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Das Deck der „Isabella. VIII.“ sah grauenhaft aus. Ebenso grauenhaft verzerrt waren auc...
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Seewölfe 242 1
Fred McMason 1.
Das Deck der „Isabella. VIII.“ sah grauenhaft aus. Ebenso grauenhaft verzerrt waren auch die Gesichter der Männer, die fassungslos auf ihre Kameraden blickten. Was war geschehen? Seit sie die Insel Tortuga verlassen hatten, befand sich ein neuer Mann an Bord. Pablo, so hieß der Neue, den -sie aus den Klauen der karibischen Piraten befreit hatten, hatte ein ehrliches, offenes Gesicht und fügte sich schnell in die Mannschaft ein. Während er den meisten Seewölfen sympathisch war, lehnten ihn jedoch Batuti und der alte O’Flynn rigoros ab. Alle beide konnten nicht begründen, was sie gegen Pablo hatten, aber sie mochten ihn nicht, und Old O’Flynn hatte sich zu der Bemerkung verstiegen, er würde dem Neuen am liebsten so lange in den Hintern treten, bis er hinter der Kimm verschwände. Daß sie sich da den Teufel persönlich an Bord geholt hatten, ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand, denn Pablo war von dem unumschränkten Herrscher von Tortuga mit allen Raffinessen an Bord der „Isabella“ eingeschleust worden. Seine Aufgabe war denkbar einfach: Er sollte das Trinkwasser vergiften, die Seewölfe hilflos werden lassen, damit Don Bosco, wie der Herrscher von Tortuga hieß, das Schiff unbeschädigt übernehmen konnte. In der letzten Nacht war es Pablo gelungen, das Wasser in dem Faß an Deck zu vergiften, und der erste Erfolg war eingetreten. Fünf Seewölfe und die Zwillinge hatte es bereits erwischt. Mit blauverfärbten Gesichtern lagen sie auf den Planken der Kuhl. Pablo war der einzige, der nur markierte und so tat, als litte auch er unter heftigen Krämpfen und Schmerzen. Ab und zu blinzelte er aus halbgeschlossenen Augen zu den Männern, die das Unheimliche immer noch nicht begriffen. Der Seewolf stand starr vor Schreck auf der Kuhl und sah dem Kutscher zu, der sich vergeblich bemühte, in die wie
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hingemähten Gestalten wieder Leben zu bringen. Immer wieder flößte er ihnen Essig ein, aber es trat kein Erfolg ein, und so hob er entsagungsvoll und mit ratlosem Gesicht die schmalen Schultern. „Ich weiß keinen Rat mehr, Sir“, sagte er müde, „es muß an den Lebensmitteln gelegen haben. Am Mehl, oder am Speck, oder auch an den Hühnereiern, die wir heute morgen gegessen haben.“ Philip Hasard Killigrew beugte sich wortlos zu seinen Söhnen hinunter, die stöhnend und mit blau verfärbten schwitzenden Gesichtern auf den Planken lagen. Er konnte nicht helfen, niemand konnte es, denn wenn der Kutscher, der ein hervorragender Feldscher war, nichts tun konnte, dann vermochte es erst recht kein anderer. Er stieß einen erbitterten Fluch aus. „Wir alle haben von dem Zeug heute morgen gegessen“, sagte er, „und uns ist nichts passiert.“ „Bisher noch nicht, Sir“, sagte der Kutscher verbessernd. „Ich weiß nicht, woran das liegt, aber bei dem einen geht es schnell, und bei dem anderen dauert es länger. Essig hilft jedenfalls nicht“, setzte er resignierend hinzu. Matt Davies, den Mann mit der Hakenprothese am rechten Arm hatte es als einen der ersten gefällt. Nicht weit von ihm lag der hünenhafte Schiffszimmermann Ferris Tucker hilflos wie ein Kind auf den Planken. Dann war der alte Segelmacher Will Thorne umgekippt, und als letzten hatte es den jungen Bill buchstäblich umgehauen. Hasards Theorie hatten auch die anderen alle übernommen. In Tortuga waren sie nur von einer Piratenmeute belauert worden, und keiner hatte sie angegriffen, selbst dann nicht, als sie aus dem Hafen segelten. Aber ein Fühlungshalter, der stur auf ihrem Kurs blieb, war aufgetaucht, und er war immer noch zu sehen. Demnach hatten die Piraten etwas in die Lebensmittel geschmuggelt, das diese bestialischen
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Krämpfe erzeugte, einzig und allein aus dem Grund, um die „Isabella“ auf See in aller Ruhe ausplündern zu können. „Al“, sagte der Seewolf zu dem Waffenund Stückmeister Conroy, „sieh zu, daß wir gefechtsklar bleiben und alle Kanonen in einwandfreiem Zustand sind. Laß die Messingbecken aufstellen, die Kerle werden nicht mehr lange auf sich warten lassen.“ „Aye, Sir, alles veranlaßt, ich habe vorgesorgt. Ich fürchte nur, daß wir die Culverinen bald nicht mehr abfeuern können, wenn einer nach dem anderen umfällt.“ „Das befürchte ich allerdings auch.“ Hasard beugte sich über Ferris Tucker, dessen Gesicht schrecklich verzerrt war. Er betastete sein Gesicht, das sich kalt und heiß zugleich anfühlte. Dann zog er ihm das Augenlid hoch, aber er sah nur das Weiße darin. Der Augapfel hatte sich verschoben. „Kannst du mich hören, Ferris?“ fragte er. „Verstehst du eins meiner Worte? Dann gib irgendein Zeichen!“ Ferris konnte ihn hören, das stand fest, vermutlich hörte und verstand er alles, was um ihn herum vorging, aber er war zu keiner Reaktion fähig. Er öffnete verzweifelt die Lippen, um etwas zu sagen, aber er brachte keinen Ton hervor. Sein Körper war gelähmt, verkrampft und teilweise bläulich angelaufen. „Er versteht uns, Sir“, sagte der Kutscher erregt. Hasard sah .dem schmalbrüstigen Feldscher starr in die Augen. Dann fragte er leise: „Glaubst du, es ist ein tödliches Gift, Kutscher?“ Der Kutscher zuckte zusammen, als hätte ihn der Hieb einer Peitsche getroffen. „Ich – ich will es nicht hoffen“, sagte er ebenso leise. „Es scheint sich um ein Gift zu handeln, das die Atemwege vorübergehend lähmt. Das kann ein paar Stunden anhalten, es kann aber natürlich auch sein, daß ...“ Er sprach nicht weiter, und er brauchte auch nicht weiterzureden, denn der Seewolf kannte seine Gedanken. Hasards
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Magen krampfte sich zusammen, wenn er an seine beiden Söhne und die anderen Männer dachte. Er schwor in diesen Minuten niemandem Rache, er dachte einfach nicht daran, vorerst hoffte er nur, daß es alle unbeschadet überlebten. Dann ging er zu Will Thorne, dessen Körper die gleichen Symptome aufwies, und schließlich zu Bill, der verkrümmt auf den Planken lag. „Sollen wir sie nach unten bringen, Kutscher?“ „Nein“, sagte der. Feldscher entschieden. „Ich würde sie an Deck lassen, Sir. Hier ist frische Luft, und gerade die haben sie bitter nötig. Unten ist es zu stickig bei dieser Hitze.“ Der Seewolf ging auch zu Pablo und betastete ihn. Dabei traf er auf ein eigenartiges Phänomen. Pablo zuckte zwar auch und hatte sich verkrampft, aber bei ihm war die Blauverfärbung nicht eingetreten, und als er sein Augenlid anhob, war auch teilweise die Pupille zu sehen. Und noch etwas erstaunte ihn: Pablos Körper fühlte sich eigentlich ganz normal an. Da gab es keinen Wechsel von heiß auf kalt. „Sieh dir das mal an, Kutscher“, sagte er. „Und dann erkläre mir, was du davon hältst!“ Der Kutscher war zunächst ratlos. Dann aber nickte er. „Du selbst, Sir, hast ihm gleich literweise Essig eingeflößt, noch bevor das Gift richtig zu wirken begann. Daran scheint es zu liegen. Ich habe jedenfalls keine andere Erklärung.“ Hasard versuchte Pablo auf die Beine zu helfen, doch das gelang ihm nicht. Der Neue fiel immer, wieder um, aber er öffnete ein paarmal den Mund und setzte zum Sprechen an. „Merkwürdig bleibt es doch“, sagte der Seewolf und kriegte ganz schmale Augen. „Ausgerechnet er“, setzte er leise und nachdenklich hinzu. Dann drehte er sich um und blickte achteraus.
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Am hellblauen Himmel stand keine einzige Wolke. Der weiße Fetzen, der wie ein kleines Wölkchen aussah, war nichts anderes als die Segel des Fühlungshalters, der wie Pech in ihrem Kielwasser hing und sich nicht abschütteln ließ. Immer noch verschwand er hin und wieder hinter der Kimm, aber nach kurzer Zeit tauchte er beharrlich wieder auf. Hasard glaubte, daß hinter dem schnellen Fühlungshalter noch ein weiterer lauerte, um über die „Isabella“ herfallen zu können, wenn es soweit war. Aber wie sollten die Kerle das eigentlich feststellen, überlegte er. Dazu mußten sie schon aufsegeln, oder aber die „Isabella“ würde früher oder später aus dem Kurs laufen, wenn es niemanden gab, der das Ruder bediente. Eine verteufelte Situation, eine absolut hilflose Lage, in der sie nichts, aber auch gar nichts tun konnten, denn das Gift hatte anscheinend schon jeder im Körper. Als er sich wieder abwandte, sah er gerade noch, wie sich der Decksälteste Smoky zusammenkrümmte und auf die Knie fiel. Noch bevor er sich der Länge nach ausstreckte, war schon der Kutscher bei ihm und goß ihm Essig in den Hals. Wenn es bei Pablo geholfen hatte, dachte er, oder seine Lage wenigstens gebessert hatte, dann mußte es auch bei Smoky helfen, gerade in dem Augenblick, als er zusammenbrach. Aber es half bei Smoky nicht, und das stimmte auch den Kutscher sehr nachdenklich. * Auf der Karavelle, die weit hinter der „Isabella“ segelte, war der Teufel los. Rum wurde getrunken, ein paar Weiber kreischten, die schon leicht angetrunken waren, und nur sehr wenige waren noch nüchtern. Der schwarzhaarige Pirat, von seinen Kumpanen auch der Wilde Saufbold genannt, war in den Fockmast aufgeentert und hatte lange Zeit durch das Spektiv geblickt.
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Erfahren hatte er aber so gut wie nichts, und als er wieder an Deck stand, ließ er sich seine Enttäuschung nicht anmerken. Er ging nach achtern, wo der glatzköpfige Nuno am Ruder stand. Der Schlagmann, der sonst immer auf der Galeere Dienst tat, sah immer noch mitgenommen aus. Dort, wo ihn Canberras schwere Fäuste getroffen hatten, schillerten farbige Beulen, und um seinen dicken Hals lief eine dunkelrote Linie, als Sei er stranguliert worden. Er trug wieder seine kurzen, bis knapp an die Knie reichenden Leinenhosen und hatte seine mächtigen Säulenbeine auf die Planken gestemmt. Seine Schweinsäuglein waren fast zugeschwollen, und selbst Don Bosco fand ihn zum Fürchten. Diese schweren Treffer von dem Profos der „Isabella“ hatte er mittlerweile wieder verdaut, und nur die Beulen und Blutergüsse kündeten noch davon. Der Herrscher von Tortuga hatte es Nuno immer noch nicht ganz verziehen, daß er so fürchterliche Prügel bezogen hatte. Er selbst war bei der Schlägerei in der Hafenkneipe nicht dabei gewesen, aber seine Kumpane hatten ihm von dem harten Kampf berichtet. „Tut sich schon was?“ fragte Nuno lauernd. Don Bosco schob die schwarzhaarige, glutäugige Conchita unwillig beiseite, die sich im näherte und ungeniert ihre schlanken Arme um seinen Hals legte. „Das geht nicht von einer Stunde zur anderen“, sagte Don Bosco. „Noch segelt der Kahn ganz normal, und von einem Signal ist bisher nichts zu sehen.“ „Ob Pablo es überhaupt geschafft hat, das Wasser zu vergiften?“ „Selbstverständlich“, erwiderte der schwarzhaarige Pirat überzeugt. „Ich bin auch sicher, daß die ersten Kerle bereits besinnungslos herumliegen. Aber es braucht eben seine Zeit.“ Sein Blick ging zur Kimm, wo die Beute als feiner Strich zu erkennen war. Er nickte grinsend, dann begann er plötzlich schallend zu lachen, bis Nuno ihn verständnislos anblickte.
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„Die haben eine harte Nuß zu knacken“, sagte er laut, „und sie werden lange herumrätseln, was da wohl passiert ist. Wenn sie es merken, ist es zu spät.“ Er wartete Nunos Antwort nicht ab, sondern drehte sich wieder um und blickte achteraus, wo die Galeere heransegelte. Von der „Isabella“ aus konnte man sie nicht sehen. Don Bosco lehnte sich aus Schanzkleid, ließ sich von der sanften Dünung wiegen und dachte, über seinen Plan nach, den er in Gedanken noch verfeinern wollte. Er war nicht der Mann, der das Fell des Bären verkaufte, wenn er diesen Bären noch gar nicht gesehen hatte. Er rechnete sich nur kühl und präzise seine Chancen aus. Rein kämpferisch, das war seine erste Chance gewesen, gelangt er an die Seewölfe nicht heran, obwohl er zahlenmäßig weit überlegen war. Die „Isabella“ zu entern, das schied also aus. Die Seewölfe würden ihr Schiff mit dem letzten Lebensfunken verteidigen, und es niemals aufgeben, solange einer von ihnen lebte. Folglich würden Mannschaft und Schiff zum Teufel gehen, und damit waren die vermuteten Schätze an Bord ebenfalls weg. Don Bosco wollte aber noch weitaus mehr. Auf der Schlangen-Insel sollten, den Gerüchten nach, unermeßliche Schätze lagern, die die Seewölfe im Lauf ihrer zahlreichen Kaperfahrten zusammengetragen hatten. Dazu brauchte er die Mannschaft lebend, sonst war dieser Traum ausgeträumt. Verlief die Sache mit dem eingeschmuggelten Pablo gut, und daran zweifelte er nicht, dann hatte er alles das, was er wollte: die „Isabella“ selbst, die Bordschätze und die sagenhafte Beute von der Schlangen-Insel. Sogar ein allerletzter Triumph blieb ihm noch: Er würde es sein, der diese harten Kerle besiegt hatte, der mit der Legende der Unsterblichen aufräumte, der den Seewolf und seine Crew an die Ketten der Galeere gebracht hatte und sie nun bis in alle Ewigkeit rudern lassen würde.
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Diese Tatsache mußten sämtliche karibischen Piraten dann anerkennen, und damit wuchs seine Macht. Anfälle von Größenwahn waren ihm fremd, vielleicht hatte er deshalb so lange überlebt und sich behaupten können. Er gab einem seiner Kerle einen schnellen Wink. Obwohl der Mann leicht angetrunken war, blieb er so. fort achtungsvoll stehen. „Laß ein Segel wegnehmen, damit wir etwas achteraus bleiben, und bring mir das Spektiv.“ „Sofort, Don. Bosco.“ Der schwarzhaarige, überaus stark tätowierte Pirat hatte die Hände lässig auf den Handlauf des Schanzkleides gestützt und sah zu, wie eins der Segel geborgen wurde. Das setzte die Fahrt der Karavelle nur unmerklich herab, aber es gab doch weniger Vortrieb, und schon bald würde die voraussegelnde „Isabella“ wieder unter der Kim verschwunden sein. Don Bosco blickte ihr nach und zog das Spektiv so weit auseinander, daß er gerade noch die Segel seiner Beute undeutlich erkennen konnte. Noch ist sie nicht sturmreif, überlegte er, aber Pablo würde das schon schaffen. Auf den Mann konnte er sich grundsätzlich verlassen. Sehr lange würde es nicht mehr dauern. Er versuchte, sich in die Lage des Seewolfs zu versetzen, aber das gelang ihm nur sehr schlecht, denn der Mann paßte in keine Schablone und handelte mitunter völlig anders, als man von ihm erwartete. Logisch mußte aber folgendes sein, dachte Don Bosco: Fielen immer mehr der Seewölfe. dem Gift zum Opfer, dann bestand die Mannschaft schließlich nur noch aus drei oder vier Leuten. Die ahnten mit Sicherheit, daß ihnen jemand auf den Fersen war. Segeln ließ sich. das Schiff aber mit ein oder zwei Mann nicht mehr, folglich würde man schon vorher die Segelfläche verkleinern und darauf warten, daß man dem Gegner die Zähne zeigen konnte. Dann würden auch die letzten umfallen, weil jeder von ihnen schließlich einmal zum Wasserfaß mußte, um zu
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trinken, und damit war die Festung sturmreif. Was aber, wenn sie merkten, daß mit dem Wasser etwas nicht stimmte? Nun, das mußte er der Initiative Pablos überlassen, und darüber wollte Don Bosco im Augenblick noch nicht nachdenken. Er blickte weiter dem Schiff nach, das jetzt schnell kleiner wurde und nach einer Weile unter der Kimm verschwand. „Warte, Seewolf“, Murmelte er leise vor sich hin. „Du entgehst mir nicht, noch keiner hat das bis jetzt geschafft. Und ich wette, daß auf deinem Schiff schon jetzt das Grauen umgeht.“ 2. Don Boscos letzte Worte entsprachen absolut der Wahrheit, denn das Grauen ging wirklich um an Bord der „Isabella“, und es nahm immer krassere Formen an. Der Schimpanse Arwenack begann zu toben und angsterfüllt zu kreischen und zu keckern. Er wußte nicht, was hier vorging, aber in seiner langjährigen Gewöhnung an die Männer spürte er, daß hier etwas Schreckliches passierte, und das versetzte ihn in helle Aufregung, die wiederum auf den Papagei übergriff, der in immer kürzeren Abständen dicht über das Deck strich und dabei mißtönende Laute ausstieß.; „Was hat der Affe eigentlich heute gefressen?“ fragte der Kutscher, der sich die allergrößte Mühe gab, um herauszufinden, woran es lag, dass einer nach dem anderen umfiel. Seiner Ansicht nach hing das nur mit den verdorbenen Lebensmitteln zusammen, und es galt jetzt, herauszufinden, was denn nun eigentlich verdorben oder vergiftet war. „Ich weiß es nicht“, sagte der Profos, „aber von deinem dicken Pappzeug hat er bestimmt nichts gefressen, der hält sich doch am liebsten an Früchte.“ Der Kutscher überhörte „das dicke Pappzeug“, geflissentlich, und Ed hatte es auch ganz sicher nicht verächtlich gemeint, denn jetzt war keine Zeit für dumme oder spitze Bemerkungen.
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Der Profos beobachtete den Schimpansen unbehaglich aus schmalen Augen, als sich Arwenack immer verrückter benahm. „Der Affe hat Angst, weiter nichts“, sagte Ben Brighton in die Stille hinein. Er hatte seinen Platz auf dem Achterdeck unter diesen Umständen jetzt ebenfalls verlassen und sah, von Grauen geschüttelt, auf die herumliegenden Männer. „Ich glaube auch nicht, daß er vergiftet ist“, meinte der Kutscher, der immer noch ratlos und verzweifelt wirkte, weil er keine Mittel hatte, um hier helfend eingreifend zu können. „Daß mir keiner in die Kombüse geht und Proviant stibitzt“, sagte der Kutscher. „Alles, was wir in Tortuga an Bord genommen haben, kann Gift enthalten. Ich werde den ganzen Krempel nachher über Bord werfen, obwohl es jetzt ja leider dazu schon zu spät ist. Gibt es einen unter euch, der heute noch nichts gegessen hat?“ fragte er gleich darauf. „Wir müssen dieser Ursache auf den Grund gehen, sonst gibt es keine Hilfe.“ Es stellte sich heraus, daß einige zwar nur ein wenig, die meisten aber ziemlich viel gegessen hatten. Aber es gab keinen, der auf das morgendliche Frühstück verzichtet hatte. Immer verzweifelter sann der Kutscher nach einem Ausweg, aber es gab weit und breit keine Hilfe. Unterstützung würden sie erst auf der Schlangen-Insel erhalten, vielleicht durch die Schlangenpriesterin Arkana, aber bis dorthin war es noch ein weiter Weg, und es war mehr als fraglich, ob sie die Insel unter den gegebenen Umständen überhaupt erreichen würden. „Gott steh uns bei“, murmelte der alte O’Flynn. „Wenn alle gegessen haben, blüht uns das gleiche Schicksal. Aber warum, zum Teufel, dauert es bei dem einen so lange und bei dem anderen geht es so schnell?“ Der Kutscher versuchte, es ihm zu erklären und sagte, das hätte ganz natürliche Ursachen. „Das ist wie beim Saufen“, sagte er, um es Old O’Flynn besser zu verdeutlichen. „Der
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eine säuft faßweise und bleibt stehen, der andere kippt nach der dritten Muck um, und an manchen Tagen hat man den Alkohol schneller im Blut als an anderen.“ „Das hilft uns alles nicht weiter“, sagte Carberry. „Wir stehen hier wie die Idioten hilflos vor unseren Kameraden, und hinter uns lauern ein paar Schweinehunde darauf, uns zu überfallen. Verdammt, mir wäre ein offener Kampf Mann gegen Mann lieber, als hier hilflos abgemurkst zu werden.“ „Noch ist es ja nicht soweit, Ed“, sagte der blonde Schwede Stenmark, „noch sind die anderen in Ordnung.“ „Wer weiß, wie lange noch“, knurrte Ed. Der Profos ging zum Wasserfaß, schöpfte eine Kelle und trank sie leer. Dann schöpfte er noch zweimal hintereinander Wasser. Der Durst machte sich bei dieser Hitze immer stärker bemerkbar, und niemand verfiel auf die Idee, daß mit dem Wasser etwas nicht stimmen könne. Blacky trank, Stenmark, etwas später Bob Grey, dann Jeff Bowie und der schwarze Herkules Batuti. Und alle fühlten sich nach dem Trunk erfrischt, weil das Wasser immer noch herrlich kühl war. „Unser Fühlungshalter ist weg“, sagte Al Conroy. „Vielleicht haben wir uns nur geirrt, und sie wollten gar nichts von uns.“ Hasard fuhr herum und blickte achteraus. Von dem Segel war nichts mehr zu sehen, es war hinter der Kimm verschwunden. „Weshalb meldet denn Luke, dieser Gammelstint, das nicht?“ fragte der Profos. „Der hat doch schließlich Ausguck.“ Wie auf ein Signal legten sie die Köpfe schief und blickten zum Großmars hoch. Von Luke Morgan, dem jähzornigsten Mann an Bord, war nicht einmal der Kopf zu erkennen. Hinter der Segeltuchverkleidung schien niemand zu stehen. „Luke!“ brüllte der Seewolf mit Donnerstimme. Von oben erfolgte keine Antwort. Daß Luke auf Ausguckwache schlief, war ein Ding der Unmöglichkeit.
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Die anderen sahen sich gehetzt an, und noch bevor einer reagierte, enterte der Seewolf blitzschnell in die Wanten des Großmastes auf, bis er den Ausguck erreichte. Seine schlimme Vermutung fand er sofort darauf bestätigt, und ein Fluch löste sich von seinen Lippen. Luke Morgan war zusammengebrochen und lag verkrümmt mit dem Gesicht hart an der Segeltuchverkleidung. Auch er hatte diese typische Blauverfärbung im Gesicht. Hasard zögerte erst gar nicht. Er hob Luke Morgan auf, lud ihn sich über die Schulter und enterte schnell wieder ab. Die Last schien er gar nicht zu spüren. An Deck starrte er in betroffene Gesichter. Alle scharten sich um Luke, der die gleichen Anzeichen aufwies wie die zusammengebrochenen Männer. „Hölle und Teufel“, sagte der Profos schweratmend, „das geht ja alles wahnsinnig schnell. Das wird immer unheimlicher.“ Er warf einen Blick auf seinen Freund Tucker, aber an dessen Haltung hatte sich ebenfalls nichts geändert. Er lag wie ein Toter an Deck. Carberry stiegen vor hilfloser Wut fast die Tränen in die Augen, und insgeheim betete der harte Mann, daß nur keiner aus der Crew an diesem hinterhältigen Anschlag sterben möge. Er ballte die Hände zu Fäusten und schüttelte sie in ohnmächtigem Zorn. „Eins schwöre ich hiermit“, sagte er gepreßt. „Sollte einer diesen Anschlag nicht überleben, ein einziger nur, dann hau ich auf Tortuga alles in Stücke, und wenn ich jeden dieser hinterhältigen Piraten eigenhändig umbringe.“ Sie alle wußten, daß es der Profos verdammt ernst meinte und er beileibe die Worte nicht nur so dahinsagte. Über Tortuga und das Piratengesindel würde eine Art Weltuntergang hereinbrechen. Immer noch standen sie hilflos um ihre Kameraden herum. Dann bewegte sich Ben Brighton wieder bedrückt nach achtern. Vorher jedoch ging er noch einmal an das
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Wasserfaß, um seinen Durst zu löschen. Damit war auch sein Schicksal besiegelt. Hasard prüfte nach, oh die „Isabella“ so optimal wie nur möglich segelte, und ließ noch etwas nachbrassen. Mehr Tuch brachten sie nicht an die Rahen, denn von der Blinde bis zum Besan war alles gesetzt. Jetzt, hätte nur der Wind kräftiger wehen müssen. Auf dem Achterdeck hielten sich jetzt Big Old Shane, Donegal Daniel O’Flynn junior, Ben Brighton und der Rudergänger Pete Ballie auf. Die Männer starrten erschüttert zur Kuhl hinunter, auf der sich das ganze Drama zum größten Teil abspielte, auf der der Kutscher verzweifelt hin und her rannte und sich die anderen bemühten zu helfen, wo es gar nichts zu helfen gab. Die Ohnmacht jedes einzelnen trat immer deutlicher zutage, und so standen sie herum und wußten nicht, was sie unternehmen sollten, um ihre Kameraden aus ihrer totenähnlichen Starre zu erwecken. „Kurswechsel, Pete“, befahl der Seewolf plötzlich. „Wir segeln so, daß wir den Wind voll achterlich kriegen. Vielleicht können wir den Fühlungshalter dadurch abschütteln, denn augenblicklich steht er hinter der Kimm.“ „Aye, aye, Sir“, sagte Pete müde, „Profos! Klar zum Vierkantbrassen!“ rief der Seewolf. „Wir gehen platt vor den Wind!“ Carberry bestätigte umgehend. Er erfaßte sofort, was der Seewolf vorhatte. Wenigstens wollten sie den lausigen Piraten nicht gleich den Weg zur Schlangen-Insel zeigen. Jeder Handgriff saß wie im Schlaf, die Rahen schwangen herum, bis sie vierkant standen und die „Isabella“ etwas später platt vor dem Wind lief. „Wenn der Fühlungshalter vor einer Stunde nicht auftaucht“, rechneDan O’Flynn laut vor, „dann sind wir ihn los, dann segelt er auf dem alten Kurs weiter.“ „Davon bin ich noch nicht ganz überzeugt“, widersprach Ben. „Wir werden wohl schon zwei Stunden Vorsprung
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brauchen, denn wir bewegen uns ja nicht schneller von ihm fort. Aber das — verdammt“, unterbrach er sich. „Blacky hat es auch erwischt.“ Entsetzt und entnervt blickten sie Blacky an, der sich zusammenkrümmte. Carberry war mit einem Satz bei ihm, hielt ihn fest, winkte den Kutscher herbei, und der goß Blacky aus der Tonkruke wieder von dem Essigzeug in den Hals. Der Profos schleppte ihn im Sturmschritt zum Schanzkleid, wo Blacky sich erbrach. Danach sackte er endgültig zusammen. „Die Essigbrühe hilft nicht“, sagte Ben tonlos. „Hier scheint überhaupt nichts mehr zu helfen, wir stehen der Tatsache ohnmächtig gegenüber.“ Der Seewolf kniff wieder die Augen zusammen. Sein Blick fiel auf den jetzt auf den Planken liegenden Blacky, dann wanderte er weiter zu Pablo. Schien es nur so, oder hatte der Neue seine Stellung geändert? Hasard wollte das nicht beschwören, aber er glaubte, Pablo habe vorhin anders dagelegen. Quatsch, dachte er ärgerlich. Seine Nerven spielten ihm einen Streich, und das war verständlich nach all der Aufregung, die innerhalb kürzester Zeit entstanden war. Warum, zum Teufel, mißtraute er dem Neuen immer noch? Dem ging es doch auch nicht besser als all den anderen, und nur weil seine Symptome anders verliefen als bei den anderen, mußte er dem Mann doch nicht unbedingt mißtrauen. Er warf einen verstohlenen Blick auf den alten O’Flynn, der Pablo nicht ausstehen konnte, und überlegte, welche Gedanken wohl im Schädel des Alten kreisen mochten, denn Donegal warf ebenfalls immer wieder einen giftigen Blick zu dem reglosen Mann. Dann, wie aus heiterem Himmel, erwischte es nacheinander Stenmark, Bob Grey und Jeff Bowie. Während Jeff lautlos am Schanzkleid zusammenbrach, stieß der Schwede einen lauten Schrei aus, als hätte ihn die Klinge eines Messers getroffen. Bob Grey allerdings entdeckte etwas Erstaunliches als er zusammenbrach. Er konnte das aber leider nicht mehr
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weitergeben, denn die Stimme versagte ihm den Dienst. Aber er wußte, daß er sich nicht geirrt hatte. Dicht vor Pablo brach er zusammen und sah genau in dessen Gesicht. Dieses sonst ehrlich und offen wirkende Gesicht war jetzt zu einem hämischen Grinsen verzogen, zu einem schadenfrohen, teuflischen Feixen, und da wußte Bob schlagartig, daß sie allesamt einem satanischen Spiel zum Opfer gefallen waren. Zu spät, sein Körper wurde steif, und ein heißer Fieberschauer jagte durch sein Blut. „Hasard!“ schrie er, so laut er konnte, und er glaubte, diesen Ruf laut in seinen Ohren dröhnen zu hören. Doch niemand reagierte darauf, keiner schien dieses laute Schreien nach dem Seewolf zu hören. Danach fiel Bob Grey in einen bodenlosen Abgrund, aber er glaubte trotzdem, immer noch, viele Stimmen zu hören und Geräusche deutlich unterscheiden zu können. Er spürte auch noch, daß ihm etwas ekelhaft Saures in den Hals gegossen wurde, dann versank er in einer Art merkwürdiger Finsternis, die kein Ende hatte und auch keinen Anfang. Es war unausweichlich, daß immer mehr Leute umfielen, sogar die Stärksten und Härtesten erwischte es schnell und unvorbereitet wie Blitze aus heiterem Himmel. Als es den eisenharten Profos traf, zuckte der Seewolf zusammen. Eben noch sah er das narbige Gesicht vor sich, hörte die gemurmelten, hilflosen Flüche des riesigen Mannes und sah plötzlich, wie sich das Gesicht krampfartig verzerrte. Im selben Augenblick preßte der Profos die Hand auf den Magen, riß den Mund auf und ging in die Knie. Er versuchte, dagegen anzukämpfen, er unternahm alle Anstrengungen, schüttelte sogar noch die Hand des Kutschers ab, der ihm wieder auf die Beine helfen wollte, und versuchte es dann allein. Er schaffte es nicht. Das einzige, was er in seiner grenzenlosen Wut hervorbrachte, waren harte Flüche und Verwünschungen,
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die ihm immer schwerer von den Lippen kamen. Dann krümmte er sich zusammen, streckte sich auf den Planken aus und lag still. Hasard sah zu ihm hin und zitterte vor unterdrückter Wut. Die Angst um seine Leute fraß ihn bald auf, trieb ihn wütend, hilflos und ziellos von Backbord nach Steuerbord und zeigte ihm hart und deutlich die Grenzen seiner Macht. Erneut wollte er zur Kuhl hinunter, doch da hielt ihn Dan O’Flynn am Arm fest und zeigte zur Kimm. „Der Fühlungshalter, Sir“, sagte er nur. Der Seewolf fuhr herum, Erbitterung in den eisblauen Augen. Er zitterte vor unterdrückter Wut und fühlte sich so hilflos wie nur selten in seinem Leben. „Es hat keinen Zweck mehr“, sagte er, „wir werden uns stellen, denn wir können das Schiff ja kaum noch segeln. Aber diesen Halunken bescheren wir noch die Hölle auf Erden.“ Dan O’Flynn sah sich gehetzt um. „Weißt du, wie viele noch auf den Beinen stehen; Sir? Wir sind nur noch sieben Mann. Sieben Mann!“ wiederholte er. „Und die verdammten Kerle werden vor ein oder zwei Stunden nicht heran sein. Das bedeutet, daß wir dann nur noch ein oder zwei Leute sind, wenn überhaupt noch jemand auf den Beinen steht.“ „Ja, das ist unausbleiblich, Dan. Wir versuchen es trotzdem. Zunächst spannen wir ein Sonnensegel über die Kuhlgräting, damit die Männer wenigstens im Schatten liegen und nicht dieser verdammten Hitze ausgesetzt sind. Danach nehmen wir die Segel weg.“ „Aber dann können wir nicht mehr manövrieren“, wandte Dan ein. „Wir haben noch die Brandsätze. Selbst wenn wir vor dem Wind laufen, sind wir nicht so leicht anzugreifen, denn die überbrücken weitere Distanzen als die Culverinen. Los, beeilt euch!“ Batuti, Big Old Shane, Hasard selbst und der Kutscher brachten das Sonnensegel an und legten die bewußtlosen Kameraden in den kühlen Schatten.
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„Sollen wir sie nicht lieber nach unten bringen?“ fragte auch Dan O’Flynn. „Wenn es losgeht, können sie hier verwundet werden.“ „Unten wäre es noch schlimmer. Da könnten sie elend ersaufen, wenn sie uns das Schiff in Brand schießen.“ „Falls ihnen das gelingt“, setzte Dan grimmig hinzu. „Jetzt die Segel“, sagte Hasard. Dann fiel ihm etwas ein. Wer aufenterte und auf den Fußpferden der Rahen stand, konnte auch da oben plötzlich zusammenbrechen, und dann gab es für ihn kein Halten mehr. Er würde aufs Deck stürzen. „Daran dachte ich auch gerade, Sir“, sagte Dan O’Flynn, als hätte er Hasards Gedanken erraten. „Wir nehmen Taue mit und seilen uns an.“ „Du hast es erraten.“ Etwas später wurde das große Focksegel ins Gei gehängt, und alle langten kräftig zu, bis es aufgetucht und verpackt war. Dann war der Großmast an der Reihe. Sie sicherten sich mit langen Leinen, tuchten auch dieses Segel auf und sahen sich erleichtert an, als die Arbeit getan und keinem etwas passiert war. „Der Besan ist nicht mehr so schlimm“, sagte Hasard. „Die Hauptarbeit ist geschafft.“ Er sah sich nach dem Fühlungshalter um, dessen Segel jetzt etwas größer geworden waren, aber dort hatte man gesehen, daß die „Isabella“ keinen großen Vortrieb mehr hatte. Kurz darauf wurden bei dem Fühlungshalter ebenfalls zwei Segel weggenommen. „Saubande, verdammte“, schimpfte Dan laut. „Fast habe ich das Gefühl, die Halunken wüßten ganz genau, daß wir nur noch eine Handvoll Männer sind.“ Batuti ging wortlos zum Wasserfaß. Auf seiner Stirn standen feine Schweißperlen, und als er getrunken hatte, kam Big Old Shane an die Reihe. Die Arbeit und die Hitze sorgten für den nötigen Durst, und das vergiftete Wasser war Labsal für die Männer. Der Geschmack hatte sich nicht geändert, und
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so schöpfte immer noch niemand Verdacht. Nur Dan O’Flynn und Hasard verspürten keinen Durst. Dan nahm aber für den Rudergänger Pete Ballie eine Muck voll Wasser mit. Als Ballie die Muck geleert hatte, gab er sie dankend zurück. „Mir hing die Zunge schon zum Hals raus“, sagte er. „Ich wollte gerade nach vorn gehen.“ Der nächste, der zusammenbrach, war. Ben Brighton. Der untersetzte Mann stöhnte einmal, wand sich dann in Krämpfen und blieb verkrümmt auf dem Achterdeck liegen. Etwas später ging es Schlag auf Schlag. Batuti brach zusammen, ihm folgten Big Old Shane und der Waffenmeister Al Conroy. Der letzte, der zusammenbrach, war Pete Ballie, nachdem er mit einem lauten Fluch auf den Lippen das Ruder losgelassen hatte. Die „Isabella“ ähnelte jetzt einem Geisterschiff. Es gab nur noch den Seewolf, den Kutscher und die beiden O’Flynns. Alle anderen hatte diese unheimliche Seuche von den Beinen geworfen. „Jetzt sind wir dran“, sagte Hasard leise. „Es ist nur noch eine Frage der Zeit.“ Die anderen entgegneten nichts. Sie hatten Angst. In jedem Gesicht stand nackte Angst, und feine Schweißperlen standen schon jetzt allen auf den Gesichtern. 3. Auch die zuletzt zusammengebrochenen Männer waren unter das Sonnensegel gelegt worden. An ihrem Zustand hatte sich nichts geändert, aber der Kutscher hegte die leise Hoffnung, daß sie früher oder später doch wieder erwachten, denn die meisten atmeten jetzt fast regelmäßig. Gebeugt schöpfte er aus dem Faß Wasser und trug es nach achtern. Er sah aus wie ein alter verbrauchter Mann, und der
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Kummer, hier überhaupt nicht helfen zu können, fraß ihn fast auf. Er reichte Hasard die Muck Wasser, und als der getrunken hatte, füllte der Kutscher nach und wollte sie dem alten O’Flynn geben. Aber der verwitterte alte Bursche schüttelte nur wortlos den Kopf. „Danke, nein“, sagte sein Sohn. „Je mehr man bei dieser Hitze säuft, desto größer wird der Durst.“ Hasard griff plötzlich nach dem Kutscher, dem die Muck aus der Hand glitt und der die Augen verdrehte. „Kutscher!“ schrie er. Der Kutscher brach in seinen Armen zusammen, aber er bemühte sich krampfhaft, noch etwas zu sagen. Seine Lippen formten Worte, doch er brachte ebenfalls keinen Ton heraus. „Das Wasser!“ schrie er. „Es ist das Wasser, hört ihr nicht? Das Wasser ist vergiftet!“ Niemand hörte ihn, und niemand verstand von seinen Lippen zu lesen, denn sein Gesicht begann zu zucken und sich gleich darauf bläulich zu verfärben. „Er will etwas sagen“, meinte Dan erregt, „er will uns noch etwas mitteilen. Aber was nur?“ Hasard bemühte sich verzweifelt, zu verstehen, was der Kutscher zum Ausdruck bringen wollte. Aber ebenso verzweifelt bemühte sich auch der Kutscher, laut zu schreien. Teufel! Warum verstanden sie ihn denn nicht? Die Erkenntnis von dem vergifteten Wasser war ihm wie ein Blitz durch das Gehirn gefahren, und er sah endlich klar, welche Teufelei die Piraten vorhatten. Er glaubte auch überdeutlich zu wissen, daß sich der Verräter hier an Bord befand, und daß es Pablo war, der das alles eingefädelt hatte. Immer noch glaubte er laut zu schreien, aber er sah nur in verständnislos blickende Augen. „Das Wasser!“ sagte er wieder. ..Gift, Wasser, Pablo hat es getan. Seht euch vor.“ „Das sind Krämpfe“, sagte der alte O’Flynn, „ich glaube nicht, daß er etwas sagen will. Er schnappt nach Luft.“
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„Ja, das glaube ich auch“, sagte der Seewolf. „Was sollte er uns auch ausgerechnet jetzt noch mitteilen?“ Als dem Kutscher Schweiß in Bächen über das Gesicht lief, trug Hasard ihn zu den anderen. Diesmal bekreuzigte sich sogar der Seewolf, denn die Kuhl glich einem Friedhof, und dieser Anblick jagte Hasard einen kalten Schauer nach dem anderen über das Kreuz. Er schluckte hart, als er in die Gesichter sah. Die meisten sahen aus; als schliefen sie friedlich, auch Pablo erweckte diesen Eindruck, denn er lag genauso da wie die meisten anderen. Die Zwillinge rührten sich nicht, und von Entsetzen gepackt, legte Hasard sein Ohr an ihre Oberkörper. Gott sei Dank, sie atmeten fast regelmäßig, und er kontrollierte einen nach dem anderen. Vielleicht bestand doch noch Hoffnung, und alles würde sich nach einiger Zeit bessern. Als er zurückging, sah er, daß der Fühlungshalter inzwischen wieder aufgeholt hatte. Aber er befand sich noch so weit weg, daß er immerhin noch eine gute Stunde brauchen würde, um aufzusegeln. Zehn Minuten später brach der Seewolf auf dem Achterdeck zusammen. Der alte O’Flynn zitterte an allen Gliedern, bekreuzigte sich und sah flehentlich auf seinen Sohn, der bleich und entsetzt die „Isabella“ steuerte. Er ließ das Ruder los, und war mit einem Satz bei dem Seewolf. Verzweifelt schüttelte er ihn an den Schultern. „Hasard“ schrie er, „Hasard! Verdammt!“ Er heulte fast vor hilfloser Wut, doch dann sah er, daß auch der Seewolf etwas sagen wollte, es ihm aber unsägliche Mühe bereitete, einen Ton hervorzubringen. Mit brennenden Augen starrte er in das vertraute Gesicht. „Wässer!“ hörte er staunend und ungläubig. „Was ...“ Mehr brachte der Seewolf nicht heraus. Dans Vater laschte das Ruder fest und näherte sich humpelnd den beiden Männern.
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„Wasser hat er verlangt“, sagte Dan. „Ich habe es ganz deutlich gehört, Dad.“ „Wasser?“ Im Gesicht des Alten stand nacktes Grauen, und seine pergamentartige Lederhaut wirkte noch zerknitterter. „Aber er hat doch gerade getrunken, er ...“ Old O’Flynn starrte seinen Sohn an und wußte nicht mehr, was er sagen sollte. Aber Dan O’Flynn. hatte begriffen und glaubte, in seinem Schädel würde schlagartig eine Sonne explodieren. Vorsichtig ließ er den Seewolf auf die Planken gleiten. „Das Wasser ist vergiftet, Dad“, sagte er ruhig. „Das wollte Hasard damit sagen, nicht, daß er Wasser will. Hast du etwas davon getrunken?“ Der Alte öffnete den Mund, starrte entgeistert auf seinen Sohn und dann wieder auf den zusammengesunkenen Seewolf. „Nein“, sagte er dann, „ich habe heute noch keinen Schluck getrunken. Du übrigens auch nicht.“ Dan blieb jetzt eiskalt. Vater und Sohn gerieten oft aneinander, mitunter auch sehr hart, aber jetzt waren sie ein Herz und eine Seele, und sie hielten eisern zusammen. „Jetzt mal keine Aufregung, Dad“, sagte Dan. „Wir können nichts mehr daran ändern, und gebe Gott, daß die anderen nicht sterben. Aber uns beiden passiert nichts, solange wir kein Wasser trinken, und bevor ich auch nur meine Lippen anfeuchte, soll mich der Teufel holen. Haben wir in Tortuga Wasser an Bord genommen?“ „Zwei Fässer, glaube ich, mein Sohn.“ „Dann hat man uns das Gift dort schon hineingetan“, stellte Dan ruhig fest. Jetzt, da er glaubte, alles zu durchschauen, blieb er eiskalt und überlegend. Seine gelassen dahingesprochenen Worte beruhigten auch den alten O’Flynn. „Wir müssen das Schiff retten“, sagte Dan. „Und wir werden es diesen verlausten Bastarden schon zeigen. Darauf kannst du dich verlassen. Traust du es dir zu, mir beim Segelbergen zu helfen?“
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„Zu helfen?“ schrie der Alte. „Die mistigen Tücher packe ich noch ganz allein auf. Was hast du vor?“ „Zunächst mal die restlichen Segel bergen. Dann treiben wir und erwarten die Himmelhunde. Sobald sie auf Schußweite heran sind, jagen wir alles an Brandsätzen los, was wir haben. Scheißegal, aus welcher Richtung sie angreifen. Was sagst du dazu, Dad?“ „Jawohl, du hast recht. Wir werden unser Leben so teuer wie nur möglich verkaufen, und der Teufel soll mich holen, wenn wir es diesen karibischen Ratten nicht besorgen. Fangen wir gleich an, Sohn.“ Hin und wieder ging der alte O’Flynn an Krücken, aber das geschah nur noch sehr selten, und auch heute hatte er sie abgelegt und verließ sich auf sein Holzbein, denn die See war verhältnismäßig ruhig, und die „Isabella“ bewegte sich nur träge auf dem Wasser. Die beiden Männer waren jetzt allein, umgeben von still daliegenden Gestalten, die aus der Ferne so aussahen, als seien sie tot. Dann gingen sie daran, das Segel aufzutuchen, für zwei Männer eine fast unmögliche Knochenarbeit und Schinderei. Aber der Zorn trieb sie an, und der alte O’Flynn stand wie ein Donnergott auf dem Fußpferd, scherte sich den Teufel um sein Holzbein und packte mit an wie seinerzeit auf der „Empreß of Sea“. Er hing über der Rah, sein Holzbein war abgewinkelt, mit dem gesunden Bein stand er auf dem Fußpferd und riß und zerrte an dem Tuch, daß sein Sohn verwundert den Kopf schüttelte. Das Auftuchen gelang nicht so vorzüglich, als wenn mehrere mitgeholfen hätten, aber der Zweck war erfüllt. Die „Isabella“ brauchte nicht mehr gesteuert zu werden und konnte treiben. Dan zeigte mit der Hand auf das gereffte Segel, das sich an einer Stelle ein wenig blähte, aber der Alte winkte herrisch ab. „Scheiß auf die Windbeule“, sagte er, „an solchen Kleinigkeiten halte ich mich nicht mehr auf.“ Das zweite Segel kam an die Reihe.
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Inzwischen hatte der Fühlungshalter weiter aufgeholt. * Pablo hatte seine Stellung auf den Planken neben der Kuhlgräting kaum merklich verändert. Er sah, wie einer nach dem anderen dem Gift zum Opfer fiel, und als schließlich auch der Seewolf zusammenbrach, stahl sich ein Grinsen auf seine Lippen. Den Wortfetzen, die an Deck hin und her flogen, hatte er einiges entnommen, und jetzt wurmte es ihn, daß zwei der Kerle gar nicht daran dachten, ebenfalls umzufallen. Aber die Zeit drängte, und er mußte etwas unternehmen, denn sicher war Don Bosco schon ungeduldig. Wie aber sollte er das verabredete Zeichen geben, wenn die beiden Kerle noch putzmunter auf den Beinen waren? Er befand sich im Zugzwang, denn nach allem, was er gehört hatte, wußten die .beiden jetzt, daß das Wässer vergiftet war, aber sie ahnten nicht, wer es vergiftet hatte. Sie nahmen an, es wäre in Tortuga geschehen. Diese beiden Kerle, Vater und Sohn, bereiteten ihm Kopfschmerzen. Mit dem Alten wäre er ja noch fertig geworden, aber der andere war ein Kerl von der ganz harten Sorte. Der schlug sofort hart und kompromißlos zu, das sah man ihm an. Sich mit solchen Kerlen anlegen, das brachte selbst Pablo nicht viel ein, der ganz sicher kein Schwächling war. Dann sah er, daß die beiden auch die restlichen Segel auftuchten, damit sie lenzen konnten. Sie befanden sch beide auf der Rah und konzentrierten sich auf das schwere Tuch. Keiner warf einen Blick an Deck, denn sie hatten wirklich alle Hände voll zu tun. Pablo mußte es jetzt riskieren, denn im Augenblick war die Gelegenheit günstig. Vorsichtig erhob er sich, dann spielte er mit dem Gedanken, sich wieder zu melden, zu sagen, daß ihm noch .schlecht sei, er aber beim Aufgeien gern mithelfen möchte. Vielleicht gelang es ihm dann, den
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jüngeren O’Flynn von der Rah zu stoßen. Damit konnte die Festung dann gestürmt werden. Aber der Alte konnte ihn nicht ausstehen, dieser sonderbare Mann mit dem harten, verwitterten Gesicht. Der hatte etwas gegen ihn und troff nur so vor Mißtrauen. Pablo verwarf diesen Gedanken wieder, er brachte ihm nichts ein, außer Mißtrauen und Ärger. Er wartete, bis die beiden ihm den Rücken zudrehten, dann warf er einen schnellen Blick auf die Seewölfe, ob vielleicht einer von ihnen wieder das Bewußtsein erlangt hatte. Doch das war nicht der Fall. Das Lähmungsgift wirkte absolut zuverlässig. Sie alle lagen da wie große Puppen und rührten sich nicht. Auf dem Bauch liegend robbte er vorsichtig über die Kuhl, blieb so lange wie nur möglich im Schatten des Sonnensegels, schlich sich dann über das Quarterdeck und erreichte das Achterkastell des Schiffes. Aus seiner Hosentasche holte er ein dünnes langes Tuch von weißer Farbe, daß er unten am Flaggenstock bei der Laterne befestigte. Don Bosco würde den Fetzen sehen, die anderen konnten ihn kaum sehen, denn sie würden ganz sicher nicht mehr auf das Achterdeck gehen. Was sollten sie dort auch? Immer wieder warf er einen angstvollen Blick in die luftige Höhe, aber die beiden Männer waren so beschäftigt, daß sie nicht nach unten blickten. Außerdem sah er nur ihre Rücken, und er glaubte nicht, daß sie sich umdrehten. Gut, mochten diese beiden Kerle übrigbleiben, überlegte er. Don Bosco würde das Schiff entern lassen, Lind vielleicht ergab sich für ihn selbst noch eine Gelegenheit zum Eingreifen, denn es sah ganz so aus, als würden die beiden Burschen das Schiff so lange verteidigen, wie noch ein Funken Leben in ihnen steckte. Die Hauptarbeit war getan, das Schiff konnte übernommen werden, daran hegte Pablo nicht den geringsten Zweifel.
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Vorsichtig robbte er wieder zurück, bis er ungesehen die Kuhl erreichte. Dort legte er sich wieder in die alte Position und überlegte weiter. Angenommen, sie entdeckten den Fetzen, was würden sie wohl tun? Er wußte es nicht, dafür kannte er diese Leute noch zu wenig, aber sicher würden sie mißtrauisch werden. Vielleicht nahmen sie aber auch an, irgendjemand von der Besatzung hätte diesen Fetzen sausen lassen, und der hätte sich dann um den Flaggenstock gewickelt. Diese Annahme war reichlich dürftig, das wußte Pablo, aber es würde nicht mehr lange dauern, dann waren alle Probleme gelöst, wenn Don Bosco erst aufsegelte. Er blickte auf den Seewolf, den man ebenfalls unter das Sonnensegel gelegt hatte, und der steif und reglos auf den Planken lag. Ein Gefühl der Eitelkeit und des Stolzes überfiel Pablo, wenn er diesen schwarzhaarigen Riesen ansah. Er hatte ihn geschafft, er ganz allein hatte den Mann flachgelegt, dessen Namen man nur mit großem Respekt oder mit Angst aussprach. Jetzt war dieser Mann absolut hilflos, er konnte sich nicht mehr bewegen und war ihm und den anderen Piraten ausgeliefert. Nicht lange, und er hörte, wie die beiden Männern abenterten. Das Holzbein des Alten klackte bei jedem Schritt auf den Planken, aber trotz seines Alters bewegte sich dieser O’Flynn schnell und geschmeidig. Und das Holzbein schien ihn nicht zu behindern. Was mußten das nur für Teufelskerle sein, dachte Pablo. Zwei Mann allein auf diesem großen Schiff schickten sich an, es mit einer ganzen Horde Piraten aufzunehmen. Sie würden nicht im Traum daran denken, sich zu ergeben. Lieber gingen sie unter und schlugen vorher noch alles in Fetzen, was sich kaputt schlagen ließ. Er bedauerte, daß er nicht hören konnte, was sie sprachen, denn jetzt gingen sie über die Kuhl wieder nach achtern. Was, zum Teufel, wollten sie nur auf dem Achterschiff? Sie brauchten das Schiff doch nicht mehr zu steuern.
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Tief beunruhigt legte sich Pablo auf die Seite und wartete. 4. „Bald wird es um uns geschehen sein, Sohn“, sagte O’Flynn. „Die Halunken segeln auf, und das verdammt schnell.“ „Noch ist gar nichts geschehen, Dad“, sagte Dan kalt, legte die chinesischen Brandsätze in die bronzenen Abschußgestelle und stellte die Messingbecken mit der glühenden Holzkohle daneben. Die Lunten trug er in der Hosentasche. „Wenn es losgeht, Dad“, sagte er, „dann jagen wir die Dinger aus den Rohren. Wir können auch noch, falls wir nicht treffen, die Drehbassen abfeuern, aber mehr Zeit wird uns nicht bleiben, denn die Culverinen können wir kaum bedienen.“ „Abwarten“, sagte der Alte gelassen. Merkwürdig, jetzt, so kurz vor dem unausweichlich scheinenden Ende, überkam ihn eine tiefe Ruhe. Da brach die alte Art der O’Flynns wieder durch, da wurden sie zu Kämpfern, die sich behaupten mußten, und zeigten die Zähne mit einer Gelassenheit, die an Tollkühnheit grenzte. Dan ging noch ein paar Yards weiter, um die Drehbassen zu kontrollieren. Al Conroy hatte sie schon lange vorher laden lassen, und Dan fand alles in bester Ordnung. Dann aber stutzte er und beugte sich verwundert nach achtern. Er sah den Tuchfetzen, und sein Blick war es, der den alten O’Flynn herbeilockte und ebenfalls verdutzt auf den. langen Lappen starren ließ. „War der vorhin schon da, Dad?“ fragte er leise: „Nein“, sagte der Alte mit Bestimmtheit, „der hat sich um den Flaggenstock gewickelt.“ „Er ist verknotet“, stellte Dan fest. „Er hat sich also nicht von allein darum gewickelt.“ „Aber dann ...“
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„Glaubst du an Geister, Dad?“ fragte Dan sanft. „Ich - klar glaube ich daran.“ „Auch hier auf der ‚Isabella’? Gibt’s hier vielleicht welche?“ „Ich hab noch keine gesehen“, gab Alte schluckend zu. Er sah seinen Sohn an, der wie der Satan persönlich grinste, und dieses harte Grinsen ging selbst dem Alten durch und durch. Er glaubte, eine Gänsehaut auf seinem Körper zu spüren. O Lord, dachte er, dieses ehemalige Bürschchen hatte sich ja prächtig entwickelt! Mit dem wurde es immer schlimmer. Der sah so aus; als würde er es mit einer ganzen Armee aufnehmen. „Sehen wir mal nach unseren Kameraden“, sagte Dan. „Vielleicht können wir doch noch helfen.“ „Wir haben alles versucht“, wandte der Alte ein, aber sein Sohn ließ ihn gar nicht erst weiterreden. „Sehen wir trotzdem mal nach“, befahl er herrisch, denn inzwischen war Dan das Licht der Erkenntnis aufgegangen, und er hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. So einfach ist das alles, dachte er, und doch so kompliziert. Aber jetzt hatte er ein ganz klares Bild vor Augen, und seine Lippen verzogen sich zu einem grimmigen Lachen. „Vor dir kann man Angst kriegen, mein Sohn“, sagte Donegal und schlug wieder drei Kreuze. „Du siehst auch nicht gerade freundlich aus.“ Einträchtig gingen sie zur Kuhl, und dabei umspielte immer noch dieses eigentümliche Lächeln Dans Lippen, auf das sich der Alte keinen rechten Reim bilden konnte. „Rede möglichst gar nicht“, sagte Dan noch, als sie den Niedergang hinunterstiegen. „Wie du meinst, Junge“, sagte Donegal. „Was hast du vor?“ „Halbtote aufwecken“, knurrte Dan. In der Kuhl war die Atmosphäre unheimlich. Als wären alle in einen hundertjährigen Schlaf gesunken, so lagen
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sie da, und wieder überfiel den Alten der Gedanke an ein Totenschiff, das ruhe- und rastlos über die Meere segelt und das der Teufel mit harter Hand durch die See schiebt. Die Ruhe, die jetzt auf der „Isabella“ herrschte, war unnatürlich und befremdend. Nur ein paar Blöcke knarrten, und an den Nagelbänken bewegten sich lautlos die Taue, als rühre jemand daran. Auch ließ sich das Schiff von vorn nach achtern in seiner vollen Länge überblicken, seit es keine Segel mehr trug, die die Sicht behinderten. Dan beugte sich über Hasard und rüttelte ihn an der Schulter. „Hasard“, sagte er flehentlich, „wir sind verloren. Ohne dich sind wir verloren.“ Den Alten grauste es bei diesen Worten, und er fragte sich, ob sein Sohn vielleicht übergeschnappt sei, denn er wußte doch nur allzu gut, was hier passiert war, und daß keiner mehr aufstand. Dazu gesellte sich dieses verdammte harte Grinsen, das nicht aus Dans Gesicht verschwand. „Selbst unseren armen Pablo hat es erwischt“, klagte Dan. „Was muß der Mann nur für einen Eindruck von seiner ersten Reise von uns haben. Geht an Bord und fällt gleich um. Und dabei paßt er so gut in unsere Crew. Ihn hat es ja nicht so stark erwischt wie die anderen. Meinst du, wir kriegen ihn wach, Dad?“ „Bestimmt nicht“, versicherte der Alte unfreundlich und sah grimmig auf den scheinbaren Schläfer. „Ich versuch’s aber mal“, sagte Dan. „Hörst du mich, Pablo?“ fragte er, „Pablo, steh doch auf!“ Pablo rührte sich nicht. Wie festgewachsen klebte er an den Planken, scheinbar stocksteif. Dann geschah etwas, was Old O’Flynn nun doch hart aus der Fassung brachte. Dan holte mit dem rechten Fuß aus, als wolle er die ganze Kuhlgräting zertrümmern, aber weil die ihm zu schade war, trat er Pablo mit aller Kraft in den Achtersteven. Auf der „Isabella“ geschah ein Wunder. Old O’Flynn taumelte zurück, als Pablo
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einen irren Schrei ausstieß und auf die Beine sprang. „So weckt man Halbtote“, sagte Dan noch, dann ging es knallhart zur Sache, und der aufgescheuchte Pablo lernte einen O’Flynn kennen, den er sein Leben lang nicht mehr vergaß. Er war noch nicht richtig auf den Beinen, als Dan loslegte. Und er klopfte sich die ganze Wut, allen Haß und allen Ärger aus dem Körper. Zwei brettharte Schläge fegten Pablo quer durch die Kuhl. Noch im Fallen war Dan wie der Blitz über ihm, riß ihn wieder hoch, verpaßte ihm zwei Ohrfeigen, die Pablo fast den Kopf von den Schultern rissen, und trieb ihn mit weiteren harten Schlägen vor sich her, bis der Neue schreiend zusammenbrach. Aber das genügte Dan noch nicht, er mußte Luft ablassen. Er stauchte Pablo auf die Planken, wirbelte ihn herum und trieb ihn mit weiteren harten Schlägen bis an den Großmast. Pablo war so benommen, daß er kaum noch merkte, was um ihn herum vorging. „Du dreckiger Bastard!“ schrie Dan zornig. „Du hast uns das alles eingebrockt, aber du wirst den Tag nicht überleben, das verspreche ich dir, wenn ich nicht alles erfahre.“ Blitzschnell riß er sein Entermesser heraus, hielt Pablo mit ausgestreckter Hand am Mast fest und setzte ihm die Spitze auf den Magen. „Rede!“ brüllte er. „Rede, oder bei Gott, ich prügele dir deine Seele aus den Knochen!“ Diese kurze Zeitspanne hatte ausgereicht, um Pablo zu zermürben. Er entsann sich nicht, in seinem Leben jemals derart schnelle und harte Schläge eingesteckt zu haben, und dieser Kerl hielt ihn wie mit einer eisernen Hand fest. Er konnte sich nicht wehren, schnappte nach Luft und starrte O’Flynn aus gläsern wirkenden Augen an. Aber in dem Gesicht las er eiskalte Entschlossenheit, und zu seinem großen Entsetzen las er darin auch die Entschlossenheit zum Töten, wenn er nicht
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sofort auspackte. So konnte nur ein Mann blicken, der wirklich zum Äußersten entschlossen war. Pablo spürte die. Schmerzen wie Feuer durch seinen Körper rasen. Sein Schädel war taub, seine Rippen stachen wie Feuerlanzen in der Brust, sein Hals brannte, als hätte er glühende Holzkohle verschluckt, und sein übriger Körper schien unter einen ausgewachsenen Elefanten geraten zu sein. Nicht einmal die Arme brachte er hoch und an Gegenwehr war nicht zu denken. Jetzt brauchte er den Kranken und Hilflosen nicht mehr zu spielen, er war wirklich an Leib und Seele gebrochen, und er hatte eine hündische Angst vor dem Mann, der ihn erbarmungslos ansah. Nein, mit einem Messer im Leib oder von den harten Fäusten tödlich zerdroschen zu werden, so wollte sich Pablo von dieser Welt nicht verabschieden. Er war jetzt schon mehr als halbtot. So hart und schnell schlug nicht einmal Nuno zu. Jetzt erst kriegte er den richtigen Durchblick über die Seewölfe. Das waren Höllenfürsten, gegen die man gar nicht erst antrat. Da war einer immer härter als der „Wer hat. das Wasser vergiftet?“ tagte Dan. „Ich war es, Sir. Ich mußte es tun, Don Bosco zwang mich dazu.“ „Bring ein Tau, Dad“, sagte Dan über die Schulter, „damit wir diesen Bastard hängen können, wenn die Karavelle aufsegelt. Sie sollen es alle deutlich sehen, wenn ihr Kumpan am Mast hängt.“ „Nicht hängen, Sir!“ schrie Pablo. „Weiter, ich will alles wissen“, sagte Dan eisig. „Du wirst für deinen Verrat bezahlen, du Lump. Wie geht es weiter?“ Pablo sah sich immer noch im eisenharten Würgegriff des Mannes, der ihn noch fester an den Mast drückte, und dem immer noch Mordlust aus den Augen funkelte. „Don Bosco will das Schiff unversehrt übernehmen“, sagte er und packte rigoros aus. „Ist das Gift tödlich?“ brüllte Dan.
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„Nein, Sir, es wirkt nur ein paar Stunden, ich gebe mein Wort darauf.“ „Ich scheiß auf das Wort einer Ratte. Du Halunke hast den Tuchfetzen rausgehängt, zum Zeichen, daß die ‚Isabella’ sturmreif ist. Pack aus, aber schnell, sonst stoße ich zu!“ Da erzählte Pablo alles, was er wußte. Er haute Don Bosco bedenkenlos in die Pfanne und berichtete haarklein, was sie vorhatten. Er erzählte auch, daß sie ihn eingeschmuggelt hätten und er das Vertrauen der Seewölfe erringen sollte. Zum Schluß schrie er mit heiserer Stimme: „Sir, glaubt mir, das Gift ist nicht schlimm, es tötet niemanden, mein Wort darauf!“ „Wirklich nicht?“ fragte Dan hinterhältig. „Wirklich nicht, Sir!“ Dan ließ seinen Gegner los, drehte ihn um, packte sein Hemd im Genick und drückte es zusammen. Dann stieß er Pablo vorwärts, bis sie vor dem Wasserfaß standen. „Sauf, mein Freundchen“, befahl er. „Sauf, soviel du kannst, und tu es schnell!“ Er reichte ihm die Muck aus Kupferblech, tauchte sie in das Faß und gab Pablo den Wasserbecher. Der Mann zitterte am ganzen Körper. Unsicher hielt er die Muck in der Hand und sah sich nach allen Seiten um. „Du kannst hier nicht weg“, erklärte Dan. „Es gibt weit und breit keinen, der für dich einen Finger rührt. Runter mit dem. Zeug, oder soll ich dich in dem Faß ersäufen?“ „Ich werde auch umfallen“, sagte Pablo. „Das will ich hoffen — für dich. Denn wenn du gelogen hast, wirst du nie mehr aufstehen, du lausiger Bastard!“ Pablo trank die Muck leer, grinste verzerrt und aus blutigem Gesicht Und griff gehorsam nach der zweiten, die O’Flynn ihm reichte. Nach der fünften Muck, als ihm das Wasser schon fast aus den Ohren lief, gab Dan ihm eine Ohrfeige, die Pablos Gesicht schlagartig anschwellen ließ. Dann band er ihn am Fockmast fest. „Wenn du die Brühe auskotzt“, drohte er, „dann binde ich dich vor die Drehbasse und feuere sie ab, bis du in tausend Fetzen
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zu deinen Kumpanen rüberfliegst. Ist noch etwas vergiftet? Lebensmittel oder die anderen Wasserfässer?“ „Nein, Sir, nur das Wasser an Deck.“ Dan O’Flynn warf dem Kerl einen verächtlichen Blick zu, dann ging er zu dem Wasserfaß, drehte es um und ließ die vergiftete Brühe über die Planken laufen. Den Schimpansen, der sich der Wasserlache näherte, scheuchte er wieder in den Großmast, damit ihm nichts passierte. Dans Vater stand erschüttert in der Kuhl und versuchte krampfhaft, diese ganze Niedertracht zu begreifen. Er kaute lange daran herum, „Zu meiner Zeit hätte man solche Galgenvögel aufgehängt“, sagte er, „schon aus dem Grund, damit sie keinen weiteren Schaden mehr anrichten. Ich hätte nicht übel Lust, diese Ratte selbst hochzuziehen, mein Junge.“ „Ich würde es auch am liebsten tun, Dad, glaub mir, und vielleicht ist es falsch, daß wir es nicht tun. Aber ich bringe es nicht fertig, ich habe ihn schon halbtot geschlagen.“ „Ich verstehe. Es wäre nicht im Sinne unseres Kapitäns, obwohl der in solchen Fällen viel zu großzügig ist. Das ist Hasards verdammte Schwäche“, wetterte der Alte. „Sag’s ihm später selbst, Dad!“ „Ich werde mich daran erinnern, Sohn, aber mir fällt schon ein Stein vom Herzen, daß die Kerle alle weiterleben werden.“ „Ja“, sagte Dan erleichtert. „Was sind schon diese Piratenbastarde gegen das Leben unserer Leute. Wir werden denen jetzt gleich ein Feuerchen unter den Achtersteven legen. Ich warte nur noch, bis sie weiter aufsegeln. Dann geht’s los, ohne Vorwarnung.“ Die beiden O’Flynns waren in ihrem Element, der alte und der junge, und es war nicht gut, sie zum Gegner zu haben. An den beiden biß sich sogar der Teufel seine Weisheitszähne aus. „Wir sollten jetzt so tun, als wären wir alle erledigt“, schlug Dan vor. „Dann glaubt dieses Rübenschwein, er könne uns im
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Schlaf übernehmen. Daher würde ich den Saukerl wieder losbinden.“ „Und wenn er über Bord springt?“ „Dann verlieren wir doch nichts, oder?“ „Nein, ganz sicher nicht, mein Junge.“ Dieses „mein Junge“ hatte Dan schon lange nicht mehr von seinem brummigen Alten gehört, und jetzt grinste er wieder, als er seinen Alten ansah. „Weißt du, Dad, was mir bei den O’Flynns so gut gefällt?“ „Was denn, Söhnchen?“ „Der Familiensinn. Die halten alle zusammen wie Pech und Schwefel. Ich verspreche dir, daß ich mir künftig auch alle Schauergeschichten über die ,Empreß of See’ in aller Ruhe anhören werde.“ „Ich werde dich Rübenlümmel daran erinnern“, versprach der Alte. Dan drehte sich um und band Pablo vom Mast los. „Du gehst jetzt nach achtern und winkst!“ befahl er, „damit deine verlausten Seewanzen glauben, hier wäre alles in Ordnung. Solltest du über Bord springen oder deine Galgenvögel warnen, dann gibt’s eins mit der Drehbasse ins Kreuz, und du schwimmst als kotzbrockengroßes Fischfutter im Wasser. Verstanden?“ „Ja, Sir.“ Pablo griff vorsichtig hinter seine Lippen, wo alles bis zur Unkenntlichkeit anschwoll. Als er die Hand wieder zum Vorschein brachte, hatte er einen Zahn zwischen den Fingern. „Keine Dummheiten!“ warnte Dan noch einmal. „Mein Messer trifft dich selbst dann, wenn ich auf der Back b und du achtern stehst.“ Pablo wankte gebrochen nach achtern. Er ging wie ein geprügelter Hund, hinkend und mit durchgebogenem Kreuz. Dort, wo die harten Fäuste ihn erwischt hatten, war alles taub, oder es schmerzte so stark, dass es sich kaum aushalten ließ. Pablo fühlte sich, als hätten ihn mehrere Männer stundenlang mit Handspaken verprügelt. Aber er nahm gehorsam Aufstellung und winkte. Die beiden O’Flynns ließen sich nicht mehr blicken. Pablo konnte nicht sehen,
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was sie im Augenblick taten, aber sie drehten ganz sicher keine Däumchen. Unterdessen rauschte die Karavelle heran, und weit hinter ihr folgte eine Galeere. 5. Auf der Karavelle herrschte jetzt eitel Freude und Sonnenschein. Kaum flatterte der weiße Fetzen am Flaggenstock der „Isabella“, da riß Don Bosco die Arme hoch und brüllte vor Freude. „Wir haben sie, wir haben sie, Männer! Seht euch das an! Das war ja fast ein Kinderspiel.“ Was auf der Kuhl der „Isabella“ geschah, konnte er nicht sehen, aber das Signal am Flaggenstock bewies ihm eindeutig, daß sie auf keine Schwierigkeiten mehr stoßen würden. „Die liegen alle bewußtlos an Deck“, verkündete er den grinsenden Halunken. „Und ich wette, Pablo hat sie extra noch aufgeschichtet, weil er immer so gründlich ist.“ Die Freude war unbeschreiblich, und die Kerle griffen wieder zu den Flaschen, um den leichten Sieg zu feiern. Don Bosco ließ es zu, er, den sie heimlich den Wilden Saufbold nannten, griff jetzt ebenfalls zur Flasche, denn niemand brauchte zu kämpfen. Die Sache hatte sich von selbst erledigt. Etwas später glaubte er einmal, zwei Gestalten gesehen zu haben, doch er hatte sich wohl getäuscht, denn jetzt erschien Pablo auf dem Achterkastell der „Isabella“ und winkte mit beiden Händen. Don Bosco beobachtete ihn noch einmal durch das Spektiv und gelangte zu dem Schluß, daß es keine Komplikationen gab. Waffen brauchten sie nicht, nur ein paar Enterhaken, um das Schiff festzuhalten, sobald sie längsseits gingen, und die lagen schon bereit. Don Bosco beging allerdings einen Fehler, aber der lag wohl in der Natur der Sache. Er ließ keine einzige Kanone laden, denn er nahm nicht an, daß, auch nur ein Schuß fallen würde.
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Jeder Fetzen Tuch, den die Karavelle tragen konnte, wurde gesetzt. Da die „Isabella“ ohne Segel in der leichten Dünung trieb, war das Schiff schon bald auf normale Schußweite heran. „Wie steht es mit der Verteilung der Beute?“ fragte Nuno lauernd, als Don Bosco nach achtern ging. „Ich habe gehört, da gibt es sagenhafte Schätze. Gold, Silber, Edelsteine, Perlen.“ „Das werden wir gleich sehen. Natürlich haben sie Schätze an Bord, und auch du wirst deinen Anteil kriegen. Aber zuerst müssen wir sie einmal haben.“ „Mir würde eine Kette aus Gold oder Perlen gut stehen“, flüsterte Conchita. „Nur mit einer Perlenkette und ein paar Ringen bekleidet gefalle ich dir doch am besten.“ Der Pirat sah Nunos lüsternen Blick, und seine Augen zogen sich drohend zusammen. Auch die arideren Kerle starrten nach Conchitas Worten herüber und grinsten. Als Don Bosco etwas sagen wollte, zerriß ein plötzliches Heulen die Luft. Es war, als kreischten tausend kleine Teufel um die Wette. Über der Karavelle entstand eine Rauchspur, das Heulen und Pfeifen verstärkte sich, und gleich darauf gab es einen dumpfen Knall. Danach regnete feinkörniger Staub von silberner Farbe ins Meer. Die Piraten hatten sich unwillkürlich geduckt, und der Kerl, den sie Schlitzauge nannten, bekreuzigte sich voller Angst. „Das war der Teufel!“ schrie er gellend und zeigte angstvoll in den Himmel wo immer noch hellgrauer Rauch kräuselte. Selbst Don Bosco war wie erstarrt, blickte auf die Rauchspur und hatte nicht die geringste Ahnung, was hier vorging. Der Aberglaube steckte den meisten tief in den Knochen, und sie sahen es als ein ungutes Zeichen an. Hier hatten höhere Mächte ihre Hände im Spiel, so dachten die meisten, und gegen höhere Mächte konnte man nichts ausrichten. Das nervtötende Heulen war jetzt verstummt, und die Rauchspur im Himmelsblau verlor sich langsam. Aber an
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einigen Stellen an Deck lag jetzt dieser feinkörnige Silberstaub. Alle wichen entsetzt davor zurück, nur Don Bosco nicht. Er bückte sich verwundert und erschrocken zugleich, dann tunkte er vorsichtig einen Finger in das eigenartige Zeug. „Woher kam das?“ fragte Conchita zitternd und blickte mit weitaufgerissenen Augen auf das silbrige Pulver. „Es muß vom Himmel gefallen sein.“ „Es fühlt sich wie Sand an“, sagte Don Bosco und warf einen schnellen Blick zu der voraus treibenden „Isabella“. Aber von dort ist das Zeug mit Sicherheit nicht herübergeflogen, überlegte er. Wer hätte es auch auf diese Entfernung schleudern können! Da steckte wirklich etwas dahinter, das er selbst nicht begriff. Das Heulen konnte er sich erst recht nicht erklären. Auf dem Achterkastell stand immer noch Pablo, wie er sah, und der winkte ihnen hin und wieder mit der Hand zu. Nein, da war alles in Ordnung, die Seewölfe waren erledigt, und heulende Geister hatte er auf dem Meer noch nie gesehen. Er verbarg seine Angst vor dem Unerklärlichen und brüllte die Männer an, die mit schreckensbleichen Gesichtern herumstanden. „Was gafft ihr so? Seht ihr nicht, daß das Pulver nicht gefährlich ist? Das ist Sand, weiter nichts!“ „Und wie kommt der an Bord?“ fragte ein spindeldürrer Kerl, der ein rotes Kopftuch trug, aufsässig. „Und hat schon jemand mal Sand so heulen hören? Da steckt der Teufel dahinter, sage ich. Das ist eine Warnung an uns alle!“ Don Bosco spürte, daß seine Hand leicht zitterte. Aber er konnte seine eigene Unsicherheit schlecht zeigen, sonst hätte die ganze Bande auf der Stelle vor Angst gemeutert. Das fehlte ihm gerade noch, daß den Kerlen jetzt so kurz vor dem Ziel die Nerven durchgingen. Mit zwei schnellen Sätzen war er ei dem Spindeldürren. Zwei krachende Schläge fegten den Mann von den Stufen des Niederganges aufs
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Ein weiterer Schlag warf ihn endgültig auf die Planken. „Quatsch hier kein dummes Zeug!“ brüllte Don Bosco. „Zur Strafe wirst du auf deinen Anteil verzichten, du Hundesohn. Hier gibt’s keine Teufel, außer uns“, sagte Don Bosco und zwang sich zu einem unerschrockenen Grinsen. Beruhigt waren die anderen dadurch aber immer noch nicht. Sie versuchten zwar auch, ihre Angst nicht zu zeigen, aber der Pirat las in ihren Gesichtern doch den Schrecken, und alle Augenblicke drehte sich einer um oder starrte in den Himmel. Die Kerle hatten sich noch nicht ganz beruhigt, als schon wieder etwas geschah, das sie nervte. Ein Fauchen lag plötzlich in der Luft, begleitet von einem höllischen Kreischen, das kein Ende nahm. Die Piraten rannten fast kopflos durcheinander, und auch Don Bosco hielt es nicht mehr auf seinem Platz. Er hatte nicht die geringste Erklärung für diese schrecklichen. Vorgänge, die sich in unglaublich schneller Zeit abspielten. Angstvoll sah er nach oben, wo sich hoch über der Karavelle eine wundersame Wolke zu bilden begann. Es war, als stürze der Himmel plötzlich herab. Begleitet wurde dieses unheimliche Schauspiel von einem nervtötenden Geknatter, das sich wie pausenlose Explosionen anhörte. Er sah noch, wie seine Männer schreiend und -in blinder Panik durcheinanderrannten, dann begann die Hölle. Die Wolke explodierte in einem feuerroten Blitz, der nach allen Seiten auseinanderstrebte und sich mit rasender Geschwindigkeit auf das Schiff senkte. Ein weiterer Knall ließ ihn zusammenzucken. Er kam von Steuerbord, wo jetzt giftgrüner Feuerregen niederfiel. Ein weiterer Knall an Backbord raubte selbst ihm die letzten Nerven, denn dort wurde das vom Himmel fallende Feuer leuchtend blau und breitete sich rasend schnell aus. Männer schrien ihre Todesangst hinaus. Die meisten warfen sich schreiend auf die Planken, ein paar rannten in die hinteren
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Räume, und drei Kerle versteckten sich angstvoll unter den Niedergängen. Don Bosco und seine Leute erlebten so etwas zum ersten Male, und es flößte ihnen hündische Angst ein. Es war einfach nicht zu erklären was da über sie herfiel, und die Schreie, der Teufel befände sich an Bord, wurden immer lauter. Mit steigendem Entsetzen sah der Pirat, wie sich der Feuerregen auf sein Schiff senkte, wie die leuchtende Wolke nach allen. Seiten zerstob und sich verteilte. Gleichzeitig breitete sich unwahrscheinliche bestialische Hitze aus. Don Bosco hörte Conchita kreischen, und für Augenblicke vergaß er die in der See treibende „Isabella“, denn auf seiner Karavelle herrschte jetzt Zustand, und auf dem Schiff ereigneten sich merkwürdige Dinge, die anfangs unerklärbar schienen. Hart schluckend sah er, wie das Focksegel plötzlich in Flammen aufging, wie auf den Planken wie hingezaubert kleine Feuer aufflackerten, und wie selbst die Wasseroberfläche neben dem Schiff aufloderte und heiße Glut von allen Seiten herüberdrang. Ein paar Lidschläge lang war er wie gelähmt, starrte auf das überall ausbrechende Feuer, warf einen Blick zur „Isabella“, die immer noch harmlos in der Dünung dümpelte, und registrierte im Unterbewußtsein, daß Pablo sein Winken eingestellt hatte und entsetzt zu ihnen herüberblickte. Was, bei allen Höllengeistern, ging hier vor? Welch teuflischer Zauber hatte sein Schiff in Brand gesetzt? Die „Isabella“ hatte nicht gefeuert, das stand für ihn fest, da waren andere Mächte im Spiel. „Löscht, ihr Halunken!“ schrie er. „Beeilt euch, pützt Wasser, sonst verbrennen wir!“ Die Männer rannten schreiend durcheinander, in der ausbrechenden Panik behinderten sie sich gegenseitig. Erst nach einer Weile, als die Karavelle schon in hellen Flammen stand, begannen sie verzweifelt, das Feuer mit Wasser und Sand zu ersticken. Zu dem Zeitpunkt entlud sich knatternd, kreischend und grell pfeifend eine zweite
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Wolke über der Karavelle, und die Hitze. griff mit tausend Armen immer gieriger um sich. * Das Gesicht des alten O’Flynn war grimmig verzogen, und er schüttelte drohend die Fäuste. „Wir werden es ihnen geben, mein Sohn“, knurrte er. „Wir werden unser Leben so teuer wie möglich verkaufen.“ Der erste Brandsatz, den sie zur Karavelle hinüberjagten, hatte schon im Abschußgestell zu qualmen begonnen und war dann wirkungslos verpufft. Nur Heulen und Pfeifen waren zu hören, und eine dichte Rauchspur zog über das andere Schiff. „Verdammt“, sagte Dan, „die Dinger sind anscheinend feucht geworden. Hoffentlich funktionieren die anderen wenigstens.“ Der zweite funktionierte, wie Dan erfreut feststellte. Unter wilder Geräuschentwicklung jagte er davon, herrlich anzusehen, wie er gleich darauf in einer Lichtwolke zerplatzte, die sich über die Karavelle senkte. „Den nächsten, Junge“, forderte der Alte ungeduldig. „Gib’s diesen verlausten Piraten, ja, so ist es richtig.“ Als Dan auch den zweiten Brandsatz auf die Reise geschickt hatte, brach drüben schon Feuer aus. Das Focksegel lohte hellrot auf, Flammen züngelten am Mast hoch, und auf dem Deck flackerten die unlöschbaren Brände. Dan warf aus seiner Deckung einen schnellen Blick auf Pablo, der gekrümmt auf dem Achterkastell stand und fassungslos achteraus sah, als die Karavelle Feuer fing. Einmal drehte er sich ängstlich und ratlos um, und blickte genau in Dans harte Augen. „Das hast du nicht erwartet, du Hundesohn, was?“ fragte Dan den fassungslosen Mann. „Wir legen deinen Piraten jetzt Feuer unter die Achtersteven, und es wird ein verdammt heißes Tänzchen werden.“
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Pablo gab keine Antwort, er war dazu gar nicht in der Lage, denn drüben brach jetzt Panik aus. Menschen schrien, Don Bosco brüllte Befehle, Conchita kreischte hysterisch, und die Kerle rannten ziellos hin und her, ohne zu wissen, was sie tun sollten. Dan O’Flynn sprang aus seiner kauernden Stellung auf. „Jetzt können sie uns ruhig sehen“, sagte er, „die sind nicht mal in der Lage, noch einen Schuß abzufeuern. Und viele von ihnen sind anscheinend besoffen.“ Der Alte rieb sich die Hände. In seinen Augen glomm ein düsteres Licht, er blickte schnell zur Kuhl hinunter, wo die Seewölfe immer noch in totenähnlicher Starre lagen. Hart schluckend wandte er sich wieder ab. O Lord, dachte er, wir werden so lange aushalten, bis einer nach dem anderen dieser Höllenhunde über Stag geht. „Das Feuer löschen sie nicht mehr“, sagte Dan. „Völlig aussichtslos, mit Wasser richten sie nichts aus; Los, Dad, an die Drehbassen, sie treiben auf uns zu.“ Drüben rannten Gestalten durcheinander. Wasser wurde gepützt und auf die Planken gegossen. In Don Boscos Sauhaufen kam so etwas wie übersichtliche Ordnung, aber einige rannten immer noch in kopfloser Hast durcheinander. Vier Männer hackten an dem Fockmast herum, um ihn über Bord zu befördern. Aber immer wieder flogen brennende Segelfetzen über das Deck, trafen die schreienden Männer und vereitelten die weiteren Löschversuche. Dann folgte eine herbe Enttäuschung für Don Bosco und seine Brut. Gossen sie Seewasser in das Feuer, so schien das Feuer gelöscht und erstickt zu sein, doch es flackerte sofort wieder auf und trieb die Kerle zur Verzweiflung. Mit Schwabberdweils, Lappen und Hemden schlugen sie in die Glut, und die paar, die Stiefel oder Schuhe trugen, versuchten, das Feuer auszutreten. Das Achterschiff hatte ebenfalls Feuer gefangen, auch an den anderen Masten brannten jetzt die Segel und flogen
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funkenstiebend, schwarz verbrannt oder noch lodernd über Deck. Ein paarmal unternahm Pablo bereits Anstalten, um ins Wasser zu springen. Er wollte nur fort von diesem Höllenschiff und den beiden wilden Kerlen, die ihm immer unheimlicher wurden. Aber im Wasser lauerten Haie, und auf die Karavelle konnte er nicht, dort hatten seine Kumpane alle Hände voll zu tun, um das Schiff überhaupt noch auf dem Wasser zu halten. So blieb er gebeugt und angstvoll stehen und wartete ab, was weiter geschah. Dan O’Flynns scharfe Augen hatten bereits etwas entdeckt, und er stieß seinen Vater an. „Die Galeere“, sagte er, „die pullen und segeln wie die Verrückten. Das war der Kahn, den wir in Tortuga im Hafen gesehen haben.“ Der Alte nickte grimmig. „Laß sie nur antanzen“, knurrte er, „denen besorgen wir es auch noch. Solange noch ein O’Flynn auf den Beinen steht, haben diese Strauchdiebe nichts zu lachen. Sieh dich um! Ich habe Musketen vorbereitet, Pulver und Schrot geholt. Wenn du eine Drehbasse abfeuerst, dann lade ich sie gleich wieder nach. Wäre doch gelacht, wenn wir diesen Himmelhunden nicht das Fürchten beibringen.“ Der Alte hatte wirklich geschuftet und alles herbeigeschleppt, was nötig war, um sich zu verteidigen. Da lagen geladene Musketen, ein Faß Pulver stand an Deck, ein kleines Faß mit Grobschrot und ein paar Kettenkugeln. Und Donegal hielt sich auch nicht länger mit Reden auf. Er lud weitere Musketen mit Pulver und Blei, und nach einer Weile schleppte er sogar Batutis großen Bogen herbei, mit dem die Brand- und Pulverpfeile verschossen wurden. Von Al Conroy und den Zwillingen vorbereitete Pfeile hatte er ebenfalls aus der Waffenkammer an Deck gebracht. Für die beiden Männer wurde die Situation jetzt heikel, denn die brennende Karavelle hatte immer noch viel Fahrt drauf, und sie trieb genau auf die „Isabelle“ zu, oder sie
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wurde bewußt noch im letzten Augenblick so gesteuert, daß sie als Brander wirkte. Dan glaubte das zwar nicht, denn wie es aussah, wollten sie den Rahsegler ja unbeschadet übernehmen, sonst wäre das ganze Unternehmen sinnlos gewesen, aber durch den Rauch und die Flammen erkannte er einen Kerl, der immer noch am Kolderstock stand und genau auf sie zuhielt. Hitze strömte von dem brennenden Schiff aufs Achterdeck, und der alte O’Flynn blickte entsetzt hoch, als er sich jetzt der neuerlichen Gefahr bewußt wurde. „Verdammt!“ brüllte er. „Die rammen uns gleich! Noch eine halbe Kabellänge, dann haben sie uns!“ Das Schiff selbst mit Hilfe des Ruders zu manövrieren, war eine aussichtslose Sache, denn auf dem Ruderblatt lag nicht der geringste Druck, und die „Isabelle“ würde sich nicht rühren. Die Distanz betrug nicht mehr als eine halbe Kabellänge, und der verheerende Gluthauch drang immer stärker herüber. Dabei trieb die namenlose Karavelle rasch näher heran. Dan O’Flynn sprang mit einem wilden Satz an die Drehbasse, die mit Kettenkugeln geladen war. Er drückte die Drehbasse etwas nach unten, bis er den Bug der Karavelle anvisieren konnte, und senkte dann den glimmenden Luntenstock auf das Zündkraut. Dans Vater humpelte unter lauten entsetzlichen Flüchen an die andere Drehbasse, die Grobschrot enthielt. Beide Kanonen entluden sich fast gleichzeitig. Dunkler Rauch wölkte auf, ein greller Blitz zuckte aus den Rohren, und das Grobschrot pfiff bösartig kreischend davon. Die Kettenkugel entfaltete sich und eierte der Karavelle dicht an der Wasserlinie in den Bug, wo sie ein großes Loch riß. Auch die vom alten O’Flynn abgefeuerten Bleiund Eisenbrocken rissen kleine Löcher in das Holz, durch die gleich darauf Wasser strömte, Die beiden Männer jubelten nicht, dazu blieb keine Zeit. Sie sahen sich nur
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grimmig an und drückten damit alles aus, was sie sich zu sagen hatten. ..Sie schert aus!“ rief der Alte. „Jetzt können wir noch zwei der Culverinen abfeuern, Sohn! Das gibt zwei Treffer, darauf verwette ich mein Holzbein.“ Die Karavelle lief jetzt schräg achterlich auf und gelangte damit in den Bereich mindestens zweier Culverinen, sobald sich der Winkel noch etwas vergrößerte. Und er vergrößerte sich zusehends, denn jetzt ließ sich auch die Karavelle nicht mehr steuern und lief aus dem Ruder. Die beiden O’Flynns warteten eiskalt ab, bis der Schiffskörper, dicht in Rauch und Feuer gehüllt, seinen Winkel änderte. Wieder nickten sie sich mit rußgeschwärzten Gesichtern zu, dann entluden sich die beiden Culverinen mit den Siebzehnpfünder-Eisenkugeln. Bei der ruhigen See und der kurzen Distanz hätte sogar ein Neuling getroffen, aber alle beide wußten hervorragend mit den Rohren umzugehen, und so setzten sie ihre Eisenkugeln mit tödlicher Präzision der Karavelle in die Wasserlinie. Rauch, Blitz und Donner hallten über die See, als es drüben mit verheerender Gewalt einschlug. Das Schiff schien sich aufzubäumen, als es zweimal hintereinander getroffen wurde. Holz flog krachend auseinander, Verplankung wirbelte durch die Luft, in dem allgemeinen Tumult löse sich eine Rah vom Mast und schlug brennend und funkenstiebend an Deck. Die beiden O’Flynns liefen wieder nach achtern. Den entsetzten Pablo sahen sie nicht, so eifrig waren sie beschäftigt, sich eine ganze Armee vom Hals zu halten. Nicht mehr lange, und das Piratenschiff würde sinken. Es zog jetzt schon immer mehr Wasser und wurde kopflastig. 6. Don Bosco hatte das nackte Entsetzen und tödliche Angst schon oft in seinem Leben kennengelernt. Früher war es für ihn zum ständigen Begleiter geworden. Erst nach
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und nach war er ruhiger geworden und regte sich nicht mehr sonderlich auf. Aber was ihm jetzt geboten wurde, versetzte ihn schlagartig wieder in die alte Zeit zurück. Er wußte jetzt, daß er einem ganz miesen Trick zum Opfer gefallen war und es an Bord der. immer noch ein paar Kerle gab, die die Hölle losließen und sich den Teufel um die Übermacht scherten. Pablo stand jedenfalls unter Zwang auf dem Achterschiff, um einen harmlosen Eindruck zu erwecken. Unbeschreibliche Wut verzerrte die Züge des Piraten, als er sah, daß es für die Karavelle keine Rettung mehr gab. Auch das unheimliche Feuer, das er sich immer noch nicht erklären konnte, war nicht zu löschen. Hier hatte nicht der Teufel seine Finger im Spiel, sondern einige Seewölfe, die noch viel schlimmer waren als jener gehörnte finstere Geselle. Höllenfürsten waren es, die da kämpften und seine glorreichen Siege hohnlachend übergingen. Dann sah er sie endlich. Zwei Männer waren es, ein junger und ein alter, der durch ein Holzbein noch behindert war. Und Pablo stand mit vollen Hosen daneben und rührte sich nicht! Er ließ es zu, daß die beiden Kerle die Drehbassen abfeuerten und die Karavelle buchstäblich zusammenschossen. Vor Wut halb ohnmächtig, sah er nach achtern. Da stand Nuno, dieser gehirnlose Trottel, am Kolderstock und steuerte die Karavelle genau auf das andere Schiff zu. Jetzt, da ihnen die Karavelle gleich unter dem Hintern absoff, wollte dieser Idiot sie noch als Brander benutzen! Für Don Bosco war das zuviel. Er kämpfte sich durch Rauch und Feuer, an schreienden, vor Angst und Wut heulenden Kerlen vorbei, bis er den Kolderstock erreichte. Dort setzte er Nuno routenentbrannt die Faust auf die Nase. „Bist du verrückt, du Idiot!“ schrie er durch den Lärm. „Ich will das Schiff und
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die Schätze und kein verbranntes Holz. Los, du Ratte, leg Ruder!“ Nuno hatte den Treffer voll geschluckt, und seine Nase wurde noch platter, als ihn die Faust getroffen hatte. Aber in seinen Schweinsaugen blitzte es tückisch auf, und er schnaufte wie ein Büffel, als der Schlag ihn zur Seite fegte. „Wollte denen nur mal zeigen, daß wir noch nicht verloren sind“, schnaubte er wütend. „Oder hast du noch nicht gemerkt, daß dort noch Seewölfe übrig sind, he?“ „Halt die Schnauze! Fier das Boot ab und beeil dich damit, wir müssen das Schiff aufgeben, das siehst du doch!“ Nuno fügte sich, gleich darauf stampften seine Säulenbeine über Deck, und er brachte die Kerle auf Trab, die ihre Löschversuche wieder eingestellt hatten. Auf der „Isabella“ blitzte es wieder auf, zweimal hintereinander, und der Rauch kroch noch aus den Rohren, als es bei ihnen im Bug zweimal laut krachte, und die Karavelle wie von einer Faust gestoppt wurde. Jetzt wurde alles nur noch schlimmer, als sich eine Rah löste, donnernd an Deck stürzte, das Schiff Wasser soff, und der Brand sich immer weiter austobte. Nur noch ein paar wenige behielten die Nerven. An Zurückfeuern war nicht zu denken, kein Geschütz war geladen, nur ein paar Musketen lagen griffbereit wie immer, doch damit konnten sie jetzt nichts mehr ausrichten, denn in der Höllenglut konnte niemand mehr kämpfen. Dichter Rauch zog über das Schiff, und wo kein Rauch war, stand alles in heller Glut. Es prasselte und knackte, und die Flammen fraßen sich weiter durch das trockene Holz. „Runter mit euch!“ brüllte Don Bosco. „Springt ins Wasser, ihr Dummköpfe, oder wollt ihr verbrennen?“ Er packte die kreischende Conchita um die Hüften, hob sie hoch und warf sie kurzerhand über Bord. „Schwimm auf das Boot zu!“ rief er noch, dann sah er, daß auch die anderen völlig entnervt über Bord sprangen.
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Don Bosco blieb noch, er stand am Niedergang zur Back, wo das Feuer noch nicht so wütete, und starrte mit blankem Haß in den Augen zur „Isabella“ hinüber, wo sich die beiden Kerle wie Teufel ausstobten, Geschütze nachluden und weitere Kugeln heranschleppten. Er kam über diese schmähliche Niederlage nicht hinweg, vor Wut hätte er am liebsten laut geheult. Sah er zu den beiden Teufeln hinüber, dann lief ihm ein kalter Schauer nach dem anderen über den Rücken, und er fragte sich entsetzt, wie zwei Männer es fertigbrachten, ihm das Schiff unter dem Hintern wegzuschießen und sechzig Piraten damit in die Flucht zu treiben. Fast sechzig Männer, harte Kämpfer, unerschrocken und todesmutig, aber jetzt voller Panik, weil auch ihnen das noch nie passiert war. Dieses Feuer, das sie geschickt hatten, mußte eine Art geheimer Wunderwaffe sein, und davon hatten sie ganz sicherlich noch mehr an Bord. Deshalb war es von Nuno eine geradezu idiotische Idee, die Karavelle als Brander zu benutzen. Die Glut um ihn herum wurde heller. Er spürte, daß die Karavelle kaum noch Fahrt lief und mächtig Wasser zog. Schon jetzt stand die Back schräg, der Bug tauchte noch weiter ein. Im Wasser trieben seine Kerle, zügelten sich darum, wer als erster ins Boot durfte und waren nur darauf bedacht, ihre Haut so schnell wie möglich in Sicherheit zu bringen. Zum Glück segelte und ruderte die Galeere „Conchita“ jetzt sehr schnell auf. Ehe sie noch mit den Haien Bekanntschaft schließen konnten, würden sie dort an Bord sein. Inmitten des Infernos, vor Wut fast berstend, blieb Don Bosco noch stehen und griff nach einer Muskete. Am liebsten hätte er in der ersten Wut Pablo, abgeknallt, aber dann richtete er den Lauf auf den Kerl am Achterkastell, der die Drehbasse wieder nachlud. Das Feuer und der Hitzesturm, der jetzt entstand, begannen immer unerträglicher
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zu werden und versengten ihm schon die Haare, aber er nahm sich die Zeit, sorgfältig zu zielen. Als er abdrückte, bewegte sich der Kerl nach links, und stand genau hinter der Drehbasse. Der Bleiklumpen pfiff trotzdem noch dicht an seinem Schädel vorbei, und der Kerl schien es auch gemerkt zu haben, denn er riß die Arme hoch und drohte mit den Fäusten herüber. Dann sah Don Bosco, wie e die Drehbasse herumschwenkte und wieder auf die Karavelle richtete. Noch bevor die Ladung Grobschrot herausdonnerte, sprang Don Bosco mit einem wilden Satz über das brennende Schanzkleid und tauchte aufklatschend ins Wasser. Er reckte den Schädel vor, in der Angst, doch noch getroffen zu werden, aber die beiden Kerle feuerten nicht mehr. Sie stießen einen schrecklichen Schrei aus, der sich wie ein Schlachtruf anhörte. Dazu. lachten sie wild und voller Freude. „Ar-we-nack!“ glaubte er es deutlich, laut und schadenfroh über das Wasser schallen zu hören. Danach sah er mit steigendem Entsetzen, wie sich die Karavelle immer weiter auf den Bug stellte, und sich das Ruderblatt aus dem Wasser hob, und er hörte, wie sich immer größere Wassermassen in das Vorschiff ergossen. Don Bosco schluckte Wasser, er spie es wieder aus, ruderte mit den Armen und stieß schauerliche Flüche aus. So hilflos wie jetzt hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Zwei Mann hatten ihn geschafft! Zwei Mann, dachte er immer wieder und suchte vergeblich nach Entschuldigungen für sich selbst. Gut, sie hatten damit nicht gerechnet, aber gerade er, der immer so überlegt und vorsichtig zu Werke ging, gerade er hätte damit rechnen müssen, und erst recht bei den Seewölfen, selbst wenn sie hundertmal bewußtlos oder kampfunfähig waren. Sie hatten aus irgendeinem Grund Pablo ausgetrickst, seine Männer zum Teufel gejagt und sein Schiff versenkt:
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Er schwamm weiter weg, um nicht in den Sog zu geraten, wenn die Karavelle sich endgültig auf den Kopf stellte. Dabei stieß er pausenlos und voller Erbitterung Flüche aus. Um ihn herum brauste und zischte es, da schien die See zu kochen und die Hölle sich aufzutun. Dann folgten ekelhaft schmatzende Geräusche, ein tiefes Seufzen drang aus der See, und um ihn herum stiegen schaumige Blasen auf. Erfüllt von berstender Wut sah er, wie sich die Karavelle jetzt wie ein kranker Gaul. halb zur Seite neigte. Die restlichen Masten krachten weg, das Vorschiff verschwand im Wasser, das Feuer schien noch unter Wasser zu brennen, und dann schickte sie sich zu ihrer letzten Fahrt an. Don Bosco hielt das alles für einen bösen Traum, denn es überstieg sein Fassungsvermögen, daß er die Karavelle nicht mehr hatte, daß er hilflos in der See trieb, statt jetzt die Schätze der „Isabella“ und das Schiff selbst zu inspizieren. Er schwamm schneller auf das Boot zu, und als er es erreicht hatte, da reckte sich die Karavelle noch ein letztes Mal auf, warf einen gewaltigen Wasserwirbel hoch und tauchte dann unter. Ein paar leere Fässer schossen an die Oberfläche, eine zertrümmerte Rah schwamm auf dem Wasser, das war alles. Don Bosco zog sich selbst ins Boot, in dem nur ein Dutzend Leute Platz hatten und starrte in Gesichter, die ihn fragend und fassungslos anstierten. „Jetzt ist sie abgesoffen“, sagte Nuno behäbig und mit unüberhörbarem Vorwurf in der Stimme. „Du merkst auch alles, du dämlicher Saukopf“, sagte Don Bosco. „Am liebsten würde ich dir noch was auf die Nase geben.“ Wie verlauste Wasserratten hockten sie triefend im Boot, während ihre Kumpane, die keinen Platz mehr darin fanden, voller Angst neben dem Boot herschwammen. Sie hatten erbärmliche Angst vor den Haien, die hier das Meer beherrschten, und so versuchte jeder, trotzdem in das Boot zu gelangen.
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Don Bosco gab Nuno ein Zeichen mit der Hand. Der Schlagmann grinste hinterhältig, nahm ein Tau und zog es jedem kräftig über die Finger, der sich am Dollbord festklammern wollte. „Ihr werdet noch warten können“, sagte er, „gleich ist die Galeere da, und dann habt ihr Hundesöhne Platz genug.“ „Aber die Haie!“ schrie einer voller Angst. „Die tun euch schon nichts, ihr müßt sie nur in Ruhe lassen.“ Die Antwort war typisch für Nuno, Und so paßte er weiterhin auf, damit sich niemand an das Dollbord klammerte. * Auf der „Isabella“ hatten die beiden O’Flynns rußgeschwärzte Gesichter, aber Vater und Sohn klopften sich gegenseitig auf die Schultern und grinsten. Über dem zerknitterten Gesicht des Alten lag ein strahlender Sonnenschein, als die Karavelle abgesoffen war lind die Kerle jetzt im Wasser trieben. „Mann, Dad, das war ein voller Sieg!“ schrie Dan. „Hasard und die anderen würden- sich freuen, wenn sie das gesehen hätten. Da hängen die Bastarde im Wasser und fluchen sich die Seele aus dem Leib. Man sollte ihnen das Boot auch noch zertrümmern.“ „Ja, das sollte man“, sagte Donegal nickend. „Aber jetzt sind sie für die Drehbassen schon zu weit weg, und es wäre schade um jeden Schuß, der nicht trifft. Wir werden .gleich noch genügend Arbeit kriegen, wenn die Galeere aufsegelt. Dann beharken sie uns.“ „Noch haben wir etliche Brandsätze, und was wir mit der Karavelle geschafft haben, das schaffen wir mit dem anderen Mistkahn auch noch. Aber es wird nicht einfach sein.“ Pablo starrte in stummem Entsetzen auf die beiden rußgeschwärzten Gestalten, die wie ein junger und ein alter Teufel aussahen und ihn ergrimmt anblickten. „Na, hast du triefäugige Kakerlake jetzt gesehen, wie es deinem Häuptling ergangen ist?“ fragte der Alte höhnisch.
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„Wenn die anderen aufkreuzen, gibt’s noch mal das gleiche Spielchen. Und dich hängen wir dann als Notsignal an die Rah!“ Pablo brachte kein Wort hervor. Sein Magen hatte sich zusammengeklumpt, er glotzte die beiden Männer an, versuchte etwas zu sagen und hielt sich dann beide Hände vor den Leib. Mit einem leisen Aufschrei brach er zusammen. „Ha, das Trinkwasser! Das hatte ich fast vergessen“, sagte der Alte. „Jetzt wirkt es, und der Kerl hat sich still und heimlich verzogen. Laß ihn da liegen, Dan, er hat selbst gesagt, daß es kein tödliches Gift ist. Zu unseren Kameraden legen wir den Saukerl jedenfalls nicht.“ „Hast recht, Dad, lassen wir die Pestwanze liegen. Sehen wir lieber zu, daß wir den anderen Kerlen noch eine unangenehme Zeit bereiten. Ich hole noch ein paar Brandsätze aus Hasards Kammer.“ „Und ich erledige alles andere“, sagte Old O’Flynn, der sich diesmal keinesfalls unnütz erschienen war und mächtig rangeklotzt hatte. Er war von Stolz über seinen Sohn und sich selbst erfüllt. Hatten sie doch wieder mal bewiesen, daß man die Seewölfe nicht so leicht vom Meer wischte, und wenn es nur noch zwei waren, ein alter und ein hungriger junger Seewolf. Während sie wieder Drehbassen und auch die beiden abgefeuerten Culverinen nachluden, beobachteten sie die Galeere, die auf das Boot zuhielt. Dann wurden die Segel ins Gei gehängt, und die Galeere nur noch gerudert. Auf dem Boot wurde jetzt ebenfalls ein Segel gesetzt. Die beiden O’Flynns sahen, wie es eilig von der Unglücksstätte wegstrebte und zur Galeere segelte. Gleichmäßig bewegten sich die schweren Riemen im Takt, hoben sich aus dem Wasser, tauchten wieder ein. Dan schluckte. Er hatte etwas gegen Galeeren, seit jeher schon. Das erinnerte ihn immer an Unmenschlichkeit, Quälerei, Folter und Pein, die kein Ende nahm. Waren es Freiwillige, die die Galeere
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ruderten, oder hatte Don Bosco dafür seine Sklaven? Er wußte es nicht, und plötzlich war auch seine Hoffnung verflogen, die Galeere ebenfalls erledigen zu können. Wurde sie von Sklaven gerudert, dann soffen die armen Hunde erbärmlich ab, und niemand würde sich der Mühe unterziehen, sie aus dem Schiff zu holen. Das war eben Los und Schicksal der Angeketteten. Der Alte hatte den Blick seines Sohnes bemerkt. „Was ist los?“ brummte er. Dan zeigte auf die Galeere. „Ich denke an die armen Schweine da drüben“, sagte er. „Wenn wir die unter Feuer nehmen, kriege ich immer Gewissensbisse.“ „Ach was!“ polterte der Alte. „Gewissensbisse! Erstens haben wir sie noch lange nicht in unserer Reichweite, und zweitens sind das Kerle von diesen Piratenlumpen. Die sind nicht angekettet, die können verschwinden, wann immer sie wollen.“ „Bist du sicher? Woher willst du das wissen?“ „Ich vermute es“, sagte der Alte kleinlaut. „Vermuten ist nicht wissen, Dad. Du kennst Hasards Gebot, keine Wehrlosen zu beharken. Wenn wir nicht genau wissen, ob es wirklich Piraten sind, dann sitzen wir zwischen zwei Schemeln.“ „Und wie, bitte“, schrie der Alte fuchtig, „willst du dir diese lausige Brut vom Hals halten? Mit schönen Worten etwa?“ „Ich weiß es noch nicht, jedenfalls können wir die Galeere nicht mit den Brandsätzen beharken. Verdammt, wir hätten diesen Schurken Pablo danach fragen sollen.“ „Jetzt ist es zu spät dazu. Sieh mal, ich glaube, wir sind unsere Sorgen gleich los, die Galeere liegt still.“ Irgendwie fühlte sich Don O’Flynn plötzlich von einer unsichtbaren Last befreit, als das Rudern auf der Galeere eingestellt wurde. Er wußte auch, was jetzt passiert war. Don Bosco hatte den anderen von der Wunderwaffe erzählt, und die hielten sich jetzt wohlweislich in sicherer Entfernung
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zurück, um nicht das gleiche Schicksal zu erleiden wie die Karavelle. Das änderte die Situation zwar, aber nicht gerade zugunsten der „Isabella“, denn jetzt stand eine neue Teufelei bevor, davon war Dan überzeugt. Durch das Spektiv sah er, wie ausnahmslos alle Kerle aus dem Boot an Bord gingen, dann segelte ein einziger Mann mit dem Beiboot wieder los und fischte die Kerle auf, die immer noch im Wasser trieben. Selbst das Boot blieb außer Schußweite. Mit den Culverinen war es schon gar nicht zu erreichen, und selbst für die Brandsätze war die Entfernung zu groß. Die Riemen tauchten wieder ein, die Galeere ruderte über das Heck noch weiter zurück, bis die Distanz absolut unüberbrückbar war. Der Alte fluchte, wie es seiner Art entsprach, schüttelte die Fäuste und ließ üble Wörter vom Stapel. „Was, glaubst du, werden sie jetzt unternehmen?“ fragte er. „Wenn ich an Don Boscos Stelle wäre“, überlegte Dan laut, „dann würde ich jetzt ebenfalls die Kerle einsammeln, die Boote wieder bemannen und von mehreren Seiten zum Entern antreten lassen.“ „Einige werden wir erwischen, aber gegen hundert Mann haben wir keine Aussichten“, sagte Donegal. „Das können wir uns an den Fingern einer Hand abzählen. Sie werden uns ebenfalls mit Musketen befeuern, bis uns die Augen tränen.“ „Dann jagen wir ihnen Brandsätze und Flaschenbomben in die Boote, solange wir noch auf den Beinen stehen“, versprach Dan O’Flynn zähneknirschend. Die Sammelaktion ging weiter. Die beiden einsamen Männer auf der „Isabella“ sahen hilflos zu, wie alle aus dem Meer gefischt wurden. Jedesmal kehrten zwei Boote voll beladen zurück, luden ihre menschliche Fracht aus und suchten weiter. Dann, etwas später, sahen sie, wie weitere Boote zu Wasser gelassen wurden. „Vier Boote insgesamt, drei kleine, ein großes“, zählte Dan auf. „Das sind rund hundert Mann, die wir gleich auf den Pelz
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haben. Und die meisten dieser Kerle haben sich Leinen mit kleinen Draggen um die Schultern gewickelt. Die springen später ins Wasser, hauen uns die Draggen in die Bordwände und entern auf.“ „Und wir klopfen ihnen auf die Gräten, bis. sie wieder loslassen“, sagte Old O’Flynn, aber er war doch von seinen eigenen Worten nicht so richtig überzeugt, denn er wußte nur allzu gut, daß er sich diesmal mächtig verschätzte. Don Bosco war schließlich kein Dummkopf, das hatte er bewiesen. Daß er die Karavelle verloren hatte, war nichts weiter als ein kleiner Fehler in seiner Rechnung gewesen. Ein zweites Mal würde ihm das nicht passieren, soviel stand fest. Die O’Flynns hatten keinen Blick mehr für ihre bewußtlosen Kameraden übrig, denn jetzt ging es ihnen ans Leder und damit auch den anderen, die sich nicht am Kampf beteiligen konnten. Entweder, so schätzte Dan, ließ Don Bosco sie auf seiner Galeere zu Tode rudern, oder er brachte sie kurzerhand um. Sein Haß auf die Seewölfe mußte unbeschreiblich sein. Auf der Back wurden die vorderen Drehbassen geprüft, Lunten bereitgelegt und ein Messingbecken mit glimmender Holzkohle aufgestellt. Zum Glück waren die Culverinen ausgerannt, das hatte schon Al Conroy besorgt, und so hatten sie mit dem Laden keine Arbeit. O’Flynn junior kramte die Nagelbretter hervor, die Ferris Tucker vor langer Zeit einmal angefertigt hatte. Es waren längliche Bretter, gespickt mit scharfen Nägeln, deren Sinn Old O’Flynn damals noch nichts erkannt hatte. Aber sie funktionierten prächtig, denn sobald die ahnungslosen Kerle an Deck enterten, sprangen sie meist in diese Nagelbretter hinein, und das lähmte ganz entschieden ihre Kampfeslust, wenn sie barfuß in den Tretern standen. Piratenschuhe hatte Ferris sie genannt, dachte der Alte grinsend, und sie hatten sich bestens bewährt. An allen strategisch wichtigen Punkten wurden sie dicht am Schanzkleid ausgelegt.
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Danach holte Dan die ebenfalls von Ferris Tucker konstruierten Höllenflaschen, die mit Pulver, Blei und Eisenstücken gefüllt waren und deren Splitterwirkung verheerend war. Die Brandpfeile lagen bereit, überall waren sie verteilt, und auch der riesige Bogen von Big Old Shane wurde noch geholt. Dann blickten die O’Flynns grimmig über Bord. Sie hatten getan, was sie konnten, und das Schiff in eine Festung verwandelt. Aber sie waren eben nur zwei Mann – und daran haperte es. „Ein O’Flynn“, dozierte der Alte mit erhobenem Zeigefinger, „der gibt erst dann auf, wenn man ihm den Sargdeckel vor der Nase zuknallt und Erde drüberschüttet. Kapiert, mein Sohn?“ „Ja, Dad“, sagte Dan artig. „Und selbst dann gibt er noch keine Ruhe und sucht nach einem Ausweg.“ „Hoffen wir, daß wir einen finden, Junge!“ „Wird schon schiefgehen, Dad“, sagte Dan, und diesmal grinste er wie einer, der noch nie etwas vom Tod gehört hat. 7. Der Angriff ließ nicht lange auf sich warten, und auch die Piraten hatten vorgesorgt, um nicht so schnell von Musketenschüssen getroffen zu werden. Sie brachten Schilde und Holzplatten von der Galeere mit, die sie über dem Dollbord der Boote befestigt hatten, Und die Boote wurden gewriggt, statt gerudert. Nur das große Boot segelte und war relativ schutzlos. Dan wartete ab, bis es in den Schussbereich der vorderen Drehbasse gelangte. Aber dann erlebte er eine herbe Enttäuschung, denn die Piraten schienen die Distanz zu kennen. Das Boot bewegte sich nicht mehr weiter. Eins war achtern erschienen, eines lief in einem großen Bogen respektvoll von vorn auf, und die anderen lauerten auf Backund Steuerbord. Dan O’Flynn griff zum Langbogen und legte einen Pulverpfeil auf die Sehne, dessen Spitze bereits glühte.
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Dann jagte er den Pfeil davon. Aber er verfügte nicht über Batutis oder Big Old Shanes Können, und so landete der Pfeil ein paar Yards vor dem Boot im Wasser. Von den Booten tönte höhnisches Gebrüll herüber, schadenfrohes Gelächter erklang, aber Dan ließ sich nicht entmutigen. Der nächste Pfeil flog zu den Gegnern hinüber, und diesmal blieb er im Holz des Schutzschildes stecken und entzündete sich. Eine kleine Flamme sprang auf, doch ein behaarter Arm griff um die Platte herum, um den Pfeil herauszuziehen. Darauf hatte der alte O’Flynn gewartet, der mit einer Muskete, die er auf den Handlauf des Schanzkleides gestützt hatte, auf die Gelegenheit lauerte, daß einer seinen Schädel hervorstreckte. Der Schuß löste sich donnernd. Die Musketenkugel, die weiter flog als ein Siebzehn-Pfünder, traf ihr Ziel. Das bewies eindeutig ein wilder gellender Schrei. Gleichzeitig gingen auch die O’Flynns in Deckung, denn jetzt setzte ein wütendes Geknatter ein, und die „Isabella“ wurde von vier Seiten unter Feuer genommen. In den Mast schlug es ein, ins Schanzkleid, hinter dem sie. lagen, auf dem gesamten Vorschiff war das Heulen und Jaulen der Kugeln zu hören, so daß sie kaum die Köpfe hochkriegten. So konnten sie auch vorübergehend kaum sehen, was sich tat. Etliche der Piraten waren ins Wasser gesprungen und schwammen auf die „Isabelle“ zu. Vorn, achtern und von den Seiten näherten sich die Schwimmer dem Schiff. Als Dan einmal blitzschnell den Kopf hob, sah er zwei Kerle, die nur noch ein paar Yards vorn Schiff entfernt waren. Geduckt rannte er zur anderen Seite hinüber, und da bot sich ihm das gleiche Schauspiel. Mindestens sechs Männer näherten sich, und von achtern schwammen auch welche heran. Einige schoben Bretter vor sich her und steckten ihre Köpfe darunter, damit sie nicht getroffen wurden. Dan entzündete die Lunte einer Flaschenbombe, blies sie zu heller Glut an
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und warf sie in die Richtung, aus der die sechs Männer heranschwammen. Der gewaltige Knall erfolgte gleich darauf, und die Splitterwirkung schien enorm zu sein, denn ein paar der Angreifer hatte es mit Sicherheit erwischt. Schreien und Stöhnen erklangen in der Nähe der „Isabella“. Geduckt rannte Dan zur Drehbasse und feuerte sie aufs Gratewohl ab. Über seinen Schädel pfiffen zwei Kugeln und schlugen in den Mast. Es hörte sich an, als würden pausenlos kleine Steine gegen den Schiffsrumpf geworfen. Die Bleikugeln drangen zwar nicht durch das starke Holz, aber sie zwangen die O’Flynns in Deckung. Während der Alte Flaschenbomben über das Schanzkleid schleuderte, rannte Dan geduckt nach achtern. Wieder zwangen ihn Schüsse in Deckung, und er glaubte deutlich zu hören, wie sich Draggen in der Bordwand festkrallten. Ein paar Piraten befanden sich also bereits am Ruderblatt, und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann sie aufenterten. Dan ließ eine Flaschenbombe über das Heck fallen, doch diesmal trat kein Erfolg ein. Von vorn hörte er die zweite Drehbasse losballern, und wieder antwortete ein vielstimmiger Schrei. Nein, wir haben keine Chance mehr, dachte er. Sie waren von vier Seiten umzingelt und konnten die Drehbassen nicht mehr laden, ohne von umherirrenden Kugeln getroffen zu werden. Die Übermacht war zu groß und gewaltig. Dan sah seinen Vater weitere Flaschenbomben ins Wasser werfen, aber sie konnten nicht an allen Stellen zugleich sein. Die Geräusche der in die Bordwand fliegenden Draggen mehrten sich, und die meisten begannen da aufzuentern, wo sich die Wanten befanden. Dan griff zu den Pistolen und lief aufs Quarterdeck. Zur Kuhl wollte er nicht, da lagen seine Kameraden, und die konnten bei einem Schußwechsel leicht getötet
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werden. Wir hätten sie doch nach unten bringen sollen, überlegte er weiter. Gerade als er sich umdrehte, tauchte das erste Gesicht über dem Schanzkleid auf. Es war eine wilde Fratze mit wütenden Augen, zwischen den Zähnen trug der Kerl ein Messer mit langer scharfer Klinge, und im Hosenbund hatte er ein Entermesser stecken. Schwarze nasse Haare fielen ihm in die Stirn. „Achtung, Dad!“ schrie Dan und drückte ab. Das Gesicht verschwand hinter dem Schanzkleid, und der Pirat landete mit einem Klatschen im Wasser. „Hinter dir!“ schrie der Alte plötzlich und legte mit der Muskete an. Er kniete, um nicht getroffen zu werden. Bevor Dan sich noch umdrehen konnte, hörte er den Knall und spürte, wie der Bleibrocken dicht an ihm vorbeiflog. Ein dumpfer Fall, und ein klatschnasser Mann wälzte sich stöhnend auf den Planken. Weitere Schüsse zwangen sie wieder in Deckung. Dan robbte zu seinem Vater hinüber, hockte sich auf die Knie und sah sich immer wieder nach allen Seiten um. „Hier, nimm die beiden Pistolen, Dad“, sagte Dan. „Ich habe mir auch die von Hasard ausgeliehen. Was die Waffen betrifft, da sind wir noch im Vorteil, die Kerle haben nur Messer.“ „Leider sind es ein paar Messer zuviel“, knurrte der Alte. Er hatte noch nicht richtig ausgesprochen, als achtern gleich zwei Gestalten auftauchten. Dan fuhr blitzschnell herum und schoß. Ein weiterer Mann kletterte an Deck, ein anderer schlich über die Galion. Beide O’Flynns schossen ihre Pistolen leer, und nach jedem Schuß blieb ein Mann auf den Planken liegen und rührte sich nicht mehr. Fünf waren es jetzt, dann sieben, gleich darauf neun. Wie Ratten huschten sie an Bord, von allen Seiten. Dan und sein Alter schnappten sich Handspaken und griffen an. Aber auch die
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Kerle griffen nach Entermessern, und rissen Belegnägel aus den Nagelbänken. Dan O’Flynn schwang die lange Spake und stürzte sich mit einem Wutschrei auf seine Gegner. Wie mit einer Sense begann er mit der Spake in die Reihen der Gegner hineinzumähen, drosch mit wilder, unbezähmbarer Kraft um sich und traf. Die Spake krachte auf Schädel, Schultern, Arme, fegte ein paar Kerlen das Messer aus der Hand, doch viel mehr schaffte Dan nicht. Er war von allen Seiten eingekreist und konnte selbst seinem Alten keine Hilfe mehr bringen, denn auf Donegal stürzten sich jetzt drei oder vier Mann. Dan hieb sich den Weg frei, schwitzte, rang keuchend nach Luft und fuhr wie der leibhaftige Satan in die Horde. Da ertönte eine schneidende Stimme. „Halt, ihr Kerle! Ergebt euch!“ Einen Augenblick musterten die beiden O’Flynns den Sprecher. Das konnte nur Don Bosco persönlich sein, daran gab es keinen Zweifel. So hatte ihn Diego beschrieben: ein wüst aussehender Bursche mit langen schwarzen Haaren, von dunkler Hautfarbe, mit dunklen Augen und etlichen Narben im Gesicht. Er trug eine hellblaue Leinenhose, sein muskulöser breiter Oberkörper war mit einem rosafarbenen Seidenhemd bekleidet, das bis zum Bauch hin offen war und seltsame Tätowierungen auf der breiten Brust sichtbar werden ließ. Der Kerl war knochentrocken, wahrscheinlich war er während des Kampfes mit dem Boot herangefahren und dann. auf geentert. Nur seine Haare schimmerten noch feucht von dem unfreiwilligen Bad, das er vorhin genommen hatte, als ihm die Karavelle abgesoffen war. Der Blick seiner dunklen Augen huschte zu jenen bejammernswerten Gestalten hin, die reglos auf der Kuhl unter dem Sonnensegel lagen und an denen der Kampf spurlos vorbeigegangen war. Die Arme der Kämpfer sanken herab, aber das galt nicht für die beiden O’Flynns, die nutzten die günstige Gelegenheit und hieben zwei dicht vor ihnen stehenden
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Piraten die Spaken über die Köpfe. Ein dritter Kerl, der zurückweichen wollte, geriet noch in den Bereich Dans und wurde schlagartig gefällt. Das nahmen die anderen zum Anlaß, um sich sofort auf die beiden Seewölfe zu stürzen. Ein Schuß in die Luft ließ sie wieder innehalten. Don Bosco stand da, die rauchende Pistole in der Hand und blickte seine Kerle an. „Ich sage es nicht noch einmal“, drohte er. „Diese beiden Kerle hier will ich lebend haben. Niemand sticht sie ab, verstanden?“ Dann wandte er sich an die beiden O’Flynns und nickte. „Ergebt euch, ihr habt keine Chance mehr, wir sind mehr als hundert Leute, die zu kämpfen verstehen.“ „Davon verstehen wir auch was, du lausiger Bastard!“ schrie der alte O’Flynn zornig, und als Don Bosco einen Schritt auf ihn zuging, da knallte ihm ganz überraschend von dem Alten mit dem Holzbein die Spake auf die Schulter. Ein glühender Schmerz durchfuhr ihn, und er spürte, wie sein Arm bewegungslos wurde. Mit der rechten Hand hob er die Pistole, aber dann schleuderte er sie wutentbrannt an Deck. „Ergebt euch!“ brüllte er. „Sonst lasse ich euch doch noch umbringen, wir haben ja noch die anderen.“ „Ein O’Flynn ergibt sich nicht, du Scheißkerl“, sagte der Alte und stürmte schon wieder vor, um Don Bosco die Spake auch noch auf den Schädel. zu hauen. Dazu reichte es allerdings nicht mehr, denn vier wild entschlossene Kerle stürzten sich auf den Alten, um ihn zu Boden zu reißen. Da geriet Dan in Wut, als er das sah. Seine vorherige Wut war nichts gegen das, was ihn jetzt anstachelte, denn seinem Vater ging es ans Leben, und da sah Dan nur noch rote Ringe. Mit einem wilden Schrei schwang er die Spake, mähte auf den ersten Schlag zwei Männer nieder, die sich schreiend auf den Planken wälzten und holte einen dritten von den Beinen. Den vierten traf die Spake am Schädel. Dan drosch sich in blinder
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Wut eine Gasse durch die Männer und schaffte es, bis zu seinem tobenden Alten vorzudringen. Aber dann sah er sich von einer Mauer menschlicher Leiber eingekreist, und als er wieder ausholen wollte, explodierte etwas auf seinem Schädel, die Spake entglitt seiner Faust, und er ging in die Knie. Ein anderer Pirat nutzte die Gelegenheit, entriß ihm die Spake und schlug noch einmal zu. Dann stürzten sich ein halbes Dutzend Männer auf Dan O’Flynn und hieben auf ihn ein. Den Alten, der auch hart mit dem Holzbein um sich trat und gleichzeitig mit der Spake zuhieb, holten sie auch von den Beinen. Dann lagen die beiden O’Flynns am Boden und rührten sich nicht mehr. „Mann, sind das zwei Teufel“, sagte Don Bosco schauernd. Er hielt sich die Schulter und sah grimmig auf die beiden Männer, die ihm so unglaublich viel Ärger und Scherereien bereitet hatten. Ein großer Teil seiner eigenen Kerle war absolut kampfunfähig, und mehr als zwanzig Piraten hockten auf dem Hintern, weil sie nicht mehr stehen konnten, seit sie in die Nagelbretter gesprungen waren. Das Geschrei klang Don Bosco immer noch in den Ohren, wie die Kerle gebrüllt hatten, als sie in den Höllenschuhen landeten. Jetzt hockten sie wutentbrannt mit blutenden Füßen auf den Planken, fluchten und jammerten erbärmlich. Aber das war jetzt egal, Don Bosco hatte sein Ziel erreicht, und die „Isabella“ befand sich in seiner Hand. „Das gehört jetzt uns“, sagte er fast andächtig und schritt wie ein Fürst über die Kuhl, sah sich nach allen Seiten um und nickte anerkennend. „Werft die Toten ins Meer!“ befahl er dann. „Dreißig Mann bleiben an Bord, die anderen verschwinden wieder. Wir segeln auf direktem Weg zum Caicos-Versteck. Ab mit euch!“ Vor den Seewölfen blieb er stehen und lachte laut. „Jeden einzelnen gründlich fesseln. Nuno, du überwachst das! Ich will mit diesen
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Teufeln keine zweite Überraschung erleben.“ Nuno begab sich sofort mit einigen Männern an die Arbeit, während die anderen murrend die „Isabella“ räumten und wieder in die Boote gingen. Sie hätten gar zu gern einmal in den Laderäumen nachgesehen, was sich da so alles angesammelt hatte. Aber sie gehorchten doch, denn mit Don Bosco war in solchen Angelegenheiten nicht zu reden, der würde die Beute schon verteilen, damit keiner zu kurz kam, ganz besonders er selbst nicht. Vor Philip Hasard Killigrew verbeugte sich Don Bosco spöttisch. „Ja, da liegst du nun“, sagte er selbstgefällig. „Ein wehrloser halbtoter Mann. Aber du wirst bald erwachen, und dann werden wunderbare Tage für dich und deine wilden Kerle anbrechen. Ihr werdet euch die Seele aus dem Leib rudern, das verspreche ich jedem einzelnen.“ Gelassen sah er zu, wie Nuno den Seewolf fesselte und verschnürte. Als er damit fertig war, prüfte Don Bosco die Fesseln noch einmal. „Ich an deiner Stelle würde diesen Kerl hängen“, sagte Nuno. „Wenn du es nicht tust, wirst du es eines Tages bereuen.“ „Spar dir dein Gequatsche, keiner von diesen Kerlen wird gehängt. Das geht viel zu schnell. Die lachen mich noch aus, wenn sie an der Rah hängen, diese Satansbrüder. Damit kann man ihnen nicht imponieren. Aber wenn sie auf der Ducht sitzen und nach deinem Schlag rudern müssen, dann zerbrechen sie an Leib und Seele.“ „Ja, das ist richtig“, sagte Nuno erfreut. „Wenn sie nach meinem Schlag rudern müssen, ha - ha! Sie haben viel zurückzuzahlen, diese Seewölfe, und ich, Nuno, werde es eintreiben.“ Inzwischen inspizierten auch schon andere Piraten neugierig das Schiff. Einer von ihnen rümpfte die Nase. „Mann“, sagte er angewidert. „Hier gibts ja überhaupt keinen Dreck an Bord. Und die haben sogar richtige Kojen. Das ist hier
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alles so sauber, daß es schon richtig stinkt.“ „Hier stinkt’s wirklich vor Sauberkeit“, sagte ein anderer, „da hast du ganz recht.“ Zunächst riß sich jeder erst einmal das unter den Nagel, was sich leicht transportieren ließ und ihm gefiel. Meist betraf es die Habseligkeiten der Seewölfe, und sie klauten von der Hose bis zum Hemd alles, was ihnen in die Hände fiel. Don Bosco ging weiter auf und ab, hin und her, und fand auch Pablo auf dem Achterdeck liegen. Er glaubte erst, Pablo wäre verletzt oder getötet worden, aber anscheinend hatte er auch von dem vergifteten Wasser getrunken. So ein blöder Hund, dachte Don Bosco, der die wahren Zusammenhänge nicht kannte. Er sah sich die Kapitänskammer an, wühlte überall ein bißchen herum und fand, daß die „Isabella“ mehr als eine gerechtfertigte Gegengabe für die Karavelle war. Das Schiff gefiel ihm, die Bauweise imponierte ihm, sogar die Sauberkeit freute ihn. Jetzt war er der Kapitän, und sein Sieg über den Seewolf würde in die Geschichte eingehen. Er hatte eine Legende zerstört, und war nicht mehr irgendwer, sondern Don Bosco, einen Namen, den man künftig mit sehr großer Achtung aussprechen würde. Mittlerweile waren die Toten im Wasser gelandet, und die Haie hatten sich um sie gekümmert. Die Seewölfe waren von Nuno und ein paar anderen eingewickelt worden wie Mumien, und selbst jetzt noch fürchteten sich einige vor ihnen, wenn sie sie berührten. Jeder hatte das Gefühl, diese Teufelskerle würden gleich aufstehen und fürchterliche Rache nehmen. Eine knappe Stunde nach der Übernahme wurden die Segel wieder gesetzt, und die „Isabella“ nahm Fahrt auf. Sie lief das Caicos-Versteck an, jene kleine Bucht, an der man vorbeisegeln konnte, ohne auch nur das geringste zu sehen. 8. Als der Seewolf erwachte, glaubte er, schlecht geträumt zu haben. Sein Schädel
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schmerzte, in seinem Magen fand eine Revolution statt, und vor seinen Augen drehte sich alles. Er wollte aufstehen und wunderte sich über das merkwürdige Halbdämmer, das um ihn herum herrschte. Doch dann wunderte er sich, daß er gar nicht in der Lage war, aufzustehen. Vorsichtig wandte er den Kopf und sah sich um. Sein anfängliches Erstaunen verwandelte sich schnell in Bestürzung, denn auch den Kopf konnte er nur schlecht bewegen. „Das muß ein verdammter Traum sein“, sagte er, und seine Stimme klang seltsam hohl. Eiserne Ringe hielten ihn an einer Felswand fest, eine Eisenkette band seine Beine so zusammen, daß er sie nur ganz leicht bewegen konnte. Dicht neben ihm brannte eine trübe Fackel in einer Wandnische. Rechts und links von ihm waren weitere Gestalten angekettet, und als er jetzt besser sehen konnte, erkannte er einen bulligen Mann in kurzen Hosen, mit stämmigen Säulenbeinen und einer Glatze, auf der sich das Licht der Fackeln spiegelte. Nuno, dachte der Seewolf, der verdammte Schlagmann, den Ed auf Tortuga in der Kneipe zusammengeschlagen hatte. „Kein verdammter Traum, Killigrew“, hörte er die ölige Stimme des Dicken. „Du bist hier in einem Felsen angekettet, und deine Himmelhunde mit dir. Gleich wird dich Don Bosco besuchen.“ Er lachte höhnisch und widerlich laut, und im selben Augenblick kehrte bei Hasard die Erinnerung schlagartig zurück. Das Trinkwasser war vergiftet worden! Davon war einer nach dem anderen umgekippt, aber sie lebten hoffentlich alle, dachte er. „Ich sagte, Don Bosco wird dich gleich besuchen“, wiederholte der dicke Nuno noch lauter. „Hau ab, du Fettwanst, du ödest mich an“, sagte Hasard. „Bei deiner Visage wird selbst den Haien übel.“
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Er spie dem Dicken verächtlich vor die Füße, um ihm zu zeigen, was er von ihm hielt. Nuno stieß einen zischenden Laut der Wut aus. Blitzschnell zog er die Hand hinter seinem Rücken hervor, die eine Neunschwänzige trug. Dann holte er genußvoll aus und grinste niederträchtig. „Dich wird überhaupt bald gar kein Hai mehr ansehen“, sagte er. „Und damit du etwas mehr Respekt zeigst, werde ich es dir mal einbläuen, als Vorgeschmack.“ Kraftvoll ließ er die Peitsche halb auf Hasards Schulter knallen. Die neun Striemen trafen alle, aber der Seewolf zuckte nicht einmal zusammen. „Damit schaffst du ihn nicht, du im Krebsgang dahinhinkende Seewanze!“ rief jemand von der gegenüberliegenden Seite. Das ist zweifellos Carberrys Organ, dachte Hasard erfreut. Der Dicke fuhr keuchend herum. Im Widerschein der Fackeln, die das Felsengewölbe erhellten, sah der Seewolf den wilden ungezügelten Haß in Nunos Augen. Auf Carberry hatte er es ganz besonders abgesehen, seit der ihn so verheerend verdroschen hatte. Blind vor Wut holte er aus und ließ die Neunschwänzige zweimal hintereinander durch die Luft auf den Profos klatschen. Aber die Antwort trieb ihn nur noch mehr zur Weißglut. „Triefäugiges Rübenschwein“, sagte Ed verächtlich. „Wenn ich meine Hände wieder frei habe, dann drehe ich dir dein fettes Genick so zusammen, daß du aussiehst wie eine große Wurst. Und die Zeit ist nicht mehr fern, du stinkende Qualle!“ Noch einmal schlug Nuno haßerfüllt zu, aber die Antwort war nur ein verächtliches Lachen. Mehr gab der Profos nicht her. Hasard erkannte ihn als großen Umriß an der Felswand, und auch die anderen erkannte er so langsam. Zu seiner großen Erleichterung waren sie alle beisammen, auch die Zwillinge fehlten nicht und waren angekettet. Nuno ging durch den kahlen Gang, ein mächtiger Klotz, eine furchteinflößende
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Silhouette. Von diesem Kerl hatten sie alle nichts Gutes zu erwarten. Der würde seine Wut täglich aufs neue an ihnen auslassen. Er verschwand durch den Ausgang des Gewölbes, durch den nur noch ganz schwach Tageslicht hereinfiel. Der Zeit nach schien es gegen Abend zu sein, überlegte Hasard. „Ist jemand von euch verletzt?“ fragte er, als Nuno gegangen war. „Wer hat als letzter von dem Wasser getrunken, und wer weiß, was in der Zwischenzeit passiert ist?“ „Ich, Sir“, erwiderte Dan O’Flynn von weit links. „Dad und ich haben von der Brühe nichts getrunken, wir haben deine Warnung noch rechtzeitig verstanden, und so blieben wir bis zum Schluß übrig. Pablo hat das Wasser vergiftet, das habe ich aus ihm rausgeprügelt, und er hat den Bewußtlosen nur markiert.“ Der Seewolf lauschte mit angespannten Sinnen. Seine letzte Erinnerung war die, daß ihm schlecht wurde und er sich erbärmlich elend fühlte. Von da ab wußte er nichts mehr. Alle waren aber noch immer nicht bei Bewußtsein. Der Kutscher hatte die Augen noch geschlossen, und einer der Zwillinge war auch noch nicht erwacht. Aber sie waren da, Gott sei Dank. „Weiter, Dan“, sagte er heiser. „Wir beide waren noch übrig“, berichtete Dan, „haben die Segel aufgetucht, als wir das Schiff nicht mehr steuern konnten, und warteten auf die lausigen Piraten.“ Hasard konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, als er sich vorstellte, wie die beiden O’Flynns auf die Piratenbande „warteten“. „Dann segelte die Karavelle auf. Wir haben ihr ein paar Brandsätze rübergefeuert, und schon stand der Kasten in Flammen.“ „Genauso war’s“, bestätigte der alte O’Flynn grimmig. „Danach gaben wir ihr mit den Drehbassen den Rest“, berichtete Dan, als handele es sich um eine alltägliche Übung. „Ar-we-nack!“ brüllte Smoky begeistert, und die anderen stimmten in das Gebrüll
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lautstark mit ein. Bis Dan weitererzählte, verging fast eine ganze Minute. „Hinter der Karavelle befand sich die Galeere, und die haben Don Bosco und seine Brut aus dem Wasser gefischt. Danach haben sie vier Boote ausgesetzt, und dann ging es uns an den Kragen. Sie enterten von allen Seiten, und wir gaben zurück, was wir konnten. Aber es waren rund hundert Mann, und sehr lange konnten wir uns nicht mehr halten. Du kannst mir aber glauben, Sir, daß wir mindestens zwanzig von diesen Halunken noch erwischt haben. Dad hat sogar dem Don Bosco persönlich eins übergebraten.“ Wieder erklang Gelächter, die Seewölfe konnten sich kaum beruhigen, und Dan und sein Vater wurden mit Lob überschüttet. „Das schönste Tänzchen“, sagte der Alte, „das gab es bei uns an Deck, als wir die Piratenschuhe aufgestellt hatten. Da sind die Kerle wie blinde Fische reingesprungen.“ „Daran habt ihr gedacht?“ rief Ferris Tucker. „Mann, euch gehört ja ein Orden für das, was ihr vollbracht habt.“ „Ich danke euch“, sagte Hasard einfach. „Was ihr getan habt, werde ich nie vergessen. Ihr habt euch verdammt tapfer geschlagen.“ „Jawohl, das haben sie“, sagte Carberry. „Ein Hoch auf die eisenharten O’Flynns !“ Augenblicklich wirkten sie gar nicht wie hilflos Gefangene, denn in der großen Grotte wurde plötzlich gebrüllt, und immer wieder erklang unbändiges Gelächter, wenn die O’Flynns erzählten, wie die Piraten sich ihre Nagelschuhe angezogen hatten. „Wo befinden wir uns jetzt?“ fragte Hasard. „Weiß das einer? Habt ihr etwas mitgekriegt, Dan?“ „Nein, sie haben uns in der Vorpiek eingesperrt. Aber wir sind nur ein paar Stunden lang gesegelt. Es scheint eine der südlichen kleinen Caicos-Inseln zu sein, Sir.“ „Was mögen sie jetzt mit uns vorhaben?“ erkundigte sich Blacky, der seit einiger Zeit das Bewußtsein wieder erlangt hatte.
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„Ja, wenn ich das wüßte“, sagte Hasard. „Ich weiß nur, daß unsere Zukunft ziemlich düster aussieht, solange wir hier angekettet sind.“ „Du befürchtest aber etwas anderes, Sir!“ rief der Profos. „Du kannst es uns ruhig sagen, ganz sicher haben wir die gleichen Gedanken.“ „Er wird uns auf die Galeere stecken“, gab Hasard darin auch unverblümt zu. „Aber selbst damit haben die meisten von uns ja schon genügend Erfahrung.“ „Und dieses fette Rübenschwein wird seine Wut an uns auslassen“, sagte Ed. „Aber Galeere hin, Galeere her, wir sind noch ganz gut dran, wir haben keinen einzigen Mann verloren, und das ist mehr wert als alles andere.“ Hasard wandte sich an seinen Sohn Philip, der genauso angekettet war wie die Erwachsenen. „Wie fühlst du dich, Junge?“ „Mein Schädel brummt, Dad, und Hasard wird gleich aufwachen, er bewegt sich schon.“ „Na, hoffentlich. Jetzt hört mir mal gut zu, solange wir noch allein sind. Nennt mich von nun an nicht mehr Dad, und sage es später auch deinem Bruder. Hast du verstanden, Philip?“ „Aye, Sir, aber warum nicht? Und was ist aus Arwenack und Sir John geworden?“ fragte er im selben Atemzug. „Die sind noch an Bord“, sagte Dan. „Denen hat niemand etwas getan, die hüpfen und fliegen noch herum.“ Hasard ergriff wieder das Wort. Er mußte die Zeit nutzen, denn wenn die Kerle wieder aufkreuzten, war an eine Unterhaltung nicht mehr zu denken. Die Sorge um den Affen und den Papagei war der Bengel jetzt ja los. „Aus folgendem Grund, Philip: Niemand braucht zu wissen, daß ihr meine Söhne seid, falls es den Kerlen nicht selbst auffällt. Dann haben sie keinen Grund, mich zu erpressen, oder jedenfalls keinen so nachhaltigen Grund, und sie können mich nicht so unter Druck setzen. Kapiert?“ „Ja, Sir. Und was sind wir dann?“
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„Einfache Schiffsjungen, die von zu Hause ausgerissen sind, weil sie Abenteuer erleben wollten.“ „Wir werden denen schon die Hucke vollügen, Dad“, versicherte Philip treuherzig, und davon war Hasard voll und ganz überzeugt, er kannte seine beiden Helden immer noch besser, als die sich selbst kannten. „Wir sind hier in einem langen schlauchartigen Gewölbe, Sir“, sagte Pete Ballie, der sich am weitesten vorn befand. „Ich kann den Ausgang aber nicht erkennen. Aber nicht weit von mir befinden sich ein paar Palmen und urwaldähnliches Dickicht.“ „Kannst du das Meer sehen, Pete?“ „Nein, aber ich rieche es, wir sind ganz dicht dran.“ Insgesamt brannten nur vier Fackeln in dem Gewölbe, wie Hasard feststellte, aber das Licht reichte doch aus, um alles erkennen zu können, wenn sich die Augen erst einmal daran gewöhnt hatten. Der Seewolf lehnte sich mit dem Rücken an die Felswand und dachte über diese Ratte von Pablo nach, der es mit einem ganz einfachen Trick geschafft hatte, sie alle flachzulegen. Er entsann sich auch Old O’Flynns Batutis kategorischer Ablehnung und bereute, daß er auf die Männer nicht gehört hatte. Jetzt war das zu spät, die Zeit war vorüber, und es war unsinnig, sich weiteren Gedanken darüber hinzugeben. Sie sollten jetzt vielmehr überlegen, wie es weiterging, und wie es ihnen gelingen könnte, den Spieß umzudrehen, um Don Bosco in die Pfanne zu hauen. „Was ist eigentlich aus diesem Lausekerl Pablo geworden?“ erkundigte sich Hasard. Er hörte Dan O’Flynn leise lachen. „Er hat auch von dem Wasser getrunken, Sir. Ich zwang ihn dazu, und etwas später fiel er um. Jetzt befindet er sich natürlich wieder bei seinen Kumpanen.“ „Habt ihr auch alle so verdammtes Schädelbrummen?“ fragte Smoky, der gerade prüfte wie stark die eisernen
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Halteringe in die Felswand eingelassen waren. Alle bestätigten das, und Will Thorne sagte: „Es ist, als hätte ich zuviel Rum gesoffen. Mein Schädel dröhnt wie eine riesige Glocke, und jede Drehung tut weh.“ „Das wird wieder vorbeigehen, das ist nicht so schlimm“, meinte Ferris Tucker. „Viel schlimmer ist das, was uns bevorsteht. Ich überlege pausenlos, wie wir aus diesem Loch wieder entwischen können, aber bisher ist mir noch nichts eingefallen.“ „Die Halterungen kriegen wir nicht auf“, sagte der Profos. „Das ist starkes Eisen, tief in den Felsen getrieben. Da gibt nichts nach, das ist solide Arbeit.“ „Augenblicklich können wir jeden Gedanken an Flucht vergessen“, sagte Hasard. „Dazu wird sich vielleicht später eine Möglichkeit ergeben, wenn die Kerle einmal nicht aufpassen. Jetzt werden sie noch damit beschäftigt sein, unser Schiffchen auszumisten.“ Der Gedanke an die „Isabella“ bedrückte nicht nur ihn, sondern auch die anderen. Natürlich hatten die Piraten längst gespitzt, was sie alles in den Laderäumen hatten, und die Kostbarkeiten hatten sicher schon den Besitzer gewechselt. Der Eingang der Höhle verdunkelte sich leicht, und als Hasard den Kopf drehte, erkannte er den Schlagmann Nuno. Hinter ihm folgte noch jemand, den Hasard nie gesehen hatte. Seiner Vermutung nach konnte es sich nur um Don Bosco handeln. * Nuno lief zielstrebig durch den Gang, und zeigte mit der. Neunschwänzigen auf den Seewolf, aber Don Bosco blieb stehen und betrachtete voller Neugier die angeketteten und in Eisen gelegten Seewölfe. Er sah sich Pete Ballie an, der ihn höhnisch angrinste, ging von einem zum anderen und studierte die Gesichter, als wolle er sich jede Einzelheit genau einprägen. Vor Carberry blieb er besonders lange stehen.
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„Ist das der Mann, den du nicht geschafft hast, Nuno?“ wollte er wissen. „Oder ist es der rothaarige Kerl?“ „Der erste ist es“, sagte Nuno widerwillig. „Hm, ein kräftiger Bursche. Und du warst der Profos der ranken ‚Isabella’?“ wandte er sich an Carberry. „Ich war nicht der Profos, du Rübenschwein“, sagte Carberry kalt. „Ich bin immer noch der Profos der ‚Isabella’, und daran wirst du Bastard nicht das geringste ändern. Und wenn du mich weiterhin so anstierst, dann ziehe ich dir die Haut in Streifen von deinem verdammten Affenarsch.“ Don Bosco zuckte etwas zurück, aber er schluckte die Beleidigung stillschweigend. Als Nuno herbei rannte, um mit der Neunschwänzigen zuzuschlagen, schob der Pirat ihn zur Seite. „Später“, sagte er lässig, „du kannst dich noch genügend austoben. Verschwinde, ich will mir die Kerle erst in aller Ruhe genau ansehen.“ Dann wandte er sich wieder Ed zu. „Ihr habt Wunderdinge vollbracht“, sagte er, und Carberry glaubte in seiner Stimme leichte Bewunderung mitschwingen zu hören. „Aber auch Kerle wie ihr finden einmal ihren Meister. Diesmal habt ihr ihn gefunden. Ihr. seid erledigt, ich kann mit euch tun, was ich will. Für euch gibt es keine Zukunft mehr.“ Ed grinste aus seinem narbigen Gesicht und sah den Piraten verächtlich an. „Dann wirst du ja auch gehört haben, daß es noch keinem gelang, uns an die Rah zu hängen, du Stinkfisch. Und das haben schon verdammt viele vor dir versucht. Wir werden dir auch diesmal zum. Tanz aufspielen, auch wenn es jetzt nicht danach aussieht.“ Carberry erwartete, daß der Pirat ihn schlug oder nach ihm trat, doch nichts dergleichen geschah. Don Bosco sah ihn nur sehr nachdenklich an, dann lachte er leise. „Zum ersten Tanz spiel ich auf, Narbenmann. Und der wird dir noch verdammt lange in Erinnerung bleiben.“
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Als sei Carberry gar nicht mehr vorhanden, ging er weiter und blieb vor den Zwillingen stehen. „Aha, die Schiffsjungen“, sagte er, so wie Hasard es insgeheim erwartet hatte. „Der eine ist noch nicht ganz da. Na, für euch habe ich auch Verwendung, notfalls als Haifischfutter.“ Philip gab keine Antwort, er blickte direkt an Don Bosco vorbei. Der Pirat blieb jetzt vor Batuti stehen, aber dabei warf er aus den Augenwinkeln einen schnellen neugierigen Blick auf den Seewolf. „Ein Bimbo bei den Seewölfen“, sagte er staunend. „Oder haben sie dich als Sklaven an Bord gehabt?“ Batutis mächtiger Brustkasten wölbte sich. Seine schwarzen Augen funkelten Don Bosco wütend an, und er stieß blitzschnell den Kopf vor. Im allerletzten Moment wich der Pirat aus, sonst hätte ihn der Schädel m Gesicht getroffen. „Batuti schlagen dich in Stücke“, klang es tief und grollend aus dem Mund des Gambia-Negers. „Bald soweit, daß Batuti dir geben Trittarsch!“ „Zieh dem Kerl eins über, Nuno!“ befahl Don Bosco kalt. Nuno schlich heran, ein lauerndes, hämisches Grinsen auf den Lippen, hob die Neunschwänzige und ließ sie klatschend auf Batutis Seite niedersausen. Zu seinem Ärger sah er, daß der riesenhafte Neger nicht einmal zuckte. Nur ein Blick aus diesen Augen traf Nuno, und blitzschnell schlug er ein zweites Mal zu. „Der Bimbo kriegt einen Extraplatz“, ordnete Don Bosco an. „Vergiß das morgen nicht.“ „Ganz sicher nicht“, sagte Nuno. „Ich werde diese Kerle schon alle gründlich versorgen.“ Der Pirat schritt weiter, bis er vor dem Seewolf stand. Er sah einen sechs Fuß großen, breiten und harten Mann vor sich, der seinen Blick aus eisblauen Augen zurückgab. Rein instinktiv trat er an den schwarzhaarigen Riesen nicht so dicht heran.
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Der Seewolf, dachte er, und er konnte nicht verhindern, daß ihm ein kühler Schauer über den Körper lief. Eigentlich war für ihn immer noch unfaßbar, daß es ihm gelungen war, ausgerechnet diesen Mann in die Hände zu kriegen. Er haßte ihn nicht, und er hatte mit ihm auch nicht abzurechnen, aber dieses Gefühl der Übermacht wollte er auskosten, solange es ging, und es steigerte ihn in eine Art Machtrausch, daß er sie alle hatte, jeden einzelnen dieser fast legendären Besatzung. Die beiden Männer musterten sich, und auch Hasard prägte sich dieses Gesicht des Piraten ein. Seiner Ansicht nach war dies ein Mann, der eiskalt über Leichen ging, um sein Ziel zu erreichen. Und er war kein Dummkopf, ganz sicher nicht, denn er berechnete seine Aktionen, sein Handeln, und diesmal war seine Kalkulation ja auch grandios aufgegangen. Sein erstes Ziel hatte er erreicht. „Du bist also der Mann, den sie den Seewolf nennen“, sagte er mit etwas heiserer Stimme. „Dein richtiger Name ist Philip Hasard Killigrew, nicht wahr?“ „Aye, aye, Sir“, sagte Hasard, aber diese drei Worte klangen Don Bosco weitaus schmerzlicher in den Ohren, als wenn der Seewolf ihn beleidigt hätte. Er fühlte sich von diesem sehnigen großgewachsenen Mann irgendwie auf den Arm genommen, ohne daß er sagen konnte, warum das so war. Er räusperte sich, und trat einen halben Schritt weiter zurück. Verdammt, überlegte er, wie kam man an diesen Kerl am besten heran, ohne daß der das ins Lächerliche zog? Vielleicht gehörten auf diesen Klotz gröbere Keile. „Deine Überheblichkeit wird dir noch vergehen“, sagte Don Bosco kalt. „Du bist dein Schiff los, und ihr seid meine Gefangenen.“ „An dieser Tatsache zweifle ich keinen Augenblick“, sagte Hasard gelassen. „Mittlerweile ist uns das auch schon klar geworden. Hast du sonst noch mehr Neuigkeiten zu verbreiten?’ Don Bosco stieg die Galle hoch.
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„Schon noch einige!“ brüllte er. „Und die wirst du auch gleich erfahren!“ „Weshalb schreist du denn so?“ fragte der Seewolf. „Hast du Angst vor der eigenen Courage?“ Don Bosco verfärbte sich. Ja, er hatte Angst vor der, eigenen Courage, wie dieser Killigrew das ausdrückte. Der hatte den Nagel voll auf den Kopf getroffen und schien die Menschen zu kennen. „Ich - und Angst? Dann hätte ich nicht versucht, euch zu kriegen. Dazu gehört schon Mut, das muß ich zugeben!“ Hasard sah den Mann verächtlich an. „Mut“, sagte er, „wo war denn dein Mut, he? Brunnenvergifter sind doch die feigste und hinterhältigste Sorte, die es gibt. Wo blieb denn dein Kampf? Du hast einen Feigling vorgeschickt, der heimtückisch das Wasser vergiftete. Das tun alte, kraftlose Weiber. Aber du hast Angst vor uns gehabt, sonst hättest du uns angegriffen. Und zwei meiner Männer haben noch mehr als zwanzig von euch flachgelegt. Sprich nur nie wieder von Mut in meiner Nähe!“ Don Bosco war blaß geworden, seine Hände begannen zu zittern, er hatte sich nur sehr schlecht in der Gewalt. Nuno hastete schon eilfertig herbei, aber er schob ihn zur Seite. „Verschwinde, du Mastochse“, sagte Hasard grob. „Eines Tages werde ich dir jeden Schlag zurückzahlen, für jeden meiner Männer.“ „Und aus seinen Knochen schnitzten wir Flöten!“ schrie der Profos herüber und lachte laut. „Oder wir werfen in England damit die Nüsse von den Bäumen“, sagte Ben Brighton laut. Wieder erklang Gelächter. Don Bosco hatte Mühe, sich durchzusetzen. Als Nuno nicht gleich verschwand, trat der Pirat nach ihm und erwischte ihn auch voll am Achtersteven. „Jawohl, gib’s ihm, dem Fettsack“, sagte Carberry lachend. „Du fängst an, mir zu imponieren.“ Daraufhin brach in der Grotte ein schallendes Gelächter aus, als hingen die
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Kerle nicht in Eisen, sondern feierten gerade ein lustiges Fest. Don Bosco war nicht mehr Herr der Lage. Diese Seewölfe mußte man totschlagen, sonst hatte man keine Gewalt mehr über sie, selbst dann nicht, wenn sie in Eisen lagen und angeschmiedet waren. Sie schienen ihn einfach nicht für voll zu nehmen. „Ich bin gespannt, ob ihr morgen immer noch so lustig seid“, sagte er. „Ich glaube es kaum. Und was das Kämpfen betrifft, Killigrew. Ich bin nicht zu feige dazu, ich wollte nur dein Schiff unbeschädigt haben - und die Schätze natürlich. Im offenen Kampf hätte ich sie nicht erbeutet, das weiß ich. Euch will ich aus einem ganz bestimmten Grund lebend, denn ich brauche euch noch, als Tote oder als Lebende, darüber könnt ihr selbst entscheiden.“ Die letzten Worte hatte er ganz ruhig gesprochen, und Hasard rätselte noch darüber nach, aber er verstand den Sinn nicht richtig. Dann wurde Don Boscos Stimme höhnisch. „Ich danke dir jedenfalls für das feine Schiff, Killigrew, und auch für die überaus prächtige Ladung in den Räumen. Es sind wirklich großartige Schätze. Ich werde sie später an meine Leute verteilen.“ Er trat noch dichter an den Seewolf heran und sprach leiser. „Ich will aber den großen Anteil der Schätze, Killigrew.“ „Dann nimm ihn dir doch“, sagte Hasard ungerührt. „Das Verteilen ist doch deine Angelegenheit.“ Don Bosco kreuzte die Arme über der Brust und grinste überheblich. Dabei zeigte er seine weißen Zähne wie ein Wolf, der sich gerade auf seine Beute stürzt. „Ich spreche von anderen Schätzen, Mann. Schätze, die unermeßlich größer sind als die auf dem Schiff.“ Jetzt wußte Hasard endlich, woran er war, und er begriff auch die Worte, die der Pirat vorhin gesagt hatte. Die ganze Tragweite dieses einen Satzes wurde ihm jetzt deutlich bewußt.
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„Die anderen Schätze mußt du dir in England bei der Königin holen“, sagte Hasard. „Dorthin haben wir sie nämlich gebracht.“ „Alle?“ fragte Don Bosco grinsend. „Wirklich alle? Kannst du mir dein ort darauf geben?“ „Ich gebe einem Bastard nie mein Wort. Aber du darfst dich gern in London erkundigen.“ Diesmal war der Pirat nicht aus Ruhe zu bringen. Sein hinterhältiges Grinsen mißfiel dem Seewolf, er wußte auch genau, auf was Kerl hinauswollte. Er deutete an, daß er etwas von der Existenz der Schlangen-Insel wußte, der Insel, wo die unermeßlichen Reichtümer im Schlangentempel laden, seit etlichen Jahren schon. Schätze waren schon mehr als mal das Ziel beutehungriger Piraten gewesen, aber bisher hatte es blutige Köpfe gegeben. Das Gold und Silber lagerten immer noch dort, davon war der Seewolf überzeugt. Denn solange es einen Jean Ribault, den Wikinger oder die Rote Korsarin gab, würden diese Schätze dort liegen bleiben. Das überlegene Grinsen wich nicht aus Don Boscos Gesicht. Lauernd sah er den Seewolf an, dann grinste er noch breiter. „Weißt du jetzt, warum ich euch lebend haben will? Es gibt dort irgend- wo ein kleines Eiland, und meine Zuträger haben mir geflüstert, daß sich dieses Eiland Schlangen-Insel nennt. Das würde ich mir zu gern einmal ansehen. Was meinst du, Killigrew?“ Hasard ließ sich nichts anmerken, und auch die anderen, die die Worte gehört hatten, gaben sich betont gleichgültig, als der Name der Insel Aus den Augenwinkeln sah Hasard, daß in den Köpfen der Arwenacks bereits die ersten Gedanken zündeten und es in den Schädeln zu rumoren begann. Die, die etwas kürzere Zeit zum Warmlaufen brauchten, würden auch bald erraten, was hier passierte. „Dann schwimm doch hin“, schlug Hasard vor. „Vielleicht ist dieses Eiland ganz in der Nähe.“ „Diesmal weiß ich mehr als du, Seewolf!“
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„Dann weißt du ja, ob es die Insel gibt, oder ob sie nur in deiner Phantasie existiert“, erwiderte Hasard trocken. „Wie wär’s, wenn ihr mich hinrudert?“ Hasard gab darauf keine Antwort. Er hob nur die Schultern und versuchte den Kopf zu schütteln. „Ich weiß nicht, wer dieses verdamme Gerücht überhaupt in die Welt gesetzt hat. Es kursiert hier seit zehn Jahren in Tortuga, und jeder behauptet, ich hätte hier einen Stützpunkt. Das ist doch alles Quatsch und dummes Gefasel. Du bist ein paar Spinnern aufgesessen und hast jedes Wort geglaubt, Mann! Erkundige dich bei Diego, wir waren seit zehn Jahren nicht mehr hier, und wer läßt schon seine angeblichen gewaltigen Schätze auf einer Insel einfach im Stich! Was wir erbeuten, liefern wir der Krone ab und behalten nur unseren vorgeschriebenen Anteil.“ Hasard sah an dem flackernden Blick seines Gegenübers, daß Don Bosco zum erstenmal verunsichert wirkte. Seine Worte hatten anscheinend doch recht überzeugend gewirkt, aber dann schüttelte der Pirat den Kopf. . „Nein, ich weiß es besser“, behauptete Don Bosco, „und ich werde auch herauskriegen, wo diese Insel liegt, und zwar schon sehr bald! Du wirst es erleben, denn dann sage ich dir, welchen Kurs wir steuern!“ „Darauf werde ich warten“, sagte der Seewolf, der jetzt ungeahnte Komplikationen aufziehen sah und sich im Geist nur höchst ungern ausmalte, was alles geschehen würde. „Aber dieser Stützpunkt existiert wirklich nicht. Irgendjemand hat in Diegos Kneipe mal damit angefangen, und jeder der es hörte, gab noch etwas dazu, und so wurde aus einer bloßen Spinnerei plötzlich ein Stützpunkt und eine Schlangen-Insel.“ Don Bosco schluckte schwer. Er mußte sich überwinden, um nicht in einen Wutanfall auszubrechen. Er hatte über die Insel schon soviel gehört, er wußte, daß es sie gab. Es irritierte ihn lediglich, daß der Seewolf mit so bestimmter Stimme sprach und auch stichhaltige Argumente brachte. Aber Don
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Bosco war nicht der Mann, der sich so leicht ins Bockshorn jagen ließ. „Na, also, was soll denn dieses dumme Gefasel?“ fuhr der Seewolf fort. „Angeblich haben wir schon Wunder vollbracht, und jeder dichtet uns Heldentaten an, die wir gar nicht vollbracht haben. Ich glaube, du hast dich da in etwas völlig Falsches verrannt.“ „Das glaube ich nicht“, widersprach der Pirat, und ein tückisches Grinsen erschien in seinem Gesicht. Nein, es gab diese Insel, das konnte ihm keiner ausreden, auch nicht der Seewolf. Er hatte verläßliche Informationen darüber, und außerdem hatte die Rote Korsarin, von der er schon viel gehört hatte, ein geheimes Versteck zusammen mit diesem in lange Felle gekleideten Nordmann, den sie den Wikinger nannten. Und dieses Versteck, so folgerte Don Bosco, war eben die Schlangen-Insel. Außerdem glaubte Don Bosco zu wissen, wo sich die Schlangen-Insel befand. Und die Aktion, die er vor ein paar Tagen gestartet hatte, sollte ihm Gewißheit darüber bringen, daß er sich nicht irrte. Er gewann wieder an Boden und lächelte spöttisch. „Ich wünsche euch allen eine letzte ruhige Nacht“, sagte er. „Denn ab morgen wird es euch an nichts mehr fehlen, hauptsächlich an Arbeit nicht. Ihr werdet es gut haben auf meiner Galeere, hauptsächlich diese beiden Kerle, die uns so lange in Atem gehalten haben. Und der Profos auch, um den sich Nuno kümmern wird. Nuno“, wandte er sich an den schweigsam dastehenden Schlagmann. „Du holst noch zwei Männer herauf und bringst Fackeln mit. Diese Kerle werden ständig bewacht, pausenlos. Und jedem, der ein Wort quatscht, ziehst du sofort eins über. Ich will nicht, daß diese Kerle untereinander Absprachen treffen. Und wenn die Schläge nichts nützen, dann stopf ihnen die Fackeln ins Maul.“ „Mit Freunden, Don Bosco, mit tausend Freuden“, versicherte der glatzköpfrge Schlagmann.
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Ohne sich noch einmal umzusehen, ging Don Bosco zum Eingang. Erst dort blieb er stehen und warf einen Blick zurück. Er sah, daß einer der beiden vermeintlichen Schiffsjungen sich ebenfalls wieder erholt hatte, und ihm fiel die Ähnlichkeit selbst im schwachen Licht der Fackeln auf. Wahrscheinlich sind es Brüder, dachte er, und wollte gerade hinausgehen, als er noch einmal stehenblieb. Merkwürdig, die Bengels ähnelten dem Seewolf, fand er, sie hatten die gleichen schwarzen Haare, fast die gleichen Gesichter, und er grübelte noch darüber nach, als der Profos ganz bewußt die Situation rettete. „He, du Affenarsch!“ brüllte er. „Bring uns wenigstens was zu trinken, und wenn’s Rum ist. Und was glotzt du die beiden Kerlchen immer so an, he? Bist du etwa einer von der Sorte, denen kleine Jungens gefallen. Don Bosco fuhr auf dem Absatz herum, raste zu Carberry hinüber und schlug ihm die Faust in die Rippen. Aber durch diesen Vorfall hatte er die beiden Jungen vergessen, und mehr wollte Ed ja auch gar nicht. Er steckte den Hieb ein und sagte gelassen: „Du bist und bleibst trotzdem ein Affenarsch!“ Don Bosco ging an den Zwillingen vorbei, ohne sie noch einmal zu beachten, und trat ins Freie. Dort war es jetzt mittlerweile dunkel geworden. Gleich darauf kehrten zwei Piraten mit Fackeln zurück, und Nuno rannte auf seinen Säulenbeinen wichtigtuerisch an den Seewölfen vorbei und lauerte darauf, daß sie ein Wort sagten. Sie schwiegen alle - bis auf Carberry, der es nicht lassen konnte, den Schlagmann doch noch zu reizen. Er mußte ihn provozieren, für Ed führte einfach kein Weg daran vorbei. „He, Fettsack!“ rief er laut. „Ich bitte um eins mit der Peitsche! Ich hab nämlich etwas zu sagen!“ Nuno ließ sich nicht zweimal bitten. Carberry war das reinste Gift für ihn, am liebsten hätte er den Profos umgebracht. Aber das war gegen Don Boscos
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Anordnungen. Aber schlagen durfte er ihn, er mußte sogar draufhauen, wenn einer das Maul aufriß. Die Adern an seinem Hals schwollen an, als er mit der Neunschwänzigen ausholte und zuschlug. Dann trat er grinsend zurück, hatte aber immer noch auf Carberry eine unbeschreibliche Wut. „So“, erklärte er hämisch, „jetzt kannst du es sagen.“ „Du bist das ungewaschenste und fetteste Rübenschwein, das ich je gesehen habe“, sagte Ed grinsend. Dafür zog Nuno ihm noch eine über, und er legte alle Kraft in diesen Schlag. Doch der eisenharte Profos war nicht zu erschüttern. Carberry hatte schon ganz andere Sachen eingesteckt, und diese Neunschwänzige war lange nicht so schmerzhaft wie manche andere. Immer noch grinsend, spuckte Ed dem Schlagmann vor die Füße. Die Zeit verstrich, und für die Seewölfe sah es keinesfalls rosig aus, Ihr Schicksal war mehr als ungewiß. 9. Am anderen Morgen erschienen in aller Frühe ein Dutzend Piraten. Sie trugen Pistolen in den Fäusten und umringten Pete Ballie, der dem Eingang am nächsten stand. Sie ketteten ihn los, bedrohten ihn mit den Waffen, banden ihm die Arme zusammen und schleppten ihn nach draußen. Nuno selbst überwachte den Transport. „Ihr müßt ja verdammten Schiß vor jedem einzelnen von uns haben“, sagte der ehemalige Schmied von Arwenack verächtlich, aber er erhielt keine Antwort. Etwas später wurden die Zwillinge geholt, und sie waren die einzigen, die man nicht fesselte. Einer nach dem anderen kam an die Reihe, und als sie den Profos holten, baute sich Nuno vor ihm auf. „Wenn du einen Trick versuchst, Narbenschnauze, dann knallen wir dir Blei in den Wanst. Versuch’s nur, ich warte schon darauf.“
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„Ich werde dich enttäuschen, Saukopf“, sagte Ed. „Ich will doch noch den Tag erleben, an dem ich dich zu fettem, stinkendem Mus verarbeiten kann. Dauert nicht mehr lange“, setzte Ed hinzu. Nuno war von berstendem Haß gegen Ed erfüllt, und der steigerte sich mit jedem Wort, das der Profos sagte. Er lief wieder rot an und begann vor Wut zu zittern. Als Hasard geholt wurde, paßten noch mehr Männer auf ihn auf, und sie schleppten ihn fast nach draußen. Der Seewolf sah ein, daß es keine Gegenwehr gab, denn die Kerle würden nicht zögern, sofort zu schießen, und er wollte das Los seiner Männer nicht noch verschlimmern, es sah ohnehin schlimm genug aus. Draußen schien warm die Sonne von einem strahlend blauen Himmel, und Hasard hatte Zeit sich umzusehen. In der kleinen versteckten Bucht lag die Galeere, die sie schon auf Tortuga gesehen hatten. Am Heck hatte jemand den Namen „Conchita“ eingeritzt. Ein paar zusammengenagelte Planken führten an Bord. Überall standen abenteuerliche Gestalten herum, Kerle, die den Abschaum der Weltmeere bildeten, Piraten, Marodeure, Gauner und Schnapphähne, denen die Gier in den verderbten Visagen stand. Es war ein gut angelegtes Versteck, fand Hasard, eine Bucht, in die man vom Wasser aus keinen Einblick hatte. Vermutlich, so sah es jedenfalls aus, hatte Don Bosco sie noch zusätzlich mit Dickicht, Gestrüpp und Palmen bepflanzen lassen. Derbe Stöße ins Kreuz zwangen ihn weiter, vier Kerle hielten ihre Pistolen ständig auf ihn gerichtet. Nuno rannte neben ihm her und achtete auf die kleinste Bewegung. Er wirkte nervös und war sichtlich froh, daß alles bisher so glatt verlaufen war. Trotzdem saß ihm die Angst im Nakken, einer dieser unberechenbaren Teufel würde noch ausbrechen und hier alles umkrempeln. Den Seewölfen traute er alles Mögliche zu, und er war seine Sorgen erst dann los, wenn sie angekettet auf den Bänken der Galeere saßen.
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Links in der Bucht sah Hasard die „Isabella“ liegen, und es gab ihm einen leichten Stich, als er die Gestalten an Bord sah. Nicht einmal die Segel haben sie richtig aufgegeit, dachte er wütend. Noch ein paar Tage, und das Schiff würde genauso dreckig aussehen wie die vergammelte Galeere. Hasard entsann sich ähnlicher Situationen. Es war nicht das erste Mal, daß sie die „Isabella“ verloren, und er gab die Hoffnung nicht auf, daß sie das Schiff wieder zurückerobern konnten, auch wenn es eine Weile dauerte. Nuno stieß ihm den Stiel der Neunschwänzigen in die Rippen und lachte schadenfroh. „Sieh sie dir an, deine Galeone. Jetzt hat sie den Besitzer gewechselt, jetzt gehört sie uns.“ „Dann wird sie auch bald so verlottert aussehen wie ihr“, sagte Hasard kalt. „Im übrigen erzählst du mir keine Neuigkeiten, du hirnloses Faß.“ Nuno drückte vor Wut kräftiger zu, aber da blieb der Seewolf überraschend stehen und sah dem Schlagmann in die Augen. Drei Kerle hoben ängstlich ihre Pistolen noch höher, und einer kreischte: „Paß auf, der hat was vor. Nehmt euch in acht, drückt lieber gleich ab, sonst ...“ „Ihr Trompeter“, sagte Hasard verächtlich, „ich glaube, ihr habt noch vor toten Seewölfen Angst. Und dir Tranfaß kann ich nur ganz dringend empfehlen, mir später nie über den Weg zu laufen. Das endet für dich mit Sicherheit tödlich.“ „Es wird kein Später geben“, erklärte Nuno gehässig. „Dafür werde ich schon sorgen. Ich werde euch so lange durchpeitschen, bis ihr alle viere von euch streckt. Einen nach dem anderen bringe ich um, so wahr ich Nuno heiße. Und jetzt geh weiter, oder du kriegst eine Kugel in den Rücken.“ Der Seewolf gab keine Antwort. Er sah Piraten aller Kaliber Spalier stehen. Manche starrten ihn respektvoll an, manche grinsten hämisch oder überlegen, und ein paar andere glotzten, als wäre Hasard ein Wundertier.
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Sie trieben ihn über die Planken auf die Galeere, auf der es vor Dreck nur so strotzte, und einen Niedergang hinunter. In der Mitte gab es einen Bohlensteg, und bei jedem Schritt schwappte dunkle Brühe von unten herauf. Die Luft in dem dämmerigen Raum war abgestanden und stickig, und als Hasard am Platz des Schlagmannes vorbeiging, da blieb er noch einmal stehen, denn die Seewölfe waren nicht die einzigen Männer auf der Galeere. Im hinteren Teil hockten insgesamt acht Mann, Männer die ganz sicher schon bessere Tage gesehen hatten. „Sieh sie dir an, Killigrew“, sagte Don Bosco plötzlich, der im Niedergang aufgetaucht war und jetzt über die Bohlen schritt. „Das sind fast alles ehemalige Kapitäne von Galeonen. Sie haben sich zur Wehr gesetzt und viele Männer von mir umgebracht.“ „Dann haben sie sicher ein gutes Werk getan“, sagte Hasard. „Sieh sie dir genau an“, wiederholte Don Bosco. „Was glaubst du, wie lange sie schon an Bord sind?“ Hasard sah in ausgemergelte, von Leid und harter Arbeit gekennzeichnete Gesichter. Müde, teilnahmslos blickende Augen sahen ihn an. Ihre Seelen waren gedemütigt, ihre Körper gebrochen. Sie schienen schon jahrelang hier zu hocken. Einer war dabei, den hatten sie nicht kleingekriegt, und er fiel auch sofort auf. Das war ein ungewöhnlich bulliger Schlagetot, ein schwarzbärtiger wilder Kerl mit aufgeworfenen wulstigen Lippen und einem goldenen Ring im Ohr. Er hatte kräftige Fäuste voller Schwielen, sein Blick war mörderisch auf Don Bosco und den Schlagmann gerichtet. Hasard hatte die Frage Don Boscos nicht beantwortet, er schätzte nur, daß sie schon sehr lang hier waren, er sah es an den zerschundenen Leibern, die tagtäglich Bekanntschaft mit der Neunschwänzigen geschlossen hatten. Don Bosco sah Hasards Blick auf den Schlagetot und grinste. „Der sieht prächtig aus, was? Das ist Nunos Liebling, aber jetzt ist es dein
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Profos geworden. Dieser Mann heißt Barbone. Barba wird er von den anderen genannt. Ein finsterer, schweigsamer Geselle, der niemanden leiden kann. So ist es doch, Barba, nicht wahr?“ „Halt die Schnauze, du verdammter Lumpenhund!“ brüllte der Mann auf der Bank, und seine Augen versprühten haßvolle Blitze nach allen Richtungen. Don Bosco lachte nur. „So ist er, immer freundlich. Na, ihr werdet euch ja sicher noch kennenlernen.“ Dann drehte er sich um und wandte sich an Nuno. „Zieh ihm eins über. Und dann geh mal zur Begrüßung der Neuen die ganze Reihe durch, damit die sich eingewöhnen.“ Hier unten schwelte der Haß, fand Hasard. Hier roch es aus allen Ecken und Winkeln nach ungezügeltem Haß und einer restlos vergifteten Atmosphäre voller Unheil, Angst und Hilflosigkeit. Dieses Ruderdeck war die Hölle, eine Hölle, wie sie nur Menschen ersinnen konnten, um andere Menschen zu demütigen und zu knechten. Dieses Deck glich allen anderen Galeeren auf der Welt, allen, die von versklavten Männern gerudert wurden. Nuno zog dem Schlagetot kraftvoll die neun Riemen der Peitsche über den Rücken. Aber Barba grunzte nur und beschimpfte den Schlagmann Mit den ordinärsten Ausdrücken. Obwohl dieser Barba vom Aussehen her ein übler Typ zu sein schien, empfand der Seewolf gedämpfte Sympathie für den Mann und nickte ihm flüchtig zu. Barba ignorierte den Blick und wandte sich ab. „Ich wollte dir noch sagen, wie lange diese Männer schon an Bord sind“, sagte Don Bosco und schlug dem Nächstsitzenden die Hand unter das Kinn, damit der Mann zu ihm aufblickte. „Wie lange bist du schon an Bord, Kerl?“ „Ein halbes Jahr, Herr“, flüsterte der Mann. Hasard schluckte entgeistert, als er das Gesicht sah. Abgezehrt, verzweifelt, mit roten müden Augen, eingefallenen Wangen
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und dicken Bartstoppeln hockte das Häufchen Elend angekettet auf der Bank. Und er hatte „Herr“ gesagt, in unterwürfiger hündischer Art, aus Angst vor Schlägen oder Mißhandlungen. „Das hat Nuno ganz allein geschafft“, erklärte Don Bosco. „Ich will damit nur sagen, daß er auch euch schafft. Nach ein paar Wochen seht ihr genauso aus, und kein Hund wird mehr einen Knochen von einem Seewolf nehmen. Ab mit ihm!“ befahl der Pirat. „Du sorgst nachher dafür, daß wir die ,Isabella` an die ,Conchita` hängen. und sie aus der Bucht gerudert wird. Der Wind ist zu schwach, wir schaffen das nicht allein.“ Nuno nickte und stieß den Seewolf vor sich her. Im vorderen Teil des Ruderdecks saßen jetzt die meisten Seewölfe, angeschlossen an die langen Ketten, die an den Bänken vorbeiliefen. Die Hände ließen nur Spielraum Zum Rudern übrig, viel weiter konnten sie sie nicht ausstrecken. Hasard blickte auf die Rücken seiner Männer. In seinem Magen spürte er einen dicken Eisklumpen. Er biß die Zähne zusammen, weil er sich nicht wehren konnte, weil er genauso hilflos war wie die anderen. Dann sah er die schmalen Rücken seiner Söhne, und sein Blick wurde so drohend und eiskalt, daß der Kerl, der ihm die eisernen Bänder verpaßte, unwillkürlich zurückwich. Sie hatten auch die Zwillinge angekettet, aber nicht wie die anderen, sondern dichter aneinander. Sie sollten offenbar einen Riemen zu zweit bedienen. Neben den Zwillingen saß Ed Carberry. Er wirkte gegen die beiden Zehnjährigen fast wie ein Gebirge aus Muskeln und Fleisch. Aber irgendwie beruhigte es den Seewolf, daß sich ausgerechnet Carberry neben den beiden auf der Ruderbank befand. Hasards Blick wanderte weiter. Da saß Ben Brighton, da Matt Davies, dort hatten sie den alten Segelmacher Will Thorne an die Kette geschlossen. Neben ihm hockte der Moses Bill.
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Der Seewolf erkannte jeden seiner Männer im Halbdunkel des Ruderdecks. Und als Don Boscos Schergen ihn anschlossen, wandten alle Arwenacks die Köpfe. Auch der Profos blickte ihn an, und dieser Kerl konnte sich trotz allem das Grinsen nicht verkneifen. „Keine Sorge, Sir“, sagte er. „Das alles ist nur vorübergehend, damit härten wir uns nur ab ...“ Nuno fuhr dazwischen, „Du sollst dein verdammtes Maul halten, deine verfluchte Narbenschnauze! Ich werde dich zerbrechen, dich als ersten, das schwöre ich dir.“ Carberry spuckte ihm verächtlich vor die Füße. „Du idiotischer Saukopf mich zerbrechen? Da lachen ja die Meermänner, wenn sie so ein dummes Zeug hören. Wir waren schon einmal auf einer Galeere, du lausiger Affenarsch. Bei den Dons. Und die war ziemlich so groß wie diese stinkige Rattengondel. Damit du klarsiehst, Saukopf. Auch die wollten uns zerbrechen, aber stattdessen wurden unsere Muskeln nur härter, und wenn wir richtig zulangten, dann brachen ihre beschissenen Riemen unter unseren Fäusten wie faules Holz. Und zum Schluß, Saukopf, hör mir gut zu, da steckten wir sie in ihre eigene Galeere, und auf der rudern sie heute noch oder sind mit ihr längst abgesoffen. So, jetzt weiß du Bescheid!“ Carberry spuckte abermals aus und wandte sich dann ab. Nuno glotzte ihn an. Fassungslos. Daß Carberry maßlos übertrieben hatte, wußte er nicht. Im Gegenteil, er begann diesem Narbenmann inzwischen alles zu glauben, was er sagte. Die anderen Seewölfe hatten kapiert, was der Profos mit dieser Aufschneiderei bezweckte, und sie blickten den Glatzkopf so grimmig, so verbissen und wütend an, daß Nuno instinktiv vor diesen Blicken zurückwich und seine Neunschwänzige, die er schon zum Schlag erhoben hatte, wieder sinken ließ.
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Als nächsten brachten sie Luke Morgan, und bei dem jähzornigen Mann gab es einen Zwischenfall. * Einen Augenblick lang war Luke unbewacht und stand auf den quietschenden Bohlen des Mittelgangs der Galeere. Als ihn dann der Schlagmann hart mit dem Stiel der Neunschwänzigen in die Rippen stieß, krümmte sich Luke Morgen zusammen. Gleichzeitig, wie das bei Luke immer der Fall war, lief sein Gesicht knallrot an, und sein jähzorniges Temperament ging mit ihm durch. Von einem Lidschlag zum anderen konnte Luke explodieren. Seine Hände waren nicht mehr gefesselt, und einer der Piraten, die ihn an die Kette schließen sollten, ließ seinen Arm los. Luke Morgan fuhr herum, tat einen Schritt auf Nuno zu, riß die Fäuste hoch, und schlug sie ihm zweimal mit aller Kraft ins Gesicht. Dieser Angriff war so überraschend, daß Nuno, der damit nicht gerechnet hatte, ins Taumeln geriet und seine Säulenbeine unter ihm nachgaben. Die beiden Schläge hatte er voll geschluckt. In seiner Unbeherrschtheit nutzte Luke die gute Gelegenheit und pflanzte ihm noch einmal hart die Faust auf die Nase. Nunos Nase blühte auf wie eine Tomate, mit einem dumpfen Laut. setzte er sich auf die Bohlen. Der Pirat, der neben ihm stand, fing sich auch noch ein bretthartes Ding ein, landete neben Nuno, und das Gewicht der beiden Kerle ließ das von den Bohlen eingedrückte Bilgenwasser aufspritzen. Die Seewölfe schrien Beifall, und von der achteren Bank, auf der Barbe saß, erklang begeistertes Gebrüll. Der schwarzbärtige Riese gebärdete sich wie wild, rasselte mit seinen Ketten und schickte sein dröhnendes Gelächter herüber. Im selben Augenblick gab es einen entsetzlichen Knall, und es hörte sich an, als explodiere das ganze Ruderdeck.
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Don Bosco war aufgetaucht, hatte seine Pistole gezogen und durch den großen Raum gefeuert. Hasard glaubte im ersten Schreck, er hätte Luke getroffen; doch die Kugel klatschte irgendwo ins Holz und blieb stecken, und Luke Morgan fiel nur deshalb um, weil ihm einer der Piraten eine Eisenkette über den Schädel schlug. Wie vom Blitz gefällt ging er zu Boden. „Ich habe euch vor diesen Kerlen genug gewarnt“, erklang Don Boscos herrische Stimme. „Die geben keine Ruhe und werden es immer wieder versuchen. Los, kettet den Kerl jetzt an. Wer sich noch einmal rührt, den lege ich um! Die Folgen habt ihr selbst zu tragen. Begreift endlich, daß es keine Chance mehr gibt.“ „Hoho“, erklang es immer noch lachend von dem Schwarzbart Barba. „Das hat mir gefallen. Es freut mich immer, wenn dieser verdammte Fettkloß was auf die Nase kriegt!“ Unbekümmert lachte er weiter, schadenfroh und laut, bis Nuno auf die Beine sprang, zur Peitsche griff und zuschlug. Aber selbst das konnte den Schlagetot nicht davon abhalten, weiterzulachen, bis ihm dicke Tränen in den Bart liefen. Nunos Nase war verquollen und an den Nasenflächen aufgeplatzt. Eine Blutspur rann ihm über das Gesicht, als er peitschenschwingend durch die Reihen lief und wahllos auf die Männer einschlug. Sie hoben Luke auf und ketteten ihn an. Er war schnell wieder bei Bewußtsein, aber er hatte einen glasigen Blick und wußte im ersten Augenblick nicht, was passiert war. „Wenn er nur nicht immer so unbeherrscht wäre“, wetterte der Kutscher, der wie ein Häufchen Unglück auf der Bank saß. „Das bringt ihm doch nichts mehr ein, höchstens die Peitsche, denn der Dicke wird sich so schnell wie möglich rächen.“ Hasard sah diesen Zwischenfall auch nicht gern, denn er half keinem weiter. Aber Luke war nun mal eben ein Hitzkopf, ein aufbrausender, wendiger, schneller und meist unberechenbarer Mann, mit dem das
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Temperament durchging und dessen Blut immer schnell in Wallung geriet. Weitere Seewölfe wurden gebracht und angekettet, und nach einer guten halben Stunde sah Hasard, daß niemand mehr fehlte. jeder hatte seinen Platz, jeder seine Kette, die er aus eigener Kraft nicht mehr lösen konnte. Die Seewölfe verspürten Hunger und Durst, und sie waren es von der „Isabella“ her gewohnt, morgens gut und reichlich zu essen. Aber auf der Galeere gab es nichts, absolut gar nichts. Nicht einmal Trinkwasser erhielten sie. Das war Nunos Art, sie gefügig zu machen. Don Bosco erschien abermals im Ruderdeck. Seine Augen gingen in die Runde, er musterte jeden Mann und fragte dann den Glatzkopf: „Hast du nichts vergessen oder übersehen? Hast du sie alle überprüft, Nuno. „Ja, alle, du kannst dich darauf verlassen, Don!” „Das will ich für dich hoffen. Ein einziger Fehler bei diesen Teufeln, und sie lassen die Hölle los.“ Dann wandte er sich an die Seewölfe. „Heute nacht bleiben wir noch in der Bucht. Morgen, nach Sonnenaufgang, nehmen wir Kurs auf die Schlangeninsel.“ Der alte O’Flynn lachte meckernd. „Da wünsche ich dir aber eine Menge Spaß, du Saufkopf!“ sagte er. Und dann fügte er hinzu: „Wie willst du sie denn eigentlich finden, wenn du nicht einmal genau weißt, ob es sie gibt?“ Don Bosco lief rot an vor Wut. „Daß es sie gibt, daran besteht für mich nicht der geringste Zweifel. Und damit ihr mir auch glaubt - ich hatte eine ganz bestimmte Insel im Verdacht, daß sie die Schlangeninsel sein könnte. So eine mit einem riesigen Felsendom, durch den man hindurchsegeln muß. Deshalb hatte ich Späher ausgeschickt, und die haben seit Tagen jene Insel belauert, aus der Ferne.“ Don Bosco grinste teuflisch und weidete sich an dem langen Gesicht des Alten, der seinen Schreck jetzt - doch nicht mehr ganz zu verbergen wußte. Und auch die
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anderen Seewölfe starrten Don Bosco düster an. „Meine Späher haben aber auch noch etwas anderes beobachtet“, fuhr er. genüßlich fort. „Zwei Schiffe haben den Felsendom vor zwei Tagen verlassen, sind in See gegangen. Eines war pechschwarz und wird von einem Mann, den man allgemein den Wikinger nennt und der so einen idiotischen Kupferhelm auf seinem Dummkopf trägt, befehligt. Das andere hatte blutrote Segel und wird von einer Frau kommandiert, die man hier in der Karibik und auch von Tortuga her schon lange kennt, von der Roten Korsarin. Die beiden haben die Schlangeninsel verlassen, und vielleicht ist dieser wilde Franzose auch nicht da. Besser kann die Gelegenheit gar nicht sein, dorthin zu segeln und sich die Schätze zu holen.“ Sogar Hasard erbleichte. Das war teuflisch, wenn das stimmte, was Don Bosco da eben gesagt hatte. Aber er verbarg seinen Schreck so gut er es konnte, und richtete den Blick seiner eisblauen Augen auf den Tortuga-Piraten. „Wenn du das alles so genau weißt, warum fragst du mich dann überhaupt? Wozu brauchst du mich dann?“ Don Bosco trat näher an den Seewolf heran. Seine Züge verzerrten sich diesmal vor Gier. „Das will ich dir sagen, Seewolf!“ zischte er. „Es gehen Gerüchte um, daß niemand in das Innere der Insel gelangen kann, der ihr Geheimnis nicht kennt. Es haben schon welche versucht, und sie starben alle. Und ich will wissen, wo eure Schätze lagern, ich denke nicht daran, mich lange auf dieser Insel aufzuhalten, ehe ich nicht auch den Wikinger und Siri-Tong vernichtet habe. Das aber kann ich erst, wenn ich das Geheimnis der Insel kenne. Und du, Seewolf, wirst es mir verraten, wie man in die Bucht gelangt und wo die Schätze liegen!“ Er verschwieg dem Seewolf, daß nur einer seiner Späher zurückgekehrt war, daß der andere von dem Mann, den er den Wikinger nannte, entdeckt und kurz und klein geschossen worden war. Daß die
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Rote Korsarin auch den zweiten gejagt, ihn aber nicht mehr erwischt hatte. Und von merkwürdigen Waffen berichteten die wenigen Überlebenden, die sich auf den zweiten Späher hatten retten können. Von Waffen, die Don Bosco ganz verdammt an den Untergang und die Vernichtung seiner eigenen Karacke erinnerten. Auch diese Waffen würde er an sich bringen. Auf der „Isabella“ hatte er schon einige von diesen gefährlichen, unheimlichen Flugkörpern entdeckt, die mit Zeichen bedeckt waren, die er nicht zu entziffern vermochte. Der Seewolf schwieg. Und sein Schweigen nahm Don Bosco als Antwort. Der Seewolf hatte jedoch begriffen, daß zumindest von Arkana und ihren Schlangenkriegerinnen in der Karibik nichts bekannt geworden war. Oder gab es sie am Ende gar nicht mehr? War Arkana mit ihren Kriegerinnen längst weitergezogen, aufs Festland zurückgekehrt? Don Bosco ließ ihm keine weitere Zeit, Überlegungen dieser Art anzustellen. „Ich habe gesagt, du wirst mir alles sagen, was ich wissen will. Und genauso wird es geschehen.“ „Da kannst du Saufkopf aber lange warten“, ließ sich Matt Davies aus dem Dunkel vernehmen. „Wie willst du verdammte Bilgenratte den Seewolf wohl dazu zwingen, falls es überhaupt dieses Geheimnis gäbe, von dem du faselst, he?“ Brüllendes Gelächter war die Antwort, aber es klang eher drohend als befreiend. Don Bosco fuhr herum. „Nuno, bring diese Hunde zum Schweigen!“ schrie er, außer sich vor Zorn. Nuno zögerte nicht. Er hieb mit der Neunschwänzigen auf die Seewölfe ein, bis ihm der Atem auszugehen drohte, und in diesem Moment ertönte von achtern das dröhnende Gelächter Barbas. „Ihr solltet diese stinkige Galeere sofort mit uns allen an Bord absaufen lassen, Don Bosco“, röhrte er. „Bei diesen Burschen da brichst du dir den Hals, die schafft ihr so wenig wie ihr mich, Barba, je schaffen werdet!“ Und wieder lachte er dröhnend,
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und er hörte damit auch nicht auf, als Nuno sich voller Wut auf ihn stürzte. Don Bosco beschlich ein ungutes Gefühl. Er spürte, wie ihm die Sache mehr und mehr entglitt, und deshalb entschloß er sich zum Äußersten. Er packte den Seewolf, und die Ketten, die Hasard trug, hinderten ihn daran, sich wirksam gegen Don Bosco zur Wehr zu setzen. „Du wirst reden, Seewolf“, schrie er, und das Ruderdeck hallte wider von seinem infernalischen Gebrüll. „Morgen frage ich dich. Morgen früh nach Sonnenaufgang. Redest du nicht, dann stirbt jede Stunde ein Mann deiner Besatzung, bis du redest. Und mit deinen beiden Schiffsjungen fange ich an, und du. Seewolf, wirst sie sterben sehen. Sterben auf die Art, wie man bei Don Bosco, dem Herrscher von Tortuga, stirbt! Es ist mein Ernst, Seewolf. Entweder du redest, oder ihr sterbt alle, einer nach dem anderen. Morgen, nach Sonnenaufgang.“ Damit verließen Don Bosco und Nuno das Ruderdeck. Zurück blieben die Seewölfe und jene .anderen Männer, die ihr Schicksal teilten. Die an die Ruderbänke der „Conchita“ gekettet waren wie sie. Hasard fühlte, wie die Blicke der Seewölfe sich auf ihn richteten. Himmel, dieser Schweinehund konnte doch nicht so unmenschlich sein und zwei zehnjährige Jungen umbringen lassen! Aber gleichzeitig wußte der Seewolf, daß Don Bosco es tun würde, gnadenlos. Ihm war jedes Mittel recht, um die Schlangeninsel und ihre Schätze zu kriegen. Er würde dabei über Leichen gehen, und wenn es die Leichen von Kindern waren. Ed Carberry räusperte sich. Dann richtete er sich auf, soweit es seine Ketten erlaubten. „Ich schwöre hiermit einen heiligen Eid, Seewolf!“ sagte er in die Stille hinein. „Ich werde nicht aus dieser Gegend verschwinden, solange auf Tortuga, diesem verlausten Piratennest, noch ein Stein auf dem anderen ist, solange dieser Don Bosco noch lebt, oder ich muß tot sein. Und es gibt kein Pardon. Gesindel wie diesen Don
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Bosco und seine Galgenvögel muß man zertreten wie ekles Gewürm, denn es verpestet die Meere!“ Erst war es Ferris Tucker, dann Big Shane, dann Dan O’Flynn, der alte O’Flynn, Ben Brighton, Smoky, Batuti und Matt Davies, die mit dumpfer Stimme wiederholten: „Wir schwören es“. Dann schworen es alle. Der Schwur klang schaurig durch das Halbdämmer des Ruderdecks, und sogar Barba, dem wilden schwarzbärtigen Schlagetot, sträubten sich die Haare, als er diesen dumpfen Schwur vernahm. „Don Bosco“, murmelte er, „du hättest diese Männer nie angreifen sollen. Jetzt bist du schon so gut wie tot. Ich weiß nicht, wie sie es anfangen werden, aber sie werden überleben, und dann- werden sie dich jagen, bis es dich und deine üblen Kerle auf den Meeren nicht mehr gibt! Und ich werde ihnen helfen, solange ich lebe, so wahr ich Barba bin!“ Der Seewolf hatte den Schwur Carberrys ebenfalls nachgesprochen. Jetzt sah er seine Seewölfe an, und plötzlich spürte er, daß ihre Stunde noch nicht geschlagen hatte. Nicht Don Bosco würde es sein, der am Ende der letzten Reise der Seewölfe stand. Ben Brighton war es, der diesmal die Stille unterbrach. „Wir haben noch Zeit, Hasard“, sagte er. „Nutzen wir sie, und lassen wir uns etwas einfallen. Dieser Don Bosco meint, was er sagt, wir müssen ihn überlisten, so, wie wir es schon oft mit unseren Gegnern getan haben.“ Der Seewolf nickte, aber gleichzeitig grübelte er vor sich hin. Die Methode, ihn zum Sprechen zu bringen, war teuflisch. Don Bosco wußte, daß der Seewolf nicht der Mann war, der seine Männer von den Folterknechten Don Boscos abschlachten lassen würde. Die Dunkelheit senkte sich über die Bucht. Nach der verblassenden Dämmerung legte sie sich wie ein. Schatten, wie der Hauch des Todes über die Männer im Ruderdeck. Der Seewolf sah wieder die schmalen Rücken seiner beiden Söhne, aber sie waren nicht mehr so gerade wie zuvor. Die
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Todesdrohung, die auf ihnen lastete, hatte sie zusammengekrümmt, und da half auch die Pranke Carberrys nicht, die den beiden Mut zu machen versuchte, indem sie den beiden hin und wieder auf die schmalen Schultern klopfte.
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Im Gegenteil, aus dieser hilflosen Geste Carberrys begriff der Seewolf erst in vollem Umfang, wie ernst und wie ausweglos ihre Lage war...
ENDE