Ren Dhark
Drakhon Band 20 Im Zentrum der
Macht
l. Kon Azir war entsetzt über das Vorhaben der DRAKHON-Entführer, di...
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Ren Dhark
Drakhon Band 20 Im Zentrum der
Macht
l. Kon Azir war entsetzt über das Vorhaben der DRAKHON-Entführer, die Erde mit einer neuentwickelten Hyperbombe in die Luft jagen zu wollen. Der Tel-Raumsoldat hatte das Monstrum von einer Bombe im Haupthangar des 800-Meter-Doppelkugelraumers mit eigenen Augen gesehen. Dort schwebte sie, umgeben von einem Fesselfeld, mitten in der Luft. Von der äußeren Form her ähnelte sie einer überdimensionalen, bauchigen terranischen Weinkaraffe, allerdings bestand ihre Ummantelung nicht aus Glas, sondern aus einer rotschimmemden, undurchsichtigen Metallegierung. Kon hatte keinen Zweifel daran, daß die gewaltige Bombe Terra vollständig in Stück reißen würde. Selbst wenn sich die Tel-Rebellen, die hinter dem geplanten Anschlag steckten, mit der Sprengkraft verschätzt hatten, würde die Explosion riesige, irreparable Schäden auf dem Planeten der Terraner anrichten und somit unweigerlich das Ende der Menschheit einläuten. Das mußte er verhindern! Das Volk der Tel, das vor zirka dreihundert Jahren damit begonnen hatte, das technische Erbe der Worgun für sich zu erschließen, verfügte über eine beachtliche Raumflotte. Das neueste Achthun dertmeterschiff war die DRAKHON. Erst vor kurzem hatte sie die Werft verlassen - und nun befand sie sich mitsamt der Mannschaft in der Hand von gewissenlosen Entführern. Auf Cromar, Hauptplanet des Telin-Imperiums und Regierungssitz, lebten 48 Milliarden Tel auf sieben Kontinenten. Kon Azir war überzeugt, daß jeder von ihnen besser für die Befreiung des gekaperten Kampfraumschiffs geeignet wäre als er. Doch ausgerechnet an ihm blieb es hängen. Weil er der einzige noch freie Soldat an Bord war. 9 Kon war kein Superheld. Im Gegenteil, für einen Tel war er verhältnismäßig klein und zudem ein wenig übergewichtig. Zwar hielt er sich in einem gewissen Rahmen körperlich fit - andernfalls hätte man ihn gar nicht erst in die Raumflotte aufgenommen - doch von einer Auszeichnung für besondere sportliche Leistungen war er weit entfernt, von sonstigen Auszeichnungen, Orden, Belobigungsschreiben und so weiter ganz zu schweigen. Einige seiner weitaus erfolgreicheren Kameraden hatten sich deshalb schon über ihn lustig gemacht. Auch sonst wurde Azir manchmal zur Zielscheibe des Spotts. Bei jeder Übung gab er sein Bestes. Er war ein As an der Waffensteuerung, das erkannten alle neidlos an. Aber außerhalb der »Kriegsspiele« ging er der ungeliebten, weil unsauberen Arbeit des Klimatechnikers nach. Dazu gehörten nicht nur niedere Arbeiten im Maschinenraum, er mußte auch durch Röhren robben und in Luftschächte hineinkriechen, wenn es erforderlich war; kein einfaches Unterfangen für einen Soldaten mit leichten Gewichtsproblemen. »Saubermann« nannten ihn manche Kameraden spöttisch. Zu seiner Arbeitsuniform waren Waffen nicht zwingend vorgeschrieben, Werkzeug sowie diverse Putzutensilien hingegen unabdingbar - nicht nur moderne Reinigungsgeräte, sondern auch die unverzichtbaren Putzlumpen. Eigentlich war Kon Azir, der von einem der knapp 13 250 Kolonialplaneten des Telin-Imperiums sTarnmte, nicht zur Rotte gegangen, um sie sauberzumachen. »Uneigentlich« sah er allerdings die Notwendigkeit seiner Arbeit ein. Auch das kleinste Rädchen im Militärgetriebe war wichtig. Verstopfte Schächte konnten selbst für ein mächtiges Kriegsschiff wie die DRAKHON zum Problem werden. Gegen Verdreckung half nicht einmal die brandneue hochmoderne Tarnvorrichtung, die sich an Bord befand. Schmutz verschwand nicht von allein, nur weil man ihn geschickt versteckte. Azir hatte den »Tarnhelm« noch nie zu Gesicht bekommen. Es war ihm als einfachem Soldaten verboten, bestimmte Sicherheitszonen des Schiffes zu betreten. Dazu gehörten unter anderem auch die Kommandozentrale und der riesige Haupthangar. 10 Während sich Kon im Inneren eines Luftfilterschachtes befunden hatte, war die DRAKHON mit einem äußerst wirksamen, aber nicht tödlichen Gas geflutet worden. Als er sich nach Verlassen des Schachtes seines Schutzanzugs entledigt hatte, hatte er sich plötzlich wie allein auf der Welt gefühlt. Fast alle Besatzungsmitglieder waren gefangengenommen worden - der Rest von ihnen wurde von Sensorien femgesteuert. Das Sensorium war ein brillenähnliches Gestell, das sowohl auf Cromar als auch auf Terra als »Segnung der Erlebnissimulationstechnologie« angepriesen und verbreitet worden war. Die terranischen Medien
hatten sogar damit begonnen, ihre »veraltete« Holo-technik auf Sensoriumstechnologie umzustellen... Aber dann hatten sich die Geräte als Gefahr für beide Völker entpuppt. In Verbindung mit bestimmten Chips führten sie zur Abhängigkeit. Süchtige ließen sich gezielt manipulieren — was insbesondere in Wirtschafts- und Regierungskreisen zu katastrophalen Fehlentscheidungen führen konnte. Deshalb war auf beiden Planeten ein totales Sensoriumsverbot erlassen worden. Die gesamte Technologie durfte nicht mehr angewendet werden. Kon Azir verfügte nur über wenige Informationen, er kannte nicht alle Zusammenhänge. Angeblich steckten Tel-Rebellen hinter der Erfindung des Sensoriums und der Produktion der Suchtchips, vermutlich die gleiche Gruppe, die jetzt die DRAKHON in ihren Besitz gebracht hatte. Benutzten sie dafür einen neuen Typus von Sensorium? Einen, der seinen Träger derart willenlos machte, daß man ihn fernsteuern konnte? Diese Schlußfolgerung kam nicht von ungefähr. Kon hatte heimlich beobachtet, wie sensorientragende Soldaten vom Gas betäubte Besatzungsmitglieder in einen ungenutzten Nebenhangar, Hangar zwei, gebracht hatten. Dabei waren sie von Tel-Robotem unterstützt worden. Offenbar nahmen die Roboter nur noch Anweisungen von den Sensorienträgem entgegen, während sie sich jedem anderen gegenüber verweigerten. Zwei hatten sogar versucht, Azir zu töten. Aber er hatte es ihnen gezeigt. Dank seiner erbeuteten Waffen — zwei Handstrahler und ein Strahlenkarabiner - war es ihm gelungen, bis in den Haupthangar vorzudringen, wo die Hyperbombe 11 untergebracht war. Anschließend hatte er sich in die Krankenstation geschlichen, um dort von einer Rechnernebenstelle aus den zentralen Bordrechner anzuzapfen. Dadurch wußte er nun, was die Rebellen planten. Offensichtlich wollten sie die Bombe über Terra abwerfen. Viele Fragen waren jedoch noch offen. Wie hatten es die Rebellen geschafft, mehreren arglosen Besat-zungsmitgliedem vor dem Gasangriff ein Femsteuersensorium aufzusetzen? Hatten ihnen die Roboter dabei geholfen? Auf welche Weise war es den Rebellen gelungen, die Roboter unter ihre Kontrolle zu bringen? Rein äußerlich sahen die Tel aus wie schwarzhäutige Nordeuropäer, ohne negroide Züge. Sie verfügten über zwei Herzen, zwei Kreisläufe und zwei Nervensysteme. Ihre Roboter hatten sie äußerlich nach ihrem Ebenbild geschaffen. Für einen Terraner war es daher nicht ganz einfach, Roboter und lebende Tel voneinander zu unterscheiden; für die Tel selbst stellte das kein Problem dar. Die an Bord der DRAKHON befindlichen Roboter trugen keine Femsteuersensorien. Wozu auch? Die unheilbringenden Geräte konnten ihnen nichts anhaben. Im Gegensatz zu Lebewesen ließen sich Maschinen nicht durch Simulationen manipulieren, ganz gleich, wie echt sie wirkten. Dennoch wurden die Roboter von den Rebellen kontrolliert. Womit? Wer hatte das Raumschiff mit Gas geflutet? Die Roboter? Die sensoriumgesteuerten Tel? Oder gar die Rebellen selbst? Falls letzteres zutraf, mußten sie sich mitsamt ihrer Femsteuerung irgendwo an Bord befinden. Hielten sie die Kommandozentrale besetzt, oder wurde die Brücke ausschließlich von Robotern und Sensorienträgem kontrolliert? Kon Azir war kein ranghoher Offizier. Entsprechend seinem niederen Dienstgrad verfügte er nur über ein eingeschränktes militärisches Wissen. Aber er war kein Dummkopf. Ihm war nur zu gut bewußt, welches Risiko die Rebellen mit dem Abwurf der Hyperbombe über Terra eingingen. Die DRAKHON würde es niemals rechtzeitig schaffen, ins Weltall zu entkommen - es sei denn, die Rebellen hatten einen besonders guten Fluchtplan. 12 Einen perfekten Plan benötigten sie bereits für den Anflug. Andernfalls würde es ihnen nie gelingen, den von den Nogk entWikkelten terranischen Schutzschirm zu überwinden. Die DRAKHON konnte zwar auf die andere Seite des globalen Schirms transitieren (Transitionen wurden von Schutzschirmen nicht aufgehalten, weil sie durch den Hyperraum erfolgten), aber käme das Schiff beim Austritt aus dem Hyperraum mitten in der Erde heraus, würde es unweigerlich zu einer Katastrophe größten Ausmaßes kommen. Selbst eine Rematerialisation in der Atmosphäre wäre unmöglich, weil dadurch auf dem Raumschiff ein unaufhaltsamer Zerstörungsprozeß in Gang gesetzt werden würde, den weder das Schiff noch seine Besatzung überstehen könnten. Offenbar hatten die Rebellen noch einen versteckten Trick auf Lager. Aber welchen? Kon Azir hätte gern mehr Zeit an der Rechnemebenstelle zur Verfügung gehabt, um all die Fragen zu klären, aber er mußte davon ausgehen, daß man seinen derzeitigen Aufenthaltsort inzwischen angepeilt hatte. Sein Übergriff auf den Hauptrechner war in der Zentrale mit Sicherheit registriert worden. Darum mußte er jetzt weg von hier, raus aus der Krankenstation. Zu spät. Der Hauptausgang wurde ihm von zwei Tel versperrt. Sie trugen Sensorien auf dem Kopf und hielten Strahlenpistolen in den Händen.
Kon kannte die beiden. Ihre Namen lauteten Van Firri und Fei Otock. Sie bewohnten die Mannschaftsunterkunft, die seinem Quartier gegenüberlag. Mit stummer Geste forderten sie ihn zum Mitkommen auf. Kon Azir wußte, was das für ihn bedeutete. Man würde ihn zu den anderen Gefangenen in den Nebenhangar sperren. Dort würde er dann hilflos zusehen müssen, wie Milliarden von Menschen re gelrecht hingerichtet wurden. Und danach erfolgte vermutlich die sofortige Hinrichtung von DRAKHON-Kommandant Gal Trenk und seiner Mannschaft. Dann kann ich genauso gut an Ort und Stelle den Heldentod sterben, sagte Kon in Gedanken zu sich selbst und machte sich bereit, zu den Handfeuerwaffen zu greifen, die im Gürtel seiner Ar13 beitsuniform steckten; der Karabiner lehnte direkt neben dem Ausgang unerreichbar an der Wand.
Der untersetzte Tel-Soldat zögerte, hatte Skrupel, auf Van und Fei zu schießen. Schließlich waren sie
seine Kameraden. Gute Kameraden.
Aber war er dem Imperium gegenüber nicht verpflichtet, jede noch so geringe Chance zu ergreifen, um
zunächst seine Haut und später das Schiff zu retten?
»Was soll's?« murmelte Kon und schaute in die ausdruckslosen, teilweise vom Sensorium verdeckten
Gesichter der beiden femgesteuerten Soldaten. »Wahrscheinlich seid ihr sowieso viel schneller als ich,
immerhin habt ihr eure Waffen schon in der Hand.«
Azir war fest entschlossen, sein Schicksal herauszufordern, selbst um den Preis seines Lebens, das als
Gefangener der Rebellen ohnehin nichts mehr wert war.
»Lassen wir es darauf ankommen«, waren seine letzten Worte...
»Lassen wir es darauf ankommen«, waren seine letzten Worte, bevor er sich unvermittelt nach hinten
fallen ließ.
Kon Azir war klein. Klein, aber gemein. Seine sportlichen Mängel glich er durch Ideenreichtum und
Hinterlist aus. Während er wie ein gefällter Baum rückwärts umkippte, zog er mit beiden Händen
gleichzeitig seine Waffen aus dem Gürtel.
Vier Schüsse wurden ausgelöst, vier Energiestrahlen bahnten sich ihren Weg.
Nur einer traf. Der todbringende Strahl brannte sich durchs Sensorium, bohrte sich durch das linke Auge
von Fei Otock und trat aus dem Hinterkopf wieder aus. Der Tel war auf der Stelle tot.
Otocks Schuß ging weit daneben. Auch Van Firrls Energiestrahl zerschnitt lediglich die
medikamentengeschwängerte Luft, genau wie der Strahl, der aus der Waffe kam, die Kon Azir in der
linken Hand hielt. Getroffen hatte Kon nur mit rechts, was mehr dem Zufall zu verdanken war als seinen
dürftigen Schießkünsten.
Azir konnte hervorragend mit der Waffensteuerung umgehen. Hatte er erst einmal ein Zielobjekt auf dem
Bildschirm ausge
14 macht, ließ er es nicht mehr entkommen, ganz gleich, wie weit entfernt es war und wie rasant es sich bewegte. Nahkämpfe Mann gegen Mann hingegen lagen ihm nicht so sehr - weshalb er niemals ein unnötiges Risiko einging. Kon ließ eine Waffe fallen, um rechts die Hand freizuhaben und seinen Sturz abzufangen. Mit links zielte er auf Van Firri, der fast zeitgleich erneut auf ihn anlegte. Van war schnell - aber Kon war einen Sekundenbruchteil schneller. Sein Energiestrahl zerfetzte eines von Firrls Herzen, obwohl der Schütze woandershin gezielt hatte. Azirs Versuch, den Sturz abzubremsen, scheiterte an seiner Unsportlichkeit. Er knickte um, verstauchte sich leicht das rechte Handgelenk und machte unsanft Bekanntschaft mit dem Boden. Selbst aus dieser ungünstigen Position heraus ließ er nicht von seinem Gegner ab. Kon Azir feuerte auf Van Firri, was das Zeug hielt - er wollte ihm keine Gelegenheit mehr zur Gegenwehr geben. So hatte er es am Haupthangar auch mit den beiden Robotern gemacht. Wenn sein Leben bedroht wurde, ging er lieber auf Nummer Sicher. In der Hektik verfehlten einige von Kons Strahlensalven ihr Ziel und zerstörten einen Teil der Stationseinrichtung, doch die meisten Schüsse trafen. Firri kam nicht mehr dazu, ein weiteres Mal auf ihn zu schießen. Erst als sein Gegenüber sich nicht mehr rührte und die Energie der Waffe zu versiegen begann, stellte Azir das Feuer ein. Der Klimatechniker hatte den Kampf zwei gegen einen gewonnen. Wie ein glorreicher Sieger fühlte er sich trotzdem nicht. Angesichts seiner beiden toten Kameraden kam kein Triumphgefühl auf - ihm war nur speiübel. Schritte näherten sich. Kon Azir verfügte über ein gutes Gehör. Ihm war sofort klar, daß es sich um
Roboterschritte handelte. Auf dem Gang befanden sich mindestens drei Maschinenwesen.
Hals über Kopf flüchtete der letzte noch freie Tel-Soldat durch einen Nebenausgang. Den
Strahlenkarabiner und die fallengelassene Handfeuerwaffe ließ er in seiner Panik zurück, so daß er nur
noch mit einem einzigen Handstrahler bewaffnet war, der dringend aufgeladen werden mußte.
15
Wer Gal Trenk, Kommandant der DRAKHON, haßte nichts so sehr wie hilfloses Nichtstun. Am liebsten
hätte er die Femgesteuerten und die Roboter mit bloßen Händen angegriffen, um sich und seine
Mannschaft zu befreien, aber man ließ ihm nicht die geringste Chance.
Man hatte ihn zu seinen Offizieren und Soldaten in den leeren Nebenhangar zwei gesperrt, wo sie von
Robotern und sensorien-tragenden Tel bewacht wurden. Trenks Versuch, den anderen Mut zuzusprechen,
war schon im Ansatz unterbunden worden. Außerdem hatte man ihn von seinem ersten Offizier Mun
Gowan getrennt, damit er sich nicht mit ihm absprechen konnte. Gowan saß nun auf der
gegenüberliegenden Seite des Hangars und durfte nicht mehr mit seinem Vorgesetzten reden.
Von den Gefangenen wußten bisher nur Gal Trenk und Mun Gowan über die unheilbringende Ladung im
Haupthangar Bescheid. Die Existenz der Hyperbombe war ein strenggehütetes militärisches Geheimnis.
Der Kommandant hatte den Auftrag, ihre Wirkung in einem entlegenen Winkel des Tel-Imperiums an
einem unbewohnten, toten Planeten zu testen.
Die Kidnapper der DRAKHON hatten es allem Anschein nach auf die Hyperbombe abgesehen - eine
andere Erklärung für die Entführung hatte Wer Gal Trenk zumindest nicht. Er vermutete, daß die Rebellen
hinter dem Gasanschlag steckten, wahrscheinlich jene Gruppe, die das Sensorium zu staatszerstörerischen
Zwecken auf den Markt gebracht hatte. Ihr Flugziel war nicht schwer zu erraten: die Erde. In den
verblendeten Augen der Tel-Rebellen war nur ein toter Terraner ein guter Terraner.
Zwei sensoriengesteuerte Mannschaftsangehörige, Maschinenarbeiter, betraten den Nebenhangar in
Begleitung eines Roboters, der einem weiblichen Tel nachempfunden war. Die Robotfrau hielt ein
Sensorium in der Hand.
Seit seinem Erwachen aus der Bewußtlosigkeit hatte Trenk nur vereinzelte Sensoriumsträger zu Gesicht
bekommen, immer dann, wenn weitere Gefangene hereingebracht wurden, doch er ahnte,
16 daß es auf dem Schiff noch sehr viel mehr Femgesteuerte gab. Der Roboter, der die beiden Arbeiter begleitete, war normalerweise in der Kommandozentrale tätig. Im Militärregister war er unter einem sechzehnstelligen Kode eingetragen. Auf der Brücke nannte man die Robotfrau deshalb kurz und knapp Sechzehn. Ganz offensichtlich stand auch sie, wie alle Roboter an Bord, unter dem Befehl der Rebellen. Die beeinflußten Maschinenarbeiter postierten sich links und rechts neben den sitzenden Ersten Offizier, ergriffen ihn an den Armen und rissen ihn brutal hoch. Sechzehn machte Anstalten, ihm das Sensorium aufzusetzen. Das wollte, konnte, durfte Gal Trenk auf gar keinen Fall zulassen! Mun Gowan war mehr als nur sein Stellvertreter, er war sein bester Freund. Mit einem wütenden Aufschrei sprang der Wer auf und lief quer durch den Hangar. »Laß die Finger von ihm. Sechzehn, verstanden?!« brüllte er den Roboter unbeherrscht an. »Das ist ein Befehl!« Mehrere Bewacher - Roboter und Tel - stellten sich ihm in den Weg und hielten ihn fest. Trenk hatte keine Chance gegen die Übermacht. In ohnmächtigem Zorn mußte er zusehen, wie Sechzehn dem sich heftig wehrenden Ersten das Sensorium überstülpte. Kaum hatte der Roboter das Gerät aktiviert, stellte Mun Gowan jedwede Gegenwehr ein. Von diesem Moment an war er nicht mehr er selbst. Jetzt stand auch er unter dem unheilvollen Bann der Rebellen. »Gehen wir«, sagte er tonlos zu Sechzehn und verließ den Hangar. Der Roboter folgte ihm. »Wenn Mun etwas zustößt. Sechzehn, reiße ich dir eigenhändig deinen Metallschädel von den Schultern!« schrie Gal Trenk ihnen hinterher. Er war ein kräftig gebautes Mannsbild und durchaus in der Lage, sich mit den Fäusten Respekt zu verschaffen. Doch Sechzehn behandelte ihn, als wäre er überhaupt nicht vorhanden. Der seelenlose Roboter schenkte ihm nicht mal einen sensorischen Seitenblick.
17 Kon Azir ließ die Waffe sinken. Zu seinen Füßen lag ein bis zur Unkenntlichkeit zerschmolzener Arbeitsroboter, der in einem Verbindungstunnel ganz plötzlich vor ihm aufgetaucht war. Azir hatte dem unbewaffneten Roboter, der mit Sicherheit unter der Kontrolle der Rebellen gestanden hatte, keine Chance gelassen und sofort »voll draufgehalten«. Damit war die Energie seines Handstrahlers endgültig versiegt; er warf ihn achtlos weg.
Außer etwas Werkzeug hatte Kon nun nichts mehr bei sich, das als Waffe geeignet war. Azir fühlte sich müde, erschöpft, doch er wußte, daß er hier keine Sekunde länger bleiben durfte. Bestimmt war die Vernichtung des Roboters in der Zentrale registriert worden, und es war bereits Verstärkung unterwegs. Im Laufschritt setzte Kon seine Flucht fort. Obwohl er bisher keine Möglichkeit gefunden hatte, in die von Robotern und Sensorienträgem bewachte Kommandozentrale zu gelangen, war er fest überzeugt, daß sich die Rebellenbrut dort aufhielt. Wahrscheinlich verfolgten sie vom Schaltpult des Hauptrechners aus jeden seiner Schritte. Auf einem Raumschiff konnte kein Fremder unbemerkt herumschleichen. Allerdings war Kon kein Eindringling, sondern ein ganz normales Besatzungsmitglied. Auf den meisten Decks hatte er überall freien Zugang, mit Ausnahme der Sicherheitsbereiche. Dadurch war er als Einzelperson nicht so leicht auszumachen. Insbesondere wenn er sich in der Nähe von sensoriumgesteuerten Tel aufhielt (ohne daß diese ihn bemerkten), hatten es die Überwachungssensoren schwer, ihn aus der Masse herauszufiltem. Um seinen Verfolgern möglichst viele Schwierigkeiten zu bereiten, hielt er sich nie lange an einem Platz auf. Kon Azir war ständig in Bewegung. Fühlte er sich in die Enge getrieben, zog er sich in das verwinkelte System der Luftschächte zurück. Dort kannte er sich als.Klimatechniker bestens aus. Nur die größeren Schächte waren be
18 leuchtet, in den Nebenröhren mußte er sich mit seiner leuchtstarken Taschenlampe behelfen.
Ihm war bewußt, daß er sich nicht ewig würde verstecken können.
Immer mehr Tel schienen Jagd auf ihn zu machen, hatte er das Gefühl. Vermutlich »rekrutierten« die
Rebellen laufend neue Besatzungsmitglieder, indem sie sie gegen ihren Willen mit Femsteu-ersensorien
ausstatteten.
Lange würde Kon die Hatz nicht mehr durchhalten. Früher oder später brauchte er Ruhe - und Schlaf.
Fieberhaft überlegte er, ob es irgendwo auf dem Schiff einen Ort gab, an dem er sich ungestört eine
Zeitlang erholen konnte. Außerdem benötigte er dringend neue Waffen.
Hangar vier! Warum war er nicht gleich darauf gekommen? Auf der anderen Seite des Doppelkugelraumers, von Kons derzeitigem Standort aus gesehen, lag der Hangar mit den kugelförmigen, fünfundzwanzig Meter durchmessenden Beibooten. Jedes Boot war sozusagen eine kleine Welt für sich, ähnlich ausgestattet wie das Hauptschiff, allerdings in wesentlich bescheidenerem Rahmen. Die Beiboote von Achthundertmeterschiffen dienten überwiegend zum Absetzen von Rauminfanterie und waren entsprechend ausgerüstet, unter anderem mit leichten Geschützen. In den jeweiligen Borddepots lagerten zahlreiche Waffen für den Nahkampf sowie Schutzanzüge für den Einsatz in verstrahlten Gebieten. Sogar Tarnvorrichtungen gab es an Bord, die der neuesten Tarntechnologie der Tel zwar hinterherhinkten, aber zum Anschleichen an feindliche Schiffe oder Bodenstellungen völlig ausreichend waren. Viel wichtiger für Kon war allerdings, daß jedes Beiboot über eine Hyperfunkanlage verfügte. Vielleicht konnte er von dort aus einen Notruf absetzen. Umgehend machte er sich auf den Weg zum Bootshangar. Er kroch durch Röhren und Schächte, schlich durch Tunnel und Gänge, wobei er mehrfach seine Richtung änderte, um mögliche heimliche Beobachter zu verwirren. Bisher hatte er keinen Beweis dafür, daß jede seiner Bewegungen in der Kommandozentrale mit
19 verfolgt wurde, dennoch fühlte er sich, als würden ihn ständig unzählige Augenpaare anstarren. Als Kon in die Nähe der Krankenstation kam, spielte er mit dem Gedanken, sich von dort aus erneut in den Hauptrechner einzuklinken, um noch mehr über die Rebellenpläne in Erfahrung zu bringen. Sein Versuch scheiterte jedoch schon im Ansatz. Sämtliche Zugänge zur Station wurden von Robotern bewacht, um den einzigen noch freien Tel von der Rechnemebenstelle fernzuhalten. Offensichtlich hatte man ihn als emstzunehmende Gefahr eingestuft. Azir stieß innerlich einen unhörbaren Fluch aus. Eine andere Möglichkeit, dem Hauptcomputer aktuelle Informationen zu entlocken, gab es nicht, zumindest war ihm keine bekannt. Zwar waren die Beiboote ebenfalls mit hochwertigen Rechnern ausgestattet, doch die dienten in erster Linie zum Navigieren. Wenig später gelangte Kon Azir in den Maschinenraum. Sein Schutzanzug und die zurückgelassenen Arbeitsutensilien lagen noch an Ort und Stelle, unberührt, unbeachtet. Kon überlegte, ob er den Anzug überstreifen sollte, für den Fall, daß die Rebellen innerhalb der DRAKHON noch einmal Betäubungsgas einsetzen würden. Er tat seine Befürchtung als unrealistisch ab. Wegen einer einzigen flüchtigen Person so viel Aufwand?
Hinzu kam, daß ein solches Riesenschiff über ein Luftvolumen von ungeheuren Ausma* ßen verfügte.
Um es vollständig zu fluten, bis in den letzten Winkel, benötigte man einen enormen Gasvorrat. Sehr
wahrscheinlich hatten die Rebellen schon bei der ersten hinterhältigen Attacke ihre gesamten Reserven
aufgebraucht.
Azir verzichtete daher auf den unbequemen Anzug, der ihn in seiner Bewegungsfreiheit nur unnötig
eingeschränkt hätte, und beließ es bei seiner leichten Arbeitsuniform.
Auf der DRAKHON gab es mehrere Möglichkeiten, Beiboote unterzubringen. Normalerweise »warteten«
sie im größten Hangar, dem Haupthangar, auf ihren Einsatz. Vor dem Start war die Mannschaft jedoch
informiert worden, daß die Boote diesmal in Hangar vier, dem zweitgrößten Hangar, bereitstehen würden.
Außerdem hatte man der Besatzung streng verboten, den Haupthangar und
20 den ebenfalls als Sicherheitsbereich ausgewiesenen Hangar drei zu betreten.
Nähere Erklärungen zu den Anweisungen hatte es nicht gegeben. Tel-Soldaten waren es gewohnt zu
gehorchen, ohne neugierige Fragen zu stellen.
Inzwischen wußte Kon Azir, warum der größte Hangar gesperrt war. Die gewaltige Hyperbombe nahm
dort den gesamten Platz ein.
Das Geheimnis von Hangar drei, dem kleinsten, kannte Azir nicht. Noch nicht.
Bald darauf gelangte Hangar vier in Kons Sichtweite. Seltsamerweise waren weder der schlecht
beleuchtete Zugangstunnel noch das Eingangstor bewacht.
Azirs innere Alarmglocke schlug an.
Die Brücke, die Krankenstation und Hangar zwei, in welchem die Gefangenen ausharrten, waren
mittlerweile die reinsten Festungen. Ziemlich wahrscheinlich wurde auch der geheimnisvolle Hangar drei
von zahlreichen Wachtposten vor unbefugtem Eindringen geschützt. Und ausgerechnet hier hatte man
weder Roboter noch Sensorienträger postiert? Befürchteten die Rebellen denn nicht, daß er versuchen
könnte, ein Boot zu kapern, um damit ins All zu entkommen?
Darauf warten sie doch nur! schoß es ihm durch den Kopf. Sobald ich den Startvorgang einleite,
blockieren sie das Ausgangsschott und umstellen den Hangar,
Kon ging ein paar Schritte in den halbdunklen Zugangstunnel hinein. Bei der geringsten Gefahr würde er
sofort wieder umkehren.
Eine Falle, eine Falle, eine Falle...! wurde er fortwährend von seiner inneren Stimme gewarnt. Obwohl
sich seine Beine wie Gummi anfühlten, setzte er mutig einen Fuß vor den anderen.
Plötzlich vernahm er hinter sich ein leises Geräusch. Erschrokken wirbelte er herum.
Ihm gegenüber stand der erste Offizier Mun Gowan und richtete eine Handfeuerwaffe auf ihn.
Beide Männer hielten sich etwa in der Mitte des kahlen Tunnels auf, der nirgends Deckung bot. Hätte
Kon Azir versucht, in Rich
21 tung des Bootshangars zu flüchten, hätte der mit einem Sensorium ausgestattete Offizier freies Schußfeld auf ihn gehabt. Es gab kein Vor und kein Zurück mehr.
2. »... was ist, womit haben wir es hier zu tun?« forderte Danog ut Keltris Aufklärung von den mit ihm eingeschlossenen Gönn, während die MeTarnorphose der Sprossen zu einer ballonartigen Kar-nivore, einer fleischfressenden Pflanze, unaufhaltsam weiterging. Das monströse, schreckliche Gebilde verhielt sich wie ein lebendes, atmendes Wesen. Kapillaröffnungen sonderten eine Flüssigkeit ab, die einen widerlich stechenden Geruch verbreitete, zu Fäden auskondensierte und die Rankententakel untereinander verklebte, um die Flucht ihrer Beute zu vereiteln. Ein üblicher Vorgang bei allen Kamivorenarten, mehr oder weniger. Vielleicht ein Unterschied: die Art ihrer Beute. Hier handelte sich weder um Käfer noch um Fliegen, sondern um Personen, ausgewachsene terra-nische Männer und Frauen, um Gönn - und um den letzten Wal-fen im ganzen weiten Universum. »Wir haben es mit einer Orak-Pflanze zu tun«, beantwortete Jumir endlich Danogs Frage. »Eine fleischfressende Pflanze von unersättlicher Gier. Ein Ungeheuer, das von einem begnadeten Baumsprecher für den Kampf gezüchtet wurde. Eine schreckliche Waffe.« »Also hat auch dieses Paradies seine Schlange«, sagte Charlotte Pilon, die Exobiologin, mit fahler Miene und leicht hysterischer Stimme. Die kreatürliche Angst vor dem Unbekannten hatte sie ebenso erfaßt wie Yedidia Angus, die zweite Frau in Danogs Team. »Wie entkommen wir ihr?« fragte Danog ut Keltris in gewohntem Pragmatismus. Sie befanden sich noch immer im Amtssitz des zentralen Magistrates von Külä. Der gigantische Baum mit seinen beiden Nebenbäumen, höchstes Bauwerk von Tediruun, war sowohl die Resi
23 denz des Regenten Sidrox Grandel als auch Stadthalle, Sitz der Kongregationsbibliothek Küläs, der historischen Archive, Gästehaus der Regierung für die Gouverneure der einzelnen Provinzen und seit dem heutigen Tag auch Sitz der terranischen Depen-dance, mit ihm, Danog ut Keltris, als Botschafter. »Es gibt kein Entkommen«, gestand Jomir, der dritte Gorm-Astronaut, und bestätigte Danogs Befürchtung. »In Kürze werden wir von den Domen getötet werden und...« Er verstummte, dennoch war den Mitgefangenen klar, daß er >und von der Pflanze verdaut werden< hinzufügen wollte, es aber aus Rücksicht auf die weiblichen Terraner unterließ. Danog saß einfach nur da, erstaunt, mit weit geöffneten Nasenspalten, durch die er zischelnd Luft holte und auch wieder ausstieß. Ihm fehlten für winzige Zeiteinheiten die Worte. Vor wenigen Augenblicken noch hatten sie fröhlich zusammen getafelt, in Erwartung des Prätendenten von Külä, und jetzt mußten sie um ihr Leben bangen. So hatte er sich den Beginn seiner diplomatischen Mission nicht vorgestellt. Ganz gewiß nicht. Von draußen hörte man durch das domige Geflecht der ins riesenhafte mutierten Kamivore den Lärm der Festversammlung, die den Anschlag auf die Ehrengäste des gormschen Oberhauptes miterlebt hatte. Und noch immer hatten Danog und seine terranischen Begleiter den von heißer Wut erfüllten Klang der Stimme des gormschen Bediensteten im Ohr, der, als er die Schale mit den Sprossen brachte, mit einem »TOD ALLEN TEUFELN AUS DEM ALL UND IHREN VERBÜNDETEN!« den Deckel der Schale gehoben hatte. Unter dem plötzlichen Lichteinfall hatte sich die Mutation der Sprossen so unglaublich schnell vollzogen, daß Danog noch immer nicht ganz begriff, was sich um ihn herum abspielte. Nur daß es höchst gefährlich war, daran bestand kein Zweifel. »Haben wir denn überhaupt keine Chance?« vergewisserte er sich nach einigen quälenden Sekunden noch einmal. Sein Knochenkamm hatte einen aschgrauen Farbton angenommen, während 24 die beiden Frauen mit wachsbleichen Mienen zusammenrückten, als das Innere der Pflanze wie ein obszöner, bleicher Muskel kontrahierte und sich wieder ausdehnte, dabei Geräusche produzierend, die wie ein erwartungsvolles Rülpsen klangen. »Keine«, bestätigte Jamir, der dritte der Gorm-Astronauten. »Uns ist niemand bekannt, der je aus einer Orak-Pflanze entkam...« Er wollte noch etwas hinzufügen, verstummte aber mit einem Wehlaut, als eine der Ranken zu eigenständigem Leben erwachte und wie eine Peitsche nach ihm schlug; ein fingerlanger Dom mit vielen kleinen Widerhaken grub sich in seinen Arm. Jamir verzog schmerzhaft das Gesicht, in seinen Augen stand ein Ausdruck, der nur mit kreatürlicher Todesangst umschrieben werden konnte. Mit einem Fluch brachte Mac Fayden ein Allzweckwerkzeug aus einer Schenkeltasche zum Vorschein, ließ eine rasiermesserscharfe Klinge herausspringen und hieb mit einer wilden Bewegung die Ranke durch. Weißes Sekret spritzte umher, als sich der amputierte Pflanzententakel krümmte und wand wie ein gerissener Hydraulikschlauch. Das im Arm des Gönn steckende Reststück bewegte sich, als hätte es ein Eigenleben, und grub sich noch tiefer in das Fleisch. Jamir zerrte mit schmerz verzerrter Miene daran, bis sich endlich der Dom mit einem widerlichen Schmatzen löste und eine stark blutende Wunde hinterließ. Der Geruch des Körpersekrets schien die Kamivore noch mehr zu animieren. Kleinere Tentakel lösten sich aus dem Verbund und bewegten sich in Richtung der Frauen, die entsetzt aufschrien. Ein Geräusch, das Danog endlich aufrüttelte. Noch nie hatte der Walfe vor einer scheinbar schon ausweglosen Situation kapituliert. Er hatte nicht vor, jetzt und hier damit zu beginnen. Mit einem Grunzen der Entschlossenheit streckte er seine von harten Muskeln bedeckten Echsenhände mit den beiden starken Daumen und den hornigen Krallen aus, griff voll hinein in das widerliche Geflecht aus domigen Ranken und riß es mit einem Ruck auseinander. Ungeachtet der vielen Stacheln, die ihm die Schuppen von der widerstandsfähigen, ledernen Haut fetzten. Kein dramatischer Verlust, Walfenschuppen erneuerten sich laufend. 25 Danog weitete den Spalt noch mehr, trotz der immer stärker werdenden Orak-Pflanze, bis er groß genug war, um einen Weg nach draußen zu bieten. Zusätzlich stemmte er noch einen Fuß in die Öffnung. Während hier auf Külä eine Schwerkraft herrschte, die noch etwas geringer war als die irdische, sTarnmte Danog von einer Welt mit 1,5 Gravo. Selbst der stärkste Mann der Erde war ein Hänfling gegen ihn. Und die zierlichen Gönn konnten sich nicht einmal annähernd vorstellen, welche Kraft dem massigen Echsenkörper des neuen terranischen Botschafters innewohnte. »Los, verschwindet«, befahl er und hoffte, daß seine Kraft reichte, bis alle draußen sein würden. Der Verletzte war als erster im Freien, die beiden anderen folgten ihm nach. Dann kamen die Frauen. Schließlich die Männer, sie hatten die Ranken abgewehrt, soweit es ihnen möglich war und waren über
und über mit kleinen Wunden bedeckt. Die Kleider hingen ihnen in Fetzen von den Körpern, aber sie entkamen. Danog zwängte als letzter seinen gedrungenen Echsenkörper durch die Öffnung und rollte sich über den Boden davon. Als er auf die Beine kam und sich umdrehte, sah er, wie hinter ihm die Kamivore wie ein Ballon, dem die Luft explosionsartig entwich, in sich zusammenfiel. Dabei begann sie in rasender Schnelligkeit zu welken, um binnen Minuten zu einem Haufen übelriechender und sich teilweise auflösender Pflanzenreste zu werden. Bedienstete der Gönn eilten herbei und schafften die Überbleibsel zur Seite, während sich die gormschen Heiler mit ihren Helfern um ihren verletzten Raumfahrthelden und die relativ harmlosen Kratzwunden der terranischen Botschaftsangehörigen bemühten. Auch um Danog kümmerten sie sich. Der aber winkte ab. »Mir ist nichts geschehen«, gab er zu verstehen. »Die wenigen Blessuren heilen von selbst.« . , Gouverneur Kanoo rang die Hände und wirkte tief betroffen. Mit wortreichen Entschuldigungen sprach er dem Botschafter Terras sein Bedauern über das Vorgehen des jungen Gönn aus, den man selbstverständlich sogleich nach seiner schändlichen Tat gefaßt und festgehalten habe. Er würde nach entsprechenden Verhören seiner gerechten Strafe zugeführt. 26 Im Hintergrund teilten sich die langen, fahnenartigen Stoffbahnen. Zwei Gönn traten hindurch und blickten sich um. Anstelle der bunten Kleidung der an diesem Bankett teilnehmenden Gönn, das so abrupt eine fast tödliche Wendung genommen hätte, trugen sie uniform wirkende, dunkle Kombinationen mit einem silberfarbenen Symbol auf der Brust. Danog konnte Mimik und Gestik der beiden nicht klar deuten -aber er wettete einen Korb gerösteter Potabuschblätter gegen eine Handvoll Wokakäfer, daß es sich bei den beiden um Ordnungshüter handelte. Polizisten. Soldaten. Geheimdienstler. Sie strahlten eine unterschwellige Aura von Bedrohung aus. Ihr Auftreten erzeugte eine gewisse Spannung unter den jüngeren Gönn, die unmerklich zwar, aber für einen aufmerksamen Beobachter wie Danog klar erkennbar vermieden, zu engen Kontakt mit den dunklen Gestalten zu bekommen. Sie trugen seltsam aussehende Geräte in den Händen, anscheinend Waffen, obwohl sie nicht aus Metall gefertigt schienen und eher merkwürdig gewundenen Ästen glichen. Jedenfalls hatten die Dinger Läufe mit tütenförmigen Mündungen, in denen es grünlich waberte. »Gouverneur Kanoo«, sagte der eine - Danogs Translator übersetzte getreulich jedes Wort - »wir haben den unbotmäßigen Diener ins Netz gesteckt, wie Sie angeordnet haben. Wir bringen ihn jetzt zum Verhör in die Famakhzentrale. Wollen Sie noch einmal mit ihm sprechen?« Gouverneur Kanoo verneinte mit einer angewiderten Mimik. »Ich will diese Schande Gorms nicht mehr sehen. Überlassen wir ihn der Famakh. Bald, sehr bald werden wir dann die ganze Wahrheit wissen.« »Die Wahrheit ist eine gar scheue Geliebte«, deklamierte Danog ut Keltris und gedachte für den Moment eines Herzschlags seiner liebreizenden Dreang, die zusammen mit Walf untergegangen war. »Man besitzt sie niemals ganz.« Er schwieg einen Moment; die Nickhäute über den geschlitzten Pupillen schlössen sich, dann öffnete er sie wieder weit und blickte Kanoo an. »Besteht die Möglichkeit, daß ich mit dem jungen Heißsporn ein paar Worte wechseln kann, ehe Ihre Leute ihn wegbringen?« bat 27 er. »Allein!« Der Gouverneur zögerte einige Augenblicke, als habe ihn Da-nogs letzte Bitte in eine schwierige Lage versetzt, dann legte er höflich den Kopf schief und sagte: »Natürlich, Botschafter. Sie können es ganz unbesorgt tun, dieser Gumrukh von Diener kann Ihnen nichts tun... das Netz, Sie verstehen!« Danog verstand nicht. Aber das ließ er sich nicht anmerken. Gouverneur Kanoo gab den beiden Ordnungshütern einige rasche Anweisungen, die vom Translator unübersetzt blieben, und wandte sich dann wieder an den Walfen. »Folgen Sie den beiden, sie werden Sie zu dem Delinquenten bringen.« Danog setzte sich in Bewegung. Die beiden Bewaffneten gingen voraus. Sie traten hinter den sich sachte bewegenden Wandbehängen durch eine Blende, die wie ein überdimensioniertes Astloch wirkte, und befanden sich in einem schmalen, durch Leuchtschwämme erhellten Gang mit - natürlich - gemaserten Wänden. Der Gang war leicht nach innen gekrümmt. Der Geruch von Harzen war stark; offenbar bewegten sie sich dicht hinter der Rinde des gewaltigen Baumes hoch oben unter der Krone.
»Dort hinüber, Botschafter«, sagte der eine Wächter, als sie an eine Abzweigung kamen. Der Ton seiner Stimme wirkte entspannt; Danogs unmittelbare Einwirkung auf die Psyche der Gönn machte sich bereits bemerkbar. In kurzen Abständen waren in den Seitenwänden Nischen, die von extrem harten Holzplatten abgeschottet waren. So wie es aussieht, dachte der Walfe, werde ich in einen Arresttrakt geführt. »Halt, Botschafter. Bitte!« bat der andere Wächter. Sie hielten vor einem der Durchbrüche an. Der Ordnungshüter legte eine Hand in den Mittelpunkt der Tür, die sich daraufhin nach rechts in die Wand schob und den Blick in einen Raum freigab, dessen Einrichtung mit dem Begriff »nackt« nur sehr mangelhaft umschrieben werden konnte. Das Gelaß war vollkommen leer. In der Mitte hockte der Diener, der die Schale mit Karnivorensprossen auf Danogs Tafel gestellt hatte, zusammengekrümmt auf dem Bo den. Eingeschnürt von einem Netz zäher Fasern, das sich anscheinend bei jeder größeren Bewegung immer enger um ihn spannte. 28 Eine perfide Art der Fesselung.
Mehr eine Folter.
»Tsss... tsss«, zischelte Danog ungehalten.
Jetzt verstand er Gouverneur Kanoos Bemerkung.
In den dunklen Augen des Dieners, mit denen er die Eintretenden anstarrte, glomm Wut, aber auch eine
gewisse Furcht.
»Tod den...« begann er, aber eine Bewegung von Danogs Echsenhand brachte ihn zum Verstummen.
Die dunkelrote Haßwelle, die dem Walfen einige Herzschläge lang entgegenschlug, ebbte ab. Der junge
Diener wurde völlig ruhig.
Danog wandte sich an die beiden Wächter. »Bitte«, sagte er, »lösen Sie seine Fesseln.«
»O nein, verehrter Botschafter. Nichts liegt uns ferner...«
»Tsss!« »... aber warum eigentlich nicht.«
Danogs Parafeldeinfluß auf die Psyche anderer zeigte die erwartete Wirkung.
Der zweite Wächter löste das Netz; der Diener blieb sitzen, entspannt und völlig ruhig.
»Würden Sie draußen warten?« richtete Danog seine Bitte an die beiden Wächter.
Er wartete, bis sie allein waren, dann hockte er sich zu dem jungen Gorm, der ihn mit einer gewissen
Angst ansah, auf den Boden.
»Wie ist dein Name?« fragte der Walfe. »Ich bin Danog ut Kel-tris. Das bedeutet Danog von den Bergen,
aber du kannst mich ruhig mit Danog anreden. Ich bin ein Walfe.«
»Man nennt mich Xea«, sagte der Gorm, nicht ohne einen Anflug von Stolz. Er wich ein wenig zurück,
brachte eine gewisse Distanz zwischen sich und den Walfen, baute quasi eine unsichtbare, aber durchaus
fühlbare Abwehrmauer zwischen sich und seinem Gegenüber auf.
»Du mußt keine Furcht haben, Xea«, bedeutete ihm Danog. »Ich tue dir kein Leid an.«
»Im Gegensatz zu mir«, stieß der Gorm unsicher, aber auch trotzig hervor. »Sie hätten allen Grund, mich
zu töten, Botschafter. Warum tun Sie es nicht? Wir sind allein! Der Tod ist allemal bes
29 ser, als in den Käfigen der Famakh vor aller Augen zur Schau gestellt zu werden.«
»Tut man so etwas auf Külä?«
Der Gönn gab keine Antwort, aber sein Blick war beredt genug.
»Und wenn ich dir zusichere, daß dies nicht geschehen wird?«
»Wären Sie dazu in der Lage?«
»Ich denke schon, vorausgesetzt, du klärst mich darüber auf, weshalb du zu so drastischen Maßnahmen
gegriffen hast. Wer hat dich dazu angestiftet?«
Der junge Gönn ließ seinen Blick nach oben wandern, als halte er Zwiesprache mit jemanden, der sich
Danog nicht zeigte. Aber er konnte fühlen, was den Diener bewegte.
Xea fühlte sich schrecklich allein.
Danog beugte sich etwas vor, streckte seine Echsenhand aus und legte die Finger auf das Handgelenk des
Gönn, dessen Blick zu ihm zurückkehrte.
»Der Famakh, der Geheimdienst selbst«, murmelte der Diener, um gleich wieder zu verstummen.
Danog ließ ihm Zeit; er wußte, daß die innere Abwehr des Gönn sich in Bälde in Nichts auflösen würde.
Und schließlich begann Xea zu reden. Er berichtete mit schnellen, sich teilweise überschlagenden Worten
davon, daß der planetare Geheimdienst, der in der Hierarchie der Gönn nur eine geringe und kaum
wahrnehmbare Rolle spielte, den von der Regierung seit dem Zusammentreffen der drei Gorm-
Astronauten mit dem Tenaner Huxley forcierten Kontakt zu anderen Völkern im All für sehr gefährlich
hielt und mit allen Kräften zu unterbinden suchte.
»Was werden Sie nun mit diesem Wissen anfangen, Botschafter? Vor allem - was werden Sie mit mir
tun?«
Die kreatürliche Angst des jungen Gönn, er konnte nicht viel älter als 18 Sommer sein, berührte den Walfen. Er wackelte mit seinem Knochenkamm, und sein lippenloser Mund verzog sich in einer Weise, die andere Walfen als Lächeln gedeutet hätten - aber jeder nicht mit walfscher Mimik vertraute Fremde wäre vermutlich von der Grimasse erschrocken zurückgewichen. Weshalb Danog an sich hielt und die Regung sofort unterdrückte. 30 Er erhob sich geschmeidig, machte einen Schritt auf die Tür zu, und hörte den eher hilflosen als
ängstlichen Laut aus dem Mund des jungen Gönn.
Er drehte sich noch einmal um. »Keine Sorge - ich werde meinen Einfluß dahingehend geltend machen,
daß eine für alle Seiten zufriedenstellende Lösung gefunden wird.«
Gouverneur Kanoo und Danog gingen langsam eine breite, geschwungene Rampe hinauf. Hinter der
Wand aus frei hängenden Bahnen bunt bedruckter Stoffe hatte sich geräuschlos eine Tür zur Seite
geschoben. Sie blieben kurz am Eingang des kleinen, niedrigen Konferenzraumes stehen. Ein ovaler
Tisch, aus dem Boden gewachsen, und zwölf Stühle mit hohen Lehnen in Form von Blättern des
Riesenbaumes bildeten den Mittelpunkt; die zwölf Sitzgelegenheiten symbolisierten die zwölf
Hauptprovinzen von Külä. Der Gönn, der hinter dem Tisch stand und Danog entgegenblickte, war groß,
größer als der Durchschnitt - ob er deshalb das Amt des Regierungschefs der Gönn innehat? fragte sich
Danog von Keltris, schämte sich aber sofort für diesen Gedankengang.
Gönn waren eine entfernt humanoide Spezies, schlank, durchweg zarter gegliedert und weit weniger
muskulös als beispielsweise die Menschen. In den schmalen Gesichtern saßen große runde Augen. Mit
durchschnittlich 1,80 Meter waren die männlichen Vertreter nicht viel größer als die Terraner. Den
durchweg 15 Zentimeter kleineren Frauen der Gönn konnte nach menschlichen Vorstellungen eine
gewisse ätherische Schönheit nicht abgesprochen werden, wie Carl Tanner Danog versichert hatte, der
sich als Fachmann für derartige Urteile empfahl.
Die Gönn lebten auf der von ihnen »Külä« genannten achten Welt im Achtundzwanzigplanetensystem der
M-Sonne Kimik. Ihr augenblicklicher Entwicklungsstand entsprach in etwa dem Tenas um das Jahr 2040
— allerdings ging ihre Entwicklung in eine völlig andere Richtung: Gönn waren geniale Manipulatoren des Lebens und benutzten anstelle von Maschinen genetisch veränderte
31 Pflanzen und Tiere, obwohl sie konventionelle Technik nicht grundsätzlich ablehnten, wenn sie sie für
ihre Zwecke nutzen konnten. Daneben waren sie hervorragende Zellforscher, äußerst bewandert in
biologischen Mutationen, und lebten in enger Symbiose mit der Natur. So gab es unter ihnen seit alters
her sogenannte »Baumsprecher«, die in der Lage waren, das Wachstum und die Formen der Bäume auf
Külä dahingehend zu manipulieren, daß Häuser, Siedlungen und ganze Städte binnen kürzester Zeit aus
dem Boden wuchsen.
Die Vorstellung war kurz. Gouverneur Kanoo blieb vor dem Tisch stehen und sagte:
»Prätendent Sidrox Grandel - Danog ut Keltris, Botschafter der Erde.«
Der Walfe hob die rechte Hand bis in Brusthöhe und drehte die Innenfläche nach außen. Die walfsche
Mimik ermöglichte so etwas wie ein menschliches Lächeln nicht. Danog hatte sich einmal darin versucht,
und die Reaktion darauf hatte ihm ein für alle Mal gereicht. Dennoch hoffte er, daß seiner Stimme eine
gewisse Freundlichkeit nicht abgesprochen werden konnte, als er sagte:
»Seien Sie mir gegrüßt im Namen Terras und seines Commanders Ren Dhark.«
»Ich begrüßen Sie ebenfalls«, drangen die klaren, verständlichen Worte des hochgewachsenen Gönn an
die Ohren des Walfen, »und biete Ihnen im Namen des Volkes von Külä ein Willkommen an. Gleichzeitig
bedaure ich den unerfreulichen Vorfall von vorhin und versichere Ihnen, daß ich den Verantwortlichen
dieser schändlichen Tat mit aller Strenge bestrafen werde.«
»Tsss, tsss!« zischelte Danog und wackelte leicht mit seinem grünblau geschuppten Kopf.
Gouverneur Kanoo und Grandel blickten einander an.
»Ich... ich verstehe nicht«, sagte der Prätendent.
»Der Bedienstete hat nur einen Befehl befolgt«, gab der Walfe bedeutungsvoll zu verstehen. »Es handelt
sich bei ihm nur um einen Verführten. Andere ziehen im Hintergrund die Fäden.«
»Um wen handelt es sich?«
»Prätendent«, sagte Danog, »wieviel wissen Sie über Ihren eigenen Geheimdienst?«
32 Er bedachte das Gorm-Oberhaupt mit einem starren Blick aus den senkrecht geschlitzten Pupillen. Grandel lächelte und erwiderte: »Alles, was man wissen muß.«
»Das heißt, Sie wissen nichts«, stellte Danog fest, »wie unzählige andere Staatsoberhäupter in der Galaxis
auch.«
Grandeis Lächeln machte innerhalb einer Viertelsekunde einem Ausdruck Platz, als sei er in einen
vergifteten Dom mit Widerhaken getreten. »Sie meinen...?«
»Genau das meine ich.«
»Nein!« Grandel schnappte kurz nach Luft. »Xanax ist einer meiner loyalsten Männer. Er würde niemals
die Hand beißen, die ihm Samen streut. Sie müssen sich irren, Botschafter.«
Danog warf einen Blick auf Gouverneur Kanoo, um dessen Reaktion zu erfahren. Der Stellvertreter des
Regierungschefs schaute ihn eine kleine Zeiteinheit lang so an, als wollte er etwas Bedeutendes erwidern,
entschied sich aber im letzten Moment dafür, doch zu schweigen.
»Ich irre mich nicht«, erwiderte Danog schlicht. »Aber wir können ja die Probe aufs Exempel machen.
Rufen Sie Ihren Geheimdienstchef herbei, erwähnen Sie jedoch mit keiner Silbe, daß wir der Orak-
Pflanze entkommen sind.«
Grandel blinzelte über das Ansinnen des Botschafters, dachte über das Gesagte nach und meinte: »Finden
Sie, daß das eine praktikable Idee ist?«
Danog lächelte innerlich über die offenkundige Verwirrung des Regierungschefs der Gönn.
»Vertrauen Sie mir. Ich weiß, was ich tue.«
»In Ordnung. Aber Sie werden sehen, daß Sie mit Ihren Vermutungen falsch liegen.« Sidrox Grandel
klatschte in die Hände und erteilte den herbeieilenden Dienern Befehle.
Da auch die Famakh-Zentrale in der Residenz ihren Sitz hatte, dauerte es nur Minuten, bis Xanax9
Kommen von den Dienern des Regenten angekündigt wurde.
Danog hatte sich zwischen die Wandbehänge zurückgezogen und beobachtete aus diesem Versteck heraus
den Auftritt des Geheimdienstchefs.
Es war Teil seines Plans; Xanax sollte sich in Sicherheit wiegen.
33 Um so größer würde seine Überraschung werden.
Überraschungen aber verleiteten immer zu unüberlegten Handlungen.
Der Geheimdienstchef kam nicht allein. Eine Eskorte dunkel gekleideter Palastwachen begleitete ihn. Sie
nahmen links und rechts entlang der Wände Aufstellung.
Xanax, der als Gönn nicht übermäßig groß schien - vermutlich achtete Sidrox Grandel peinlich darauf,
daß ihn niemand innerhalb seines Stabes an körperlicher Größe überragte - war eine düstere Erscheinung.
Alles an ihm war schwarz, Haare, Augen, Brauen, die Kleidung. Selbst die Haut schien dunkler als üblich.
Merkwürdig, durchzuckte es den Walfen, me sich die Bilder gleichen. Männer, die mit Gewalt zu tun
hatten oder sie ausübten, wirkten zu allen Zeiten und an allen Orten finster.
»Was wollt Ihr, Xanax?« zeigte sich Grandel erstaunt, ganz so, wie ihm Danog geraten hatte.
Noch schöpfte Xanax keinen Verdacht.
»Ihr habt nach mir rufen lassen, Regent. Hier bin ich, folgte Eu-rem Ansinnen unverzüglich. Aber«, er
blickte forschend umher, »wo sind die feindlichen Kreaturen, deren Ableben ich untersuchen soll?
Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, daß eine Orak-Pflanze Verwertbares von ihnen hinterlassen haben
könnte.«
»Orak-Pflanze? Ich verstehe nicht...« Sidrox Grandel zeigte sich verwundert.
»Hören Sie auf, Regent«, sagte Xanax etwas nervös. »Sie wissen, wovon ich spreche.«
»Nein, das weiß ich nicht. Es wurde keine Orak-Pflanze erwähnt, als meine Diener Euch meinen Wunsch
überbrachten, hier zu erscheinen.«
»Nein?« Xanax9 Augenbrauen schoben sich zusammen. Zum ersten Mal huschte eine Spur von
Unsicherheit über das Gesicht des Gönn.
»Nein«, erklang eine Stimme, die einen etwas künstlichen Klang aufwies, weil sie einem Übersetzer
entsTarnmte.
Xanax drehte sich langsam um.
Die Wandbehänge gerieten in Bewegung. Eine kräftige Hand schlug sie knallend zurück, und Xanax sah
mit zusammengeknif
34 fenen Augen eine gedrungene Echsengestalt in einem grellbunten, weitfallenden Gewand auf sich
zukommen.
»Dir?!« zischte er, als er des terranischen Botschafters ansichtig wurde, und seine dunkle Haut bekam
einen Stich ins Fahle. »Da jimtujjigni gumrukhfun-duq!« stieß er hervor.
»Was bedeutet das?« fragte Danog Gouverneur Kanoo, als sein Übersetzer schwieg.
Kanoo zeigte sich verlegen. »Es - nun - hmm - die Quintessenz seiner Worte ist, daß man besser alles
selbst in die Hand nehmen sollte, anstatt sich auf Unfähige zu verlassen.«
Danog war sicher, daß da noch etwas anderes war, aber er verschob die Aufklärung auf einen späteren
Zeitpunkt.
»Dir habt Euch eben selbst um Kopf und Kragen gebracht, Xanax«, stellte Grandel nicht ohne
Zufriedenheit fest. »Euer Handlanger ist in Gewahrsam, die Terraner leben, ebenso die Astronauten und,
was mich mit besonderer Genugtuung erfüllt, nicht zuletzt der Botschafter...«
»Aber nicht mehr lange!« unterbrach Xanax seinen Regenten brüsk und richtete eine Waffe auf Danog ut
Keltris.
Sie sah in der Hand des Gönn ein wenig lächerlich aus, mehr wie ein Stück künstlerisch bearbeitetes
Wurzelholz, tauglich als Skulptur auf dem Arbeitstisch eines feinsinnigen Politikers.
Aber wie Danog im Nachhinein erfuhr, handelte es sich tatsächlich um eine äußerst perfide und höchst
effektive Waffe, die mittels Gasentladung eisenharte Samenkörner verschoß, welche absolut tödlich
waren.
»Kreatur«, grollte Xanax, »ich werde jetzt vollenden, was mein nichtsnutziger Gumrukh von Mitarbeiter
nicht geschafft hat.«
»Mäßigt Euch, Xanax!« erhob der Regent erbost seine Stimme. »Der Botschafter von den Sternen steht
unter meinem persönlichen Schutz. Ihn in meiner Gegenwart zu entleiben...« Hoppla, dachte Danog, »...
würde schwerwiegende Konsequenzen für Euch nach sich ziehen.«
Xanax zeigte sich jedoch wenig beeindruckt, machte zwei, drei Schritte auf Danog zu, der ihm unter
sträflicher Mißachtung der drohenden Gefahr ebenfalls entgegenkam.
Sidrox Grandel hielt die Luft an. Gouverneur Kanoo wirkte
35 bleich und verunsichert, rohe Gewalt schien ihm körperliche Pein zu bereiten. Danog machte einen weiteren Schritt, streckte eine Klaue aus. Xanax blies die Nasenflügel auf... und senkte die Hand mit der Waffe. Dann ließ er sie achtlos fallen, setzte sich schwer auf einen Stuhl und stützte den Kopf in die Hand. Seine Wangen zuckten. Zum ersten Mal huschte eine Spur von Verwunderung über seine Züge. »Was ist nur in mich gefahren?« murmelte er mit dumpfer Stimme. »Sie haben sich verleiten lassen«, stellte Danog ruhig fest, »von einer Angst, die mit einem Wechsel der Verhältnisse einhergeht und nur allzu natürlich ist. Alles Neue, Ungewohnte, Fremde ist zunächst einmal beängstigend. Die Erkenntnis, daß die Galaxis voll ist von Zivilisationen, die vielleicht nicht immer Gutes im Sinn haben, kann einem schon zusetzen. Dazu die Erfahrungen aus Ihrer Vergangenheit mit den blauen Teufeln. Glauben Sie mir, ich verstehe Sie. Doch seien Sie versichert, die Terraner, die als Bot schafter zu repräsentieren ich die Ehre habe, sind keine Feinde der Gönn. Unser Besuch dient dem ersten Kennenlernen. Daraus können Sie ersehen, daß die Gönn keiner wie auch immer gearteten Gefahr ausgesetzt sind. Auch keiner mittelbaren in näherer Zukunft.« »Und die Frage, ob wir damit einverstanden sind, erscheint Ihnen wohl überflüssig?« erkundigte sich Xanax. »Nein, aber die Befindlichkeiten einiger weniger sind nachran-gig, wenn die Mehrheit gegenteiliger Meinung ist. Das ist einer der Grundsätze aller Demokratie. Der Kontakt und die Zusammenarbeit zwischen den Menschen und Ihrem Volk kann und wird äußerst befruchtend sein, zum Wohl der Gönn und - natürlich - auch der Menschheit. Die weitere Zukunft ist keine Einbahnstraße, sondern wird geprägt sein von einem kontinuierlichen Geben und Empfangen.« »Jetzt, wo Sie es sagen, erscheint es mir plausibel«, ließ sich Xanax vernehmen. »Jetzt, wo es zu spät ist für mich.« Er erhob sich, stand hochaufgerichtet da, dunkel, düster, aber weit weniger drohend als zu Beginn seines Erscheinens. Er wandte sich Grandel 36 und den Wächtern von Recht und Gesetz zu. »Ich erwarte meine Strafe.« Die Ordnungshüter sahen unschlüssig von Sidrox Grandel zu Kanoo. Offenbar warteten sie darauf, daß einer der beiden die Initiative ergriff und ihnen sagte, was sie tun sollten. »Kerkert ihn ein!« befahl der Regent schließlich und deutete mit dem Kinn in Xanax9 Richtung, »er hat verdient, auf dem Hauptplatz unserer Stadt die Zeit bis zu seinem Ableben im Käfig zu verbringen. Als weithin sichtbares Zeichen seiner Verfehlungen -und als Mahnung für jeden Gorm, nicht in seine Fußstapfen zu treten.« Danog machte eine Handbewegung. »Das ist nicht Ihre wirkliche Meinung, Regent«, sagte er. »Sie werden nichts in dieser Richtung tun.« »Gewiß ist das...« setzte der Prätendent an, um dann mit gerunzelter Stirn statt dessen unerklärlicherweise zu vollenden, »nicht meine Meinung.« Er zog die Schultern nach vom, als Ausdruck seiner Verwunderung über das, was er gesagt hatte. Waren das tatsächlich seine Worte gewesen? Es mußte wohl so sein. Egal. Er wandte sich Danog zu. »Was schlagt Dir vor, Botschafter? Bestimmt selbst die Schwere der Bestrafung für die Verfehlungen meines Geheimdienstchefs und des Dieners, der Euch und den anderen nach dem Leben trachtete.« »Laßt sie gehen«, schlug Danog vor. »Beide haben ihre Fehler eingesehen und sind - das glaube ich mit Sicherheit behaupten zu können - bekehrt. Was ist schon groß passiert? Niemand kam ernsthaft zu
Schaden. Oder habt Dir Einwände?«
Sidrox Grandel runzelte die Stirn, suchte nach einer entsprechenden Entgegnung.
»Ich habe keine Einwände, Botschafter«, sagte er ein wenig widerstrebend.
Warum nur konnte er sich in Gegenwart des seltsamen Diplomaten eigentlich zu keiner wirklichen
Bestrafung der Delinquenten aufraffen?
»Eine weise Entscheidung«, ließ ihm Danog wissen. »Würdig
37 eines echten Herrschers. Und nun laßt Euren Entscheidungen Taten folgen.«
»Wie? Oh, natürlich. Kanoo, übernehmt das. Handelt in meinem Namen.«
Während Gouverneur Kanoo die ihm übertragene Macht in vollen Zügen zu gebrauchen gedachte und
schon mal die Wächter und Xanax aus dem Konferenzraum scheuchte, ehe er ihnen mit wehendem
Gewand hinterhereilte, wandte sich Sidrox Grandel an seinen fremdartigen Gast.
»Wißt Ihr, Botschafter«, bekannte er mit einem anerkennenden Ausdruck auf seinen Zügen, »daß ich Eure
diplomatischen Fähigkeiten auf das äußerste schätze? Ihr werdet es auf dem glatten und überaus
unsicheren Parkett der Diplomatie einmal sehr weit bringen. Denkt an meine Worte. Gäbe es auf jeder
Welt des Universums walfsche Diplomaten, Botschafter wie Sie einer sind, dann würden Kriege der
Vergangenheit angehören.«
Danog ut Keltris wechselte die Farbe. Sein normalerweise grünlich-blau schimmernder Knochenkamm
auf dem Schädel verfärbte sich ins Aschgraue.
»Das mag so sein«, bekannte er mit schleppender Stimme, »dennoch wird es nie geschehen.«
»Und weshalb nicht?« zeigte sich der Regierungschef von Külä erstaunt.
»Sie erlauben, daß ich mich zurückziehe, Prätendent«, bat Danog, ohne auf Grandeis Bemerkungen
einzugehen. »Ich fühle mich nun doch ein wenig erschöpft.«
»Aber gewiß doch, Botschafter. Verzeihen Sie mir meine Unbedachtheit - dennoch, was halten Sie von
meinem Vorschlag eines galaxisweiten Einsatzes walfscher Diplomaten?«
»Nichts«, sagte Danog und verabschiedete sich.
»Und weshalb nicht?« rief ihm Sidrox Grandel konsterniert hinterher.
»Weil«, Danog verhielt noch einmal seine Schritte und wandte sich halb über die Schulter zurück, »ich
der letzte aller Walfen bin. Mein Volk existiert nicht mehr...«
38 Danog saß mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt auf seiner Liege. Er hatte die Beine hochgezogen und umschlang mit seinen kräftigen Armen die noch kräftigeren Beine. Er trug lediglich einen sehr farbenfrohen, kurzen Umhang und ließ in Gedanken die Ereignisse des gestrigen Tages auf dem Empfang des gormschen Regierungspräsidenten Revue passieren. Er war zufrieden mit sich. Nicht ohne Stolz war er der Meinung, eine für alle Seiten akzeptable Lösung eines Problems gefunden zu haben, das sich bei Nichtbeachtung zu einer Krise in naher Zukunft hätte auswachsen können. Sein Blick wanderte zum Fenster. Draußen herrschte ein strahlender Morgen. Die melodischen Laute der gefiederten Baumbewohner erfüllten die reine Luft mit ihrem Gesang. Nach dem wenigen, was er bisher gesehen hatte, war Külä ein schöner Ort. Mit blauen Meeren, grünen Inseln, hohen Bergen. Natürlich war die Welt der Gönn nicht mit Walf zu vergleichen, aber, so gestand sich Danog seufzend ein, das war kein Ort in der ganzen Galaxis. Danog erlaubte sich seine tägliche Portion Weltschmerz, als ihn ein Summton aus seinen Gedanken riß. Er wandte den Blick. Eine gallertartige, an eine gerahmte Qualle erinnernde Anzeige neben der Tür machte deutlich, daß jemand die Räumlichkeiten des Botschafters zu betreten wünschte und zeigte auch gleich ein Bild des Besuchers. Ein Gönn, von dem Danog sicher war, daß er ihn noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Auch nicht auf dem gestrigen Empfang. Er warf sich einen langen Morgenmantel über, ging in den Wohnraum und gab eine Bestätigung ab, damit der Gast eintreten konnte. Die Außentür zur Galerie öffnete sich. Der Gönn trat ein. »Seid gegrüßt, Botschafter« signalisierte der Besucher. Danogs Translator sorgte dafür, daß die gormsche Sprache in für ihn verständliche Laute umgewandelt wurden. »Ich bin Germon, ein Wissenschaftler.« Er maß Danog mit schnellen Blicken, als nähme er 39 Maß für irgend etwas, an das der Walfe besser nicht dachte.
»Seien Sie mir gegrüßt, Wissenschaftler Germon«, erwiderte Danog und dachte bei sich, daß er in
allernächster Zukunft vorrangig die Sprache der Gönn lernen mußte, um diese doch etwas unpersönliche Distanz zu überwinden, die der Translator erzeugte. Er deutete auf eine der Sitzschalen. »Nehmt Platz. Was kann ich für Euch tun?« Germon setzte sich. Er schien in Eile, kam ohne Umschweife sofort zur Sache: »Es ist wohl eher so«, ließ er verlauten, nachdem auch Danog saß, »daß ich etwas für Euch tun kann - und das auch tun möchte, wenn Ihr Euch einverstanden erklärt.« Danog schnaubte etwas verdutzt. »Klärt mich auf, verehrter Besucher?« »Das will ich wohl tun«, begann Germon und eröffnete dem Botschafter in dürren Worten, daß ihn der Regierungschef gebeten habe, sich um die Beseitigung von Danog ut Keltris' größtem Problem zu kümmern. »Und das wäre welches?« zeigte sich Danog verwundert und gleichermaßen ein wenig beunruhigt von dem Elan des Wissenschaftlers. »Wie Euch bekannt ist, Botschafter, sind wir Gorm recht geschickt im Umgang mit Genmanipulationen. Unter unseren Spezialisten bin ich, das kann ich in aller Bescheidenheit sagen, der angesehenste. Ich habe mich mit meinen Kollegen ausgetauscht und ihnen das Problem geschildert. Und wir sind einhellig zu der Auffassung gelangt, daß es mit unserem Stand der Biotechnologie möglich wäre, das Volk der Walfen neu zu zu...« er räusperte sich, »neu entstehen zu lassen. Ehe Sie mir danken, muß ich Sie darauf hinweisen, daß es dazu langwieriger und ausgedehnter Untersuchungen bedarf, die wir Ihnen leider nicht ersparen können.« »Tss...tkk.« Von der Wortflut des Wissenschaftlers noch immer leicht überfahren, saß Danog nur da und versuchte, seine wirbelnden Gedanken unter Kontrolle zu bringen. Seine Schuppen auf dem Knochenkamm zwischen den Nasenöffnungen sträubten sich. »Ich«, begann er und zuckte erschrocken zusammen, als der genialste Gen-Kreator der Gorm wie von einem 40 Wokakäfer in die Sitzfläche gebissen aufsprang, zur Tür eilte und mit einem »Gut, macht einen Termin mit meinem Labor aus - wir sehen uns dann!« so rasch verschwand, wie er aufgetaucht war. Er ließ einen sehr nachdenklichen Walfen zurück.
41
3. Mun Gowan war ein erfahrener, mit allen Wassern gewaschener Nahkämpfer. Wenn er jemanden mit einer Strahlenpistole bedrohte, behielt er normalerweise einen angemessenen Sicherheitsabstand bei, um eventuellen Gegenangriffen vorzubeugen. Normalerweise. Aber was war schon normal an einem Tel, der ein Femsteuer-sensorium trug? Der sein Umfeld gewissermaßen durch fremde Augen wahrnahm, statt durch seine eigenen... Bevor der Erste Offizier richtig begriff, was geschah, hatte ihn Kon Azir mit einem schnellen Tritt entwaffnet. Ohne Sensorium hätte Gowan den gestellten Flüchtling niemals so nahe an sich herankommen lassen. Doch das Ding auf dem Kopf schränkte sein Denkvermögen beträchtlich ein, was sich auch auf seine körperlichen Reaktionen auswirkte. Mit einem raschen Griff riß ihm Azir das Sensorium herunter. Der Soldat verstand allmählich, wie er es beim Schußwechsel in der Krankenstation überhaupt geschafft hatte, mit zwei Gegnern gleichzeitig fertigzuwerden. Seine beiden getöteten Kameraden waren nicht voll einsatzfähig gewesen. Die Femsteuerung hatte ihre kämpferischen Fähigkeiten erheblich behindert. Traf das auch auf die unter fremder Kontrolle stehenden Roboter zu? Zwar trugen sie kein Sensorium, aber sie wurden auf irgendeine Weise von den Rebellen beeinflußt. Wirkte sich das negativ auf ihre technischen Befähigungen aus? Bisher hatte Kon Azir nur eine minimale Chance gesehen, den Todesflug der DRAKHON ohne Hilfe von außen zu stoppen. Falls sich jedoch herausstellte, daß die femgesteuerten Tel und Roboter nicht voll einsatzfähig waren, schaffte er es vielleicht, die Gefangenen zu befreien und mit deren Unterstützung die Kommando 42 zentrale zurückzuerobern.
... mit deren Unterstützung, wiederholte er in Gedanken.
Für einen Augenblick war er sich wie der Kapitän des Schiffs vorgekommen. Aber waren erst einmal die
Gefangenen wieder frei, würde Gal Trenk oder irgendein hoher Offizier das Kommando übernehmen, und
Kon würde als kleiner Soldat zurückkehren ins Glied.
Mun Gowan lehnte m sich zusammengesunken an der Wand, mehr tot als lebendig. Seine Augen waren
geöffnet, doch sie schienen nichts zu sehen. Mit leerem Blick starrte der erste Offizier durch Kon Azir,
der nachdenklich das Sensorium in der Hand hielt, regelrecht hindurch.
Dem Soldaten war der lobotomisierte Mann unheimlich. Ihn plagte das Gewissen. Tel waren es nicht
gewohnt, derart respektlos mit ranghohen Vorgesetzten umzuspringen.
Was hatte er getan? Würde Gowan jemals wieder gesund werden?
Mit zitternden Händen setzte Kon Azir dem Brückenoffizier das Sensorium wieder auf. Die Waffe nahm
er vorsichtshalber an sich.
Mun Gowan richtete sich kerzengerade auf. Sein Kopf drehte sich in Azirs Richtung.
Ohne Vorwarnung griff der Offizier den Soldaten an, ungeachtet der Waffe in Kons Hand. Kon wagte es
nicht zu schießen. Er wollte sein Gewissen nicht noch mehr belasten; der Tod von Otock und Firri machte
ihm schon genug zu schaffen.
Gowans Hände legten sich um Azirs Hals. Azir holte aus und schlug hart zu. Sein Fausthieb riß dem
Stellvertreter des Kommandanten das Sensorium erneut vom Kopf. Es fiel zu Boden.
Augenblicklich ließ Gowan Kon Azir los und verfiel wieder in einen lethargischen Zustand.
Azir trat mehrfach mit dem Fuß auf das Sensorium. Erst als es in Einzelteilen vor ihm lag, ließ er davon
ab. Das Gerät konnte nun keinen Schaden mehr anrichten. Wäre es nach Kon gegangen, hätte man
sämtliche Sensorien auf der Welt längst zerschreddert...
»... und die Erfinder gleich mit dazu!« bemerkte er grimmig.
Mun Gowan tat ihm leid. Mit jeder Minute die verging, schien der Erste geistig immer mehr zu verfallen.
Aber Kon konnte nichts
43 für ihn tun, gar nichts. Ohne daß ihn jemand aufhielt, betrat er Hangar vier.
Bald darauf nahm Kon Azir in der Zentrale eines Fünfundzwanzigmeterbeibootes Platz. Von seiner Ausbildung her wußte er, wie die Kommandobrücke des Schiffes aufgebaut war. Hier drinnen sah es ähnlich aus, allerdings war alles wesentlich kleiner und konzentrierter. Aus Platzgründen waren einzelne Bereiche im Cockpit zusammengefaßt worden. Waffensteuerung, Funk, Navigation - alles befand sich in Griffnähe des Piloten, der sozusagen sein eigener Chef war. Der Pilot bestimmte die Flugrichtung, kommunizierte mit wem er wollte und setzte die leichten Geschütze ein, wann immer er es für richtig hielt. Auf dem Hauptschiff war das anders. Selbst während der Alarmübungen durfte Azir nur einen bestimmten Bereich der Waffensteuerung betreten, und bei der Bedienung der schweren Bordgeschütze stand er ständig unter der gestrengen Beobachtung seiner direkten Vorgesetzten. Kon war nur das ausführende Organ, die Befehle gaben andere. Und über allem stand der »große Bruder« auf der Kommandobrücke. Wenn von dort aus die komplette Waffensteuerung blockiert wurde, lief gar nichts mehr. Dann saßen die Soldaten tatenlos vor den ihnen zugewiesenen Schaltpulten und warteten auf weitere Anweisungen, wie es ihrem Dienstrang entsprach. Bisher war die DRAKHON noch in keine reale Raumschlacht verwickelt worden. Die Mannschaft war so neu wie das Schiff und mußte sich erst aufeinander einspielen. Das bedeutete jedoch nicht, daß die militärischen Übungen lax durchgeführt wurden. Alle an Bord wußten, daß der Ernstfall jederzeit eintreten konnte, und gaben daher immer ihr Bestes. Etwas anderes kam für einen Tel auch gar nicht in Frage. Kon Azir war an seinem angesTarnmten Platz in der Waffensteuerung gut aufgehoben, doch im Notfall konnte man ihn, wie jeden guten Soldaten, auch anderswo einsetzen. Zum Beispiel in 44 der Funkzentrale. Als Klimatechniker verfügte er zwar nicht über das Wissen eines ausgebildeten
Funkers, doch um den Hyperfunk zu bedienen, brauchte man keine spezifischen Kenntnisse.
Noch zögerte er, die Bootsfunkanlage einzuschalten. Kon befürchtete, die Rebellen durch den Notruf zu
früh auf sich aufmerksam zu machen. Falls sie seinen derzeitigen Standort noch nicht ausgemacht hatten,
konnte er sich hier ein wenig erholen und sein weiteres Vorgehen überdenken.
Bisher wußte er nur wenig über die Rebellenpläne, außer daß die DRAKHON unterwegs nach Terra war,
um dort die Hyperbombe abzuwerfen. Weitere Einzelheiten kannte er nicht, er wußte nicht einmal, welche
Koordinaten das Schiff augenblicklich befuhr.
Azir fuhr den Navigationsrechner des Beibootes hoch. Es kostete ihn nur wenig Mühe, sich als stiller
Beobachter in die Schiffsnavigation einzuklinken. Beeinflussen oder stören konnte er den Flugverlauf von
hier aus nicht, doch zumindest hatte er Zugang zu allen erforderlichen Daten.
Die DRAKHON stand vor der letzten Transition ins Sonnensystem der Terraner. Danach sollte unter
Tarnschutz ein Präzisions-anflug an die Erde erfolgen, ganz dicht heran an den globalen Schutzschirm.
Abschließend war ein kurzer Sprung durch den Nogk-Schirm geplant.
Über die Flucht des Raumschiffs nach dem Bombenabwurf erfuhr Kon Azir nichts - so als ob eine
Rückkehr überhaupt nicht vorgesehen war.
... überhaupt nicht vorgesehen ...
Schlagartig wurde dem Tel-Soldaten klar, daß er soeben auf des Rätsels Lösung gestoßen war.
Die Rebellen hatten die Zerstörung des Doppelkugelraumers eiskalt mit eingeplant. Sie wollten die
DRAKHON opfern - und ihr eigenes Leben!
Ihr eigenes Leben? Hielten sie sich überhaupt auf der DRAKHON auf? Oder beobachteten sie das Inferno
aus der Feme, von einem sicheren »Logenplatz« aus?
Die geplante Zerstörung der DRAKHON sprach nicht zwangsläufig gegen die Anwesenheit von Rebellen
an Bord. In vielen Völkern der Milchstraße gab es selbsternannte Märtyrer, die zur
45 Durchsetzung ihrer politischen Ziele vor Selbstmordanschlägen nicht zurückschreckten, wobei es ihnen egal war, ob sie Soldaten oder Zivilisten töteten; selbst vor Frauen und unschuldigen Kindern machten sie nicht halt. In ihrem fanatischen Wahn waren sie sogar bereit, sich selber zu opfern - dann konnte man sie hinterher nicht mehr zur Rechenschaft ziehen. Was für ein Irrsinn! Azir erschauerte innerlich bei dem Gedanken, daß sich das Schiff vielleicht in der Gewalt verblendeter Selbstmordattentäter befand. Andererseits lag es ebensogut im Bereich des Möglichen, daß die Sensorienträger von einem anderen Schiff oder von einem Planeten oder Asteroiden aus gesteuert wurden. In diesem Fall befanden sich die Rebellen weit weg, wenn es im Sol-System krachte. Am Schicksal der DRAKHON-Besatzung änderte das nichts, sie war so oder so dem Tod geweiht. Und die Erde auch. Es hatte Zeiten gegeben, da hatten Terraner und Tel Raumschlachten gegeneinander geführt. Mittlerweile hatten beide Völker diplomatische Beziehungen zueinander aufgenommen. Es gab eine terranische Botschaft auf Cromar und eine telsche Botschaft auf Terra - was gewissen Rebellenführem, die ihre Macht und ihren Einfluß dahinschwinden sahen, ein Dom im Auge war. Fortwährend wiegelten sie ihre Gefolgsleute auf, erst gar keine Freundschaften zwischen Terranem und Tel aufkommen zu lassen. Aus dem Untergrund heraus führten sie Krieg gegen die Erde und gegen die eigene Regierung. Und jetzt hatten sie die DRAKHON in ihrer Hand! Mit einer übermächtigen Bombe an Bord. Und einer nahezu perfekten Tarn-vorrichtung. Die Regierung auf Cromar - acht Vankko, drei Vank und das allwissende Rechengehirn Kluis - war ständig bemüht, das Rebellenproblem zu bagatellisieren, um die Bevölkerung nicht zu beunruhigen. Nun bekam sie die Quittung für die Verharmlosung. Kon Azir machte sich keine großen Hoffnungen, Cromar jemals wiederzusehen. Verglichen mit dem Hauptplaneten des Telin-Imperiums war der Kolonialplanet, auf dem er aufgewachsen war, ein 46 Nichts. Aber hätte man ihn in diesem Moment gefragt, wo er jetzt lieber wäre, in seiner Geburtsheimat oder auf diesem Raumschiff, er hätte sich ohne lange nachzudenken gegen die DRAKHON entschieden. Besser ein lebendiger Niemand als ein toter Volksheld. Für einen Moment dachte er daran, sich zu ergeben... Als bewaffnete Roboter den Hangar betraten und mit ihren aktivierten Strahlengewehren auf das Boot zukamen, in dem er saß, dachte Kon keine Nanosekunde mehr an Aufgabe. Sein Überle benswille übernahm wieder die Führung.
Kon Azir war nicht sonderlich verwundert darüber, daß man ihn in Hangar vier aufgespürt hatte. Vermutlich hatte man ihn von der Kommandobrücke aus geortet. Oder er war von vornherein in eine Falle gelockt worden. Möglicherweise hatten ihm die Roboter nur deshalb freien Zugang zum Beiboothangar gewährt, weil er von hier nicht mehr wegkommen konnte. Kon fuhr die Waffensteuerung hoch. Kein halbwegs logisch denkender Soldat hätte aus einer solch ungünstigen Position heraus die Bordgeschütze eingesetzt. Die Beiboote im Hangar standen derart dicht beieinander, daß eine Gefährdung des Schützen nicht auszuschließen war. Doch Kons Denk- und Handlungsweise war nicht von Logik, sondern von Verzweiflung geprägt -- und ein verzweifelter Tel-Krieger war zu allem fähig! Gleich mit der ersten Strahlensalve fegte Azir drei Roboter von den Beinen. Der Rest der Angreifer verteilte sich rundum im Hangar und suchte Schutz hinter den anderen Booten. Scheinbar gingen die kühl kalkulierenden Robotrechnergehirne davon aus, daß der Raumsoldat es nicht wagen würde, mutwillig teures Militäreigentum zu beschädigen. Kon Azir waren die Materialschäden jedoch egal. Seine eigene Unversehrtheit war ihm wichtiger als die der Boote. Im übrigen waren auch die Roboter nichts weiter als lebloses Material, dessen Zerstörung einen erheblichen Kostenfaktor darstellte. Kein Grund für Kon, sich deshalb von ihnen umbringen zu lassen.
47 Nicht ein Roboter konnte sich vor ihm verstecken. Auf dem Bildschirm erschienen sie als leuchtende, bewegliche Punkte. Damit der Bootsrechner die Tel-Roboter als Feinde einstufte, hatte Azir bei der Eingabe einen militärischen Geheimcode verwendet, der nur im äußersten Notfall zur Anwendung kam - bei einem Roboteraufstand während eines Raumflugs. Bisher hatte man das für höchst unwahrscheinlich gehalten. Nun war der Ausnahmefall eingetreten. Hätte man Kon seinerzeit nicht der Schiffswaffensteuerung zugeteilt, wäre ihm der Code überhaupt nicht bekannt gewesen. In Zehntelsekundenschnelle gab der Rechner dem Schützen Empfehlungen zum effektivsten Einsatz der Bordgeschütze. Sogar eine Reihenfolge beim Anvisieren der Ziele wurde vorgeschlagen, die allerdings laufend wechselte, je nachdem, wo die Roboter gerade Stellung bezogen und wie nahe einige von ihnen ans Boot herankamen. Theoretisch hätte sich Azir bequem in seinem Sitz zurücklehnen und alles weitere der Waffenautomatik überlassen können. Aber der Bordrechner war so programmiert, daß er aus eigenem Antrieb nicht auf andere Tel-Beiboote feuerte. Kon blieb daher nichts arideres übrig, als die Geschütze manuell zu bedienen. Ohne Rücksicht auf Leib, Leben und Material Verlust ließ er es ordentlich krachen. Im Hangar brach die Hölle aus. Die Roboter brachten sich so gut es ging in Sicherheit. Die meisten kamen nicht weit. Zahlreiche Boote wurden von Fehlschüssen so schwer beschädigt, daß sie nur noch Schrottwert hatten. Azir kümmerte das nicht, er konzentrierte sich voll und ganz auf die Leuchtpunkte auf seinem Schirm, die er nach und nach zum Verlöschen brachte. Selbst als ein Beiboot in seiner unmittelbaren Nähe explodierte, hörte er nicht auf zu schießen. Solange die Außenhülle seines eigenen Kugelbootes standhielt, gab es für ihn keinen Grund, das Dauerfeuer einzustellen. Automatisch aufgeschaltete Dämmfelder und Löschanlagen verhinderten das Schlimmste. Rundum donnerte es aus allen Rohren. Azir, der sogar auf Flüchtende schoß, entging nichts. Dank des Bordbildschirms hatte er gewissermaßen auch hinten Augen. 48 Der Lärm, den das Geschützfeuer, die Einschläge und die Explosion verursachten, hätte Tote erwecken können. Im gesamten Raumschiff wurde man darauf aufmerksam, auch in Hangar zwei, wo die Gefangenen ausharrten. Dort hatte man sich fast schon aufgegeben, nun keimte neue Hoffnung auf. Die Wachen hatten Mühe, die aufgeregte Menge im Zaum zu halten. In Hangar vier brannte es an mehreren Stellen. Glücklicherweise bekam die automatische Löschvorrichtung die Flammen in den Griff, sonst wäre Kon Azir bei lebendigem Leib geröstet worden. Inzwischen hatte er die angreifenden Roboter auf zwei dezimiert, die sich als besonders wendig erwiesen. Sie schienen Zeit rausschinden zu wollen. Offenbar rechneten sie mit Verstärkung. Kon entschloß sich, auszusteigen und mit Gowans Strahlenpistole Jagd auf die beiden zu machen. Er hatte nichts zu verlieren und war zu allem entschlossen. Hektisch betätigte er den Öffnungsmechanismus für das Einstiegsschott... Ein fataler Fehler, wie ihm im selben Augenblick bewußt wurde. Draußen herrschte ein Strahleninfemo sondergleichen - und er trug keinen Schutzanzug. Zu seiner grenzenlosen Erleichterung hatten die Techniker beim Bau der Boote an alles gedacht. Der Schottmechanismus wurde blockiert, und ein Warnsignal ertönte. Erst nach Eingabe eines mehrstelligen Codes, der auf dem Bildschirm erschien, würde die Freigabe erfolgen. Kon Azir verzichtete und begab sich nach hinten ins Borddepot. Um zu verhindern, daß die beiden Roboter sein schon leicht lädiertes Kugelboot während seiner Abwesenheit enterten, betätigte er zuvor die Waffenautomatik. Im Depot fand er, was er sich erhofft hatte: verschiedene Arten von Waffen sowie einen hochwertigen Kampf anzug, der mit einem Schutzschirm ausgestattet war. Das vergrößerte seine Chance, sich den Weg freizukämpfen. Während er in den Anzug stieg, schimpfte er sich selbst einen Dummkopf, weil er vorhin für einen Moment daran gedacht hatte, auszusteigen und mit nur einer einzigen Handfeuerwaffe den Kampf gegen zwei weitaus stärkere Gegner aufzunehmen. Selbst wenn der Hangar nicht verstrahlt wäre (was den Robotern nichts 49 ausmachte), hätte er die ungleiche Auseinandersetzung niemals gewinnen können.
Dank des Schutzanzugs und des Waffenarsenals waren seine Aussichten nun enorm gestiegen. Kon traute
sich zu, es mit einer ganzen Armee aufzunehmen.
In einem Metallschrank hingen mehrere Allzweckgürtel, die ihm überaus nützlich erschienen. Einen
davon nahm er heraus und band ihn sich um.
Als er wieder in die Zentrale zurückkam, leuchtete nur noch ein Punkt auf dem Bildschirm. Die
Geschützautomatik hatte sich des vorletzten Roboters entledigt. Verstärkung war noch keine eingetroffen,
was sich aber jeden Augenblick ändern konnte.
Azir öffnete das Schott und stieg aus.
Die Meßgeräte zeigten einen kontinuierlichen Abbau der Strahlenverseuchung an. Noch war es allerdings
zu heiß in der Halle, um dort ohne Schutzanzug herumzulaufen.
Am anderen Ende des Hangars lagerten mehrere Schwebeplatten. Mittels einer Fembedienung, die
griffbereit in der Bootszentrale lag, aktivierte Kon eine der Platten und holte sie heran.
Der letzte Roboter lauerte hinter einem zerstörten Kugelboot und registrierte das Geschehen. Sein
Strahlengewehr hatte er eingebüßt, doch zum Liquidieren von verletzbaren Lebewesen reichte die leichte
Waffe in seiner Hand völlig aus.
Kon lud sämtliche Waffen aus dem Depot auf die Schwebeplatte. Aus dem Augenwinkel heraus
beobachtete er jede Bewegung des Roboters, der auf eine günstige Gelegenheit zu warten schien.
Bevor er sein schützendes Boot endgültig verließ, wandte sich Kon noch einmal dem Schaltpult zu. Er
wirkte ein wenig zerstreut, als er leichtsinnigerweise die Außenbordwaffenautomatik deaktivierte.
Anschließend schaltete er die Funkanlage ein und sandte einen Notruf aus...
Wollte er jedenfalls, doch es funktionierte nicht. Der gesamte Hyperfunkbereich war blockiert.
Nach mehreren vergeblichen Versuchen stellte Kon Azir fest, daß die DRAKHON offenbar ein
Dauersignal empfing, welches für die Funkblockade verantwortlich war. Von wo das Signal gesendet
50 wurde, konnte er nicht herausfinden. Sein Wissen über Hyperfünk-sender war nur mäßig, schließlich war er in erster Linie Klüna-techniker. Kon überlegte, ob die Roboter an Bord möglicherweise von dem gleichen Signal gesteuert wurden. Oder aber sie standen unter dem Einfluß eines anderen Signals, das einen wichtigen Teil ihrer Pro grammierungen überlagerte. Zumindest war das eine halbwegs logische Erklärung für ihre Meuterei. Der Soldat gab seine Bemühungen auf und wandte sich zum Ausstiegsschott um. Erschrocken zuckte er zusammen. Der übriggebliebene Roboter war im Begriff, ins Boot zu steigen. Mit dem gedankenlosen Ausschalten der Geschützautomatik hatte Kon ihm den Weg freigemacht. Im Allzweckgürtel steckte Gowans Strahlenpistole. Kon griff danach, viel zu langsam. Die leichte Verstauchung seiner rechten Hand machte ihm zu schaffen. Der Roboter war wesentlich schneller. Ein gleißender Energiestrahl aus seiner Handfeuerwaffe traf den Tel in Brusthöhe.
Der Strahl aus der Handfeuerwaffe des Roboters prallte an Kon Azirs Schutzschirm, der sich bei Gefahr selbsttätig aktivierte, wirkungslos ab. Wäre eine energiestärkere Waffe eingesetzt worden, hätte der Anzugträger den Angriff nicht überlebt, schon gar nicht auf diese Distanz. Auch ein punktgenauer, länger anhaltender Beschuß konnte den Schirm zum Absturz bringen. So viel Zeit ließ Kon dem Roboter allerdings nicht. Er streckte ihn mit einem Strahlenstakkato nieder. Klein, aber gemein - hinter Kons vermeintlichem Leichtsinn steckte Methode. Der einfallsreiche Raumsoldat hatte die Geschützautomatik nicht aus Gedankenlosigkeit abgestellt, sondern mit voller Absicht. Damit hatte er den Roboter zum Boot gelockt. Kon Azir hielt nicht viel davon, hinter etwas herzujagen, das genauso gut zu ihm kommen konnte. Innerhalb seines Allzweckgürtels befand sich ein Drahtseil, das er ein paar Meter ausrollte. Das Seilende befestigte er an der
51 schwerbeladenen Schwebeplatte. Dann stieg er aus dem Boot und zog die Platte am Seil hinter sich her. Um nicht dem Verstärkungstrupp in die Arme zu laufen, verließ er den Hangar durch ein Tor, das nach nebenan in den Rettungstunnel führte. Der Torrahmen hatte sich durch die Hitze etwas verzogen, trotzdem ließ es sich ohne Schwierigkeiten öffnen und wieder schließen. Im Tunnel, der von verschiedenen Zugängen aus erreichbar war, standen hintereinander mehrere röhrenförmige Rettungsboote auf einer speziellen Startrampe. In den Booten war Platz für die gesamte Besatzung der DRAKHON, wenn auch auf beengtem Raum. Im Fall einer Notevakuierung wußte jeder Soldat, jeder Offizier, wo sich sein Sitz befand - der Fall der Fälle war oft genug geübt worden. Bei Aktivierung des Startsignals wurden die Rettungsboote nacheinander mit hoher Geschwindigkeit aus dem Raumschiff geschossen. Eile war bei einer Evakuierung das höchste Gebot. Für einen Sicherheitscheck blieb keine Zeit mehr, und wer nicht pünktlich im Rettungstunnel eintraf, mußte damit rechnen, zurückgelassen zu werden. Einzelschicksale zählten nicht viel im perfekt durchorganisierten Volk der Tel. Azir beabsichtigte, die Gefangenen zu befreien und sich mit ihnen nach hierher durchzukämpfen. Mit der nötigen Entschlossenheit und ganz viel Glück würde es ihnen vielleicht gelingen, rechtzeitig vor der Transition durch den Schirm die DRAKHON zu verlassen.
Terra rettete das leider nicht. Die Erde war zum Untergang verdammt, mitsamt allen Bewohnern. Nur die Menschen auf den ter-ranischen Kolonialplaneten würden übrigbleiben. Viele von ihnen würden ihre Angehörigen verlieren... Wieder einmal mußte Kon Azir an seinen Heimatplaneten denken. Sein Zuhause war ihm zu eng vorgekommen, zu idyllisch, zu langweilig. Daß er nach Cromar gegangen war, hatte seine Familie und seine Freunde sehr gekränkt. Doch er hatte ihre »provinziellen Bedenken« nur milde belächelt. Inzwischen bereute er seine Überheblichkeit zutiefst. Nicht einmal Ika Rave, mit der er eine Lebenspartnerschaft hatte 52 eingehen wollen, hatte ihn zum Bleiben bewegen können. Die bezaubernde Ika... Kon hatte ihr versprochen, den Kontakt zu ihr aufrechtzuerhalten - aber er hatte sich nie mehr bei ihr gemeldet. Wenn ich dieses Abenteuer lebend überstehe, nahm er sich fest vor, trete ich aus dem Raumflottendienst aus und kehre heim. Ich heirate Ika und übernehme das Geschäft meines Vaters, "wie er es sich immer von seinem einzigen Sohn gewünscht hat. Kon Azir war fest entschlossen, zu überleben - Ika und seiner Familie zuliebe. In seinem Kopf reifte ein gewagter Plan für die Befreiungsaktion.
Kommandant Gal Trenk war ein guter Beobachter. Ihm fiel auf, daß seine Bewacher laufend wechselten und daß sich die sensori-umtragenden Tel nach und nach gänzlich aus Hangar zwei zurückzogen. Bald paßten nur noch Tel-Roboter auf die Gefangenen auf. »Scheinbar läuft nicht alles nach Plan«, raunte der Wer seinem Cheffunker zu, der in seiner Nähe Platz genommen hatte. »Irgend etwas oder irgend jemand sorgt auf dem Schiff für Unruhe.« Ata Xaja stimmte ihm zu. »Vielleicht wird die DRAKHON angegriffen, und die Rebellen benötigen die femgesteuerten Tel zur Verteidigung. Oder die Sensorienträger versammeln sich zu einer Besprechung.« »Zu einer Besprechung? Die Femgesteuerten sind doch überhaupt nicht in der Lage, sich zu besprechen.« »Ihre Gehirnfunktionen sind sicherlich noch intakt, immerhin erteilen sie den Robotern Befehle.« »Nicht sie, sondern die Rebellen, von denen sie gelenkt werden. Würden wir sämtliche Sensorien zerstören, bekämen wir auch die Befehlsgewalt über unsere Maschinengeschöpfe wieder zurück.« Xaja bezweifelte das. »Ich schätze, die Roboter werden gesondert gesteuert. Zwar nehmen sie Anweisungen von den sensorium-tragenden Tel, beziehungsweise den Rebellen entgegen, doch das bedeutet nicht zwangsläufig, daß sie nach der Eliminierung aller Sensorienträger sofort wieder auf unsere Seite wechseln.« »Von einer Eliminierung war nie die Rede«, erwiderte der 53 Kommandant verärgert. »Im äußersten Notfall wird uns vielleicht nichts anderes übrigbleiben«, antwortete sein Cheffunker kühl. »Wenn es keinen Ausweg mehr gibt, muß man sich der Realität beugen. Wir Tel waren noch nie ein Volk von Selbstbetrügem. Es paßt mehr zu den Menschen, sich in aussichtslosen Situationen falsche Hoffnungen zu machen.« »Manchmal schadet es nichts, sich hier und da ein bißchen was von anderen Völkern abzugucken«, meinte Trenk, »auch wenn sie schwächer und weniger intelligent sind als wir. Doch darüber sollten wir zu einem besseren Zeitpunkt diskutieren. Jetzt ist es wichtiger, zu handeln. Ich bin nämlich nicht gewillt, den Rebellen kampflos mein Schiff zu überlassen. Es muß uns gelingen, die DRAKHON wieder in die Hand zu bekommen! Wir müssen hier ausbrechen und die Zentrale stürmen. Bestimmt verschanzen sich die Rebellen dort.« »Eventuell steuern sie das gesamte Schiff von einem fernen Ort aus, mitsamt Robotern und Sensoriumsträgem.« »Um so besser, dann wäre die Zentrale leer. Wir kappen die Verbindung zum Rebellenstützpunkt und bringen das Raumschiff wieder in unsere Gewalt.« Ein Roboter wurde auf das Zwiegespräch zwischen Kapitän und Funker aufmerksam und trieb sie mit Waffengewalt auseinander. Gal Trenk überlegte kurz, ihn anzugreifen, doch ein zweiter Roboter hielt ihn mit dem Strahlengewehr in Schach. Kurz darauf begaben sich die im Hangar befindlichen Roboter nach draußen. Bis auf Sechzehn. Die Robotfrau blieb allein zurück und ließ die Gefangenen nicht aus den Sensoren. Das war auch notwendig, denn das Tor stand momentan weit offen. Die Wachroboter versammelten sich draußen vor dem Eingang zum Hangar, weil dort etwas Ungewöhnliches passierte. Eine Schwebeplatte näherte sich in gemächlichem Flug. Obendrauf türmten sich Massen von Waffen. Die Programmgehirne der Roboter hatten Schwierigkeiten, die merkwürdige Situation zu analysieren. Ihnen war nicht mitgeteilt worden, daß sie mit neuen Waffen ausgestattet werden sollten. Andererseits
gab es keinerlei Anzeichen einer Bedrohung. 54 Vergeblich versuchten die Roboter, den Waffenberg mit ihren Sensoren abzutasten. Ein fremdes, ziemlich
schwaches Störsignal, dessen Ursprung nicht auf Anhieb auszumachen war, hinderte sie daran. Sofort
begannen sie damit, das Signal zu entschlüsseln, um es außer Funktion zu setzen.
Die Platte blieb stehen, schwebte jetzt auf der Stelle.
Plötzlich neigte sie sich leicht zur Seite. Die aufgestapelten Waffen gerieten in Bewegung und rutschten
herunter. Tatenlos verfolgten die Roboter das seltsame Geschehen mit, wußten nicht, wie sie sich
verhalten sollten - bis sie mitten im Tohuwabohu die Umrisse einer Gestalt ausmachten, die sich vom
Schwung der herabfallenden Waffen mitreißen ließ und mit den Füßen voran auf dem Boden landete.
Zu spät registrierten die Roboterhime, daß sie angegriffen wurden - von demselben Feind, der ihnen seit
geraumer Zeit unablässig Probleme bereitete und Hangar vier zerlegt hatte.
Kon Azir hielt in jeder Hand einen Blaster und feuerte damit unablässig auf die zweibeinigen Maschinen,
die im Pulk zusammenstanden, viel zu dicht, um sich erfolgreich verteidigen zu können. Der untersetzte
Raumsoldat schaffte es nur unter größten Anstrengungen, die schweren Waffen zu heben. Dennoch hielt
er sich tapfer auf den Beinen.
Eigentlich hätte sein Körper von Blutergüssen übersät sein müssen, schließlich war das Innere eines
Waffenstapels kein weiches Ruhekissen, doch sein Schutzanzug hatte ihn vor schlimmen Verletzungen
bewahrt. Damit man ihn nicht vorzeitig entdeckte, hatte Kon einen Störsender an seinem Allzweckgürtel
betätigt. Der Mimsender hatte zwar nur eine begrenzte Reichweite und war nicht besonders leistungsstark,
aber für ein kurzes Ablenkungsmanöver war das Gerät völlig ausreichend.
Azir landete mehrere Volltreffer. Allmählich bekam er Routine im Komplettzerstören von Robotern.
Sobald eine der Maschinen versuchte, aus dem Pulk auszubrechen, um ein schlechteres Ziel abzugeben,
bewegte er beide Waffenläufe in die betreffende Richtung und streckte den Flüchtenden nieder.
Auch Kon mußte zahlreiche Treffer einstecken. Bisher hielt sein Schutzschirm stand-. Wie lange noch?
Früher oder später würde es
55 unweigerlich zu einer Überbelastung kommen.
Langsam, aber sicher erlahmten Azirs Kräfte. Aufgrund seiner leichten Verstauchung war er bald
gezwungen, einen der Blaster fallenzulassen. Den zweiten packte er mit beiden Händen und schoß weiter.
Schritt für Schritt bewegte er sich auf seine Gegner zu und trieb sie regelrecht vor sich her. Dabei
entfernte er sich immer weiter von den Depotwaffen, die teils am Boden, teils noch auf der
schrägliegenden Platte lagen.
Die allmählich kleiner werdende Schar der Wachroboter verstreute sich und suchte in den angrenzenden
Gängen Deckung. Dadurch verlor Kon den Überblick und somit die Oberhand. Würden weitere Roboter
hinzukommen, konnte er seinen Befreiungsversuch als gescheitert betrachten.
Geduckt lief er zurück zur Schwebeplatte, auf der sich ein paar Sprengsätze befanden. Die Roboter
wollten ihn von den Waffen fernhalten und nahmen ihn von mehreren Seiten unter Dauerfeuer.
Kon warf sich zu Boden. Aus einer Ärmeltasche am Anzug zog er die Fembedienung, mit welcher er die
Platte in Richtung des Hangars bewegt hatte - kein leichtes Unterfangen, wenn man unter einem Stapel
Waffen begraben war und nichts sehen konnte.
Er beförderte die Schwebeplatte wieder in die Waagerechte und holte sie näher zu sich heran.
In diesem Augenblick traf Verstärkung ein. Das hatte Kon Azir gerade noch gefehlt...
4. Geräuschlos öffnete sich die Hangarschleuse der CHARR. Ein kurzer Energieimpuls aus den Abstrahlgittem, und die Raumfähre glitt aus der Helligkeit des Inneren in die Dunkelheit des Weltraumes. Das System lag in den Außenbezirken der Galaxis in einem relativ Sternenarmen Seitenarm, fast schon an der Grenze zum Leerraum zwischen der Milchstraße und der nächsten Galaxis, Andro-meda. Ein auf einem Planeten stehender Beobachter hätte in der Nacht mit bloßen Augen anstelle der üblichen Sternenvielfalt, die er weiter im Inneren des Zentrums zu sehen gewohnt war, nur eine von wenigen Lichtpunkten durchbrochene Schwärze gesehen. Auf dem rückwärtigen Schirm wurde die 500 Meter lange CHARR sichtbar: Ein riesiger, eiförmiger Monolith mit abgeflachter Basis und stumpfer Spitze. Die Farbe der Hülle schimmerte fast durchweg in einem feinen, matten Goldton, abgesehen von den in dunklerem Gold farblich abgesetzten Details bestimmter Linien und Flächen, hinter denen sich die Hangars, Waffenstationen und Schleusen verbargen. Trotz ihrer elliptischen Form wirkte die CHARR kraftvoll und elegant; die nogkschen Konstrukteure hatten mit ihr wahrlich ein Meisterwerk geschaffen. Im Cockpit der Fähre nahm Jarod Curzon letzte Überprüfungen vor, und neben ihm im Kopilotensitz kontrollierte Pondo Red die Triebwerksfunktionen.
Sämtliche Parameter waren im grünen Bereich.
Pondo nickte seinem Partner zu.
»Wir können.«
Jarod betätigte den Senderschalter und aktivierte den Kommunikationsschirm auf der Pilotenkonsole.
»Hier Fähre CH 2. Erbitten Freigabe.«
57 »Freigabe genehmigt«, kam die Stimme des Dritten Offiziers Perry aus dem Leitstand der CHARR. »Bestätigt, Sir.« »Gut. Und Leutnant Curzon - haben Sie und Red ein Auge auf Ihre Passagiere, verstanden?« »Natürlich, Sir.« Der Dritte Offizier blendete sich aus. Selbstverständlich werden wir ein Auge auf unsere Passagiere haben, dachte Jarod, schon allein um unserer eigenen Sicherheit willen. Der Nachrichten- und Ortungstechniker aus Perry s Stab warf einen Blick ins Passagierabteil der Fähre, in dem sich Tantal zusammen mit neun Meegs aufhielt, deren Namen ihm und Pondo genannt worden waren, aber die er sich auf die Schnelle nicht hatte alle merken können. Ihm war nur die Bedeutung des Begriffes Meeg geläufig. Wörtlich übersetzt lautete sie Erhalter oder Be wahrer des Lebens und bezog sich hauptsächlich auf die Ärztekaste der Nogk, nach außen hin kenntlich durch die gelbe Uniformierung ihrer Mitglieder. Pikanterweise handelte es sich um weibliche Nogk, die sich nach ihrer Fortpflanzung und der Eiablage in ein zweites Puppenstadium zurückzogen. Erst nach ihrer zweiten Reifung und der Schlüpfung wurden sie den Meegs zugerechnet, galten dort als »Bewahrer des Lebens«. Tatsächlich aber verbarg sich hinter der Bezeichnung Meeg viel mehr; sie waren ebenso Wissenschaftler wie Historiker, Physiker, Baumeister und Künstler. Jarod hatte sogar davon gehört, daß sie in begrenztem Maße zur Übertragung ihrer Lebenskraft an Dritte befähigt sein sollten, was allerdings auf Kosten der eigenen Vitalenergie ging und eine Verkürzung ihrer Lebens spanne bedeutete, die ansonsten rund vierhundert Erdenjahre dauerte. »Alles klar dort hinten?« fragte er routinemäßig Die Bestätigung kam von Tantal, der die Exkursion auf die Planetenoberfläche anführte. Tantal war ein Nogk der neuen Art: Eine Mutation mit kobaltblauer Haut und einen halben Meter kleiner als ein gewöhnlicher Nogk. Trotzdem war er immer noch zwei Meter groß und wirkte deshalb auf einen Menschen recht beeindruckend in seiner Fremdartigkeit. Wie alle Nogk schien Tantal eine Mischung aus Insekt und Reptil zu sein mit einem mächtigen Schä
58 del, der an eine Libelle erinnerte. Während sich ein Team unter Lee Prewitts Leitung fast zeitgleich mit dem dritten Planeten dieses namenlosen Systems beschäftigte,* wollte Tantal sich mit seiner Gruppe nogkscher Wissenschaftler in den Ruinen der ehemaligen Nogk-Niederlassung umsehen, die man auf dem zweiten Planeten entdeckt hatte. Er hatte Colonel Frederic Huxley, der dem Ansinnen des kobaltblauen Nogk-Mutanten zunächst skeptisch gegenübergestanden hatte, erst umstimmen können, als er sich einverstanden erklärte, zwei Männer der terranischen Besatzung mit in die Gruppe zu nehmen: Jarod Curzon und Pondo Red. Huxley hatte die beiden mit gutem Grund für diese Mission ausgesucht. Curzon und sein Freund Red waren beide knapp über einen Meter neunzig groß und wirkten dadurch nicht ganz so verloren unter den durchweg 2,50 Meter großen Meegs. Beide trugen Bürstenhaarschnitt, beide waren schwarzhaarig, und beide sahen sich so verteufelt ähnlich, daß man sie an Bord der CHARR nur als »die Zwillinge« kannte, obwohl sie in keiner Weise miteinander verwandt waren. Nicht einmal ansatzweise. Darauf angesprochen, pflegte Jarod stets zu sagen: »Möglicherweise wären wir Zwillinge geworden, wenn es zum fraglichen Zeitpunkt nicht so fürchterlich geregnet hätte.« Wie Pondo Red hatte auch Curzon graue Augen und zeigte bei Gefahr das gleiche Lächeln, das zu neunzig Prozent so falsch war wie das eines Wolfes und so manchen seiner Gegner in die Irre führte. Das Äußere der beiden entsprach zwar dem, was weibliche Ter-raner als attraktiv bezeichneten, und hatte ihnen einen gewissen Ruf in den Kneipen rund um Cent Field eingebracht, doch diese Attribute hatten keine Rolle in Huxleys Überlegungen zu ihrer Auswahl gespielt. Die beiden Raumfahrer, Nachrichtentechniker im Rang von Leutnants, waren hervorragende Gleiterpiloten und bekannt für ihren furchtlosen Einsatz bei heiklen Missionen, was
Siehe 19. Band des Drakhon-Zyklus, »Heerzug der Heimatlosen«
59 sie oft genug in der Vergangenheit unter Beweis gestellt hatten. Ihre Ausbildung und ihr kühles Reagieren in gefährlichen Situationen waren der Hauptgrund, weshalb sie Huxley zu diesem Einsatz abkommandiert
hatte.
»Na, dann wollen wir uns auf den Weg machen«, sagte Curzon, verdrängte alle unwesentlichen
Gedanken und konzentrierte sich auf seine Aufgabe.
Die Fähre gewann rasch an Geschwindigkeit; die gewaltige Masse der CHARR fiel hinter ihr zurück.
Schnell wurde sie zu einem winzigen Punkt unter vielen, um sich nur wenig später der direkten
Betrachtung gänzlich zu entziehen; lediglich auf einem Nebenschirm der Konsole blieb sie unverändert
präsent.
Vom Raum aus bot sich der Planet auf dem sphärisch gewölbten Frontschirm als eine an den Polen
abgeplattete, leuchtende Kugel dar. Es handelte sich bei ihm um eine kleine heiße Trockenwelt, relativ
unwirtlich für menschliche Bedürfnisse, für die nogksche Lebensweise jedoch geradezu ideal.
Die Oberfläche näherte sich, und der vordringliche Farbeindruck war ein tiefes, fast bräunliches Gelb.
Fünfzigtausend Meter hoch war die Fähre jetzt nur noch.
Mehr und mehr Einzelheiten zeigten sich.
Der Planet war zu zwei Dritteln von Wüsten geprägt, die sich vorwiegend um den Äquator gruppierten;
Wasser schien es nur in den gebirgigen Regionen um die Polregionen zu geben. Die Welt war kleiner als
die Erde und ähnelte mehr dem Mars des irdischen Systems; falls sie jemals Meere besessen haben sollte,
waren diese längst verschwunden.
Über der nördlichen Hemisphäre erkannte man in sehr großer Höhe marginale Wolkenstrukturen, die das
Licht der A-Null-Sonne gelbweiß reflektierten.
Jarod ließ die Anzeigen seiner Konsole nicht aus den Augen, während er sich die Daten des Planeten ins
Gedächtnis rief.
Die Lufthülle war dünn, doch atembar, wenn man sich nicht zu sehr anstrengte. Sie entsprach, wie die
Atmosphärentaster der CHARR ermittelt hatten, der irdischen Luftqualität in zirka dreitausend Metern
Höhe. Die Rotation betrug nach den Berechnungen der Astroabteilung 20 Stunden und 32 Minuten. Am
Tag herrsch
60 ten Temperaturen von um die 40 Grad; während der Nacht sanken sie auf den Nullpunkt und darunter. Ein erstes fernes Heulen kam über die Außenmikrophone herein: die Reibung der Luftmoleküle an der Hülle der Fähre. Sie hatten die Atmosphäre erreicht. Die Abstiegsphase ging problemlos vonstatten, dennoch fühlte Jarod eine gewisse Spannung, die seine Nerven summen ließ wie eine Instrumentensaite, die von einem Spieler ständig am Schwingen gehalten wurde. Die Landschaft, die unter der Fähre dahinglitt, war leer. Jarod sah nicht einen Baum oder eine größere Ansammlung von Vegetation. Eine fast physisch greifbare Ausstrahlung der Einsamkeit ging von den Bildern aus. Am Horizont tauchte ein Bergrücken auf, schob sich schräg nach vom. Man erkannte die Einschnitte früherer Straßen, einige zusammengebrochene Viadukte, die sich über Schluchten und Canons gespannt hatten. Sie überflogen den Berg in sicherer Höhe. Wenige Minuten später erschien dahinter die Nogk-Ansiedlung auf einer Ebene, die sich bis zu den Ausläufern eines weiteren, flachen Bergkammes erstreckte. Selbst in den Ruinen konnte man noch Ausmaß und Größe der ehemaligen Nogckolonie erkennen, die auf dem weitläufigen Plateau der Verlassenheit und Erosion preisgegeben war. Im Gegensatz zu den jetzigen Pyramidenbauwerken auf Corr, die eine radikale Umkehr vom althergebrachten Baustil darstellten, erinnerten die frühen Ringbauwerke der Nogk an ins Megalithische vergrößerte Amphitheater, wie sie zu Zeiten Julius Cäsars und anderer römischer Herrscher im Miniaturfonnat auf der Erde errichtet worden waren. Die nogktypischen Ringstädte waren je nach Anforderungen und Umfang der Population von unterschiedlicher Größe in Durchmesser und Höhe, hatten aber eines gemeinsam: Die tiefste Ebene die Arena- bildete immer das von der Sonne durch intelligent nachgeführte Spiegelfelder zu jeder Tageszeit schattenlos beschienene Forum, auf dem die Nogk flaniert, diskutiert und sich dem
61 Nichtstun und der Entspannung hingegeben hatten.
Diese Kolonie war einmal umfangreich gewesen, das ließ sich selbst jetzt noch erkennen. Sie hatte sich in
ihrer Weitläufigkeit über ein Areal von mindestens zehn Quadratkilometern erstreckt.
Zehn Quadratkilometer einer heute totalen Zerstörung.
Die Perimeter der Außenbezirke waren übersät mit nicht zählbaren großen und kleinen Kratern,
verursacht durch die Einschläge von Bomben und Raketen - ein Bild wie das Gesicht des irdischen
Mondes.
In großer Höhe überflog die Fähre das ehemals besiedelte Gebiet.
Von dem größten Gebäude im Zentrum, das einstmals bestimmt bis in eine Höhe von zweitausend Meter
gereicht hatte, war nichts mehr vorhanden. Nur Skelette von Trägerkonstruktionen aus Metall oder ähnlichen Materialien erhoben sich noch vereinzelt in den hellblauen Himmel. Sandfahnen tanzten über die Ruinen und Schutthügel. Als Jarod Curzon eine Reihe von Detailvergrößerungen auf einem Nebenschirm betrachtete, mußte er feststellen, daß es außer den deutlichen, scharfe Schatten werfenden großen Kratern auch kleine gab, bis hinunter zur Ausdehnung von wenigen Metern. Hier schien ein ununterbrochenes Bombardement von kleinsten bis hinauf zu den größten Raketen die Nogckolonie verwüstet zu haben. Hier hatte es einen Krieg gegeben. Einen Atomkrieg. Die von der Wissenschaftsstation durchgeführte Femanalyse der nuklearen Zerfallsrate hatte ergeben, daß vor zirka 800 Jahren ein schrecklicher, interplanetarischer Atomkrieg mit katastrophalem Ausgang stattgefunden haben mußte. Daran bestand jetzt kein Zweifel mehr; der Augenschein bewies es. Und dieser Krieg hatte aller Wahrscheinlichkeit nach durch den Einschlag einer H-Bombe sein Ende gefunden, gemessen an Umfang und Grad der sich strahlenförmig vom Stadtmittelpunkt ausbreitenden Zerstörungen, die eindeutiges Indiz dafür waren. »Junge, Junge«, entfuhr es Jarod Curzon, als er das ganze Aus 62 maß der Verwüstung erblickte; die trostlose und hoffnungslose Stimmung der vernichteten Stadtanlage
sprang ihn an wie ein Schreckensbild.
»Hiroschima mon amour«, murmelte Red düster, dessen ausgeprägte Kenntnisse über die terranische
Geschichte des 20. Jahrhunderts sprichwörtlich waren. »Wie sich die Bilder gleichen.«
»Oder Nagasaki - du sagst es, Freund Pondo.« Jarod nickte. »Aber«, er hob die Schultern, als fröre er,
»das ist erst der erste Eindruck. Ich fürchte, wir werden noch viel gräßlichere Beobachtungen machen.«
»Da ist etwas Ungeheuerliches passiert!« ließ sich Tantal vernehmen, der aus dem Passagierabteil nach
vom gekommen war und sich zwischen die beiden Piloten gestellt hatte. Natürlich sprach er nicht
wirklich, sondern die Worte kamen aus dem ei-großen Gedankentransformator vor seiner Brust. Nogk
besaßen zwar ein Organ zur Lautbildung, kommunizierten aber untereinander und mit anderen Spezies
fast ausschließlich über semitelepa-thische Bildimpulse. Da Terraner nicht dafür empfänglich waren -von
sehr, sehr wenigen Ausnahmen abgesehen - unterhielten sich Nogk mit den Menschen über die
Translatoren, die die Bildimpulse ins Angloter umwandelten - und umgekehrt.
»Das scheint ausgesprochen sicher zu sein!« erwiderte Pondo Red trocken.
Tantal betrachtete unverwandt die Bilder der Zerstörung; der Tod hatte diese Welt fest in seinem Griff.
»Ist die Verwendung von Energie feststellbar?« ließ sich der Kobaltblaue dann vernehmen.
»Negativ!« entgegnete Jarod Curzon an Reds Stelle. »Dort unten arbeitet keine Maschine, kein Aggregat,
kein Meiler mehr, zumindest nicht mit Energien, die wir mit unseren Instrumenten zu orten vermögen.«
»Also... alles tot!« stellte Tantal fest.
Jarod warf ihm einen schnellen Blick zu. Konnte es sein, daß der Kobaltblaue im Augenblick
ausgesprochen ratlos wirkte? Nein, er hatte sich getäuscht. Dem Nogk der neuen Generation war weder
Bedrückung noch Erregung anzumerken. Lediglich in seinen nachtschwarzen Facettenaugen schienen
kleine Lichter zu blitzen.
63 Aber das konnte auch der Widerschein der Instrumentenbeleuch-tung von der Steuerkonsole sein. Jarod
wollte sich da nicht so genau festlegen.
»Ja«, kamen Tantals erneute Bildimpulse als Lautäußerungen über seinen Gedankentransformator, »wir
werden hier kein Leben mehr entdecken. Schließlich sind seit der Zerstörung dieser Kolonie Jahrhunderte
vergangen.«
»Wo möchtet ihr mit euren Nachforschungen beginnen?« ließ sich Pondo Red vernehmen.
»Das heißt«, präzisierte Jarod, »wo sollen wir landen?« Erwartungsvoll sah er auf den Nogk.
Tantal schien die Frage nicht gehört zu haben, denn es kam keine Reaktion von ihm. Er hatte sich leicht
abgewandt und schien mit den Meegs im hinteren Teil der Fähre in Kontakt getreten zu sein, dem Spiel
seiner Fühlerpaare zufolge.
Jarod wollte seine Frage schon wiederholen, als der kobaltblaue Nogk-Mutant seine Aufmerksamkeit
erneut auf den Terraner richtete.
»Bringe uns zum Östlichen Rand der Wohnstätte«, sagte er. »Dort drüben.«
»Einverstanden!« sagte Jarod und bewegte die Kontrollen. »Eine Idee, was oder ob wir überhaupt etwas
dort finden?«
»Nein. Aber ein Ort ist so gut wie der andere.« Tantal knickte seine Fühler in eine Stellung, von der Jarod
annahm, sie bedeutete so etwas wie das terranische Äquivalent des Schulterzuckens.
»Wenn du es sagst, Tantal...«
Schnell kam die bezeichnete Stelle näher.
Die Fähre flog über ein Labyrinth ineinander verschachtelter Ruinen hinweg. Dann reduzierte sie ihre
Geschwindigkeit, ging tiefer und setzte sanft zwischen Trümmern auf.
»Wir sind da«, stellte Pondo Red lakonisch fest. »Alles aussteifen!«
Sie verließen die Fähre, betraten die schweigende Welt dieser Totenstadt, tauchten ein in eine Landschaft
voller ausgebrannter,
64 zerstörter Gebäude. Verbogene, umgeknickte und halbgeschmolzene Trägerelemente starrten aus weggesprengten Wänden und erinnerten an Insektenklauen, die am Himmel kratzen wollten. »Wohin?« erkundigte sich Jarod. »Geradeaus«, ließ sich Tantal vernehmen. »Kommt mir gelegen«, murmelte Jarod, und sein Partner meinte: »Der gerade Weg führt immer am schnellsten zum Ziel, egal, was uns am Ende erwartet.« Sie hatten die Sonne im Rücken und einen Planeten voller Ungewißheiten und möglicherweise tückischer Gefahren vor sich. Nogk und Terraner trugen leichte Strahlenschutzanzüge mit breiten Gürteln, die zahlreiche Instrumente enthielten, unter anderem die Geigerzähler, die sie über den Grad der noch vorhandenen Strahlenbelastung aufklärten und vor eventuell auftretenden Strahlungsnestern mit unverhältnismäßig hoher radioaktiver Belastung warnten. Obwohl der Nuklearexperte der CHARR, Professor Dylan Kendrick, die atomare Verseuchung nur noch als äußerst gering beziffert hatte, wollte man kein Risiko eingehen. Zudem trug jeder eine starke Lampe am Gürtel und eine Handfeuerwaffe, einen Strahler; niemand rechnete ernsthaft mit Gegnern. Noch lagen die semistabilen Helme in den Halskrausen. Noch atmeten sie die dünne Luft ohne Verdichtungsgeräte oder die Ersatzapparate, aber vermutlich würden sie später auf ihre Reserven zurückgreifen müssen. Die Atemluft war reichlich dünn und heiß und trug einen Geruch von äonenaltem Staub und Asche mit sich. Zum Schutz vor der grellen Sonne trugen die beiden Terraner dunkle Brillen; die starren Facettenaugen der Nogk bedurften einer derartigen Abschirmung offensichtlich nicht. Jarod grinste innerlich, die Vorstellung eines Nogk mit einer gewichtigen Sonnenbrille vor den Facettenaugen war irgendwie erheiternd. Nichts rührte sich. Es gab keinerlei Geräusche außer den Lauten ihrer Sprache. Und der leichte Wind schleppte diesen leisen Schall mit sich und verschluckte ihn. Hin und wieder fielen Trümmerbrocken aus noch stehenden Gebäuderesten, prallten mit dumpfem Schlag in den 65 Schutt oder den Sand der unerbittlich vordringenden Dünen. Manche Ruinen waren bereits zehn Meter hoch und noch mehr von dem heißen Sand verschluckt worden. Obwohl feststand, daß diese Welt keinerlei Leben mehr trug, bewegten sie sich mit einer gewissen Vorsicht. Immerhin war es unbekanntes Terrain, und schon manche Expedition auf fremden Planeten hatte mit einem Desaster geendet, weil man allzu sorglos vorgegangen war. Jeder Schritt durch das Chaos erhöhte die Anspannung Jarod Curzons, während sein Freund Pondo davon unberührt schien und die Nogk ebenfalls vergleichsweise gelassen wirkten. Aber vielleicht lag das auch nur daran, daß Jarod den insektoiden Physiognomien nicht die kleinste Regung entnehmen konnte. Auch Tantal, der zwischen den großen Meegs irgendwie deplaziert wirkte, bot in dieser Hinsicht keine Ansatzfläche. Diese Nogk, dachte Jarod vollkommen wertfrei, sind für mich ein Buch mit mehr als nur sieben Siegeln. Natürlich kannte er ihre Geschichte, wenn auch nur ansatzweise; sie tatsächlich zu begreifen und zu verstehen würde für einen Ter-raner vermutlich mehr als nur eine Lebensspanne dauern. Und unerwarteterweise kam ihm Tantals Geschichte in den Sinn, ohne daß er es eigentlich beabsichtigte...
Nogk waren eierlegende Hybridwesen aus Insekt und Reptil, etwa zweieinhalb Meter groß, mit langen Beinen und kräftigen Armen, an deren Enden sich vierfingrige Hände befanden. Jede ihrer Bewegungen kündigte von geschmeidiger Eleganz, von Kraft, von Schnelligkeit. Ihre lederartige, braune Haut, gelblich gepunktet, erinnerte in gewisser Weise an die von Eidechsen. Das absolut Fremdartige an ihnen war der mächtige libellenartige Kopf mit den gefährlich wirkenden Beißzangen, den riesigen, seitlich am Kopf hervorstehenden Facettenaugen und den zwei langen Fühlerpaaren auf der Stirn dazwischen. Das
semitelephatisch veranlagte Volk war strahlungsabhängig und deshalb auf einen bestimmten Typus von Sonne mit stabilem solarem Energiefeld an 66 gewiesen, das Dilemma ihrer Existenz, denn veränderte sich das Strahlungsniveau der jeweiligen Heimatsonne, ob auf natürliche Weise oder künstlich herbeigeführt, mußten sie auswandern, wollten sie als Volk nicht für immer von der galaktischen Bühne abtreten. So hatten sie verschiedene Male in ihrer langen Geschichte ihre Heimstätten verlassen und sich neue Welten suchen müssen, ständig von der Hoffnung getrieben, endlich eine Heimat auf Dauer zu finden. Als Terraner und Nogk zum ersten Mal im Jahr 2052 im Col-Sy stem aufeinandertrafen, lebten sie noch auf den Planeten der roten Riesensonne Charr und sahen auf eine rund zweitausend Jahre in die Vergangenheit reichende dokumentierte Geschichte zurück, die jeder Nogk im Laufe seines Lebens lernte und als sogenanntes Rassegedächtnis zur Verfügung hatte. Aber auch schon vor dieser Zeit waren die Nogk immer wieder aus ihren SonnensySternen vertrieben worden, wie Mythen und Legenden berichte ten, als unbekannte, gesichtslose Feinde ihre Sonnen zur Explosion brachten. Als sich die nächste Katastrophe abzeichnete, weil Charr zur Nova mutierte, konnten sie sich dem Untergang ihrer Spezies nur durch eine überstürzte Flucht entziehen. Chinok, ein für ihre Verhältnisse eigentlich lebensfeindlicher Planet, war für eine Weile Zwischenstation, bis ihre Forschungsschiffe unter dem Licht der blaugrünen Sonne Tantal auf dem zweiten Planeten, den sie kurzerhand Nogk II tauften, eine neue Heimstätte fanden. Allerdings war Tantal ein Stem, dessen Spektrum diametral zu dem ihrer vorigen Sonne stand und für eine radikale Veränderung innerhalb ihrer Spezies sorgen sollte. Die blaugrüne Sonne war ursächlich auch für die Namensgebung des Protagonisten einer neuen Art von Nogk verantwortlich. Nogk reiften im Ei heran, durchliefen dabei mehrere Stadien der MeTarnorphose und wurden nach dem Schlüpfen in die Obhut der Meegs gegeben, den Bewahrem des Lebens, die für die weitere Entwicklung sorgten. Als das System im Sommer 2057 von Grako-Kampfstationen angegriffen wurde und die Nogk überstürzt ihre Heimstatt Tantal U verlassen mußten, weil die Sonne durch 67 Einwirkungen des Feindes zu einer Nova zu werden drohte, war eine Puppe in den Wirren des Aufbruchs als einzige aus einem nicht mehr nachvollziehbaren Grund vergessen worden. Jener Nogk, der länger als jede andere Larve in seinem Kokon verbracht hatte und unter den Strahlen der sich in ihrem Spektrum verändernden Sonne heranreifte, durchlief sämtliche Stadien, die ein »normaler« Artgenosse außerhalb im Bom der Meegs durchmachte, im Innern seiner Puppe und schlüpfte erst nach dem vollständigen Abzug seines Volkes. Er fand eine absolut leere Welt vor - und benannte sich spontan nach der Sonne seines Geburtsplaneten, dem Stern Tantal. Was sein Aussehen betraf, war Tantal erheblich aus der Art geschlagen. Seine Haut schimmerte metallisch kobaltblau, auch war er im Gegensatz zu den »alten« Nogk nur noch etwa zwei Meter groß. Später war er von zufällig zurückkehrenden Meegs entdeckt und nach Reet gebracht worden, wo mittlerweile zahlreiche weitere Junge seiner Art geschlüpft waren. Wie Tantal waren auch sie kleiner und zierlicher als normale Nogk - und kobaltblau. Und ebenso wie Tantal waren sie nicht mehr strahlungsabhängig wie die Generationen der Nogk vor ihnen. Allerdings mußte in Tantal während seiner »Reifezeit« eine Mutation stattgefunden haben: Der blauhäutige Nogk-Mutant verfügte schon unmittelbar nach seiner Geburt über das gesamte gesammelte Archivwissen, während normale Nogk sich dieses erst im Laufe ihres Lebens durch ständige Lernprozesse aneignen mußten. Ausgestattet mit diesem enormen Wissensvorsprung, wurde er zum primus interpares der neuen Unterart.
»... paß auf, wohin du deine Füße setzt!« erreichte ihn Pondos mahnende Stimme. Jarod fing sich gerade noch, ehe ihn der kleine Schuttbrocken gänzlich aus dem Gleichgewicht bringen konnte, über den er gestolpert war. Er ärgerte sich, daß seine Konzentration für einen 68 Moment nachgelassen hatte und verdrängte alle Gedanken an Tantal und die Geschichte der Nogk,
konzentrierte sich ausschließlich auf den Weg.
Noch immer herrschte dieses unwirkliche, niederdrückende Schweigen zwischen den Ruinen.
Nach wenigen Minuten kletterte Jarod Curzon auf den Kamm einer angewehten Düne, um sich einen
besseren Überblick zu verschaffen. Er schob die Sonnenbrille auf die Stirn, hob den Multi
fimktionsfeldstecher an die Augen und sondierte die weitere Umgebung.
Im Sichtfenster glitten Ruinen, zerschmolzene Wände und Fassaden vorbei.
Aus der Luft hatte alles mehr abstrakt ausgesehen, weniger eindringlich und größer dimensioniert. Hier
sah man die Schäden und Zerstörungen des atomaren Untergangs weitaus deutlicher. Es gab nichts, das
noch intakt schien. Wände und Mauern waren von dem höllischen Inferno der Atombombe, die im
zentralen Bereich der Nogckolonie detoniert sein mußte, verpulvert und verglast worden. Metallfetzen
hingen zwischen Trägem und geborstenen Platten.
»Mein Gott!« sagte er laut und betroffen, setzte das Glas ab und blickte hinunter zu Pondo, der am Fuß
der Düne stehengeblieben war, während die Nogk sich etwas verteilt hatten. »Was für eine Katastrophe.
Hier wurde ganze Arbeit geleistet.«
»Kriege«, sagte der Freund ohne Sarkasmus, »sind nichts als konzentrierter Unsinn. Sie enden immer in
Katastrophen.«
Jarod hob das Glas erneut für einen letzten Rundblick.
»Nur Zeitverschwendung«, sagte er mehr im Selbstgespräch. »Nichts zu sehen als Chaos.«
Er wollte das Femglas schon sinken lassen, riß es aber plötzlich wieder hoch und preßte überrascht die
Augen an das elektronische Okular.
Etwas hatte er im letzten Moment gesichtet.
Metallisch schimmernde Reflexe blinkten...
Er drückte den Kontakt für die Scharfeinstellung.
Die Fläche, die er im Auge hatte, schoß heran.
Zahlenkolonnen flimmerten über den kleinen Monitor.
69 Die Werte pendelten sich ein und versorgten den Leutnant mit genauen Entfemungsangaben.
Der holte scharf Luft.
»Ich glaube es nicht!« rief er halblaut. »Da ist etwas! Etwas, das auf dieser Welt der absoluten Zerstörung
noch intakt scheint!«
Die Nogk kamen zurück, sammelten sich am Fuß der Düne, und Tantal eilte mit erstaunlicher
Schnelligkeit und Geschmeidigkeit zu Jarod hoch.
»Was hast du entdeckt?« kam seine Frage aus dem Translator.
»Einen Eingang zu etwas, das offensichtlich unter der Planetenoberfläche liegt«, erklärte der Terraner,
noch immer überrascht von seiner Beobachtung.
»Du irrst dich nicht? Vielleicht nur eine Sonnenreflektion, die...«
»Sieh selbst«, schnitt ihm Jarod kurz angebunden das Wort ab und bot ihm demonstrativ das Femglas an.
Tantal machte eine abwehrende Handbewegung und sah ihn mit einem ganz und gar undeutbaren Blick
an. »Nicht nötig. Sag mir nur wo.«
»Dort...!« Jarod lokalisierte die Richtung.
Der Nogk richtete den Blick dorthin. Die Facettenaugen schienen die gesamte Umgebung der
Ruinenstätte zu erfassen, die Fühler zitterten unstet. Jarod versuchte vergebens, in Tantals insek-toiden
Zügen eine verständliche Regung zu erkennen.
Lange schwieg der Kobaltblaue. »Du hast recht, Leutnant«, erreichten schließlich die semitelepathischen
Bildimpulse des Nogk-Mutanten den Terraner. »Vermutlich der Eingang zu einer unter der Stadt
befindlichen Anlage. Wir sollten uns das näher ansehen.«
5. Gal Trenk, Ata Xaja und weitere Gefangene stürmten aus dem Hangar und kamen Kon Azir zu Hilfe.
Eine willkommene Verstärkung, die ihm gerade noch gefehlt hatte - im wahrsten Sinne des Wortes.
Die Soldaten und Offiziere machten sich sofort über den Waffenberg her. Innerhalb kürzester Zeit war
jedes Besatzungsmitglied bis an die Zähne bewaffnet.
Die kampferprobten Tel verteilten sich und begannen, Jagd auf die Roboter zu machen. Da Kon auch
Handfunkgeräte aus dem Depot mitgebracht hatte, konnten sie sich untereinander verständigen.
Auch die Roboter erhielten nun Verstärkung. Es kam zu zahlreichen heftigen Feuergefechten rund um
Hangar zwei.
Azirs Kameraden waren gute Schützen. Gleich reihenweise wurden die Roboter außer Gefecht gesetzt.
Der Preis für die Freiheit war allerdings hoch - es gab Tote und Verletzte, denn außer Azir trug niemand
einen Schutzanzug.
Sensorienträger traten nur vereinzelt in Erscheinung. Statt sich ins Kampfgeschehen einzumischen,
ergriffen sie jedesmal sofort die Flucht. Ihren Kameraden war das nur recht - sie hätten nur ungern auf
ihre eigenen Leute geschossen.
Viel zu spät begriff Gal Trenk, wohin sich die femgesteuerten Tel zurückzogen.
»Sie flüchten in die Zentrale!« teilte er den anderen übers Funkgerät mit. »Wir müssen sofort stürmen,
bevor sie sich darin total verschanzen!«
Ein Trupp unter seiner Führung kämpfte sich zur Brücke durch. Weit kamen die Männer nicht, ein
Panzerschott versperrte ihnen den Zugang.
71 Daß der Kommandant den aktuellen Öffnungscode des Schotts kannte, half ihnen nicht weiter. Die Sensorienträger in der Zentrale hatten längst einen neuen eingegeben. Das Panzerschott blieb zu.
Lagebesprechung. Kommandant Trenk hatte die gesamte Besatzung in Hangar zwei zusammengerufen. Der Ort, der bis vor kurzem noch ihre Zelle gewesen war, diente ihnen jetzt als Konferenzraum. An den Ausgängen waren Wachen postiert worden, damit niemand die Tore schließen konnte. Sechzehn lehnte reglos an der Wand. Während Kon Azir außerhalb des Hangars mit den übrigen Wachrobotem gekämpft hatte, war es einigen mutigen Gefangenen gelungen, die Robotfrau zu überwältigen und zu deaktivierten. Jeder Rottenangehörige wußte, wie man die Funktionen eines Roboters außer Kraft setzte. Das war allerdings nicht ganz ungefährlich. Die größte Schwierigkeit bestand darin, nahe genug an die aufs Töten programmierte Kampfmaschine heranzukommen. Gal Trenk besprach sich zunächst mit Kon Azir, der ihm in knappen Worten berichtete, was er seit dem Gasangriff erlebt hatte. Gürtel und Anzug hatte er inzwischen abgelegt. Auf Befehl seines Vorgesetzten faßte sich Azir kurz und schilderte ihm nur die wichtigsten Ereignisse. Das Chaos, das er im Beiboothangar angerichtet hatte, verschwieg er dem Kommandanten vorerst. Im Anschluß an dieses Vieraugengespräch hielt Trenk eine Ansprache an seine Mannschaft und faßte die Fakten zusammen. Weil sich Schiff und Besatzung in einer Notsituation befanden, nahm er auf Geheimhaltungsvorschriften keine Rücksicht mehr. Jeder an Bord hatte jetzt ein Recht darauf, zu erfahren, warum die Rebellen die DRAKHON übernommen hatten und wie es um die Überlebenschancen stand. »Die Entführer kontrollieren alle Roboter, und viele unserer Kameraden werden durch Sensorien femgesteuert. Bisher gibt es keine Hinweise auf Rebellen an Bord. Wahrscheinlich befinden sich die feigen Drahtzieher der Terroraktion weit fort von hier, wo ihnen nichts zustoßen kann. Die Roboter stellen augenblicklich 72 kein großes Problem mehr dar, weil wir die meisten von ihnen zerstört oder abgeschaltet haben. Nur einzelne Roboter sind noch aktiv, doch solange sie sich nicht zu einem Angriff organisieren, können wir uns verhältnismäßig frei auf dem Schiff bewegen. Daß uns sensoriumtragende Kameraden angreifen, ist so gut wie ausgeschlossen. Auf einen geheimen Befehl hin haben sich sämtliche Sensorienträger in der Zentrale verschanzt. Von dort aus kontrollieren sie die meisten Bereiche des Schiffs. Sobald sich uns eine Gelegenheit bietet, werden wir die Zentrale zurückerobern. Der Öffnungscode wurde zwar von den Besetzem geändert, aber unsere Experten schaffen es bestimmt, ihn zu entschlüsseln. Wir werden vor dem Panzerschott einen schlagkräftigen Trupp postie ren, der blitzschnell in Aktion tritt, sobald das Schott offen ist. Wenn es sich vermeiden läßt, wird auf unsere femgesteuerten Kameraden nicht geschossen, schließlich können sie nichts dafür. Es dürfte genügen, ihnen die Sensorien herunterzureißen, um sie wieder zur Vernunft zu bringen. Befindet sich die Zentrale wieder in unserer Hand, ändern wir umgehend den Kurs. Augenblicklich steht die DRAKHON unmittelbar vor der Transition ins terranische Sonnensystem. Die Rebellen beabsichtigen, die Erde mit einer Hyperbombe hochzujagen. Die Opferung des Schiffs mitsamt allen Insassen wurde von Anfang an mit eingeplant.« Die brisante Nachricht sorgte im Hangar für Aufregung. Gal Trenk brachte seine Zuhörer mit einer unwirschen Handbewegung zum Schweigen und fuhr schonungslos fort. »Ja, ihr habt richtig gehört! Im Haupthangar befindet sich eine mächtige Bombe. Nur ich und Mun Gowan, der sich vermutlich mit den anderen Ferngesteuerten in der Zentrale aufhält, wußten darüber Bescheid. Unser Geheimauftrag lautete, die Hyperbombe auf einem unbewohnten Planeten zu deponieren und aus sicherer Entfernung zu zünden. Die übrige Besatzung wäre erst kurz vor Beginn der Aktion informiert worden. Das Ganze war als Test gedacht, nicht als Angriff auf eine fremde Spezies. Aufgrund der Entführung erkläre ich den Auftrag hiermit als undurchführbar. Die Aktion wird abgebrochen und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Unser Bordteam für Bombenentschär 73 füng ist leider nicht komplett, einige Teammitglieder befinden sich in der Zentrale. Die noch verbliebenen Spezialisten müßten allerdings ausreichen, um die Hyperbombe stillzulegen. Nur Mut, Männer! Unsere Lage ist weniger aussichtslos, als es den Anschein hat. Disziplin und Zusammenhalt sind unsere größten Stärken. Wir werden alles daransetzen, das Schiff zurückzuerobern und Kurs auf die Heimat zu nehmen. - Noch Fragen?« »Haben wir Verbindung mit Cromar?« meldete sich ein junger Soldat zu Wort. »Oder sind wir auf uns
allein gestellt?«
»Kon Azir hat vergeblich versucht, mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen und von einem Beiboot aus
einen Hyperfunk-Notruf abzusetzen«, antwortete ihm der Kommandant. »Daß er es nicht geschafft hat,
lag vermutlich an seiner Unerfahrenheit auf diesem Gebiet. Ich werde einen Funkexperten in den
Beiboothangar schicken.«
Cheffunker Ata Xaja wollte etwas einwerfen, aber Azir kam ihm zuvor.
»Mit den Beibooten ist das so eine Sache«, sagte er kleinlaut. »Ich bin mir nicht sicher, ob es in Hangar
vier überhaupt noch intakte Boote gibt. Während ich mich mit der Funkanlage beschäftigte, wurde ich
von Robotern angegriffen. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Geschütze einzusetzen. Im übrigen lag
es nicht allein an meiner Unerfahrenheit, daß es mit dem Notruf nicht geklappt hat. Die DRAKHON
empfängt von irgendwoher seltsame Funksignale, die den gesamten Hyperfunkbereich blockieren.«
Wieder wollte Ata Xaja etwas anmerken, doch diesmal war der Kommandant schneller.
»Sie haben die Bootsgeschütze innerhalb des Schiffs eingesetzt? Damit haben Sie uns alle in
Lebensgefahr gebracht, Soldat! Man wird Sie für die mutwillige Zerstörung von militärischem Eigentum
vors Kriegsgericht stellen! Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie teuer die Anschaffung eines Beibootes
ist? Von den hochwertigen Robotkampfmaschinen will ich gar nicht reden.«
»Tut mir leid, daß ich auf die Roboter geschossen habe, statt den Konflikt mit ihnen auszudiskutieren«,
erwiderte Kon trotzig. »Wenn Sie sich das nächste Mal ein Schiff vor der Nase wegklauen lassen. Wer,
werde ich Ihren Ratschlag gern beherzigen.«
74 Unter normalen Umständen hätte es ein einfacher Raumsoldat nie gewagt, so mit seinem höchsten Vorgesetzten an Bord zu reden. Aber nach allem, was Azir durchgemacht hatte, wollte er sich nicht vor versammelter Mannschaft wie ein kleiner Junge maßregeln lassen. Immerhin hatte er im Alleingang den Kampf gegen die Rebellen aufgenommen und die Gefangenen befreit - das sollte ihm erst mal einer nachmachen! Künftig würden es sich seine Kameraden dreimal überlegen, bevor sie ihn verspotteten. Gal Trenk war verblüfft. Ausgerechnet von Kon Azir hatte er einen derart respektlosen Ton nicht erwartet. Normalerweise hätte er ihn jetzt abführen und in die Arrestzelle bringen lassen - doch im Kampf gegen die Rebellen brauchte er jeden mutigen Mann, und Kon hatte seine Tapferkeit heute mehrfach unter Beweis gestellt. »Gibt es sonst noch was, das Sie mir verschwiegen haben, Soldat?« fragte er ihn scharf. Azir atmete tief durch und sagte dann: »Der erste Offizier Mun Gowan befindet sich nicht zusammen mit den anderen Sensorien-trägem in der Zentrale. Ich habe mit ihm gekämpft. Er ließ mir keine Wahl.« »Ist er... tot?« fragte Trenk entsetzt. »Schlimmer«, antwortete Kon Azir. »Als ich ihm das Sensorium herunterriß, verfiel er in einen Zustand schwerer geistiger Verwirrung. Mun Gowan war nicht mehr er selbst. Sein Verstand schien sich regelrecht aufzulösen. Ich befürchte, den anderen Sensorien-trägem wird es genauso ergehen, wenn wir sie gewaltsam von den Geräten trennen.« »Mun, mein armer Freund«, murmelte Gal Trenk betroffen. »Ich bin mir sicher, du wärst lieber tot.« Sein Blick fiel auf Sechzehn. Der ausgeschaltete Roboter lehnte weiterhin reglos an der Wand. In diesem Zustand war er nichts als lebloses Material. Trenk ging zu dem Maschinenwesen und griff mit beiden Händen fest zu. Wenig später hatte die Robotfrau keinen Kopf mehr. Kabel und Drähte, die leise knisternd ein paar Funken versprühten, ragten aus ihrem Hals. 75 »Soviel zum Thema >MilitäreigentumTarnhelm< zu testen, die neueste Tarnvorrichtung unseres Volkes. Ein paar vage Informationen über den eingebauten Tarnschutz sickerten zwar durch, aber von der Existenz der Bombe wußte außer Mun Gowan und mir keiner. Glaubten wir jedenfalls. Offensichtlich waren uns die Rebellen stets einen Schritt voraus.« »Vielleicht gibt es ja einen oder mehrere Spione in höchsten Militärkreisen«, mutmaßte Ata Xaja. »Trotz schärfster Sicherheitsvorkehrungen kann man in keinen Tel hineinschauen. Über die Hyperbombe war selbst ich nicht unterrichtet worden. Von der Tarnvorrichtung wußte ich allerdings. Und natürlich auch von dem Spezialbeiboot in Hangar drei, das der Hauptgrund für meine An 76 wesenheit bei diesem Flug ist.« Die zuhörenden Tel-Soldaten spitzten die Ohren. Hangar drei. Spezialbeiboot. Endlich kamen die Offiziere zur Sache. »Das Boot soll für seine Eignung zur hyperelektronischen Kriegführung getestet werden«, setzte der Cheffunker seine Ausführungen fort. »Zur technischen Ausstattung darf ich noch keine detaillierten Auskünfte geben, nicht, bevor alle Versuche abgeschlossen sind. Ich bin überzeugt, daß wir von dem Spezialboot aus Funkkontakt mit anderen Schiffen aufnehmen können - trotz der merkwürdigen Hyperfunksignale, die unseren Freund Azir am Aussenden des Notrufs gehindert haben.« ...unseren Freund, wiederholte Azir die Worte in Gedanken, und seine beiden Herzen waren mit Stolz erfüllt. Offenbar begriffen die Schiffsobersten allmählich, was sie ihm zu verdanken hatten. Er hatte sie alle aus der Gefangenschaft befreit. Was war dagegen schon »ein bißchen« Materialschwund? »Das Spezialboot verfügt über einen leistungsstarken Störsender«, verriet Ata Xaja den interessierten Zuhörern. »Und wenn ich leistungsstark sage, dann meine ich auch leistungsstark. Die Rede ist nicht etwa von einem Kinderspielzeug, wie es in den Allzweckgürteln eingebaut ist, sondern von einem Apparat mit gewaltiger Ausstrahlungskraft. Damit werden wir die Hyperfunksignale der Rebellen problemlos überlagern und außer Kraft setzen, ganz egal, über welche Reichweite deren Sender verfügt. Übrigens halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß die Sensorienträger und die Roboter ebenfalls über die fremden Signale gesteuert werden. Falls meine Theorie zutrifft, werden unsere femgesteuerten Kameraden nach dem Zusammenbruch des Rebellensignals aus ihrem tranceartigen Zustand erwachen. Ich denke, wir müssen nicht befürchten, daß sie wie Mun Gowan geistige Schäden erleiden, schließlich werden ihnen die gefährlichen Geräte nicht abrupt vom Kopf gerissen - wir schalten sie sanft ab. Sollte ich mich irren und die Sensorien bleiben trotz massiver Störung des unbekannten Signals weiter in Betrieb, müssen wir dennoch nicht tatenlos zusehen, wie die DRAKHON und Terra vernichtet werden. Vom Spezialbeiboot aus kann ich den Code des Zentraleschotts knacken. Beim Sturm der Kommandobrücke wird 77 es zwar auf beiden Seiten zu Verlusten kommen, doch dafür retten wir die Erde und unser Schiff mit allen noch Überlebenden.« Gal Trenk übernahm wieder die Wortführung und teilte jedem Soldaten seinen Aufgabenbereich zu. Kon Azir wurde dem Sturmtrupp zugewiesen, der vor dem verschlossenen Brückenpanzerschott Aufstellung nahm. Bevor er dort seinen Platz einnahm, informierte er den Bordarzt, wo er Mun Gowan nach dem Zweikampf zurückgelassen hatte. Der Mediziner wollte prüfen, ob dem ersten Offizier noch zu helfen war. Der Schiffskommandant begleitete seinen Cheffunker zu Hangar drei. Beide nahmen mehrere Bewaffnete zu ihrem Schutz mit. Auf dem Weg dorthin kam es zu einem kurzen Zusammenstoß mit einem Roboter, der in einem Tunnel lauerte und sofort das Feuer auf die kleine Gruppe eröffnete. Ein Scharfschütze, dessen Namen der Kommandant nicht kannte, nahm den Angreifer kurz ins Visier und traf ihn an einer empfindlichen Schaltstelle. Lautlos fiel die Maschine um und rührte sich nicht mehr. Gal Trenk nickte dem Soldaten anerkennend zu. Beim Sichern des Hangars befand sich der Scharfschütze in vorderster Reihe. Nirgendwo war ein Roboter auszumachen. Niemand hinderte die Gruppe daran, das Boot zu betreten. Diesmal ging Trenk voran. Das kugelförmige Spezialbeiboot war in etwa doppelt so groß wie die normalen Beiboote. Es war mit Antennen förmlich gespickt. Das Kernstück bildete die Zentrale mit all ihren komplizierten Apparaturen. Die Soldaten staunten nicht schlecht, so etwas hatten sie noch nie zuvor gesehen. Selbst Gal Trenk kam sich inmitten der neuesten Hyperfunk-Hochleistungstechnik ein wenig verloren vor. Einzig und allein Ata Xaja zeigte keinerlei Aufregung, er fühlte sich hier wie zu Hause. Kurz nach dem Betreten der Zentrale spürte der Kommandant instinktiv, daß etwas nicht stimmte. Er
fühlte förmlich, wie sich der Lauf einer Strahlenwaffe auf ihn richtete - und warf sich reaktionsschnell zu Boden. Keinen Augenblick zu früh. Ein tödlicher Energiestrahl zischte über ihn hinweg. Direkt hinter ihm stand der Soldat, dessen Name ihm entfallen 78 war. Er hatte keine Möglichkeit, sich in Deckung zu begeben. Der Strahl riß ihn von den Beinen und aus
dem Leben. Sein Sturz erfolgte genauso lautlos wie kurz zuvor der Fall des Roboters im Tunnel.
Gal Trenk zog seine Waffe und schoß die Maschine nieder. Weitere Roboter rückten nach und nahmen
den Kampf gegen die Eindringenden auf, die sich heftig zur Wehr setzten.
Die Roboter kamen von allen Seiten. Das gesamte Boot schien voll von ihnen zu sein.
»Treibt sie aus der Zentrale!« befahl Trenk. »Die Funkanlagen dürfen nicht beschädigt werden!«
Per Handfunkgerät forderte Ata Xaja Verstärkung an. Dann stürzte er sich mit gezückten Waffen in die
Schlacht, die sich in die hinteren Gänge und Röhren verlagerte.
Der Kampf war hart. Hart, aber kurz. Innerhalb weniger Minuten hatten Gal Trenk und seine Männer das
überlebenswichtige Spezialboot gesäubert.
Als die Verstärkung wieder abzog, gab es keinen intakten Kampfroboter mehr an Bord. Die Soldaten
schleppten die zerstörten und abgeschalteten Maschinen-Tel nach draußen und legten sie im Hangar ab -
direkt neben drei Kameraden, die bei der Eroberung des Bootes ihr Leben hatten lassen müssen.
Währenddessen beschäftigte sich Ata Xaja mit den hochwertigen technischen Geräten, die
glücklicherweise nichts abbekommen hatten. An der Entwicklung der verbesserten Hyperfunkelektronik
war er maßgeblich beteiligt gewesen. Die abschließenden Praxistests standen zwar noch aus, doch er war
sicher, daß alles reibungslos funktionieren würde.
»Geht das nicht schneller?« trieb Gal Trenk ihn nervös zur Eile an. »Die Transition ins Sonnensystem der
Terraner kann jeden Moment erfolgen. Von da an sind es nur noch wenige Minuten bis zur endgültig
letzten Transition durch den globalen Schutzschirm.«
»Ich tu, was ich kann«, versicherte ihm der Cheffunker. »Bisher
79 wurde die neue Anlage nur im technischen Labor getestet, im Beisein eines erfahrenen Teams. Im All
herrschen halt andere Bedingungen. Etwas fachliche Hilfe könnte ich jetzt gut gebrauchen.«
»Befindet sich Ihr Technoteam denn nicht mit an Bord?«
»Doch - auf der Brücke der DRAKHON.«
Xaja konzentrierte sich jetzt voll und ganz auf seine Arbeit und beachtete seinen unruhigen Vorgesetzten
nicht weiter.
Nicht nur Gal Trenk lauerte voller Ungeduld auf ein Ergebnis. Auch vor dem Panzerschott zur Zentrale
zerrte das Warten an den Nerven des dort postierten Sturmtrupps.
Endlich kam Bewegung in die Sache.
Truppleiter Net Juno hatte erwartet, daß das Schott vom Spezialboot aus geöffnet werden würde, per
Funkfernsteuerung. Statt dessen teilte man ihm den Code übers Handfunkgerät mit.
»Offenbar kommt Xaja mit der neuen Technik nicht so gut zurecht, wie er es sich erhofft hatte«, bemerkte
der Offizier, nachdem er den Handfunk abgeschaltet hatte. »Wir müssen das Schott manuell öffnen.«
»Hoffentlich ist es ihm wenigstens gelungen, das fremde Signal zu deaktivieren«, entgegnete Kon Azir.
»Davon gehe ich aus«, erwiderte der Truppleiter. »Andernfalls hätte er es wohl kaum geschafft, den
Öffnungscode zu ermitteln.«
»Dann kommt es ja vielleicht zu einer friedlichen Übergabe«, hoffte einer der Soldaten.
»Freuen Sie sich nicht zu früh«, antwortete Net Juno, während er den Code in ein vom Netz unabhängiges
Schaltsystem am Schott eingab. »Daß mit dem Verlöschen des Rebellen-Hyper-funksignals auch die
Sensorien ihre Funktion einstellen, ist bisher nur eine unbewiesene Theorie.«
Das Schott öffnete sich.
In geordneter Reihenfolge, wie sie es viele Male geprobt hatten, stürmten die Raumsoldaten nach drinnen,
wobei sie sich gegenseitig sicherten. Der Offizier lief voran.
Nur ein einziger Roboter hielt sich auf der Brücke auf. Er versperrte den Eindringlingen den Weg und
verlangte von ihnen, sich zu legitimieren.
Juno reichte ihm seine elektronische Kennkarte. Nach kurzer
80
Überprüfung derselben stellte sich der Roboter unter seinen Befehl. Kon atmete erleichtert auf.
»Scheint alles wieder wie früher zu
sein.«
Die Sensorienträger standen oder saßen wie festgewachsen an verschiedenen Plätzen innerhalb der DRAKHON-Zentrale und bewegten sich nicht. Ihre Kameraden kümmerten sich um sie und zogen ihnen vorsichtig die Geräte von den Köpfen. Währenddessen setzte sich der Truppleiter über die Bordfunkanlage mit dem Kommandanten in Verbindung und meldete ihm, daß sich die Brücke nicht mehr in Rebellenhand befand. »Bin schon unterwegs«, sagte Gal Trenk. »Nehmen Sie umgehend eine Kursänderung vor. Um alles weitere kümmere ich mich selbst.« Er wollte sein Handfunkgerät gerade wegstecken, da meldete sich der Bordarzt. Der Mediziner hatte inzwischen Mun Gowan näher untersucht und war zu dem niederschmetternden Ergebnis gelangt, daß das Gehirn des ersten Offiziers nur noch eine tote Masse war. Die Untersuchungsgeräte hatten keinerlei Gehirnfünktion mehr angezeigt, obwohl der Patient offensichtlich noch lebte. Trenk war tief erschüttert. Seine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bestätigt. Sein bester Freund war zu einem lebenden Toten geworden. Etwas Grausameres konnte einem denkenden und fühlenden Wesen nicht zustoßen. Als Gal Trenk niedergeschlagen in der Zentrale eintraf, war Net Juno noch immer mit der Schiffssteuerung beschäftigt. »Sieht nicht gut aus«, teilte er dem Kommandanten mit. »Die Steuerung wurde programmiert. Der Kurs der DRAKHON ist festgelegt. Das Schiff läßt sich nicht stoppen, es geht gleich in die Transition.« »Ändern Sie die Programmierung!« befahl Trenk. »Habe ich schon versucht. Die Programmierung wird durch einen höchst komplizierten Code geschützt.« »Damit wird Ata Xaja schon fertig«, meinte Gal Trenk und be
81 gab sich zur Funkanlage. »Wir beordern sein Technoteam nach Hangar drei. Er braucht jetzt soviel Unterstützung wie nur möglich.« »Daraus wird leider nichts«, bedauerte Juno. »Xaja muß den Steuerungscode ohne Hilfe entschlüsseln. Sein Team wird ihm niemals mehr zur Seite stehen.« Trenk richtete seinen Blick auf die Zentralebesetzer, von denen keiner mehr ein Sensorium trug - und er verstand. Der plötzliche Wegfall des fremdartigen Hyperfunksignals hatte bei den Sensori-enträgem die gleiche Reaktion hervorgerufen wie bei Mun Gowan, dem das Gerät brutal weggerissen worden war. Sie rührten sich nicht vom Fleck und starrten mit leerem Blick Löcher in die Luft. Wo auch immer ihr Geist sich in diesem Moment befand, er würde nie mehr von dort zurückkehren. Wortlos wendete sich der Kommandant von ihnen ab. Er hatte schon auf vielen Schiffen gedient und wußte, daß es hart war, wenn Besatzungsmitglieder im Kampf den Tod fanden. Aber in der Zentrale der DRAKHON hatte nie ein Kampf stattgefunden, und es war hier auch niemand gestorben. Vielmehr befanden sich die ehemals femgesteuerten Tel in einem Zustand ewiger Verdammnis. Gal Trenk hätte am liebsten den Befehl gegeben, die armen Teufel zu liquidieren. Über den Bordfunk erteilte er Ata Xaja die Anweisung, mittels der neuartigen Geräte im Spezialbeiboot schnellstens herauszufinden, welcher Code für die Übernahme der Schiffssteuerung benötigt wurde. Anschließend versuchte er, mit Cromar Kontakt aufzunehmen. Das klappte noch immer nicht. Auch die Erde blieb für Trenk unerreichbar. Offenbar war die Funkanlage defekt, oder die unfreiwilligen Helfershelfer der Rebellen hatten sie manipuliert. Man konnte zwar Nachrichten von außerhalb des Schiffes empfangen, aber keine aussenden. Für die Suche nach der genauen Fehlerursache war nicht mehr genügend Zeit, und der Cheffunker war momentan mit Wichtigerem beschäftigt. Wahrscheinlich wäre sowieso jede Hilfe von außen zu spät gekommen. 82 Aus dem Haupthangar meldete sich das Bombenentschärfungsteam. Gal Trenk hoffte, wenigstens von
dort eine gute Nachricht zu erhalten. Er wurde jedoch enttäuscht.
»Die Rebellen, beziehungsweise die von ihnen gesteuerten Roboter und Tel haben ganze Arbeit
geleistet«, lautete die nächste Hiobsbotschaft. »Direkt nach der Transition durch den Schirm wird das
Fesselfeld deaktiviert und die Hyperbombe gezündet, unmittelbar im Augenblick des Wiedereintritts.
Jeder Versuch, sie vorher zu entschärfen, führt zur vorzeitigen Zündung. Außerdem verfügt die Bombe
über eine eigene Kursüberwachung und wird unweigerlich explodieren, sollte die DRAKHON vom
vorprogrammierten Kurs abweichen.«
Nie zuvor in seinem Leben hatte sich Trenk derart hilflos gefühlt. Vermutlich war es der Wille der Götter,
die Erde zu vernichten und gleichzeitig die Besatzung der DRAKHON auszulöschen.
Gal Trenk war bereit, sich in sein Schicksal zu fügen. Er hatte getan, was in seiner Macht stand, aber er
konnte die Katastrophe nicht verhindern. Die Götter waren stärker als er.
6.
Jarod, Pondo, Tantal und die Meegs standen vor dem metallenen Bauwerk, das kaum vier Meter aus dem Schutt ragte, aber tief in den Untergrund zu reichen schien. Es war der einzige Gebäudebestandteil weit und breit, der einen intakten Eindruck machte und die atomare Katastrophe unbeschadet überstanden zu haben schien. Die Fläche schimmerte stumpf im Sonnenlicht, stumpf wie massiver Stahl oder ähnliches Material. Jarod Curzon trat näher an die metallene Konstruktion heran. Sie besaß schwere Zuhaltungen und massive Angeln. Was sie bedeutete, war klar ersichtlich. Er streckte die Hand aus - und zog sie rasch zurück, als er das Kribt>eln spürte, das seine Fingerspitzen durchfuhr. Konnte das sein? Er versuchte es erneut, legte die flache Hand auf das unsichtbare Hindernis und drückte dagegen, gegen das Kribbeln und gegen den Widerstand. Etwa vier Zentimeter vor der Fläche war Schluß, er kam nicht näher heran. »Ich werde verrückt!« murmelte er. »Ich traue meinem Verstand nicht. Eine Panzerpforte mit einem intakten Prallfeld!« Er wandte sich an einen der Meegs. »Warum war das Prallfeld nicht durch unsere Sensoren anmeßbar, Vromag?« erkundigte er sich bei dem Wissenschaftler, der seinem Verständnis nach so etwas wie ein Hyperfeldphysiker war. »Ich habe jedenfalls nichts dergleichen mit unseren Instrumenten in der Fähre registrieren können!« »Unsere Sensoren reagierten ebenfalls nicht«, antwortete ein anderer Meeg, Tiivos, anstelle Vromags und sah auf das Meßgerät in seiner Reptilienhand. »So gesehen war dieses Prallfeld ein energetisches Neutrum.« »War?« dehnte Pondo Red. »Jetzt nicht mehr?« 84 »Aus dieser germgen Entfernung ist es klar anzumessen«, bestätigte Tiivos.
»Ist das möglich«, wandte sich Jarod an die Nogk, sah aber explizit Tantal an, »daß ein Kraftfeld von den
hypersensiblen Instrumenten der CHARR nicht registriert werden kann?«
»Eigentlich nicht«, kamen die bildhaften Impulse des Kobaltblauen, durch seinen Translator in Worte
verwandelt.
»Aber... ?« dehnte Pondo Red.
»Vermutlich existiert zu viel harte Strahlung in diesem Areal, in der es einfach unterging. Oder es hat sich
erst bei unserer Annäherung aktiviert.«
Auch eine Erklärung, dachte Jarod, wenn auch keine überzeugende.
Der insektoiden Physiognomie des Nogk-Mutanten war nicht zu entnehmen, ob Tantal die Wahrheit
sprach. Doch Jarod Curzon glaubte dennoch ein Zögern gemerkt zu haben. Was soll's, dachte er mit einem
innerlichen Schulterzucken.
Er musterte intensiv die Pforte.
»Sie sieht unbeschadet aus, offenbar wurde sie aus einem Material gefertigt, das dem Bombardement und
den atomaren Feuerorkanen standzuhalten vermochte.«
»Gebaut für die Ewigkeit, wie lange das auch immer in deren Verständnis sein mag. Wobei wir noch
immer keine Ahnung haben, wer >die< eigentlich sind.« Pondo Red war ein paar Schritte zur Seite
gegangen.
»He, kommt mal her!« machte er plötzlich die anderen auf etwas aufmerksam, das er entdeckt hatte.
»Was ist?«
Die Nogk und Jarod folgten Pondos Winken.
Auf der rechten Seite der Panzerpforte waren schwach Zeichen im Material zu sehen; Symbole, die nur
unter einem bestimmten Blickwinkel zu erkennen waren und die sich veränderten, je nachdem welche
Stellung der Betrachter einnahm.
Tantal studierte lange die Symbole.
»Erkennst du etwas?« fragte der Terraner drängend. »Kommen sie dir bekannt vor?«
Nach einem für Jarods Begriffe zu langen Schweigen erwiderte
85 der Kobaltblaue einsilbig: »Nein.« Er verstummte, besann sich anders und setzte hinzu: »Zumindest bin
ich mir nicht sicher.«
Pondo grunzte unzufrieden: »Hm. Keine Anhaltspunkte? Nichts?«
»Es könnte sein, daß wir es hier mit einer Art Nogk-Technologie zu tun haben«, meldete sich Meenor zu
Wort, »von der hin und wieder in alten Berichten die Rede ist.« Der Nogk-Historiker und
Sprachwissenschaftler war bereits auf dem siebten Planeten des Systems der Sonne Kimik maßgeblich an
der Erkundung des dort entdeckten eiförmigen Uralt-Wracks beteiligt gewesen.*
»Nichts als Hypothesen!« schränkte Tantal ein.
Die zögerliche Skepsis des Kobaltblauen verursachte Verwunderung bei Jarod und Pondo.
»Ist das auch deine Meinung, Meenor?« wandte sich Curzon an denMeeg. .
»Ich weiß nicht...« Der Nogk-Wissenschaftler pendelte mit den Fühlern; offenbar tauschte er mit den
anderen Meegs mentale Bildimpulse aus, die den beiden Freunden verborgen blieben, verborgen bleiben
mußten, weil die Gedankentransformer der Nogk sie nicht übersetzten. »Das heißt...« Wieder zögerte er,
bewegte ruckartig den insektoiden Kopf mit den karbonschwarzen Facettenaugen und den libellenartigen
Fühlerpaaren in einer Geste der Unbestimmtheit.
»Ja?« fragte Jarod Curzon scharf, schärfer als beabsichtigt, aber so langsam ging ihm der zähe Fortgang
dieser Diskussion in Bezug auf diese Anlage gegen den Strich.
»Kannst du etwas mit ihnen anfangen?« hieb Pondo Red in die gleiche Kerbe. »Ja oder nein!«
»Haben wir nicht ähnliche Symbole in dem auf Kimik Sieben entdeckten Wrack gesehen, Tantal?«
»In gewisser Weise ist das zutreffend«, bestätigte der Kobaltblaue. »Diese Symbole scheinen mit vielen
aus dem Wrack übereinzustimmen.«
»Ausgezeichnet«, freute sich Pondo Red. »Das ist doch schon
;
Siehe Drakhon-Zyklus Band 18: »Verlorenes Volk«
86 ein Fortschritt.« Er schwieg einen Moment. »Und sicher weißt du auch, wie wir die Panzerpforte überwinden können?« »Möglich.« Tantal richtete seine Fühlerpaare auf den Leutnant. »Die Anlage sieht zwar nicht unbedingt nogk-typisch aus, nach unserem heutigen Kenntnisstand. Aber sollte es sich um ein solches Bauwerk handeln, gibt es die eine oder andere Möglichkeit, das Tor zu öffnen.« »Vorausgesetzt, wir können das Prallfeld deaktivieren«, gab Jarod Curzon zu bedenken. Der Nogk-Mutant vollführte mit seinem ausgestreckten Arm eine undeutbare Geste. »Das dürfte keine Schwierigkeit bereiten«, erwiderte er zur Überraschung der beiden Männer. »Ach nein...! Und wie willst du das anstellen?« Jarod Curzons verwunderter Blick wanderte zu Pondo Red, der ebenso erstaunt zurückblinzelte. Tantal legte den Insektenkopf schief und überließ es den Terra-nem, diese Geste zu deuten. »Damit«, erwiderte er einsilbig und zog ein Gerät von der Größe einer menschlichen Hand aus einer der unergründlichen Taschen seines Schutzanzuges, ehe er fortführ: »Schwache Prallfelder sind im Grunde in ihren energetischen Gittermustem stets ziemlich gleich aufgebaut. Mit diesem Modul kann man ihre Energiestruktur aufbrechen - falls es sich bei dieser Sperre tatsächlich um eine Art Nogk-Technologie handelt.« »Du scheinst davon überzeugt zu sein«, konnte sich Jarod nicht verkneifen zu bemerken. »Ist es dein Kollektivgedächtnis, das dich zu dieser Erkenntnis bringt?« Es war schwer, wenn nicht gar unmöglich, irgendwelche Gemütsreaktionen aus dem Gesicht eines Nogk ablesen zu wollen. Die großen Facettenaugen blickten auf eine Weise, die einem Menschen nur als kalt und indifferent erscheinen konnte. Eine Pause folgte, ohne daß Tantals Transformer irgendwelche semite lepathischen Bildimpulse übermittelte. Was geht in ihm vor? fragte sich Jarod. Er kannte den Nogk und seine Verhaltensweisen viel zu wenig, um sich in sein Inneres einfühlen zu können. Dann ließen ihm die Ereignisse keine Zeit mehr, sich mit der seelischen Befindlichkeit des blauhäutigen Nogk zu 87 beschäftigen.
Tantal hielt das Modul in Richtung der Pforte, und seine Reptilienfinger glitten über die für Nogk-
Verhältnisse ergonomisch geformte Tastatur.
Ein Summen, gerade so an der Schwelle zum Hörbaren, kam von irgendwoher, ein leichtes Flirren
huschte über die metallene Fläche der Panzerpforte, vergleichbar schwachen, elektrischen Entladungen -
und das Prallfeld war verschwunden!
Aber das war nicht alles!
Tief im Untergrund ertönte erneut das Summen. Wurde vernehmlicher, lauter, gewann an Intensität. Dann
erzitterte das schwere Tor der Pforte und begann ganz langsam nach oben wegzuklappen. Die Bewegung
der Pforte hörte auf, als sie nach einigen Minuten waagerecht in verborgenen Halterungen hing und das
Summen übergangslos endete.
»Gratuliere!« sagte Jarod nicht ohne Überraschung. »Du hast es geschafft!«
»Es war ein Zufall«, bekannte Tantal in ungewohnter Bescheidenheit. »Ich war mir nicht sicher... mein
Wissen über diese uralte Technik ist vergleichsweise gering. Aber wir haben in jedem Fall die Pforte
geöffnet. Sehen wir, was uns erwartet.«
Dunkelheit herrschte hinter der Schwelle.
Der Nogk griff nach einem Handscheinwerfer und näherte sich dem vier Meter breiten und etwa drei
Meter hohen Durchgang.
»Halt!« warnte Jarod. »Vielleicht sind Schutzmechanismen eingebaut, die ein unbefugtes Eindringen
verhindern sollen. Auf die Abwehr von versteckten Fallen, womöglich von Energiesperren, sind wir nicht
vorbereitet, und auch nicht dafür ausgerüstet.«
»Haben unsere terranischen Freunde Angst?«
Pondo Red öffnete den Mund zu einer gehamischten Erwiderung, aber eine Handbewegung seines
Freundes stoppte ihn.
»Wir haben keine Angst«, versicherte Jarod. »Und das weißt du, Tantal. Wir sind nur vorsichtig. Deshalb
sind wir ja noch immer am Leben.
88 Außerdem sollten wir einen Funkspruch an die CHARR absetzen und Colonel Huxley von unserer
Entdeckung berichten. Findest du nicht auch?«
»Weshalb?« sperrte sich der Kobaltblaue überraschenderweise. »Es gibt keinen Anlaß, den
Kommandanten zu informieren. Wir sollten davon absehen, uns bei jeder unwichtigen Gelegenheit rückzu
versichern. Was kann schon passieren? Diese Welt ist leer, seit mehr als acht Jahrhunderten eurer
Zeitrechnung.«
»Bedenke«, warnte Jarod noch einmal, »daß sich die ehemaligen Bewohner gegen unbefugtes Eindringen
abgesichert haben könnten.«
»Fallen und Sperren, ich weiß.«
»Kann nicht ausgeschlossen werden. In der Anlage ist Energie vorhanden, wie wir gesehen haben, sonst
wäre das Tor nicht aufgegangen...«
Tantal wedelte mit den Fühlern - ein Achselzucken oder vielleicht mehr ein »Na und?« - und betrat das
dunkle Innere. Die Meegs folgten ihm, und nach einem winzigen Zögern auch die Männer.
Sofort flammten Lichter auf, als sie über die Schwelle traten. Irgendwelche Sensoren schienen ihre
Anwesenheit registriert - und gebilligt zu haben.
Pondo hatte in der gleichen Sekunde den Blaster in der Hand.
Aber kein Strahlengewitter aus automatisch gesteuerten Hochenergiewaffen empfing sie.
Keine Roboter stürzten aus den Wänden, um sie unter Feuer zu nehmen.
»Stop!« bremste ihn Curzon. »Ein automatischer Vorgang. Keine Gefahr!«
»Wenn du es sagst...« Zögernd senkte Pondo die Waffe, ein vorsichtiges Grinsen umspielte seinen Mund.
»Na ja, zumindest müssen wir nicht ganz im Dunkeln tappen«, meinte er doppeldeutig.
Hinter ihnen schloß sich summend das schwere Tor.
Daß sich gleichzeitig mit diesem Vorgang das Prallfeld aktivierte und jeglichen Kontakt zur CHARR
unterbrach, sollte die Gruppe um Tantal erst später erfahren.
89 Im Augenblick erregte es niemandes Aufmerksamkeit, daß die Pforte sie von der Außenwelt abschottete.
Tantal übernahm die Führung.
Jarod sah sich noch einmal über die Schulter zum wieder versperrten Ausgang um, bevor er den ersten
Schritt ins Unbekannte tat und dem Kobaltblauen folgte. Pondo folgte ihm dichtauf.
Die Meegs bildeten den Abschluß.
Pondo hob die Nase und schnüffelte ein paarmal unüberhörbar. »Merkwürdig«, sagte er, »die Luft ist
weder abgestanden, noch riecht sie alt!«
»Sollte sie das?«
»Du kannst vielleicht Fragen stellen«, hielt Pondo seinem Freund und Partner vor. »Mann, dieser
Komplex ist weit mehr als 800 Jahre alt! Hier müßte es riechen wie in einer, einer...«
»Gruft?« half ihm Jarod, und ein Grinsen spielte um seinen Mund.
»So drastisch wollte ich es nicht ausdrücken, aber ich habe diese Sauberkeit und Frische nicht erwartet.«
»Was willst du, spricht doch nur für die Effizienz der Umweltsysteme!«
»Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte Pheerkor, der neben sie getreten war und auf sie herabsah; seine
Fühler drehten sich unablässig wie eine biologische Radaranlage.
»Doch, doch. Alles bestens«, versicherte Jarod Curzon. »Mein Partner wunderte sich nur ein bißchen über
die Qualität der Atmosphäre hier drin.«
Der Meeg hob sein Meßgerät. Nachdem er die Daten auf der Anzeige überprüft hatte, erklärte er: »Der
Sauerstoffanteil ist normal, Mikroben oder andere Luftverunreinigungen sind nicht feststellbar. Die Luft
ist sauber.«
Das ist es ja, was meinen Partner stört, war Jarod versucht zu sagen, ließ es aber, da er bezweifelte, ob
der Meeg es verstehen würde. Und so sagte er nur: »Danke.«
Ein breiter Gang lag vor ihnen, leicht schräg nach unten führend. Auf die beiden Freunde wirkte er wie
die Zufahrt zu einer Tiefgarage. Die glatten, kalten Wände wurden durch nichts unterbrochen. Keine
Einschnitte, Öffnungen, Symbole.
90 »Es ist nur der Zugang«, erwiderte Tantal, als Jarod eine Bemerkung zu der Nacktheit des Korridors
machte, »zum eigentlichen Komplex, der liegt tiefer und weiter im Inneren.« Zielstrebig ging er weiter.
Fast zu zielstrebig für den Geschmack der beiden Männer.
Warum habe ich nur den Eindruck, daß er w wissen scheint, wo er hin will? fuhr es Jarod durch den Kopf.
Nach einer Weile fragte er: »Du weißt, worin wir uns hier befinden?«
»Ich glaube, einen ähnlichen Komplex schon einmal gesehen zu haben.«
»Was stellt er dar... eines der legendären Archive?«
»Nein. Kein Kraat-kal-meeg.«
»Hm... bedeutet Kraat-kal-meeg nicht >Herberge des Wissens