IMMORTAL
Jennifer Ashley Joy Nash Robin T. Popp
IN DEN ARMEN DER
DUNKELHEIT Drei Kurzromane in einem Band Aus dem Amerikanischen von Sabine Schilasky
Knaur Taschenbuch Verlag
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel Immortals: The Reckoning bei Dorchester Publishing Co., Inc., New York.
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Deutsche Erstausgabe Juli 2010 Wolfsjagd (orig. Wolf Hunt) Copyright © 2009 by Jennifer Ashley Blutschuld (orig. Blood Debt) Copyright © 2009 by Joy Nash Hinter dem Nebel (orig. Beyond the Mist) Copyright © 2009 by Robin T. Popp Copyright © 2010 für die deutschsprachige Ausgabe bei Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München. By arrangement with Dorchester Publishing Co., Inc., New York. Dieses Werk wurde vermittelt durch Interpill Media GmbH, Hamburg. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden. Redaktion: Kathrin Stachora Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München Umschlagabbildung: Gettyimages / Stone / joSon Satz: Adobe InDesign im Verlag Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 978-3-426-50663-9 2
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Jennifer Ashley Wolfsjagd 7 Joy Nash Blutschuld 121 Robin T. Popp Hinter dem Nebel 253
Jennifer Ashley
Wolfsjagd
Meinen Mitautorinnen der »Immortals«, Joy und Robin; dank ihnen machte die Arbeit an dieser Reihe großen Spaß.
Kapitel 1
er Anruf kam, als Logan bei einer Festnahme war. Er befand sich in einem Club in West Hollywood, wo er einen Vampir in Handschellen legte, der einen Sklavenring betrieb. Seine Sklaven waren »Blutspender« – Leute, die einen Vampir in kleinen Portionen nährten, so dass sie nicht ausgesaugt wurden. »Septimus wird davon erfahren!«, zischte der Vampir. Logan klickte die Handschellen zu. »Ich habe seinen Segen, denn Septimus meint, dass du eine Schande für seine Organisation bist.« Hierauf wurde der Vampir so blass, wie es ein Vampir nur werden kann, und Logans Handy zwitscherte. Er übergab den Festgenommenen seinem Partner Tony Nez und klappte das Handy auf. »Ja?« »Logan!«, hauchte eine Frauenstimme erleichtert. »Nadia?« Die Zeit blieb stehen. Seit er Nadias Aussage vor sechs Monaten an ihrem Krankenhausbett aufgenommen hatte, hatte er die Dämonin zweimal wiedergesehen. Sie hatte Schreckliches durchgemacht, aber bis heute zeigte sie zu dem trotzigen Funkeln in ihren Augen ein überaus sinnliches Lächeln. Jedes Mal, wenn Logan sie sah, wollte er mehr Zeit mit ihr verbringen, was er höchst bedenklich fand. Ihr flehender Tonfall nun brachte ihn fast um die Selbstbeherrschung, die er seit einem halben Jahr mühsam aufrechterhielt. »Was ist los?« »Ich weiß nicht, wo ich bin. Hier sind viele Bäume, und sie kommen.«
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»Langsam, langsam! Wer kommt?« »Verdammt!« In dem einen Wort schwang eine furchtbare Angst mit. »Logan, bitte!« Dann klickte es. »Nadia?« Logan blickte auf die unbekannte Telefonnummer, die für eine halbe Sekunde allein auf dem Display erschien, dann als oberster Eintrag auf seiner Anruferliste. »Mist!« Der Wolf in ihm knurrte, und er drückte das Handy so fest, dass es knackte. »Ärger?«, fragte Tony, der den Vampir von zwei Uniformierten nach draußen führen ließ. Es war fast Morgen, und der Vampir schrie die beiden Polizisten an, ihn ja schnell in den Van zu bringen. »Ich weiß nicht.« Logan stieg in den Wagen und fuhr das neue Computersystem hoch, mit dem alle Zivilfahrzeuge der paranormalen Einheit ausgestattet waren. Gewöhnlich nutzten sie es, um Verdächtige auf Vorstrafen oder sonstige Informationen zu überprüfen, aber auch für andere Dinge war der mobile Computerzugriff sehr praktisch. Leider erwiesen sich alle Suchen nach der Nummer, unter der Nadia angerufen hatte, als Sackgasse. Wütend rief Logan auf dem Revier an und gab Weisung, die Nummer zurückzuverfolgen. Erfahrene Sergeants übertrumpften nach wie vor jede Computersuche. Als er eben aufgelegt hatte, klingelte sein Handy wieder. Dieselbe Nummer. »Nadia?«, rief er. »Sie ist weggelaufen«, sagte eine männliche Stimme, die befremdlich erregt klang. »So macht es mehr Spaß.« Klick. Tony setzte sich hinters Steuer und ließ den Motor an. »Wohin jetzt, Boss?« »Zum Revier«, antwortete Logan, der auf sein Handy starrte. »Schlechte Neuigkeiten?« »Was?« Er sah zu Tony auf. Sein neuer Partner mischte sich nie in Logans Privatangelegenheiten, sprach allerdings gern über 10
seine große, weitverzweigte Familie in der Navajo-Nation, dem größten Indianerreservat der USA in Kalifornien. »Die Anrufe«, half Tony ihm geduldig. »Du siehst aus wie ich, als ich zum ersten Mal einen Geist erblickt habe.« »Eine Frau, die ich kenne.« Logans Herz pochte wie wild, als er sein Handy einsteckte. In wenigen Worten erzählte er Tony, was passiert war, und sein Partner wurde blass. »Dann sollten wir möglichst schnell herauskriegen, wo sie steckt.« Tony trat auf das Gaspedal, stellte die Sirene an und raste über die Freeways von L. A. zum Hauptquartier der paranormalen Polizei. Was Logan ihm nicht erzählte, war, dass es sich bei dem zweiten Anrufer um einen Werwolf handelte. Die Stimme hatte vor Erregung kratzig geklungen, was bedeutete, dass der Kerl jeden Moment die Kontrolle über seine Wandlung verlieren konnte. Und was noch schlimmer war: Logan hatte den Anrufer erkannt. Es war der Mann, der ihn alles gekostet hatte und ihn zu einem einsamen Exil in den Straßen von Los Angeles zwang.
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Kapitel 2
is Logan und Tony ins Revier im Parker Center mitten in der Stadt kamen, hatte der Sergeant, den Logan anrief, bereits die Telefonnummer zurückverfolgt. »Das ist ein Kartentelefon an einer Tankstelle in einem Nest namens Brookside. Wie der Tankstellenbesitzer sagt, liegt es mitten an der Straße an der Grenze zwischen Kalifornien und Oregon, und er hat noch nie gesehen, dass jemand mit diesem Apparat telefonierte.« Eine Dämonin allerdings – selbst eine, die bei Tagesanbruch durch einen Wald gejagt wurde – war clever genug, ein öffentliches Telefon zu benutzen, ohne dass sie gesehen wurde. Tony wollte mit Logan fahren. »Nein, die Stelle liegt weit außerhalb unseres Zuständigkeitsbezirks«, entgegnete Logan, der seine Satteltasche aus dem Spint holte. »Warum fährst du dann hin?« »Weil Nadia eine Freundin von mir ist. Da nehme ich die Sache persönlich.« »Ein Grund mehr, jemanden als Rückendeckung dabeizuhaben.« Logan ging zur Garage hinaus und packte Wasserflaschen sowie Extramunition in seine Satteltasche. Er dachte an die triumphierende Note in der Männerstimme am Telefon und wusste, dass er als Werwolf auftreten musste, nicht als Cop. »Du hast eine Familie, die du unterstützen musst. Und ehrlich gesagt möchte ich die nicht alle am Hals haben, wenn dir etwas zustößt …« »Ist es, weil das so ein Werwolfding ist? Ich bin Schamane! Ich
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bin mit Four-Corners-Werwölfen aufgewachsen, und das war kein Honigschlecken!« »Wäre es eine Navajo-Sache, würdest du meine Hilfe auch nicht direkt mit Freuden annehmen«, erwiderte Logan. Tony grinste. »Da sei dir mal nicht so sicher! Wenn ich das nächste Mal zu meiner Großmutter zitiert werde, hätte ich dich verflucht gern als Rückendeckung. Hör zu, falls du da oben Ärger kriegst, ruf mich an! Ich kann schnell bei dir sein. Abgemacht?« »Abgemacht.« Logan hatte die Satteltasche festgezurrt, setzte sich den Helm auf und stieg auf seine Harley. Er dachte an andere Hilfe, um die er bitten könnte, vorzugsweise von Tain, dem Unsterblichenfreund seiner Expartnerin. Aber erst einmal wollte er sich ansehen, was genau los war, ehe er sich Verstärkung holte. Zwischen Logan und dem Werwolf herrschte eine erbitterte Feindschaft, und jeder, der sich in diese Fehde einmischte, riskierte sein Leben. Logan hatte geglaubt, mit seinem Fortgang vom Minnesota-Rudel wäre alles vorbei. Nun wurde ihm klar, dass der alte Konflikt die ganze Zeit weitergegärt hatte. Es war Zeit, die Geschichte ein für alle Mal zu beenden – egal wie. Zehn Stunden später hielt Logan an der Tankstelle in dem winzigen Ort Brookside an der Strecke zu den Klamath-Falls. Der Mann, der morgens gearbeitet hatte, war nicht mehr da, aber seine Ablösung wusste, dass die Polizei angerufen und nach jemandem gefragt hatte, der das Telefon benutzt hatte. »Wäre ich hier gewesen, hätte ich sie gesehen«, behauptete der junge Bursche, eine schlaksige Gestalt mit fettigem Haar und Aknenarben. »Ich sehe alles und jeden hier drumherum.« »Vielleicht war sie vorher schon hier.« Logan besaß kein Foto von Nadia, deshalb beschrieb er sie: einsachtundsechzig groß, kurze dunkle Locken, kaffeebraune Augen, schmale athletische Figur. 13
Der Junge schüttelte den Kopf. »Nee. Aber wenn ich sie sehe, sag ich Bescheid. Kann ich Sie irgendwie erreichen?« Logan gab ihm seine Handynummer, obwohl er sich wenig Hoffnung machte. Nadia war außer Atem gewesen, verängstigt und um ihr Leben gerannt. Hierher kam sie gewiss nicht zurück. Er kaufte ein Paket Instantkaffee und ein paar Einwegrasierer, dankte dem Jungen und ging. Draußen stopfte er seine Einkäufe in die Satteltasche und lief zu den beiden Kartentelefonen links am Gebäude. Öffentliche Telefone muteten heutzutage wie Überbleibsel aus früheren Zeiten an, normalerweise fand man sie graffitibeschmiert und verlassen unter ihren Plastikkuppeln vor. Aber solange es noch tote Zonen gab, in die kein Handysignal vordrang, waren die Überlandleitungen nicht völlig nutzlos. Schon bevor Logan danach griff, wusste er, mit welchem Apparat Nadia telefoniert hatte, denn ihr Duft haftete überall daran. Er schloss die Augen und nahm den Schwefelgeruch der Dämonin, gepaart mit ihrem blumigen Eigenduft, wahr. Außerdem roch er ihre Angst sowie die schwere Moschusnote des Werwolfs. Er war hier gewesen. Logan vermochte nicht zu sagen, ob er Nadia erwischt hatte oder sie entkommen konnte, aber eines wusste er: Es war eine offene Kampfansage, die Logan annahm. Und dieses Mal würde er gewinnen. Nadia lief und lief. Ihre Füße schmerzten, ihr nasser Leib war von Schweiß und Schmutz verschmiert, und ihr Atem rieb wie Sand in ihrer Kehle. Seit zwei Tagen und zwei Nächten rannte sie, manchmal in ihrer Dämonengestalt, manchmal in ihrer menschlichen. Aber ihr war klar, dass ihre Verfolger sie nicht vor Erschöpfung tot umfallen ließen, denn das würde ihnen den Spaß verderben. 14
Wenn sie sich hinlegte und starb, konnten sie ihr schließlich nichts mehr tun. Sie hörte sie kommen, die Werwölfe, die auf allen Vieren liefen, gefolgt von einem Menschen auf einem Geländemotorrad, dessen Scheinwerfer durch die Bäume strahlte. Sie genossen es, dass Nadia ihnen falsche Fährten auslegte, Kreise lief, und wann immer sie ihre Fährte wiederfanden, stießen sie Triumphgeheul aus. Nun aber wollten sie sie nur noch fangen, keine Spiele mehr. Dass sie es geschafft hatte, Logan anzurufen, war unglaubliches Glück gewesen. Nadia war aus dem Wald gestürmt und fand mitten auf einem verlotterten Parkplatz eine Tankstelle mit zwei beleuchteten Telefonzellen, ihr zugewandt wie Freunde. Sie hatte sich am Waldrand entlanggeschlichen und in ihre menschliche Gestalt verwandelt, ehe sie sich vorsichtig näherte. Natürlich war sie nackt und musste hoffen, dass niemand um die Gebäudeecke kam und sie sah. Aber der Parkplatz war verlassen, und das einzige Lebenszeichen war das leise Brummen der Eismaschinen neben dem Haus gewesen. Ihre Finger zitterten, als sie erst ihre Telefonkartennummer eingab, dann die von Logans Handy. Dreimal musste sie es versuchen, weil es so viele Zahlen waren und sie dauernd eine vergaß, so dass sie wieder von vorn anfangen musste. Sie hatte Logan nie erzählt, dass sie sich seine Nummer gemerkt hatte. Die wenigen Male, die sie sich gesehen hatten, seit er sie im Krankenhaus befragte, hatten sie sich auf harmlose Themen beschränkt, die sie beide interessierten – Motorräder, Filme, Musik, Fernsehserien. Welchen Grund hätten sie, sich die Telefonnummer des anderen zu merken? Dennoch dachte Nadia oft daran, ihn anzurufen. Täglich, um genau zu sein. Sie hatte den Werwolf einfach nie vergessen können, dessen sandbraune Augen so voller Mitgefühl für eine verwundete Dämonin gewesen waren. 15
Als Logans tiefe Stimme in ihr Ohr gedrungen war, war sie viel zu froh gewesen. Sie kamen. Nadia rang nach Luft, krabbelte einen weiteren Hügel hinauf und rannte los, kaum dass sie den Kamm erreicht hatte. Mehrmals stolperte sie, rappelte sich wieder auf, aber sie wusste, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis sie vor lauter Entkräftung nicht mehr hochkäme. Und dann hätten sie sie. Sie raffte ihre letzte Kraft zusammen und stürzte vorwärts, als sie auch schon das Heulen der Wölfe hörte, die über den Hügelkamm kamen und ihr nachsetzten.
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