Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 573 Das Sternenuniversum
Insiders Planet von H. G. Francis Das Logbuch der SOL - 4. ...
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Atlan - Die Abenteuer der SOL Nr. 573 Das Sternenuniversum
Insiders Planet von H. G. Francis Das Logbuch der SOL - 4. Bericht Mehr als 200 Jahre lang war die SOL, das Fernraumschiff von Terra auf seiner ziellosen Reise durch die Tiefen des Alls isoliert gewesen, bis Atlan in Kontakt mit dem Schiff kommt. Die Kosmokraten haben den Arkoniden entlassen, damit er sich um die SOL kümmert und sie einer neuen Bestimmung zuführt. Jetzt schreibt man an Bord des Schiffes den Oktober des Jahres 3792, und der Arkonide hat trotz seines relativ kurzen Wirkens auf der SOL entscheidende Impulse zu positiven Veränderungen im Leben der Solaner gegeben – ganz davon abgesehen, daß er gleich nach seinem Erscheinen die SOL vor der Vernichtung rettete. Inzwischen hat das Generationenschiff Tausende von Lichtjahren zurückgelegt, und unter Breckcrown Hayes, dem neuen High Sideryt, hat längst eine Normalisierung des Lebens an Bord stattgefunden. Allerdings sorgen unerwartete Ereignisse immer wieder für Unruhe und Gefahren. So ist es auch im sogenannten »Sternenuniversum«, in das die SOL durch einen Hyperenergiestoß versetzt wurde. Während die Solaner alles daransetzen, um diesen Kosmos, der kaum Leben enthält, zu verlassen, haben auch Oggar, das Multibewußtsein, und Insider, der Extra, gewisse Probleme. Der Extra studiert das Logbuch der SOL und erfährt die Geschichte von INSIDERS PLANET …
Die Hauptpersonen des Romans: Insider - Der Extra erfährt die Geschichte seiner Herkunft. Gavro Yaal - Der Mann, der im Jahr 3588 auf der SOL das Sagen hat. Histar Veysbal und Etonia Gess - Zwei junge Solaner. Zetter Olloss - Ein fanatischer Yaal-Anhänger. Auli-Phans - Ein Kowallek.
1. Insider betrat die Zentrale des HORTS, der etwa 80 000 Lichtjahre von dem Sternenhaufen Auxonia entfernt im freien Weltraum schwebte. Am Eingangsschott blieb er stehen und blickte zu Oggar hinüber, der in einem bequemen Sessel saß und meditierte. Sie warteten auf einen Impuls des Kontakters, der ihnen verraten sollte, wo sich das Versteck von HIDDEN-X, das Flekto-Yn, befand. Oggar ging – wie Insider meinte – zu Recht davon aus, daß Hapeldan, der Schalter, auf dem Weg dorthin war. Er rechnete aber auch damit, daß eine lange Zeit vergehen konnte, bis dieser Impuls eintraf. Daher hatte er sich in einen meditationsähnlichen Ruhezustand begeben, in dem er das Multibewußtsein körperlos auf die Suche schicken wollte – also sich selbst. Der Körper wurde von dem Mnemodukt II versorgt, das immerhin noch mit ihm zu Insider sprechen konnte. Dieser hatte den Auftrag, Wache zu halten. Er war Oggars treuer und absolut zuverlässiger Helfer. Daran änderte auch die Tatsache nichts, daß er Sehnsucht nach der SOL hatte. Insider setzte sich in einen Sessel. Seine Blicke richteten sich auf das Logbuch der SOL, das Oggar ihm gegeben hatte. Er hatte ein Problem, über das er kaum je sprach: Er wußte nichts über seine Herkunft, und er hoffte, gerade in dieser Hinsicht einige klärende Hinweise im Logbuch der SOL zu finden. Er wußte nur,
daß er auf der SOL geboren war, aber er hatte nie etwas über seine Eltern erfahren, und er konnte nur Vermutungen über sein Alter anstellen. Er erinnerte sich daran, daß er das Leben eines Monsters an Bord der SOL geführt hatte, bis Brooklyn – Solania von Terra – ihn entdeckt und aufgenommen hatte. War er ein Abkömmling der Solaner? Oder war er der Nachfahre von Fremdlebewesen, die irgendwann im Verlauf der Geschichte der SOL an Bord gekommen waren? Insider wollte es endlich wissen. Er war bereit, seine Aufgabe zu vernachlässigen, um sich ganz auf das Logbuch der SOL konzentrieren zu können. Er glaubte, sich das leisten zu können, da es ja noch das Mnemodukt II gab, das ebenfalls wachte. Er schlug das Logbuch auf. Lesbar waren für ihn vorerst nur die Titel, mit denen die hauchdünnen Schreibfolien versehen waren. Doch das genügte ihm zu einer ersten Orientierung. Er wollte zunächst nur wissen, um welchen Themenkreis es bei den verschiedenen Folien ging. Dann aber schaltete er das Mnemodukt I ein, und dieses half ihm, die Speicherfolien lesbar zu machen. Die ersten Seiten enthielten überaus euphorische Berichte von Gavro Yaal, der sich in seinen Ideen vom Leben an Bord der SOL und in völliger Unabhängigkeit von Planeten, bestätigt fühlte. Doch diese Berichte waren für Insider nicht interessant. Er überflog sie nur. Doch schon bald stieß er auf eine hauchdünne Speicherfolie, die den Titel Die ersten Fremden an Bord, Jahr 2 der neuen Zeitrechnung trug. Das war es, was er gesucht hatte. Die ersten Fremden! Ja, seine Vorfahren waren Fremde an Bord gewesen. Sie waren von einem Planeten gekommen, den die SOL irgendwann angeflogen hatte. Seltsam, überlegte er. Die Solaner unter Gavro Yaal wollten nur noch an Bord der SOL leben. Sie wollten ihren Fuß nicht auf fremde
Welten setzen. Und doch hatten sie es offensichtlich getan. Warum? Was war geschehen? Es war doch erst so wenig Zeit seit der Trennung von Perry Rhodan vergangen. Die ersten Berichte von Gavro Yaal waren so voller Freude und Begeisterung. War es zu einer Begegnung mit Fremden im Weltraum gekommen? Insider lehnte sich in seinem Sessel zurück. Natürlich, dachte er. Nur so konnte es gewesen sein, denn wie sonst wären Fremde an Bord gekommen? Weitere Fragen drängten sich auf. Waren die Fremden als Gäste in der SOL geblieben? Höchst unwahrscheinlich, wies er diesen Gedanken zurück. Was hätte Gäste veranlassen können, für den Rest ihres Lebens an Bord zu verweilen? Gar so faszinierend kann die Welt der SOL auch wiederum nicht gewesen sein. Was aber war dann das Motiv gewesen? War die SOL Gestrandeten begegnet, die gar keine andere Wahl mehr gehabt hatten, als in dem Hantelraumer zu bleiben? Das war schon wahrscheinlicher, fand Insider. Er wandte sich wieder dem Bericht zu, der über weite Teile hinweg von einem jungen Pärchen verfaßt worden war. Das Mädchen hieß Etonia Gess und war, ebenso wie der Junge, 16 Jahre alt. Histars wirklicher Name ist Perry, schrieb das Mädchen einleitend. Doch das darf angesichts der Situation in der SOL niemand wissen. Wir erinnern uns beide noch gut an Perry Rhodan und seine Freunde, doch wir sprechen nur darüber, wenn wir allein sind und sicher sein können, daß niemand uns hört. Insider überflog einige Absätze, die keine für ihn interessante Informationen enthielt. Dann kam er zu einem Bericht, in dem Etonia auf das Leben an Bord der SOL einging.
*
Bericht: Etonia Gess Histar befand sich in einer glänzenden Form. Er peitschte den kleinen roten Ball so hart und geschickt über den Platz, daß ich nur die Möglichkeit hatte, ihn ohne Druck zurückzubeordern, nicht aber eigene Spielzüge entwickeln konnte. »Swiff«, lachte Histar nach dem Punkt, den er erzielt hatte. Das Spiel begeisterte uns. Es wurde auf zwei dreieckigen Feldern ausgetragen, die sich mit einer ihrer Spitzen berührten. Die beiden Spieler mußten von der breiten Grundlinie aus den Ball durch eine quadratische Öffnung in einem Netz treiben, das die beiden Spielhälften teilte. Das erforderte höchste Konzentration und außerordentliches Geschick, zumal die Bälle mit siganesischen Mikro-Antigrav-Geräten versehen waren, mit deren Hilfe die Eigenbeschleunigung der roten Geschosse ständig geändert wurde. Histar Veysbal war ein Meister dieses Spiels, und die anderen Jungen rissen sich darum, gegen ihn antreten zu dürfen. Auch Zetter Olloss, der sich »Gavro« nennen ließ. Er tauchte unversehens hinter mir auf, als ich eine Serie von ganz ansehnlichen Bällen geschlagen hatte. »Das langt«, sagte er und schob mich kurzerhand zur Seite. »Du hast eine knallrote Birne, Etonia. Und du schwitzt.« Histar kam zu uns. »Was ist los, Zetter?« fragte er. »Warum störst du uns?« »Weil ich mit dir spielen will.« »Ich habe nichts dagegen. Wir können uns für morgen eintragen.« »Nicht morgen. Jetzt.« Histar schüttelte den Kopf. »Du siehst doch, daß ich mit Etonia spiele.« Er grinste erneut. »Ich habe später ein Treffen mit Gavro Yaal. Willst du, daß ich ihm von einem ständig meckernden und Opponenten jungen Mann berichte, der nur Schwierigkeiten macht?«
Histar blieb angesichts dieser Frechheit erstaunlich ruhig, während ich kaum an mich halten konnte. »Wir müssen ohnehin aufhören zu spielen«, behauptete Histar ausweichend. »Der Boden ist zu schlecht. Das Gras wächst nicht dicht genug.« Er deutete auf das Spielfeld, das sich allerdings in einem erbärmlichen Zustand befand. Swiff wurde nicht, wie die meisten Spiele an Bord der Sol, auf einem Kunststoffboden ausgetragen, sondern auf Rasen. Ich erschrak, denn ich wußte, daß Histar den Gavro-YaalFanatiker mit dieser Bemerkung provozierte. »Was willst du damit sagen?« fragte Zetter. Histar ließ sich in die Hocke sinken. Er strich mit der Hand über das Gras. »Das sieht doch ein Blinder. Die Erde muß mal wieder gedüngt und durchfeuchtet werden.« Zetter runzelte die Stirn. »Sagtest du wirklich, Erde?« »Genau.« »Du bist wohl nicht ganz richtig im Kopf? Den Begriff Erde gibt es nicht mehr, jedenfalls nicht für etwas, was sich an Bord der SOL befindet.« »Mach dich nicht lächerlich«, erwiderte Histar belustigt. »Erde bleibt Erde. Das hat doch mit dem Planeten gleichen Namens nichts zu tun. Außerdem ist es ja wohl kein Verbrechen, die Erde zu erwähnen.« Zetter schlug so schnell zu, daß Histar keine Abwehrmöglichkeit hatte. Aus der Nase blutend, stürzte mein Freund zu Boden, und Zetter versetzte ihm noch einen Tritt in die Seite. Er hätte Histar sicherlich noch mehr geschlagen, wenn ich ihm nicht in den Arm gefallen wäre. »Was willst du denn?« lachte er und küßte mich, bevor ich es verhindern konnte. Ich stieß ihn von mir und fuhr zurück.
Er wollte mich erneut an sich ziehen, doch jetzt schnellte sich Histar hoch und griff ihn an. Er überrumpelte den Yaal-Anhänger völlig, denn dieser ahnte nicht, daß mein Freund an DagorLehrgängen teilgenommen hatte. Mit blitzschnell geführten Handkanten-, Ellenbogen- und Knieschlägen schmetterte er ihn zu Boden. Bevor Zetter überhaupt begriff, wie ihm geschah, war er bereits bewußtlos. Ich zog Histar von ihm zurück. »Das genügt«, sagte ich. »Er hat dich geküßt«, empörte er sich. Ich lachte. »Das ist vergessen. Komm. Laß uns verschwinden, bevor er zu sich kommt und Terror macht.« Widerwillig folgte mir Histar. Zetter und er hatten schon lange Streit miteinander, und bisher war mein Freund stets der Unterlegene gewesen. Zetter war der radikalste Anhänger Gavro Yaals, den wir kannten. Er bildete sich auf seinen Namen Olloss etwas ein, weil er glaubte, der einzige Solaner zu sein, dessen Familienname ausschließlich aus den Buchstaben des Wortes SOL gebildet wurde. Zetter war total fanatisch. Er war fest davon überzeugt, daß Gavro Yaal ihn »befreit«, und zu einem wirklich würdigen Leben verholten hatte. Er glaubte, daß sich uns nun eine bessere Zukunft eröffnete, weil wir niemals mehr auf einem Planeten landen würden. Wir waren Wesen des Weltraums. Und das sollte auf Ewigkeit so bleiben. Histar und ich waren da ganz anderer Meinung. Wir glaubten, daß Gavro Yaal sich irrte und uns in eine Sackgasse führte. Aber es war besser, das nicht offen zu erklären. Zetter Olloss und seine Freunde hätten uns totgeschlagen, wenn sie gewußt hätten, wie wir dachten. Allein diese Tatsache bewies, daß etwas nicht stimmte mit den Solanern. Wir ließen unsere Sportgeräte auf dem Spielfeld liegen und eilten
davon. »Das läßt er nie und nimmer auf sich sitzen«, sagte ich, als wir uns vor den Duschräumen trennten. »Paß auf.« Histar lächelte in der freundlichen und offenen Art, die ich so an ihm liebte. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich halte die Augen offen. Außerdem hast du ja gesehen, daß ich meine Lektionen gelernt habe.« Jetzt lachte ich ebenfalls. »Du hast ihn vollkommen überrascht«, entgegnete ich. »Er hat nicht damit gerechnet, daß du dich wehren würdest.« »Er wird es nicht mehr wagen, mich anzugreifen«, sagte Histar zufrieden. »Ich habe ihm Respekt beigebracht.« Ich war nicht seiner Ansicht, aber ich schwieg. Zetter würde sich nicht ändern, nur weil er einmal Prügel bezogen hatte. Er würde sich rächen. Wir trennten uns, um zu duschen. Als ich unbekleidet unter dem Wasserstrahl stand, flog die Tür plötzlich auf. Vor mir standen Zetter »Gavro« Olloss und seine beiden Freunde Pet Volka und Alk Bear. Grinsend blickten sie mich an. Ich schrie auf und versuchte, meine Blößen zu bedecken. Sie packten mich und zerrten mich aus der Kabine. Wie von Sinnen schlug ich um mich und versuchte, ihnen zu entkommen. Sie hatten Mühe, mich zu halten, weil meine Haut von der Seife glatt war. Dennoch waren sie mir überlegen. Ich konnte nicht verhindern, daß sie mich über den Boden schleiften und in den Aufenthaltsraum vor den Duschkabinen schleppten. Hier wartete eine Horde von etwa zwanzig Jungen auf uns. Sie grölten und lachten, als sie mich sahen. Histar kam, nur mit einer Unterhose bekleidet, aus seiner Duschkabine. Wie ein Wahnsinniger stürzte er sich auf Zetter und die anderen, die mich hielten. Er schlug auf sie ein und versuchte, mich zu befreien. Seine Schläge kamen so schnell und so präzise, daß er sich zunächst gegen die vielfache Übermacht durchsetzte.
Doch dann schlug ihm jemand einen Swiff-Schläger über den Kopf, und Histar stürzte benommen auf die Knie. Alk Bear hielt mich fest, so daß ich nicht fliehen konnte, während die anderen auf Histar einprügelten. Ich schrie in der Hoffnung, irgendein Erwachsener würde auf uns aufmerksam werden und uns zu Hilfe kommen. Tatsächlich öffnete sich die Tür, doch nur ein weiterer Freund von Zetter kam herein. Es war Boston Yakt, ein unangenehmer Bursche. Er blickte mich in einer Art an, die mir das Blut ins Gesicht trieb. »Hört auf!« brüllte er, mühsam das Geschrei der anderen übertönend. »Ihr habt keine Ahnung, was passiert ist. Mehrere Gläserne sind geboren worden. Echte Buhrlos!« Zetter und seine Freunde ließen mich endlich los, und während ich in die Duschkabine flüchtete, hörte ich, wie Boston Yakt seine Worte wiederholte: »Mehrere Gläserne sind geboren worden. Echte Buhrlos, Leute. Wißt ihr eigentlich, was das bedeutet? Es sind keine Kinder, die nur teilweise eine Glashaut haben. Es sind echte Buhrlos. Weltraummenschen! Freunde, wir alle sind auf dem Weg, Weltraummenschen zu werden.« Zetter »Gavro« Olloss und seine Freunde jubelten. Lachend fielen sie sich in die Arme, als hätten sie selbst eines ihrer größten Ziele erreicht. Ich zitterte am ganzen Körper, als ich in aller Hast die Seife abspülte, mich abtrocknete und in meine Kleider schlüpfte. Ich hatte Angst davor daß Zetter erneut kommen und mich nach draußen zerren würde. Doch der Gavro-Yaal-Fanatiker hatte das Interesse glücklicherweise an mir verloren. Gröhlend zog er mit seinen Freunden ab, um nach den Neugeborenen zu sehen, die in meinen Augen nichts weiter als eine Fehlentwicklung waren. Ich kehrte in den Aufenthaltsraum zurück, um mich um Histar zu kümmern, der zerschunden auf dem Boden lag. »Ist alles in Ordnung?« fragte er mühsam.
»Mir ist nichts passiert«, versicherte ich ihm. »Dieser Lump. Ich bringe ihn um.« Ich tupfte ihm das Blut von den Lippen und half ihm auf, um ihn zu einem Medo-Center zu bringen. Er schimpfte pausenlos auf Zetter Olloss und seine Freunde. Erst als der Roboter ihn verarztet hatte, beruhigte er sich. »Ich glaube einfach nicht daran, daß wir Menschen dazu bestimmt sind, unser Leben in einem Raumschiff zu verbringen«, sagte er. »Diese Idee hat sicherlich ihre Vorteile, aber für mich ist sie dennoch nicht überzeugend. Wir müssen wenigstens hin und wieder einmal unseren Fuß auf einen Planeten setzen. Das muß durchaus nicht immer die Erde sein.« Er blickte mich an, und seine Augen leuchteten auf. Histar hatte ausdrucksvolle, blaue Augen, in denen kein Falsch war. Sein Gesicht war schmal und ein wenig hohlwangig. »Weißt du, ich bin neugierig. Ich möchte wissen, wie es ist, auf einem Planeten zu sein und den dort existierenden Lebewesen zu begegnen. Ich meine nicht nur Intelligenzen, sondern auch Tiere. Vögel. Insekten. Fische. All das möchte ich sehen. Nicht nur im Video, sondern in freier Natur. Bin ich deshalb ein Träumer, oder ist das verrückt?« »Das ist es überhaupt nicht«, erwiderte ich sanft. »Das alles möchte ich ja auch. Ich fühle mich an Bord ebenso eingeengt wie du. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß niemals Besatzungsmitglieder die SOL verlassen. Irgendwann brauchen wir doch Rohstoffe, frisches Wasser, Sauerstoff, und was weiß ich noch.« »Gavro Yaal und Konsorten behaupten, daß wir alles an Bord haben, daß wir Rohstoffe durch Recycling gewinnen, so daß es überhaupt keine Probleme gibt. Wenn wahr ist, was er sagt, dann ist die SOL wirklich autark.« »Autark heißt, daß wir alles, was wir für uns und für das Schiff benötigen, ohne Hilfe von außen herstellen können?« »Richtig.«
»Aber da muß was dran sein, Histar. Immerhin haben wir SENECA, und an ihm kommt auch ein Gavro Yaal nicht vorbei.« »Das ist richtig. Ohne Unterstützung durch SENECA kann Gavro Yaal überhaupt nichts ausrichten. Er kann nicht gegen SENECA arbeiten. Das ist unmöglich. Also stimmt vielleicht doch, daß die SOL autark ist.« Er runzelte die Stirn, dachte kurz nach und schüttelte unzufrieden den Kopf. »Nein«, korrigierte er sich dann. »Gavor Yaal kann behaupten, was er will. Wenn SENECA dazu nicht Stellung nimmt, so heißt das noch lange nicht, daß er seine Aussage bestätigt.« »Kommt, laß uns gehen, bevor Zetter zurückkommt. Ich möchte das nicht noch einmal erleben, was er mit mir gemacht hat.« Histar preßte die Lippen zusammen, und mir wurde bewußt, daß ich einen Fehler gemacht hatte. Es wäre nicht nötig gewesen, ihn an das zu erinnern, was vorgefallen war. Zetter Olloss war 26 Jahre alt und führte eine Horde von Jugendlichen an, die alle durchschnittlich vier Jahre älter waren als wir und die sich durch Rücksichtslosigkeit und Brutalität auszeichneten. Keiner der Erwachsenen unternahm etwas gegen sie. Die meisten ließen sich von ihnen sogar terrorisieren, ohne Anzeige zu erstatten. Für mich war das um so verwunderlicher, als ansonsten an Bord der SOL Ordnung herrschte. Histar und ich hatten niemals vorher Schwierigkeiten mit Zetter Olloss oder sonst jemanden gehabt. Erst als ich ihm einen Korb gegeben hatte, war Zetter aggressiv gegen uns geworden, und ich fürchtete, daß alles noch schlimmer werden würde, wenn wir uns nicht ruhig verhielten. »Wir werden ihm aus dem Weg gehen«, sagte er. »Wenn er uns nicht sieht, vergißt er uns.« Wir traten auf einen Gang hinaus, auf dem ein paar Kinder mit Robot-Kugeln spielten. »Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Ich glaube nicht daran.
Zetter ist keiner, der so schnell vergißt.« »Hast du das von den Gläsernen gehört?« versuchte ich abzulenken. »Jemand ist gekommen und hat gemeldet, daß mehrere Kinder geboren sind, die eine vollkommene Glashaut haben. Das würde bedeuten, daß sie tatsächlich im Weltraum leben können.« »Und wenn schon! Für mich ist das noch lange kein Beweis dafür, daß sich die Menschen der SOL zu Weltraumwesen entwickeln.« In einem Antigravschacht sanken wir nach unten, und wenig später betraten wir den Wohntrakt Histars. Seine Eltern saßen an einem kleinen Tisch vor der Tür und tranken Kaffee. Sie plauderten mit Nachbarn, die bei einem Spaziergang vorbeigekommen waren. Als sie uns sahen, erhoben sie sich und verabschiedeten sich von ihnen. »Was ist passiert?« fragte Art Veysbal. »Wieso bist du verletzt?« »Nichts weiter«, versuchte Histar abzuwiegeln, doch sein Vater ließ sich nicht so ohne weiteres abwimmeln. Auch An, seine Mutter, wollte wissen, was geschehen war. Sie schob uns in die Wohnung, weil bereits allzu neugierige Nachbarn herankamen. »Zetter Olloss ist frech geworden«, berichtete Histar. »Und da hast du ihn geschlagen?« »Ich hatte keine andere Wahl.« »Hast du den Verstand verloren?« fragte sein Vater erschrocken. »Weißt du nicht, wer er ist?« »Jemand, der nicht mehr und nicht weniger Rechte an Bord hat, als wir.« An bot mir Platz an, und ich setzte mich. Die Veysbals wohnten in einem Trakt, der sich eigentlich nicht von dem anderer Menschen an Bord unterschied. Er war nüchtern und langweilig eingerichtet, aber das war mir damals noch nicht bewußt. Art setzte Histar und mir ein SOL-Bier vor, ein schwach alkoholisches Getränk, das wir bereits trinken durften, obwohl wir erst 16 Jahre alt waren.
»Zetter Olloss ist gefährlich«, warnte Art seinen Sohn. »Man sagt ihm allerlei nach.« »Zetter ist ein Gavro-Yaal-Anhänger«, entgegenete Histar. »Und gegen so einen Mann hast du etwas? Ich dachte, Gavro-YaalAnhänger seien unantastbar.« »Ich habe nicht vor, mit dir darüber zu diskutieren.« Die Stimme Arts wurde deutlich schärfer. »Die Erkenntnisse Gavro Yaals sind überragend und über jeden Zweifel erhaben. Es wäre müßig, darüber noch zu sprechen.« »Wenn sich nicht grundlegend etwas ändert, werden die Solaner nie die wahre Lebensform finden, sondern alles wird ganz anders kommen. Wenn die Zustände sich nicht wandeln, wird eine Diktatur in der SOL entstehen, in der man die Vorteile des Schiffes, seine Technik und schließlich auch die Bedeutung seiner Menschen vergessen und herabwürdigen wird. Ich sehe das Chaos heraufziehen.« Art Veysbal seufzte resignierend. Er war ganz und gar nicht mit den Vorhersagen einverstanden, die Histar gemacht hatte. Er glaubte an eine großartige Zukunft der SOL und ihrer Menschen. »Wohin fliegt die SOL denn jetzt?« rief Histar. »Das weiß ich nicht«, antwortete sein Vater. »Das ist auch nicht wichtig. Das geht nur Gavro Yaal und die Schiffsführung etwas an.« »Wir haben kein Ziel. Wir wollen im Weltraum existieren. Wozu fliegen wir dann überhaupt irgendwohin? Warum bleiben wir nicht im Leerraum? Warum bewegen wir die SOL, wo sie doch ebensogut auf der Stelle bleiben könnte, bis wir Menschen uns soweit entwickelt haben, daß wir das Schiff verlassen und Spaziergänge im Weltraum machen können?« »Zetter scheint dir zu hart auf den Kopf geschlagen zu haben«, erwiderte Art wütend. »Ich will von diesem Unsinn nichts mehr hören.« »Vorhin ist in den Nachrichten durchgekommen, daß die SOL ein Sonnensystem erreicht hat und in eine Umlaufbahn um einen der
Planeten gehen wird«, warf An ein. Histar und ich blickten sie überrascht an. »Und wozu das?« fragte ich. »Das mußt du mir erklären«, rief Histar seinem Vater zu. »Was will die SOL hier? Wir sind autark. Oder sollte jemand an Bord sein, der aussteigen will?« Art Veysbal wurde blaß. Er fühlte sich durch unsere Fragen in die Enge getrieben. »Mit dir kann man ja nicht reden«, schrie er. »Immer hast du zu meckern. Gavro Yaal weiß, was er tut, und wir sollten nicht an ihm und an seinen Entscheidungen herummäkeln, sondern wir sollten ihm folgen. Nur so werden wir alle in eine bessere Zukunft gehen.« »Tut mir leid. Ich kann das nicht mehr hören«, erwiderte Histar, nahm meinen Arm und ging mit mir hinaus.
2. Bericht: Histar Veysbal Der Raum war nur matt erhellt, so daß Etonia und ich die Gesichter der Menschen darin kaum erkennen konnten. Wir vermuteten, daß sich etwa dreißig Männer und Frauen versammelt hatten. Die Klimaanlage funktionierte nicht richtig, so daß es stickig und heiß war. Zudem hatte irgend jemand eine Räucherkerze angezündet. »Erstaunlich, daß sich niemand über den Geruch beschwert«, murmelte Etonia. »Die Leute sind doch sonst so empfindlich.« Eine massige Gestalt trat auf uns zu. »Was treibt ihr hier?« fragte sie mit gedämpfter Stimme. »Man kann die SOL nicht von der Erde trennen«, antwortete ich. Mit dieser Parole gab ich dem anderen zu verstehen, daß ich zum Kreis der Gleichgesinnten gehörte. »Setzt euch dort bei der Tür auf die Kissen«, forderte er uns auf. »Andere Plätze sind nicht mehr frei. Ihr hättet eben früher kommen müssen.«
Wir setzten uns. »Wir hätten uns niemals von Rhodan und der BASIS trennen dürfen«, rief jemand, der sich irgendwo auf der anderen Seite des Raumes aufhielt. Er hatte eine dunkle, sonor klingende Stimme. »Gavro Yaal hat es fraglos gut mit uns gemeint. Er hat in der Überzeugung gehandelt, den richtigen Weg gefunden zu haben. Aber er hat sich geirrt. Errare humanuni est! Das hat schon ein alter Volksstamm aus der Geschichte der Menschheit gesagt. Man kann sich irren. Das ist nichts weiter als menschlich. Doch man muß auch umkehren können, wenn man erkannt hat, daß man den falschen Weg eingeschlagen hat.« »Sehr richtig«, kommentierte eine Frauenstimme. »Ich glaube einfach nicht, daß uns die Evolution in den Weltraum führen wird.« »Warum bist du dann in der SOL geblieben? Warum bist du nicht zur BASIS gegangen, als du noch die Möglichkeit dazu gehabt hast?« fragte ein Mann mit heiserer Stimme. »Ich war verblendet von den Ideen Gavro Yaals«, gab die Frau zu. »Ich bin auf ihn und seine Theorien hereingefallen. So wie die meisten von uns: So wie du auch. Jetzt würde ich liebend gern zur BASIS gehen. Aber das ist unmöglich. Also können wir nur auf eine Umkehr innerhalb der SOL hinarbeiten.« Ihre Worte lösten eine hitzige Diskussion aus. »Ich wußte es doch«, flüsterte ich Etonia zu. »Wir sind nicht die einzigen an Bord, die anders denken als Gavro Yaal.« »Nein. Ganz bestimmt nicht«, fuhr ich fort, von einem eigenartigen Gefühl der Begeisterung getragen. Ich glaubte, Zeuge eines großen, historischen Umschwungs zu sein, und ich wollte um jeden Preis dabei bleiben. Etonia und ich sagten nichts zu dem, was die Erwachsenen äußerten. Wir wußten, daß unsere Meinung nur wenig Gewicht in diesem Kreis hatte. »Wir dürfen nicht allzulange bleiben«, wisperte Etonia mir zu. »Ich habe ein komisches Gefühl.«
»Hast du Angst?« »Ein wenig.« »Was wir tun, ist nicht verboten.« »Da bin ich mir nicht so sicher«, widersprach sie. »Der Schiffsführung gefallen solche Veranstaltungen sicherlich nicht. Du weißt, daß Gavro Yaals Ideen fast so etwas wie Gesetz sind. Hast du vergessen, wie die Nachricht von der Geburt der Gläsernen auf die Masse gewirkt hat? Wenn bekannt wird, daß eine politische Strömung entstanden ist, die sich gegen Gavro Yaal stellt, sieht es schlecht aus für uns.« Ich lachte, nahm ihr Gesicht in meine Hände und küßte sie, weil ich wußte, daß sie dann nicht mehr länger reden würde. Doch Etonia beruhigte sich nicht so schnell. »Irgend etwas stimmt nicht mit der SOL«, erklärte sie. »Das hast du selbst gesagt. Wenn wir herausfinden wollen, was es ist …« Sie kuschelte sich an mich. Das war ebenfalls eine Methode, die eigenen Argumente zu unterstreichen, so unsachlich sie auch war. Immerhin erreichte sie damit, daß ich für einige Zeit das Interesse an der Diskussion der anderen verlor und mich ausschließlich ihr widmete. Wir schreckten auf, als sich die Tür öffnete und harte Männerstimmen die anderen im Raum zum Schweigen brachten. Jemand forderte laut, daß Licht gemacht wurde. Ein anderer sprach von »Verrätern«, und unmittelbar neben uns fuhr eine Elektropeitsche in die Menge. Männer und Frauen schrien schmerzgepeinigt auf, und ein wüstes Durcheinander entstand. Wütend stürzten sich einige Gavro-Yaal-Gegner auf die Männer vom Ordnungsdienst und schlugen auf sie ein. Ich griff nach dem Arm Etonias. »Komm«, flüsterte ich ihr zu. »Wir verschwinden.« Wir drückten uns in eine dunkle Ecke des Raumes, wo uns niemand sah, und als die Männer vom Ordnungsdienst weiter gegen die Teilnehmer der Diskussionsrunde vordrangen, schoben
wir uns in ihrem Rücken durch die Tür hinaus. Der Gang vor uns war leer. Wir rannten bis zur nächsten Abzweigung, fuhren dann aber erschrocken zurück, als wir weitere bewaffnete Männer auf uns zukommen sahen. Etonia entdeckte eine Tür, öffnete sie, und wir schlüpften in einen winzigen Raum, in dem Reinigungsroboter standen. Glücklicherweise war eine der Maschinen, die hier sonst abgestellt wurden, in Reparatur, denn sonst wäre nicht genügend Platz für uns vorhanden gewesen. Wir vernahmen Schritte und glaubten bereits, daß die Männer vorbeigehen würden. Doch dann wurde es still. Die Männer vom Ordnungsdienst waren unmittelbar vor uns stehengeblieben. Nur eine dünne Tür trennte uns von ihnen. »Ob sie wissen, wo wir sind?« wisperte Etonia. »Pssst«, antwortete ich. »Sie schaffen es allein«, sagte jemand mit dunkler Stimme. »Ja, wir können uns 'raushalten«, erwiderte ein anderer mit unangenehm klingender Fistelstimme. »Ich hätte nicht übel Lust, da mal dreinzuschlagen!« Enige Männer lachten. Etonia drückte meine Hand. »Zetter Olloss«, hauchte sie. Ich hatte ihn ebenfalls erkannt, und es überraschte mich keineswegs, daß er bei jenen Kräften war, die eindeutig auf der Seite Gavro Yaals standen. »Ich habe gehört, daß du heute besonders aktiv bist«, bemerkte der Mann mit der Fistelstimme. »Du hast eins auf die Birne gekriegt. Oder ist das ein Gerücht?« »Sieh ihn dir doch an! Richtig verbeult sieht er aus.« Mehrere Männer hielten das offenbar für einen guten Witz. Sie lachten laut. »Hört auf«, schrie Zetter ärgerlich. »Ihr habt ja keine Ahnung. Es ging um etwas ganz anderes.« »So? Um was denn?« fragte die Fistelstimme.
»Das geht euch nichts an«, wies ihn Zetter ab. »Jedenfalls hat es nichts mit dem Planeten zu tun, auf dem wir landen werden.« Ich spitzte überrascht die Ohren. Ein Planet, auf dem wir landen werden? Das konnte doch nicht sein. »Sei still«, warnte der Mann mit der dunklen Stimme. Etonia war so überrascht, daß sie zu zittern begann. Ich erinnerte mich daran, daß Mutter etwas von einem Sonnensystem erwähnt hatte, in das die SOL eindrang. Was konnte Gavro Yaal dazu veranlaßt haben, einen Landebefehl zu geben. Die SOL war autark. Sie konnte sich selbst versorgen. Oder nicht? »Sei still, Gavro«, sagte die Fistelstimme. »So was posaunt man nicht hinaus.« »Wieso? Was meinst du?« »Das von dem Planeten.« »Hier hört uns doch keiner«, erwiderte Zetter geringschätzig. »Und ihr wißt Bescheid. Oder?« »Na gut. Du hast recht«, bemerkte der Mann mit der dunklen Stimme. »Wie ist dieser Planet denn so?« »Mir gefällt er. Ich war in einer bergigen Gegend, die ich ausgesprochen sehenswert fand.« »Ich werde mich auch melden«, sagte der Mann mit der Fistelstimme. »Es ist schon ziemlich lange her, daß ich auf einem Planeten war. Damals habe ich in einem See gebadet. Es war herrlich.« Andere Stimmen wurden laut, und dann zeigten die Geräusche an, daß die Männer vom Ordnungsdienst die Diskussionsteilnehmer der Runde abführten, zu der wir auch gehört hatten. Es wurde still, doch Etonia und ich harrten noch in der engen Kammer aus, weil wir fürchteten, einem Nachzügler oder einer Wache in die Arme zu laufen. Erst etwa eine halbe Stunde später öffnete ich die Tür. Erleichtert stellten wir fest, daß sich niemand auf
dem Gang davor aufhielt. Wir machten, daß wir davonkamen. In einer Teestube, in der wir ganz allein waren, tranken wir etwas. Wir hatten beide das Gefühl, völlig ausgetrocknet zu sein. »Es ist also alles Schwindel«, sagte Etonia. »Nicht zu fassen. Da wird ein Riesenwirbel veranstaltet. Gavro Yaal überschüttet uns mit Propaganda, um uns von seinen Ideen zu überzeugen. Aber er lügt. Er behauptet, wir seinen autark, und wir müßten autark bleiben, um unserer Bestimmung gerecht werden zu können, gleichzeitg aber landen welche von der Besatzung auf irgendwelchen Planeten und holen dort, was wir an Bord nicht haben und auch nicht herstellen können.« »Ich will wissen, was das ist.« »Ich auch.« »Glaubst du, daß sie uns eine Chance geben?« »Wie meinst du das?« »Wir müssen die SOL verlassen. Wir müssen uns ihnen anschließen und zusammen mit ihnen zu diesem Planeten fliegen. Nur dann werden wir erfahren, was wirklich gespielt wird«, antwortete ich. »Das geht nur, wenn wir Verbindung mit ihnen aufnehmen, und der einzige von ihnen, den wir kennen, ist Zetter. Er ist nicht gerade unser Freund.« »Natürlich nicht«, gab ich zu. »Wir müssen eben einlenken.« Ich strich mir mit den Fingerspitzen über die Wunden, die ich mir bei der Prügelei zugezogen hatte. Etonia lächelte. Ich wußte, was sie dachte. Sie zweifelte daran, daß ich mein Temperament zügeln und alles vergessen konnte, was vorgefallen war. Und sie hatte recht. Leicht war das bestimmt nicht für mich. Möglicherweise schaffte ich es überhaupt nicht. Es war nicht auszuschließen, daß ich durchdrehte, sobald Zetter mich provozierte. Wir waren verfeindet, und daran würde sich so leicht auch nichts ändern. »Wir müssen so tun, als ob wir überzeugte Anhänger von Gavro Yaal seien«, sagte Etonia. »Glaubst du, daß du das bringst? Du
kannst nicht jedesmal in die Luft gehen, wenn irgend jemand etwas äußert, was dir gegen den Strich geht.« »Wir werden betrogen«, stellte ich fest. »Es gibt ein Geheimnis um die SOL. Und ich will wissen, was los ist. Ich werde es herausfinden, und dabei werde ich mich selbst verleugnen. Du kannst dich darauf verlassen. Bist du dabei?« »Was für eine Frage!« lachte sie.
* Ich traf Zetter »Gavro« Olloss wenige Stunden später im Schwimmbad. Er ahnte nicht, daß ich ihm nicht zufällig begegnete, sondern genau an dem Ort und unter den Umständen, die ich gewählt hatte. Er kam mir auf einem schmalen Gang zwischen den beiden großen Schwimmbecken entgegen. Zögernd blieb er stehen, als er mich sah. Fraglos dachte er daran, daß er in direktem Kampf gegen mich allein nichts ausrichten konnte. Ich sah ihm an, daß er einerseits am liebsten Reißaus genommen hätte, andererseits jedoch fürchtete, sich vor seinen Freunden zu blamieren. Es war ja nicht ausgeschlossen, daß sie sahen, wie er flüchtete. Ich lächelte und hob lässig grüßend eine Hand. »Hallo, Gavro«, sagte ich. »Alles wieder in Ordnung?« Er war so überrascht, daß ihm die Worte fehlten. Ich fuhr mir mit dem Handrücken über die Lippen. »Nun haben wir uns gegenseitig die Nasen eingeschlagen«, fuhr ich fort. »Das sollte doch eigentlich genügen. Oder? Ich habe jedenfalls kein Interesse daran, mich mit jemandem zu prügeln, der genauso denkt wie ich. Da spare ich mir meine Energie lieber für andere Dinge auf, die wichtiger sind.« Er war voller Argwohn, und ich glaubte, seine Gedanken erraten zu können. Er fürchtete, daß ich ihn in eine Falle locken wollte, um
ihn dann um so besser zusammenschlagen zu können. Zugleich erfaßte ich, daß es schwer für mich werden würde, diese Mißtrauensschwelle zu überwinden. »Was ist los mit dir?« fragte er und tippte sich an die Stirn. »Bist du nicht mehr ganz klar hier oben? Haben wir zu gut getroffen?« Ich spürte, daß mir das Blut in den Kopf stieg, doch ich beherrschte mich. Etonia hatte mich darauf vorbereitet, daß ich mit Beleidigungen fertig werden mußte. »Hältst du es für sinnvoll, wenn wir uns weiterhin bekriegen?« »Natürlich nicht.« »Dann laß uns vernünftig sein.« »Du willst dich bei mir entschuldigen?« »Hör schon auf mit dem Quatsch. Dazu habe ich keinen Grund.« »Ich lasse mich mit niemandem ein, der so denkt und spricht wie du. Hast du schon vergessen? Du hast gesagt, die Erde müsse durchfeuchtet und gedüngt werden.« Ich verkniff mir ein Lachen und blickte ihn forschend an. Ich wollte ihn beeindrucken. Er sollte nicht glauben, einen Trottel vor sich zu haben. Er war acht Jahre älter und fühlte sich natürlich entsprechend überlegen. Ich mußte erreichen, daß er mich als gleichberechtigt anerkannte. Ob das aber wirklich in so kurzer Zeit möglich war? »Vielleicht bist du dir über die Situation an Bord nicht im klaren«, erwiderte ich daher. »Aber es gibt eine Reihe von Leuten, die meinen, sie könnten daherreden, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Damit aber bin ich nicht einverstanden. Ich bin der Ansicht, daß es gefährlich für uns alle ist, wenn wir eine Zersetzung der Bordmoral durch leichtfertige und ketzerische Reden zulassen. Wozu haben wir uns denn von der BASIS getrennt? Wie ist es möglich, daß nach zwei Jahren auf unserem Weg in die Zukunft so viele negative Elemente ihr Unwesen an Bord treiben können?« In seinen Augen war plötzlich etwas Lauerndes, ein eigenartiges Licht, das mich warnte und mir bewußt machte, daß ich es mit
einem äußerst gefährlichen Gegner zu tun hatte. Zetter »Gavro« Olloss war ein Mann, den ich auf keinen Fall unterschätzen durfte. »Du wolltest mich also nur testen?« fragte er. »Ich meine, jeder sollte über den anderenBescheid wissen«, entgegnete ich. Er schüttelte den Kopf und schien fassungslos zu sein. »Aber mich wolltest du prüfen?« forschte er. »Weißt du denn nicht, wer ich bin?« »Man muß vorsichtig sein.« »Mann! Ich nenne mich Gavro! Warum wohl? Und mein Nachname ist der der einzige von allen Namen an Bord, der sich ausschließlich aus den Buchstaben des Wortes SOL zusammensetzt.« »Wer sich tarnen will, denkt sich die tollsten Tricks aus.« »Hast du den Verstand verloren? Du behauptest, damit wollte ich nur darüber hinwegtäuschen, daß ich in Wahrheit ein Gegner von Gavro Yaal bin?« Er fuhr wütend auf mich zu und packte mich am Hals. »Nichts von dem habe ich gesagt«, ächzte ich. Der Würgegriff brachte mich in arge Bedrängnis. »Mittlerweile weiß ich von dir, daß du ehrlich bist. Aber du mußt zugeben, daß es Lumpen gibt, welche unser aller Zukunft gefährden.« Er ließ mich los. »Aha, du bist so eine Art Geheimpolizei, was?« spöttelte er. Ich rieb mir den schmerzenden Hals. »Gavro Yaal kann doch wohl von uns allen erwarten, daß wir aufpassen. Oder?« »Das ist richtig.« Ich war am Ende. Wenn sich das Mißtrauen Zetters nun nicht bald legte, wußte ich nicht mehr weiter. Er rieb sich das Kinn und grinste überlegen. »Hm, Kleiner. Du könntest mir einen Gefallen tun.«
»Wenn du willst – gern.« »Diese Etonia ist deine Freundin, wie?« »Allerdings.« »Ein süßes, kleines Ding. Meinst du nicht, daß du zu jung für sie bist? Mädchen in dem Alter wollen ein wenig mehr als nur immer Händchenhalten.« »Das mußt du mir schon überlassen«, erwiderte ich hitzig. Ich ahnte, was er wollte, und ich wurde so wütend, daß ich alles gefährdete, was ich vorher mühsam aufgebaut hattö. »Du wirst mir die Kleine überlassen«, sagte er. »Wenn du sie anfaßt, prügele ich dich windelweich«, drohte ich, drehte mich um und ging davon. »He, du«, rief er hinter mir her, aber ich drehte mich nicht um. Ich hatte die Nase voll von ihm, und in diesen Sekunden dachte ich auch nicht mehr an das, was ich mir vorgenommen hatte. Erst später begriff ich, daß ich ruhig hätte bleiben müssen. Er bildete sich ein, daß er mit Etonia machen konnte, was er wollte. Auf den Gedanken, daß Etonia allein entschied, kam er nicht. Ich allerdings auch nicht, denn sonst hätte ich mich nicht so aufgeregt. In den folgenden Stunden durchstreiften Etonia und ich das Schiff, soweit uns das möglich war. Wir nutzten alle Kommunikationsmöglichkeiten, um uns über die Situation der SOL zu informieren. Leider erfuhren wir dabei nur wenig. Kaum jemand wußte Bescheid, und wer zu den Wissenden gehörte, schwieg uns gegenüber oder war unerreichbar für uns. Befand sich die SOL wirklich in einem Sonnensystem? Natürlich würde nicht sie selbst auf einem Planeten landen – falls an dieser Behauptung überhaupt etwas Wahres war – sondern allenfalls Beiboote der SOL. Doch auch darüber brachten wir keine Einzelheiten in Erfahrung. »Es hat keinen Sinn«, erkannte Etonia schließlich. »Wir dürfen nicht länger fragen, weil wir uns sonst nur noch verdächtig machen.
Vielleicht kommt noch jemand auf den Gedanken, daß wir von Bord fliehen wollen.« Daran hatte ich überhaupt noch nicht gedacht. Voller Unruhe blickte ich Etonia an. Von Bord der SOL fliehen? Das würde bedeuten, für den Rest unseres Lebens auf einem Planeten leben zu müssen. Ich spürte, wie sich etwas in mir verkrampfte, und ein eiskalter Hauch schien mich zu streifen. Einen Planeten zu besuchen, war eine Sache, auf ihm leben zu müssen und auf alle Annehmlichkeiten der SOL verzichten zu müssen, eine andere. Ehrlich gesagt – das überstieg mein Vorstellungsvermögen. »Du hast recht«, stotterte ich verstört. »Wir sollten uns zurückhalten, sonst fallen wir unliebsam auf. Wir haben es uns zu leicht vorgestellt. Natürlich kommt Zetter nicht gleich an und weiht uns in die Geheimnisse der SOL ein, nur weil ich gesagt habe, daß wir sozusagen linientreu sind.« Niedergeschlagen erhob ich mich und verließ die Disco, in der wir uns gerade aufgehalten hatten. Etonia folgte mir und hängte sich bei mir ein. »Gib nicht so schnell auf«, bat sie mich. »Noch ist nichts entschieden. Vielleicht kommt Zetter ja noch.« In diesem Moment sah ich ihn. Zetter »Gavro« Olloss. Er stand in einem dunklen Winkel und blickte zu uns herüber. Eine düstere, bedrohlich wirkende Gestalt, die irgend etwas Geheimnisvolles an sich hatte. Mir wurde bewußt, daß ich mich auf ein Spiel eingelassen hatte, dessen Regeln ich nicht genügend kannte, und das mir möglicherweise zuviel abverlangte. Ich hatte jedoch keine Angst um mich, sondern nur um Etonia. Sanft löste ich mich von ihr. »Bitte«, flüsterte ich. »Laß mich allein. Zetter ist da hinten. Vielleicht will er mit mir reden.« Sie begriff, und sie machte glücklicherweise keine Umstände. Sie
stieg in den Antigravschacht und schwebte nach oben. Ich blickte ihr nach, bis sie verschwunden war. Kaum hatte ich mich umgedreht, als Zetter auch schon auf mich zutrat. »Ich muß mit dir reden«, sagte er düster. Er kaute auf einem Kunststoffstäbchen. Nervös schnippte er mit den Fingern. »Ich höre.« »Nicht hier.« Er eilte davon, ohne sich umzusehen, und da ich meinte, eine Chance zu haben, die ich mir nicht entgehen lassen sollte, folgte ich ihm. Er führte mich in einen Park, in dem ich schon lange nicht mehr gewesen war. Der Duft von unzähligen Blumen schlug mir entgegen, und die Luft war erfüllt von dem Gezwitscher der Vögel. An einem Wasserfall, der von einigen Felsen in einen kleinen See stürzte, blieb Zetter stehen. Er ließ das Kunststoff Stäbchen von einem Mundwinkel zum anderen wandern und blickte sich dabei um, als habe er Verfolger zu fürchten. »Was ist los?« fragte ich ungeduldig. »Ich bin einer bösen Schweinerei auf die Spur gekommen«, erwiderte er. In mir schlug eine Alarmglocke an. Wenn es wirklich so ist, schoß es mir durch den Kopf, dann zieht er mich ganz bestimmt nicht zu Rate. »Ach, ja?« Ich versuchte, mich so gelassen wie möglich zu geben. »Ich spinne nicht«, betonte er. »Histar, ich sage die verdammte Wahrheit. Hast du davon gehört, daß wir uns in der Nähe eines Planeten befinden?« »Es kursieren solche Gerüchte«, antwortete ich. »Angeblich ist in den Nachrichten etwas gemeldet worden. In den letzte Stunden habe ich mich ein wenig umgehört, aber niemand weiß etwas Genaues.« »Davon habe ich gehört.«
Der Schrecken schoß mir in die Glieder. »Du hast davon gehört? Wovon?« »Daß du Nachforschungen angestellt hast.« Und ich hatte mir eingebildet, ich sei vorsichtig genug gewesen! »Na ja«, murmelte ich. »Wenn so etwas los ist, möchte man wissen, ob es wahr ist oder nicht.« »Das ist es ja«, sagte Zetter kalt. »Es ist wahr. Die SOL ist kaum noch eine Lichtminute von einem Planeten entfernt. Und zwar nicht erst seit heute. Und es gibt eine Reihe von Leuten, die schon lange darüber informiert sind.« Zu denen gehörst du auch, dachte ich, ohne mir etwas anmerken zu lassen. »Ja, das ist wohl so«, entgegnete ich, um einen nichtssagenden Ton bemüht. Er rückte mit seinem Gesicht unangenehm nah an mich heran und fixierte mich mit seinen Blicken. »Ich habe herausgefunden, daß Beiboote die SOL verlassen werden, um Rohmaterial von diesem Planeten zu holen. Weiß du, was das bedeutet? Wir sind gar nicht autark. Das hat man uns nur vorgelogen.« Ich hatte mich hundertprozentig in der Gewalt. »Na – und?« fragte ich ruhig. »Was beweist das schon? Ich habe immer damit gerechnet, daß wir zu Anfang Schwierigkeiten haben würden. So etwas ist doch ganz normal. Anlaufschwierigkeiten nennt man das.« Er packte mich an beiden Schultern und blickte mich beschwörend an. »Das ist für mich kein Grund, an ihm zu zweifeln«, fuhr ich fort. »Er hat den Überblick, und die meisten Leute sind nun einmal so, daß sie nicht begreifen, wenn man ihnen nicht alles mundgerecht serviert. Wahrscheinlich hatte Gavro Yaal gar keine andere Wahl, als zu einer Notlüge zu greifen.« »Ach, so siehst du das?« Er stieß mich zurück, drehte sich um und
stürzte davon, als säße ihm der Teufel im Genick. Ich wußte nicht, was ich von ihm denken sollte. Ich hatte geblufft. Ich hatte mit den gleichen propagandistischen Waffen gekämpft, die Gavro Yaal und seine Anhänger sonst einzusetzen pflegten.
3. Bericht: HistarVeysbal Etonia kam während der nächtlichen Ruhepause und weckte mich auf. »Es ist soweit«, flüsterte sie mir zu. »Zetter ist auf unseren Trick hereingefallen. Eben habe ich die Nachricht bekommen, daß wir an einem Außenprojekt teilnehmen sollen. Du und ich.« »Einem Außenprojekt?« fragte ich verwundert, während ich eilig in meine Kleider schlüpfte. »Was hat das zu bedeuten?« »Dummkopf«, lachte sie. »Verstehst du denn nicht? Wir werden mit einem Beiboot zu einem Planeten fliegen.« Ihre Augen glänzten vor Begeisterung und Eifer. »Du meinst, Zetter Olloss ist auf den Bluff hereingefallen?« »Genau das.« »Aber er hat sich so eigenartig verhalten.« »Natürlich. Er wollte Zeit gewinnen. Du solltest nicht merken, wie deine Worte gewirkt haben. Ich bin ganz sicher: Es hat geklappt.« Wir verließen die Wohneinheit meiner Eltern, und ich überlegte, wie ich Etonia fragen sollte, ob sie bereit war, mit mir zusammen eine eigene Wohneinheit zu beantragen. Die zynischen Worte Zetters – Mädchen dieses Alters wollten mehr als nur Händchenhalten – hatten mir zu denken gegeben. »Komm«, sagte sie. »Und zu niemandem ein Wort. Wir haben ganz klare Anweisungen erhalten. Geheimhaltung steht über allem. Du weißt, warum. Alle sollen glauben, daß die SOL autark ist. Und
da dürfen wir nicht ausplaudern, daß das eine faustdicke Lüge ist.« »Ich wußte doch, daß etwas nicht stimmt. Etonia, ich glaube, wir sind einem Riesenschwindel auf der Spur. Wir müssen vorsichtig sein. Die SOL ist auf dem Weg zu einer Diktatur. Wir werden alle Vorteile verlieren, die uns das Raumschiff bietet, wenn es uns nicht gelingt, diese Entwicklung aufzuhalten. Gavro Yaal irrt sich. Der Mensch ist kein Weltraumwesen, sondern braucht die Bindung an Planeten. Daran ändert auch nichts, daß einige Gläserne geboren worden sind.« Sie berührte zärtlich meine Hand. »Das weiß ich doch, Histar.« »Gut. Ich wollte nur sagen, daß wir auf der Hut sein müssen. Gavro Yaal und seine Freunde sind Fanatiker. Sie könnten vergessen, wo ihre Grenzen sind. Und sie könnten gefährlich werden, wenn sie merken, daß wir tatsächlich ihre Gegner sind.« Ihre Augen weiteten sich. »Du meinst, sie könnten … uns töten?« »Gavro Yaal ist kein Mörder«, wich ich aus. »Aber Zetter Gavro Olloss traue ich ohne weiteres einen Mord zu.« »Übertreibe nicht«, erwiderte ich mühsam lächelnd. Ich verschwieg, daß ich ihrer Ansicht war. Zetter Gavro Olloss war ein Fanatiker, der sich nicht unter Kontrolle hatte. Auch ich mochte eine Gewalttat bei ihm nicht ausschließen. Vor einem Antigravschacht wartete ein grün uniformierter Mann auf uns. Er nahm uns schweigend in Empfang und führte uns durch mehrere Gänge und Antigravschächte bis zu einem Hangar, in dem vier Space-Jets standen. Etwa vierzig Männer und Frauen arbeiteten vor den Beibooten an allerlei Ausrüstungsgegenständen. Sie verteilten sie auf die vier Kleinraumschiffe und ließen sie durch Roboter in den Space-Jets verstauen. Zetter Gavro Olloss kam uns lächelnd entgegen. Er begrüßte uns mit Handschlag, schien mich jedoch nicht zu sehen, sondern nur
Augen für Etonia zu haben. »Welche Aufgaben haben wir?« fragte ich ihn. »Das erfahrt ihr später. Steigt jetzt ein. Ihr bleibt während des Fluges im unteren Hangar.« Etonia und ich waren enttäuscht über diese Entscheidung. Unwillkürlich hatten wir uns vorgestellt, daß wir in der Zentrale der Jet fliegen würden, so daß wir alles genau verfolgen konnten, was während des Raumflugs geschah. Wir hatten gehofft, beobachten zu können, wie wir uns dem Planeten näherten. Doch wir sahen ein, daß wir keine Forderungen stellen durften. Schweigend stiegen wir ein und setzten uns in einer Ecke des Hangars auf eine Metallkiste. Die anderen Expeditionsmitglieder beachteten uns nicht. Sie arbeiteten weiter. Wir hatten ein schlechtes Gewissen, weil wir uns nicht nützlich machen konnten. Als Etonia jedoch eine entsprechende Bemerkung zu einer der anderen Frauen machte, lachte diese nur und entgegnete: »Das kommt noch früh genug. Wartet nur, bis wir gelandet sind.« Wenig später schloß sich das Schleusenschott. Acht Männer und vier Frauen setzten sich auf die Ausrüstungsgegenstände im Hangar, und zwei Männer stiegen im Antigravschacht zur Zentrale auf. Dann schüttelte sich die Space-Jet ein wenig, und wir begriffen, daß wir gestartet waren. Drei Männer neben uns begannen, Karten zu spielen. Die anderen rollten sich zusammen und schliefen ein. Die Frauen tuschelten miteinander. Die Zeit bis zur Landung verging unfaßbar schnell. Wir hatten das Gefühl, kaum gestartet zu sein, als die Jet auch schon aufsetzte. Für die anderen im Hangar stellte diese Expedition offensichtlich nichts Besonderes dar. Ihr Verhalten änderte sich nicht. Sie schwatzten wie bisher durcheinander und schienen unzufrieden damit zu sein, daß ihr Kartenspiel unterbrochen wurde.. »Findest du es nicht eigenartig, daß sich niemand um uns kümmert?« fragte Etonia. »Sie scheinen uns überhaupt nicht zu
bemerken.« »Wir sind uninteressant für sie.« »Das mag schon sein. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß so häufig Neue mitfliegen, daß niemand mehr auf sie achtet.« Ich spürte die Unruhe, die sie erfüllte, und mir wurde bewußt, daß wir allzu siegessicher waren. Hatte ich Zetter Gavro Olloss tatsächlich täuschen können? Oder tat er nur so, als ob er mir glaubte, während er in Wirklichkeit genau wußte, was wir wollten, und uns in eine Falle lockte? Plante er, uns auf dem Planeten auszusetzen? Ich spüre, wie es mir bei diesem Gedanken kalt über den Rücken lief. Es war durchaus keine angenehme Vorstellung für mich, auf einem fremden Planeten leben zu müssen – auch wenn Etonia bei mir war. Ich fühlte, daß ich blaß wurde, und ein unangenehmes Gewicht drückte sich mir auf den Magen. Allein mit Etonia? Wenn Zetter Olloss mich damit bestrafen wollte, daß er mich aussetzte, dann ließ er Etonia bestimmt nicht bei mir. Er wollte sie für sich haben. Lag der Gedanke daher nicht nahe, daß er mich auf eine fremde Welt abschob und sie zurück auf die SOL brachte? Das schöne Mädchen, das ich liebte, blickte mich mit großen Augen an, und ich begriff, daß sie an das gleiche gedacht hatte wie ich. »Wir müssen aufpassen«, flüsterte sie. »Wir dürfen nicht getrennt werden.« »Und wenn es doch geschieht?« »Dann bringe ich Zetter Ollos um«, beteuerte sie ernsthaft. »Du wirst nicht seine Freundin werden?« »Nie«, schwor sie mir. Die Schleusenschotte öffneten sich, und eine eigenartig riechende Luft strömte zu uns herein. Es war der erste Eindruck, den ich von dieser Welt hatte.
Die Luft hatte einen spezifischen Geruch, der ganz anders war als jener in den Parkanlagen der SOL. Auch dort dufteten die Blumen, die Gräser, die Bäume und vermutlich auch die Tiere. Aber es war anders als hier. Ich kann es nur schwer beschreiben. Kann ich mich verständlich machen, wenn ich es bildhaft vergleiche? Der Unterschied ist etwa so, als ob man auf der einen Seite ein zweidimensionales Schwarzweiß-Videobild sieht und auf der anderen Seite das gleiche Bild in seinen natürlichen Farben und dreidimensional. Auf beiden Bildern sind alle Informationen enthalten, aber nur das farbige und plastische Bild vermittelt einen echten Eindruck. Etonia und ich hielten uns bei den Händen, als wir die Space-Jet verließen. Ein lauer Wind wehte uns ins Gesicht. Auch das war etwas, was wir nicht kannten. In der SOL bewegte sich die Luft nicht. Ein Schwarm buntgefiederter Vögel flatterte über uns hinweg, und aus dem Unterholz kam ein grünes, vierbeiniges Wesen, das einen langgestreckten Kopf mit matt schimmernden Augen hatte. Es heulte klagend in schrillen Tönen und scharrte ärgerlich mit den Pfoten, doch da wir keine Notiz von ihm nahmen, schüttelte es sich nach einiger Zeit und trabte mit hocherhobenem Kopf davon, offenbar überzeugt, uns ausreichend gewürdigt zu haben. Die Raumschiffe waren an der Küste eines Meeres gelandet, das sich unfaßbar weit erstreckte. Etonia und ich blickten auf die schimmernde Fläche hinaus und konnten nicht verstehen, daß es nichts gab, was das Meer begrenzte. Wir kamen uns hilflos und verloren vor. Der Himmel war blau und ebenso grenzenlos wie das Meer. Wir standen vor der Space-Jet und suchten nach Halt, da wir meinten in dieser Weite verlorenzugehen. »Kommt«, rief uns Stettis Bastio, ein Freund von Zetter, zu. »Macht euch nützlich. Wir brauchen jemanden, der die Roboter am Wasser überwacht.« Er zeigte zum Ufer hin, wo mehrere, große Maschinen standen. Wir wußten nicht, was wir tun sollten, als wir zu ihnen gingen, aber
das war nicht wichtig. Einer der Roboter erklärte ungefragt, daß es darum ging, verschiedene Salze und Leichtmetalle aus dem Wasser zu gewinnen. Wir hatten kaum mehr als eine beobachtende Funktion. Lange Rohre führten ins Meer, pumpten das Wasser heran und leiteten es durch gewaltige Maschinen, in denen die verschiedenen Rohstoffe gewonnen wurden. Wir registrierten lediglich die Mengen, aber das hätte auch eine einfache Positronik tun können. So hatten wir genügend Zeit, uns umzusehen. Unmittelbar hinter dem breiten, weißen Strand erhoben sich felsige Hügel, deren Kuppen dicht bewaldet waren. Aus ihnen frästen robotische Maschinen große Gesteinsmassen heraus und transportierten sie in das Innere eines Spezialschiffs, in dem die benötigten Rohstoffe extrahiert wurden. Auch hier hatten die Männer und Frauen der Expedition so gut wie nichts zu tun. Die meisten von ihnen lagen träge in der Sonne und ließen sich bräunen. »Ich finde das erstaunlich«, sagte Etonia verwundert. »Warum schickt Gavro Yaal überhaupt Menschen zu diesem Planeten, wenn Roboter die Arbeit ganz gut auch allein bewältigen könnten? Roboter verraten nichts.« »Diese Leute vermutlich auch nicht«, entgegnete ich. »Sie scheinen alle froh darüber zu sein, daß sie die SOL verlassen durften. Sie werden sich hüten, irgend etwas zu erzählen, weil sie dann damit rechnen müssen, daß sie nie mehr in ihrem Leben aus der SOL herauskommen.« Ein großes Raumschiff schwebte nahezu lautlos heran und landete etwas fünhundert Meter von uns entfernt an einer Stelle, an der bereits gewonnene Rohstoffe aufgeschichtet worden waren. »Sieh dir das an«, sagte Etonia. »Der Frachter hat einen Durchmesser von wenigstens hundert Metern. Was meinst du, wieviel man damit transportieren kann?« »Eine ganz hübsche Menge.« »Eben. Aber ich dachte, bei dieser Expedition ginge es darum, ein
paar Kleinigkeiten zu gewinnen, die an Bord nicht oder nur unter
einem sehr hohen Aufwand erzeugt werden können.« »Auf jeden Fall ist die SOL alles andere als autark. Und das ist für mich der beste Beweis dafür, daß die Theorien Gavro Yaals auf sehr wackligen Füßen stehen.« »Wo ist Zetter Olloss eigentlich?« fragte sie. »Ich sehe ihn nicht.« »Ist er dir so wichtig?« »Sei nicht albern.« »Warum suchst du ihn dann?« Ich war eifersüchtig, und ich ärgerte mich über mich selbst, weil ich es war. Ich wußte doch, daß Etonia mit Zetter nichts im Sinn hatte. »Ich glaube, er sieht sich die Gegend an. Und das ist etwas, wozu ich auch Lust hätte.« »Du meinst, wir können so einfach verschwinden, ohne daß jemand etwas sagt?« »Was tun wir denn schon hier? Die Automaten machen alles allein.« »Du hast recht. Wie meistens.« »Komm. Wir gehen einfach hier am Strand entlang. Ich möchte mehr von dieser Welt sehen, als nur das Wasser und die Maschinen, die die Berge auffressen.« Niemand hielt uns auf oder rief uns zurück, als wir uns von der Anlage entfernten. Dennoch kamen wir nicht weit, denn wir sahen eine Space-Jet kommen, und Etonia erkannte Gavro Yaal, als dieser ausstieg. »Das dürfen wir uns nicht entgehen lassen«, sagte sie erregt. »Ich habe ihn noch nie gesehen. Vielleicht ergibt sich sogar eine Chance, mit ihm zu reden.« Wir kehrten um und eilten zurück. Gavro Yaal sprach mit einigen Männern, schien aber kein bestimmtes Ziel zu verfolgen, denn nach einiger Zeit ging er ans Wasser und blickte gedankenverloren auf die Wellen, die sich gischtend am Strand brachen. »Komm«, sagte Etonia.
Ich zögerte. Wie stellte sie sich das vor? Sie konnte doch nicht so ohne weiteres mit einem Mann wie Gavro Yaal reden! Doch sie ging zu ihm, als sei dies die naürlichste Sache der Welt. Vielleicht ist sie das tatsächlich, dachte ich und folgte ihr. Ich hörte, wie sie sagte: »Ich bin eigentlich überrascht, daß wir Rohstoffe von den Planeten holen müssen.« Er blickte sie an und lächelte freundlich. »Warum?« Er war ein etwas dicklicher Mann mit vollen Wangen, einem auffallend kräftigen Mund und fleischiger Nase. Die hellblonden Haare trug er kurz und nach hinten gekämmt. Er machte trotz seines eigentlich alltäglichen Aussehens auf mich den Eindruck eines intellektuellen Menschen. Natürlich hatte ich sein Gesicht schon oft im Video gesehen, doch das war etwas anderes, als ihm selbst zu begegnen. »Heißt es nicht, daß die SOL autark ist?« entgegnete Etonia. Sein Lächeln vertiefte sich. »Das ist sie auch«, erklärte er. »Wir benötigen diese Rohstoffe nicht, um überleben zu können, sondern um das Leistungsangebot der SOL steigern zu können. Uns liegt das Wohl der Menschen am Herzen, die in der SOL leben, und wenn wir ihr Dasein verbessern wollen, müssen wir die Vorräte der SOL aufstocken. Das hat nichts damit zu tun, daß wir autark sind. Da wir die Verantwortung für das Schiff und seine Besatzung haben, sorgen wir rechtzeitig dafür, daß keine Notlage eintreten kann. Ist das einleuchtend?« Ich war mir dessen bewußt, wie demagogisch diese Antwort war, doch ich konnte nichts darauf erwidern. Ich spürte daß irgendwo ein Widerspruch angebracht war, doch ich fand die passenden Argumente nicht. »Zweifelst du?« fragte Gavro Yaal Etonia. Sie schüttelte den Kopf. »Nein – ich wollte nur einmal hören, was du dazu zu sagen hast.« »Das ist dein gutes Recht. Was hier geschieht, findet die Billigung von SENECA. Du kannst sicher sein, daß ich derartige Aktionen
augenblicklich abblasen würde, wenn SENECA Einspruch erheben würde.« Ihm bliebe wohl auch kaum etwas anderes übrig, dachte ich. Wahrscheinlich hat SENECA es bei diesem Verrückten schon aufgegeben. Ich wollte nicht, daß Gavro Yaal mißtrauisch wurde. Wir waren einem seiner Geheimnisse auf die Spur gekommen, und ich war überzeugt davon, daß es noch weitere Geheimnisse gab. Auch sie wollte ich aufdecken. »Natürlich zweifeln wir nicht«, sagte ich daher. »Wir sind hier, weil wir der gleichen Ansicht sind wie du. Wir finden unsere Bestimmung ausschließlich im Weltall. Und danach leben wir.« Er blickte mich an, als habe er mich vorher gar nicht bemerkt. »So ist es«, antwortete er wohlwollend. »Ich kenne euch beide nicht. Seid ihr zum erstenmal draußen?« »Ja – und wir finden es …« Etonia zögerte. Gavro Yaals Augen verengten sich ein wenig. »Nun?« »Irgendwie bedrückend«, schwindelte Etonia. »Ich habe das Gefühl, daß wir jeden Augenblick hinweggerissen werden können. Diese Weite macht mich unsicher.« »Wir sind in der Evolution der Menschen weitergekommen. Wir sind nicht auf der Stufe stehengeblieben, auf der Perry Rhodan und die anderen verweilen. Wir haben die nächsthöhere Stufe erklommen, und wir werden auch auf ihr nicht verharren. Das ist der Grund dafür, daß ihr euch außerhalb der SOL nicht wohlfühlt. Der Mensch ist nicht dazu bestimmt, auf Planeten zu leben.« »Wir werden damit fertig«, beteuerte ich. »Ist etwas dagegen einzuwenden, wenn wir uns ein wenig umsehen?« »Überhaupt nicht. Geht nur. Wir haben noch mehrere Tage hier zu tun.« »Wir wollten nicht gleich für einige Tage wegbleiben«, lachte Etonia.
»Natürlich nicht. Aber selbst das wäre euch nicht verboten. Und jetzt entschuldigt mich, ich habe zu tun.« Er nickte uns zu und ging. »Ob er selbst an das glaubt, was er sagt?« fragte Etonia, als wir etwa fünfhundert Meter am Strand entlanggelaufen waren. »Ich glaube schon«, erwiderte ich. »Aber er ist verblendet. Der Mensch ist kein Weltraumwesen, und er wird niemals eines sein. Selbst die Buhrlos können nicht ständig im Weltraum leben. Sie müssen immer wieder ins Schiff zurück, um Sauerstoff aufzunehmen. Und ich habe auch gar keine Lust, ein Geschöpf des Alls zu sein. Auf einem Planeten finde ich es viel schöner.« Sie streifte ihre Kleider ab und rannte ins Wasser. Ich tat es ihr gleich, und wir badeten fast eine halbe Stunde lang ausgelassen im Meer. Wir waren uns einig darin, daß Schwimmen in keinem der vielen Bäder der SOL so schön sein konnte wie hier. Danach zogen wir uns an und rannten einen Hügel hoch, weil wir hofften, von seiner Kuppe aus einen weiten Blick über das Land genießen zu können. Etonia kam vor mir oben an. Aber sie blieb nicht stehen, sondern warf sich auf den Boden und rief mir zu: »Vorsicht.« Ich wußte nicht, was sie so beunruhigt hatte. Auf allen vieren kroch ich zu ihr hoch. »Zetter«, flüsterte sie und zeigte in ein unübersichtliches, wildes Land hinaus, in dem sich unzählige kleine Berge aus grauem Gestein erhoben. Von uns aus war nicht zu erkennen, was in den Schluchten und Tälern zwischen den Bergen lag. Zetter »Gavro« Olloss war etwa hundert Meter von uns entfernt. Er kam aus einer Art Hohlweg und folgte heimlich einem seltsamen Geschöpf, wobei er von Busch zu Busch eilte und jede sich ihm bietende Dekkung nutzte. Das Wesen vor ihm war etwa 1,60 Meter groß. Es war von Kopf bis Fuß grün – an einigen Stellen heller, an anderen dunkler. Es
hatte vier Arme, und seine Bewegungen waren ungemein geschmeidig. Ich hatte den Eindruck, daß es sich, wenn es notwendig werden sollte, unerhört schnell bewegen konnte. Auf dem Kopf trug der Grüne ein schimmerndes Gebilde, das aus vielen Edelsteinen zusammengesetzt war, und er kleidete sich mit einem Kettenhemd aus einem gelben Metall. Vielleicht ist es Gold, dachte ich. »Zetter hat irgend etwas vor«, flüsterte Etonia. Der Eingeborene bog zur Seite ab und verschwand zwischen den Felsen. »Von dem Hügel dort drüben können wir ihn wieder sehen«, sagte ich. Wir zogen uns einige Meter weif zurück und stürmten dann in der Deckung der Felsen und Bäume zu dem benachbarten Hügel hinüber. Dabei schreckten wir farbenprächtige Vögel auf, die im Buschwerk versteckt gewesen waren. Glücklicherweise flatterten sie davon, ohne viel Geschrei auszustoßen. Zuerst sahen wir den Fremden und auch Zetter Olloss nicht, denn wir hatten nur Augen für die fremdartige Stadt, die in einem schmalen Geländeeinschnitt verborgen gewesen war und nun plötzlich in ihrer ganzen Schönheit vor uns lag. Hell strahlende Kuppelbauten erhoben sich über blau schimmernde Flachdächer. Die zahllosen Fenster schienen alle aus Edelsteinen zusammengesetzt zu sein. Wir hatten derartige Prunkbauten noch nicht einmal in Filmen gesehen, und uns war sofort klar, daß diese Stadt von hoher Bedeutung für die Bewohner dieses Planeten sein mußte. Etonia griff nach meinem Arm. Ihre Finger krallten sich förmlich um ihn. »Sieh doch«, keuchte sie. Und dann sah ich auch, was sie so erschreckt hatte. Der Grüne lag mitten in einer Gasse auf dem Boden, die Arme und Beine in eigenartiger Weise ausgestreckt.
»Er ist tot«, flüsterte Etonia. »Zetter hat ihn ermordet.« Sie schwieg. »Oder zweifelst du daran?« »Wir haben es nicht gesehen, Perry.« »Komm. Wir gehen hin.« »Nein!« Ihre Augen weiteten sich. Angsterfüllt blickte sie mich an. »Du glaubst doch nicht, daß er uns auch umbringt?« fragte ich arglos und zog sie mit mir. Widerstrebend folgte sie mir. Der Boden war steinig und voller Unebenheiten. Wir kamen nur langsam voran und verloren die fremdartigen Bauten immer wieder aus den Augen. So verstrich fast eine halbe Stunde, bis wir sie endlich erreichten. Aus der Nähe wirkten sie noch viel prunkvoller als aus der Ferne. Die Flachbauten bildeten einen Doppelring um die sich mächtig aufwölbenden Kuppeln, deren größte etwa fünfzig Meter hoch war. Wir eilten eine Steintreppe hoch, die zwischen den Flachbauten hindurch ins Zentrum der Anlage führte. »Glaubst du, daß hier jemand lebt?« – flüsterte Etonia. »Es ist so still.« Wir waren noch niemals in einer Stadt gewesen. Wir fühlten uns fremd und fürchteten, etwas Verbotenes zu tun. Jeden Augenblick, so meinten wir, müsse von irgendwoher eine strafende Hand auf uns herabfahren. Ich hatte mir genau gemerkt, wo der Fremde lag, und ich fand ihn auch ohne große Mühe. Er lag in unveränderter Haltung im Staub der Gasse, und als wir neben ihm niederknieten, sahen wir, daß er mit einem Energiestrahler getötet worden war. Der Brandfleck am Nacken war unverkennbar. »Du hast recht«, sagte Etonia entsetzt. »Zetter hat ihn umgebracht.« Sie blickte sich ängstlich um. Ich meinte, Schritte zu hören, die sich uns näherten.
»Er hat den Kopfschmuck gestohlen«, bemerkte ich. »Deshalb hat er ihn ermordet.« »Wozu?« fragte sie verständnislos. »Was will er damit?« »Ich weiß es nicht.« Wir konnten uns beide nicht erklären, weshalb Zetter die Edelsteinkrone an sich genommen hatte. Besitzdenken war uns vollkommen fremd. »Komm«, sagte ich. »Wir müssen weg. Wir werden es Gavro Yaal sagen. Der soll entscheiden.« »Meinst du nicht, daß er Bescheid weiß?« fragte sie, während wir uns eilig aus der Stadt zurückzogen. »Bestimmt nicht. Er mag ein Demagoge und ein Fanatiker sein, aber er ist anständig. Er will das Beste für uns. Ein Verbrecher ist er ganz sicher nicht.« Obwohl ich von diesen Worten überzeugt war, beobachtete ich Gavro Yaal genau, als wir ihm von dem Tod des Fremden berichteten. Ich sah ihm an, daß er entsetzt und empört war. Er rief nach Zetter, doch dieser befand sich nicht in der Nähe. »Kommt«, befahl er uns. »Zeigt mir den Toten.« Er führte uns zu einer Antigrav-Plattform und flog mit uns zu der geheimnisvollen Stadt hinter den Hügeln. Auf einem kleinen Platz zwischen den verwinkelten Gassen landeten wir. Bis zu der Stelle, an der der Tote gelegen hatte, waren es nur ein paar Schritte. »Ich sehe nichts«, sagte Gavro Yaal. »Wo ist er?« »Er war hier. An dieser Stelle«, beteuerte Etonia. Sie ließ sich auf die Knie sinken und suchte nach Spuren im Staub, fand jedoch keine. »Jemand muß ihn weggebracht haben.« Der Mann, der die SOL und die Solaner einer neuen Bestimmung zuführen wollte, verschränkte die Arme vor der Brust. »Hört mal zu, ihr beiden«, sagte er. »Ich weiß, daß Zetter ein schwieriger Bursche ist. Man hat mir berichtet, daß es zu Unstimmigkeiten gekommen ist. Mag sein, daß ihr Ärger mit ihm gehabt habt. Doch das geht mich nichts an. Macht das mit ihm aus.«
»Hier geht es um Mord an einem Fremden«, erregte Etonia sich. »Eben. Und da hört der Spaß auf. Das ist ein schwerwiegendes Verbrechen. Wer eine Anklage dieser Art erhebt, der muß klare Beweise haben. Ohne die Leiche ist nichts zu machen.« »Was willst du damit sagen?« fragte ich. »Das liegt doch auf der Hand«, erwiderte er. »Entweder ihr beschafft die Leiche, oder ihr haltet den Mund. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?« »Das hast du«, erklärte ich niedergeschlagen. Er flog mit uns zurück. »Ihr könnt die Plattform benutzen«, sagte er dann. »Damit seid ihr beweglicher.« Grußlos entfernte er sich. Wir sahen ihm nach und kamen uns erbärmlich vor. »Hätten wir doch nur den Mund gehalten«, sagte Etonia. »Zetter hat den Fremden in aller Ruhe wegschaffen können, als wir zum Lager gelaufen sind. Möglicherweise hat er ihn sogar mit einem Desintegrator zerstrahlt, so daß nichts mehr von ihm übriggeblieben ist. Dann haben wir überhaupt keine Beweise mehr gegen ihn.« »Komm«, schlug ich vor. »Wir suchen ihn.« »Wie stellst du dir das vor?« fragte sie, während ich startete. »Weiß ich nicht. Irgendwie. Warten wir ab, was sich ergibt.« Da sie keinen Einspruch erhob, flog ich zu der Stadt, in der das Verbrechen geschehen war.
4. Bericht: Histar Veysbal Die Stadt erfüllte uns mit Unbehagen, und wir wurden das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Deshalb verließen wir die Antigrav-Plattform nicht, sondern suchten auf ihr stehend und in wenigen Zentimetern Höhe schwebend die Stadt ab. Wir öffenten
Türen und blickten in prunkvoll eingerichtete Andachtsräume und in Gewölbe, die eine seltsame Ruhe ausstrahlten. Daß die gesamte Stadt so etwas wie eine riesige Kirche war, darüber waren wir uns längst einig. Wir vermuteten, daß der Ermordete ein Priester gewesen war. Von Zetter Gavro Olloss fanden wir keine Spur. »Er hat die Stadt längst verlassen«, sagte ich daher. »Es ist besser, wenn wir mit der Antigravplatte aufsteigen und uns aus der Höhe umsehen.« Etonia war sofort einverstanden. Sie schien froh darüber zu sein, daß ich den unheimlichen Ort verlassen wollte. Als wir kurz darauf bis in eine Höhe von etwa zweihundert Metern aufgestiegen waren, erkannten wir, daß wir uns über einer großen Insel befanden. Etonia schrie auf. Sie zeigte auf einen winzigen Punkt am Horizont. »Das muß er sein«, rief sie. »Das ist Zetter.« Ich brauchte einige Zeit, bis ich ihn entdeckte, aber dann war ich ganz sicher, daß er es wirklich war. Er flog ebenfalls mit einer Antigrav-Plattform, und ein unbestimmtes Gefühl sagte mir, daß die Bewohner dieses Planeten derartige Geräte nicht hatten. Ich beschleunigte und lenkte unser Fluggerät hinter ihm her. Etonia kauerte sich auf die Platte. Sie fühlte sich unsicher und hatte Angst, herunterzufallen. »Muß du so schnell fliegen?« klagte sie. »Wenn wir ihn einholen wollen, müssen wir uns schon beeilen«, erwiderte ich und verleugnete damit zugleich, daß mich eine Art Geschwindigkeitsrausch überkommen hatte. Gleichzeitig wuchs meine Begeisterung.. Was für ein Abenteuer, auf einem Planeten zu sein! Wie konnte Gavro Yaal überhaupt auf den Gedanken kommen, der Mensch sei auf dem Weg, ein Weltraumgeschöpf zu werden? »Es ist blödsinnig«, schrie ich in meiner Euphorie. »Absolut
blödsinnig.« »Wovon redest du?« »Von Gavro Yaal«, antwortete ich lachend. »Er ist ein vollkommener Idiot. Wie kann er nur auf den Gedanken kommen, daß der Mensch im Weltraum leben soll? Warum will er ihm so etwas Schönes vorenthalten? Die Leute von der SOL sollten einmal für ein paar Stunden auf diesen Planeten geschickt werden. Anschließend hätte Gavro Yaal keinen einzigen Anhänger mehr.« Unter uns wälzten sich riesige Fische in den Fluten. Ich schätzte, daß die größten von ihnen etwa dreißig Meter lang waren. Wir näherten uns einer Küste. Dunkle, dichtbewaldete Berge stiegen steil vor uns auf. Von Zetter Olloss war nichts zu sehen. Er mußte in eine der vielen Schluchten geflogen sein. In meiner überschießenden Freude über den Flug hatte ich nicht darauf geachtet, daß düstere Wolken aufgezogen waren. Und selbst, wenn ich es bemerkt hätte, wäre mir nicht bewußt geworden, was sie bedeuteten. Erscheinungen wie diese kannten wir auf der SOL nicht. Daher wurden Etonia und ich völlig überrascht, als der Himmel plötzlich seine Schleusen öffnete, und dichter Regen auf uns herabtrommelte. Die ersten Tropfeh nahm ich noch mit einiger Begeisterung auf, da ich nicht ahnte, was folgen würde. Doch dann prasselten die Wassermassen so heftig herab, daß Etonia und ich in wenigen Sekunden bis auf die Haut durchnäßt waren. Panik kam in uns auf. »Lande irgendwo«, rief das Mädchen mir zu. »Wir dürfen nicht länger oben bleiben.« Ich war hilflos und fürchtete, ertrinken zu müssen. Die Regentropfen schlugen mir ins Gesicht, so daß ich nur noch wenig erkennen konnte, und ich hatte das Verlangen, um mich zu schlagen, als ob ich damit das Wasser zurückdrängen könnte. Mit einem Mal kam mir Gavro Yaal gar nicht mehr idiotisch vor. Mir wurde bewußt, daß das Leben auf einem Planeten nicht nur mit Freuden, sondern auch mit Schrecken verbunden war. Dabei hatte
ich nicht die geringste Vorstellung davon, wie harmlos dieser Regen war. Das ging mir erst auf, als ich eine Art Grotte entdeckte, die so groß war, daß ich mit der Plattform hineinfliegen und in ihr landen konnte. Wir waren im Trockenen und konnten beobachten, wie wenige Meter von uns entfernt, das Wasser herabrauschte. »Sorgt denn hier niemand für das Wetter?« fragte Etonia, die sichtlich schockiert war. »Doch«, antwortete ich. Mittlerweile hatte ich mich recht gut von meinem Schrecken erholt. »Die Natur.« Sie blickte mich an, als habe sie nicht verstanden. Doch dann hellte sich ihr Gesicht auf, und sie begann zu lächeln. »Du meine Güte«, seufzte sie. »Ich habe total vergessen, daß wir nicht an Bord der SOL sind.« Wir starrten in den Regen hinaus und hingen unseren Gedanken nach. Das Unwetter hatte uns erschreckt. Dabei war es wohl harmlos. Wie aber mochte es sein, wenn ein Sturm über das Land tobte? Ich erinnerte mich an Filme, die ich gesehen hatte, in denen bei einem solchen Naturereignis Bäume entwurzelt und Häuser zerstört worden waren. Hatte es sich dabei um Übertreibungen gehandelt, oder gab es so etwas tatsächlich? Gab es Erdbeben und Vulkanausbrüche, Überflutungen und Gewitter, bei denen Menschen getötet wurden? Ich fühlte mich gar nicht mehr so wohl wie vorher. Die Euphorie war restlos verflogen, und Gavro Yaal kam mir wie ein überaus vernünftiger und weitsichtiger Mann vor. Wozu sein Leben in freier Natur riskieren, wenn es sich an Bord der SOL gefahrlos leben ließ? Hatten wir Solaner nicht den absolut logischen Schritt getan, weg von den Gefahren eines planetengebundenen Lebens und hin zu einer Existenz im Weltraum – dem höher entwickelten Homo sapiens würdig? Ich versuchte, Gedanken dieser Art abzuschalten, da ich mich in ihnen zu verstricken drohte. Ich konnte das alles gar nicht beurteilen. Ich war zu jung, und ich
kannte überhaupt nichts. Was hatte ich denn schon erlebt? Schönes Wetter und helle Begeisterung, danach Regen, verbunden mit Schrecken und Angst. Für eine wirkliche Beurteilung reichte das wohl kaum. »Gavro Yaal hat nicht recht«, sagte Etonia. »Er ist zu extrem. Ich glaube, daß Perry Rhodan den richtigen Weg beschreitet. Er führt die Menschen in das Universum hinaus, läßt ihnen aber als Basis die Planeten, damit sie auf ihnen leben können.« Bevor ich etwas darauf antworten konnte, glitten grüne Schemen auf uns zu. Sie waren so schnell, daß ich keine Einzelheiten erkannte. Die Kampfschulung half mir in diesen Sekunden überhaupt nichts, zumal ich viel zu langsam reagierte. Ein Hieb traf mich am Kopf, und ich stürzte bewußtlos zu Boden.
* Bericht: Zetter Olloss Histar Veysbal macht nur Schwierigkeiten, dachte ich erzürnt. Viel hätte wirklich nicht gefehlt, und er hätte Gavor Yaal die Leiche dieses Priesters zeigen können. Nun konnte ich die Edelsteine selbstverständlich nicht mehr an Bord bringen. Dabei hätte ich gute Geschäfte mit ihnen machen können. Viele Besatzungsmitglieder waren verrückt nach solchen Steinen, und sie waren bereit, mir dafür wertvolle Dienste zu leisten. Ich werde ein paar Tage warten müssen, bevor ich wieder irgend etwas mitnehmen kann, überlegte ich. Bis dahin hat sich Gavro Yaal bestimmt wieder beruhigt. So sehr ich mich auch über Histar Veysbal ärgerte, so schnell hatte ich ihn auch schon wieder vergessen, als ich mit meiner Antigravplattform das Festland erreicht hatte. Ich würde das Problem »Histar Veysbal« ohnehin bald gelöst haben. Er würde auf diesem Planeten bleiben, den die Eingeborenen »Unsere Welt
Zwzwko« nannten. Etonia würde auf die SOL zurückkehren. Dafür würde ich schon sorgen. Ich rechnete damit, daß sie sich mir danach noch einige Tage lang widersetzte, aber das erhöhte den Reiz des Spiels für mich nur noch. In den Schluchten der Berglandschaft an der Küste entdeckte ich schon bald, was ich suchte. Einen der grünhäutigen Eingeborenen. Der Kowallek war mit einem dieser verblüffend schnellen Hubschrauber auf einem Felsvorsprung gelandet. Von hier aus war er auf die Jagd nach den scheuen Bergböcken gegangen, die ich schon häufiger in dieser Gegend beobachtet hatte. Ich entdeckte ihn mitten in einem Geröllfeld. Lautlos landete ich etwa hundert Meter von ihm entfernt. Ich entsicherte meinen Energiestrahler und pirschte mich an ihn heran, wobei ich ihn ständig im Auge behielt. Ich wußte, wie gefährlich diese Grünen waren. Wenn sie die Flucht ergriffen, dann eilten sie mit solcher Geschwindigkeit davon, daß es nahezu unmöglich war, ihnen zu folgen. Und griffen sie an, mußte ich blitzartig reagieren, um ihnen zu begegnen. Mich faszinierte die Jagd auf die Eingeborenen. Sie löste geradezu ein Fieber in mir aus. Es war wie eine Sucht, der ich nachgeben mußte. Der Kowallek war nur noch etwa fünfzig Meter von mir entfernt. Er kauerte hinter einem Felsen und wartete darauf, daß eine Herde von sieben Bergböcken auf Schußweite herankam. Ich wußte, was ich mit dieser Jagd riskierte. Auf der einen Seite waren die Grünen so gefährlich, daß ich mit einer Niederlage rechnen mußte. Sie waren hervorragende Kämpfer, und ich war mir darüber klar, daß es niemals zu einem direkten Kampf mit ihnen kommen durfte. Ich mußte sie aus der Distanz erledigen. Auf der anderen Seite war ich sofort verloren, wenn Gavro Yaal etwas von meiner Leidenschaft erfuhr. Er ahnte nicht, daß ich Jagd auf die Grünen machte und schon mehr als einen von ihnen zur Strecke
gebracht hatte. Für so etwas hatte er kein Verständnis. Ich hob meinen Energiestrahler, den ich auf nadelfeine Emission justiert hatte, und zielte auf den Eingeborenen. Als ich ihn im Visier hatte, räusperte ich mich. Der Kowallek fuhr herum. Er war so überrascht, daß er wie gelähmt auf der Stelle verharrte. Ich schoß dicht an ihm vorbei, um ihm von Anfang an klar zu machen, um was es hier ging. Geblendet taumelte er zurück und versuchte dann, zwischen den Felsen Deckung zu finden. Ich sprang auf und eilte auf ihn zu. Die entscheidende Phase der Jagd hatte begonnen.
* Bericht: Histar Veysbal Als ich aus der Bewußtlosigkeit erwachte, war ich an Händen und Füßen gefesselt. Ich lag auf dem Boden der Grotte. Grüne, kleinwüchsige Gestalten umgaben mich. Sie entstammten ganz offensichtlich dem gleichen Volk wie der von Zetter ermordete Priester. Ihre Haut war durchgehend grün, hatte aber unterschiedliche Schattierungen – so waren beispielsweise die Augenhöhlen bei den meisten dunkelgrün, während Stirn und Nasenrücken besonders hell waren. Sie gestikulierten mit allen vier Armen und schienen äußerst erregt zu sein. Fast alle trugen Waffen in den Händen, die mich an die Gewehre erinnerten, welche auch die Menschen der früheren Epochen auf der Erde gehabt hatten. Die Kleidung der Eingeborenen war fremdartig und keineswegs von Bequemlichkeit bestimmt. Die Beine steckten in schweren Lederstiefeln, die ihnen bis weit über die Knie reichten. An diesen hingen Messer, Nadeln und verschiedene Schmuckstücke. Enge, schwarze Lederhosen schlossen sich darüber wie Panzer an, und
weite Blusen, die mit langen, bunten Fransen versehen waren, zierten die Oberkörper. Einige der Grünen hatten sich hohe Hüte, die wie Röhren aussahen, über den Kopf gestülpt. Ich wälzte mich herum, weil ich nach Etonia sehen wollte. Sie lag einige Meter von mir entfernt auf dem Boden, war ebenfalls gefesselt und wandte mir den Rücken zu, so daß ich nicht sehen konnte, ob sie die Augen offen hatte. »Etonia«, rief ich, doch sie reagierte nicht. Dagegen wurden die Fremden sofort aufmerksam. Bisher hatten sie mit hell klingenden Stimmen heftig auf einander eingeredet. Jetzt verstummten sie und wandten sich mir zu. Einer von ihnen kniete sich neben mich und blickte mich an. Ich versuchte ein Lächeln. »Hallo, Freund«, sagte ich. »Willst du mich nicht losbinden?« Er antwortete, aber ich verstand ihn nicht. Auch er hatte sicherlich nicht erfaßt, was ich vorgeschlagen hatte. Mir fiel ein, daß zur Antigravplattform auch ein Translator gehörte. Das Fluggerät stand nur wenige Schritte neben uns in der Grotte, und ich konnte davon ausgehen, daß die Positronik des Übersetzungsgeräts mittlerweile eine Reihe von Informationen aufgenommen hatte. Vielleicht war sogar schon eine Verständigung möglich? Ich deutete mit dem Kopf auf die Metallplatte. »Laß mich zu ihr«, bat ich. Er reagierte nicht. Um deutlich zu machen, was ich wollte, wälzte ich mich zur Seite auf die Flugmaschine zu. Doch damit war er nicht einverstanden. Er packte mich und riß mich zurück. Ich sah ein, daß ich mich in Geduld fassen mußte. Daher setzte ich mich auf, deutete auf mich und nannte meinen Namen. »Histar«, widerholte er, zeigte auf sich und sagte: »Auli-Phans.« »Auli-Phans! Das ist Etonia.« Ein altbekanntes Spiel entwickelte sich, bei dem es darum ging, ein Grundgerüst von Vokabeln zu schaffen, mit deren Hilfe wir uns verständlich machen konnten, und bei dem ein Mindestmaß von Vertrauen aufgebaut werden konnte.
Ich bildete mir tatsächlich ein, daß es mir gelang, Angst und Mißtrauen bei dem Grünen zu verringern, zumal Auli-Phans schließlich duldete, daß ich mich der Antigravplattform näherte. Ich griff danach, und das Translator-Modul schoß klickend heraus. Auli-Phans und seine Freunde spritzten auseinander. Bevor ich das Gerät in die Hand nehmen konnte, waren Etonia und ich allein in der Grotte. Ich warf mich herum und sah hinter einigen Felsen die Läufe der Gewehre hervorragen. Sie waren drohend auf mich gerichtet. »Hab keine Angst«, rief ich, und nach einer kleinen Pause übersetzte die Positronik meine Worte. »Dies ist keine Wafffe. Das Ding hier hilft mir nur, mich euch verständlich zu machen.« Auli-Phans kam hinter einem Felsen hervor. Ich erkannte ihn an den großen, schimmernden Spangen, mit denen er seine Stiefel verzierte. Er zielte mit der Schußwaffe auf mich. Vorsichtig legte ich den Translator zur Seite.
* Bericht: Zetter Olloss Ich feuerte. Der Energiestrahl schlug kaum einen Meter vor dem fliehenden Kowallek gegen einen Felsen. Glutflüssige Masse spritzte zu den Seiten weg. Mit schemenhaft schneller Bewegung setzte der Grüne zur Seite und verschwand hinter einigen Gesteinsbrocken. Ich wußte, daß er in der Falle saß. Von hier konnte er nicht flüchten, ohne daß ich ihn sah. Vorsichtig und mit angeschlagener Waffe pirschte ich mich an ihn heran, entschlossen, ihm den Fangschuß zu geben. Da stürzte er aus der Deckung hervor und griff mich an. Sein altertümliches Gewehr krachte, und während ich mich auf die Knie fallen ließ, flog ein Projektil jaulend an mir vorbei.
Ein grüner Schatten raste auf mich zu. Ich streckte ihm die Fäuste entgegen und wehrte ihn mit einer Serie von Faustschlägen ab. Der Kowallek erfaßte, daß er mich so nicht überwinden konnte, und er floh abermals. Ich nahm meine Waffe auf und zielte sorgfältig, doch ich war zu langsam. Ich kam nicht zum Schuß. Das Wild tauchte im Gewirr der Felsen unter, bevor ich es töten konnte. Ich raste hinterher, blind vor Jagdeifer, fand den Grünen jedoch nicht. Es schien, als hätten die Felsen ihn verschluckt. Enttäuscht blieb ich schließlich stehen. Er darf mir nicht entkommen, sagte ich mir. Es wäre nicht gut, wenn er in seinem Dorf – oder woher auch immer er kommt – erzählen kann, daß ich Jagd auf ihn gemacht habe. Durch irgendeinen dummen Zufall könnten sich Kontakte zwischen der SOL und diesen Kowalleks ergeben, und es wäre unangenehm, wenn sie Gavro Yaal von meinen Spielchen unterrichten würden. Ich kehrte zu meiner Antigravplattform zurück und stieg mit ihr auf, um das Gelände von oben ausspähen zu können. Zunächst suchte ich den Hubschrauber auf, mit dem der Grüne gekommen war. Vorsichtshalber errichtete ich eine Individualsphäre, und schon Sekunden später zeigte sich, wie wichtig diese Maßnahme war. Dieser kleine Teufel schoß auf mich. Aus sicherer Deckung heraus versuchte er, mich zu erledigen. Hart und erbarmungslos schlug ich zurück. Zuerst zerstörte ich den Hubschrauber, und dann wollte ich mir den Eingeborenen vornehmen. Er hätte keine Chance gehabt, wenn ich ihn gefunden hätte. Doch er war verschwunden. Fast eine Stunde lang durchkämmte ich das Gelände. Doch vergeblich.
5. Bericht: Histar Veysbal
»Ich habe keine Waffe«, beteuerte ich. »Dies ist ein Übersetzer. Weiter nichts.« Auli-Phans kam zögernd und voller Mißtrauen näher. Er schien darauf vorbereitet zu sein, beim ersten Anzeichen einer Gefahr sofort zu fliehen. »Ich habe nicht vor, dich anzugreifen«, erklärte ich. »Nur reden möchte ich mir dir.« »Wer bist du? Woher kommst du?« fragte er, und ich verstand ihn, weil der Translator mittlerweile so viele Informationen gesammelt hatte, daß er diese Worte übersetzen konnte. »Du siehst anders aus als wir.« »Ich bin nicht von diesem Planeten«, antwortete ich wahrheitsgemäß und beschrieb ihm das Raumschiff SOL. Die anderen Männer rückten an uns heran, um sich nichts entgehen zu lassen. Sie hatten den wahren Charakter des Translators erkannt und fürchteten sich nicht mehr vor ihm. Ich beobachtete sie, und mir wurde klar, daß sie eine zivilisatorische Entwicklungsstufe erreicht hatten, auf der die Technik bereits eine erhebliche Rolle spielte. Primitiv waren sie mit Sicherheit nicht. Konnten sie sich aber unter einem Raumschiff etwas vorstellen? »Wo seid ihr gelandet?« fragte Auli-Phans. Er hatte eine etwas dunklere Stimme als die anderen, und in seinen Augen lag eine gewisse Melancholie, die in mir Zuneigung erweckte. Er kam mir nicht so fremd vor wie die anderen. Mir war, als ob ich ihn schon lange kannte. »Auf einer Insel«, antwortete ich arglos. »Dort ist eine Stadt. So eine Art Kirchenstadt.« Ein Raunen ging durch die Gruppe der Grünen. Einige von ihnen schienen erschrocken zu sein, aber das bemerkte ich nur am Rande, ohne mir viel dabei zu denken. Ich konzentrierte mich ganz auf Auli-Phans und das, was er sagte. Einige der Fremden, die sich Kowalleks nannten, flüsterten
miteinander, und während ich Auli-Pahns noch beschrieb, daß wir wegen der Rohstoffe auf der Insel gelandet waren und nicht die Absicht gehabt hätten, Kontakte mit der Bevölkerung dieses Planeten zu pflegen, schob sich ein dicklich wirkender Grüner auf mich zu. Er griff nach meiner Schulter und packte mich so hart, daß ich schmerzgepeinigt zurückfuhr. »Frevler«, rief er anklagend. »Verbrecher. Dafür wirst du bezahlen. Der Tod ist dir sicher.« »Hört auf damit«, protestierte Auli-Phans. »Laßt ihn. Wir müssen mit ihm reden.« Doch plötzlich schien niemand außer ihm mit mir sprechen zu wollen. Sie drängten ihn zurück, rissen Etonia und mich hoch und schleppten uns zu einer Flugmaschine. Wir wehrten uns, doch wir konnten nichts gegen sie ausrichten. »Was ist denn in euch gefahren?« fragte ich, als Auli-Phans neben mir auftauchte, aber er schüttelte nur traurig den Kopf, ohne mir eine Auskunft zu geben. »Sie sind wütend, weil wir auf der Insel gelandet sind«, sagte Etonia, als der Hubschrauber rüttelnd und dröhnend startete. »Ich habe sie beobachtet. Als sie das von der Insel hörten, wurden sie wütend.« »Da muß aber noch mehr sein«, erwiderte ich. Der Motorenlärm wurde so laut, daß wir uns nicht mehr verständigen konnten. Daher schwiegen wir und warteten ab. Ich bedauerte, daß ich kein Funkgerät bei mir hatte. Da wir an Bord der SOL weder Funkgeräte noch Chronometer benötigten, war ich gar nicht auf den Gedanken gekommen, mich für die Expedition damit auszurüsten. Mittlerweile aber war mir klar geworden, daß ich zu naiv gewesen war. Zetter Olloss hatte mich getäuscht; und ich hatte nichts getan, um mich in irgendeiner Weise abzusichern. Wir flogen etwa drei Stunden, ohne daß ich erkennen konnte, in welche Richtung. Da Etonia und ich auf dem Boden der Maschine lagen, konnten wir auch von der Landschaft nichts sehen.
Unsere Situation wurde aussichtslos. Gavro Yaal wußte nicht, wohin wir uns gewandt hatten, und wir konnten auch nicht davon ausgehen, daß es ihm gelingen würde, unsere Spur aufzunehmen. Es gab ja keine Spur. Lediglich Zetter »Gavro« Olloss erfaßte möglicherweise, daß man Etonia und mich abtransportiert hatte, aber von ihm durfte ich ganz gewiß keine Hilfe erwarten. Ich zweifelte auch daran, daß er sich für Etonia in Gefahr begeben würde. Er interessierte sich für sie, aber bestimmt nicht so, daß er dafür seine eigene Sicherheit aufs Spiel setzte. Als wir gelandet waren, hoben uns die Kowalleks aus der Maschine und stellten uns auf die Füße. Die Fesseln nahmen sie uns nicht ab. Wir befanden uns in einem weiten Tal, das durch grün bewaldete Berge begrenzt wurde. Gleichmäßig eingefärbte Flächen an den Flanken der Berge zeugten von intensiver landwirtschaftlicher Bearbeitung der nutzbaren Böden. Mitten im Tal an einem breiten Strom erhob sich die Stadt, die unser Ziel war. Sie verbarg sich hinter einer mächtigen Mauer aus grün und rot lasierten Ziegeln. Unser Weg führte durch ein mit Abbildungen von fremdartigen Tieren geschmücktes Tor, das etwa zwanzig Meter breit und dreißig Meter hoch war. Angesichts der gewaltigen Verteidigungsanlagen erwarteten Etonia und ich, Soldaten auf den Zinnen der Mauer oder doch zumindest vor dem Stadttor zu sehen. Doch niemand schien sich bedroht zu fühlen. Hunderte von dröhnenden und knatternden Fahrzeugen fuhren hochbeladen an uns vorbei in die Stadt, und einige wenige kamen aus ihr hervor und rollten über schwarze Straßen davon. Die Kowalleks schoben uns in ein solches Fahrzeug, das in der Nähe unseres Landeplatzes geparkt hatte, und dann rollten wir rumpelnd und schaukelnd in die Stadt. Das primitive Gefährt wackelte teilweise so stark, daß wir glaubten, es werde umstürzten. Doch wir kamen ohne Zwischenfall bis zu einem etwa fünfzig Meter
hohen Turm, der aus gelben Ziegeln errichtet worden war. Hier zerrten uns die Grünen heraus. Sie führten uns in das Bauwerk. Durch kalte und kahle Gänge brachten sie uns zu einer Zelle, und bevor wir recht wußten, wie uns geschah, fiel eine Eisentür hinter uns zu. Ich warf mich gegen die Tür, als es mir nach einiger Zeit gelungen war, die Fesseln abzustreifen. »Verriegelt«, stellte ich danach niedergeschlagen fest. »Aus eigener Kraft kommen wir hier nicht heraus.« Ich befreite nun auch Etonia von ihren Fesseln, und wir suchten gemeinsam nach einem Ausweg. Schon bald waren wir uns darin einig, daß mein erster Eindruck richtig gewesen war. Wir benötigten Hilfe von außen. Woher aber sollte die kommen? Wer wußte denn schon, daß wir hier eingeschlossen waren? Wir überlegten und diskutierten, was wir tun sollten, und kamen doch zu keinem Ergebnis. »Wir müssen abwarten«, sagte ich schließlich. »Irgend etwas wird sich schon tun.« Etonia blickte mich lange schweigend an. Dann stiegen ihr Tränen in die Augen. »Und was ist, wenn sie uns für immer hier in der Zelle, lassen oder uns zum Tode verurteilen?« Mir gelang ein Lächeln, obwohl mir überhaupt nicht danach zumute war. »Warum sollten sie uns so hart bestrafen?« »Weil wir auf einer Insel gelandet sind, die für sie heilig ist. Und weil wir einen ihrer Priester ermordet haben.« »Ermordet? Wir doch nicht, Etonia.« »Glaubst du, es ist für sie ein Unterschied, ob Zetter es getan hat oder wir?« Es war kein Unterschied für sie.
* Auli-Phans kam am nächsten Tag zu uns. Er hatte den Translator bei sich, schaltete ihn jedoch zunächst nicht ein. Über Nacht schien er Interkosmo gelernt zu haben. Ich vermutete, daß er die Möglichkeiten, die ihm das Übersetzungsgerät bot, optimal genutzt hatte. »Setzt euch«, bat er uns, nachdem wir ihn begrüßt hatten. »Man hat mir erlaubt, mit euch zu reden.« Etonia und ich ließen uns auf den Steinboden sinken. »Warum sperrt man uns ein?« fragte sie. »Wir sind nicht eure Feinde. Wir sind als Freunde hier.« »Der Richter ist zu einem anderen Ergebnis gekommen«, antwortete er. »Der Richter?« Ich fühlte einen unangenehmen Druck auf den Magen. »Der Richter«, bestätigte er ernst. »Dann sind wir verurteilt worden?« rief Etonia erschrocken. »Wofür?« »Der Richter hat euch beide zum Tode verurteilt«, erklärte er und senkte den Kopf. Etonia begann zu weinen. Mir schnürte sich der Hals zu. Eine grauenhafte Angst überkam mich. »Das darf nicht wahr sein«, würgte ich hervor. »Wieso? Was haben wir getan?« »Ihr habt die heilige Insel betreten«, antwortete er, und er nahm nun vorsichtshalber den Translator zur Hilfe, um sicher sein zu können, daß wir ihn richtig verstanden. »Die Insel ist verbotenes Land. Nur ein Priester darf dort leben. Niemand sonst. Wer das Verbot mißachtet, muß sterben.« »Aber wir haben doch gar nicht gewußt, was mit dieser Insel ist«, protestierte ich. »Ja – wenn es nur die Insel allein wäre!« seufzte er.
»Was ist denn noch?« fragte Etonia mit tonloser Stimme. »Ihr habt Jagd auf Männer unseres Volkes gemacht, so als ob es Tiere wären, und ihr habt sie getötet. Wir haben die Leichen gefunden.« »Nein. Das ist nicht wahr«, rief ich. »Leider doch«, entgegnete er. »Ich komme gerade von den Toten. Sie liegen ebenfalls hier im Turm. Sie sind mit Waffen ermordet worden, die es bei uns gar nicht gibt. Sie haben tödliche Verbrennungen.« »Zetter Ollos«, stammelte Etonia entsetzt. »Dieser Mörder!« Mir wurde das ganze Ausmaß seines Verbrechens bewußt. Es war so ungeheuerlich, was Zetter Olloss getan hatte, daß wir keine Gnade erhoffen durften. Niemand konnte ein derartiges Verbrechen verzeihen. »Wir haben nichts damit zu tun«, beteuerte Etonia verzweifelt. »Wir wissen, wer es getan hat. Es war Zetter Olloss, wir nicht. Wir werden euch den Täter bringen, wenn ihr uns die Möglichkeit dazu gebt.« »Warum sagst du das?« forschte Auli-Phans. Er kauerte sich vor ihr auf den Boden und musterte sie wißbegierig. »Welche Bedeutung hat das für dich?« Etonia verstand ihn nicht. Sie wußte nicht, was er meinte. »Leben oder Tod«, antwortete ich für sie. »Schuld oder Unschuld. Wir sind unschuldig, aber wir werden euch den Schuldigen übergeben.« »Ihr seid alle mit dem Raumschiff gekommen. Ihr habt die Insel betreten, und einer von euch hat die Morde begangen. Die Schuld trifft euch nach unserem Gesetz alle. Es ist unbedeutend für uns, wer von euch geschossen hat. Es war einer von euch, und unsere Justiz nimmt sich einen von euch, irgendeinen, und vollzieht ihre Rache an ihm.« »Man hat uns nicht angehört«, protestierte ich. »Will denn niemand wissen, was wir dazu zu sagen haben? Geht es euch nicht
um die Wahrheit?« Die Augen des Kowalleks leuchteten auf. »Bei eurem Volk fragt man auch die Angeklagten?« »Natürlich. Das ist doch selbstverständlich.« »Aber in diesem Fall ist es ganz einfach für den Richter. Ihr habt uns das Verbrechen gestanden.« »Das Verbrechen hat allein Zetter Olloss begangen«, widersprach ich. »Wenn ihr uns dafür bestraft, ihn aber gehen laßt, dann habt ihr euch zwar gerächt, aber nicht verhindert, daß er weitere Verbrechen dieser Art begeht. Und sollte das nicht die wirkliche Aufgabe der Justiz sein?« Auli-Phans sprang auf. »Ich muß mehr davon hören«, rief er. »Erzählt mir von euren Gesetzen. Von eurem Rechtswesen.« »Wozu?« fragte Etonia verbittert. »Ihr wollt uns töten. Warum willst du unter solchen Umständen noch über diese Dinge mit uns reden?« »Ich muß genau wissen, wie euer Rechtswesen ist, und wie es sich von unserem unterscheidet. Ich kämpfe schon lange für eine Reform, aber nur wenige hören auf mich. Die meisten fürchten, das Ende unserer Zivilisation und Kultur sei gekommen, wenn wir von den bisherigen Prinzipien unseres Rechtswesens, also beispielsweise von dem Prinzip der Kollektivschuld, abweichen.« »Genau das Gegenteil ist der Fall«, betonte ich. »Eure Kultur kann sich erst zum Besseren hin entwickeln, wenn ihr von derartigen Prinzipien abrückt.« »Ich muß mehr wissen«, drängte der Grüne. »Ich muß alles wissen.« »Was wirst du tun, wenn wir dir unser Rechtswesen beschrieben haben?« fragte Etonia. Sie war nüchtern und beherrscht genug in dieser Situation, auf eine mögliche Befreiung hinzuarbeiten. Auli-Phans erfaßte, was sie von ihm wollte. Er hob beruhigend seine vier Arme.
»Ich werde euch befreien«, versprach er. »Ich werde euch in Sicherheit bringen, und dann werde ich meinem Volk berichten, daß es andere und höherentwickelte Kulturen als unsere gibt, die ein anderes Rechtswesen als wir entwickelt haben.« »Du meinst es ehrlich?« forschte Etonia. »Du kannst dich auf mich verlassen. Noch in dieser Nacht werden meine Freunde und ich euch herausholen und zur Insel bringen. Wir werden den tatsächlichen Mörder jagen, bis wir ihn haben. Und danach werden wir das Rechtswesen in unserem Staat reformieren.« »Man wird uns verfolgen«, gab ich zu bedenken. Auli-Phans lächelte. »Das geschieht ohnehin.« Er blickte erst Etonia, dann mich an. »Das Todesurteil lautet: Die gleiche Tat!« »Wie soll ich das verstehen?« fragte Etonia. »Der Mörder hat Jagd auf Männer unseres Volkes gemacht, so als ob sie Wild wären. Morgen nach Anbruch der Dämmerung werden die Kowalleks Jagd auf euch beide machen, als ob ihr Wild wäret. Das Urteil ist vollstreckt, wenn ihr tot seid.« Etonia schlug die Hände vor das Gesicht, und auch ich war unfähig, irgend etwas zu sagen. Wir beide konnten uns vorstellen, was eine solche Hatz für uns bedeutete. Wir waren absolut chancenlos. »Beruhigt euch«, bat der Grüne. »Meine Freunde und ich kämpfen für ein neues Recht. Unsere erste Tat wird sein, euch vor dem alten und überholten Recht zu schützen. Das sind wir uns selbst schuldig.« »Aber eines bleibt: Wir haben die heilige Insel betreten.« »Für viele meines Volkes ist sie tatsächlich ein Heiligtum. Für mich nicht. Außerdem habt ihr nicht gewußt, daß sie für euch verboten ist.« »Du würdest uns also verzeihen?« Etonia legte ihm flehend eine Hand auf den Arm. »Euch ja, nicht aber dem Mörder.«
»Das sollst du auch gar nicht.« Er ging zur Tür und klopfte energisch dagegen. »Wartet«, sagte er dann zu uns. »Heute nacht holen wir euch. Seid dann leise. Stellt keine Fragen. Geht mit uns und beeilt euch. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Man wird unsere Flucht bald bemerken. Das läßt sich nicht vermeiden. Je größer unser Vorsprung dann ist, desto besser.« »Danke«, flüsterte Etonia. »Das werden wir dir niemals vergessen.« Ein Wächter öffnete die Tür, und Auli-Phans entfernte sich grußlos. Etonia sank mir in die Arme. Sie schluchzte, und ich strich ihr tröstend über das Haar. »Wenn ich das geahnt hätte, wäre ich in der SOL geblieben«, sagte sie. »Es wird alles gut werden«, erwiderte ich, und ich war überzeugt davon, daß wir es tatsächlich schaffen würden, wohlbehalten in die SOL zurückzukehren.
6. Bericht: Histar Veysbal Durch ein winziges Fenster fiel ein wenig Licht in die Zelle, in der wir gefangen waren. So konnten wir nicht nur abschätzen, wie spät es war, sondern wir nahmen auch Geräusche von außen wahr. Diese verrieten uns, daß die Lage für uns immer bedrohlicher wurde. Eine ständig wachsende Menge versammelte sich draußen vor unserem Gefängnis. Sie machte ihrem Zorn in lauten Rufen Luft, und sie machte zugleich deutlich, daß es Auli-Phans immer schwerer werden würde, uns zu befreien, je mehr Zeit verging. »Ich weiß nicht, wie er es anstellen will«, sagte Etonia, die in einer Ecke der Zelle kauerte und mit großen Augen ein spinnenähnliches Insekt beobachtete, das aus einem Riß in der Mauer
hervorgekrochen war. Das Tier war so groß wie eine Kinderhand und hatte einen langen, bedrohlich wirkenden Dorn, den es weit vorstreckte. »Hister«, flüsterte sie, unfähig sich zu bewegen. »Die Spinne. Ich habe Angst.« Ich ging zu ihr. Augenblicklich fuhr das Tier herum, und ich meinte, in seinem schwarzen Fell winzige Augen erkennen zu können, die mich böse anstarrten. Ruhig faßte ich Etonia bei der Hand und zog sie zu mir heran. »Töte sie«, flehte sie mich an. »Bitte.« Ich schüttelte den Kopf. »Lieber nicht.« »Warum nicht? Vielleicht sticht sie uns. Sie ist gefährlich.« »Unsere Lage ist schon schlecht genug. Wenn wir jetzt auch noch ein Tier töten, das von den Kowalleks womöglich als heilig angesehen wird, hilft uns niemand mehr.« Sie klammerte sich an mich, und ich fühlte, wie sie zitterte. Ich gab jedoch nicht nach. Wir wußten nichts von diesem Insekt. Vielleicht stand es bei den Grünen tatsächlich in hohem Ansehen. Wir durften nichts riskieren. Wir hatten nur noch eine verschwindend geringe Hoffnung, und jeder Fehler konnte tödlich sein. Die Stunden vergingen. Allmählich dämmerte es. Wir standen an der Wand und beobachteten das häßliche Insekt, das sich nicht von der Stelle bewegte und hin und wieder leise zischte. Als es so dunkel geworden war, daß wir kaum noch etwas erkennen konnten, öffnete sich die Tür und ein bewaffneter Wärter kam mit einer Fackel herein. Er entdeckte das spinnenähnliche Insekt, schrie auf und griff es augenblicklich mit der Fackel an. Es ließ sich auf den Boden fallen und rannte mit ausgestrecktem Dorn auf ihn zu. Blitzschnell stemmte er die Fackel gegen das Insekt und hielt es damit fest, bis es verbrannt war. »Warum habt ihr nichts gesagt?« fragte er in schwer verständlichem Interkosmo. »Das kleine Ungeheuer hätte euch
umbringen können.« Er beförderte die Reste des Insekts mit dem Fuß auf den Gang hinaus und steckte die Fackel in eine Halterung an der Wand. Etonia drückte meine Hand. Sie machte mir keinen Vorwurf. »Gut, daß du nichts unternommen hast«, bemerkte sie vielmehr. »Vielleicht hätte es deine Fußsohlen durchstochen.« Mir lief es kalt über den Rücken, und ich erschauerte bei dem Gedanken daran, was hätte passieren können. Gefahren solcher Art gab es an Bord der SOL nicht, aber dennoch hatte ich meine Meinung über die Bestimmung der Menschen nicht geändert. Von nun an hielten Etonia und ich uns ständig in der Nähe der Fackel auf, um diese notfalls als Waffe einsetzen zu können, falls abermals ein Tier auftauchen und uns bedrohen sollte. Die Rufe der Menge vor dem Gefängnis wurden lauter. Die Kowalleks forderten unseren Kopf. Etwa zwei Stunden mochten seit Einbruch der Dämmerung vergangen sein, als wir plötzlich ein Poltern vor der Tür unserer Zelle wahrnahmen. »Es geht los«, flüsterte Etonia. Ich nahm die Fackel an mich und stellte mich neben der Tür auf. Schritte näherten sich. Dann scharrte etwas. Die Riegel glitten zurück, und Auli-Phans öffnete. »Schnell«, wisperte er. Hinter ihm standen mehrere Grüne, die alle mit Messern bewaffnet waren. Sie traten zur Seite und machten uns Platz. »Meine Freunde«, erklärte Auli-Phans. »Sie kommen mit uns.« Wir rannten den Gang hinunter. Ich sah mehrere Kowalleks auf dem Boden liegen. Sie rührten sich nicht. Ich vermutete, daß sie bewußtlos waren. Sichtbare Verletzungen wiesen sie nicht auf. An einer Tür erwartete uns ein weiterer Helfer. »Die Treppe hinunter«, flüsterte er uns in erstaunlich gutem Interkosmo zu.
Auli-Phans lief voran, und als ich zurückblickte, sah ich, daß sich uns etwa fünfzehn Grüne anschlossen. Mit einer so großen Gruppe hatte ich nicht gerechnet. Je mehr wir jedoch waren, desto günstiger schienen unsere Aussichten zu sein, die Küste oder vielleicht gar die Insel zu erreichen. Aus einem Wachraum stürzten uns zwei bewaffnete Wächter entgegen. Sie kamen jedoch nicht dazu, ihre Waffen gegen uns einzusetzen. Auli-Phans überwand sie so schnell, daß ich seine Bewegungen kaum verfolgen konnte. Er schlug sie mit Hieben nieder, die er gegen die Köpfe der Wächter führte. Einige Helfer rannten an uns vorbei und brachen eine schwere Eisentür auf. Danach hörten wir das wütende Gebrüll der Menge noch viel deutlicher. Es kam aus nächster Nähe. Auli-Phans hielt mich am Arm fest. »Vorsicht«, warnte er. »Sie sind wie verrückt. Die Priester haben sie aufgehetzt. Sie wollen die Jagd schon jetzt eröffnen. Wenn sie merken, daß ihr aus diesem Gefängnis entkommen seid, schlagen sie Alarm, und dann werden euch Hunderttausende verfolgen.« Wir waren uns dessen bewußt, daß uns niemand sehen durfte. Doch wir konnten nicht mehr als vorsichtig sein. Etonia und ich waren größer als die Kowalleks, von denen die meisten uns kaum bis an die Schultern reichten. Daher mußten wir jedem auffallen, der uns sah. Die Luft war lau und angenehm. Endlich hatten wir wieder das Gefühl, frei atmen zu können, als wir durch die Eisentür hinaustraten. Auli-Phans führte uns in eine dunkle Gasse hinein, durch die wir das Gefängnis in weitem Bogen umgingen, so daß wir bald in den Rücken der Menge gerieten, die sich vor dem Gebäude versammelt hatte und unseren Tod forderte. Auli-Phans und seine Freunde gingen langsamer, als in der Dunkelheit eine Säule vor uns aufwuchs. »Duckt euch«, befahl er uns. »Da vorn sind Wachen.«
»Können wir sie nicht umgehen?« fragte Etonia. »Wachen sind überall«, antwortete er. »Sie bilden einen Ring rund um dieses Gebiet.« Wir machten uns kleiner und versuchten, in der Gruppe unterzutauchen. Lautlos schlichen wir voran. Und dann sahen wir fünf mit Gewehren bewaffnete Männer, die golden schimmernde Uniformen trugen, im Lichtschein von elektrischen Lampen stehen. Auli-Phans ging auf sie zu und hob grüßend einen Arm. Sie ließen sich für einen kurzen Moment ablenken. Dann waren die anderen Kowalleks auch schon heran und warfen sich auf sie. Ein wildes Handgemenge entstand, in dem einer der Wächter seine Waffe abfeuern konnte. Der Knall erschien mir wie ein Donnerschlag, und ich meinte, er müsse die Bewohner der ganzen Stadt auf wekken. »Nehmt die Gewehre an euch«, rief Auli-Phans in Interkosmo, aber er meinte nicht uns, sondern seine Freunde. Zusammen mit ihnen flüchteten wir in die Dunkelheit, während hinter uns überall Lichter aufflammten. Irgend jemand stieß eine Reihe von schrillen Pfiffen aus und schreckte damit die Bewohner der Häuser auf. Sekunden später heulte eine Sirene in der Gegnend, in der das Gefängnis lag, und die Kowalleks redeten erregt aufeinander ein. Mehrere von ihnen schienen aufgeben zu wollen. »Weiter«, drängte Auli-Phans. »Sie wollen uns aufhalten und unsicher machen.« Wie groß sein Einfluß war, wurde in diesen Sekunden deutlich. Mit diesen wenigen erklärenden Worten erstickte er jeglichen Widerstand. Seine Freunde folgten ihm, als sei nichts vorgefallen. Auli-Phans blickte zu mir hoch. »Paß auf«, flüsterte er. »Wir kommen gleich am Steinernen Kopf vorbei.« Er schien davon auszugehen, daß ich wußte, was er damit sagen wollte. Doch ich kannte die Bedeutung dieses »Steinernen Kopfes« nicht. »Was ist so gefährlich daran?« fragte ich.
»Wir müssen schnell sein. Sehr schnell. Es heißt, daß die Augen sehen und daß ihre Blicke töten können.« Ich glaubte mich verhört zu haben. Mitten in der Stadt sollte es eine Einrichtung geben, mit der die Kowalleks schon lange lebten, deren Eigenschaften sie aber dennoch nicht genau kannten? »Gibt es keinen anderen Weg?« fragte Etonia. »Nein. Wir müssen am Steinernen Kopf vorbei.« »Keine Sorge«, wisperte ich ihr zu. »Es wird schon nicht so schlimm werden, wahrscheinlich ist an diesem Kopf überhaupt nichts dran.« »Es ist so dunkel«, klagte sie. »Ich kann die Sterne nicht sehen.« Ich stutzte. Dann aber blickte ich zum Himmel hoch. Düstere Wolken verwehrten mir den Blick zu den Sternen, und ich begriff, was Etonia meinte. Ich mußte daran denken, wie wir mit anderen Jungen und Mädchen zusammen in einer der Schleusen der SOL gesessen und zu den Sternen hinausgesehen hatten. Wir hatten dieses unfaßbar schöne Bild in uns aufgenommen und aus ihm unsere Kraft geschöpft. Der Mensch ist kein Geschöpf des Weltraums, dachte ich, aber er ist auch nicht dafür geschaffen, nur immer auf einem Planeten zu leben. Er braucht den Anblick der Sterne, so wie er sich ihm nur in der Leere des Weltraums bietet. »Da ist er«, flüsterte Etonia. Siedeutete nach vorn, und jetzt sah auch ich die dunklen Umrisse eines Kopfes, der etwa fünf Meter hoch war. Deutlich hob sich ein menschlich erscheinendes Profil von dem Hintergrund eines schwach beleuchteten Hauses ab. Enige dunkle Gestalten hasteten über den Platz. »Dort drüben sind sie«, rief einer von ihnen. »Beim Speicherhaus.« »Sie meinen uns«, stellte Etonia fest. »Perry – es tut mir leid, aber ich glaube nicht daran, daß wir es schaffen können.« Ein leichter Nieselregen setzte ein. Ich vernahm die lockenden
Rufe vieler Tiere, die in und unter den Bäumen und Büschen, zwischen den Häusern lebten. Irgendwo in der Ferne blitzte es auf, und ein bedrohliches Donnergrollen erschreckte uns. Wenige Schritte neben uns fiel krachend eine Tür ins Schloß, und die Stimmen eines Mannes und einer Frau, die sich erbittert stritten, hallten zu uns herüber. »Es geht los«, sagte Auli-Phans leise. »Lauft so schnell ihr könnt. Sonst kommt ihr nicht vorbei.« Unwillkürlich duckten wir uns, faßten uns bei den Händen und rannten los. Meine Blicke waren starr auf die Augen des Steineren Kopfes gerichtet. Was war dieser Kopf? Ein Machtinstrument? Oder beruhte die Furcht der Kowalleks vor ihm auf Aberglauben? Ich sah, wie die Augen des Steinkopfes sich erhellten. Eben waren sie noch im Schatten der Augenhöhlen verborgen gewesen, jetzt leuchteten sie auf und waren als große Ovale deutlich zu erkennen. Ich hatte das Gefühl, daß sich mich fixierten. Etonia stöhnte gequält auf. »Diese Augen«, keuchte sie. »Sie tun mir weh. Mein Kopf.« Einer der Kowalleks blieb überraschend stehen. Er hob die vier Arme, ging dann einige Schritte auf den Steinernen Kopf zu, krümmte sich wie unter großen Schmerzen zusammen und stürzte lautlos zu Boden. Etonia und ich zögerten. Auli-Phans stieß uns nach vorn. »Weiter«, schrie er. »Ihr könnt ihm nicht helfen.« Wir rannten an dem Kopf vorbei und retteten uns in die Dunkelheit. »Ist er tot?« fragte Etonia stammelnd. »Ja«, bestätigte Auli-Phans mit tonloser Stimme. »Die Blicke des Steinernen töten. Seid froh, daß ihr es geschafft habt.« »Wer ist der Steinerne?« wollte Etonia wissen. »Das kann ich dir nicht beantworten. Der Kopf war schon an
dieser Stelle, bevor die Stadt errichtet wurde. Warum? Niemand weiß es heute noch.« »Tötet der Steinerne jeden, der ihm über den Weg läuft?« »Nein. Natürlich nicht. Er greift nur die Feinde der Stadt an – oder besser, diejenigen, die von der Stadt zu Feinden erklärt werden. So wie wir.« Ich war sicher, daß die Wissenschaftler der SOL herausfinden würden, was das Geheimnis des Steinernen Kopfes war, doch ich glaubte nicht daran, daß es jemals zu einer wissenschaftlichen Untersuchung des Kopfes kommen würde. Wir konnten froh sein, wenn es uns gelang, zur SOL zurückzukehren. Ob es danach zu einer Zusammenarbeit mit den Kowalleks kommen würde, erschien mir mehr als fragwürdig. Es regnete immer stärker, und bald war von den Stimmen der Tiere nichts mehr zu hören. Nur noch das Rauschen des herabfallenden Wassers begleitete uns durch die Dunkelheit. Hin und wieder hörten wir die Rufe der Grünen, die uns in einem anderen Teil der Stadt suchten. Ich begriff, daß Auli-Phans einen Fluchtweg eingeschlagen hatte, der besonders gefährlich war. Offensichtlich konnte sich niemand vorstellen, daß wir ausgerechnet ihn gewählt hatten. Wir erreichten das Ufer des Flusses. Schwach leuchteten die Lichter von Straßenlaternen vom anderen Ufer zu uns herüber. Ich schätzte, daß sie wenigstens hundertfünfzig Meter von uns entfernt waren. »Wie geht es weiter?« fragte Etonia beunruhigt. »Wir können doch unmöglich schwimmen.« Auli-Phans winkte uns zu sich heran. Am Ufer lag ein großer Haufen aus Schilf und Geäst, der mit der Strömung herangetrieben war. Ich sah ähnliche Inseln, die träge den Fluß hinabschwammen. »Steigt ein«, forderte der Kowallek uns auf. »Schnell.« Er zeigte uns eine Öffnung in dem Haufen, der etwa anderthalb Meter über die Wasseroberfläche hinausragte und sicherlich fünf
Meter breit war. Ich sah das Licht einer Taschenlampe aufleuchten und erkannte, daß sich unter dem Gewirr der Äste und Gräser ein Schwimmkörper verbarg, der so groß war, daß wir uns alle darin verstecken konnten. Etonia und ich krochen hinein und kauerten uns auf den Boden, der aus rauhen Holzbohlen bestand. Auli-Phans und seine Freunde folgten uns, und jetzt wurde es eng. Wir mußten zusammenrücken. »Hoffentlich gehen wir nicht unter«, sagte Etonia besorgt. Unser Befreier lachte. »Keine Angst«, rief er. »Das Ding ist mit Luftkammern versehen. Wir könnten bis ins Meer schwimmen, wenn der Fluß das erlauben würde.« Einer der Männer stieß uns vom Ufer ab, und wir trieben auf den Strom hinaus. »Wir müssen unter zwei Brücken hindurch«, erläuterte AuliPhans. »Zwei von uns liegen oben in den Ästen. Sie steuern die Insel.« Es wurde still. Nur das Trommeln der Regentropfen, die auf unsere schwimmende Insel prasselten, begleitete uns. Dann aber vernahmen wir die Rufe unserer Verfolger, und vereinzelte Schüsse fielen. »In der Stadt ist die Hölle los«, sagte Auli-Phans. »Bald werden sie sich gegenseitig die Köpfe einschlagen, aber uns werden sie nicht finden.« Abermals krachten mehrere Schüsse. Wir hörten, wie die Kugeln über uns in die Äste schlugen, und einer der Männer stöhnte gepeinigt auf. »Ich bin getroffen«, sagte er mit gepreßter Stimme. Er schien starke Schmerzen zu haben, sprach aber dennoch Interkosmo. Die Kowalleks schienen großen Wert darauf zu legen, daß wir sie verstanden. »Holt mich 'rein.« Oder irrte ich mich? Hatten sie beschlossen, nur noch in Interkosmo miteinander zu
reden, ganz gleich unter welchen Umständen, damit sie die Sprache beherrschten, sobald sie an Bord der SOL waren? Ging es ihnen nicht in erster Linie um uns, sondern um die SOL? Ich wies diesen Gedanken weit von mir. Er war absurd. Die Grünen konnten unser Raumschiff unter gar keinen Umständen mit einer Handvoll Männer erobern. Wir prallten gegen ein Hindernis. »Wartet«, befahl Auli-Phans. »Wir sind an einem Brückenpfeiler. Es geht gleich weiter.« Unendlich langsam setzte sich die Insel wieder in Bewegung. Die Zweige über uns glitten raschelnd am Gestein entlang. »Feuert blindlings in die Grasinseln hinein«, befahl jemand, der nicht weit von uns entfernt sein konnte. »Vielleicht verstecken sie sich darin und versuchen, auf diese Weise zu flüchten.« Schüsse aus mehreren Gewehren krachten. Kugeln flogen heulend durch die Luft und schlugen klatschend sins Wasser. Doch keine von ihnen traf unser Floß. Auli-Phans ließ jetzt eine Luke öffnen. Er zog den Verletzten herein, der mittlerweile das Bewußtsein verloren hatte, und zwei andere Männer verbanden die Wunde, die er in der Brust hatte. Nun gerieten wir offenbar in eine schnellere Strömung, denn die Stimmen der Wächter und das Krachen der Schüsse blieben rasch hinter uns zurück. »Wir haben es geschafft«, sagte Auli-Phans einige Minuten später. »Wir haben die Stadt verlassen.« Ich lehnte mich erleichtert zurück. Etonia legte ihren Kopf an meine Schulter. »Du«, flüsterte sie. »Jetzt glaube ich auch, daß wir durchkommen.«
* Bericht: Zetter Olloss
Die Station schien verlassen zu sein, aber ich wußte, daß sie es nicht war. Die Grünen warteten auf mich. Ich war wohl ein wenig zu unvorsichtig gewesen, denn die Eingeborenen, die sich Kowalleks nannten, waren nervös geworden. Sie wußten, daß wir aus dem Weltraum kamen. Das konnte nur Histar Veysbal ihnen verraten haben. Und sie schoben mir die Toten in die Schuhe. Womit sie nicht ganz unrecht hatten. Unangenehm war nur, daß sie offenbar vorhatten, mit uns Verbindung aufzunehmen. Ich hatte einige Funksprüche aufgefangen, die das vermuten ließen. Den Sender hatte ich angepeilt. Er lag mitten in den Bergen – mitten in meinem Jagdgebiet. Natürlich konnte ich nicht zulassen, daß sie mit Gavro Yaal sprachen. Während ich noch überlegte, wie ich die Station angreifen sollte, bemerkte ich eine Bewegung zwischen den Büschen. Einer der Grünen lag dort. Er hatte ein Gewehr. Eine Falle also, dachte ich. Sie denken gar nicht daran, mit der SOL zu sprechen, und auch Gavro Yaal hat nichts mit ihnen im Sinn. Ich verzichtete auf den Kampf mit den Eingeborenen und schoß nur auf die Antenne, die sich auf dem Dach der Station befand. Damit nahm ich den Kowalleks die Möglichkeit, unsere Leute bei den Arbeiten auf der Insel zu stören. Wütendes Gewehrfeuer antwortete mir. Ich lachte. Überall zwischen den Felsen lagen Grüne und schossen auf mich. Sie richteten jedoch nichts gegen mich aus, da die Projektile aus ihren Waffen den Individualschirm nicht durchschlagen konnten. Ich flog zu der Grotte zurück, in der ich die Antigravplattform Histar Veysbal gefunden hatte. Für mich war sicher, daß der Junge und das Mädchen hier von den Grünen überfallen worden waren, und ich vermutete, daß man die beiden in die Stadt am Fluß entführt hatte. Mir war egal, was aus Histar Veysbal wurde, aber ich war sicher, daß ich keine Schwierigkeiten mehr mit dem Mädchen haben würde, wenn ich sie befreite.
Ich sah mich kurz in der Höhle um und machte das Fluggerät Veysbals startklar. Ich jagte es gegen eine Felswand und zerstörte es damit. Dann startete ich und flog zu der Stadt am Fluß. Es war die größte Ansiedlung im Umkreis von mehreren hundert Kilometern, und für mich stand außer Zweifel, daß Etonia dort war. Ich erreichte die Stadt nach Einbruch der Dunkelheit. Das war mir durchaus recht, denn nun konnte ich niedrig über den Dächern der Stadt fliegend suchen. Es begann zu regnen, aber auch das störte mich nicht, da ich durch den Energieschirm ausreichend geschützt wurde. In der Stadt herrschte lebhaftes Treiben. Uniformierte rannten durch die Straßen und Gassen. Völlig klar, dachte ich. Die beiden sind geflohen. Man sucht sie. Der Ausbruch der Gefangenen schien erst vor kurzer Zeit erfolgt zu sein, denn immer mehr Kowalleks kamen aus den Häusern und schlossen sich den Suchenden an. Schüsse fielen in verschiedenen Teilen der Stadt, und sie zeigten mir an, daß man noch nicht wußte, wohin Veysbal und Etonia sich gewandt hatten. Ich raste kreuz und quer über die Stadt, ohne zunächst eine Spur zu finden. Ich sah, daß die Tore scharf bewacht wurden, und kam zu dem Schluß, daß niemand sie gegen den Willen der Wachen passieren konnte. Es geht nur über den Fluß, erkannte ich schließlich, während ich etwa hundert Meter über einer der Brücken schwebte. Ich saß mit untergeschlagenen Beinen auf der AG-Plattform und beobachtete belustigt einige Hubschrauber, die kaum fünfzig Meter an mir vorbeiflogen. Ob die Piloten ahnten, daß ich in der Nähe war? Und was sie wohl getan hätten, wenn sie mich entdeckt hätten? Ich ließ mein Fluggerät absinken und folgte dem Strom in Richtung Meer. Nur dorthin konnten Veysbal und das Mädchen geflohen sein. Als ich die letzte Brücke überquerte, zeichente sich ein Wärmeimpuls auf dem Monitorschirm der Infrarotortung ab.
Ich lächelte. Das war es! Mein Intimfeind und seine hübsche Freundin befanden sich mitten auf dem Fluß in einer schwimmenden Insel, die aus abgerissenen Gräsern und einem Berg von verdorrten Zweigen bestand. »Das ist das Ende für dich, Histar Veysbal«, sagte ich laut, während ich die Plattform langsam an die Insel heranführte. Zugleich fragte ich mich, wie ich Etonia herausholen konnte, ohne ihn mitnehmen zu müssen. Als ich nur noch etwa zwanzig Meter hinter dem schwimmenden Versteck war, löste sich der Ortungsreflex in viele kleine Lichtpunkte auf. Ich fluchte, als ich mir dessen bewußt wurde, was das bedeutete. Histar Veysbal und Etonia waren nicht allein. Wenigstens zehn Kowalleks waren bei ihnen. Unter diesen Umständen hielt ich es für zu gefährlich, mich ihnen zu zeigen. Veysbal wußte, daß ich den Priester getötet hatte, und ich fürchtete, daß er die Situation nutzte, um die Grünen auf mich zu hetzen. Ich wollte Etonia, aber ich konnte sie nicht aus der schwimmenden Insel herausholen, ohne daß sie sah, wie ich mit den anderen umsprang. Ich beschloß zu warten. Früher oder später mußten sie aus dem Gestrüpp herauskommen, und dann hatte ich eine bessere Chance, die Sache in meinem Sinn zu beenden. Ich zog mich etwas von der Insel zurück und folgte ihr dann in größerem Abstand mehrere Stunden lang. Immer wieder tauchten Hubschrauber auf, und ich mußte ausweichen, da ich die Aufmerksamkeit der Piloten nicht auf die treibende Insel lenken wollte. Schließlich aber wurden mir die Maschinen lästig, und ich schoß kurzerhand eine von ihnen ab. Danach hatte ich Ruhe. Meine Instrumente zeigten mir an, daß ich geortet wurde. Das störte mich jedoch nicht. Im Gegenteil. Die Kowalleks wußten, daß es gefährlich
war, mir allzu nahe auf den Pelz zu rücken, und sie hielten respektvollen Abstand. Das bedeutete, daß ich ungestört agieren konnte. Gegen Mitternacht kamen die Sterne durch. Das Floß trieb Stromschnellen zu, und Veysbals Helfer lenkten es ans Ufer. Ich beobachtete, daß alle ausstiegen und in einem unübersichtlichen Gelände zwischen hoch aufragenden Felsen verschwanden. Die Buschinsel stürzte durch den Katarakt und löste sich bald in ihre Einzelteile auf. Mit Hilfe meiner Infrarotgeräte spürte ich Histar Veysbal, das Mädchen und die Kowalleks schnell wieder auf. Die Gruppe suchte in einem Felsspalt Schutz, in dem sie von den Hubschrauberpiloten nicht gesehen werden konnten. Sie fühlten sich so sicher, daß sie sogar ein Feuer entzündeten. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, daß keiner der Hubschrauber in der Nähe war, landete ich etwa hundert Meter vom Versteck der Gruppe entfernt, machte meinen Energiestrahler schußbereit und schlich mich an das Lager heran. Das Jagdfieber packte mich. Ich war entschlossen, Etonia um jeden Preis an mich zu bringen und zugleich die noch offene Rechnung mit Histar Veysbal zu begleichen. Obwohl ich mich bemühte, jegliches Geräusch zu vermeiden, konnte ich nicht verhindern, daß hin und wieder ein paar Steinchen unter meinen Füßen knirschten. Dann blieb ich stehen und horchte, bis ich sicher war, daß die Grünen mich nicht gehört hatten. Es dauerte nicht lange, bis ich den Lichtschein des Feuers sehen konnte. Wenn ich doch nur einen Kombistrahler gehabt hätte! Ihn hätte ich auf Paralysewirkung umstellen können und hätte damit leichteres Spiel gehabt. Ich hätte Veysbal, Etonia und alle Grünen lähmen, und das Mädchen herausholen können. Doch ich hatte nur eine Waffe, mit der ich töten konnte.
Als ich mich um einen Felsen schob und durch die Blätter eines Busches spähte, sah ich Etonia. Sie hatte sich etwa zehn Meter von den anderen entfernt und stand im Dunkel. Ihre Blicke waren gen Himmel gerichtet. Sie bewunderte die Sterne, die ein schimmerndes Band über unseren Köpfen bildeten. Histar Veysbal saß am Feuer und unterhielt sich mit den Grünen. Obwohl sie sehr leise sprachen, erfaßte ich, daß sie Interkosmo benutzten. Wie ein Schatten glitt ich durch die Nacht auf Etonia zu. Sie hörte mich nicht. Erst als ich sie von hinten umklammerte und ihr die Hand auf den Mund legte, merkte sie, was los war. Sie wehrte sich wie eine Wildkatze und schlug mit Armen und Beinen um sich. Ich hob sie hoch, preßte sie an mich und trug sie ins Dunkel, und ich glaubte bereits, gewonnen zu haben. Doch da biß sie mir in die Hand. Unwillkürlich ließ ich sie los. Sie versuchte wezulaufen, stolperte jedoch, und ich konnte sie erneut packen. »Sei nicht dumm«, keuchte ich. Sie trat mich, hieb mit den Fäusten nach mir und zerkratzte mir das Gesicht. Der Energiestrahler behinderte mich, und ich wollte ihn an den Gürtel heften. In diesem Moment schrie Etonia laut auf. Ich packte sie an der Bluse und riß sie zu mir hin. Ihre Hand schlug gegen die Waffe, und ich löste sie aus, ohne es zu wollen. Ein sonnenheller Energiestrahl zuckte aus dem Projektor und tötete das Mädchen. Erschrocken fuhr ich zurück und ließ Etonia fallen. Dann hörte ich die Rufe Histar Veysbals und der anderen. Ich wußte, wie unfaßbar schnell sich die Grünen bewegen konnten, wie unglaublich geschickt und wendig sie waren, und ich flüchtete zu meiner Antigravplattf orm. In panischer Angst sprang ich hinauf und raste in die Dunkelheit.
7. Bericht: Histar Veysbal »Das war Etonia«, rief Auli-Phans und sprang auf. Ich stolperte hinter ihm her, geblendet vom Feuer und von namenloser Angst erfüllt. Der Schrei Etonias hatte so schrecklich geklungen. Sekunden später kniete ich schluchzend neben dem toten Mädchen und fühlte mich so leer wie noch niemals zuvor in meinem Leben. Mir war, als sei ich ebenfalls gestorben. Der Energiestrahl hatte Etonia mitten in die Brust getroffen. Sie mußte auf der Stelle tot gewesen sein. Ich weiß nicht, wieviel Zeit verstrichen war, als Auli-Phans mir die Hände an die Schultern legte und mich hochzog. »Weißt du, wer es gewesen sein könnte?« fragte er. »Oh ja«, rief ich. »Das weiß ich genau. Es kommt nur einer in Frage: Zetter Olloss!« Tränen liefen mir über die Wangen, und ich hatte Mühe zu sprechen. Doch das war mir egal. Mir wäre alles egal gewesen, wenn ich nicht gewußt hätte, daß der Mörder sich noch frei bewegte und vielleicht niemals für seine Tat bestraft wurde, wenn es ihm gelang, zur SOL zu kommen und mit ihr zu starten, bevor ich an Bord war. Wenn er Gavro Yaal davon überzeugen konnte, daß Etonia und ich nicht zurückkehren würden, weil wir nicht ins Schiff zurück wollten, oder weil wir tot waren, dann würde die SOL abfliegen, und Zetter Oloss brauchte keine Strafe zu fürchten. »Wenn du wirklich weißt, wer es war, solltest du dann nicht etwas unternehmen?« »Ja, Auli«, erwiderte ich haßerfüllt. »Das sollte ich, und ich würde es auch tun, wenn ich wüßte wie. Dieser Lump fliegt mit seiner Maschine durch die Gegend. Er ist unerreichbar für uns. Es sei denn, daß wir zu der Grotte gehen, wo mein Antigrav steht. Damit könnten wir ihn verfolgen.«
Ich erläuterte ihm die Zusammenhänge. Zunächst glaubte ich, ihn mit wenigen Sätzen informieren zu können, doch Auli-Phans wollte es genau wissen. Er ließ sich beschreiben, was zwischen Zetter Olloss und mir vorgefallen war. Währenddessen hoben seine Freunde ein Grab für Etonia aus und legten sie hinein. Ich war wie betäubt vor Schmerz und erhob keinen Einspruch. Ich sah ein, daß wir sie nicht mitnehmen konnten. Bald darauf brachen wir auf. Auli-Phans und seine Freunde kannten sich in diesem Gebiet gut aus. Sie führten mich in stundenlangem Marsch durch unwegsames Gelände zu der Grotte, in der sie Etonia und mich gefangengenommen hatten. Die Antigravpalttform war nur noch Schrott. Auli-Phans trat enttäuscht ins Licht hinaus. Er blickte in die aufgehende Sonne. Wir hörten, daß ein Hubschrauber in der Nähe vorbeiflog. »Wir haben nur noch eine Möglichkeit«, sagte er Anführer der Grünen. »Wir müssen uns einen Hubschrauber besorgen.« »Den gibt uns niemand freiwillig«, gab einer seiner Freunde zu bedenken. »Das ist mir klar«, entgegnete er. »Wir müssen ihn uns erkämpfen.« Ich war nicht fähig, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen. Schweigend trottete ich mit den anderen durch die Gegend, nachdem wir die Grotte verlassen hatte. Auli-Phans ließ mich in Ruhe. Er wußte, wie mir zumute war. Ich wollte nicht glauben, daß Etonia tot war. Immer wieder blieb ich stehen, weil ich meinte, wir müßten auf sie warten. Erst als wir uns am Abend des nächsten Tages dem Stützpunkt der Kowalleks näherten, rüttelten meine neuen Freunde mich auf. Goskan-Dar, der neben Auli-Phans die wichtigste Rolle bei ihnen spielte, stieß mir freundschaftlich eine Faust in die Seite. »Nimm dich zusammen«, sagte er. »Wir müssen kämpfen. Bestimmt rechnet keiner von denen im Stützpunkt damit, daß sie
angegriffen werden, aber sie werden schnell reagieren, und sie werden sich wehren. Wir dürfen nur die Fäuste benutzen, weil wir niemanden töten wollen. Sie aber werden zur Waffe greifen.« »Sind es Soldaten?« fragte ich. »Nein. Dieses Gebiet steht unter Naturschutz. Sie wachen darüber. Es sind Wissenschaftler, Beamte, Jäger und Fischer.« »Und dann? Was tun wir, wenn wir einen Hubschrauber haben?« »Dann fliegen wir zur Insel.« Ich erwachte wie aus einem bösen Traum. Die Insel. Zetter»Gavro« Olloss. Ich mußte mich rächen. »Zur Insel?« Ich blickte Goskan-Dar unsicher an. »Ist sie nicht heiliges Land? Ihr dürft sie nicht betreten.« »Wir haben miteinander darüber gesprochen«, erwiderte er. »Wir alle sind zu der gleichen Meinung gekommen. Die Umstände erfordern, daß wir uns über die Bestimmungen hinwegsetzen.« Er lächelte. »Außerdem ist die Insel für Auli-Phans niemals heilig gewesen.« Er bat mich, nichts mehr zu sagen und stellte es mir frei, an dem Angriff auf den Stützpunkt teilzunehmen oder hier zu bleiben und abzuwarten. »Ich komme mit«, entschied ich. Der Stützpunkt lag in einem Tal an einem kleinen See und wurde durch einen Maschendraht nur unzureichend gesichert. Niemand schien damit zu rechnen, daß er angegriffen werden könnte. Wir schlichen uns in der Deckung der Bäume bis an den See heran. Einige Männer von der Besatzung saßen auf einer Terrasse und verzehrten ein einfaches Mal. »Werft sie ins Wasser«, flüsterte Auli-Phans uns zu. »Ich versuche, einen der drei Hubschrauber zu starten.« Einer der Männer hatte eine Schere dabei, mit der wir den Maschendraht aufschneiden konnten. Wir krochen hindurch, und während Auli-Phans zu den Hubschraubern lief, stürzten wir uns brüllend auf die Männer von der Parkverwaltung. Sie waren so
überrascht, daß sie wie erstarrt auf ihren Stühlen sitzen blieben, und einige von ihnen lagen im Wasser, bevor ihnen überhaupt klar geworden war, was gespielt wurde. Dann aber setzten sie sich zur Wehr. Wütend warfen sie sich uns entgegen. Ich hatte einen von ihnen gepackt und in den See geworfen. Das fiel mir nicht schwer, da er kleiner und viel leichter war als ich. Nun stürzte sich ein anderer von hinten auf mich und hieb mir seine vier Fäuste in den Rücken. Er traf mich in der Nierengegend. Ich stöhnte schmerzgepeinigt auf und brach zusammen, kam jedoch gleich wieder hoch. Mühsam wehrte ich eine zweite Attacke ab. Ich hörte Goskan-Dar und die anderen lachen und scherzen. Ihnen schien dieser Kampf, bei dem sich deutlich abzeichnete, daß sie Sieger wurden, Spaß zu machen. Ihre Gegner flogen reihenweise im hohen Bogen ins Wasser. Endlich schaffte auch ich es, meinen Gegner zu überwältigen, obwohl er wie rasend um sich schlug und mir gleich serienweise schmerzhafte Schläge versetzte. Ich packte ihn von hinten an zwei Armen, hob ihn hoch über den Kopf, rannte mit ihm zum Ufer und schleuderte ihn weit ins Wasser hinaus. Meine Freunde krümmten sich vor Lachen. Sie schienen vergessen zu haben, wie ernst unsere Lage war. Bis einer der Naturschutzbeamten schoß und einen von ihnen an der Schulter traf. »Weg hier«, schrie Goskan-Dar. »Zum Hubschrauber.« Im Eifer des Gefechts hatten wir überhört, daß Auli-Phans den Motor einer der Maschinen gestartet hatte und auf uns wartete. Während nun auch die andern auf uns schossen, ohne uns allerdings zu treffen, rannten wir zu der startbereiten Maschine. Auli-Phans gestikulierte ungeduldig. »Wo bleibt ihr denn?« rief er, als wir in die Kabine kletterten, die genügend Platz für uns alle bot. »Wir sind doch nicht hier, um uns aus Vergnügen zu prügeln.« Goskan-Dar feuerte mit einem Gewehr durch die offene Tür
hinaus, während der Hubschrauber rasch an Höhe gewann. Er zielte absichtlich vorbei, um niemanden zu verletzten. Ihm ging es nur darum, die Stützpunktbesatzung daran zu hindern, auf uns zu schießen. »Wir haben drei Gewehre mit Munition erbeutet«, erklärte er stolz, als wir außer Schußweite waren. »Damit können wir allerhand anfangen.« »Ob sie uns verfolgen?« fragte einer der anderen. »Das wird sich zeigen«, erwiderte Goskan-Dar. Er schien sich in dieser Hinsicht keine Sorgen zu machen. Tatsächlich drohte uns von dieser Seite kaum Gefahr. Anders sah es mit Zetter Olloss aus. Er konnte sich nicht leisten, daß wir zur Insel kamen und mit Gavro Yaal sprachen. Er mußte sich darüber klar sein, daß eine solche Begegnung das Ende für ihn sein mußte. Als mir das bewußt wurde, bat ich Auli-Phans, über Funk Verbindung mit den Solanern auf der Insel aufzunehmen. Er versuchte es auch, hatte jedoch keinen Erfolg. Sie sind nicht mehr da! dachte ich erschrocken. Sie sind gestartet. Ohne mich. Ich blickte nach unten. Wir flogen in einer Höhe von etwa zweihundert Metern über dem Meer und kamen schnell voran, so daß wir die Insel in etwas mehr als einer Stunde erreichen konnten. War sie nicht schon zu sehen? Goskan-Dar griff nach meinem Arm. »Dort«, sagte er. »Einer von euch.« Mir war, als hätte ich einen Schlag in den Magen bekommen. Keine zweihundert Meter hinter uns flog Zetter »Gavro« Olloss, und er holte auf. Er saß auf seiner Antigravplattform und hielt einen Energiestrahler in den Händen. Das ist die Waffe, mit der er Etonia getötet hat, schoß es mir durch den Kopf. Zugleich griff ich nach einem der Gewehre, einem
geradezu zierlichen Gebilde, das viel zu leicht für mich war. »Nein. Nicht«, rief Auli-Phans. »Er hat die bessere Waffe. Er ist uns überlegen. Solange er nicht schießt, verhalten wir uns ruhig.« Ich mußte ihm recht geben. Der Mörder Etonias war praktisch unangreifbar auf seiner Antigravplattform. Keine Gewehrkugel konnte seine Individualsphäre durchschlagen. Er hatte alle Trümpfe in der Hand. Mit seinem Energiestrahler konnte er den Hubschrauber jederzeit abschießen. »Runter«, brüllte ich, nachdem ich das erkannt hatte. »Geh nach unten. Bis dicht über das Wasser.« »Wozu?« fragte Auli-Phans. »Er ist schneller als wir. Er kann uns überall erreichen. Egal, wo wir sind.« »Aber es ist nicht gleich, aus welcher Höhe wir abstürzen!« Er begriff und zuckte erschrocken zusammen. Dann ließ er die Maschine absacken, bis sie nur noch etwa fünf Meter über den Wellen flog. Zetter »Gavor« Olloss lachte. Er kam bis auf fast zehn Meter heran. Einige meiner Freunde eröffneten das Feuer auf ihn, richteten jedoch nichts aus. Dann hob der Mörder Etonias seine Waffe. Wir saßen wie erstarrt. Wir konnten nichts tun. Hilflos waren wir dem Verbrecher ausgeliefert, der sich an unserer Angst weidete. »Rufe um Hilfe«, schrie ich Auli-Phans zu. »Du mußt funken. Immer wieder. Vielleicht hört uns doch jemand.« Er tat, was ich ihm gesagt hatte, obwohl wir nicht feststellen konnten, daß unsere Rufe irgendwo ankamen. Zetter Olloss zielte seelenruhig auf den Rotor unserer Maschine und schoß. Ein heftiger Schlag ging durch den Hubschrauber. AuliPhans versuchte verzweifelt, ihn in der Luft zu halten. Doch vergeblich. Wie ein Stein stürzte die Maschine mit uns ins Meer. Wir klammerten uns an die Sitze, wurden aber dennoch durcheinandergeschleudert. »Los. Raus«, rief Goskan-Dar. »Wir saufen ab.« Wir drängten uns durch die enge Tür nach draußen und sprangen
ins Wasser, und kaum war der letzte ausgestiegen, als der Hubschrauber in den Wellen verschwand. Auli-Phans blickte mich an. Er lächelte traurig. »Es ist so schade«, sagte er. »Ich hätte so gern von euch gelernt. Nichts hätte mich mehr interessieren können als euer Rechtswesen.« »Meinst du das ehrlich?« fragte ich und zeigte in hilflosem Zorn auf Zetter »Gavro« Olloss, der etwa zehn Meter über uns schwebte und höhnisch zu uns herabgrinste. »Und was ist mit ihm?« »Was hat es mit eurem Rechtswesen zu tun?« entgegnete der Kowallek. »Er ist ein böser Mensch. Er verachtet das Gesetz. Ich hätte nur gern gewußt, wie das Gesetz auf ihn reagiert.« Aus dem Hubschrauber heraus hatte ich nicht erkannt, wie hoch die Wellen waren. Ich hatte nicht darauf geachtet. Jetzt aber merkten wir, was es bedeutete, in einer See zu schwimmen, in der die Wellen etwa fünf Meter hoch gingen. Es war außerordentlich kräftezehrend, sich über Wasser zu halten. Das Ende war abzusehen. Zetter Olloss ließ sich absinken, bis er nur noch etwa zwei Meter über mir war. Er blickte mich an, lachte laut auf und jagte dann mit seiner Plattform davon. »Wir müssen versuchen, zur Insel zu schwimmen«, sagte ich. »Er hat Etonia ermordet. Dafür muß er bestraft werden.« »Es ist aussichtslos«, bemerkte Auli-Phans. »Das Wasser ist zu kalt, und die Insel ist zu weit von uns entfernt.« »Das ist nicht das Schlimmste«, rief Goskan-Dar. »Wir sind nicht allein. Da sind Höllenfische.« Ich drehte mich zu ihm um, und da sah ich, was er meinte. Eine etwa einen Meter hohe Rückenflosse durchschnitt hinter ihm die Wasseroberfläche und glitt an ihm vorbei. Ich hatte das Gefühl, daß mir das Herz stehenblieb, und ich dachte an die riesigen Fische, die ich bei meinem Flug von der Insel zum Festland beobachtet hatte. Einer der Kowalleks schrie gellend auf. Ich verfolgte, wie er aus dem Wasser gehoben wurde, und für einen kurzen Moment
erschien der schreckliche Kopf des Fisches mit den langen, messerscharfen Zähnen über den Wellen. Die Bestie hatte einen der Grünen in seinem Maul und tauchte mit ihm weg. Ich wußte, daß mir das gleiche Ende bevorstand und daß ich nicht die geringste Chance hatte, dem monströsen Wesen zu entkommen: Dennoch schwamm ich – ebenso wie die anderen – von ihm weg. Bis unmittelbar vor mir eine riesige Rückenflosse aus dem Wasser stieg und an mir vorbeiglitt. In diesem Moment war ich bereit aufzugeben. Laß dich absinken! rief ich mir selbst zu. Du mußt tauchen und Wasser einatmen. Dann wirst du sofort bewußtlos. Du wirst nicht mehr merken, wenn diese Bestien dich zerreißen. Unwillkürlich holte ich tief Luft, um abzutauchen, und richtete meine Blicke nach oben. Eine Space-Jet schwebte auf uns zu. Ich sah mehrere Männer in der offenen Schleuse stehen. »Auli-Phans«, schrie ich. »Sieh doch. Sieh.« Sie fischten Auli-Phans, Goskan-Dar, acht weitere Kowalleks und mich aus dem Wasser, bevor die Höllenfische sich noch mehr Opfer holen konnten. Von den anderen Grünen, die mit uns ins Wasser gestürzt waren, blieb keine Spur. Sie waren verschwunden. Gavro Yaal kam durch den Antigravschacht nach unten. »Wir haben eure Notrufe gehört«, sagte er freundlich lächelnd. »Und wir sind froh, daß es uns gelungen ist, euch zu retten.« »Zetter Olloss hat uns abgeschossen«, sprudelte es aus mir hervor. »Aus nächster Nähe, und in der eindeutigen Absicht, uns zu ermorden. Ebenso wie er Etonia ermordet hat.« Gavro Yaal blickte mich ernst an. Sein Lächeln war wie weggewischt. »Du hast schon einmal eine schwere Anschuldigung gegen ihn erhoben«, sagte er. »Aber dieses Mal habe ich Zeugen«, antwortete ich. »Diese Kowalleks hier können bestätigen, daß Zetter Olloss Etonia getötet
und den Hubschrauber, mit dem wir zur Insel fliegen wollten, abgeschossen hat.« »Ist das richtig?« fragte Gavro Yaal die Grünen. »Ja, es stimmt«, bestätigte Auli-Phans. »Dieser Mann, der Zetter Olloss heißt, hat diese Verbrechen begangen.« »Er wird sich zu verantworten haben.« »Damit jedoch noch nicht genug«, sagte ich. »Während Zetter Olloss in der Gegend herumflog, um angeblich Studien zu betreiben, hat er Jagd auf Kowalleks gemacht. Er hat sie gejagt und getötet, als ob sie Wild seien. Auch dafür gibt es Beweise.« Gavro Yaal erbleichte. »Das kann doch nicht sein«, stammelte er. »Ich habe diesem Mann vertraut.« Er bedeutete Auli-Phans und mir, ihm zu folgen, kehrte in die Zentrale zurück und nahm von hier aus Verbindung mit den Raumschiffen auf der Insel und mit der SOL auf. Er erteilte den Befehl, Zetter Olloss zu verhaften. Dann wandte er sich an Auli-Phans. »Ich möchte dich bitten, einen Bericht für uns zu verfassen«, sagte er.
8. Bericht: Auli-Phans Wir waren uns ohne viele Worte einig, daß wir unsere Welt Zwzwko zusammen mit den Solanern verlassen würden, wenn wir uns nicht schon vor dem Start an Zetter Olloss rächen konnten. Was dieser uns angetan hatte, durfte nicht ungesühnt bleiben. Wir – das waren neben Goskan-Dar und mir vier weitere Männer und vier Frauen. Wir waren beeindruckt von der Technik der Fremden, die uns in allen Belangen überlegen war. Auch auf Unserer Welt Zwzwko
wurde darüber diskutiert, ob und wie wir in den Weltraum vorstoßen konnten, doch wir wäre noch weit davon entfernt, ernsthafte Pläne zu entwikkeln oder gar zu verwirklichen. Wir hielten uns alle in der Zentrale auf, als die Space-Jet zur Heiligen Insel flog und dort neben anderen Raumschiffen landete. Wir sahen, daß die Solaner hier eine Menge Material abgebaut hatten, doch diese Tatsache löste bei keinem von uns irgendwelche Emotionen aus. Vor Tausenden von Jahren war angeblich ein Mann auf dieser Insel geboren, der von weiten Teilen der Bevölkerung als Heiliger verehrt, von anderen jedoch nur als historisch wichtige Persönlichkeit und Begründer einer Kultur angesehen wurde. Gavro Yaal ließ die Arbeiten augenblicklich abbrechen, als er erfuhr, welche Bedeutung die Insel für viele Kowalleks hatte. Ich beschrieb ihm einige andere Plätze auf unserem Planeten, wo er die benötigten Materialien ebenfalls abbauen konnte, ohne die Gefühle von irgendwelchen Gruppen zu verletzen. »Wo ist Zetter OIloss?« unterbrach Histar uns. »Um ihn geht es doch jetzt in erster Linie. Er darf uns nicht entkommen.« »Entkommen?« fragte Gavro Yaal erstaunt. »Wie sollte er das? Er ist auf dem Weg zur SOL.« »Solange wir ihn nicht haben, ist alles möglich«, entgegnete mein Freund erregt. »Wer sagt uns denn, daß er sich nicht irgendwo auf Zwzwko absetzt, um den Rest seines Lebens auf diesem Planeten zu verbringen? Dann hätte er sich der gerechten Strafe entzogen, und wenn er die entsprechenden Waffen dabei hat, kann er ganze Völkerschaften unterwerfen und versklaven. Dieser Mann könnte zur Geißel der Kowalleks werden.« Verblüfft erkannte ich, daß Histar recht hatte. Ich hatte bisher noch nicht daran gedacht, daß der Mörder des Mädchens auf Unserer Welt Zwzwko bleiben könnte. Gavro Yaal ging ans Funkgerät, und auf einem der Bildschirme erschien das Gesicht eines Mannes. Mittlerweile beherrschten wir
die Sprache der Solaner so gut, daß wir alles verstanden, was Gavro Yaal mit dem anderen besprach. »Petar, man hat mir gesagt, daß Zetter OIloss bei dir an Bord ist«, sagte der Anführer der Solaner. »Das ist richtig«, antwortete der andere, der mir seltsam nervös vorkam. »Warum fragst du?« »Zetter OIloss ist sofort zu verhaften und einzusperren. Er darf die Space-Jet nicht verlassen, wenn ihr in der SOL seid.« »Warum? Was ist passiert? Was wirfst du ihm vor?« »Er hat mehrere Morde begangen.« Das Gesicht Petars verzerrte sich. »Zu spät, Gavro, Zetter hat …« Wir konnten sehen, daß jemand Petar etwas über den Kopf schlug. Dann erschien das kalte und zynische Gesicht von Zetter OIloss im Bild. »Das ist doch alles Blödsinn, Gavro«, sagte der Verbrecher. »Wer behauptet denn so etwas?« »Wir haben Histar Veysbal und die Kowalleks aus dem Wasser gefischt«, erwiderte Gavro Yaal. »Wir kamen gerade noch rechtzeitig. Hast du das nicht gesehen?« »Nein.« Zetter OIloss erbleichte. Er schien nicht zu glauben, was er gehört hatte. Daher schob Gavro Yaal Histar auf seinen Platz, so daß der Mörder Etonias ihn sehen konnte. »Vorbei«, sagte Histar. »Jetzt bist du dran.« Zetter OIloss schaltete ab. Der Bildschirm wurde grau. »Das habe ich befürchtet«, bemerkte Gavro Yaal. »Er ist gewarnt. Er wird sich hüten, zur SOL zu fliegen. Er weiß, daß ihn dort eine harte Strafe erwartet. Er soll sich jedoch nicht einbilden, daß er untertauchen kann.« Ruhig erteilte er den Kommandanten der anderen Raumschiffe den Befehl, zu starten und den Raum zu überwachen. »Greift die Space-Jet nicht an, mit der Zetter OIloss fliegt«, sagte er. »Ich will ihn lebend. Ich will wissen, wo er landet. Dorthin folgen
wir ihm dann.« Die anderen Raumschiffe stiegen auf, und einer der Kommandanten, die Gavro Yaal angesprochen hatte, meldete sich erneut. »Weißt du eigentlich, daß mittlerweile der Teufel auf diesem schönen Planeten los ist?« fragte er. »Ich habe die Frequenzen abgehört. Überall auf dieser Welt ist inzwischen bekannt, daß Wesen aus dem Weltraum gelandet sind. Man nimmt uns übel, daß wir uns ausgerechnet auf dieser Insel breitgemacht haben. Alle militärischen Kräfte werden mobil gemacht. Wir müssen davon ausgehen, daß man uns spätestens in zwei Tagen mit allen erdenklichen Mitteln angreifen wird. Da einer von uns – Zetter Olloss – regelrecht Jagd auf die Kowalleks gemacht hat, wird es keine Verhandlungen geben. Man kann sich nicht vorstellen, daß man mit uns überhaupt friedlich reden kann.« »Wie konnte ich mich nur so in Zetter täuschen?« sagte Gavro Yaal. »Ich begreife das nicht. Natürlich verschwinden wir von hier. Wir lassen es auf keinen Fall zu einem Kampf kommen. Es darf keine weiteren Verluste geben. Im Gegenteil. Ich werde den Kowalleks eine Entschädigung zurücklassen.« Er schaltete ab und blickte mich an. »Ich möchte etwas für dein Volk tun«, erklärte er. »Wir wollen gemeinsam überlegen, womit ich euch am besten helfen kann.« Während im Weltraum eine Ortungsjagd auf Zetter Olloss begann, bot Gavro Yaal mir eine Reihe von technischen Geräten an, die er auf der Insel zurücklassen wollte. Wir einigten uns schließlich darauf, daß einige Antigravaggregate zusammen mit den technischen Beschreibungen, Bauplänen und Gebrauchsanweisungen in unserer Sprache den größten Nutzen haben würden. Wir brachten diese Geschenke in eine der Kirchen und verließen danach die Insel. Goskan-Dar hatte währenddessen den Funkverkehr abgehört. So
erfuhren wir, daß unser Überfall auf den Stützpunkt und der Diebstahl des Hubschraubers bekannt geworden und von den Ordnungskräften scharf verurteilt worden war. Man hatte uns auf die Liste der Staats- und Religionsfeinde gesetzt und uns in Abwesenheit zu schweren Strafen verurteilt. Angesichts dieser Tatsache war es besser, wenn wir uns vorübergehend von Unserer Welt Zwzwko zurückzogen. »Zetter Olloss ist etwa tausend Kilometer von hier in einem Gebirge gelandet«, berichtete Histar. »Wir schnappen ihn uns«, erwiderte Gavro Yaal. Er setzte sich an das Steuerleitpult und startete. Lediglich Histar, Goskan-Dar und ich blieben bei ihm in der Zentrale. Die anderen mußten nach unten, damit sie ihn nicht behinderten oder versehentlich irgendwo eine Schaltung auslösten. Fasziniert verfolgten wir, wie das Raumschiff startete und bis an die Grenzen der Lufthülle Unserer Welt Zwzwko aufstieg. Keines unserer Flugzeuge war jemals in solchen Höhen gewesen. Rasend schnell überwanden wir die Meerenge zwischen den beiden Kontinenten Ghatha und Qsyqsy. Danach stürzten wir förmlich in die Tiefe, sanken in die langgestreckten Täler des Tzazma-Gebirges und pirschten uns in langsamer Fahrt an ein eisbedecktes Hochplateau heran, auf dem das Raumschiff mit Zetter Olloss an Bord stehen sollte. »Wir müssen verhindern, daß er mit Bordwaffen auf uns schießt«, sagte Gavro Yaal. »Ein Duell mit Energiekanonen wäre ziemlich sinnlos.« Er landete unterhalb eines Geröllfelds, wies auf einen der Bildschirme, auf dem ich damals noch nichts Wesentliches sehen konnte, und sagte: »Da ist er.« Heute, nach entsprechender Schulung, hätte ich den winzigen Reflex auch gesehen und richtig interpretiert. »Ich hole ihn heraus«, sagte Histar. »Nein«, entgegnete Yaal, dem wir inzwischen berichtet hatten, wie
und unter welchen Umständen Etonia gestorben war. »Olloss wird seine Strafe erhalten. Ich werde jedoch nicht zulassen, daß du dich an ihm rächst, indem du ihn erschießt.« »Das habe ich nicht vor. Ich werde ohne Waffe zu ihm gehen.« »Das wäre kaum zu empfehlen.« Histar streckte bittend seine Hände aus. »Gib mir einen Energiestrahler, damit er sieht, daß ich bewaffnet bin. Ich werde die Batterie herausnehmen.« Gavro Yaal überlegte kurz, dann überreichte er Histar die Waffe. Der Junge entfernte die Batterie. »Du gehst zu der Space-Jet«, erläuterte Yaal den Plan, »aber du läßt dich noch nicht sehen. Wir sprechen Olloss über Funk an. Er muß wissen, daß es kein Entrinnen mehr für ihn gibt. Wir sagen ihm, daß wir seine Space-Jet abschießen werden, wenn er versucht zu starten.« Histar erwiderte, er habe alles verstanden, doch Gavro Yaal bestand darauf, daß er noch einmal alles wiederholte. »Wieso ist eigentlich diese Feindschaft zwischen euch entstanden?« fragte er danach. Histar errötete und senkte den Kopf. Doch dann hob er ihn wieder und blickte Yaal trotzig an. »Ich bin völlig anderer Ansicht als du«, erklärte er dann. »Ich glaube nicht daran, daß es die Bestimmung des Menschen ist, im Weltall zu leben.« »Nicht?« Gavro Yaal schien maßlos erstaunt zu sein. »Nein«, bestätigte Histar. »Überhaupt nicht. Ich bin fest davon überzeugt, daß deine Theorien sogar äußerst gefährlich für uns alle sind. Sie führen uns nicht in eine bessere Zukunft, sondern sie beschwören eine Diktatur herauf. Ich halte sogar ein totales Chaos für möglich. Und das habe ich auch Zetter Olloss gesagt. Er vertrug nicht, daß jemand eine andere Meinung hat als er. Ich hoffe, das ist bei dir anders?« Gavro Yaal lächelte verständnisvoll. Ich merkte ihm an, daß er
Histar mochte – vielleicht gerade, weil dieser so klar Stellung gegen ihn bezogen hatte. »Wir werden später ausführlich darüber reden, wenn du willst«, sagte er. »Zunächst holen wir Zetter Olloss. Natürlich gehst du nicht allein. Auli-Phans und einige seiner Freunde sollen dich begleiten. Sie werden im Hintergrund bleiben und erst eingreifen, wenn du es allein nicht schaffen solltest.« Damit war Histar einverstanden. »Wenn wir wieder an Bord der SOL sind, sollten wir auch die anderen Mitglieder der Bande überprüfen, die Olloss angeführt hat«, empfahl er Yaal. »Ich fürchte, da wird ebenfalls einiges zutage kommen.« »Ich werde hart durchgreifen«, versprach Gavro Yaal. »Darauf kannst du dich verlassen. Geh jetzt und hole Zetter Olloss.« Er war ebenso wie wir davon überzeugt, daß nicht viel passieren konnte. Zetter Olloss mußte wissen, daß er ausgespielt hatte. Ich begleitete Histar nach draußen, wo bereits Goskan-Dar und die anderen auf uns warteten. Alle hatten Waffen, die aus dem Bestand der Space-Jet stammten. Vorsichtshalber hatte Gavro Yaal jedoch alle entladen lassen, da keiner von uns genau wußte, wie diese Energiestrahler zu handhaben waren. Es galt ja nur, Zetter Olloss mit unserer Ausrüstung zu beeindrucken. Wenn er sah, daß wir alle bewaffnet waren, dann mußte er aufgeben – so meinten wir. Er konnte ja nicht wissen, daß keiner von uns wirklich schießen konnte. Gavro Yaal gab Histar ein Funkgerät, das wie ein Halsband getragen wurde. »Wir bleiben ständig in Verbindung«, erläuterte er. »Sollte es Schwierigkeiten geben, komme ich mit der Jet und helfe.« »Zetter Olloss ist ein Verbrecher, aber er ist kein Narr. Er weiß, wann er aufzugeben hat«, erwiderte Histar zuversichtlich. Wir verabschiedeten uns und kletterten eine enge Schlucht mit senkrecht aufsteigenden Wänden hinauf. Der Weg war
beschwerlich, besonders für den Solaner, aber dieser klagte nicht. Verbissen kämpfte er sich voran. Er wollte Zetter Olloss aus seinem Raumschiff heraus verhaften. Um jeden Preis. Am Ende der Schlucht legten wir eine kleine Pause ein, um uns von den Anstrengungen zu erholen. Doch schon bald trieb uns Histar wieder an. »Wir dürfen keine Zeit verlieren«, sagte er. »Wenn er startet, um sich an anderer Stelle zu verstecken, entkommt er uns.« Wir überwanden einen Felsbuckel und erreichten dann den Gletscher, auf dem die Space-Jet stand. Noch konnten wir sie nicht sehen, aber wir wußten genau, wo sie war. »Wir sind soweit«, meldete Histar über Funk an Gavro Yaal. Er schob sich um einen Felsvorsprung und trat dann wieder zurück. »Da ist sie«, flüsterte er. »Keine zwanzig Meter von hier. Die Schleuse steht offen. Fußspuren führen von ihr weg. Es scheint, daß Zetter von Bord gegangen ist.« »Überlasse es uns«, bat ich. »Wir sind schneller. Wir können ihn überwinden, bevor er begreift, was los ist.« »Das ist meine Aufgabe«, erwiderte er halsstarrig. »Er hat Etonia umgebracht.« Wir hörten die Stimme Gavro Yaals, die aus dem Lautsprecher von Histars Funkgerät tönte. »Er fordert Zetter auf, sich zu ergeben«, erläuterte Histar. Dann trat er aus der Deckung heraus, nahm den Energiestrahler in die Hand und ging langsam auf die Space-Jet zu. »Zetter Olloss!« rief er. »Komm heraus.« Ich gab meinen Leuten ein Zeichen. Wir schwärmten aus und umzingelten die Space-Jet. Die Spuren Zetters führten zu einer Felsnische. Dorthin wandte sich Histar. »Du bist am Ende, Zetter«, sagte er. »Nun komm schon. Wir wissen, wo du bist.« »Ach, ja? Wirklich?« Zetter Olloss trat nicht aus der Felsnische
hervor. Er erschien in der Schleuse der Space-Jet. Ich begriff. Die Spur hatte er nur gelegt, um uns zu täuschen. Er war in die Felsen gegangen, dann aber war er mit Hilfe eines Antigravgeräts ins Raumschiff zurückgeflogen. Er hielt einen Energiestrahler in den Händen. »Mörder«, schrie Histar und fuhr herum. »Du bist verhaftet.« Im gleichen Augenblick traten wir aus unserer Deckung hervor, damit Zetter Olloss sehen konnte, daß Histar nicht allein war. Wir kamen um Bruchteile von Sekunden zu spät. Zetter Olloss schoß auf Histar Veysbal und tötete ihn. Ich hatte das Gefühl, daß in mir etwas zerriß. Ich schrie vor Zorn, Trauer und Entsetzen. Gemeinsam mit meinen Freunden stürzte ich mich auf Zetter Olloss. Dieser versuchte, auch auf uns zu feuern, doch wir waren so schnell, daß er seine Waffe nicht mehr auslösen konnte. Wir entrissen ihm den Energiestrahler und warfen ihn zu Boden. Dann eilte ich zu Histar und kniete neben ihm nieder. Tränen stiegen mir in die Augen, als ich mir dessen bewußt wurde, daß ich einen Freund verloren hatte. Zugleich machte ich mir heftige Vorwürfe. Ich hätte niemals zulassen dürfen, daß Histar sich allein einem ihm so deutlich überlegenen Mann wie Zetter Olloss entgegenstellte. Sekunden darauf war Gavro Yaal mit seiner Space-Jet da. Bleich und geradezu starr vor Entsetzen beugte er sich über Histar. »Mein Gott«, hörte ich ihn stammeln. »Das werde ich mir nie verzeihen.«
* Die Gerichtsverhandlung fand in der Zentrale eines der größeren Raumschiffe statt, das von der SOL gekommen und auf der Heiligen Insel gelandet war. Anwesend waren neben Gavro Yaal zwanzig Männer und Frauen von der SOL, Zetter Olloss und wir Kowalleks.
Die Solaner waren ruhig und gefaßt, so als ob nichts passieren könnte. Dabei wußten alle, daß sich ein riesiges Flugzeuggeschwader der Insel näherte. Eine Flotte von schwerbewaffneten Schiffen rückte heran. Einige von ihnen waren bereits auf den Bildschirmen zu sehen. Gavro Yaal verlas die Anklage, in der er Zetter Olloss des mehrfachen Mordes von Kowalleks und der Ermordnung von Etonia und Histar beschuldigte. Dann forderte er den Angeklagten auf, dazu Stellung zu nehmen. »Ich gebe alles zu«, erwiderte Olloss. Er sah nicht so aus, als ob er irgend etwas bereute. »Seit wann ist es verboten, Jagd auf Wilde zu machen?« Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf stieg. Er wagte es, uns Kowalleks als Wilde zu bezeichnen. Allein dafür verdiente er die härteste Strafe. Der Verteidiger, der ihm zugewiesen worden war, versuchte, die Worte des Angeklagten abzumildern. »In allen Fällen, die meinem Mandanten vorgeworfen werden, ist dieser von den Kowalleks angegriffen worden. Er hat sich lediglich verteidigt.« »Zum einen war es noch nie erlaubt, Jagd auf Wilde oder sonst jemanden zu machen«, stellte Gavro Yaal richtig. »Zum anderen hat Olloss einen Priester getötet, einen unbewaffneten Mann. Es dürfte kaum zu beweisen sein, daß er gegen ihn in Notwehr gehandelt hat.« Dann kam er zu den Morden an Etonia und Histar. Ich staunte über die Verhandlung, in der dem Angeklagten trotz seiner abscheulichen Taten jede Möglichkeit gegeben wurde, sich zu verteidigen. Fast schien es, als sei Gavro Yaal ängstlich bemüht, ihm kein Unrecht zu tun, so daß ich bereits argwöhnte, er wolle Zetter Olloss retten. Doch die Beweise gegen ihn waren zu klar. Zu meiner Verwunderung forderte Gavro Yaal nach einiger Zeit einen Richter namens SENECA auf, das Urteil zu sprechen.
SENECAs Stimme ertönte Sekunden darauf aus den Lautsprechern: »Zetter Olloss ist schuldig im Sinn der gegen ihn erhobenen Anklage. An Bord der SOL besteht keinerlei Verwendungsmöglichkeit mehr für ihn. Er ist als ein Faktor anzusehen, der gefährlich für die Menschen an Bord des Raumschiffs ist. Deshalb wird eine Rückkehr zur SOL ausgeschlossen. Da Zetter Olloss die ihm zur Last gelegten Verbrechen vornehmlich auf dem Planeten ›Unsere Welt Zwzwko‹ begangen hat, soll er hier auch seine gerechte Strafe finden. Die Kowalleks werden wissen, was sie mit ihm zu tun haben. Zetter Olloss bleibt auf der Insel zurück.« »Nein«, stammelte der Verurteilte. »Das ist mein sicherer Tod. Nein, bitte nicht.« Doch Gavro Yaal kannte keine Gnade, und er hätte sicherlich auch keine Gnade walten lassen, wenn er gewußt hätte, daß Zetter Olloss der fanatischste seiner Anhänger war. Er ließ den Verurteilten von Bord bringen und etwa zweihundert Meter vom Raumschiff entfernt mit einer Hand an einen Baum ketten. Als wir starteten, waren die ersten Schiffe der Flotte kaum noch drei Kilometer von uns entfernt. Ich schwankte zwischen Freude auf der einen und Grauen auf der anderen Seite. Ich freute mich darauf, die SOL kennenzulernen und zu den Sternen zu fliegen, zugleich aber tat es mir weh, »Unsere Welt Zwzwko« für alle Zeiten verlassen zu müssen. Ich blickte von einem meiner Freunde zum andern, und ich sah, daß es ihnen ähnlich erging wie mir. Anders, ganz anders wäre es gewesen, wenn Etonia und Histar noch gelebt hätten. Mit ihnen hätten wir Freunde an Bord gehabt. Doch so erschien mir unsere Zukunft recht ungewiß. Einer der Männer von der SOL ging zum Funkleitstand und berichtete, wie der Prozeß gegen Zetter Olloss ausgegangen war. Daher wußten die Freunde des Verurteilten schon Bescheid, als wir
in einem Hangar der SOL landeten. Wir dachten uns nichts dabei, und auch Gavro Yaal sah diese Tatsache nicht für wichtig an.
* Bericht: Gavor Yaal Auf dem Flug von dem Planeten der Kowalleks zur SOL ließ ich Auli-Phans die Berichte für das Logbuch sprechen, und ich bin froh darüber, denn nun weiß ich, was in den letzten Tagen geschehen ist. In der Zentrale herrschte eine gedrückte Stimmung, als wir im Hangar der SOL landeten. Wir alle waren entsetzt über die Folgen der Taten, die Zetter Olloss begangen hatte. Und ich war keineswegs froh darüber, daß er mir durch sein Verhalten bewiesen hatte, daß die Menschen der SOL nicht dazu bestimmt waren, auf einem Planeten zu leben. An Bord wären die Geschehnisse von »Unserer Welt Zwzwko« nicht möglich gewesen. »Ihr werdet sehen«, sagte ich zu Auli-Phans und seinen Freunden, »ein Mann wie Zetter Olloss ist die ganz große Ausnahme. So etwas wie mit ihm werdet ihr nicht noch einmal erleben. An Bord herrscht Frieden. Es gibt keine Gewalttätigkeiten und Ausschreitungen. Die Solaner sind tolerant und kooperativ.« Ich war von dem Wahrheitsgehalt meiner Worte überzeugt. »Wenn sie so sind, wie Histar und Etonia waren, kannst du stolz sein«, erwiderte Goskan-Dar, der ein enger Freund von Auli-Phans zu sein schien. »Und wenn wir mehr Menschen wie diese beiden treffen sollten, werden wir glücklich sein.« Ich lächelte und erwiderte voller Zuversicht: »Ich bin ganz sicher, daß ihr viele kennenlernen werdet, die so sind.« Ich führte die Kowalleks zum Antigravschacht und brachte sie zur untersten Schleuse, durch die mittlerweile auch die anderen
Besatzungsmitglieder ausstiegen. Ich dachte daran, daß ich die von Etonia und Histar verfaßten Berichte gelesen hatte, die sie während ihres Aufenthalts auf »Unserer Welt Zwzwko« an Bord der SpaceJets abgegeben hatte. Aus ihnen wußte ich, daß beide Eltern hatten, und ich überlegte, wie ich diesen beibringen sollte, daß ihre Kinder tot waren. Es würde schwer werden, aber ich wollte und konnte mich vor dieser Aufgabe nicht drücken. Gerade wollte ich Auli-Phans erklären, was ich zu tun hatte, und daß ich sie aus diesem Grund für einige Zeit allein lassen mußte, als einige der Freunde von Zetter Olloss in den Hangar kamen, ich bemerkte sie zwar in der Menge der Männer und Frauen, die das Schiff verließen, und der anderen, die gekommen waren, um sie abzuholen, oder die Wartungsmaschinen heranfuhren, aber ich achtete nicht weiter auf sie und erwartete auch keine Schwierigkeiten aus dieser Richtung. »Da sind sie«, schrie Stettis Bastio. »Rache für Zetter! Tod den Verrätern.« Ein Energiestrahler blitzte auf. Geblendet fuhr ich zurück. Ein wildes Durcheinander entstand, und drei weitere Schüsse fielen. Ich solperte über irgend etwas und stürzte zu Boden. »Aufhören«, rief ich. »Schluß damit. Was fällt euch ein?« Ich rappelte mich auf und sah, daß Gorkan-Dar und zwei weitere Kowalleks tot auf dem Boden lagen. Die Energiestrahlen hatten sie voll getroffen. Die andere Grünen rasten mit unglaublich schnellen Bewegungen durch den Hangar zu den Freunden von Zetter Olloss hin. Bevor ich es verhindern konnte, hatten sie sich ihrerseits gerächt. Dann stürmten sie durch die Ausgänge hinaus. »Bleibt hier«, brüllte ich. »Lauft nicht weg. Auli-Phans, höre doch.« Vergeblich. Die Kowalleks verschwanden buchstäblich in der SOL. Ich ließ sie
suchen und bemühte mich immer wieder, über Interkom Verbindung mit ihnen zu bekommen. Sie meldeten sich nicht mehr. Es war, als hätten sie sich in Nichts aufgelöst. Erst nach einigen Wochen tauchte hier und da eine Meldung auf, aus der hervorging, daß einer der Grünen gesehen worden war. Die Berichte kamen aus den verschiedensten Teilen des Schiffes, so daß die Kowalleks nicht zu lokalisieren waren. Auch jetzt blieben meine Bemühungen, Kontakt mit ihnen aufzunehmen, ergebnislos. Ich kann nur hoffen, daß es ihnen irgendwann in der Zukunft gelingt, ihr Mißtrauen gegen uns zu überwinden. Vielleicht ändert sich ihre Haltung, wenn sie sehen, wie gut und unter welch glücklichen Umständen die Menschen an Bord der SOL leben.
* Insider legte das Logbuch seufzend zur Seite. Für ihn war nun klar, daß er ein Nachkomme jener Kowalleks war, die Opfer der Gewalttaten der fanatischen Anhänger von Gavro Yaal geworden waren. Auch sein richtiger Name Zwzwko bekam nun einen Sinn. Wo waren die anderen Kowalleks geblieben? Waren sie nach und nach gestorben? War er der letzte von ihnen? Er war jedenfalls der einzige, der zur Zeit von dem profitieren konnte, was er erfahren hatte. Nachdenklich zog er das Logbuch wieder zu sich heran und schlug es zu. Da spürte er, daß das Multibewußtsein in seinen Körper zurückkehrte, denn dieser regte sich plötzlich. Er bemerkte jedoch nicht, daß sich etwas verändert hatte. Auch die beiden Mnemodukte erfuhren nichts davon. Eine gewisse Unruhe trieb ihn hoch. Er blickte sich in der Zentrale
um, sah jedoch nichts, was seine besondere Aufmerksamkeit verdient hätte. »Was ist mit mir?« fragte er laut. Er griff sich an die Stirn, und das instinktive Verlangen kam in ihm auf, irgendwohin zu fliehen. Doch er blieb. Ein körperloser Funke sprang von Oggar auf ihn über und machte ihn ebenfalls zu einem willfährigen Helfer von HIDDEN-X. Damit war die Verfolgung Hapeldans und die Suche, nach dem Flekto-Yn vorerst zu Ende.
ENDE
Daß durch den Aufenthalt im »Sternenuniversum« die SOL-Zeit nicht mehr stimmt, ist inzwischen allen an Bord des Generationenschiffs klar geworden. Ebenso klar ist allen, daß eine Rückkehr in das eigene, normale Universum unter allen Umständen versucht werden muß. Wie diese Rückkehr der SOL vonstatten geht, das berichtet Hubert Haensel im Atlan-Band der nächsten Woche. Der Roman trägt den Titel: STERNENGEISTER