Utopia 446
Ernest G. Black Imperium Atlantis Berufung zur Macht
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Utopia 446
Ernest G. Black Imperium Atlantis Berufung zur Macht
Liebe Utopia Freunde, Sie wünschen sich Abwechslung innerhalb unserer Reihe. Nun, Sie sollen sie haben. Nach Fritz Leibers Kurzgeschichtensammlung im letzten Band stellen wir Ihnen heute einen Roman von Ernest G. Black vor, der ein erregendes Schicksal behandelt: Jerry King muß sterben, weil der GROSSE PLAN es so verlangt. Jede Einzelheit dieses großen Planes ist genauestens berechnet, es dürfte eigentlich nichts schiefgehen, und doch… Aber lesen Sie selbst. Wir sind sehr gespannt, was Sie zu dieser Space Opera sagen werden. Mit herzlichen Grüßen Ihre Utopia-Redaktion
1. Kapitel Jerry King hatte nur noch vierundsechzig Minuten zu leben. Er ahnte es nicht und war bester Laune, denn die Sirenen heulten Feierabend! Der junge Ingenieur machte sich fertig zum Nachhausegehen. Er verschloß die Akten im Tresor und warf einen flüchtigen Blick auf die vorbeihastenden Arbeiter. Endlich verstummte die Sirene, Jerry King wußte nicht, daß er sie zum letztenmal gehört hatte. In etwas mehr als einer Stunde würde er sterben müssen - weil der Große Plan es so verlangte! Leise vor sich hinpfeifend, verließ Jerry den Prüfstand, um mit einem der Pendelbusse zu den entlegenen Parkplätzen zu fahren.
Jerry war zweiunddreißig Jahre alt, einsachtzig groß und besaß einen durchtrainierten Körper. Er war einer der vielen Ingenieure, die hier auf Cape Kennedy ihrer täglichen Arbeit nachgingen. King besaß einen eisernen Willen und schnelles Reaktionsvermögen Er war einer der jüngsten Prüfstandleiter, aber diese Stellung hatte man ihm keineswegs geschenkt. Nur seinem unermüdlichen Fleiß, seiner Ausdauer und den ungewöhnlich guten Kenntnissen hatte er es zu verdanken, daß er schon als so junger Mann in einer führenden Position stand. Während er im Bus saß, dachte King über seine Arbeit nach. Die Testserie CV/A3 lief momentan auf seinem Stand, das heißt, eigentlich lief sie schon eine ganze Weile und näherte sich langsam ihrem Ende. Was sich hinter dieser Bezeichnung verbarg, wußten außer ihm nur diejenigen, die unmittelbar damit zu tun hatten. Für die meisten Arbeiter war es weiter nichts als ein ganz gewöhnlicher Brennkammertest. Sie mochten wohl auf den Gedanken kommen, es könne mehr dahinterstecken, aber sie hatten es sich schon lange abgewöhnt, Fragen zu stellen oder darüber zu grübeln. Sehr vieles war hier geheim, und sich über solche Dinge den Kopf zerbrechen zu wollen, war von vornherein sinnlos. CV/A3, das war eine Codebezeichnung, hinter der sich der Bau neuartiger Triebwerke und die Entwicklung eines ebenso neuen Treibstoffes verbarg. Die ersten Triebwerke dieser Serie sollten in das fast fertiggestellte Raumschiff »Terra« eingebaut werden. Dieses Schiff würde das erste sein, das sich über die Mondbahn hinaus vorwagte, um den Mars anzufliegen. Für dieses Ziel arbeitete Jerry King, und ihm widmete er seine ganze Kraft, obwohl er wußte, daß er selbst niemals zur Besatzung gehören würde. Das Dröhnen des stundenlangen Brennkammertestes lag noch in seinen Ohren, während er den Bus verließ und sich zu seinem Wagen begab. Weit im Hintergrund erhoben sich die gewaltigen Montagegerüste in den Himmel. Wie drohende Finger sahen sie aus. Brütende Hitze schlug Jerry King entgegen, als er den Wagenschlag öffnete und einstieg. Den ganzen Tag über hatte die Sonne auf das Dach gebrannt und im Innern des Wagens einen Backofen geschaffen. Nach dem heißen Tag war King ohnehin schon mehr erschöpft als sonst. Jetzt hatte er sich wohl redlich eine Erfrischung verdient. Sein Entschluß, noch auf einen kurzen Sprung bei May hereinzuschauen, stand fest. Sie würde sich bestimmt freuen, ihn wieder einmal zu sehen. May war eine Jugendfreundin, immer lustig und zu Scherzen aufgelegt. Ganz allein führte sie ihr kleines Lokal und verdiente nicht einmal schlecht dabei.
Vor dem Verlassen des Geländes mußte Jerry sich noch einer genauen Kontrolle unterziehen. Der Posten tat das sehr eingehend und pflichtbewußt. Man hatte diese Prozedur nun einmal wegen der umfangreichen Sicherheitsbestimmungen über sich ergehen zu lassen. Die meisten Leute sahen es sowieso nur noch als notwendiges Übel an. Nachdem es überstanden war, fuhr Jerry auf die Straße und ordnete sich in den starken Feierabendverkehr ein. Zehn Kilometer waren es bis zur Stadt. Jerrys Durst rief eine gewisse Ungeduld hervor. Seine Kehle mußte unbedingt angefeuchtet werden. Der unabänderliche Entschluß, zu May zu fahren, war es schließlich, der das Schicksal des jungen Ingenieurs besiegelte. In dem Lokal war zu dieser Tageszeit noch nicht sehr viel Betrieb Die meisten zogen es vor, entweder an das Meer oder in ein Schwimmbad zu fahren. Das eigentliche Geschäft begann hier erst nach sieben Uhr. May stand in einem luftigen Sommerkleid hinter der Theke. Als sie Jerry hereinkommen sah, winkte sie ihm freundlich zu. »Hallo, Jerry!« begrüßte sie ihn. »Hallo, May!« erwiderte Jerry den Gruß und gab ihr die Hand. »Na, wie geht es dir?« »So leidlich. Und dir?« »Danke der Nachfrage, bis auf die Hitze läßt es sich einigermaßen aushalten. Kann einem ganz schön zu schaffen machen. Am Äquator ist es auch nicht viel schlimmer. Bring mir eine kalte Cola!« »Wird prompt erledigt, großer Meister. Momentchen.« Wenige Augenblicke später stand das gefüllte Glas schon vor Jerry auf der Theke. Er nahm einen ausgiebigen Zug. »Ah, das tut gut«, seufzte er. »Du hast dich lange nicht mehr bei mir sehen lassen. Jerry Das kennt man doch sonst nicht von mir«, bemerkte May, nachdem King sich eine Zigarette angezündet hatte. Er blies den Rauch aus und meinte: »Das macht die viele Arbeit. In letzter Zeit geht es ganz schön rund Wir haben eine neue Versuchsserie laufen, die mich voll in Anspruch nimmt.« Das kannte man von Jerry. Er war ein Arbeitstier; wenn er sich erst einmal in eine Aufgabe verbissen hatte, gönnte er sich keine Ruhe mehr. »Was ist es denn diesmal Schönes?« Fragte die Frau, obwohl sie wußte, daß sie keine Antwort bekommen würde. Dazu kannte May Jerry gut genug. Die Frage war aus reiner Gewohnheit gestellt worden. Jerry lächelte vielsagend. »Betriebsgeheimnis!«
»Dachte ich mir doch. Wann macht ihr auf dem Cape eigentlich mal was, das nicht geheim ist? Wohl nie! Immer habt ihr was zu verbergen, und die vielen Menschen erfahren nicht, wofür sie ihre Steuern zahlen.« Jerry ließ sich sein Glas noch einmal füllen. »Es gibt eben eine Menge böse Leute«, sagte er bedeutungsvoll, »wenn alles eitel Freude wäre auf unserer schönen Welt, gäbe es auch keine Geheimnisse. Unsere Gegner möchten nämlich in so manches ihre Nase hineinstecken. Überall haben sie ihre Agenten und besonders hier. Wer weiß, vielleicht haben sie auch ein Auge auf dich. Wer nichts weiß, kann auch nichts verraten! Das ist eine alte Weisheit.« * Etwas Fremdes, Unheimliches überfiel Buck Marryson. Es griff nicht nach seinem Körper, sondern nach seinem Bewußtsein, als wolle es sein Gehirn aussaugen. Es war so unheimlich fremd. Verzweifelt versuchte Buck Marryson, sich gegen das Unheimliche zur Wehr zu setzen. Buck hatte Angst! Immer mehr ergriff die fremde Macht von ihm Besitz und verlangte, daß er »ihn« töten solle. Er mußte »ihn« töten. Den Namen kannte Marryson nicht, er wußte auch nicht, wo »er« zu finden war, aber deutlich sah er das Bild seines Opfers vor seinem inneren Auge. Der »Große Plan« verlangte »seinen« Tod, und alles, was im Namen des »Großen Planes« geschah, war gut. Der Körper Buck Marryson erhob sich widerstrebend. Das Fremde ließ ihn seine Pistole aus der Schublade nehmen und in die Tasche stecken. Das andere forderte, daß es noch heute zu geschehen hätte, weil der »Große Plan« das so bestimmte. Der Mann schritt jetzt wie in Trance die Straße entlang. Seine Schritte wurden von dem anderen zu einem bestimmten Ziel gelenkt. In diesem Zustand war Marryson eine reißende Bestie, bereit, seinen grauenvollen Auftrag unter allen Umständen zu vollenden. Buck umklammerte die Waffe in seiner Tasche noch fester. Er hatte sein Opfer noch niemals gesehen, und doch kannte er es. Er wußte nicht, daß der, den er erschießen sollte, Jerry King hieß; aber das Bild des Mannes sah er deutlich vor sich. »Töte ihn jetzt, du mußt ihn jetzt töten!« Befahl die Stimme. Sie forderte es mit einer Gewalt, gegen die es kein Aufbegehren gab. »Ja«, antwortete Marryson in seinen Gedanken, »ich muß ihn töten, ich werde ihn töten. Das ist gut, das verlangt der Plan.«
Selbst das Unterbewußtsein des Alten war jetzt ausgeschaltet. Er hatte keine Ahnung mehr, daß er Buck Marryson war. Von weitem sah er schon Mays Bar. Er beschleunigte seine Schritte. Gegenüber des Einganges, auf der anderen Straßenseite, bezog Buck in dem Schutz einer vorspringenden Mauerecke Stellung. Man durfte ihn nicht zu früh bemerken, das wußte er. In seiner Hosentasche spannte er den Hahn der Waffe und wartete. * »Für mich wird’s Zeit«, seufzte Jerry. »Ich muß mich auf den Weg machen.« »Laß dich bald wieder sehen.« May winkte ihm noch nach, dann nahm sie den halben Dollar, den Jerry liegengelassen hatte. Klirrend verschwand er in der Kasse. Als Jerry die Tür hinter sich schloß, sah er auf die Uhr. Es war drei Minuten nach sechs. Damit war Jerrys letzte Minute angebrochen. Die Tür des Lokals hatte sich kaum geschlossen, da richtete sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Lauf einer Pistole auf Kings Brust. Ein Finger berührte den Abzug und krümmte sich langsam. Dann fiel der Schuß! * May hörte den scharfen Knall. Sie fuhr herum und sah durch das Fenster, wie Jerry fiel. Ein Schreckensschrei entrang sich ihrer Kehle, und das Herz schien stillstehen zu wollen. Sekundenlang stand die Frau wie erstarrt, dann löste sich der Schock. Alles stehen und liegen lassend, rannte sie nach draußen. Hinter ihr kamen Männer aus dem Lokal, aber das bemerkte May nicht. Jerry«, stammelte sie, »nein, das kann doch nicht wahr sein!« Sie mußte sich zusammennehmen, um nicht haltlos in Tränen auszubrechen. Vor ihr lag einer ihrer wenigen wirklich guten Freunde - tot. Der Schuß war ihm genau ins Herz gedrungen. Ihr Verstand weigerte sich noch, sich mit den Tatsachen abzufinden. Eben noch war Jerry gesund und munter gewesen und hatte mit ihr geplaudert. Nur Sekunden lagen dazwischen, aber es schien eine Ewigkeit zu sein.
Polizei! Ich muß sofort die Polizei verständigen, durchzuckte es sie, und während sie sich erhob, warf sie intuitiv einen Blick zur anderen Straßenseite Sie nahm wahr, daß sich dort ein kleiner Menschenauflauf gebildet hatte. In einem Handgemenge hielten mehrere Männer einen anderen fest. Sie ließ Jerry liegen und lief zum Telefon. Mit zitternden Fingern wählte sie die Nummer des nächsten Polizeireviers. Eine gelangweilte Männerstimme meldete sich und fragte, wer da sei. »Kommen Sie schnell, hier ist jemand ermordet worden!« Schrie May in die Muschel. »Nicht so laut«, erwiderte die Stimme, »ich höre ganz gut. Aber nun erst einmal der Reihe nach. Wo ist jemand ermordet worden?« Diese stoische Ruhe des Mannes brachte die Frau zur Raserei. May nannte den Ort. »Wir sind gleich da«, sagte die Stimme, und May hängte ein. Sie lief wieder hinaus, wo sich mittlerweile eine Menge Neugieriger versammelt hatte Es fiel May Branning sofort auf, daß drei Männer einen Alten festhielten. Der Alte starrte unentwegt die Leiche an, und etwas Irres schien aus seinem Blick zu sprechen. »Bitte lassen Sie mich durch, die Polizei ist verständigt«, sagte May und bahnte sich ihren Weg zu Jerry. »Wir haben den Mörder«, behauptete einer der Männer und deutete auf den alten Mann. May sah ihn an und konnte nicht verstehen, daß dieser Mann eines heimtückischen Mordes fähig war. Überhaupt, warum hatte man Jerry umgebracht? Das schien unbegreiflich. »Ich habe genau gesehen, wie er schoß«, meldete sich einer der Männer. »Er hat ihn ganz kaltblütig umgelegt, daran gibt es keinen Zweifel. Ich wollte noch hinrennen und ihm die Pistole aus der Hand schlagen, aber dazu war es zu spät. Der Schuß fiel eine halbe Sekunde zu früh. Kannten Sie den Toten?« Die Frage war an May gerichtet Sie sah den Sprecher an und nickte »Er war ein guter Bekannter von mir »Sie wandte sich ab und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. * Buck Marryson wurde in dem Augenblick wieder er selbst, als der Schuß gefallen war. Das Fremde hatte ihn freigegeben. Es war schlagartig von
ihm gewichen. Eine Erinnerung an das, was hinter ihm lag, existierte nicht mehr. Während er sich darüber noch wunderte, wie er hierherkam und was die Pistole in seiner Hand zu bedeuten hatte, wurde er hart von hinten gepackt. Ein heftiger, schmerzender Schlag traf sein Handgelenk, und die Pistole fiel polternd auf das Pflaster. Drei Männer hatten ihn gefaßt, aber was wollten sie von ihm? Buck Marryson verstand überhaupt nichts mehr. »Was ist, was wollt ihr von mir? Laßt mich los!« Wimmerte Buck und versuchte, sein Handgelenk zu reiben. Aber die andere Hand wurde festgehalten. Er sah die drei Männer verständnislos an. »Mörder, gemeiner, hinterhältiger Schuft!« Mörder nannten sie ihn! Wie kamen sie dazu? Langsam begann er zu begreifen - die Pistole, die er in der Hand gehalten hatte… »Ich bin kein Mörder«, verteidigte Buck sich, »ich habe nichts Böses getan. Sagt mir doch, was geschehen ist.« »Jetzt fang bloß nicht an zu spinnen, solche Mätzchen ziehen nicht«, fuhr ihn der Mann noch mal an. Ein anderer bückte sich, hob das Schießeisen auf und hielt es dem Mann unter die Nase. »Ist das deins?« »Ja, aber was soll das? Wie - wie komme ich überhaupt hierher?« »Der Alte muß doch spinnen, ich habe mir gleich so was gedacht«, meinte der Große jetzt wieder. Sie zerrten ihn gewaltsam auf die andere Straßenseite und zeigten ihm, was er angerichtet hatte. Man hatte ihn gefaßt; und seine Unschuld zu beweisen würde so gut wie unmöglich sein. Buck sah den Toten dort liegen. Er sollte ihn erschossen haben? Aber wie war das nur möglich? Niemals würde Buck es fertigbringen, einen Menschen umzubringen. Doch da war der Tote, und da war auch seine Waffe. Niemand würde ihm glauben, daß er es nicht war. Buck bemerkte auch die Frau, die sich über den Ermordeten beugte. Und dann sah sie ihn an. Buck vermochte nicht zu sagen, was aus ihrem Blick sprach. »Hier ist der. Mörder«, sagte einer der Männer zu der Frau und zeigte auf Buck. Der Mann wußte nicht, was er tun sollte. Man würde ihm nie glauben, daß er unschuldig war, denn allem Anschein nach hatte er wirklich geschossen. Die Leute hielten ihn ohnehin für verrückt, aber das traf nicht zu. Marrysons Gehirn arbeitete klar und logisch wie immer. Jetzt erinnerte Buck sich dunkel, daß etwas Fremdes von ihm Besitz ergriffen hatte. Was das, war, blieb nach wie vor ein Rätsel.
»Ich weiß nicht, warum ich es getan habe«, verteidigte Buck sich, »ich kann mich an nichts mehr erinnern.« »Erzähle deine Lügenmärchen der Polizei«, sagte einer der Männer, »da kommt sie gerade.« Mit Rotlicht und Martinshorn fuhr ein Streifenwagen der City Police heran, gefolgt von einem Krankenwagen. Jerry King aber würde sich niemals in diesem Wagen befinden; auch das gehörte zu dem »Großen Plan«. Die Leute machten den Polizisten Platz und ließen den Arzt vorbei. »Ich bin Inspektor Grant von der Mordkommission«, stellte ein Mann in Zivil sich May vor, »sind Sie die Dame, die uns anrief?« May bestätigte es, immer noch sehr verstört. »Ich bin May Branning, die Besitzerin der Bar; Jerry war ein guter Freund von mir.« Der Arzt, der sich an Jerry zu schaffen gemacht hatte, erhob sich jetzt wieder. »Der Tod muß augenblicklich eingetreten sein. Die Kugel hat ihn mitten ins Herz getroffen.« Der Inspektor musterte den alten Marryson, der völlig verstört dreinsah. Er wurde noch immer festgehalten. »Das soll der Mörder sein?« fragte Grant. Genau wie May konnte er, das nicht glauben. Diesem alten Mann schien er eine solche Tat nicht zuzutrauen. »Es ist wirklich so«, wurde Grant bestätigt. »Ich habe es gesehen, aber ich konnte die Tat nicht mehr rechtzeitig verhindern.« Grant gab den Polizisten einen Wink und sagte nur ein Wort: »Armbänder!« Dann wandte er sich den anderen zu. »Meine Herren, Sie und Miß Branning kommen bitte mit in die Bar. Können wir uns dort irgendwo ungestört unterhalten?« May nickte. Der Inspektor und die drei Männer wurden in ein Büro geführt. Nachdem sie sich gesetzt hatten, bot Grant May eine Zigarette an. Sie rauchte sonst nie, aber heute lehnte sie nicht ab. Sie zitterte jetzt noch vor Aufregung. »So, Miß Branning, schildern Sie doch bitte den Hergang der Tat, soweit Sie ihn gesehen haben.« May Branning berichtete. Sie gab das wieder, was sie durch das Fenster hatte sehen können. Sie gab auch Auskunft über das, was sie von Jerry wußte; aber soweit es den Beruf betraf, war es nicht viel.
»Hatten Sie vielleicht den Eindruck, daß der Tote irgendwelche größeren Geheimnisse mit sich herumtrug?« fragte der Inspektor weiter. May drückte ihre Zigarette im Ascher aus. »Was hat das mit seinem Tod zu tun? Geheimnisse hatte er eigentlich immer; wie groß sie waren, kann ich nicht sagen. Aber warum ist denn gerade das so wichtig?« »Das läßt sich jetzt noch nicht ermessen. Wenn der Tote wirklich ein Geheimnisträger war, dann könnte man vermuten, daß sich eine fremde Agententruppe hinter der Tat verbirgt.« »Halten Sie so etwas ernstlich für möglich?« »Es wäre jedenfalls nicht ausgeschlossen, obwohl ich die Theorie für unwahrscheinlich halte. Irgendwas paßt nicht in das Bild, wenn ich bloß wüßte, was.« Grant fragte noch eine Weile weiter. May und die Männer sagten alles aus, was sie wußten. Als das Verhör beendet war, war die Mordkommission gerade mit den Routinearbeiten fertig. Jetzt lag Jerry auf einer Bahre. Ein Mord auf offener Straße und noch dazu am hellichten Tag, das war schon eine Sensation für sich. Grant hatte in der langen Zeit seiner Praxis keinen ähnlichen Fall gehabt. Grant und May beugten sich noch einmal zu dem Toten herunter, als das Unfaßliche geschah. Niemand begriff richtig, was da vor sich ging. Plötzlich verschwammen die Umrisse Jerrys. Sein Körper wurde durchsichtig und schien sich in Sekundenschnelle aufzulösen. »Was ist das, Herr Inspektor, sehen Sie doch!« May hatte die Augen weit aufgerissen, und die Stimme schien ihr den Dienst versagen zu wollen. Grant ging es nicht viel anders, nur zeigte er es nicht so. Einige Zuschauer schrien vor Entsetzen. Der Arzt tastete hilflos auf der Bahre herum. Sie war leer. »Wenn ich das eben nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, ich würde jeden, der mir das erzählt, für verrückt halten«, sagte Grant und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sein Gesicht war kreideweiß, und man konnte ihm ansehen, daß ihn das Grauen überfiel. »Herr Inspektor, kommen Sie schnell!« Rief der Polizist, der Marryson im Wägen bewacht hatte. »Was ist?« »Der Alte ist eben gestorben!« »Was?« »Er ist tot, eben im Moment. Kommen Sie schnell!«
Mit wenigen Schritten waren er und der Arzt beim Auto. Sie sahen es selbst. Marryson lebte nicht mehr. Er mußte im gleichen Moment gestorben sein, als die Leiche verschwand. Gab es da vielleicht Zusammenhänge? Grant war geneigt, daran zu glauben. Nichts schien ihm hier noch unmöglich.
2. Kapitel Samuel Connory hatte keine Ahnung davon, daß es einen »Großen Plan« gab und er sich zu erfüllen begann Er wußte nur, daß er sterben mußte, vielleicht schon bald. Aber Samuel Connory war unschuldig! Beweisen konnte er seine Unschuld allerdings nicht, denn sonst säße er nicht mehr hier in der Todeszelle. Alles sprach gegen ihn, und niemand zweifelte mehr an seiner Schuld. Hatte sich denn alles gegen ihn verschworen? Sollte sein Leben wirklich auf dem Elektrischen Stuhl enden? Die letzte Hoffnung hatte Samuel Connory heute morgen aufgegeben, denn der Bescheid auf sein Gnadengesuch, auf den er schon seit einigen Wochen wartete, war eingetroffen. Abgelehnt! Aus! Das war das Ende, das Ende seines noch so jungen Lebens. Es war noch gar nicht so lange her, da hatte es noch hoffnungsvoll ausgesehen. Voller zielstrebiger Pläne hatte Connory dem Morgen entgegensehen können. Einem Morgen, das jetzt für ihn seine Existenzberechtigung verloren hatte, obwohl er erst dreißig Jahre alt war. Sie warfen ihm vor, seine Braut vergiftet zu haben, um sich ihr stattliches Vermögen anzueignen Was lag für die Richter also näher, als anzunehmen, daß er aus niedrigen Beweggründen gehandelt hatte? Samuel war kein Mörder, aber von ihm hatte Inge die vergifteten Pralinen erhalten. Nach ihm war auch niemand mehr bei ihr gewesen, also konnte die Schachtel auch nicht nachträglich vertauscht worden sein. Wer aber hatte das Konfekt vergiftet? Er war unschuldig, doch außer seinem Verteidiger, Mike Brown, schien ihm keiner zu glauben. Selbst dem tüchtigen Anwalt war es nicht gelungen, Sammy zu entlasten. Nach über zweimonatigem Kampf war das Todesurteil gefällt worden.
»Vorsätzlicher Mord«, hieß es in der Urteilsbegründung. Aber Sammy gab nicht auf. Noch bestand die Möglichkeit, daß die Strafe in lebenslängliches Zuchthaus umgewandelt wurde. Das war immerhin noch besser als der sichere Tod. So verfaßte er ein Gnadengesuch an den Präsidenten. Seine letzte Hoffnung ging mit diesem Stück Papier auf den Weg. Vielleicht hatte er Erfolg, innerlich war er sogar überzeugt davon. Die Gerechtigkeit mußte doch siegen! Aber sie siegte nicht! Heute morgen war der Bescheid gekommen. »Nach nochmaliger, genauester Überprüfung Ihres Falles müssen wir Ihnen leider mitteilen, daß Ihrem Antrag nicht stattgegeben werden kann, da keinerlei eine Begnadigung rechtfertigendes Material gefunden werden konnte. Ihr Gesuch wird hiermit abgelehnt! (gez.) Stewart Mr. Cranner, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.« Immer wieder hatte Connory dieses Schreiben gelesen. Damit war seine letzte Hoffnung endgültig erloschen. Jeden Augenblick konnten sie ihn abholen. Der Gedanke daran war furchtbar. Keine Sekunde lang wich die Furcht vor dem drohenden Tod von ihm. Bei jedem Geräusch auf dem Gang zuckte der Mann zusammen. Kamen sie jetzt? Sammy hatte irgendwo einmal gelesen, daß Todesurteile nur nachts vollstreckt würden. Doch gab es kein Fenster und auch sonst keine Möglichkeit, die Tageszeit festzustellen. Die Zellentür wurde geöffnet, und Sammy verkroch sich ängstlich in die hinterste Ecke. Nun war es also soweit! »Mister Connory!« Diese Stimme kannte er. Der Besucher war Mike Brown, sein Anwalt. Sammy sah erleichtert auf und blickte dem Mann schweigend entgegen. »Ich bin gekommen, Mister Connory, um Ihnen zu sagen, daß es mir leid tut. Ich habe alles getan, was in meiner Macht stand, um Sie hier herauszuholen.« Aus der Stimme Browns sprach aufrichtiges Mitleid. Der Mann fühlte nach, wie es einem Todeskandidaten in dieser Situation zumute war. Doch für schöne Worte war es jetzt zu spät. »Warum sagen Sie mir das, was kann es nützen? Davon werde ich doch nicht wieder lebendig.«
»Na, na, Connory, noch leben Sie ja. Ich möchte nicht, daß Sie glauben, es läge an mir, wenn Sie…« »Aber ich bin doch unschuldig!« Sammy schrie es fast heraus, so, als solle die ganze Welt es hören. »Sie können mich doch nicht einfach…« »Ich weiß, mein Junge, aber nehmen Sie es nicht so schwer. Denken Sie daran, daß die Uhr eines jeden einmal abläuft. Wenn es nicht der Elektrische Stuhl wäre, dann vielleicht ein Unfall oder etwas Ähnliches.« Brown bot Sammy eine Zigarette an. »Danke«, sagte er resignierend, »wer weiß, vielleicht ist es die letzte.« Der Anwalt nickte schwer. »Wissen Sie, wann man mich holen wird?« Fragte er. »Nein, es tut mir leid, darüber kann ich nichts sagen.« Samuel Connory schüttelte den Kopf. »Das glaube ich Ihnen nicht. Warum belügen Sie mich? Bitte sagen Sie es mir. Besser, ich weiß, wann es mich erwartet, als noch länger diese quälende Ungewißheit ertragen zu müssen. Wird es bald sein?« »Noch heute nacht!« * Sammy spürte das kalte Metall des Stuhles unter sich. Seine nackten Füße standen auf einer Metallplatte, und an Kopf und Händen hatte man Kontakte angebracht. Der letzte Raum, den Sammy als lebender Mensch betreten hatte, war klein und kahl. Nichts außer dem Todesstuhl stand darin, und durch den würde gleich ein Stromstoß von mehreren tausend Volt fahren. Samuel Connory war vollkommen ruhig geworden. Seine Angst war verschwunden. Ob es wohl allen Todeskandidaten in der letzten Minute so erging? Dann war es überstanden. * Corinna Banthorpe lag auf dem Bett, von dem sie sich nie wieder erheben würde. Sie wußte, daß der Tod unabwendbar war. Erst auf ihr wiederholtes Drängen hin hatte man ihr gesagt, wie es um sie stand. Sicher, das junge Mädchen hatte bereits gefühlt, daß sie nicht mehr lange leben würde, und als man es ihr bestätigte, hatte sie sich innerlich bereits damit abgefunden gehabt. Sie wußte, daß es gegen Leukämie noch kein
wirksames Heilmittel gab, zumal man bei ihr die Krankheit erst sehr spät erkannt hatte. Immer mehr zersetzten sich die roten Blutkörperchen in ihr. Corinnas Haut war bleich, schon fast weiß und eingefallen. Sie war so sehr geschwächt, daß sie sich kaum noch erheben konnte. Schon allein das Wenden des Kopfes bereitete ihr ungeheure Schwierigkeiten. Die Krankheit hatte sie aufgezehrt. Vor noch gar nicht allzulanger Zeit war Corinna ein junges, lebenssprühendes Mädchen gewesen, mit vielen Plänen für die Zukunft. Alle hatten sie gut leiden mögen und wegen ihrer großen Schönheit immer wieder bewundert. Nun war sie nur mehr ein Schatten ihrer selbst. Während der Krankheit besuchten sie die zahlreichen Freundinnen sehr häufig. Es tröstete sie, daß man sie nicht vergaß. Immer wieder mußte sie hören, daß sie jetzt doch sicher bald wieder gesund sein würde, selbst dann noch, als sie schon wußte, wie es um sie stand. Corry lächelte still vor sich hin, denn es war ihr klar, daß es nur Worte des Trostes sein sollten, an die die Freundinnen selbst nicht mehr glaubten. Sie spürte schon die greifbare Nähe des Todes. Erst in der letzten Zeit war Corinna ruhig geworden. Die furchtbare Angst verschwand, und der Tod stand nicht mehr wie ein unheilvoller Schatten vor ihr, sondern als Erlösung. Ihr Leben war zu Ende. Es war gelebt, wenn auch nicht so, wie das Mädchen es sich immer erträumt hatte. Und doch, wenn sie jetzt die Bilanz zog, war es schön gewesen. Gewiß, dürfte sie noch einmal von vorn anfangen, sie würde vieles anders machen. Aber Corry empfand keine Reue mehr. Sie hatte innerlich Frieden gefunden. * Corinna erkannte Jane, ihre langjährige Freundin. Ob sie wohl wußte, daß es das letztemal war, daß sie Corry lebend sah? »Du wirst bald wieder gesund sein, Corry«, meinte das Mädchen, »dann werden wir…« Corry versuchte zu lächeln und unterbrach sie mit schwacher Stimme: »Mach mir doch nichts vor, Jane - werde nicht mehr gesund, das ist vorbei. Ich werde sterben, und du sollst nicht so tun, als ob - als ob du das nicht längst wüßtest. Grüß die anderen noch einmal von mir - sollen nicht traurig sein. Kann - nicht mehr sprechen - so schwer.«
Die letzten Worte waren nur noch gehaucht. Krampfhaft mußte Jane die Tränen zurückhalten. Leicht strich sie der Sterbenden über die Stirn. Sie sprach nichts mehr, und Jane dachte noch einmal an die schöne Zeit ihrer Freundschaft zurück. Sie war nun vorbei Jetzt kamen die Verwandten des Mädchens herein. Jane wollte sich zurückziehen, aber Corry hielt ihre Hand fest. Ein letztes Mal machten ihre Blicke die Runde. Corry erkannte noch alle. Nach mehrmaligen Versuchen flüsterte sie: »Daddy, Ma - Onkel Tom - Tante Emily… Ihr seid alle gekommen nett… Lana und George - seid nicht traurig… Jimmy!« Corrys kleiner Neffe war gerade erst fünf Jahre alt. Er kam ganz dicht an das Bett seiner Tante. »Tante Corry, du darfst nicht weggehen«, sagte er mit weinerlicher Stimme. Die Sterbende lächelte noch einmal und versuchte sich aufzurichten. Schnell sprangen Onkel Tom und Corrys Vater hinzu, um sie zu stützen. »Mußt nicht - traurig sein, mein - kleiner Jimmy. Ich - ich gehe jetzt weit weg - aber du mußt - mußt hierbleiben.« Sie sank zurück. Es war zu Ende. Mit einem Lächeln auf den Lippen war sie gestorben. Die Mutter konnte nicht mehr länger an sich halten. Sie warf sich über das Bett und schluchzte. Immer wieder rief sie Corrys Namen. Sie wollte gerade die kleine Hand ergreifen und sie noch einmal streicheln, da stieß sie einen entsetzlichen Schrei aus. Die Tote war verschwunden! Noch ein Schrei entrang sich ihrer Kehle, dann sank sie in sich zusammen. Sie hatte diesen Schock nicht überlebt. * Im »New York Herald« stand einige Tage später folgendes zu lesen: Leichen verschwanden spurlos! Polizei und Wissenschaft stehen vor einem Rätsel! In Upperfield/Florida wurde am vergangenen Mittwoch ein Mann ermordet. Kurze Zeit später verschwand er spurlos vor den Augen zahlreicher Passanten. Sein Mörder, der dreiundsiebzigjährige Buch Marryson, starb zur gleichen Zeit unter bisher noch nicht, geklärten Umständen. Im Zuchthaus Sing Sing wurde der dreißigjährige Samuel Connory hingerichtet. Connory war im März dieses Jahres des Mordes an seiner
Verlobten für schuldig befunden worden. Auch seine Leiche verschwand vor den Augen des Richters und des Pfarrers spurlos. Die Stuhl war von einer Sekunde zu: anderen leer. Ein dritter Fall wurde uns aus Washington gemeldet. Dort verstarb die vierundzwanzigjährige Corinna Banthorpe an Leukämie. Vom Totenbett, vor den Augen sämtlicher Verwandten, verschwand sie ebenfalls. Die Mutter der Toten erlitt einen Herzschlag. Die Polizei und namhafte Wissenschaftler stehen vor einem Rätsel. Es wurden bereits verschiedene Theorien aufgestellt. So behauptet unter anderem der berühmte Parapsychologe, Professor Mitchell, es bestünde die Möglichkeit, daß das Verschwinden aller drei Personen einen bisher unbekannten, gemeinsamen Ursprung haben könnte. Mitchell sagte weiter, daß die zweifellos starken Kräfte nicht irdischer Herkunft sein könnten. Die Ermittlungen und Forschungen in diesen Fällen gehen weiter
3. Kapitel Die erste Phase des »Großen Planes« war beendet. Die zweite Phase begann, und irgendwo in den Tiefen der Galaxis erwachte ETWAS aus einem jahrtausendelangen Schlaf. Noch schlummerte ES, aber ein Speichersektor erwachte bereits. Gesteuerte, lichtschnelle Impulse aktivierten Schaltungen, die ihre Arbeit wiederaufnahmen, als sei erst ein Tag vergangen. Zuerst waren es nur einzelne Empfindungen, die in Jerry Kings Bewußtsein zurückkehrten. Es schien, als erwache er ganz langsam aus einem tiefen Schlaf. Das erste Empfinden war Schmerz, der den ganzen Körper durchzog. Ganz allmählich tauchten Erinnerungsbruchstücke wieder aus der Dunkelheit auf. Jerry King verstand nichts! Er wußte nicht, ob er Minuten oder Stunden so gelegen hatte. Wohl kamen immer neue Erinnerungen hinzu, aber das Zeitgefühl blieb aus. Man hatte aus irgendeinem Grund auf ihn geschossen, also war er tot. Ja, er mußte tot sein, aber doch schmerzte sein Körper. Er konnte auch noch oder besser gesagt wieder - denken, und das war mehr als seltsam. Bisher war Jerry immer der Ansicht gewesen - und das hatte sich auch nicht geändert -, daß ein Toter weder denken noch fühlen oder sich bewegen kann. Oder war er letzten Endes gar nicht tot?
Wenn doch bloß diese Schmerzen nicht wären! Jerry glaubte, an der Wand hochgehen zu müssen, aber es fiel ihm schwer, überhaupt eine Bewegung zu machen. Unter großer Anstrengung gelang es Jerry King schließlich, die Augen zu öffnen. Seine Lider schienen aus Blei zu sein. Nebel wallten vor seinen Augen, alles war verschwommen. Ein paarmal schloß er die Lider und öffnete sie wieder. Das Bild wurde allmählich deutlicher, und nach ein paar Minuten konnte er wieder einigermaßen klar sehen. Wo befand er sich? Das Zimmer, oder was immer es sonst sein mochte, sah mehr als seltsam aus. Krankenhäuser hatte er anders in Erinnerung. Erst, als er eine Weile hingesehen hatte, stellte Jerry fest, daß das Licht von den Wänden selbst ausging. Auf dieser Seite des Zimmers gab es keine Fenster, aber vielleicht befand sich hinter ihm eins. Entschlossen und unter großen Anstrengungen drehte er sich um und mußte zu seinem Erstaunen feststellen, daß er nicht allein war. Auf großen Lagern, die Metallbarren glichen, lagen noch zwei Menschen und zwar ein Mann, ungefähr in seinem Alter, und ein Mädchen. Sie rührten sich nicht. Was waren das nur für komische Metallbarren, die hier als Lager dienten? Warum hatte man sie auf solche Blöcke gebettet? Jetzt erst stellte Jerry King fest, daß sie gar nicht aus Metall sein konnten, denn sie waren weder kalt noch hart. Man mochte glauben, auf dem weichsten Bett zu liegen. Das, was wie Metall aussah, konnte in Wirklichkeit nichts anderes sein als hochelastischer Kunststoff, der sich den Körperformen anpaßte. Außer diesen drei Liegen wies der Raum keine anderen Einrichtungsgegenstände auf. Nicht einmal eine Tür war zu sehen, von einem Fenster ganz zu schweigen. Aber einen Eingang mußte es doch geben. Mühsam erhob Jerry sich und setzte sich auf das Lager. Sein Befinden besserte sich erstaunlich schnell. Auch die Glieder taten nicht mehr so weh. Eine Verletzung konnte Jerry nicht an sich feststellen, obwohl die Kugel ihn getroffen hatte. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte Jerry eine Bewegung hinter sich. Er wandte sich um und stellte fest, daß das Mädchen im Begriff war, zu erwachen. Er ging die wenigen Schritte zu ihrem Lager, und erst jetzt bemerkte er, daß das Mädchen ein langes Nachthemd trug. Jerrys Krankenhaustheorie verflüchtigte sich immer mehr. Er trug noch denselben Anzug, den er zuletzt anhatte.
Ein Schauer überlief Jerry King, als er seine Jacke betrachtete. Genau auf der linken Brustseite befand sich das Einschußloch im Anzug, aber eine Wunde gab es nicht. Irgend etwas war hier ganz gewaltig faul. Während er noch darüber nachdachte, was es sein könnte, öffnete das Mädchen die Augen. Mit fassungslosen, nicht verstehenden Augen sah sie Jerry an wie einen Geist. »Wer - wer sind Sie?« fragte sie mit schwacher Stimme. »Mein Name ist Jerry King, und wer sind Sie?« »Ich heiße Corinna Banthorpe, aber ich…«, sie zögerte, »… bin doch tot!« Das saß! Jerry sperrte seinen Mund auf. Was redete sie für ein Zeug? Wie konnte sie denn tot sein, wenn sie mit ihm sprach? Aber da erinnerte er sich, daß auch er anfangs geglaubt hatte, tot zu sein. Gab es vielleicht einen Zusammenhang? »Aber Miß Banthorpe, Sie sind doch nicht tot, was reden Sie denn da?« »Doch, wirklich, ich bin gestorben«, beharrte das Mädchen auf ihrer Behauptung. »Ich hatte Leukämie und bin daran gestorben. Ich erinnere mich noch ganz genau, wie alle um mein Bett standen, als es mit mir zu Ende ging. - Wie komme ich überhaupt hierher?« »Ja, wenn ich das wüßte!« Antwortete Jerry. »Das frage ich mich auch schon die ganze Zeit.« Plötzlich schien ihm ein Gedanke zu kommen. »Einen Moment, Miß Banthorpe - wissen Sie sicher, daß Sie gestorben sind?« Sie nickte. »Ja, das weiß ich ganz genau.« »Hm«, machte Jerry nachdenklich, »das ist seltsam, wirklich sehr seltsam. Sie müssen nämlich wissen, daß man auf mich geschossen hat. Ich habe zuerst auch geglaubt, ich sei tot. Jetzt sind wir aber beide hier und leben, das ist das Komische an der Sache.« »Sie haben recht, das ist nicht normal, sofern hier überhaupt noch etwas normal ist«, entgegnete Corinna. »Wenn ich es mir richtig überlege, dann können wir ja gar nicht tot sein, schon ganz einfach deshalb nicht, weil wir zu reden vermögen.« Jetzt sah das Mädchen zum erstenmal an sich herunter und stieß einen überraschten Laut aus. »Was ist, was haben Sie?« Fragte Jerry besorgt. »Mein Nachthemd! Es ist dasselbe, das ich auf dem Sterbebett anhatte.« Da war schon wieder eine Parallele, auch Jerry King trug noch dieselben Sachen wie zuletzt.
»Wie lange mögen wir hier schon gelegen haben?« fragte das Mädchen übergangslos. Jerry schaute auf die Uhr. Noch am Morgen seines vermeintlichen Todes hatte er sie aufgezogen, und eine Welbert Automatic brauchte nur alle drei Monate aufgezogen zu werden. »Nein«, rief er erschrocken, »das ist doch…«, »Was ist geschehen?« »Ich verstehe gar nichts mehr. Welches Datum hatten wir, als Sie im Sterben lagen? Erinnern Sie sich zufällig daran?« Das Mädchen mußte einige Sekunden nachdenken. »Ganz genau kann ich es nicht sagen, aber es muß um den zehnten Juli herum gewesen sein.« »Also doch! Miß Banthorpe, wir liegen bereits mindestens drei Monate hier.« »Drei Monate? Das ist nicht möglich! Wie haben Sie das festgestellt?« »An meiner Uhr. Am elften Juli starb ich, oder besser, gab man den Schuß auf mich ab. Am dreizehnten Oktober ist sie stehengeblieben. Das heißt mit anderen Worten, daß mindestens drei Monate vergangen sein müssen. Es klingt phantastisch, aber eine andere Erklärung gibt es nicht.« »Aber das kann doch nicht stimmen?« Der Verstand des Mädchens weigerte sich, ihm zu glauben. Das alles hier war ein einziger Widerspruch, bis jetzt jedenfalls. »Ich verstehe das genausowenig wie Sie«, gab Jerry zur Antwort. »Und doch muß es so sein! Dabei wissen wir nicht einmal, wie lange die Uhr schon steht! Was nun, wenn sie bereits vor drei Monaten oder drei Jahren abgelaufen war? Das ist zwar nur eine reine Spekulation, aber man muß auch an diese Möglichkeit denken.« Corinna nickte schweigend. Auch Jerry sprach lange Zeit nichts Was sollte es da noch zu sagen geben? Hier handelte es sich um Tatsachen, die keine Tatsachen sein durften. Wer hatte sie hierhergebracht? Wie kam es, daß sie drei Monate oder länger bewußtlos sein konnten, ohne daß äußerlich Spuren davon zu sehen waren? Diese und noch eine Menge anderer Fragen warteten auf ihre Antwort. »Puh, ich schwitze!« Das waren die ersten Worte, die der dritte im Bunde von sich gab. Jerry und Corinna sahen sich um und bemerkten, daß der Mann die Augen geöffnet hatte. Erst jetzt fiel es Jerry auf, wie warm es hier war. Bisher
hatte er den Kopf mit so vielen Neuigkeiten vollgehabt, daß ihm die Temperatur nicht aufgefallen war. »Sagen Sie mir, Mister«, wandte er sich an Jerry King, »sagen Sie mir, ob ich wach bin oder träume!« »Sie sind wach, genauso wie wir. Warum fragen Sie?« »Weil ich eigentlich tot sein müßte.« Noch ein solcher Fall! Jerry nahm es ruhiger hin als Corinna, die den Mund vor Staunen nicht mehr zubekam Es war irgendwie zum Lachen, aber andererseits doch wieder todernst. Drei Menschen glauben, tot zu sein, und treffen sich plötzlich lebendig. Das konnte ja nicht mit rechten Dingen zugehen. »Erzählen Sie doch bitte mal, wie Sie gestorben sind!« forderte Jerry den Mann auf. »Ich bin hingerichtet worden, auf dem elektrischen Stuhl.« Er sah die Gesichter seiner beiden Leidensgefährten und meinte sofort: »Nein, so ist es nicht; ich weiß genau, was Sie jetzt denken! Ich bin kein Verbrecher! Natürlich kann ich nicht erwarten, daß Sie mir das glauben; aber ich bin unschuldig hingerichtet worden. Man warf mir vor, meine Braut vergiftet zu haben, um mir ihr Vermögen anzueignen. Aber ich war es nicht! So, jetzt dürfen Sie mich auslachen.« »Nein, das werden wir nicht tun, denn zum Auslachen besteht keinerlei Grund«, sagte Jerry King ernst. »So, dazu besteht keinerlei Grund?«. Die Stimme des Mannes klang höhnisch. »Das müssen Sie mir erst einmal genauer erklären.« »Sie sind eben erst erwacht«, entgegnete Jerry ruhig. »Infolgedessen können Sie nicht wissen, was uns schon bekannt ist. Aber bevor ich Ihnen das erkläre, beantworten Sie mir eine Frage. An welchem Tag wurden Sie hingerichtet?« »Ich verstehe zwar nicht, was Sie mit dieser Frage bezwecken, aber wenn Sie es durchaus wissen wollen.. Nun gut, es war am elften Juli.« »Sie also auch!« Meinte Jerry. »Ich wurde nämlich am elften Juli erschossen, und Miß Banthorpe starb wahrscheinlich ebenfalls an diesem Tag an Leukämie.« »Ersch…« Das Wort blieb dem Mann im Mund stecken. Er sah Jerry an, als wolle er ihn verschlingen. »Ich wußte es ja gleich, ich bin doch tot und ihr seid nur Geister so wie ich.« »Keineswegs«, wehrte Jerry bestimmt ab. »Wir sind alle drei lebendig. Aber trösten Sie sich, wir können uns das ebensowenig erklären wie Sie.
Wir wissen ebenfalls nicht, wieso wir hier sind und wie wir hierhergekommen sind.« »Ja, aber irgend jemand muß doch schließlich…« »Natürlich muß irgend jemand«, unterbrach Jerry. »Aber wer was muß, das wissen weder wir noch Sie. Wir hoffen aber, daß wir bald verschiedenes erfahren werden.« »So was Komisches! Übrigens, ich heiße Samuel Conorry; Sie können mich Sammy nennen.« »Freut mich, Sammy! Ich heiße Jerry King, und das hier ist Corinna Banthorpe.« Wieder sprach ein Relais an. Neue Impulse jagten durch Leitungen und aktivierten andere Speicherzentren. Der Prozeß, der irgendwo in der Galaxis das Erwachen von ETWAS vorbereitete, war in vollem Gange. Energie, die seit Jahrtausenden ruhte, begann wieder zu fließen, aber sie drang noch nicht bis zum Zentrum vor. Das endgültige Erwachen jedoch stand bevor. Khort Mal schwebte vor den riesigen Kontrollpulten seines Schiffes, die er ständig im Auge behielt. Als Kommandant dieses Beobachtungskreuzers trug er die alleinige Verantwortung für die Besatzung. Sein Blick erfaßte mit großer Sicherheit die Vielzahl der Instrumente. Khort Mal stellte beruhigt fest, daß wie immer alles in Ordnung war. Warum sollte auch etwas nicht in Ordnung sein? Bei dem hohen Stand der Pfuthartechnik waren Pannen so gut wie ausgeschlossen. Gab es noch höherstehende Lebewesen als seine Rasse? Khort Mal wußte und glaubte es nicht, denn bisher war man noch keinen begegnet. Vor langer Zeit sollte es einmal eine solche Rasse gegeben haben. In einem großen Krieg hatte der Feind doch unterliegen müssen. Jetzt beherrschten die Pfuthars das bekannte Universum, sie waren die Herren. Das war das Ziel und der Höhepunkt der technischen Entwicklung. Seine Rasse hatte sich in der langen Zeit ihres Bestehens ein mächtiges Reich aufgebaut. Aber keine Fremdvölker waren dem Imperium angeschlossen. Das Universum würde eines Tages ganz seiner Rasse gehören. Khort Mal wußte nicht, wie sehr er sich täuschte. Jetzt freute er sich und dazu gab es allen Grund, denn wieder war ein neuer Planet entdeckt worden, auf dem sich die Rasse der Pfuthars ausbreiten konnte. Seine Lebensbedingungen waren auf den ersten Blick geradezu ideal erschienen. Er kreiste als dritter Planet um eine kleine Sonne. »Erde« nannten ihn seine Bewohner.
Diese Bewohner bereiteten dem Kommandanten kaum Kopfzerbrechen. Sie gehörten zu den untersten Intelligenzstufen und konnten als primitiv bezeichnet werden. Humanität war das oberste Gesetz der Pfuthars. Sie haßten es, anderen Lebewesen gegenüber grausam zu sein. Khort Mal hatte drei Exemplare dieser Rasse mitgebracht. Man wollte sie behandeln, als seien sie gern gesehene Gäste, und dabei gleichzeitig, ihre Schwächen studieren, um einen Ansatzpunkt für eine humane Vernichtung zu finden. Insgeheim haßte Khort Mal es wohl, sich allzu viele Umstände wegen dieser ekelerregenden Rasse zu machen, aber das Gesetz mußte eingehalten werden. Die Wesen waren nicht von Grund auf häßlich, sondern auch - und das war viel schlimmer - zweigeschlechtig. Ein Grund mehr, sie zu vernichten. Dieses Leben wich nicht nur von der allgemeingültigen Form ab, sondern brachte auch Erbanlagen mit, die eine Vernichtung von vornherein erforderlich machten. »Die Wesen sind erwacht, großer Herr!« Meldete sich Tichkickh, der Erste Offizier. »Es ist gut, Tichkickh«, erwiderte der Kommandant. Und zum Zeichen seiner Befriedigung ließ er seinen Körper in leuchtendem Rot erstrahlen. * »Jetzt sitzen wir schon seit Stunden hier herum und nichts tut sich«, beschwerte sich Sammy. »Man scheint es wohl nicht für nötig zu finden, sich um uns zu kümmern.« »Viel schlimmer erscheint mir, daß wir tatenlos hier herumsitzen und nicht wissen, wozu wir hier sind«, meinte Jerry King. Als wäre das ein Stichwort gewesen, schob sich jetzt plötzlich die Wand ihres gemeinsamen Zimmers zur Seite. Corry hatte den Männern den Rücken zugewandt und bemerkte es zuerst. »Schaut doch, die Wand ist offen«, rief sie erregt. Die beiden Männer fuhren herum und sahen es ebenfalls. Ein endloser Gang erstreckte sich dort, wo eben noch die Wand gewesen war. »Na, jedenfalls sieht es so aus, als würden wir jetzt Besuch bekommen«, vermutete Jerry, und damit täuschte er sich nicht. Weit hinten im Gang erschien ein rötliches Leuchten, das rasch näher kam. »Was mag das sein?« fragte Sammy, als er das Leuchten bemerkte. Wenig später ließen sich bereits Einzelheiten erkennen. Und während es
King und Sammy die Sprache verschlug und das Grauen seine Hand nach ihnen ausstreckte, schrie Corry hysterisch: »Seht, das ist ein Geist!« Zitternd verbarg sie sich hinter Jerry, als könne er sie schützen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf die Erscheinung. Das Wesen, falls es eines war, mußte geradezu der Hölle entstiegen sein. Das unheimliche Etwas war nur wenig mehr als einen Meter groß. Es besaß einen Körper, den man für eine leuchtende Flasche mit Armen hätte halten können. Auf diesem Körper befand sich ein grauenvoller Kopf. Corry dachte an ein Omelett, das in der Pfanne schmorte und einige Blasen geschlagen hatte. Der Kopf war rund, gelbbraun gefleckt und vollkommen plattgedrückt. Drei »Augen« traten daraus hervor, die man ohne weiteres mit Tomaten verwechseln konnte. »Der sieht ja aus wie ein wandelnder Pfannkuchen, mit Tomaten garniert«, sagte Sammy; aber es lachte niemand darüber. So hatte man sich das Ende doch nicht vorgestellt. Aber das Ende kam nicht. Die Pfannkuchenflasche trug einen kleinen Apparat bei sich, an dem sie sich zu schaffen machte. Gleich darauf hörten sie eine seltsam schnarrende Stimme, die aber verständlich war. Das Wesen sprach zu ihnen!. »Willkommen, Menschen!« Sagte es. »Wer oder was sind Sie?« verlangte Jerry ohne Umschweife zu wissen. Wieso er sich so schnell wieder fassen konnte, verstand er selbst nicht. »Ich bin Khort Mal, der Kommandant des Forschungsschiffes, auf dem ihr euch befindet«, schnarrte der Kasten. »Ich bin gekommen, um euch als Gäste an Bord zu begrüßen.« In einem Raumschiff befanden sie sich also! Dann gehörte dieses Wesen einer anderen Rasse an. Das erklärte zumindest das ekelhafte Aussehen. »Was wollt ihr von uns?« »Ich habe euch das Leben wiedergegeben, Menschen. Ihr wart tot, aber glücklicherweise befand sich mein Schiff gerade in der Nähe eures Planeten. Ein weiterer Zufall war es, daß unsere Ortungsgeräte euch in dem Augenblick fanden, als ihr starbt. Wir nahmen euch an Bord und gaben euch das Leben zurück. Fragt nicht, wie wir das gemacht haben! Das würdet ihr nicht verstehen.« »Wann bringt ihr uns zur Erde zurück?« wollte Sammy wissen. »Gar nicht«, kam die Antwort, »wir können es nicht, denn eure Rassengenossen glauben jetzt, ihr wäret tot. Unsere Existenz muß geheim bleiben, und das könnte sie nicht, brächten wir euch zurück. Eure Rasse ist noch nicht reif für den Kontakt mit anderen Intelligenzen. Ihr werdet
unsere Gäste sein. Das bedeutet eine große Umstellung; aber bedenkt, daß die jetzige Lage besser ist als der Tod. Seid ihr mit unserem Handeln nicht einverstanden?« So ganz waren sie es nicht, aber das behielten sie für sich. »Ich weiß, ihr habt eine Menge Fragen. Sie werden alle eine Antwort finden; aber geduldet euch. Ihr müßt euch jetzt erst einmal mit der neuen Lage abfinden. Ihr werdet regelmäßig Nahrung bekommen, die für euren Organismus zusammengestellt wurde. Die Wand wird offenbleiben; doch verlaßt diesen Raum vorerst noch nicht.« Ohne ein weiteres Wort drehte das Wesen sich um und schwebte davon. * »Und was wird jetzt?« fragte Corinna, als sie wieder allein waren. »Wenn ich ehrlich sein soll, mit dieser Lage bin ich nicht einverstanden. Es ist kein schöner Gedanke, den Rest unseres Lebens unter diesen Ungeheuern verbringen zu müssen.« »Wir sind also in einem Raumschiff«, stellte Sammy erneut fest. »Und zwar dürfte das ein ziemlicher Kasten sein.« »Ich weiß nicht recht«, warf Jerry King jetzt ein, »was dieser Khort Mal gesagt hat, klingt ja alles ganz gut. Wir werden Gäste sein, und es soll uns an nichts fehlen. Schön, das mag besser sein als der Tod. Niemand bezweifelt, daß diese Rasse uns hoch überlegen ist. Aber ich kann mir nicht helfen, reine Nächstenliebe kann es nicht gewesen sein, was diese Wesen zu einer Rettung veranlaßt hat. Ich vermute da irgendwo einen Haken.« »Und wo soll der stecken?« verlangte Sammy zu wissen. »Woher soll ich das wissen? Kann sein, daß ich mich irre, wahrscheinlich aber nicht. Was wissen wir denn schon von diesen Wesen? Wie sie aussehen, mehr aber auch nicht.« »Was dieser Khort Mal sagte, von wegen, daß er uns nicht auf die Erde zurückbringen kann, scheint mir auch an den Haaren herbeigezogen«, meinte Samuel Connory. »Und wieso?« »Ach, nichts, nur so ein Gefühl von nur. Ich sage euch, die haben was vor mit uns.« »Und was könnte das Ihrer Meinung nach sein?« »Vielleicht will man uns als Ausstellungsstücke verwenden; in einer Art galaktischem Zoo. Vielleicht hat man aber auch sonst eine Teufelei vor.«
»Jerry; ich habe Angst«, meldete sich jetzt Corry. »Kann man verstehen, Miß Banthorpe«, erwiderte Jerry. »Mir ist auch nicht gerade wohl in meiner Haut. Manchmal meine ich sogar, es wäre besser gewesen, sie hätten uns nicht ins Leben zurückgerufen.« »Ich weiß nicht, wie Sie beide über die Vorsehung denken«, meldete sich jetzt das Mädchen wieder, »aber wenn wir am Leben geblieben sind, dann doch sicher, weil noch eine Aufgabe auf uns wartet.« Das hatte etwas für sich; aber wie recht Corry hatte, konnte noch keiner ermessen. Jerry wunderte sich, daß er alles so gelassen hinnahm; es war doch nicht normal, sich derart schnell mit einer solchen Lage abzufinden. Das Grauen, das er anfänglich empfunden hatte, war wieder verschwunden. »Wollen wir uns eigentlich so einfach in unser Schicksal ergeben?« wollte Jerry wissen. »Was sollen wir denn tun, um es abzuwenden? Ich sehe keinen Weg, höchstens Selbstmord, aber dazu ist mir mein eben erst wiedergewonnenes Leben doch zu schade.« »Wie wär’s denn mit Flucht?« »He? Sonst bist du, aber noch ganz gesund, was? Wie wollen wir denn denen hier entkommen? Das möchte ich gern mal wissen. Ich habe noch keinen Unterricht über Flucht aus unbekannten Raumschiffen bekommen.« Sammy hatte jetzt Jerry mit du angeredet, ohne es zu bemerken. »Lassen wir’s beim du«, sagte King. »Oder hat jemand was dagegen einzuwenden?« Sammy und Corry waren einverstanden. »Und was unsere eventuelle Flucht anbelangt, so kann ich darüber jetzt noch nichts sagen. Dazu müssen wir unsere, Gastgeber erst einmal näher kennenlernen. Das geht natürlich nicht so schnell. Ich halte es für unerläßlich, zu versuchen, ihr volles Vertrauen zu gewinnen. Sie dürfen nicht merken, daß wir auch nur an eine Flucht denken. Vielleicht lassen sie uns volle Bewegungsfreiheit im Schiff. Eines Tages wird es ja mal landen. Wo, das kann ich nicht einmal ahnen. Wenn wir gelandet sind, müßte sich eine Flucht am besten bewerkstelligen lassen. Ich bin nicht gewillt, den Rest meines Lebens als sogenannter Gast dieser Wesen zu verbringen.« »Das will wohl niemand. Ich würde jede Chance zur Flucht wahrnehmen, und wenn sie noch so gering ist«, sagte Sammy. Und damit sprach er das aus, was jeder von ihnen empfand.
4. Kapitel Wieder jagten Impulse durch ein weit verzweigtes Leitungssystem. Sechzehn Vorstufen mit ihren Speicher und Informationszentren waren aktiviert. Eine gigantische Maschinerie übernahm die Kontrolle über ebenso viele Planeten, und die Orter stellten fest, daß in der Äonen überdauernden Ruhepause alles so abgelaufen war, wie der »Große Plan« es vorsah. Die siebzehnte Vorstufe jedoch blieb weiterhin deaktiviert. Damit schlummerte auch das Nebenzentrum, das weitere acht Planeten kontrollierte. Hier war den Erbauern ein Fehler unterlaufen; Die drei Hauptstufen der Zentrale aber ruhten nach wie vor. Ihre Zeit war noch nicht gekommen; dafür sandten die Vorstufen jetzt ein Orterfeld ins All hinaus, das den Raum der sechzehn Planeten unter Kontrolle hielt und das einfliegende Raumschiffe sofort melden würde. In dem Augenblick jedoch, als ein Fremdschiff den Orterstrahl passierte, wurde es von ihm nicht mehr losgelassen. In Sekundenschnelle aktivierte die erste Hauptstufe die Zentrale. Das Schiff wurde angemessen und identifiziert. Daraufhin wurde ein Magnetfeld ausgeschickt, und die dritte Phase des »Großen Planes« begann. * Während Jerry und seine beiden Leidensgenossen sich noch vergeblich den Kopf über eine Fluchtmöglichkeit zerbrachen, hatte ihre Rettung schon begonnen, Jerry hatte geschlafen. Er war allein. Corry und Sammy sahen sich bestimmt wieder irgendwo im Schiff um. Das war gut so, denn nachdem Khort Mal den Erdenmenschen gestattete, sich frei im Raumer zu bewegen, machten sie von dieser Möglichkeit regen Gebrauch. Es galt, in kurzer Zeit möglichst viel über die Fremden und ihre Technik zu erfahren. An das Aussehen der Pfuthars hatte man sich mittlerweile gewöhnt. Das Grauen war gewichen, aber das Gefühl, etwas unvorstellbar Fremdem gegenüberzustehen, blieb nach wie vor. Die Pfuthars gaben sich freundlich, zu freundlich, als daß Jerry Kings Verdacht auf eine Teufelei sich nicht noch verstärkt hätte. Er war fast zur Gewißheit geworden, Sie mußten hier heraus, und das so schnell wie möglich.
Die Fremden schienen den »Gästen« von der Erde nicht viel Intelligenz und nicht die Spur eigener Initiative zuzutrauen. Das war ein unschätzbarer Vorteil, und die drei taten alles, um diese Meinung über sich aufrechtzuerhalten. Die Pfuthars gaben den Menschen ihre Rätsel auf. Sie waren in ihrer ganzen Art und der Denkweise so verschieden, daß eine Angleichung wohl nie erreicht werden würde. Jerry erhob sich, um etwas zu essen. Regelmäßig alle fünf Stunden bekamen sie eine Mahlzeit. Es handelte sich um Speisen, die von den irdischen in keiner Weise zu unterscheiden waren, obwohl sie synthetisch hergestellt wurden. Gerade hatte er den letzten Bissen geschluckt, als Sammy in einem Tempo hereingestürmt kam, daß Corinna Mühe hatte, ihm zu folgen. »Was ist los, warum rennst du so?« Fragte Jerry King erstaunt. »Bleib sitzen. Sei ruhig, und hör zu!« »Sprich doch, was ist geschehen?« Jerry wurde ungeduldig. « Nicht so hastig, junger Freund, ich bin ja schon dabei, es zu erklären. Wir haben es geschafft!« »Was haben wir geschafft?« »Wir können fliehen. Jetzt ist unsere Chance gekommen! Wir hielten uns wieder einmal in der Zentrale auf. Alles schien ganz normal zu laufen, aber plötzlich fiel mir eine eigenartige Aktivität unter den Gastgebern auf. Ehe ich richtig begriffen hatte, daß etwas nicht stimmte, kam auch Khort Mal schon auf uns zu. Er ließ etwas durchblicken. Soweit ich es begriffen habe, wird das Schiff bedroht und auf einem unbekannten Planeten zur Landung gezwungen. Genaueres konnte selbst Khort Mal noch nicht sagen. Nur soviel steht fest: Das Schiff ist in ein unbekanntes Kraftfeld geraten, aus dem es sich mit eigener Kraft nicht befreien kann. Khort Mal sagte, er wolle landen, um festzustellen, worum es sich handle. Dabei schien er gar nicht zu bezweifeln, den Schaden ohne größere Schwierigkeiten beheben zu können. Aber hinter der Sache steckt meines Erachtens mehr, als wir im Augenblick ahnen können.« »Was sagst du, sie wollen landen?« Fragte Jerry erregt. »Wollen ist gut - sie müssen!« »Das ist unsere Chance! Wenn es uns gelingt, auszukneifen, sind wir gerettet. Aber da taucht ein neues Problem auf. Wir wissen nicht, was das für ein Planet ist und ob wir überhaupt auf ihm überleben können. Wer weiß, vielleicht besitzt er keine Atmosphäre, die für uns atembar ist. Ich meine aber, das alles spielt nur eine sekundäre Rolle. Die winzige Aussicht auf Erfolg ist einen Versuch wert. Oder ist jemand anderer Meinung?«
Nein, anderer Meinung war niemand. Sie mußten es riskieren! Sie konnten es sich nicht leisten, auf eine günstigere Gelegenheit zu warten, denn die würde vermutlich niemals gegeben sein. »Wir haben eine kleine Chance auf Erfolg«, meinte Jerry jetzt wieder »Ich persönlich nehme lieber einen eventuellen zweiten Tod auf mich, als mich diesen Bestien als Versuchskaninchen zur Verfügung zu stellen.« »Wie kommst du auf Versuchskaninchen?,« fragte Corry jetzt. »Hast du noch nicht bemerkt, wie man uns und unsere Reaktionen beobachtet? Man testet uns. Auf was, das kann ich nur vermuten; aber verlangt nicht, daß ich etwas darüber sage, denn mir fehlen jegliche Beweise, bis jetzt wenigstens.« »Sei still!« befahl Sammy. Khort Mal erschien im Gang. Von der Unterhaltung konnte er nichts gehört haben, denn dazu war er früh genug bemerkt worden. »Großer Khort Mal, verzeihe mir meine Neugier, aber ich hörte eben von meinem Freund Sammy, daß dein Schiff auf einem Planeten landen muß. Du wirst verstehen, wie besorgt ich bin, nicht nur um mein Wohl, sondern auch um das meiner Gastgeber. Begeben wir uns nicht in eine Gefahr? Gibt es vielleicht einen Feind, der uns vernichten könnte?« »Zu dieser Annahme besteht keinerlei Grund«, beruhigte Khort Mal Jerry. »Ich sagte schon, daß es einmal eine Rasse gab, die sich mit der unseren messen konnte; aber ich erwähnte auch, daß sie von uns geschlagen wurde. Nur der wirklichen Existenz kann das Universum gehören. Wir hatten einen langen Krieg mit der Rasse, die uns den Weg ins Universum versperren wollte. Für diesen Frevel haben wir sie bereits vor undenklichen Zeiten bestraft. Jetzt nähern wir uns ihrer ehemaligen Hauptwelt. Was uns dort zur Landung zwingt, weiß ich nicht, aber ich vermute, daß eine alte Abwehranlage der Wesen noch in Betrieb ist. Wir werden die Anlage zerstören und gleich wieder starten.« »Du hast mein bedrücktes Herz sehr erleichtert, großer Kommandant!« »Was auch immer jetzt geschehen mag, bis die Gefahr vorüber ist, dürft ihr euren Raum nicht verlassen! Haltet euch an diese Anweisung!« »Merkt ihr was?« fragte Jerry, als der Pfuthar wieder verschwunden war. »Ich merke eine ganze Menge; ich weiß nicht, was du gerade davon meinst«, antwortete Sammy. »Das liegt doch auf der Hand. Glaubt ihr wirklich, daß dieser Khort Mal so sorglos ist, wie er sich gibt? Ich nicht! Das große Imperium besitzt einen Feind, das erhöht unsere Aussichten auf Erfolg ungemein.« »Ich verstehe nicht, wieso«, antwortete Corinna.
»Der Herr segne deine Einfältigkeit«, spöttelte Sammy dazwischen. Er hatte begriffen, was Jerry vermutete. »Aber verstehst du denn nicht?« fuhr Jerry King fort, »es handelt sich um Feinde der Pfuthars, so wie wir auch welche sind. Es ist doch eine logische Folgerung, daß die Unbekannten dann eigentlich unsere Freunde sein müßten. Ein gemeinsamer Feind verbindet doch bekanntlich zwei Parteien.« Es blieb nicht verborgen, daß die Besatzung aufgeregt war. Bisher war immer angenommen worden, ein Pfuthar sei gar nicht in der Lage, so etwas wie Aktivität zu entwickeln. »Wie kommen wir jetzt hier heraus?« fragte Sammy. »Wir dürfen doch das Zimmer nicht verlassen!« »Das stört mich herzlich wenig. Wir haben sowieso nicht viel zu verlieren, aber alles zu gewinnen. Wir suchen uns den Weg zur Schleuse.« »Still, es kommt jemand den Gang herunter. Ich werde mit ihm reden«, flüsterte Sammy und trat hinaus. »Ist euch nicht befohlen worden, im Zimmer zu bleiben?« Wollte der Pfuthar wissen. »Ich habe eine Frage, mehr nicht. - Kannst du mir sie beantworten?« »Stakhmakhau kann jede Frage beantworten«, gab das Flaschenwesen zurück. »Frage!« »Wir sind sehr geängstigt. Sage uns, wann wird das Schiff landen?« »In der Zeit, die ihr eine Stunde nennt.« Stakhmakhau schien es eilig zu haben, denn er wartete eine Erwiderung gar nicht erst ab und verschwand. »Wenn er nun Verdacht geschöpft hat, dann kann es für uns gefährlich werden«, vermutete Jerry. »Warum hast du ihn das gefragt?« »Wir müssen doch wissen, wieviel Zeit uns noch zur Verfügung steht, um die Schleuse zu finden. Eine Stunde ist nicht viel. Los, kommt!« Jerry ging voran. Sie achteten darauf, keinem Pfuthar über den Weg zu laufen. So lautlos wie nur möglich arbeiteten die drei Erdenmenschen sieh Meter um Meter vor. Sie wußten nicht, wo sie mit der Suche beginnen sollten, sondern verließen sich einfach auf ihr Glück. Lange ging es geradeaus, dann kam eine Abzweigung. »Ich schaue im rechten Gang nach«, sagte Jerry. »Wartet hier, bis ich wiederkomme, und seid vorsichtig.« Er verschwand leise. »Ich habe Angst«, flüsterte Corry. Sammy ließ sich nicht anmerken, daß es ihm ebenso erging.
»Vorsicht!« zischte er und riß Corry in die Ecke. Das geschah keine Sekunde zu früh, denn eben erschien ein Pfuthar und verschwand genau in dem Gang, den Jerry eben genommen hatte. »Wenn man ihn nun sieht.« Corry weinte fast. Sammy biß sich auf die Lippen und schwieg. Die Minuten vergingen, aber vor ihnen blieb alles ruhig. * Entweder hatte Jerry die Gefahr früh genug erkannt, oder er war jetzt schon nicht mehr am Leben. »Kommt mit!« Sammy und das Mädchen fuhren herum und sahen sich Jerry King gegenüber. »Was ist? Wieso kommst du von einer anderen Seite?« verlangte Sammy zu wissen. Man merkte ihm an, wie erleichtert er war. »Nebensache! Verhaltet euch ruhig, ich habe die Schleuse gefunden. Den Öffnungsmechanismus kenne ich ebenfalls schon. Wir brauchen jetzt nur noch zu warten.« Dreimal mußten sie noch einem Pfuthar ausweichen, bis sie an eine Stelle kamen, die sich von den glatten Wänden der Gänge unterschied. Man konnte deutlich erkennen, daß in der Wand eine Öffnung war, die aber verschlossen war. »Eine Notschleuse!« kommentierte Jerry. »Versteckt euch, wir haben noch eine gute halbe Stunde.« »Noch sieben kleine Zeiteinheiten«, gab der Kommandant bekannt. Das entsprach etwa fünfzehn irdischen Minuten. Groß und unheimlich füllte die Oberfläche des Planeten die Bildschirme aus. »Wo ist Stakhmakhau?« Stakhmakhau war mißtrauisch geworden, nachdem er über die Frage nachgedacht hatte, die die Wesen ihm gestellt hatten. Warum wollten sie wissen, wann das Schiff landete? Dachten sie etwa an eine Flucht? Nein, das war unwahrscheinlich; aber Vorsicht war doch angebracht. So entschloß sich Stakhmakhau nachzusehen, ob die drei Menschen noch in ihrem Zimmer waren. Er eilte die Gänge zurück, die er gekommen war. Sie waren verschwunden! Das Zimmer war leer, und das jagte Stakhmakhau einen nicht geringen Schrecken ein. Sollte man die Menschen in ihrer Intelligenz doch unterschätzt haben? Er schien der erste zu sein, dem dieser Gedanke überhaupt kam. Man hätte vielleicht schon früher daran denken sollen.
Seine Erstarrung dauerte nur wenige Sekunden. Dann wußte er, was er zu tun hatte. Er rief die Zentrale an und unterrichtete den Kommandanten von den Vorfällen. Der war nicht minder erschrocken zeigte sich aber kaum beunruhigt. Es würde diesen Menschen niemals gelingen, das Schiff zu verlassen, wenn sie das vorhaben sollten. Dann überlegte Stakhmakhau, was weiter zu tun sei. Zu welcher Schleuse würden die drei sich begeben? Wohl zu der, die am nächsten war. Und das war Notschleuse 22. Dort mußte man sie zuerst suchen. Vielleicht kam man noch zur rechten Zeit. Bis die Verstärkung hiersein konnte, die Khort Mal zu schicken versprochen hatte, dürfte die Landung bereits erfolgt sein. Bis dahin waren es nur noch drei kleine Zeiteinheiten. * »Noch fünf Minuten, wenn es stimmt, was uns das Biest gesagt hat«, flüsterte Jerry. Die Spannung war mittlerweile bereits unerträglich geworden. Noch waren sie nicht entdeckt worden, aber das konnte jeden Augenblick geschehen. Es brauchte ja nur jemand zu früh zu bemerken, daß sie nicht mehr im Zimmer waren. Dann würde bestimmt sofort das ganze Schiff auf den Kopf gestellt werden. »Hoffentlich geht alles gut!« Corinnas Stimme zitterte. »Drei Pfuthars!« flüsterte Sammy. »Sie haben Waffen, und es scheint, als suchten sie uns. Aber bis jetzt haben sie uns noch nicht gesehen. Sie kommen direkt hierher.« »Jetzt ist alles aus!« Corry hatte zu laut gesprochen, doch die Pfuthars schienen es nicht gehört zu haben. »Still, nichts ist verloren! Solange es nur drei sind, werden wir schon mit ihnen fertig. Ich vermute nur, daß bald noch mehr hiersein werden. Laßt sie herankommen. Ich nehme den rechten; Sammy, du den linken.« »Und der dritte?« »Abwarten, Mädchen! Verhalte dich still, sie sind gleich hier.« Nur noch wenige Meter trennten sie voneinander. Man wagte kaum zu atmen. Langsam schwebten die Feinde näher, ihre Waffen schußbereit nach vorn haltend. Jerry ließ die drei erst vorbei, dann stieß er Sammy an und nickte ihm zu. Wie abgeschossen schnellten beide in einem gewaltigen Satz auf die Flaschenwesen zu. Es war ihr Glück, daß diese so schwerfällig reagierten, wie sie aussahen.
Jerry packte den einen. Er wußte nicht, wie man diese Wesen am besten unschädlich machte, deshalb faßte er blitzschnell den dünnen Hals und drückte fest zu - der Pfuthar fiel um. Während er sich dem übriggebliebenen Feind zuwandte, der immer noch wie erstarrt dastand, schrie er Sammy zu: »Hals zuschnüren! Anders kommst du ihm nicht bei.« Sammy mußte seine ganze Kraft aufwenden, ehe er es geschafft hatte aber da war Jerry auch schon mit dem dritten fertig. »Kommt in die Schleuse! Jede Sekunde können die anderen hiersein!« rief Jerry. Er faßte Corry und zerrte sie mit. Mit zwei Sprüngen standen sie vor der Innenschleuse. Mit fliegenden Fingern betätigte Jerry King den Kontakt - und langsam, viel zu langsam, schob sich die Wand zur Seite. »Rein, schnell!« Rief Jerry und drückte auf einen Knopf. Die Innenschleuse schloß sich wieder - und da kam auch schon eine ganze Horde Pfuthars um die Kurve gerannt. Sie sahen die Menschen durch die transparente Wand und eröffneten sofort das Feuer. Die Wand aber hielt dem Beschuß stand. Ein Feuerorkan prasselte gegen sie, erreichte sie jedoch nicht. Es begann nur warm zu werden in dem kleinen Raum. Jetzt mußte die äußere Tür sich endlich öffnen, sonst war es zu spät. Die Temperatur stieg schnell, und die Sekunden schlichen dahin. Die Zeit der Landung war erreicht. Hoffentlich hatte der Pfuthar seine Auskunft richtig gegeben, sonst kamen sie nicht mehr lebend aus dem Schiff heraus. Niemand hatte sich bisher die Frage gestellt, was draußen auf sie wartete. Aber selbst wenn es der Tod war, so hätte es kein Zögern gegeben. Jerry sandte ein stilles Stoßgebet zum Himmel, und im gleichen Augenblick entstand hinter ihm ein Spalt. Die Außenschleuse öffnete sich! »Raus!« Brüllte Jerry, und im gleichen Augenblick zischte ein reiner Energiestrahl dicht über seinen Kopf hinweg - die innere Wand hatte nachgegeben. Sie sprangen gleichzeitig in die Dunkelheit. Glücklicherweise war der Fall nach ungefähr drei Metern zu Ende. Jerry gab den beiden Kameraden keine Zeit, sich zu besinnen. Er faßte das Mädchen und rannte los. Sie mußten schnell einen möglichst großen Zwischenraum zwischen sich und das Schiff bringen. Etwas Helles blitzte auf, während er rannte. Ein Schwall heißer Luft schlug Jerry entgegen. Man eröffnete von der Schleuse aus das Feuer.
Weitere Schüsse folgten. Glücklicherweise trafen sie aber auch nicht. Immer weiter lief Jerry mit Corinna in die Dunkelheit hinein. Die Richtung spielte keine Rolle, solange sie nur vom Schiff wegführte. Wohin Sammy gelaufen war, wußte er nicht. Jetzt wurde wieder geschossen, aber diesmal nicht vom Schiff aus. Der unbekannte Feind der Flaschenwesen begann sich zu regen. Woher der Schuß kam, war nicht festzustellen. Er war einfach da, mitten aus dem Nichts heraus. Das Schiff war in blendende Helligkeit getaucht. Jetzt war es zum erstenmal möglich, es in seiner ganzen Größe zu sehen. Der Atem stockte Jerry, als er den Koloß sah. Er besaß die Form einer überdimensionalen Zigarre, um die sich spindelförmig ein dicker Wust zog Wieder wurde das Schiff getroffen, wieder war die Nacht für Sekunden zum hellen Tag geworden. »Wir müssen weiter! Wenn das Schiff in die Luft fliegt, sind wir geliefert«, drängte Jerry. Dann nahm er Corry wieder an der Hand, und sie rannten weiter. Sie mußten wohl eine halbe Stunde lang gelaufen sein, als sie beide einfach nicht mehr konnten. Die letzten Kraftreserven waren verbraucht. Erschöpft sanken sie zu Boden. Aber ein Blick zurück zeigte, daß sie vermutlich außer Gefahr waren. Das Schiff war jetzt gut sechs Kilometer entfernt. »Leg dich flach auf den Boden!« Befahl Jerry King. Es war ein grausam-schönes Schauspiel, das sich ihren Augen bot. In ununterbrochener Folge hüllten die Schüsse aus dem Nichts das Schiff jetzt ein. »Lange kann es nicht mehr dauern, bis es explodiert«, vermutete Jerry, und er sollte recht behalten. Es schien, als blähe das Schiff sich auf, und dann zerplatzte es in einer furchtbaren Explosion. Geblendet schlossen beide für einen Moment die Augen. Dann folgte eine Druckwelle ungeheuren Ausmaßes. Verzweifelt krallte der Mann sich mit einer Hand in dem Gras fest und hielt mit der anderen das Mädchen. »Vorbei!« sagte er schließlich, als sich die Luft nach einigen Minuten wieder beruhigt hatte. »Unseren Feind gibt es nicht mehr.« * Als King erwachte, war die Landschaft in helles Tageslicht getaucht. Er war zufrieden mit dem, was er sah. Strahlend blauer Himmel wölbte sich
über ihm, und eine große weiße Sonne war eben über den Horizont gestiegen. Der Erdenmensch erhob sich und betrachtete seine neue Heimat. Vor ihm lag eine weite Ebene, die mit hellgrünem, knöchelhohem Gras bewachsen war. Nur vereinzelte Buschgruppen waren zu sehen, und weiter vorn zeugte ein großer Krater davon, daß in der Nacht hier ein Kampf stattgefunden hatte. Neben ihm lag das Mädchen; aber Sammy war nirgends zu sehen. Mehrmaliges Rufen war in der Nacht ohne Erfolg geblieben. Es war immerhin möglich, daß dem Kameraden etwas zugestoßen war, aber ebensogut konnte es sein, daß es ihm gelungen war, sich in Sicherheit zu bringen. Sanft rüttelte Jerry das Mädchen wach. »Komm, Corry, wir müssen Sammy suchen.« Müde streckte sie sich. Sie hatte sich mittlerweile daran gewöhnt, daß sie immer noch ihr Nachthemd trug. Es machte ihr nichts mehr aus. »Ist es hier nicht herrlich?« fragte sie und sah sich weiter um. »Ja, wir haben ungeahntes Glück gehabt«, stimmte Jerry zu. »Es ist wirklich eine sehr schöne Welt. Aber jetzt laß uns Sammy suchen!« »Hoffentlich ist ihm nichts Ernstliches passiert.« »Das hoffe ich auch nicht, aber wir müssen mit dem Schlimmsten rechnen«, bereitete Jerry King das Mädchen vor. Er selbst glaubte kaum, daß man den Kameraden lebendig wiederfand. Zusammen machten sie sich daran, die nähere Umgebung abzusuchen. Zuerst schauten sie sich in der Nähe des Kraters um. Wenn Sammy zur Zeit des Beschusses hier in der Nähe gewesen war, dann bestand kaum eine Aussicht, ihn noch lebend zu finden. Sie entdeckten keine Spur von ihm. Das ließ zwei Möglichkeiten offen Die erste war, daß Sammy voll von der Explosion getroffen worden war und daß es ihn einfach nicht mehr gab. Und die andere, daß er in eine andere Richtung gelaufen war und eine größere Entfernung zurückgelegt hatte, als sie, dachten. »Laß uns die weitere Umgebung absuchen«, schlug das Mädchen nach über einer Stunde ergebnisloser Suche vor. Das ebene Gelände gestattete einen weiten Ausblick, Man konnte immer ein gutes Stück übersehen, und einen menschlichen Körper hätte man aus einiger Entfernung bereits erkennen müssen. Trotzdem dauerte die Suche so lange, bis die Sonne hoch am Himmel stand. Erfolg hatte sich nicht gezeigt.
»Ich glaube fast, wir finden Sammy nicht mehr«, sagte Jerry enttäuscht und auch von Trauer erfüllt. Der Gedanke, einen Freund verloren zu haben, war nicht gerade angenehm. »Jetzt suchen wir über fünf Stunden; ich glaube, jeden Fleck haben wir uns bereits zweimal vorgenommen«, meinte Corry niedergeschlagen. »Ich hätte gute Lust, es aufzugeben«, schlug Jerry vor, aber da stieß er auf den Widerstand des Mädchens. »Wir suchen weiter!« sagte sie so bestimmt, daß Jerry nichts anderes übrigblieb, als weiterzumachen. Vielleicht lag Sammy doch noch irgendwo schwer verletzt und würde sterben, wenn er keine Hilfe bekam. Erst als es erneut dunkel wurde, beendeten die beiden endgültig ihre Suche. Sammy war tot, daran konnte jetzt kein Zweifel mehr bestehen. »Ich habe Hunger«, seufzte das Mädchen. »Glaube ich dir«, erwiderte Jerry, »mir geht es nicht viel besser. Gleich morgen früh werden wir uns etwas zu essen suchen.« Dann war Stille. Corry starrte vor sich hin, und Jerry hing seinen Gedanken nach. Sie hatten eine neue Heimat gefunden, aber Sammy verloren. Der Planet hatte seinen ersten Tribut gefordert. * Wieder war eine Nacht herum. Jetzt wurde es Zeit, sich auf den Weg zu machen und etwas zu essen zu suchen Jerry nahm Corry an der Hand und schickte sich an, den kleinen Hang hinaufzusteigen. Reichlich erschöpft standen sie schließlich oben, aber das Bild, das sich ihren Augen bot, übertraf die kühnsten Erwartungen. Das Gelände war wieder eben, soweit man sehen konnte, aber im Hintergrund, einige Kilometer entfernt, erhob sieh eine Stadt, die in den Himmel zu wachsen schien. Die Häuser wirkten wie Türme, und es gab sogar vollkommen freischwebende Straßen. Sie führten in allen Höhen um die Gebäude herum und teilweise auch hindurch.. »Was für eine Stadt!« Hauchte Corry andächtig. »Wer mag sie erbaut haben?« »Wohl die Bewohner dieses Planeten, wer sonst? Komm, wir gehen hin!« »Du willst…?« »Natürlich will ich hingehen. Einmal müssen wir ja mit den Leuten hier Kontakt aufnehmen - und je früher, desto besser. Übrigens scheint hier etwas nicht zu stimmen. Eine solche Stadt müßte doch von Leben
wimmeln, und das müßte auf diese Entfernung deutlich zu erkennen sein. Aber da ist gar nichts! Es scheint fast, als sei sie tot.« Es gab wirklich nichts, was auf Leben hindeutete. Vielleicht war die Stadt wirklich ausgestorben. »Dort vorn ist eine breite Straße«, machte Jerry seine Begleiterin aufmerksam, »und soviel ich erkennen kann, führt sie direkt in die Stadt.«
5. Kapitel Sammy konnte den Sprung aus der Schleuse geschickt abfedern. Er kam gleich auf die Füße und hörte, wie Jerry rief: »Weg hier!« Dann lief Samuel Connory so schnell er konnte. Wenn es doch bloß nicht so dunkel wäre! Man konnte ja die Hand nicht einmal vor Augen sehen. Wohin wandte sich ein Flüchtender? Er schlug doch geradewegs die Richtung ein, die ihn am schnellsten vom Schiff wegbrachte. Das war gerade die falsche Richtung, folgerte Sammy, denn in diese würden die Feinde schießen. Deshalb hielt er sich in weiser Voraussicht nach rechts und entfernte sich im Winkel von fünfundvierzig Grad vom Schiff. Die Pfuthars schossen tatsächlich geradewegs nach vorn in die Dunkelheit. Dort waren beim Aufblitzen der Schüsse für einen Sekundenbruchteil die Umrisse von Jerry und dem Mädchen zu erkennen. Dann lief Sammy weiter, aber er hatte nicht damit gerechnet, daß bald jemand auf den Feind schoß. Als der erste Schuß fiel und den Raumer einhüllte, war Sammy erst wenig mehr als zweihundert Meter entfernt. Eine ungeheure Hitzewelle fegte ihn für einen Moment zu Boden. Sofort war er jedoch wieder auf den Beinen und lief in der alten Richtung weiter. Erneut fielen Schüsse aus dem Nichts. Sammy stellte mit Befriedigung fest, daß es hier doch noch Wesen geben mußte, die über eine sehr hohe Technik verfügten. Durch einen Blick zurück überzeugte er sich davon, daß zwischen ihm und dem Schiff jetzt mindestens schon ein Kilometer lag. Aber auch diese Entfernung genügte Sammy nicht. Genau wie Jerry folgerte er, daß bei einer eventuellen Explosion des Raumschiffes von ihm selber nicht mehr viel übrigbleiben konnte. Warum war es nur so dunkel? Man vermochte sich nur in den Augenblicken zu orientieren, wenn einer der Schüsse die Nacht erhellte.
Mehrmals mußte Samuel Connory seine Richtung korrigieren. Das hielt ihn natürlich auf, und so wurde er von der Detonation völlig überrascht. Sammy fühlte sich von unsichtbaren Gewalten angehoben und fortgetragen. Wie weit er durch die Luft gewirbelt wurde, war nicht festzustellen. Es mußten etliche Sekunden vergangen sein, als er plötzlich einen harten Schlag am Kopf verspürte. Dann war Nacht um ihn. * Die Stadt war doch weiter entfernt, als es im Anfang aussah. Mindestens fünf Kilometer hatten Jerry und das Mädchen schon zurückgelegt, und sie war erst unmerklich näher gekommen. Die Straße zog sich endlos hin, schnurgerade und eintönig. Sie bestand aus einem Material, das aussah wie Glas. Es gab weder Fugen noch die geringste Unebenheit. Jerry marschierte mit bewundernswerter Ausdauer und spornte damit auch das Mädchen zu größeren Leistungen an. Die Spannung, was man in der Stadt vorfinden würde, wuchs immer mehr. Plötzlich blieb Jerry stehen und deutete zur Seite. »Was hast du entdeckt?« Wollte Corry wissen. »Da, sieh selbst. Wenn mich nicht alles täuscht, dann haben wir einen Gemüsegarten vor uns, wie er im Buche steht.«« Einige Meter seitlich der Straße schien es wirklich Beete zu geben. Verschiedene unbekannte Gewächse waren da fein säuberlich in Reihen angepflanzt. Langes Herumstehen brachte sie hier nicht weiter, und vor allem wurde ihr starker Hunger nicht gestillt. Entschlossen riß Jerry eine der Pflanzen aus. Es kam eine Knolle zum Vorschein, die mit einer Kartoffel große Ähnlichkeit hatte, wenn man von der roten Farbe absah. Einige Sekunden überlegte er, ob es zu verantworten wäre, die Frucht zu kosten. »Was wird wohl der Eigentümer sagen, falls er uns hier sieht?« fragte Corinna. »Was soll er schon sagen? Ich kenne zwar die hiesigen Gesetze nicht, aber seinen Hunger zu stillen, wird sicher erlaubt sein.« Ohne zu zögern biß Jerry in eine Knolle. »Und wenn sie nun giftig ist?« fragte Corry ängstlich. Jerry kaute. »Das ist eben das Risiko, das wir auf uns nehmen müssen. Übrigens schmeckt sie ganz gut und ich merke nichts von einem Gift.« Nach einigen Minuten fühlte er sich immer noch wohl. Langsam verlor das Mädchen die Scheu und nahm sich auch eine Knolle.
Sie schmeckte mehr nach Apfel als nach Kartoffel. »Wollen wir nicht mal etwas anderes versuchen?« fragte Corry. »Wir können doch nicht dem Besitzer das ganze Beet leeressen.« Schon stand sie vor einem kleinen Busch, an dem blaue Kirschen wuchsen. Corry nahm eine und biß hinein. »Pfui Teufel, das schmeckt ja ekelhaft!« Rief sie und begann zu spucken. »So was kann man doch nicht essen. Faule Eier sind ein Genuß dagegen.« Jerry fuhr herum. »Wirf das Zeug weg, wir wollen das Schicksal nicht herausfordern. Zu leicht könnten wir wirklich an Gift geraten. Halten wir uns an das, was wir kennen,« »Ja, aber…« »Kein Aber!« Jerry stutzte. »Moment mal, da ist was!« Er hatte ein Geräusch gehört und drehte sich um. Ein seltsames Fahrzeug hielt oben. Es konnte ein Auto sein, aber die Räder fehlten. Kurze Zeit später standen sie dem ersten Bewohner dieser Welt gegenüber. Er unterschied sich auf den ersten Blick in nichts von einem Menschen. Nur die Kleidung war anders, etwas mittelalterlich vielleicht. Schweigend sahen sich die Vertreter zweier Rassen an. Jerry fühlte, daß diesem Augenblick historische Bedeutung beigemessen werden mußte. Schließlich öffnete der Fremde seinen Mund und sagte ein paar unverständliche Worte. Durch Gesten machte Jerry seinem Gegenüber klar, daß er nicht verstanden hatte. Er zeigte auf sich selbst und sagte: »Jerry King!« Dann machte er die Bewegung des Essens und sagte: »Essen, Hunger!« Der Mann nickte verstehend. Ein Leuchten des Erkennens ging über sein Gesicht. Er deutete auf sich selbst und sagte: »Armon!« Dann meinte er: »Jerkin esse hunger!« Er machte unmißverständlich klar, daß man ihm folgen solle. »Ich glaube nicht, daß wir viel zu befürchten haben«, meinte Corry. »Aber was mag man von uns wollen?« »Das werden wir ja sehen; warten wir erst einmal ab.« »Armon«, sagte der Fremde wieder und deutete dann auf sein Auto und anschließend auf die Stadt. »Lasse moto rim, Atelania«, sagte er. »Er will uns klar machen, daß wir einsteigen sollen, um ihm in die Stadt Atelania zu folgen«, vermutete Jerry. »Und du denkst, wir sollten es wagen?« Das Mädchen schien dem Frieden nicht so recht zu trauen.
»Warum nicht? Einmal müssen wir ja Verbindung mit der Rasse hier aufnehmen. Es bleibt uns jetzt kaum etwas anderes übrig, als eventuelle Risiken in Kauf zu nehmen.« Der räderlose Wagen fuhr so sanft an, daß man es kaum bemerkte. Er hob sich wenige Zentimeter vom Boden, als schwebe er auf einem Luftkissen. Jerry zerbrach sich den Kopf über die Art des Antriebes. Ein Luftkissen war es nicht. Wahrscheinlicher schien eine Art Magnetfeld oder ähnliches. Schweigend saß Armon am Steuerpult, sofern man die beiden Hebel als solches bezeichnen konnte. Es schien für den alten Mann alltäglich zu sein, mit dieser wahnwitzigen Geschwindigkeit durch die Straßen zu fahren. »Armon nimmt sich seltsam aus«, bemerkte das Mädchen, »er paßt in seiner ganzen mittelalterlichen Art nicht zu dem Wagen. Es sieht übertrieben so aus, als steuere ein alter Ägypter einen modernen Turbo.« Die Stadt war schnell erreicht, und Jerry sollte aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. »Da stimmt doch etwas nicht, die Stadt wirkt ja vollkommen verfallen, so, als hätte man schon seit Jahrhunderten nichts mehr für ihre Instandsetzung getan. Ich bekomme immer mehr den Eindruck, daß die Menschen eigentlich gar nicht hierher gehören dürften » Die Theorie hatte etwas für sich, das fiel auch Corry sofort auf. Die Menschen paßten nicht in das Gesamtbild. Das sah man, ohne viel von der hiesigen Entwicklung zu wissen. Aber wenn nicht diese Leute, wer hatte dann dieses gewaltige Zeugnis einer Übertechnik geschaffen? Von allein war es nicht aus dem Boden geschossen. Das Mädchen teilte Jerry ihre Meinung mit. Der nickte zustimmend. »Du hast recht, und wenn du mich fragst, wer das hier«, Jerry machte eine umfassende Bewegung, »erbaut hat, dann kann ich mich nur auf Vermutungen stützen.« »Und die wären?« »Es handelt sich bei diesen Menschen um die degenerierten Nachkommen einer einst sehr hochstehenden Rasse. Was wir hier sehen, sind die Überreste ihrer Kultur. Vergiß dabei auch nicht, daß Khort Mal etwas von einer mächtigen Rasse sagte, die hier einst ihre Hauptwelt hatte. Alles deutet darauf hin, daß diese Menschen hier ihre überlebenden Nachkommen sind.« Noch ahnte Jerry nicht, wie recht er mit seiner Vermutung hatte. Die Menschen, denen man begegnete, machten durchweg den Eindruck, als gehörten sie in ein früheres Jahrhundert. Im Gegensatz zu den Bauten
dieser geradezu irrsinnigen kühnen Architektur wirkten sie primitiv. Der Wagen paßte ebensowenig in das Bild, aber er war nach Jerrys Meinung mit Sicherheit ein Überbleibsel aus der Vergangenheit. Die vielen Fragen blieben vorerst noch unbeantwortet. Eine Erklärung würde es erst dann geben, wenn ein wirksamer Weg zur gegenseitigen Verständigung gefunden war. Armon bog nun von der großen Hauptstraße ab und, ohne die Geschwindigkeit zu verringern, befand er sich plötzlich auf einer schmalen, frei schwebenden Hochstraße. Ein Geländer gab es nicht, und jeden Moment konnte es geschehen, daß der Wagen mit seinem irrsinnigen Tempo über den Rand hinausschoß und in die Tiefe stürzte. Man befand sich jetzt in hundert Meter Höhe, und es ging immer noch bergauf. Entweder war Armon ein Fahrer mit geradezu artistischen Fähigkeiten, oder es gab eine andere Einrichtung, vielleicht einen Leitstrahl, der es verhinderte, von der Fahrbahn abzukommen. Es tauchten immer neue Gebäude auf, die sich teilweise bis in zweihundert Meter Höhe erstreckten. »Man könnte meinen, der kleinste Windstoß müßte genügen, um alles hier wie ein Kartenhaus zusammenfallen zu lassen. Im Gegensatz zu der Höhe ist die Grundfläche der Bauten geradezu lächerlich gering. Alles hier ist ein einziger Widerspruch. Stell dir vor, wie es aussehen würde, wenn die alten Ägypter in den Wolkenkratzern Manhattans lebten und mit Turbos durch die Gegend sausen würden.« Corry hatte zweifellos einen guten Vergleich gefunden. Jerry wagte nicht, daran zu denken, welche Überraschungen ihnen hier noch bevorstanden. Endlich ging es wieder bergab und auch das Tempo wurde geringer. Der Wagen steuerte in eins der Gebäude hinein und hielt an. »So, ich glaube, jetzt sind wir da«, meinte Jerry. Armon gab seinen Gästen durch Zeichen zu verstehen, daß es Zeit sei, auszusteigen. Er führte sie in eine zur ebenen Erde liegenden Wohnung. Die Einrichtung bestand aus einfachen, grob gezimmerten Möbeln, die mit primitiven Werkzeugen hergestellt sein mußten. »Tuttan kotta lausbi«, sagte Armon und bot seinen Gästen Platz an. »Wir sollen uns vermutlich setzen«, sagte Jerry und nahm in einem der notdürftig gepolsterten Sessel Platz Armon verschwand in einem anderen Zimmer und gab seinen Gästen somit etwas Zeit, sich umzusehen. Nach wenigen Augenblicken war er wieder da, aber jetzt trug er drei seltsame kleine Geräte in der Hand Sie hatten gewisse Ähnlichkeit mit
Kopfhörern und schienen auch welche zu sein. Armon streifte sich ein solches Ding über die Ohren und deutete Jerry und Corry an, es ihm gleich zu tun. Jerry wußte zwar nicht, was das bedeuten sollte, aber vielleicht lag in diesen Geräten eine Möglichkeit zur Verständigung. Trotzdem zuckte er regelrecht zusammen, als er feststellen mußte, daß seine Vermutung sich bestätigte. Ganz deutlich war Armons Stimme zu hören, und sie klang verständlich, als spräche er perfektes Englisch. »Ich grüße euch, Fremdlinge, die ihr aus dem Himmel gekommen seid, in der vergangenen Periode des verschwundenen Lichtes.« Mit »verschwundenem« Licht konnte nur die Nacht gemeint sein. »Du weißt also, daß wir mit einem Raumschiff kamen, Armon? Was hat das zu bedeuten, wieso können wir plötzlich deine Sprache verstehen?« »Es ist nicht die Sprache an sich, die verstanden wird«, kam es zurück, »es, sind vielmehr die Gedanken, die an keine Sprache gebunden sind. Doch sagt mir, Fremdlinge, was ist ein Raumschiff?« »Raumschiffe sind große Fahrzeuge, die sich von Stern zu Stern bewegen«, erklärte Jerry seinem Gastgeber. »Ein schwarzer Gott also«, sagte Armon fast andächtig, »ihr seid mit einem schwarzen Gott aus dem Himmel gekommen.« »Woher wußtest du von unserer Ankunft?« »Das Auge Atelians hat es mir offenbart«« lautete die Antwort. »Wer ist Atelian?« »Das wißt ihr nicht?« Armon war erstaunt. »Ihr wißt nicht, wer Atelian ist? Er ist der Allmächtige, der in dem großen ›Tempel der Zukunft‹ wohnt. Man wird euch diesen Tempel noch zeigen.« »Wir danken dir für deine Gastfreundschaft«, sagte Jerry, der endlich eine Möglichkeit sah, sich die vielen Fragen beantworten zu lassen. »Sage uns, Freund, wo wir uns befinden » »Dies ist die Stadt Atelania. Ihr seid zu uns Mendas aus den Sternen gekommen, wie es die Sage verheißt.« »Verzeihe uns unsere Unwissenheit; aber erzähle uns von dieser Sage.« »In der Sage heißt es«, begann Armon, »daß unser Volk vor sehr langer Zeit einmal mächtig und groß war Es herrschte über viele Sterne. Es hat aber dem Gott Atelian gefallen, uns die Macht, die wir einst besaßen, wieder zu nehmen. Wir sollten erst dann wieder mächtig werden, wenn eines Tages der GROSSE kommt und uns den Weg zeigt, der verlorenging. Der GROSSE soll uns dann mit Hilfe Atelians wieder zu Macht und Wohlstand führen.«
Aus den Andeutungen ging hervor, daß Armon in Jerry diesen GROSSEN zu sehen glaubte. Das Warum konnte Jerry nur ahnen. Wahrscheinlich lag es daran, daß ihnen die Flucht aus dem Raumschiff gelungen war. Jetzt nahm Armon die Geschehnisse der letzten Nacht als Zeichen Atelians hin und glaubte, der verheißene GROSSE sei gekommen. »Darf ich meinen Gästen erst einmal etwas zur Stärkung anbieten?« fragte Armon, und dieses Angebot wurde gern angenommen. Armon brachte kurz darauf Schalen mit den verschiedensten Speisen. Darunter waren auch die blauen Kirschen. Corry verzog das Gesicht und meinte: »Diese Dinger kenne ich schon, ich habe sie probiert, als du uns fandest. Sie sind für uns nicht eßbar.« »Das mag schon stimmen, denn ihr habt die Sarons gegessen, wie sie am Strauch wuchsen. Ihr konntet ja nicht wissen, daß man sie nur gekocht genießen kann. Etwas mißtrauisch griff Jerry zu und biß in eine dieser sogenannten Saron-Früchte hinein. »Das schmeckt ja wie Würstchen«, kaute er, »jetzt fehlt nur noch der Senf.« Aber Senf gab es hier nicht. * Später, am Abend, saßen Armon und seine Gäste auf einer Terrasse. Von hier aus hatte man einen guten Ausblick auf die nächste Umgebung, besonders auf die Straßen. Bei einem Glas Boo, einem schmackhaften, belebenden Getränk, unterhielten sie sich. »Ja«, meinte Armon schließlich, »unsere mächtigen Vorfahren bauten einst diese Stadt. Von ihnen stammen viele Dinge, die wir heute noch in Gebrauch haben. Wir selber sind nicht in der Lage, alle diese Dinge zu konstruieren, aber das brauchen wir auch nicht, denn sie gehen niemals kaputt.« Sie waren also praktisch unzerstörbar. Ein weiteres Zeichen dafür, wie weit die Technologie der Alten fortgeschritten sein mußte. »Sie benötigen aber doch Energie für den Betrieb; wo kommt die her?« wollte Jerry wissen. »Auch das weiß ich nicht, mein Freund. Wir machen uns auch, ehrlich gesagt, keine Gedanken darüber.«
Im Laufe des Abends klärten sich viele von Jerrys Fragen auf. Man war bereits in der Lage, sich ein schwaches Bild von der hier lebenden Rasse zu machen. Im Laufe der Jahrtausende mußten die Mendas degeneriert sein. Armon konnte darüber nichts sagen, aber einen dementsprechenden Schluß zu ziehen, dazu gehörte nicht sonderlich viel Intelligenz. Einige Errungenschaften dieser Alten waren bis heute erhalten geblieben. Das Wissen über ihre Funktionsweise war verlorengegangen. Man konnte diese Dinge bedienen, und das war alles, mehr brauchten die bescheidenen Leute nicht. Was es aber mit diesem seltsamen Gott Atelian auf sich hatte, blieb vorerst ungelöst. Hinter dieser Gestalt verbarg sich zweifellos ein Mythos. Das sogenannte »Auge Atelians« wurde Jerry und dem Mädchen gezeigt. Es war nichts weiter als ein Fernsehschirm. Wahrscheinlich hatte eine noch intakte Kamera den Vorgang der letzten Nacht aufgenommen. Viele haben versucht, in den Tempel der Zukunft einzudringen«, schwenkte Armon jetzt auf ein anderes Thema über, »es ist keinem gelungen. Niemand kam je zurück. Nur der Berufene wird die Tore des Tempels öffnen können. Wirst du, Jerry King, es versuchen?« Jetzt war es heraus. Das Gespräch war auf dem Punkt angelangt, auf dem Armon es haben wollte. Jerry gab nicht sofort eine Antwort auf diese Frage. Zwar wollte er wissen, was es mit dem Tempel auf sich hatte, der zweifellos etwas verbarg. Er war entschlossen, etwas zu unternehmen, aber dann würde man ihn für den GROSSEN halten. »Ich weiß noch nicht, vielleicht«, sagte Jerry, »kann ich dabei auf deine Hilfe rechnen?« Armon nickte. »Ja, das kannst du, aber es wird trotzdem nicht leicht sein. Mortos darf nichts davon erfahren, er ist gefährlich. Mortos ist der Hohepriester des Soobkaa-Klans«, erklärte Armon, »sie sind gegenüber uns Atelianen weit in der Mehrzahl. Ihr müßt euch vor ihnen verborgen halten, denn die Soobkaas besitzen die Macht hier Sie halten es für ihre Aufgabe, den Tempel der Zukunft vor jeglichen Eindringlingen zu schützen. Sie glauben nämlich, daß an dem Tag, an dem der Tempel geöffnet wird, Atelian ein furchtbares Strafgericht kommen lassen wird Obwohl kein Soobkaa wirklich an die Sage glaubt, haben doch alle Angst davor, daß sie sich eines Tages erfüllen könnte. Manchmal meine ich, sie wissen selber nicht, woran sie glauben. Wir Atelianen aber wissen, daß die Soobkaas sich irren. Sie fürchten nur um ihre Macht.« In diesem Augenblick ertönte von der Straße her ein dumpfer, monotoner Gesang, der sich langsam näherte
Schnell erhob sich Armon und nahm seine Gäste mit ins Haus. »Was soll das?« Verlangte Jerry zu wissen. »Was ist das für ein komischer Gesang?« »Das sind die Soobkaas, sie halten wieder eine ihrer Prozessionen ab«, erklärte Armon. »Es muß etwas geschehen sein, was diese Prozession veranlaßte. Kein Ateliane darf sich dabei zeigen, denn wenn man ihn erblickt, ist er verloren. Gegen diese Willkür können wir uns nicht zur Wehr setzen, denn wir sind zu wenige.« Der Gesang klang unheimlich dumpf und schleppend. Der Schein der Fackeln drang bis hier herauf. »Das müßte Sammy noch erleben können«, sagte Jerry zu dem Mädchen. »Wer ist Sammy?« fragte Armon. »Ein Kamerad, der gestern auch mit uns kam. Er ist leider tot.«
6. Kapitel Wie lange Samuel Connory in dem engen Loch gelegen hatte, wußte er nicht. Er sah nur, daß es Tag war und verspürte furchtbare Kopfschmerzen. Durch die enge Öffnung fiel helles Sonnenlicht herein. Was war geschehen? Er überlegte eine Weile. Es kostete viel Energie, sich zu konzentrieren. Dann fiel es ihm wieder ein. Es war Nacht gewesen, er war gelaufen, um aus dem Bereich die Explosion zu kommen. Anscheinend hatte er es aber nicht mehr ganz geschafft, denn die Druckwelle des auseinanderfliegenden Raumschiffes hatte ihn erfaßt und fortgeschleudert. Sammy verspürte Hunger, aber noch viel schlimmer war sein Durst. Die Kehle war wie ausgedörrt und brannte bei jedem Atemzug wie Feuer. Erst jetzt fiel ihm auf, daß er blutete. In seinem rechten Arm klaffte eine tiefe Fleischwunde, aber seltsamerweise empfand er keine Schmerzen. Wie kam das? Verwundert erhob sich Sammy, und gleich darauf begann sein Arm wehzutun. Es war nicht schlimm, aber jede Sekunde wurden die Schmerzen größer. Er legte sich wieder so hin, wie vorher, und der Schmerz ließ nach. Erst als er das mehrmals wiederholt hatte, kam ihm die Idee, den Boden zu untersuchen. Dort war nur ein Ast mit kreisrunden Blättern gelblicher Färbung, darauf hatte der Arm gelegen. Er erhob sich nochmals. Als die Schmerzen wieder einsetzten, riß Sammy einige Blätter ab und preßte sie auf die Wunde. Der Erfolg stellte sich
augenblicklich ein. Die Blätter besaßen eine schmerzstillende Wirkung. Samuel Connory richtete sich ganz auf. Ewig konnte er hier nicht liegenbleiben. Eine dünne Liane hing herunter. Sammy löste einen Meter davon, legte einige Blätter auf den Arm und band die Liane herum. Das war eine anstrengende und zeitraubende Prozedur, denn mit einer Hand ließ sich nicht viel ausrichten. Als nächstes mußte er aus diesem Loch heraus. Wenn er sich aufrichtete, ragte sein Kopf gerade aus der Öffnung hervor. Sammy griff mit der gesunden Hand über den Rand der Öffnung, stützte sich auf und stieß sich mit den Beinen ab. Erst beim dritten Versuch glückte es ihm, sich hochzustemmen Er kam halb auf dem Rand zu liegen und zog sich zentimeterweise aus dem Loch. Er hatte es fast geschafft, da sah er eine Bewegung vor sich. »Hallo, Jerry!« rief er, in dem Glauben, seinen Kameraden vor sich zu haben, aber das erwies sich als ein Irrtum. Der Mann war nicht Jerry, sondern ein eigenartiger Fremder. Wo waren seine beiden Freunde geblieben? Hatten sie nicht nach ihm gesucht? Doch, sie mußten es getan haben, aber vermutlich hatten sie nicht in das Loch geschaut, wenn sie das Loch überhaupt gesehen hatten. Wo kam aber dieser Fremde her? Jetzt, als Sammy sich aufgerichtet hatte, konnte er ihn richtig betrachten Es war nichts Ungewöhnliches, wenn man von der Kleidung absah. »Rabol gatte serti lorg om«, sagte er. Sammy zuckte mit den Schultern. Er verstand nicht, aber etwas anderes begriff er: Hier stand ein Eingeborener dieses Planeten vor ihm. »Sargas!« Stellte der Mann sich vor, indem er auf sich zeigte. »Samuel Connory«, sagte Sammy und machte die gleiche Geste. Dann deutete er auf seinen Arm und sagte »verletzt.« Sargas verstand. Er nickte. »Sargas Samcon gatte serti tutt«, meinte er und drehte sich um, um davonzugehen. Das deutete Sammy als eine Aufforderung, ihm zu folgen und lief hinterher. Hinter einem Gebüsch verborgen kam ein Fahrzeug ohne Räder zum Vorschein. Der Fremde holte einen Kopfhörer daraus hervor. Er reichte ihn Sammy, der ihn sich aufsetzte. »Fremdling«, erklang es in Sammys Gehirn, »du kannst mich jetzt verstehen. Ich bin Sargas, Priester der ehrwürdigen Soobkaas, ich bemerkte zufällig, wie du dich bemühtest, aus dem Loch zu klettern. Du mußt von
weither kommen, daß du meine Sprache nicht verstehst. Wenn du jetzt mit mir sprechen willst, mußt du zuerst den Übersetzer zurückgeben. Sammy gab das Ding zurück und fragte: »Sargas, sage mir, wieviel Zeit vergangen ist, seit das Raumschiff explodierte!« Ohne zu verstehen gab dieser Sammy den Übersetzer zurück. »Was ist ein Raumschiff?« Hörte Sammy die Frage, »Vor zwei Tagen wurde von Atelian, unserem Gott, ein schwarzer Gott vernichtet. Ist es das, was du meinst?« »Ja, vermutlich. Mit diesem schwarzen Gott kamen noch zwei Fremde wie ich. Wo sind sie?« »Ich weiß es nicht, denn bisher war nicht bekannt, daß Fremde mit dem schwarzen Gott kamen. Wenn das so ist, wird man sie gefunden haben. Ich werde mich danach erkundigen. Doch jetzt folge mir, ich werde dich mit meinem Hooter nach Atelania bringen.« * Der Mann, der durch die Straßen eilte, fiel keinem auf. Er war ein Soobkaa-Priester, und das war nicht ungewöhnlich. Man sah die Priester des Klans immer und überall, und man fürchtete sie. Sie gehörten einfach in das Bild der Stadt, und es wäre eher aufgefallen, wenn es sie eines Tages einmal nicht mehr gegeben hätte. Der Priester schlug die Richtung zum Tempel der Zukunft ein, der sich außerhalb der Stadt auf einem Berg erhob. Fast andächtig schaute der Mann zu dem heiligen Berg auf. Der Tempel stand schon so lange dort, wie die Geschichte zurückreichte. Bis heute war es weder einem Soobkaa noch einem Atelianen gelungen, sich ihm bis auf mehr als hundert Meter zu nähern. Ein glitzernder Schirm umgab diesen Tempel, der nicht zu durchdringen war. Atelian selbst schuf diesen Schutz, damit niemand den Frevel begehen konnte, die heiligen Räume zu betreten. Sollte es wider Erwarten doch jemandem gelingen, dann wollte Atelian ein großes Strafgericht über die Mendas kommen lassen. So stand es in der Gottesschrift, auf den Seiten Soobkaas, des Obersten, geschrieben. Die Soobkaas hatten die Aufgabe, dafür zu sorgen, daß dieser Frevel niemals begangen werden konnte. Drohend war die Gefahr, daß der GROSSE, auf den die Atelianer warteten, kommen würde, um das Heiligtum zu entweihen.
»Ich gelobe dem heiligen und allmächtigen Atelian, sein Heiligtum zu schützen mit all meiner Kraft, jeden Frevler zu bestrafen und mein Leben zum Schutze des Allmächtigen zu opfern.« Dieses Gelöbnis stand auf der ersten Seite der Gottesschrift. Jeder Priester hatte es abzulegen. Aber war es nicht wie ein Hohn? Wenn Atelian wirklich allmächtig war, warum konnte er sich dann nicht selber schützen? Karhilan verstand sich manchmal selber nicht mehr; wie konnte er das nur denken? Er verscheuchte die frevlerischen Gedanken aus seinem Gehirn. Neben dem Tempel der Zukunft, nahe an den Schutzschirm herangebaut, erhob sich der Soobkaa-Tempel, das gleichzeitige Hauptquartier der Klans. Dorthin lenkte der Priester seine Schritte. Er mußte so schnell wie möglich Mortos, den Hohepriester, sprechen. Denn er besaß eine Botschaft von äußerster Wichtigkeit für ihn. Karhilans Atem ging heftig vor Anstrengung, als er den Berg hinaufstieg, aber er nahm sich nicht die Zeit für eine Verschnaufpause. »Priester Karhilan wünscht den erhabenen Mortos zu sprechen«, sagte er dem Wächter. »Warum kommst du nicht an einem Sprechtag?« fuhr der ihn an. »Du weißt doch, daß der Erhabene nur an Sprechtagen gestört werden darf.« »So lange kann ich nicht warten«, blieb Karhilan hart. »Meine Botschaft ist viel zu wichtig. Wenn du mich nicht meldest, wirst du es sein, der sich zu verantworten hat.« »Ich werde es melden. Warte hier!« Der Wächter entfernte sich ins Innere des Tempels, und Karhilan wartete ungeduldig an der Pforte. * »Der Priester Karhilan wünscht dich zu sprechen, Erhabener«, meldete der Wächter und wagte nicht, sich zu erheben. Voller Ehrfurcht schaute er zu Boden. »Weiß Karhilan nicht, daß ich heute nicht zu sprechen bin?« Fragte Mortos unwillig. »Er soll sich an die Sprechtage halten und dann wiederkommen.« »Verzeihung, Erhabener, das sagte ich ihm bereits, aber er läßt sich nicht abweisen. Er behauptet, seine Botschaft sei zu wichtig und dulde keinen Aufschub.«
Der Hohepriester überlegte. Was konnte ein niederer Priester schon zu berichten haben? Mortos hatte seinen Kopf noch mit all den Neuigkeiten der letzten Tage voll. Doch dann schien er seinen Entschluß gefaßt zu haben. »Führe den Mann zu mir.« * »Jawohl, Erhabener, Soobkaas Güte komme.« »Soobkaas Güte bleibe«, erwiderte Mortos den Gruß, und der Wächter entfernte sich. »Der Erhabene ist gewillt, dich zu empfangen«, teilte der Wächter Karhilan mit, der schon unruhig zu werden begann. »Es ist gut«, sagte der Priester und ließ sich von dem Mann führen, das war Gesetz. Karhilan kannte den Weg, aber er durfte nicht allein über den heiligen Hof gehen. Heute herrschte nie gekannte Ruhe im Innern. Es gab Tage, an denen es hier einem Ameisenhaufen glich. Nur weil Karhilan eine wichtige Meldung für Mortos hatte, wurde er heute vorgelassen. Für den Priester hing viel davon ab, daß seine Botschaft auch wirklich für wichtig befunden wurde, sonst hatte er mit Bestrafung zu rechnen. Mortos saß in seinem Zimmer, das schon eher Ähnlichkeit mit einem prächtigen Thronsaal hatte. Er war ein alter Mann, dessen unbehaarter Schädel von Weisheit zeugte. In seinem Gesicht schien die Zeit geschrieben zu stehen, die auf ihm lastete. Er war immerhin über hundert Jahre alt, und das Durchschnittsalter der Mendas belief sich auf nur neunzig. Aber dieses Alter beeinträchtigte in keiner Weise die Entschlossenheit und Entscheidungskraft dieses Greises. Karhilan verbeugte sich tief vor dem Erhabenen, bis dieser ihm durch eine Geste zu verstehen gab, daß er sich erheben könne. »Soobkaas Güte komme, Erhabener«, grüßte Karhilan. »Soobkaas Güte bleibe. Du wolltest mich sprechen, Priester?« »Ja, erhabener Herr, es ist sehr wichtig.« »Das sagte mir der Wächter bereits, und ich hoffe, daß es wirklich so ist. Du weißt, was dich erwartet, wenn du mich ohne dringenden Grund störst?« »Ja, Herr« »Dann sprich! Was gibt es?«
»Herr, es wurde beobachtet, daß in der vorletzten Nacht ein schwarzer Gott vom Himmel gekommen ist. Der allmächtige Atelian hat ihn vernichtet.« Mortos schwieg einen Augenblick und sein Gesicht wurde noch um eine Spur finsterer. Karhilan ahnte nichts Gutes. »Du kommst erst heute? Zwei Tage sind inzwischen verstrichen? Wie läßt es sich erklären, daß du so lange zögertest, mich zu unterrichten?« »Verzeihe mir, Erhabener, aber ich konnte nicht früher kommen, denn nicht ich selbst war es, der diese Beobachtung machte. Ich hörte durch Zufall das Gespräch zweier Männer erst vor wenigen Stunden.« »Ohne zu wissen, ob das auch der Wahrheit entspricht?« »Du hast recht, Erhabener, ich weiß es nicht. Aber ist es denn nicht sehr gut möglich, daß es stimmt? In diesem Fall mußtest du unterrichtet sein. Ich handle nur nach dem Sprichwort: Sage dem anderen vor der Gefahr, auf daß er sich rüstet. Und wenn es stimmt, dann müssen wir doch auch damit rechnen, daß der GROSSE gekommen ist, auf den die Atelianen warten. Ich weiß, es ist Ketzerei, daran zu glauben, aber ein kleines Fünkchen Wahrheit mag daran sein.« »Du sprichst gefährliche Worte, Karhilan. Du solltest so etwas nicht vor deinem Hohepriester äußern. Aber sei beruhigt, auch ich glaube, daß ein wenig Wahrheit daran sein muß. Ja, ich, der Hohepriester, sage dir, daß ich es glaube. Erstaunt dich das?« Karhilan nickte. »Allerdings, Erhabener, das wundert mich.« »Du hast richtig gehandelt, Karhilan, denn du konntest ja nicht wissen, daß ich über diese Vorfälle schon längst unterrichtet bin.« »Du weißt es? So stimmt es also, was man erzählt?« »Ja, es stimmt. Der schwarze Gott ist wirklich gekommen, so wie die Sage berichtet; aber das ist noch nicht alles. Auch der GROSSE scheint gekommen zu sein. Drei Fremde brachte der schwarze Gott, und einer von ihnen befindet sich in unserer Hand.« »So ist der GROSSE hier?« »Ich sagte, einer befindet sich hier. Ob gerade er der GROSSE ist, oder einer der beiden anderen, wer kann es sagen?« »Wo sind diese anderen Fremden?« »Das wissen wir nicht. Es ist möglich, daß sie vernichtet wurden, als Atelian den schwarzen Gott tötete, aber das glaube ich nicht. Ich habe mir überlegt, wo sie sein könnten. Vergiß nicht, daß wir Widersacher haben: die Atelianen. Was läge näher, als anzunehmen, daß sie sich dort befinden, nämlich bei Armon, dem
Ketzer? Es wird auch ihm nicht verborgen geblieben sein, was sich in der Nacht vor den Toren Atelanias abspielte.« »Herr«, meldete Karhilan sich jetzt wieder, »ich kenne die Sage. Sie wurde uns gelehrt, aber es wurde auch weiterhin gelehrt, daß… »Das ist jetzt nicht so wichtig«, unterbrach der Hohepriester. »Es heißt doch, daß mit dem schwarzen Gott der GROSSE käme.« »Ja, Herr, so heißt es. Gestatte mir aber, daß ich meine Meinung äußere. Ich glaube nicht an den GROSSEN, es steht geschrieben, daß Atelian…« »Ich weiß, ich weiß«, wehrte Mortos ab, »es steht auch weiterhin geschrieben, daß es Frevel ist, an den schwarzen Gott zu glauben. Und doch ist er gekommen. Es hat sich schon manche Lehre als falsch herausgestellt. Wenn man einen Fehler erkannt hat, muß man auch den Mut besitzen, es zu bekennen. Wenn sich nun ein Teil einer Lehre, dir wir als falsch betrachten, als richtig herausstellt, dann kann ebensogut der andere Teil auch richtig sein.« * Karhilan war schließlich gegangen, und der nachdenkliche Mortos blieb mit seinen Überlegungen allein zurück Was sollte jetzt geschehen? Die Vormachtstellung der Soobkaas durfte auf keinen Fall verlorengehen. Angenommen, die Fremden befanden sich wirklich bei Armon, dann würde er nichts Eiligeres zu tun haben, als einen von ihnen als den GROSSEN auszugeben und ihm den Weg in den Tempel zu weisen. Daß das gelingen würde, bezweifelte der Hohepriester. Trotzdem mußte vorgebeugt werden. Wenn schon ein GROSSER kommen mußte, warum sollte es dann nicht der sein, der sich in seiner Hand befand? Auf diese Weise blieb die Macht wenigstens in seinen Händen. Es dürfte nicht sehr schwer sein, den Fremden für seine Pläne zu gewinnen. Schließlich stand auch für ihn eine nicht unbeträchtliche Macht in Aussicht. Es galt nur, den anderen zuvorzukommen. Dazu mußte er erst einmal Gewißheit haben, ob sie sich wirklich bei Armon befanden. Schließlich hatte man ja Agent B 12, und auf ihn war Verlaß. Mortos’ Agentendienst arbeitete vorzüglich. Einer der Diener war zur Stelle. »Du hast mich rufen lassen, Erhabener?« »So ist es. Wir brauchen Agent B 12, und zwar schnell. Leite das in die Wege.« »Jawohl, Erhabener, ich werde tun, was in meiner Macht steht.«
7. Kapitel Ein weiterer Steuerkreis schloß sich in der genialsten Anlage, die denkende Wesen in der Galaxis je geschaffen hatten. Dieser Steuerkreis aktivierte die zweite Hauptstufe, die sofort zu arbeiten begann und Millionen von Gehirnen abtastete. Die zweite Hauptstufe registrierte eine Normabweichung zur positiven Seite hin. Die Abweichung wurde angepeilt. Sie kam von zwei verschiedenen Orten, die dicht beieinander lagen. Als erstes griffen die Individualtaster nach den entsprechenden Gehirnen, stellten die Messungen an und werteten sie aus. Die Ergebnisse wurden den Speicherbänken zugeleitet, und dann lösten die Mentalitätstaster die Individualtaster ab. Wieder wurden Messungen vorgenommen, wieder sammelten sich Ergebnisse im Speicherzentrum, und während die Intelligenztaster zu arbeiten begannen, verarbeitete eine die zugehörigen Vorstufen bereits die Ergebnisse der beiden ersten Messungen. Dann lag das Gesamtbild vor. Es wurde mit dem Urschema verglichen und die Identität festgestellt. Eine Sicherheitsschaltung trat in Aktion. Es handelte sich um mehrere Gehirne, aber im »Großen Plan« war nur eins vorgesehen. Die Einzelergebnisse jedes der Gehirne wurden miteinander verglichen, die Abweichungen untereinander ausgewertet und schließlich ein einzelnes Gehirn aussondiert. Die vierte Phase des »Großen Planes« begann. * Seit neun Tagen nahmen Jerry King und Corinna Banthorpe nun schon Armons Gastfreundschaft in Anspruch Sie hatten sich in ihrer neuen Umgebung einigermaßen eingelebt, viel schneller eigentlich, als sie es für möglich gehalten hatten. Beide trugen jetzt die ortsübliche Kleidung, lange Umhänge die in allen Farben schillerten. Es stellte sich heraus, daß die neue Kleidung bei weitem nicht so plump war, wie sie aussah. Sie trug sich angenehm leicht. Corry und Jerry saßen auf der Terrasse und unterhielten sich angeregt bei einem Glas Boo. Sie waren allein.
»Wir hatten Glück, daß wir ausgerechnet hier gelandet sind«, meinte das Mädchen, »in Atelania läßt es sich gut leben. Der Gedanke, den Rest meines Lebens hier verbringen zu müssen, erscheint mir jetzt nicht mehr so unangenehm wie im Anfang. Die Menschen hier sind alle sehr nett.« »Und wir haben eine Aufgabe«, ergänzte Jerry. »Das garantiert uns, daß es uns nicht langweilig wird. Bis wir alle Rätsel dieser Welt gelöst haben, wird sicher noch einige Zeit vergehen. Ich mache mir aber trotzdem Sorgen.« »Über was denn? Was gefällt dir hier nicht?« »Hier gefällt mir eigentlich alles. Das Gebiet meiner Sorgen liegt ganz woanders. Ich mache mir Sorgen um die Erde. Sie befindet sich in einer nicht zu unterschätzenden Gefahr durch die Pfuthars. Sie haben sie entdeckt, und haben etwas mit ihr vor. Von ungefähr kommt das Interesse an der Erde nicht. Sie täuschten uns Harmlosigkeit vor, aber das war nur Maske. Hätten sie sonst auf uns geschossen, als wir flohen? Sie kennen jetzt die galaktischen Koordinaten der Erde, und wir können nur hoffen, daß Khort Mal sie nicht an seine Heimatwelt weiterleitete. Man wird ihn aber vermissen und nach ihm suchen, und bestimmt kennt man zumindest die Gegend des Weltalls, in der er sich zuletzt herumgetrieben hat. Man wird ihn suchen, und dabei ist die Gefahr einer Wiederentdeckung sehr groß. Ich kann mich einfach nicht damit abfinden, tatenlos zuzusehen. Das läßt mir keine Ruhe.« Jerry sah ein, daß er der Erde nicht helfen konnte. Die Warnung abzugeben, die nötig war, dazu war er nicht in der Lage. »Du mußt es nicht so schwer nehmen«, versuchte das Mädchen Jerry zu trösten, und sie wußte, daß es nur ein sehr schwacher Trost war. »Es ist nicht unsere Schuld, daß wir zur Untätigkeit verdammt sind. Wir können unsere Lage nicht ändern und müssen vielmehr froh sein, so glimpflich davongekommen zu sein. Nein, ändern können wir nichts.« »Vielleicht doch!« »Wie meinst du das?« »Erinnerst du dich, daß Armon uns immer von dem sagenhaften GROSSEN erzählt? Er tut das nicht ohne Grund, denn ich habe fast mit Sicherheit festgestellt, daß er mich für den Berufenen hält. Ich glaube, hinter diesem, Tempel der Zukunft verbirgt sich etwas, das wir nicht einmal ahnen können. Ich habe zwar eine bestimmte Vermutung, aber darüber kann ich nichts sagen, weil sie nur auf schwachen Füßen steht. Doch soviel scheint festzustehen, daß dieser Tempel das Vermächtnis einer
einst großen Rasse darstellt. In ihm müßte vieles zu finden sein, was uns weiterhelfen könnte » Er kam mit dieser Vermutung der Wirklichkeit näher, als er glaubte Er wußte noch nicht, daß er selbst einmal den Anstoß geben sollte, der den Stein großer interstellarer Geschehnisse ins Rollen brachte. »Dieser Planet birgt ein Rätsel, das ist mir klar«, meinte Corry, »es fällt mir erst jetzt richtig auf, da ich Zeit habe, mir die Dinge durch den Kopf gehen zu lassen. Daß Atelian ein Gott ist, halte ich für Unsinn. Das ist lediglich ein Aberglaube, der sich im Laufe der Zeit aus ehemaligen Geschehnissen und Überlieferungen gebildet hat.« »Ich werde versuchen, diese Geheimnisse zu lüften.« Jerrys Entschluß stand fest. »Ich will versuchen, in den Tempel einzudringen, um jeden Preis. Armons Unterstützung haben wir dabei sicher, aber trotzdem wird es nicht sehr leicht sein. Ich denke da an Mortos, von dem uns Armon erzählte. Er stellt eine ernsthafte Gefahr dar, die wir nicht unterschätzen dürfen.« Corry füllte sich noch einmal ihr Glas mit dem erfrischenden Getränk. »Hast du schon einen Plan, wie du ungesehen in den Tempel gelangen willst? Soviel ich weiß, wird er von den Soobkaas streng bewacht.« »Das weiß ich«, entgegnete Jerry, »und ich habe mir darüber auch schon meine Gedanken gemacht. Ich werde noch einmal mit Armon sprechen, vielleicht kann er mir einen Rat geben.« »Dann frage ihn am besten gleich, er kommt nämlich gerade.« * »Wie fühlst du dich?« Sammy blickte auf und sah den Sprecher an. Es war ein alter Mann mit einem weisen Blick. Seine Persönlichkeit wirkte unbedingt respekteinflößend. »Es geht mir gut, Mortos; mein Arm ist wieder in Ordnung. Ich spüre nichts mehr.« »Und hast du dir einmal Gedanken darüber gemacht, was ich dir gestern erzählte?« Ja, das hatte Sammy. Mortos hatte ihm eine Geschichte unterbreitet, die sehr phantastisch klang. Aber wenn man die Umwelt ein wenig kennengelernt hatte, schien sie doch etwas Wahrheit zu enthalten.
»Wir haben schon von jeher immer Ärger mit den Atelianen gehabt. Sie bringen die ganze Ordnung durcheinander. Aber wir können ihnen nicht endgültig beikommen.« »Und du glaubst, daß meine beiden Kameraden sich in ihren Händen befinden?« Mortos nickte. »Man hält sie wahrscheinlich gefangen. Jerry King wird man zwingen, in den Tempel einzudringen. Er soll der GROSSE sein und damit die Macht in die Hände der Atelianen spielen.« »Werden sie denn nicht versuchen zu fliehen?« »Das glaube ich kaum, denn wie ich Armon kenne, läßt er bei deinen Kameraden gar nicht erst den Eindruck eines Zwanges entstehen. Sie sind Gefangene und glauben, Gäste zu sein.« Das war keine schöne Aussicht für Jerry und das Mädchen. Irgendwie mußte man ihnen helfen, sie in Kenntnis setzen von dem, was sie erwartete. Aber wie sollte er das tun? Dazu besaß er nicht die Mittel. Soviel Sammy erfahren hatte, befand sich Armons Hauptquartier inmitten der Stadt. Ungesehen heranzukommen war fast undurchführbar. »Wie kann ich meinen Kameraden helfen?« wollte Connory wissen. Der Hohepriester überlegte eine Weile. »Das kann ich jetzt noch nicht genau sagen. Frühestens in ein paar Tagen. Aber es gibt eine Möglichkeit. Dazu muß ich erst unseren besten Agenten einsetzen.« Nachdem Mortos Sammy ein Glas Boo eingeschenkt hatte, fuhr er fort: »Wir können es uns auf keinen Fall leisten, daß Armon uns zuvorkommt. Denn wenn es Jerry gelingt, in den Tempel einzudringen - was ich, nebenbei gesagt, für unwahrscheinlich halte -, dann wird das Volk in ihm den verheißenen GROSSEN sehen. Er wird alles tun, was er sagt, und Jerry King wiederum wird nur das tun, was Armon ihm befiehlt. Er wird das Werkzeug eines Machthungrigen sein. Damit das niemals geschieht, müssen wir ihm zuvorkommen. Wir müssen dem Volk seinen GROSSEN geben, und das wirst du sein!« »Was, ich?« Sammy verschlug es für einen Augenblick die Sprache. »Wieso ausgerechnet ich? Ist denn auf diese Idee noch niemand von euch gekommen?« »Die Idee allein hilft uns nicht weiter, Sammy. Das Volk will seinen GROSSEN, der mit dem schwarzen Gott aus dem Himmel kam. Nur einen
solchen wird es anerkennen. Du bist aus dem Himmel gekommen; verstehst du, was ich sagen will?« Ja, Sammy verstand. Mortos hatte recht, nur er selbst konnte sich als der GROSSE ausgeben. Keinen anderen würde man anerkennen, abgesehen von Jerry. Aber so, wie die Dinge jetzt lagen, durfte es nicht dazu kommen »Leicht ist es nicht, Fremdling von der Erde, aber du hast unsere Unterstützung, und wir verfügen über große Macht. Du tust es ja auch nicht umsonst, denn wir erzeigen uns dankbar. Du wirst zusammen mit den anderen Berufenen herrschen, denn das Reich war groß. Es erstreckte sich nach den Überlieferungen über vierundzwanzig Planeten.« »Und wenn es nun später nicht gelingen sollte, meine Kameraden zu befreien, oder sie wenigstens davon zu überzeugen, daß sie von Armon nur ausgebeutet werden, was wird dann? Ich kann doch nicht gegen meine Freunde kämpfen.« »Moralisch gesehen ist das richtig, und wir werden auch alles tun, daß es nicht soweit kommt. Aber wenn es uns nicht gelingen sollte, so müssen menschliche Probleme als zweitrangig zurückstehen. Hier geht es nicht um das Wohl des einzelnen, sondern um das einer ganzen Rasse.« Das war einleuchtend, aber es widerstrebte Sammy doch, sich eventuell gegen Jerry stellen zu müssen. Doch wenn es um das Recht und um eine gute Sache ging, war es etwas anderes. Und schließlich konnte er selbst dabei ja auch nur verdienen, sofern Mortos die Wahrheit sagte. Es hatte zwar nicht den Anschein, als treibe der Hohepriester falsches Spiel, aber Gewißheit gab es nicht. »Verlange nicht heute eine Entscheidung von mir«, bat Sammy, »das kommt mir alles zu überraschend. Ich muß mich an diesen Gedanken erst gewöhnen.« Mortos lächelte. »Natürlich, das weiß ich. Ich habe nicht eine sofortige Entscheidung erwartet, aber denke gut über die Dinge nach. Ich werde dir den Beweis meiner Zuverlässigkeit bringen, falls du daran zweifeln solltest.« Wie gut Mortos ihn doch durchschaute. Naja, jedenfalls hatte er erst einmal Bedenkzeit, aber viel würde Mortos ihm nicht lassen, denn allem Anschein nach galt es, keine Minute zu verlieren. Armon hatte eine Überraschung für Jerry und das Mädchen bereit. »Meine Tochter wird heute abend noch zu einem Besuch kommen«, eröffnete er seinen erstaunten Gästen, »sie brennt darauf, euch kennenzulernen.« »Du hast eine Tochter, Freund Armon?« Jerry war ehrlich überrascht.
»Ja, sie ist Priesterin Atelians und kommt nur sehr selten einmal nach Hause. Sie bringt noch einen anderen Priester mit. Sie dient unserem Klan, seit sie ein Kind war.« Rhona kam, als es begann, dämmerig zu werden. Plötzlich stand sie mit dem anderen Mann in der Tür. Auf den ersten Blick fiel Jerry die außergewöhnliche Schönheit des Mädchens auf. Wie ein übernatürliches Wesen stand sie da. Ihre langen, schneeweißen Haare fielen ihr weich über die Schultern. Sie mochte Mitte Zwanzig sein, aber das konnte täuschen. Armon begrüßte seine Tochter herzlich. Sie stellte ihrem Vater den Begleiter vor. Er hieß Marloa. Er war schon älter und besaß ein undurchdringliches Gesicht, das harte Züge erkennen ließ. Jetzt stellte Armon seine beiden Gäste vor. Rhona zeigte kaum Überraschung und meinte freundlich: »Ich freue mich, Fremdlinge, daß ihr Gäste meines Vaters seid. Ihr kämet mit dem schwarzen Gott, wie ich hörte. Ist eure Heimat sehr weit entfernt?« »Ja, sehr weit«, erklärte Jerry King, »so weit, daß du es dir nicht einmal vorstellen kannst.« »Dann müßt ihr außergewöhnliche Menschen sein. Der Allmächtige sei gepriesen, so ist der GROSSE doch endlich gekommen!« Marloa war hellhörig geworden. Er beteiligte sich nicht an dem Gespräch, hörte aber um so genauer zu.« »Atelian hat mir offenbart, meine Tochter, daß wir einer neuen Zeit entgegengehen. Warte nur ab, bald wird Jerry die Pforten zum Tempel öffnen, und dann wird eine sehr große Zeit für uns anbrechen.« »So laßt mich dem GROSSEN die Ehre erweisen«, sagte Rhona und kniete vor Jerry nieder, aber der nahm ihre Hand und meinte: »Tue das nicht, Rhona, ich bin kein Gott, vor dem man niederkniet, ich bin genauso ein Mensch wie jeder andere. Dein Vater sagt, ich sei der Berufene. Nun, vielleicht bin ich es wirklich, vielleicht aber auch nicht. Aber wie dem auch sei, ich will auf gar keinen Fall für einen Gott gehalten werden.« »Du willst versuchen, den Tempel zu öffnen?« fragte Rhona. »Ja, versuchen will ich es; aber ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird.« »Auf diesen Tag haben wir alle gewartet. Jetzt weiß ich es, du bist der GROSSE. Atelian hat dich zu uns gesandt.« »Mich hat niemand gesandt, denn ich kam durch Zufall. Wenn ich etwas tun kann, um euer Volk wieder groß werden zu lassen, so tue ich es gern,
denn es ist jetzt auch mein Volk. Ich werde nicht mehr in meine Heimat zurückkehren können.« * »Ich kann mir nicht helfen«, sagte Jerry King, als er mit Corry allein war, »aber diese Rhona gefällt mir nicht.« »Was?« Corry sah ungläubig drein. »Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein! Ich würde eher Marloa einer krummen Tour verdächtigen.« Jerry schüttelte den Kopf. »Ich kann dir nicht sagen, was es ist, aber irgend etwas ist an ihr, was nicht ehrlich ist. Ich habe das Gefühl, daß uns mit ihr noch einige Überraschungen bevorstehen.«
8. Kapitel »Agent B 12, großer Mortos«, meldete der Priester untertänig. »Schick ihn herein!« B 12 erwies Mortos die Ehre; bis dieser ihm durch eine Handbewegung zu verstehen gab, daß er sich erheben könne. Der Hohepriester sah B12 an. »Berichte!« Forderte er. »Deine Vermutungen waren richtig, Erhabener«, begann der Agent. »Der GROSSE ist mit dem schwarzen Gott gekommen und er befindet sich bei Armon, dem Ketzer. Der hat ihn bei sich aufgenommen und versucht, ihn für seine Pläne zu gewinnen. Es befindet sich aber noch eine Frau bei dem Fremden.« »Das weiß ich«, warf Mortos ein. »Von dieser Frau scheint mir keine Gefahr zu drohen. Aber wir müssen uns dieses Mannes versichern. Wenn er sich erst einmal in unserer Hand befindet, wird es wohl schwerlich möglich sein, daß er noch Schaden anrichten kann. Vielleicht können wir ihn dann sogar für uns gewinnen.« »Und was gedenkst du zu tun, Herr?« Fragte B12. »Einen genauen Plan habe ich noch nicht, aber es wird nichts anderes übrigbleiben, als den Mann in unsere Gewalt zu bekommen. Den zweiten Mann, der mit dem schwarzen Gott kam, haben wir bereits sicher. Er scheint bereit zu sein, den GROSSEN zu spielen, aber noch zögert er. Deine Aufgabe wird darin bestehen, diese Zweifel zu beseitigen. Ich glaube, das dürfte dir nicht allzu schwer fallen.«
»Natürlich ist es leicht, besonders wenn er erfährt, wer ich bin. Armon handelt falsch, würde ich sonst gegen die Atelianen arbeiten?« Mortos schüttelte den Kopf. »Nein, das glaube ich nicht. Du kennst deine Pflicht, erfülle sie!« »Dann führe mich zu diesem Mann!« * Ein Geräusch weckte Jerry King. Es war nur leise, aber doch vernehmbar gewesen. Er schlug die Augen auf und lauschte in die Dunkelheit. Aber es rührte sich nichts. Trotzdem, das Gefühl einer unmittelbaren Gefahr blieb, es wollte nicht weichen. Irgend etwas stimmte hier nicht. Die Tür zur Terrasse stand offen. Jerry erinnerte sich, sie vor dem Schlafengehen nur angelehnt zu haben. Leise erhob sich Jerry und schlich auf Zehenspitzen zur Balkontür. Sofort zuckte er wieder zurück und suchte hinter der Tür Deckung. Er hatte sich nicht getäuscht. Eben war eine vermummte Gestalt über die Mauer gestiegen. Mortos, durchzuckte es Jerry. Nur er konnte seine Hände im Spiel haben. Irgendwie mußte er dahintergekommen sein, daß er und Corry sich hier bei Armon aufhielten. Das Wie war im Augenblick nicht so wichtig. Mortos hatte Leute geschickt, die ihn unschädlich machen sollten. Aber sie sollten nur kommen! Er würde ihnen schon einen reizenden Empfang bereiten. In der Dunkelheit tastete er nach einem festen Gegenstand und hielt bald eine leere Booflasche in der Hand. Das Material war etwas elastisch, aber ein gepfefferter Schlag würde ausreichen, um seinen Gegner für einige Zeit außer Gefecht zu setzen. Jerry wartete still und voller Spannung. Nur von der Terrasse her ließ sich ein tastendes Geräusch vernehmen. Man mußte sich anstrengen, um es zu hören. Nun glaubte Jerry, außerdem Geflüster vernehmen zu können. Ein rascher Blick überzeugte ihn, daß er es mit zwei Gegnern zu tun hatte. Sie standen jetzt auf der Terrasse und sprachen miteinander. Der eine zeigte zur Balkontür hin, und Jerry ging sofort wieder in Deckung. Sprungbereit kauerte Jerry in der Ecke. Er umklammerte die Flasche fester, als eine der Gestalten plötzlich in der Tür stand. Sie war keine zwei Meter mehr von ihm entfernt und mit einem Sprung wäre sie zu erreichen gewesen, aber zuerst mußte sie noch etwas weiter in das Zimmer kommen, um aus dem Blickfeld des Komplicen zu verschwinden. Jerry Kings
Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, denn der Mann schien sich seiner Sache ziemlich sicher zu sein. Seelenruhig sah er sich um, und erst dann betrat er das Zimmer. Das war der Augenblick, auf den Jerry King gewartet hatte. Mit einem Satz war er bei dem Fremden. Mit elegantem Schwung landete die Flasche auf seinem Kopf. Es gab einen dumpfen Schlag und der nächtliche Besucher klappte, ohne einen Laut von sich zu geben, zusammen. Schnell wurde der Mann aufgefangen und in den Schatten gezerrt, denn der zweite war aufmerksam geworden und kam, um nach dem Rechten zu sehen. Auch er machte Bekanntschaft mit der Flasche. Jerry hatte keine Schnüre zur Hand. So nahm er kurzerhand die dünne Gardine, drehte einen Strick daraus und band den ersten Mann. Die Hände des zweiten fesselte er mit seinem Gürtel, und zusätzlich knotete er ihn noch an einem Bettpfosten fest. Wenn die beiden sich jetzt befreien wollten, würden sie ein ganz schönes Stück Arbeit haben. Jetzt kam Armon herein. »Was ist hier?« stieß er hervor. Dann, ohne eine Antwort abzuwarten: »Soobkaa-priester!« »Hab’s mir fast denken können, wer sollte diese Burschen auch anders geschickt haben, als dieser vermaledeite Mortos?« Der erste wachte eben auf. Er sah Jerry, der mit geradezu gefährlichem Gesichtsausdruck auf ihn zukam, entsetzt an. »So, mein Freundchen«, herrschte er den Gefangenen an, »jetzt pack mal aus!« Der Mann zeigte keinerlei Reaktion. Er tat einfach so, als verstünde er kein Wort. Jerry ließ sich dadurch aber nicht bluffen. Inzwischen hatte er die hiesige Sprache ganz gut erlernt und wußte, daß er verstanden wurde. »Warte, Freundchen, dir werde ich Beine machen«, sagte er und versetzte ihm eine schallende Ohrfeige. »Wird’s bald?« »Ich - ich…«. »Wer hat dich geschickt? War es Mortos?« Der Fremde nickte. »Ich konnte nichts dagegen tun, Herr. Mortos hat mich gezwungen.« So schnell hatte Jerry allerdings nicht damit gerechnet, den Mann gefügig zu bekommen.« »Das kann stimmen«, meinte jetzt Armon, »gegen Mortos’ Befehl gibt es kein Auflehnen.« »Mag sein. Und was wolltest du hier?«
»Ich darf nicht sprechen«, zitterte der Mann. »Mortos wird mich fürchterlich strafen.« »Das wird sich finden«, ließ King nicht locker, »ich kann dir aber eins flüstern, nämlich, daß ich dich fürchterlich strafen werde, wenn du nicht gleich den Mund aufmachst.« »Wir sollten dich entführen«, sagte der Priester jetzt endlich. »Wir sollten dich zu Mortos bringen, denn er sagte, die Ketzer dürften keinen Schaden mehr anrichten.« »Wieder knallte eine Ohrfeige in das Gesicht. »Dir werde ich Ketzer geben, Freundchen! Wie heißt du?« »Priester Karhilan, Herr!« »Nun, Karhilan, das habt ihr euch ja fein ausgedacht.« »Jerry!« Corry stand in der Tür. Sie mußte schon eine Weile dort gestanden und die Szene beobachtet haben. Jerry bemerkte mit innerer Befriedigung, daß Corry sich Sorgen um ihn machte. Es schien ihr durchaus nicht gleichgültig zu sein, was mit ihm geschah. »Was machen wir jetzt mit denen da?« fragte Jerry Armon. »Laß uns laufen, Herr!« bettelte Karhilan. »Das hättest du wohl gern, was, damit uns dein sauberer Mortos morgen mit einem ganzen Aufgebot auf den Hals rückt? Nein, daraus wird nichts!« »In den Gewölben sind sie sicher, von dort aus ist es unmöglich, zu fliehen«, bemerkte Armon. In Karhilans Gesicht stand ein spöttisches Lächeln. »Du bist nicht der GROSSE, Fremder. Es ist ein Mann bei Mortos, der wie du aus einem schwarzen Gott kam. Er ist berufen.« »Sammy! Dann ist er also doch nicht tot!« Wenn Mortos allerdings Sammy in seiner Gewalt hatte, dann war anzunehmen, daß er ihn schon längst für seine Pläne gewonnen hatte. Sicher war Sammy jetzt schon fest davon überzeugt, daß Armon ein Verräter sei. Es dürfte kaum noch möglich sein, Sammy umzustimmen. Der Gedanke war zwar nicht angenehm, aber von nun an konnte man Sammy als Gegner betrachten. Jerry erklärte dem Mädchen die Lage, und sie teilte seine Ansicht. Nun, man hatte Sammy für tot gehalten. Er lebte zwar, aber auf der Seite des Gegners, das war mit dem ersten fast gleichbedeutend. Erst als man die Burschen sicher untergebracht hatte, atmete Jerry auf.
»Da haben wir ja noch mal Glück gehabt. War nur gut, daß ich rechtzeitig wach geworden bin. Mortos scheint mehr daran zu liegen, uns sicher zu wissen, als ich dachte. Ich frage mich nur, wieso er so gut unterrichtet sein konnte. Ich glaube, ich sehe jetzt klar. Mortos wird dem Volk den GROSSEN geben wollen, aber er selbst möchte ihn einsetzen. Damit ist der GROSSE dann nur noch sein Werkzeug und die Macht bleibt in Mortos’ Händen. Daß er sich ausgerechnet Sammy dazu aussuchte, ist mir unangenehm, denn ich kämpfe nicht gern gegen die eigenen Leute. Aber jetzt müssen wir mit Sammys Gegnerschaft rechnen.« »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht«, meinte das Mädchen jetzt. »Das war lieb von dir, aber es ist ja nichts geschehen.« »Da haben wir uns in eine Sache eingelassen«, meinte Corry, »die viel gefährlicher ist, als ich dachte.« »Du hast recht, sie ist gefährlich, aber das macht sie ja gerade interessant Geschafft haben wir es erst, wenn wir im Tempel sind, nicht früher.« Armon nickte. »Wir dürfen jetzt auf keinen Fall noch länger warten.« * »Es muß etwas schiefgegangen sein«, polterte Mortos. »Karhilan und Ilban müßten längst mit diesem Jerry King zurück sein.« B 12 zuckte mit den Schultern. »Dann müssen wir eben etwas anderes unternehmen.« »Das weiß ich selber, aber was?« Mortos überlegte einen Augenblick und wandte sich dann wieder an den Agenten. »Du mußt uns helfen! Was sind Armons Pläne, wie gedenkt er vorzugehen?« »Jetzt muß ich es wohl sagen, es steht zuviel auf dem Spiel. Armon kennt einen unterirdischen Gang. Von dem aus sollte Jerry King in den Tempel eindringen.« »Wo ist dieser Gang?« »Ich weiß es nicht genau. Irgendwo in der Nähe von Armons Haus muß es ein verfallenes Haus geben. In dem Keller…« »Danke, das reicht!« *
»Besuch für dich, Edler«, meldete der Priester Sammy. Sammys Augen wurden groß, als er sah, wer da in seinem Gemach stand. Wie ein überirdisches Wesen wirkte der Besucher. Seine majestätische Haltung hatte etwas Einmaliges an sich. »Wer bist du?« Verlangte Sammy zu wissen. »Man nennt mich Agent B 12«, kam die Antwort, »ich arbeite für Mortos.« »Dann verkehrst du bestimmt auch unter den Atelianen«, vermutete Sammy. »Was willst du von mir? Hast du mir etwas über meine Kameraden zu berichten?« »Ja, Edler, auch deswegen kam ich. Aber das ist nicht der einzige Grund. Ich kam, um dir zu sagen, daß du bald in den Tempel eindringen wirst. Die Zeit des Handelns steht bevor. Aber ehe das geschieht, wartet noch eine andere Aufgabe auf dich.« »Und die wäre?« »Wir haben versucht, die beiden Fremden bei Armon in unsere Gewalt zu bekommen. Es ist nicht geglückt, unsere Leute waren zu unvorsichtig. Man hat sie wahrscheinlich gefangengenommen. Natürlich wird die Gegenseite jetzt nicht mehr zögern, zu handeln. Es bleibt uns noch eine einzige Möglichkeit, ohne unnötigen Kampf die Sache für uns zu entscheiden. Dazu brauchen wir deine Mitarbeit.« »Was habe ich also zu tun?« »Du wirst mit deinem Kameraden Jerry King sprechen. Versuche, ihn auf unsere Seite zu bringen. Es muß dir gelingen, ihn davon zu überzeugen, daß er auf der falschen Seite steht. Du kannst das am allerbesten. Man wird dich an eine Stelle bringen, wo du ihn allein treffen wirst. Von uns darfst du keine Unterstützung erwarten, denn das würde er bemerken. Uns ist daran gelegen, möglichst schnell klare Verhältnisse zu schaffen.« »Wie soll das Ganze vor sich gehen?« »Das laß meine Sorge sein«, antwortete der Agent, »mach dir keine Sorgen, das Recht wird siegen.« Damit hatte B 12 die Wahrheit ausgesprochen, ohne es zu wissen. Nur ein Punkt stimmte in der Berechnung nicht: Das Recht lag auf selten Jerrys. Sammy musterte sein Gegenüber. Woher war der Agent nur seiner Sache so sicher? Überhaupt, einen solchen Agenten hatte Sammy noch niemals gesehen.
B 12 mußte gute Beziehungen zu den Atelianen haben, und auch deren Vertrauen besitzen. Woran lag das? Nur an dem Aussehen? Das wagte Sammy zu bezweifeln. Es steckte sicher mehr dahinter. »Wie ist dein Name?« Fragte Sammy. B12 nannte ihn und meinte dann: »Es gibt noch etwas, was du wissen mußt. Armon ist mein Vater.« Sammy hatte viel erwartet, aber das nicht. Hier stand er Armons Tochter gegenüber, und das Mädchen war eine Verräterin. Obwohl Sammy von Rhonas Aussehen fasziniert war, empfand er doch so etwas wie Abscheu. Aber dann überlegte er weiter. Wenn die Tochter gegen den eigenen Vater arbeitete, dann konnte das doch nur bedeuten, daß sie selbst ganz sicher war, auf der richtigen Seite zu stehen. »Ich weiß, du hältst mich für eine Verräterin«, sagte Rhona jetzt, »aber du irrst dich. Kann man ein Verräter sein, wenn man für die gerechte Sache kämpft? Ich stelle mich bestimmt nicht gern gegen Armon, aber diesmal muß es sein, denn unsere Zukunft steht auf dem Spiel.« Das Mädchen war ihrer Sache sicher. Das änderte Sammys wenig gute Meinung von Rhona wieder. Ihre Schönheit trug nicht zuletzt auch ihren Teil dazu bei. »Du allein kannst der wirkliche GROSSE sein«, fuhr Rhona fort. »Ich will dir helfen, so gut ich es vermag. Doch nun gehe und erfülle deinen Auftrag. Wir sehen uns später noch. Mortos wird dir erklären, was du zu tun hast.« * »Hallo, Jerry!« Jerry King drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Jerry kannte sie, aber er sah den Sprecher nicht. »Hier bin ich!« Jerry sah eine Hand, die ihm winkte. Es wirkte ganz unauffällig, wie die Gestalt am Straßenrand stand und in die Gegend starrte. »Wie kommst du hierher, Sammy? Bist du Mortos ausgerissen? Wie ist es dir ergangen, wieso warst du in der Nacht plötzlich verschwunden?« »Immer schön der Reihe nach, mein Freund«, stoppte Sammy die Fragen. »Ich komme hierher durch die Straßen, ganz normal, wie jeder Mensch. Ich bin Mortos nicht ausgerissen, sondern von ihm geschickt, um mit dir zu reden. Ich brauchte ihm nicht auszureißen, denn ich bin kein Gefangener,
sondern sein Gast. Du hingegen scheinst nicht zu wissen, daß du Armons Gefangener bist.« »Ich verstehe nicht, worauf du hinauswillst«, entgegnete Jerry, »ich bin nicht Armons Gefangener. Du weißt nur nicht, welch raffiniertes Spiel Mortos mit dir treibt. Nicht ich werde für unsaubere Machtpläne gebraucht, sondern du. Aber weiter, weswegen wollte Mortos, daß du mit mir sprichst?« »Er bittet dich, dich von Armon abzuwenden und zu ihm zu kommen. Er will dich nur vor einer großen Dummheit bewahren.« »Nein, Sammy, ich werde nicht auf Mortos’ Seite übergehen, das kannst du ihm bestellen, wenn du dich nicht entschließen kannst, mit mir zusammen eine große Aufgabe zu lösen, die uns vielleicht wieder zur Erde bringt.« »Ich weiß, was du damit meinst«, sagte Sammy ironisch, »aber schlag dir deine Pläne aus dem Kopf Sei vernünftig und komm mit mir. Als Mortos in der vergangenen Nacht versuchte dich zu entführen, wollte er nur dein Bestes. Du hast es ihm vereitelt, weil du glaubst, er sei im Unrecht.« Mit Sammy war nicht zu reden, wie erwartet. »Du bist ein blinder Narr in den Klauen eines Machthungrigen Du wirst immer nur das willenlose Werkzeug von Mortos sein. Ich kann dir deine Einstellung nicht einmal verdenken, denn Mortos wird sich hüten, dir seinen wahren Charakter zu zeigen. Natürlich erweckt er in dir nicht den Eindruck, daß du sein Gefangener bist. Er braucht dich noch, um den GROSSEN vorweisen zu können.« »Du willst also nicht zu Mortos übergehen?« Fragte Sammy. »Nein, das werde ich niemals tun. Und ich kann dich nicht zwingen, mir zu glauben. Ich bitte dich nur, deinen Irrtum einzusehen, bevor es zu spät sein wird. Ich möchte dich nicht zum Gegner haben.« »Ich dich auch nicht, aber wenn du dich nicht entschließen kannst…« »Da gibt es nichts mehr zu entschließen«, antwortete Jerry bestimmt. »Ich weiß, was ich zu tun habe. Glaubst du, du könntest Mortos vertrauen? Sammy, sei vernünftig!« »Ich habe geahnt, daß es nicht leicht sein würde, dich von deinem Unrecht zu überzeugen«, antwortete Samuel Connory, »aber ich sehe, ich habe mich getäuscht. Es ist nicht nur nicht leicht, sondern unmöglich. Dann bist du also gewillt, der GROSSE zu werden? Das wird dir nicht gelingen, denn Mortos wird dir zuvorkommen. Ich will dir nur sagen, daß er bereits den unterirdischen Gang kennt, durch den du eindringen willst. Dort erwartet er dich schon. Glaube nicht, daß ich bluffe.«
Jerry bekam erst einen großen Schreck, als Sammy von dem Gang sprach, aber er beruhigte sich schnell. Der Gang, den Mortos besetzte, war nichts weiter als eine Sackgasse. Armon hatte es ihm gesagt. Wenn Mortos seinen Irrtum einsah, würde er die vielen Nebengänge untersuchen, aber auch die waren blind. Der wirkliche Eingang befand sich ganz wo anders. Jerry hatte Armons Vorschlag, noch in derselben Nacht einzudringen, abgelehnt, und zwar, weil Mortos den wirklichen Eingang gar nicht kennen konnte. Außerdem hatte Rhona versprochen gehabt, ihn mit Sammy zusammenzubringen. Ihr war das möglich, denn sie war Agentin der Atelianen und genoß das Vertrauen des Soob-kaas. Jerry konnte noch nicht wissen, daß Rhona mehr Agentin der Soobkaas als der Atelianen war. Ihre angebliche Agentenrolle für die Atelianen war Schein. Sammy hatte das Gefühl, einen großen Trumpf ausgespielt zu haben. Wenn er erwartete, daß Jerry jetzt aufgab, dann täuschte er sich. »Mortos wird mich nicht aufhalten können. Ich habe versucht, dir die Wahrheit über ihn zu sagen. Nun, du glaubst mir nicht. Dann kann ich es nicht ändern. Von jetzt an bist du für alles, was geschieht, selbst verantwortlich. Du wolltest es nicht anders haben. Bestelle deinem Mortos, daß er mir mit seinen Angeboten gestohlen bleiben kann Ich werde meinen Weg gehen, und er wird mich nicht daran hindern.« Damit war es ausgesprochen. Nicht direkt, sondern indirekt. Jerry betrachtete Sammy von jetzt an als seinen Gegner, und Sammy dachte seinerseits dasselbe.
9. Kapitel »Klick«, machte ein Relais und schloß einen neuen Impuls. Energien begannen zu fließen, Impulse jagten einander und aktivierten die dritte und letzte Hauptstufe. Damit hatten alle anderen Vor- und Hauptstufen ihre Arbeit erfüllt und fielen zurück in den Schlaf, aus dem sie eben erst erwacht zu sein schienen. Der »Große Plan« ging damit wieder einen kleinen Schritt seiner Vollendung entgegen, einer Vollendung, die noch in sehr ferner Zukunft liegen sollte. Der Ortungssektor der dritten Hauptstufe registrierte mit dem Urschema identische Individualimpulse im Sperrbereich der ersten Zone. Noch immer schlummerte das gigantische ETWAS im Innern des Berges. Erst
wenn die Quelle der Individualortung den Sperrbereich der ersten Zone erreicht hatte, würde die Hauptstufe den endgültigen Erweckungsprozeß einleiten. * Jerry King blieb einen Augenblick lang stehen und sah in den vor sich liegenden Gang. Etwas Ehrfurchtsvolles lag in seinem Blick. Es war die Ehrfurcht vor den Erbauern dieses Tunnels. Schon jetzt, allein an der äußeren Beschaffenheit des Ganges, ließ sich erkennen, wie unvergleichlich hoch diese alte Rasse gestanden haben mußte. Die Wände strahlten ein mildes, silbriges Licht aus, das alles in eine dämmerige Helligkeit tauchte. Nachdem Jerry den Anblick eine Weile auf sich einwirken gelassen hatte, verscheuchte er die aufkommenden Gedanken. Entschlossen brach er auf, dem unbekannten Ziel entgegen. Noch wußte King nicht, was ihn am Ende dieses Ganges erwartete. Würde es ihm gelingen, dieses sagenhafte Tor zu öffnen? Würde er in den Tempel der Zukunft eindringen können? Die Sache mit dem GROSSEN nahm Jerry nicht allzu ernst. Das war für ihn mehr oder weniger eine Sage, an die sich das degenerierte Volk klammerte. Ihn reizte das Ungewisse, das Geheimnisvolle, und nicht zuletzt die Aussicht darauf, etwas zu finden, das ihm den Weg zur Erde weisen konnte. Der Gang schien wirklich endlos zu sein. Er lief jetzt nicht mehr genau horizontal, sondern wies ein leichtes Gefalle auf. Erst nach über drei Kilometern kam die erste Abzweigung. Vor denen hatte Armon seinen Gast gewarnt. Er mußte sich stets geradeaus an den Hauptgang halten. Jerry überwand die aufkommende Neugier festzustellen, wohin einer dieser Nebengänge führte und setzte seinen Weg unbeirrt fort. Wenn nur nicht der Gedanke an Mortos gewesen, wäre, der Jerry zur Eile antrieb. Eine innere Stimme sagte ihm, daß der Widersacher bereits auf seinen Fersen war Er konnte sich nicht erklären, woher dieses Gefühl kam, aber seine Ahnungen hatten ihn bisher nur selten getäuscht. Ungewollt mußte King plötzlich an Rhona und Sammy denken. Bestand zwischen beiden ein Zusammenhang? Es war anzunehmen, denn sie fungierte als Agentin der Atelianen und verkehrte bei den Soobkaas. Sammy befand sich ebenfalls bei Mortos. Es war also immerhin möglich, daß beide Verbindung miteinander aufgenommen hatten und
zusammenarbeiteten. Rhona hatte ja immerhin das Treffen zwischen ihm und Sammy arrangiert. Beider Benehmen war mehr als seltsam. Jerry war allein. Oder etwa nicht? Er konnte das Gefühl, daß unsichtbare Augen jede seiner Bewegungen verfolgten, nicht loswerden. Mehrmals blickte er sich um, aber er sah niemand. Immer noch senkte sich der Gang, und obwohl er nun schon mindestens fünf Kilometer zurückgelegt hatte, war auch jetzt noch kein Ende abzusehen. Lediglich die Abzweigungen wurden häufiger. Das hier mußte ein riesiger unterirdischer Komplex sein. Jerrys Schritte hallten dumpf, aber das beirrte ihn nicht. Es bewirkte höchstens, daß ihm noch ein wenig unheimlicher zumute wurde. Endlich! Jerry atmete auf. Dort hinten war der Gang zu Ende. Er schritt schneller aus, um die Stelle zu erreichen, an der sich das Licht brach. Dann war er enttäuscht. Der Gang war gar nicht zu Ende, sondern machte lediglich einen rechtwinkligen Knick. Die ebenmäßige, glatte Beschaffenheit der Wände hatte den Eindruck entstehen lassen, daß hier das Ende war. Aber hinter dem Knick ging es weiter. Und wieder war kein Ende abzusehen. Etwas anderes machte Jerry aber jetzt stutzig. Die Beschaffenheit des Gangbodens änderte sich plötzlich. Er schimmerte heller als die Wände, die gleichzeitig etwas zurücktraten und den Querschnitt des Stollens um etwa die Hälfte vergrößerten. Was war das?. Plötzlich gab es hinter Jerry einen dumpfen Schlag. Er fuhr herum und mußte feststellen, daß ihm der Rückweg abgeschnitten war. Eine massive Wand verschloß den Gang hinter ihm. Aber das konnte doch nicht gut möglich sein. Eben noch war nichts von einer Tür oder Scheidewand zu erkennen gewesen. Es mußte eine optische Täuschung gewesen sein, hervorgerufen durch die Reflexe. Aber was hatte dann der Schlag eben zu bedeuten? Schnell überzeugte Jerry sich, daß er keiner Täuschung zum Opfer gefallen war. Der Gang war wirklich versperrt. Noch ein dumpfer Schlag! Das gleiche Schauspiel vor ihm. Auch dort ging es jetzt plötzlich nicht mehr weiter. Aber es mußte doch einen Weg geben.
Ganz sicher gab es einen, es galt nur, ihn zu finden. Das hieß, daß er versuchen mußte, durch eine der beiden Wände zu kommen. Wie das bewerkstelligt werden konnte, blieb vorerst noch unklar. Eigentlich war es ja schlecht vorstellbar, daß es nicht einen verborgenen Mechanismus geben sollte, der den Weg wieder freigab. Jerry sah sich um, es war nichts zu erkennen. Vorsichtig betastete er die vor ihm liegende Wand und mußte erneut feststellen, daß sie massiv war. Er blickte nach oben und entdeckte die beiden halbrunden Höcker, die schräg über ihm in der Wand saßen. Auf jeder Seite befand sich einer. Sie besaßen vorn kleine Öffnungen, die aber erst bei genauem Hinsehen erkenntlich wurden. Der Schluß, daß es sich bei diesen Höckern um kleine Kameras handelte, lag auf der Hand, war aber nicht zu beweisen. Wenn dem aber so war, dann mußte es auch jemanden geben, der ihn beobachtete. Oder sollten etwa von ganz allein die beiden Absperrungen aufgetaucht sein? Nein, das war unwahrscheinlich. Etwas mußte sie ausgelöst haben. Sicherlich verfolgten sie den Zweck, das Eindringen Unberufener zu verhindern. Also hieß es: Nicht verzweifeln, alles genau absuchen. Es mußte einfach einen verborgenen Mechanismus geben! Zoll für Zoll tastete Jerry die Wand ab, ohne Erfolg. Regierte der Öffnungsmechanismus vielleicht auf etwas anderes? Wenn ja, auf was? Es war zwecklos, darüber nachzudenken. Entweder er hatte durch Zufall Glück, oder… Aber lieber nicht darüber nachdenken. Zweimal rief er »Sesam öffne dich!« Es tat sich aber nichts. Natürlich hatte Jerry King auch nicht damit gerechnet. Nach einer Stunde ergebnislosen Suchens und Versuchens gab Jerry es auf. Resignierend setzte er sich auf den Boden und lehnte sich gegen die Wand. Dann sah er, was ihm bisher entgangen war. Es gab eine Fuge in der Wand neben ihm. Sie war nur ganz schwach, wie ein Haar. Die Haarlinie umschloß ein Quadrat von ziemlich genau zwanzig Zentimetern Seitenlänge. Hier mußte die Lösung verborgen sein! Nur, wie konnte diese Klappe, falls es eine war, geöffnet werden? Jerry stemmte seine Hand dagegen und versuchte, sie nach innen wegzudrücken. Verzweifelt wandte er alle Kraft an - ergebnislos! Er versuchte es ein zweitesmal und stieß einen überraschten Laut aus. Unter seinen Händen spürte er eine Bewegung. Dann sah er die Öffnung
In dem kleinen Hohlraum war nichts. Keine Spur eines verborgenen Mechanismus. Wie war diese Öffnung überhaupt entstanden? Jerry überlegte. Dann kam ihm die Erleuchtung Es mußte die Körperwärme gewesen sein, denn erst, als seine Hände einige Zeit auf der Fläche gelegen hatten, war sie verschwunden. Jerry griff jetzt in die Öffnung und legte die Handfläche auf die Bodenfläche. War es nicht naheliegend, daß die Wand sich ebenfalls mittels Körperwärme beseitigen ließ? Eine Minute ließ der Mann die Hand so liegen, ehe sich der Erfolg einstellte. Die Wand vor ihm wich zur Seite. Der Weg war frei! Aber wo war nun der Sinn des Aufenthaltes in der Kammer? Was bedeutete das alles? Handelte es sich nur um eine Sicherheitsvorkehrung der unbekannten Erbauer, oder wurde damit etwas anderes bezweckt? * Die Impulse der dritten Hauptstufe leiteten einen neuen Prozeß ein. ES begann sich zu regen. Fremde Gedanken drangen zu IHM vor. Fremde Gedanken zwar, aber doch vertraut, vertrauter, als die, die in der langen Zeit SEINES Bestehens aufgefangen worden waren. Informationen wurden von den ersten erwachten Sektoren aus den Speicherzentren abberufen und ausgewertet. Daraus ging hervor, daß sich wieder ein Wesen in den Sperrzonen befand. Es war bereits bis zur letzten Zone vorgedrungen, und das bedeutete, daß dieses fremde Wesen dasjenige war, auf das ES gewartet hatte. Dieses Wesen war anders als seine Vorgänger, ES verglich das Gedankenbild nochmals mit dem Urschema und stellte Identität fest. ES mußte den Weg freigeben und begann, endgültig in das letzte Stadium des Erwachens einzutreten. * Jetzt verlief der Gang wieder waagerecht, und noch mal hatte King einen Kilometer zurückzulegen. Sieben Kilometer mußten bereits hinter ihm liegen, als der silbrige Glanz des Bodens plötzlich aufhörte.. Jetzt war er tiefschwarz.
Was sollte das schon wieder bedeuten? Jerry King kam nicht mehr dazu, darüber länger nachzudenken, denn in diesem Augenblick betrat er etwas Schwarzes. Er sah die Wände an sich vorbeigleiten. Er stand also auf einem Transportband. Die Fremden wollten ihm wahrscheinlich den Fußmarsch bis zum Ende des Ganges ersparen. Immer schneller wurde die Fahrt, und es ging weiter leicht bergab. Kilometer um Kilometer legte Jerry hinter sich. Erst nach einer Viertelstunde ließ die rasende Fahrt wieder nach. Jetzt näherte er sich also endgültig dem Ziel. Sanft kam das Band zum Stehen. Jerry ging auf das Ende zu, in der Gewißheit, wieder einen Öffnungsmechanismus suchen zu müssen. Um so erstaunter war er, als er feststellte, daß er sich irrte. Selbsttätig, wie von Geisterhand bewegt, öffnete sich die Wand. Licht flammte in dem Augenblick auf, als sich das Tor wieder hinter ihm geschlossen hatte. Der Raum strahlte angenehme Helligkeit aus. Jerry sah sich um. Die Halle war leer, nichts befand sich darin. Oder doch? Die Wände waren anders beschaffen, sie glänzten nicht, sondern waren matt und, rauh. Jerry ging darauf zu, um sie zu untersuchen. Als er nahe davorstand, sah er, daß es Schriftzeichen waren Sie waren unbekannt und doch nicht ganz fremd. Wieder tauchte die Frage nach dem Zweck des Ganzen auf. Was besagten diese Inschriften? Waren es Verhaltungsmaßregeln? Für wen waren sie ursprünglich gedacht? Fragen, nichts als Fragen! Es war unmöglich, sich die Bedeutung erklären zu wollen. Die Zeichen waren doch irgendwie bekannt. Wo war er ihnen schon einmal begegnet? Jerry überlegte krampfhaft. Es stand fest, daß sie eine große Ähnlichkeit mit einer alten irdischen Schrift hatten. Es war eine Schrift aus der Antike. Ob da eine Parallele bestand? Ein absurder Gedanke, denn wie sollten die Alten jemals mit der Erde in Berührung gekommen sein? Das müßte dann doch in der Geschichte überliefert sein. Aber halt! Jerrys Gedanken überschlugen sich plötzlich. Atelian - Atelianen… Auch diese Worte zeigten klar eine Ähnlichkeit. Daß er nicht schon früher darauf gekommen war! Das war die Lösung des Rätsels. Atlantis!
Der sagenhafte versunkene Kontinent! Jetzt wußte Jerry auch, woher ihm die Zeichen so bekannt vorkamen. Er hatte sich früher einmal mit der Geschichte von Atlantis befaßt und war dabei auf diese Zeichen gestoßen. Aber welche Verbindung bestand zwischen den Atlantern und Atelian? Die Mendas hatten doch einen sehr großen… Wieder stockte Jerry in seinen Überlegungen. Mendas! Lag da nicht schon wieder eine Parallele? Mendas - Menschen? Diese Worte konnten ohne Zweifel derselben Ursprache entstammen. Eine kühne Theorie gewann langsam in Jerry Gestalt. War es nicht möglich, daß die Menschen Nachkommen der Atlanter waren? Konnten wiederum die Atlanter nicht in irgendeiner Verbindung zu den Mendas stehen? Sie waren ausgewandert und hatten die Erde besiedelt. Sehr vieles sprach für diese Überlegungen. * ES stellte fest, daß das Wesen logische Schlüsse ziehen konnte. ES hatte aus den Schriftzeichen heraus eine Verbindung der Mendas zu seinem Volk gefunden. Und diese Verbindung bestand tatsächlich, das Gehirnwellenmuster des Wesens bewies es eindeutig. Der Fremde, der eigentlich keiner war, hatte die letzte Prüfung bestanden. Nur darauf durfte ES reagieren. Und ES reagierte, indem ES sich selbst weiter aktivierte. Nur das Herz des Ganzen schlief vorerst weiter. Es mußte von dem Wesen selbst geweckt werden. Nur ein direkter Nachkomme der Atelianen durfte das Erbe und die Herrschaft übernehmen. Die Zeit des Wartens war vorbei.
10. Kapitel Mortos tobte! Ratlos stand der Hohepriester mit seinen Männern vor dem verschlossenen Gang. Zwei Stunden suchten sie ihn jetzt bereits ab - ohne Erfolg! Jerry King war noch immer nicht gefunden worden.
»Hier kann er nicht sein. Entweder hat er einen anderen Gang genommen, den wir nicht kennen, oder aber er ist in einem der zahllosen Nebengänge verschwunden«, sagte Sammy erregt. »Hier ist Schluß!« Rief Mortos wild gestikulierend. »Wir können uns nicht damit aufhalten, sämtliche Nebengänge abzusuchen. Das dauerte zu lange, und dann ist es zu spät.« »Was sollen wir denn sonst tun?« Fragte einer der Priester. »Irgendwo muß er doch sein, und finden müssen wir ihn. Vielleicht…« »Vielleicht, vielleicht«, unterbrach Mortos. »Wenn wir jeden einzelnen Gang absuchen wollten, würden wir in einer Woche noch nicht fertig sein. Inzwischen ist King längst in den Tempel eingedrungen. Ich vermute, daß es noch einen anderen Gang geben muß. Wir werden uns wohl an Armon halten müssen. Nur dieser alte Ketzer kann uns jetzt noch weiterhelfen. Es dürfte nicht sehr schwer sein, ihn zum Reden zu bringen.« Hier irrte Mortos; aber das erfuhr er noch früh genug. Man eilte den Weg zurück, den man vor Stunden bereits gekommen war. Mortos zweifelte daran, daß er noch rechtzeitig kam. Er machte ein verbissenes Gesicht und war fest entschlossen, seine Macht unter keinen Umständen aus der Hand zu geben. Wenn alle Stricke reißen sollten, blieb immer noch die Flucht zur Nebenzentrale auf Siebzehn, von der nur er und wenige Eingeweihte wußten. Zwar würde es längere Zeit dauern, bis man stark genug war, um King seine Macht wieder abzunehmen, aber das mußte in Kauf genommen werden. Rücksichtslos drangen sie bei Armon ein. Das Oberhaupt der Atelianen war nicht wenig erstaunt, seinen größten Widersacher plötzlich hier zu sehen… »Was willst du, Mortos?« fragte Armon. »Wo ist der Fremde, der Jerry genannt wird?« umging Mortos die Frage mit einer Gegenfrage. »Ich weiß es nicht.« Das klang bestimmt und sicher, aber Mortos wußte, daß Armon nicht die Wahrheit sagte. »Du lügst!« Brauste er auf und faßte den Mann nicht gerade sanft an. »Ich glaube dir nichts, du hast dem Fremden den Weg gewiesen, und den sollst du nun auch mir zeigen.« Armon zuckte trotz allem mit den Schultern. »Ich weiß von nichts«, sagte er dann. »Dann werde ich deinem Wissen ein wenig nachhelfen müssen.« Mortos gab einigen seiner Leute ein Zeichen. »Greift ihn, wir nehmen ihn mit; dann wird sich erweisen, was er weiß und was nicht.«
Zwei der Priester ergriffen Armon und wollten ihn wegschaffen. Doch Mortes fuhr noch einmal dazwischen. »Halt!« Er ging auf Armon zu. »Ich hätte es bald vergessen. Wo sind die beiden Priester, die dein Haus in der vergangenen Nacht besucht haben?« Armon zitterte vor Wut. So leicht wollte er es seinen Gegner nicht machen. »Mach dir keine Sorgen, die beiden sind gut aufgehoben. Wenn ich ihnen nicht immer pünktlich etwas zu essen bringe, werden sie verhungern. Nehmt mich also ruhig mit.«, »Ja, das werden wir auch tun«, höhnte Mortos, »aber auch die beiden Priester werden uns begleiten. Nun, wo hältst du sie gefangen?« Armon lächelte überlegen. »So, ihr werdet sie mitnehmen? Das ist ja interessant. Dann sucht sie nur. Nur ich allein weiß, wo sie sind.« »Und deshalb wirst du es uns ja auch sagen.« * Das kleinste Geräusch, das Jerry verursachte, hallte in der riesigen Kuppel wider und ließ das Gefühl des Alleinseins aufkommen. Diese Halle war nicht leer, wie die vorhergehende. Bildschirme aller Größen zogen sich in endlosen Reihen an den Wänden entlang. Maschinen und Geräte standen hier, die einerseits erschreckend fremd, andererseits aber wieder vertraut wirkten. Jerry King hielt den Atem an. Voller bewundernder Ehrfurcht stand er vor dem, was die Alten da einst geschaffen hatten. Er war am Ziel, mitten im Zentrum der Macht. Er war allein, und doch wieder nicht. Das Gefühl des Beobachtetwerdens war hier noch stärker, als es in den Gängen gewesen war. Wie lange mochte das alles hier schon stehen? Es sah so aus, als sei gestern hier zum letztenmal gearbeitet worden, und doch, Jahrtausende konnte keines Menschen Fuß das alles hier betreten haben. Zu welchem Zweck hatten die Mendas das gebaut? Hatte es vielleicht doch etwas mit dem mysteriösen GROSSEN zu tun? Jerry trat an einen Maschinengiganten heran und besah sich unschlüssig das Bedienpult. Es befand sich in Brusthöhe vor ihm. Es machte den Eindruck, als handle es sich um ein überdimensionales Elektronengehirn, aber es mußte mehr, ungleich mehr sein. Minutenlang betrachtete Jerry King die Hebel. Das Verlangen, sie zu bedienen, war groß. Der Drang, zu wissen, was sich hinter dieser Maschine
verbarg, wuchs immer mehr. Aber dieser Drang wurde überschattet von der Furcht vor dem Unbekannten. Welche Reaktion konnte eine unbedachte Schaltung hervorrufen? Woher sollte er denn wissen, ob es nicht eine verborgene Sicherheitsvorrichtung gab? Es wäre leichtsinnig gewesen, annehmen zu wollen, die Alten hätten das ohne jeglichen Schutz zurückgelassen. Jetzt sah Jerry wieder Armons Gesicht vor seinem inneren Auge. Er glaubte, dessen Stimme zu hören. »Die Soobkaas glauben an ein Strafgericht, wenn Atelians Ruhe gestört wird.« Wer war wiederum Atelian? Vielleicht war es diese riesige Maschine, vielleicht auch etwas anderes. Um das zu ergründen, war er hierher vorgedrungen. Ein großer roter Hebel stach besonders ins Auge. Rot war die Farbe für Gefahr - wenigstens bei den Erdenmenschen. »Wenn ich nur wüßte, wie ich am besten vorgehen soll?« Fragte er sich laut. Jetzt sah Jerry den kleinen Bildschirm, der neben den großen unscheinbar wirkte. Darunter befand sich ein kleiner Hebel, der zweifellos dazu diente, ihn in Betrieb zu setzen. Dieser Hebel schien harmlos zu sein. Wahrscheinlich würde der Schirm aufleuchten, wenn man ihn betätigte. Gerade er konnte eine wichtige Hilfe für das weitere Vorgehen sein. Einmal mußte ja der Anfang gemacht werden. Entschlossen griff Jerry danach und schaltete. In schweigender Spannung wartete er ab, was geschehen würde, und im ersten Moment tat sich noch gar nichts. Dann erschien auf dem Bildschirm ein Schaltpult, das gleiche wie das, vor dem er jetzt stand. Ganz deutlich war darauf der auffällig rote Hebel zu erkennen. Das Bild vergrößerte, bis nur noch der Hebel sichtbar war. Auf dem Bild rastete er plötzlich in die unterste Stellung, und dann wurde der Schirm wieder dunkel. Das war deutlich genug. Die Aufforderung des Unbekannten, diesen Hebel zu bedienen, war nicht zu verkennen. Langsam, immer noch zögernd, umklammerte Jerry King ihn und zog ihn dann kurz entschlossen herunter. *
Der endgültige Erweckungsimpuls wurde eingeleitet. Der Stromkreis der letzten Phase war geschlossen worden und ein entsprechender Impuls durchjagte verschiedene Relais. In der tiefen Gruft begann im gleichen Moment eine kristallklare Flüssigkeit leicht zu wallen. Sie umspülte ein großes ETWAS und regte das schlummernde Leben wieder an. Erste Gedanken durchzuckten ES. Von den Informationsspeichern floß Wissen in die Gehirnzentren. ES begann zu denken. Jetzt war die Zeit des Wartens vorbei, überlegte ES. Jemand - ein intelligentes Wesen - hatte den Erweckungsprozeß eingeleitet. ES kannte das fremde Wesen. Die Vorstufen hatten den Fremden getestet und seinen Gedankeninhalt erfaßt. * Jerry King war enttäuscht! Er hatte erwartet, daß jetzt um ihn herum alles mögliche geschehen würde; aber das war nicht der Fall. Er wollte sich gerade etwas anderem zuwenden, als es geschah. Etwas, womit Jerry niemals gerechnet hatte, und das ihn im ersten Moment derart erschreckte, daß er einen Moment lang glaubte, wahnsinnig zu werden. »Ich danke dir, Jerry King, daß du mich aktiviert hast.« Jerry drehte sich um, aber der unbekannte Sprecher war nirgends zu sehen. Aber er hatte doch ganz deutlich seine Stimme gehört! »Wer - wer bist du?« »Ich bin der, zu dem du gekommen bist. Man nennt mich Atelian, Mensch Jerry King!« »Der Gott Atelian?« »Nein, ich bin kein Gott. Meine Speicherzentren teilen mir mit, daß das Volk mich für einen Gott hält, aber dem ist nicht so. Ich bin der letzte Lebende meiner Rasse.« Plötzlich war Jerry sehr gefaßt und ganz ruhig.« »Wo bist du, Atelian, ich kann dich nicht sehen.« »Ich bin alles, was du hier siehst, aber das ist ungenau ausgedrückt. Das, was du hier siehst, sind Teile von mir, genauer gesagt, meine mechanischen Teile. Ich selbst bin organisch. Zwischen mir und den einzelnen Sektoren besteht eine Art Symbiose. Die Speicher sind ohne mich nutzlos, genauso, wie ich es ohne die Speicher bin.«
»Woher kennst du meinen Namen?« erkundigte sich Jerry, der sich das Wundern mittlerweile abgewöhnt hatte. »Erinnerst du dich, daß du in dem Gang plötzlich eingesperrt warst? In diesem Raum befanden sich kleine Tester, die du für Fernsehkameras hieltest. Mit ihnen wurden dein Bewußtseinsinhalt meinen Speicherzentren zugeführt.« Jerry erinnerte sich nur zu gut an den Aufenthalt in der Kammer. Diesem Zweck diente das also! »Eine meiner Hauptstufen verglich deinen Bewußtseinsinhalt mit dem verankerten Urschema. Nachdem Identität festgestellt worden war, wurde dir der Weg freigegeben«, erklang wieder die Stimme Atelians. »So bin ich also ein Berufener?«: fragte Jerry. »Du bist nicht ein Berufener, sondern der Berufene! Ich wußte, daß du eines Tages kommen würdest; nur deshalb existiere ich.« »Wann wurdest du erbaut?« Jerry glaubte, ein Lachen zu vernehmen. »Zeit spielt für mich keine Rolle. Es ist bedeutungslos, ob ich Jahrhunderte oder Jahrtausende wartete. Ich will dir die Frage beantworten. Nach deiner Zeitrechnung bin ich knapp vierzehntausend Jahre alt.« »Vierzehntausend Jahre?« Jerry King konnte es nicht richtig fassen. Über welche technischen Mittel mußten die Erbauer verfügt haben? »Meine Rasse war groß und mächtig«, antwortete Atelian, »doch das war vor langer Zeit. Wir beherrschten einen großen Teil der Galaxis, aber trotzdem gab es auch für uns noch viel, was wir nicht ergründen konnten. So stießen wir eines Tages auf eine andere Rasse. Sie besaß ein großes Imperium, das nur fünfzehntausend Lichtjahre von dem unseren entfernt war. Der Grund, daß wir es nicht schon früher entdeckten, war, daß das Reich hinter einer großen Dunkelwolke verborgen lag, die wir noch nicht durchdrungen hatten. So mußten wir feststellen, daß wir nicht die einzige mächtige Rasse waren. Die Fremden stellten sich uns in den Weg. Sie waren nicht humanoid und so grundverschieden von uns, daß eine friedliche Existenz nebeneinander undenkbar war. Feindseligkeiten wurden eröffnet, und dann kam der »Krieg der tausend Jahre«. Wir wurden immer mehr zurückgedrängt. Diesen Krieg haben wir Mendas nie gewollt. Wir wurden dazu gezwungen. Meine Rasse stand zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Höhe ihrer Entwicklung. Unser Tatendrang hatte sehr stark nachgelassen. Die Pfuthars hingegen waren noch jung und voller Expansionsdrang. So führten wir einen Krieg der Defensive, in der Gewißheit, daß wir am Ende
doch würden unterliegen müssen. Wir gaben uns aber nicht geschlagen, sondern entwickelten den. Großen Plan.« Die Pfuthars waren also die Wurzel allen Übels. Jerry hatte ihre Bekanntschaft gemacht, doch sie war zu kurz, um ihre Grausamkeit voll zu spüren. Jerry hatte sie als stolz und von sich eingenommen kennengelernt - aber schließlich kann sich eine Rasse innerhalb einer so langen Zeit auch ändern. »Die Pfuthars waren es, die mich hierherbrachten«, sagte Jerry. »Das habe ich deinem Bewußtsein bereits entnommen«, erwiderte Atelian, »das alles gehört mit zu dem Großen Plan. Es begann damit, daß du ermordet wurdest; auch das war vorausbestimmt. Aber etwas ist anders gekommen. Drei Menschen sind hier, anstatt nur eines einzigen. Der, den man Samuel Connory nennt, ist ein Verräter. Er wird dir noch Schwierigkeiten machen. Nicht heute, sondern in ferner Zukunft.« * Armon fror. Es war kalt in den Gewölben. Seit Stunden schon befand er sich hier, in der Gewalt Mortos, der verzweifelt versuchte, etwas aus ihm herauszubekommen. Natürlich war dem Hohepriester das nicht gelungen, denn Armon schwieg beharrlich. Jedoch der Alte verlor den Mut nicht. Mochte Mortos toben. Er konnte den Lauf der Dinge nicht mehr aufhalten. Inzwischen mußte Jerry schon sein Ziel erreicht haben. Ein Eingreifen von Mortos kam ohnehin zu spät. Armons Zelle war nur klein. Er konnte nichts anderes tun, als immer nur die kahlen Felsen zu betrachten und nachzudenken. Er dachte an Rhona. Sie war hier, aber zweifellos wußte sie nicht, wo ihr Vater sich befand. Man mußte versuchen, ihr irgendein Zeichen zu geben. Dann würde sie bestimmt versuchen, ihm zur Flucht zu verhelfen. Gefesselt hatten sie ihn nicht, denn eine Flucht von hier unten schien sowieso illusorisch. Jetzt stand der Machtkampf in seiner letzten entscheidenden Phase. Bald mußte sich zeigen, wer der Stärkere war. Die Zeit verstrich unendlich langsam, und nichts tat sich. Mortos glaubte seinen Widersacher sicher, deshalb konnte er sich Zeit lassen. Gegen Jerry vermochte er nichts mehr zu unternehmen, das stand fest. Mortos würde zu diesem Zeitpunkt ratlos sein.
Und er war auch ratlos. Jerrys Macht mußte unter allen Umständen gebrochen werden, und dazu gab es nur einen Weg. Die Zentrale auf Siebzehn. Dort mußte er hin! Aber wie sollte er das anstellen? Er wußte, daß es ihm niemals gelingen würde, von der Zentrale Besitz zu ergreifen. Aber Samuel Connory würde eindringen können, wie King in den Tempel eindringen konnte. Sammy mußte vorgeschickt werden, um für Mortos den Weg zu ebnen. Dann wollte er selbst nachkommen und die Macht übernehmen. Mortos lächelte verbissen. Er sollte sich nur nicht zu früh freuen. Der Machtkampf war noch nicht zu Ende. Jerry stand allein, aber hinter Mortos standen viele Helfer. Mortos ließ Sammy zu sich rufen. Der brachte Rhona mit, als er kam. Die beiden trennten sich kaum noch. Mortos sah mit gemischten Gefühlen, daß sich hier etwas anbahnte. »Höre, Samuel Connory«, begann er, »Durch die unglückliche Entwicklung der Dinge haben wir die erste Runde verloren. Das bedeutet aber noch keine Niederlage. Es gibt noch einen Weg. Ich erwähnte dir gegenüber schon einmal die Zentrale auf dem Planeten siebzehn des Reiches. Dorthin sollst du dich jetzt begeben und eine Macht gegen Jerry King aufbauen. Diese Aufgabe kann nur von dir übernommen werden, denn die Automatik wird keinen anderen akzeptieren.« »Ich werde gehen«, sagte Sammy, »aber nur, wenn ich Rhona mitnehmen kann. Ich lasse sie nicht zurück.« Sammy sah das Mädchen verliebt an, und sie legte ihren Arm um seine Schultern. Mortos war unschlüssig. Mit diesem Fall hatte er nicht gerechnet; aber das mußte er jetzt in Kauf nehmen. Er gab seine Einwilligung. »Das Raumschiff ist ferngesteuert. ES hatte ursprünglich die Aufgabe, den GROSSEN nach Siebzehn zu bringen. Nun wirst du es sein.« »Mortos schickt dich vor, damit du für ihn alles vorbereitest«, sagte Rhona, als sie wieder allein waren, »er wird sich nachher ins gemachte Bett legen wollen, denn er ist nicht der Mann, der einem anderen freiwillig soviel Macht überläßt.« Sammy lächelte hintergründig. »So ist das also. Da hat er sich aber gründlich verrechnet. Er scheint die Rechnung ohne den Wirt gemacht zu. Haben. Wenn ich erst einmal dort bin, ist für ihn kein Platz mehr.« *
Vor Jerry tat sich eine andere Tür auf. Er betrat eine weitere große Halle. »Zeige dich, Atelian!« rief Jerry. »Nicht ungeduldig werden, mein Freund, du mußt erst auf meinen Anblick vorbereitet werden. Du erwartest, einen Menschen zu sehen, aber das Ist nicht der Fall. Du darfst nicht erschrecken, wenn du mich gleich erblicken wirst. Ich sehe ganz anders aus, als Du erwartest. Jetzt tritt an die Brüstung.« Jerry kam der Aufforderung nach. Er blickte in einen tiefen Abgrund, aber dort war nichts. Das änderte sich jedoch schneller, als der Mann gedacht hatte. Der Boden des Verlieses öffnete sich, und ein helles Leuchten drang zu Jerry herauf. Was er jetzt sah, raubte ihm für einen Augenblick den Atem. Er war sich darüber klar, keinen normalen Menschen erwarten zu dürfen, aber mit dem, was sich jetzt seinen Augen bot, hatte er nicht gerechnet. Unter der transparenten Kuppel sah er Atelian, oder besser das, was sich so nannte. Es war nichts anderes als ein riesiges lebendes Gehirn. Kabel und Kontakte führten in die Masse hinein, die in einer klaren Flüssigkeit ruhte. »Ja, das bin ich«, klang Atelians Stimme auf. »Es erschreckt dich, daß ich keinen Körper habe, und du wunderst dich über meine Größe. Nun, ursprünglich war ich ein ganz normales Gehirn, und ich hatte auch einen Körper. Aber das ist lange her. Unsere Wissenschaftler haben die Masse meines Gehirns tausendfach vergrößert. Nun höre!«
11. Kapitel Unaufhaltsam ging der Bau an dem riesigen Gehirn weiter. Er schritt rasch voran, getrieben von der Zeit, die gegen sie stand. Mit Genugtuung sah Atelian, wie sein Werk sich entwickelte. Es sollte das Werk sein, das sein Volk vor dem endgültigen, totalen Untergang bewahrte.. Aber Atelian war nicht zufrieden. Etwas fehlte, etwas, was dieses Zentrum der Macht vollkommen machte. Es war nur ein toter Bau, in dessen gigantischen Speicherstationen sich das Wissen einer ganzen Rasse sammelte. Dieses Wissen sollte einst den Nachkommen der jetzt lebenden Mendas einen neuen Anfang ermöglichen. Wissenschaft und Technik hatten ihren Höhepunkt schon lange erreicht, aber es gab Wesen, die den Mendas nicht nachstanden und die versuchten, mit ihrer brutalen Macht und Gewalt das Imperium zu übernehmen.
Lange währte der Krieg gegen die Pfuthars schon, fast ein ganzes Jahrtausend. Die Pfuthars waren eine junge Rasse, nicht humanoid und in ihrer ganzen Art von den Mendas grundverschieden. Ihre Mentalität und ihre Logik waren grundverschieden. Diese beiden Rassen unterschieden sich in allem, und im Laufe der Zeit war klar geworden, daß es eine friedliche Koexistenz nicht geben konnte. Die Mendas selbst waren schon alt und konnten auf eine fast zwanzigtausendjährige Geschichte zurückblicken. Das war der eigentliche Grund, daß sie den Pfuthars unterlegen waren. Bald würde die Entscheidung fallen - zugunsten des Feindes. Atelian hatte das rechtzeitig erkannt und versucht, das Beste aus der Lage zu machen. So entwickelte er den »Großen Plan«. Die Mendas sollten überleben, oder zumindest ein kleiner Teil von ihnen - die Elite. Deshalb entstand das Zentrum der Macht. Es war derart abgesichert, daß die Feinde es niemals würden nehmen können. Trotzdem war Atelian mit seinem Werk nicht zufrieden. Es fehlte das Leben in diesem Zentrum, das selbständig denkende Leben, das die lange Zeit des Wartens überdauern konnte und gegen das alle Positroniken doch nur Stückwerk bleiben mußten. Atelian wollte etwas Vollkommenes, kein Stückwerk. Der Plan, der sich in seinem Gehirn immer deutlicher herauskristallisierte, nahm langsam Formen an. Es wurde ein organisches Gehirn gebraucht, das die Jahrtausende im künstlichen Tiefschlaf überdauern konnte. Später, wenn es erweckt wurde, sollte es den Nachkommen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Atelian sah die Lösung vor sich, die einzige Lösung, die es überhaupt geben konnte. Aber noch war es nicht soweit, daß er seinen Plan in die Tat umsetzen konnte. Noch war er der einzige, der davon wußte. Jetzt waren die Pfuthars noch ein junges Volk, voller Energie, im Gegensatz zu den alten, müden Mendas. Wie aber würde das in weiteren zehntausend Jahren aussehen? Konnten nicht bis dahin die Pfuthars degeneriert sein? Weiterhin konnte nach dem heutigen Stand der Wissenschaft ein vollkommener Stillstand in der Entwicklung niemals eintreten. Das hieß, daß die Mendas wohl degenerierten und in die Primitivität zurückfielen, dann aber ein neuer Anfang kommen würde. Die praktisch wieder jung gewordenen Mendas konnten dann neu beginnen. *
Immer mehr Wissen sammelte sich in den Speicherbänken an. Die Nachkommen sollten aus den Fehlern der Alten lernen und sie vermeiden. Was einmal geschehen war, durfte für die spätere Zukunft nicht verborgen bleiben. Atelians »Großer Plan« war überall begeistert aufgenommen worden. Man hatte eine Expedition ausgeschickt, die einen geeigneten Siedlungsplaneten suchen sollte. Man fand die ersehnte Welt. Es war ein jungfräulicher Planet, unbewohnt und mit den besten Lebensbedingungen. Es stand auch nicht zu erwarten, daß die Flaschenwesen ihn entdeckten, denn er lag in einem anderen Spiralarm der Galaxis, vierzehntausend Lichtjahre entfernt. Dieser Planet kreiste als dritter um eine kleine gelbe Sonne. Man gab ihr den Namen SOLA. Dann entstand das Auswandererschiff »Atlantis«. Der Riesendiskus stellte eine Welt für sich dar und würde eine halbe Million Mendas aufnehmen. Sie sollten neu beginnen und eines Tages zurückkehren, in die Heimat der Väter. An alles wurde gedacht, auch daran, daß das Wissen um die eigene Herkunft und den Zweck der Auswanderung nicht verlorengehen konnte. Man brachte Aufzeichnungen an Bord, die über alles Auskunft geben konnten. Sie sollten nicht nur das Wissen beinhalten, das für einen neuen Anfang nötig war, sondern auch die lange Zeit des Vergessens überbrücken, die zweifellos kommen würde. Es galt, einen Planeten zu besiedeln, und das war eine schwere Aufgabe. Der Start stand jetzt bevor. Lange konnte es nicht mehr dauern. Jeder einzelne an Bord war eine Kapazität in seinem Fach. Er mußte es sein, denn die Pionierarbeit verlangte großes Können auf allen Gebieten. Atelian sah Maragon, den Kommandanten des Schiffes, zu sich herüberkommen. Er war noch einmal beim Rat der weisen Väter gewesen, um seine letzten Instruktionen zu holen. Maragon begrüßte Atelian nach alter Freundessitte mit einem Handschlag. »Jetzt ist es bald soweit«, sagte Atelian, »es freut mich, daß du noch einmal gekommen bist.« »Das ist doch selbstverständlich«, erwiderte Maragon lächelnd. »Ich wollte dir noch Lebewohl sagen - wir werden schon morgen starten. Die, Atlantis ist bereit für ihre große Reise. Ihr, die ihr zurückbleibt, werdet es nicht leicht haben. Aber auch uns erwartet kein Kinderspiel. Wir begeben uns in die ungewisse Zukunft einer jungen Welt, von der niemand weiß,
was sie für uns bereithält. Ich verlasse meine Heimat nicht gern, aber der, ›Große Plan‹, dein ›Großer Plan‹, erfordert es. Doch unsere Nachkommen werden einst hierher zurückkehren, dann wird das Volk der Mendas eine neue Blüte erleben.« »Hoffen wir es«, sinnierte Atelian, »vorausgesetzt, es geht alles gut, werden immer noch Jahrtausende vergehen, bis die Nachkommen zurückkehren können. Aus eurem kleinen Häufchen wird sich ein neues Volk entwickelt haben.« Wehmut klang in der Stimme des großen Mannes mit. Es war nicht leicht, zuzusehen, wie ein großes Volk, das vierundzwanzig Planeten besiedelte, vor einem noch mächtigeren Feind kapitulieren mußte. Aber hatte er nicht alles Erdenkliche getan, um das Schicksal wenigstens einigermaßen zu mildern? Hatte er nicht erst die Voraussetzungen zu einem neuen Anfang geschaffen? Atelian wandte sich wieder dem großen Kuppelbau zu, der über dem Zentrum der Macht entstand. Nicht mehr lange, und ein Energieschirm würde sich darüberlegen, der es unangreifbar machte. Und wieder resignierte der Wissenschaftler. Was nützte das alles hier, wenn nicht ein lebendes Gehirn die ganze Zeit überdauerte? Was nützte noch so viel gespeichertes Wissen, wenn niemand da war, der selbständig denken konnte und den Nachkommen mit Rat zur Seite stand? Das war jetzt seine, Atelians, Aufgabe. Sein Opfer bestand darin, dem Körper zu entsagen und die lange Zeit zu überdauern. * Jerry King erwachte aus einem tiefen Schlaf. Er hatte geträumt! Ganz deutlich sah er es noch vor sich. In dem Traum war er Atelian gewesen und hatte den Bau des Zentrums erlebt. »Nun kennst du meine Vergangenheit, Jerry King. Du weißt jetzt, was einst geschah und weißt auch Bescheid über meine Aufgabe. Da du alles mit meinem damaligen Bewußtsein erlebt hast, kannst du auch meine Beweggründe verstehen. Diese Art des hypnotischen Selbsterlebens erspart mir langwierige Erklärungen und garantiert ein besseres Verständnis der Situation deinerseits.« »Damit wolltest du zum Ausdruck bringen, daß wir Erdenmenschen direkte Nachkommen von euch Mendas sind. Eure Auswanderer besiedelten also unseren Planeten, und wir sind ihre Nachkommen.«
»Ja, so ist es«, erwiderte Atelian. »Aber nicht nur ihr Menschen seid unsere Nachkommen. Schon lange vor der Auswanderung, die du erlebtest, sandten wir Siedlerschiffe aus. Das war in unserer Blütezeit. Wir besiedelten viele Planeten, und es gibt heute schon mehrere tausend Rassen, die von uns Mendas abstammen. Ihr Menschen seid nur eine davon.« Jerry überlegte. Was er da vernahm war so ungeheuerlich, daß er Mühe hatte, es zu begreifen. »Dann seid ihr also praktisch die Urrasse gewesen?« Hätte Atelian einen Kopf besessen, dann hätte man jetzt sehen können, wie er ihn schüttelte. »Nein, Jerry, die Urrasse waren wir nicht. Niemand kann sagen, wer die Urrasse war, von der alles Leben abstammt. Vielleicht war es eine Urrasse, die irgendwo im Universum einmal entstand, und aus der sich alles andere später entwickelte. Wir hielten uns damals für eine fortschrittliche Rasse, aber es gelang uns niemals, den Ursprung des Lebens zu ergründen. Mag der aber noch so verschieden sein, der Schöpfer ist immer der gleiche. Der ewigwährende Allgeist hat das Universum und alles Leben darin erschaffen. Alles kommt letztlich von ihm. Niemals wird es gelingen, das Universum ganz zu erobern. So mächtig kann keine einzelne Rasse werden, denn das All ist zu groß. Es wird eines Tages vielleicht einer Rasse gelingen, unsere Galaxis ganz zu erforschen, aber da dürften die Grenzen liegen, die wir nicht mehr überschreiten können.« »Und was geschah nun weiter mit den Auswanderern?« Fragte Jerry. »Das weißt du doch selber. Gehe in der Geschichte der Erde zurück, und du wirst die Lösung finden. Wir irrten uns in der Annahme, auf der Erde unsere Kultur erhalten zu können. Die Mendas degenerierten weiter. Es mußte so kommen, denn sie waren zu alt und müde. Diese Entwicklung sah ich voraus, behielt sie aber für mich, denn es gab ja noch die Aufzeichnungen, die ein Vergessen verhindern sollten. Nach dem Verfall würde ein neuer Aufschwung kommen, und dann brauchte man die Aufzeichnungen. Aber es kam anders. Etwa achthundert Jahre nachdem unsere Leute auf der Erde landeten, machte eine Gruppe der damaligen Herrscher den Versuch, mit dem alten Schiff noch einmal zu starten. Inzwischen hatten sie aber verlernt, die Energie zu beherrschen und jagten das Schiff bei einem Startversuch in die Luft.« »So ging also der Kontinent Atlantis damals wirklich unter«, sinnierte Jerry King, »bei uns auf Terra wurden viele Theorien über den
versunkenen Kontinent laut. Einige Leute sagen, ein gewaltiger Komet habe die Erde gestreift, andere behaupten, ein großer Meteor sei abgestürzt. So gibt es noch einige andere Theorien, aber eigenartigerweise hängt mit dem Untergang von Atlantis immer die Sintflut zusammen.« »Sie steht damit in Verbindung«, kam Atelians Antwort. »Die Explosion des Schiffes riß die Erde auf, und Milliarden Tonnen flüssigen Mangans ergossen sich in die Meere. Der Kontinent senkte sich und wurde überspült. Das löste eine Flutwelle aus, die alles überspülte. Auf allen Meeren des Planeten machte sie sich bemerkbar, aber natürlich war sie an den Stellen, die vom Zentrum am weitesten entfernt lagen, nur noch verhältnismäßig schwach.« Gespannt hatte Jerry den Worten Atelians gelauscht. Es war viel Neues, was er hier erfuhr, viel mehr, als er sich je erträumt hatte. »Armon erzählte mir von einer Sage, in der es heißt, daß einst ein GROSSER kommen solle. Ich hielt das mehr oder weniger für Unsinn, aber nach Lage der Dinge scheint doch mehr daran zu sein, als ich annahm.« »Die Sage beruht auf Wahrheit«, sagte Atelian, »die Überlieferungen der alten Zeit sind teilweise, wenn auch in stark abgeänderter Form, erhalten geblieben. Es war zum Beispiel niemals vorgesehen, daß man mich als einen Gott betrachtete. Damals war ich der Retter unserer Rasse und man ließ mir Verehrung zuteil werden, aber mit einer Vergötterung hatte das nichts zu tun. Ich bin kein Gott, Jerry King. Diese Verehrung der Mendas muß aufhören, und du wirst es ihnen sagen.« »Verzeihe mir, großer Atelian«, warf Jerry ein, »du sagst, ich solle das Volk wieder zur alten Macht führen. Ich bin aber nur ein einfacher Mensch, ohne besonders hervorragende Fähigkeiten. Ich glaube nicht, daß ich einer so gewaltigen Aufgabe gewachsen sein werde. Ich kann nicht ganz allein ein so mächtiges Imperium wieder aufbauen. Das würde Jahrhunderte dauern, und soviel Zeit steht mir nicht zur Verfügung.« »Jerry King!« Klang jetzt Atelians Stimme wieder auf und es schien so etwas wie ein vorwurfsvoller Ton darin zu liegen, »du stehst nicht allein In diesem Punkt irrst du dich genauso, wie in noch einigen anderen. Aber du wirst das alles zur richtigen Zeit erkennen, oder erfahren. Vergiß nicht, daß meine Existenzberechtigung nur darin liegt, demjenigen, der von den Alten kommt, bei seiner großen Aufgabe behilflich zu sein. Mein Wissen steht dir zur Verfügung. Das gibt dir eine sehr gute Grundlage für den Anfang. Du bist berufen, berufen zum Herrschen und berufen zur Macht.«
Jerry wurde nachdenklich. Eigentlich war er hierhergekommen, um einen Weg zu finden, der ihn die Erde wiedersehen lassen würde. Nun jedoch sah er sich vor das alles hier gestellt Er fragte sich, ob er eigentlich noch zurückkonnte. Jerry hatte Angst vor dem, was da auf ihn zukam. Nun, das Suchen nach der Erde mußte vorerst zurückstehen. Wer weiß, vielleicht sah er seine Heimat sogar niemals wieder. »Doch, mein Freund, du wirst sie wiedersehen«, ertönte plötzlich die vertraute Stimme aufs neue. Atelian hatte die unausgesprochene Frage in Jerrys Gedanken gelesen. »Du wirst nicht nur die Erde wiedersehen, sondern es steht dir noch etwas Größeres bevor. Aber der Weg ist noch unendlich weit, und dein Ziel liegt in einer fernen Zukunft.« Atelian machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: »Samuel Connory ist soeben gestartet.« »Gestartet, wohin?« Jerry verstand das nicht. Wieso sollte Sammy gestartet sein, und vor allem wohin? Atelian erklärte auch diese Frage und schloß mit den Worten: »Freund, dieser Mann wird dir noch viele Schwierigkeiten bereiten.« »Wie soll er das denn, wenn er auf Siebzehn ist?« »Das ist nicht sehr schwer mit Hilfe der Zentrale, die sich dort befindet Ich habe sie damals bauen lassen, um später den Aufbau an zwei verschiedenen Stellen, unabhängig voneinander, beginnen zu lassen. Ich versäumte eine Synchronschaltung mit meinen Zentren, und das erweist sich jetzt als Fehler. Das sah der ›Große Plan‹ nicht vor. Du hast jetzt also zwei Gegner.« Atelian schwieg eine Weile, um Jerry Gelegenheit zu geben, das alles in sich aufzunehmen. Dann fuhr er fort: »Du bekommst für deinen Aufbau alle nur erdenkliche Hilfe. Wir Alten haben an alles gedacht. Auf jedem Planeten stehen dir hunderttausend vollpositronische Roboter zur Verfügung, fertig programmiert und bereit zum Einsatz. Sie werden eine Industrie aufbauen, die später von den Menschen übernommen werden soll.« So war das also! Atelian wollte sich nach Jerrys Plänen richten. Zu dumm nur, daß er noch gar keinen Plan für sein Vorgehen hatte. Je mehr er darüber nachdachte, desto weniger Brauchbares kam dabei heraus. »Ich weiß, daß du noch keinen Plan hast, Jerry King. Dir fehlt das Wissen dazu noch. Du bekommt alles. Natürlich nicht auf einmal, sondern immer nur in den Mengen, die du gerade benötigst.« Jerry überlegte.
Zu dem, was er tun sollte, brauchte er Zeit, so viel Zeit, wie er niemals zur Verfügung haben würde. Ein Menschenalter reichte bei weitem nicht aus, um mehr als nur den Anfang eines Aufbaues zu machen. Er teilte seine Bedenken dem Gehirn mit. »Darüber mach dir keine Sorgen«, beruhigte Atelian ihn, »du wirst mehr Zeit haben, als du benötigst. Um wirklich, sinnvoll aufzubauen, mußt du über weite Sicht planen können. Deshalb werde ich dir Zeit geben.« »Soll das heißen, daß ich länger als normal leben kann?« »Ja, das wollte ich damit zum Ausdruck bringen. Du bekommst eine biologische Behandlung, die den Alterungsprozeß deiner Körperzellen um etwa das Hundertfache verlangsamt. So hast du hundertmal länger zu leben« »Ich werde also nicht ewig leben?« »Nein.« »Das ist wenigstens etwas. Der Gedanke an ein ewiges Leben wäre nicht gerade angenehm.« Im Geiste sah er um sich herum bereits die Generationen vergehen, wahrend er selber jung blieb. Er sah sich in der Einsamkeit seines langen Lebens versinken.
12. K a p i t e l »Mortos, Mortos!« Der Hohepriester fuhr herum und sah einen Unterpriester auf sich zukommen. Sein Gesicht war schreckensbleich, und aus den Augen sprach nackte, Angst. »Rede, was ist los?« »Ein Wunder, Atelian hat ein Wunder vollbracht! Jetzt läßt er das Strafgericht kommen. Der flimmernde Schirm, den Atelian zu seinem Schutz über der Kuppel aufgebaut hatte, ist verschwunden.« »Was?« Mit allem hatte Mortos gerechnet, nur damit nicht. Trotzdem blieb er kalt und berechnend. Er verlor selbst in dieser Situation die Beherrschung nicht. Dieser Jerry King mußte es also geschafft haben. Aber noch war nicht alles verloren. Jetzt, wo der Schirm nicht mehr bestand, konnte niemand ihn mehr hindern in den Tempel einzudringen. Einen einzelnen Mann
mußte man doch schnell ausgeschaltet haben, wenn nur genügend Leute mitkamen. Mortos ging nach draußen und sah sich das Phänomen selbst an. Auf den ersten Blick schien alles so zu sein wie immer. Die Kuppel lag dort, als sei nichts geschehen. Aber das Flimmern war verschwunden, das bis jetzt jedem den Zutritt in das Heiligtum verwehrte. Worauf wartete er eigentlich noch? Warum ging er nicht einfach hinein, um die Macht zu übernehmen?« »Attinah!« Mortos befahl einem der vorübergehenden Priester: »Rufe die Leute zusammen, wir dringen in den Tempel ein! Beeile dich!« Attinah hatte eine Entgegnung auf den Lippen, aber Mortos’ Gesicht gab ihm zu denken. »Aber Atelian wird uns…« Weiter kam er nicht. »Nichts wird er.« Der Hohepriester wurde ungeduldig. »Wir müssen diesem Ketzer das Handwerk legen, ehe es zu spät ist.« Der Priester eilte davon, und Mortos triumphierte. Der Weg ins Innere war frei, der Weg zur Macht, nach der er sein Leben lang gestrebt hatte. Wer sollte ihn jetzt noch daran hindern können, sie an sich zu reißen? Er nahm ja nur, was ihm gehörte - glaubte er. * Jerry wußte nicht, wie viele Stunden er in dem hypnoseartigen Schlaf gelegen hatte, aber es mußte eine lange Zeit gewesen sein. Atelian hatte Jerrys entsprechende Frage übergangen, und so stand er jetzt wieder in der Halle. Alles um ihn herum war dasselbe geblieben, Atelian, die Maschinen alles! Nur er, Jerry King, hatte sich verändert. Er sah jetzt alles mit ganz anderen Augen. Er war nicht mehr der einfache Mensch, der diesen Raum betreten hatte. Jerry kannte sich selbst nicht wieder. Er erinnerte sich, daß der Krieg gegen die Pfuthars vor fast genau fünfzehntausend Jahren begonnen hatte, im Jahre 21854 des Imperiums. Jerry wußte dies, und noch vieles mehr. Aber woher kam dieses Wissen? Die ganze Geschichte der Mendas, in allen ihren Einzelheiten, war ihm bekannt. Aber nicht nur das! Er hatte Pläne im Kopf. Konstruktionspläne von Raumschiffen, Fabriken und vielem mehr. Jerry wußte, wie er die neue Raumflotte bauen würde, er
wußte auch, wie er die Industrie am schnellsten wieder in Gang bringen konnte. »Ich gab dir jetzt den Teil des Wissens, den du zum Aufbau benötigst«, teilte Atelian Jerry King mit, »ich gab dir mit Absicht nicht alles auf einmal, denn das würde dein Gehirn nicht ohne Schaden überstehen. Das, was du jetzt weißt, ist für den Aufbau genug. Alles andere wirst du immer dann erfahren, wenn du es brauchst. Du hast viel Zeit, Jerry King, aber nutze sie gut, denn auch dein Feind wird nicht ausbleiben, dann mußt du gerüstet sein. Sei dir darüber klar, daß du zwischen zwei Feuern stehst.« Jerry war hergekommen, um einen Weg zu finden, der ihn zur Erde zurückbringen konnte. Er hatte ihn nicht gefunden, und im Augenblick erschien ihm das auch gar nicht mehr wichtig. Jetzt stand die andere, größere Aufgabe vor ihm, die zu erfüllen nicht leicht sein würde. Er dachte auch an Corry. Sie würde jetzt mit ihm hierbleiben müssen. »Die Mendas werden erfahren wollen, was geschehen ist. Wie soll ich ihnen das beibringen? Ich glaube, ich werde die richtigen Worte nicht finden. Außerdem wird es bestimmt viele geben, die nicht mit mir einverstanden sind.« Atelian entgegnete: »Gewiß, die erste Zeit wird für dich nicht leicht sein Es werden sich Gruppen bilden, die gegen dich sind, aber sie sind in der Minderheit und bedeuten keine große Gefahr, wenn du ein wenig Vorsicht übst. Ich werde selbst zu dem Volk sprechen und alle werden mich hören. Wenn sie erfahren, daß du der verheißene GROSSE bist, werden sie dir zujubeln, mit Ausnahme der wenigen, die Mortos um sich geschart hat. Er ist zur Zeit dabei, mit verschiedenen Priestern in den Tempel einzudringen. Eben ruft er seine Leute zusammen, dieser machthungrige Narr.« Jerry wußte, daß Atelian zu den Mendas mittels seiner ungeheuren telepathischen Kräfte sprechen würde. Aktivität erfüllte plötzlich das riesige Gehirn tief unten in der Gruft. Ein Leuchten ging von ihm aus, und riesige Geisteskräfte wurden mobilisiert. Trotz seines umfangreichen Wissens konnte Jerry King sich nur ein ungefähres Bild davon machen. »Wir brechen auf!« * Mortos sah der Menge der Priester entgegen, die sich jetzt um ihn versammelt hatten. Er hatte seinen Plan in allen Einzelheiten dargelegt,
und man stimmte ihm zu - mit wenigen Ausnahmen, die aber nicht ins Gewicht fielen. Mortos setzte sich in Bewegung, und die Menge folgte ihm. Sie stiegen die Anhöhe hinauf, dem Tempel entgegen. Es war nicht weit bis dorthin. Man konnte ihn ohne Mühe in wenigen Minuten erreichen und, als Mortos zum erstenmal in seinem Leben direkt vor der Kuppelwandung stand, überkam ihn ein Gefühl, das er nie zuvor gekannt hatte. Es war ein Gemisch aus Ehrfurcht, Angst und Machthunger. Seine Augen wirkten glasig, als er an der Wandung emporschaute. Hier konnte und durfte nur er die Macht besitzen. Es galt lediglich, sie einem einzelnen Mann wieder abzunehmen. Mortos zweifelte keinen Augenblick, daß ihm das gelingen würde. Er brauchte nur hineinzugehen in den Tempel. Zum erstenmal in der Geschichte stand das Tor offen. Der Hohepriester zuckte zusammen. Die Stimme war aus dem dunklen Gang vor ihm gekommen, aber es war niemand zu sehen, dem diese Stimme gehören könnte. »Wer bist du? Komm heraus und zeige dich!« forderte der Hohepriester. »Ich bin Jerry King und stehe direkt vor dir.« »Ich sehe dich nicht.« »Du wirst mich sehen, jetzt sofort! Hier bin ich!« Wie aus dem Boden gewachsen stand plötzlich Jerry in dem Tor, keine drei Meter von Mortos entfernt. »Jerry King«, entfuhr es Mortos, »hab ich dich endlich!« Mortos machte einen Schritt auf Jerry zu, aber der blieb unbeweglich stehen. »Geh zurück, Mortos! Deine Macht ist zu Ende. Wenn du in den Tempel eindringst, wirst du sterben müssen, denn nur Geweihte dürfen ihn betreten, und du bist nicht geweiht.« Der Hohepriester stieß ein höhnisches Gelächter aus. Es war das Lachen eines Irren. »Ich bin geweiht, Jerry King, aber du bist es nicht. Ich werde jetzt dort hineingehen, wo mein Platz ist, und du wirst mich nicht daran hindern.« »Nein, hindern werde ich dich nicht«, sagte Jerry ungerührt, »nur warnen möchte ich dich. Du und deine Männer, ihr werdet lebend keine fünfzig Meter weit kommen.« »Greift ihn!« befahl Mortos, und die Männer, die sich auf ihn stürzen wollten, griffen ins Leere. Jerry King war so plötzlich verschwunden, wie er aufgetaucht war.
»Ihm nach, bringt ihn auf alle Fälle zurück!« Schrie Mortos außer sich. Dann machte er selbst den ersten Schritt ins Innere. Seine Priester folgten ihm blind, und so hörte niemand von ihnen mehr, was Atelian dem Volk zu sagen hatte, und sie würden auch niemals mehr etwas hören. »Hier spricht Atelian!« Jeder Mensch im Imperium vernahm seine Stimme, die Stimme dessen, den sie als Gott verehrt hatten. Jedermann horchte voller Ehrfurcht auf. »Hört, was ich euch zu sagen habe! Eine neue Zeit ist nun angebrochen, eine Zeit, auf die ihr alle so lange gewartet habt und von der die alte Sage erzählt. Der GROSSE ist endlich zu euch gekommen, und der neue Aufbau wird beginnen. Die Väter waren einst groß und mächtig. Sie beherrschten die Sterne. Ihr, die Nachkommen, werdet größer und mächtiger werden. Ich sage euch, daß ihr…« Atelian sprach über eine halbe Stunde lang, und als er geendet hatte, brach ein Freudentaumel los, wie man ihn noch nie gesehen hatte. Der Jubel kannte keine Grenzen mehr. Die Mendas riefen nach Jerry King. Alle wollten ihren JERKIN sehen. * Plötzlich stand Jerry vor Corry. Sie starrte ihn an wie eine überirdische Erscheinung; aber er lächelte ihr freundlich entgegen. Langsam kam er auf sie zu., »Du hast es geschafft«, sagte das Mädchen mit Tränen in den Augen und lag gleich darauf in Jerrys Armen. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl durchströmte sie. Für einen Augenblick vergaß sie die Umwelt, und sie störte sich nicht an der unübersehbaren Menschenmenge, die ihnen zujubelte. »Jetzt haben wir es endlich geschafft!« jubelte Corry. Aber Jerry King schüttelte den Kopf. »Nein, noch haben wir es nicht geschafft. Wir stehen erst am Anfang, und der Weg zum Ziel wird noch sehr weit und steinig sein.« Schweigend standen sie beide vor dem Tor des Tempels und schauten über die unzähligen Menschen hinweg. Sie hörten nicht den Jubel, der ihnen galt. Sie hatten nur Augen füreinander. »Der Weg ist unendlich weit, aber mit dir an meiner Seite werde ich es schaffen. Aber jetzt komm, wir müssen Armon aus dem Kerker holen.« »Ja, Jerry!« Corrys Augen strahlten.
ENDE
Der nächste Band,
Die neue Menschheit (Rebirth) Von Thomas Calvert McClary, Utopia-Zukunft 447, ist dann ganz anderer Art: Die Menschheit verfügt über ausreichende Mittel, um jedem einzelnen ein sorgloses Leben sichern zu können. Trotzdem gibt es nach wie vor Hunger und Seuchen in großen Teilen der Erde. Immer noch unterdrückt der Große den Kleinen. Die Verantwortlichen sind zu bequem, die ausgefahrenen Bahnen zu verlassen. Paragraphen, Verordnungen. Gesetze und ein eingleisiges Denken verhindern eine gesunde Weiterentwicklung. Es gibt nur einen einzigen Ausweg, Stillstand oder sogar Rückschritt zu verhindern und der Allgemeinheit zu helfen: Der Mensch muß alles vergessen und nochmals, nur mit seiner angeborenen Intelligenz und seinem Naturinstinkt, von neuem beginnen. Der Wissenschaftler Raine Goddard schenkt der Welt das Große Vergessen und gibt ihr die Chance zum Neuanfang. Sie erfahren, was passiert, wenn der Mensch von einer Sekunde zur anderen jegliche Erinnerung verliert. Wenn er beispielsweise nicht weiß, daß man trinken kann, wenn man Durst hat. Wenn er nicht einmal weiß, daß das nagende Gefühl in ihm Hunger ist. Wenn er nicht weiß, daß der »weiße Schmutz« Schnee ist und daß man Seifenpulver nicht essen darf. Ja, dieser spannende, dabei realistisch und mit feinem Humor geschriebene Roman wird Ihnen bestimmt großes Vergnügen bereiten. Die folgenden Utopia-Bände, der Roman DAS EXPERIMENT von John Gabler und eine Kurzgeschichten-Anthologie, bestehend aus fünf völlig verschiedenartigen Storys, werden Ihnen beweisen, daß wir Ihrem Wunsch nach Abwechslung in weitestem Umfang Rechnung tragen. Denken Sie daran, daß auch Sie mithelfen können, die Reihe nach Ihren Vorstellungen zu gestalten. Sie brauchen uns nur zu schreiben, was und welche Autoren Sie gerne lesen möchten! Bis zur nächsten Woche!