JÓZEF SOBIESIAK • RYSZARD JEGOROW
In den Wäldern von Krasny Bor
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JÓZEF SOBIESIAK • RYSZARD JEGOROW
In den Wäldern von Krasny Bor
DEUTSCHER
MILITÄRVERLAG
Dieser Bericht ist dem im Deutschen Militärverlag erschienenen Buch „Steppengras" von Józef Sobiesiak und Ryszard Jegorow entnommen. Ins Deutsche übertragen von Ruth Matz
1.-70. Tausend Die Tatsachenreihe erscheint monatlich Deutscher Militärverlag • Berlin 1968 Lizenz-Nr. 5 Umschlag: Hans Rade Lektor: Rolf Dieter Burgdorff Vorauskorrektor: Johanna Pulpit Hersteller: Lydia Herkt Gesamtherstellung: Grafischer Großbetrieb Völkerfreundschaft Dresden
Es war Ende März neunzehnhundertdreiundvierzig. An Bäumen und Büschen brachen die Knospen auf. Wir tranken, die rosigweißen Stämme der Birken anzapfend, deren Nektar und atmeten die belebende Luft tief ein. Der Schnee schmolz zusehends, das Wasser versickerte im Sandboden, hier und da bildeten sich Lachen, kleine Rinnsale, die durch Mulden und Bodenspalten flossen. Wie viele Hoffnungen setzten wir auf den nahenden Frühling! Wie sehnsüchtig erwarteten wir ihn. Der Frühling machte uns Mut, stimmte uns zuversichtlich. Der Frühling brachte uns außerdem die für unseren Organismus so notwendigen Vitamine. Im Winter hatten wir uns ausschließlich von Fleisch- und Mehlspeisen ernährt. Niemand von uns dachte daran, daß sich der Vitaminmangel nachteilig auf unsere Gesundheit auswirken würde. Bereits Mitte Januar zeigten sich die ersten Fälle von Skorbut. Damals besaßen wir noch einen kleinen Vorrat an Zwiebeln und Rüben, aber bald war auch er aufgebraucht. Die Ärzte Melmersztajn und Melchior rieben mit einer Mischung aus Jodtinktur und Glyzerin das Zahnfleisch ein; doch das half wenig. Wir hatten einen schweren Fehler begangen, als wir im Herbst versäumten, ausreichend Kohl, Zwiebeln und Mohrrüben zu lagern. Die Dorfbewohner besaßen selbst so wenig Gemüse, daß sie uns nichts abgeben konnten.
Wie alle Strapazen und Unbequemlichkeiten ertrugen unsere Menschen auch dieses Leiden, ohne zu klagen. Mitte Februar suchte einer unserer Partisanen die in Serchów wohnhafte hochbetagte Ärztin Dr. DuninWolska auf, die uns von Zeit zu Zeit ärztliche Hilfe leistete. Sie war Witwe eines ehemaligen zaristischen Generals und Besitzerin eines kleinen Landguts in Serchów. Sie lebte sehr bescheiden und verteilte die Erzeugnisse, die ihr das Gut einbrachte, unter die ärmsten Bauern der Nachbarschaft. Die Ärztin behandelte auch die Dorfbewohner kostenlos. Kein Wunder also, daß sie sich unter den Leuten einer besonderen Wertschätzung erfreute. Unsere Partisanen schenkten ihr ebenfalls großes Vertrauen. Frau Dunin-Wolska hatte im Sommer neunzehnhunderteinundvierzig den schwerverwundeten Wassja Butko behandelt und ihn in ihrem Hause vor der Polizei und vor den Faschisten versteckt. Auch Kolja Besruk und andere ehemalige Soldaten der Roten Armee, die aus der Gefangenschaft geflohen waren, hatten sich einige Zeit bei ihr aufgehalten. Frau Dr. Dunin-Wolska verwendete in ihrer Praxis fast ausschließlich Heilkräuter. Sie kannte unzählige Mittel gegen Schußwunden, Hautleiden und andere Erkrankungen. Als die Greisin erfuhr, daß im Lager Skorbut herrschte, kam sie unverzüglich in den Krasny Bor und übernahm unsere Behandlung. Nach ihrer Meinung war ein Absud aus Kiefernnadeln ein Radikalmittel gegen Skorbut. Zwar zweifelten unsere Lagerärzte an der Wirksamkeit dieses Getränks, doch sie überzeugten sich bald mit eigenen Augen davon, daß Frau Dr.
Dunin-Wolska Erfolg hatte. Schon nach zwei, drei Wochen fühlten sich die Kranken bedeutend besser. Das Zahnfleischbluten hörte auf. Völlige Heilung konnte jedoch nur ein Nahrungswechsel bringen. Dieser Frühling des Jahres neunzehnhundertdreiundvierzig war in jeder Hinsicht von großer Bedeutung. Er war der Vorbote neuer Siege der Sowjetarmee. Der verhaßte Feind, das faschistische Deutschland, erlitt immer neue Niederlagen. Die gesamte Front geriet aus den Fugen und zerbrach unter den Schlägen der Sowjetsoldaten. Wir berauschten uns nicht an diesen Erfolgen, gingen aber mit noch größerem Enthusiasmus in den Einsatz. Die Brigade wuchs ständig. Täglich trafen bei uns neue Leute ein, die gegen die Okkupanten kämpfen wollten. Oft meldeten sich auch solche, die anfangs unseren Kampf für hoffnungslos gehalten hatten, den Einflüssen der faschistischen Propaganda erlegen waren und die die Hitlerarmee für unbesiegbar angesehen hatten. Auf einem Ritt durch den Wald begegnete ich eines Tages in der Nähe von Wolczeck einem Bekannten, dem Förster Golikow. Obwohl er die Sechzig überschritten haben mochte, war er noch stattlich, korpulent und bei guter Gesundheit. „Wie schön, daß wir uns treffen", sagte er und lächelte gutmütig. „Ich habe Ihnen viel zu sagen. Bitte, kommen Sie auf ein Gläschen zu mir herein." „Ich freue mich ebenfalls", erwiderte ich, während ich absaß und den Förster begrüßte. Golikows Haus befand sich in der Nähe, also band ich mein Pferd am Zaun fest und betrat die geräumige Stube. Der Hausherr eilte geschäftig hin und her und bewirtete mich. Endlich,
nachdem ich mich ein wenig gestärkt hatte, sagte er: „Sie hatten doch recht. Viele Jahre hindurch habe ich nicht begreifen können, was Sowjetrußland ist. Erst jetzt wird es mir klar. Es ist unwahrscheinlich! Zwanzig Jahre haben genügt, um dieses Land in eine Macht zu verwandeln, die imstande ist, die Okkupanten zu schlagen. Demnach war alles, was wir über Rußland gehört haben, eine Lüge. Weshalb habe ich es da bekämpft?" Ich schwieg, und Golikow legte eine Art Beichte ab. Der ehemalige zaristische Offizier war während der Revolution für die Interessen der russischen Bourgeoisie eingetreten und dann, erfüllt von Bitternis gegenüber dem eigenen Land und Volk, nach Polen geflüchtet. Heute sah er endlich seinen Irrtum ein. Ich unterbrach ihn mit keinem Wort. Als er geendet hatte, entnahm ich meiner Kartentasche die letzte Nummer der sowjetischen Zeitung „Krasnaja Swesda", die ich vom zentralen Lager erhalten hatte. Mit zitternden Händen griff Golikow nach der Zeitung. Auf der ersten Seite stand in großen Buchstaben: „Änderung der Dienstgradabzeichen für Generale, Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten der Roten Armee." Die erste Spalte füllten Muster von Schulterstücken und Dienstgradabzeichen, wie sie die russische Armee zur Zarenzeit getragen hatte. Golikow war sichtlich erstaunt. „Das kann nicht wahr sein." „Doch. Sie halten ein Originalexemplar der ,Krasnaja Swesda' in der Hand", erwiderte ich. Golikow blickte wie gebannt. Nach einer Weile tippte er mit dem Finger auf die Zeitung. „Oh, genau die gleichen Schulterstücke habe ich getragen, als ich
Hauptmann war. Vier Sterne und silbergestickte Epauletten ... Wer hätte gedacht, daß das einmal wiederkommt. Herr Maks, bitte sagen Sie mir, ob Sie mir glauben. Vielleicht kommt es Ihnen so vor, als spiele der alte Golikow vor Ihnen Komödie. Sie erinnern sich an unsere früheren Gespräche." „Jetzt will ich mich an nichts mehr erinnern. Ich glaube Ihnen und freue mich über Ihre richtigen Schlußfolgerungen, besonders, weil Sie von allein dazu gekommen sind." „Ich wußte immer, Sie sind ein ehrlicher Mensch, deshalb habe ich Sie gern, obwohl wir eine Zeitlang verschiedener Ansicht waren", sagte der Förster gerührt. „Ach, wenn ich nur verschiedene Dinge eher begriffen hätte! Ich wäre selber gegen die Faschisten gezogen und Ihr erster Soldat geworden." „Auch so haben Sie viel für mich getan", sagte ich. „Erinnern Sie sich noch an unsere erste Begegnung im Wald? Ich war damals am Ende meiner Kräfte. Sie retteten mich vor dem Hungertod. Wir kannten einander damals überhaupt nicht." Golikow versank in Nachdenken. Vermutlich rief er sich jenes Ereignis vor zwei Jahren ins Gedächtnis zurück. Es war zwei Monate nach meiner Flucht aus den Händen der Polizei. Tag und Nacht von ihr gesucht, irrte ich in den Wäldern umher und ernährte mich von Pflanzenwurzeln und Eicheln. Ich war schrecklich abgemagert, schmutzig, unrasiert und zerlumpt. Meine Verfolger erlaubten mir nicht, die Wälder zu verlassen; sie wären sofort auf meine Spur gestoßen. Meine Kräfte waren nahezu erschöpft. Eines Tages, während ich Rinde einer jungen Kiefer
kaute, hörte ich ein Geräusch. Ich wollte ins Dickicht flüchten, doch ich war so schwach, daß ich nach wenigen Schritten in den Schnee sank. Auf dem Weg näherte sich ein Schlitten. Ich sah den Förster mit einem Gewehr. Er entdeckte mich und hielt an. Ich beobachtete, wie er das Gewehr beiseite legte und aus dem Schlitten kletterte. „Wer sind Sie?" fragte er. „Ein Mensch, der vor Hunger stirbt." „Sie sind der Entlaufene, der von den Deutschen und von der Polizei gesucht wird?" Ich antwortete nicht. „Ich weiß es", fuhr er fort. „Seit langem bemerke ich Ihre Spuren in den Wäldern. Weshalb sind Sie nicht zu mir gekommen?" Ich schwieg. „Auch das weiß ich: Sie hatten Angst vor mir. Ich habe mir nie den Kopf zerbrochen, ob es richtig war, sich den Okkupanten zu widersetzen. Sie sind Kommunist, ich bin ein Gegner des Kommunismus, aber kein Schuft. Warten Sie hier auf mich, ich werde Ihnen etwas zu essen holen." Jetzt ist es aus mit mir, dachte ich, als Golikow in Richtung Forsthaus davonfuhr. Dieser Mensch liefert mich aus. Mühselig stand ich auf und trat auf den Weg. Die Lage war hoffnungslos. Selbst wenn ich mich zu einer letzten Kraftanstrengung aufraffte und einen Fluchtversuch unternahm, würde doch der frische Schnee, der in der vergangenen Nacht gefallen war, meinen Unterschlupf verraten. Ich blieb. Nach einer halben Stunde kam Golikow zurück und packte einen Leinenbeutel mit Wurst, Brot, Speck und
Zwiebeln aus. - All das verfolgte ich mit Mißtrauen. „Nun, ich habe Ihnen einiges mitgebracht. Es ist furchtbar, wie Sie aussehen. Ein reines Skelett." Ich ergriff einen Wurstring und begann gierig zu essen. „Seien Sie nur vorsichtig", warnte mich Golikow. „Sich nach einer so langen Hungerperiode satt essen kann den Tod bedeuten. Mir ist eine Reihe ähnlicher Fälle bekannt." Ich lächelte ihm zu, hörte aber nicht eine Minute auf zu essen. „Genug! Sie benehmen sich wie ein Kind. Ich will Sie nicht auf dem Gewissen haben." Golikow riß mir die Wurst aus den Händen. „Sie kommen jetzt mit. Für ein paar Tage werden Sie mein Gast sein. Sie können in unserer kleinen Scheune bleiben." In Golikows Haus erholte ich mich in kurzer Zeit soweit, daß ich in den Wald zurückkehren konnte. Nicht lange übrigens, und ich war gezwungen, die Wälder zu verlassen und in die Gegend von Serchów zu fliehen; später besuchte ich den Förster noch einige Male. Jedesmal hatte er mich gastfreundlich aufgenommen, obwohl unsere politischen Diskussionen im allgemeinen mit Streit endeten. „Sie könnten mir jetzt helfen", sagte Golikow, nachdem er eine Weile geschwiegen hatte. „Was kann ich für Sie tun?" „Nehmen Sie mich in Ihre Abteilung auf." „Wann wollen Sie zu uns kommen? " „Sobald wie möglich. Ich möchte meine Frau und meinen Sohn mitnehmen. Meine Frau könnte im Lager als Köchin arbeiten. Mein Sohn und ich wollen kämpfen."
„Ich fürchte, Sie werden den Strapazen nicht gewachsen sein, aber bei uns wird jeder gebraucht." „In drei Tagen sind wir bereit." „Ausgezeichnet, auf dem Rückweg werde ich Sie abholen", sagte ich. Tatsächlich nahm ich Golikow und seine Familie nach einigen Tagen mit in meine Abteilung.
Pattisanenkommandeur Józef Sobiesiak, genannt Maks
Der Förster hatte aus diesem Anlaß seine alte zaristische Hauptmannsuniform angelegt.
In der Basis fand ich für Golikow eine vortreffliche Beschäftigung. Er fertigte großartige Sättel sowie Pferdegeschirre für unsere Kavalleristen an. Sein Sohn wurde einer Sprenggruppe zugeteilt, und die Ehefrau beschäftigten wir in der Intendantur. Karpenkos letztes Unternehmen Seit kurzem hatte sich Fjodor Karpenkos Gemütsverfassung geändert. Sooft ich mit ihm zu tun hatte, schien er mir niedergeschlagen und traurig zu sein. Wir kannten Fjodor als ruhigen, gewissenhaften und jederzeit hilfsbereiten Menschen. Alles tat er mit Bedacht, alles verstand er nüchtern abzuschätzen. In mancher Hinsicht war Fjodor für mich ein Vorbild. Während Fjodor alles Neue mit Gelassenheit aufnahm, war ich sofort Feuer und Flamme. Schon oft hatte ich mich dadurch in Gefahr begeben. Franek Mazurek, Iwan und Alexander Neroda und viele andere waren wie ich. Von ihrer Begeisterung mitgerissen, ließen sie sich zu unbedachten Handlungen verleiten. Nach Iwans und Mazureks Tod dachte ich darüber nach. Ich klagte mich an, nichts getan zu haben, die Männer davon zu überzeugen, daß ein Risiko überflüssig sei, sie nicht gelehrt zu haben, ihr Leben höher zu schätzen. Mehrmals hatte ich darüber sprechen wollen, mich aber nie entschließen können. Einer der Gründe war, daß ich selbst meinte, es sei schön und erhaben im Kampf mit dem Feind den Tod zu finden. Nach Alexanders Tod schloß ich mich Fjodor noch enger an. Chwistschuk und Borisjuk, Mitkalik, Ko-
nistschuk und andere Kampfgefährten standen mir nicht weniger nahe, dennoch suchte ich meistens Fjodors Gesellschaft. Fjodors Worte nach Alexanders Beerdigung auf unserem Partisanenfriedhof konnte ich nicht vergessen. „Jetzt bin ich an der Reihe", hatte er damals sehr ernst gesagt, „und danach stirbst du. Dann sind wir vollzählig." Natürlich lachte ich ihn aus, aber irgendwie ließen mir diese Worte keine Ruhe. Vorerst stellte ich keine Veränderungen in Fjodors Haltung und Wesen fest. Er ging bereitwillig in den Kampf, bastelte in seinen Mußestunden Gegenstände aus Holz oder unterrichtete andere Partisanen in Schreiben und Lesen. Viel Zeit widmete er Grischka, dem jüngsten der Brüder Neroda. An den Abenden sang Fjodor Schnadahüpfel oder melancholische ukrainische und polnische Lieder. Wenn er mit seiner tiefen vollen Stimme sang, füllte sich der Unterstand im Nu mit Zuhörern. Manchmal brachte einer der Jungen eine Ziehharmonika mit, und die Partisanen tanzten mit den Mädchen. Dann änderte sich das. Fjodor saß trübsinnig und untätig in seinem Unterstand, er mochte auch nicht singen. Nur der Erziehung des zehnjährigen Grischka widmete er sich. Ihm erzählte er von dessen Mutter, die er gut gekannt hatte, und von der Zeit nach diesem Krieg, wenn Grischka endlich werde zur Schule gehen können. Als ich eines Abends zu Fjodor kam, begrüßte er mich mit einem gequälten Lächeln. „Was ist dir?" fragte ich. „Nichts. Ich fühle mich völlig gesund."
„Ich sehe doch, daß dich etwas bedrückt." „Ach, nicht der Rede wert. Alles wird gut werden." „Weshalb sagst du mir nicht die Wahrheit? Du bist doch mein Freund, nicht wahr?" „Du zweifelst hoffentlich nicht daran. Ich bin etwas betrübt, ja, aber immer kann man nicht fröhlich sein." „Das bestreite ich nicht", entgegnete ich. „Aber du könntest mir trotzdem den Grund sagen." „Es ist nichts Besonderes. Wirklich nicht. Du hättest viel mehr Gründe zum Traurigsein. Du warst schon vier Jahre nicht zu Hause. Deine Familie wohnt weit von hier, und du kannst sie nicht besuchen." Ach so! dachte ich. Er sehnt sich nach der Frau und den Kindern. Fjodors Familie wohnte in Holuzja, knapp fünfzig Kilometer von hier. Nicht ein einziges Mal hatte er um Urlaub gebeten, während andere Jungen manchmal heimlich nach Hause ausrissen. „Du möchtest deine Familie sehen? Das ist verständlich", sagte ich, ihm die Hand auf die Schulter legend. „Was machst du bloß für Geschichten, Alter? Du hättest mir das längst sagen können. Wenn du gehen möchtest, bitte. Nur allein lasse ich dich nicht fort. Du weißt, man muß vorsichtig sein. Überall treiben sich diese verfluchten Banderaleute herum." „Was kümmern mich die Banderaleute, es braucht ja niemand zu wissen, daß ich zu Hause bin. Ich habe schon einmal zwei Monate in einer Scheune gelebt, und keiner hat es spitzgekriegt." „Warte mal!" unterbrach ich ihn. „Erinnerst du dich, daß Franek erzählt hat, irgendwo in Holuzja sei eine Kiste mit Waffen versteckt? Er wußte nur nicht wo. Am Ort soll jemand wohnen, der diese Waffen
neunzehnhundertneununddreißig zusammen mit polnischen Soldaten vergraben hat. Vielleicht gelingt es dir, sie zu finden. Wir haben jetzt viel Neue und brauchen Waffen." „Vielleicht haben schon andere die Kiste gefunden. Wenn die Banderaleute davon gehört haben, sind die Waffen längst weg", erwiderte Fjodor. „Den Franek kenne ich. Er war damals noch ein junger Bursche von vielleicht vierzehn Jahren. So ein Junge hat wahrscheinlich den Mund nicht halten können." „Man weiß es nicht. Ich meine, du solltest dich mit dreißig Mann auf den Weg machen. Vielleicht habt ihr Erfolg." „Das ist unnütze Zeitverschwendung und eine Quälerei für die Männer. Selbstverständlich werde ich, wenn ich in Holuzja bin, bemüht sein, die Sache an Ort und Stelle zu prüfen. Klappt es, ist es gut. Später kann man mit einer größeren Gruppe hingehen und die Waffen abholen." Natürlich hatte er recht. Mir ging es jedoch darum, daß er sich nicht allein auf den Weg machte. Ich hatte Angst um ihn, ohne sagen zu können warum. Fjodor hatte oft sehr riskante Aufträge ausgeführt. Häufig war er nur in Begleitung von ein oder zwei Partisanen gewesen, und ich hatte mir nie Sorgen um ihn gemacht. Da ich auf meiner Forderung beharrte, wurde Fjodor ungeduldig. „Also was schlägst du vor?" fragte er. „Nimm wenigstens ein paar Leute mit. In Manewitschi könntet ihr die Lage sondieren. Geh auch zu Kazik." „Das sowieso." „Nun, dann nimm dir zehn Jungs."
„Zehn? Zwei, drei genügen. Ich möchte Grischka und Grusin mitnehmen." „Nimm noch Mischa mit, er ist vor kurzem zu uns gekommen. Mag er sich an die Aufgaben gewöhnen." Bei Nacht verließ Fjodor die Basis in Richtung Holuzja. Eine Woche verging. Eine Kampfgruppe kehrte zurück. Die Partisanen meldeten, daß sie Fjodor begegnet seien. Er werde in zwei Tagen zur Abteilung zurückkehren. Am neunten März neunzehnhundertdreiundvierzig abends saß ich mit Grigorew vor dem Stabsquartier und stimmte mit ihm den Aktionsplan für den nächsten Tag ab, als ein Fuhrwerk zwischen den Bäumen auftauchte. Ich wurde wütend; denn ich hatte kurz vorher mit Rücksicht auf die Sicherheit der Abteilung streng verboten, mit Fuhrwerken in das Lagergelände zu fahren. Ich wollte den ungehorsamen Partisan rügen, als ich auf dem Fuhrwerk Grischka Neroda und Mischa sah. Wir gingen dem Fuhrwerk entgegen. „Grischka, der Partisanenheld, ist gekommen!" rief man ihm von weitem zu. „Wie geht's deiner ,Fliegenklatsche'? Du hast uns hoffentlich Ehre gemacht und ein paar Fritzen ins Jenseits befördert." Grischka schwieg. Sein Haar war zerzaust, sein Blick seltsam starr. Als sich jemand dem Fuhrwerk näherte, schrie Grischka: „Bleib da! Oh, bleib da!" Ich begann zu rennen. Grischka sprang vom Fuhrwerk und stürzte weinend auf mich zu. „Onkelchen, sie haben Fjodor und Grusin umgebracht!" rief er schluchzend und schmiegte sich an mich. Schwarze und rote Punkte tanzten mir vor den Augen.
Mir war, als würde ich jeden Moment umfallen. Ich warf einen Blick auf das Fuhrwerk. Auf dem Stroh im Wagenkasten lagen Fjodor und Grusin. Fjodors Körper war derart zugerichtet, daß ich mich im ersten Augenblick fragte, ob er es wirklich sei. Das Gesicht von Messern zerfetzt, die Finger abgehackt. Grusin war nicht verstümmelt, nur an seiner Jacke klebte Blut. „Nehmt sie und tragt sie in den Unterstand", sagte ich zu den Jungen. Grischka schluchzte unaufhörlich. Ich nahm ihn daher bei der Hand und führte ihn zum Stab. Niemand von uns schlief in dieser Nacht. Einzeln und in Gruppen kamen die Partisanen in den Unterstand, wo die Ermordeten lagen. Die Nachricht von Karpenkos und Grusins Tod war mit Windeseile überall hingedrungen. Jetzt konnte ich mich davon überzeugen, wie sehr Fjodor von allen geliebt worden war. Schon viele Male hatten wir den Tod von Partisanen betrauert, aber noch nie waren alle so erschüttert gewesen. Die Beisetzung der ermordeten Genossen erfolgte mit militärischen Ehren. Der Brigadekommandeur und Borisjuk sprachen am offenen Grab. Dann schossen wir eine Ehrensalve. Als Grischka wieder einigermaßen zu sich gekommen war, erzählte er mir, was geschehen war. In der Nacht vom achten zum neunten März verließ Fjodor zusammen mit seiner Gruppe Holuzja in nordwestlicher Richtung. Vor Tagesanbruch erreichten sie das Dorf Lischnewka. Im nahe gelegenen Wald rasteten sie kurz. Inzwischen wurde es hell. Fjodor umging das Dorf auf der rechten Seite und
betrat die Straße, die nach Norden, zum Dorf Griwa führte. Unverhofft tauchte zwischen den Bäumen ein Fuhrwerk auf. Fjodor befürchtete keine Gefahr. Lischnewka gehörte zum Partisanenland. Von hier bis zur Partisanenbasis waren es knapp zwanzig Kilometer. Trotzdem wollte er eine Begegnung mit Fremden vermeiden. Die beiden Männer auf dem Fuhrwerk hatten sie jedoch schon bemerkt. „Ach, wen sehe ich! Fjodor, mein lieber Freund!" rief der eine, ein pausbäckiger Pope mit roter fleischiger Nase. „Wie geht es dir, Wassili?" fragte Fjodor. Der Pope kletterte vom Wagen und streckte Fjodor beide Hände entgegen. „In der ganzen Nachbarschaft erzählt man, die Deutschen hätten dich ermordet. Aber du lebst. Gott sei Dank! Gott sei Dank! Ich habe schon eine Messe für dich gelesen. Wie gut, dich zu sehen. Was für eine Freude!" Fjodor war gerührt von der Herzlichkeit des Spielkameraden aus den Kinderjahren. „Laß sie es nur glauben." „Nun, und wohin jetzt, mein Lieber?" fragte der Pope. Offenbar gewahrte er erst jetzt, daß Fjodor und seine Leute bewaffnet waren; denn er wartete die Antwort nicht ab, sondern sagte väterlich freundlich: „Ich war in Griwa bei einem Schwerkranken. Komm mit zu mir, mein Lieber. Und deine Freunde sind ebenfalls eingeladen. Etwas Warmes auf den Weg kann euch nicht schaden." „Schönen Dank, Wassili. Aber der Dienst erlaubt es nicht. Wir müssen weiter." „Wie denn, du schlägst einem Freund eine Bitte ab?
Das wäre für mich eine große Beleidigung. Ich habe dich lange nicht gesehen. Und einen kleinen Jungen hast du bei dir. Er ist bestimmt hungrig." Der Pope strich mit der Hand über Grischkas flachsblondes Haar. Fjodor blickte Grusin und Mischa fragend an, dann sagte er: „Gut, Wassili! Auf ein Stündchen!" „Das ist fein!" Eine Viertelstunde später befanden sie sich auf einem ziemlich großen Gehöft. „Bitte einzutreten, meine Lieben", forderte sie der Pope auf. „He, Marfa, mach Frühstück, wir haben Gäste", rief er. Eine junge, kräftige Frau trat in die Stube. Der Pope ging noch einmal auf den Hof, wo der Knecht die Pferde ausspannte. Einige Minuten später kehrte er zurück. Fjodor ließ sich nicht erst bitten, er möge sich „wie zu Hause fühlen". Er legte die Maschinenpistole ab und stellte sie in eine Ecke, ließ sich in einem Sessel nieder und drehte sich eine Zigarette. Mischa, Grusin und Grischka machten es sich ebenfalls bequem. Nach einer Weile jedoch gab Fjodor Mischa ein Zeichen. „Nimm das Gewehr, Bruder, und halte Wache", sagte er leise zu ihm. Mischa zögerte ein wenig, denn in der Stube duftete es bereits nach Rührei mit Speck. „Wo wollen Sie hin?" fragte die Frau des Popen. „Es gibt gleich Frühstück." „Wir werden in Raten essen", erwiderte Fjodor. „Wie Sie wissen, sind wir im Dienst." „Vor allem seid ihr in meinem Hause", entgegnete der Pope. „Es ist unschicklich, hinauszugehen, wenn das Essen aufgetragen wird."
„Schon gut, reg dich nicht auf, Wassili", sagte Fjodor. „Vorsicht kann nie schaden." Sie aßen, tranken Tee, und dann stellte der Pope eine Flasche Likör auf den Tisch. Grischka, der nichts mit sich anzufangen wußte, schaute sich im Zimmer um. Auf dem Büfett stand die Fotografie eines Jungen in einer schmucken Schüleruniform. Grischka betrachtete interessiert das Bild. „Das bin ich als Schüler", sagte der Pope. Grischka blickte ihn ungläubig an. Grusin ging hinaus und löste Mischa ab. Nach dem Genuß einiger Gläschen Likör wurde der Pope immer gesprächiger. „Wir erleben gegenwärtig eine der heißesten Perioden in der Geschichte der Ukraine. Im ganzen westlichen Teil, angefangen von der alten Staatsgrenze von neununddreißig bis Przemysl, Hrubieszów und Chelm, geht es hoch her. Wer hätte gedacht, daß dieses arme, unwissende Volk so viel patriotische Glut in sich trägt. Die Menschen kämpfen gegen den Feind, sie fallen." „Nicht alle kämpfen gegen den Feind", warf Fjodor ein. „Es gibt auch solche, die ihm helfen, das Volk zu unterdrücken. Sie entfachen den Brudermord, ermorden unschuldige Menschen." „Ja, das ist wahr, Fjodor. Jeder Krieg spült den Abschaum nach oben. Die niederen Instinkte werden geweckt und befriedigt. Wenn ich von dem großen patriotischen Aufbruch der Ukrainer spreche, meine ich nicht die schädlichen, anarchistischen Elemente." Fjodor mochte es nicht, wenn einer die Dinge nicht richtig beim Namen nannte. Warum sagte der Pope
statt Abschaum, niedere Instinkte, anarchistische Elemente nicht Banderaleute. Sie organisierten Banden, setzten sie gegen die Partisanenbewegung ein und riefen zum Brudermord auf. „Drücken wir uns einfacher aus, Wassili! Ich bin ein einfacher Bauer. Bücher habe ich nicht viele gelesen und verstehe auch nicht alles. Du sprichst vom Abschaum; ich würde das anders bezeichnen. Die Banderaleute sind nicht nur der Abschaum der Gesellschaft, irgendwelche kriminellen Verbrecher, Menschen mit niederen Instinkten. Diese Banden werden von gebildeten Leuten organisiert. Einer davon ist Konotoptschuk, ein anderer Sliptschuk. Er war vor dem Kriege Lehrer. Oder der Sohn des Popen Sukmanski aus Okonsk, ebenfalls ein gebildeter Mensch. Viele Popen arbeiten mit ihnen zusammen und, offen gesagt, fast alle Gutsbesitzer." „Das sind, versteh, Fjodor, sehr komplizierte Fragen, und um darauf richtig zu antworten, müßten wir mehr Zeit haben. Mir scheint, du übertreibst ein wenig, wenn du die Popen und alle Gutsbesitzer mit einbeziehst. Du redest wie ein Kommunist. Aber du bist doch ein gläubiger Mensch." „Ich bin gläubig, aber das hat nichts mit dieser Sache zu tun. Die Mehrzahl der Menschen denkt so. Jedes Kind weiß, wer die Banderaleute kommandiert." Nun begann der Pope hochtrabende, Fjodor unverständliche Worte und Begriffe vorzutragen. Fjodor bedauerte bereits, daß er sich in das Gespräch hatte hineinziehen lassen. Was wußte er eigentlich von diesem fetten, gepflegten Menschen, mit dem er vor
vielen Jahren zusammen gespielt hatte? Ihre Wege hatten sich schon lange getrennt. Fjodor hatte schwer arbeiten müssen, während Wassili, der Sohn eines Reichen, die Schule besucht hatte. Was verband sie jetzt noch miteinander? Wir werden gehen, beschloß Fjodor. Der Pope protestierte. „Du hast mir noch nichts von dir erzählt. Man rechnet dich zu den Toten, aber du lebst. Wie hast du dein Leben gerettet? Erzähle!" „Ach, da ist nichts zu erzählen", erwiderte Fjodor zurückhaltend. „Ich lebe - und fertig." Der Pope drang weiter in ihn, aber Fjodor schwieg. Plötzlich vernahm er den Feuerstoß einer Maschinenpistole. Fjodor und Mischa sprangen auf und ergriffen ihre Waffen. Gleich nach ihnen stürzte Grischka hinaus auf den Hof. Neben der Treppe lag Grusin. Er war tot. Fjodor warf sich am Zaun nieder. Von mehreren Seiten wurden Gewehrschüsse abgefeuert. „Mischa, überwache den Hof! Schieß! Das ist Banderagezücht!" rief Fjodor, ein Ziel suchend. Von der anderen Seite des Zaunes wurde geschossen. Fjodor erwiderte das Feuer. Jemand fluchte. Dann überschüttete ihn vom Chausseegraben her ein Hagel von MPi-Geschossen. Fjodor verspürte einen brennenden Schmerz im Bein. „Lumpenpack!" zischte er. „Nimm dich in acht, du Kommunistenhund! Wolltest mit dem Popen Wassili plaudern. Da hast du deine Plauderei. Weißt du denn nicht, du roter Bandit, daß das Väterchen nicht der richtige Partner für dich ist?"
Wieder wurde ein Feuerstoß abgegeben. Auf dem Hof wurde ebenfalls heftig geschossen. Fjodor duckte sich hinter den Zaun, der so gut wie keinen Schutz bot. Etwa zehn Schritt entfernt war ein Holzstapel, aber es war unmöglich, dorthin zu gelangen. Plötzlich hörte Fjodor Grischkas entsetzte Stimme. „Fjodor, auf dem Dach!" Automatisch blickte er hoch. Zwei Gewehrläufe waren auf ihn gerichtet. Fjodor kam nicht mehr dazu, die Maschinenpistole zu heben. Ein Schuß fiel, ein zweiter, ein dritter. Fjodor stöhnte laut auf. Der entsetzte Grischka sprang auf und jagte über den Hof, wobei er laut schrie: „Sie haben Onkel Fjodor umgebracht! Die Banditen!" Dann rief er klagend: „O Gott! Mischa, Mischa! Wo bist du?" Mischa hatte hinter der Scheune hervor das Feuer eröffnet. Bald jedoch stellte er fest, daß der Feind in der Übermacht war. Trotzdem schoß er weiter. Die Banderaleute hatten es nicht eilig mit dem Angriff; es schien, als ob sie auf etwas warteten. Plötzlich hörte Mischa Grischkas entsetzte Stimme, er sah hoch zum Dach, wo die Banderaleute saßen. Mischa schoß. Eine Sekunde später vernahm er Grischkas verzweifeltes Schreien, das Karpenkos Tod verkündete. Da verlor er die Selbstbeherrschung. Er lief zum Zaun, übersprang ihn mit einem Satz und rannte wie ein Wahnsinniger auf die nahen Büsche zu. Im selben Augenblick drangen die Banderaleute mit Hurrageschrei in den Hof ein, fielen über den sterbenden Fjodor her und begannen ihn zu massakrieren.
Grischka hatte sich des Gewehrs von Grusin bemächtigt. Er jagte hinter den Holzstapel und schoß. Die Waffe schlug schmerzhaft gegen seine Schulter, die Geschosse trafen nicht. Grischka, der Mischa nirgends erblicken konnte, rannte in die offene Scheune. In einer Ecke stand ein großes Faß mit Häcksel. Grischka sprang hinein und vergrub sich im Häcksel. Im selben Augenblick hörte er Stimmen an der Scheunentür. „Er muß sich hier versteckt haben, diese Teufelsbrut", sagte der Pope, „sucht die Natter. Ich habe vom Fenster aus gesehen, wie er mit dem Gewehr auf euch geschossen hat; dann ist er hierhergelaufen." „Gebt eine Heugabel her, Väterchen", erwiderte einer der Banderaleute. „Wenn er sich wirklich hier im Stroh vergraben hat, werden wir ihn gleich aufspießen." „Hier liegt sie", sagte der Pope. „Nehmt sie." Grischka hörte deutlich, wie das Stroh unter den Gabelstichen raschelte. Dann sagte der Bandera-mann: „Ihr habt Euch getäuscht, Väterchen, hier ist er nicht." „Das ist kein Junge, das ist ein Teufel. Eine unreine Seele", sagte der Pope. „Sputet euch, Brüder. Ihr bereitet mir noch Unannehmlichkeiten. Dummköpfe, habt zwei entwischen lassen. Nun muß ich weg von hier, ehe sie kommen und mich holen." Des Popen Stimme entfernte sich. Grischka steckte den Kopf aus dem Faß. Auf dem Hof herrschte emsiges Treiben, Schreie waren zu hören. Nach einiger Zeit ebbte der Lärm ab. Wieder vernahm der Junge die Stimme des Popen. „Wartet, Brüder. So kann ich doch nicht fort. Ich muß ein paar Sachen mitnehmen."
„Fahrt uns nach, Väterchen! Wir werden im Wald auf Euch warten." Nun drangen die Stimmen des Popen und seiner Frau an Grischkas Ohr. „Marfa, bring einen Sack Zucker. Hast du die Stiefel mitgenommen? Oh, was für ein Unglück! So ein Vermögen zu vernichten, die Arbeit vieler Jahre. Wo steckt Gawril?" Grischka kroch aus dem Faß und sah durch das angelehnte Scheunentor, daß der Kutscher ein Pferd anspannte. Der Pope war rot wie ein Krebs. „Das haben wir dir zu verdanken, du einmaliger Tölpel!" schalt er den Knecht. „Ich habe dir gesagt, du solltest Stepan sagen, wo er den Hinterhalt zu legen hat. Was habe ich dir gesagt, du Hundekerl?" „Ich habe es doch wiederholt..., im Wald..., an der Straße nach Griwa", erklärte der verängstigte Knecht. „Im Wald, im Wald. Und weshalb sind sie hierhergekommen? Ich bin ruiniert. So ein Vermögen! Das Haus, die Sachen, die Scheune. Das werde ich ihnen heimzahlen. Und mit dir werde ich ebenfalls abrechnen. Die Kuh hinten am Fuhrwerk anbinden! Auf was wartest du? Nimm die Schweine auf die Schultern, und bring sie her. Binde ihnen die Beine zusammen. Marfa, was sitzt du noch so lange herum." Der Knecht verschwand im Schweinestall. Das Quieken der Schweine übertönte die Worte des Popen. Grischka hatte blitzschnell begriffen, was diese fieberhaften Reisevorbereitungen zu bedeuten hatten. Alle Vorsicht vergessend, verließ Grischka seinen Platz und rannte auf den Popen zu. Der bemerkte ihn sofort, ergriff eine neben dem Fuhrwerk liegende Stange, holte aus und schleuderte sie nach dem Jungen.
Der wich jedoch geschickt aus. „Gawril, Marfa!" Das Quieken der Schweine übertönte des Popen Rufe. Plötzlich kam Grischka ein Gedanke. Rasch langte er in die Tasche und holte seine kleine Pistole, die „Fliegenklatsche", hervor. Für den Bruchteil einer Sekunde sah er die vor Schreck weit aufgerissenen Augen des Popen, dann drückte er ab. Die Frau des Popen stürzte aus dem Haus. Als sie ihren sich auf der Erde windenden Mann und Grischka mit der Pistole erblickte, flüchtete sie. Aus dem Schweinestall kam der Knecht, unter seiner Last keuchend. Kaum wurde er Grischkas ansichtig, ließ er das Schwein fallen und rannte davon. Mischa, der sich in den Büschen versteckt hatte, kam hervor. Er fand den weinenden Grischka und versuchte ihn zu beruhigen. Gemeinsam luden sie die Sachen des Popen vom Fuhrwerk, legten die toten Genossen darauf und fuhren zur Basis. Disput auf der Lichtung Ich benötigte dringend Informationen über die Fracht der von Kowel nach Sarny gehenden Transporte. Wir hatten Versorgungsschwierigkeiten. Uns fehlten Lebensmittel, insbesondere Zucker, Salz, Tee und anderes. Wir brauchten Wäsche und Kleidung, Streichhölzer und Petroleum. Wir besaßen zuwenig Munition und Handgranaten. Deshalb entschlossen wir uns zu einem Sondereinsatz gegen einen Zug, der Lebensmittel und Bekleidung an die Front transportierte.
Wir beabsichtigten, den Zug auf der Strecke zwischen Manewitschi und Rafalowka zum Stehen zu bringen und zu entladen. Kazik Slowik hielt sich seit Schewtschuks Verhaftung meistens in der Abteilung auf, ging nur manchmal für einige Tage nach Hause. Auch jetzt saß er seit drei Tagen in seiner Hegerhütte in der Nähe von Koninsk. Ich wollte, daß er mit Hilfe seiner Familie Informationen über die Transporte einzog. Kaziks Frau, Irka, stand in engem Kontakt mit Kraszewski, der auf dem Bahnhof von Manewitschi arbeitete und uns die erforderlichen Informationen übermittelte. Da ich keine Aufmerksamkeit auf das Gehöft der Slowiks lenken wollte, ritt ich ohne Begleitung. Kaum war ich vor dem Haus angekommen, trat Kazik aus der Tür. „Sei gegrüßt!" rief ich ihm zu. „Wie fühlst du dich im Urlaub?" „Gut. Nur ..., sieh mal, Maks ...", Kazik begann zu stottern. Ich merkte, daß er aufgeregt war. „Was ist los?" fragte ich beunruhigt. „Eigentlich nichts. Nur, es sind Leute hier ... Zwei Delegierte." „Was denn nun wieder für Delegierte?" „Von der AK. Sie warten schon den dritten Tag und wollen sich mit dir treffen." „Na, das ist doch nicht weiter schlimm. Ich spreche gern mit ihnen. Und wo sind sie?" Kazik band mein Pferd fest und schüttete ihm Hafer in die Krippe. „Auf der Lichtung", erwiderte er. „Nicht weit von hier."
„Komm, reden wir mit ihnen." Wir Verliefjen das Gehöft und wandten uns nach links, dem Walde zu. „Weißt du, Kazik, Irka müßte gleich mal zu Kraszewski laufen", begann ich und erklärte ihm den Zweck meines Besuches. Kazik hörte mir nur halb zu. „Was hast du bloß?" fragte ich. »Nichts, nur..., nimm dich vor ihnen in acht, sei vorsichtig." „Warum? Es sind doch Polen, unsere Landsleute." „Man kann nie wissen." Hinter einem Haselstrauch lagen zwei Männer im Gras. Als sie uns hörten, sprangen sie auf und griffen zu den Pistolen. „Gut Freund, gut Freund!" rief Kazik. „Guten Tag, meine Herren!" sagte ich, die Fremden neugierig musternd. Der eine, noch jung, in der Uniform eines Oberleutnants, warf mir einen forschenden Blick zu, dann lächelte er und streckte mir zur Begrüßung die Hand entgegen. „Oberleutnant Nejman, Vertreter der polnischen Armeeführung." „Maks, Kommandeur einer Partisanenabteilung." Der andere Fremde trat auf mich zu. Er mochte die Fünfzig überschritten haben, war klein, hatte ein Bäuchlein und graues Haar. Ich bemerkte, daß er den Oberleutnant mit einem strafenden Blick bedachte, weil dieser sich als erster vorgestellt hatte. „Ich bin Delegierter der polnischen Regierung für Wolynien und Polessje", sagte er mit gezwungener Höflichkeit und reichte mir seine fleischige Hand. „Sehr erfreut. Sie kennenzulernen. Wir sind stolz auf
jeden Polen, der mit der Waffe in der Hand für die Freiheit des Vaterlandes kämpft. Ja, Herr Maks, wir haben viel von Ihnen gehört, sehr viel sogar. Und eben jetzt erhielten wir den Auftrag, mit Ihnen in Verbindung zu treten, um Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten, der, wie wir meinen, Ihnen Vergnügen machen dürfte." „Ich höre, meine Herren." „Wir möchten mit Ihnen allein darüber sprechen." Der mit dem Bäuchlein warf einen Blick auf den in der Nähe stehenden Kazik. „Kazik, geh nach Hause. Ich komme auch bald", sagte ich. Kazik zögerte einen Moment. Er tat ein paar Schritte, als wolle er meinem Wunsch entsprechen, hielt aber gleich wieder an. „Na, geh schon, Kazik." „Nein, ich bleibe hier. Ich werde nicht zuhören", erwiderte er bestimmt. Was hat das; alles zu bedeuten? dachte ich. Er befürchtet sicherlich, mir könnte etwas zustoßen. Da kann man nichts machen, mag er bleiben. Die Delegierten blickten einander verstohlen an. „Bitte, setzen Sie sich." Der Delegierte der Regierung wies mir einen Platz im Gras an, dann griff er in seine Aktentasche und entnahm ihr ein zusammengerolltes Schriftstück. „Sehen Sie, so ungeklärt unsere Angelegenheiten hier in Wolynien bis vor kurzem noch waren, so völlig anders liegen sie heute. In Wolynien, Podolien und Polessje operiert im Auftrage der polnischen Regierung eine geheime polnische Armee. Ihre Abteilungen sind Organe der rechtmäßigen Regierung. Es ist unser Ziel, die Anstrengungen aller
Landsleute zu koordinieren und darauf zu richten, daß unser Besitzanspruch auf diese Territorien gewahrt bleibt. Polen darf seine Ostgebiete nicht verlieren. Polen muß seine Grenzen von siebzehnhunderteinundsiebzig wiedererhalten. Aber in diesen Fragen genügt keine Deklaration, da dunkle Mächte und fremde Elemente raubgierig ihre Klauen nach unserem Eigentum ausstrecken. Deshalb müssen wir Polen heute laut und entschieden sagen: Genug! Die Zeit der Prüfung, die Zeit des Kampfes ist da!" Der Delegierte mit dem Bäuchlein machte eine kurze Pause; nach einer Weile fuhr er fort: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen vorzuschlagen, auf eine weitere Zusammenarbeit mit den Bolschewiken zu verzichten und mit uns zu gehen. Heute darf man nicht mehr irren. Jeder polnische Patriot sollte wissen, wo sein Platz ist. Unser Vorschlag ist konkret: Wir möchten, daß Sie in möglichst kurzer Zeit zusammen mit Ihrer Abteilung in den Bezirk Zasmyk bei Kowel kommen, wo die siebenundzwanzigste Wolynische Division steht. Sie werden eine angemessene Dienststellung erhalten, wahrscheinlich als Regimentskommandeur." „Es tut mir sehr leid. Sie enttäuschen zu müssen", erwiderte ich gelassen, „aber ich kann dieses Angebot nicht annehmen." „Ich glaube. Sie haben uns falsch verstanden", mischte sich der junge Oberleutnant ein. „Es handelt sich hierbei nicht um ein Angebot, sondern um einen Befehl." „Von mir aus auch um einen Befehl. Wenngleich ich nicht begreife, wieso Sie mir befehlen können. Sehen
Sie, der Kern der ganzen Frage ist doch ein völlig anderer", fuhr ich fort. „Ich bin nicht allein hier. Ich habe Leute, mit denen ich fest verbunden bin. In meiner Abteilung, die im Winter einundvierzig, zweiundvierzig entstand, gibt es außer Polen auch Ukrainer, Russen, Juden und Leute anderer Nationalitäten. Gemeinsam mit ihnen haben wir bis auf den heutigen Tag gegen die deutschen und die örtlichen Faschisten gekämpft. Und jetzt haben wir August neunzehnhundertdreiundvierzig. Bis zu diesem Zeitpunkt haben Sie nie versucht, mit mir Kontakt aufzunehmen, um gemeinsam mit mir zu kämpfen. Andere Menschen waren es, die mir in schwierigen Zeiten halfen, die mich, wenn ich Rückhalt und Hilfe brauchte, unterstützten. Wie könnte ich sie jetzt im Stich lassen." „Ja, wir verstehen Sie sehr gut", sagte der Delegierte der Londoner Regierung. „Wir wissen, wer Sie sind. Wir kennen Ihre Vergangenheit, geben auch zu, daß Ihre Lage nicht einfach war und Sie, weil Sie Ihr Leben retten wollten, gegen die Faschisten und die Polizei gekämpft haben. Ihre Zusammenarbeit war bis zu einem gewissen Grade gerechtfertigt, damals gab es hier noch • keine polnischen Streitkräfte. Aber die Situation hat sich mit dem Augenblick geändert, als die geheime Polnische Armee entstand. Wir machen Ihnen keine Vorhaltungen wegen Ihrer Vergangenheit, aber jetzt dürfen Sie nicht mehr auf Ihren alten Ansichten beharren. Sie müssen um jeden Preis die Richtung ändern. Das verlangen sowohl die politische Situation als auch das Wohl des Vaterlandes. Um Ihnen unser Anliegen völlig verständlich zu machen, gebe ich Ihnen
unser Programm. Lesen Sie es sich durch. Dieses Dokument ist in London abgefaßt, spiegelt jedoch unsere Forderungen und Bestrebungen wider." Er entrollte das Schriftstück und reichte mir eine Zeitung mittleren Formats. Der Leitartikel hieß „Unsere Feinde". Ich begann zu lesen. Es wurde von Polen gesprochen, das unter der Knechtschaft stöhne, und vom Krieg, der zu Wasser und in der Luft in Afrika und Süditalien tobe, von der Vorbereitung der Invasion in Westeuropa und schließlich vom Krieg im Osten. Als ich bis zu der Stelle gelesen hatte, an der die Rede davon war, dag wir Polen nicht daran interessiert seien, Sowjetrußland zu helfen, und die Sowjetunion unser Feind Nummer eins sei, gab ich dem Delegierten die Zeitung zurück. „Genau das habe ich erwartet, und jetzt werde ich Ihnen sagen, wie ich darüber denke." Die Delegierten blickten mich erwartungsvoll an. „Nach Ihrer Darstellung ist die Sowjetunion unser Feind, nicht wahr?" „Das ist der Standpunkt unserer Regierung und damit auch der unsere", erwiderte der Dicke. „Mit einer solchen Darstellung kann ich mich absolut nicht einverstanden erklären. Bis neunzehnhundertneununddreißig hatte Polen keine Freunde in der Nachbarschaft. Von allen Seiten waren wir, wie Sie sich erinnern werden, ausschließlich von Feinden umgeben. Die Sowjetunion wurde als unser Feind betrachtet, das gleiche galt für die Tschechen und später auch für die Deutschen, auf deren Freundschaft manche unserer Politiker so große Hoffnungen gesetzt hatten. Wir suchten uns Freunde im Westen Europas,
aber diese fanden sich leicht darein, daß Hitlerdeutschland Polen unterjochte. Ich denke, das polnische Volk sollte aus der Septemberniederlage Schlußfolgerungen ziehen und diese Dinge real einschätzen. Man darf nicht ständig in die alten Fehler verfallen. Die zweite Frage, die ich in diesem Zusammenhang klären möchte, bezieht sich auf das Aussehen des künftigen Polens. Unsere Auffassungen hierüber gehen völlig auseinander. Sie, meine Herren, treten für ein bürgerliches Polen ein, ich dagegen denke nicht im Traum an die Wiedergeburt eines solchen Polens. Verstehen Sie mich recht. Ich bin Kommunist, und wenn ich von einem freien Polen träume, dann von einem solchen, in dem es keine Ausbeuter mehr gibt. Mein Traum ist ein Polen des Volkes. Ich glaube daran, daß ein solches Polen dank der Hilfe der Sowjetarmee entstehen wird." Ich sah, wie das Gesicht des Delegierten der Regierung rot anlief und wie der junge Oberleutnant nach der Pistolentasche griff. Sie hatten sich aber gleich wieder in der Gewalt. Mit drohender Miene, die Hand in der Tasche, stand Kazik in der Nähe. „Also weigern Sie sich, den Befehl der rechtmäßigen polnischen Regierung auszuführen?" fragte der kleine Dicke. „Diese polnische Regierung hat schon zur Genüge gezeigt, wie sie unsere nationalen Interessen zu wahren vermag, sie kümmert mich deshalb herzlich wenig." „In Anbetracht dessen sind wir gezwungen", knurrte der kleine Dicke zwischen den Zähnen hervor, „Sie für einen Verräter am polnischen Volk zu erklären und als solchen vors Kriegsgericht zu stellen!"
„Du Lump!" schrie ich auf. „Mich vors Gericht? Und was habt ihr während dieser vier Jahre gemacht, als der Feind unsere Menschen ermordete, Frauen und Kinder tötete. Tausende Polen verschleppte? Wo wart ihr da?" „Wir haben keine Lust, auf diese provokatorische Frage zu antworten. Überhaupt sind wir unnützerweise hierhergekommen, aber ich glaube, wir werden noch Gelegenheit haben, einander zu treffen." „Also, auf Wiedersehen." Ich erhob mich und ging in Richtung Hegerhütte davon. „Das hätte für dich böse enden können", sagte Kazik, als wir das Haus erreicht hatten. „Ach, dummes Zeug. Ich habe ihnen die Wahrheit ins Gesicht gesagt. Sie glaubten, sie könnten mir Angst einjagen." „Hör zu, Józef." Kazik blieb stehen. „Jetzt will ich dir die volle Wahrheit sagen. Sie hatten vor, dich zu töten. Ich hörte ein Gespräch mit an, das sie am ersten Abend führten, als sie in die Scheune gingen, wo sie schlafen sollten. Sie sagten, sie würden dich erschießen, falls du die Zusammenarbeit mit ihnen ablehnen solltest. Deshalb blieb ich in der Nähe." „Ich danke dir, Kazik. Ich habe begriffen, worum es ging." Herzlich drückte ich ihm die Hand. „Nun aber an die Arbeit. Wir müssen mit Irka reden." Wir gingen ins Haus. Der Sommerabend war warm. Am Himmel prangte ein herrlich goldener Mond, blinkten unzählige Sterne. Die saftigen Gräser dufteten nach Sommer, unter dem Hauch des sanften Windes schaukelten sie wie die Wellen eines Teiches. Im Meer des silberhellen Grüns zirpten Grillen. Wie schön, im Gras zu liegen und in den Himmel zu schauen!
Die Rast ist jedoch nur kurz. Langsam nähern sich Lichtbündel, Räder rasseln ... Der Lokführer des in der Nähe vorübereilenden Zuges gab ein Signal: Der Dampf entwich so unvermittelt und laut, daß alle Jungen aufsprangen. „Ein.Verrückter! Er hat Glück. Sonst würde er hier anders gesungen haben." Er hatte wirklich Glück. Bis zwölf Uhr hatten alle Züge auf der Strecke Manewitschi - Rafalówka „freie Fahrt". Nichts bedrohte ihre Sicherheit. Erst der um null Uhr fünfzehn abgehende Zug war als Opfer vorgesehen. Die Jungen legten sich wieder behaglich ins Gras. Einige von ihnen schliefen so schnell ein, wie nur junge Menschen es vermögen. Ein zudringliches Zerren an der Uniform weckte mich. „Genosse Maks, es ist soweit, nur noch fünf Minuten", sagte Kolka Mustafa. „Habe ich etwa geschlafen?" Verwundert blickte ich auf die Uhr. „Freilich. Ich konnte Sie kaum wach bekommen." „Was gibt's bei euch?" „Wir sitzen da und warten. Chwistschuk läßt melden, daß die Kompanie in Stellung liegt." „In Ordnung. Wenn der Zug hält, feuert ihr auf die hinteren drei Waggons." „Zu Befehl!" Kolka machte kehrt und entfernte sich in Richtung des Dorfes Medweshje. Seine Kompanie hatte, zweihundert Meter von der Hauptgruppe entfernt, Stellung bezogen. Rechts von uns befand sich eine Gruppe von neun Partisanen, die die Aufgabe hatte, den Zug zum Stehen zu bringen. Von dort kam Moniek Berensztajn und meldete, daß
die Mine auf dem Bahnkörper angebracht sei. „Ich danke dir. Bleib in der Nähe. Falls er nicht anhält, sprenge ihn, bleibt er aber stehen, räume die Mine." „Ach, was ist das für eine Arbeiterei", sagte Moniek enttäuscht. „Wenn es heißt sprengen, dann wird gesprengt. Ich mag solchen Zirkus nicht. So viele Transporte mit Panzern und Artillerie sind uns heute nacht durch die Lappen gegangen. Das Herz blutet einem, wenn man sie so dicht vorbeifahren sieht." „Es hilft nichts. Heute haben wir ein anderes Ziel. Nun geh schon an deinen Platz, von Manewitschi her ist etwas zu hören." Moniek lief auf seinen Posten. Wenige Minuten später dröhnte das Rollen eines Zuges an unser Ohr. Auf den Gleisen stand bereits einer unserer Jungen mit einer roten Laterne. Er schwenkte sie in der Luft, um dem Lokführer anzuzeigen, dag Gefahr drohe. Alle Augen waren auf den herannahenden Zug und den einsam auf den Gleisen stehenden Menschen gerichtet. Nur noch knapp zweihundert Meter trennten die Lokomotive von dem Mann auf den Gleisen. Man mußte annehmen, daß der Lokführer die Lichtsignale nicht bemerkte. Plötzlich knirschten die Bremsen, zischend wurde Dampf ausgestoßen. Der Zug fuhr mit geringer Geschwindigkeit. Die Räder drehten sich immer langsamer, schließlich standen sie still. Blitzschnell sprangen einige Partisanen auf die Lokomotive. Sie zogen den Lokführer und den Heizer heraus. Unterdessen krachte hinten eine Salve. Maschinenpistolen und Maschinengewehre begannen zu rattern.
„Zu den Waggons!" kommandierte ich. Vierzig Partisanen sprangen auf den Zug zu. Krachend öffneten sich die Waggons. Man hörte laute Schreie, Rufe und Flüche. Ich ging an den offenen Waggons entlang und besichtigte ihre Fracht. Der erste enthielt Kalk und Zement, der zweite und dritte Stacheldrahtrollen. Erst im vierten waren irgendwelche Säcke. Die Jungen schlitzten einen davon auf. Zucker rieselte auf den Boden. „Zwanzig Sack 'rausholen!" befahl ich. In den nächsten fünf Waggons fanden wir Mehl und Grütze. Davon ließ ich vorerst nichts anrühren. Wir hatten nur zehn Fuhrwerke, und die hundert Partisanen, die an dem Unternehmen teilnahmen, konnten nicht mehr als drei Tonnen schleppen. „Salz, Genosse Kommandeur!" rief jemand von den anderen Waggons herüber. „Dreißig Sack nehmen!" rief ich ihm zu. „Uniformen!" „Zigaretten, Schokolade, Wein ..." Ich sah, wie die Mehrzahl der Jungen in jener Richtung davonstürmte. „Halt! Der Waggon wird nicht angerührt! Wo sind die Zigaretten?" fragte ich. Diesen Waggon brauchte man nicht lange zu suchen, ein ganzer Schwarm Partisanen hatte sich bereits davor versammelt. „Weg hier! Alle Mann zum Salz!" herrschte ich sie an. Ich kletterte in den Waggon. Es waren knapp zwanzig Kisten mit französischen Weinen und Kognaks darin sowie mehrere hundert Kartons Zigaretten, Zigarren und einige Dutzend Kisten Schokolade. Etwa zehn
Partisanen mit Butko an der Spitze „amtierten" hier. „Wassja! Du packst alles auf ein Extrafuhrwerk. Mehr wird nicht genommen! Du haftest mit deinem Kopf dafür." Die nächsten sieben Waggons waren beladen mit Uniformen, Wäsche und Stiefeln. Auch hier trieben sich schon viele Partisanen herum. Ich bemerkte, daß Chwistschuks Leute, die die Aktion der Durchsuchungsgruppe sichern sollten, darangingen, die Waggons zu inspizieren. Sie zogen sich sogleich neue Uniformen und Stiefel an. „Jeder nimmt zwei Paar Stiefel und zwei Uniformen", sagte ich. „In der Basis wird alles abgeliefert!" In den zehn, zwölf nächsten Waggons war wieder Zement und Kalk. In den beiden letzten fuhr die Bewachung, bestehend aus einem Zug Gendarmerie. Jetzt, nachdem fünfzig Partisanen den Zug beschossen hatten, waren von der Bewachung nur noch wenige am Leben. Hier lagen auch fünf Kisten Gewehrmunition und einige Handgranaten. Nach einer halben Stunde befahl ich den Jungen, die Waggons zu verlassen. Wir sprengten den Kessel der Lokomotive und beschädigten die Räder. Danach wurden die Kesselwagen mit Treibstoff angezündet. Bald darauf waren wir in den Wäldern nördlich von Wolczeck verschwunden. Als wir bei Tagesanbruch vier Kilometer westlich von Serchöw eine einstündige Rast machten, stellte ich fest, daß die Mehrzahl der Partisanen, in nagelneue deutsche Uniformen gekleidet, merkwürdig schwankte. Ich ließ Butko zu mir kommen. Auch er war nicht nüchtern.
„Wassja, was hat das zu bedeuten? Ihr seid ja alle betrunken." „Stimmt, Genosse Abteilungskommandeur. Die Jungs haben ein bißchen getrunken, aber nur so, aus reiner Freude. Den Befehl habe ich ausgeführt. Wir haben eine volle Fuhre." „Ich werde Sie vor Gericht stellen." „Zu Befehl, Genosse Abteilungskommandeur! Vor Gericht..." Ich winkte mit der Hand ab und lächelte, obwohl die Situation alles andere als lustig war. Konnten wir doch
jeden Augenblick von einer alarmierten Wachmannschaft angegriffen werden. Ich beschloß, unverzüglich aufzubrechen. Chwistschuk wies ich an, den Kolonnenschluß zu sichern, das Kommando über Butkos Gruppe übertrug ich Moniek Berensztajn, der keinen Alkohol angerührt hatte. Wir waren im Begriff weiter-zumarschieren, als Kolka Mustafa auftauchte. Auch er war nüchtern. „Was gibt es, Kolka?" „Ich wollte fragen, was wir mit dem Lokführer und dem Heizer machen sollen." „Wie denn, habt ihr sie mitgenommen?" fragte ich erstaunt. „Sie wollten nicht zurück." „Schick sie her!" Nach einer Weile standen zwei rußverschmierte junge Männer vor mir. Der eine von ihnen blickte mich lächelnd an. „Weshalb seid ihr mitgekommen?" „Wir hatten keine Lust, uns eine Kugel durch den Kopf
Schießen zu lassen. Das dürfte dich eigentlich nicht wundern, Józek." Als ich die Stimme vernahm und meinen Namen hörte, blickte ich dem Sprechenden aufmerksam ins Gesicht. Und plötzlich wußte ich, wen ich vor mir hatte. „Tadek! Was machst du denn hier?" Ich streckte unserm Freund aus Kowel, Krzystofowiez, die Hand entgegen. „Die Deutschen haben mich auf eine Lok gesetzt. ich fahre die Strecke nach Sarny. Schon zwei Monate verkehre ich hier. Dreimal bin ich auf euren Minen hochgegangen." „Und was willst du tun?" „Ich kann nicht zurück. Man wird mich zur Verantwortung ziehen, weil ich auf freier Strecke gehalten habe." „Na, wenn ihr wollt, bleibt bei uns." Das Geheimnis des Panzerzuges Mitternacht war nicht mehr fern, als Dmitri Chwistschuk und Kolka Mustafa am Ortsrand von Belin eintrafen. Chwistschuk kannte hier jeden Baum und Strauch so gut, daß er sogar mit verbundenen Augen im Dorf hätte umhergehen können. Schon ein halbes Jahr lang hatte Dmitri seinen Vater nicht mehr gesehen. Zwar wußte er, wie es ihm ging, denn er hatte durch Verbindungsleute ständig Kontakte mit Belin, aber diese Nachrichten ersetzten nicht die persönlichen Begegnungen. In Belin, das dicht vor den Toren Kowels lag, wirkte
eine Partisanengruppe unter Führung Marko Nakonetschnys. Dmitri erinnerte sich, wie es vor neunzehnhundertneununddreißig auf den von Marko geleiteten Versammlungen der Parteizelle zugegangen war. Nakonetschny war sehr mutig, aber stets wußte er jede Aktion der Parteiorganisation gebührend zu sichern. Auch jetzt, da er ganz in der Nähe des faschistischen Gebietskommissariats und der Gestapozentrale in Kowel operierte, bewegte er sich wie ein unsichtbarer Geist. Ziemlich häufig geschah es, daß in den Straßen Kowels Streife gehende Feldgendarmerie spurlos verschwand. Es gab Fälle, in denen Wachposten vor Amtsgebäuden und Kasernen plötzlich nicht mehr aufzufinden waren. Eine unsichtbare Hand schob Zeitzünderminen in Wehrmachtlager und Magazine, in die Kessel der Lokomotiven, unter die Schreibtische der faschistischen Würdenträger. All das war das Werk Markos, der ständig von seinem größten Feind, Gontschar, beobachtet wurde. Wie oft schon hatte Marko diesen Verräter, der den Okkupanten mit wahrer Hingabe diente, beseitigen wollen. Nur die Furcht vor der Rache von Gontschars Leuten - den Polizisten aus Belin - hielt ihn davor zurück. Gontschar erzählte nämlich überall, daß Nakonetschny und Chwistschuk ihre Hand im Spiele hätten, wenn ihm etwas zustieße. Jetzt durfte man aber nicht länger zögern. Gontschar war gegenwärtig einer der Hauptorganisatoren der Ukrainischen Nationalisten im Bezirk Kowel, ein Mensch, weitaus gefährlicher als je zuvor. Man mußte ihn um jeden Preis unschädlich machen. Eben mit diesem Befehl strebten Dmitri und Kolka dem Haus
Nakonetschnys zu, das dicht am Walde stand. Ein vereinbartes Signal weckte den Hausherrn. Er öffnete die Tür einen Spalt und ließ die erwarteten Gäste ein. Marko zündete kein Licht an, sondern führte die Ankömmlinge in den Keller, wo eine Petroleumlampe brannte. Nakonetschny war ein breitschultriger Mann von etwa fünfzig Jahren mit einem Kahlkopf. Als er beim Licht der Lampe Chwistschuk erblickte, küßte er ihn herzlich, dann begrüßte er den ihm unbekannten Kolka Mustafa. „Gut, daß ihr gekommen seid", sagte Marko, Dmitri freundschaftlich anschauend. „Ich wollte schon allein mit ihm abrechnen. Wer weiß, ob sich noch die Gelegenheit bietet. Er kommt jetzt selten nach Belin." „Mir scheint, man muß es sehr vorsichtig tun. Wir dürfen dich nicht in Gefahr bringen. Du hast eine Frau und einen Sohn, außerdem haben wir hier noch unsere Leute - Widnik, Kaltschuk und andere. Sie haben ebenfalls Familie. Die Liquidierung dieses Lumpen kann unabsehbare Folgen nach sich ziehen." „Wie soll man es also anstellen?" fragte Marko bekümmert. „Ich habe mir schon oft darüber den Kopf zerbrochen, aber etwas Vernünftiges fällt mir nicht ein. Vielleicht weißt du etwas?" „Du hast bessere Einfalle als ich", erwiderte Chwistschuk mit einem Lächeln. „Nicht umsonst sagt man bei uns: ,Wenn du nicht weißt, wie du es machen sollst, geh zu Marko in die Lehre.' " Mustafa lachte leise und bestätigte Chwistschuks Worte mit einem Kopfnicken. „Ihr schätzt mich zu hoch ein. Ich tue, was ich kann, aber mit dem Kopf komme auch ich nicht durch die Wand. Ich habe zwar eine Idee, aber dazu brauchte ich jemand, der sich gut aufs Sprengen versteht."
„Rede! Wir haben solche Spezialisten, die machen aus Granatwerfergeschossen Gulasch." Chwistschuk zwinkerte Kolka lustig zu. „Spotte nicht, Dmitri", erwiderte Nakonetschny entrüstet. „Es ist nicht die Zeit zum Scherzen." „Ich spotte gar nicht. Frage Kolka. Wir haben eine richtige kleine Fabrik, in der wir aus Bomben und allerlei anderen Versagern Minen herstellen. Was dachtest du denn, woher wir die Minen nehmen, die du von uns erhältst? Kolka ist auch kein schlechter Spezialist in diesem Fach." „Dann ist es gut. Es geht um folgendes: Gontschar hat in seinem Haus zwei Maschinenpistolen, ein Gewehr und zehn Handgranaten. Das alles liegt bei ihm griffbereit auf dem Tisch. Wenn er morgens aus dem Hause geht, nimmt er das ganze Arsenal mit. Man müßte versuchen, eine Handgranate mit einer von uns präparierten auszutauschen." „Genau so hab' ich's erwartet", erwiderte Kolka Mustafa. „Aber wer vertauscht die Handgranaten?" fragte Dmitri. Marko lächelte. „Anton Rabenko. Er geht manchmal zu ihm. Nachbarlicher Verkehr, verstehst du? Sie unterhalten sich, trinken ein Gläschen Selbstgebrannten, fluchen auf die Kommunisten, und Gontschar denkt, er hätte in Rabenko einen Freund. Anschließend teilt mir Anton alles mit, was er von Gontschar erfahren hat." „Ob Rabenko das machen wird?" fragte Dmitri. „Ich habe mit ihm gesprochen. Und eine Handgranate ist auch schon da. Sie ist etwas rostig, genau wie die
eine von Gontschar." Marko zeigte eine Handgranate. „Morgen kommt Gontschar für eine Woche nach Hause." „Habe ich nicht gesagt, daß nur du auf so gute Ideen kommst?" Dmitri klopfte Nakonetschny auf die Schulter. „An dieser Idee ist nichts Außergewöhnliches", erwiderte Marko. Er zog seinen Tabakbeutel hervor und bot den Gästen Machorka an. Sie rauchten. Kolka begann an der Handgranate zu hantieren. Dmitri erzählte Marko, daß er mit einer Gruppe von fünfzehn Minenlegern gekommen sei, um einen Sonderzug zu sprengen. Ihm lag viel daran, daß der Freund jemand nach Kowel zu Emil Gryczman schickte, der feststellen sollte, ob sich der betreffende Zug bereits auf dem Bahnhof von Kowel befand und wann er seine Fahrt fortsetzte. Noch in derselben Nacht besuchte Dmitri seinen Vater. Im Morgengrauen traf er sich mit Kolka, den er bei Nakonetschny zurückgelassen hatte, um die Arbeit an der Handgranate zu beenden. „Na, wie steht's, bist du fertig geworden?" fragte ihn Dmitri. „Solche Sachen machen sich nicht von allein. Aber alles was recht ist, dieser Marko ist ein tüchtiger Bursche. Sitzt mitten im Wespennest und ist so aktiv. Wir im Wald können wenigstens ruhig schlafen." „Das ist wahr." Auf dem Rückweg in den Wald, wo die Genossen warteten, dachten Dmitri und Kolka an den Auftrag, den sie erfüllen sollten. Dmitri befürchtete, daß der Zug früher als geplant abgegangen wäre. Zwar hatte man
Angaben über ihn erhalten, die sicherlich genau geprüft waren, aber es kam dennoch häufig vor, daß die Okkupanten im letzten Augenblick ihre Entschlüsse änderten. Nach der Mitteilung sollte der Zug in der folgenden Nacht auf dem Knotenpunkt Kowel ankommen und nach zwölfstündigem Aufenthalt nach Sarny weiterfahren; zuvor sollte aber der Streckenabschnitt Kowel - Sarny auf seine Sicherheit geprüft werden. Deshalb mußte man die Gleisanlagen buchstäblich einen Augenblick vor Abgang des Transportes vom Bahnhof Kowel verminen. Das war ein außerordentlich schwieriges und gewagtes Unternehmen. Chwistschuk hatte keine Garantie, ob es Gryczman gelingen würde, genaue Angaben über die Abfahrtszeit des Zuges zu erhalten, und ob er selber am hellichten Tage in einer so kurzen Zeit die Eisenbahngleise und die kleine Brücke, zwei Kilometer von der Station entfernt, würde verminen können. Das ganze Unternehmen war außerordentlich gefahrvoll. Galt es doch, beinahe unter den Äugen der Ortsbewohner zu handeln. Jeden Augenblick konnten die Wachposten auftauchen. Überdies gefährdete der Aufenthalt in der Umgebung einer so großen Stadt, in der Garnisonen der Wehrmacht und der Wlassowleute lagen, die Sicherheit der Gruppe. Aber der Befehl des Brigadekommandeurs lautete ausdrücklich: „Der Eisenbahntransport ist zwei Kilometer östlich von Kowel zu sprengen, und zwar an der Stelle, wo die Gleisanlagen über die Brücke führen." Tags darauf, gegen sechs Uhr früh, kam Gryczman zur vereinbarten Stelle am Südrand des Waldes, der sich
bis zur Bahnlinie Kowel - Sarny erstreckte. Auf dieser Seite gab es nur wenige Gehöfte. Das Gelände bestand aus Sumpfwiesen, stellenweise mit Büschen bewachsen. Gryczman berichtete Chwistschuk, daß der Zug gegen Mitternacht auf dem Bahnhof in Kowel angekommen war. Zu seiner Bewachung hatte man eine ganze Kompanie Gendarmerie und einen Zug SS zusammengezogen. Außerdem war der Befehl erlassen, daß kein Stationsarbeiter näher als hundert Meter an den Zug herankommen dürfe. Niemand kannte die Abfahrtszeit. Bekannt war nur, daß zuvor ein Kontrollsonderzug abgehen werde. Gryczman, der seit langem Informationen über die Bewegung der Transporte auf dem Knotenpunkt Kowel sammelte, erklärte, daß ähnliche Vorkehrungen nur im Zusammenhang mit äußerst wichtigen Transporten getroffen würden. Der Kontrollzug sollte aus einer Lokomotive und drei Waggons Sand bestehen. Wir beschlossen also, die Mine sofort nach Durchfahrt des Kontrollzuges auf der kleinen Eisenbahnbrücke nahe der Vorortsiedlung Wrzosa anzubringen. Bis Mittag war der Kontrollzug immer noch nicht zu sehen. Wir saßen tatenlos herum, und die Partisanen wurden nervös. Kolka Mustafa bemühte sich, die Stimmung zu heben, indem er eine seiner Geschichten über seine Vorfahren zum besten gab, die jetzt niemand glaubte, die in anderen Situationen jedoch viel Heiterkeit und Gelächter auslösten. „Den meisten Ärger machte meinem Ururgroßvater der Türke Mustafa, den er gefangengenommen hatte", erzählte Kolka. „Bald erschienen vor dem Zelt, in dem er gemeinsam mit dem hochgeborenen Türken Quartier
genommen hatte, schöne Türkinnen, die ihn flehentlich baten, ihren Mann freizulassen. Zuerst kam ein junges, etwa achtzehnjähriges Mädchen von wunderschöner Gestalt, mit schwarzen Augen und rabenschwarzem Haar. Als es seinen Gebieter in Gefangenschaft sah, warf es sich zu Boden und kroch auf ihn zu wie eine Schlange. Aber stellt euch vor, Mustafa, dieser Lump, stieß es mit dem Stiefel weg. Das Mädchen warf sich meinem Ururgroßvater weinend zu Füßen, umarmte ihn dann, küßte ihn und bat, ihren Geliebten freizulassen. Mein Ururgroßvater hatte ein weiches Herz und konnte eine so wunderschöne Frau nicht leiden sehen; er war schon drauf und dran, den Grobian zu entlassen, als sich eine andere Türkin ins Zelt schlich. Sie war noch schöner als die andere! Der Ururgroßvater guckte und glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Die gleiche Szene. Mustafa stieß mit Verachtung auch die zweite Frau weg. Danach traten die übrigen Frauen des Türken ins Zelt, alle bildschön. Und jede weinte und bat um die Freilassung ihres Mannes. Der Ururgroßvater griff sich an den Kopf. Was für eine Ungerechtigkeit herrscht auf dieser Welt, dachte er. Hundert der allerschönsten Frauen lieben ein und denselben Mummelgreis. Denn der Türke war schon alt, kahl und schrumplig wie ein Äpfelchen. ,Hört, schöne Nymphen', sagte mein Ururgroßvater, ,ich lasse euren Mann frei, wenn er sagt, welche von euch er am meisten liebt.' Der Türke war erstaunt, er schwieg verächtlich. ,Ihr seht selbst, daß er keine von euch liebt', sagte der Ururgroßvater. ,Er ist grausam und hochmütig und eurer Liebe nicht wert. Kehrt in euren Harem zurück.' "
Kolka drehte sich eine Zigarette, zündete sie gemächlich an, um die Zuhörer auf die Folter zu spannen, aber Chwistschuk ließ ihn nicht weitererzählen. „Hör auf, Mustafa! Mir scheint, eine Lokomotive kommt." Die Partisanen lagen auf der Südseite des Bahndammes, wo der Wald bis an die Bahnlinie stieß. Auf der anderen Seite war ein Sumpf. Alle wandten jetzt den Kopf in Richtung Station. „Erzähle weiter, Kolka, es ist gar kein Zug zu hören", bat Moniek Berensztajn. „Bald war der Krieg zu Ende, und ..." In diesem Augenblick hörten alle einen lang anhaltenden Pfiff und gleich darauf das charakteristische dumpfe Rasseln eines Zuges. Keine Minute war vergangen, als der erwartete Kontrollzug langsam dicht an den Partisanen vorüberfuhr. „Moniek, nimm die Mine! Kolka sichert rechts", kommandierte Chwistschuk. Im Nu waren alle in Bewegung. Drei Silhouetten lösten sich vom Waldrand und krochen auf den Bahnkörper. Mustafas kleine, aus sieben Mann bestehende Gruppe bewegte sich etwas rechts davon vorwärts. Das Verminen der kleinen Brücke dauerte höchstens zehn Minuten. Eine Zehnkilomine mit Druckzünder wurde gelegt. Man brauchte sie nicht besonders zu tarnen. Chwistschuk blieb am Waldrand liegen, er wollte den Ausgang der Aktion abwarten. Jetzt sprach keiner mehr ein Wort. Noch immer war der in Richtung Sarny fahrende Kontrollzug zu hören, als der nächste Zug pfiff. Chwistschuk blickte auf die Uhr. Seit Abfahrt des
Kontrollzuges war nur eine knappe Viertelstunde vergangen. Die Fritzen beeilen sich aber, dachte er. Offenbar fürchten sie eine Überraschung. Gut, daß wir uns so bald an die Arbeit gemacht haben. Der Zug näherte sich. Plötzlich tauchte er aus dem Wald auf. Ein Blick genügte, und Chwistschuk wußte alles. Es war nicht der Zug, den er erwartete, sondern ein zweiter Kontrollzug. Alles verloren, dachte Chwistschuk verzweifelt. Die ganze Aktion umsonst. Er wollte zur Brücke stürzen, die Mine herunterreißen, aber es war schon zu spät. Die Lokomotive schob zwei Waggons Sand vor sich her und hatte die Brücke fast erreicht. Dmitri preßte das Gesicht an die Erde. Eine Explosion zerriß die Luft. Als er den Blick wieder auf die Brücke richtete, war dort nur ein Trümmerhaufen. Chwistschuk zog die Partisanen von ihren Posten ab und ging nach Osten in den Bezirk der Wälder. Hier sollte er verabredungsgemäß in der Nähe des Dorfes Radoszyn mit Gryczman und Marko zusammentreffen. Nakonetschny wartete bereits. Er war blutig, seine Kleidung hing in Fetzen herab. „Was ist passiert?" fragte Chwistschuk. Marko erzählte. Gontschar kam gegen Mittag zu Hause an. Marko hatte Rabenko am Morgen in seine Absicht eingeweiht und ihm die von'Mustafa präparierte Handgranate ausgehändigt. Rabenko erklärte sich bereit, die Aufgabe auszuführen, und begab sich, kaum daß Gontschar im Dorf erschienen war, zu ihm „zu Besuch". Alles verlief planmäßig. Rabenko paßte den geeigneten Augenblick ab und vertauschte die Handgranaten.
Gegen Abend, Gontschar bereitete sich zur Abfahrt vor, erfolgte eine Explosion. Kurz darauf erschienen die Polizisten im Hause des Verräters. Gontschars Ehefrau, die verletzt worden war, berichtete ihnen, ihr Mann habe den Unglücksfall selber verursacht. Die Polizisten, dem Kommandanten blind ergeben. erinnerten sich sofort an seine Worte: „Nakonetschny ist unser Feind, er trachtet mir nach dem Leben. Denkt daran! Wenn mir etwas zustößt, holt euch den Banditen." Sie zögerten nicht lange. Sofort eilten sie zu Markos Hütte. Nakonetschny erblickte sie durchs Fenster, wußte aber, daß es keinen Sinn hatte, sich mit ihnen in einen Kampf einzulassen. Die Polizisten waren zu dritt, und auf den Widerhall von Schüssen würde der ganze Stützpunkt, bestehend aus zehn Mann, gelaufen kommen. „Mach dich bereit, alter Bandit", schrie der rothaarige Halunke Pawluk, gegenwärtig Polizeikommandant in Belin, „das letzte Stündlein hat geschlagen." „Was wollt ihr von mir?" fragte Marko ruhig. „Du wirst es gleich erfahren. Komm mit!" knurrte Pawluk, Marko mit einem Revolver bedrohend. Zwei Polizisten sprangen auf Nakonetschny los und packten ihn unter den Armen, Pawluk stieß ihm den Revolver in den Rücken. Man führte ihn zum Wald. „Hör mal, Pawluk, wo schleppst du mich alten Mann eigentlich hin? Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Keinem Menschen krümme ich ein Haar. Was willst du?" Marko versuchte, mit den Polizisten ein Gespräch anzuknüpfen. „Gontschar hat uns restlos aufgeklärt. Wir wissen, wem
du dienst. Jetzt, wo der Ärmste tot ist, machen wir mit dir, was gemacht werden muß." „Ich habe Gontschar nicht umgebracht, was habe ich damit zu tun?" „Wenn er tot ist, ist es, als ob du persönlich ihn umgebracht hättest. Immer hat er uns das gesagt. Aber was reden wir überhaupt mit dir." „Wo bringt ihr mich hin?" fragte Marko. Die Polizisten lachten. „Du wirst es gleich sehen!" Der Wald lag nur noch ein paar Schritte entfernt. Marko wußte, sie würden ihn töten. Wahrscheinlich würden sie ihn an einen Baum binden, erschießen oder mit den Bajonetten erstechen. Marko war stark wie ein Stier. Früher, in seiner Jugend, hatte er sich unter ein Pferd gestellt und es auf seinen Schultern in die Höhe gehoben. Einen Zweizentnersack Kartoffeln trug er wie eine Feder. Das war früher, aber jetzt... Plötzlich spannten sich Brust und Schultern, sie dehnten sich blitzartig aus. Die Polizisten, die ihn an den Armen gepackt hielten, fielen ab wie reife Früchte vom Baum, und Marko sprang davon. Ein Schuß fiel, aber der athletische Mensch lief schon zwischen den Bäumen. Im Wald herrschte Dämmerlicht. Marko stieß mit dem Kopf gegen einen Stamm, den er nicht gesehen hatte, und fiel hin. Er sprang gleich wieder auf. Einer der Polizisten hatte ihn eingeholt und hielt ihn an der Jacke fest. Marko schlug mit der Faust zu. Der Polizist stürzte stöhnend zu Boden. Inzwischen hatten sich die beiden anderen wie rasend gewordene Hunde an ihn gehängt. Marko schlug wahllos nach rechts und links, traf dabei hin und wieder die harten Stämme. Pawluk schoß nicht mehr. Er befürchtete, in diesem
heillosen Durcheinander einen seiner Leute zu treffen. Schließlich lagen zwei Polizisten bewußtlos am Boden. Marko und Pawluk packten einander an den Schultern. Der Ringkampf dauerte nicht lange. Bald flehte Pawluk um Gnade: „Töte mich nicht, Marko, vergib." Marko ließ von ihm ab, stand auf und lief schweratmend in den Wald. Er konnte nicht mehr ins Dorf zurückkehren, deshalb wollte er in die Partisanenabteilung eintreten. „Na klar, du mußt jetzt mit uns gehen", sagte Chwistschuk, nachdem der Freund geendet hatte. „Gott sei Dank, daß du lebst. Wir werden uns auch um deine Angehörigen kümmern", fügte er nach einer Weile hinzu, denn er wußte, was Marko quälte. „Wir werden sie ebenfalls in die Abteilung holen. - Aber unsere Arbeit ist schiefgegangen", sagte Chwistschuk. „Die Faschisten haben uns zum Narren gehalten, statt des Transports haben wir eine Lok mit leeren Waggons gesprengt. Hol's der Teufel! Wie steh' ich jetzt vor der Brigade da. Emil kommt auch nicht, hat aber versprochen, um sechs Uhr früh dazusein. Was machen wir jetzt?" „Und ich sage euch, wir sind nicht umsonst hierhergekommen", mischte sich Moniek Berensztajn ein. „Die Faschisten werden den Transport sicherlich nicht über Sarny gehen lassen. Sie müßten erst die Brücke reparieren und die Trümmer beseitigen, aber das dauert lange. Ich denke, sie werden ihn jetzt über Rowno schicken, das bedeutet für uns, jene Strecke zu verminen." „Das stimmt", pflichtete Mustafa bei. „Ist der Zug so wichtig, muß er die Front rechtzeitig erreichen."
„Nehmen wir an, er hat recht. Aber wer bürgt mir dafür, daß sich nicht eine ähnliche Geschichte wiederholt wie gestern", antwortete Dmitri sachlich. „Sie werden jetzt noch vorsichtiger sein."
Einer der von den Partisanen gesprengten Züge, der die Front nicht erreichte
„Das kriegen wir schon." Monieks Plan schien bereits festzustehen. „Vom Bahnhof Kowel bis zur Gabelung der Strecke nach Sarny und Rowno sind es nur drei Kilometer. Die Züge fahren bis zu dieser Stelle im Schneckentempo. Es würde genügen, wenn uns Gryczman, nachdem er die Abfahrtszeit des Trans-
portes ausgekundschaftet hat, einen Radfahrer schickt. Kurz vor Abfahrt des Zuges wird er schon wissen, daß es soweit ist." „Du hast recht, Bruder", stimmte Mustafa zu. „Ja, diese Idee ist nicht schlecht. Nur, was wird mit Emil? Ob ihm etwas zugestoßen ist?" Gleichsam als Antwort auf diese Frage erschien Emil auf der Lichtung. Chwistschuk ging ihm entgegen. „Zum Teufel mit der ganzen Arbeit !" sagte er, als sie einander begrüßten. „Ihr müßt euch sofort an die Strecke nach Rowno begeben", erklärte Gryczman. „Bis Mittag soll der Transport aus Kowel abgegangen sein." Sie beschlossen, unverzüglich aufzubrechen. Gryczman sollte im richtigen Augenblick einen der Brüder Krzysztofowicz schicken, die mit ihm im Lokomotivschuppen zusammen arbeiteten und ebenfalls der Organisation angehörten. Die Wahl fiel auf einen Streckenabschnitt in der Nähe der von Kowel nach dem Dorf Kolodesny führenden Straße, an der einige kleine Häuser verstreut lagen. Die Strecke verlief hier auf einem ziemlich hohen Bahndamm, zu beiden Seiten der Gleisanlagen dehnten sich fette Sumpfwiesen. Die Partisanen wollten, falls ihr Vorhaben gelang, den Okkupanten die reibungslose Bergung der zertrümmerten Waggons und die Reparatur der Gleise nahezu unmöglich machen. Zu diesem Zweck war es erforderlich, gleich nach Durchfahrt des Transports in der Nähe von Kowel eine zusätzliche Mine und eine weitere auf dem zweiten, nach Rowno führenden Gleis anzubringen. Die Erkundungen, die Emil Gryczman eingezogen
hatte, erwiesen sich als ungenau. Der Transport stand noch bis zum Abend auf der Station. Jede halbe Stunde passierte eine Lokomotive mit sandbeladenen Waggons die Strecke. Auf der Chaussee, die nahe dem Bahnkörper verlief, fuhren pausenlos mit Gendarmerie besetzte Kraftwagen hin und her. Chwistschuks Gruppe hatte sich in drei kleine Gruppen geteilt, die im Abstand von einem halben Kilometer in Stellung gegangen waren. Chwistschuk lag mit fünf Mann in einem Gebüsch hinter einem kleinen Hügel. Wieder ging ein Zug von der Station ab. „Sicher ein Kontrollzug", sagte Chwistschuk. „Was zum Teufel mag da los sein, ob sie diese Strecke womöglich gar nicht befahren?" Monieks Unruhe wuchs. „Das kann passieren. Dann habe ich mich geirrt. Und die Jungs werden mich wieder hänseln." „Rede keinen Unsinn. Sie können ihn nicht auf der anderen Strecke fahren lassen. Bestimmt wird er hier vorbeikommen." Monieks Laune besserte sich aber nicht. Alles ging ihm bei dieser Aktion gegen den Strich. Schon oft war er mit Sprengtrupps an die Bahnlinie gegangen, und stets hatte man ihn wegen seiner Geschicklichkeit und Tapferkeit gelobt. Jeder Kommandeur nahm ihn gern mit in den Einsatz. Diesmal hatten sie sich auf dem Marsch über ihn geärgert. Und alles wegen der verfluchten Stiefel, die er einem deutschen Soldaten im Gefecht bei Poworsk abgenommen hatte. Weshalb nur hatte er sie angezogen? Sie waren ihm mindestens zwei Nummern zu groß. Er sah darin aus wie der gestiefelte Kater. Jeder der Jungen trug Stiefel, nur er mußte
barfuß gehen, weil seine Füße klein waren wie die eines Kindes. Ständig rutschten ihm die Stiefel von den Füßen, klapperten und schnurrten, als ob ein Rudel Wildschweine durchs Dickicht bräche. Immer wieder mußte er stehenbleiben und die Fußlappen zurechtziehen. Die Genossen waren mittlerweile wütend geworden. Monieks Betrachtungen wurden von einem Geräusch auf der Chaussee unterbrochen. Der Verbindungsmann von Gryczman kam angefahren. Chwistschuk sprang aus dem Gebüsch hervor. „Er kommt! An die Arbeit!" befahl der Verbindungsmann hastig. Die Gruppe lief auf die Strecke. Man brauchte die Mine nicht zu tarnen. Übrigens war dazu auch keine Zeit. Kaum hatten sie die Sprengladung gelegt und waren an ihre Plätze zurückgekehrt, als in der Ferne der Zug auftauchte. Voller Herzklopfen drückten sich die Partisanen fest an die Erde. Nur Moniek dachte nicht daran, sich vor den gefährlichen Splittern zu schützen. Er kletterte auf einen Erdhaufen, damit ihm keine Phase der Aktion entgehe. „Was machst du, bist wohl verrückt geworden?" rief Chwistschuk. „Nichts. Von hier kann ich alles sehen", erwiderte Moniek Berensztajn gelassen. Chwistschuk kroch zu ihm und zog ihn an den Beinen herunter. Im selben Moment zerriß eine ohrenbetäubende Detonation die Luft, es krachte und knallte - die zertrümmerten Wagen stürzten den Bahndamm hinunter. Stahl- und Holzstückchen wirbelten in der Luft, flogen über die Köpfe der Partisanen hinweg. Als die Jungen ihr Versteck verließen, bot sich
ihnen ein imposanter Anblick. Auf dem Gleis standen übereinandergetürmt drei Personenwagen, der vierte, von den übrigen abgerissen, brannte. Die schwere Lokomotive war den Bahndamm hinuntergestürzt, hatte sich senkrecht in den Sumpf gebohrt und war fast zur Hälfte eingesunken. Drei weitere Wagen steckten ebenfalls in dem zähen Morast. Aus den zertrümmerten Fenstern krochen faschistische Soldaten, stöhnten und riefen um Hilfe. Die Zeit war kostbar. Man mußte sich davonmachen, ehe sie Verstärkung aus Kowel bekamen. Chwistschuks Gruppe begab sich im Lauf schritt nach Osten. Unterwegs traf sie auf die zweite Gruppe, die den Auftrag hatte, die Gleise in Richtung Rowno zu verminen. Kaum waren die Partisanen in dem sich nordöstlieh von Kolodesny erstreckenden Wald angelangt, als auf der parallel zur Bahnstrecke verlaufenden Chaussee Kraftwagen erschienen. Noch zweimal donnerten in dieser Nacht auf den Gleisen Explosionen. Die Räumzüge aus Kowel und Rowno, die an die Unfallstelle eilten, waren ebenfalls in die Luft geflogen. Die Rettungsmannschaften gingen unverzüglich daran, den Opfern des gesprengten Zuges Hilfe zu leisten. Denn dieser Transport enthielt eine kostbare Fracht: fünf Generale, einige Dutzend höhere Offiziere sowie über dreihundert Offiziere niederen Ranges. In den gepanzerten Wagen befanden sich außerdem wichtige Geheimdokumente und Generalstabskarten. Die Rettungsaktion scheiterte jedoch am unwegsamen Gelände, an den fetten Sumpfwiesen auf beiden Seiten des Bahnkörpers und am Fehlen eines Zugangweges zur Unfallstelle.
Gendarmeriestreifen requirierten Bauernfuhrwerke in den umliegenden Dörfern. Eine dieser Streifen kam auch auf das Gehöft des alten Chwistschuk in Belin. Der Greis war noch nicht zu Bett gegangen. Er hatte die Explosionen gehört und bangte um Dmitri. Die Gendarmen drangen in Chwistschuks Wohnung ein. Mit Kolbenstoßen zwangen sie den alten Mann, hinauszugehen. Das ist mein Ende. Dmitri, mein Sohn, hat Pech gehabt, und nun rächen sie, sich an mir, dachte er beim Verlassen des Hauses. Indessen stießen ihn zwei Gendarmen vor sich her zum Pferdestall. Hier befahlen sie ihm, unverzüglich das Pferd herauszuführen und vor das Fuhrwerk zu spannen. Sie halfen ihm, damit es schneller ginge, stiegen auf den Wagen und befahlen, in vollem Galopp zu fahren. Der Greis verstand überhaupt nichts mehr. Weshalb befahlen sie ihm, statt nach Kowel in Richtung Kolodesny zu fahren? Im Osten leuchtete das Morgenrot, als das Fuhrwerk des alten Chwistschuk Kolodesny erreichte. Im Dorf waren etwa vierzig Fuhrwerke versammelt, und mehrere Dutzend Soldaten eilten geschäftig hin und her. Von der Strecke wurden die Verwundeten herbeigetragen, man legte sie auf die Fuhrwerke. Die Sprengung des Transportes, in dem ein faschistischer Armeestab reiste, hatte über sechzig Offiziere, darunter acht Oberste und zwei Generale, das Leben gekostet. Über hundertfünfzig hatten schwere oder leichtere Verletzungen davongetragen. Die Geheimdokumente und Operationspläne des Armeestabes waren verbrannt.
Bald nach der Durchführung dieser Aktion kam ein Funkspruch aus Moskau, in dem mitgeteilt wurde, daß auf Beschluß des Obersten Sowjets Dmitri Chwistschuk der Rotbanner-Orden verliehen worden sei. Die anderen Partisanen erhielten ebenfalls hohe Auszeichnungen. Auf der Liste der Ausgezeichneten stand auch mein Name. Für meine gesamte Kampftätigkeit in Wolynien erhielt ich den LeninOrden.