Auster oder einer hauchdünnen Scheibe Entenbrust, auf jeden Fall gleich einer Speise, die der Zoni nicht kennt - genüßlich lutschen muß. Es klingt nämlich nicht nur witzig wie jeder aridere zonal-deutsche terminus technicus, der aus mehr als zwei Substantiven zusammengesetzt ist; »Fleischsaucen-komponente« ist ein technischer Begriff. Zu DDR-Zeiten beschrieb er schlicht jenen Umstand, daß Küche und Service morgens oft noch nicht wußten, was sie ihren Gästen nach Untergang der roten Sonne kredenzen - welches tote Tier sie ihnen mit welcher Sauce servieren könnten —, und auf welche Art der Kadaver zubereitet sein würde; verkohlt, zerkocht oder in Sauce ersoffen. Von »Fleischsaucenkomponente« spricht schon seit einigen Jahren niemand mehr, obwohl immer noch kein Zonen-Kellner weiß, wes Tieres Kadaver er zu Tische trägt. Und zum Leidwesen jener waghalsigen oder verzweifelt hungrigen Restaurantbesucher aus der zivilisierten westlichen Welt sind sie auch Jahre nach dem Fall der Mauer nicht minder verkohlt, zerkocht oder in Sauce ersoffen - Schweinskotelett, Rinderhacksteak oder Kalbsschnitzel genau wie Zonen-Koch und -Kellner. Ähnliches gilt für die »Sättigungsbeilage«, die - der Name hat immer recht - DDR-Köche ihren Gästen zu dem boten, was nicht satt machte, also zu jenen »Fleischsaucenkomponenten«, die gut, lecker und teuer sind - und deshalb in DDR-Restaurants, sofern überhaupt, nur in ganz kleinen Mengen angeboten wurden. Unter »Sättigungsbeilage« jedenfalls verstand der Zoni höchstens ein bis zwei Gemüsesorten, die mit dem frisch-gesunden Teint der Bäume in Finsterwalde gesegnet waren. Unerläßlich waren zudem Kartoffelklöße mit Ge120
schmack und Konsistenz von märkischem Sand Ka toffelpüree, dessen Farbe nicht zu unrecht an Schwefel erinnerte, oder Bratkartoffeln, die offensichtlich im Braunkohlentagebau der Lausitz abgebaut und in Bautzen in die »Dr. Oennecker«-Paßform gepreßt wurden. Manchmal gab es auch ungesalzene Salzkartoffeln, wenngleich selten so viele, wie es einem hungrigen Menschen vielleicht die sechs Silben des Wortes »Sät-ti-gungs-bei-la-ge« versprechen mochten; der Name hat eben doch nicht immer recht. Während die »Fleischsaucenkomponente« brutal aus dem gesamtdeutschen Vokabular ausgegrenzt wurde, hat die »Sättigungsbeilage« überlebt. Seit Alfred Biolek sie in »Saucenträger« umgetauft hat, ist sie hüben in halbbildungsbürgerlichen Kreisen zu einem angeblich verhohnepiepelnden Synonym für die minimalistische Ausrichtung der auch nicht mehr ganz neuen nouvelle cuisine geworden. Drüben heißt der Zoni - mit einer Unbarmherzigkeit, die an die Reden im Zentralkomitee gemahnt - nach wie vor alles »Sättigungsbeilage«, was nicht Fisch und nicht Fleisch ist. Und der Zonen-Koch spricht nicht nur von »Sättigungsbeilage«, er kocht auch jede Kartoffel, jede Rübe, jede Erbse ganz, als wäre er ein Mitarbeiter der Stasi, der das Gemüse im Heizungskeller der Normannenstraße einer »Spezialbehandlung« unterzieht. Überhaupt ist der Zoni allenfalls in der Lage, Gerichte zu kochen, die ohne eine »Sättigungsbeilage« gereicht werden. »Leipziger Allerlei« zum Beispiel, das nach der Gründung der DDR erst zum Dreierund dann zum Zweierlei degradiert wurde. Nach dem Tod Stalins blieb ein »Leipziger Einerlei« übrig, das auch nach dem Fall der Mauer nicht wieder aufgewertet wurde; der Zoni reicht es dem Gast am liebsten weichgekocht - als sei es des Koches Hirn selbst. Ein anderes Beispiel war ursprünglich ein russischer Eintopf, den der affirmative Ostzonale gleich nach 121
dem Einmarsch der Sowjets zu seinem - demokratisch-republikanischen, vor allem aber nationalen Volksgericht machte. Und noch immer - ganz der Nachkriegsler - rührt der Zoni ungerührt alle Reste, derer er nur habhaft werden kann, zusammen, um den Sud am Ende mit einem Klecks saurer Sahne zu versehen und das entstandene Gebräu »Soljanka1« zu nennen. Hat der Zoni einmal keinen Appetit auf Müll mit saurer Sahne - »Üh gütt, saurö Söhne!« - greift er gerne auf eine »Schlachteplatte« zurück. Sie zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß die einzelnen aus Fleisch gewonnenen Teile - von Magdeburger Wurst mit Tranklümpchen über nackte Schwarten bis zum Hahnenkamm - einen Fettgehalt aufweisen, der sie im Westen einen Tag nach Überschreiten des Verfallsdatums als gepreßtes Altöl auf die Sondermülldeponie brächte. Sondermülldeponien sind dem Zoni jedoch schon seit ehedem fremd; »bloß nichts verkommen lassen« das war und ist seine Devise. Ranzige Schwarten wringt er daher aus, um das gewonnene Konzentrat »Dressing« zu nennen und über das zu gießen, was er als Salat beschönigt. In letzter Zeit versuchen nämlich einige wenige Zonenrestaurants Westansprüchen genüge zu tun, indem sie diverses Grünzeug anbieten. »Grünzeug« ist wohlgemerkt der richtige Ausdruck, weil der Zonenkoch das, was da auf Teller und Tisch kommt, nach den Rezepten seiner Einfaltigkeit zusammenkippt: Verschiedene Blätter, die er am Wegesrand sammelt - Hahnenfuß, Spitz- oder Breitwegerich, Hauptsache Chlorophyllgrün und von Hundeurin gut gewürzt, dazu irgendwelche Wurst- oder Käsereste. Sollten dem »Salat« einmal Paprikastreifen beigegeben sein, ist dies noch lange kein Zeichen für gesunde Frische. Im Gegenteil: Paprika im Anschlußgebiet gebietet Vorsicht! Sie stammt nämlich grundsätzlich aus Restbeständen von Waren, die noch 122
vor der großen Inventur 1989 aus Ungarn geliefert wurden - von den roten »Pußta Brüdern«. Daß der Zoni an richtigen Salaten keinen Geschmack findet, zeigen seine »Garnituren«. Im Westen dekorieren selbst Spelunken-Köche ihre Teller mit simpelstem Schnickschnack wie »Brunnenkresse zu Tomatenecke auf Kopfsalatblatt«. Der Zoni dagegen beschränkt sich in seiner ganzen Beschränktheit auf Spreewaldgurken; nicht zum Fächer geschnitten, versteht sich, sondern am Stück, da kann er nichts falsch machen. Kritischen Lesern dieser Studie dürfte längst aufgefallen sein, daß dieser Text nicht die klassische Menüabfolge einhält und die Vorspeisen bisher übergangen worden sind. Dies ist damit zu erklären, daß sie dem Zoni nie wichtig waren und heute immer noch nicht sind. Früher waren Vorspeisen zumeist nur Variationen von verschiedenen Pilzen, die besonders billig waren. Nicht etwa — wie so oft falsch kolportiert —, weil der DDR-Bürger sie selbst durch Wald und Wiesen streifend erlegt hätte. Nein, die Pilze wurden aus den sozialistischen Bruderstaaten geliefert, weil sie dort ausgesprochen groß waren, wuchsen sie doch in echten Pilzbiotopen, gleich neben den störanfälligsten Atomreaktoren der Welt. In einigen wenigen sogenannten »besseren« Restaurants wurde auch »Würzfleisch im Näpfchen« angepriesen, berechtigterweise nicht mit dem dekadenten Titel »Ragout Fin«, denn es sollte zwar so aussehen, tat es aber nicht. Heute wird das »Würzfleisch im Näpfchen« zwar »Ragout Fin« geheißen, sieht aber immer noch aus wie Matsch ohne Sauce. Und die Pilze läßt der Zoni nach wie vor lieber sammeln - am liebsten von kasachischen Wanderarbeitern in der Ukraine. Man könnte mithin annehmen, daß die Wende 1989 kulinarisch gesehen eine Wende um 360 Grad gewesen sei; daß der Zoni sich also einmal um sich selbst gedreht hätte. Doch der Zoni schaffte es, sich um 450 123
Grad zu wenden. Bis zum Fall der Mauer nämlich hatte er wenigstens ein Leckerli auf der Pfanne: das Dessert oder - wie es im DDR-Deutsch richtig hieß die »Nachspeise«. Von Pudding über Eis bis hin zum Kuchen war alles, was einem zwischen Wustrow und Irksleben geboten wurde, richtig lecker, wahrscheinlich aus Ermangelung von Emulgatoren und anderen künstlichen Stoffen. Ein Defizit, das keines war, aber unmittelbar nach dem Anschluß an die BRD behoben wurde. Kaum ein Tiefkühlkostkonzern, dessen Waren heute nicht auf den Zoni-Speisenkarten vertreten wären. Deshalb ißt man den besten russischen Zupfkuchen heute im Hauptbahnhof Frankfurt - am Main und nicht an der Oder. »Gut, daß es auch im Osten Imbißbuden gibt«, mögen jetzt einige entsetzte Gourmets und Gourmetten frohlocken. Doch erstens existieren in der Zone weitaus weniger Imbißbuden im klassischen Sinne, vielmehr offerieren Zonen-Schlachter in ihren Ladenlokalen kleine Imbißecken. Zweitens sind die Speisen, die sie bieten, noch weniger empfehlenswert als die in den Zonenrestaurants. Natürlich verbietet es sich, auf den berühmt-berüchtigten »Goldbroiler« näher einzugehen, ist der Begriff doch so abgegrillt wie sein Gegenstand und so ungoldig wie Schnitzlers »Schwarzer Kanal«. Zudem verschmäht selbst der Zoni immer häufiger Brathähnchen, eben weil die Schlachter und Imbißbetreiber weniger als Grillmaster auftreten denn als Angestellte eines Krematoriums. Ihre Würstchen sehen selten besser aus. Ein Umstand, der damit zu erklären ist, daß der Zoni Thüringer und Krakauer in Toastern brät. Brühriemen dagegen kocht er in einem »Privileg-Toplader«, der Waschmaschine der DDR. Im Schleudergang würzt er sie mit »Lysol«, einem Putzmittel, das schon die DDR gleicher machte als gleich, um sie im »Buntwäschegang« schließlich bis zum Verkauf heiß zu halten. Trotzdem
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- oder gerade deshalb - schätzt der Zoni seine Würstchen und rollt in jeder Mittagspause zum Wurster seiner Wahl. In Wismar ist es allerdings umgekehrt, dort bietet der Zoni dem Zoni einen Catering Service namens »Wurst-Blitz«. Und die Dönerbuden, die mancher Zonenort nach dem Fall der Mauer öffnete? - Von denen sollte man ebenfalls nicht allzu viel Gutes erwarten. Ihre Betreiber haben keine echten Schnurrbärte, sind lediglich getürkte Türken aus Leipzig, und die angeblichen Lammfleischscheiben, die sie täglich frisch auf den Spieß stecken, sind tatsächlich gebrauchte Schuhsohlen aus Polen oder Tschechien. An dieser Stelle auch noch auf die Pizzerien und China-Restaurants einzugehen, führte zu weit. Eines sei dennoch gesagt: Kein echter Türke, Italiener oder Chinese traut sich in die Zone, weil deren Ureinwohner zwar immer Antifaschisten waren, aber Kümmel und Knoblauch, Parmaschinken oder Pasta, Chop-Suey oder Curry nie mochten und das heute endlich auch einmal aussprechen dürfen - mit dem Baseballschläger, denn der ist des Zonis bevorzugtes Ausdrucksmittel. Ein gutes Getränk braucht der ungeübte Esser typischer Zoni-Speisen, will er nach der Nahrungsaufnahme seines Magens Pförtner davor bewahren, die Schleuse wieder zu öffnen. Indes auch an guten Getränken mangelt es dem Zoni. Sein Rotkäppchen-Sekt ist bekanntlich nicht nur legendär, er ist bekanntlich auch legendär schlecht. Seine einst guten Brauereien - beispielsweise Radeberger und Köstritzer — hat der Zoni an eine große Westfirma verkloppt und sich damit um eine wirkliche kulinarische Spezialität gebracht. Ein neues Bier, das in Stralsund gebraut wird und »Störtebecker« heißt, schmeckt dagegen wie der Namensstifter nach seinem Tod oder wie ein Zoni, der noch lebt: Kopflos, irgendwie ausgelaufen und leer. Daß Loser-Pinten wie »Zum Störtebecker« oder »Stör125
ti« dieses Gebräu als »Bier der Gerechten« ausschenken, ist mithin mehr als gerecht. Wer zu spät kommt,
den bestraft die Leber! Warum, fragt sich jeder normal schmeckende und sprechende Mensch, warum wiederholt der Zoni alte Fehler, für die es keine neuen Gründe gibt? Sind unsere ungeliebten »Ost-Brüder und -Schwestern« Opfer eines gleichermaßen gigantischen wie auch behämmerten »Ostalgie«-Booms, der — »Verschwörung, ick hör dir trapsen« - vom marktorientierten Westen initiiert wurde, um den Zoni ruhig zu stellen? Glaubt der Zoni tatsächlich, alles, was er sich in den Mund schiebt, schmecke »wirglich gonz suubor«? Weiß er es einfach nicht besser? Ist die kollektive kulinarische Verirrung darauf zurückzuführen, daß kein totes Stück Lederimplantat zum goutierenden Leben reanimiert werden kann - heute so wenig wie gestern, als noch alle Jahre wieder ein Freßpaket in die DDR geschickt wurde? War es damals schon egal, ob die von Omi und Opi an die liebe Familie »drüben« versandten Nahrungsmittel vom Feinkosthändler stammten oder aus der Ökotonne? Wahrscheinlich spielen all diese Faktoren zusammen. Was der Zoni jedoch alles im Namen der alten Heimat DDR verdaut - frei nach dem Motto »Der gemeine Volkskoch drückt dich zärtlich, aber ungekonnt an seine Nationale Front« -, macht eine einzige Warnung notwendig: Fremder, der du diesen Ort betrittst, vergiß Tauchsieder und Tütensuppe nicht, sonst laß alle Hoffnung fahren. Denn jeder Westler, der sich bisher der Küche eines Zoni-Restaurants aussetzte, hatte irgendwann zwischen Bestellung und Dessert eine Erscheinung. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich und unerwartet der Geist Bert Brechts auf, und aus allen Himmelsrichtungen ertönte: »Klowärts und sich erbrechen / beim Hungern und beim Dürsten / die Solidarität...«. 126
Cire.~er & Lenz
Dreißig Jahre Puhdys
Michael Rudolf Wer im Osten oder in der vielleicht in endlos fernen Zeiten einmal schön und wichtig zu nennenden Hauptstadt der Berliner Republik hat sie noch nicht gemacht, diese Erfahrung der Ohnmacht, der Trostund Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins, wenn er sich ohnmächtig, trost- und hilflos den Puhdys ausgeliefert sieht? Puhdys-Schallwellen in gordischen Knoten um das von der »neuen Mitte« ohnehin schon genug geplagte Gemüt gelegt und nach chaostheoretischen Maximen um unser zerbrechliches Nervengerüst geflochten? Hätten wir nicht besser Schonung verdient, anstatt rast- und ruhelos weiter zu bohren? Zum Beispiel danach, wer von denen der Schlimmste wäre? Dieter »Maschine/Da Voice« Birr? Dieter »Quaster« Hertrampf? Klaus Scharfschwerdt? Peter »Eingehängt« Meyer? Ob Harry »Magie Fingers« Jeske der Leviathan sei oder einfach nur dumm wie ein Sack Schrauben? Was passiere, wenn man einen Puhdy in der Familie hätte oder selbst einer würde, wie neulich Peter »Bimbo« Rasym, von dem es aus gut informierten Kreisen immerhin heißt, er könne ganz prima Baßspielen? Ob die Puhdys das geheime Headquarter des organisierten Verbrechens seien? Oder nicht gleich die Wurzel allen Übels, die universellen Arschlöcher per se? Zu Zonenzeiten war die Bevölkerung sehr schnell in zwei antagonistische und also eben unversöhnliche 128
Lager geteilt. Ein sympathisches, von nicht allzu großer zahlenmäßiger Erheblichkeit umkränzeltes Nanomilieu litt bitter unter bösen Geschwulsten Würgereiz und Affektlabilität, sowie der Name dieses perniziösen Unheilsquintetts auch nur versehentlich hinter vorgehaltener Hand geraunt wurde. Noch heute beobachten wir bei diesen tapferen Menschen jäh aufbrechende Symptome unzureichend verarbeiteten Ekels. Die andere, weitaus größere Hälfte hingegen bestätigte auf eindringliche Weise, daß die Mehrheit der uns umgebenden Zeitgenossen zu schlecht verheilten Kaltwellen und zu ubiquitärer Vollidiotie neigt. Das allerfeinste Erdöl halb Sibiriens wurde leichtfertig in der Puhdys-Tonträgerproduktion verheizt, Radiomoderatoren unter Androhung schlimmster Verstümmelungen zum Loben der Puhdys gezwungen. Regale, in denen Puhdys-Platten gelagert wurden, gelten nach wie vor als schwer kontaminierter Sondermüll. Der Zonensozialismus mußte ja scheitern. Die sicher gut gemeinte Expertenthese, irgendwann habe sich das, ähnlich wie beim Neuen Deutschland, biologisch erledigt, ist kaum mehr haltbar. Die Halbwertszeit solcher »entarteter Unterhaltungskunst« (Holger Sudau) liegt bei mindestens 16 Millionen Jahren. Und noch immer gibt es 16 Millionen PuhdysFans. 16 Millionen! Jedoch die Zeiten ändern sich. Jetzt, zum »Ende der Kritik« (N. Bolz), da alles beliebig wird und alle beliebig werden, machen sich die Puhdys auf einmal anstellig. Ein rasanter, fast rasend machender Paradigmenwechsel bei der »Rocklegende« aus Ostberlin. Das Grundgute in Gestalt der »Firma« Schultheiss versucht erfolgreich über den Umweg einer Werbepartnerschaft mit den »Vorzeigerockern« das leidlich untrinkbare Berliner Pilsener (»Gutes setzt sich durch«) endgültig vom Markt zu verdrängen. Es ist ferner 129
eine an der Ostseeküste stationierte Gurkentruppe, die mit Hilfe der von den Puhdys »komponierten« Vereinshymne endlich den Abstieg in die Zweite Bundesliga schaffen wird, und es ist eine Tankstellenkette, der es mit offenkundig anderwärts schwer vermittelbaren Beschäftigten, aufgestockt um diese fünf »Vollblutmusikanten«, immer überzeugender gelingt, die letzten verbliebenen Kunden abzuschrecken. Ein zweifellos schöner Beitrag zur ökonomischen und Sozialhygiene. Und noch was: Für die Abschiebung bockiger Scheinasylanten und auch präventiv als Abschreckung würde ich an Schilys Stelle nicht einen Augenblick zögern. Mit Musik aber hat das seit geschlagenen dreißig Jahren nichts zu tun, das können Sie mir glauben.
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Auferstanden aus der Muckibude DDR Rammstein fühlt deutsch
ChristofMeueler Rammstein sind ein Judenwitz. Stumpf, grausam und blöd - kriegt jeder mal zu hören. Ob man will oder nicht: Rammstein haben in der BRD und den USA millionenmal verkauft - koksaufgedunsen grinsen die sechs erfolgreichsten Pop-Exporteure der Ex-DDR in den Medienmarkt und erzählen ihren eigenen kleinen Scherz: Sie behaupten, nicht zu wissen, was sie tun. Ist doch nur Spaß: Nazis trifft man überall, um sie zu bedienen, muß man nicht faschistisch sein, bloß eine kulturindustrielle Geschäftsidee. Bei den Liedern von Rammstein hört der Westen endlich einmal auf den Osten: Brutal sein, aber leistungsstark, erfolgreich und angepaßt. Getöse für das Böse, daß alltäglich ist. So normal, wie die »national befreiten Zonen« in manchen schnarchigen Nestern der früheren DDR. Dort kann es sogar passieren, daß den Nazis dermaßen die Gegner ausgehen, daß sie ganz persönlich werden und Sex als Schlachteplatte begreifen müssen. Wer Rammstein hört, der glaubt an den Kampfkrampf als zwecklosen Zweck. »Du böse böse Muschi, du« spricht Rammstein-Sänger Till Lindemann als Soundcheckformel, und Millionen Klemmis stehen hinter ihm. Alle Träume sind hier Spermaschäume. Harte, kriegerische Arbeit an der Erektion, die jede Freude verbietet - man will sich ja nicht verschwenden. Wenn dieses männliche Deutschland morgens erwacht, zieht es in die Schlacht: »Jetzt kommt er rückwärts
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mir entgegen/Honig bleibt am Strumpfband kleben/ ich bin enttäuscht/total enttäuscht« (Rammstein: »Bück dich«). Am Leiden soll man sich aber weiden. Rammstein setzen auf stählerne Badboygroup-Inszenierung: Auferstanden aus der Muckibude. Verschwitzt und läppisch machen sie auf wilden Primitivismus, der von keinerlei Idee getrübt wird. Rammstein wollen nichts weiter, als unangenehm auffallen. Folgerichtig wurden sie durch zwei Lieder im letzten David-LynchFilm »Lost Highway« bekannt. Film wie Musik waren gewollt und nicht gekonnt. Wo Lynch sich durch den einf allsarm verunglückten Nachbau eines Lynchfilms selbst demontiert, passen Rammstein wie die blöden Geister, die niemand gerufen hat. Die Band lieferte Lynch ihre Musik nicht auf Bestellung, sondern per Zufall, als wahllos zugesandtes Angebot auf Tape. Deutschland war drauf, doch die USA brauchten höhere Dosen Popismus - Deutsche, die auch noch stolz darauf waren: Nach dem Motto ihres Keyboarders Flake »Lieber ein Rammstein als arbeitslos« coverten Rammstein 1998 für die US-Aufmerksamkeit den Depeche-Mode-Song »Let nie see you stripped« mit einem Video, das Leni Riefenstahls Olympiafilme »Fest der Völker« und »Fest der Schönheit« in eins schnitt. Ein bißchen Skandal, und schon waren sie Geldhelden mit dem großen Vorteil, Dummheit ohne Ideologie bieten zu können. Der ideologiekritische Totalitarismus-Chic der Independent-Achtziger wird von Rammstein in den späten Neunzigern intellektuellenfeindlich auf die stampfenden Füße gestellt und dem Mainstream einverleibt. Sie sind Laibach ohne Überbau, DAF ohne Punk, Einstürzende Neubauten ohne Originalität. Nur der Soundtrack zur deutschen Grundfrage, warum man überhaupt etwas gegen Nazis haben sollte. Musikalisch ist bei ihnen wenig zu holen — plump 132
treibender Metal, ausgestopft mit technoidem Firlefanz, damit etwas melodiöse Abwechslung rausspringt. Eine schlecht verkleidete Kopie der Erfurter Band Think about Mutation, die Anfang der Neunziger als erste Ostler Dub, Sampling und Gitarre verbanden. Rammstein erfanden Ornamnente des housigen und trancigen Kirmestechno hinzu, um der Crossover-Behäbigkeit zu entgehen. Dazu gibt es manirierte Synthesizer wie weiland bei Genesis oder Yes und im Vordergrund den tönernen Sprechgesang mit rollendem R von Lindemann, im Stil irgendwo zwischen Industrial, Gothic und Death Metal, marktgerecht geglättet und gefönt. Vor allem aber mühsamst antrainiert - hatte dieser Ex-Junioren-Europameister im Langstreckenschwimmen ursprünglich doch nicht mehr zu bieten als seine Türsteher-Erscheinung. Heute darf er Zeilen wie »ein Raubtier das vor Hunger schreit/witter ich dich meilenweit« hyperventilieren, als würde er mit letzter Kraft düsterste Geheimnisse ausröcheln. Denken Rammstein an Sex, heißt das für sie: Frauen und Kinder zuerst auf die Folterbank. »Was macht ein Mann/der zwischen Mensch und Tier nicht unterscheiden kann?/Er wird zu seiner Tochter gehen/sie ist schön und jung an Jahren/und dann wird er wie ein Hund /mit eigen Fleisch und Blut sich paaren« (Rammstein: »Tier«). Fast jeder Textbaustein verfährt nach dem Klischee »ich goß ihr Blut/ins Feuer meiner Wut« (Rammstein: »Klavier«). Und die Weiber stehen drauf! Behaupten Rammstein immer wieder gerne in Interviews, in denen sie mit ihren angeblich zahlreichen weiblichen Fans angeben. Sie begreifen sich als pädagogische Tabubrecher. »Der Sexismus, der uns vorgeworfen wird, ist für uns mehr ein in Schutz nehmen der Frau«, sagte Lindemann der Sounds. Seine pathetisch vorgetragenen Lieder begreift er als eine Art lyrische Schutzhaft für Frauen, um sie imaginär fertigzuma133
chen und dabei über männliche Gewalt aufzuklären es könnte ja jemand auf dumme Gedanken kommen. Umstrittenheit heißt Rammsteins Ziel, wenn sie in Video oder Konzert ihrem Konzept Terror für alle nachgehen. Mystisch gemeintes Feuerspucken in der als bedrohlich empfundenen Außenwelt, der musikalisch wie optisch in militärischer Geschlossenheit entgegen paradiert wird. Martialisches Pfeifen im Dunkel des Reichsparteitages: Ein bißchen Appell, ein bißchen Liturgie, ein bißchen Kult der Märtyrer bündeln sie zur betont tragischen Notwendigkeit: »schließ mich ein in dein Gebet/bevor der Wind noch kälter weht« (Rammstein: »Bestrafe mich«). Leere Innerlichkeit als Fassadenkunst der Nazi-Architektur: Rammstein-Lieder sind immer ein wenig schneller als der menschliche Herzschlag mit seinen 120 bpm, um die Zuhörer ins diffus gefühlte Nichts zu puschen. Die taz belobigte sie als »kapitalistische Realisten«, wobei die Geste, Rammstein als unpolitische Band durchzuwinken, dem Reflex staatlicher Stellen ähnelt, bei rassistischen Straftaten rechtsextreme Hintergründe automatisch auszuschließen. Rammstein mögen nette harmlose Typen sein, die inoffiziell Sympathien für SPD, Grüne oder PDS hegen - ganz so wie in Schwedt, Würzen oder Rostock kaum jemand Rechtsradikale wählt -, ihre Gesamterscheinung ist trotzdem übel. Mit der billigen Ausrede, ihr Kommerz wäre ambivalente Kunst, transportieren sie implizit den Aufruf, Schwache zu jagen und zu schlagen, um anschließend zu behaupten, sie hätten sich nur bedroht gefühlt. Als krude kostümierte Albert Speer Youth liefern sie bombastische »Mad Max«-Musik auf UKW. Hohle Gigantomanie, die pure Kraft heiligt und von jedweder Erfahrung, Dynamik und Phantasie absieht. Bis auf die Knochen geistig träge, jammern die Rammstein-Leute in ihren Interviews über jede Art 134
der Kritik an ihrem Gebaren und sehen sich wie jeder anständige Rechte einer halluzinierten Verschwörung aus Political Correctness und Feminismus ausgesetzt. Ja, man käme sich »wie Fremde im eigenen Land« vor, beklagte sich Schlagzeuger Schneider gegenüber Zillo, als wollte er zusammen mit NPD. DVU oder Reps vor der berühmten Inländerfeindlichkeit warnen. Gitarrist Landers echote: »Nochmals: Wir sind Deutsche, wir singen deutsch, wir fühlen uns wie Deutsche.« Wer aber behauptet zu wissen, was das sein soll, sich deutsch zu fühlen, der ist völkisch gut drauf und ein gemachter Depp. Am liebsten sehen sich Rammstein als sture Technokraten (wahlweise auch: Künstler), die mal wieder von nichts gewußt haben wollen und vollkommen uninteressiert am eigenen Produkt herumhantieren, welches nur dazu taugt, aus der Masse einen Mob zu machen. »Privat zündel ich nie«, sagt Lindemann, aber er liefert die Musik für diejenigen, die das gerne tun. Nur dann, wenn alle zuhören. Dann wird das Ressentiment zum Job ästhetisiert - schließlich kennen alle Bandmitglieder die Armut der Punkmusik. Sämtlich haben sie im Ost-Underground (Feeling B, Die Firma, Das Auge Gottes, First Arsch, Inchtabokatables) gespielt, um zu erfahren, wie man kein Geld verdient. Denn sie wissen, was sie tun: Auf ihrer ersten Testtour durch Thüringer Clubs hielten sie ihre alten linksalternativen Anhänger für die neuesten Nazis. »Rammstein ist so: Alle essen an einem Tisch. Alle essen, was sie gut leiden können. Dann kacken alle geradeaus. Und alle kacken in einen Topf«, faßte Landers am Anfang das Konzept, das keines sein soll, zusammen. Und heute sind alle stolz darauf.
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mdr - »nahe dran« ist auch daneben
Martin Kahl
Der Ostler sieht länger fern als der Westler. Der Ostler schaut auch lieber Private - vor allem SÄT l und RTL - als Öffentlich-Rechtliche, er nimmt aber trotzdem den Mitteldeutschen Rundfunk gut an. Kurzum: Der Ostler ist dem Vergnügen zugetan - zumindest beim Fernsehgucken. Es gibt sie also doch noch, die eigene ostdeutsche Lebensart, von der mehr übrig geblieben ist als nur das Sand- und das Ampelmännchen. Der durchschnittliche Seher des mdr ist Anfang sechzig, heimatinteressiert und mit regionalem Schwerpunkt reiselustig, könnte aber trotzdem die PDS wählen. Angesichts dieser wenig günstigen Zuschauerstruktur kann sich der mdr dem östlichen Grundbedürfnis nach überschaubaren Horizonten nicht verschließen und füllt die Sendezeit mit unzähligen regionalen Nachrichten aus Sachsen, SachsenAnhalt oder Thüringen und gern auch mit Unterhaltungssendungen aus der Vorwende. Denn für den mdr liegt »Heimat« ganz offensichtlich zu einem nicht unbeträchtlichen Teil in der Vergangenheit, in den schwarzweißen DEFA-Filmen, den vielen alten DFFShows mit den viel zu alten Witzen und den Volksmusik- und Schlagersendungen mit dem hausgemachten Liedgut. Im mdr erscheinen samstags selbst zur Hauptsendezeit reichlich ehemalige Deutsche Fernsehfunker auf dem Bildschirm und stiften Rührseligkeit aus den Archiven. Halbverfallene Fassaden und 136
viel Dachschaden - diese Kennzeichen der DDR hat der mdr auf solche Weise mühelos aus der Vergangenheit ins Jetzt hinübergerettet. Das Gestylte der Medienschaffenden bei den Westsendern ist beim mdr nicht erlaubt, statt dessen ist man bewußt unaufgemacht und »nahe dran am Menschen«: so nahe, daß es Augen und Ohren weh tut. Der Sender als Spiegel der Biederkeit und nach dem Geschmack seiner Zuschauer; das geht bis in den Antichic der Showmastergarderobe, bis in die Klatschf risuren der Sportmoderatoren und die knatschbunte Studio-Deko. Dümmlichere Moderatoren wie Achim Geimer vom »Tele-Bingo« oder Lutz Hoff von »So 'n Ding« konnten ahnungslos gehalten werden und so hat man ihnen bis heute verheimlicht, daß es seit einigen Jahren sogar im Osten gelegentlich vernünftige Kleidung zu kaufen gibt. Die Westsender haben dagegen, wenn sie nicht rein unterhaltend veranlagt sind wie RTL oder SAT1, den falschen Ton, das falsche Tempo, den überheblichen Blick von Außen. Das benagt nicht. »80 Prozent des ARD-Publikums des Ersten«, erklärt mdr-Intendant Reiter, »sitzen im Westen. Man kann aus dem Ersten kein Ostprogramm machen. Damit wird man leben müssen.« Das kann man gut. Einige Ostkünstler, die es in der DDR durch beharrliches Verhältnissewiderspiegeln zu einigem Ruhm bringen konnten, haben es später im Westen mit großer Show versucht und sich rasch wieder verabschiedet. Die meisten der Gescheiterten sind beim mdr untergekommen. Wenn es der Sozialismus mit dem Umweltschutz auch nicht so ernst genommen hat, so nehmen mittlerweile doch wenigstens einige Ost-Unternehmen das Altmaterial zurück. Die OssiPosse der Mäßigbegabten ist jedenfalls nun größtenteils wieder unter sich und läßt sich für das alte Publikum neu aufbereiten. Aber auch im Westen nicht 137
mehr gefragte Sangeskünstler finden beim mdr ihr Refugium, zum Beispiel Bernhard Brink (laut mdr zur »Spitzengarde der deutschen Schlagerszene« gehörig), für den es sogar zur Ausstrahlung einer eigenen Show reicht. So hängt der Jammer am mdr wie die Cindy am Bert. Nun erst zeigt sich, was der Sozialismus wirklich angerichtet hat: Proletarier der neuen Länder vereinigen sich vor dem Heimat- und Musikkanal. Das Bürgertum ist tatsächlich abgeschafft - zugunsten des Kleinbürgertums. Die »Wernesgrüner Musikantenschenke«, das »Frühjahrsfest der Volksmusik«, »Achims Hitparade«, das »Deutsche Schlagermagazin«. Dafür hat sich der Aufstand gelohnt. Jetzt ist das Leben Musik, Musik, Musik, Musik. An Ausreden hierfür fehlt es nicht: die Menschen im Osten seien am besten »über das Gefühl zu erreichen«, vertuscht mdr-Fernsehdirektor Henning Röhl seine Absichten erst gar nicht. Ins Mitteldeutsche übersetzt heißt Gefühl »Einschaltquote« und so ist das Programm des mdr härm- aber nicht arglos: vielmehr ist es Dialektik auf den Punkt gebracht. Die Quoten für die Macher aus dem Westen müssen mit den alten Schoten aus dem Osten eine Synthese eingehen. Der Sozialismus mag untergegangen sein, nicht aber seine Fernsehkultur, Sparte Unterhaltung. Subtiler kann Geschichte ihre Ironie nicht entfalten: Der konservativ geführte mdr strahlt den »Wir und die Partei sind ja gar nicht so«-Agitprop des DFF in die gewendeten Wohnstuben, um den Osten bei Laune und beim Kapitalismus zu halten. Wenn im Osten noch Aufbruchstimmung sein sollte, dann wird sie vom mdr wandervölkisch sublimiert: >»Biwak< zeigt das Abenteuer, Klettern und Wandern«, »>Rucksack< - das ist die Sendung für Wanderfreunde aus dem Landesfunkhaus.« Oder man ist »Unterwegs in Sachsen« - was natürlich auch für
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Thüringen gilt. Das Volk hört die Signale - als munteres Gebimmel der Weißerritztalbahn. So kauft man dem Ostler im Spaziergang den letzten Schneid ab und versucht gleichzeitig Neuidentität Ost zu schaffen - vorbei an der PDS natürlich. Der mdr verschont aber auch den Westen nicht und speist das den Privaten nachgekupferte Blut-und-Busen-Magazin »Brisant« in das »Gesamtkunstwerk ARD« (mdr-Intendant Udo Reiter) ein. Nachdem der mdr der bundesdeutschen Fernsehwelt dieses Magazin geschenkt hatte, dachte man schon, er könne sich selbst und die Privaten nicht weiter unterbieten. Er hat es trotzdem geschafft und das Super ///u-Magazin auf den Bildschirm gehoben. Eine sich ostkompetent gebende Sendung und also ohne irgendwelche neuen Themen und mit konsequent niedrigem Anspruch. Fernsehdirektor Röhl hielt anläßlich dieser präzedenten Zusammenarbeit einer öffentlich-rechtlichen Anstalt mit einer Ramsch-Postille flammende Fürsprache für ein Deutschland der Regionen: »Regionale Programme sind ein Ausdruck von Identität, Selbstbewußtsein und eigenständigem Lebensgefühl. Ein wesentlicher Grund für das schwierige Zusammenwachsen von Ost und West liegt in den Versuchen, den Menschen in den neuen Ländern bestimmte Denkweisen und Verhaltensmuster überstülpen zu wollen.« Lassen wir den Ostler also wie er ist und lassen wir es dabei: ist »Wir gehen zum Vietnamesen« anderswo eine Verabredung zum Essen, soll es in den stolzen Regionen des Ostens als Ausdruck eines »eigenständigen Lebensgefühls« auch weiterhin die Ankündigung einer Straftat sein können. Der mdr also will Spiegel der Menschen sein. Aber er will auch dies: wie ein bester Freund Halt bieten, konkrete Lebenshilfe offerieren, Orientierung und Begleitung für die vielen Unsicheren und sich ständig bedroht Fühlenden geben. Warnrufe des Senders al139
lenthalben an die Unbedarften, die Einfältigen, die Wendeüberforderten, nicht auf den Glitzer der Neuwelt hereinzufallen: »Reisekataloge lügen!«, »Autohändler betrügen!«, »Rotkäppchensekt muß genügen!« Wer sich trotz all dieser Warnungen, Ratschläge und Fingerzeige nicht mäßigt, sich überschuldet oder sonstwie dumm anstellt, wird dennoch von der Gemeinschaft der Ratgeber nicht ausgeschlossen, sondern trostweise »Ein Fall für Escher« oder er darf als Dreiminüter in der »Telethek« zur Belehrung für alle sein Ungeschick noch einmal öffentlich ausbreiten. Der mdr ist somit mehr als sein berühmtester Sohn Achim Mentzel, bringt er doch die ganze Breite kleinostdeutschen Lebens: eben nicht nur Volksmusikfeste und Schlagerfestivals, sondern auch die ganzen Escherfälle. Durch Sendungen wie »Fiffi&Co« ebnet sich außerdem der Weg zu der Erkenntnis, daß Sozialismus und Haustiere viel mehr gemeinsam haben, als man denken könnte: beide mögen von der Idee her nicht schlecht sein, werden aber selten richtig ausgeführt. »Tierisch, Tierisch« schließlich bringt zu Tage, was dem Osten wirklich nahegeht. »Jedes Jahr verschwinden rund 50.000 Katzen in Deutschland. Sie werden Opfer von Autounfällen, Krankheiten oder gezielt erschossen. Immer wieder gibt es auch Gerüchte, daß Katzen auftragsmäßig gestohlen werden, um aus ihrem Fell Pelzkleidung oder Rheumadecken herzustellen.« Können die modernen Zeiten noch schmutziger, noch hundsgemeiner sein? So muß der mdr sich als Wagenburg anbieten gegen das Andere, das Unüberschaubare, das Außen. Der Ostler hat nach 40 Jahren sozialistischer Nivellierung ein tiefsitzendes Harmoniebedürfnis für das er angeblich nichts kann und deshalb bleibt er lieber unter sich. Wie sollen Programme da anders heißen als »WIR« (eine Sendung über den ostdeutschen Erlebnishorizont wie Zwangsneurosen, Schlaglöcher und tödliches Über140
holen in Kurven) oder »Unter Uns« (eine Sprech-Sendung über Kleinschicksale) oder »Thüringen privat« (eine Sendung mit Dr. Maria Lesser und Michael Wenkel). Und Bestätigung geben will er, der mdr: ja, wir aus dem Osten können auch was. Hat doch schon Kati Witt gezeigt, daß auch ein ostdeutsches Mädel die Power und das Zeug zum Weltstar hat. Schließlich ist die Nougatrolle aus Schmalkalden auch beinahe ein Welterfolg. Wenn das Programm (Ost) schon nicht innovativ ist, dann sind es wenigstens die Macher (West): Udo Reiter, der es im bayerischen Rundfunk bis zum Hörfunk-Direktor hinauf geschafft hatte, ist seit 1992 mdr-Intendant. Gleich hat er mit »mdr life« einen öffentlich-rechtlichen Hörfunksender in den Äther gehoben, der sich nicht mehr vom privaten Kommerzgedudel unterscheiden ließ. Das hat seinen Ruf als Neuerer sogar noch befördert - wir sind schließlich im Osten. Aber Reiter ist noch innovativer: Er plant, große Teile der Hörfunk- und Fernsehproduktion der mdr-Landesfunkhäuser auszulagern. Private Tochterunternehmen sollen gegründet und damit eine Senkung vor allem der Personalkosten erreicht werden. Reiter will »schlanke Sender«, so schlank, daß im Hause des mdr am besten nur noch er selbst und der Gebühreneinzug geduldet werden müssen. Da ist sie wieder, die gute alte Dialektik: der Westler bringt das ungeheuer moderne »lean management« nach Osten, und der Ostler kann sich weiter den alten Schmus begucken.
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Deutschlands Sendung Der mdr in den Zeiten des Krieges
Gerhard Henschel
Rückblende ms Frühjahr 1999:
Nacht für Nacht steigen unsere Flieger-Helden auf und werfen die Last ihrer »Vernunftbomben« (Ulrich Beck) über Jugoslawien ab. Noch hat der Feind in Deutschland keinen einzigen Gegentreffer erzielt, doch ein deutscher Fernsehsender, der mdr, strahlt schon jetzt ein wehrkraftstabilisierendes Durchhalteprogramm aus, das so wirkt, als solle es ausgebombte deutsche Flaumacher bei Laune halten. Seit es ihn gibt, hat der mdr am liebsten schauerlich frisierte, in Biedermeiertrachten einherwalzende, vor nachkolorierten Waldgebieten völkisches Liedgut schnulzende Germanen gezeigt, Faktoten und Matronen, Heino und Hannelore, Domspatzen und Jägermeister. Für die rotlackierten Nazis, die in Mitteldeutschland nach dem Plaste- und Elaste-Entzug 1989 ff. etwas zum Wohlfühlen brauchten, war das mdr-Programm genau das richtige. Und so dröhnten ein Jahrzehnt lang Schreckschrauben in Glockenröcken und Knödeltenöre in Holzfällerhemden auf die Zonenpopulation ein. Jetzt aber, im Krieg, scheint der mdr sein »Stückerl heile Welt« (Stefanie Hertel) noch wütender, noch forcierter zu beschwören. Auf anderen Kanälen sind zwischendurch Bombentote zu sehen, bedenklich den 142
Kopf wiegende Nato-Sprecher, Vertriebene, Ruinen Scherben. Schaltet man auf mdr um, sieht man sofort wieder volkstümliche Musikanten, die auf Studiostegen Forellenbachsimulationen überschreiten und die Schönheit der Heimat preisen. Da werden Weinpokale geschwenkt und Bäuche hergezeigt, daß es nur so brummt. Thüringische Fräuleins mit Schaukelzöpfen mottenkugeln über den Bildschirm, tragen Kostüme aus den Freiheitskriegen auf und schmettern Evergreens, die dem Musikgeschmack ostpreußischer Kaninchenzüchter von 1809 entsprechen. Dann pflanzen sich plötzlich dreißig gehirntote Knebelbartträger vor der Kamera auf und stimmen ein Loblied auf die Lieblichkeit des Vogtlands an. Anschließend sieht man eine künstlich verjüngte Drillingin der Kessler-Zwillinge pirouettieren, mit Dauerwelle made in Flauen, zwischen blühenden Pflaumenbäumen, und wenn man dann noch durchhält, kann man abermals mitteldeutsche Sangesknaben fortgeschrittenen Alters dabei beobachten, wie sie, zwischen Mühlrädern und Hexenhäusern, mit dem Charme gut abgehangener Vorderschinken das Vaterland hochleben lassen. Die Bürger der fünf nun doch allmählich nicht mehr ganz so neuen Bundesländer, könnte man sagen, brauchen das. Sie haben alles verloren, ihre Identität, ihren Stolz, ihr ideologisches Dachgepäck, und jetzt halten sie sich eben an »Achims Hitparade« und der »Wernesgrüner Musikantenschenke« fest, »der Fortsetzung der DDR mit anderen Mitteln« (Michael Rudolf). Aber der mdr will mehr. Er verfolgt mit seiner KdF-Offensive ein größeres und schöneres Ziel: Das ganze deutsche Volk soll sich in eine urgemütliche, im Pfefferkuchenhaus schunkelnde Notgemeinschaft verwandeln. Und es soll eine Bombenstimmung herrschen. Jetzt, wo Krieg geführt wird, erst recht. 143
Und schon wieder, simsala bimbam basaladu saladim, wackeln mitteldeutsche mdr-Bunken furnierte Schleiflacktreppen herab und schmettern Lieder wie »Über jedes Bacherl geht a Brückerl«, und aus der Kulisse eilen die dazugehörigen Megären herbei, Stefanie Hertel und Stefanie-Hertel-Klone, in mdrPantinen, mit mdr-Broschen und bombensicherer mdr-Grimasse. Im Bildvordergrund sind Honoratioren zu sehen, die mit Humpen auf die Tische hauen und der Fröhlichkeit ein Prosit ausbringen. Eine Zensur findet nicht statt. Täglich von 0 bis 24 Uhr zeigt der mdr die Wahrheit über sich selbst. Das muß man gesehen haben, sonst glaubt man das nicht.
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Kleine Kulturgeschichte der Aversion
Joseph von Westphalen Am Anfang war womöglich die Aversion? Mord; Krieg, Terror, Vertreibung all die bekannten Untaten sind Folgen der Aversion. Aversion kommt noch vor Aggression. Sie gilt als Keim das Bösen. Dabei sind Aversionen nötig. Denn was wäre eine Welt, in der es so etwas gibt wie Wagneropern, ohne die dringend nötige Aversion gegen eben diese Musik mitsamt den bayerischen Ministerpräsidenten, die beim Defilieren vor Bayreuths Brüll- und Brunststätte den Kopf schräg halten vor lauter Wohlgefallen des Dabeiseins zwischen all den kotzlangen ofenrohrbeinverdeckenden Abendkleidern. Was wäre die Welt ohne unsere schönen Aversionen gegen verblödete Kritiker, die erbärmliche Kunstwerke loben. Aversion ist Voraussetzung zur klaren Sicht. Auch im Tierreich. Die Ziege hat keine Lust auf den blöden Bock. Verständlich. Sie läßt den drängelnden Paarhufer abblitzen. Ihre Abneigung kränkt ihn. Wenn alles gut geht, macht er aus seinem Gemecker Ziegenbockpoesie und erlangt damit Ansehen. Und jetzt die Gefahr: Ist er zu blöd zum Sublimieren, hoppelt er nach Belgien und wird Zickleinschänder. Weil nicht alle Belgier pädophile Paarhufer sind, ist diese letzte Bemerkung rassistisch. Wenn sich eine Aversion pauschalierend gegen ein Volk oder gegen eine Volksgruppe richtet, spricht man von Rassismus. Rassismus gilt als das allerschlimmste Gift. Was auf 145
der ökologischen Gefährlichkeitsskala das Plutonium ist, ist ideologisch gemessen der Rassismus. Während man vernünftigen Menschen die Notwendigkeit der Aversion noch auseinandersetzen kann, wird man Schwierigkeiten haben, ihnen den Rassismus als etwas Natürliches zu erläutern. Daran sind nun wirklich die Nazis schuld. Deswegen sollte man das, was sich noch immer rechtsradikal herumtummelt, zusammensammeln, in einen Kerker werfen und von rechtsradikalem Personal bewachen lassen, in der Hoffnung, daß sich dies Völkchen untereinander alle macht. Bekanntlich gibt es im Osten besonders viele Rechtsradikale, womit wir endlich zum Thema gefunden haben: Denn eben diese Typen -ja, wir nennen die geplagten Städte beim Namen: aus Magdeburg, Rostock, Halle und wie hieß noch mal dieses Kaff da hinten am Arsch der Welt? Richtig, Hoyerswerda —, denen man allenfalls Freigang geben sollte, um sie in besonders authentischen Wagnerinszenierungen in Nibelungenchören mitgrölen zu lassen, in schwere germanische Ketten gelegt, eben diese Furunkel in Menschengestalt sind ein Grund für unsere OssiAversion, wenn auch bei weitem nicht der einzige. Keiner will die Eiterbeulen ausquetschen, klar, das ist eklig. Also sinniert man vernünftig über die Bekämpfung des Ausschlags von Innen. Das dauert natürlich. Nach wie vor kann ich der Ansicht nichts abgewinnen, nationale Gefühle seien etwas Natürliches, das Leugnen dieser Tatsache habe die bösen Buben an den rechten Rand getrieben, und wenn erst Deutschland wieder normal in seiner eigenen Mitte ruhe und ein gesundes Nationalgefühl entwickelt habe, werde die Magdeburger Beulenpest schon veröden und das deutsche Antlitz nicht mehr verunzieren. Das aber möchte ich nicht erleben. Nationale Ge146
fühle sind immer hysterisch. Ich will keine solche Therapie. Vielleicht hält die Verunstaltung des Teints deshalb so hartnäckig an, weil pauschale Aversion als nazinah gilt. Dabei war der Antisemitismus der Nazis keine Pauschal-Aversion. Die Nazis haßten und verfolgten jeden einzelnen Juden, sie führten penibel Listen nicht nur über die Menschen, die sie vernichtet hatten und vernichten wollten, sondern auch über die Dinge, die man ihnen weggenommen hatte. Zu so etwas Menschlichem wie dem Pauschalieren waren die akkuraten Nazischweine gar nicht in der Lage. Der Pauschalverächter hingegen ist latent reumütig und jederzeit bereit, seine Aversion einzuschränken und Typen lieb und nett zu finden, auch wenn sie aus Magdeburg oder Rostock kommen. Doch aus Angst, Menschenverachtung vorgeworfen zu bekommen, hält man das johlende Gesocks vorsichtshalber für fehlgeleitete Jugendliche. Ich will aber nicht dauernd herumanalysieren und soziale Ursachenforschung betreiben. Das sollen die christlichen Streetworker tun, die werden dafür bezahlt. Es kann nicht schaden, auch mal laut und kräftig in den Osten hinüberzurufen: Solange ihr mit dem rechtsradikalem Geschmeiß nicht fertig werdet, bleibt ihr für uns Bürger zweiter Klasse, basta!
Dieses politische Ossi-Aversions-Argument ist von einer unerquicklichen Ernsthaftigkeit und könnte natürlich auch böse ins westliche Spielfeld zurückgeschmettert werden - wenn die Ossis besser Tennis spielen könnten. Aber diese hochfeudale Sportart hat sich natürlich im proletarischen Osten nicht entwikkeln können. Trotzdem rasch weiter zu anderen Gründen für unsere Abneigung gegen die Ossis, die wir übrigens besonders gerne pflegen, weil sie eine Spielart des 147
Selbthasses ist. Selbsthaß ist so etwas Ähnliches wie Narzißmus, nur sympathischer. Selbsthaß ist ein Zeichen einer entwickelten Kultur. Die Amis sind nur in sehr begrenztem Maß zum Selbsthaß fähig. Ganz anders die Russen, die literarisch nachweisbar seit etwa 150 Jahren ihren Selbsthaß pflegen und ihre Trägheit bejammern. Ein US-Hollywoodaffe hingegen findet es toll, wenn er dynamisch seinen Oscar schwenkt. »Wow!« sagt er strahlend und bedankt sich bei Mum und Dad, weil sie ihn zur Welt gebracht haben. So infantil ist nicht einmal ein Provinzmafioso aus Sibirien. Es ist nicht die feine Art, die Amis als grinsende Trimmschimpansen abzutun und Russen als plumpe Kartoffelkörper. Aversionen gegen das eigene Volk sind angemessener. Die Deutschen haben allen Grund zum Selbsthaß, üben diesen auch einigermaßen fleißig aus, nur sind die Ressourcen langsam erschöpft. Die Altnazis sind wirklich bald hinüber, die Neonazis sind wirklich nicht die ganz große Gefahr, die Vergangenheit ist wirklich ziemlich korrekt bewältigt — und spätestens seit der Walserrede vom Herbst 98 ist klar, daß sie nie ganz bewältigt sein darf, daß immer so ein Bewältigungsknapperzipfel übrigbleiben muß, an dem die Nachgeborenen sich abarbeiten können. Alles ziemlich vorbildlich. Die Gründe für den Selbsthaß werden rar. Die Bayern machen einen auf Hightech und hassen die Preußen nicht mehr, und die Preußen, die Waschlappen, hassen die Bayern nicht, obwohl ihre neue Devise »Mit Laptop und Lederhose« doch wirklich hassenswert ist. In diesen Zeiten der gähnenden deutschen Toleranz ging die Mauer auf, und es wurden uns die Ossis geschenkt. Endlich neue deutsche Unarten hautnah. Endlich wieder jede Menge schöne frische Gründe für Aversionen gegen unser eigenes Volk, das gleichzeitig auch ein anderes war. 148
Sie haben was, was wir nicht haben. Sie haben ihre gottverdammte DDR-Geschichte, und das ist vergangenheitsbewältigungsmäßig ein traumhaftes Kapital. Aber was tun sie? Nichts! Sie jammern, schwärmen und dösen nostalgisch herum, streichen echtes Westgeld ein, was ihnen gegönnt sei, und beklagen die rauhen Sitten und das falsche Gold des Westens eine kecke Reaktion auf unsere zwangssolidarische Spende. Sie sind vorlaut, und können sich im Ausland nicht benehmen, was den Vorteil hat, daß man sich als Deutscher im Ausland endlich einmal wieder seiner »Landsleute« genieren kann, wie man die Stammesgenossen in dem Fall nennt. Die Westdeutschen waren durch ihre manischen Urlaubsreisen ganz weltläufig und polyglott geworden und fielen schon gar nicht mehr peinlich auf. In den 80er Jahren waren Holländer, Briten, ja Franzosen und sogar Italiener gelegentlich schon deutscher, das heißt lauter und häßlicher als die Deutschen. Und natürlich die Belgier. Die Belgier hatten den Deutschen den Rang abgelaufen und galten als die abscheulichsten europäischen Touristen. Dann endlich Vorhang auf. In den frühen 90er Jahren fielen Angehörige der russischen Mafia auf, die sich in Restaurants am Adriastrand über die ungewohnten Nudelgerichte und die mangelnden Russischkenntnisse italienischer Ober beschwerten. Seitdem den furchterregenden Gestalten aus Moskau und Nischni Nowgorod das Geld ausgegangen ist und die Belgier sich so schämen, daß sie nicht mehr wirklich, sondern nur noch virtuell verreisen, hat dank der Zonis das schon verblaßte Bild vom ungeschlachten deutschen Krampfsack wieder Kontur angenommen. Alles Äußerlichkeiten. Geschenkt. Wir wollen kein sächsisches Ächzen hören, sondern in eure Seele blicken, Brüder und Schwestern, zeigt her eure Wunden. Es wird Zeit. Zehn Jahre währt nun schon euer 149
Wehklagen. Zehn Jahre nach 1945 gab es zwar auch in der westdeutschen Literatur noch keine großen Enthüllungsknüller, aber ihr müßt ja nun nicht ganz so lange warten wie wir hier in der Bundesrepublik, die wir die wirklich informative Nazi-MitmacherAutobiographie überhaupt nie geschrieben haben, weil offenbar Mitmachen und Sichselbstbeobachteh sich ausschließen. Aber ganz so schlimm wie die 12 Jahre Nazizeit waren eure 40 Jahre DDR ja nun nicht. Also ran! Aber was machen die Zonis mit ihrem unvergleichlichen Erfahrungskapital? Sie haben ein paar flotte Bücher geschrieben wie »Simple Stories« und »Helden wie wir« - aber wie peinlich das Leben in der DDR wirklich war, erfährt der Mensch aus dem Westen aus diesen Zeugnissen nicht. Trinkt man mit einem der Zonis, die sich unserer Pauschal-Aversion entziehen, ein paar Gläser zungelösenden Weins, erfährt man manchmal kurz vor dem Umkippen etwas Zuherzengehendes vom trüben Drangsal ihrer vergangenen Jahrzehnte - dann schweigen sie wieder auf diese unvergleichlich verdruckste Ossiart: trotzig grinsend, in sich hineinwissend. Eine unausstehliche Manier, eine Unart, die man auch bei Finnen, Schotten, Dänen, ja Basken und natürlich Belgiern beobachten kann. Die Ossis erst haben der Welt eine Bezeichnung für jenes schwer zu benennende Verhalten geschenkt, für jenes Hervorkehren einer wichtigtuerischen Undurchschaubarkeit verbunden mit andeutungsweisem Raunen und plötzlichem Verstummen - als wäre es nie und nimmer möglich, das, was das Innerste der Schotten- oder Basken- oder Finnen- oder Ex-DDR-Seele bewegt, einem Nichteingeweihten je erklären zu können. Seit Auflösung der DDR wissen wir: Selbst Südafrikaner, selbst Eingeborene aus Sumatra können ossiartig sein, das heißt auf eine Weise aus dem T-Shirt gucken 150
als wüßten sie was und könnten es nicht saee T Wahrheit aber nichts als schlecht getarnte Denk beitsunlust und die Unfähigkeit aus Demütiguneen Triumphe zu machen, indem man sie souverän beschreibt. Klar, daß diese Ossiunart im Westen auch verbreitet ist, vor allem natürlich bei jenen intellektuellen Figuren, die das Pech hatten oder so blöd waren ihren Fortschrittsglauben an einen Saftladen namens DDR zu koppeln. Während die maoistisch orientierten K-Gruppen in den 60er und 70er Jahren auf so weltfremd chinesische Art links waren, daß sie ihre weltrevolutionäre Hoffnungen rückblickend leicht als Spinnereien abtun können, schleichen die ehemaligen DKP-Linken, deren Aktivitäten zum Teil von der DDR finanziert wurden, mit ossihaft undurchschaubaren Hermann-Kant-Mienen umher und werden ihre interessanten Verstrickungen vermutlich noch weniger offenbaren als die Originalossis. Die Geschichte des westdeutschen Schriftstellerverbands und seiner DDR-Verbindungen wäre ein spannendes Buch, das vermutlich in fünfundzwanzig Jahren einmal von einem schottischen oder kanadischen oder kamerunischen oder chinesischen Germanisten verfaßt werden wird.
Mein Leben war so ossiarm. Keine Verwandten drüben gehabt, seinerzeit. Nicht einmal Studienjahre an der FU in Westberlin mit Mauernähe. Nur ab und zu diese Fahrten auf der Interzonenautobahn und dann das Sächsisch der Wichser an der Grenze ertragen müssen, das in Westohren zum repressiven SpaßDialekt schlechthin wurde. Mitgliedschaft im Verband deutscher Schriftsteller wie die Pest gemieden, dadurch keinerlei Berührungen mit schleimig sich ranwanzenden DDR-Literatenkollegen, kein Vermis151
sen von Weimar und Wartburg. Die DDR und ihre Bewohner waren mir völlig fremd und weitgehend einerlei. Der einzige vital irritierende Affekt war, daß man über Honecker ähnlich dachte wie die FAZ. Vor vielen vielen Jahren, als Erich Honecker noch lebte, als der Legende nach die Duftwolken der Trabbis den Himmel über Mecklenburg-Vorpommern verdüsterten, als die Leipziger Bahnhofshalle noch von unzerstörter Größe war, als man noch nicht so genau wußte, daß Millionen von Ostdeutschen die Möglichkeit hatten, ihre Selbstwertgefühle mit seltsamen Überwachungstätigkeiten zu heben, als im Westen das ZEIT-magazin noch in voller Blüte stand — 1987 muß es gewesen sein —, da fragte mich die Redaktion eben jenes Magazins, ob ich mir vorstellen könnte, einen deutsch-deutschen Briefwechsel über die immerwährende Schicksalsgrenze hinweg mit einer Person aus der DDR zu führen, auf daß wenigstens im hortus conclusus der ZEIT ein ost- und ein westdeutsches Gemüt sich näher kämen. Und eben weil ich nichts von unseren Nachbarn wußte, weil ich wirklich zu erfahren hoffte, was die da drüben so umtreibt, ließ ich mich auf die Sache ein, die sich ein dreiviertel Jahr quälend hinzog, mir eine gewisse Publicity, aber wenig Erkenntniszuwachs einbrachte. Die als gemäßigt regimekritisch geltende, aber von Regime doch geduldete Autorin Monika Maron war meine Briefpartnerin, von der ich anfangs wirklich wissen wollte, wie es sich so lebt in einem Saftladen namens DDR. Ich hatte rasch das Gefühl, daß sie meinen Fragen unentwegt auswich - und bis heute habe ich nicht herausbekommen, ob eben dieses pikierte Ausweichen, diese naseweise Verstocktheit typisch ossihaft ist oder ob es sich um eine regimeübergreifende Unart handelt. Es sind ja schließlich auch im niederträchtigen Westen, ich schätze mal, 95 Prozent der Leute, die sich einem verschließen. In 152
einem US-Provinznest dürften es 99 Prozent sein, mit denen mir Kommunikation nicht möglich wäre. Interessant war, das von wöchentlich etwa 200 Leserbriefschreibern etwa 80 Prozent meine Briefpartnerin vor meinen westlichen Witzen in Schutz nahmen. Der Mehrzahl der ZEIT-Abonnenten sprach Monika Maron also aus dem Herzen, woraus ich folgere, daß die Mehrzahl des deuschen Möchtegernbildungsbürgertums ossihaft ist, das heißt, verdruckst, leise empört, tuschelnd, verschlossen und beleidigt darüber, daß man die Tiefe des stillen Wassers nicht anerkennen will. Einmal schrieb ich, um meine Ping-Pong-Partnerin etwas zu reizen, daß ich mich durchaus mit dem westlichen System arrangiert habe und daß ich fände, selbst Systemkritiker müßten sich aus Gründen der Logik in irgendeiner Form und bis zu einem gewissen Grad mit dem System arrangieren, um überhaupt existieren zu können. Ich kann mich noch an den kitschig verlogenen Schwall erinnern, den die pragmatischen Worte bei meiner Partnerin auslösten und mit dem sie mich belehrte: Der Künstler habe subversiv und Anarchist zu sein und Widerstand zu leisten, Arrangement sei das Ende! Wieder wußte ich nicht, ob ich dieses erboste Protestantenpathos typisch ossihaft finden sollte oder nicht. Solchen Schwachsinn konnte man schließlich auch in bescheuerten Kunstkritiken in angesehenen westlichen Zeitungen lesen. Oder war die westdeutsche Kunstkritik damals vom Osten unterwandert? Alles rätselhaft. Jahre später, nach der Liquidation der DDR, stellte sich heraus, daß ein Leben in der DDR für einen Autor natürlich ohne ein gewisses Arrangement gar nicht möglich war. Was soll's. Der Briefwechsel ist vergessen. Der Fischer Verlag hat ihn im Herbst 1988 als Buch herausgebracht, miserabel verkauft und dann auf irgendwie auch ossihafte Art vom Markt 153
verschwinden lassen, was gut zu diesem Dokument paßt, das ich als Verleger zehn Jahre nach der Wende noch einmal als Taschenbuch angeboten hätte. Das heißt nur: die muffligen Schweiger, die elanlosen Abwarter, die zweideutigen Grinser, die Typen, die einen auf undurchschaubar machen, die ossihaften Nichtstuer eben gibt es überall, in Einwohnermelde > ämtern wie in alten westdeutschen Verlagen - und vor allem in der Mongolei. Ich wüßte gern, mit welchen Gefühlen Monika Maron an diesen Briefwechsel zurückdenkt. Nein. Ich wüßte es nicht gern. Ich würde es nicht verstehen. Ich selbst jedenfalls denke mit gemischten Gefühlen daran. Ich habe in meinen Briefen, soweit ich mich erinnere, meine Beißhemmung gegenüber den DDRlern thematisiert, die damals noch nicht zärtlich Ossis oder Zonis genannt wurden. Aber ich habe nicht nur selbstironisch über diese Beißhemmung geschrieben, ich hatte sie wirklich. Und eben das ärgert mich heute noch immer. Ich habe mich von der mauligmopsigen Zonentussi-Art meiner Briefpartnerin und den ihr zur Seite stehenden Z£7T-Leser-Hundertschaften davon abhalten lassen, das zu schreiben, was ich wirklich dachte. Einmal schrieb sie mir, sie habe auf einer endlich genehmigten Reise nach Zürich in München Station gemacht. In einem Lokal sei sie Zeugin geworden, wie sich der Kabarettist Gerhard Polt an einem Tisch mit anderen Gästen über die DDRler lustig machte. Abgestoßen von Polts Imitationskunst, teilte sie mir diese Beobachtung als Beweis für die Arroganz des Westens mit. Und nun beginnt meine Schuld, die ich seit Jahren mit mir herumtrage und abzuarbeiten versuche: Ich Arsch ging auf diese verdammte verdruckste Zonentussiart ein. Ich beschwichtigte Madame und verteidigte Polt. Mit einer Behutsamkeit, für die ich mich 154
nach mittlerweile 12 Jahren noch immer ohrfeigen könnte, erklärte ich lang und breit, daß Polt kein Rassist sei, daß er nichts gegen die armen eingesperr ten DDRler habe, im Gegenteil, daß das Imitieren von DDRlern doch kein Denunzieren sei, sondern ein erkenntnisförderndes Mittel der Satire, wie auch das Imitieren von Leuten, die die überaus menschlichen DDRler für Untermenschen oder Menschen zweiter Klasse hielten und so weiter. Anmaßend, verstockt, gekränkt - völlig ossihaft eben, war ich gemahnt worden für eine frevelhafte und vielsagende Verfehlung des Westens. Eine politische Unkorrektheit unter der Gürtellinie war von meiner wachsamen Partnerin aus dem Osten entdeckt worden, und ich war gezwungen, dazu Stellung zu nehmen. Und Schimpf und Schande über mich, daß ich der Frau aus dem Osten geduldig den Westen und seine Witze erklärte, als gälte es, eine mißtrauische Behörde zu besänftigen. Die verfluchte Beißhemmung war es, die mich abhielt zu schreiben: Aha, man war in einem schicken Lokal in München? Ich gratuliere der Elevin, daß sie Ausgang bekommen hat. Im übrigen finde ich, daß man sich über jedes Land und jedes Volk gar nicht genug lustig machen kann. Warum soll man die komischen Ostdeutschen ausnehmen. Was seid ihr denn für Mimosen da drüben! Ihr habt ja nun wirklich eine ganz besonders komische Art, den Mund zu halten und an einem vorbeizugucken. Sie können doch nicht abstreiten, daß man eine Gestalt aus der DDR schon auf eine Entfernung von 200 Metern an der säuerlichen Art erkennt, wie sie über die Straße geht.
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Die Autoren:
Björn Blaschke, 1977 in der tiefsten Zone geboren, mußte schon von Kindesbeinen an alles essen, was auf den Zonenteller kam. Papa Koch, Mama Küche, gehörten allein schon aus diesem Grund zur Nomenklatura. Durfte deshalb Erich Honecker in den volkseigenen Napf spucken, ohne in Bautzen zu landen. Flüchtete 1993 in den freien Westen und fand Unterschlupf beim WDR. Schreibt seitdem nur noch die lautere Wahrheit exklusiv für die -Wahrheit« der taz und den WDR. Molly Bluhm kam 1972 in Lausanne zur Welt. Bedingt durch ein
Elternhaus, das sie mit Bildung, Wohlstand und Liebe gleichermaßen großzügig ausstattete, wuchs sie in verschiedenen Städten Europas und Zentralamerikas auf. Später behielt sie das Zigeunern als Lebensform bei und lebte u.a. an der Nordküste
Schottlands, im mexikanischen Vera Oruz, in Havanna und in Lissabon; die Zone bereiste sie mehrfach. 1999 kam sie im Auftrag der BBC nach Berlin. Ihr erster Roman "Ein Bär in meinem Bett« erscheint demnächst in einem angesehenen Münchner Verlag. Wiglaf Droste, Schriftsteller und Kolumnist, u.a. für die taz und
die junge Welt, lebt legendenumgürtet in Berlin. Die Nürnberger Zeitung sieht in ihm -die Nilpferdpeitsche unter den Kolumnisten«, und die Leipziger Volkszeitung formuliert nicht weniger rasant: »Mit gnadenloser Beobachtungsgabe stößt er seinen Opfern die Widerhaken des Alphabets in die Seele.« Das soll ihm erstmal einer nachmachen! Von Wiglaf Droste erschienen zuletzt die Glossensammlungen »Zen-Buddhismus und Zellulitis« (München 1999), »Brot und Gürtelrosen« (erweiterte Neuund Luxusausgabe, Berlin 1999) und die CD »Mariscos Y Maricones« (Hannover/Zürich 19991. Gerhard Henschel, geboren 1962, lebt als rasanter und rasender Schriftstellerin Hamburg. Buchveröffentlichung u.a.: »Der alte Friedensrichter und seine Urteile. Eine kriminelle Suite«, Zürich 1998. Willy Hoehkeppel ist Philosoph und freier Autor, schreibt u.a. für die Süddeutsche Zeitung und lebt in München. Martin Kahl, geboren 1958, ist Politikwissenschaftler und lebt in Münster. Letzte Buchveröffentlichung seines alter ego Martina Kahl (zusammen mit Peter Schneider): »Böse Mädchen kommen überall. Eine schonungslose Bestandsaufnahme weiblicher Verhältnisse zwischen Realität und Wirklichkeit«, Berlin 1998.
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Michael O.R. Kröher, geboren 1956. sehrieb für Enzen HP Transatlantik den grandiosen Evergreen »Nichts geE S ,Fgers drüben«, eine hellsichtige Analyse der Zonis vor der W * ^ 6 War bis vor kurzem Ressortleiter bei der Woche und w u jetzt zum Hamburger Manager Magazin als Redakteur f Forschung und Technologie. Lebt in Hamburg. ChnstofMeueler lebt als neuer bundesrepublikanischer Pooth retiker in Berlin-Ost, kommt aber aus Hessen und arbeitet l Redakteur bei der auch nicht mehr so jungen Welt. Clemens Nachtmann. gehören 1965. lebt in Berlin-West, ist freier Autor und Redakteur der Zeitschrift Bahamas. Jürgen Roth, geboren 1968, lebt als bienenfleißiger freier Autor und Herausgeber unzahliger Anthologien im freien Frankfurt/ Main. Hier nur ein einziges seiner zahlreichen Bücher deren Bibliographie bereits ein weiteres ergäbe: »Kultur? Betrieb! Essays und Polemiken zu Literatur und Geistesleben«, Münster 1999. Michael Rudolf, geboren 1961, lebt als freier Autor in Greiz, dort aber auf verlorenem Posten. Letzte Buchveröffentlichung: »1615 Biere. Der endgültige Atlas für die ganze Bierwelt«, Berlin 1999. Fritz Tietz dreht klasse Kurzfilme u.a. für Monitor und extra drei, lebt in der Nähe Hamburgs und schreibt extra für Tiamat. Buchveröffentlichung: -Und drinnen spielt ein Mongoloidenkapellchen«, Greiz 1995. Mathias Wedel, geboren 1953, ist ziemlich freier Autor und lebt im düstersten Berliner Umland. Weiß also aus erster Hand, worüber er schreibt. Buchveröffentlichungen: »Einheitsfrust«, Berlin 1993. »Wie ich meine Kinder mißbrauchte. Das Ende der Erziehung«, Berlin 1997. Joseph von Westphalen. geboren 1945, freier Autor, Schriftsteller und Erfinder von Duckwitz, lebt in München. Demnächst erscheint: »Warum mir das Jahr 2000 am Arsch vorbeigeht oder: Das Zeitalter der Eidechse-, Frankfurt 1999. Außerdem die CD: »Wie man mit Jazz die Herzen der Frauen gewinnt«, mit einem in der Zone hergestellten sehr aufwendigen Pappfalz-Booklet. »Wenigstens als Pappfalzhersteller sind die Ossis noch zu was gebrauchen«, meinte Joseph von Westphalen, der in jedem Menschen auch das Gute sucht. Hans Zippert. geboren 1957, lebt als freier Autor in Oberursel und schreibt u.a. für die Titanic. Letzte Buchveröffentlichung: »Countdown Kohl«, Berlin 1997.
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Zehn Jahre nach dem unglückseligen Fall der Mauer sind die fünf überflüssigen Bundesländer zum Tummelplatz für Rechtsextremisten geworden, die für eine trübe und aggressive Stimmung sorgen. Und der Zoni? Ein unangenehmer Zeitgenosse, eine ästhetische Zumutung und ein verdruckster Typ, der immer frecher sein häßliches Haupt erhebt. Dabei jengelt und quengelt er, was das Zeug hält. Aber statt abzuhauen und woanders sein Glück zu suchen, klebt er einem an den Hacken, weshalb der freie und geduldige Westen sich wohl oder übel damit wird abfinden müssen, daß er hereingelegt worden ist und daß man die da drüben nicht mehr los wird, nicht mal mehr umsonst an die Russen, denn die lassen sich inzwischen auch nicht mehr alles andrehen. In diesem Buch ziehen schonungslos Bilanz: Björn Blaschke, Molly Bluhm, Wiglaf Droste, Gerhard Henschel, Willy Hochkeppel, Martin Kahl, Michael O.R. Kröher, Christof Meueler, Clemens Nachtmann, Jürgen Roth, Michael Rudolf, Fritz Tietz, Mathias Wedel, Joseph von Westphalen, Hans Zippert.