KLEINE
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
Emil Riemel
INSEKTENMÜTT...
108 downloads
337 Views
512KB Size
Report
This content was uploaded by our users and we assume good faith they have the permission to share this book. If you own the copyright to this book and it is wrongfully on our website, we offer a simple DMCA procedure to remove your content from our site. Start by pressing the button below!
Report copyright / DMCA form
KLEINE
B I B L I O T H E K
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
Emil Riemel
INSEKTENMÜTTER AUS DEN K I N D E R S T U B E N D E R K E R B T I E R E
V E R L A G S E B A S T I A N L UX MU RNAU • M Ü N C H E N • I N N S B R U C K . B A S E L
Mütter wagen ihr Leben J \ e i n Lüftchen rührt sich, spiegelglatt liegt der Weiher in der Sommerhitze. Doch manchmal entstehen und vergehen auf ihm winzige Wellenringe, scheinbar durch nichts veranlaßt. Wer aber genauer hinsieht, gewahrt die kleinen Mücken, die da munter über dem Wasser schweben, mitunter rasch nach unten stoßen, kurz die Wasserfläche berühren und schnell wieder enteilen: fürsorgliche Insektenmütter, die dort nicht ohne Gefahr für sich selbst ihre Eier ablegen. Wieso fürsorglich? Werfen sie nicht, tanzend in der warmen Sonne, anscheinend ganz nebenbei ihre Brut ins Wasser und kümmern sich weiterhin nicht im geringsten darum? Mütter also, die offensichtlich überhaupt nicht wissen, was sie tun? Nun, sie wissen es wirklich nicht, unternehmen aber trotzdem genau das Richtige und Notwendige. Erwachsene Mücken verbringen ihr kurzes Dasein an Blüten saugend und in den Lüften schwebend, das Wasser ist ihnen von Natur aus fremd und sogar lebensbedrohend. Wenn sie bei ihren Sturzflügen sich damit benetzen, wenn ihre Flügel naß werden, sind sie nicht mehr fähig aufzufliegen, sie müssen ertrinken. Und trotz allem vertrauen sie ihre Nachkommen immer nur dem Wasser, dem ihnen feindlichen Element, an. Ein untrügliches Gefühl muß sie dabei führen, denn nach einem Gesetz der Natur können Mückenlarven nur im Wasser heranwachsen. Ohne zu zögern wagen die Mütter also ihr Leben, um das Leben ihres Nachwuchses zu ermöglichen. Manche dieser Luftgaukler haben Kopf und Kragen übrigens Tage vorher bereits riskiert. Als sie nämlich vielleicht gerade uns mit ihrem Stechrüssel ein Tröpfchen Blut ent2
nahmen. So etwas tut keine Mückenmutter, nur um sich etwa selbst zu laben. Sie nährt sich, wie auch alle männlichen Mücken, ausschließlich von Blütensäften. Doch ihre Eier entwickeln sich nur dann, wenn die Mutter zur rechten Zeit Blut gesaugt hat. Und das tut sie ja auch, sehr zu unserem Leidwesen. Insekten sind also keinesfalls leichtfertig; sobald es sich um ihre Brut handelt, verfahren sie immer fürsorglich. Mag uns ein Mükkenstich auch schmerzhaft brennen, das Mückenweibchen unternimmt das große Abenteuer allein aus mütterlichen Instinkten, wobei es in höchster Lebensgefahr schwebt; denn wie leicht sind wir geneigt, den kleinen Blutsauger wütend zu erschlagen! Ohne Brutfürsorge gäbe es keine Insekten, die Mütter aber müssen dabei oft Unglaubliches leisten. Denn nicht immer machen es die kleinen Würmchen der Kerfe ihren Müttern so „leicht", wie das bei den Mücken, meist aber auch bei Fliegen und Faltern, der Fall ist; denen genügt es, wenn die Nachkömmlinge vom ersten Atemzug an geeignetes Futter in ausreichender Menge vorfinden. Später können die Jungen sich allein durchs Leben bringen. Sie müssen das sogar, weil ihre Mütter bald nach der Eiablage sterben. Merkwürdig bleibt aber immerhin die unbeirrbare Sicherheit, mit der diese Insektenweibchen die ihren Sprößlingen notwendigen Lebensräume und Futterpflanzen suchen und finden. Woher weiß zum Beispiel das Weibchen eines Schillerfalters, daß seine Raupen sich nur von Weidenblättern, am besten von denen der Salweiden, nähren können? Unmöglich kann sich diese Mutter dabei an ihre eigene Raupen-Jugendzeit erinnern. Dazwischen liegt doch die Puppenruhe, die Verwandlung zur Raupe in ein völlig anderes Geschöpf. Dennoch, unter Tausenden von Pflanzenarten sucht das Falterweibchen die geeigneten Weiden heraus und legt dort, vornehmlich an der Salweide, ihre Eier ab. Woher hat sie ihre botanischen Kenntnisse? Nicht viele unter uns können außerhalb der Blütezeit die einzelnen Weidenarten so genau auseinanderhalten wie jener Schmetterling.
Frischgemüse für die Sprößlinge Zeitig im April, noch ehe die Knospen der Eichen sich öffnen, krabbeln auf den Zweigen manchmal kleine Käferchen eifrig herum. Winzige, knapp drei Millimeter lange Zwerge sind es, und 3
ihre blaßgrüne Farbe ist den Knospenschuppen so gut angepaßt, daß man sie sehr leicht übersehen kann. Alle tragen sie einen verhältnismäßig dicken, nach vorn gerichteten Rüssel, in dessen Mitte links und rechts die beiden Fühler angeordnet sind; Rüssel und Fühler sind die Kennzeichen der großen, weitverbreiteten Familie der Rüsselkäfer. Viele ihrer Weibchen verblüffen uns durch ihre Kenntnis im Frischhalten von Gemüse, und sie machen ihre Hausfrauenarbeit ohne Dampf und ohne Tiefkühlung. Die Kinder dieser Käfer sind mitunter recht heikel. Sie haben, was ihre Anfangskost betrifft, besondere Wünsche, und ihre Mütter sehen sich vor knifflige Aufgaben gestellt. Der Wunsch nach frischen Eichenknospen und nichts anderem wäre zwar leicht zu erfüllen. Die Larven der Eichenknospenstecher wollen aber ihr Futter nicht in solch rohem Zustand, sondern als Gemüse zubereitet, ein wenig mürbe und abgelagert, andererseits auch nicht vertrocknet oder gar verdorben. Die Aufgabe wird noch weiter erschwert, weil die Käfermutter bereits jetzt, bei der Eiablage, dafür sorgen muß, daß die Kindernahrung gerade im richtigen Zustand ist, wenn die Würmchen ausschlüpfen, und daß die Kost dann noch wochenlang genau in diesem Zustand bleibt, so lange, bis sich die Larven verpuppen. Auch diese Mutter kann sich später nicht mehr um den'Nachwuchs kümmern, sie stirbt ebenfalls bald, nachdem sie ihre Eier versorgt hat. Frau Eichenknospenstecher löst ihre Aufgabe in verblüffend einfacher Weise. Mit dem harten Rüssel bohrt sie die Knospe am Grunde an und durchschneidet dabei einen Teil der Gefäßbündel, die zu ihr führen: genauso viele Gefäße, um den Saftstrom derart zu hemmen, daß die Knospe sich nicht mehr entfalten, andererseits aber auch nicht verwelken kann. Dann bohrt die Käferin weiter oberhalb ein zweites, tieferes Loch in die Knospe und versenkt darin ein Ei. Vorsorglich schiebt sie es mit dem Rüssel bis zum Ende des Schachtes hinab. So präpariert sie Knospe um Knospe, bis der Eivorrat erschöpft ist. Was das Käferweibchen da getan hat, ist im Grunde recht wenig. Immerhin, jeder Pflanzendoktor wird uns bestätigen, wie schwierig eine solche Operation ist. Ihm würde es jedenfalls nicht möglich sein, eine so exakte Gefäßdurchtrennung an der Eichenknospe vorzunehmen — auch mit den allerfeinsten Instrumenten nicht. Das Rüsselkäferlein aber kann es, und deshalb werden seine Larven genau die Nahrung vorfinden, die sie wünschen. 4
Pflanzen bauen Kinderstuben für Insekten Ebenfalls im Frühjahr treibt an den Heckenrosen eine zierliche, äußerst kleine Wespe ihr Wesen. Sie ist lackschwarz, nur die schlanke Taille trägt ein orangerotes Band. Manchmal landet sie auf einer Triebspitze und versenkt darin mit ihrem langen Legestachel einige Eier. Husch — schon ist sie wieder weg! Das ist noch nicht ungewöhnlich, denn so treiben es viele andere Insekten auch; und aus all den Eiern werden dann Larven oder Raupen schlüpfen, die an den Blättern der Heckenrose herumnagen. Die Pflanze, die sich nicht wehren kann, muß das eben erleiden. Ein unergründliches Gebot der Natur läßt keine andere Wahl.
Unterwasseraufnahme: Mückenlarven im Wasser: In der Bildmitte schwimmt als dickes schwarzes Knäuel eine Mückenpuppe. Das geschlüpfte Mücklein faßt Fuß auf der zur Wasseroberfläche steigenden Hülle, ruht noch etwas aus, entfaltet die Flügel und kehrt nie mehr in das Element seiner Jugend, das Wasser, zurück (vgl. den Text S. 2 f). 5
Unsere kleine schwarze Wespe indessen verlangt von der Heckenrose weit mehr., Da auch sie zu kurzlebig ist, um für ihre anspruchsvollen Würmchen selbst zu sorgen, überträgt sie ihre mütterlichen Pflichten auf die Pflanze. Durch die Ablage der Eier zwingt sie auf eine uns unbekannte Weise die Rose, den werdenden Larven eine wohleingerichtete Kinderstube zu bauen und sie darin so lange zu schützen und zu ernähren, bis die jungen Wespen dem Leben gewachsen sind. Und die Heckenrose gehorcht. Nicht widerwillig, weil sie muß, sondern unter Einsatz all ihrer Kräfte. Der Verfasser hat junge Hagebuttensträucher angetroffen, die im Frühjahr sechs oder acht gesunde Triebe besaßen. Im Spätsommer sahen sie jämmerlich aus: kein grünes Blatt am ganzen Strauch, nur dürre Stengel mit eigenartigen „Früchten" an den Spitzen. In diesen Früchten verborgen liegen mehrere Kämmerchen, praktisch und bequem eingerichtet, jedes bewohnt von einer wohlgenährten Larve, einem Sprößling der schwarzen Wespe, die längst nicht mehr lebt. Ein so prachtvolles Kinderheim hätte sie selbst niemals aufbauen können. Die Heckenrose, eine Pflanze, die die Pflege der Wespenbrut übernommen hat, schützt und nährt die ihr vollkommen fremden, ja schädlichen Würmchen geradezu vorbildlich. Ihre Opferbereitschaft geht so weit, daß sie oft selbst dabei zugrunde geht. Wir könnten meinen, das sei ein ergreifendes Beispiel von Barmherzigkeit in der Natur. Eine Pflanze nimmt sich in rührender Weise der hilflosen und verlassenen Waisenkinder eines Tierchens an und zieht sie groß! Denn so und nicht anders sind die äußeren Tatsachen. Soweit aber geht das Mitfühlen der Pflanzen nicht. So viel Freiheit des Handelns hat ihnen die Schöpfung nicht mitgegeben. Die Wespe muß auf die Heckenrose einen geheimnisvollen Reiz ausüben, der sie unausweichlich zwingt, etwas zu tun, was sie selbst aufs äußerste gefährdet. Wie dem auch sei, eine solche Verhaltensweise ist höchst merkwürdig. Warum läßt die Heckenrose das Geschenk der Wespe nicht einfach unbeachtet? Die Larven, die den Eiern entschlüpfen, sind nackt, blind und beinlos, ohne Pflege würden sie bald verkommen. Der Strauch könnte weiterwachsen, Blätter bilden, Blüten und Früchte tragen, seinen Daseinszweck erfüllen. Aber er wehrt sich nicht, wenn er im Laufe des Jahres von vielen Kerfen mit Eiern belegt wird — er unternimmt nichts, weder dafür noch dagegen. Es wäre viel besser für ihn, auch im Falle dieser Wespeneier sich wenigstens untätig zu verhalten. 6
Jedoch, kaum liegen die Eier im Knospengewebe, wird auch schon die weitere Entwicklung der Knospe stillgelegt. Im Umkreis des Eigeleges beginnt ganz zielbewußt ein sehr zweckmäßiges Gebilde zu wachsen. Eine hartschalige Außenhaut entwickelt sich, wirr und filzig mit Haaren besetzt, darunter eine dicke, zunächst weiche Schicht von Vorratszellen, die jedes einzelne Wespenei in Form kleiner Kammern umhüllen. Eigene Leitungsstränge entstehen, die das „Nest" mit den notwendigen Aufbaustoffen versehen. Man könnte meinen, die Heckenrose wolle hier, wo noch keine Blüte war, eine Frucht aufbauen. Aber was sich da formt, sieht einer Hagebutte durchaus nicht ähnlich. Das Ding erreicht zuletzt die Größe eines kleinen Apfels und trägt ringsum einen Schopf aus roten und grünen Haarsträhnen. Das ist der sogenannte Rosenkönig, die größte Galle unserer heimatlichen Pflanzenwelt. Prächtig gedeihen in ihr die Wespenwürmchen. Die Kämmerchen passen sich jeweils der Größe der Larven an, so daß der Wespennachwuchs jederzeit genügend Raum hat, um die Wände der Kinderstuben nach Herzenslust abzuknabbern. Denn die Zellen der Wände, die sich mit der Zeit mehr und mehr verhärten, sind gefüllt mit nahrhaften Stoffen, mit Stärke und Pflanzenölen. So gut eingerichtet und so wetterfest ist das kleine Waisenhäuschen, daß die Larven sich darin auch verpuppen, überwintern und erst im nächsten Frühjahr als schwarze kleine Wespchen das gastliche Heim der Heckenrose verlassen. Viele Gallwespen, auch Gallmücken, einige Läuse und Kleinschmetterlinge verfahren an vielerlei Pflanzen ähnlich. An allen Eichen finden wir im Herbst die rosigen Galläpfel einer anderen Wespenart. Für jede dieser verschiedenen Insekten bauen die Pflanzen jeweils unterschiedliche Formen von Kinderstuben, die den besonderen Wünschen der Insassen genau angepaßt sind. Am Aussehen einer Galle kann man meist schon erkennen, welches Insekt in ihrem Innern heranwächst. Eichen werden allein von mehr als einem Dutzend verschiedener Wespenarten belästigt. Die Bäume bauen an ihren befallenen Blättern jeder Wespenart eine völlig anders geformte und eingerichtete Galle. Das klingt so unwahrscheinlich wie ein Märchen. Doch kann sich jeder, wenn er nur die Augen aufmacht und solche Gallen genau untersucht, leicht von der Wahrheit überzeugen. Im kleinen und im geheimen ist die Natur nicht weniger wunderbar als in ihrer Größe und Gewalt. 7
Die kleine Schneiderin Aus zarten Blättern junger Eichen fertigt im Juli das Weibchen des Eichenblattrollers zierliche Kinderzimmer. Wie die Knospenstecherin ist auch sie ein Rüsselkäferlein, aber größer als jene, sechs Millimeter lang und nicht grün, sondern rot gefärbt. Sie sucht sich zunächst einmal ein für ihre Zwecke besonders gut geeignetes Blatt aus. Dann mißt sie durch Ausschreiten genau die Länge und Breite nach, denn die Kinderstube darf weder zu groß noch zu
Die kleine Schneiderin: Das sorgsam ausgewählte Blattstück wird an Ort und Stelle exakt zugeschnitten, zur Kinderwiege gewickelt, gefaltet und geknöpft. Ein ganzer Tag vergeht, bis endlich solch ein Blatt fix und fertig gewickelt ist. Morgen wird die Mutter das nächste Blatt rollen . . . 8
Heckenrose mit einem „Rosenkönig", der größten Galle unserer heimat^™en Pflanzenwelt. Die roten und grünen Haarsträhnen umhüllen ein Gebilde mit einer hartschaügen Außenhaut, unter der die Vorratszellen und Eikammern der schwarzen Gallwespen geborgen liegen (vgl. den Text S. 7).
klein geraten. Nachdem sie das Material geprüft hat, ob es auch biegsam genug ist, zwickt und schabt die werdende Mutter mit ihren Kiefern daran herum und krümmt versuchsweise an einigen Stellen die Blattränder ein. Eine junge Frau, die Säuglingswäsche einkauft, könnte nicht sorgfältiger auswählen. Zeigen sich auch nur kleine Mängel an der Ware, so sucht sich das Käferlein ein anderes Blatt. Es ruht nicht eher, bis das allerbeste gefunden ist. Das ausgewählte Stück wird an Ort und Stelle zugeschnitten, gewickelt, gefaltet und geknöpft. Jede Schneiderin hätte ihre helle Freude daran, sähe sie, wie genau und sorgfältig die Käfermutter das Wickeltuch zureebtschneidet. Sie beginnt damit am Blattrand, 9
an einer Stelle, die dem Stiel näher liegt als der Spitze. Dort schneidet sie genau im rechten Winkel bis zur Blattachse. Die scharfen Kanten ihrer Kiefer eignen sich ausgezeichnet als Scheren. Der gleiche Vorgang wiederholt sich vom gegenüberliegenden Blattrand aus. Der zweite Schnitt gerät so fehlerlos, daß er mit dem ersten eine gerade Linie bildet und beide sich an der gleichen Stelle der Blattachse treffen. Die Achse wird ein wenig angenagt, aber nicht durchtrennt. Das Eichenblatt ist für die winzige Schneiderin ein gewaltiges Stück, zehnmal länger als sie selbst, ihr Vorhaben ist nicht einfach, denn solch ein Insekt muß ja ohne Schnittmusterbogen, allein nach Augenmaß arbeiten. Der angeschnittene Teil des Blattes soll jetzt eingerollt werden. Auf einem hoch in der Luft hängenden, riesigen Teppich frei herumzuturnen und ihn noch nebenbei ordentlich aufzurollen, das macht auch dann allerhand Mühe, wenn man dazu sechs Beine und notfalls vier Flügel verwenden kann. Ohne weitere Vorkehrungen geht es überhaupt nicht, die Spannung innerhalb des Blattes wäre viel zu groß. Man muß das Gewebe erst mürbe machen. Den Hauptwiderstand leistet die dicke Blattrippe, und deshalb wird sie kurzerhand in ihrer ganzen Länge und in kurzen Abständen eingekerbt. Die Nebenrippen erfahren dieselbe Behandlung, und dann muß noch die ganze Blattspreite auf beiden Seiten engschichtig mit zahllosen kleinen Schlitzen versehen werden. Zwei Stunden lang zwickt und knipst die Käferin, bis endlich alles richtig vorbereitet ist und die beiden Blatthälften links und rechts der Achse aufeinander gelegt werden können. Nach menschlichen Überlegungen wird das am leichtesten gelingen, wenn man damit an der Blattspitze beginnt; dort ist der geringste Widerstand, weil die Flächen schmal sind. Der Käfer, obwohl er das nicht wissen kann, fängt auch genau dort an. Er reitet dabei auf der unteren Kante der Blattrippe und drückt mit aller Kraft seiner kleinen Beinchen die beiden Hälften nach und nach zusammen. Sie liegen schließlich nicht ganz glatt, sondern ein wenig schlampig aufeinander, aber das läßt sich nicht ändern. So ein Käfer hat ja kein Bügeleisen zum Plätten. Nach dem Falten beginnt das Einrollen des Doppelblattes, ebenfalls von der Spitze aus. Das Käferweibchen muß dabei die Rolle dauernd aneinanderknöpfen, sonst würde sie trotz aller Vorbereitungen doch nicht zusammenhalten. Deshalb durchsticht sie fortwäh10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.01.10 17:38:26 +01'00'
fend die jeweils anliegenden Teile der Rolle mit ihrem Rüssel. Die Fransen der oberen Öffnung werden dabei in die untere eingestanzt, so daß sie nunmehr fest aneinander haften. Während des Einwickeins verpackt die Mutter zwei bis sieben Eier in die Rolle. Diese Zahl ist nicht zufällig, sie ergibt sich aus der Größe und Stärke des jeweils verwendeten Blattes. Es muß ja die Larven nicht nur behausen, sondern später auch ausreichend ernähren. Eine Seitenkante der Rolle hat bereits durch die dicke Rippe einen festen Abschluß, die am anderen Rande seitlich überstehenden Blattkanten werden sauber eingeschlagen, ähnlich wie man eine Tüte verschließt. Ist alles fertig, so hängt vom angeschnittenen Blattrest ein kurzes Röllchen frei herunter. Es wird, da die Rippe nicht völlig durchtrennt ist, nicht verwelken, sondern behält die den Larven bekömmliche Gare bis zum Herbst. Dann mag es verwelkt zu Boden fallen, denn inzwischen haben sich die Nachkommen der Blattrollerin bereits verpuppt. Ein ganzer Tag vergeht, bis endlich solch ein Blatt fix und fertig gewickelt und ein kleiner Teil der Eier versorgt ist. Morgen wird die Mutter das nächste Blatt rollen, und das geht so fort, bis ihr Eiervorrat erschöpft ist. Sie hat ganz schön zu tun, und sie handelt dabei, das ist das Überraschende, nach einem intelligenten, ausgeklügelten Plan, einem Plan, den die Mutter nicht etwa erhalten hat, den sie eigentlich überhaupt nicht kennt. Dennoch geschieht alles planmäßig. Sie setzt die Schere an der rechten Stelle an, sie macht, ehe sie mit dem mühseligen Falten beginnt, das Blatt erst mürbe und bearbeitungsfähig und tut schließlich alles, was zur Erhaltung der Nachkommenschaft nötig ist. Dazu braucht sie vorher nichts zu lernen, nichts zu überlegen, sie bastelt einfach los und hört nicht eher auf, bis ihre Brut wohlversorgt in den Knusperrollen ruht, und sie gehorcht damit dem großen Naturgesetz der Selbsterhaltung ihrer Art.
Kinderstuben der einsamen Bienen Von dem Brutgeschäft der allbekannten Honigbiene wollen wir hier nicht reden, denn die Bauten der Bienen, wie die der Ameisen und der staatenbildenden Wespen, sind ja keine Kinderstuben, die von den Müttern allein errichtet und versorgt werden. Das sind 11
Kinderbewahranstalten größten Stils, wo sich Tausende um die Brut kümmern. Nein, wir wandern lieber auf stillen, einsamen Pfaden, die nur wenige kennen. Dort wollen wir uns ein wenig in den Brutkammern von einsam arbeitenden Insektenmüttern, den Einsiedlerbienen, umsehen. Meist wird übersehen, daß die Honigbiene nur eine von vielen Bienenarten ist. Die übrigen fünfhundert Arten, die unsere Heimat bevölkern, leben allesamt einsam und allein für sich. Sie nehmen, was ihnen der Tag bietet, und horten Vorräte nur für ihre Brut. Unter den Müttern solcher Einsiedlerbienen finden wir viele, die eine ganze Reihe von Handwerkskünsten beherrschen. Sie können
Tapeten aus Rosenblättern — kreisrunde oder ovale — benützt die rosenliebende Tapezierbiene zur Abdeckung und Ausgestaltung der Brutkammern in einer hohlen Wurzel, einem Erdloch, einem morschen Zweig (zum Text S. 14). 12
Schächte anlegen, mauern, töpfern, tapezieren und noch vieles andere. Früh im Jahr, wenn die Weiden blühen, geht es am Bachufer schon lustig zu. In dem Gewimmel von vielerlei Kerfen, die sich an den Palmkätzchen gütlich tun, entdecken wir Bienen, die kaum größer sind als Stubenfliegen. Sie tragen am letzten Hinterleibsring eine schmale Längsfurche, in der sich bei Bedarf der Stachel bewegt. Eine Art dieser Furchenbienen baut ihre Nester am liebsten in Lehmwände. Dort beginnt so eine kleine Bienenmutter mit ihren Kiefern und Fußkrallen einen Schacht auszugraben, Körnchen um Körnchen, etwa zwanzig Zentimeter tief, also dreißigmal so lang wie ihr ganzer Körper. Er führt zunächst schräg abwärts nach innen, dann senkrecht hinab, und unten, durch einen Schrägstollen, wieder ins Freie. In seiner Mitte erweitert die Biene den Schacht ein wenig, um Raum zu gewinnen für die eigentliche Bauarbeit. Dort wird seitlich waagrecht ein kurzer, enger Gang herausgekratzt, der sich an seinem Ende eiförmig ausweitet. Das ist die Brutkammer Nummer eins. Ihre Wände schleift die Mutter mit den Kiefern peinlich sauber ab und poliert sie lange und sorgsam mit Speichel. Nicht das allerkleinste Körnchen darf mehr zu spüren sein, denn Bienenlarven haben eine äußerst empfindliche Haut. Ist die Arbeit getan, fliegt die Mutter schnell zum nächsten Weidenstrauch, um dort die Zutaten für den Kinderbrei einzuholen. Nach dem uralten Rezept aller Bienen und Hummeln braucht sie dazu Blütenstaub und Nektar, die beide von der Weide gratis geliefert werden. Der Saft wird in einer sackartigen Erweiterung der Speiseröhre verwahrt, und von den Blütenpollen nimmt sie soviel mit, wie bei eifrigem Zusammenkehren mit den Hinterbeinen dort haften bleibt. Die praktischen Einkaufskörbchen der Hummeln und Honigbienen fehlen den Einsiedlerinnen. Deshalb muß unsere kleine Furchenbiene recht oft die Reise zur Weide unternehmen, bis der Vorrat genügt. Pollen und Nektar werden zu einem Brei geknetet und die Zelle zur Hälfte damit gefüllt. Dann fügt die Mutter ein Ei hinzu, ein Bienenei natürlich, und verschließt die Kammer mit einer dünnen Lehmschicht. Etwa zwölf solcher Kinderzimmer gräbt sie strahlenförmig ringsum in die Lehmschicht. Mehr Eier besitzen diese Bienenmütter meist nicht, und das ist gut so. Denn das Versorgen der Brut erfordert viel Kraft und Zeit. Aber die Furchenbiene tut noch ein 13
Übriges- Damit den Larven die Luft nicht ausgehen kann, kratzt sie hinter den Zellen ringsum einen zusammenhängenden Hohlraum aus, so daß zuletzt die ganze Brutanlage wie ein kompaktes Ei frei in' einer großen Höhle hängt. Nur die Wände des ursprünglichen Schachtes und seitlich einige aus Lehm geformte Streben stützen und tragen dieses Kinderheim mit Klimaanlage. Die Kräfte der Einsiedlermütter unter den Insekten sind im allgemeinen erschöpft, sobald die Brut versorgt ist. Sie haben ihren Pflichten genügt, und das Leben ist beendet. Unsere Furchenbiene aber ist zäher als die anderen, sie gibt noch lange nicht auf. Etwas leichter hat sie es jetzt, sie kann häufig Ausflüge zu den Blumen machen, um sich dort gütlich zu tun, und betätigt sich daheim als Hausmeisterin. Da und dort bessert sie noch einiges aus, fegt Staub aus den Gängen und vertreibt neugierige Besucher. Einige Wochen später ist sie pünktlich zur Stelle, um den jungen Bienen beim Verlassen der Brutkammern zu helfen. Vielleicht mag das für Mutter und Kinder ein großes Freudenfest sein, wir wissen es nicht — immerhin kehren die Töchter nach der Hochzeit wieder ins Mutterhaus zurück und bauen, nunmehr für ihre eigenen Kinder, weitere Stuben an. Die Großmutter ist indessen alt und schwach geworden und kann nicht mehr mithelfen. Ihre Kräfte reichen gerade noch aus, um Pförtnerdienste zu versehen und Unberechtigten den Zutritt zu verwehren.
Tapeten aus Rosenblättern Schon mancher Gärtner hat erzürnt vor seinen Rosenstauden gestanden und gewettert und geschimpft. „Was für ein unverschämtes Viehzeug frißt denn da ausgerechnet meine Rosenblätter an, und immer kreisrund oder oval!" Am Fliederstrauch mag er vielleicht zur gleichen Zeit ähnliches feststellen. Will er den Übeltäter auf frischer Tat erwischen, dann muß er sich in den heißen Tagesstunden auf die Lauer legen. Nach einigem Warten wird er beobachten, wie sich eine seltsam aussehende Biene auf die Rosenblätter niederläßt. Sie ist auffallend breit gebaut, der Hinterleib oben flach und unten dicht behaart. Der erboste Gärtner wird erstaunt feststellen, daß diese Biene sein Rosenblatt durchaus nicht verzehren will, sie schneidet sich nur ganz schnell eine Tapete für ihr Kinderzimmer heraus. Von solchen Blattschneiderbienen gibt es etwa zwanzig Arten, und jede Art verwendet immer nur ein ganz bestimmtes Muster 14
als Tapete. Immer nur Blätter der Hainbuchen die einen, andere jeweils die von Himbeeren, Birken, Flieder, Weinreben oder Rosen. Diese Bienen kennen sich ganz gut aus in der Botanik. Eine Blattschneiderin, die Himbeeren bevorzugt, nimmt notfalls auch Erdbeerblätter, Rosenliebhaberinnen machen keinen Unterschied zwischen Edel-, Hecken- oder Pfingstrosen. Aber Rosenblätter müssen es sein . . . Ähnlich wie die blattrollenden Käfer sind auch die Mütter der Tapezierbienen beim Einkauf recht wählerisch. Auch sie handeln nach dem Grundsatz: Für die Kinder ist nur das Beste gut genug. Aufgeregt rennen sie von Blatt zu Blatt, prüfen und vergleichen. Sie schneiden ein Tapetenblatt auch einmal probeweise an, um dann anderswo nach besseren Qualitäten zu suchen. Da mag eine Ader nicht ganz so verlaufen, wie sie es wünscht — eine Blattader, die später die zarte Kinderhaut drücken oder auch zu Spannungen in der Tapete führen könnte. Wer weiß, auf was alles so eine Mutter zu achten hat! Ist «ndlich die Wahl getroffen und das bestgeeignete Stück gefunden, dann bedient sich die Biene fix und geschickt. Sie setzt ihre Kieferschere am Blattrand an und bewegt während des Schneidens den Körper so, daß die Tapete entweder eine runde oder ovale Form erhält. Manche rollen dabei das Blattstück gleich bauchwärts ein, andere fassen es mit den Fußkrallen am Rande. Dann hängt es wie eine Fahne herab, wenn die Biene damit auf schnellstem Wege zu ihrer Baustelle zurückfliegt. Das kann ein morscher Erlenzweig, ein hohler Zwiebelstengel, ein Erdloch, ein verlassenes Vogelnest oder etwas ähnliches sein, wenn sich nur leicht darin herumwühlen und bauen läßt. Wieder zeigen die einzelnen Arten ganz verschiedene Gewohnheiten. Manche formen ihre Brutkammern aus Erde und Lehm; meist werden gleich mehrere nur durch Zwischenwände getrennte Zellen aneinandergebaut, und immer wird der Innenraum tapeziert. Freibauende Arten umhüllen auch die Außenseite mit Tapeten, wohl um das Ganze besser zu tarnen. Die röhrenartige Form der Zelle erfordert eine länglich geschnittene Tapete aus ovalen Blattstücken. Für die Zwischenwände verwendet die Biene die kreisrunden Teile. Immer werden die Tapeten in der Form zugeschnitten, die gerade benötigt wird. Die Biene handelt also genauso, als hätte sie die Gabe, zu überlegen und sich zu erinnern, als besäße sie etwas ähnliches wie
einen Verstand und könne denken. Die Forschung aber sagt dazu: Alles, was Insekten tun und können, sei ihnen vererbt von ihren Ahnen, es geschehe instinktiv, ohne Überlegung. Von Denken und Nachsinnen könne keine Rede sein. Laßt uns einmal unseren menschlichen Verstand gebrauchen, zergliedern wir den Vorgang wie ein Staatsanwalt die Tat eines Angeklagten. Da hat zum Beispiel ein Tapezierbienchen einen dürren Zwiebelstengcl entdeckt und ihn für geeignet befunden, darin ihre Brutkammer zu bauen. Sie wird mit der ersten Zelle an einem Stielknoten beginnen, also an einer 'kreisrunden Fläche. Das kann die Biene sehen oder, falls es dort zu finster ist, mit den Fühlern und Beinen abtasten. Daß sie zum Tapezieren dieser Fläche ein kreisrundes Blattstück braucht, das kann sie nicht sehen, sondern nur folgern. Sie macht sich also auf zum Fliederbusch. Wahrscheinlich muß sie zunächst erst einen solchen Strauch suchen. Bestimmt
Buchengalle als Kinderstube, rechts geschlossen, links aufgeschnitten. 16
J )
muß sie sich vorher die Merkmale rings um den Zwiebelstengel einprägen und den Stengel selbst auch. Sonst würde sie ihn wohl nicht mehr wiederfinden. Unterwegs wird noch manches ihre Aufmerksamkeit ablenken. Ein Windstoß mag ihrem Flug eine andere Richtung geben, Bäume und Häuser müssen umflogen öder überflogen werden, ein Vogel verfolgt sie. Ist dann der Flieder gefunden, so gilt es, sorgfältig zu wählen und das am besten geeignete Blatt zu finden. Dann endlich kann die Biene beginnen, ihre Tapete auszuschneiden. Sie schneidet kreisrund. Also kann sie sich ihrer Überlegung, daß dies für ihre augenblickliche Arbeit notwendig ist, noch erinnern. Um etwas zu überlegen und sich an etwas erinnern, braucht man ohne Zweifel Verstand, da versagen die angeborenen Instinkte. Mag also die Klugheit der Kerbtiere auch nur gering sein, sie ermöglicht ihnen doch eine gewisse Freiheit des Handelns, nämlich vernünftig zu handeln. Das gilt natürlich nur im eng begrenzten Umfang. Denn weit mehr als alle anderen Tiere sind gerade die Insekten ihrem ererbten Können, ihren Instinkten, unterworfen. Das kann, in Ausnahmefällen, sogar so weit führen, daß geradezu Widersinniges geschieht. Bevor wir uns jedoch darüber unterhalten, wollen wir erst noch sehen, wie das Tapezierbienchen das Kinderzimmer ausbaut.
Das Rundstück wird im Zwiebelhalm am Stielknoten befestigt. Es ist immer ein wenig größer als notwendig, damit die überlappenden Teile dem Ganzen einen besseren Halt geben. Die Biene verwendet keinen Kleister, ein wenig Speichel muß als Leimersatz genügen. Drei oder vier Rundblätter werden aufeinandergeklebt und angepreßt, dann kommt die Längswand an die Reihe. Jetzt heißt es, ovale Tapeten herbeizuschaffen, ebenfalls mehrere Lagen, so viele, daß der Innenraum nicht zu weit und nicht zu eng wird. Nun stopft die gewissenhafte Mutter den üblichen Kinderbrei in die Höhlung, soviel wie notwendig ist, und legt ihr Ei dazu. Im erforderlichen Abstand, wobei sie sich wohl nach ihrer eigenen i Körperlänge richtet, wird anschließend die erste Zwischenwand ge[, baut — wieder aus einer dicken Lage von runden Tapetenstücken. So wird nach und nach Zelle an Zelle geschachtelt, bis der Raum voll ist oder die Eier untergebracht sind. Die im nächsten Jahr ausschlüpfenden Jungbienen beißen ein Loch durch Tapete und Halm, um aus der weichen und warm gepolsterten Kinderstube ins Freie zu gelangen.
(
17
Die Brutröhre aus Mörtel q' machen es den Schwalben nach, die Mörtelbienen. Nicht alle A ten aber manche bauen ihre Brutnester an senkrecht stehenden Gesteinen und an Hausmauern. Sie wählen nur solche Mauern, die nicht verputzt sind, dem Bewurf trauen sie nicht, er könnte abfallen. Auch muß es eine südseitige Mauer sein, denn Wärme lieben sie vor allem, Wärme und Trockenheit. Zum Bauen nehmen sie nur knochentrockene tonige Kreide, mit feinem Sand vermengt. Das Material finden sie meist in den Fahrrinnen von Feldwegen. Stellen, wo die Erde feucht ist und die Arbeit leicht wäre, meiden sie, denn das nasse Zeug gäbe nur brüchige Mauern. Lieber plagen sie sich ab und kratzen mühsam an den dürrsten Plätzen herum, vermischen den Staub mit Speichel, kneten so lange, bis ein Klümpchen von der Größe einer kleinen Erbse entsteht, und fliegen damit zur Baustelle zurück. Dort errichten sie nach und nach mit den Bröckchen eine halbkreisförmige Brutröhre, die senkrecht steht und unten verschlossen ist. Außen werden viele kleine Sandkörnchen in den noch weichen Mörtel gedrückt, was dem Bau besondere Festigkeit gibt. Das Kinderzimmer wird zwei bis drei Zentimeter hoch. Die Mörtelbiene ist ziemlich groß, um die Hälfte länger als die Arbeiterinnen der Honigbienen. Ihre Haare sind schwarz, die Flügel etwas getrübt. Das Eintragen des Futtervorrats läßt sich gut beobachten. Zuerst steckt die Biene den Kopf in die Öffnung der Röhre und entleert den Nektar aus ihrem Vormagen. Dann dreht sie sich um und bürstet mit den Beinen den an ihren Bauchhaaren hängenden Blütenstaub in die Zelle. Danach kriecht sie wieder mit dem Kopf hinein, um so lange mit dem Rüssel in der Masse herumzurühren, bis ein dünner Brei entsteht. Ist die Zelle halbvoll und das Ei gelegt, wird sie auch oben zugemauert. Rings um die erste Kammer werden alle übrigen gebaut und das Ganze zuletzt mit Mörtel beworfen, bis ein gleichförmiger Klumpen die Mauer bedeckt. Ein kluger Mann, ein Lehrer, wollte genau wissen, wie dumm oder klug denn nun die Insekten sind. So prüfte er eines Tages, streng aber gerecht, die Weibchen der Mörtelbienen. Er wartete so lange, bis ein Bienchen begonnen hatte, den Kinderbrei einzufüllen, nahm eine Nadel und durchstieß den Boden der Brutzelle. Was die Biene sorgfältig zurechtrührte, rann unten wieder heraus. 18
Würde das Insekt — so fragte sich der Beobachter — den Schaden bemerken und das kleine Loch am Boden schnell wieder zumauern? Eine sehr leichte, einfache Aufgabe! denkt der Leser und erwartet, daß die Arbeiterin den Schaden sofort bemerkt, ihr gegenwärtiges Geschäft — das Einbringen des Futters — unterbricht, geschwind etwas Mörtel herbeiholt und den durchlöcherten Boden wieder instandsetzt. Nichts von alledem geschieht. Frau Biene besteht die Prüfung nicht. Die Törichte tut so, als wäre nichts geschehen. Sie fährt fort, weiterhin Futter herbeizuschleppen und den Brei umzurühren — den Brei, der sofort wieder unten davontropft. Sie hört nicht eher damit auf, bis genau die Menge erreicht ist, die normalerweise genügt, um ihre Zelle zur Hälfte zu füllen, wenn das Loch nicht wäre. So aber bleibt die Kammer leer, nur an den Rändern kleben ein paar Spritzer der Kindernahrung. Auf so ein Tröpfchen legt die Mutter das Ei, mörtelt die obere Öffnung vorschriftsmäßig zu, und der Fall ist für sie erledigt. Die nächste Zelle wird gebaut. Der Lehrer gab nicht nach, er examinierte noch ein Dutzend anderer Bienchen. Die Mehrzahl verhielt sich genauso wie unsere törichte Mörtelbiene, nur wenige stellten den Bau ein und begannen anderswo von neuem, keiner aber fiel es ein, den wirklich geringen Schaden zu beheben. Wie ist das möglich? Sind die Bienenweibchen wirklich so dumm, daß sie ihre Eier in die leeren Zellen ohne Vorrat legen, nur damit die Larven später in ihnen verhungern? Das Tier sieht gewiß den Schaden und merkt, daß die Kammer trotz des Einfüllens des Futters leer bleibt. Und doch wird das Ei gelegt und die Zelle verschlossen, als ob alles in Ordnung wäre. So groß ist die Macht der Brutfürsorge-Instinkte, die immer zweckmäßig funktionieren, jedoch völlig versagen bei Eingriffen, die in der Natur nicht vorzukommen pflegen. Alle Mörtelbienenweibchen versorgen ihre Nachkommen in der gleichen Weise, heute wie vor tausend Jahren. Sie nehmen dieselben Baustoffe, formen daraus die gleichen Zellen und füllen sie mit demselben Futter — nicht in freier Willensentscheidung, sondern einem unbewußten Gesetz folgend. Hat ein Weibchen die Brutkammer fertiggestellt, so folgt darauf unfehlbar das Einfüllen der Nahrung, dann die Eiablage und das Verdeckein. Ein Arbeitsgang, der erledigt ist, wird zugunsten des folgenden vergessen und kann nicht wahlweise wiederholt werden. Die Biene, die bereits 19
Futter einträgt, kann nur dies und das Folgende tun, nicht aber das Vorhergehende, Sie mag wohl ahnen, wenn etwas nicht stimmt; es zu ändern, was leicht wäre, steht nicht in ihrer Macht. Sie handelt nach den Befehlen des Instinkts, auch wenn die Handlung selbst durch ein unvorhergesehenes Ereignis widersinnig geworden ist. Widersinnig war eigentlich auch die Fragestellung jenes Lehrers. Nur der Mensch in seiner Neugier wird ein im Bau befindliches Mörtelbienennest mit einer Nadel so anbohren, daß der Inhalt herauslaufen kann. Trifft irgendein naturhaftes Unheil das winzige Gebäude, so wird es wohl stets völlig zerstört, und dann beginnt die Biene eben wieder von vorne.
Die Mauerbiene und der Gartenschirm Zu den einsiedlerisch lebenden Bienen gehört auch die Mauerbiene. Ihr Name ist ein wenig unglücklich gewählt, denn Mauern interessieren sie nur dann, wenn sie Löcher in ihrem Gefüge ent- ] deckt. Im übrigen nehmen sie jedes Versteck, das nur irgendwie einer Röhre ähnelt, für ihren Nachwuchs in Beschlag. Sei das ein hohler Blumenstengel oder ein ähnlich geformtes Erdloch, seien es j leere Schneckenhäuser, Gartenschläuche, gebrauchte Tablettenröhrdien, Schlüssellöcher oder was sonst noch so herumliegen mag. Das ist ihnen alles gleich lieb, flugs bauen sie dort ihre Kinderstuben hinein. Die Arbeit ist leicht, sie brauchen nur aus Lehm, Erde oder zerkauten Pflanzenteilen die Zwischenwände hochzuziehen und die Zellen wie üblich zu versorgen. Eine solch rotbäuchige Biene baute mir heuer ihr Nest in das Standrohr meines Gartenschirms. Da er gerade geöffnet war, 5 konnte sie einfach nicht widerstehen, durch den Schlitz des Ein- I Schnappers zu kriechen und sich den wunderbaren Hohlraum im Innern zu besehen. Er gefiel ihr außerordentlich. Tagelang kam sie an^, schwer beladen mit Baustoffen oder buntgefärbt mit Blütenstaub, und verschwand in dem engen Schlitz. Als Freund der kleinen Tiere störte ich sie selbstverständlich nicht und freute mich am Fleiß der Insektenmutter. Doch dann ging es mir wie jenem Lehrer. Auch ich wollte meine Mauerbiene befragen. Allerdings wählte ich eine Aufgabe, die ihr auch von der Natur in ähnlicher Form gestellt werden könnte. Ein Sturm mag beispielsweise einen Ast brechen und ihn auf ihre Brutstätte werfen, so daß der Zugang unkenntlich wird. 20
Also schloß ich ganz einfach den Sonnenschirm, während die Mutter gerade abwesend war. Dort, wo bisher weithin sichtbar die Stange mit ihrem bequemen Zugang hochragte, hingen nun lange Stoffbahnen ringsum herab. Unsichtbar, tief versteckt lag der Eingangsschlitz. Mein Bienchen kam zurück, zog erstaunt einige Kurven um den veränderten Schirm und brauchte nicht ganz drei Minuten, um herauszubringen, daß trotzdem alles in Ordnung und ihr Kinderheim noch vorhanden war. Nur ein kleiner Umweg zu Fuß, vom Boden aus die Haltestange unter den Stoffbahnen empor, und schon hatte sie ihr Ziel gefunden. Mein Prüfling hatte das Examen glänzend bestanden. Es gehörte nicht wenig Mut dazu, unter den gespenstig im Wind sich bewegenden Stoff zu kriechen, und ein ausgezeichneter Ortssinn, die Lage des Schlitzes so schnell und folgerichtig zu linden. Wenn es nicht um die Macht der Instinktketten geht, lassen sich auch die Insekten nicht so leicht verblüffen.
Einigkeit macht stark Unter den Einsiedlerbienen gibt es eine Art, die kleinen Hummeln täuschend ähnlich sieht: die Pelzbienen. Sie graben ihre Nester entweder in den Sand oder, wie die Furchenbienen, in den Lehm. Im allgemeinen lebt jede Mutter für sich allein, wie sich das für Einsiedler geziemt. An den Lehmmauern aber, die immer bevorzugt werden, wo sie vorhanden sind, nisten Pelzbienen oft in hellen Haufen und dicht nebeneinander. Während eine einsam hausende Mutter ihr Nest übermächtigen Feinden gegenüber nicht verteidigt, weil es zwecklos wäre, ist es hier an der Lehmmauer in der Gemeinschaft ganz anders. Mit zornigem Summen stürzen sich die Mütter aller Nester, genau wie die Arbeiterinnen des Bienenstockes, gemeinsam mit gezückten Stacheln auf den Ruhestörer. Getrennt bauen und vereint stechen, das ist immerhin ein Fortschritt. Der Anfang jenes Weges vielleicht, wie er im Laufe der Entwicklung über die Hummelnester zu den Bienenstaaten geführt hat. Die Eingänge der Nester sind häufig mit merkwürdigen Verzierungen geschmückt, die wie winzige Wasserhähne aussehen. Das Pelzbienchen hat sich da einen kleinen Extratunnel hingebaut. Grabende Insekten werfen den Bauschutt im allgemeinen zum Ausgang hinaus. Die Pelzbiene aber bastelt daraus jenes Röhr21
chen, das den Zugang nach außen hin verlängert. ter sich dadurch eine zusätzliche Arbeit machen, Sehr zweckmäßig scheint dieser Kunstbau nicht nädiste starke Regenguß den ins Freie ragenden wegschwemmen kann.
Warum die Mütwissen wir nicht. zu sein, da der Vorsprung leicht
Brutnester mit Notausgang Riesen unter den Einsiedlerinnen sind die auch in den Flügeln blauschwarz gefärbten, achtundzwanzig Millimeter langen Holzbienen. Sie stammen aus dem Süden und kommen bei uns nur dort vor, wo der Wein wächst, vorwiegend im Main- und Rheintal. Ihre Brutnester bauen sie in das Holz alter Bäume oder in morsche Pfähle. Zunächst treiben sie einen kurzen Eingangsstollen hinein, dem sich ein senkrecht nach unten führender Gang von ungefähr dreißig Zentimeter Länge anschließt. Von seinem Ende führt ein zweiter Querstollen wieder nach draußen. Nacheinander, von unten nach oben, baut die Holzbiene in ihrem Schacht etwa zehn Zellen aus. Für die Trennwände nimmt sie Holzmehl, das mit Speichel und wohl auch mit etwas Baumharz vermengt wird. Jede Kammer wird wie üblich mit Pollenbrei und einem Ei ausgestattet. Bemerkenswert aber ist der untere Ausgang, den die Mutter selber niemals benutzt. Notwendig jedoch ist er für die im nächsten Jahr ausschlüpfenden Jungbienen. Das junge Geschlecht verläßt seine Zellen nämlich in derselben Reihenfolge, in der die Eier abgelegt wurden. Die in der ältesten, zutiefst liegenden Kammer heranwachsende Biene schlüpft zuerst. Ohne den Notausgang wäre ihr der Weg durch die darüberliegenden Kinderstuben versperrt. So aber braucht sie nur den Fußboden ihrer Zelle durchzunagen und gelangt aus dem unteren Quergang sofort ins Freie. Schlüpft im oberen Stockwerk die nächste Jungbiene, dann ahmt sie das Beispiel ihrer Schwester nach. Sie reißt den Boden auf und marschiert durch die untere, nun bereits leere Kammer dem Ausgang zu. Ohne sich gegenseitig im Wege zu sein, spazieren sie alle nach und nach aus der engen Brutröhre heraus. Der Notausgang hat sich bewährt.
22
Täglich frisches Fleisch Ich habe sie, wie das bei so kleinen Tieren meist geschieht, rein zufällig kennengelernt. Es war im August, an einem Waldrand, und eigentlich galt mein Suchen den verschiedenen Ameisenarten, die sich dort aufhalten. Auf dem hartgetretenen Boden des leicht geneigten Pfades liegt ein Häufchen lockere, gelbe Lehmerde aufgeschichtet. Der Platz ist sonnig und mit jungen Fichten locker bestanden. Nach und nach entdecke ich fünf solcher Häufchen, oberhalb eines jeden führt eine Röhre von etwa fünf Millimeter Durchmesser in die Tiefe. Ein bißchen Dreck, einige Löcher, nicht mehr! Doch das genügt, um meine Neugier zu erregen. Ich vergesse das Mittagsmahl und komme sogar noch verspätet zum Abendessen. Den schmalen Schacht hat ganz gewiß ein Insekt gegraben. Nur das Lehmhäufchen davor stört mich. Im allgemeinen räumen alle Kerfe den Aushub sauber auf, sie glätten den Boden wieder sorgfältig, damit niemand so leicht ihre Nester finden kann. Welche Mütter haben hier derart leichtsinnig gearbeitet? Im Augenblick und noch für eine lange Weile geschieht nichts. Inzwischen baue ich Stativ, Kamera, Einstellupe und Blitzgerät auf. Alles ist bereit, nur die Hauptfigur fehlt noch. Endlich kommt ein Insekt angeschwirrt: Es ist eine Grabwespe, die hübsche Mellinus arvensis, auch Glattwespe genannt. Nicht etwa, daß ich sie auf Anhieb erkannt hätte. So gescheit bin ich nicht, um jedes unserer abertausend Insekten sofort bestimmen zu können. Ich betrachte nur die mir bisher Unbekannte genau und wälze dann abends einige Bücher, die mir genaue Auskunft geben. Mein Wesplein gibt mir reichlich Zeit, es anzuschauen. Es setzt sich auf meinen linken Unterarm, legt dort sein Reisegepäck, eine anscheinend tote Fliege ab, und beginnt, ohne mein Erstaunen zu beachten, die Fliege energisch zu massieren. Die zutrauliche Wespe ist etwa bienengroß, aber schlank, mit schmaler Wespentaille, sie trägt ein schwarzes Kleid mit leuchtend gelben Bändern. Auch die Beine sind gelb, und das Gesicht ist durch einen U-förmigen, oben offenen Streifen typisch markiert. Ein Tierchen, flink und lebhaft, das sein Köpfchen aufmerksam nach allen Seiten dreht. Was sie da auf meinem Arm mit ihrer Fliege macht, ist auch anderen Grabwespen geläufig. Das sind Wespen, die, wie die Ein23
siedlcrbienen, nicht in Staaten leben, und von ihnen gibt es viele tausend Arten. Obwohl die erwachsenen Tiere sich meist von Nektar und anderen Süßigkeiten ernähren, ziehen die Larven Fleisch vor, und das muß immer frisch sein. Die Mütter stehen da vor einer schwierigen Aufgabe. Unsere Glattwespe löst sie in ähnlich einfacher Art, wie das auch in allen großen, mit Arbeiterinnen gefüllten Wespennestern geschieht. Sie versorgt ihre Brut täglich mit frischem Fliegenfleisch. | Zunächst gräbt sie jene Röhre, die unten in eine oder einige Kammern mündet. Dann beginnt die Fliegenjagd. Sie pirscht ihr Opfer j an wie die Katze die Maus. Ist die Wespe nahe genug, wird die Fliege nur mit den Beinen angesprungen, kommt die Wespe von oben, benutzt sie auch ihre Schwingen. Der Angriff geschieht so blitzschnell, daß unsere Augen ihn kaum wahrnehmen können. Sie j landet meist auf dem Rücken der Beute, umgreift sie mit allen sechs Beinen, krümmt den Hinterleib stark ein und lähmt die I Fliege mit einem zielsicheren Stich in die Brust. Das Opfer wird j umgedreht, Bauch gegen Bauch schwirrt nun die Grabwespe mit ihrer Trophäe ins Nest zurück. Manchmal aber landet sie unterwegs noch irgendwo, um die Fliege noch einmal zu massieren, hauptsächlich an Kopf und Hals; dadurch sollen wohl Gehirn und Nerven zusätzlich gelähmt werden. Dann läßt sie die Beute für kurze Zeit liegen, um nachzusehen, ob im Nest alles in Ordnung und in Bereitschaft ist. Jetzt erst holt sie die Fliege, kriecht rückwärts in die Nestöffnung, zieht das mit den Kiefern gehaltene Opfer in den Bau, lagert es am Boden der Kammer und legt ihr Ei darauf ab.
j j 1 j ] -
Die Fliege ist nicht tot, aber völlig gelähmt und nicht mehr imstande, auch nur ein Glied zu rühren. Könnte sie sich bewegen, wären das Ei und die frisch geschlüpfte Larve gefährdet, Ei oder Larve würde zu Boden fallen und vom Körper der Fliege zerquetscht werden. Daher sind der lähmende Stich und die nachfolgende Gliedermassage notwendig, damit die Wespenlarve in ; Sicherheit das frischbleibende Fliegenfleisch verzehren kann. Da Nerven und Gehirn außer Tätigkeit gesetzt sind, ist anzunehmen, daß die Beutetiere dieser räuberischen Wespenarten empfindungslos und sozusagen „scheintot" sind. Geht der Fleischvorrat zu Ende, so schleppt die Mutter ein frisches Opfer heran, wochenlang, so lange, bis sich in allen Brutkammern die letzten Wespenlarven verpuppt haben. Da der Ein24
Ausnahmsweise hat eine Sandwespe die Raupe über Tage erwischt. Der Giftstachel beginnt seine Arbeit, die gelähmte und betäubte Beute wird von dem viel kleineren Jäger in das in der Nähe gegrabene Nest geschleppt und dient als Futtervorrat für den Nachwuchs. 25
gang in dieser Zeit dauernd offen bleibt, kommt es indes oftmals vor, daß während der Abwesenheit des Weibchens ein ungebetener Gast einsteigt und sich mit Fliege samt Wespenmade davonmacht.
Die Wirbelwespe und ihre Todfeindin Eine Verwandte der Grabwespe, die Wirbelwespe, die vorwie- I gend im Sand gräbt, handelt klüger. Wenn sie ausfliegt, verscharrt sie j den Zugang zur Brutkammer mit lockeren Sandkörnchen, so daß er völlig unkenntlich wird. Die Sicherheit, mit der sie bei ihrer Rückkehr unfehlbar die verschüttete Pforte wiederfindet, ist erstaunlich. Auch die Brut der Wirbelwespe erhält nur Fliegen als Nahrung, und auch sie füttert bis zur Verpuppung der Larven. Mitunter zögert die Wespe, wenn sie, mit Beute beladen, zurück- , kehrt, und schwebt in Kreisbahnen über der Sandfläche, als fände sie den Eingang nicht mehr. Dann zieht sie weitere Runden, kehrt von neuem zurück, wagt aber immer noch nicht die Landung. Denn dort, wo unkenntlich für uns die Öffnung ist, sitzt eine winzige Fliege. Die Wirbelwespe, die nicht einmal den dicksten Brummer fürchtet und im Fliegenfangen geübt ist wie kein zweiter, hat Angst vor dem winzigen Zwerg. Sie könnte ihn ihrer Brut als kleine Nachspeise vorlegen, aber sie getraut sich nicht einmal, die Neugierige auch nur zu vertreiben. Endlich landet die Wirbelwespe doch in flachem Anflug genau vor dem verborgenen Eingang, kratzt hastig den Verschluß beiseite und verschwindet samt Beute, so schnell es ihr möglich ist, im Innern. Aber die lauernde Fliege ist nicht weniger geschwind: Zielsicher hat sie in diesem Augenblick ein Ei an das Opfer der Wespe gelegt. Wir können uns schon denken, was nun geschehen wird. Meist bleibt es nicht bei dem einen Ei, die Fliege wiederholt den Trick noch öfter, und ihre Larven wachsen schneller als die der Wespen. Wenn auch die Wespenmuttcr fleißig neues Fleisch heranschleppt, die Nebenbuhler schnappen sich die besten Bissen, während die Wespenbrut langsam verkümmert. Unbegreiflich, warum die Wirbelwespe die zudringliche Fliege : nicht kurzerhand tötet. Ein merkwürdiger Zwiespalt in ihrer Na- i tur, eine Hemmung, wohl auch von rätselhaften Instinkten verursacht! 26
Ihr Leben hängt an einem Faden Das tägliche, wochenlang fortgesetzte Versorgen der Brut mit frischem Fleisch hat, abgesehen von der Mühe, manche Nachteile. Neugierige werden durch den fortwährenden Beflug des Nestes angelockt, auch das Zuscharren des Eingangs hilft da nicht viel. Darum gehen manche Wespen andere Wege. Lehmmauern liebt nicht nur die Pelzbiene, auch die Mauer-Lehmwespe errichtet dort gern ihre Kinderwiege. Wie die Pelzbiene baut auch sie am Flugloch kleine Röhrchen ins Freie. Ihr Brutgang endet unten in acht bis zehn waagrecht liegenden Kammern. Hat sie eine Zelle fertig, holt sie nicht, wie andere Insekten, zunächst Futter ein, sondern legt in der leeren Kammer ihr Ei ab. In der äußersten Ecke des Raumes wird das Ei mit einem feinen Faden an der Decke aufgehängt, so daß noch etwas Abstand vom Boden verbleibt. Dann erst macht sich die Wespe auf den Weg, um Fleisch herbeizuholen — stricknadeldünne, winzige Lärvchen, die wie die Fliegenbeute der Wirbelwespe durch einen Stich betäubt werden. Die beiden ersten Opfer legt die Mutter unmittelbar unter das schwebende Ei und läßt jeweils einen kleinen Zwischenraum frei. Dann holt sie noch zwanzig solcher Würmchen, rollt sie eng aneinander und schichtet sie wie ölsardinen in einigem Abstand vom Ei auf. Allmählich wird der ganze übrige Zellenraum gefüllt und schließlich zugemauert. Der Fleischvorrat reicht, bis die Wespenlarve sich verpuppt hat, und er wird während der ganzen Zeit frischbleiben. Eigentlich hätte die Mutter das auch anders, einfacher machen können. Erst die Nahrung einbringen, dann das Ei darauf legen und die Tür zumauern; das Anseilen des Eies und auch das Aufrollen und Zusammenpressen der vielen Würmer würde sie sich dann erspart haben. Welchem besonderen Zweck soll denn der Seiltrick dienen? Nehmen wir einmal an, die Mutter habe ihr Ei auf den gesamten, flüchtig aufeinander geworfenen Haufen der Würmer gelegt. Die Larve schlüpft aus und beißt den ihr am nächsten liegenden Wurm an. Da er wohl betäubt, aber nicht völlig gelähmt ist, wird er eine instinktive Abwehrbewegung machen. Die dabei angerempelten Würmer beginnen sich ebenfalls zu rühren, das ganze Knäuel gerät in Bewegung. Die blinde, beinlose Larve stürzt natürlich mitten hinein und wird in dem Haufen erdrückt. 27
Das verhütet jenes Seil, das die Mutter dem Ei mitgegeben hat. Die entschlüpfte Larve spinnt sich mit ihrem Hinterende sofort daran an und hängt nun leicht eingekrümmt über einem der beiden Vorratswürmer, die von den übrigen getrennt liegen. Die Larve streckt sich, frißt' ein wenig und krümmt sich dann wieder nach oben in die sichere Höhe. Zwei, drei Tage lang bleibt sie angeseilt, so lange, bis beide unter ihr liegenden Maden verzehrt sind. Wenn sie sich dann, an ihrem Faden hängend, zum erstenmal gehäutet hat und schon viel kräftiger geworden ist, braucht die Wespenlarve ihr Rettungsseil nicht mehr. Jetzt kann sie sich getrost zu dem seitlich gelagerten Fleischhaufen hinschlängeln und ungefährdet fressen. Ihr Leben, das in den ersten Tagen buchstäblich an einem seidenen Faden hing, ist nun nicht mehr bedroht.
Die Dauerwurst der Wespenlarve Solche Scilkünste mögen sehr zweckmäßig sein, solange es sich um kleine Beutetiere handelt. Bei Großwild, bei einer dicken Raupe vielleicht, genügen sie nicht mehr. Eine einzige Bewegung der Beute würde in der engen Brutkammer selbst die an der Decke hängende Wespenlarve zerquetschen. Deshalb muß die Sandwespe ihre Nachkommen auf ganz andere Weise schützen. Sandwespen sind stattliche, zwei Zentimeter lange, schwarz-rote Insekten mit kräftigem Brustkasten und schlankem Leib, der durch ein dünnes Stielchen mit dem Vorderkörper verbunden ist. Von April bis Mai kann man an sonnigen und sandigen Plätzen ihr Brutgeschäft beobachten. Der Larve der Sandwespe munden die fünf Zentimeter langen Raupen aus dem Geschlecht der Eulenfalter besonders gut, und eine davon genügt als Vorrat bis zur Verpuppung. Aber es muß eine Eulenraupe sein und keine andere; sie zu finden ist auch für das Sandwespenweibchen nicht leicht. Alle Bienen, Wespen und sonstigen Hautflügler leben erst auf, wenn es richtig heiß wird; an kühlen Tagen und bei Nacht verkriechen sie sich in ihre Schlupfwinkel. Eulenraupen machen das genau umgekehrt. Sie fressen nur nachts und wühlen sich tagsüber unter der Erde ein kühles Bett. Das Wild, das die Sandwespe jagen muß, ist also unsichtbar, sie muß es, auf der Erde herumlaufend wie ein Jagdhund, wittern. Unter der Erde aber kriecht vielerlei herum. Dennoch spürt die Wespe genau jene Stellen auf, unter denen sich eine Eulenraupe 28
verbirgt. Sie wird herausgescharrt, und dann beginnt die zweite, noch schwerere Aufgabe, der Transport. Die Raupe ist mehr als doppelt so lang wie die Wespe und wohl zehnmal schwerer. Sie fliegend fortzutragen wäre unmöglich, man müßte sie zu Fuß über den Boden zerren, und das wäre mühsam, besonders wenn die Bruthöhle weit entfernt läge. Aber die Sandwespe hat zur Zeit des Beutemachens überhaupt noch keine Höhle. Ganz im Gegensatz zu anderen Hautflüglern jagt sie erst die Beute, um dann in der Nähe einen für ihre Zwecke geeigneten Brutplatz zu suchen, eine sandige Stelle, wo sich leicht graben läßt. Für ein unvernünftiges Tier handelt diese Wespe eigentlich recht schlau. Aber wir wissen ja längst, nicht sie überlegt, sondern ihre Instinkte lenken sie. Zunächst muß jedoch die Raupe überwältigt und bewegungslos gemacht werden, damit sie nicht entfliehen kann, während die Wespe eine geeignete Brutstelle sucht. Die ausgegrabene Raupe wehrt sich zwar mit allen Kräften, aber das kann sie nicht mehr retten. Die Sandwespe steht rücklings auf ihrer Beute und läßt den Giftstachel arbeiten. Er krümmt sich zur Bauchseite der Raupe und dringt der Reihe nach in fast alle Körperringe ein. Die Wespe trifft ziemlich genau die dort liegenden Nervenknoten, wodurch sämtliche Beine der Raupe für dauernd gelähmt werden. Um auch die Mundwerkzeuge unbeweglich zu machen, muß sie anders verfahren. Sie preßt ihre Kiefer fest in die Halsgegend der Raupe und bearbeitet von dort aus die Kopfmuskeln und Nerven so lange, bis sie ebenfalls völlig gelähmt sind. Dann wird die Raupe, von der man wiederum annehmen kann, daß auch sie durch die Nervenlähmung bewußtlos und empfindungslos ist, an einem Pflanzenstengel, etwas über dem Boden und durch Blattwerk geschützt, so aufgehängt, daß sie von Ameisen und anderen Freibeutern nicht leicht entdeckt werden kann. Findet die Wespe ganz in der Nähe geeignetes Gelände, so beginnt sie sofort mit dem Graben und schleppt das wertvolle Beutestück an die Baustelle heran, mühsam Schritt für Schritt. Sie scharrt einen schmalen Gang in die Erde, nicht sehr tief, und erweitert ihn unten zu einer Brutzelle. Dann greift sie die Raupe, richtet sie mit dem Kopf voran am Eingang zurecht, kriecht verkehrt in den Stollen, packt die Beute mit den Kiefern und zerrt die lange Wurst ruckweise hinunter. Ohne befürchten zu müssen, daß die Gelähmte sich rührt, legt sie ihr Ei direkt auf das Opfer. 29
Nun wird der kurze Gang mit lockerem Sand wieder aufgefüllt und der Bauplatz sauber aufgeräumt, und schon geht die Wespe von neuem auf die Pirsch nach einer Raupe für ihr nächstes Ei.
Wespenzelle auf dem Sofakissen Während ich am Gartentisch diese Geschichten niederschreibe, taucht vor mir eine Töpferwespe auf, ein Weibchen, klein, schlank und tiefschwarz. Eilig trippelt es über den Betonboden meiner Terrasse und schleppt unter seinem Bauch ein mächtiges Paket mit. .Das muß ich mir mit Hilfe der Lupe ansehen, weil die Töpferwespe nur etwa sieben Millimeter groß ist. Ihre Last ist eine Spinne, nicht ganz so lang, aber weitaus dicker als die Trägerin. Da habe ich also ein Wespenweibchen beim Transport seiner Kindernahrung überrascht, und es wird mir nun zeigen, wo seine Brut versteckt ist. Zunächst marschiert es zur Hausmauer und an ihr steil hinauf. Trotz des hindernden Gepäcks kommt die Wespe an der senkrechten Wand flott voran, nach wenigen Minuten ist sie bereits an der Decke angelangt, in etwa drei Meter Höhe. Doch scheint das nicht der rechte Weg zu sein, unschlüssig turnt sie oben links und rechts herum, klettert schräg abwärts und wieder hinauf. Sie hat sich wohl verlaufen. Töpferwespen bauen aus lehmiger Erde kleine Tönnchen in irgendwelche bereits vorhandenen Verstecke. An meiner Mauer kann ich aber kein Nesttönnchen entdecken, sie ist glatt wie der Fensterrahmen und die Läden. Nirgends zeigen sich Nistmöglichkeiten, nur rechts hängt ein Bambusgestell mit Blumentöpfen. Dort im hohlen Rohr vielleicht oder irgendwo an den Töpfen könnte die Kinderstube sein. Ja, tatsächlich, in einem der Bambusrohre! Aber wir müssen Geduld haben! Eine volle Stunde vergeht, bis unsere Töpferin endlich nach Hause gefunden hat. Da sie während der kühnen Klettereien das Spinnentier nur mit ihren kurzen Kiefern festhalten kann, geschieht es vier- oder fünfmal, daß die kostbare Last zu Boden fällt, drei Meter tief. Geduldig holt sich die Wespe jedesmal ihre Beute wieder und klettert mit ihr immer von neuem die Wand hoch. Eine Stunde lang schwierigste Steilwandkletterei mit schwerem Gepäck — dann ist endlich das richtige Bambusrohr gefunden. Das 30
Gleiche wiederholt sich nun Tag für Tag zwei- oder dreimal, bis der Raum im Rohr ausgefüllt ist und alle Nachkommen versorgt sind. Für die nächste Eiablage aber sucht die Wespenmutter sich ein bequemeres Versteck aus, zwei auf der Bank liegende Kissen, zwischen die sie ihre Brutzellen baut und wohin sie die Spinnen schleppt. Ich erkläre selbstverständlich diese Kissen im häuslichen Bereich zum „Naturschutzgebiet", niemand darf daran rühren! Der pflichtgetreuen Wespenmutter aber würde ich gern einen Verdienstorden für Zähigkeit und Geduld verleihen, weil sie trotz aller Beschwernisse nicht nachgegeben hat — ihr und allen anderen Insektenmüttern, die ihre Nachkommen so überaus aufopfernd und unermüdlich behüten und verpflegen. Aber ich weiß, darauf legen sie keinen Wert. So wenig, wie alle Mütter.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Bilder: Bavaria-Bilderdienst, Emil Riemel, A. E. Brehm L u x - L e s e b o g e n 4 0 1 (Naturkunde) H e f t p r e i s 3 0 P f g . Natur- und kulturkundliche Hefte — Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1.80) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg — Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München — Herausgeber: Antonius Lux
Unter d e m Titel „ J u g e n d der W e l t — Aufstieg zum Ruhm" ist im V e r l a g der Lux-Lesebogen ein spannendes Buch erschienen, das aus den Jugendjahren berühmter M ä n n e r und Frauen erzählt. Dramatisch b e w e g t sind diese 166 Jugend-Geschichten: W i e der j u n g e Edison im Packwagen eines fahrenden Eisenbahnzuges sein primitives chemisches L a b o r a t o r i u m einrichtet und d a b e i fast in die Luft (liegt, w i e Kaiser Friedrich II. v o n Hohenstaufen als Sfrafjenjunge durch d i e Gassen Palermos streift, um das V o l k kennenzulernen, w i e der j u n g e Charles Lindbergh seinen Traum von der O z e a n ü b e r q u e r u n g der Wirklichkeit näherbringt, wie der Jüngling A r f u r o Toscanini im g e b o r g t e n Frack mit a b g e schnittenen Hosenbeinen seine erste O p e r dirigiert oder w i e der Negerjunge W a s h i n g t o n Carver, der noch als Sklave g e b o r e n wurde, g e g e n unsägliche W i d e r s t ä n d e seine Ausb i l d u n g zum „ P f l a n z e n d o k f o r " erzwingt. Viele der Grofjen waren bereits als Kinder und Jugendliche berühmt durch das W u n d e r ihrer g e n i a l e n B e g a b u n g . A n d e r e w a r e n frühvollendet und w u r d e n a b b e r u f e n , ohne d a h sie den G i p f e l der Lebensreife erreichen durften. Besonders ergreifend sind die Jugendschicksale jener M ä n n e r und Frauen, d i e sich aus dem Dunkel der Armut, v o m inneren Feuer g e t r i e b e n , auf den Platz heraufarbeiteten, auf d e m wir sie heute b e w u n d e r n . Das Buch ist eine G a l e r i e grofjer Vorbilder. Porträtzeichnungen und Lebensdokumente ergänzen das G e s a m t b i l d der Persönlichkeiten.
Jugend der Welt — Aufstieg zum Ruhm In jeder Buchhandlung erhältlich. G a n z l e i n e n , f a r b i g e r Schutzumschlag, 544 Seiten, reich illustriert DM 9,80.
VERLAG SEBASTIAN LUX 811
MURNAU
VOR
MÜNCHEN,
SE.IDLPARK
Das wertvolle Geschenk zum Weihnachtsfest
LESEBOGEN BUCHREIHE Eine Universalbibliothek des Wissens, 15 Bände mit 360 ausgewählten, nach Wissensgebieten geordneten Lux-Lesebogen. Dauerhafter Einband in farbfroher Luxusplastik 1 Länder u. Völker 4Sfernenweltu.Erde 7-8 Weltgeschichte 14 Dichter u. Denker 2 Forscher u.Erfinder 5 Amerika 9-12 Naturgeschichte 15 Kunst u. Musik 3 Welt d. Technik 6 Nordpol - Südpol 13 Kultur u. Bildung Jedes Lux-Lesebogen-Buch kostet nur DM 9,50. Preis des Gesamtwerkes mit 15 Bänden (Umfang etwa 11500 Seiten, Tausende von Abbildungen) DM 128,—. Ratenbezug gegen 12 Monatsraten VERLAG S E B A S T I A N LUX -811
M U R N A U , P O S T F A C H 68