HEIKO KLEINHANNS
INSELTAGEBUCH
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Impressum Inseltagebuch Erweiterte E-Book Ausgabe Version 2 Copyright 2004 By Heiko...
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HEIKO KLEINHANNS
INSELTAGEBUCH
=
Impressum Inseltagebuch Erweiterte E-Book Ausgabe Version 2 Copyright 2004 By Heiko Kleinhanns Alle Rechte vorbehalten www.kleinhanns.de
1
You wouldn’t like it baby. You wouldn’t like it here. Theres’s not much entertainment and the critics are severe. The Maestro says it’s Mozart but it sounds like bubble gum when your waiting for the miracle to come.
»Waiting for the miracle« Leonard Cohen
2
29. 6.
Mache zwecks Kreativität und ungestörtem Arbeiten Urlaub auf einer fast einsamen Insel. Ich bin betrunken und beschimpfe die Einheimischen. Ein schlechter Eindruck ist wichtig, wenn man ungestört arbeiten will.
3
30. 6.
Es riecht nicht nach Salzwasser. Bin enttäuscht, werde mich betrinken.
4
1. 7.
Habe mich einfach betrunken.
5
2. 7.
Ich habe den ganzen Tag verschlafen und abends viel getrunken.
6
3. 7.
Bin früh zu Bett gegangen, um früher mit dem Trinken anfangen zu können.
7
4. 7.
Habe mir einen bösen Sonnenbrand eingefangen, als ich gegen Mittag betrunken am Strand nur kurz eingenickt bin. Teufelsanbetende, einheimische Kinder haben mir sogar noch meine Füße im Sand eingebuddelt, brauchte eine Weile, um mich wieder freizuschaufeln.
8
5. 7.
Halte mich konstant betrunken.
9
6. 7.
Habe mich verlaufen auf der Suche nach einem Kiosk. Verbrachte einen Tag im Wald. Wahrscheinlich war die Geschichte mit dem Kiosk am anderen Ende der Insel ein blöder Scherz der debilen Einheimischen.
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7. 7.
Habe einem Einheimischen einen bösen Streich gespielt und seine Fußmatte ins Wasser geschmissen, Ha! Danach habe ich mich schnell eingeschlossen und noch schneller betrunken, Ha, Ha.
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8. 7.
»Back To Basic« auf dem Flur übernachtet. Der verdammte Schlüssel paßte irgendwie nicht mehr in das Schloß. Wundersamerweise am nächsten Morgen doch die Tür mit demselben Schlüssel aufgesperrt. Tse...
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9. 7.
Habe mir am Strand unglücklich den Fuß verstaucht. Konnte nicht mehr laufen und habe sage und schreibe zwölf Stunden vergeblich um Hilfe gerufen. Merke: Der Telekom einen bösen Brief schreiben. Da bezahlt man monatlich 9,95 Euro Grundgebühr, nur um dann auf einer beschissenen Insel wie dieser keinen Empfang zu haben!
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10. 7.
Habe akribisch eine große Inselumrundung geplant und ausgeführt. War nach zehn Minuten wieder zuhause und habe angefangen zu trinken.
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11. 7.
Betrunken am Strand übernachtet.
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12. 7.
Unglücklich ins Wasser gefallen, war nüchtern.
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13. 7.
Habe gestern Nacht während des Trinkens großartige Zeilen zu Papier gebracht und heute in den Papierkorb befördert, da ich sie nicht mehr lesen konnte. Schade...
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14. 7.
Ich beobachtete ein kleines Mädchen beim Spielen, nur um es dann aus lauter Langeweile anzuschreien, ob es nicht endlich aufhören könne, mich zu nerven. Danach habe ich mich betrunken, weil mir das Kind leid tat. Hat immerhin geholfen.
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15. 7.
Trinke zu viel, bemerke Realitätsverluste. Habe mich dennoch mit einer Robbe zu einem Glas Rotwein verabredet.
19
16. 7.
Das Treffen mit der Robbe war ein Reinfall. Sie ist gar nicht erst erschienen. Habe trotzdem Rotwein getrunken.
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17. 7.
Habe beschlossen, mal einen ganzen Tag nichts zu trinken. Habe dafür den ganzen Tag lang Liebesgedichte geschrieben, bis mir auffiel, daß ich sie an niemanden adressieren konnte. War auf einem Mal traurig und habe wieder angefangen zu trinken.
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18. 7.
Habe die Fliegen gezählt, die zuhauf auf meinem Körper sitzen und sich beköstigen. Vielleicht sollte ich mal wieder duschen.
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19. 7.
Den Sinn des Lebens erfolgreich in einer Weinflasche ertränkt! Habe mir deswegen eine selbstgeschriebene Urkunde verliehen. Ich bin stolz auf mich.
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20. 7.
Habe mir überlegt, ob Einstein mit seiner Theorie immer noch Recht hätte, wenn der Raum an sich doch ein starres Gebilde wäre. Habe dann doch lieber angefangen zu trinken, weil Denken so ungemein ermüdend ist.
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21. 7.
Spiele mit mir »Hol das Stöckchen!«, weil mir langweilig ist. Mir ist egal, wie das aussieht.
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22. 7.
Versuche die Zeiger meiner Digitaluhr zu hypnotisieren. Versuch schlägt fehl, weil ich mich zu wenig konzentriere (oder zu wenig getrunken habe).
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23. 7.
Habe meinen eigenen Frieden verlegt und bin nun auf der Suche nach ihm. Stolpere dabei über den Korkenzieher und finde zumindest wieder ein bißchen Zufriedenheit.
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24. 7.
Der Rotwein macht mich ein bißchen melancholisch, stelle mir zwei Schafe beim Liebesakt vor und bin wieder fröhlich.
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25. 7.
Ich esse etwas, was einer braunen Bratwurst gleicht, dessen komische, krümelige Konsistenz mich nur etwas verwundert. Später erfahre ich, daß es sich mal wieder um einen Scherz der Einheimischen handelte. Die Bratwurst war weniger Brat, aber dafür um so mehr Wurst...
29
26. 7.
Habe mich vor meinem Spiegelbild erschrocken und mich auf den Schreck umgehend betrunken.
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27. 7.
Ich habe genug Zeit totzuschlagen, daß ich mich rühme, ein Massenmörder zu werden.
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28. 7.
Hatte gestern im betrunkenen Kopf einen heftigen Streit mit mir selber. Worüber, weiß ich nicht mehr, nur noch, daß ich rausgeschmissen wurde.
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29. 7.
Versuche zu beten, kriege aber meine zitternden Hände nicht zusammen. Ich belasse es dabei, die ausliegende Bibel anzugucken und hoffe, daß die Hölle nur eine Erfindung ist.
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30. 7.
Mache Schreibspiele, da Wortspiele zu anstrengend sind. Regalageregeneger
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31. 7.
Habe anhand der Größe der Insel und der Anzahl von Straßen und Wegen auf ihr ausgerechnet, wie groß die Chance ist, von dem einen existierenden Auto angefahren zu werden und dachte, es sei relativ sicher, spazieren zu gehen. Nun ja, ich glaube ich habe mir nur ein paar Rippen gebrochen und mir ein paar Schrammen bei dem Unfall zugezogen. Zum Glück lief ich langsam gegen das parkende Auto. Nüchtern wäre die Sache sicherlich nicht so glimpflich ausgegangen.
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1. 8.
Habe Heimweh nach dem Spirituosenladen an der Ecke.
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2. 8.
Stelle mir vor, daß die Einheimischen sogar mit ihren Gummistiefeln ins Bett gehen. Muß lachen. Bekomme prompt einen starken Hustenanfall, weil ich das Lachen nicht mehr gewohnt bin (hier).
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3. 8.
Trinke Rotwein aus zwei Gläsern, um mir etwas Geselligkeit vorzugaukeln.
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4. 8.
Schiffe betrunken aus dem Fenster, weil die bösartigen Einheimischen anscheinend mein Badezimmer versteckt haben. Am nächsten Tag ist es immerhin wieder da. Es riecht nur etwas streng vor meinem Fenster.
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5. 8.
Habe versucht Zwist und Zwietracht zwischen den Einheimischen zu säen, indem ich jedem erzählte, daß ich mit der Frau meines Vermieters geschlafen habe. Wurde nur ausgelacht. Hatte dann so viele Schamgefühle, daß ich mich betrinken mußte.
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6. 8.
Versuche die These zu testen: »Bellende Hunde beißen nicht.« Verliere dabei unglücklicherweise einen Fuß. Was aber zum Glück nicht sonderlich das Trinken erschwert.
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7. 8.
Saß auf einer Bank und fütterte Gänse. Verglich eine Einheimische, die vorbeikam, poetisch mit eben jenen und habe nun Bank-SitzVerbot auf Lebenszeit als Dankeschön erhalten. Komisches Völkchen, diese Einheimischen.
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8. 8.
Habe so viel getrunken, daß ich nicht mehr weiß, wo links und rechts ist. Als es mich unsanft zu Boden streckt, genügt mir die Erkenntnis, daß ich aber immerhin noch weiß, wo unten ist.
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9. 8.
Tue etwas für meinen Körper und meinen Geist. Meditiere im Schneidersitz. Bis ich einen argen Krampf in den Beinen kriege und beschließe, lieber zu trinken.
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10. 8.
Habe einen Schwelbrand gelegt, um zu sehen, ob es auf diesem kleinen Eiland so etwas wie eine freiwillige Feuerwehr gibt. Nachtrag: Die Antwort lautet Nein. Werde weitere Experimente in Bezug auf Katastrophenalarm, Nuklearangriff und medizinischer Versorgung im Notfall unterlassen, um Menschenleben zu retten. Ich werde mich für den Friedensnobelpreis vorschlagen.
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11. 8.
Versuche ein Buch mit einer Kaffeetasse auf dem Umschlag zu lesen. Bin enttäuscht von der Qualität. Die Buchstaben verschwimmen einfach, wenn man nur etwas betrunken ist.
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12. 8.
Das Wetter heute ist miserabel, es gießt wie aus Eimern. Die Einheimischen bleiben schön in ihren Häusern. Endlich Zeit, um einmal das zu tun, was ich schon immer mal machen wollte. Ich entledige mich meiner Kleidung, gehe vor die Tür und springe nackt, laut jauchzend über die Insel. Herrlich, was für ein Spaß!
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13. 8.
Habe mir aus unerklärlichen Gründen eine schwere Grippe eingefangen, vielleicht sogar eine Lungenentzündung. Wahrscheinlich habe ich in letzter Zeit zu wenig getrunken.
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14. 8
Habe im betrunkenen Kopf versucht, mich für Vögel zu interessieren, und bin aus dem Fenster gesprungen. Was für ein Reinfall.
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15. 8.
Betrachte den langweiligen Sonnenuntergang und studiere dann doch wieder das Etikett der bei weitem gehaltvolleren Weinflasche.
50
16. 8.
Habe ein wenig Schafskot in weißes Papier gewickelt und auf der Heizung getrocknet. Werde es Kunst nennen und als Landschaftsskizzen teuer an all die verkaufen, die ohnehin keine Ahnung von Kunst haben. Ich rechne mir aus, daß die Anzahl derer doch groß genug sein müßte, um mich reich zu machen.
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17. 8.
Ich fühle mich einsam und führe tiefsinnige Gespräche mit einem Pizzakarton.
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18. 8.
Habe Durchfall, muß mehr trinken, um nicht innerlich auszutrocknen.
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19. 8.
Sonntag. Habe mich zwecks Annäherung zusammen mit den Einheimischen in die einheimische Dorfkapelle begeben. Und dann an der Orgel »Great Balls Of Fire« fast fehlerfrei zum besten gegeben! Erntete nur böse Blicke, wahrscheinlich ist die positive Botschaft des Rock`n´Roll noch nicht bis hierhin vorgedrungen. Primitives Völkchen hier.
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20. 8.
Mit einer Möwe um einen Brotkrumen gekämpft, Möwe das Genick gebrochen und den Kadaver in die einheimische Gemeinschaftstiefkühltruhe gelegt. Fühle mich wie ein Jäger und Sammler aus der Steinzeit.
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21. 8.
Habe mich heute nach zwanzig Tagen zum ersten Mal wieder rasiert. War überrascht zu sehen, wie mein Gesicht eigentlich aussieht. Freudig vor dem Spiegel sitzend ausgiebig getrunken.
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22. 8.
Habe viel Zeit nachzudenken, kann damit aber nichts anfangen.
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23. 8.
Plan zur Übernahme der Weltherrschaft ausgearbeitet und im folgenden Delirium schlichtweg wieder vergessen.
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24. 8.
Habe Nachrichten geguckt und bitterlich geweint, als ich auf der Wetterkarte den Namen meiner Heimatstadt las.
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25. 8.
Spiele Mikado mit zwei Schnürsenkeln gegen mich selber und schaffe es einfach nicht zu gewinnen.
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26. 8.
Halte es betrunken für eine künstlerisch wertvolle Idee, die Szene aus »Life Of Brian« nachzuspielen, in der Brian nackend sein Fenster aufstößt. Die erwartete Bewunderung bleibt aus. Werde von den Einheimischen ausgelacht.
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27. 8.
Beschließe in meiner grenzenlosen Güte die einheimische Inselwirtschaft anzukurbeln und erwerbe drei Briefmarken zu je 55 Cents.
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28. 8.
Bastel mir aus Zierefeu einen Heiligenkranz, um bei den Einheimischen besser anzukommen.
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29. 8.
Bei einem Glas Wasser schäme ich mich vor dem, was Charles Bukowski jetzt wohl von mir halten würde.
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30. 8.
Lag den ganzen Tag betrunken am Ufer der Insel und wartete darauf, endlich vom Meer davon gespült zu werden.
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31. 8.
Habe mir Socken über die Hände gezogen und spiele ein gar fröhliches Puppentheater vor meinem Fenster, werde anschließend mit Eiern und Tomaten beworfen. Wahrscheinlich weil ich so einen hungrigen Eindruck mache...
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1. 9.
Finde eine tote Fliege in meinem Mund, sollte mich wohl mehr bewegen.
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2. 9.
Versuche unter der ständigen Infrarotbestrahlung der Fernbedienung meines Fernsehers mich zu einem mutierten Superhelden zu verwandeln. Höre erst damit auf, als mir ein zweites Gehirn aus der Nase wächst, denn dieses hält die ganze Strahlungstherapie für absurd.
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3. 9.
Wünsche mir einen großen Zirkus auf die Insel, um einem Clown mein Leid klagen zu können.
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4. 9.
Hatte ein Erlebnis mit dem Staubsauger, das ganz und gar nicht jugendfrei ist.
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5. 9.
Habe starke Kopfschmerzen bekommen, beim Überlegen meines Vornamens.
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6. 9.
Suche nach meinem Vornamen gestern Nacht aufgegeben und mir einen neuen ausgedacht.
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7. 9.
Große Enttäuschung! Zwei doppelt gesehene Weinflaschen entpuppten sich als eine.
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8. 9.
In großer Verzweiflung mit der dorfältesten Einheimischen über die Grauen des ersten Weltkrieges geredet. Danach versucht, mich an ihrem Rockzipfel aufzuhängen.
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9. 9.
Halte mich in künstlerisch wertvoller Umnachtung für Elvis Presley und gebe ein umjubeltes Konzert unter dem Küchentisch.
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10. 9.
Schreibe eine Geschichte mit dem Titel: »(Eigene) Hände auf (eigener) Haut« und fühle mich wie ein Triebtäter.
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11. 9.
Bin einsam und habe mich zur Abwechslung mal hemmungslos betrunken.
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12. 9.
Habe versucht, Mozarts kleine Nachtmusik zu rülpsen und bin gescheitert.
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13. 9.
Wurde Zeuge einer Tragödie! Stieß ein Glas Wein um, bei dem Versuch mit der Nasenspitze meinen Ellenbogen zu berühren.
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14. 9.
Ein Schwächeanfall fesselt mich ans Bett oder sind all die Taue und Seile an meinen Händen und Füßen gar wieder ein böser Scherz der schlechtgelaunten Einheimischen?
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15. 9.
Tue heute mal ganz selbstlos ausschließlich etwas Gutes für meinen Körper und lutsche den ganzen Tag Vitamintabletten.
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16. 9.
Habe sämtliche Positionslichter der Insel ausgeknipst. Jetzt weiß die Insel gar nicht mehr, wo sie ist, Ha, Ha!
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17. 9.
Heule Rotz und Wasser, bin vorhin am Strand aus Versehen auf ein Möwenbaby getreten. Muß viel trinken, um den großen Flüssigkeitsverlust auszugleichen.
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18. 9.
Schreibe schon mal vorsorglich meinen eigenen Nachruf und verpacke ihn mit viel Pathos als Flaschenpost. Bedeutungsvoll stehe ich an der rauhen See und werfe meinen Nachlaß in die tosenden Wogen, wo die Flasche unglücklicherweise an einem Fels zerschellt. Nicht einmal mehr die See ist mein Freund! Ich verbrenne meine, als Souvenir gekaufte, Kapitänsmütze und bin frustriert.
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19. 9.
Signiere die Wände meiner Unterkunft mit Sprüchen von Charles Manson und hoffe, daß die Einheimischen mich somit in guter Erinnerung behalten, nachdem ich abgereist bin.
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20. 9.
Bewundere Robinson Crusoe dafür, daß er nur eine Romanfigur war und Beethoven, daß er tot ist.
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21. 9.
Die Einheimischen begegnen mir zum ersten Mal in dieser Zeit sehr freundlich. Wahrscheinlich weil ich heute abreise. Ich bedanke mich für ihre Gastfreundlichkeit und sage, daß ich bestimmt nächstes Jahr wiederkommen werde, weil es hier so schön ist! Die freundlichen Gesichter verwandeln sich schlagartig wieder in das gewohnt griesgrämige. Und ich bin froh, daß ich keinen falschen Eindruck von dieser Insel und ihren Einheimischen mit nach Hause nehmen muß, all die leeren Flaschen in meinem Koffer wiegen schon genug. Auf Wiedersehen.
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Holden Coldfield, eine Silvester-Anekdote
E
s tat gut, heute Morgen auf der Toilette, den ganzen Unrat einer langen Nacht aus meinem Körper fließen zu spüren. Es tat gut zu scheißen. Es tat gut, danach eine Zigarette zu rauchen und auf ein Frühstück gänzlich zu verzichten, um direkt wieder ins Bett zu gehen. Ich interpretierte meine starken Kopfschmerzen als ein gutes Zeichen dafür, dass ich noch ein wenig am Leben war und wunderte mich doch wieder einmal darüber, wie ich es geschafft hatte, im tiefsten Delirium meinen Weg nach Hause zu finden. Um meinem Kopf einen Gefallen zu tun, versuchte ich gar nicht erst, mich an diesen letzten Teil der Nacht zu erinnern. Ich beließ es einfach dabei, zu akzeptieren, dass ich nun wieder hier war. Silvesterabend. Ich hatte alle Schreibarbeiten für das alte Jahr erledigt, öffnete eine Flasche Wein und unternahm einen nicht ganz ernst gemeinten Versuch, ein Resümee zu ziehen. Das Ergebnis war lediglich die Erkenntnis, dass ich recht gehandelt hatte, mir erst gar keine Ziele gesetzt zu haben. Ich hätte keines von ihnen erreicht. Aber der Wein und die wohltuenden Klänge einer al-
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ten Queen-LP hielten mich bei Laune. Irgendwann jedoch war auch der Wein alle, die LP zu Ende und ich wusste nicht so recht, was ich mit diesem angebrochenen Abend noch anfangen sollte. Silvester. An ein Frühes-ins-Bett-Gehen war verständlicherweise nicht zu denken und das Fernsehprogramm war, wie immer an diesem Tag, zum Kotzen. Auf allen Sendern liefen ständig diese uralten Sketche. Schon als Kind konnte man nicht über sie lachen und jetzt, als Erwachsener, wo man ohnehin versuchte, sich das Lachen abzugewöhnen, waren sie noch dümmlicher. Um nicht die Nacht frustriert zu Hause verbringen zu müssen, beschloss ich lieber frustriert auf irgendeine dieser zahlreichen Silvesterpartys zu gehen. Ich hatte durchaus kein Interesse an menschlicher Nähe, aber ich würde sicherlich die Möglichkeit haben reichlich Getränke zu mir zu nehmen, und ab einer gewissen Menge würde ich mich dann sogar wieder wohl fühlen. Ich kramte mein altes, staubiges Adressbuch hervor und sah die Einträge durch, nach mir noch ein wenig bekannt klingenden Namen. Ich führte Telefonate, strich einen Namen nach dem anderen auf meiner Liste ab. Entweder gab es keine Partys dieses Jahr o-
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der ich war nirgendwo mehr gern gesehen. Der häufigste Satz aller Telefongespräche klang im Grunde genommen etwa: »Och nö, wir machen nix, och nö, muss ja nich sein so...« Verdammte Arschlöcher, dachte ich beim Anblick meiner komplett abgearbeiteten Liste. Silvester. Ich war der einsamste Mensch auf der Welt. Nach Leerung der zweiten Flasche Wein hatte ich die, wie ich zu diesem Zeitpunkt fand, gute Idee einfach irgendwo hinzugehen. Und ich ging. Zuerst aus der Tür, dann aus meinem Haus, auf die Straße und ich machte erst wieder halt, als ich vor der ersten Kneipe, ein paar Häuserecken weiter, stand. »Geschlossene Gesellschaft«, las ich auf dem liebevoll geschriebenen Schild an der Eingangstür. Ich hielt es für eine prima Idee trotzdem hineinzugehen. Immerhin war es Silvester, Menschen feierten ausgelassen und das Fest der Nächstenliebe war auch noch nicht allzu lange her. Ich erwartete einen wohlwollenden Empfang, wenn auch nur aus Mitleid. »VERPISS DICH!«, schrie ein, schon sehr angetrunkener, Herr auf einem Barhocker mir unmissverständlich zu, nachdem erst die Musik ausgegangen war, dann das Licht ein-
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geschaltet wurde und ich in die verärgerten Augen der gesamten Gesellschaft blickte. Ich zog es vor, diesen Ort wortlos zu verlassen. Mit demselben Erfolg und denselben mir entgegen geschrienen Worten durchstreifte ich eine ganze Weile lang sämtliche, sich auf meinem Weg befindende Kneipen, Bars und Gesellschaften. Wäre ich nicht ohnehin frustriert gewesen, so wäre ich es jetzt geworden. Silvesternacht und die Rhetorik der feiernden Menschheit war auf ein: »VERPISS DICH!« zusammengeschrumpft. Mein Weg führte mich zu guter Letzt zum alten Marktplatz und hier war sie also, zu meiner großen Überraschung, die einzige öffentliche Feier! Menschenmengen drängten sich fröhlich zwischen diverse Buden hindurch, irgendwo auf einer kleinen Bühne spielte eine Band, wenn ich auch einsam war, so war ich zumindest nicht mehr alleine. Die Band spielte gerade die ersten Takte von Queen’s, »We Are The Champions«, eine hübsche Frau lächelte mich kurz aber ehrlich an und ich erblickte den ersten Getränkestand, an dem gerade ein Platz frei wurde. Manchmal, ja wirklich manchmal, hatte der miserable Film des Lebens für einen eine wirklich gute Szene parat. Fast glücklich und im Ansatz zufrieden erwarb ich einen Drink.
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Bei der Bestellung des zehnten Drinks verblieben nur noch wenige Minuten bis zum Jahreswechsel. Mit Sektgläsern bewaffnet und in freudiger Erwartung blickten die Menschen um mich herum ungeduldig auf die Uhr. Das Niveau der Band sank wieder auf Bryan Adams hinab, ich wurde wegen der allgemeinen Aufregung ein wenig um das Wechselgeld beschissen, aber aufgrund meiner, wahrscheinlich schon schwergängigen, Zunge beschloss ich nichts zu sagen. Jeder hier schien glücklich zu sein, Paare alberten herum, Familien nahmen ihre Kinder an die Hand, Freunde herzten sich, selbst die Mitglieder der ansonsten schlechten Coverband hatten ihren Spaß. Alle Menschen, die in dieser Nacht arbeiten mussten, würden gleich, egal was sie gerade taten oder tun mussten, einen Augenblick lang innehalten, um sich ein frohes, neues Jahr zu wünschen, egal wo auf der Welt. Und ich? Ich hatte das wahnsinnig dringende Bedürfnis auf Klo zu müssen. Mir blieben nur wenige Minuten, wenn ich nicht den entscheidenden Moment des Jahreswechsels, 0:00 Uhr, verpassen wollte. Eilig hielt ich nach einer in Frage kommenden Stelle Ausschau, aber der Platz war dermaßen voller Menschen, dass nicht einmal eine
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Fliege es geschafft hätte, ungesehen zu urinieren. Schnell leerte ich meinen Drink und machte mich zügig auf den Weg durch die Menschenmassen. Am Ende des Marktplatzes entdeckte ich zu meiner großen Erleichterung einen dieser Toilettenwagen. Hastig erklomm ich die wackelige Blechtreppe und huschte an dem Klomann vorbei, der gelangweilt in einem Séparée saß und das Geld entgegennahm, welches man zu entrichten hatte. Beim Vorbeigehen ärgerte ich mich kurz darüber, dass ich doch wieder ein paar Cent bezahlen würde, nach der Verrichtung meines Geschäfts, obwohl ich mir jedes Mal vornahm, einfach so raus zu gehen, ohne zu bezahlen. Zu meinem Entsetzen stellte ich fest, dass jedes Pissoir in diesem kleinen, schäbigen Anhänger belegt war. Wohl oder übel schloss ich mich in einer der ekeligen, stinkenden, aber freien Toilettenkabinen ein. Ich wusste nicht, welche dunkle, böse Macht mir die Idee einredete mich hinzusetzen, aber ich setzte mich hin. Alles lief wie geplant, doch dann... Nein, bitte nicht jetzt, nicht hier, nein, bitte, bitte nicht scheißen... Und dann musste ich scheißen. Minute um Minute verging, nichts kam, wie es kommen sollte. Während ich hilflos
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meine Hände vor das Gesicht schlug und noch immer so rein gar nichts passieren wollte, hörte ich draußen schon die Menschenmenge lauthals zählen: »5..., 4..., 3..., 2..., 1... FROHES NEUES JAHR!« Sektkorken knallten, Massen applaudierten, die Band spielte aus einem, nicht auf den ersten Blick erkennbaren Grund: »Happy Birthday To You«, das Feuerwerk fand seinen Höhepunkt und ich war Holden Coldfield, der einsamste Mensch auf der Welt. Aus irgendeinem unerklärlichen Grund fielen meine Gedanken zurück auf den Klomann. Ich hatte niemanden gehört, der zu ihm kam, um auch ihm ein frohes, neues Jahr zu wünschen. Nicht einmal ein Handy klingelte, geschweige denn, dass ich es hörte, wie er jemanden anrief. Wie mochte es ihm gerade ergehen? So alleine, anscheinend ohne Freunde und menschlicher Nähe, gelangweilt herumsitzend und dankend Geldstücke annehmend. Auf einmal kam mir der Gedanke, dass ich vielleicht doch nicht alleine, der einsamste Mensch auf der Welt war. Da gab es etwas, was mich auf irgendeine sonderbare Weise mit dem armen Klomann verband. Es war, als seien wir für diese Nacht, für diesen Moment Leidgenossen und somit fast so
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etwas wie Freunde. Ich war nicht ganz alleine, ich hatte einen Freund: Der Klomann. Nach dieser wohltuenden Eingebung erleichterte sich auch mein Körper, fast wie von selbst, sämtlicher Innereien und meine Sitzung fand ein schnelles Ende. Ich brauchte nur noch etwas Klopapier. Verdammt, wo war hier das Klopapier? »Alles klar, bei Ihnen da drinnen?«, die dunkle aber angenehm klingende Stimme des Klomannes unterbrach meinen Anflug einer unheilsam aufkommenden, tiefen Depression. »Ich komm zurecht, aber irgendwie fehlt das Klopapier...«, gab ich zurück. Die Schritte des Mannes entfernten sich wieder von meiner Toilettenkabine. Er ging zurück in sein Séparée. Konnte es angehen, dass ich ihn mit meiner Antwort irgendwie beleidigt hatte? Vielleicht war er ja so überzeugt von seinem Beruf, dass ihn jegliche Kritik zu einem Selbstmord bewegte. Oder hatte meine Antwort ihn etwa in seinen Grundsätzen dermaßen erschüttert, dass es in ihm eine derartige Kränkung hervorrief, so dass er sich eingeschnappt und endgültig, bis ans Ende seiner Tage in seinem Aufenthaltsraum, hier im Wagen, zurückziehen würde? Ich wusste es nicht, ich wusste nur, dass ich,
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mit einem Problem mehr, Holden Coldfield war, der einsamste Mensch auf... »Hier, mein Freund...«, eine alte schwere Hand reichte mir unter der Tür eine, noch ganz neue, volle Rolle Klopapier hindurch. Es war die Hand vom Klomann, der wider Erwarten zurückgekommen zu sein schien. »Ähm, tja... Danke...«, gab ich zurück, weil meine Verwunderung mir keine ganzen Sätze gestattete. Die Schritte des Klomannes entfernten sich wieder. Und ich verwendete das Klopapier mit seinem, ihm zugedachten Zweck. Nach Beendigung dieses nur kurz währenden Vorgangs ging ich mit einem Gefühl leichter Dankbarkeit zur Luke des Séparées, in dem der Klomann mittlerweile wieder gelangweilt auf sein Geld wartete. »Danke! Ähh... Klomann?« »Gern geschehen, mein Freund. Ach nenn mich doch bitte Willie, hört sich irgendwie besser an, findest nicht?« »Oh doch, na klar. Also, Danke Willie.« »Tja denn...« »Ach so ja, das Geld.« Ich kramte in meiner Tasche herum und blickte noch einmal auf Willie, den Klomann. Er sah irgendwie mitleiderregend aus, so ganz alleine in seinem Séparée, mitleider-
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regender noch als ich mir immer einredete zu sein. Ich legte ein paar Cent auf seinen Teller. »Also, noch mal vielen Dank. Ich bin Dir nen Gefallen schuldig, Willie, sag Bescheid, wenn Du was brauchst«, ich hielt es für das Mindeste, was ich für ihn tun konnte, ihm ein paar Höflichkeitsfloskeln zu spendieren. »Würde es Dir etwas ausmachen«, gab er zögerlich zurück, »Mir zwei Flaschen Cola zu besorgen und wenn Du Lust hast, zwei Gläser? Ich geb Dir auch das Geld wieder...« »Zwei Flaschen Cola?« »Ja, nur wenn Du Lust hast, ich hab da noch ne Flasche Rum rumstehen und mir ist irgendwie nach... Trinken. Ich lad Dich auch ein, wenn.« Etwa zwei Minuten und sechsunddreißig Sekunden später saß ich mit meinem neuen Freund, dem Klomann, in seinem Séparée und erhob einen nicht zimperlich gemixten Rum-Cola: »Frohes, neues Jahr, Willie!« »Dir auch, ähh...?« »Holden!« »Dir auch ein frohes Neues, Holden!« Der erste Schluck ergoss sich langsam in meinen Hals und irgend etwas an diesem Schluck oder dieser Umgebung ließ mich
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heimisch fühlen. Ich fühlte mich sonderbar geborgen zu diesem Zeitpunkt der Nacht, hier in diesem Toilettenwagen umgeben von Pissoirs und Urinsteinen. Es war merkwürdig, aber ich fühlte mich wohl und nicht mehr ganz so einsam, zwischen all den feiernden Leuten, die sich auf einmal alle liebzuhaben schienen, die miteinander lachten und sich umarmten. Ich hatte niemanden, aber immerhin hatte ich jetzt jemanden, mit dem ich wenigstens trinken konnte. Damit sich der erste Schluck nicht einsam fühlen musste, niemand sollte sich heute einsam fühlen, trank ich gleich noch den Rest der Mischung hinterher. »Und, was machst sonst so, Holden?«, auch der Klomann hatte sein Glas bereits geleert. »Ich? Mmm, weiß nicht... eigentlich mache ich nichts, aber das versuche ich zumindest so gut wie möglich zu machen.« »Wir alle haben unsere Rollen, die wir in diesem Leben zu spielen haben, zugeteilt bekommen, es liegt nur an uns, das Beste draus zu machen...« »Darauf läuft’s wahrscheinlich hinaus.« »Noch’ne Mischung?« »Klar.«
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So und so weiter verstrich die Zeit. Gläser leerten sich, Gläser füllten sich. Die Gespräche verhaspelten sich im Sinn des Lebens oder der Sinnlosigkeit, Gott und die Welt wurden verbalisiert, bis die Gespräche schließlich tief in philosophischen, wenn auch betrunkenen, Ein- und Ansichten wurzelten. Es war ein gutes Gefühl mal wieder mit einem normalen Menschen reden zu können, fernab jeglicher Feierlichkeiten, die um uns herum langsam ihrem Ende entgegen gingen. Irgendwann ging meinem Freund, dem Klomann, und mir der Rum aus und mit ihm gingen uns auch die Gespräche aus. Nach einem ausgedehnten Schweigen beiderseits war es nun an mir, wieder meinen Weg, wohin auch immer, fortzusetzen. »Hör zu, Willie. Ich muss noch weiter...« »Alles klar, Holden, war nett mit Dir.« »Fand ich auch, also denn...« »Ja mach’s gut und schau mal wieder rein...« »Klar, mach ich. Ein Klomann wird nie ganz alleine sein.« Im Gegensatz zu einem Schriftsteller. Schwer wankend verließ ich nach dieser Verabschiedung den Toilettenwagen. Die Stufen hinunter auf den Marktplatz erwiesen sich doch gefährlicher als angenommen und
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so erlangte ich schlitternd, rutschend, fast fallend wieder festen Boden unter den Füßen. Alles wäre gut gewesen, wäre mir da nicht diese konzentrierte, zerstörerische, nun gänzlich ungewohnte Frischluft in die Quere gekommen. Alle angesammelten Alkoholika dieser durchaus nicht trockenen Nacht stiegen mir blitzschnell in den Kopf, hinterließen einen kurzen Stich und bescherten mir einen Rauschzustand, den ich, wenn ich die Wahl gehabt hätte, dankend abgelehnt hätte. Ein günstig positionierter Laternenpfahl rettete mich unsanft vor dem Aufprall auf das Kopfsteinpflaster, als es mir auf einmal die Beine wegriss. Von dem, was dann geschah, weiß ich nicht mehr viel. Ich weiß nur noch, dass ich tierisch wütend war, weil der Getränkestand mir keine Getränke mehr ausschenken wollte, woraufhin ich die Bedienungen mit ziemlich lauten, rüden Worten bedachte, um mich dann doch torkelnd und unter dem Gebrauch wüster Beschimpfungen auf den Weg zu machen. Danach verbrachte ich einige Stunden, auf dem nun immer leerer werdenden Marktplatz, mit dem Versuch, die Frau zu finden, die mich so natürlich und ehrlich bei meiner Ankunft angelächelt hatte. Ich war mir zu diesem Zeitpunkt der Nacht gewiss, dass sie
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mich haben wollte. Zwischendurch erklärte ich noch den acht Bandmitgliedern der Coverband hinter der Bühne, dass sie eigentlich völlig Scheiße waren und befand mich danach eine ganze Weile auf der Flucht vor ihnen. Aber alles weitere...? Bis ich dann schließlich heute Morgen mit etwas Kopfschmerzen erwachte und dieses dringende Gefühl verspürte, einfach nur auf Klo zu wollen, um in aller Ruhe... Ganz alleine, ohne Gespräche, ohne Zwischenmenschlichkeit und schon gar nicht mit irgendeinem positiven Gefühl. Einfach das Leben, Leben- und die Welt, Welt sein lassen, kurzum nur ich und Ich selbst sein. Neujahrsmorgen. Holden Coldfield, einsamster Mensch auf der Welt, aber: Irgendwie glücklich.
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Einer schlechten Gesellschaft zum Andenken
E
s ist früher Nachmittag, ich sitze an der Bar eines hiesigen Hotels und bestelle mir bei dem gelangweilt Gläser polierenden Barkeeper einen Gin-Tonic. Der Pianist an seinem schwarzen Flügel spielt schon, obgleich ich der einzige Gast dieser Einrichtung bin. Er interpretiert irgendein virtuoses Klavierkonzert, anstatt beruhigende Barklänge und schnulzige Harmonien den melancholischen Gästen zu kredenzen. Wahrscheinlich ist es seine persönliche Rache an seinem Beruf, der ihn zu einem DurchschnittsKneipenpianisten gemacht hat, anstatt ihn auf die Bretter einer Konzertbühne zu stellen. Vielleicht hätte er mal mehr üben sollen, obwohl er seine Sache gerade wirklich sehr gut macht. Ich lasse ihm seine armselige Provokation und beschwere mich nicht, dass er ausnahmsweise mal nicht die Filmmelodie aus Doktor Schiwago oder ähnliche musikalische Verbrechen intoniert. Lustlos stellt der Barkeeper meinen Drink vor mir auf eine Serviette. Ich bedanke mich, obwohl ich es nicht so meine und krame meine Zigaretten aus der Hemdtasche. Der
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Barkeeper gibt mir eine Schachtel Streichhölzer. Sehr aufmerksam. Vielleicht ist es etwas früh, mit dem Trinken anzufangen, aber zumindest ist dies ein besserer Zeitvertreib, als gelangweilt in seinem Hotelzimmer zu sitzen und zwischen drei beschissenen Fernsehkanälen herumzuschalten, nur um sich dann für eine Tierdokumentation zu entscheiden und sich darüber aufzuregen, wie blödsinnig das alles ist. Der Pianist hat sich mittlerweile in Rage gespielt, seine Adern am Hals und an den alten Händen treten hervor, er vollführt wilde Bewegungen mit seinem Oberkörper, was schon sehr beeindruckend ist für so einen alten Mann. Offensichtlich ist er deprimiert, aber das gehört wohl zu dem Beruf eines degradierten Berufskünstlers. Ich bestelle mir einen neuen Gin-Tonic und beobachte, wie der Barkeeper mit einem prüfenden Blick in meine Richtung versucht, mich in eine bestimmte Menschenkategorie einzuordnen. Weiß, Ende zwanzig, unrasiert, wahrscheinlich irgend so ein arrogantes Arschloch... Die Klimaanlage surrt und schafft eine behagliche Temperatur. Der Barkeeper stellt mir einen neuen Aschenbecher hin, obwohl sich in dem anderen erst ein Zigarettenstummel befand. Das nenne ich dekadent!
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Gespielt weltmännisch nicke ich dem Barkeeper zu und bezeuge ihm so meinen unendlichen Dank, für seine prima Serviceleistung. Er nickt zurück und lächelt freundlich, weil das ja schließlich sein Beruf ist und er darauf bedacht ist, seine Sache gut zu machen. Hätte er in der Schule damals besser aufgepasst, wäre aus ihm bestimmt auch etwas geworden und wir könnten gemeinsam hier sitzen und einen anderen hinter der Theke ob seines Berufs belächeln. Eine übertrieben geschminkte Frau, Ende vierzig mit offensichtlich gefärbten Haaren trägt ihren gelifteten Arsch in die Bar und setzt sich neben mich an die Theke. Der alte Pianist unterbricht sein anspruchsvolles Programm um schmachtend »Für Elise« zu intonieren. Nach zwanzig Jahren Berufserfahrung weiß er, was Frauen mögen, zumindest an Musik. Und er gibt sich wirklich Mühe, mit seinem Pathos und einer übertriebenen Mimik wie ein beschissener Richard Clayderman zu wirken. Der Barkeeper hingegen vergisst augenblicklich, dass er eigentlich gelangweilt ist, ihn im Grunde genommen alles ankotzt, hier, und nimmt eine souveräne, gerade Haltung an, setzt ein verschmitztes Lächeln auf und agiert ungeheuer smart. Wie kann es angehen, dass sobald eine, egal wie
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aussehende Frau die Bildfläche betritt, der allgemeine Mann sofort mit seinem Balzverhalten beginnt? Das aktuelle Exemplar ist doch nun wirklich unschön anzusehen, wo ist denn da bitte die Notwendigkeit, es beeindrucken zu müssen? Das Niveau dieser Situation hat einen erschreckenden Tiefpunkt erreicht. Geschickt verwickelt der Barkeeper die Frau in ein belangloses Gespräch, noch bevor sie überhaupt dazu kommt eine Bestellung bei ihm aufzugeben. Mein flüchtiger Blick fällt auf ihre Beine, die schwarze, halterlose Strümpfe erkennen lassen. Wahrscheinlich dienen sie nur dazu, die Krampfadern und die Zellulitis zu verdecken. Das Kleid der Frau ist verdächtig weit hochgerutscht, man erkennt den breiten Saum der Strümpfe und wenn man sich anstrengen würde, könnte man sicherlich noch den Ansatz eines StringTangas erkennen. All die Dinge sind zu offensichtlich um unbeabsichtigt zu passieren, was also soll das ganze geschmacklose Schauspiel? Während ich an meinem Glas nippe und mir die nächste Zigarette anzünde, nimmt der wahrscheinlich notgeile Barkeeper die Bestellung der Dame entgegen, wobei sich jene auf eine Art und Weise nach vorne beugt,
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dass selbst ein Blinder bis zu ihrem Bauchnabel blicken könnte. Der Barkeeper freut sich über diesen Ausblick und schenkt dem, von zu viel Solariumbräune schon faltigen Dekolleté seine größte Aufmerksamkeit und bedankt sich letztendlich mit einem: »Der Drink geht aufs Haus...« Sehen so etwa die Wichsvorlagen der Neuzeit aus? Ich bin verunsichert. Allein schon der Gedanke an so etwas jagt mir einen kalten Schauer über den Rücken. Der alte Sack am Klavier sieht das wahrscheinlich anders, er hat begonnen »Bridge over troubled water« von Simon and Garfunkel zu interpretieren, dazu versucht er auch noch herzzerreißend zu singen. Es misslingt ihm. Der Barkeeper versucht sich wieder an einer Konversation mit der Frau, die sicherlich diverse Löcher in der Bauchgegend hat, vom ewigen Fettabsaugen. Ich lasse mir den Spaß nicht nehmen und gebe direkt in sein euphorisch geführtes Gespräch meine Bestellung auf, nämlich einen weiteren Gin-Tonic. Er wirft mir einen bösen Blick zu und wirkt dabei ganz und gar nicht professionell. Ich spiele ihm ein Lächeln vor, denn ich bin professionell. Er dreht sich um und macht mir meinen Drink.
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»Hey Schätzchen, haste wohl ma Feuer für’ne Lady?«, die Frau hat sich zu mir gedreht, wobei ihre Designer-Tittchen etwas hüpfen, und mich doch wirklich angesprochen! Was soll die Scheiße? Ich bin hier doch nur der stille Beobachter, der keine Lust hat, sich über ein langweiliges Fernsehprogramm zu ärgern und nicht einer dieser billigen Akteure dieser anwesenden Gesellschaft. Wortlos schiebe ich ihr meine Streichhölzer über den Tresen. »Ein herrlicher Nachmittag, was?«, sie zündet sich affektiert ihre extra lange Zigarette mit dem extra langen High-SocietyFilter an und das sieht dämlicher aus als Terence Hill ohne seine blauen Kontaktlinsen. »Keine Ahnung«, gebe ich knapp zurück, »War heut noch nicht draußen.« »Hätts aber ruhig ma sein solln, Schätzchen...« »Vielleicht...« Und warum ist sie nicht einfach draußen geblieben, wenn es da ach so schön war? Echtes Sonnenlicht schadet meinem Teint... Zum Glück kommt der Barkeeper gerade rechtzeitig mit meinem neuen Drink, bevor die Unterhaltung weitergeführt werden kann. Das »Danke« ist dieses Mal ernst gemeint. Er guckt nur leicht angewidert und widmet
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sich wieder der Dame mit den hässlich geschminkten Lippen. Aus ihrem Gespräch entnehme ich, dass er Barkeeper ist (aus Überzeugung, denn Geld lässt sich damit nun wirklich nicht verdienen) und nach einer großen Enttäuschung wieder alleine lebt und sich manchmal einsam fühlt. Sie ist in der Werbung und wird langsam etwas zu alt für den Job (obwohl die jungen Hüpfer nun gar nichts an Erfahrung haben), aber weil sie noch so viel Spaß an ihrem Job hat und ihn nicht verlieren will, geht sie sich ständig liften lassen. Er wiederum hat seinen Glauben an die Liebe und an das Gute im Menschen nach jener traurigen Erfahrung verloren, man müsse sich ja nur mal die täglichen Nachrichten im Fernsehen angucken, aber immerhin würde er gerne wieder an die Liebe und die Geborgenheit glauben. Ihr Mann habe sie sitzen lassen, wegen irgend so einer fünfundzwanzigjährigen Schlampe aus seinem Biologie-Kursus. Sollen die man zusammen glücklich werden, ihr sei es egal, sie hat ja jetzt schließlich das Geld und gewusst wie, macht Geld doch noch viel, viel glücklicher. Er habe nicht viel Geld, aufgewachsen in einer zerrütteten Familie, aus armen Verhältnissen, hatte er es nie leicht, sich auf den Straßen durchzu-
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kämpfen. Aber das hat ihn geprägt und gut vorbereitet auf das Leben, was ja, weiß Gott, kein Zuckerschlecken ist. Sie liebt Tiere, besonders weiße, kleine Pudel, er ist gut zu Vögeln, ähm, Ha, Ha, er mag natürlich Vögel, er hat sogar einen Wellensittich zu Hause, um sich zumindest mal ab und zu mit jemanden zu unterhalten. Tja, so, ach ja, lustig... Gespannt sehne ich mich nach der Wirkung des Alkohols meiner diversen Drinks, die mich doch nun gefälligst immun gegen dieses idiotische Geschwätz machen soll. Aber auch diese Wirkung tut es dem Leben gleich und lässt auf sich warten. Der Pianist spielt nun etwas Balladeskes aus der West Side Story, einem etwas musikalischeren Abklatsch von Romeo und Julia. Er gibt sich wirklich Mühe, interessant zu wirken, aber niemand der Beteiligten nimmt ihn wirklich wahr. Das Geklimper bleibt Hintergrundmusik, Auswürfe eines alten Radios, dessen Sender man nur nicht mehr verstellen kann, geschweige denn, dessen Lautstärke. Anscheinend sieht er das anders und haut um so vehementer in die Tasten seines schwarzen Flügels. Ich widme meine Beobachtungen der Einrichtung dieses Etablissements, um mich ab-
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zulenken von dem platten Gespräch zwischen dem enttäuschten Balg und der enttäuschenden Ziege. Rustikal ist wohl das Wort, welches man verwendet, wenn man eigentlich alte, konservative Scheiße meint, wie in diesem Fall. Die Bar ist in dunklem Holz gehalten, gewollt schlecht beleuchtet und strahlt die Gemütlichkeit eines alten, knarrenden Schaukelstuhls aus. Nostalgischer Charme? Ich weiß es nicht. Einzig und allein der Spiegel mir gegenüber, der sich über die gesamte Länge des Tresens erstreckt, sticht interessant zwischen den Gläser- und Getränkeregalen, die vor ihm angebracht sind, hervor. Ich habe eine ausgezeichnete Sicht auf mich selbst, es ist beruhigend zu wissen, dass das Haar noch liegt, es nicht allzu blöd aussieht, wenn man einen Schluck aus seinem Glas nimmt oder auch, dass man sich beim Rauchen zuzwinkern kann. Leider ermöglicht diese Spiegelwand auch einen direkten Blick in die Augen meiner nebensässigen Gefahrenquelle. Soeben kreuzten sich unsere Blicke und das Lächeln galt garantiert nicht dem Barkeeper, dessen Schultern, im Spiegel gut zu erkennen, Schuppen aufweisen. Um nicht völlig ratlos auszusehen, zünde ich mir eine weitere Zigarette an und um
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nicht im Notfall ratlos zu agieren, nehme ich einen größeren Schluck als üblich von meinem Getränk. Sicherheit ist kein Zufall. Ich überlege kurz wieder auf mein Zimmer zurückzukehren, doch das Zentrum der Vernunft hat schon, auf Anraten der diversen Getränke, Feierabend gemacht und so überwiegt der Gedanke, man könne ja etwas verpassen... »Was machst Du hier so ganz alleine und um diese Uhrzeit, Schätzchen?«, ohne Vorwarnung greift wieder ein Gespräch an. Der Barkeeper ist gerade beschäftigt und »Schätzchen« das wohl bescheuerteste Wort gealterter Möchtegern-Lolitas, die sich auch noch für unwiderstehlich halten. Nicht jeder ist seinem Alter gewachsen und fast niemandem gelingt es, zu akzeptieren, was oder wer er im Grunde genommen ist. Diese Gesellschaft züchtete offensichtlich Hypochonder, mit einem durch Werbung und den Medien aller Art suggerierten, perfekten Menschenbild. Die Erschaffung eines perfekten Menschen, hatten wir das nicht schon mal? Sehr gefährlich. »Ich will mich in Ruhe betrinken!«, gebe ich pampig zurück. Schließlich bin ich nicht hier, um mir Freunde zu machen.
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»Was hältst Du davon, wenn wir unsere Unterhaltung auf meinem Zimmer weiterführen, bei einer guten Flasche Wein? Mmmh, Schätzchen, nur wir beide?« »Ich weiß nicht...« »Meinst nur weil ich nicht mehr die Jüngste bin, was? Aber glaub mir, nach mir wirst Du nur noch ältere Frauen wollen, Schätzchen.« »So?« »Ich werd Dir nich danach mit so’m Scheiß kommen, wie Liebe oder wir sollten uns ma öfter sehen oder so etwas, was die jungen Dinger immer von Euch gutaussehenden Jungs erwarten. Und anstatt verschüchtert auf dem Rücken zu liegen, werd ich Dir schon zeigen, wo’s lang geht, Schätzchen...« »Aha.« Vielleicht sollte ich sie fragen, was sie kostet, so wie sie sich aufführt. Natürlich klingen all diese Sachen äußerst verlockend, aber mein Alkoholkonsum hat es noch nicht einmal annähernd geschafft, sie wenigstens etwas schön zu trinken. Sie bleibt einfach unappetitlich. Das werde ich ihr wohl jetzt irgendwie schonend beibringen müssen. Glücklicherweise hat der Barkeeper mittlerweile schon wieder die Situation gerettet und die Dame erneut in ein Gespräch verwi-
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ckelt. Ich muss ihr nicht mehr antworten, sondern nur noch ihre belästigenden Blicke im Spiegel ertragen. Irgendein Herr im Anzug und mit lustiger Bärchenkrawatte betritt die Bar, setzt sich an einen Tisch und studiert mit hochgezogenen Augenbrauen die Getränkekarte. Kurz darauf kommt noch ein ausgelassen schäkerndes Pärchen herein und setzt sich an die Bar. Die Situation ist nicht mehr so gut überschaubar. Zeit für mich zu gehen. Ich bezahle meine Rechnung. Beim Verlassen der Hotelbar höre ich noch, wie sich der Barkeeper und die Stute aus der Werbebranche nach Feierabend zu einer nächtlichen Stadterkundung verabreden und dass man sich freue. Der Herr im Anzug kratzt sich ungeniert an seinen weißen Tennissocken und das Pärchen flüstert sich unanständige Worte ins Ohr und kichert blöd. Der Pianist ist schon bei einer äußerst geschmacklosen Version von Sinatras »Strangers in the Night« angelangt und wirkt damit deplazierter als je zuvor, denn es ist ja noch hell draußen und es will so rein gar nichts hier an Nacht erinnern, nur ein Fremder sind wir hier alle. Zeit zu gehen, mehr als drei Menschen auf einem Haufen machen mir Angst.
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Der so genannte Inspirierte
Kapitel I
D
er so genannte Inspirierte sitzt jetzt auf einer Insel und guckt gehaltvoll aus dem Fenster. Die Leere und das Nichts verbinden einander, dass beide unendlich erscheinen. Nur hier sind sie sogar greifbar. Den paar wenigen Menschen, die hier leben, sieht man es an, dass sie durch Inzest entstanden sein müssen. Der so genannte Inspirierte setzt sich auf die Couch und fasst sich an den leer wirkenden Kopf. Beim Ausräumen seiner wenigen Sachen ist ihm vorhin aufgefallen, dass er seine Bürste vergessen hat. Alles, nur nicht die Bürste! Er wird die kommenden Tage aussehen wie ein verwirrter Troll. Was macht das denn jetzt für einen Eindruck? Nicht dass er hier ungekämmt besonders auffallen wird, denn die Menschen hier wirken sehr ländlich, aber es sieht einfach nicht gut aus, Bauerngesichter hin oder her. Der so genannte Inspirierte brüht sich einen Kaffee, weil es noch zu früh ist, um mit dem Trinken anzufangen und weil bei so viel Inspiration sein mitgebrachter Rotweinvorrat
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gerade mal eine lausige Nacht vorhalten würde. Verkalkuliert, na ja. Dunkelheit, wo bleibt die Dunkelheit? Der so genannte Inspirierte fühlt sich schwanger vor lauter Inspiration, hier, wo die Einsamkeit gnadenlos zuschlägt und einen wahrscheinlich nachts bitterlich in sein Kissen weinen lässt. Aber natürlich, arbeiten lässt sich hier ganz toll. Die Lärmeinwirkung des normalen Lebens ist auf ein Minimum reduziert, die Ruhe ist einzigartig. Nur schade, dass man die Stimmen im Kopf jetzt um so lauter hört. Ein Radio gibt es auch, das lenkt ab. Der so genannte Inspirierte beginnt das jungfräuliche Papier aus der Tasche zu ziehen und spitzt die Feder. Es ist sehr natürlich, rein und unverfälscht, wieder einmal handschriftlich zu arbeiten, anstatt mit dem Computer. Es hat nur einen Nachteil: Der Auswurf großer Gedanken zu spät blauer Stunde, ist am nächsten Tag nicht mehr zu entziffern und wandert somit in den Papierkorb. Das ist auf die Dauer kontraproduktiv und belastet die Umwelt (wegen dem unnötigen Papierverbrauch), obwohl auch hier auf der Insel der Müll strengstens sortiert wird. Warum sollte man nicht auch hier in ganz großem Stil kleinlich sein.
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Der so genannte Inspirierte steigert sich in eine nie geahnte Arbeitswut, zum einen wegen der ganzen, unaufhörlichen, belästigenden Inspiration, zum anderen, weil der Fernseher nicht mehr als zweieinhalb Programme aus seinen Röhren spuckt. Und dann auch noch die zwei öffentlich rechtlichen Programme. Wort reiht sich an Wort, aus Worte werden Sätze, aus Sätze werden Geschichten und aus Geschichten werden Bücher. Ziel erfasst, immerhin. Der Weg ist klar, das Handwerk gelernt, nichts kann nicht schiefgehen. Der so genannte Inspirierte zündet sich eine Zigarette an und benutzt ein filigran gearbeitetes Kerzenglas als Aschenbecher, da nichts anderes zu finden ist. Wird er wohl danach gründlich sauber machen müssen, denn er will ja nicht den Zorn der Einheimischen auf sich ziehen, zumal hier die Fluchtmöglichkeiten ziemlich begrenzt sind und auch das Mobilfunknetz noch nicht so ganz existiert. Aber es gibt hier Strom und fließend warmes Wasser, was ja nicht das Schlechteste ist, wenn man mal beschließt zu duschen. Der so genannte Inspirierte wird ganz müde von der vielen Inspiration und dem ganzen Schreiben und von der vielen frischen
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Luft. Eigentlich fehlt hier nur noch der Knopf, um die blöde Sonne auszuschalten, dann wäre alles perfekt. Endlich schlafen, wenigstens angenehme Träume. Der so genannte Inspirierte hat eine Kurzgeschichte verfasst und legt sie mit einem wohlwollenden Blick zur Seite, um sich ein wenig auszuruhen, nach all der Arbeit, den ganzen Eindrücken, den ersten zwei Stunden auf dieser Insel und nach ALL DER INSPIRATION.
Kapitel II Der so genannte Inspirierte erwacht am nächsten Morgen mit einem unschönen Kater. Hatte er sich doch gestern Abend vor lauter Begeisterung und neu gewonnenen Eindrücken völlig betrunken, so war er jetzt erfreut, herausgefunden zu haben, dass es der schädlichen Wirkung von Alkohol absolut egal war, in welcher noch so schönen Umgebung er eingenommen wurde. Auf Alkohol war wenigstens Verlass, im Gegensatz zu dem Temperaturregler der Dusche, der munter kochend heißes Wasser auf eiskaltem Wasser folgen ließ. Vielleicht war auch nur
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der Regler der Dusche nichts für grobmotorische Schriftsteller. Der so genannte Schriftsteller scheint auf dieser Insel so etwas wie ein Obskurum zu sein. Da er auch hier auf diesem einladenden Eiland nur schwarz trägt und etwas längere Haare als ein normaler Mensch hat (dazu noch ungekämmt), muss er auf die Einheimischen sehr sonderbar wirken. Wenn er an ihnen vorübergeht, wird er mit hochgezogenen Augenbrauen bedacht und hinter seinem breiten Rücken wird sicherlich eifrig getuschelt. Auf einer Insel wie dieser ist ohnehin nichts los, da ist ein Freak schon etwas Besonderes. Den Schriftsteller interessiert es nicht, da er hier ist um zu arbeiten und nicht um zwischenmenschliche Kontakte mit den mongoloiden Einheimischen zu knüpfen. Der so genannte Inspirierte fummelt an dem Radio herum, weil banale Popmusik auf die Dauer Depressionen verursacht und Depressionen auf einer einsamen Insel sehr gefährlich sind. Er findet keinen zweiten Sender, nur das Breitband UKW-Rauschen, wenn auch in Stereo. Aber Rauschen gibt es auch vom Meer ringsherum und zum Berauschen ist es auch nicht so richtig geeignet. Der Schriftsteller schaltet das Radio aus und stellt es in Reichweite der Dusche, falls die
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große Depression doch noch einsetzen sollte. Denn es gibt hier noch nicht einmal Bäume zum Aufhängen. Der so genannte Inspirierte hat ein paar Fotos gemacht, natürlich nur aus dem Fenster heraus, weil mit einem Fotoapparat als Tourist in der unschuldigen Gegend herum zu rennen und zu knipsen ja unglaublich peinlich ist, um nachher zu Hause seine schöne Reise eindrucksvoll unterstreichen zu können. Auf Fotos mit Selbstauslöser, auf denen er selbst zu sehen ist, hat er verzichtet, um den Gesamteindruck nicht kaputtzumachen. Der so genannte Inspirierte schreibt ein Gedicht über den Vollmond, der ihn letzte Nacht nicht schlafen lassen wollte. Nein, es sah schon wirklich eindrucksvoll aus, wie diese große, weiß leuchtende Scheibe über den Wogen des schwarzen Meeres thronte, wie die paar am Nachthimmel stehenden Wolken in ein bleiches Licht gehüllt wurden und das flache Land der Insel majestätische Konturen als Schattenrisse offenbarte. Aber Fakt war nun einmal, dass er nicht schlafen konnte und das ließ sich auch durch die schöne Aussicht nicht verzeihen. Das dadurch inspirierte Gedicht reimt sich und wandert so direkt in den Papierkorb.
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Der so genannte Inspirierte putzt ausgiebig sein Schriftstellermonokel, damit nicht etwaige Staubpartikel die ungetrübte Sicht auf die inspirierende Natur verunreinigen. Dann klopft er aus lauter Langeweile das SOS Zeichen mit einem Metallgegenstand auf einen Heizkörper, nur um zu gucken, was passiert und um die Einheimischen ein wenig zu verunsichern. Nichts passiert. Wenigstens könnte man hier ungestört sterben. Die Umgebung lädt ein, wahnsinnig zu werden. Wenn, ja wenn man es nicht schon lange wäre.
Kapitel III Der so genannte Inspirierte bemerkt mit Genugtuung, dass es selbst auf so einer malerischen Insel Tage gibt, an denen es durchgehend regnet. In der Schublade eines naturholzbelassenen Schranks findet er eine Sammlung mit Gesellschaftsspielen, die dort wahrscheinlich für Tage wie diese in der unglaublichen Weitsicht des Vermieters parat gelegt wurden. Nach dem Öffnen sämtlicher anderer noch vorhandenen Schubladen in dieser Wohnung fehlt nach wie vor jede Spur von der passenden Gesellschaft zu den Spielen.
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Der so genannte Inspirierte entdeckt handflächengroße Ekzeme auf seiner Haut, die sich, sobald bemerkt, nicht den Spaß nehmen lassen auch noch tierisch zu jucken. Durch das viele Kratzen bluten sie jetzt an manchen Stellen. Wahrscheinlich ist hier das Wasser nicht das beste. Oder es sind die ersten Anzeichen von körperlicher Abneigung gegen die unschönen Einheimischen. Der so genannte Inspirierte lässt seinen gehaltvollen Blick durch den Raum schweifen. Das einladende Weiß der Wände schmiegt sich sanft an das gemütliche Grau des Teppichs. Na ja, ist der erste Gedankengang, dem ein gequältes schön folgt. Immerhin ist der Lampenschirm einer kleinen Tischlampe aus den 60ern. Das ist alles sehr nostalgisch. Der so genannte Inspirierte betrachtet mit sorgen vollem Blick seine letzte Flasche Wein, die schon zur Hälfte leer ist. Flaschen sind grundsätzlich zur Hälfte leer, anstatt zur Hälfte voll. Eine halbe Flasche Wein und noch zwei ganze Tage (und Nächte) auf dieser Insel, das wird verdammt eng. Vielleicht etwas mit Wasser strecken, aber das Wasser ist hier ja anscheinend irgendwie giftig. Kann man Schafwolle rauchen? Der so genannte Inspirierte nimmt seinen Kugelschreiber in die Hand und bemerkt,
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dass auf ihm etwas aufgedruckt ist: AKTIV GEGEN KINDESMISSBRAUCH. Wesentlich interessanter ist jedoch die kleine NOTFALLNUMMER, die anbei steht. Der verzweifelte Schriftsteller greift schnell zu seinem Mobiltelefon und wählt hastig die angegebene Nummer. Doch die Netzsuche verläuft erfolglos. Kein Empfang, keine Chance. Das Mobilfunktelefon fliegt zur Strafe an die Wand und zerschellt dort in seine Einzelteile. Es besteht kein Zweifel mehr, erst das Wasser, dann der Wein und jetzt auch noch das Mobiltelefon, der Schriftsteller ist das Opfer einer großen, einer ganz großen Verschwörung.
Kapitel IV Der so genannte Inspirierte wurde in der Nacht von bösen Alpträumen heimgesucht. Er träumte von Zombies, Ausgeburten des Teufels und dem Ende der Welt. Heute wird er garantiert nicht wieder ein Glas Wasser vor dem Zubettgehen trinken. Der so genannte Inspirierte steht wieder einmal vor dem Fenster und lässt sich vom dichten Nebel inspirieren, der die Insel in einer Art Ejakulat-Suppe verschwinden lässt.
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Der Nebel schafft es ganz wunderbar den Blick auf das Wesentliche unmöglich zu machen. Von all der Inspiration belästigt wendet der Schriftsteller seinen Blick vom wolkenverhangenen Himmel direkt in die gardinenlosen Fenster der umstehenden Häuser und spannert ungeniert, da ihm langweilig ist. Hinter fremden Fenstern befindet sich wenigstens noch so etwas wie Leben, zumindest kann man es sich mit ein wenig Phantasie vorstellen. Hinter dem eigenen Fenster stehen meist nur Schatten einstiger Größen und warten auf ihr Verschwinden. Aber für diese Erkenntnis hätte der Schriftsteller nicht in Urlaub fahren müssen. Der so genannte Inspirierte bemerkt bei einem seiner notgedrungen geführten Selbstgespräche, dass er nach dem tagelangen Schweigen Schwierigkeiten mit seiner Muttersprache bekommt. Er wird nach seiner Auszeit einen kurzen Sprachkurs besuchen müssen, um zumindest bei seinem lokalen Bäcker ein paar Brötchen erstehen zu können. Und nicht nur einfache. Der so genannte Inspirierte macht einen künstlerisch wertvollen Abwasch, schreitet großartig sinnierend durch das Zimmer, malt einer spontanen Eingebung zufolge etwa 128-mal das Haus vom Nikolaus auf eines
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der vielen leer gebliebenen Blätter und findet nach einigen konzentrierten Gedankengängen heraus, dass es tatsächlich mit der richtigen Zeichnungstechnik möglich ist, das Haus vom Nikolaus ohne Absetzen der Feder, in einem Strich durchzupinseln. Unter dem Gefühl dankbarer Glückseligkeit folgen weitere 356 Zeichnungen des Hauses vom Nikolaus und der Vormittag ist ohne nennenswerte Verluste überstanden. Dem so genannten Inspirierten ist der Wein ausgegangen. Er versucht sich an den vielen schönen Eindrücken dieser Insel zu berauschen, geht nach draußen und beobachtet ein paar Schafe. Er wird unfreundlich angeblökt, wahrscheinlich weil er ein Fremder ist. Diese Nazis! Er bedenkt das Vieh mit groben Beschimpfungen und groben Verwünschungen, hebt drohend seine Arme zum Himmel und gibt sämtliche Flüche, die ihm geläufig sind zum Besten. Zwischen all den Schafen entdeckt er plötzlich das weinende Gesicht eines einheimischen Kindes. Oh, wie peinlich. Er versucht das arme Kind zu trösten, doch dies rennt schreiend davon, wahrscheinlich zu seiner deformierten Mutter, die dem Schriftsteller wahrscheinlich nach dieser Begebenheit den inspirierten Kopf abreißen wird. Der Schriftsteller weiß, dass von diesem abge-
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schiedenen, unzivilisierten Eiland kein Gewaltverbrechen jemals an die Öffentlichkeit gelangen würde. In den Nachrichten würde es nur heißen: »Schriftsteller anscheinend ins Wasser gefallen und ertrunken. Er gilt zumindest als vermisst...« Niemand wird nach ihm suchen, während er wahrscheinlich mit einer Axt im Kopf irgendwo in den weiten Wiesen röchelnd seinen letzten Atemzug in den Nebel entlässt. Der Schriftsteller schließt sich ein, kauert sich mit einer Steppdecke in die Ecke eines Zimmers, denkt an Mama und hat Angst.
Kapitel V Der so genannte Inspirierte lächelt beseelt in der inspirierenden Einöde herum. Heute ist Abreisetag. Die Sachen sind gepackt, der letzte Abwasch gemacht. Jetzt wo das mitgebrachte Toastbrot in den Mülleimer gewandert ist, hat sich auch rein zufällig der Toaster angefunden. Das Leben besteht aus vielen mittleren Katastrophen. Der so genannte Inspirierte blickt wehmütig auf fünf Tage Einsamkeit zurück. Der Ausschlag auf seiner Haut ist mittlerweile zu einer Flechte herangewachsen, sein Haupt-
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haar ist verfilzt genug, um auf dem nächsten Alternative-Reggae-Festival für beeindruckende Anerkennung zu sorgen und die nächtlichen Hustenanfälle bezeugen wahrscheinlich eine mittelschwere Lungenentzündung, da der Schriftsteller auf all seinen Wanderungen, neben all den viel zu langen, viel zu verschachtelten Sätzen, neben all den imposanten Eindrücken, sich auch beständig nasse Füße geholt hat. Gummistiefel wären eine Möglichkeit gewesen der gefährlichen Nässe zu trotzen, aber Eitelkeit hat schon von jeher die Vernunft übertroffen. Der so genannte Inspirierte bereitet sich auf den großen tragischen Abschied von dieser freundlichen, inspirierenden Insel vor, klebt sich ein paar Tränen in die roten, übermüdeten Augen und probt vor dem Spiegel diverse Abschiedslächeln. Und weil er das mit dem Lächeln hier vor lauter künstlerischer Arbeit so selten gemacht hat, bekommt er flugs einen unschönen Krampf im Gesicht. Das sieht jetzt irgendwie nicht mehr ganz so professionell aus. Der so genannte Inspirierte huldigt noch einmal in Gedanken den weißen Heizkörper, der doch als einziger in der Lage war, ihn wirklich zu wärmen in den langen, kalten Tagen und in den noch kälteren Nächten.
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Mittlerweile sind selbst den so geschätzten Selbstgesprächen der Gesprächsstoff ausgegangen und nur das gelegentliche Husten durchdringt erfolgreich die Stille und das wirklich kreative Schweigen. Der so genannte Inspirierte macht sich auf den Weg. Er macht das kleine Radio aus und dreht den Lautstärkeregler auf volle Lautstärke, damit die nachfolgenden Gäste auch ein wenig Spaß haben, wenn sie das Radio zum ersten Mal unbedacht anstellen. Die traditionelle Bösartigkeit des Schriftstellers kehrt langsam in das angeschlagene Bewusstsein zurück, er befindet sich auf dem Weg der Genesung. Alle Lichter werden gelöscht und die Fenster geöffnet. Das, durch all die Kreativität, exzessiv betriebene Rauchen in diesen kleinen Räumen, macht wohl einen neuen Anstrich dieser Wände unumgänglich. Auch wird es sicherlich für den gütigen Vermieter schwierig, das harmonisch wirkende Gelb aus den einstmals weißen Vorhängen wieder herauszuwaschen. Der Schriftsteller zieht die Tür hinter sich zu und es gibt einen ordentlichen Knall, da jetzt, wo alle Fenster geöffnet sind, ein gefährlicher Durchzug herrscht. Das kleine Treppenhaus ist schnell passiert. Der Gestrandete befindet sich wieder unter freiem Himmel. Es regnet.
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Der so genannte Inspirierte steht am kleinen Anleger der paradiesischen Insel und blickt verträumt in die Ferne. Die Gischt der aufgewühlten See schlägt ihm verachtend ins Gesicht. Ein paar Möwen haben sich eingefunden, um ihn auszulachen. Es ist schon etwas sonderbar, dass er hier so ganz alleine steht und außer ein paar dunklen Wolken, nichts am Horizont zu erkennen ist. Es sollte doch jetzt ein Schiff kommen, um ihn auf das liebliche Festland zu bringen. Der Regen nimmt zu und der Schriftsteller bekommt einen neuerlichen Hustenanfall. Wo bleibt dieses verdammte Schiff? Die ersten Ausläufer einer unheilsamen Verzweiflung strecken ihre süßen kleinen Fühlerchen in die raue Seeluft. Hätte sich doch nur der Schriftsteller dort draußen in der wirklich wichtigen Welt irgendwelche Freunde gemacht, die spätestens jetzt anfangen würden ihn akribisch zu suchen. Aber nein, dafür war ja keine Zeit. Die Wolken verdichten sich, ein Sturm kommt auf. Der so genannte Inspirierte steht auf dem mittlerweile komplett mit Wasser umspülten Anleger dieses malerischen Eilands. Der einzige Weg zurück in die freundliche Siedlung der Einheimischen verliert sich zusehends in den Wassermassen des Meeres. Aber das er-
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wartete Schiff wird sicherlich jeden Moment am Horizont erscheinen. Der so genannte Inspirierte muss sich setzen, da seine Muskulatur vor lauter Ruhe und Entspannung der letzten Tage doch sehr geschwächt ist. Zumal er jetzt mittlerweile geschlagene vier Stunden auf die Ankunft des ominösen Schiffes wartet. Aber gleich, bestimmt gleich oder etwa nie? Der so genannte Inspirierte liegt ausgestreckt auf dem fast versunkenen Anleger und windet sich in einem Hustenkrampf. Erste, lokale Erfrierungen sind auszumachen. Der so genannte Inspirierte rezitiert ein Gedicht von Bukowski in die Fluten, sein gehaltvolles Leben zieht in kurzen Bildern über den pechschwarzen Himmel. Vielleicht wird wohl doch kein Schiff kommen... Der so genannte Inspirierte schließt die Augen, der Tod ist sicherlich nicht das Schlimmste, was einem passieren kann. Die letzten Gedanken kreisen um das freundliche Lächeln des Vermieters, als er dem Schriftsteller die Abfahrtzeit für das Schiff nannte. Dann stellt auch der Verstand genüsslich seine Arbeit ein. Und das Ende der Geschichte bleibt so offen wie das Meer, dass den Protagonisten schweigend hinaus trägt, um ihn vielleicht irgendwann einmal, in einem be-
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reits äußerst unappetitlichen Zustand wieder auszuspucken und damit ein paar spielende Kinder an irgendeiner Küste einen gehörigen Schrecken einzujagen. Immerhin etwas...
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Holden Coldfield, beobachtender Protagonist im Café Atlantis, verbringt hauptsächlich seine Zeit damit, die ständig wechselnden Besucher auf bissige, spöttische und sarkastische Art zu beschreiben. Dabei trifft er auf eher unauffällige Gestalten wie Rentner, Arbeitslose oder Hausfrauengruppen, aber auch auf diverse bizarre Charaktere, wie beispielsweise verkappte Lesben, einem Elvisimitator, Künstler oder auf Gott und den Teufel. Im letzten Kapitel kommt sogar fast so etwas wie Spannung auf, als die Abendgesellschaft des Cafés einem bewaffneten Raubüberfall zum Opfer fällt...
Heiko Kleinhanns Café Atlantis ISBN 3-8311-4244-0
Überall im Buchhandel und Internet erhältlich
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Heiko Kleinhanns, geb. 1976, machte mit seinem 2002 erschienen Debüt-Roman „Cafe Atlantis“ bereits auf sich aufmerksam. Nun legt er seinen ersten Gedichtband vor, der abseits der populären kommerziellen Form einzustufen ist. Das Buch erzählt aus dem Leben gegriffene Geschichten, unverfälscht, verständlich und verzichtet bewusst auf den Kitsch eines Poesiealbums. In den Gedichten finden sich zynische Betrachtungsweisen auf das Leben und die Gesellschaft, eine gesunde Portion Selbstironie, aber auch Ein- und Ansichten im Speziellen. „Das geheime Leben vor dem Tod“ sind Gedichte für jeden, der schwarzen Humor versteht, für Hobby-Nihilisten und Misanthropen, die genügend Selbstironie besitzen, sich selbst nie ganz ernstzunehmen.
Heiko Kleinhanns Das geheime Leben vor dem Tod ISBN 3-88793-255-2