Atlan - Held von Arkon Nr. 184
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Atlan - Held von Arkon Nr. 184
In den Klauen der Maahks Ein Mond wird zum Schlachtfeld Arkoniden und Maahks kämpfen bis zum Untergang von Hans Kneifel
Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v. Chr. entspricht. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III. ein bruta ler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII. töten ließ, um selbst die Nach folge antreten zu können. Gegen den Usurpator kämpft Kristallprinz Atlan, der rechtmäßige Thronerbe des Reiches, mit einer stetig wachsenden Zahl von Getreuen und besteht ein gefahrvol les Abenteuer nach dem anderen. Doch mit dem Tag, da der junge Atlan erstmals Ischtar begegnet, der schönen Varganin, die man die Goldene Göttin nennt, hat er noch anderes zu tun, als sich mit Orbanaschols Schergen herumzuschlagen oder nach dem »Stein der Weisen« zu suchen, dem Kleinod kosmischer Macht. Atlan – er liebt Ischtar und sucht sie zu schützen – muß sich auch der Nachstellun gen Magantillikens erwehren, des Henkers dar Varganen, der die Eisige Sphäre mit dem Auftrag verließ, Ischtar unter allen Umständen zur Strecke zu bringen. Gegenwärtig kämpft der Kristallprinz wieder einmal um sein Leben. Ein Mond wird zum Schlachtfeld. Arkoniden treffen mit ihren verschworenen Feinden zusammen – und Atlan befindet sich IN DEN KLAUEN DER MAAHKS …
In den Klauen der Maahks
3
Die Hautpersonen des Romans:
Atlan - Der Kristallprinz überlebt ein Inferno.
Grek - Ein Maahk wird Allans Partner.
Zaroia - Eine hochgestellte Arkonidin, die Atlan verhört.
1. Ich wußte, daß ich auf dem Flug in den Tod war. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Un ruhe, Nervosität und Furcht beherrschten mich seit dem Augenblick, an dem ich in die Gefangenschaft der Maahks geraten war, da mals auf dem Planeten des Kryiliane-Sehers … und nur mein scheinbarer Wert als Tau schobjekt hatte mich bis jetzt am Leben er halten. Die Maahks, die das varganische Raumschiff zum Teil ausgeplündert hatten, überließen mich in der Druckkabine meinen Ängsten und Visionen. Denn ich hatte seit Tagen Visionen. Nach meiner Vorstellung wurden sie von einer Droge oder einem Stoff hervorgerufen, der sich in winzigen Mengen in der Atemluft dieser Überlebenszelle befand, vielleicht hervorgerufen durch einen undichten Filter oder eine schadhafte Dichtung. Jedenfalls beschäftigten sich sämtliche Visionen nur mit einem Thema: Dem geheimnisvollen Satelliten. Auch ich kann nicht hinter den Vorhang blicken, der sich vor der Zukunft befindet. Auch mir ist die Zukunft verschlossen! Eines jedoch ist sicher: Du hattest und hast genug Zeit, um deine Position in dieser verwirren den Welt genau zu überdenken. Deine Lage ist jetzt nicht besonders gut, aber noch lebst du! Mein Extrasinn schwieg wieder. Richtig! Ich konnte sogar durch lange, er müdende Übungen meinen Körper in Form halten. Ich konnte den Tagesablauf gestal ten, wie immer ich wollte. Es gab nicht ein mal Papier und Stift. Die einzige »geistige« Beschäftigung war gewesen, meinen Druck anzug zu testen und zu kontrollieren. Ich hob den Kopf – dort drüben hing die Schutz
hülle. Sie würde, wenn die Übergabe statt fand, so gut funktionieren wie immer. Ich, der angeblich so wichtige arkonidi sche Offizier, saß auf der harten Unterlage einer Art eingebauter Couch. Genau mir ge genüber war in die Wand der Druckkabine ein Bildschirm eingelassen, der bisher keine Sekunde lang funktioniert hatte. Eine Toilet te, eine Waschgelegenheit, ein eingebauter Sitz und eine Schreibplatte, ein paar Haken für Kleidungsstücke an den Wänden und Decken aus einem flauschigen, unbekannten Material, das war alles, worüber ich verfüg te. Der freie Boden zwischen den einzelnen Gegenständen war nicht größer als zwei Quadratmeter. Je länger ich hier war, desto mehr wuchs meine Furcht vor dem Zeit punkt, an dem ich die Kabine verlassen mußte. So saß ich hier und träumte meine Visio nen. Außerdem hast du Angst vor dem Zeit punkt, an dem du ausgetauscht werden sollst, erklärte mein Extrasinn. Richtig! Ich fürchtete mich. Ich war Ge fangener der Maahks, und ich hatte keinerlei Informationen. Ich kannte das Ziel nicht. Aber in Wirk lichkeit bist du überzeugt, daß das Ziel der GEHEIMNISVOLLE SATELLIT ist, sagte deutlich mein Extrasinn. Ich hob die Schultern. Es gab keinerlei Informationen. Die Nah rung, die mir auf einem Tablett durch eine kleine Schleuse hereingeschoben wurde, war eintönig, aber schmeckte nicht einmal schlecht. Ich hatte die Maahks im Glauben gelassen, ich sei ein wichtiger arkonidischer Offizier. In dieser Eigenschaft wollten sie mich mit großer Sicherheit gegen einen ihrer Greks eintauschen, der für sie ebenso wich tig war. Ich tat nichts, um sie über meine Person aufzuklären. In diesem Fall wäre ich
4 schon hier im Maahk-Schiff getötet worden. Du solltest deine Zeit nutzen, dich auf deine Rolle vorzubereiten! Ich brauchte auch dafür Informationen. Es gab keine Informationen. Lediglich die Zeit verging. Die Sekunden reihten sich aneinander zu einem endlosen Strang. Das Schiff bewegte sich durch eine unbekannte Entfernung, mit einer unbekannt hohen Geschwindigkeit, einem Ziel entge gen, das ich mir nicht einmal vorstellen konnte. Oder doch? Gab es einen derartig unglaublichen Zu fall, der das Ziel des Schiffes mit meinen wirren, phantastischen identisch werden ließ? Wo war die Welt, die angesteuert wur de? War es der Satellit, ein driftender kosmi scher Körper, geheimnisvoll leer und von den unterirdischen Bauwerken durchzogen, die ich aus meinen Visionen kannte? Ich hockte hier, spürte mit den Knochen meiner Wirbelsäule die Vibrationen der fremden Maschinen und schloß die Augen. Ich war allein. Allein mit meiner Furcht, den Visionen, die sich schnell einstellen würden, mit den korrigierenden Aussagen und Korrekturen der Logik meines Extrahirns, allein mit der indirekten Beleuchtung dieser stählernen Zelle, allein mit der Erwartung eines be stimmten Augenblicks. Ich begann zu träumen. Ich schlief nicht wirklich, sondern dieses Gift im Gasgemisch betäubte meine direkte Wahrnehmung. Ich schwebte wie eine Flaumfeder zwischen Wirklichkeit und Traum, zwischen der tödlichen Realität und der Fluchtwelt der Visionen. Vor meinem inneren Auge wurde es dunkel. Es gab nur noch eine unfaßbar tiefe, kosmische Schwär ze. Wie ein Pfeil, wie ein abgefeuertes Pro jektil, schoß mein Verstand geradeaus in dieses Medium hinein und schien sich zwi schen den winzigen, stechend scharfen Lichtpunkten zu verirren. Die Vision begann erneut.
Hans Kneifel Sie begann immer mit diesem ersten Ein druck. Ich hatte mich scheinbar von meinem Körper gelöst und bewegte mich wie ein Phantom auf meine Phantasiewelt zu. Gleich würde sie erscheinen. Gleich würden mich die Geheimnisse des Satelliten gefangenneh men und mich von meinen Ängsten befrei en. Aus der großen Dunkelheit schälte sich eine halbmondartige Form aus Lichtreflexen hervor.
* Plötzlich gab es Licht. Es ging von einer unerträglich grell strah lenden Kugel aus, einer Sonne, die zur rech ten Seite im Dunkel des Weltraums erschi en. Irgendwo in der Weite der Galaxis gab es diesen Satelliten, der jetzt immer deutli cher wurde. Ein riesiger Mond, dessen Ober fläche in vielen schillernden Farben prunkte. Ebenen und Krater, Flußbetten und Höhen züge, weich modelliert und schattenwerfend, schälten sich aus der Masse der verwirren den Eindrücke heraus. Ich näherte mich der Oberfläche des Mon des, tauchte hinunter und stand plötzlich körperlich auf dem Boden dieser galakti schen Einöde. Ich besaß meinen Körper wie der. Aber ich konnte mich ohne Schutzan zug bewegen. Unter meinen Schritten stoben kleine Sandwolken und Staubschleier hoch, die von einem deutlichen Luftzug zur Seite geblasen wurden. Aber es war keine Atem luft, es waren vielmehr bewegte Gasmassen, die eruptiv aus der Tiefe des Bodens aufstie gen, sich eine Zeitlang hielten und dann in den Weltraum abdrifteten, weil die Oberflä chenschwerebeschleunigung dieser Welt zu gering war. Vor mir lag wieder die Ebene. Groß, weit, mit verschwimmenden Grenzen, von einigen goldgelb leuchtenden Bergzügen einge rahmt. Felsen ragten wie gichtig verkrümm te Finger aus dem Boden. Ich ging weiter und befand mich nach einer nicht meßbaren Zeitspanne am oberen Rand eines schrägen,
In den Klauen der Maahks mit silbernem Staub bedeckten Hanges. Wo würde heute der Eingang in das sub lunare Reich dieses Satelliten zu finden sein? Der große, hellgrau und golden gemuster te Platz der runden Ebene lag klar unter dem Licht der Sterne. Hinter dem Gebirge war die ferne Sonne versteckt. Die säulenartigen Felsen vor mir hatten eine braune Schatten färbung. Langsam ging ich den Hang hinun ter und an den Spuren vorbei, die ein Schiff hinterlassen hatte. Tief, bis auf den Fels und das Geröll hinunter, hatten sich die Landes tützen eingegraben. Vor Äonen mußte hier eine Stadt gewesen sein. Während ich dem fernen Gebirge ent gegenschritt und den wirbelnden Staub hin ter mir ließ, schob sich immer mehr und deutlicher erkennbar im Sternenlicht die Burg zwischen den Felssäulen hervor. Ich hatte diesem Gebäuderest diese Bezeich nung gegeben. Die Würfel und Flächen in der Mitte von breiten Straßen und fast un kenntlichen Hausfronten deuteten darauf hin, daß es ein riesiges Bauwerk gewesen sein mußte, daß sich über die Stadt und die Ebene erhoben hatte. Vorübergehend verdrängte eine zweite Vision die erste. Es war ein Sprung in der Zeit. Ich sah plötzlich die Stadt und die Ebene in den Jah ren, da sie lebten und mächtig waren. Der Satellit war damals noch ein riesiger be wohnter Mond in der Bahn um einen Plane ten. In diese Welt drang ich nun ein. Weiße Gebäude entstanden plötzlich vor meinen Augen in einer unabsehbar großen blauen Fläche aus Bäumen und Vegetation, die bis zu den Hängen der Gebirge hinauf reichte. Eine runde Stadt, die dicht vor mir mit kleineren Gebäuden neben breiten Prunkstraßen begann, die in die Richtung des Zentrums immer mehr in die Höhe wuchs und schließlich ihren absoluten Mit telpunkt mit einem runden Hügel und der Burg darauf hatte. Die Burg war wirklich ein faszinierender Bau: groß, strahlend weiß, mit metallenen Verzierungen und leuchten-
5 den silbernen Dächern und Kuppeln. War sie die Zentrale der Stadt? Wurden von ihr aus sämtliche Einrichtungen gesteu ert, die ich aus meinen anderen Visionen her kannte? Jene Gänge und Hallen, voll von lautlosen Maschinen und reichen Schatz kammern? Ich befand mich plötzlich am Hauptplatz der Stadt. Ich hatte mit einem einzigen Sprung die Mitte der riesigen Ebene erreicht. Hier teilte sich ein Flußlauf und zweigte in hundert kleine Wasseradern auseinander, die zwi schen den Gebäuden bizarre und harmonisch eingefügte Kanäle, Wasserfälle und Teiche bildeten. Ein Krüppel saß auf einer Brücke, hielt die Füße ins Wasser und drehte pich halb herum, als er meine Schritte hörte. Merk würdig – heute trug er unverkennbar die Zü ge Fartuloons, des Bauchaufschneiders. Ge stern hatte er anders ausgesehen. Alle Ein wohner der Stadt, die in meinen Visionen aufgetaucht waren, sahen humanoid aus. Sie trugen die Gesichter von Menschen aller Planeten, die ich jemals gekannt hatte. Der Krüppel zuckte seine buckligen Schultern und wandte sich, als ich über die weiße Brücke ging, wieder dem murmelnden Was ser zu. Drei große weiße Vögel glitten mit unhör barem Flügelschlag über den weiten Platz und landeten in der Krone eines riesigen Baumes. Die Stadt lag verlassen unter dem Sternenlicht, aber es gab genügend Licht. Die Luft schien zu glühen wie Gas in einer elektrischen Röhre. Ich sah keine Schatten, aber durch diese vage Helligkeit schimmer ten starr die Sterne. Ich ging weiter. Ich suchte den Eingang ins unterirdische Reich. Jetzt, in meiner Vision, sagte mir eine innere Stimme, daß ich diesen Eingang ein mal brauchen würde. Er konnte mir das Le ben retten. Wann? Wie? Auf welche Weise? Und wann würde ich die Stadt wieder betre ten? »Antwortet doch! Zeigt mir, was ich tun
6 soll!« rief ich laut und bewegte mich weiter auf die Burg zu. Ohne Echo verhallte meine Stimme. Nie mand kam und faßte mich an der Hand. Über den Platz kam ein Mann in einem langen, schimmernden Umhang. Er sah mich und deutete nach links, in die Richtung der Kolonnaden. Ich wollte etwas rufen, aber der Fremde, der wie Ra aussah, schüt telte lächelnd den Kopf und eilte zurück in die Schatten. Ich muß den Eingang suchen! sagte ich mir. Während ich auf die lange Reihe der Säu len zuging, die sich über einigen Stufen er hoben, belebte sich der Platz. Über die vie len Brücken kamen Menschen jeden Alters. Sie waren unvorstellbar prächtig und ab wechslungsreich gekleidet. Sie kamen auf mich zu, schritten aneinander vorbei und bo gen dann schnell ab, ehe sie mich erreicht hatten. Andere ritten auf Tieren, die einem Fabel buch entsprungen waren, über den Platz. Sie trugen seltsame Gegenstände in den Händen, die entfernt an bizarre Waffen erinnerten. Aber alles ging lautlos vor sich, Vögel rühr ten sich und zwitscherten in den Zweigen, die vielen Bäche und Fälle murmelten und brausten, der Wind summte zwischen den Gebäuden, und die Blätter der Vegetation rauschten. Aber keiner der Menschen, die wiederum bekannte Gesichter trugen, sprach ein Wort. Auch bewegten sie sich völlig lautlos. Ich erreichte die Säulen und ging durch die Streifen von Licht und Schatten auf ein Tor zu, das sich am Ende der Säulen zeigte. Lautlos schwang vor mir ein hölzernes, mit schweren Metallbeschlägen versehenes Tür blatt auf. Nach wenigen Schritten befand ich mich in einem zauberhaften Hof, der von ei nem Kreuzgang umgeben war. Hinter mir schloß sich die Pforte. Ich war allein. Dieser Teil der Stadt war neu in meinen Visionen. So weit war ich noch niemals vorgedrun gen.
Hans Kneifel Ich ging bis zu einer Stelle zwischen Rundbögen, durchbrochenen Mauern und Pfeilern, von der aus ich den rechteckigen Hof genau sehen konnte. Dort war ein Mi niaturgarten angelegt. Rasen und geharkte Sandflächen, Ziersteine und ein winziges Rinnsal, etwa ein halbes Dutzend Bäume und schmale Pfade aus kristallweiß leuch tendem Kies – alle diese Teile verbanden sich zu einem kleinen Park von betäubender Schönheit. Noch während meine Augen ge blendet über diese Schönheit glitten, hörte ich Schritte vor mir. Plötzlich erfüllte beru higende Musik den Hof und hallte zwischen den Kreuzgewölben wider. Hinter den Bü schen sah ich die Bewegungen einer schlan ken Gestalt in einem weißen Kleid. Ich schwang mich über eine kniehohe Mauer hinaus in den Garten und sagte laut: »Ich bin hier. Ich habe Fragen. Ich bin fremd.« Dann hörte ich eine bekannte Stimme. Ich blieb ruckartig stehen, als ich erkannte, wer hier auf mich zukam. Es war Ischtar, meine Geliebte. Die Gol dene Göttin. »Ischtar!« stammelte ich. Sie lächelte und legte den Finger an die Lippen. Dann zerriß das Geräusch eines schnarrenden Summers die Ruhe. Sämtliche Gedanken und Visionen zerstoben wie Rauch im Sturm. Das Bild riß auf und zeigte die Wirklichkeit. Eine Tür fiel knallend zu. Die Sterne verschwanden, alles wurde hell. Ich war allein. Ein Blick zeigte mir, daß ich mich wieder in der Druckkabine befand. Mein zweiter Blick zeigte mir, daß der Bildschirm der Druckkabine noch immer stumpf und ohne Informationen war, und dann roch ich den Geruch des Essens. Der Summer riß dich aus deinen Visio nen! meldete sich das Extrahirn. »Ich weiß!« knurrte ich, schwang mich von der Liege und ging auf den Tisch zu. Dort stand, wie immer zweimal am Tag – obwohl ich jegliches Zeitgefühl verloren hatte und nicht wußte, wieviel Tage seit dem
In den Klauen der Maahks Start vergangen waren – das Tablett mit dem heißen Essen, dem Wegwerfbesteck und den Verpackungen, die keinerlei Aufschrift tru gen. Ich kannte den Inhalt inzwischen und hatte seinen Geschmack auf der Zunge. Ich setzte mich schweigend auf den eingebauten Sitz und begann zu essen. Vor meinen Au gen befand sich der haarfeine Spalt, der die Ausmaße der kleinen Schleuse bezeichnete. Es gab für mich keinerlei Möglichkeit, aus diesem Raum entfliehen zu können. Das Schott, ebenfalls so genau eingepaßt, öffnete sich nur nach außen. Ich aß und wartete wei ter. Die Zeit verging. Minuten summierten sich unmerklich zu Stunden. Wieviel Tage war ich schon in dieser verfluchten Zelle? Nach meiner Berechnung länger als sechs Tage unseres Zeitmaßes, warf mein Extra sinn ein. Ich beendete das Essen, stand auf und leg te mich wieder auf die dünne Matratze. Da es in der Zelle genügend warm war, rollte ich die Decke zusammen und schob sie un ter meinen Kopf. Ich schloß die Augen und atmete regelmä ßig. Ich fühlte mich allein und in Gefahr. Ver mutlich produzierte mein Unterbewußtsein die übereinander, und ineinander gestaffel ten Visionen. Und es glückte mir – zum er stenmal – genau dort wieder neu anzufan gen, wo ich hatte aufhören müssen.
* Ich erwachte wieder in der fremden Stadt. Die Gräser funkelten von großen Tautrop fen. Eine schläfrige Betäubung erfüllte die Szene, in der Ischtar auf mich zukam. Sie war jünger, an der Schwelle zwischen Mäd chen und Frau. Aber es war unverkennbar Ischtar. Ich blieb stehen und hörte nur den Lärm der Vögel und meinen eigenen Herz schlag. Von einer Blüte flatterte ein riesiger Schmetterling auf. Er sah aus wie ein prunk volles Stück Geschmeide. »Wo bin ich hier?« fragte ich leise, als Ischtar vor mir stehenblieb und mich
7 schweigend anblickte. »Ich kenne den Namen dieses Mondes auch nicht!« Ich runzelte die Stirn und erklärte: »Ich weiß, daß ich dich nur in einer Visi on sehe. Alles hier ist Vision und Wachtraum. Aber hinter dem Schein muß ir gendwo die Realität verborgen sein. Ich schlafe nicht, und ich war mindestens zwan zigmal in dieser Stadt. Das muß etwas zu bedeuten haben. Und du bist heute zum er stenmal Bestandteil der Vision.« Sie lächelte. »Du versuchst nur, deine Ängste zu unter drücken. Du flüchtest mit deiner Phantasie hierher, um einen Ausweg zu suchen.« Sie streckte die Hand aus und streichelte weich meine Wange. »Das mag richtig sein«, sagte ich beharr lich und deutete nach unten. »Aber ich ken ne Dinge von dieser Stadt, die ich niemals gesehen habe. Unter der Stadt gibt es Höh len, Gänge und Hallen, in denen Maschinen arbeiten.« »Das weiß ich nicht, Atlan!« erwiderte sie. »Ich weiß nur, daß wir nicht real sind. Und du weißt es auch!« Ich nickte. Sie hatte recht, aber ich wollte versuchen, die Welt meiner Visionen zu er gründen. Vielleicht waren meine Kenntnisse einmal wirklich lebensrettend. Mein Extra sinn schwieg und mischte sich nicht ein, als ich mich erkundigte: »Kennst du diese Stadt?« »Ebensowenig wie du, Atlan. Ich weiß nur, daß sie nicht wirklich ist.« »Du sagtest es bereits einmal. Aber wa rum gerade immer wieder dieser geheimnis volle Satellit? Warum immer dieselbe Visi on? Es hat etwas zu bedeuten. Komm, gehen wir, und versuchen wir, mehr Geheimnisse aufzuspüren.« Sie lächelte und erwiderte ernst: »Du bist noch jung und ungeduldig. Du glaubst, daß alles mit den Erfahrungen der Logik und der Naturwissenschaft zu lösen oder zu erklären ist. Vielleicht siehst du wirklich ein wenig in die Zukunft. Oder dei
8 ne Visionen treiben dich auf eine Parallele bene. Oder du bewegst dich in der Vision entlang des Fadens der Zeit, wer weiß?« »Ich weiß es nicht.« Ich faßte sie an der Hand und zog sie mit mir auf die Stelle zu, an der ich den Garten betreten hatte. Sie folgte wortlos. Unsere Schritte knirschten auf dem weißen Kies. Wir gingen in den überdachten Raum hin ein, und ich suchte eine andere Tür. Eine schlanke, hohe Platte zog meine Blicke und auch mich selbst magisch an. »Wohin gehst du, Atlan?« Ich drückte die Hand zwischen meinen Fingern. Einen langen Augenblick wurde die Illusion derart vollkommen, daß ich Ischtars Gegenwart und ihre Hand körperlich spürte. Stechend traf der Pfeil der Erinnerung. Ich flüsterte zurück: »Etwas ist hinter dieser Tür. Etwas, das ich suche!« Die Tür schwang nach innen auf, als wir vor ihr standen. Ich zog das Mädchen Ischtar mit mir und betrat den Raum. Während mei ne Augen über den stumpfen Bildschirm, die Schreibplatte und den eingebauten Sitz glit ten, sagte Ischtar: »Jemand muß hier gewesen sein. Dort sind Essensreste.« Sie deutete auf die Platte. Ich erkannte ein Tablett und gebrauchtes Geschirr. Dann be wegte sich plötzlich ein Stück der Wand, die Platte kippte, und das gesamte Tablett rutschte in eine dunkle Öffnung. Langsam schloß sich die Wand wieder, und dann fühl ten wir unter unseren Sohlen die Vibrationen des Bodens. Schwere, metallische Geräusche erschüt terten den Raum. Er bebte plötzlich wie ein Teil eines Raumschiffes, das seine Lage ver änderte. »Ich gehe dort hinein!« sagte Ischtar, riß sich los und ging auf eine kleine Öffnung zu, hinter der sie verschwand. Winselnd ar beiteten hinter den hellen, metallenen Wän den schwere Maschinen. Stimmen schrien Kommandos, Lautsprecher schalteten sich ein. Die Vibrationen des Raumes wurden
Hans Kneifel stärker. Ich starrte auf den Bildschirm, der noch immer nicht in Tätigkeit war. Langsam drehte ich meinen Kopf. Komm zu dir! Das Raumschiff setzt zur Landung an! sagte scharf eine Stimme in meinen Überlegungen und Gedanken. Ich drehte den Kopf und suchte nach dem Spre cher. Ich bin es! Der Extrasinn! Während die Erschütterungen und der Lärm außerhalb des Druckraums zunahmen, während ich bemerkte, daß ich mitten in der Zelle stand und das Gleichgewicht zu halten versuchte, meldete sich der Extrasinn aber mals und mit deutlicher Intensität. Das Schiff landet! Es ist soweit, Arkoni de! Komm zurück aus deinen Visionen! Die Maahks haben den Übergabeort erreicht! Ich erwachte. Ischtar und die fremde Stadt waren ver schwunden. Meine Visionen hatten mich in ihrer widersinnigen Logik genau wieder in diese Druckkammer zurückgeführt. Ich be kam die Kontrolle über die Gegenwart wie der und orientierte mich schnell. Ich wußte, daß der Extrasinn recht hatte – wie immer und überall. Mit einem schnellen Satz war ich auf der Liege und lehnte mich gegen die Wand, um die Schwankungen des Raumes abzufangen. Bereite dich auf deine neue Rolle vor, At lan! Meine neue Rolle war die eines wichtigen Arkoniden-Offiziers. Hoffentlich ließen sich die Arkoniden, de nen ich übergeben werden sollte, auch täu schen. Wenigstens solange, bis ich eine Fluchtmöglichkeit fand. Ich mußte zurück zu Fartuloon und meinen Kampf um den Thron wieder aufnehmen. »Ich habe verstanden!« sagte ich laut. Die Geräusche außerhalb der Zelle waren jetzt deutlich. Sie waren identisch mit den Vor gängen in jedem Schiff eines jeden raumfah renden Volkes, das auf einem luftlosen Mond oder einem Asteroiden zur Landung ansetzte. Denn ich merkte, daß das Heulen einer Lufthülle wegblieb, während ich ein
In den Klauen der Maahks deutig spürte, daß das Schiff in rasender Fahrt abwärts glitt und in langen Brems schüben die Fahrt verringerte. Jedesmal wechselten die Andruckverhältnisse. Ich wartete … Was blieb mir anderes übrig? Ich ver drängte alle Gedanken der letzten Stunden aus meinem Kopf. Ischtar, die anderen Ge sichter, der geheimnisvolle Mond und die farbenleuchtende Stadt in der Ebene. Alles war nur Vision gewesen, hervorgerufen durch meine Ängste und eine Gasspur in der Atemluft dieses Kreislaufs. Wieder bremste der Maahkpilot ab, dann verringerte sich die Bewegung des Schiffes fast völlig. Landung! Der Raumer der Methanatmer verringerte abermals die Sinkgeschwindigkeit. Jetzt war ich sicher, daß wir auf einem kleinen Plane ten oder einem großen Mond landen wür den, der keine oder fast keine Gashülle sein eigen nannte. Dann kam der Ruck, mit dem das Schiff den Grund berührte. Stufenweise wurden die Maschinengeräusche leiser, die Kommandos und Durchsagen veränderten ihren Charak ter. Und zu meiner maßlosen Verblüffung schaltete sich der Bildschirm ein. Ich beugte mich gespannt vor. Das Bild stabilisierte sich. Die Optik mußte an ein bewegliches System in der Zentrale angeschlossen sein, denn die Lin sen drehten sich und brachten eine ge schwenkte Aufnahme des Ortes, an dem wir gelandet waren. Ein gestochen scharfes, farbiges Bild ei ner unbekannten, öden Welt. An der Art der Horizonte mußte ich erkennen, daß es tat sächlich ein Weltkörper mit geringerem Durchmesser als ein Planet war; also doch ein Satellit oder Mond. Ich blickte die Sze nerie an und glaubte nicht, was ich sah. Die Sonne stand rechts im Bild. Die harten Schatten fielen nach links. Ich sah von einem Hügel oder dem höchsten Punkt eines Hanges auf eine Ebene. Sie brei tete sich wie eine flache Schüssel zwischen Gebirgszügen aus, die nur aus Schwarz-
9 Weiß-Gegensätzen zu bestehen schienen, aus kalkig weißen Felsen und nachtschwar zen Schatten. Deutlich waren unbekannte Sterne über der Ebene zu sehen. Der geheimnisvolle Mond! Überlege sorgfältig! Lasse dich nicht von deinen Visionen übertölpeln! Glaube nicht, weil du es glauben willst! schrie der Extra sinn Warnend auf. Aber je mehr ich sah, je deutlicher hin und wieder die Optiken Vergrößerungen auf den Bildschirm brachten, desto mehr wuch sen meine Überzeugung und mein Erstau nen. Gewaltsam mußte ich mich bemühen, um nicht in Panik zu verfallen. Diese Bilder hatte ich unablässig in den letzten Tagen ge sehen. Es waren die ersten Bilder meiner Vi sionen gewesen. Dort waren die Gebirge, die das Tiefpla teau umschlossen. Nur die Farben fehlten. Dort waren die Staubfahnen, von Gasstößen aus der Kruste dieses Mondes hochgeweht. Dort waren die flimmernden Schleier um die schrägen, geknickten Felssäulen in der Ebe ne. Dort war auch der Hügel mit Felstrüm mern, die aussahen wie die Reste meiner vi sionären Burg. »Das kann nicht wahr sein!« stöhnte ich auf. Es ist nur der Treffpunkt beider Schiffe. Ein neutraler Platz irgendwo zwischen den Sternen! warnte das Extrahirn. Ich riß mich zusammen und begann die Szene mit kühler Überlegung zu betrachten. Zweifellos war die Ähnlichkeit so groß, daß ich einem Trugschluß meiner durch die lan ge Einsamkeit überreizten Nerven erlegen war. Ich hatte einen Rundblick um das Schiff angesehen, jetzt schwenkten die Linsen zu rück und richteten sich ungefähr auf die ge nau entgegengesetzte Position; zwischen dem Maahkschiff und einem ähnlichen fla chen Hang lag das Rund der tiefen Staube bene. Die Geräusche um mich herum ver stummten. Nur noch das fast unhörbare Zu schlagen von Schotten war zu hören.
10 Sie warten! sagte der Extrasinn. Ich versuchte, mich zu beruhigen. Lang sam schaffte ich es, mir selbst gegenüber die Ähnlichkeit der Vision mit der Wirklichkeit dem Zufall zuzuschreiben. Und jetzt wurde ich abermals abgelenkt. Wieder schlug die Angst nach mir, als ich sah, wie sich etwa zehntausend Meter entfernt ein Schiff näher te. Die Linsen erfaßten es in der letzten Pha se des Landeanflugs. Ich starrte den Schirm an und wußte, daß das Verhängnis nahte. Sie würden mich er kennen! Oder sie würden mich abweisen, weil ich für sie völlig unwichtig war. Keine Panik! Du hast schon schlimmere Situationen durchstanden. Aber jetzt ist Far tuloon nicht da, der Bauchaufschneider, der dich unterstützen kann! flüsterte eindringlich das Extrahirn. Das Kugelraumschiff war unverkennbar arkonidischer Bauart. Der Durchmesser be trug vermutlich fünfhundert Meter, wenn ich dieses Maß in Beziehung zur Umgebung setzte. Mit ausgefahrenen Landestützen und feuernden Partikeltriebwerken landete das Schiff in einer gewaltigen Wolke aufgewir belten Staubes und blieb dann ruhig stehen. Der Staub senkte sich und wurde zur Seite getrieben. Noch immer geschah nichts. Wahrscheinlich verhandelten beide Par teien über Funk und schalteten die Transla toren dazwischen. Waffenstillstand im Me thankrieg herrschte jetzt und hier zwischen zwei Schiffen. Noch während dieser Überlegung knackte der Lautsprecher über dem Bildschirm. Das Bild wechselte. Ich blickte in einen mit tech nischem Gerät vollgestopften Raum hinein und sah einen Maahk, der ins Mikrophon sprach und mich anstarrte. Natürlich kannte ich nicht einmal seinen Namen oder seine Bedeutung an Bord. Die Maschine übersetz te seine Worte. »Machen Sie sich fertig, Arkonide. Zie hen Sie Ihren Schutzanzug an, in einiger Zeit werden Sie geholt und übergeben.« Ich nickte. »Wo sind wir hier? An welchem Platz?«
Hans Kneifel fragte ich hastig und sprang auf. »Das ist unwichtig. Es ist neutrales Terri torium. Alles andere können Sie selbst fest stellen.« Wieder wechselten die Bilder, und ich blickte wieder hinaus auf den öden Mond, auf die Landschaft aus meinen Visionen. Gegenüber, beim arkonidischen Schiff, wur den jetzt Scheinwerfer eingeschaltet. Konnte ich der Aktion entkommen? Sollte ich versuchen, zu flüchten? Aber auf diesem Mond dauerte mein Leben nur so lange, wie meine Vorräte an komprimierter Atemluft reichten. Langsam begann ich, meinen Schutzanzug anzuziehen. Mit einem erneu ten Versuch, die Zeit herauszuschieben, ging ich zum zwölftenmal daran, den Anzug durchzusehen. Es nützte nichts. Ich saß schließlich da, mit angezogenem und durchgetestetem Schutzanzug, den Helm nicht geschlossen. Ich sah das Arkon schiff an und bemerkte den Gleiter, der aus geschleust und abgesetzt wurde. Dann, weil plötzlich die Linsen wieder auf Vergröße rung geschaltet wurden, sah ich auch den Maahk in seinem charakteristischen Anzug. Das Wesen also, gegen das ich ausgetauscht werden sollte. Ich war äußerlich von mas kenhafter Ruhe und Starre, aber innerlich fühlte ich mich krank. Mein Magen schmerzte, ich begann zu schwitzen, und ei ne Art inneres Zittern stellte sich ein. Das Furchtbare war, daß ich nicht handeln konn te. Sie gaben mir keine Chance. Ohne daß das Bild wechselte, sagte der Translator durch den Druckkammer-Lautspre cher: »Schließen Sie den Helm Ihres Anzugs. Wir kommen, um Sie abzuholen!« Dann wurden Bild und Lautsprecher aus geschaltet. Ich schloß den Anzug, schaltete die In nenversorgung ein und wartete einige Minu ten. Dann öffnete sich langsam das Schott. Ich erkannte dahinter zwei Maahks, die ihre schweren Waffen auf mich richteten. Sie tra ten zur Seite, ein dritter Methanatmer kam
In den Klauen der Maahks aus dem Hintergrund und winkte mir. Ich verließ die Druckkammer und wurde von den beiden bewaffneten Fremden in die Mitte genommen. Wir bewegten uns schnell einen Korridor entlang. Ein vierter Maahk kam auf uns zu. Seine Augen glühten düster, als er mich anblickte. Mir waren diese We sen immer unheimlich gewesen. Niemand konnte sie unterscheiden, und alles, was wir Arkoniden über ihre Gesellschaftsform wuß ten, war keineswegs geeignet, sie zu fairen Gegnern werden zu lassen. Aber offensicht lich hielten sie sich an gegebene Verspre chen. Im Lift kamen zwei weitere schwerbe waffnete Methanatmer dazu. Als wir in der Schleuse standen, schloß sich der siebente Maahk unserer Gruppe an. Wir warteten auf den Druckausgleich, und schließlich beweg ten wir uns schweigend auf der Rampe dem Boden entgegen. Die Maahks trugen kleine Translatoren und Kabel mit sich. Ich schal tete die Außenmikrophone ein, aber die Lufthülle des Mondes war tatsächlich hauchdünn. Ich hörte meine Schritte nur über die Vibrationen des Körpers und des Anzugsmaterials. Zwanzig Meter entfernt stand ein alter, zerbeulter Materialgleiter. Mit weiten Schritten, fast mit Sprüngen gingen wir in der geringen Schwerkraft auf das Fahrzeug zu. Ein Maahk stöpselte das geringelte Ka bel des Translatoranschlusses in meinen An zug ein. »Wir hoffen, daß Sie keinen Schaden er litten haben«, sagte eine kalte Stimme, »Sagen Sie das Ihren Leuten!« Der andere muß wichtig sein! Sie sind be sorgt, daß sie ihn vielleicht nicht bekommen! sagte der Extrasinn. »Ich bin gut behandelt worden!« erklärte ich steif. Meine Stimme war rauh geworden. Der Gleiter setzte sich in Bewegung und schwebte den Hang hinunter. An den ste chenden Scheinwerfern konnte ich erken nen, daß sich auch das Fahrzeug der Arkoni den näherte. Der Augenblick der Wahrheit kam unaufhaltsam näher.
11 Konnte ich bluffen? Es ist dir bisher noch immer gelungen, kommentierte der Extrasinn. Die Gleiter schwebten aufeinander zu. Ich war sicher, daß sämtliche Geschütze beider Schiffe auf einander gerichtet waren. Arkoniden und Maahks waren Gegner in einem furchtbaren Krieg. Und auch die Männer, die mich ab holten und den Maahk mit sich brachten, würden schwer bewaffnet sein wie meine Begleitung. Der Moment, an dem ich wußte, ob ich starb oder weiterlebte, stand unmittel bar bevor. Die Scheinwerfer blinkten auf, dann schwebten die Gleiter aufeinander zu, drehten sich und blieben in einem Abstand von mehr als dreißig Meter voneinander ste hen. Die Maahks standen auf, einer sagte durch das Gerät: »Kommen Sie. In wenigen Sekunden sind Sie frei.« Ich antwortete nicht, aber ich ging vor den Fremden her, auf den Arkoniden im Schutz anzug zu, der jetzt auch zur Seite trat und sich in einen Halbkreis aus schwerbewaffne ten Raumfahrern einreihte, in dessen Mittel punkt der Maahk stand und jetzt ohne sicht bare Veränderung seiner Gestik – die viel leicht Freude hatte ausdrücken können – auf seine Leute zuging. Unter den wuchtigen Stiefeln seines Raumanzugs wölkte Staub hoch und wurde von Gasströmen zur Seite geblasen. Auch ich löste mich aus der Grup pe und bewegte mich rechts an dem Maahk vorbei. Noch immer zog ich das Kabel des Translators hinter mir her. Der Anführer der Arkoniden griff nach ei nem Stecker und befestigte die Zuleitung an seinem Gürtel. Dann hörte ich seine Worte. Er sprach Kraahmak. Nach einigen Sät zen, von denen ich kein Wort verstand, er widerte der Anführer »meiner« Gruppe, daß er seine Verpflichtungen ebenfalls erfüllt und mich, den hohen Offizier der Arkoni den, mitgebracht habe. Unversehrt und ohne Beschädigungen, wie er wisse. Tatsächlich übersetzte das Gerät dieses Wort. Unbeschä digt.
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Hans Kneifel
Aus der Gruppe der Arkoniden löste sich ein Offizier. Ich sah die Rangabzeichen auf seinem Anzug. Er kam auf mich zu. Ich sah nur seine Augen hinter dem dicken Glas des Raumanzugs. Er musterte mich lange und gründlich und ließ mich nicht aus den Au gen, bis er dicht vor mir stand. Sein Anzugscheinwerfer flammte auf und blendete in mein Gesicht.
2. Behalte die Nerven! Keinerlei Reaktion! Warte, was jetzt geschieht, erst dann reagie ren! flüsterte der Extrasinn. Ich blinzelte in der plötzlichen Dunkel heit, als der Scheinwerfer abgeschaltet wur de. Dann hörte ich mit steigendem Entset zen, wie der Offizier vor mir sagte: »Wir sind offensichtlich betrogen worden. Nicht von Ihnen, Maahk, sondern überhaupt. Jedenfalls …«, er machte eine Pause, »ist dies alles andere als ein wichtiger Mann für uns. Ich kenne ihn nicht einmal.« Ich holte tief Luft. In meinen Ohren summte es; über die Kabelverbindung hörte ich die Atemzüge der Maahks und der Arko niden. Durch die vierzehn bewaffneten Raumfahrer lief wie ein Schauer eine Bewe gung. Nervös griffen ihre Hände nach den Waffen und hoben sie an. Plötzlich war eine unverkennbar feindselige Stimmung aufge kommen. Ich sagte heiser und aufgeregt: »Aber, Offizier! Sie müssen sich irren. Sie wissen, daß ich …« »Schweigen Sie! Sie sind ein Betrüger!« schnarrte er. Nicht aufgeben! Die Situation ist unstabil! sagte scharf der Extrasinn. Der Translator funktionierte einwandfrei. Ich sah mit einem Seitenblick, daß sowohl die Maahks als auch die Arkoniden kleine Geräte dieser Art umgehängt hatten und de ren Verbindungskabel an die Funkgeräte ge koppelt hatten. Was konnte ich tun? Der Of fizier drehte sich uninteressiert herum und sagte dann, auf den Grek deutend: »Wir sind an diesem Arkoniden nicht in-
teressiert. Nehmen Sie ihn wieder mit und geben uns Ihren Grek.« »Nein!« schrie eine Maahkstimme deut lich aufgebracht. Es klang endgültig. »Wir denken nicht daran«, sagte der An führer der Gruppe meiner Landsleute, »diesen Austausch vorzunehmen. Wir füh len uns betrogen und werden den Grek wie der mit uns nehmen, um ihn gegebenenfalls gegen einen wirklich wichtigen Gefangenen auszutauschen. Brechen wir die Verhandlun gen ab. Es tut mir leid.« »Wir denken nicht daran, Grek zurückzu geben. Wir sind mit diesem Tausch zufrie den und einverstanden!« erklärte einer der Maahks. »Mir widerstrebt es, Ihnen zu drohen!« sagte der Arkonide und packte mich an den Schultern. Er drehte mich halb herum und schob mich auf die wartende und regungslo se Gruppe der Methanatmer zu. Verwirrt stolperte ich einige Schritte, fing mich wie der und rief: »Seid ihr wahnsinnig? Ihr könnt mich doch nicht in der Gefangenschaft dieser Me thanatmer lassen!« Ich fürchtete mich wirklich. Zwar lebte ich noch und schien eine Gnadenfrist her ausgeschunden zu haben, aber jetzt spitzte sich die Lage abermals zu. »Sie werden sehen, daß wir es können!« war die Antwort. Die laute, wütend klingende Stimme eines Maahks, über die Translatoren verzerrt, un terbrach mich. Ich taumelte in der geringen Schwerkraft des Mondes seitlich an der Gruppe der Methanatmer vorbei. Ich war wirklich bedeutungslos. Niemand schien mich im Augenblick zu beachten. »Wir haben keinerlei Verständnis für die sen Vertragsbruch!« schrie der Maahk. »Wir haben Ihren Gefangenen, Sie haben Ihren Arkoniden bekommen, und jetzt werden wir in unser Schiff zurückfliegen und starten. Die Verhandlungen sind beendet.« »Nicht für uns, Grek!« rief der Arkonide. Gleichzeitig mit ihm hoben auch die anderen
In den Klauen der Maahks Raumfahrer ihre Waffen und zielten damit auf die Maahks. Einige von den Arkoniden glitten langsam in die Deckung einer Felsen gruppe. Auch die Maahks reagierten mit ra sender Geschwindigkeit. Ihre Kette zog sich weiter auseinander, ihre Waffenmündungen suchten sich jetzt Ziele. Aber noch immer verhandelten die beiden Parteien. »Nehmen Sie Ihren Arkoniden! Gehen Sie! Wir haben unseren Teil des Vertrags er füllt!« sagte ein Maahk. Er deutete auf den Gleiter, und der ehemalige Gefangene der Arkoniden glitt in einer Reihe von langen Sprüngen auf das Fahrzeug zu. Die anderen Methanatmer zogen sich langsam zurück. Der Arkonide stand hoch aufgerichtet da, deutete auf mich und schrie wütend in sein Funkgerät. »Sie! Unbekannter Arkonide! Gehen Sie zurück zum Maahkschiff. Wir brauchen Sie nicht! Und sagen Sie Ihren Freunden, daß wir ihr Schiff vernichten, wenn sie den Ge fangenen nicht augenblicklich zurück schicken.« »Ich werde nichts dergleichen tun!« erwi derte ich fest. Ich hatte eine Fluchtmöglich keit ins Auge gefaßt, denn ich rechnete da mit, daß die Feindseligkeiten unmittelbar be vorstanden. »Sie werden gehorchen, oder …« »Ich gehorche Ihnen, wenn Sie mich an Bord nehmen«, erklärte ich. »Aber nicht un ter diesen Voraussetzungen!« Durch die Helmlautsprecher erscholl Stimmengewirr. Direkte arkonidische Stim men, übersetzte Texte meiner Landsleute, die wilden, aufgeregten Stimmen der Maahks, auch ins Arkonidische übersetzt. Dann schälte sich aus dem Chaos eine dröh nende Maahkstimme und übertönte alles. »Sie bringen uns dazu, Arkonide! Wir las sen uns von Ihnen nicht übertölpeln!« Der Anführer der Arkoniden erwiderte nichts, aber aus seiner schußbereiten Waffe zuckte ein Feuerstrahl und verwandelte das Gestein und den Staub vor den Füßen des einstigen Gefangenen in kochende Lava und
13 umherspritzende Tropfen aus weißglühendem Gestein. »Stehenbleiben!« Der Arkonide meinte den Gefangenen. Ich drehte den Kopf und blickte von einer Gruppe zur anderen. Ich war für einen lan gen Moment völlig ratlos. Flüchte! Du bist waffenlos und unge schützt! schrie mein Extrasinn alarmiert. Ich warf mich herum und sprang in die Richtung eines Felsblocks, der groß genug war, um mich zu verstecken. Ein zweiter Schuß wurde abgefeuert, als ich mich zu Bo den warf. Einer der Maahks hatte geschos sen und den Arkoniden getroffen. Der Offi zier wurde von einer gewaltigen Kraft ge packt, hochgerissen und zurückgeworfen. »Seid ihr wahnsinnig! Hört auf!« schrie jemand. Das Gefecht eskalierte binnen dreißig Se kunden. Der Körper des Arkoniden war ge rade auf dem Boden aufgeschlagen, als die Gruppe der sieben Maahks fast gleichzeitig das Feuer eröffnete. Der Schuß des Arkoni den war nur eine Warnung gewesen, aber er war wie ein zündender Funke. Von sieben verschiedenen Stellen schos sen Feuerstrahlen auf die Arkoniden zu. Un unterbrochen zuckten die Blitzschläge hin und her. Die Außenmikrophone übertrugen nur leise, undeutliche Geräusche, seltsam hoch und verzerrt. Aber rund um die Felsen splitterte Gestein, surrten die Querschläger zerfetzter Steine umher, verglühte der Mondstaub und kochten kleine, runde Kra ter. Ein Arkonide taumelte schreiend aus dem Versteck hoch und rannte davon. Sein Schrei riß ab, als ihn ein Schuß in den Rücken traf. Ein Maahk-Schutzanzug explodierte und tötete seinen Besitzer, als ihn die Feuerstrah len von einigen Schüssen trafen. Der Gefan gene der Arkoniden rannte auf der entgegen gesetzten Seite – wie auch ich – auf den Gleiter zu und warf sich immer wieder zu Boden, während lange Glutbalken über ihn hinwegfuhren und in den Boden des Satelli ten schlugen.
14 Ich erreichte eine Gruppe der schräg aus einanderstehenden, fingerähnlichen Felsen, wand mich mit grotesken Verrenkungen hin durch und hechtete, als ein Schuß einen Fel sen traf und ihn in Hunderte kopfgroßer, scharfzackiger Trümmer zerfetzte, nach links. Hier schien ich in Sicherheit zu sein, denn die Felsen konnten nur mit einem Schiffsge schütz zerstört werden. Schiffsgeschütz! Sie bringen sich gegenseitig um! Das kann deine Chance sein, kommentierte nüchtern der Extrasinn. Ich war wie gelähmt. Während hundert Meter vor mir das erbitterte Gefecht in ge spenstischer Lautlosigkeit vor sich ging, hörte ich nur noch einzelne Stimmen und die keuchenden Atemzüge über Funk. Die Schnüre, die uns mit dem Translator verbun den hatten, waren herausgerissen, zerfetzt oder durch die Schüsse zerschmolzen. »Meine Chance?« Noch griffen die Schiffe nicht ein. Ich be gann zu zittern. Wenn sie sich mit den Schiffsgeschützen bekämpften, dann bedeu tete dies für mich, daß ich einsam und mit schwindenden Luftvorräten auf diesem Mond gefesselt war. Ich hob den Kopf hinter der massiven Felsplatte hoch und spähte auf geregt nach vorn. Der Kampf der vierzehn so verschiedenen Wesen ging seinem Ende zu. Vier oder mehr Arkoniden waren tot oder wehrten sich nicht mehr. Die Maahks waren nicht zu sehen, aber aus mindestens vier Deckungslöchern oder Felsen brachen die Feuerstrahlen der schweren Waffen hervor. Dann, ganz plötzlich, erschien in meinem rechten Blickfeld ein gewaltiger Feuerball. Ich blickte hinter der vorgehaltenen Hand genauer hin und sah den schweren Treffer, der einen Teil des Maahkschiffs zerfetzt hat te. Eine lodernde Gassäule brandete für eine Sekunde senkrecht in den Sternenhimmel hinauf. Sie erlosch augenblicklich. Ein zweiter Feuerball detonierte dicht vor mir. Der Boden bebte; von den halbzerstör-
Hans Kneifel ten Felsen hagelte es Splitter und Staub auf mich herunter. Die Schiffe beschießen sich gegenseitig! sagte der Extrasinn aufgeregt. Als ich mich wieder aus der Deckung wagte, sah ich, daß die Gruppe der Maahks nicht mehr existierte. Dort, wo die Verwun deten, die Toten und diejenigen gelegen hat ten, die noch feuerten, gähnte ein gewaltiger Trichter im Boden. Eine Wolke aus Gas und glühendem Nebel schwebte über dem run den Loch. Hier lebte niemand mehr. Der Gleiter brannte mit winzigen, weißglühenden Flammenzungen. Er war mindestens hundert Meter weit durch das Beinahe-Va kuum gewirbelt und gegen einen hausgroßen Monolithen geworfen worden. Ein einzelner Arkonide floh mit langen Sätzen in die Richtung seines Fahrzeugs. Die Geschütze beider Schiffe hatten das Feuer aufeinander eröffnet. Ununterbrochen zuckten die Feuerstrah len von rechts nach links und von links nach rechts. Offensichtlich hatten es die Verantwortli chen der Kampfschiffe nicht mehr geschafft, die Schutzschirme rechtzeitig einzuschalten. Sie waren von der Entwicklung überrascht worden. Jedenfalls traf so gut wie ein jeder Schuß das gegnerische Schiff. Riesige Fet zen der Schale wirbelten weißglühend da von. Die Struktur der Schotte wurde unsicht bar, als sich kochendes Metall scharf gegen den dunklen Hintergrund abzeichnete. Zu erst waren es fünf oder mehr Geschütze und Projektoren in jedem Schiff gewesen, jetzt feuerten nur noch vier, dann drei, dann schwieg auch das zweite, und als ich lang sam aufstand und mich schwitzend gegen einen Felsen lehnte, kämpften die beiden letzten Geschütze. Ein Feuerball, der wie eine winzige Sonne zwischen den Gebirgen aufging, verwandel te den flüchtenden Arkoniden, den Gleiter und einige hundert Kubikmeter der Mond kruste in eine Wolke aus leuchtendem Gas, aus der schwere Entladungen nach allen Sei ten zuckten.
In den Klauen der Maahks Dann brachen die letzten Landestützen des Maahkraumers, das Schiff knickte ein und schlug schwer in das Geröll. Aber noch ehe es unendlich langsam abwärts zu rollen begann, lösten sich schnell hintereinander mehrere Schüsse und trafen das Schiff der Arkoniden. Der erste Treffer riß ebenfalls eine Lan destütze weg, der zweite schlug in die zu sammenbrechende Kugel ein, und der letzte sprengte genau die Sektion auf, in der das letzte Geschütz und dessen Mannschaft sich befunden haben mußten. Dumpfe Explosionen, die den Boden er schütterten und einen Vulkan transparenten Gases unweit des nächsten Kraters ausbre chen ließen, pflanzten sich nach allen Rich tungen fort, als in den Schiffen die letzten Energiebänke detonierten. Dann erloschen die Feuer, die weißglühenden Streben kühl ten sich ab, und eine Ruhe herrschte, die mich zittern ließ. Du bist allein hier. Du bist vom Keller des Henkers in das Verlies des Scharfrichters gekommen, wandelte mein Extrahirn ein ar konidisches Sprichwort ab. Aber noch lebst du. Geh und handle! »Verdammter Krieg!« sagte ich. Aber im Funkgerät und in den Lautspre chern hörte ich nur meine eigene Stimme. Vorsichtig und zögernd schob ich mich zwi schen den Felsen hervor. Beide Gegner hatten einander umge bracht, waren vernichtet, niemand lebte mehr. Ich war auf dem kosmischen Irrläufer allein und hatte nur meinen Schutzanzug und für etwa vierzig, fünfundvierzig Stun den Luftvorrat. Nichts mehr … Ein leerer Mond, der einer Welt meiner Visionen glich. Zwei ausgeglühte Wracks. Zwei Gleiter, die bis zur Unkenntlichkeit zerschmolzen waren. Verstreute Waffen und Fetzen gesprengter Schutzanzüge. Kein Funkgerät, keine Vorräte, nichts. Ich war im Augenblick der einsamste Mensch des Uni versums. »Fartuloon!« keuchte ich auf, als mir die
15 tödliche Wahrheit immer klarer wurde. »Farnathia!« Der Bauchaufschneider ist nicht da, und Farnathia wurde von einer deiner anderen Geliebten umgebracht! Nichts rührte sich. Nur die Sterne und die Helligkeit hinter den Bergen bildeten Punkte, an denen das Auge ausruhen konnte. Ich ging langsam und mit seltsam weiten und hüpfenden Schritten auf die Stelle zu, an der die Arko niden sich versteckt hatten. Ich suchte ir gend etwas im Staub der Ebene. Zuerst fand ich einen Arm im Raumanzug, abgerissen, versengt und grotesk in seiner zusammen hanglosen Vernichtung. Dann einen der transportablen Translatoren. Noch heute weiß ich nicht, warum ich ihn über die Schulter meines Raumanzugs hängte. Dann fand ich die erste Leiche. Die Vorräte! wisperte der Extrasinn. Ich fand in den Gürtelfächern des Toten Luftpatronen für rund hundert Stunden. Da zu einige Packungen Rationen, die von au ßen in die Aggregate des Schutzanzugs ein geschoben werden konnten. Dem Toten nahm ich einen mittelschweren Strahler ab, den er nicht benutzt hatte. Ich schnallte den Gurt mit den Energiemagazinen um meine Hüften und suchte weiter. Hundert Stunden Leben gewonnen! Ich suchte weiter. Eine namenlose Trau rigkeit hatte mich befallen. Vielleicht – aber diese Chance war mikroskopisch gering! – gab es in dem arkonidischen Schiff noch ein brauchbares Beiboot, aber dieser Gedanke war reines Wunschdenken. Abermals fand ich einen Torso und für weitere fünfzig Stunden Luft und einen Wassertank. Ich steckte die Teile in die Taschen des Anzugs oder hängte sie über meinen Rücken. Im Zickzack ging ich all die Stellen ab, an de nen ich die Arkoniden feuernd und in Deckung gesehen hatte. Nach etwa einer Stunde hatte ich einen Vorrat an Nahrungs mitteln, der mich rund zwanzig Tage am Le ben erhalten würde. Das Wasser oder die verschiedenen Flüssigkeiten in den Kampf
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anzugfächern reichten schätzungsweise elf Tage. Der Luftvorrat schenkte mir garantiert weitere zwanzig Tage Leben. »Und jetzt?« murmelte ich, obwohl ich mein Ziel kannte. Es gibt nur ein Ziel. Suche im Raumschiff. Vielleicht gibt es ein Funkgerät, und du kannst Hilfe herbeirufen! Noch lebst du, At lan! drängte der Extrasinn. Es war richtig. Noch lebte ich. Ich hatte zwanzig Tage Frist gewonnen. Bis dahin mußte etwas geschehen sein. Jedenfalls konnte ich endlich handeln, konnte suchen. Und vielleicht fand ich die Reste der Stadt, die in meinen Visionen auf getaucht war. Ich hob mein Bündel hoch und machte mich auf den langen Weg durch die Ebene. Mein Ziel war das Wrack des Arkonschiffes. Es gab eine winzige Chance, daß ich mit Hilfe dieses Schiffes überleben konnte. Ich merkte, wie ganz langsam, mit jedem Schritt ein bißchen mehr, mein Lebensmut zurück kehrte. Ich drehte mich um und blickte zurück. Hinter mir war eine fast gerade, flache Spur in dem dicken Teppich aus Staub und mehlfeinem schwarzem Sand. Sie führte von den Felsen fort und deutete, wenn ich sie verlängerte, genau auf den Platz der prächti gen Stadt. Der Stadt meiner Visionen …
3. Wieder war ich allein. Meine Stimmung sank nach der kurzen, tödlichen Aufregung des Kampfes zwischen Arkoniden und Maahks hinunter in einen schwarzen Ab grund. Aber im Gegensatz zu den Tagen in der Druckkammer kannst du handeln! Versuche, aus den Trümmern des Schiffes etwas zu ret ten! flüsterte bohrend der Extrasinn. »Ich versuche es ja schon …«, flüsterte ich. Ich ging weiter. Mit riesigen Schritten sprang ich in flachen, weiten Bögen durch
den Staub. Jetzt kam ich am ausgeglühten Wrack des arkonidischen Gleiters vorbei und richtete meine Augen auf den Boden. Vielleicht fand ich Dinge, die mein Leben erleichtern oder verlängern konnten. Nichts. Nur Trümmer und zerfetztes Material. Halb im Staub begraben, sah ich ein geringeltes Kabel. Ich zog an dem Kabel und sah, daß es auf der einen Seite in einen schweren Bat teriekasten verschwand, durch den Sand und Staub zog ich einen großen Handscheinwer fer hervor und schüttelte ihn. Mein Hand schuh war mit stumpfgrauem Staub überpu dert, als ich den Kontakt drückte. Der Boden erhellte sich in einem scharf ausgeschnitte nen Kreis, aber es gab so gut wie keinen Lichtstrahl. Das Gas, das allerorten aus dem Boden strömte, war zu wenig konzentriert. Immerhin. Ein Scheinwerfer. Ich schaltete ihn probeweise ein und aus. Ich ging weiter. Wieder erstaunte mich die Ähnlichkeit der Wege und der Bilder auf diesen Wegen. Die Wirklichkeit war hier, auf diesem kos mischen Irrläufer, einem riesigen Mond oder einem ehemaligen winzigen Planeten, der sich losgerissen hatte und in eine Bahn um die ferne, jetzt nicht sichtbare Sonne ge schwenkt war. Oder nur an dieser Sonne vorbeizog wie ein Komet, der für eine Run de in seiner Bahn ein paar Jahrtausende brauchte. Ich hatte jetzt die Stelle erreicht, an der die Ebene in den Hang überging. Ich kam schneller vorwärts. Weit vor mir ragten die kantigen Felsen auf dem Zentralberg auf. Oder waren es doch Ruinen? Ab und zu blieb ich stehen und verglich die Wirklich keit mit den Ereignissen und Erinnerungen meiner Visionen. Sie waren so gut wie identisch. Vielleicht findest du tatsächlich einen der Eingänge ins unterirdische Reich des Mon des, sagte das Extrahirn spöttisch. Vielleicht. Jetzt befand ich mich auf einer »Straße«, die zwischen zwei langen Reihen von Ge bäuden hindurchführte. Ich hatte sie gese
In den Klauen der Maahks hen, damals, im Traum. Wuchtige Bäume säumten die Fahrbahn, dahinter erhoben sich die weißen, farbigen und metallenen Fronten langgezogener, halbhoher Gebäude. Die Straße war jetzt nur eine breite, mit Trüm mern übersäte Bahn. Aber deutlich waren die Begrenzungslinien. Sie vereinigten sich am Fuß des Zentralhügels. Alles konnte ein Zufall sein, aber meine Phantasie ergänzte, was die Augen sahen. Ich blieb mitten auf dieser Straße. Links jenseits des Hügels, von hier aus gesehen, befand sich das arkonidische Schiffswrack. Noch etwa dreizehn Kilome ter bis dorthin. Rund um mich entdeckte ich kein Lebenszeichen. Auch der einzelne Maahk, der Gefangene der Arkoniden, war sicher tot. Ihn mußte einer der ersten Schüs se aus »unserem« Schiff getroffen haben. Wie im Traum setzte ich einen Fuß vor den anderen und ging weiter. Dabei beobachtete ich die abgerundeten Trümmer an den Seiten meiner Traumstraße. Waren es Reste der Gebäude, von einer dicken Staubschicht be deckt? Oder nur Felsbrocken, Geröll, Trüm mer von Felsen und Steinen, die vor Jahrtau senden zersprungen waren? Es gibt nur eine Methode, dies herauszu finden und sicher zu sein, wisperte der Ex trasinn. Ich grinste kurz hinter dem transparenten Visier meines Helmes. Dann ging ich nicht mehr stur geradeaus, sondern faßte eine be sonders große, interessant aussehende An häufung von Trümmerstücken ins Auge. Auch sie waren fast unkenntlich unter einer dicken Staubschicht verborgen. Im Staub sah ich, als ich näherkam, tiefe, aber kleine Krater. Sie stammten von Einschlägen win ziger Partikel, die in den vergangenen Äo nen diesen Mond getroffen haben mochten. Du suchst noch immer die Teile deiner Vi sionen. Immerhin – vielleicht wirst du wie der enttäuscht! beschwor mich der Extra sinn. Es war schwer, mich jetzt noch zu enttäu schen. Aber ich stolperte weiter, erreichte die Formation und blieb stehen. Das Licht
17 des Handscheinwerfers glitt über den schwe ren Vorhang aus Staub, von dem ich nicht wußte, wie alt er wirklich war. Dann kauerte ich mich nieder und fing an, mit den Händen den Staub zur Seite zu schieben. Schließlich berührten meine Fingerspitzen unter dem geschmeidigen Material des Handschuhs eine Kerbe im Stein. Meine Be wegungen wurden hastiger, ich fegte den letzten Staub von einer großen, anscheinend runden Platte. Dann trat ich drei Schritte zu rück und hob die Lampe. Das Licht fiel schräg auf die Platte. Licht und Schatten bildeten undeutliche Muster. Ich starrte, während ich die Lampe unruhig bewegte, auf das Spiel der Rillen und der Reflexe. Dann wurde das Bild langsam deut licher, und die Linien summierten sich zu ei nem Bild. »Also doch!« keuchte ich auf. Du scheinst die richtigen Visionen gehabt zu haben, versicherte trocken der Extrasinn. Ich erkannte das Bild. Es war ein Ein druck, der sich unauslöschlich in meinem Gedächtnis eingebrannt hatte und aus der letzten Vision stammte. Aus jener Vision, in der zum erstenmal Ischtar aufgetaucht war. Auf einem runden Stein, der annähernd halbkugelig geformt und an den Rändern sehr verwittert war, entstand vor meinen Au gen das Bild eines Phantasietierkopfes. Für mich war es ein Tier der Phantasie; viel leicht hatte es einst zu der Fauna dieses Mondes gehört. Eine Mischung zwischen Löwenkopf und Saurier, mit vogelartigen Elementen und Augen, die wie die eines Menschen aussahen. Der Kopf war aus Stein und verschiedenen Metallen zusammenge setzt. Ich beugte mich wieder vor und reinig te die letzten Vertiefungen in der Plastik. Wie es schien, starrte mich das Fabelwe sen aus uralten Augen abschätzend und nachdenklich an, als mache es sich Gedan ken über meine Lage. Ich warf einen langen Blick auf den Kopf des vergessenen Tieres, der einmal von einer Säule der Straße auf mich heruntergestarrt hatte. Dann wandte ich mich ab und ging
18 weiter, wieder in der Mitte der versunkenen Straße. Was änderte es an meiner Lage, wenn ich wußte, daß der Mond einst bewohnt gewe sen war? Nichts! sagte der Extrasinn. Mit meinen geringen Vorräten, dem Scheinwerfer und dem nutzlosen Gerät des Translators bewegte ich mich auf mein Ziel zu. Etwa eine Stunde war seit dem Gefecht vergangen, und nichts hatte sich geändert. Nur meine Einstellung änderte sich unmerk lich. Das Wrack, dem ich immer näher kam, wurde zu einem Zeichen der Hoffnung. Das Wrack konnte nicht so gründlich zerstört sein, als daß ich mich dort nicht längere Zeit am Leben erhalten konnte. Vielleicht gab es noch ein Beiboot, mit dem ich in den Welt raum starten konnte. Und vielleicht erfuhr ich, wo ich mich eigentlich befand, in wel chem Teil des Kosmos. Mach dir nicht zuviel Hoffnungen, warnte der Extrasinn. Durch die verschütteten Straßen, über staub- und trümmerbedeckte Plätze, vorbei an Brunnen, die nur in meinen Vorstellun gen existierten und über tiefe Erdspalten führten, kletternd durch ehemalige Bachbet ten oder Kanäle, über Trümmer und immer durch eine etwa halbmeterhohe Schicht aus Verwitterungsresten, eine nur kurz sichtbare Wolke aus Staub hinter mir herschleppend, stapfte ich auf das Wrack zu. Schließlich erreichte ich die ersten Trüm mer des kugelförmigen Schiffes. Es war eine riesige Konstruktion. Vorsichtig umrundete ich ein hausgroßes, verbeultes und wie Pa pier zerfetztes Stück stählerner Masse, die irgendwo aus dem Schiff herausgerissen und hierher geschleudert worden war. Teile von Schotten und Trossen, Einrich tungsteile und Rohrstücke hingen, ebenfalls verformt und zerglüht, an diesem Fragment. Durch den Staub hatte sich eine tiefe Rille gezogen. Als nächstes sprang ich über das Frag ment einer Landesstütze, und dann befand ich mich unmittelbar vor dem zerschramm-
Hans Kneifel ten und geschwärzten Metall der Schiffszel le. Sie schwang sich überhängend und kon vex hoch und verdeckte die Sterne. Suche einen Einstieg! Ich stapfte nach rechts. Das Wrack war durch einen oder mehrere Treffer von den Landestützen gerissen und umgeworfen worden. Die Anziehungskraft war nicht sehr groß, also war der Fall und die dadurch be dingten Beschädigungen nicht wesentlich. Aber das Schiff war mindestens fünfzig Me ter weit durch den Staub und über riesige Felsen gerollt. Hier war das Wrack zum Stillstand gekommen. Ich kletterte zwischen scharfkantigen Arkonstahlfetzen und Felsen herum, schaltete meine Lampe ein und leuchtete immer wieder das Metall an. Ich sah Schrammen und Risse, Explosionskrater und die Gebiete, in denen das Metall bis über Weißglut erhitzt worden war. Aber die Luken waren entweder zu weit entfernt oder durch die unglaubliche Hitze zugeschweißt. Wie ein Käfer im Vergleich zu den fünf hundert Metern Durchmesser des Wracks krabbelte ich im Zickzack rund um den Kör per. Immer wieder blitzte der Scheinwerfer auf, beleuchtete eine zerknitterte und zer fetzte Fläche, aber ich konnte keine Mög lichkeit erkennen, das Schiff zu betreten. Die Mechaniken der Landestützen waren hoch über mir, also lag das Schiff auf der Seite. Ich sah keinen der getöteten Arkoni den, keiner war aus dem Schiff geschleudert worden. Ich wich einem Felsen aus, dann ei nem Maschinenteil von gewaltigen Dimen sionen. Ich beugte mich nach hinten und blickte, mich abstützend, nach oben. Ein riesiges Loch. Man konnte mit einem Gleiter hindurchfliegen – wenn man einen Gleiter hatte. Suche weiter! Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß du das Wrack betreten kannst. Auf dieser Seite schien sich das Schiff ge leert zu haben wie ein gewaltiger Organis mus, dessen Umhüllung man zerfetzt hatte. Hier lagen, bis zur völligen Unkenntlich keit ineinander verkeilt, verdreht und zerris
In den Klauen der Maahks sen, geschwärzt und verglüht, alle nur denk baren Teile der Ausrüstung eines arkonidi schen Kampfschiffs. Ich konnte nichts da von gebrauchen. Langsam kletterte und stieg ich durch diesen Schrotthaufen. Immer wie der suchte ich nach einer Einstiegsmöglich keit in meiner Höhe. Nichts. Jetzt suchte ich schon die zweite Stunde. Ich war trotz der Klimaanlage in Schweiß gebadet, und langsam kletterte die Panik in mir hoch. Ich fand mich in der Lage eines Mannes, der angesichts eines riesigen Sees verdursten mußte, weil er nicht an das Was ser herankriechen konnte. Wieder schoben sich zwei spitze Felsen in meinen Weg. Sie hatten sich tief in das Me tall der Schiffszelle geschoben. Aber zwi schen dem Felsen und dem Metall gab es keinerlei Stellen, die größer waren als eine Handbreit. Ich rutschte halb einen Abhang hinunter und kam wieder auf die Füße. Und dann sah ich die Luke. »Endlich!« murmelte ich erschöpft. Es war eine Schleuse, die über eine etwa sechs Quadratmeter große Öffnung verfügte. Die Schleusentür war aufgerissen und zer beult worden, beziehungsweise hatte die Verformung die Riegel aufgerissen und die Tür nach außen kippen lassen. Eine der Kan ten hatte sich tief in den Mondboden ge bohrt. Ich erreichte die verformte Platte und packte einen der gekrümmten Riegel des Manuellbetriebs. Sichere zuerst dein Überleben! Ich leuchtete den Schleusenraum aus und glaubte zu erkennen, daß die innere Tür nicht verformt oder durch die Treffer ver schweißt war. Ich spannte meine Muskeln und schwang mich hoch, stand nach drei Versuchen auf einem der Riegel und ver suchte, die Lage des Schiffes genau zu erfas sen. Es lag fast genau in einem Winkel von neunzig Grad. Das bedeutete, daß sämtliche Böden zur Wand geworden waren. Darüber hinaus waren diese Wände etwa dreißig Grad schräg. Ich hielt mich fest und ver
19 suchte, das Innenschott zu öffnen. Ich zerrte an den langen Hebeln, trat darauf, hängte mich mit meinem ganzen Gewicht dagegen und beseitigte schließlich dieses Hindernis mit einer letzten Kraftanstrengung. Das In nenschott kippte schräg nach oben und er zeugte, als es gegen die Wand schlug, einen Ton wie eine Glocke. Ich spürte ihn durch meine Sohlen und durch das Anzugmaterial. Du bist im Schiff. Wende an, was du über ein arkonidisches Schiff weißt! sagte der Lo giksektor. Ich stand auf einer Wand, tastete mich hinter dem Lichtkreis meiner Lampe in einen Korridor hinein und erkannte, daß ich mich in einem Bereich des Schiffes befand, der die Geschütze, einige Magazine und einen Teil der Mannschaftsquartiere enthal ten hatte. Das Schiff war ohne Luft; sie war erhitzt worden und durch die riesigen Öff nungen in den Weltraum entwichen. Ich ent deckte einen Indikator auf dem Boden, also auf einer Wand, über die ich gehen mußte. Er zeigte Nullwert an. Weiter! Suche einen verschließbaren Raum! Ich begann das Schiff zu durchstreifen. Ich sah Hunderte von toten Raumfahrern. Nur wenige befanden sich in Schutzanzü gen. Von dieser Gruppe wiederum hatten nur einige die Helme geschlossen gehabt, als das Gefecht begann. Und jene, die Rauman züge getragen hatten, waren in den Flammen und den Glutströmen, die sich durch das hal be System der Gänge, Kammern und Hallen gepreßt hatten, umgekommen. Sie alle wa ren qualvoll gestorben, so wie die Maahks im anderen Wrack. Ich brauchte zehn Stunden, bis ich aus den Resten dieses Schiffes einen Platz ge schaffen hatte, der für mindestens einige Monate mein Leben verlängerte.
4. Ich befand mich in einer winzigen Kabi ne, die offensichtlich niemals bewohnt ge wesen war. Einen Riß in der Wand der Toi
20 lette hatte ich mit Klebestreifen abgedichtet, die ich in dem Reparatursatz eines unge brauchten Raumanzugs gefunden hatte. Zusammengetragene Magazine waren an die Notanlage des Raumes angeschlossen worden. Der Wasserbehälter für dieses Deck war nicht leckgeschlagen, und ich besaß jetzt eine kleine, funktionierende Umwälz anlage, etwa einen prall gefüllten, schweren Sack voller verschiedener Nahrungsmittel, ich konnte sogar duschen. Und es war mir gelungen, den Bildschirm dieses Raumes auf die Anlage der verwüsteten Zentrale zu schalten. Systematisch hatte ich in der Zentrale des Schiffes sämtliche Schaltungen betätigt. Nur ein einziger Linsensatz funktionierte noch. Es lag einige Ironie in dem Umstand, daß es ausgerechnet die Zieloptik war, mit denen Hilfe die Arkoniden auf das Maahkschiff ge feuert hatten. Ich konnte also die Ebene beobachten. Wozu, das wußte ich selbst nicht, aber we nigstens verhinderte dieses Bild, daß ich mich eingeschlossen fühlte. Schlafe zunächst aus, dann erst starte den nächsten Versuch! sagte eindringlich der Extrasinn. Genau das tat ich. Ich erhitzte Konserven, zog mich aus, duschte mich mit lauwarmem Wasser und zog Kleidung an, die ich irgendwo gefunden hatte. Dann dichtete ich zur Sicherheit die Kammer noch einmal ab, schaltete die War neinrichtungen von drei Raumanzügen in Wandschränken ein und schlief etwa zehn Stunden. Nach einem Frühstück aus arkonidischer Flottenverpflegung begann ich mich auf mein nächstes Vorhaben zu konzentrieren. Es gab drei Beiboote in dem Kreuzer, die so aussahen, als würden sie funktionieren. Ich hatte viel Zeit und wenige Werkzeuge, um zu versuchen, eines davon zu befreien. Überdies war in der Zentrale das Funkge rät eingeschaltet gewesen, als der Feuerüber fall stattfand. Mit einiger Sicherheit wußten andere arkonidische Verbände, daß der
Hans Kneifel Kreuzer hier gelandet war. Sie würden ver mutlich kommen und nachsehen, warum sich dieses Schiff nicht mehr meldete. Dies gilt auch für die Maahks! bestätigte der Logiksektor. »Wahrscheinlich!« knurrte ich und mach te mich an die Arbeit. Ich zog den Raumanzug an, steckte genü gend Tanks für Luftvorräte in die Taschen und warf die schwere, mit zwei Händen zu bedienende Waffe über die Schulter. Ich würde sie als Schneidbrenner benutzen müs sen. Bevor ich das Schott dieses einzigen Raumes schloß, der noch als Asyl dienen konnte, warf ich einen Blick auf den Bild schirm. Er zeigte das Bild der Ebene im fah len Dunkel des Sternenlichts und der Refle xion der Sonnenstrahlen, die jenseits der Ebene auf die höchsten Berggipfel auftrafen. Unverändert lag der Kessel da. Rechts von den Felsen! Bewegung! sagte scharf der Extrasinn. Der Logiksektor hatte eine Bewegung ausgemacht, die meine Augen zwar gesehen, mein Bewußtsein aber nicht verarbeitet hat te. Ich sah genauer hin, sprang durch die ge samte Länge des Raumes und drückte einen Knopf, der innerhalb bestimmter Grenzen eine Vergrößerung erlaubte. Die Grenzen des Bildes lösten sich auf, der Mittelpunkt kam näher, wurde größer. Dann stabilisierte sich das Bild wieder. Ich war erschrocken: Bewegung bedeutete Le ben, und Leben konnte in diesem Zusam menhang nur Gefahr bedeuten. Gefahr für mich. Ich sah einen Maahk, der meinen Spuren folgte und etwa tausend Schritte entfernt war. Dieses Wesen, das an eine Schwerkraft von mehr als drei Beschleunigungseinheiten gewohnt war, bewegte sich mit spielerischer Leichtigkeit und in weiten Sprüngen vor wärts. In einer halben Stunde würde der Me thanatmer am Schiff sein; seine Spuren ver schmolzen mit den tiefen Abdrücken meiner Schritte. Die langen, bis zu den Knien des hellen Schutzanzugs reichenden Arme schwangen vor und zurück. In jeder Hand
In den Klauen der Maahks trug das Wesen eine Waffe. Einmal blieb er stehen, erkletterte einen Steinbrocken und drehte sich um. Ich erkannte das Zeichen auf dem Rücken des breiten Raumanzugs. Es ist der Gefangene der Arkoniden! sagte der Logiksektor mit Bestimmtheit. Ich hatte ein photographisch genaues Gedächtnis und identifizierte das Symbol – eine ZiffernBuchstabenkombination in geschriebenem Kraahmak – augenblicklich. Er weiß, daß du im Schiff sein mußt. Aber er weiß nicht, daß du ihn siehst. Allerdings wird er damit rechnen, erklärte das Extra hirn. Ich sagte dumpf: »Er trägt zwei schwere Waffen. Also scheint er auch damit zu rechnen, daß ich ihn zu töten versuchen werde. Oder er kommt, um mich zu töten. Hat er wirklich gemerkt, daß ich der ehemalige Gefangene des Maahkschiffes bin?« Mit einiger Sicherheit! Ich wußte nicht, warum sich dieses We sen umgedreht hatte. Zweifellos war ein Grund dafür vorhanden, denn diese Wesen waren dank des Kopfwulstes und der in die sem Sichelwulst liegenden vier Augen in der Lage, nach allen Seiten mit der gleichen Schärfe sehen zu können. Ich zuckte die Schulter und warf einen weiteren Blick auf den Bildschirm, der mir zeigte, daß sich der Maahk wieder in Bewegung gesetzt hatte. Ich verließ die Kabine, aber einem schnel len Impuls folgend, nahm ich den arkonidi schen Translator mit. Während ich durch das Wrack eilte, um nach unten zu kommen, sagte ich mir, daß es besser wäre, zuerst zu verhandeln. Würde der Maahk auch diese Einstellung haben? Vorbei an gitterförmigen, verbogenen Stahlträgern, vorbei an löchrigen Platten und an würfelförmigen Raumelementen, in de nen sämtliche Gegenstände verschmort und unkenntlich waren, über schiefe Böden und zerbeulte Wände, vorbei auch an den Über resten der Besatzungsmitglieder, rannte ich mit langen Sprüngen durch das Schiff.
21 Einmal wurde ich mitten in einem Sprung zur Seite gerissen und an die Wand ge schleudert: ein Element der künstlichen Schwerkraftanlage funktionierte noch durch einen unglaublichen Zufall. Ich dachte, wäh rend ich mich durch dieses verbrannte Laby rinth tastete, darüber nach, warum ausge rechnet drei Beiboote dem Feuersturm wi derstanden hatten. Erstens befanden sie sich auf der den geg nerischen Geschützen abgewandten Seite, als die ersten schweren Treffer gelandet wurden. Zweitens lagen zwischen zweien von ih nen und der Aufschlagstelle der Strahlen schüsse die Wassertanks oder gewaltige Ma schinen, so daß die Energie sie nicht voll oder gar nicht erreichte. Und drittens befanden sie sich während der letzten Schüsse des Maahkraumers un mittelbar über dem Boden des Mondes. Ich erreichte eine offene Hangarschleuse. Genauer waren es vier nebeneinander lie gende Schleusen, in denen die Wracks von Beibooten standen. Die Außentüren waren weggesprengt worden. Als ich zwischen Scherben, Trümmern und den geplatzten Blasen der Wände die unterste Schleuse be trat – ich stand auch hier auf der eigentli chen Wandfläche – sah ich schräg unter mir den Maahk den Hügel hinanstürmen. Nimm dich in acht! Er ist ebenso verzwei felt, wie du es warst, warnte mein Extrasinn. Dies wußte ich inzwischen. Ich sah ihn kommen. Dann schaltete ich mein Funkgerät ein und drehte die Einstel lung auf die Welle, die von den Translatoren bevorzugt verwendet wurde. Ich schaltete das kleine Gerät zwischen Mikrophon und Sender, dann holte ich tief Luft und bemühte mich, ruhig zu sein. »Ich rufe dich, Maahk. Ich sehe dich«, sagte ich langsam und deutlich. In den An zuglautsprechern hörte ich den fernen Nach hall der Übersetzung. »Ich will keinen Kampf. Sie sind alle getötet worden, in bei den Schiffen.« Der Maahk hielt an, als sei er gegen ein
22 unsichtbares Hindernis gestoßen. Dann han delte er mit überraschender Schnelligkeit. Während er auf die Deckung einer Gruppe aus Felsen und Trümmern zuspurtete, warf er eine seiner Waffen auf den Rücken und packte die zweite. Er hielt sie in der linken Hand seines langen Armes und feuerte auf mich. Noch während er durch die Luft segel te und einen Arm vorstreckte, um sich auf zufangen, schlugen lange Feuerstrahlen rund um mich in das stählerne Gerippe und in die relativ unversehrten Bodenflächen ein. Ich duckte mich hinter eine Landestütze und schrie: »Hör auf! Ich bin der Gefangene aus eu rem Schiff!« »Ihr habt alle umgebracht! Beim Ei, ich werde sie rächen!« schrie er zurück und hob seine Waffe. Ich sah nur den Raumhelm über seinem Sichelkamm und die Projektor mündung, die in meine Richtung deutete. »Ich habe nichts damit zu tun!« rief ich. Keine Argumente für ihn. Vermutlich weiß er, daß er sterben muß. Die Vorräte im Maahkraumer … Wieder schoß er. Er zielte ausgezeichnet. Die einzelnen Einschläge trafen dicht hinter meinem Kopf die Verstrebungen. Ich sprang zurück in den Schutz einer verwinkelten Platte. Aber die Funken und die glühenden Tropfen schwirr ten durch den Raum wie Querschläger. Zwi schen den Streben und den ausgerissenen Platten schimmerten die Sterne. »Ihr habt angefangen, Arkonide!« schrie er. Selbst der Mechanismus des Überset zungsgeräts ließ erkennen, daß der Maahk sich in jenem Stadium der Wut und des Has ses befand, das durch keinerlei Vernunft mehr kontrolliert werden konnte. Ich robbte langsam zurück und trat, sobald ich aus der Reichweite der noch immer einschlagenden Blitze und Feuerstrahlen war, in den Korri dor, der dreimal so hoch wie breit war – eine groteske Umkehrung der Verhältnisse, weil ich auf meinem Weg zum Ausgang über Türöffnungen und aufgerissene Schotte
Hans Kneifel springen mußte. »Ich komme aus dem Schiff«, sagte ich keuchend und blieb abwartend hinter der letzten Trennwand stehen. »Und ich hoffe, die beiden letzten lebenden Wesen auf die sem Mond werden sich vernünftig unterhal ten können!« Der Maahk schrie erregt: »Ich zertrete die Schale deines Eis, Frem der! Komm aus dem Schiff, wenn du Mut hast! Es ist nur logisch, wenn wir uns be kämpfen bis zum Ende.« »Du wirst es nicht als logisch empfin den«, erwiderte ich und befand mich jetzt nach einem vorsichtigen Satz auf dem stau bigen Boden des Satelliten, »wenn du bei dem Versuch deiner Rache stirbst.« »Du wirst sterben!« »Meinetwegen!« sagte ich und rannte in eine Richtung, von der ich wußte, daß sie mich in die Deckung der schweren Maschi nenteile bringen würde. Der Methanatmer konnte mich nicht sehen, noch nicht. Sei vorsichtig! flüsterte der Extrasinn. Ich war vorsichtig. Ich hastete in meinen alten Spuren an eine Stelle, von der aus ich aus besserer Position dorthin blicken konnte, wo sich der Maahk verbarg. Aber als ich hinter dem vorletzten Felsen hervorkam, sah er mich und schoß augenblicklich. Ich prallte zurück. »Hör auf!« sagte ich und hob die Waffe. Irgendwie mußte ich ihn zur Vernunft brin gen. Ich glaubte nicht an meine Fähigkeit, dies mit dürren, von einem Gerät übersetz ten Worten tun zu können. Vielleicht schaff te ich es auf andere Weise. »Ich werde dich töten! So wie die ver dammten Arkoniden meine Leute ermordet haben!« war die hervorgestoßene Antwort. Ich hob vorsichtig meinen Kopf und sah den Maahk, aber noch deutlicher waren der lan ge Lauf und die Projektormündung an des sen Ende. Ich hob meine Waffe, stützte Handballen und Kolben auf den Felsen und zielte konzentriert. »Sie haben auch mich ermordet, wenn du
In den Klauen der Maahks nicht aufhörst!« rief ich und hatte jetzt den Schaft im Visier. Ich drückte ab. Der Schuß traf genau die Waffe. Sie löste sich in einer einzigen Explosion auf. Ich sah nicht einmal mehr die Trümmer, sondern nur eine blen dende Stichflamme, die mich die Augen schließen ließ. Vielleicht brachte dies den Methanatmer zur Vernunft. »Du …«, schrie er. Ich verstand das lange Wort nicht, aber es war sicher ein Fluch oder eine wüste Beschimpfung. Ich grinste sekundenlang und sagte leise: »Ich habe ein Beiboot. Und ich brauche dich, weil du mehr Kräfte hast als ich. Ich biete dir Waffenstillstand an, Methanat mer!« Der Grek erwiderte nichts, aber er verließ seine Deckung und sprang etwa fünf Meter in meine Richtung. Ich schoß dreimal und brachte den Staub rund um ihn zum Glühen. Er rollte durch den schwarzen Sand, warf seine nutzlose Waffe weg und schoß mit der anderen, sobald er sich in günstiger Position befand. Ich kauerte jetzt, nach einer kurzen Pause, zwischen den Trümmern unbestimm ter Maschinenblöcke. Deutlich sah ich den Maahk, der zwischen den Felsen hervorkam und sich unruhig, aber schnell bewegte. Er lief auf die Stelle zu, an der ich mich eben noch befunden hatte. Ich hob die Waffe und zielte erneut. »Ich könnte dich töten!« sagte ich und feuerte. Eine Handbreit vor seinem Kopf zer spritzten die Felsen. Weiße Glut breitete sich an der Aufschlagstelle aus. Der schwere Körper hielt an und drehte sich. Wenn ich wollte, würde mein nächster Schuß in die Brust des Anzugs gehen und den zweiten Gefangenen dieses Mondes vernichten. »Bleib stehen!« sagte ich scharf. Ich schoß abermals und verglühte eine an dere Stelle. Jetzt sah er ein, daß ich ihn töten konnte. Zwischen zwei schrägen Felsnadeln bot sein Körper, massig und größer als zwei Meter, gegen die funkelnden Sterne ein Ziel, das nicht zu verfehlen war. »Warum tötest du mich nicht?« fragte er
23 stockend. »Weil ich dich brauche, um uns beide zu retten. In dem Wrack hier gibt es mindestens ein Beiboot.« »Du bist ein Narr!« »Bisweilen fühle ich mich auch so«, knurrte ich, aber ich zeigte mich noch nicht. »Wirf deine Waffe weg und geh geradeaus. Ich kann dich auch jetzt noch in einem Se kundenbruchteil umbringen.« Es war richtig. Ich wartete gespannt dar auf, was er tun würde. Er kämpfte mit sich. Vermutlich – und selbst meine geringe Kenntnis der Psyche von Methanatmern be rechtigte mich zu dieser Annahme – würde aber sein logisches Verhaltensmuster sich durchsetzen und zu einer klaren Einsicht führen. Schließlich schwang sein Arm herum, und die schwere Waffe flog in meine Richtung. Ich stand auf und ging auf ihn zu, die Waffe noch immer auf ihn gerichtet. Mein Zeige finger lag locker auf dem Auslöser. Er hatte so gut wie keine Chance. Ich sah, als ich nä her kam, daß er keine weitere Waffe besaß. Mit Sicherheit war dies ein hochqualifizier ter Offizier, denn sonst hätten ihn die Maahks nicht austauschen wollen. »Keine Dummheiten!« sagte ich. »Waffenstillstand, bis wir diesen Mond ver lassen haben.« Bleib mißtrauisch! warnte der Extrasinn. Als ich ihn erreicht hatte, sagte ich: »Wir können uns befreien. Ich habe noch große Luftvorräte, aber mit deinen ist es ver mutlich nicht mehr weit her. Lebt in deinem Schiff noch jemand?« »Sie sind alle tot!« erwiderte er erbittert. Ich konnte aus dem Gesicht unter der Helm scheibe keinen Ausdruck erkennen. »Hör zu! Wir müssen hier weg. Wenn die Arkoniden zuerst hier landen, werden sie dich töten, was auch immer passiert ist. Hilf mir, dann haben wir in ein paar Stunden das Beiboot frei und können an einen neutralen Ort fliegen.« Mir war es unmöglich, aus dem Ausdruck dieses halbmondförmigen Schädels mit dem
24 riesigen Mund und den vier Doppelaugen et was herauszulesen. Wir standen zwei Meter voneinander entfernt. Noch immer hielt ich die Waffe in der Hand und deutete auf die breite Brust des Fremden. »Warum tust du das?« fragte er schließ lich. »Auch dieser Ort war neutral. Und was habt ihr Arkoniden damit gemacht?« Ich schüttelte den Kopf. »Mache mich nicht dafür verantwortlich. Ich bin in derselben Lage wie du. Hilfst du mir?« Er schwieg. Seine vier Augen an der Vor derseite des Kopfes starrten mich unbeweg lich an. Ich ging zwei Schritte rückwärts, um aus der Reichweite der langen Arme zu kommen, falls er selbstmörderische Absich ten hatte. Er kann diesen Vorschlag schlecht anneh men. Es widerspricht seiner Mentalität, er klärte der Extrasinn. Ich wartete gespannt. Zu meiner Überraschung sagte der Maahk: »In dem anderen Wrack ist ein Funkgerät. Nur halb zerstört. Ich könnte es reparieren.« Ich deutete nach oben. »Wenn wir erst in dem Beiboot sind, ha ben wir vielleicht ein Gerät, das wir nicht erst zu reparieren brauchen. Hilf mir, und du hilfst uns beiden, Grek!« Wieder entstand ein langes Schweigen. »Ich traue dir nicht, Arkonide. Aber ich helfe dir. Du hättest mich umbringen kön nen!« »Ich kann dich auch jetzt noch umbrin gen. Ich habe dies nicht im Sinn. Wir wer den keine Freunde sein können, aber wir sollten einen Waffenstillstand schließen. Wie lange reicht dein Luftvorrat noch?« »Ziemlich lange. Es gibt noch Vorräte in meinem Schiff.« »Dann können wir an die Arbeit gehen. Machen wir die Beiboote frei, Grek.« »Ja. Zeige mir die Plätze!« Ich steckte die Waffe ein, merkwürdiger weise vertraute ich ihm jetzt, wenigstens für die Dauer unserer Arbeiten. Der nächste schwierige Augenblick würde kommen,
Hans Kneifel wenn das Beiboot startfertig war oder kurz danach. Ich deutete nach oben und ging vor aus. Wir erreichten das geöffnete Schott. »Der einzige Eingang.« Der Maahk schwang sich hinauf, indem er die Kraft seines Körpers und besonders die der gelenklosen Arme einsetzte. »Gibt es noch andere Arkoniden außer dir?« »Nein!« Wir betraten wieder das Innere des Schif fes. Ich führte den Maahk durch das Laby rinth des Wracks und hielt an, als wir vor der ersten, halbzerstörten Hangarschleuse standen. Das kleine, kugelförmige Beiboot hatte sich losgerissen und befand sich in ei ner Ecke. Die Hälfte der Landestützen ragte in den Raum wie seltsame Stahlträger. Ich schaltete die Lampe ein und richtete den Lichtkreis aufwärts. »Versuchen wir es!« sagte ich. »Und möglichst schnell.« »Ich helfe dir!« Wir gingen in die Hangarschleuse hinein und bewegten uns entlang einer Wand. Das Licht zeigte uns binnen zehn Minuten, daß es keinerlei Möglichkeit gab, die Polschleu se zu erreichen, die zu allem Überfluß noch verschlossen war. Auch keine Luke in er reichbarer Nähe ließ sich öffnen, keine ein zige der Schaltungen, angefangen von den Servomotoren und aufgehört bei den War tungsrobotern, funktionierte mehr. Ich mußte keuchend vor Anstrengung zu geben: »Dieses Beiboot bringen wir nicht zum Start. Versuchen wir es weiter hinten in die sem Gang.« Der Maahk schwieg. Sein Schweigen drückte sein Mißtrauen aus und seine Furcht, daß ich ihn nur benutzte und dann überlisten würde. Wenn aber die Maahks mit dem ersten Schiff hier landeten, war ich derjenige, der getötet wurde oder erneut in Gefangenschaft geriet. Wir betraten den zweiten Hangar. Er be stand nur noch aus einem Metallgitter, das stark verformt war.
In den Klauen der Maahks Wir machten uns an die Arbeit.
* Während ich eine zweite Lampe suchte oder einen anderen Beleuchtungskörper, strahlte der Maahk mit dem eingebauten Scheinwerfer seines Anzugs die Wände des Schleusenhangars an und die Zelle des klei nen Bootes. Je länger wir uns bemühten, de sto genauer sahen wir, daß wir einer opti schen Täuschung zum Opfer gefallen waren. Einer der Schüsse hatte die Schleuse und ih ren Inhalt aus einem Winkel getroffen, aus dem wir das Loch nicht erkennen konnten. Tonnen von Material waren mit der Zelle des Bootes zusammengeschweißt worden. Ich nahm dem Maahk, der mit einem Sprung zur Seite hechtete, den Scheinwerfer aus der Hand und sagte beschwichtigend: »Keine Angst. Ich will nur deutlicher se hen.« Jetzt entdeckte ich, daß auch ein Teil der Schleusentür zerstört und mit dem Boot ver schweißt war. Ohne Hoffnung ließ ich die Lampe sinken und erklärte: »Wir versuchen es in der dritten Schleuse. Dieses Boot bekommen wir niemals frei.« »In meinem Schiff ist ein Funkgerät. Ich kann es vielleicht instand setzen!« antworte te der Grek. »Sollen wir nicht …?« »Noch nicht. Versuchen wir erst hier un ser Glück.« Seit einiger Zeit verhielt er sich zwar miß trauisch, aber keineswegs besonders hyste risch. Er schien zu glauben, daß ich ihn nicht betrügen wollte. Aber ebenso wie die Arko niden war auch er in dem simplen FreundFeind-Schema gefangen und konnte nichts anderes denken. Wir tasteten uns aus dem finsteren Raum hinaus, durch dessen Löcher und Risse die Sterne sichtbar waren. »Mein Schiff wird zuerst kommen!« sagte der Maahk plötzlich völlig zusammenhang los, als wir uns einen Weg in den letzten Schleusenhangar bahnten. Ab und zu feuerte ich einen kurzen Schuß nach oben ab, dann erhellten die weißroten Funken und Blitze
25 den trümmerübersäten Korridor auf einer größeren Strecke. »Vielleicht«, erwiderte ich. »Vielleicht auch nicht. Vielleicht verhungern wir hier. Hast du Nahrungsmittel und Luft dort drü ben im Wrack?« »Ja. Aber ich brauche sie noch nicht. Wir können dorthin fliegen, wenn wir Glück ha ben.« »Einverstanden«, erwiderte ich. Bei der ersten, flüchtigen Kontrolle waren mir die Schäden in den beiden anderen Han gars nicht aufgefallen. Jetzt kroch die Angst in mir hoch, auch dieses Beiboot könne zer stört sein. Aber wir bewegten uns in eine Zone des Schiffes hinein, die heller war – genauer: sie war weniger dunkel. Die Schleuse bestand nur noch aus den Verstre bungen, zwischen denen einzelne Fetzen Stahlblech hingen. Ich drehte den Schein werfer und begann, von oben nach unten al les systematisch abzuleuchten. Durch die Lautsprecher im Helm hörte ich die pfeifenden Atemzüge des Methanatmers. Er wartete ebenso ängstlich wie ich. Das Kugelboot war ebenfalls herumge schleudert worden. Eine Landestütze war geknickt. Aber jedes Rettungsboot war dafür konstruiert, in nahezu unmöglicher Winkeln starten zu können. Das wai es nicht, was mir Sorgen machte. Es sieht gut aus, kommentierte der Extra sinn. Die Polschleuse war offen, die Einstiegs leiter halb ausgefahren. Sie befand sich kei ne vier Meter über dem Boden. Aber die Schleusentore und deren Rahmen bildeten eine Art Gitter. »Grek!« sagte ich. »Wir müssen versu chen, mindestens zehn dieser Träger dort durchzuschneiden. Ich habe genügend schwere Waffen dafür. Holen wir sie!« Ich leuchtete nacheinander die Stellen an, die ich meinte. Keiner der Träger war mit dem Boot verschweißt, und die Hülle des Bootes sah ziemlich unversehrt aus. »Versuchen wir es!« Nimm dich in acht. Wenn er bewaffnet ist,
26 wird er dich erpressen oder töten, warnte der Extrasinn. Ich bedachte auch dies, aber er konnte die Träger nicht mit den Händen auseinander biegen. Ich gab ihm die Lampe, zog meinen Strahler und stützte das Handgelenk auf. Dann feuerte ich einen ununterbrochenen Strahl ab und versuchte, die Waffe wie einen Schneidbrenner zu verwenden. Aus dem Träger regneten Funken herunter, aber ich erkannte an den beiden weißglühenden Lini en gegen die Kulisse des schwarzen Univer sums, daß sich der Strahl der Waffe relativ schnell durch den Stahl fraß. »Es funktioniert! Holen wir die Waffen und mehr Energiemagazine!« sagte ich und steckte die heißgeschossene Waffe zurück. Wir tappten wieder auf den langen Weg durch das Schiff, in dem kein einziges Licht mehr brannte außer dem Notaggregat meiner provisorischen Kabine. Außerdem hatte ich Hunger, aber ich unterdrückte ihn und zog nur Konzentratnahrung in flüssigem Zustand durch einen der Helmschläuche. Wir brauch ten mehr als eine Stunde, um wieder die Schleuse zu erreichen und damit zu begin nen, die jeweils äußersten Punkte in dem verformten Metallgitter in Angriff zu neh men. Von zwei verschiedenen Standorten feu erten wir immer wieder auf die Stellen und schnitten, Fingerbreit nach Fingerbreit, die Träger in unterschiedlicher Dicke auseinan der. Die erste Verbindung war zerschnitten, die letzten Tropfen fielen abwärts und kühl ten während des Fluges von weißer Glut bis zur völligen Schwärze ab. Auch der Grek hatte seinen ersten Träger zerschnitten. Ein leichter Ruck ging durch die Konstruktion. »Nur weiter so!« sagte ich. »Es ist auch in meinem Interesse!« »Glaubst du mir jetzt, daß ich den Waf fenstillstand einhalte?« »Nein«, sagte er. Ich zuckte die Schultern und richtete mei nen schweren Strahler auf das nächste Stück. Wir arbeiteten ununterbrochen. Nach
Hans Kneifel und nach trennten wir sämtliche Verbindun gen auf, und schließlich, ich hatte das Zeit gefühl verloren, waren wir fertig. Es mußte Stunden gedauert haben. Wieder hatte sich die Sonne einige Millimeter höher gescho ben, und die Bergspitzen leuchteten in einer fahlen Aura gelbweiß auf. Ich war müde, und die Schultermuskeln schmerzten. Ich setzte die Waffe ab und fragte: »Fertig auf deiner Seite?« »Ja. Aber nichts bewegt sich.« Ich ging näher heran, ließ die Waffe sinken und griff wieder nach dem Scheinwerfer. Nachdem ich abermals sämtliche durchgeschweißte Stellen kontrolliert hatte, mußte ich mir ein gestehen, daß die hinderliche Konstruktion durch ihr eigenes Gewicht festsaß. »Grek. Ich weiß, daß jeder Maahk um vieles stärker ist als ein Arkonide. Ist das richtig?« Eine recht rhetorische Frage! »Es ist so, Arkonide. Was soll ich tun?« »Versuche, das Gitter irgendwie nach au ßen zu drücken. Ich bin sicher, daß ich zu schwach bin!« »In Ordnung. Leuchte mir!« Wie ein fremdartig aussehender Roboter schob sich der Grek zwischen Metallfetzen und Schrott durch und blieb vor mir stehen. Er überragte mich wie eine Statue. Ich deutete nach links. »Dort ist der beste Ansatzpunkt. Oder soll ich eine hydraulische Anlage suchen?« Der Maahk ging auf das riesige, unregel mäßige Gitter zu und rüttelte prüfend daran. »Nein«, sagte er. »Warte noch.« Also wartete ich. Hoffentlich waren die Maschinen und die Einrichtungen des Bei boots nicht völlig zerstört. Vielleicht gab es in dem Rettungsboot auch ein funktionierendes Funkgerät, mit dem ich gegebenenfalls Hilfe herbeirufen konnte. Sämtliche anderen Funkanlagen des Wracks waren nicht mehr zu reparieren. Der Maahk suchte sich, wäh rend ich leuchtete, einen guten Platz und stemmte seine gewaltigen, säulenartigen Beine gegen den Boden. Er griff mit beiden Händen um einen mehr als schenkeldicken Träger, und dann hörte ich, wie er pfeifend
In den Klauen der Maahks einatmete. Zwei, drei Sekunden vergingen ereignis los und schweigend. In den Lautsprechern waren nur meine flachen Atemzüge und die keuchenden Laute des Grek zu hören. Dann ertönte ein unterdrückter Schrei, wie ihn Kämpfer oder Athleten bei einer gewaltigen Kraftanstrengung ausstießen. Der Lichtkreis huschte eine Wand hinauf und heftete sich auf die durchgetrennten Verbindungen. Sie bewegten sich langsam. Sie scheuerten aneinander, dann glitten die netzartigen Teile langsam nach außen, Zen timeter um Zentimeter. Das schwere Gitter löste sich zuerst von den obersten Verbin dungen und neigte sich fast unmerklich nach außen. Die Bewegung wurde schneller, die Schnittstellen klafften mehr und mehr, und dann kippte die ganze Konstruktion lautlos nach außen und schlug, nachdem der Maahk dem Stahl noch einen gewaltigen Tritt ver setzt hatte, in den schwarzen Sand des ge heimnisvollen Mondes. »Wir sind frei«, sagte ich. »Wenigstens halb. Wir müssen in die Schleuse.« »Ich verstehe.« Ich richtete das Licht auf den Boden, um ihn nicht zu blenden. Wir gingen schwei gend nebeneinander her und blieben genau zwischen den Landebeinen stehen. Sie wa ren horizontal ausgestreckt wie die Beine ei nes verendeten Insekts. Der Handscheinwer fer leuchtete die Leiter an. Mehr als vier Meter. »Schaffst du es?« Der Maahk deutete nach oben. »Ich denke schon. Und wie kommst du nach?« »Indem du die Leiter kippst.« »Verstanden.« Er scheint dir gegenwärtig zu trauen. Aber dies kann sich schnell ändern, erklärte der Extrasinn. Ich klemmte die Lampe an ein Stück Schrott und richtete sie auf das Schott und einen Teil der Leiter aus. Dann stellte ich mich in Position und kauerte mich zusam men. Grek packte mich an den Hüften,
27 bückte sich, und mit einer explosionsartigen Bewegung schleuderte er mich nach oben. Meine ausgestreckten Hände schlugen gegen den Rand der Luke, ich krümmte die Finger und fiel mit beiden Sohlen schwer auf die Leiter, die sich federnd um einige Zentime ter durchbog. »Gut! Ich bin oben!« Ich zog die Waffe, stellte einen Fuß in die Luke und den anderen auf die Leiter und verlagerte mein Gewicht nach außen, wäh rend der feinsteingestellte Strahl der Waffe den Arkonstahl berührte und erhitzte. Die Leiter bog sich unregelmäßig, ich wechselte von rechts nach links, und langsam kippte die Metallkonstruktion tiefer herunter. Schließlich ergriff sie der Maahk und bog die Leiter durch, bis sie fast auf dem Boden aufstand. »Komm ins Schiff!« sagte ich. »Und bring die Lampe mit.« Wieder ein Schritt weiter. Ich konnte ein solches Beiboot steuern, aber ich war alles andere als ein hervorra gender Pilot. Einen Start unter diesen Um ständen traute ich mir nicht zu, aber es blieb mir nichts anderes übrig. Ich wartete und stand auf einer Wand der Schleuse, während mein ehemaliger Todfeind die Leiter hinauf turnte. Vorsicht. Er hat eine Waffe eingesteckt! Ich sah, daß der Grek eine der mittel schweren Waffen in seinem Gürtel trug. Mit Sicherheit hatte er ein frisches Energiemaga zin eingeschoben. Ich mußte zugeben, daß er ebenso hoch spielte wie ich und versuchte, nicht das geringste Risiko einzugehen. Ich tat so, als sähe ich die Waffe nicht, nahm ihm die Lampe ab und leuchtete die Schleu se aus. Ich konnte den Kontakt mit dem Stiefel eindrücken, und plötzlich war die Schleusenkammer hell erleuchtet. Wir blickten uns schweigend an; schließ lich sahen wir uns jetzt erst richtig in voller Beleuchtung. Der Maahk sagte, wie mir schien in etwas versöhnlicherem Tonfall: »Bis hierher sind wir erfolgreich gewesen. Kannst du das Boot aus der Schleuse steu
28 ern?« »Ich werde es jedenfalls versuchen, so gut ich es kann. Es geht ebenso um meinen Kopf.« Die Tatsache, daß die Beleuchtung funk tionierte, gab mir neue Hoffnung. Aber ich konnte daraus nicht schließen, daß sämtliche Anlagen des Bootes einwandfrei waren. Es gab mehr Fehlermöglichkeiten, als ich mir vorstellen konnte. Immerhin war das Ret tungsboot mehrmals hart umhergeschleudert und mehrmals nicht nur auf den Kopf ge stellt, sondern auch mit voller Wucht gegen die vier Wände und die Decke gerammt worden. Wir gingen geradeaus weiter und zwängten uns in den normalerweise senk rechten Antigravschacht, der jetzt wie ein waagrechter Tunnel wirkte. Schließlich stan den wir in der dunklen Zentrale. Es dauerte nicht lange, und auch hier flammten die in direkten Leuchtkörper auf. »Wenn jetzt auch noch die Triebwerke, das Funkgerät …« Ich stand auf der Front eines Wand schranks und ging vorsichtig auf das Pult zu, das vor mir quer im Raum hing. Es war merkwürdig, sich hier zurechtzufinden. Mit einiger Mühe erkletterte ich den Sockel des Pilotensitzes und orientierte mich am Instru mentenpaneel. Nacheinander schaltete ich das Funkgerät ein, die Energieversorgung, und dann zog ich als erstes die vier Landes tützen ein. Die schweren Servomotoren lie fen an, und dann zeigten die harten Erschüt terungen an, daß die Landeteller den Schrott zur Seite schoben und sich in die Vertiefun gen der Außenhülle preßten. Abwartend stand der Maahk im Antigrav schacht. Er studierte mit geradezu wissen schaftlicher Gründlichkeit jede meiner Be wegungen und Schaltungen. Ich suchte und fand die Schaltungen für die Antigravpro jektoren des Antriebs. Nacheinander gab ich Leistung auf die einzelnen Sektoren. Die Kugel bewegte sich. Ich verstärkte vier Sektoren, und wir beide hatten das deut liche Gefühl, daß sich die Kugel hob. Im
Hans Kneifel normalen Flug war dies ein Manöver, das ein Boot seitlich abdriften ließ. Dann hatte ich alle Hände voll damit zu tun, um durch abwechselndes Betätigen der rechten, linken und der steuerbaren Projektoren das Boot so zu drehen, daß der Boden der Zentrale annä hernd gerade zum Boden des Mondes stand. Während das Boot einige Meter über der Wand der Schleuse schwebte, stellte ich einen künstlichen Horizont ein und ließ die Landestützen halb herausfahren. Die Teller berührten den Grund, und die Automatik glich den Winkel aus, denn es gab keine ab solute Waagrechte in dem Wrack. Ich schaltete die Geräte wieder ab und drehte mich um. Dann setzte ich mich in den Pilotensessel. Auch der. Maahk hatte sich angepaßt und kam jetzt auf das Pult zu. »Zufrieden?« fragte ich leise. Wieder war ich einen Schritt näher an meinem Ziel. Aber bis zu einem guten Start von der Mondoberfläche gab es noch eine Reihe Hindernisse. »Bis jetzt ja. Unsere Ziele sind iden tisch!« sagte er und beugte sich vor, um die Anzeigen zu studieren. Schließlich deutete er auf ein breites, rotes Leuchtfeld und frag te: »Was bedeutet das?« Ich warf einen Blick darauf und überlegte, dann schluckte ich einen langen Fluch her unter. Warum waren diese Geräte so anfäl lig? »Störung im Funknetz«, erklärte ich. »Vielleicht kann ich es beseitigen, vielleicht nicht. Aber zuerst kommt der Start aus dem Wrack heraus.« »Ich muß in mein Schiff. Luft, Flüssigkeit und Nahrung – du verstehst?« Ich sagte leise: »Ich verstehe.« Ich begann, systematisch die Anlage zu testen. Nacheinander erwachten sämtliche Bezirke des Bootes in einem vielfarbigen Lichterspiel zum Leben. Der Antrieb würde funktionieren, wenigstens schien keine Stö rung vorzuliegen. Sämtliche Versorgungssy steme des Beibootes funktionierten auch,
In den Klauen der Maahks aber noch ließ ich die Luftumwälzanlage in aktiviert. Ich schaltete die künstliche Schwerkraft ein, die für mich normale, für den Maahk erträgliche Verhältnisse an Bord herstellte. »Ich versuche es!« sagte ich und machte mich bereit, das Boot mit einem kleinen Satz aus der Schleuse zu bugsieren und auf dem Mond zu landen. Ich schaltete die Antigraveinheiten wieder ein, hob das Schiff und ließ es auf diesem Polster nach außen schweben. Dreimal ging ein grauenhafter, knirschender Laut durch den Schiffskörper. Die niedrigfrequenten Schwingungen setzten sich durch das Metall fort. Ich schaltete sämtliche Landeschein werfer ein und sah endlich etwas auf den verschiedenen Schirmen. Vorsichtig, Meter um Meter, schob sich die Kugel aus dem Wrack heraus, glitt einige Meter weit weg und wurde von mir in eine weite Kurve ge steuert. »Wo willst du landen?« »Ich suche einen geraden, ungefährlichen Platz vor dem Wrack. In der Ebene«, gab ich zur Antwort. Das Boot schwebte um das Wrack herum, glitt in niedriger Höhe über die zerstörten Maschinen. Einige rote Leuchtfelder began nen alarmierend heftig zu flackern, aber ich hatte jetzt keine Zeit, mich darum zu küm mern. Ich fuhr die Landestützen ganz aus; eine von ihnen scharrte wieder an der ge knickten Leiter, und dann sah ich unter mir die Staubschicht mit unserer Doppelspur nach hinten gleiten. Ich fand ein ebenes Stück, etwa hundert Meter vom Schiffs wrack entfernt, und dort ließ ich die Kugel landen. Weich federten die Stützen ein. Ich fuhr sie zwei Drittel weit ein, denn dann lag die Bodenschleuse so wenig hoch über dem Bo den, daß wir sie mühelos erreichen konnten. Bis auf den Scheinwerfer, der den Bereich direkt unter der Schleuse anstrahlte, schalte te ich alle anderen Lichtquellen wieder aus. Dann fuhr ich probeweise die Energieerzeu ger hoch – sie funktionierten tadellos.
29 »Die roten Anzeigen, Arkonide!« erinner te mich der Maahk, der auf dem Frontschirm sein Schiff sah, oder vielmehr das andere Wrack. Ich sah nach, was die einzelnen Lichter bedeuteten. Antigravprojektoren arbeiteten unregel mäßig. Ich blockierte diejenigen, die defekt waren. Jedesmal, wenn ich einen Sektor des aktivierte, erlosch die betreffende Warnlam pe. »Dieses verdammte Funkgerät!« murmel te ich und versuchte eine Reihe von Schal tungen. Die Lampe flackerte, ging einmal ganz aus, dann erschien das Leuchten wie der. »Dieses Funkgerät ist ausgefallen!« sagte ich. »Das zweite können wir nicht erreichen, im anderen Boot, und das dritte ebenfalls nicht. Aber ich bin sicher, daß wir mit die sem Boot starten können. Soll ich dich zum Schiff zurückbringen?« Der Maahk schwieg. Er starrte mich mit seinen vier Augen an, während die rückwärtigen Teile der Augen die Zentrale musterten. Er schien zu überle gen. Noch immer dachte er wohl, ich würde ohne ihn starten. Ich kontrollierte weiter die wichtigen Tei le des Bootes. Ich aktivierte zusätzliche Schirme, verriegelte die Schleuse und öffne te sie wieder, testete sorgfältig alle Systeme, die ich brauchen würde, denn ich rechnete mit einem mindestens Tage, wenn nicht Wo chen dauernden Flug im All. Der Versuch einer automatischen Lagebestimmung schlug fehl; offensichtlich waren die galakti schen Koordinaten des Mondes nur in den Rechenmaschinen des Wracks vorhanden gewesen. Zwei der Partikeltriebwerke waren beschädigt. Sie arbeiteten unregelmäßig, aber ich konnte ohne ihre Kraft starten. »Grek?« fragte ich. »Was willst du, Arkonide?« »Ich fliege dich zu deinem Schiff. Aber erst, nachdem ich festgestellt habe, ob ich im Boot hier überleben kann. Einverstan den?«
30 »Meinetwegen. Du sagtest, du hättest noch Vorräte und Nahrungsmittel dort im Wrack?« Das kann eine Falle sein, um dich aus dem Boot zu treiben, warnte sofort der Ex trasinn. »Ich kann sie nicht allein tragen. Ich bin auch mißtrauisch, was dich betrifft – ebenso wie du mir gegenüber. Komm mit und hilf mir tragen. Dann fliegen wir zu deinem Schiff. Ist dies ein logischer Vorschlag?« »Ich kann ihn akzeptieren«, erwiderte er und ließ die Hand wie unbeabsichtigt auf den Griff seiner Waffe fallen. »Dann … gehen wir.« Ich durchsuchte die einzelnen Abteilun gen des Bootes. Es würde etwa zwanzig oder fünfundzwanzig Arkoniden Platz gebo ten haben. Die Kabinen waren ausgespro chen winzig, aber eine kleine Automatik sagte mir, daß sämtliche Notvorräte eingela gert und mit der Gründlichkeit, die der Flot te Arkons eigen war, überprüft und vor we nigen Monaten erneuert worden waren. Ich würde hier ziemlich lange überleben kön nen. Trotzdem war es sinnvoll, die Lufttanks zu holen und alles, was ich mühsam im Wrack gesammelt hatte. Wir verließen das Boot, brachen die Leiter ganz ab und stellten sie in die offene Schleuse, nahmen den Scheinwerfer und stapften zurück zum Wrack. Eine halbe Stunde später befanden wir uns wieder in dem Beiboot. Ich erkun digte mich: »Hast du etwas dagegen, wenn ich die Schleuse schließe und meine Atemluft im Schiff zirkulieren lasse?« »Nein. Du hast keine Druckkammer mit meiner Atmosphäre?« Ich machte eine umfassende, eindeutige Handbewegung und erklärte: »Du hast es selbst gesehen. Nur Überle benssysteme für Arkoniden.« Ich setzte mich zurecht und plante in mei nen Überlegungen die einzelnen Schaltun gen für den kurzen Sprung über die Ebene. Während ich die Schirme betrachtete und verschiedene Hebel drückte – ich hatte einen
Hans Kneifel Großteil der Räume aus dem Luftkreislauf herausgeschaltet –, ertönte das Summen der hochgefahrenen Energieerzeuger. Wieder blinkten die Lichter am Schaltpult. Nur zwei rote waren darunter. Ein plötzlicher Blick in einen der Schir me, die gewisse Spiegeleigenschaften hat ten, zeigte mir den Maahk. Ich erschrak nicht einmal mehr. Der Grek deutete mit sei ner Waffe auf meinen Rücken. »Ich muß sicher sein. Du startest zum Maahkschiff?« Ich lachte kurz und versicherte: »Mit und ohne deine Waffe – tatsächlich. Ich starte nur dorthin. Du bist zu mißtrau isch, Grek.« »Nicht ohne Grund. Meine Freunde waren weniger mißtrauisch, und sie sind alle tot.« »So wie die Arkoniden!« meinte ich und gab volle Last auf die Antigraveinheiten. Die Leiter fiel um, das Schott schloß sich, und die Kugel schwebte rund fünfzig Meter in die Höhe. Dann erwachte heulend eine Partikeldüse und schob das Beiboot über die Ebene. Von hier aus sah ich auf dem Bild schirm die Strukturen unter mir deutlicher. Sie waren kantig und eckig, bildeten einen undeutlichen Raster, in dem auch die Phan tasie die fehlenden Linien und Ecken ersetz te. Ohne jeden Zweifel: hier war einst die Stadt gewesen, die in meinen Visionen auf tauchte. Das Boot wurde schneller, fast zu schnell, und ich ging mit der Leistung zu rück, bis wir genau neben dem riesigen Wrack standen. Langsam senkte ich das Boot ab und setz te es auf. »Jetzt bist du dort, wohin du wolltest!« sagte ich und stand auf. »Geh in dein Schiff und suche zusammen, was du brauchst. Ich lege mich in einer Kabine schlafen.« Es war überflüssig, daß ich versuchte, die automatische Uhr im Schiff zu reparieren. Sie funktionierte nicht. Ich wußte nicht, wie viele Stunden wir in dem arkonidischen Raumschiffswrack gearbeitet hatten. Aber der Maahk rührte sich nicht und zielte noch immer auf mich.
In den Klauen der Maahks »Du kommst ebenso mit wie ich vorhin«, sagte er. »Du könntest starten, wenn ich nicht an Bord bin.« Ich ließ erschöpft die Schultern sinken und murmelte wütend: »Ich hätte dich mehrmals erschießen kön nen.« »Das ist etwas anderes.« »Warum?« »Weil du mich und meine Kraft gebraucht hast. Jetzt bin ich für dich überflüssig. Komm mit ins Schiff, und wir können hier ausruhen. Aber ich muß sicher sein.« Er war schon ein gerissener Kerl. Ich kon trollierte meine Vorräte und stellte mich ne ben ihn in die Schleuse. Die innere Schottür schloß sich, die äußere glitt auf, und wir sprangen wieder in den schwarzen Staub hinunter. Dann gingen wir auf das Wrack zu, das ebenso zerstört war wie das der Ar koniden. Ich hatte eben einen Beweis für die logische und kalkulierte Denkweise der Me thans bekommen, und ich mußte sagen, daß er mich verblüfft hatte. Aber alle diese Tricks und Winkelzüge halfen nicht entscheidend. Außerdem waren noch immer die Schiffe beider Völker im Anflug. Welches Schiff würde zuerst über diesem neutralen Übergabeplatz erscheinen? Ich konnte es nicht wissen, und außerdem war ich müde, hungrig und durstig. Und der Raumanzug drückte mich. Und wenn ich auch nur einen Sekundenbruchteil lang dar an dachte, wie weit ich von meinen Freun den und meinem Ziel entfernt war, dann wurde es mir buchstäblich schlecht. Ich folgte dem Methanatmer in sein Schiff und half ihm bei seinen Verrichtungen, die ebenfalls nichts anderes waren als die Ver suche, zu überleben und ein bestimmtes Ziel vielleicht doch noch zu erreichen …
5. Die Pause war lang genug. Es gab keine unmittelbaren, vordergründigen Probleme mehr; die Lage war sowohl dem Grek als
31 auch mir klar. Wir waren ausgeruht, der Maahk hatte alle seine Vorräte an Bord des kleinen Rettungsboots gebracht, so wie ich auch, und wir würden ziemlich lange Zeit in dieser Zelle verbringen können. Mir war es unmöglich, das starke Mißtrauen des Maahks zu brechen, und ich fand auch kei nen Weg, um normal und entspannt mit ihm zu verkehren. Er war Raumfahrer wie ich, außerdem wußte er, welche Risiken wir bei de eingingen. Wir konnten von einem Maahkschiff ent deckt und aufgenommen werden – das war weiteres Pech für mich. Oder von einem Schiff der Arkon-Flotte. Das würde ihn in die schlechtere Lage brin gen. Mich allerdings auch, denn alles, was offiziell von diesem Planeten kam, war zu nächst einmal eine Gefahr für mich, der ich versuchen wollte, den Mörder meines Vaters vom Thron zu stürzen. Darauf, daß Fartu loon hier auftauchte, rechnete ich besser erst gar nicht; er wäre ein reines Wunder. Ich beugte mich vor und betätigte einen Schal ter, der das Schott und sämtliche Luken schloß und verriegelte. Ich blickte auf den Bildschirm, der den zentralen Berg in der Ebene zeigte. »Hier gab es vor Urzeiten eine Stadt«, sagte ich. »Sie ist unglaublich verfallen, aber ich glaube, daß sich unter dem Boden noch erhaltene Räume befinden. Wir starten jetzt. Bereit?« Ich befand mich im Raumanzug, hatte aber den Helm zurückgeklappt. Die Luft aus der Umwälz- und Klimaanlage war kühl und frisch. Nach den langen Tagen in dem engen Bezugssystem des Raumanzugs war allein dieser Effekt ein Mittel, meine Stimmung um einen guten Betrag zu heben. »Ich bin bereit, Arkonide. Wohin fliegen wir?« »Keine Ahnung«, erwiderte ich und ließ die Energieerzeuger auf Touren kommen. »Erst einmal weg von dem Mond. Vielleicht hat die Sonne, die wir sehen, einen Plane ten!« »Einverstanden. Vielleicht ist dort ein
32 Stützpunkt meines Volkes.« Wir beide hatten die entsicherten Waffen bei uns. Für den Augenblick war die Situati on stabil. Der Maahk brauchte mich, so wie ich ihn in einem Rettungsboot seines Schif fes gebraucht hätte. Aber jede Sekunde konnte wieder sein Mißtrauen durchbrechen, konnte er sich vor Angst und Nervosität auf mich stürzen. Ich mußte ausgesprochen be hutsam handeln und ihn von jeder Änderung unterrichten. Die Triebwerke heulten auf, die intakten Antigravprojektoren begannen zu arbeiten, ich schob langsam die Regler nach vorn und beobachtete die Instrumente und die Bildschirme. Halbdunkel herrschte in der kleinen Zentrale des Bootes. Bis jetzt geht es gut. Achte auf die Anzei gen. Die Wahrscheinlichkeit, daß wichtige Blöcke nicht hundertprozentig funktionieren, ist groß, warnte mich der Logiksektor. Das Boot hob ab und stieg langsam höher. Ich scheute mich, mit voller Geschwindig keit zu starten, denn ich kannte die Bela stungsmöglichkeiten der Maschinen nicht. Für mich war es wahrscheinlich, daß irgend welche Teile oder Verbindungen durch die schweren Erschütterungen in ihrer Funktion eingeschränkt waren. Aber das Boot kletter te hervorragend, stieg hoch über die Ebene hinweg und wurde schneller. Ich war kon zentriert, beachtete alle Anzeigen und schob langsam die Regler weiter und weiter. Die Ziffern in den Anzeigenfeldern wechselten schneller. Bodenabstand viertausend, flüsterte der Extrasinn. Ich gab mehr Leistung zu, fuhr die Parti keldüsen mit zwei Dritteln der Belastung und schaltete, als ich die notwendige Flucht geschwindigkeit erreicht hatte, die Antigrav projektoren ab. »Werden wir die Sonne erreichen?« fragte der Maahk über Außenlautsprecher. Jetzt war der Translator in sein Anzugssystem ge schaltet. »Ich habe die Hoffnung«, entgegnete ich heiser. Ich war gespannt und etwas nervös. Das kugelförmige Rettungsboot schoß jetzt
Hans Kneifel mit mehr als der Fluchtgeschwindigkeit da von. Die Zelle vibrierte leise, als ich mit neunzig Prozent der Kraft operierte. Einige Minuten vergingen, dann flackerte das Warnlicht der Andruckabsorber alarmierend auf. Blitzschnell kippte ich den leichtgängi gen Schalter und hob die Hand. »Achtung! Die künstliche Anziehungs kraft!« rief ich laut. »Festhalten!« Die geringe Anziehungskraft des Mondes erleichterte den Start. Wir brauchten weni ger Leistung. Aber während die Antriebsein heiten arbeiteten und uns ins Weltall hinaus schleuderten, leuchteten immer mehr Warn lampen auf. Einige von ihnen strahlten be reits in höchster Intensität. Sie blendeten mich fast. Achtung! Die Systeme brechen zusam men! tobte der Extrasinn. Meine Finger huschten über das Paneel. Ich schaltete ein Triebwerk ab, eine Warn lampe erlosch. Die anderen Ausfälle betra fen Hilfsaggregate, ohne die wir fliegen konnten. Klickend rasteten die Schalter und Regler ein. Das Boot flog noch immer und beschleunigte mit den eingestellten Werten. Ich merkte, daß meine Finger zu zittern be gannen. Was war mit dem Boot los? »Verdammt! Ich sehe uns schon mit dem Ding explodieren!« murmelte ich. Ich fühlte mich, als säße ich auf einer tickenden Bombe. Mein Optimismus schwand im selben Maß, wie die Entfernung vom Mondboden zunahm. Das Ziel, die Sonne zu erreichen und dort vielleicht einen Planeten zu finden, war nicht mehr sicher. Aber noch immer beschleunigten die Ma schinen. Ungeduldig warteten wir, inzwischen im schwerelosen Feld, aber durch den Andruck trotzdem am Boden der Zentrale festgehal ten. Meine Unruhe steigerte sich. Wieder brachen zwei Systeme zusammen. Dann ging ein harter Schlag durch das Boot, und ein Summer quäkte auf. »Ein Triebwerk!« rief ich. Mit einer Hand schob ich die Regler der anderen Partikel ströme weiter, mit der anderen kippte ich
In den Klauen der Maahks einen Schalter. Die torkelnde Bewegung des Bootes stabilisierte sich wieder, aber jetzt ließ der Maahk die Haltegriffe los und schob sich an das Pult heran. Ich hielt mich krampfhaft fest und sagte scharf: »Ich weiß nicht, ob wir den Start abbre chen sollen. Das Boot fällt langsam ausein ander!« »Was ist los?« Du mußt ihn beruhigen! Er glaubt, du willst den Start sabotieren! wisperte der Ex trasinn. Ich deutete auf die Leuchtfelder, die im mer wieder aufflammten. »Bisher waren es nur unwichtige Servo aggregate«, erklärte ich und drosselte aber mals die Leistung eines anderen Triebwerks. »Aber jetzt fallen die wichtigen Maschinen aus. Nach und nach. Ich kann nichts än dern!« Der Maahk betrachtete das halb ausge schaltete Pult starr und ohne Ausdruck. Dann öffnete er seinen breiten Rachen und sagte langsam: »Ich glaube, wir sollten zurückfliegen. Wir sind dort unten sicherer, wenn wir war ten. Dort haben wir auch ein Funkgerät, das ich reparieren kann.« Ich lehnte mich zurück und schaute zu ihm auf. Was war klüger, dachte ich. Was ver sprach mehr Überlebenschancen? »Zurück zum Mond! Wenn der Antrieb ganz ausfällt, sind wir verloren. Schaffen wir es noch?« Ich sagte dumpf: »Ich habe keine Ahnung. Du hast recht – versuchen wir die Landung. Es wird gefähr lich werden, so oder so.« »Haben wir die Wahl?« »Nein«, sagte ich und zog die Regler zu rück. Ich leitete eine leichte Kurve ein, ver ringerte die Geschwindigkeit und wartete, bis ich den halb ausgeleuchteten Mond di rekt vor mir auf dem Voraus-Bildschirm hat te. Dann steigerte ich die Geschwindigkeit wieder. Im Augenblick gab es keinerlei alarmie
33 rende Leuchtanzeigen. Ich stand auf und blickte den Maahk an. »Die Schwierigkeiten entstehen erst bei der Landung«, sagte ich deutlich. »Und zwar in Bodennähe. Der Mond zieht uns an, wir brauchen keinen Antrieb für den Flug dort hin. Aber ich glaube, es ist eine Frage der Zeit.« »So ernst?« Ich lachte humorlos auf. Wieder flammte ein Warnlicht auf. Ich konnte es mir nicht anders erklären: ein Verteiler mußte halb zerstört sein. Die Maschinen liefen einwand frei, die Projektoren und die Düsen hatten bisher reibungslos funktioniert, aber die Regler schienen alles andere als in Ordnung zu sein. »Ziemlich sicher.« Die Geschwindigkeit steigerte sich wei taus langsamer. Wir warteten schweigend, während sämtliche intakten Triebwerke ar beiteten. Ich starrte auf den Schirm. Das Ge biet, auf das wir zufällig zusteuerten, war genau dasjenige, das wir eben verlassen hat ten. Ich entdeckte wieder die Einzelheiten der riesigen Stadt. Von hier aus sahen sie ausgesprochen geheimnisvoll aus. Auch der Zentralberg mit den rund angeordneten Trümmern war zu sehen. Vielleicht gelang es mir, so glatt zu lan den, wie ich gestartet war. Jetzt trieben wir ohne Antrieb auf den Mond zu. Schweigend und mit steigender Spannung musterten wir die Bildschirme und die Anzeigen des Pul tes. Dann holte ich tief Luft und sagte: »Wir müssen uns auf eine Katastrophe vorbereiten, Grek.« Er war Raumfahrer, er wußte sofort, was ich meinte. »Genügt es, wenn ich im Raumanzug bleibe?« »Nein. Festschnallen und alles andere«, sagte ich. »Ich muß den Helm schließen. Vielleicht kann ich das Boot in Schiffsnähe landen.« Wir hatten uns nicht weiter aus rund ein tausend Kilometer von dem Satelliten ent fernt. Noch immer strahlte die Sonne auf
34 dem seitlichen Schirm, und im Moment leuchtete keine der Warnlampen. Eine ge spannte Ruhe herrschte. Der Versuch, den Mond zu verlassen, war fehlgeschlagen. Beim Versuch der Landung konnten wir sterben, aber das lag nicht einmal mehr an meinem Geschick, die Landung durchzufüh ren. Es lag einzig und allein bei den nicht in takten Maschinen oder Reglern des Ret tungsboots. Und an einem Faktor, der durch keine Macht des Universums zu beeinflus sen war. Glück war dieser Faktor. Ich warf einen Blick auf den Entfernungs messer, dann auf die Anzeige des Bodenab standmessers. Ich winkte und deutete darauf. Der Maahk starrte die Felder an, in denen die Zahlen sich ständig änderten. Die beiden letzten wechselten am schnellsten. Im Au genblick waren wir noch hundertneun Kilo meter von der Ebene entfernt. »Mach dich fertig, Partner«, sagte ich fa talistisch. »Wir werden ziemlich viel Schrott herstellen, wenn wir nicht seidenweich auf setzen. Halte dich lieber schon jetzt fest.« Der Maahk war nicht recht in der Lage, meinen Galgenhumor zu würdigen. Ich kippte einen Schalter und aktivierte sämtli che Antigraveinheiten. Sie schienen noch am wenigsten Ausfälle zu haben. Mit einem weichen Ruck setzte die negative Beschleu nigung ein. Der Maahk taumelte, fing sich wieder und stieß hervor: »Ich muß dir vertrauen.« Ich grinste kalt. »Du kannst mir vertrauen. Mein Leben ist mir mindestens so wichtig wie deines. Ich tue mein Bestes, Grek.« »Ich hoffe es.« Die Geschwindigkeit verminderte sich langsam. Trotzdem machte es die optische Täuschung, daß der Boden des Mondes, jene ereignisreiche Ebene, rasend schnell näher kam. Die Linien zogen sich auseinander, die Landschaft im Mittelpunkt des Bildschirms blieb deutlich und wurde größer. Ich klappte meinen Helm nach vorn, befestigte die Ver schlußhebel und regulierte die Anzugversor-
Hans Kneifel gung ein. Dann griff ich nach den Gurten und schnallte mich sorgfältig an. Der Grek versuchte dasselbe. Der zweite Sessel, der Platz des Kopiloten oder Astro gators, war allerdings zu schmal für ihn. Aber er schnallte sich trotzdem fest, klappte den Sessel in die günstigste Position und re gelte seinen Anzug. Das Gepäck – ebenfalls Gasvorräte, Nahrungsmittel und Flüssigkei ten in verschiedenen Verpackungen – be fand sich geschützt in einem stabilen Schrankfach. »Wie weit sind wir?« »Zwanzig Kilometer«, sagte ich und dros selte die Leistung eines unregelmäßig arbei tenden Antigravprojektors, dessen Warnlam pe flackerte. Das Signal wurde schwächer, verschwand aber nicht. »Kannst du die Geschwindigkeit nicht noch drosseln?« »Noch nicht. Ich warte noch. Ich muß mit voller Leistung fahren, und ich glaube, daß die Treibwerke nicht so lange durchhalten.« »Ich verstehe«, sagte der Grek. Wieder Schweigen. Wir warteten. Ich be obachtete wie hypnotisiert den Höhenanzei ger. Mit ziemlich hoher Geschwindigkeit sank das Boot relativ senkrecht abwärts. Ich konzentrierte mich auf den zentralen Hügel als Zielpunkt – dort wollte ich landen. Noch elf Kilometer. Ich begann mich zu fürchten, denn wieder flammten Anzeigen auf. Nimm dich zusammen! Du mußt alles ver suchen! Du kannst euch beide umbringen! sagte der Logiksektor. Plötzlich ging alles rasend schnell. Ich holte Luft, versuchte, entkrampft zu arbeiten und ließ die Partikeltriebwerke aufflammen. Noch arbeiteten sie mit geringer Leistung, und ich ignorierte die flackernden Warnlich ter. Ich gab volle Kraft auf die Antigravs, dann bremste ich mit einem langen Stoß der Triebwerke die Geschwindigkeit herunter. Wir waren vier Kilometer von der Oberflä che entfernt. Während die Lichter flacker ten, die Warnsummer schrien, während die Staubschicht in beängstigendem Tempo nä her kam, schob ich die Regler der Triebwer
In den Klauen der Maahks ke voll nach vorn. Wieder drückte die An ziehungskraft uns schwer in die Sitze, und plötzlich funktionierte ruckhaft sogar die künstliche Schwerkraft. Das Dröhnen des Antriebs wurde lauter, als wir in den Bereich der dünnen Gas schicht über dem Mondboden kamen. Das Boot schüttelte sich, noch mehr Warnlam pen blinkten auf, und ich sah, daß wir nur noch fünfhundert Meter vom Grund entfernt waren. Volle Kraft auf die Triebwerke, volle Leistung auch auf die Antigravprojektoren. Der Fall verlangsamte sich, aber nicht entscheidend. Zwei Triebwerke fielen mit knallenden Erschütterungen aus. Lange Flammenzungen leckten aus den Düsen und wirbelten den Staub auf. Das Boot schüttelte sich, als würde es über Felsen rollen. Die Gurte rissen an meinen Gliedmaßen und an meiner Brust. Das Rettungsboot trieb infolge der unre gelmäßigen Leistung der Triebwerke in die Richtung des Maahkschiffes davon. Ich drückte einen Schalter, und zischend scho ben sich wieder die Landebeine aus. Noch immer fielen wir. Ich schob die Regler ganz nach vorn, holte das letzte aus den Maschi nen heraus und registrierte verkrampft, daß sich die Zahlen der Abstandsanzeige nicht mehr so rasend schnell veränderten. Ein Triebwerk das ebenfalls aussetzte, ließ die Kugel torkeln und weiter nach links abtreiben. Jetzt gab es zwischen den Lande tellern und dem Staub nur noch einen Ab stand von zehn Metern. Ich konnte nichts mehr tun. Sämtliche Geräte arbeiteten auf höchsten Touren. Ununterbrochen jaulten die Sirenen und tobten die Summer. Die Schiffszelle schwankte wie im Sturm. Ich sah, wie der Kurs des Bootes genau auf eine Felsengruppe zuführte, die abseits von einer der »Straßen« aus dem Staub aufragte. Ich versuchte, das Boot daran vorbeizu steuern. In den ersten Sekunden gehorchte es mir, dann kippte es, und eine Landestütze schrammte an den Felsen entlang, riß eine Staubwolke hoch und schleuderte das Boot herum. Es begann zu kreiseln, sackte einige
35 Meter tiefer und kam ein zweites mal mit ei ner Landestütze auf. Dann kippte es nach vorn, wurde schwer in den Staub gerammt, und ich schaffte es gerade noch, sämtliche Hebel herunterzureißen und beide Systeme auszuschalten. Die Summer und Sirenen hörten auf, aber in die abschwellenden Laute hinein dröhnten die schweren, krachenden Stöße, mit denen das Boot aufschlug, in die Höhe geworfen wurde, wieder aufprallte, gegen kleinere Felsen oder Bruchstücke prallte und dann zu rollen begann. Mit kreischenden, knirschenden Ge räuschen brachen die Landestützen aus und wurden geknickt. Ich klammerte mich mit einer Hand am Pult fest, mit der anderen an der Sessellehne. Die Kabine drehte sich, die Schirme barsten klirrend. Dann begann die Beleuchtung zu flackern. Ich hörte einen Schrei, dann wieder ein mahlendes Geräusch, und schließlich gab es einen dröhnenden Krach. Die Bewegung des Bootes hörte auf. Ironischerweise war der Boden der Zentrale im Augenblick völlig waagrecht. »Wir sind gelandet!« knurrte ich und löste meine verkrampften Finger. Eine totenähnli che Stille breitete sich aus. Ich hörte nur die röchelnden Atemzüge des Methanatmers. Dann fingen meine Außenmikrophone ein zischendes Geräusch auf, ein anderes, tickendes, ein dumpfes, immer wieder unter brochenes Summen und ein scharfes Knacken. Ich stemmte mich aus dem verkanteten Sessel hoch und blickte hinüber zu meinem seltsamen Gast. Auch der Maahk lebte noch. Er befreite sich gerade aus den breiten Gurten und stand auf. Ich hörte so etwas wie ein Stöhnen. »Wie fühlst du dich?« erkundigte ich mich knapp. »Schlecht. Aber ich kann mich bewegen. Die Gurte …« Ich stellte fest, daß ich nichts gebrochen hatte. Nur die Stellen, an denen die Gurte anlagen, schmerzten ein wenig. Die Raum
36 anzüge hatten uns geschützt. Wir sahen uns in der Zentrale um. Nur noch ein paar Leuchtkörper funktionierten, aber sämtliche anderen Geräte waren tot, ausgefallen oder ausgeschaltet. Der Versuch ist fehlgeschlagen. Repariert das Funkgerät! sagte der Extrasinn. Ich hob die Hand und sagte: »Verlassen wir das dritte Wrack. Wir können nicht aus der Bodenschleuse, weil das Boot genau darauf steht. Wir müssen den Notausstieg nehmen, und ich hoffe, er ist nicht verklemmt.« »Einverstanden. Aber wenn ich das Funk gerät repariert habe, werde ich ein Maahkschiff herbeirufen. Das bedeutet er neut Gefangennahme für dich.« Ich breitete die Arme aus und erklärte: »Besser gefangen als tot oder verletzt. Bringen wir es hinter uns. Jedenfalls ist si cher, daß ich nicht mehr allein flüchten kann.« Mit unbewegter Stimme versicherte der Methanatmer. »Du hast recht. Diese Möglichkeit besteht nicht mehr.« Ich riß das kleine Schott auf, und wir ta steten uns einen dunklen Quergang entlang. Das Schott klemmte tatsächlich, aber als sich der Grek mit der Schulter dagegenwarf, brach es nach außen auf. Ich hatte nicht ein mal die Detonationssicherung zu betätigen brauchen. Dafür setzte in diesem Augen blick wieder die künstliche Schwerkraft an Bord aus, so daß der Maahk sich überschlug und vier Meter weit durch die Luft sprang, schwer aufprallte und auf die stämmigen Beine zurückgefedert wurde. Der Kreis hatte sich geschlossen. Wir be fanden uns wieder auf dem Mond. Als ich mich umsah, stellte ich fest, daß wir uns ziemlich genau zwischen dem Zentralberg und dem Wrack des Methanraumers befan den. Noch, lebst du! tröstete mich der Logik sektor. Ich lebte. Aber inzwischen waren mit größter Sicherheit Schiffe hierher unter-
Hans Kneifel wegs. Entweder die der Maahks oder arkoni dische Kreuzer. Vermutlich sogar beide. Auf alle Fälle würden wir hier nicht langsam verhungern müssen. Ich wartete, bis der Grek sich wieder dem Boot genähert hatte und mir herunterhalf. Der geheimnisvolle Mond hatte uns wie der. Wir hätten uns alle Anstrengungen und al len Ärger sparen können. Sie hatten absolut nichts eingebracht. Ich dachte an die Gefan gennahme oder an das Problem, ein zweites Mal den Arkoniden beweisen zu müssen – oder dies wenigstens zu versuchen – daß ich eine wichtige Persönlichkeit der Flotte war. Ich warf einen langen Blick auf die zerbeul te Zelle des Rettungsboots und folgte dann dem Maahk. Inzwischen war die Sonne abermals um wenige Millimeter höher geklettert. Sie strahlte den Oberteil des ausgeglühten und zerfetzten Maahkraumers an, der einen lan gen Schatten warf. Ich fühlte mich plötzlich unsagbar müde und verzweifelt.
6. Resignation ist Unsinn. Du bist nicht er schöpft! Tu etwas, um deine Gedanken abzu lenken und zu beschäftigen, sagte der Extra sinn drängend. Ich saß auf dem weichen Staub über ei nem Steinbrocken und sah dem Methanat mer nach, der langsam auf sein Schiff zu ging. Ich konnte nicht viel anderes tun als warten. Auf eines der Schiffe, einen Maah kraumer oder ein arkonidisches Kriegs schiff. Wieder war ich gelähmt, wieder wa ren wir handlungsunfähig. Ich ließ meine Blicke über die Landschaft schweifen, die ich genau kannte – aus den Visionen die seit dem Verlassen der Druckkammer aufgehört hatten, und aus der eigenen Erfahrung. Ver mutlich war der Klotz, auf dem ich saß, ebenfalls Teil eines zusammengebrochenen Gebäudes. »Grek?« fragte ich halblaut. »Ja?«
In den Klauen der Maahks Er meldete sich sofort. Er trug jetzt das Übersetzungsgerät. Wir hatten einen Waf fenstillstand geschlossen, der keinem von uns Vorteile bringen konnte. Ich würde ihm nachfolgen und versuchen, ihm zu helfen. Selbst ein Maahkschiff war angenehmer als ein Aufenthalt auf diesem Mond. »Brauchst du mich?« »Nein«, sagte er. »Noch nicht. Ich muß erst genau nachsehen, was ich habe und was ich brauche. Bleibe im Rettungsboot, viel leicht komme ich nach und hole Lufttanks oder Nahrung.« »Geht in Ordnung«, erklärte ich. Der geheimnisvolle Mond. Ich stand ge dankenlos auf und ging ein paar Schritte auf den Zentralberg zu. Ich betrachtete den Bo den und sah links von mir die Spur, die das abgestürzte Boot gezogen hatte. Eine Bahn der Verwüstung, durchsetzt mit den Teilen der abgerissenen Landebeine, einigen Blech fetzen und den Steinen, die vom Staub be freit worden waren. Zehn oder fünfzehn Schritte weiter entdeckte ich einen runden Krater, und als ich genauer hinblickte, sah ich, wie von den Rändern schmale Bäche von Staub nach unten rieselten. Ein gespen stischer Anblick; er wurde noch verwirrender, als ich den Scheinwerfer einschaltete und darauf richtete. Das Loch in der Mitte des Kraters war etwa zwei Meter groß. Vor sichtig ging ich näher und prüfte zuerst, ob der Boden tragfähig war. Deine Visionen! Vielleicht hast du die un terirdische Stadt entdeckt! flüsterte der Ex trasinn. Vermutlich war eine dünne Decke eingestürzt, als das Boot aufprallte. Ich blickte in das Loch. Noch immer rie selte Sand oder Staub nach unten. Das Licht des Scheinwerfers verlor sich in einer pech schwarzen Tiefe. Zögernd ging ich näher, bis ich mich vorbeugen konnte. Ich sah noch immer nichts, nur, daß der Staub auseinan derfächerte und in eine größere Tiefe fiel. Was sollte ich tun? Auf keinen Fall näher heran! Du begibst dich in Gefahr, warnte der Logiksektor. Ich überlegte, was ich an Hilfsmitteln hat
37 te. Ich brauchte ein Seil und eine Seilwinde oder einen flugfähigen Anzug, ein Flugag gregat. Nichts davon hatte ich im Rettungs boot entdecken können. Doch, es gab einige Spezialtaue im unteren Schleusenraum. Vielleicht konnte ich sie benutzen. Ich dreh te mich um und ging zurück ins Rettungs boot. Mit einem Klimmzug schwang ich mich ins Innere, suchte einige Minuten und fand drei aufgerollte dünne Taue. Kunststoff mit einer dünnen Stahlsehne. Ich ging daran, in die Seile Knoten und Schlaufen zu knüp fen und verband die drei Stücke miteinan der. Dann vergewisserte ich mich, ob ich ge nügend Vorräte bei mir hatte, nahm zwei kleine Lampen aus der Halterungen und ver ließ das Schiff wieder. Ein Ende des ersten Seiles hatte ich am Haltegriff nahe der Notschleuse eingehakt, jetzt spulte ich das Tau hinter mir ab und zog es probeweise straff. Dann war ich an dem Loch, drehte die beiden Taue von den Trommeln und warf sie locker nach unten. Ich hakte den Sicherheitsverschluß der Fangleine von meinem Anzuggurt, heftete eine eingeschaltete Lampe mit dem Reflek tor nach unten an meinen Gürtel und griff nach dem Tau. Langsam trat ich den Abstieg an, rutschte im schwarzen Staub, der in einer kleinen Lawine nach unten stob, dann hing ich endlich frei und pendelte hin und her. Der Strahl der kleinen Lampe verlor sich in der Finsternis. Ich suchte, bis die Spitze meines Stiefels eine Schlaufe fand, behut sam griff ich tiefer. Hin und wieder klinkte ich den Haken in eine Schlaufe und schalte te, mich drehend und pendelnd, die schwere Lampe ein. Endlich sah ich unter mir den Boden. Ich befand mich in einer Höhle oder Kammer, die nicht weniger als fünfzehn oder mehr Meter hoch war. Etwa sieben Meter über dem Boden hing ich, drehend und pendelnd. Der Abstieg war leicht, der Aufstieg würde es auch sein, denn meine Muskeln hatten weniger als die Hälfte meines normalen Körpergewichts zu tragen. Ich kletterte die letzten Schlaufen hinunter und stand auf dem Boden. Wieder blitzte die
38 Lampe auf und beleuchtete die Umgebung. Neben den Stellen, an denen zahllose Rinn sale aus Staub und Sand kleine Hügel gebil det hatten, schimmerte es auf. Ich ging dar auf zu, bewegte die Hand mit dem Schein werfer und erkannte ein Muster. Unglaub lich komplizierte Mosaikarbeiten zeigten sich unter der Einwirkung des Lichtes. Glän zende Metalle, geschliffene Steine in allen möglichen Farben, Linien und stilisierte Bil der. Die Visionen waren also Wahrheit. Es gab doch eine Stadt in dieser Ebene, kom mentierte der Logiksektor. Langsam ging ich weiter. Ich fürchtete mich sogar, die Sohlen auf diese rätselhaften Figuren zu setzen. Ich glaubte, Tierköpfe zu sehen, heraldische Begriffe, Blätter und Ranken. Silberne und goldene Schleifen bil deten Muster. Ich machte etwa hundert Schritte in eine Richtung, bis ich in dem dunklen Gewölbe an eine Wand kam. Auch hier entdeckte ich Dinge aus der Zeit, in der die Stadt gelebt hatte. Prunkvolle Wandmalereien befanden sich hier, farbensprühend und mit Metallen eingelegt. Fremdartige Tiere und unbekann te Wesen schienen einmal miteinander zu kämpfen, im nächsten Teil des Bildes aber in einer phantastischen Landschaft friedlich miteinander zu verkehren. Du kennst den Schlüssel nicht, sagte der Extrasinn. Du wirst die Bedeutung nicht feststellen können. Ich hatte ganz vergessen, daß ich nicht al lein war. Aber diese Entdeckungen hatten mich derartig gefesselt, daß ich die Atemzüge und das gemurmelte Selbstgespräch des Grek überhört hatte. Seine Worte und Wortfetzen wurden übersetzt. Er kletterte durch das Wrack des Schiffes und suchte Werkzeuge und Ersatzteile. Jetzt kauerte er vor dem Funkgerät und hatte es wohl halbwegs aus einandergenommen. Unablässig murmelte und schimpfte er, dazwischen hörte ich die Laute der Anstren gung. Ich überlegte kurz, ob ich mich ein-
Hans Kneifel schalten sollte, aber dann ließ ich es bleiben. Der weiße, stechende Kreis des Lichtes bewegte sich in Schleifen und Ringen über die hohe, breite Wand. Immer neue Bilder tauchten auf, begannen zu leuchten und zu leben und sanken wieder in das Dunkel zu rück. Sie wirkten plastisch, waren aber nicht wirklich dreidimensional. Immer phantasti schere Szenen schoben sich vor meine Au gen. Verwirrt blieb ich stehen, als ich nach etwa zwei Drittel der Wand einen Durch gang vor mir hatte. »Soll ich weitersuchen?« murmelte ich. Nein. Zu riskant. Die Decke kann einstür zen und dich lebendig begraben! warnte das Extrahirn. Das war ein Argument. Ich ging weiter, unschlüssig, was ich tun sollte. Einerseits wußte ich, daß viele Ent deckungen und Geheimnisse sich hier unter der Kruste versteckten, andererseits konnte ich mich in diesem Labyrinth verirren. Wa rum ich während der langen Tage im Maahkschiff gerade diese Stadt »geträumt« hatte, würde ich niemals erfahren. Ich ließ den Ausgang aus diesem leeren Saal zurück und suchte weiter. Ununterbrochen sah ich neue Bilder, neue und immer phantastische re Eindrücke. Und plötzlich rissen das Mur meln und die Atemzüge in meinen Helm lautsprechern ab, und die Stimme des Grek war deutlich zu hören. »Arkonide!« »Ich höre dich«, gab ich zurück. »Du mußt mir helfen. Wo bist du? Ich se he dich nicht?« Ich lachte kurz auf und erwiderte: »Ich habe ein Höhlensystem entdeckt. Vielmehr einen Teil der unterirdischen Stadt dieses Mondes.« »Uninteressant. Ich brauche Hilfe bei dem Funkgerät.« »Ich komme!« schloß ich. Ich drehte mich um und ging auf die Lam pe zu, die eingeschaltet neben dem Seil stand. Für mich hatte das Höhlensystem kei ne lebensnotwendige Bedeutung, aber es würde reizvoll sein, einmal mit einer großen
In den Klauen der Maahks Truppe und dem entsprechenden Gerät hier zu landen und diese Kavernen zu erforschen. Ich kletterte langsam aus dem unterirdischen Saal hinaus, riß einige Kubikmeter Staub herunter und stand dann neben dem Krater. Ich holte das Seil ein und ließ es neben dem Rettungsboot liegen. Ich hatte wenig Vorstellungen, wie ich dem Maahk helfen konnte, aber offensichtlich sah er eine Mög lichkeit. Ohne Eile ging ich neben seinen Spuren auf das Wrack zu. Hin und wieder warf ich einen Blick auf die Landschaft, starrte in die Sterne und vermochte noch im mer keine bekannte Konstellation zu ent decken. Ich wußte nicht im entferntesten, wo wir uns befanden. Vierzig Meter ungefähr vor dem Wrack blickte ich zufällig in die Richtung der Son ne, die sich noch immer hinter den Bergen verbarg und nur mit ihrem obersten Rand zu sehen war. Ich blinzelte, etwas geblendet, aber dann riß ich beide Hände hoch und drehte mich halb herum. Ein Stern hatte sich bewegt. Ich schirmte die Augen ab und blickte ge nauer hin. Tatsächlich. Ich schrak zusam men: es war natürlich kein Stern, sondern ein Schiff, das sich näherte. Noch war es nicht genau zu erkennen. Ich sagte alarmiert: »Grek! Ein Schiff kommt! Richtung Son ne, links davon, etwa dreißig Grad im Au genblick!« Er schrie auf. »Ein Maahkschiff?« »Keine Ahnung. Ich kann es nicht genau erkennen«, versicherte ich wahrheitsgemäß. Er war erregt, darüber bestand kein Zweifel. Ich hörte es auch ohne den Translator. Der glänzende Punkt beschrieb eine Kur ve, denn er bremste nicht, dennoch kam er näher und wurde deutlicher. Etwa zehn Se kunden lang verfolgte ich die Flugbahn, dann erst erkannte ich die Form des Schif fes. Arkoniden! sagte der Extrasinn. Es war unzweifelhaft ein arkonidischer Kreuzer. Das silberglänzende Kriegsschiff wurde jetzt abgebremst, flog schnell und
39 zielsicher in die Richtung des Wracks, des Wracks des Arkon-Kreuzers natürlich, dort hielt es hoch über dem Mondboden an. »Es ist ein arkonidisches Kriegsschiff, Grek!« sagte ich. »Das bedeutet Gefangen schaft für dich.« Jetzt brachen seine Furcht und seine Wut panikartig aus. »Nein!« tobte er. »Ich will nicht. Ich wer de das Schiff abschießen! Ich will nicht in die Gefangenschaft, ich wehre mich …« »Hören Sie auf! Sie haben keine Chance gegen die Schiffsgeschütze!« sagte ich, un willkürlich wieder in diese Form der Anrede zurückfallend. »Siebringen sich um, Grek!« »Ich bringe die Arkoniden um! Alle!« schrie er. Ich selbst wußte nicht, ob ich über das Er scheinen des Schiffes besonders glücklich sein sollte. Zweifellos würden sie mich an Bord nehmen und mir glauben, denn es gab niemanden, der mich kannte. Davon war ich jedenfalls überzeugt. Das Schiff bewegte sich wieder, blieb aber in achtungsvollem Bodenabstand, überflog die Ebene und blieb über dem Wrack des Maahkraumers stehen. »Grek! Das Schiff ist über Ihnen! Machen Sie keinen Blödsinn!« beschwor ich ihn. Es wird nichts nützen. Er ist in Panik! Ich blieb stehen, eine winzige Gestalt in der Ebene, zufällig geschützt durch einige kleine Felsen, aber mit einem Massedetektor spielend leicht auszumachen. Ich wartete darauf, daß etwas geschah. Schließlich muß ten die Männer in der Ortungszentrale auch das Rettungsboot sehen. »Ich bringe sie um!« schrie der Maahk. Er mußte eine schwere, tragbare Waffe in den Trümmern seines Schiffes gefunden ha ben, denn plötzlich sah ich einen dicken, weißglühenden Strahl aus dem Wrack schräg nach oben zucken. Der Maahk schoß mit einer Handwaffe nach einem Kriegs schiff, das einen Durchmesser von rund ei nem halben Kilometer hatte. Natürlich rich tete er nichts aus. »Hören Sie auf, Grek! Ein Schuß aus dem Schiff, und Sie sind tot!«
40 Durch die Lautsprecher hörte ich seine Flüche und sein Keuchen. Bis jetzt schien – was ich für unmöglich hielt – die Besatzung nichts von dem Beschuß gemerkt zu haben. Ich rechnete jede Sekunde mit einem Gegen schlag. Sie wußten ja nicht, daß es ein ein zelner, verzweifelter Maahk war, der vor Angst und Hysterie halb wahnsinnig war. Ich stand da, unfähig, mich zu rühren. Das Schiff trieb jetzt langsam nach rechts. Noch immer feuerte der Maahk seine lächer lichen Feuerstrahlen ab, die wirkungslos verpufften. Ich sah keine Bewegung, aber in Gedanken war ich im arkonidischen Schiff, und dort lief soeben die Maschinerie der Zerstörung an. Das Schiff wich abermals um ein paar Ki lometer aus. Noch immer schoß Grek wie ein Irrer; auch die Strahlen seiner Waffe folgten der Bewegung des Kriegsschiffs. Dann erschienen plötzlich und in schnel ler Folge drei gewaltige Feuerbälle mitten in dem ausgebrannten Stahlgeflecht des Maahkschiffs. Sie flammten auf, verwandel ten sich in eine riesige Kugel, die zuerst weiß, dann sämtliche Farben des Spektrums hinunter bis rot glühten, schließlich sich auf löste. Innerhalb von zwei Sekunden zerfetz ten diese drei Treffer den Rest des Wracks völlig. In meinen Ohren gellte der letzte Schrei des Methanatmers. Ich schloß die geblendeten Augen, griff automatisch zum Gürtel und schaltete mein Funkgerät auf die meisten gebräuchliche Frequenz arkonidischer Schiffe. Dann sagte ich erschöpft: »Achtung! Hier spricht Vregh Brathon, Angehöriger des Schiffes der Arkoniden, das dort hinten als Wrack steht. Ich bin der letzte Überlebende. Ich bitte, an Bord ge nommen zu werden.« Ich wartete nur zwei Sekunden. Sicher nicht länger. Dann sagte eine aufgeregte Stimme: »Wir hören Sie! Wo befinden Sie sich? Können Sie uns erklären, was hier vorgefal-
Hans Kneifel len ist?« »Ich kann alles erklären«, meinte ich lei se. »Sie finden mich neben dem zerstörten Rettungsboot, ziemlich genau in der Mitte der Ebene. Ich bin der letzte Überlebende.« »Wir kommen! Wir schicken ein Boot herunter!« Mein Extrasinn schaltete sich ein und sag te scharf: Ein gewagtes Spiel, Atlan. Spiele es gut und denke daran, deine Rolle perfekt auszu füllen. Ich konnte nicht genau analysieren, wa rum ich mich schlecht fühlte und enttäuscht war. Mein Schicksalsgenosse, mit dem ich nicht viel gemein hatte, war eben getötet worden. Eine unstabile und fragwürdige Partnerschaft hatte eine kurze Zeit lang be standen. Nicht mehr. Aber auch nicht weni ger. Ich hatte soeben begonnen, eine be stimmte Rolle zu spielen, und ich mußte mich jetzt wieder auf mein Glück verlassen. Der Name, den ich genannt hatte, war ein sehr häufiger arkonidischer Name. Ich muß te mich so verhalten, als wäre ich nichts als ein einfacher, müder und halb verhungerter Raumfahrer. Ich sah zu, wie das Schiff sich näherte und ein Boot ausschleuste. Als ich auf das demolierte Rettungsboot zustolperte und sicher sein konnte, daß sie mich gesehen hatten, stöhnte ich mehrmals auf und ließ mich in den Staub fallen. Dann retteten sie mich …
* Gut so! Stelle dich tot! Du entgehst erst einmal unbequemen Fragen, befahl der Lo giksektor. Ich blieb regungslos liegen, das Gesicht im Staub. In den Lautsprechern hör te ich die knappen Kommandos der kleinen Bergungstruppe. Sie kamen heran, blieben kurz stehen und hoben mich hoch. »Armer Kerl. Muß knapp davongekom men sein!« »Die Maahks haben sein Schiff total ver nichtet.« »Er wird es uns erklären.«
In den Klauen der Maahks »Verdammt! Bringt ihn erst einmal an Bord!« Sie trugen mich, nachdem sie mich umge dreht hatten, zum Boot. Ich blickte in die Sterne und überlegte die nächsten Schritte meines Überlebensplans. Langsam brachten sie mich ins Boot, legten mich dort auf die Liege einer offenen Kabine und starteten. Es bereitete mir keinerlei Schwierigkeiten, wei terhin den Entkräfteten zu spielen. Das Boot startete und wurde weich in einem Hangar des Kriegsschiffs gelandet. Minuten später kamen die Männer wieder, öffneten meinen Raumanzug und brachten mich ins Bordla zarett. Ich sagte, als ich auf einem Bett saß und mich ein Roboter aus dem Raumanzug schälte: »Es geht schon wieder, Freunde. Habt ihr was zu trinken? Ich habe Hunger und Durst, mir zittern noch immer die Knie.« »Begreiflich! Was ist mit dem Schiff ge schehen?« Ich senkte den Kopf und murmelte: »Sie haben sich gegenseitig vernichtet. Ein Kommando war draußen, mit dem Maahk. Und plötzlich schossen sie alle auf einander. Mehr weiß ich auch nicht.« Eine Robotuntersuchung schloß sich an. Die Maschinen schleppten mich in eine Duschkabine, ich erhielt Essen und ein Ge tränk, das mich augenblicklich stärkte und auf die Beine brachte. Man stattete mich mit Kleidung aus Bordvorräten aus, und schließ lich erklärte der untersuchende Robot, daß ich gesund, wenn auch etwas geschwächt und aufgeregt sei. »Können wir ihn befragen?« »Selbstverständlich!« erklärte die Maschi ne. »Er braucht nur Ruhe.« Ich lehnte mich zurück. Die Männer des Bergungskommandos blieben hier, dann ka men einige Offiziere, und schließlich umgab ein Kreis von etwa zwanzig Personen das Bett. Ich machte ein Gesicht, das meine Un sicherheit und eine Portion Unbehagen aus drückte. »Sie sind Brathon? Vregh Brathon?« frag te ein Off zier.
41 »Ja. Ich bin in der Schleusenmannschaft … ich war in der Schleusenmannschaft des Wracks.« »Wir haben einen dringenden Funkspruch erhalten«, warf ein anderer Offizier ein, »und er riß plötzlich ab. Was ist passiert?« Ich krümmte die Schultern nach vorn und begann stockend zu berichten, was ich wuß te. Was ich als Brathon wissen konnte. Es war nicht viel. »Zuerst bekamen wir Kontakt mit dem Kreuzer der Maahks. Dieser Platz dort unten wurde als Treffpunkt ausgemacht.« Gut, bisher. Sie glauben dir! »Dann ging ein Team hinaus, mit dem Maahk. Ich habe es durch die Visiphone ge sehen. Sie nahmen einen Gleiter.« »Dasselbe passierte mit dem Maahkschiff?« Ich nickte. »Ja. Sie trafen sich in der Mitte. Neben dem Berg. Wir hörten teilweise mit, und plötzlich feuerte einer von uns in den Boden. Dann … es war so sinnlos. Sie schossen auf einander, und dann schossen die Schiffsge schütze.« »Und was geschah weiter?« Ich zuckte die Schultern und breitete rat los die Hände aus. »Ich war beim Schleusenkommando. Wir sollten den Gleiter einschleusen. Als die er sten Schüsse einschlugen, mußten die Lan debeine zerbrochen sein. Ich wurde hochge hoben, über den Boden geschleudert und un ter einem Gleiter eingeklemmt. Dort kam ich kurz darauf zu mir.« »Die Luke war offen?« Vorsicht! Erinnere dich richtig! tobte der Extrasinn. »Ja. Sie war offen. Das Schiff wurde zer stört und rollte den Hang hinunter. Ich wur de herausgeschleudert, das Schiff rollte so zusagen über mich hinweg. Ich landete im Staub.« »Was dann?« Ich schilderte ihnen, wie ich versucht hat te, mich in dem Schiff auf eine längere Überlebenszeit einzurichten. Ab jetzt berich
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tete ich die nachkontrollierbare Wahrheit. Ich erzählte vom Kampf mit dem Maahk, von unserer brüchigen Partnerschaft, vom Startversuch und der Notlandung. Bis zu der Stelle, an der ich während Greks Reparatur versuch das Schiff gesehen hatte. Ich schloß: »Zweifellos sind Maahkschiffe hierher unterwegs. Sie wurden ebenso alarmiert wie Sie. Und wenn ich den Maahk richtig ver standen habe, kommt ein kleiner Flottenver band der Methanatmer.« Ich nickte mehrmals und zeigte dann star ke Zeichen von Schwäche und Müdigkeit. An den Vibrationen merkte ich, daß sich das Kriegsschiff langsam von dem geheimnis vollen Mond entfernte. Ich hatte sie offen sichtlich überzeugt, denn ein Offizier schob sich durch den Ring der Zuhörer und sagte langsam: »Schlafen Sie sich erst einmal aus, Bra thon. Dann sehen wir weiter. Jedenfalls kommen Sie jetzt nicht mehr in die Gefan genschaft der Methanbestien.« »Danke«, sagte ich. »Ich habe Ruhe nö tig.« Langsam leerte sich der Raum. Die Robo ter und ein Arzt versorgten mich, und ich legte mich hin und deckte mich zu. Ich sch lief nicht, keineswegs, aber ich mußte meine neue Lage richtig durchdenken. Bisher hatte ich es geschafft. Ich war auf dem Weg zu irgendeinem Arkonplaneten und vorläufig in Sicherheit. Aber ich rechne te damit, in ganz kurzer Zeit von der Besat zung in schwierige Lagen gebracht zu wer den; vermutlich kannten sie einige der Arko niden, die zur Mannschaft des Wracks ge hört hatten. Ich kannte sie nicht. Für diesen Zweck gibt es ein einfaches Verfahren, das dir Fartuloon beigebracht hat, erklärte der Logiksektor. Die schwierigste Frage würden sie mir noch stellen. Das war sicher.
* Kurze Zeit später heulte der erste Alarm
durch das Schiff. Ein Lautsprecher schrie immer wieder: »Ein Flottenverband der Maahks! Sie greifen an! Ein Flottenverband …« Einen Raumanzug! Zur Sicherheit! befahl der Extrasinn. Ich stand auf, suchte nach den charakteri stischen Einbauschränken und zerrte einen Anzug hervor, der mir paßte. Meinen mitge nommenen Raumanzug hatten die Roboter mit sich genommen, um ihn zu reinigen. Die Befehle quollen in schneller Folge aus den Lautsprechern, überall rannten Männer an ihre Stationen. »Sie waren fast zu schnell, die Maahks!« murmelte ich, während ich mich umzog. Es hätte ebensogut sein können, daß zuerst die Schiffe der Methanatmer landeten. Etwa zwei oder zweieinhalb Stunden waren seil dem letzten Feuergefecht auf dem Mond vergangen. Angriff. Ich schaltete beide Interkome ein und be trachtete die Bilder, die dort ständig wech selten. Mindestens fünf Schiffe kamen von allen Seiten auf unser Schiff zu und feuer ten. Die Schutzschirme wurden eingeschal tet und neutralisierten die ersten Treffer. Die Geschwindigkeit des Arkonraumers nahm zu. Eine aussichtslose Lage, fand ich, und wieder wurde ich unruhig. Dann erschütter ten die ersten Abschüsse unserer Geschützt den Raumer. Was sollte ich tun? Einen Schleusenspe zialisten brachten sie jetzt sicher auf keinen Fall. Warte ab! Ich setzte mich auf ein Bett, von dem aus ich beide Schirme gleich gut betrachten konnte. Die Schiffe der Maahks griffen mit einer todesverachtenden Wut an und schie nen uns keine Chance zu lassen. Aber unsere Geschwindigkeit war höher, und unsere Of fiziere in den Feuerleitzentralen schossen besser. Während unser Schiff einen Fluchtkurs einschlug, wehrte es sich verbissen und li stenreich. In einer Flugbahn, die einer unre
In den Klauen der Maahks gelmäßigen Spirale glich, raste der Raumer durch das All, weg von der Sonne und dem Mond, den ich auf den Schirmen nicht mehr entdecken konnte. Mit ihm schwebten die Geheimnisse der versunkenen Stadt zurück in die Weite des Weltraums. Die Strahlen bahnen kreuzten sich, die Feuerbälle der De tonationen schlugen gegen das Schiff und verglühten in der Schwärze des Alls. Ein Maahkschiff drehte ab; es hatte einen schweren Treffer erhalten. Dann erschütter ten zwei Einschläge unser Schiff. Wieder schrillten die Alarmklingeln. »Maschinenraum abschotten. Treffer im Umsetzer!« schrie jemand. Wieder hörte ich rennende Füße außer halb des kleinen, weißen Raumes. Das Licht begann zu flackern und brannte mit niedri gerem Wert weiter. Wieder traf ein harter Schlag das Schiff. Über die Bildschirme tanzten Funken und farbige Linien. »Treffer im Laderaum Vier!« Die Maschinen arbeite ten mit höchster Kraft. Ich wurde unange nehm an unseren Fluchtversuch vom Mond erinnert. Aber dann heulte draußen ein Laut sprecher auf, und zwischen den einzelnen krauenden und knisternden Störungen sagte eine kalte, leidenschaftslose Stimme: »Achtung … Transition … Minuten.« Ich schüttelte den Kopf. Wieder konnte ich sehen, wie einer der Maahkraumer ab drehte und im Zickzack flüchtete. Ein Teil der Hülle war aufgerissen, hinter dem riesi gen Loch konnte ich Flammen und Rauch erkennen. Ununterbrochen feuerten nun un sere Geschütze. Vermutlich legten sie einen Sperriegel zwischen die Verfolger und das flüchtende Schiff. Endlich schwenkten die Linsen herum und zeigten dieses Bild. Es stimmte: wir flüchteten mit höchster Be schleunigung, und die meisten Geschütze und Projektoren feuerten riesige Entladun gen nicht nur auf die feindlichen Schiffe ab, sondern auch in die Flugbahn der Verfolger. Und schließlich erfaßte mich der Schock des Transitionssprungs. Ich sank über dem Bett zusammen und wußte, daß wieder eine Ge fahr überstanden war.
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7. Nur Ruhe! Sie sind keineswegs mißtrau isch! flüsterte eindringlich der Extrasinn. Es war etwa einen Tag später. Die Kom mandos versuchten, die Schäden zu behe ben, aber der Kreuzer raste weiter. Ich hatte inzwischen erfahren, daß Trantagossa unser Ziel war. Ich hatte den Mann nicht weiter gefragt, um meine Unkenntnis nicht zu verraten. Je denfalls war ich nun auch in den Großen Methankrieg verwickelt worden. Jetzt stand ich in der Kabine des Kommandanten. Er saß hinter der Schreibplatte, und neben ihm befanden sich drei Offiziere mit harten Ge sichtern. »Wie fühlen Sie sich, Brathon?« eröffnete der Kommandant die Unterhaltung. Er war ein massiger Mann mit kurzem Haar und ei nem kantigen Gesicht voller Falten. »Danke. Inzwischen ausgezeichnet!« er widerte ich. »Sie haben mich holen lassen?« Er hob einige Notizen vom Tisch auf, sah sie kurz an und hob den Blick. Er musterte mich schweigend. Seine Stimme war ruhig wie seine Augen. »Wir haben noch einige Fragen an Sie, Vregh Brathon!« Ich blieb ruhig und entgegnete: »Was ich weiß, werde ich gern aussagen, Kommandant.« Er lehnte sich weit zurück, betrachtete seine Fingerspitzen und fragte dann: »Wir standen mit dem verlorenen Schiff in Verbindung. Der Kommandant sagte, daß er einen gefangenen Maahk habe und ihn gegen einen wichtigen Arkoniden austau schen wollte.« »Sir, ich muß korrigieren«, warf ich ein. »Wir wußten nicht, wer der wichtige Arko nide war. Die Maahks sagten, daß er ihnen berichtet habe, er sei wichtig. Ich habe ihn nicht gesehen, und ehe wir ihn in Händen hatten, begann die unheilvolle Schießerei.« »Sie wissen seinen Namen nicht?« »Nein«, sagte ich fest.
44 »Dieser Maahk, mit dem Sie zusammen das Rettungsboot freigemacht haben – er wußte auch nichts?« »Nein. Wie schon gesagt, er hatte einen arkonidischen Translator, sonst hätten wir uns überhaupt nicht verständigen können. Er war der Gefangene von uns. Er befand sich offensichtlich abseits der Gruppe und wurde von den Schüssen nicht getroffen. Alles an dere habe ich bereits berichtet.« Einer der Offiziere hob die Hand und knurrte: »Warum hat der Offizier, unser Offizier, mit dem Schießen angefangen?« »Ich weiß es wirklich nicht. Die Mann schaften hörten die Unterhaltung der beiden Gruppe nicht mit. Und ich fand in der Zen trale des Wracks keine Aufzeichnung. Das heißt, ich konnte kein Gerät finden, das noch funktionierte. Außerdem bin ich nicht quali fiziert genug, um in der Zentrale die Geräte bedienen zu können.« Fartuloon ist ein guter Lehrer, bemerkte der Logiksektor. »Sie können uns also nichts mehr über die Person des gefangenen Arkoniden sagen, Brathon?« »Nein, Kommandant!« sagte ich. Die Männer sahen sich an. Sie mißtrauten mir nicht, das erkannte ich. Aber ich ent spannte mich nicht und versuchte, meine Rolle so gut wie möglich weiterzuspielen. Ich blieb stehen und wartete. Nach einer Weile fragte ich halblaut: »Sir?« »Ja?« Der Kommandant blickte mich nicht unfreundlich an. »Darf ich eine Frage stellen?« »Ja, natürlich.« »Wie lange werden wir auf Trantagossa bleiben?« »Nun, im Augenblick kann ich das nicht genau sagen. Auf diesem Flottenstützpunkt wird versucht werden, unser Schiff so schnell wie möglich instand zu setzen. Das kann bedeuten, daß die Mannschaft freie Zeit erhält, aber auch, daß sie auf andere Schiffe verteilt wird oder ein anderes Kom-
Hans Kneifel mando erhält. Warum fragen Sie?« Ich versuchte ein schüchternes Lächeln. »Private Interessen, Kommandant.« »Ich weiß es nicht. Sie erfahren es recht zeitig, wie alle anderen auch. Danke, Bra thon, wir brauchen Sie nicht mehr. Fühlen Sie sich dienstfähig?« »Ohne weiteres«, sagte ich mit genau der geringen Menge an Begeisterung, die ein einfaches Mannschaftsmitglied aufbrachte, wenn es Arbeit witterte. Die Männer vor mir grinsten verständnisvoll. »Melden Sie sich bei Varltan, Deck Sie ben. Er wird Ihnen eine Kabine und Arbeit in der Schleuse anweisen.« »Danke, Sir.« Ich verließ den Raum und befragte in ei nem leeren Raum den Schiffscomputer. Ich erfuhr alles über Trantagossa, was ich noch nicht wußte, und als ich so schnell wie mög lich die Auskünfte gelesen hatte, wußte ich, daß mich der Weg genau dorthin führte, wo ich unter keinen Umständen hätte landen wollen. Trantagossa war einer der größten Flot tenstützpunkte der Arkoniden. Dort wim melte es von Leuten, die mich erkennen würden. Jedenfalls war ich, kaum dort ge landet, schon wieder auf der Flucht, würde mich verstellen und verstecken müssen. Der sicherste Platz war im Augenblick dieses Schiff, und als ich in der Messe erfuhr, daß wir noch drei Tage zu fliegen hatten, be schloß ich, die Zeit zu nutzen. Hier kümmer te sich niemand mehr um meine Identität. Aber im Stützpunkt würde eine Untersu chung stattfinden, der meine Maske keines wegs gewachsen war. Und von dort bis zu Orbanaschol war es dann nur noch ein kurz er Weg. Ein kurzer Weg in den Tod.
* Ich benutzte alle Möglichkeiten an Bord, um mein Wissen aufzufrischen und meinen Körper in Form zu halten. Ich versuchte, nicht aufzufallen. Niemand hatte mich er kannt, ich war anscheinend sicher. Aber
In den Klauen der Maahks schon einen Tag später begann meine Ner vosität stärker zu werden, meine Unruhe wuchs. Trantagossa näherte sich mit jeder Minute. Einen Tag vor der Landung verminderte das Schiff völlig unerwartet seine Fahrt. Kurz darauf informierte die Zentrale die Schiffsbesatzung. »Wir haben Kontakt mit einem Flotten verband unserer Schiffe. Wir erwarten den Besuch einer Inspektion.« Das kann dir gelten, sagte der Logiksek tor. Wir sahen auf den Schirmen drei riesige Schiffe, die sich näherten. Die Geschwindig keiten wurden angeglichen, ein Beiboot lös te sich, und dann kam der Befehl, eine Schleuse vorzubereiten. Sechs höchste Offi ziere würden uns besuchen. Ich sah zu, wie das Boot eingeschleust wurde, und jetzt wurde das Warten zur echten Qual. Die In spektion konnte Gründe haben, die mich ab solut nichts angingen, aber mit einiger Wahrscheinlichkeit ging es noch immer um die Person des hohen Arkoniden, den man hatte austauschen wollen. Ein solcher Vor gang schien im Großen Methankrieg eine ziemliche Seltenheit darzustellen. Ich wartete und machte mich bereit, die Geschichte abermals zu erzählen und dabei keinen Fehler zu machen. Dann sah ich die Abordnung, die an Bord gekommen war. Fünf Männer in prächtigen Uniformen, vor denen eine ungewöhnlich junge und sehr gut aussehende Frau neben unserem Kom mandanten den kurzen Weg zur Zentrale ging. Sie alle sahen so aus, als trügen sie Staatsgeheimnisse mit sich. Vermutlich geht es um den Offizier, sagte der Logiksektor. Ich wartete in meiner winzigen Kabine. Seit einer Stunde hatte ich keinen Dienst mehr. Ein deutliches Gefühl zwischen Ner venanspannung und reiner Angst sagte mir, daß ich der Grund dieses Aufenthaltes im freien Raum war. Sicher waren sie nicht we gen des einzigen Zeugen der Katastrophe
45 gleich mit drei Riesenschiffen gekommen, aber wegen des gleichen Grundes hatten sie zumindest ihren Flug unterbrochen. Ich war bereit; ich rechnete damit, festgenommen und weggeschleppt zu werden. Merkwürdig – im Augenblick berührte es mich nicht son derlich. Offensichtlich hatte ich einen Punkt erreicht, an dem mich nichts mehr wirklich traf. Oder war ich nur deswegen so kühl und relativ unbeteiligt, weil ich ahnte, daß ich auch hier einen Ausweg finden konnte? Ich wußte es nicht. Etwa eine halbe Stunde ver ging, dann wurde das Schott meiner Kabine aufgerissen. Zwei bewaffnete Mannschaftsmitglieder standen auf dem Korridor. »Brathon! Sie sollen in die Zentrale kom men. Kommandant Zaroia will Sie unbe dingt sehen.« »Meinetwegen«, murmelte ich und folgte ihnen. Ich besaß nichts, aber absolut nichts, was ich hätte mitnehmen können. Wir be wegten uns schnell in die Richtung der Zen trale. Als ich mich auf dem Hauptkorridor befand, fragte ich mürrisch: »Was soll das eigentlich? Warum lassen sie mich kommen?« »Keine Ahnung«, war die knappe Ant wort. »Wir wissen es auch nicht. Vermutlich ist da einiges unklar.« Ich lachte sarkastisch. »Da ist eine Menge unklar, jedenfalls für meinen schwachen Verstand.« Wir traten ein. Abseits des Zentrums, rund um einen versenkbaren Tisch, saßen die Gäste aus dem Riesenschiff. Die junge Frau wandte mir den Rücken zu. Der Kom mandant unseres Schiffes stand auf, winkte meine beiden Bewacher zurück und deutete auf einen Platz vor ihm. Ich blieb stehen, als ich den offenen Sitzkreis erreicht hatte. »Kommandant?« fragte ich höflich und setzte wieder mein verwirrtes Gesicht auf. Ich betrachtete die fremden Offiziere. Sie wirkten alle sehr bedeutend. Nur die junge Frau nicht; sie betrachtete mich mit einer Mischung aus Interesse, Spott und Neugierde. Sie war sicher nicht älter als ich. Und
46 sehr schön. Sie saß völlig entspannt und im Gefühl ihrer Schönheit und ihrer Bedeutung in dem schweren Sessel und sah mich an. »Sie sind also Brathon, der einzige Au genzeuge?« fragte sie. Ihre Stimme war lei se, aber durchdringend. Sie benutzte sie wie ein Virtuose ein Instrument. »Jawohl, Kommandant. Vregh Brathon!« sagte ich etwas linkisch. Ein deutliches Gefühl sagte mir, daß Zaroia mißtrauisch war. Sie lächelte mich an, und sicher bildete ich mir nicht ein, daß schwaches weibliches Interesse in ihren Au gen zu erkennen war. »Sie sind angeblich Spezialist für mecha nische Teile in Schiffsschleusen, Brathon?« erkundigte sie sich. »Sie machen den Ein druck, als wären Sie alles andere als nur ein einfaches Mannschaftsmitglied.« Ich zuckte die Schultern und sah an mir herunter, dann machte ich eine Bewegung, die andeuten sollte, daß ich hier in Bordklei dung dastand, über keinerlei Besitz und si cher nicht über hervorragende Ausbildung verfügte. Ich überlegte mir eine passende Antwort. »Sprechen Sie!« sagte sie und zwinkerte mir zu. Ich stotterte verwirrt: »Ich bin, was ich bin. Nicht mehr. Ich glaube, Sie irren sich, Kommandant.« »Ich irre mich selten. Sie haben alles ge sehen? Sie können uns genau berichten, was auf dem neutralen Mond geschehen ist?« Ich erklärte unschlüssig: »Alles, was ich weiß, habe ich bereits un serem Kommandanten gesagt und den Offi zieren. Es ist ein Zufall, daß ich noch am Leben bin. Alle anderen sind tot.« »Und das wissen Sie genau?« »Ich hatte genügend Zeit, um nach Über lebenden zu suchen. Ich fand nur Leichen im Schutzanzug oder ohne. Und einen lebenden Maahk.« Zaroia blickte mich so an, wie es Mäd chen oder Frauen tun, wenn sie daran inter essiert sind, daß ich ihnen versichere, sie be gehrenswert, schön und reizvoll zu finden. Nicht anders. Ich war diesmal mißtrauisch,
Hans Kneifel aber an den verwunderten Gesichtern der sechs anderen Männer in diesem Kreis sah ich, daß auch sie es gemerkt hatten. Lang sam stand Zaroia auf und kam in meine Richtung. Sie blieb auf Armeslänge vor mir stehen und blickte mir tief in die Augen. »Ich habe keinerlei Beweise, meine Her ren«, sagte sie, und ich glaubte mich verhört zu haben, »aber dieser Mann scheint mir al les andere als ein einfacher Raumfahrer zu sein. Wie gesagt: keine Beweise. Aber ich wäre nicht Zaroia, wenn ich es nicht heraus finden würde. Haben Sie etwas, das Sie mit nehmen müßten, Brathon?« Diesmal war meine Verwirrung echt. Sie glaubt dir nicht. Bereite dich auf ein gefährliches Spiel vor! »Mitnehmen? Was? Wohin?« fragte ich stockend. »Auf mein Schiff. Ich habe es eilig, und dort kann ich mich um diesen jungen Mann kümmern. Außerdem enthebe ich Sie, Kom mandant, Ihrer Verantwortung. Er ist zumin dest als Zeuge wichtig.« Unser Kommandant stand auf und nickte unsicher. »Ich habe keinerlei Bedenken. Nehmen Sie Brathon mit, und ich melde den Vorfall ordnungsgemäß weiter.« Zaroia und der Kommandant verständig ten sich mit einem Kopfnicken. Die junge Frau sah auf die Uhr und schloß dann: »Wir müssen weiter. Ich habe einen wich tigen Auftrag, und ich kann beides miteinan der verbinden. Die Angelegenheit mit die sem wichtigen Tauschobjekt wird immer mysteriöser. Kommen Sie, mein junger Freund.« Einer der Offiziere fügte hinzu: »Sie brauchen keinen Schutzanzug.« »Jawohl!« Ich verabschiedete mich von dem Kom mandanten. Selbst jetzt versuchte ich, meine Rolle so perfekt wie möglich zu spielen. Ich trottete verwirrt und unsicher hinter den Of fizieren und der Gruppe der Ordonnanzen her, blieb in der Polschleuse des Verbin dungsbootes stehen und stieß mit einem
In den Klauen der Maahks Raumfahrer zusammen, der mich anbrüllte. Dann schloß sich die Schleuse, das Boot wurde gestartet und schwebte hinüber zu den großen Schiffen. Noch während wir uns in der Schleuse befanden, nahmen die Schif fe Fahrt auf und rasten davon. Bisher hatte ich noch einigermaßen ge ahnt, was mich erwartete. Jetzt aber hatte sich alles geändert. Ich wußte nichts mehr. Ich war wirklich verwirrt und unsicher.
8. Ich blieb neben dem farbig gepolsterten Innenteil des großen Schotts stehen und sah mich in der luxuriösen Kabine um. Sie war nicht sehr groß, aber gegenüber allen ande ren Schiffskabinen geradezu verschwende risch eingerichtet. Edle Hölzer, Bilder, eine genau abgestufte Beleuchtung und unge wöhnlich viele Stoffe. Zwischen zwei Ses seln stand ein niedriger Tisch, auf dessen Platte ich das runde Brett eines Quarny-Spie les sah. Ich kannte dieses Spiel. Ich stand da und sah zu, wie Zaroia durch den Raum ging, eine Tür aufrollen ließ und in einem anderen Raum verschwand. Ver mutlich wollte sie mich allein lassen und zu einer untypischen Reaktion verleiten. Ich war auf der Hut. Eine ziemlich lange Zeit verging. Ich war tete scheinbar geduldig. Ich war bereit, ihren Plan – falls sie einen besaß, und ich zweifel te nicht daran – zu durchkreuzen. Die Tür rollte auf. Zaroia kam zurück, aber sie hatte sich umgezogen und trug einen Anzug, der aus dünnen, kostbaren Fel len gefertigt war und ihre aufregende Figur herausfordernd betonte. Langsam ging sie über die dicken Teppiche auf mich zu. Ihr Parfüm roch verheißungsvoll. Schweigend betrachtete sie mich, aber ich wurde nicht verlegen. Noch nicht. »Sie sind ein außergewöhnlicher Bursche, Vregh!« sagte sie leise. »Und das wissen Sie genau, nicht wahr?« Ich versteckte meine Hände hinter mei nem Rücken und lehnte mich leicht gegen
47 die Täfelung. Lächelnd und verführerisch stand die junge Frau vor mir. »Ich … ich weiß nicht, wie Sie das mei nen, Kommandant!« erwiderte ich linkisch. »Ich weiß überhaupt nicht, was ich hier soll!« Sie hatte ihr Haar, das sie noch vor weni gen Minuten straff an den Kopf gekämmt getragen hatte, geöffnet. Es fiel bis auf die Schultern. Sie lächelte und tippte mir mit zwei Fingern gegen die Brust. »Möchten Sie etwas trinken? Dort drüben – holen Sie sich, was Sie mögen. Für mich …«, sie nannte eine exotische Mischung, die ich natürlich kannte. Ich grinste innerlich und sagte: »Aber … im Dienst. Und das, was Sie be fohlen haben, bitte, was ist das, Komman dant?« Jetzt musterte sie mich mit einem nieder trächtigen Lächeln. Sie winkte mit dem Zei gefinger. Ich löste mich von der Wand und folgte ihr zu einer eingebauten Bar, in der sich mindestens fünfzig Flaschen befanden. Die meisten waren nicht angebrochen. »Was möchten Sie, Vregh?« Ich zuckte die Schultern. »Ein Bier«, sagte ich. »Nur ein Bier. Ich war noch nie in einer solchen Kabine.« Sie blickte mich ungläubig an und stellte zwei Flaschen auf die Ablage. Der Robot schob zwei eiskalte Gläser aus dem Vorrats fach, die augenblicklich beschlugen. Zaroia goß aus zwei verschiedenen Flaschen die Gläser halb voll, dann gab sie mir eines. Sie richtete es so ein, daß sich unsere Finger be rührten. »Sie können nicht annähernd so primitiv sein und hier ein Bier verlangen! Geben Sie Ihre Maskerade auf, setzen Sie sich. Dort hin. Das ist mein Platz.« Ich hob das Glas, verschüttete absichtlich ein paar Tropfen und stolperte zum Sessel. Zwischen uns stand jetzt das Spiel. Derjeni ge, der hier spielte, wo ich saß, würde nach etwa elf Zügen den anderen besiegen. Er hatte eben eine exotische Zugvariante einge leitet. Fartuloon hätte der Gegner sein kön
48 nen. Ich fiel in den Sessel, der leicht zu schaukeln begann. Ich trank einen Schluck und stellte das Glas ab. »Maskerade? Was meinen Sie mit Maske rade?« fragte ich. »Ich weiß nicht …« Sie winkte ab. »Sie können vielleicht ein Raumschiff voller Männer hinters Licht führen. Was Sie denen erzählt haben, stimmt sicher – bis auf einen Punkt. Ich habe für besondere Männer ein ziemlich gutes Gespür, sonst wäre ich heute nicht hier.« Sie hat dieses Gespür hiermit bewiesen, sagte der Extrasinn. »Ich verstehe nicht, Kommandant …!« Sie strahlte mich an, nippte an ihrem Glas und strich in einer aufreizenden Bewegung das Haar zurück. »Sie sind etwas ganz Besonderes, Raum fahrer«, sagte sie leise. »Sie sind genau der Typ Mann, in den sich Mädchen wie ich verlieben müssen. Fast nur aus diesem Grund habe ich Sie hierher geholt. Übrigens – ich bin Zaroia.« Wieder eine Falle? Ich wand mich im Sessel und versuchte, eine Antwort zu geben, die meiner Rolle entsprach. »Kommandant … eh, Zaroia, ich bin ein einfacher Arkonide, und Sie sind Komman dant … ich glaube Ihnen nicht. Was hätten Sie von mir?« »Was seit Anfang der Geschichte alle Frauen sich von allen Männern erwarten«, sagte sie und hob das Glas. »Du trinkst nicht?« Ich griff verwirrt nach dem bernsteinfar benen Getränk, das ein ausgezeichneter, mindestens ein Jahrzehnt alter Frucht schnaps war. Er wurde teuer gehandelt und galt als das Getränk der oberen Klassen. »Das ist kein Bier«, sagte ich. Sie starrte mich wild an, dann schluckte sie, schließlich begann sie laut zu lachen. Das Lachen war überaus echt und herzlich. Sie trank wieder einen langen Schluck und stand dann auf, noch immer lachend. »Du übertreibst, mein Kleiner«, sagte sie
Hans Kneifel und zog mich aus dem Sessel hoch. »Du bist absolut überperfekt. Eine solche Antwort hätte ein primitiver Schleusenmann gege ben, aber gerade deswegen bin ich über zeugt, daß du keiner bist. Was soll's – ich habe noch etwas Zeit, mich mit dir zu be schäftigen. Bin ich so häßlich, Vregh?« Ich schüttelte den Kopf. »Keineswegs, Zaroia. Aber ich bin nur ein einfacher …« Sie legte ihre Arme auf meine Schultern und faltete die Hände hinter meinem Nacken. Zaroia war in hohen Absätzen fast so groß wie ich, und ihre Augen und ihre Lippen kamen immer näher. Ihr Blick wirkte fast magisch, aber ich war keineswegs echt verwirrt. Sie war nicht die erste Frau, die ich küßte, und sie würde mich nur dann verfüh ren können, wenn ich es wirklich zuließ. »Niemand soll sagen«, hauchte sie an meinem Ohr, »daß ich keine deutliche Einla dung ausgesprochen habe. Außerdem habe ich Sinn für Qualität!« Dann küßte sie mich. Sie küßte mich mit heißen Lippen und mit ihrem Körper. Zuerst war ich, wie es meine Rolle vorschrieb, abwartend und zurückhal tend, dann ließ ich mich hinreißen und muß te fühlen, daß sie so heißblütig war, wie sie aussah. Wir standen in der Mitte des Raumes, unsere Körper verschmolzen miteinan der, und unbestimmte Zeit verging. Schließ lich löste sich Zaroia und ging vier Schritte zurück. Sie ließ mich stehen, nahm ihr Glas hoch und fragte mit völlig veränderter Stim me: »Wer bist du wirklich? Der Name ist si cherlich auch nicht echt.« Eine Falle? Es ist nicht sicher, sagte der Extrasinn. Ich blieb hartnäckig und murmel te atemlos: »Ich bin Vregh. Der Name ist mein Na me!« Sie sah mich an, als ob sie Maß für die Henkersschlinge nehmen wollte. Ihr Lächeln war ausgesprochen kalt und kühl, trotzdem war es diesmal ihre Maske. Denn sie hatte
In den Klauen der Maahks mich nicht wie eine professionelle Verführe rin geküßt, sondern wie ein Mädchen, das Liebe und Zärtlichkeit brauchte. Aber wir beide schienen ebenso wie die schweren Zy linder dort drüben Figuren in einem wichti gen Spiel zu sein. »Ich bin Zaroia aus der Familie Kentigmi lan. Kein einziger aller einfachen Raumfah rer Arkons hätte es riskiert, mich zu küssen. Es sind deswegen schon viele Männer ge storben. Also bist du kein einfacher Raum fahrer. Ich nehme an, jetzt ist unser Spiel vorbei.« Ich überlegte rasend schnell, dann lächelte ich kurz und sagte: »Du hast recht. Ich bin kein einfacher Raumfahrer. Aber wenn ich dies sage, dann ist es schon fast vollzogener Selbstmord.« »Warum?« »Weil ich in einem Auftrag unterwegs bin, der über das Schicksal von einer ganzen Handvoll Planeten entscheidet. Niemand darf etwas wissen. Ich habe mich dir ausge liefert. Wenn du den Mund aufmachst, ster be ich. Aber mit mir sterben einige Welten.« Jetzt blickten wir uns offen in die Augen. Ich mußte mir selbst gestehen, daß ich froh war, nicht mehr weiterspielen zu müssen. Wenigstens nicht in diesem Raum, und nicht diese Rolle. Ich schnippte mit den Fingern, ging zur Bar und wählte ein anderes Glas. Das richtige Glas zu dem anerkannt teuer sten und besten Alkohol, den ich hier finden konnte. Ich kam zurück; es war, als wären die Masken von uns beiden abgefallen wie steife Mäntel. »Du bist der Offizier, den die Maahks ein getauscht haben?« »Ja«, sagte ich. »Die Bar ist ausgezeich net sortiert. Auf deine Schönheit, und auf deinen langen, erinnerungswürdigen Kuß. Ja, ich bin jener Mann. Alles andere über diese Aktion auf dem Satelliten ist die reine Wahrheit. Ich lebe noch, weil ich viel zuviel Glück hatte.« »Kann ich dir glauben?« fragte sie zwei felnd. Sie sah mich an, bewegte sich aber zur Bar. Ich stand auf, nahm ihr das Glas aus
49 der Hand und schenkte nach. Jetzt waren auch meine Bewegungen nicht mehr die ei nes linkischen Raummatrosen, sondern die eines Mannes, der die schwersten Prüfungen hinter sich hatte, die ein Arkonide bestehen konnte. »Du solltest mir glauben«, erklärte ich ru hig, in gänzlich anderem Tonfall. Meine neue Selbstsicherheit schien sie zu irritieren; würde sie mir auch glauben können? »Wenn ich sterbe, dann ist der Schaden gering, ab gesehen von meiner eigenen Einstellung. Dann stirbt nur einer. Aber wenn meine Mission mißlingt, dann sterben Milliarden. Es geht nicht gerade um Lappalien, Zaroia. Du als Kentigmilan solltest die Bedeutung kennen.« Sie schwieg, schaute mich an, trank lang sam, dann begann sie eine Wanderung durch ihre Kabine und blieb neben dem Sessel ste hen. »Also war meine Ahnung doch richtig«, erklärte sie und lächelte. »Ich weiß auch jetzt nicht, was mich an dir faszinierte, aber es war etwas. Und noch immer weiß ich nicht, ob ich dich melden oder ob ich schweigen soll.« Ich hob die Schultern an und sagte ruhig: »Ich kann dich zu nichts zwingen, aber ich weiß, daß Arkon mehr damit gedient ist, wenn niemand weiß, wer ich bin und was ich zu tun habe. Immerhin habe ich die hal be Mission bereits überlebt.« Sie überlegte noch immer, und sie würde noch überlegen, wenn ich schon längst von Bord war, auf welchem Weg auch immer. Schließlich fragte sie leise, fast behutsam: »Du mußt nach Trantagossa?« »Ich muß nicht, aber es ist ein guter Platz für mich.« »Ich werde dir einen wichtigen Brief mit geben. Wir kommen nahe an Trantagossa vorbei. Du wirst ein Boot bekommen und dort landen, während wir weiterfliegen. Ein verstanden?« »Natürlich«, sagte ich. »Ich schlage mich schon durch.« »Mit meinem Brief an den Kommandeur
50 des Stützpunktes wirst du dich nicht durch zuschlagen brauchen. Wir haben noch einen halben Tag Zeit.« Sie deutete auf das Spiel. »Ich bin verwirrt. Ich muß mich ablenken – spielst du weiter?« Ich schüttelte den Kopf und sagte beiläu fig: »Wenn ich von hier aus spiele, also mit Rot, dann schlage ich dich in elf Zügen mit der Königsmörder-Variante. Wir brauchen erst gar nicht anzufangen. Es gibt angeneh mere Ablenkungen.« Zaroia hob den Kopf und blickte mich prüfend an. Jetzt war sie verwirrt und über rascht. Ich hingegen war meiner Sache ziemlich sicher und erklärte, während ich ihr das Glas aus der Hand nahm und sie an mich zog: »Nun, da du und ich wissen, daß ich kein lebensgefährliches Risiko eingehe, kann ich dich küssen, ohne standrechtlich erschossen zu werden. Derlei Dinge soll man mit Hin gabe und Begeisterung tun; mir widerstrebt es, von dir nur aus Testgründen geküßt zu werden.« Sie lächelte, und diesmal gab es nichts, was uns zurückhielt. Binnen weniger Stun den verwandelte sie sich von der kühlen und beherrschten Schiffskommandantin in eine zärtliche junge Frau, und von dort, als unse re knappe Zeit zu Ende ging, wieder zurück in eine unnahbare, überlegene und unantast bare Kentigmilan. Mit einer Eskorte wurde ich, nachdem das Schiff in den Normalraum zurückgesprun gen war, in den Hangar des Beiboots ge bracht. Die Mannschaft war bereits an Bord und wußte, was zu tun war. Auch ich hatte mich wieder verwandelt; ich war wieder der einfache Raumfahrer Vregh Brathon. In der Tasche meiner Kom bination befand sich eine kleine Kassette mit Zaroias persönlicher Nachricht. »Sie fliegen nach Trantagossa, Brathon!« sagte Zaroia beherrscht und in dem Tonfall, den alle anderen an ihr kannten. »Selbstverständlich«, sagte ich. »Für wen
Hans Kneifel ist die Botschaft?« Jedermann war deutlich, daß ich mit die sem Auftrag halbwegs überfordert war. »Lassen Sie sich zum Kommandeur von Trantagossa bringen, zum Flottenkomman danten Amarkavor Heng. Übergeben Sie ihm meine Botschaft.« Beherrsche dich! tobte der Extrasinn. Ich hörte den Namen und mußte mich beherr schen, um nicht vor Überraschung und Wut laut aufzuschreien. Heng war der Mörder meines Vaters. Trotzdem zuckte ich zusam men. »Zu Befehl«, sagte ich und bemühte mich eisern, meiner Stimme einen einigermaßen festen Klang zu geben. »Ich werde tun, was mir aufgetragen wurde.« Wieder sah ich Mißtrauen und Unsicher heit in Zaroias Augen. Ich drehte mich um, nachdem ich vorschriftsmäßig gegrüßt hatte. Wir hatten uns in ihrer Kabine verabschie det, und vielleicht würden sich unsere Wege wieder einmal kreuzen. Dann mußte dies aber unter völlig anderen Umständen ge schehen, denn sonst wäre es tatsächlich mein Todesurteil. Ich ging die kurze Rampe aufwärts und verschwand in der Schleuse. In meinem Kopf tanzten die Gedanken einen Reigen des Wahnsinns. Damals, als mein Vater starb, war Heng Flottenkommandant gewesen, jetzt be herrschte er den gesamten Flottenstützpunkt. Ausgerechnet ich mußte ihn treffen und ihm diese vertrauliche Botschaft überbringen, von der ich nicht wußte, was sie enthielt. Ich schaffte es, den Start des Beiboots durchzustehen. Als das Boot Kurs auf den Planeten nahm und das große Schiff mit Zaroia verschwunden war, konnte ich mich zurückziehen. Diesmal flog ich offenen Au ges in den Tod. Entweder starb ich, oder ich brachte Amarkavor Heng um. ENDE
In den Klauen der Maahks
51 ENDE