Im Todeskreis der Kopfgeldjäger Western von U. H. Wilken Bösartig krepierten Dynamitstangen und wirbelten den Tod durch...
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Im Todeskreis der Kopfgeldjäger Western von U. H. Wilken Bösartig krepierten Dynamitstangen und wirbelten den Tod durch das Tal. Gesteinsstaub und schwarzer Rauch wallten über Sträucher und Felsen hinweg. Zwei gnadenlose Banditen wollten Johnnys Leben. Sie hetzten ihn mit ihrem mörderischen Dynamit und trieben ihn zwischen die Felsen, stellten ihn und wollten sein Leben zertreten, als wäre er ein elender Wurm. Da peitschten Schüsse. US-Marshal Cash Murdock packte Johnny und riß ihn über die Leichen der Komplizen hinweg. Entsetzt flüchtete ein blutjunges Mädchen aus der dunklen Tiefe des Tals und starrte mit geweiteten Augen ihrem Johnny nach. Flehend streckte sie die Hand nach ihm aus – doch er verschwand mit dem US-Marshal hinter den bizarren Felsklippen am Talrand. Tote lagen im Tal. Sieben Banditen. Sie hatten versucht, Johnny zu töten – diesen siebzehnjährigen Jungen, der nur eins gewollt hatte; Frieden und Zweisamkeit mit Juanita. Der Wind war gestorben.
Da fielen in der Ferne zwei Schüsse. Und Johnny kam wieder zurück. Er schrie nach Juanita, und sie hastete ihm weinend entgegen. Sie umschlangen sich. Zitternd strich er über ihr blasses Gesicht und küßte die Tränen von ihren Wangen. »Komm, Juanita!« stöhnte er. »Der Marshal, Johnny!« »Er ist tot, Juanita. Mir war kalt. Er gab mir seine Jacke mit dem Marshalstern. Da kam ein dicker Mann und schoß auf den Marshal, und der Marshal schoß zurück. Beide müssen tot sein. Komm, wir müssen weiter!« Johnny starrte in die nächtliche Ferne. Dunkel lagen die Mountains unter dem bleichen Mond. Wölfe heulten schaurig. Die Bergwildnis atmete kühl. »Aber wohin, Johnny?« schluchzte Juanita. Sein schweißnasses Gesicht schien zu gefrieren. Er bewegte kaum die Lippen. »Ich weiß es auch nicht, Juanita. Alle sind tot. Aber mein Steckbrief – der lebt weiter!« Hand in Hand gingen sie zu seinem Pferd. Er zerrte die lange Jacke des Marshals von den Schultern und warf sie ins Tal. Sie bauschte sich und fiel wie ein toter Vogel in die Tiefe. Unten wieherten herrenlose Pferde. Sie ritten abwärts. Johnny fing ein Pferd für die blutjunge Mexikanerin ein. Überall im Tal hatte das Dynamit die Sträucher und Bäume schon zerfetzt. Tote Augen starrten in den endlos weiten Sternenhimmel. Zwei junge Menschen ritten in die rauchige Ferne. Klagend heulten Kojoten. Abseits des Tals schleppte sich ein angeschossener dickleibiger Mann zum verglühenden Lagerfeuer und blickte auf den toten Marshal. Stöhnend wandte sich der beleibte Detektiv ab. Peabody würde niemals einem Menschen verraten, daß er im blindwütigen Eifer einen USMarshal erschossen hatte. Schwer atmend torkelte er davon und zu seinem Pferd. Mühsam zerrte er sich in den Sattel. Die dickbauchige
Taschenuhr rutschte hervor und blieb an der goldenen Uhrkette hängen, schwang hin und her. Peabody ritt durch die Nacht. Der Tod gab nicht auf. Wochenlang hatte Peabody nach der Ryan-Bande gesucht, hatte überall nach Johnny Darkney geforscht. Johnny war entkommen, aber Peabody gab nicht auf. Zweihundert Dollar Belohnung waren auf Johnnys Kopf ausgesetzt worden. Kopfgeld, das ein junges Leben hetzte. Wo waren Johnnys Träume geblieben! Zerstört war seine Hoffnung. Getötet sein Vater, der ein Bandit gewesen war. Johnny hatte einen furchtbaren Fehler gemacht. Er hatte die Männer eines Aufgebots für Banditen und Mörder gehalten. Sie hatten seinen Vater und die Indianerin, die bei ihm gelebt hatte, umgebracht, und Johnny hatte einen der Männer des Aufgebotes in der kleinen Stadt Two Horses erschossen. Die junge Witwe hatte den Detektiv Peabody auf Johnnys Spur gehetzt. Alles versank im Staub dieses Landes, doch die Vergangenheit wollte nicht sterben. Und so begann Johnnys Weg in eine Ungewisse und grausame Zukunft. Männer stiegen in den Sattel und begannen ihre blutige Jagd. Sie wollten Johnnys Kopf… *** Träge klebten Fliegen an den heißen Holzwänden. Zusammengesunken hockte der alte Stationsmann Brave am Tisch und schnarchte. Die Fliegendrahttür filterte den hereinstechenden Sonnenschein. Draußen auf dem sandigen Hof scharrten Hühner. Im Korral stampften die ausgeruhten Ersatzpferde für die nächste Postkutsche. Frieden herrschte noch auf der einsam gelegenen Station am Rio Grande. Dumpfer Hufschlag weckte Brave.
Sofort war er hellwach und griff zum Gewehr. Hart lud er durch und stand auf. Gebeugt ging er zur Tür und spähte hinaus auf die Ebene. Das staubige Grün der dichten Bäume verbarg den Fluß. Langsam kamen zwei Männer vom Rio Grande herübergeritten. Brave knurrte vor sich hin, verharrte an der Tür und drückte das faltige Gesicht gegen den Fliegendraht. Die beiden Fremden waren schwer bewaffnet. Proviantbündel hingen am Sattelhorn. Die blanken Gewehrschäfte ragten aus den Scabbards. Etwas Helles blitzte an den Lederwesten. Blechsterne. Lässig ritten die beiden Männer des Gesetzes näher. Sie bogen um den alten Stangenkorral und hielten vor dem Brunnen. Mit gesenktem Gewehr trat der alte Brave hinaus und blieb auf der Türschwelle stehen. Die Männer starrten zu ihm herüber, sagten kein Wort, nickten nur flüchtig und saßen ab. Schweigend tränkten sie ihre Pferde und gossen sich dann Wasser in den Nacken. Brave wartete mit der Geduld seines Alters. Er sah, wie die Männer die Pferde in das Schattenfeld des Stalls zogen. Dann kamen sie mit klirrenden Radsporen über den Hof und blieben vor ihm stehen. »Tag«, sagte der hagere Mann, dessen Gesicht irgendwie eine verteufelte Ähnlichkeit mit einem Schakal hatte. »Mein Name ist Isaac Brody.« »Tag«, murmelte Brave und blickte den anderen an. Das war ein mittelgroßer, unscheinbar wirkender Mann, den man schnell vergessen würde, wenn er nicht so wasserhelle Augen hätte. »Cole Cagney«, sagte er staubheiser. Brave nickte und trat beiseite. Die Männer stapften in den Raum hinein. Mit kaltem Blick betrachteten sie die Einrichtung.
»Hier ist sonst niemand«, knurrte Brave bissig. »Aber es hätte sein können«, entgegnete Isaac Brody frostig. »Wir suchen Ryans Bande.« »Die Banditen sind längst durch den Rio Grande und nach Westen geritten«, antwortete Brave. »Sie überfielen die Mexican Plateau Station im Süden, machten den Stationsmann nieder und kamen auch hierher. Ich wäre tot, wenn mir nicht ein junger Hombre geholfen hätte. Die Banditen haben ihn gezwungen, mit ihnen zu reiten. Sie wollten, daß er sich in der Bande bewährte. Darum schickten sie ihn voraus. Er sollte mich abknallen, aber er hat es nicht getan. Er goß mir Hühnerblut über das Gesicht und behauptete den Banditen gegenüber, daß er mich erschossen hätte. Sie glaubten ihm. Ich lag wie tot unter meinem Schlaflager und...« »Das wissen wir«, unterbrach Isaac Brody den Stationsmann. »US-Marshal Cash Murdock hat uns darüber berichtet. Wir sind seine Gehilfen.« »Das wußte ich nicht. Dann wissen Sie ja alles.« »Er hat uns auch gesagt, daß Sie sich für diesen Johnny Darkney eingesetzt haben, daß Sie ihn für einen anständigen Burschen halten, der eben nur verdammtes Pech gehabt hat.« »Yea, so ist es!« Brave ging mit erdhaft flachen Schritten zum kalten Herd und füllte drei Blechbecher mit abgestandenem Kaffee. Damit kam er zum Tisch zurück. »Johnny Darkneys Vater war ein Bandit und ritt mit der RyanBande, aber Johnny wußte das nicht. Eines Morgens kamen Fremde in ihr Tal und schossen seinen Vater und die Indianerin zusammen. Johnny überlebte. Er folgte den Fremden im Glauben, daß es Banditen wären, und in Two Horses erschoß er einen der vermeintlichen Banditen, aber es war ein Mann vom Aufgebot.« »Auch das wissen wir, Alter.« Cole Cagney verzog den Mund ein wenig zynisch. »Marshal Cash Murdock will Johnny Darkney helfen und vor dem Strick bewahren. Wir sind nicht seiner Meinung. Bandit ist und bleibt Bandit.«
Isaac Brody schritt mit dem Blechbecher in der Rechten hin und her. »Dieser Johnny Darkney wird bestimmt irgendwann wieder zur Station kommen, schätze ich. Sie sind so was wie ein Vater für ihn geworden, Brave. Er war in der Stadt Two Horses angeschossen worden. Sie hatten ihm die Schulterwunde verarztet. Das wird er nicht vergessen.« Brave schlürfte und dachte an jene Stunden. Der USMarshal war gerade auf der Station gewesen, als Johnny Darkney am Rio Grande auftauchte. Cash Murdock, der Sheriff in Two Horses gewesen war, bevor er US-Marshal wurde, hatte Johnny nach Zeugenaussagen erkannt und fuhr mit ihm in der nächsten Postkutsche nach Süden. Auf der Mexican Plateau Station wartete die Ryan-Bande. Wie durch ein Wunder konnte Cash Murdock sich schwer angeschossen retten. Ryans Bande nahm Johnny mit. Alles sah so aus, als hätte die Bande Johnny befreit. Und dann kam Johnny her und warnte ihn vor der Bande. »Und was wollen Sie jetzt tun, Brody?« fragte er. »Wollen Sie hier auf Johnny Darkney warten und ihn abknallen wie einen Hund?« Die beiden Männer lächelten kalt. »Nein«, sagte Isaac Brody schleppend, »das würde uns zu lange aufhalten. Wir suchen in dieser Gegend weiter und...« »He, da kommt jemand!« unterbrach Cole Cagney ihn und starrte aus der Tür. Brave folgte Brody und verharrte ebenfalls an der Tür. Er sah einen einsamen Reiter kommen. Der beleibte Mann hing schwer im Sattel und schwankte. Eine Taschenuhr baumelte an einer goldenen Kette hin und her. »Was will der dicke Kerl hier?« flüsterte Cagney. »Scheint verwundet zu sein. Die Beschreibung paßt nicht, das ist keiner von der Ryan-Bande.« Langsam kam der dicke Mann nähergeritten. Die Luft flimmerte vor Hitze. Vor dem Stationshaus rutschte er vom
Pferd und schwankte über die Türschwelle. Mit geröteten Schweinsaugen blickte er die drei Männer trübe an, schleppte sich zum Tisch und ließ sich auf einen Hocker fallen. Brave gab ihm Kaffee, und er trank und stöhnte leise. Wieder starrte er die beiden Gehilfen des US-Marshals an. »Peabody«, stellte er sich vor, »Detektiv. Die Ryan-Bande ist erledigt. Nur der junge Darkney hat überlebt. Er hat den USMarshal Cash Murdock umgelegt und ist entkommen.« Es war eine schändliche und heimtückische Lüge, doch Brody und Cagney glaubten ihm. »Das soll der Halunke uns büßen!« fauchte Cagney. »Wir hetzen ihn bis ans Ende der Welt! Er wird uns nicht entkommen.« »Tut das«, ächzte Peabody. »Wenn ich wieder in Ordnung bin, dann mach ich mit. He, Alter, wann und wohin fährt die nächste Kutsche?« »Sie muß gleich hier sein. Sie fährt nach Socorro.« »Nach Norden also«, flüsterte Peabody. »Das ist gut.« Isaac Brody trat so dicht an Brave heran, daß er ihm fast auf die Füße trat. Mit dunklen Augen blickte er den Stationsmann düster an. »Sollte Darkney herkommen, dann legen Sie ihn um, verstanden? Wenn Sie das nicht tun, Alter, dann machen Sie sich zum Komplizen dieses Burschen, der einen US-Marshal ermordet hat.« »Ich weiß schon, was ich zu tun habe!« entgegnete Brave grimmig. »Lassen Sie das meine Sorge sein, Mr. Brody!« Die Deputy Marshals verließen das Haus und ritten davon. Sie verschwanden hinter den Bäumen am Rio Grande. Wenig später kam die Postkutsche. Die Pferde wurden ausgewechselt. Dann raste die Kutsche mit dem Detektiv Peabody nach Norden weiter. Ihr Ziel war die Stadt Socorro. Der alte Brave war wieder allein.
Sengende Hitze brütete über der Station. Endlos dehnte sich der blaßblaue Himmel von New Mexico über dem öden und wildzerklüfteten Land aus. Brave mußte immerzu an den blutjungen Johnny denken, der erst siebzehn Jahre alt war… *** Kläffend strichen die struppigen Kojoten über die Hügel, streckten die spitzen Schnauzen hoch und heulten den Mond an. Brave lag wach auf seinem harten Lager und lauschte dem Wimmern des Windes. Drüben knarrte, das Stalltor. Staub trieb in tanzenden Wirbeln über den Hof. Unruhig erhob Brave sich. Er konnte nicht schlafen. Langsam ging er durch den Raum. Durch Fenster und Tür fiel Mondlicht herein. Er drückte die Fliegendrahttür auf und starrte über die Ebene. »Komm nicht her, Johnny«, flüsterte er beschwörend. »Ich kann sie nicht sehen, aber sie lauern bestimmt am Fluß und verbergen sich hinter Bäumen und Felsen! Reite weit weg, Johnny!« Er trat auf den Hof hinaus und schritt ruhelos um den Korral. Das sonnenverbrannte hohe Gras raschelte im Wind. Dunkel buckelten sich die fernen Bergzüge. Brave lehnte sich an den Korral und schüttelte den Kopf. »Aus zweihundert Dollar werden bald tausend Dollar Kopfprämie, Johnny! Ich kann nicht glauben, daß du den Marshal absichtlich erschossen hast. Er wollte dir doch helfen, Junge. Es muß ein furchtbarer Irrtum gewesen sein.« Er kehrte ins Haus zurück und setzte sich auf die Kante des Lagers. Nach einiger Zeit hörte er Hufgetrappel, zuckte zusammen und packte sein Gewehr. Sofort lief er zur Tür und spähte hinaus.
Ein blutjunges mexikanisches Mädchen ritt näher und zügelte das Pferd neben dem Stall. Das lange schwarze Haar flatterte im Nachtwind. Das braune weiche Gesicht schimmerte wie das einer Indianerin. Brave trat ins Freie. »Sind Sie allein, Señor?« fragte das Mädchen leise. Er nickte und wollte antworten. Da zog die junge Mexikanerin schon das Pferd herum und ritt davon. Er wußte nicht, was er davon halten sollte. Wie unter einem Zwang ging er zum Korral und blieb abwartend stehen. Die Mexikanerin zügelte auf der Ebene ihr Pferd und winkte. Sekunden später löste sich aus dem Schatten der Bäume am Fluß ein schlanker Reiter und jagte im Galopp zum Mädchen. Beide sprachen miteinander, zogen die Pferde halb herum und näherten sich der Station. »Großer Gott!« stöhnte Brave. »Das ist ja Johnny!« Er winkte heftig und versuchte, Johnny zu warnen, doch Juanita hatte Johnny gesagt, daß sonst niemand auf der Station war – und Johnny glaubte, daß der alte Mann zur Begrüßung winken würde. Vor ihm stiegen sie von den Pferden. Brave schluckte schwer. Ihm kamen beinahe die Tränen, als er Johnny ansah. Johnny war noch so jung und sollte sterben. Sein Haar leuchtete blond im Sternenlicht. Die blauen Augen blickten weich den Stationsmann an. Die ersten harten Spuren des Lebenskampfes hatten sich in Johnnys Kindergesicht eingegraben. »Sie heißt Juanita, Brave«, sagte Johnny leise und lächelte. »Wir lieben uns. Ihre Eltern wurden vor langer Zeit umgebracht. Sie war im Tal geblieben, und als Ryan und die anderen Banditen das Tal entdeckt hatten, blieb sie bei Ryans Bande.« »Ich hatte ja sonst keinen Menschen, der mir half«, flüsterte Juanita. »Ist dieser Señor wirklich dein Freund, Johnny?«
»Ja, das ist er, Liebling. Du kannst ihm vertrauen.« »Ihr seid verrückt, herzukommen, Johnny!« fuhr Brave auf. »Heute nachmittag waren zwei Männer hier – Gehilfen des USMarshals. Sie suchen dich! Sie wollen dich töten. Und dann war auch noch ein Detektiv hier, ein dicker Mann mit einer goldenen Uhrkette – und er hat behauptet, daß du den Marshal erschossen hättest!« »Das ist nicht wahr, Brave!« schrie Johnny unterdrückt und erschrocken. »Er hat Cash Murdock erschossen. Brave! Mein Gott, wie kann dieser Mann so lügen!« Erschüttert strich Brave sich das schüttere Haar aus der Stirn. »Brody und Cagney haben ihm geglaubt. Oh, Johnny, du mußt mit deiner Freundin sofort verschwinden! Reitet tausend Meilen und mehr! Sucht euch ein Zuhause in einem fremden Land!« Johnny faßte sich unwillkürlich an den Hals und atmete schwer ein. »Glaubst du mir, Brave? Es war alles anders. Ich wollte mit Juanita fliehen, aber Ryan wollte uns nicht reiten lassen. Es kam zum Kampf im Tal der Banditen. Sie wollten mich mit Dynamit und Kugeln töten. Dann kam der Marshal und rettete mich. Wir ritten zurück. Plötzlich war dieser dicke Mann da, und weil ich die Jacke des Marshals mit dem Stern trug, schoß er auf Murdock. Er hielt Murdock für einen Gefangenen. So war es, Brave.« »Ich glaube dir jedes Wort, Hombre – aber sonst glaubt dir niemand. Alle wollen dich töten. Sie werden mit dir kein Wort reden, sie werden sofort schießen. Verschwinde, Johnny-Boy! Hau ab mit deinem Mädchen!« »Wir haben die Uferseiten abgesucht, Brave. Niemand lagert dort. Wir sind müde; versteck uns bis zum Morgengrauen.« Brave starrte wachsam und suchend umher. Nirgendwo konnte er etwas Auffälliges wahrnehmen. Vielleicht hatte er
sich zu große Sorgen gemacht. Dennoch – die Unruhe blieb und zerrte an seinen Nerven. »Johnny, unterschätze diese Männer nicht! Das sind Menschenjäger. Sie tragen den Blechstern, aber so ein Stern verändert nicht den Mann, der ihn trägt. Wenn jemand schlecht ist, dann bleibt er auch schlecht.« »Wir sind sehr lange geritten, Brave. Wir haben Umwege gemacht. Ich wollte noch einmal zu dir. Ich weiß nicht, warum – aber vielleicht deshalb, weil wir uns nie wiedersehen werden.« Johnny sah ihn weich an. Er verdankte dem Alten viel. Brave hatte ihm vor Monaten die Schulter verbunden, er hatte auch damals schon an ihn geglaubt und ihn nicht verurteilt. Es war gut, so einen feinen Kerl als Freund zu haben. Brave war ein richtig väterlicher Freund. »Bitte, Brave...« »Also gut, Johnny. Hoffentlich geht alles gut. Nein, geh nicht ins Haus, auch nicht in den Stall! Legt euch hinter dem Haus zum Schlafen hin! Das ist sicherer. Johnny, vergiß nicht, Junge – du wirst gesucht! Jeder Dreckskerl braucht dir nur eine Kugel in den Schädel zu jagen, um zweihundert Dollar Kopfprämie zu bekommen – und bald werden es noch mehr Dollar sein. Diese drei Kerle werden dafür sorgen, daß die Kopfprämie heraufgesetzt wird.« Johnny schloß einen Atemzug lang die Augen. Im väterlichen Tal hatte das Unheil vor Monaten begonnen. Die Schüsse in Two Horses hatten ihn zum Banditen und Außenseiter gemacht. Jetzt war er gesetzlos geworden, vogelfrei! Jeder konnte ihn wie einen Vogel abknallen. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind. Mit einem schweren Seufzer legte er den Arm um Juanita und spürte das Zittern ihres Körpers.
»Ich glaube nicht, daß sie zurückkommen, Brave. Sie werden zum Tal reiten und die Toten begraben. Bis morgen abend können sie nicht zurück sein.« »Johnny, du bist verrückt!« ächzte Brave, ließ die knochigen Schultern hängen und stapfte voraus. Hinter dem Stationshaus, wo das Brennholz für den Herd lag, befand sich eine geschützte Stelle. »Ich bring euch Decken raus.« Sie blickten ihm nach, umarmten sich und blieben wartend stehen. Er schleppte Decken heran, breitete sie am Boden aus und lächelte ernst. Dann ging er zurück. Sie legten sich nieder, hüllten sich ein und lagen dicht nebeneinander. Sie tasteten einander das Gesicht ab und flüsterten Worte tiefster Zuneigung. Die Kojoten heulten. Der Nachtwind fächelte über die jungen Menschen hinweg. Vor Erschöpfung schliefen sie ein. Rastlos schritt der alte Brave auf und ab. Schließlich rieb er die beiden Pferde im Stall ab, tränkte sie, gab ihnen Futter und striegelte sie auf Hochglanz. Dann holte er aus dem Haus Proviant und packte es in die Satteltaschen, füllte die Blechflaschen mit Brunnenwasser und setzte sich auf die Türschwelle. Das Gewehr lag griffbereit neben ihm. Leises Stöhnen wehte um das Stationshaus. Brave richtete sich auf und ging leise nach hinten. Sein faltiges Gesicht war schweißnaß. Er blieb vor den jungen Menschen stehen. Johnny hatte einen Alptraum. Immer wieder stöhnte er dumpf auf. Das Gesicht zuckte im Schlaf. Flatternd fuhren die Hände über die Decke. Das Mädchen schlief tief und fest. Es mußte sehr müde sein, daß es noch nicht einmal das Stöhnen vernahm und davon aufwachte. Lange stand Brave im Sternenlicht. Er betrachtete die jungen Gesichter und lächelte schmerzlich. Das Mädchen liebte den Hombre Johnny. Die Liebe verband beide miteinander und konnte beiden zum schrecklichen Verhängnis werden.
Johnny erschlaffte und war ruhig. Es war, als hätte die Nähe des alten Brave ihn beruhigt. Sein braungebranntes Gesicht war entspannt. Ein Hauch von Wehmut schien auf dem Gesicht zu liegen. Brave setzte sich auf den Stoß Brennholz und starrte in die Ferne. Alles schien so friedlich zu sein, so still und romantisch. Doch der Tod war schon da. Er kam auf den mit Segeltuch umschlungenen Hufen von zwei Pferden näher – lautlos und unheimlich. Im letzten Moment hörte Brave ein leises metallisches Geräusch und fuhr entsetzt hoch. Er sprang nach vorn, stieß Johnny und Juanita an, legte die Hand auf den Mund des Mädchens, das ihn mit weit aufgerissenen Augen erschrocken anblickte, und ächzte: »Johnny! Sie sind da!« Vorn auf dem Hof glitten Isaac Brody und Cole Cagney von den Pferden. Das Metall der Colts glänzte kalt im Sternenlicht. Die Männer duckten sich und schlichen los. In diesen Sekunden wuchs Brave über sich selber hinaus. Er war auf einmal furchtbar kalt und ruhig. Als Johnny zum Colt griff, drückte er ihm sofort die linke Revolverhand herunter und schüttelte heftig den Kopf. »Versuch, zum Stall durchzukommen, Johnny! Ihr müßt um das Haus schleichen – nach rechts, hörst du? Nutzt die Sträucher aus, und dann reitet wie dieTeufel!« Johnny glitt hoch, zog Juanita zu sich heran und blickte den alten Brave mit erlöschendem Glanz in den blauen Augen an. »Ich kann schießen, Brave!« flüsterte er mit zersprungener Stimme. »Ich lasse dich nicht allein!« »Du Narr! Du darfst nicht auf diese Männer schießen. Wenn einer überlebt, dann wird es noch schlimmer für dich! Dann hast du wirklich einen Marshal erschossen, einen Deputy, Hombre! Geh, bringt euch in Sicherheit!« Die langen Schatten der beiden Männer wischten über den Boden und fielen am Stationshaus vorbei.
Noch immer zögerte Johnny. Da handelte der alte Brave voller Verzweiflung und Mut. Er stürzte zur Hausecke hinüber und brüllte: »Halt! Wer ist da?« Johnny riß Juanita mit sich. Beide stürmten zur anderen Seite und hetzten auf die dichten Sträucher zu. Schüsse krachten. Zuckend sank Brave auf die Knie, hielt noch immer sein Gewehr und hob es mühsam an. Der Schrei blieb in Johnnys Hals stecken. Er warf sich mit Juanita in das Gestrüpp hinein, kam hoch und sah, wie mehrere Kugeln den alten Brave schüttelten. Der knochige Körper des alten Mannes rollte über den sandigen Boden. Brave drückte im Todeskampf immer wieder ab. Das Gewehr jagte Feuer und Blei aus dem Lauf. Wirkungslos jaulten die Kugeln ins Leere und stießen weitab den kalten Staub hoch. Johnny hetzte mit Juanita hinter den buschigen Sträuchern entlang. Er sah noch die beiden Männer hinter dem Haus hervorkommen, wie sie gnadenlos auf Brave schossen und dann ganz plötzlich über ihn hinwegsprangen. Zweige schlugen hinter Johnny und seinem Mädchen zusammen. Geduckt flüchteten sie zum Stall. Die Pferde waren gesattelt. Beide sprangen auf die Pferde und jagten aus dem Stall hervor, peitschten die Tiere an – und Johnny feuerte um die Hausecken und zwang die Verfolger in Deckung. Aufschreiend schoß er über den Hof und verletzte beide Pferde. Schrill wiehernd rasten die Pferde los. Die Steigbügel schlugen gegen die Bäuche. In wilder Panik stoben die Pferde auf die Ebene hinaus. Fluchend rannten Brody und Cagney um das Stationshaus. Ihre Gewehre steckten in den Scabbards an den Pferden. Sie konnten mit ihren Colts schon nicht mehr die Flüchtlinge erreichen. Trotzdem schossen sie in blindem Haß hinterher. Johnny und Juanita waren schon weit draußen und jagten durch die Flußniederung.
Im Galopp stießen sie in den Schatten der Bäume hinein, rissen die Pferde vor dem Rio Grande zurück, trieben sie dann in das seichte Wasser am Ufer und ritten stromaufwärts. Immer wieder blickten sie aber zurück. Die Verfolger verloren viel Zeit. Sie mußten erst ihre Pferde einfangen. Ein Toter blieb zurück. Flugsand haftete an seinen grauen schütteren Haaren. Brave war für Johnny gestorben. Stundenlang rittten Johnny und die junge Mexikanerin nach Norden. Sie ließen viele Meilen Weg hinter sich zurück und blieben im Fluß. Erst als der Morgen graute, verließen sie den Rio Grande und ritten in das scheinbar unwegsame Bergland hinein, folgten steilen schmalen Pfaden und flüchteten vor der sengenden Sonne in die Schatten der hohen roten Felsen. Staub fiel auf ihre Spur. Stöhnend rutschte Johnny vom Pferd und zog Juanita aus dem Sattel. Sie hielten einander fest und blickten über das zerklüftete Land. Juanita zitterte wie Gras im Wind. Beide konnten nicht sprechen. Erschöpft sanken sie auf den harten Felsboden. Nach einer Ewigkeit richtete Juanita sich auf und holte eine der Satteltaschen und eine Blechflasche mit Wasser heran. Johnny blickte irgendwohin. Sie stieß ihn mehrmals sanft an und hielt ihm die Flasche hin. Geistesabwesend nahm er die Flasche und trank. Als er in die Gegenwart zurückgefunden hatte und auf den Proviant sah, den Brave ihnen mit auf den Weg gegeben hatte, kamen ihm auf einmal die Tränen. Er weinte stumm und wie ein kleiner Junge. »Bitte, Johnny, nicht weinen«, schluchzte Juanita. »Wenn du weinst, muß ich auch weinen.« Sie kniete bei ihm und umarmte ihn voller Liebe und Verzweiflung. Johnny schluckte und wischte zitternd über die Augen.
»Armer Brave«, flüsterte er klanglos. »Er war der einzige Freund. Oh, mein Gott...« Juanita ließ sich zurückfallen und kauerte neben ihm im Schatten. Sie sah nach Süden, wo in endlos weiter Ferne Mexiko begann. »Laß uns nach Mexiko reiten, Johnny!« Sein Gesicht war aschgrau. Er blickte sie gequält an und schüttelte schwach den Kopf. »Mexiko ist arm, Liebling«, sagte er mit belegter Stimme. »Da ist es heiß und trocken, da gibt es nichts. Keine Wälder und Seen wie in Oregon.« »Doch, Johnny – wir müssen nur weit genug reiten! Meine Eltern haben es mir gesagt.« »Ich will nach Norden, Juanita. Oregon soll so schön sein.« Er träumte noch immer von Oregon. Er klammerte sich an diesen Gedanken, an den Traum von den tiefen Wäldern, hohen Bergen und blauen Seen, von der Einsamkeit und der Menschenleere. »Hat dir das dein Vater gesagt, Johnny?« »Nein – meine Mutter. Damals, vor fünf Jahren. Ich weiß es noch genau. Sie hatte immer Streit mit Dad gehabt. Sie hatte gewußt, daß er ein Bandit war, und sie wollte nicht länger bei ihm bleiben und umkommen wie er. Dad und ich wußten nicht, wohin sie dann ging. Sie lebt heute in Lordsburg.« »Dann laß uns nach Lordsburg reiten, Johnny. Du hast sie doch gern. Sie wird uns bestimmt helfen. Vielleicht können wir eine Zeitlang in Lordsburg bleiben, Johnny!« Er nickte. *** Es war ein weiter Weg nach Lordsburg. Der milde Herbst begann, der Mond des wilden Reises für die Indianer im hohen Norden. In New Mexico strich der Wind
tagsüber mit glühender Hitze über das trostlos öde Land. Nur, wo Wasser war, grünten und blühten Oasen der Natur. An diesem Nachmittag sahen sie ein Haus. Es stand an einem kleinen Fluß, der fast ausgetrocknet war. Die weißgetünchten Wände leuchteten in der Sonne. Kein Bewohner war zu sehen. Neben dem halbzerfallenen Stall stand ein Sattelpferd im Schatten und schlug mit dem Schweif nach den lästigen Fliegen aus. Johnny zögerte. Er war mißtrauisch geworden und wachsam. Alles, was fremd war, weckte seinen Argwohn. Kein Vieh war zu sehen, kein Huhn im Sand des Hofes zwischen Haus und Stall. Drückende Hitze und tiefe Stille lasteten im Tal. Die Hänge waren mit Felsbrocken übersät. Unten am Fluß wuchs gutes Gras für die Pferde. Birkenstämme leuchteten weiß. »Bleib etwas zurück, Juanita!« krächzte Johnny. Allein ritt er ins Tal. Langsam folgte Juanita. Die sengende Hitze machte das Atmen schwer. Der Fluß und das sicherlich kühle Adobehaus lockten jeden, der durch die öde Bergwildnis geritten war. Langsam kam Johnny dem Haus näher. Das Sattelpferd am Stall witterte herüber und stampfte. Wenn jemand im Haus war, dann mußte er spätestens jetzt durch das Schnauben des Pferdes gewarnt worden sein. Johnny saß gebeugt im Sattel. Das blonde Haar leuchtete wie reifes Korn. Staub und Schweiß hatten sich auf seinem Gesicht verkrustet und waren wie eine Maske. Je näher Johnny kam, um so deutlicher konnte er erkennen, daß dieses Haus schon seit langem nicht mehr bewohnt war. Unkraut wucherte im Garten. Das Feld, wo einst Gemüse gestanden hatte, war versandet. Er hielt an und blickte besorgt zurück. Juanita zügelte sofort das Pferd und wartete, bis er weiterritt. Er machte einen Bogen
und erreichte den Fluß. Das Pferd trottete zum Wasser hinunter und soff. Ein Mann trat aus dem Haus hervor. Er blieb stehen und starrte zu Johnny hinüber. Die Rechte lag auf dem Colt. Als er das junge Mädchen erblickte, nahm er die Hand von der Waffe. Eigentlich ein gutes Zeichen für Johnny. Gemächlich ritt Johnny zum Haus und saß ab. »Willkommen«, sagte der Mann. »Danke. Wohnen Sie hier?« »Yea!« log der Mann, aber das wußte Johnny nicht. »Kommt herein. Im Haus ist es angenehm kühl.« Johnny nickte und wartete auf Juanita. Sie ließ ihr Pferd saufen und kam dann herangeritten. Der Mann war in das Haus gegangen. Als sie beide das Haus betraten, sahen sie den Mann auf einem alten Lager sitzen. Die Wände waren kahl. Ein alter Tisch und ein paar Hocker standen in der Raummitte. Durch ein kleines Fenster fiel Sonnenlicht. Die Wände hielten die Hitze ab. »Wohin wollt ihr beide denn?« erkundigte sich der Mann und zupfte an seinem schwarzen Bart. Es war merkwürdig, daß er Juanita nicht ansah, obwohl sie ein schönes und blutjunges Mädchen war. »Irgendwohin«, murmelte Johnny. Der Mann lachte leise auf. »Auf Hochzeitsreise, wie?« »Ja.« »Ah, das kann ich gut verstehen. War ja auch mal jung. Schöne Zeit war das. Will nach Lordsburg. Vielleicht finde ich Leute, die mir dieses Haus abkaufen...« Noch immer nicht sah er Juanita an. Sie fand das wohltuend, setzte sich an den Tisch und packte den Proviant aus der Satteltasche aus. »Sie finden bestimmt keinen«, meinte Johnny.
»Oh, sag das nicht. Wenn es geregnet hat, ist dieses Tal ein Paradies. Dann muß ich mit einem Käufer hier sein. Du verstehst, wie?« »Ja.« Johnny legte die Hand auf Juanitas Schulter. »Ich bring die Pferde in den Stall.« Der Mann erhob sich. Lächelnd fragte er: »Tust du mir einen Gefallen, Amigo? Bring auch mein Pferd in den Stall, ja?« »Gut, mach ich.« Johnny ging hinaus. Juanita hörte seine Schritte auf dem Hof. Der Mann schlenderte am Fenster vorbei und zur Tür. Jetzt stand er hinter Juanita. »Ja, so ist das nun mal«, seufzte er. »Was ist so, Señor?,« fragte Juanita leise. Er starrte auf ihren Rücken, auf das lange weiche Haar – und er kam näher. Urplötzlich preßte er die Hand auf Juanitas Mund und packte sie, riß sie vom Hocker und zerrte sie durch den Raum. »Halt das Maul!« fauchte er. »Ich will nur meinen Spaß haben!« Dumpf fiel der Hocker um. Gewaltsam warf der Mann Juanita auf das Lager. »Wenn du schreist, bringe ich deinen Freund um!« zischte er drohend. »Willst du, daß er vor die Hunde geht?« Entsetzt blickte sie in sein Gesicht, das plötzlich so verwüstet aussah. Hemmungslose Gier entstellte es. Sein heißer Atem traf ihr Gesicht! Schon beugte er sich über sie. Noch immer hielt er ihr den Mund zu. Sie stöhnte und versuchte verzweifelt, sich zu befreien. Schwer fiel er auf sie und keuchte. Johnny hatte den Hocker umfallen gehört. Er war zurückgekommen. Er stand an der Tür und sah, wie der Mann Junanita vergewaltigen wollte. Der Halunke hatte Juanita nicht anzusehen gewagt, um sich und seine Begierde nicht zu verraten. Er hauste auch nicht in diesem Haus. Er war wie sie
hier vorbeigekommen und hatte sich im Haus eingenistet. Und er hatte Johnny lange genug draußen am Stall haben wollen. Eine Sekunde lang zögerte Johnny. Dann schrie er: »Laß sie los, Dreckskerl!« Mit einem Sprung war er in der Tür. Der Mann drehte den Kopf und starrte zur Tür, wo Johnny dunkel vor dem grellen Tageslicht verharrte. Mit einem schrecklichen Fluch ließ er Juanita los, richtete sich auf und öffnete die Rechte. Zitternd kroch Juanita über das Lager und hastete in eine Ecke. »Blutiger Narr!« fauchte der Mann. »Jetzt muß ich dich erschießen!« Johnny stand reglos. Der Coltkolben ragte aus dem Halfter an seiner linken Seite. Er war noch so jung und dennoch schon sehr schnell mit der Waffe. Aber er konnte niemals vorher wissen, ob ein Gegner nicht noch schneller war. Die ganze Welt schien gegen ihn und Juanita zu sein. Mit Brave war der letzte Freund gegangen. Der Fremde lächelte zynisch. »Worauf wartest du, Hombre? Greif zum Colt. Du liegst gleich tot auf der Türschwelle.« »Johnny!« schrie Juanita und streckte die Hände aus. »Lauf weg, Johnny! Bitte, ertrag es! Ich tu’s doch nur für dich, Johnny...« Sein Gesicht wurde grau wie erkaltete Asche. Juanita wollte sich erniedrigen lassen, sie wollte das schlimmste Opfer hergeben, nur um ihn zu retten. Ihre Liebe zu ihm war so groß, daß sie bereit war, sich diesem Fremden zu geben. »Nein, Juanita!« Johnnys Stimme klang wie splitterndes Glas. Er war furchtbar kalt geworden. Er wußte nicht, wie er jetzt aussah – wie versteinert und dennoch von einem unerschütterlichen Willen beseelt, den Colt zu benutzen. Zum erstenmal erkannte
Juanita den Ausdruck eines aufflackernden Hasses in seinen blauen Augen. »Wie du willst, Kleiner«, dehnte der Fremde. »Ich mach dich kalt. Und dann gehört sie mir.« Revolverblut war in Johnnys Adern. Vielleicht war es ein Erbe seines Vaters, der zeit seines Lebens ein Bandit gewesen war. »Nichts wird dir gehören, Fremder«, entgegnete er frostig, »noch nicht einmal der Dreck unter deinen Fingernägeln. Sag’ mir deinen Namen – für das Kreuz auf deinem Grab.« Juanita bebte und konnte den Blick nicht von Johnny lösen. Der Fremde verzerrte das Gesicht. Schweißperlen standen auf der Stirn. »Ich bin Kopfgeldjäger, Hombre – genügt dir das? Ich jage Banditen. Das tu’ ich schon viele Jahre, und ich lebe immer noch. Ich hab’ sie abgeknallt wie tollwütige Hunde. Einen nach dem anderen. Ich bin immer da, wo Halunken gesucht werden...« Johnny empfand einen tiefen Ekel vor diesem Mann. Er verachtete und verabscheute Banditen, doch er ekelte sich noch mehr vor Kopfgeldjägern. Das hatte mit seiner Person nichts zu tun. »Eines Tages sterben wir alle, Fremder«, sagte er leise. »Für dich ist heute der Tag.« Da griff der Mann zur Waffe. Juanita schrie gellend auf. Doch der Kopfgeldjäger kam nicht mehr zum Schuß. Johnny schoß linkshändig. Der Colt war so plötzlich in seiner Hand, daß es an Hexerei grenzte. Die Handbewegung war überhaupt nicht zu verfolgen gewesen. Der Colt dröhnte auf und spuckte das Blei in den Körper des Menschenjägers hinein. Krachend stürzte er auf das Lager, rutschte herunter und lag schlaff und tot am erdenen Boden der Hütte. Pulverrauch wallte ins Freie. Johnny stieß die noch qualmende Patronenhülse aus der Kammer seines Colts und schob eine neue Patrone hinein. Er
drehte die Trommel, machte eine blitzschnelle Bewegung – und der langläufige Colt steckte wieder in der Halfter. Schweigend ging er durch die Hütte, kniete nieder und durchsuchte die Taschen des Toten. Aus der Brusttasche des Fremden zog er ein gefaltetes Stück Papier hervor, breitete es am Boden aus und blickte auf seinen eigenen Steckbrief. Fünfhundert Dollar Belohnung. Tot oder lebendig. Gesucht wird Johnny Darkney, Mitglied der Ryan-Bande, genannt Baby Face. Schlank, jung, blondes Haar, blaue Augen… Johnny sah nicht mehr hin. Die zuerst ausgesetzte Prämie war durchgestrichen worden. Er war nicht mehr zweihundert, sondern fünfhundert Dollar wert. Was auf dieser Welt war fünfhundert Dollar wert! Für diese Summe konnte jedermann ihn abknallen. Wie einen Hund. Er richtete sich auf und sah Juanita an. Sie kam zu ihm und schlang die Arme um ihn. Beide zitterten jetzt. »Nein, Johnny, bitte, schweig. Ich liebe dich, Johnny! Und ich weiß doch, daß du nicht bösartig bist! Du bist mein Leben, Johnny. Das sag’ ich nicht nur so dahin.« Johnny blickte starr auf den Toten. »Als wir in dieses Tal kamen, war er ein Fremder für mich – und jetzt glaub ich, daß ich ihn schon lange gekannt habe, Juanita. Das ist doch seltsam, nicht wahr? Ja, als wäre er schon lange auf meiner Spur gewesen. Er hatte mich nicht erkannt. Du hattest seine schlimmen Gedanken auf dich gelenkt.« Er ließ Juanita stehen, warf den Proviant in die Satteltasche zurück, nahm sie und ging mit Juanita hinaus. Er ließ das Pferd desToten frei und ritt mit seinem Mädchen davon. »Es werden immer mehr, die mich suchen, Liebling.«
»In Oregon sind wir frei, Johnny. Kein Mensch wird uns dort suchen.« *** In Lordsburg sollte Schreckliches geschehen. Jene Ereignisse waren nicht zu erahnen. Sie sollten Johnny zu zerbrechen drohen und seine Hoffnungen auf Frieden und seinen Glauben an die Menschlichkeit zutiefst erschüttern. Weitab verhielten sie. Stilles Lächeln geisterte über Johnnys Gesicht, doch es war kein glückliches Lächeln. »Juanita, meine Mutter verließ uns vor vier Jahren. Sie verschwand spurlos. Ich fand sie hier in Lordsburg wieder. Sie wohnt in einem Haus, wo Männer Liebe kaufen können. Das Haus ist voll von Mädchen. Trotzdem ist sie meine Mutter, und ich bin froh, daß sie lebt. Sie wird uns bestimmt helfen. Aber es ist besser, wenn du nicht mit mir kommst. Vor der Stadt stehen ein paar alte Ställe. Dort bleibst du mit den Pferden.« »Ja, Johnny«, sagte sie zuversichtlich. »Es wird alles gutgehen.« Sie ritten weiter, mieden die Wege und näherten sich der Stadt. Es war Mittag. Die Straßen und Höfe waren verlassen. Die Bruthitze verscheuchte die Einwohner. In den tiefgelegenen mexikanischen Pulquerias saßen die alteingesessenen Mexikaner und tranken ihren Mescal. In den Cantinas suchten durstige Männer Schutz vor der Hitze. In den Saloons war es ungewöhnlich still. Die Hitze betäubte die Sinne und machte die Menschen müde und träge. So sah niemand die beiden blutjungen Reiter, die zwischen den alten Pferdeställen verschwanden. Schon zogen sie die Pferde in einen Stall und legten sich erschöpft auf das alte Stroh.
Springmäuse hüpften umher. Stroh raschelte. Durch die Fugen stach das grelle Tageslicht herein. Ein Skorpion kroch durch den Stall. Johnny sprang auf und zertrat ihn. »Paß auf dich auf, Juanita.« »Du willst schon gehen – jetzt am hellichten Tag, Johnny? Man wird dich sehen und vielleicht erkennen!« Er schüttelte den Kopf und lächelte verwegen. »Nein, Liebling. Die Leute halten Siesta. Nur ein paar Kinder sind auf den Beinen. Ich kenn den Weg. Bleib im Stall und warte hier.« Er ging hinaus und schritt über den Hof. In einer Einfahrt blieb er stehen. Drüben lag das Sheriffs-Office. Neben der Tür hing ein großes Anschlagbrett. Betrunkene hatten Whiskyflaschen dagegen geworfen. Mancher Steckbrief war vergilbt und zerfetzt. Langsam überquerte Johnny die Straße. Ein paar alte Leute dösten im Schatten der Vordächer. Er ging am Office vorbei und blickte wie zufällig zum Anschlagbrett hinüber. Nur sekundenlang haftete sein Blick auf dem Steckbrief, der sein Gesicht zeigte. Dann hatte er das Haus der käuflichen Liebe erreicht. Er betrat es und stand im Plüschraum. Es roch wieder nach Parfüm und Weihrauch. Im Raum war es halbdunkel und kühl. Er sah keins der Mädchen. Langsam schritt er zur Treppe und stieg empor. In diesem Haus herrschte Frieden. Abends erst begannen die Nächte der flüchtigen Liebe. Leise knarrten die Stufen. Sein Gesicht war angespannt. Er klopfte an eine Zimmertür, stand auf dem Gang still und horchte. Niemand antwortete. Geräuschlos öffnete er die Tür und glitt in das Zimmer. Seine Mutter ruhte auf dem Bett. Ihr faltiges bleiches Gesicht war entspannt. Sie mied die Sonne, die gnadenlos die Schminkschicht durchdrang und das wahre alternde Gesicht preisgab. Das trockene, glanzlose Haar lag ausgebreitet auf
dem Kopfkissen. Seine Mutter trug das blonde Haar sehr lang, als könnte sie dadurch ihr Alter verbergen und noch Jugend vortäuschen. Sie schlief. Zögernd berührte er ihre feingliedrigen Hände. »Ma’m«, raunte er. Sie erwachte, schlug die Augen auf und sah ihn an, und sie blieb dabei still liegen, als wäre er gar nicht zu ihr gekommen. »Ich bin es, Ma’m – Johnny.« »Das sehe ich, Junge«, sprach sie leise. »Warum bist du zurückgekommen? Ryan und seine Banditen waren hier.« »Ich weiß, Ma’m. Ich hatte mich davongemacht. Sie sind alle tot, Ma’m.« Langsam richtete sie den Oberkörper auf und raffte den Umhang zusammen. »Du lebst, Johnny.« »Freust du dich nicht darüber, Ma’m? Ich konnte entkommen« »Ja, Johnny.« Sie stand auf und ging zum Fenster, blickte hinaus und sprach leise und bitter. »Dein Steckbrief hängt jetzt auch schon in Lordsburg. Fünfhundert Dollar wird man demjenigen geben, der meinen Sohn totschießt.« »Ma’m, wirst du mich wegschicken? Willst du mir nicht helfen?« Sie drehte sich um und sah ihn seltsam leer an. »Ich helfe dir, Johnny. Du kannst bleiben. Niemand wird dieses Zimmer betreten, wenn ich es nicht will.« »Fein, Ma’m.« Sie strich über ihr strohiges Haar und lächelte fremd. »Ich bin für alle Lady Angela, die große Lady der Liebe. Lordsburg verehrt mich. Den Sheriff wickel ich um den kleinen Finger. Alle knien sich vor mir nieder, Johnny. Natürlich helfe ich dir. Aber nicht für lange Zeit. Das wäre zu gefährlich für dich.« »Danke, Ma’m. Ich geh dann und hol’...«
»Alle sind tot?« unterbrach sie ihn. »Ein Wunder, daß du lebst, mein Junge. Dein Vater ist tot – und diese Indianerin, die bei ihm war, ist auch tot... Ich hatte immer Angst, daß Fremde kämen und mich, dich und deinen Vater erschießen würden. Darum hab ich deinen Vater gehaßt – und diese Indianerin, zu der er oft geritten war!« »Ma’m, reden wir doch nicht mehr darüber. Ich geh jetzt, Ma’m. Ich bin bald zurück.« »Aber wohin willst du denn, Junge?« »Die Pferde, Ma’m. Und dann muß ich auch...« »Ja, gut, Johnny«, unterbrach sie ihn wieder. »Geh schon. Ich warte hier auf dich.« Er öffnete die Tür, als sie ihn leise zurückrief. Fragend blickte er sie an. Sie streckte ihm die Hände entgegen. »Komm her, Johnny-Boy.« Sie umarmte ihn und streichelte sein Gesicht. Immer wieder fuhr sie über seine blonden Haare. Er legte die Arme um seine Mutter und legte das Gesicht auf ihre Schulter. Lange Jahre hatte er die Liebe der Mutter vermissen müssen. »Ich hab dich so gern, Johnny-Boy«, hauchte sie. »Ich lass’ dich nicht wieder gehen. Hier bist du sicher. Ich werde dein Haar ganz kurz schneiden und es schwarz färben, und niemand wird dich erkennen. Dann bist du frei und kannst dich in der Stadt überall aufhalten, und allen Leuten werde ich sagen, daß du mein Sohn bist. Ich bin stolz, so einen Sohn zu haben. Ich gebe dir meine ganze Liebe, Johnny-Boy. Ich mach die Jahre wieder gut, mein Junge.« Er schluckte und schwieg. »Du hast ja nur noch mich, Johnny-Boy«, flüsterte sie. »Ich bin immer für dich da. Liebe mich, Johnny, ich bin deine Mutter!« »Ja, Ma’m.« Er verließ das Zimmer und ging die Treppe hinunter, und seine Mutter stand vor der Tür und winkte ihm nach.
Nachdenklich verließ er das Haus und kehrte zu Juanita zurück. Lady Angela, seine Mutter, stand noch auf dem Gang, als sie Schritte hörte. Sheriff Sutherland kam die Treppe herauf und zog sich ächzend am Geländer hoch. Er hatte ein richtiges ledernes Gesicht. Sein hartes Aussehen täuschte. In Lordsburg hielten sich oft Gesetzlose auf, und Sutherland machte erst gar nicht den Versuch, sie festzunehmen und einzusperren. Die Grenze lag nahe, und er müßte zu jeder Stunde mit seinem Tod rechnen, wenn er den Kampf aufnehmen würde. »Sie, Sheriff?« Lady Angela lächelte. »Sie besuchen mich auch mal?« »Ist nur Routine, Lady Angela. Und ich wolle Ihnen nur mal einen guten Tag sagen. Wie geht es Ihnen?« »Gut, Sheriff.« Mary Johnson-Darkney machte eine einladende Bewegung. »Möchten Sie einen Drink?« »Danke, Lady, nicht jetzt. Sonst haut mich die Hitze um. Also, bis später, Lady Angela.« Er ging wieder. Die Tür klappte zu. *** Schritte verstummten vor der Zimmertür. Horchend neigte die Frau den Kopf und fragte leise: »Johnny-Boy?« »Ja, Ma’m.« Johnny drückte die Tür auf und trat ein. Seine Mutter saß in ihrem Schaukelstuhl am Fenster und hatte die Hände wie zu einem Gebet gefaltet. Er trat an den Stuhl heran und beugte sich lächelnd über ihre Schulter. »Ma’m, ich hab jemand mitgebracht.« Sie schien ihn nicht gehört zu haben. Ihr Blick verlor sich in raumloser Ferne. »Einsamkeit ist wie ein Fluch, Johnny-Boy. Du bist da, und der Fluch ist gebannt.«
»Ja, Ma’m. Juanita und ich möchten, daß du wieder froh bist und so lachst wie vor vielen Jahren, als ich noch ein kleiner Junge war.« »Juanita?« Sie zog die Schultern an und legte die Hände hart um die Armlehnen. »Du hast eine Freundin, Johnny?« »Du wirst sie auch gern haben, Ma’m. Komm, dreh dich doch um, sieh sie dir an.« »Ich will nicht!« sagte sie dunkel, wie gekränkt. »Du liebst nicht mich allein, Johnny? Und ich hatte wirklich gehofft, daß du deine Mutter über alles liebst!« »Aber, Ma’m, das tu’ ich doch auch, aber ich liebe auch Juanita!« Johnny streckte die Hand aus und umfaßte Juanitas Arm, zog sie sanft näher und nickte ihr zuversichtlich zu. »Sie ist nicht irgendein Mädchen, Ma’m!« Mit einem Ruck riß sie den Schaukelstuhl herum und starrte die junge Mexikanerin an. Juanitas Lächeln erlosch unter dem starren und plötzlich feindseligen Blick. Lady Angela zog die Mundwinkel verächtlich herunter und flüsterte bitter und anklagend: »Eine Indianerin! Johnny, du bist wie dein Vater! Wie kannst du es wagen, eine Indianerin auf mein Zimmer zu bringen!« »Sie ist Mexikanerin, Ma’m!« »Sei still! Ich habe doch Augen im Kopf! Bring sie weg – oder verschwindet beide zusammen! Du mußt wählen, Johnny! Laß mich allein! Ich kann diese Indianerin nicht länger in meiner Nähe ertragen!« Johnny erblaßte. »Hör auf, Ma’m«, stöhnte er. »Sag, daß du einen Scherz machst! Das kann doch nicht dein Ernst sein.« »Es ist mein Ernst!« schrie sie hysterisch auf. »Geht!« Zitternd holte sie ein Seidentuch und preßte es ans Gesicht. »Wie du willst, Ma’m«, sagte er heiser, »dann gehen wir – aber ich komm noch einmal wieder, wenn du dich beruhigt hast.«
Er legte den Arm um Juanita und verließ mit ihr das halbdunkle Zimmer. Langsam gingen sie die Treppe hinunter und verließen das Haus durch die Hintertür. Vorsichtig überquerten sie den Hof und erreichten unbemerkt die alten Pferdeställe am Stadtrand. »Deine Mutter ist böse, Johnny«, flüsterte Juanita ziemlich schwermütig. »Sie muß deinen Vater und die Indianerin, die bei ihm gelebt hat, auch jetzt noch hassen. Sie will deine Liebe und dich besitzen, Johnny. Sie will mich nicht.« »Vielleicht kam alles zu plötzlich für sie«, sprach er leise. »Sie wird sich bald beruhigt haben.« Beide ließen sich im Stroh nieder und tranken etwas Wasser. Draußen brütete die Hitze des Nachmittags. Johnnys Mutter ging aus dem Zimmer. Mit flachen Schritten näherte sie sich der Treppe. Dann stieg sie hinunter wie eine alte Frau. Die blauen Augen blickten leer irgendwohin. Manchmal zuckte es um den Mund. Im Haus lachte eins der Mädchen auf. Eine Zimmertür schlug leise zu. Ruhelos ging Lady Angela, wie sich Mary Johnson-Darkney nannte, im Haus umher. Sie konnte ihre schlimmen Gefühle nicht unterdrücken. Ein einziger Gedanke beschäftigte und quälte sie. Eigennützig wollte sie Johnnys Liebe. Sie war nicht bereit, den Sohn herzugeben. Ein furchtbarer Gedanke kam ihr. Sie kehrte auf ihr Zimmer zurück und trank ein Glas Whisky. Düster starrte sie vor sich hin und murmelte Worte, die niemand hörte. Die Sonne wanderte nach Westen. Der Wind frischte auf. Dennoch blieb es drückend heiß. In der Stadt stöhnten die Menschen unter der Hitze. Riesige Staubwolken trieben durch die Stadt. Plötzlich war Lady Angela auf der Straße. Sie hastete durch den Staub und zum Sheriffs-Office hinüber. Der Wind wurde zum Sturm.
Sie zerrte die Tür des Office auf und ging hinein, und eine Sturmbö knallte dieTür zu. Sheriff Sutherland blickte die Frau überrascht an und erhob sich, kam um seinen schweren Schreibtisch herum und gab der Lady einen Handkuß. »Ich habe Sie noch nie mit Ihrem Vornamen angesprochen, Sheriff«, sagte sie und lächelte schmerzlich. »Jetzt tue ich es, Martin. Denn ich brauche Ihre Hilfe, Mart. Ich weiß, daß Sie verschwiegen sind, daß ich Ihnen vertrauen kann.« Er sah sie schweigend an und nickte. »Sie erinnern sich, Mart – der Bandit Ryan und seine Komplizen waren in Lordsburg. Die Bande ist erwischt worden, wie ich hörte. Stellen Sie sich vor, Mart – mein Sohn ist zurückgekommen! Er hat mich lange gesucht. Aber unterwegs traf er ein Mädchen, eine Mexikanerin. Sie war die Freundin der Banditen! Nehmen Sie diese Banditenbraut fest, Mart! Sie darf meinen Sohn nicht ins Unglück stürzen.« Mart Sutherland atmete schwer und wandte sich langsam ab, ging zum Tisch und füllte zwei Gläser mit Whisky. Er reichte der Lady ein Glas und trank. Das lederhäutige Gesicht war ernst. »Warum sollte Ihr Sohn von diesem Mädchen ins Unglück gerissen werden, Lady Angela? Ist er nicht alt genug, um sich dagegen wehren zu können?« »Er ist ein dummer Junge, Mart! Die Mexikanerin hat ihn verhext. Sie nutzt meinen Jungen aus. Mein Gott, es war alles ein schrecklicher Zufall! Ich will nicht, daß mein Junge mit einer Banditenbraut zusammenlebt.« »Und ich soll das Mädchen festnehmen?« »Ja! Sperren Sie es ein, Mart. Der Mexikanerin muß der Prozeß gemacht werden.« »Wo finde ich sie?« »Das weiß ich noch nicht. Die beiden jungen Menschen stecken irgendwo in der Stadt. Ich werde meinen Jungen
suchen und zu mir holen, und dann werde ich Ihnen sagen, wo das Mädchen ist, Mart. Bitte, helfen Sie mir.« Draußen schlug prasselnd der aufgewirbelte Sand gegen das Fenster. In der Stadt schlugen Türen und klapperten Fensterluken. Reiter jagten vorbei. Der Sturm orgelte um die Häuser. »Wir bekommen einen Sandsturm«, murmelte Sutherland. »Gehen Sie zurück, Lady, ich kümmere mich um alles.« »Oh, ich danke Ihnen, Mart. Bitte, schießen Sie nicht auf meinen Sohn. Ich will ihn nicht verlieren.« »Ich verspreche es Ihnen, Lady Angela.« Sie nickte und verließ das Office. Mühsam überquerte sie die Straße. Der Sturm zerrte an ihrem Kleid und ließ die langen blonden Haare flattern. Keuchend erreichte sie das Haus und suchte ihr Zimmer auf. Der Sandsturm wütete und fegte die Straßen und Höfe leer. Lordsburg ähnelte einer ausgestorbenen Stadt. Heftig bogen sich die Palmen. Blätter wirbelten von den Laubbäumen. Sand schlug in die vielen Brunnen. Die Glocke im Turm der Kathedrale bimmelte. Im Office stand Sutherland reglos am Tisch und grübelte. Er seufzte und schüttelte immer wieder den Kopf. Er war ein Mann, der sich nicht gern einmischte. Wenn es sein mußte, dann konnte er hart kämpfen – aber er zog es immer vor, den Weg der Vernunft zu gehen. Alle Männer verehrten die Lady. Sutherland wollte ihr einen Gefallen tun. Er ahnte nicht, daß es ein teuflisches Spiel war. Lange wartete die Frau in ihrem Zimmer. Plötzlich kam Johnny zu ihr. Sand haftete an seiner Kleidung. Er war gelaufen und atmete schnell. Ernst blickte er seine Mutter an. »Hast du es dir überlegt? Willst du uns helfen?« »Ich helfe dir gern, Johnny-Boy.« Sie stand am Fenster. Unter ihr befand sich das kleine Vordach. Darunter war die Eingangstür. Sie zog das Fenster zu und wandte sich Johnny
zu. »Ich will nicht, daß du am Strick dein Leben aushauchst, mein Junge.« »Denkst du jetzt anders und besser über Juanita, Ma’m?« Sie lächelte seltsam. »Warum hast du sie nicht mitgebracht, Johnny? Wo hast du sie so allein zurückgelassen?« »Bei den alten Pferdeställen.« »Hör zu, Johnny. Als du weg warst, war der Sheriff hier. Er wollte zurückkommen. Vielleicht kommt er jeden Augenblick. Ich muß ihn abfangen. Bleib hier im Zimmer. Ich schließe es von außen ab. Dann kann er nicht herein, falls ich ihn verfehlen sollte. Ich werde ihn abwimmeln, und dann holst du dein Mädchen her.« Sie streichelte sein Gesicht und verließ das Zimmer, schloß die Tür von außen ab und lief zur Treppe. Johnny ging zum Fenster und starrte auf die Straße hinunter. Er sah, wie seine Mutter im flatternden Kleid über die Straße lief, wie Sandwolken sie einhüllten. Schon war sie verschwunden. Gedankenversunken wartete er am Fenster. Er glaubte seiner Mutter. Er ahnte nicht, wie schlimm es in ihrer Seele aussah. Dann erblickte er schemenhaft den Sheriff, doch er sah nicht den Blechstern und erkannte nicht den Mann des Gesetzes. Sutherland rannte durch den Staub und Sand und verschwand. Wenig später schwankte seine Mutter durch die Sturmböen und näherte sich dem Haus, doch sie kam nicht ins Haus. Johnny wurde unruhig. Die Mutter ließ auf sich warten. Er rüttelte an der Zimmertür, doch das Schloß war stark und gab nicht nach... Um diese Zeit erreichte Sheriff Sutherland die alten Pferdeställe. Sand prasselte auf die schadhaften Dächer. Stalltore schlugen hin und her. Lose hängende Bretter knarrten und wippten. Spreu wirbelte aus den offenen Ställen hervor. Geduckt näherte er sich dem Pferdestall, in dem Juanita wartete. Sie hörte nicht die Schritte. Die Pferde stampften und schnaubten unruhig. Sand stieß durch die Fugen. Wimmernd
fing sich der Sturm im Stall und heulte über die alten Boxen hinweg. Jäh wurde das Stalltor aufgerissen. Ein Mann sprang herein. Keuchend stand er vor der jungen Mexikanerin. Juanita wich erschrocken zurück. »Mach keine Dummheiten!« sagte Sutherland durch das Orgeln des Sturms. »Was hab ich denn getan?« »Frag jetzt nicht! Los, komm!« »Nein, ich will nicht!« stöhnte Juanita. »Wer sind Sie?« Sie konnte den Blechstern nicht erkennen. Sutherland trug eine Jacke, die den Stern an der Weste verdeckte. Er kam näher, Juanita wich zurück, bis sie gegen die Wand stieß. Sutherland packte sie am Arm. Gewaltsam zog er sie aus der Stallecke hervor und zerrte sie durch den Stall. Draußen stand Lady Angela. Der Sturm umtobte die knochige Gestalt. Sand schlug in das starkgeschminkte Gesicht. Sie schien es nicht zu spüren. Starr blickte sie Sutherland und der jungen Mexikanerin entgegen... Noch immer war Johnny im Zimmer. Er fühlte sich wie gefangen und eingesperrt, und er konnte es keine Sekunde länger durchstehen. Heftig zog er das Fenster hoch, beugte sich hinaus. Niemand war auf der Straße. Entschlossen schwang er sich über die Fensterbrüstung und ließ sich fallen, stürzte in die Tiefe, knallte auf das Vordach und rutschte abwärts, fiel auf die Straße, sprang hoch und rannte los. Der Sturm heulte. Johnny konnte die Häuser nur undeutlich erkennen. Sie sahen aus wie Klötze in einem dichten Nebel. Der Flugsand nahm ihm die Sicht. Keuchend rannte er nach den alten Pferdeställen hinüber und hörte plötzlich Schreie. Wild schlugen die Stalltore. Wieder schrie Juanita. Johnny hetzte über den öden Hof und sah, wie ein Mann Juanita gepackt hatte und über den Hof zerrte. Juanita wehrte sich verzweifelt. Johnny dachte an den grausigen Zwischenfall in der einsam gelegenen Hütte, wo der Kopfgeldjäger Juanita
Gewalt hatte antun wollen. Dieses Erlebnis war es, das Johnny in wilde Verzweiflung und Wut trieb. Er glaubte, daß wieder ein Mann über sein Mädchen herfallen wollte – und er riß den Colt aus dem Halfter, schnellte über den Hof und schrie. Sutherlands freie Hand zuckte unwillkürlich zum Revolver. Vielleicht wollte er gar nicht schießen, doch es sah danach aus. Und Johnny schoß. Sutherland ließ Juanita los und krümmte sich. Mit ersterbender Kraft zog er den Revolver, hob ihn an und drückte mehrmals ab. Die Kugeln fauchten durch den Sturm. Blindlings schoß Sutherland umher. In dieser Sekunde sah Johnny seine Mutter. Da wußte er, daß sie Juanita verraten hatte. Sein Schrei blieb stecken. Er sah, wie seine Mutter nähertaumelte, wie sie die Hände gegen den Körper preßte. Das Haar schlug in ihr Gesicht. Sie machte kurze und schwere Schritte und brach plötzlich zusammen. Sutherland lag wie ein unförmiger Körper am Boden. Der leergeschossene Revolver lag im Staub. Sandwolken fegten über ihn hinweg. Seine im Sterben blindlings abgefeuerten Schüsse hatten Johnnys Mutter getroffen. Zitternd und sterbend lag sie auf dem Hof zwischen den Pferdeställen. Johnny hastete zu ihr, kniete nieder und starrte in ihr bleiches Gesicht. »Ma’m!« schrie er erstickt auf. »Warum hast du das getan, Ma’m!« Ihre Lippen zuckten. Flatternd hob sie die Hand an und wollte nach ihm greifen. Der Tod war schneller. Schlaff fiel die Hand zurück. Stimmen tönten über die Höfe. Der Knall der Schüsse war trotz des Sturms gehört worden. Johnny richtete sich auf und lief zu Juanita. Er zog sie mit sich in den Stall und stieß sie auf ihr Pferd. Dann saß auch er auf. Schon ritten sie aus dem Stall.
Sie kamen dicht an Sutherland vorbei. Der Sturm hatte die Jacke des Sheriffs aufgeschlagen, und Johnny erblickte den Blechstern an der Weste. Im Galopp jagten sie durch den Sturm. Männer hasteten heran, brüllten laut und entdeckten Lady Angela und Sheriff Sutherland. Gerade verschwanden zwei Reiter in den Sandwolken. Eine Verfolgung bei diesem Sandsturm war sinnlos. Der Sturm warf den Sand auf die Spur der beiden Pferde und verwischte sie in wenigen Minuten. So entkamen Johnny und sein Mädchen. Sie ritten stundenlang. Längst war es Nacht geworden. Sie verließen das Gebiet des Sandsturms, und von einer Minute zur anderen war es still um sie herum. Sie blickten zurück und sahen die riesigen Sand- und Staubwolken über das Land treiben. In Johnny erkaltete die Liebe zur Mutter. Er konnte nicht weinen. Sein Herz verhärtete sich. Sie flüchteten weiter nach Süden – dorthin, wo Zona Libre lag, das Land der Gesetzlosen. Dort, im südlichsten Zipfel von New Mexico, nahe der Grenze, verbargen sich viele Banditen, und selbst Militär konnte die verborgenen Schlupfwinkel nicht finden und mit dem Banditenunwesen Schluß machen. Als sie einmal die Pferde zügelten, wollte Juanita sprechen. »Deine Mutter wollte mich...« »Sag nichts, Juanita!« stöhnte er. »Ich hab keine Mutter! Ich hab niemals eine Mutter gehabt.« *** In jenen Tagen geschah vieles. Telegrafenleitungen verbanden die Städte miteinander, und schnelle Nachrichten machten die Runde. Im Sheriffs-Office von Lordsburg saßen zwei Männer. Ihre Sattelpferde standen draußen angeleint. Auf der Hinterhand der
Pferde waren die Wunden von Streifschüssen zu erkennen. Die Abendröte warf ihren blutroten Schein auf die Stadt. Die beiden Männer hörten einen Reiter kommen. Er verhielt vor dem Office und saß ab. Seine Bewegungen waren lässig, doch genau abgezirkelt. Keine Bewegung war zuviel. Er rückte am Waffengurt und betrat das Office. Alles an diesem Mann war schwarz und düster. Nur die Knöpfe an der schwarzen Kleidung waren aus Silber. An den staubigen Stiefeln klirrten Stahlsporen. Forschend starrte er die Männer an. Die Blechsterne an ihrer Kleidung schimmerten matt im Halbdunkel des Office. »US-Deputy-Marshals?« dehnte er etwas verwundert. »Yea«, antwortete Isaac Brody bissig. »Der Sheriff wurde erschossen. Ich nehme an, daß Sie das schon wissen. Fremder. Was wollen Sie?« »Deswegen bin ich hier«, murmelte der Fremde. »Weiß man schon, wer den Sheriff und die Frau erschossen hat?« »Wir vermuten, daß es Johnny Darkney war. Männer haben einen jungen Burschen und eine Mexikanerin gesehen. Die Beschreibung paßt. Sie sind wohl Kopfgeldjäger, wie?« »Stimmt. Man nennt mich Montana. Ist die Belohnung erhöht worden?« »Noch nicht, aber sie wird auf tausend Dollar heraufgesetzt werden.« Cole Cagney verbarg seine Verachtung. »Sie wollen sich das Kopfgeld holen, wie?« »Ja, Mister. Was dagegen?« Montana lächelte kalt. »Ich nehme Ihnen Arbeit ab, wenn ich Darkney erwische.« »Der verdammte Hundesohn wird nach Süden geflohen sein.« Isaac Brody erhob sich und ging langsam um den Kopfgeldjäger herum. »Wer in die Zona Libre reitet, wird von den Banditen erschossen. Die Halunken legen jeden um, der ihnen nicht gefällt.« Montana lächelte unbeeindruckt und zog aus der Innentasche der schwarzen Jacke zwei abgegriffene alte Papierstücke hervor. Er breitete sie auf dem Tisch aus und
sagte: »Das hier ist die Bescheinigung eines guten Bekannten, der wie Sie einen Marshalstern trägt. Darin wird bestätigt, daß ich zu keiner Zeit gegen das Gesetz verstoßen habe. Diese Bescheinigung lege ich jedem Gesetzesvertreter vor.« Brody und Cagney lasen die Zeilen und betrachteten dann den Steckbrief, der Montana zeigte. »Dieser Steckbrief wurde in meinem Auftrag nur einmal gedruckt«, erklärte Montana ruhig. »Damit komme ich in die Zona Libre und wieder heraus. Jeder Bandit hält mich aufgrund dieses Steckbriefes für einen Banditen. Da nur ich diesen Steckbrief herumtrage, gerate ich nicht in die Gefahr, von irgendeinem Hitzkopf umgebracht zu werden.« »Sie sind ein Schwein, Montana«, sagte Cole Cagney, »aber ich muß zugeben, daß Sie an alles gedacht haben.« Montana blieb kalt und faltete die Papierstücke zusammen. Die Bescheinigung schob er in den Stiefelschacht, den Steckbrief in die Jackentasche. »Tausend Dollar, meine Herren? Der Ritt nach Süden lohnt sich.« Nach diesen Worten verließ er das Sheriffs-Office, stieg in den Sattel und lenkte das Pferd über die Straße. »Ein mieser Typ«, knurrte Cagney. »Man riecht das Blut an seinen dreckigen Händen.« *** Seit Tagen lungerte ein zerlumpter Mexikaner in Lordsburg. Das braungebrannte Gesicht war schmutzig. Der Sombrero aus Strohgeflecht war verbeult und durchlöchert. Er beobachtete alles, was um ihn herum geschah. Manchmal zog ein breites Grinsen über sein Gesicht. Zwischendurch verschwand er in der Pulqueria, trank Mescal und erholte sich von der Hitze. Wieder hockte er an der alten halbzerfallenen Mauer, die die Kathedrale umgab, kaute auf einem Stück Holz und bohrte sich
in der Nase. Seine funkelnden Augen verengten sich, als er einen Reiter kommen sah. Der Reiter war ein großer, hagerer Mann mit grauen Augen. Ein Schweißfilm lag auf dem Falkengesicht. Er trug gewöhnliche Kleidung und war mit einem Colt bewaffnet. Vor dem Saloon stieg er vom Pferd, zog es an die Tränke heran und ließ es saufen. Dann nahm er das Gewehr aus dem Scabbard und betrat den Saloon. Unauffällig richtete der zerlumpte Mexikaner sich auf und schlenderte über die Straße. Neben der Schwingtür des Saloons ließ er sich nieder, nahm den Strohhut ab und legte ihn zwischen die angewinkelten Beine, warf zwei Cent hinein und schloß die Augen. Stimmen tönten aus dem Saloon. Der Mexikaner horchte angestrengt. Im Saloon waren nur wenige Gäste. Er konnte die Worte nicht verstehen. Das Klirren von Radsporen übertönte das Stimmengemurmel. Der Mexikaner öffnete die Augen zu schmalen Schlitzen und starrte auf die Straße. Zwei Männer kamen näher. Er kannte bereits ihre Namen und wußte, wer sie waren. Isaac Brody und Cole Cagney verharrten im Schatten des Saloons. Sie mußten den Fremden gesehen haben. Jetzt blickten sie auf den Mexikaner – und der zerlumpte Bursche hob bettelnd die Hände an. »Bitte, nur einen Cent, Señores, für einen armen Mexikaner. Und Sie werden meine Frau glücklich machen. Meine Kinder hungern.« »Du solltest arbeiten und nicht betteln«, knurrte Cagney. »Hol dich der Teufel.« Brody kam näher. »Wie heißt du?« »Sandobal, Señor. Bitte, nur einen einzigen Cent, Señor! Meine kleinen Kinder werden zu Ihnen kommen und sich bedanken. Sie werden Ihnen die Stiefel putzen und...«
»Halt die Klappe, Hombre!« unterbrach Brody ihn und warf ein Centstück in den Sombrero. »Du solltest meine Stiefel putzen, nicht deine Kinder! Du stinkst nach Faulheit, Hombre.« »Oh, vielen Dank, Señor! Muchas gracias!« Sandobal breitete die Hände wie segnend über seinem Sombrero aus und lächelte verzückt. In diesem Moment trat der Fremde aus dem Saloon hervor. Brody und Cagney blickten ihn forschend an. »Haben wir uns nicht schon einmal irgendwo gesehen?« fragte Isaac Brody mit schleppender Stimme. »Sie kommen mir bekannt vor.« Der Fremde mit dem Falkengesicht starrte auf die Blechsterne der beiden Männer. »Brody und Cagney, wie?« dehnte er. »Mein Bruder hat mir von Ihnen geschrieben.« »Dann sind Sie Marshal Cash Murdocks Bruder?« Cole Cagney sah ihn überrascht an. »Robert Murdock?« »Ja, der bin ich. Ich suche nach diesem Johnny Darkney.« »Er ist mit einer jungen Mexikanerin nach Süden geflohen«, sagte Brody, »wahrscheinlich in die Zona Libre.« »Berichten Sie mir. Ich bin zwar kein US-Marshal, aber der Tod meines Bruders läßt mir keine Ruhe. Kommen Sie, meine Herren...« Sie entfernten sich. Der Mexikaner Sandobal verstaute die Centstücke in seiner ausgebeulten und schmutzigen Hose, stülpte den Sombrero über den Kopf und machte sich unauffällig davon. Wenig später ritt er auf einem Maultier aus der Stadt und ließ Lordsburg weit hinter sich zurück. Langsam trottete das Maultier mit ihm nach Süden und in das öde und zerklüftete Land hinein. ***
Der Wind sang und ließ die Flammen des kleinen Lagerfeuers hochzucken. Funken lösten sich aus der Glut und wirbelten über die Felsen. Der rote Schein fiel auf zwei junge Menschen. »Du mußt endlich was essen, Johnny«, flüsterte Juanita, »sonst fällst du noch aus dem Sattel. Denk nicht immer an das, was in der Stadt geschah. Bitte, Johnny, vergiß es. Ich bin doch bei dir.« Er lachte schmerzlich und nahm das Stück Dörrfleisch, kaute die Bissen weich und schluckte sie hinunter. »So ist es gut, Johnny.« Juanita streckte sich neben ihm auf der Decke aus und legte die Hand weich auf seinen Rücken. »Ich wollte nicht nach Oregon. Jetzt träume auch ich davon, Johnny.« »Wir müssen noch eine Zeitlang in der Zona Libre bleiben«, sagte er. »Irgendwann werden sie doch die Suche nach uns abbrechen müssen! Dann reiten wir nach Norden. Das sind tausend Meilen, Juanita. Im Norden ist dann Winter.« Sie streichelte seinen Rücken und schwieg. Er trank etwas und legte sich zurück, zog die Decke über sich und Juanita und spürte ihren warmen Körper. Auf den Hügeln kläfften die Kojoten. Der Wind bewegte die zerzausten Bäume hinter den Felsen. »Gibt es in Oregon auch Kojoten, Johnny?« »Ich weiß nicht, aber Wölfe gibt es bestimmt.« Sie schmiegten sich aneinander und küßten sich. Juanita spürte Johnnys Zittern. Sie schloß die Augen und strich durch sein blondes Haar. »Ja, Johnny«, hauchte sie, »ich möchte es. Ich liebe dich. Ich möchte, daß du es tust, denn du sehnst dich danach.« »Hast du keine Angst, Liebling?« flüsterte Johnny und stützte sich auf die Ellenbogen. Weich blickte er auf ihr schönes Gesicht. »Ich – ich hab das noch nie getan, Juanita. Ich...« Sie legte die Hand auf seine Lippen und lächelte glücklich.
»Sag nichts, Johnny.« Die Not machte ihre Liebe zueinander noch größer und stärker. Die Liebe besiegte die Angst und ließ sie alles vergessen. Sie fanden zueinander und liebten sich, und Juanita spürte seinen Körper und breitete die Arme aus, als wollte sie den ganzen Himmel umarmen. Sie schlang die Arme um ihn und schloß die Augen. Als sie erwachten, leuchtete die Morgenröte am klaren Himmel, und die Sterne verblaßten. Johnny schürte das Feuer. Juanita kochte etwas Kaffee. Tiefer Friede umgab sie beide. Johnny konnte wieder lachen. Er wollte vergessen, was hinter ihm lag. Er liebte sein Mädchen und war glücklich. Doch Stille und Frieden währten nicht lange. Als Johnny das metallische Klicken hörte, wußte er sofort, daß sie entdeckt und umstellt worden waren. Es gab kein Entrinnen. Sand rieselte von den Felsen. Gestalten glitten hinter den Felsen und Bäumen entlang. Der schwache Schatten eines Mannes geisterte über den Lagerplatz hinweg. Schon verschwand der Mann wieder in der Deckung. Johnny zog Juanita an sich und schützte sie mit seinem Körper. Er wagte nicht, zum Colt zu greifen. Tödliche Schüsse würden ihn zerreißen. Juanita bebte am ganzen Körper. Sie war blaß geworden. Graue Flecken erschienen auf ihrem Gesicht. Selbst jetzt noch sah sie schön aus, obwohl Todesangst in ihren Augen war. Funkelnde Augen beobachteten die jungen Menschen. Gewehre und Revolver waren auf sie gerichtet. Jeden Moment könnten die Schüsse aufpeitschen und Tod und, Verderben auf den kleinen Lagerplatz jagen. »Johnny!« stöhnte Juanita. »Ganz ruhig sein, Liebling. Tu’ nichts. Mach keine Bewegung.« Er war auf einmal ruhig und beherrscht. Sein Herz schlug nicht schneller als sonst.
Ihm wurde es nicht bewußt. Es war das Revolverblut in seinen Adern, das ihn so kalt hatte werden lassen. Jetzt kamen die schleichenden Schritte noch näher. Der Morgenwind ließ das Feuer leise fauchen. Reglos warteten sie. Plötzlich traten die Männer hervor. Sie waren schwer bewaffnet. Sie alle sahen wild und gefährlich aus. Ein sehniger Mann grinste breit. Er trug einen durchlöcherten Sombrero aus Strohgeflecht und fuchtelte mit seinem großkalibrigen Revolver herum. Lautes Lachen kam über seine Lippen. »Angst, Hombre?« rief er. Johnny erblickte überall Mexikaner. Bandoleros hatten den Lagerplatz umstellt. Mit dunklen Augen sahen die mexikanischen Banditen auf ihn und Juanita. »Ja«, antwortete er dumpf, »ich habe Angst.« »Hört ihr, Compadres – er gibt es zu! Habt ihr schon mal so blondes Haar gesehen? Er ist ein Gringo, aber er gehört zu uns, Amigo! Ich war lange in der Stadt. Ich habe alle belauscht und weiß, warum sie diesen jungen Gringo suchen. Sie wollen ihn kaltmachen wie ein Huhn.« Die Banditen nickten, knurrten und grinsten. »Steht auf«, befahl der Mexikaner. »Ich bin Sandobal. Ihr kommt mit uns. Du hast eine schöne Muchacha, Hombre.« Sandobal drehte sich halb um. »Keiner rührt die Muchacha an, verstanden? Wer seine dreckigen Finger nach dem Mädchen ausstreckt, den leg ich um!« Johnny zog Juanita hoch. Beide standen reglos im ersten Sonnenschein. Einer der Banditen wollte Johnny entwaffnen, doch Sandobal sagte: »Laß ihm den Colt, Compadre! Er heißt Johnny Darkney. Sie suchen ihn. Er ist unser Freund.« »Weißt du das genau, Sandobal?« fragte der Bandit mißtrauisch. »Si, si! Sein Steckbrief hängt in der Stadt. Drei Gringos suchen nach ihm. Zwei tragen einen Marshalstern. Der dritte ist der Bruder von einem Marshal, der Cash Murdock heißt.«
Johnny zuckte zusammen. Sandobal bemerkte es und lachte auf. »Keine Sorge, Amigo. Der Bruder heißt Robert Murdock. Die beiden anderen heißen Brody und Cagney. O ja, ich hab ein verdammt gutes Gedächtnis, ich vergesse keine Namen.« Die Mexikaner grinsten breit. Sie waren gefährlich, aber sie zeigten keine Feindseligkeit mehr. Sandobal kam heran und schlug Johnny auf die Schulter. »Du bist in Ordnung, Amigo! Ihr kommt mit uns.« Kurze Zeit später saßen Juanita und Johnny im Sattel und ritten mit den Bandoleros durch die zerklüfteten Täler. Johnny begriff, daß er mitmachen mußte. Das war seine einzige Chance. *** Gitarren erklangen hart und im heißen Rhythmus. Herdrauch verwehte über den Hütten. Im Tal tanzten mexikanische Banditen mit jungen Mexikanerinnen. Kinder ahmten den Tanz nach. Hunde liefen kläffend umher. Feuer loderten hoch empor. Mescal gluckste in Tonkrügen. Sandobals Leute feierten wieder einmal. Einen Grund gab es immer dafür. Johnny saß mit Juanita vor einer der Hütten. Ein Sonnenschutzdach aus Maisstroh fing die Tageshitze ab. »Sie sind sehr fröhlich«, flüsterte Juanita. »Sie sind Banditen, aber sie können lachen, Johnny. Wollen wir nicht auch tanzen?« Er zögerte. Die Welt der mexikanischen Banditen war ihm fremd. Aber in der Zona Libre war er vor den Verfolgern sicher. Sein Gesicht entspannte sich. Er nickte und sprang auf. Sie liefen unter die hohen Palmen am Wasserloch und mischten sich unter die Tanzenden.
Sandobal hockte abseits im Schatten und trank. Mescal lief am Hals hinunter. Er lachte und winkte Johnny zu. Dann rief er einen der Banditen heran. »Nimm das Maultier, Amigo, und reite in die Stadt. Beobachte die Gringos mit dem Blechstern. Komm zurück, wenn irgend etwas geschieht!« »Si, Patron.« Der Bandit lief davon, schwang sich auf das Maultier und verließ das Tal. Sandobal trank weiter. Er beherrschte alle Banditen im Tal und fühlte sich auch wie ein Herrscher. Er hatte Besitz von Johnny und seinem Mädchen ergriffen, und ohne seine Einwilligung konnten beide das Tal nicht verlassen. Während des Tanzes beobachtete Johnny die Mexikaner und starrte unauffällig auf die Talhänge. Oben auf den Felsklippen hockten drei Banditen und wachten mit Gewehren. Von dort oben aus konnten sie weit über das Land blicken. Der Abend brach herein. Rot leuchteten die Feuer durch die Dämmerung. Der Tanz war vorbei. Die Gitarren erklangen leise und wehmütig. Überall lagen die Mexikaner mit ihren Frauen und Mädchen herum. Die Kinder spielten mit den struppigen Hunden. Ein lauer Wind fächelte durch das Tal der Gesetzlosen. Johnny war mit Juanita zur Hütte zurückgegangen. Sie saßen an einem kleinen Tisch im Raum und sahen, wie Sandobal hereinkam. Er war betrunken, doch er ging erstaunlich sicher und hielt sich aufrecht wie immer. »Wir werden sie alle töten, Amigo«, sagte er schleppend und grinste. »Wer dich sucht, wird in der Hölle schmoren!« Er trank aus dem Krug und beugte sich über den Tisch. »Glaubst du mir das, Hombre?« »Ja.« »Du bist in Ordnung. Du bist ein guter Hombre. Du liebst eine Mexikanerin. Das ist gut. Die anderen Gringos nehmen
unsere Mädchen, aber sie lieben die Muchachas nicht. Ich hasse sie alle!« Singend ging er hinaus. »Wir können nicht ewig hierbleiben, Juanita«, flüsterte Johnny. »Wenn wir nicht bald aufbrechen, dann geraten wir in Oregon mitten in den Winter hinein.« »Es ist schön hier«, raunte Juanita. »Die Palmen, die Feuer und der warme Wind – ich werde das alles vermissen, Johnny, aber ich gehe mit dir, wohin auch immer. Sandobal wird uns nicht gehen lassen. Ich glaube, er hat dich gern.« »Nur, weil er glaubt, ich hätte getötet und wäre ein Bandit. Ich will aber kein Bandit werden, Juanita!« Draußen ertönten warnende Rufe. Die Wachposten hatten einen Reiter entdeckt. Johnny trat aus der Hütte. Im Tal war es schlagartig still. Mexikaner waren aus dem Tal geritten. Sandobal stand drüben an einem Feuer und starrte zum Talausgang. Der riesige Sombrero beschattete sein Gesicht. Dann kam ein Reiter zurück und hielt etwas in der Hand. Vor Sandobal stieg er ab und reichte ihm das Stück Papier. »Bleib hier, Juanita.« Johnny ließ sie allein, ging langsam zum Feuer und verharrte außerhalb des Flammenscheins. »Bringt ihn her!« befahl Sandobal. Der Mexikaner ritt wieder davon. Gleich darauf tauchten die Mexikaner mit einem Fremden im Tal auf. Sie flankierten ihn und hatten ihn entwaffnet. Johnny kannte den Mann nicht. Es war ein Amerikaner. Er trug schwarze Kleidung. Staub haftete daran wie Mehl. Silberstücke glänzten im ersten Sternenlicht. Sandobal starrte dem Amerikaner mißtrauisch entgegen. Er bemerkte Johnny und winkte ihn zu sich. »Er ist ein Gringo wie du, Hombre. Kennst du ihn?« »Nein.« »Die Compadres haben diesen Steckbrief bei ihm gefunden.«
Sandobal reichte Johnny den alten Steckbrief. Johnny hielt ihn in den Flammenschein und betrachtete ihn. »Montana heißt er, Sandobal«, murmelte er. »Er wird wegen Raub und Mord gesucht. Ein Wunder, daß er noch nicht erwischt worden ist. Der Steckbrief ist ziemlich alt.« »Du sagst es!« knurrte Sandobal. »Geh weg. Er soll dich noch nicht sehen...« Verwundert trat Johnny zurück. Montana wurde zum Feuer gebracht. Lässig stieg er vom Pferd. Seine dunklen Augen blickten Sandobal ruhig an. »Du bist auf der Flucht, Amerikano?« Sandobal warf ihm den Steckbrief vor die Stiefel. »Wie hast du unser Tal gefunden?« »Es war Zufall«, murmelte Montana. »Kann ich bleiben?« »Ja, wenn du dich ruhig verhältst, Gringo. Bleib hier stehen!« Sandobal ging davon und sprach mit den Mexikanern, die Montana ins Tal gebracht hatten. Der Kopfgeldjäger wartete reglos. Er war ein eiskalter Mann, der sein Leben riskierte, nur um eine hohe Kopfprämie einzukassieren. Er war den mexikanischen Banditen gefolgt und hatte sich bereits seit Stunden in der Nähe des Tals aufgehalten. Jetzt kam Sandobal zurück und gab ihm seine Waffen. »Bueno, du kannst bleiben, Gringo.« »Gracias«, sagte Montana und lächelte flüchtig. »Ich will nach Mexiko. Der Boden ist mir hier zu heiß geworden.« Er hob den Steckbrief auf und schob ihn in die Jackentasche. »Hombre!« rief Sandobal über die Schulter hinweg. Er hörte, wie Johnny näherkam. Unablässig beobachtete er Montana. Johnny trat in den Flammenschein hinein. Montana starrte an Sandobal vorbei. Als er Johnny erblickte, zeigte er keine Überraschung – denn er hatte ihn bereits gesehen, als es noch hellichter Tag gewesen war. Nichts in
seinem Gesicht verriet etwas von seinen schlimmen Gefühlen. Er lächelte sogar und nickte Johnny freundschaftlich zu. »Ein Amerikano wie ich, mein Freund«, sagte er zu Sandobal. »Morgen reden wir weiter.« Dann ging Sandobal davon, wedelte mit der Rechten und gab seinem Komplizen das Zeichen, die beiden Amerikaner alleinzulassen. »Wie heißt du?« fragte Montana Johnny. »Namen sind unwichtig«, entgegnete Johnny und ließ ihn stehen, ging zur Hütte zurück und trat ein. In Montanas dunklen Augen glühte es unheilvoll auf. Er setzte sich in Bewegung, zog sein Pferd hinter sich her und suchte die Nachbarhütte auf. Weit abseits hockte der Bandit Sandobal auf einem flachen Felsen und blickte nach den beiden Hütten hinüber. Um seinen Mund lag ein gefrorenes Grinsen… *** Im Tal fing sich der Wind. Es hörte sich wie das Winseln eines Hundes an. Schatten von Wolken wanderten lautlos über die Hütten hinweg. An der dunklen Talwand saßen wachende Banditen und starrten in die Ferne. Sie achteten nicht darauf, was im Tal geschah. Langsam wurde eine Hüttentür geöffnet. Das schweißglänzende Gesicht des Kopfgeldjägers erschien im bleichen Mondlicht. Lauernd blickte er ins Tal. Die Hand lag auf dem Colt. Geräuschlos schob er sich ins Freie und blieb hart an der Hüttenwand stehen. Das schmale Schattenfeld verbarg ihn. Die Lagerfeuer glühten nur mehr schwach. Asche wirbelte durchs Tal. Im Hintergrund standen die Pferde der Mexikaner. Niemand war vor den Hütten zu sehen. Montana glitt weiter. Mordlust war in seinem Herzen.
Gnadenlos wollte er Johnny Darkney erschießen. Er glaubte, daß sein Steckbrief alle Bandoleros davon überzeugen würde, daß er ein Bandit wäre, und er war sich sicher, daß sie nicht auf ihn schießen würden. Bis zur Nachbarhütte waren es nur zehn Yard. Unablässig beobachtete er die Wachposten am Talrand. Sie kehrten dem Tal den Rücken, denn die Gefahr für sie konnte nur von außen kommen. Für einen kurzen Augenblick hatte Montana auch die blutjunge Mexikanerin gesehen. Er war entschlossen, auch sie zu erschießen, wenn es sein müßte. Geduckt und lautlos glitt der Menschenjäger zur Hütte hinüber und blieb stehen. In der Hütte bewegte sich nichts. Johnny und Juanita schliefen. Keine der Hüttentüren ließ sich abschließen. Draußen stand der Tod. Johnny hatte Alpträume. Er wälzte sich auf den Bauch und grub das Gesicht zwischen die angewinkelten Arme. Juanita schlief tief und fest. Sie fühlte sich in diesem Tal sicher. Jahrelang hatte sie unter Banditen gelebt – fern in einem anderen Tal, wo Ryan und dessen Banditen einen wilden Tod gefunden hatten. Draußen kratzte es schwach. Die Tür wurde zu einem Spalt aufgezogen. Sternenlicht fiel herein. Kalte Augen starrten auf die schlafenden jungen Menschen. Montana hielt den schweren Colt in der Rechten und betrat lautlos die Hütte. Langsam richtete er die Waffe auf Johnnys Rücken. Dann drückte er ab – doch kein Schuß krachte. Hinter ihm wurde die Tür aufgerissen. Sandobal und zwei Banditen standen breitbeinig im Mondlicht und hatten ihre Waffen bereits auf Montana gerichtet. Sandobal grinste breit und triumphierend.
»Meine Compadres haben Patronen in deinen Colt getan, die nicht mehr losgehen können, Americano!« Der Menschenjäger war erstarrt. Er war Sandobal in die Falle gegangen. Johnny und Juanita hockten wach vor Montana. Johnny begriff nicht sofort, was geschehen war. »Holt ihn raus!« fauchte Sandobal in jäher Wut. »Fesselt ihn!« Die Banditen warfen sich auf Montana und rissen ihn nieder. Sie zerrten den halbbewußtlosen Menschenjäger aus der Hütte und schnürten ihn zusammen. Lächelnd stand Sandobal am Tisch. »Ich hatte diesen Gringo in der Stadt beobachtet«, sagte er. »Ich sah, wie er in das Sheriffs-Office ging. Ich frage dich, Hombre – geht ein steckbrieflich gesuchter Bandolero in das Office eines Sheriffs? Nein, mein Freund. Dieser Montana wollte dich umbringen. Ich hab es geahnt. Ich wollte nur noch wissen, ob ihr beide nicht zusammengehört.« Lachend ging er hinaus und warf die Tür zu. Johnny saß noch lange wach. Sandobals Mißtrauen hatte ihm zweifellos das Leben gerettet – und das bewies auch, wie gefährlich und wachsam der mexikanische Bandenführer war. In dieser Nacht hatte Johnny hinzulernen müssen. Es gab also Kopfgeldjäger, die sich mittels eines falschen Steckbriefes das Vertrauen der Banditen erschleichen wollten. Er mußte höllisch aufpassen. Montana war in dieses Tal gekommen. Bald konnten auch andere Männer kommen und Jagd auf ihn machen. Langsam legte er sich zurück und blickte Juanita an. Weich streichelte sie sein Gesicht. Sie konnte nicht mehr glücklich lächeln... ***
Am Morgen rissen Stimmen beide aus dem Schlaf. Johnny sprang auf und öffnete die Tür. Mehrere Feuer loderten. Mitten im Tal kauerte Montana. Er war an Händen und Beinen gefesselt. Sporenrasselnd gingen Mexikaner umher. Kinder scharten sich zusammen – und verfolgten die Vorbereitungen. Sandobal näherte sich der Hütte. Breites Grinsen lag auf dem dunkelhäutigen Gesicht. »Hombre, er wollte dich töten! Jetzt wirst du es tun!« Johnny atmete flach und gepreßt. Hartnäckig schüttelte er den Kopf. »Ich erschieße keinen Wehrlosen, Sandobal! Und wenn er hundertmal ein dreckiger Kojote ist.« »Oh, Freund, er wird nicht wehrlos sein! Er bekommt seinen Colt und einen Schuß Munition. Ihr werdet aufeinander losgehen. Du wirst es mit ihm ausschießen, Hombre. Auf deinem Steckbrief in Lordsburg steht, daß du höllisch schnell mit der Kanone bist. Das will ich sehen, Amigo!« Johnny schluckte trocken. Dieses teuflische Spiel gefiel ihm nicht – aber er konnte seinen Groll auf den heimtückischen Menschenjäger auch nicht unterdrücken. Montana hätte auch Juanita erschossen. Darum nickte Johnny. »Ich bin bereit, Sandobal!« »Auch du bekommst nur eine Patrone, Hombre. Schieß nicht vorbei! Ich will, daß du weiterlebst.« »Das weiß man nie vorher. Wenn er mich erschießt, dann sorg für Juanita.« »Was redest du da für einen Unsinn, Amigo? Du wirst siegen! Ich will das!« Sandobal tat so, als könnte er jedem Menschen seinen Willen aufzwingen, als wäre er der Herr über alle Menschen und über Leben und Tod. Ein gefährlicher Bravado, den Johnny nicht unterschätzen durfte. Und dem er niemals vertrauen durfte. Mit verkniffenen Augen blickte Johnny zu Montana hinüber. Der Menschenjäger kauerte gefesselt zwischen zwei Feuern
und wurde von den Kindern der Banditen umringt und begafft. Sie berührten sein Haar, seine Kleidung – und sie spien vor ihm aus. Juanita umfaßte mit beiden Händen Johnnys Linke. »Sei vorsichtig, Johnny«, flehte sie. »Dieser Montana ist gefährlich! Er wird heimtückische Tricks versuchen!« Sandobal hatte ihre Worte gehört. Gespielt kameradschaftlich klopfte er Johnny auf die Schulter und lachte laut auf. »Schreib mit seinem Blut in den Staub, Johnny!« Sporenklirrend ging Sandobal davon. Die Kinder liefen ihm nach und schrien. Von allen Seiten kamen die Bandoleros näher. Oben am Talrand stießen die Posten Rufe aus. Sandobal scheuchte die Kinder weg und blieb breitbeinig stehen, blickte dem Komplizen entgegen und stemmte die Fäuste gegen die Hüften. Der Mexikaner, den er nach Lordsburg geschickt hatte, kam bereits zurück, schwang sich vom röhrenden Maultier und meldete seine Beobachtungen. Sandobal winkte Johnny zu sich. Johnny schlenderte zu ihm. Grinsend verriet Sandobal: »Die Gringo Marshals sind aus der Stadt geritten, Hombre! Mein Freund wollte in die Stadt. Da kamen sie ihm schon entgegen. Drei Reiter. Der eine ritt allein weiter. Die Marshals sind nach Westen geritten. Sie suchen wie Bluthunde. Wenn sie in die Nähe unseres Tals kommen, dann erschießen wir sie. Du siehst, wir tun alles für einen Freund wie dich.« »Gracias«, sagte Johnny spröde und machte ein ausdrucksloses Gesicht. Immer unbändiger wurde sein Verlangen, mit Juanita aufzubrechen und nach Norden zu reiten, nach Oregon. Um wenigstens die Banditen zu beeindrucken, mußte er zunächst gegen Montana kämpfen. Freiheit – das war Johnnys höchstes Ziel. Dafür wollte er Opfer bringen.
Düster blickte er zu Montana hinüber und biß die Zähne zusammen. Er mußte dieses teuflische Duell gewinnen. Nur eine einzige Kugel konnten er und Montana abfeuern. Wenn sie einander verfehlten, wenn sie beide unverletzt blieben und überlebten, dann würde Sandobal sich bestimmt was Neues einfallen lassen und sie beide wieder wie Kampfhähne aufeinander hetzen. Da Johnny wußte, daß Montana ihn zu töten versuchen würde, war er entschlossen, den Kopfgeldjäger nicht zu verschonen. Zwei Banditen lösten jetzt Montanas Fesseln und traten zurück. Ein dritter Bandit warf ihm den Colt vor die Füße. Lächelnd wandte Sandobal sich an Johnny. »Deine Kanone, Hombre...« Johnny reichte ihm die Waffe. Sandobal zog die Patronen aus den Kammern und ließ eine in der Trommel stecken. Sorgfältig drehte Johnny die Trommel, stieß den Colt in das Halfter zurück und blickte zu Juanita hinüber, die vor der Hütte stand. »Du schießt linkshändig, Hombre?« »Jeder so, wie er am besten kann.« »Bueno, Hombre. Ich will dir eine kleine Chance geben. Du wirst die aufsteigende Sonne im Rücken haben.« »Das ist nicht fair gegenüber Montana, Sandobal. Wir sollten warten, bis die Sonne hoch oben steht.« »Widersprich nicht, Amigo!« fauchte Sandobal wütend. »Ich will, daß jetzt geschossen wird, verstanden?« Da nickte Johnny schweigend und blieb stehen. Hinter ihm stieg die Sonne empor und warf ihren hellen Schein über den Talrand. Sein junges Gesicht verhärtete sich. Die blauen Augen bekamen wieder diesen ganz frostigen Glanz. Sandobal ging grinsend durch das Tal und erreichte Montana. Er sagte irgend etwas zu ihm. Montana schwieg, verharrte aufrecht und überprüfte den Colt.
»Wenn du ihn erschießt, kannst du das Tal verlassen«, versicherte Sandobal. »Darauf hast du mein Wort.« Sandobal log nicht. Er verriet aber auch nicht, daß seine Companeros am Talrand lauern und Montana abseits des Tals zusammenschießen würden. »Bist du bereit, Gringo?« fragte er. Montana nickte. Sein Gesicht war aschgrau und hart wie Stein. Er zog die buschigen schwarzen Augenbrauen zusammen und starrte zu Johnny hinüber. Die Mexikaner stellten sich rechts und links der Schußbahn auf. Sie zogen ihre Waffen. Sandobal rieb sich mit dem Coltlauf die Narbe auf der Stirn. Das lange schwarze Haar flatterte im Morgenwind. Er und seine Leute waren bereit, sofort auf Montana zu schießen, sollte der Kopfgeldjäger versuchen, ihn, Sandobal, abzuknallen. Langsam ging Johnny zum Feuer, blieb stehen und blickte in Montanas Gesicht. Etwa dreißig Meter trennten beide voneinander. »Adelante!« schrie Sandobal. Totenstille folgte dem Echo seiner Stimme. Nur das Knacken und Fauchen der Feuer war zu hören. Die Banditen und ihr Frauen und Kinder warteten angespannt. Am Talrand wachten die Posten und blickten immer wieder ins Tal. Juanita krampfte die Hände zusammen und preßte sie gegen die Brust. Ihr Mund war zu einem lautlosen Schrei geöffnet. Das grelle Sonnenlicht erhellte das Tal. Lang fiel Johnnys Schatten auf den Boden. Jetzt setzte Montana sich in Bewegung. Auch Johnny ging los. Plötzlich blendeten ihn die großen silbernen Knöpfe an der schwarzen Kleidung des Menschenjägers. Sie waren wie Spiegel und reflektierten das grelle Sonnenlicht. Johnny kniff die Augen zusammen. Immer wieder zuckten die hellen Reflexe herüber. Seine Augen schmerzten. Er konnte
Montana kaum erkennen, hörte dessen Sporen klirren, sah in die grellen Lichtblitze hinein. Daran hatte Sandobal nicht gedacht. Zynisches und bösartiges Grinsen huschte über Montanas Gesicht. Er stand jetzt still und bewegte nur schwach den Oberkörper. Johnny war geblendet. Die Reflexe verbargen seinen Todfeind. Dennoch starrte er unentwegt zu Montana hinüber. Sandobal fluchte unterdrückt. »Der Hombre kann nichts sehen, caramba! Ich verdammter Dummkopf!« In Montanas Augen war der Tod. Immer hatte er Banditen gejagt und grausam zusammengeschossen – niemals hatte er einen der steckbrieflich gesuchten Gesetzlosen lebendig abgeliefert. Auch jetzt wollte er töten. »Sandobal«, schrie er, »ich hab dein Wort!« »Si!« schrie der Bandit heiser. Für Johnny war es schlimm. Eisern hielt er durch. Die Augen röteten sich und tränten. Die hellen Reflexe zuckten über sein Gesicht. Abwechselnd reflektierten die silbernen Knöpfe. Er mußte aus diesem tödlichen Lichtwinkel heraus. Unmerklich spannte er alle Muskeln und Sehnen an – dann warf er sich zur Seite. Nichts blendete ihn mehr. Montana zog den Colt und wollte abdrücken. Da feuerte Johnny. Der schwere Colt in der Linken qualmte. Montana schlug um und blieb reglos liegen. Die Mexikaner schrien, johlten und rannten heran. Sie umringten Johnny, schlugen ihm auf die Schultern und hoben ihn hoch. Sie trugen ihn begeistert durch das Tal und zu ihrem Anführer. Hier setzten sie ihn ab. Sandobal umarmte Johnny. »Magnifico! Großartig, Hombre! Du schießt verteufelt schnell und genau. Von wem hast du das gelernt?« »Von einem Mann, der Ryan hieß.« »Ah, der Bandit.« Sandobal zog ihn an sich und verhehlte nicht seine Bewunderung. »Du schießt schneller als wir alle zusammen, mein Freund. Du wirst mein Leibwächter sein!«
Johnny lächelte flüchtig und ernst. Er drehte sich um und sah Juanita entgegen. Sie hastete heran und warf sich in seine Arme. Sandobal lachte. »Ihr gehört zu uns! Wir werden ein Fest feiern, heute abend!« Langsam entfernten Johnny und Juanita sich und suchten wieder die Hütte auf. Kurz danach brachte ein Mexikaner Johnnys Munition in die Hütte und ging sofort wieder. »Heute abend«, flüsterte Johnny. »Dann müssen wir fliehen, Juanita! Ich muß mit den Bandoleros feiern. Du wirst unsere Pferde zum Talausgang bringen, wenn sie alle betrunken sind. Aber paß auf, daß dich die Wachposten nicht entdecken. Nimm genug Proviant mit.« »Ich habe schreckliche Angst, Johnny! Sandobal wird uns beide erschießen lassen, wenn er uns erwischt!« »Wir müssen schneller sein als er, Juanita.« »Das sagst du so, Johnny!« »Du wirst mein Pferd am Talausgang zurücklassen. Reite voraus. Die Posten werden dich entdecken und Alarm schlagen. Dann kann ich mich davonmachen.« Sie schloß die Augen und lehnte sich an ihn. Er küßte sie und legte die Arme um sie. »Denk an Oregon, Juanita...« *** Die Lagerfeuer loderten und warfen ihren orangefarbenen Flammenschein gegen die heranrückende Dämmerung. Lärmend hockten die mexikanischen Banditen an den Feuern und tranken Whisky und Mescal. Junge Burschen spielten Gitarre. Unter den Palmen wurde getanzt. Krüge mit Mescal machten die Runde. Schwankend ging Johnny umher. Er trank und ließ den Whisky aus dem Mund laufen. Seine Hemdbrust war völlig
durchnäßt. Wie betrunken fiel er neben Sandobal auf die Knie und lallte. Sandobal grinste und schlug ihm auf den Rücken. Johnny fiel hin, und Sandobal goß ihm Whisky übers Gesicht, stöhnend kroch Johnny, weg und aus dem Feuerschein. Abseits richtete er sich halb auf und war plötzlich stocknüchtern. Suchend spähte er umher, blickte nach den Hütten, die in der Dämmerung kaum zu erkennen waren. Juanita hatte ein Talglicht auf den Tisch in der Hütte gestellt. Der flackernde Schein war das Zeichen dafür, daß sie die Hütte verlassen hatte. Oben am Talrand hoben sich die Posten undeutlich ab. Noch war das Licht der Sterne nicht hell genug, und auch der Mond war noch nicht am Himmel. Der Lärm der Banditen übertönte jedes andere Geräusch. Johnny durfte nicht von den Frauen und Kindern entdeckt werden. Er glitt durch die Dämmerung und näherte sich dem Talausgang. Ganz tief geduckt schlich er von einem Felsen zum anderen, verharrte hinter Gestrüpp und Bäumen, lief dann weiter. An den Feuern tranken die Mexikaner, grölten und lachten. Sandobal schwankte umher und suchte nach Johnny. Jetzt zählte jede Sekunde und entschied über Leben und Tod – und Johnny hetzte weiter, entdeckte sein Pferd und packte den Zügel. Im Galopp jagte Juanita aus dem Tal. Die Posten gaben Alarmschüsse ab. An den Feuern fuhren die Banditen wie von Taranteln gebissen hoch und schwankten. Sandobal schrie und scheuchte die Banditen zu den Pferden, doch die Mexikaner waren betrunken, stolperten und fielen, taumelten umher und verloren viel Zeit. Entschlossen warf Johnny sich in den Sattel, trieb sein Pferd an und folgte Juanita. Sie war schon aus dem Tal gejagt, wartete draußen zwischen den hohen Felsen und winkte voller Angst.
Im halsbrecherischen Galopp ritt Johnny an den hohen Felsklippen vorbei. Oberhalb von ihm standen die Posten und schossen. Kugeln klatschten gegen die Felsen. Querschläger jaulten umher. Aus dem Tal tönte die schrille und heisere Stimme des Banditen Sandobal. »Hombre! Du verfluchter...« Schüsse übertönten die haßerfüllten Worte. Johnny wollte nicht auf die Posten schießen, doch er mußte es tun, wollte er lebend aus dem Tal kommen. Er jagte mehrere Schüsse empor. Da traf eine Kugel sein Pferd. Er ließ sich fallen, und schon überschlug das Pferd sich und blieb liegen. Er riß die Satteltaschen herunter und rannte durch den kalten Staub. Juanita raste ihm entgegen. Er zerrte sich auf das Pferd – und sie ritten in wilder Flucht davon. Schießend brachen die Banditen aus dem Tal hervor. Eine wilde Meute hetzte die beiden jungen Menschen. Gewehrschüsse peitschten durch die Nacht. Die Kugeln trafen nicht. In ihrem betrunkenen Zustand konnten die Bandoleros nicht gut zielen. Nur Zufallsschüsse konnten Johnny und sein Mädchen treffen. Das Pferd mußte beide tragen. Lange würde es diesen scharfen Ritt nicht durchstehen. Johnny stieß den Colt zurück und langte um Juanita herum, packte die Zügel und lenkte das Pferd nach Nordwesten. Die Verfolger schwärmten aus... *** Langsam trottete das abgetriebene Pferd keuchend durch den Sand. Der Wind täuschte ferne Stimmen vor. Aus dem Staub ragten die vielen Ruinen einer verlassenen Geisterstadt empor. Zerfallen waren die Adobehäuser, verödet die Höfe. Dornige
Comasträucher standen mitten auf der Straße. Holztüren knarrten im Morgenwind. Das Frühlicht lag auf der Totenstadt. Scharf und klar zeichneten sich die Konturen der Häuser und Hütten ab. Der Himmel färbte sich rot und gelb. Noch war es kühl. Wüstenmäuse schnellten vor dem Pferd davon. Johnny lenkte das Pferd durch die Stadt. Zitternd saß Juanita vor ihm. Immer, wenn die Türen schlugen, zuckte sie heftig zusammen. Sie hatte Angst vor den Seelen der Toten. Der Wind wurde stärker und warf Flugsand auf ihre Spur. In der Geisterstadt wimmerte und winselte es, als würden in den dunklen Kellern Menschen gequält werden. Sie wußten nicht, daß diese Stadt von allen Menschen gemieden wurde. Der Aberglaube ließ die Menschen an schaurige Dinge denken. Irgendwann vor vielen Jahrzehnten hatten spanische Söldner die ganze Einwohnerschaft ausgerottet. Mitten in der Stadt befand sich die Plaza. Hier stand das größte Haus. Über dem Eingang war damals beim Bau das Wort Cantina in den weichen Lehm gedrückt worden. Noch heute war es zu erkennen, obwohl der Lehmputz an vielen Stellen abgebröckelt war. Vor dieser ehemaligen Cantina hielt Johnny an, rutschte vom Pferd und half Juanita aus dem Sattel. Wie verloren standen sie mitten in der toten Stadt. Nichts als Wüstensand, Felsen und Comas umgaben die Stadt. Mit gezogenem Colt betrat Johnny die Cantina. Auf dem Lehmboden lag die zertrümmerte Einrichtung, halb vom Flugsand begraben. Vor dem Tresen lag das zundertrockene Skelett eines Menschen. Die Knochenhand hielt noch ein Stück von einem zerbrochenen Krug. Durch die klaffenden Fugen und durch das Dach winselte der Wind.
Tastend setzte Johnny die Füße voran. Er stieß gegen einen Hocker. Der Hocker fiel um. Das Skelett vor dem Tresen brach auseinander... Mit steingrauem Gesicht verließ Johnny die Cantina. Tief atmete er draußen die frische Morgenluft ein. »Hier lebt niemand mehr, Juanita«, flüsterte er. »Hier gibt es keinen Menschen und kein Wasser.« Drüben ragte die Ruine der Kathedrale empor. Der Glockenturm war noch erhalten geblieben. Johnny nahm Juanitas Hand. Sie gingen über die sandige Plaza und in den Schatten des Turms. Eine Steintreppe führte empor. Vorsichtig stiegen sie nach oben. Auf der Treppe lag wieder ein Skelett. Eine spanische Lanze steckte noch zwischen den Rippen. Schaudernd stieg Juanita über das Skelett hinweg. Sie erreichten die Turmspitze. Die Glocke war verschwunden. Von hier oben aus hatten sie einen weiten Blick. »Da sind sie!« hauchte Juanita. Weit abseits der Geisterstadt hatten sich mehrere Verfolger zusammengerottet. Wenn Johnny sich nicht täuschte, dann war einer der Reiter Sandobal. »Sie kommen nicht näher«, raunte er. »Sie fürchten sich vor der Totenstadt.« Diese Erkenntnis war kein Trost – denn in dieser Stadt konnten sie nicht bleiben. Ihr Pferd brauchte eine längere Rast. Sie mußten bis zum Abend ausharren. Jetzt ritten die Banditen auseinander. Zu zweit schwärmten sie aus. Weit abseits der Stadt stiegen sie von den Pferden. Sie hatten die Totenstadt umstellt. Erschöpft setzten Johnny und sein Mädchen sich auf den Steinboden. Der Wind wurde heiß. Die Sonne brannte. Der Sand gleißte überall. Unten schnaubte das Pferd. Johnny verlor allmählich den Glauben an das Gute. Alle Welt hatte sich gegen ihn verschworen. Man wollte ihn nicht in
Frieden lassen. Sogar seine Mutter hatte ihm nicht das Glück der Liebe gegönnt. Seine Herkunft war düster. Er wehrte sich dagegen, so zu werden wie sein Vater. Die menschliche Gesellschaft hatte ihn bereits zu einem Gesetzlosen gemacht, doch er wollte nicht so sein, wie die Menschen ihn sahen und abgestempelt hatten. Er war nie ein Bandit gewesen. Immer hatte er versucht, den guten Weg zu gehen. Das Schicksal war gegen ihn, und die Vergangenheit war wie ein böser Fluch. Er mußte gegen jeden und gegen alles ankämpfen! Und er war bereit dazu. Draußen lauerten Sandobal und seine wilden Bandoleros. Sandobal fühlte sich hintergangen, betrogen und verraten. Er konnte Johnny und Juanita nicht in Frieden gehen lassen. Er wollte ihr Leben! *** Glühend heiß ging der Tag dahin. Gedankenversunken hielt Johnny seine Satteltaschen auf den Knien. Er hockte unten am Glockenturm. Juanita war bei ihm. Das Pferd war getränkt worden; nur eine Handvoll Wasser hatte es bekommen können. Langsam zog Johnny ein altes abgegriffenes Buch aus der Satteltasche. Es hieß »Lady Angela«. Seine Mutter hatte es damals oft gelesen. Später, nachdem sie Johnny und seinen Vater verlassen hatte, hatte sie sich diesen Namen zugelegt, um unerkannt zu bleiben. Aber gerade dieser Name hatte Johnny seine Mutter finden lassen. Er blickte auf das alte Buch, legte den Hinterkopf gegen die Steinwand und schloß die Augen. Erinnerungen kamen ihm. Er hatte an seinen Vater geglaubt. Er hatte nicht gewußt, daß sein Vater ein Bandit gewesen und mit Ryans Bande geritten war. Eigentlich war nur sein Vater gut zu ihm gewesen. Doch der Glaube an ihn erlosch mehr und mehr, je länger er Juanita
kannte. Sie liebte ihn, sie hielt zu ihm und ertrug an seiner Seite die Strapazen dieser Flucht ins Ungewisse. Sie träumte auch mit ihm von Oregon. Er packte plötzlich das Buch und zerriß die Seiten, warf sie weg. Der Wind faßte unter die Papierfetzen und trieb sie aus der Geisterstadt. Sie blieben an den trockenen Coma- und Mesquitesträuchern haften. Lange starrte er aus der Stadt. Auf einmal kam ihm ein rettender Gedanke. Noch hielt er das zerfetzte Buch in den Händen. Jäh richtete er sich auf. Fragend blickte Juanita ihn an. »Der Wind treibt die Blätter aus der Stadt, Liebling«, flüsterte er. »Siehst du es? Jetzt fliegt das Papier weiter. Da draußen ist alles vertrocknet und dürr. Dort warten die Bandoleros auf uns!« Sie wußte nicht, was er meinte und was er vorhatte. Er hielt das Buch wie einen Schatz fest. Nirgendwo sonst in dieser Stadt gab es Papier. Er drückte Juanita das Buch in die Hände und lief dann umher, sammelte trockenes Gras und Holz zusammen und schichtete es neben dem Glockenturm auf. Dann brach er eine Patrone auf und schüttete das Pulver auf das Gras. Schon kroch die Abenddämmerung näher. Draußen war es totenstill. Der Wind trieb den Staub durch die leeren Häuser und über die Ruinen hinweg. Johnny zog seinen Colt, hielt die Mündung dicht an das ausgestreute Pulver und drückte ab. Die Mündungsflammme entzündete das Pulver. Gras und Holz begannen zu brennen. »Das Buch, Juanita!« Er riß die Seiten einzeln heraus, hielt sie kurz in die Flammen und ließ sie vom Wind treiben. Sie wirbelten brennend aus der Stadt und fielen weit abseits zwischen die Sträucher. Überall zuckten Flammen hoch. Manche Blätter wurden vom Wind noch viel weiter
hinausgetragen und steckten die Sträucher jenseits der Bodenwellen in Brand. Rauch wallte auf. Vor der Totenstadt loderten überall Flammen. Brennende Sträucher rollten davon. Funken breiteten das Feuer aus. »Komm, Juanita!« Sie stiegen auf das ausgeruhte Pferd. Johnny ritt auf Feuer und Rauch zu. »Die Bandoleros werden glauben, daß wir die Stadt zur anderen Seite hin verlassen, Juanita! Wir müssen durch das Feuer hindurch!« Sie schlang zitternd die Arme um ihn und hielt sich an ihm fest. Hart peitschte er das Pferd um die brennenden Sträucher. Qualm hüllte sie ein. Schrill wiehernd tobte das Pferd durch die Senken. Gewaltsam zwang Johnny es vorwärts. Beißender Rauch erstickte fast ihren Atem. Jäh stießen sie aus dem Qualm hervor. Zwei Reiter tauchten vor ihnen auf. Bevor die Bandoleros abdrücken konnten, feuerte Johnny – und die Pferde rasten ohne Reiter davon. Im Galopp ritten zwei junge Menschen in die Dämmerung hinein. Hinter ihnen brannte es. Heisere Stimmen durchdrangen die Dämmerung und den Rauch. Die Mexikaner verloren viel Zeit. Erst, als sie die beiden leblosen Komplizen entdeckten, wußten sie, daß Johnny mit seinem Mädchen entkommen war. Die Menschenjagd ging weiter. *** Eine Hütte in den Bergen wurde ihr Versteck. Noch hatten sie Zona Libre nicht verlassen. Unterhalb der Hütte befand sich ein Wasserloch zwischen den Felsen. Die allabendliche feuchte Ausstrahlung hatte ein
kleines Paradies entstehen lassen. Es gab grüne dichte Bäume und Sträucher, und das Gras war gut für ihr Pferd. Zwei Tage waren nun vergangen. Tage der Ruhe, aber auch des ewigen Zwangs zur Wachsamkeit. An diesem späten Abend ruhten sie in der Hütte. Sie hatten sich erholt und lebten glücklich in ihrer Zweisamkeit. Sandobal würde noch immer nach ihnen suchen. So schnell gab dieser Bandolero nicht auf. Plötzlich hörte Johnny ein dumpfes Geräusch. Im Nu war er auf den Beinen und hatte den Colt gepackt. Er spannte den Hahn und glitt zur Tür. Vorsichtig drückte er die Tür weiter auf. Unten bewegte sich nichts. Das Wasser glänzte silbern im Sternenlicht. Neben der Hütte stand das Pferd angeleint. Die Stille, die sonst das befreiende Gefühl des Friedens vermittelt hatte, verriet irgendwie Gefahr. Johnny konnte sich nicht helfen – er glaubte an Gefahr! Aber nichts geschah. Ein Wasserloch in dieser Bergwildnis zog fremde Reiter an. Wasser war selten. Vielleicht wußten viele Banditen von diesem Wasserloch. Doch Johnny hatte keine Spuren entdeckt gehabt. Hinter ihm raunte Juanita. Er machte eine warnende Handbewegung und ließ sie allein. Lautlos schlich er hinaus und kroch unter dem Bauch des Pferdes hindurch. Vielleicht waren Apachen in der Nähe. Oder die Tiere der Wildnis kamen zum Wasserloch. Schweiß rann über Johnnys Gesicht, und die Kiefermuskeln schmerzten vor Anspannung. Er hatte den Mund etwas geöffnet und horchte angestrengt. Totenstille. Aber er hatte sich nicht geirrt – dieses dumpfe leise Geräusch hatte es wirklich gegeben.
Langsam und geräuschlos entfernte er sich von der Hütte, glitt abwärts und näherte sich dem Wasserloch. Zweige schlugen über ihm zusammen. Juanita stand in der Hütte und starrte hinaus. Mondschein lag auf den Bergkuppen. Über dem Wasserloch wallte feuchter Dunst. Urplötzlich stand ein Mann in der Tür. Sie konnte nicht schreien. Das Entsetzen lähmte sie. Der Mann stand schwarz und unheimlich vor ihr und fing das Mondlicht ab. Sie sah nicht seine Gesichtszüge. Er hielt eine Winchester im Anschlag und bewegte sich kaum. »Wo ist Johnny?« murmelte er mit dunkler Stimme. Juanita war unfähig, zu antworten. »Du brauchst keine Angst zu haben«, sprach der Fremde leise. »Ich will Johnny nicht erschießen. Aber wenn er mich sieht, wird er durchdrehen und zu schießen beginnen, und dann müßte ich zurückschießen. Das will ich nicht. Du wirst ihn rufen, verstanden? Los, komm aus der Hütte!« Sie hatte keinen eigenen Willen mehr. Der Fremde zwang ihr seinen Willen auf und beherrschte sie. Wie hypnotisiert ging sie los, und der Fremde glitt von der Türschwelle und wich zur Seite aus. »Noch weiter!« befahl er. Sie gehorchte. Er drückte die Hüttentür zu und verbarg sich im Schlagschatten der Hütte. »Ruf ihn jetzt!« Sie atmete heftig. Gähnende Leere war in ihrem Körper. Sie hatte das Gefühl, keine Luft zu bekommen. »Los, ruf ihn!« herrschte der Fremde sie an. »Oder willst du, daß es zu einer blutigen Schießerei kommt?« »Wer – sind Sie?« stöhnte sie. Er war ein Amerikaner, doch er trug keinen Blechstern. Dennoch mußte er ein Menschenjäger sein. »Das hörst du später, Muchacha!« entgegnete er. »Ruf ihn jetzt endlich, verdammt!«
»Johnny!« schrie sie gellend. »Paß auf, hier...« Sie kam nicht weiter. Er packte sie und riß sie in die Deckung der Hüttenwand. »Damm’d!« fauchte er zornig. »Willst du, daß ich Johnny Darkney töte? Warum verlierst du deinen Verstand, Mädchen?« Sie zitterte und erschlaffte. Ohnmächtig rutschte sie aus seinem Arm und zu Boden. Unten am Wasserloch lag Johnny und stöhnte voller Sorge und Angst. Er hörte das schwache Echo im kleinen Tal und hielt den Colt so fest umschlossen, daß die Knöchel seiner Linken weiß wurden. »Johnny«, tönte eine sonore Stimme herunter, »deine Freundin ist bei mir. Ich will, daß du raufkommst. Ich muß mit dir reden!« »Sie wollen mich wie einen Hund abknallen!« schrie Johnny. »Sie sind auch so ein verdammter Kopfgeldjäger!« »Sei vernünftig, Johnny! Ich jage keinen Kopfprämien nach. Diese Drecksarbeit überlasse ich anderen. Ich muß mit dir reden, Johnny, gleich jetzt und hier, bevor es zu spät ist! Überall suchen sie nach dir. Tausend Dollar Kopfgeld sind ausgesetzt worden. Für diese Summe steigt jeder Lump in den Sattel.« »Wie heißen Sie?« »Das sag ich dir später. Ich will erst dein Gesicht sehen, wenn du mich ansiehst! Darauf kommt es mir an. Los, komm rauf. Du hättest sowieso keine Chance. Ich weiß, daß du deine Freundin niemals im Stich lassen wirst. Wenn ich ein Dreckskerl wäre, dann würde ich deine Freundin hier oben festhalten.« »Oh, verdammt!« stöhnte Johnny. »Ich weiß nicht, was ich machen soll! Wie soll ich ihm glauben!« »Hörst du, Johnny?« Wieder rief der Fremde. »Deine Freundin kommt zu sich. Sie war ohnmächtig geworden. Ohne Pferd könnt ihr nicht weiter. Überleg nicht zu lange, Johnny!«
»Lassen Sie erst Juanita frei, Fremder!« rief Johnny krächzend. »Eher glaub ich Ihnen nicht!« Der Fremde antwortete nicht, und Johnny kroch zitternd um die Bäume und richtete sich in der Deckung eines Stammes auf. Die Revolverhand haftete feucht am Colt. Plötzlich sah Johnny, wie Juanita den Hang herunterkam. Sie schwankte und stützte sich auf die Felsbrocken. »Bleib jetzt stehen, Juanita!« befahl der Fremde, »Johnny, komm jetzt rauf!« Langsam verließ Johnny die Deckung. Er tat es für Juanita. Ein schreckliches Gefühl war es, vor die Winchester des Fremden zu treten. Jeden Augenblick konnte der Fremde abdrücken und ihn erschießen. Das wäre noch nicht einmal Mord. Tot oder lebendig – so hieß es auf dem Steckbrief. Ein Gesetzloser hatte keine Recht mehr. Er war schlimmer dran als ein Tier. Johnny erreichte Juanita. Ihre Hände flatterten. Sie sah ihn gequält an. »Ich komm mit dir, Johnny!« »Bleib, Juanita! Du darfst nicht mitkommen.« Er stieg den Hang empor – und Juanita folge ihm gegen seinen Willen. Er konnte sie nicht zurückhalten. Langsam trat er auf den kleinen Platz vor der Hütte hinaus und sah das Falkengesicht des Fremden im Sternenlicht. Seine Augen weiteten sich. Er hielt den Colt gesenkt und starrte den Mann an. »Marshal Murdock?« flüsterte er. »Sie leben?« »Ich bin der Bruder des Marshals, Johnny. Robert Murdock. Ich kann nicht glauben, daß du meinen Bruder erschossen hast. Cash hatte mir geschrieben, bevor er umgebracht wurde. In diesem Brief steht Gutes über dich drin. Er hatte mit dem alten Stationsmann Brave gesprochen. Willst du diesen Brief lesen, Johnny?« Johnny sah ihn wie gebannt an. Robert Murdock hatte große Ähnlichkeit mit dem Bruder.
»Nein – wenn Sie mir das schon gesagt haben?« brachte er mühsam hervor. »Ich hab Ihren Bruder nicht erschossen, das schwöre ich, bei Gott! Glauben Sie mir?« »Ja.« Robert Murdock senkte die Winchester. »Hör zu, Johnny. Es gibt für dich nur einen einzigen Weg – du mußt dich stellen. Ich werde dich begleiten. Dieser Brief meines Bruders wird dich vor dem Galgen retten. Cash hatte es so gewollt. Er war mit dir unterwegs. Du mußt wissen, wer ihn erschossen hat. War es einer von der Ryanbande, Johnny?« Peitschende Schüsse übertönten Johnnys Antwort. Blei schlug gegen die Hütte. Robert Murdock machte einen wilden Sprung zur Seite und warf sich hinter einen Felsen. Johnny ließ sich fallen und riß dabei Juanita zu Boden. Wildes Gelächter hallte über das Tal. Sandobal war da! Kugeln klatschten in den Sand. Fontänen stiebten hoch. Wiehernd riß sich das Pferd los und raste hinter der Hütte den Hang empor. Blei zerfetzte das Holz der Hüttentür. Johnny und sein Mädchen rollten weg und zwischen die Felsen und Sträucher neben der Hütte. Murdocks Winchester knallte scharf. Der große hagere Mann feuerte auf die Bandoleros. Drei Banditen rollten abwärts. Jäh schnellte Robert Murdock hoch und warf sich nach vorn. Mit einem wahren Hechtsprung verschwand er unterhalb der Hütte im Gestrüpp. Die Bandoleros schossen wie verrückt in das Gestrüpp hinein. Johnny riß die Revolverhand hoch und zielte. Er war plötzlich eiskalt. Mit seinen siebzehn Jahren schoß er ruhig und sicher. Der Colt dröhnte und spuckte das Blei hoch über das Wasserloch hinweg. Ein Bandit brach zusammen, ein anderer kroch verwundet davon. »Bring dich in Sicherheit, Juanita!« rief Johnny, während es drüben krachte und die grellen Mündungsfeuer aufzuckten. »Los, lauf weg! Denk nicht an mich!«
Sie wollte nicht. Sie weinte und schrie. Da stieß er sie von sich und rannte abwärts. Kugeln umpfiffen ihn. Querschläger jaulten umher. Juanita flüchtete und folgte dem Pferd. Robert Murdock schoß pausenlos. Ständig änderte er seine Stellung und wechselte seinen Platz. Johnny ruckte hoch. Sein bleiches Gesicht kam zwischen dem Blätterdach hervor. Er sah Sandobal drüben zwischen den Felsklippen und zielte. Dicke Wolken von Pulverrauch hüllten Sandobal ein. Johnny zögerte und suchte nach Sandobal. Juanita hetzte noch immer den Hang empor, Bandoleros entdeckten das junge Mädchen und schossen. Aufschreiend stürzte Juanita zu Boden, kroch weiter und ließ sich am jenseitigen Hang abwärts rutschen. Plötzlich erblickte Johnny Robert Murdock. Mit todesverachtendem Mut rannte der Mann schräg vor dem Wasserloch entlang. Ein Bleigewitter prasselte in das kleine Tal. Murdock feuerte zurück. Drüben zwischen den Felsen erschien Sandobal, zuckte zusammen und stürzte rücklings zwischen die Sträucher. Zehn Schritt vom Wasserloch entfernt erwischte es den mutigen Robert Murdock. Er fiel... Johnny geriet in Panik. Grenzenlose Angst peitschte ihn aus dem Tal. Die Bandoleros entdeckten ihn nicht, denn sie starrten auf Robert Murdock. Und Johnny entkam. Zwischen den Hügelfalten sah er Juanita. Sie taumelte und schleppte sich zum Pferd. Er rannte hinterher, sah die blutende Wunde und stützte Juanita. Beide erreichten das Pferd. Er hob Juanita in den Sattel, zerrte die Gurte stramm und warf sich auf das Pferd. Sie ritten davon.
Hinter ihnen war es jetzt totenstill. *** Schlaff kippte Juanita zur Seite. In letzter Sekunde konnte Johnny sie auffangen. Er ritt zwischen die bizarren Felsen und zog sie vom Pferd. Vorsichtig legte er sie in den Sand. »Liebling!« stöhnte er. »Himmel, was ist mit dir!?« Ihre Augen waren trübe. Blut rann am Arm hinunter. Ein Stück Blei hatte den Arm aufgerissen. Er zerriß ihren Unterrock, machte Streifen daraus und verband sie notdürftig. Zitternd kauerte er bei ihr und küßte ihre blasse Stirn. »Du darfst nicht...« Er sprach nicht weiter und schüttelte verzweifelt den Kopf. »Nein, Johnny«, hauchte sie, »ich sterbe nicht. Ich bleib bei dir, ich – lasse dich nicht im Stich, niemals, Johnny.« Ihre unerschütterliche Liebe war das größte Geschenk für Johnny. Sie hielt fest zu ihm, auch in der schlimmsten Zeit. Und Johnny kamen die Tränen. Kalt war die Mondnacht. Kojoten kläfften auf staubigen Hügeln. Plötzlich sah Johnny, wie mehrere Reiter über einen Bergrücken zogen. Die Sombreros aus Stroh zeichneten sich groß vor dem Mond ab. Die Reiter waren schwarze Silhouetten. Silberstaub wirbelte unter den Hufen auf. Die wenigen Bandoleros, die überlebt hatten, ritten nach Süden – zurück in ihr Tal, wo ihre Frauen und Kinder warteten. Manche schwankten im Sattel. Vielleicht befand sich auch Sandobal darunter. Johnny hatte deutlich gesehen, wie Robert Murdock Sandobal erwischt hatte. Die Banditen tauchten für immer unter. Johnny flößte Juanita etwas Wasser ein. Jetzt zeigte es sich, wie gut es gewesen war, das Pferd immer gesattelt neben der Hütte abgestellt zu haben. Und
immer war auch Proviant in den Satteltaschen und Wasser in der Blechflasche gewesen. Diese Vorsichtsmaßnahmen konnten ihnen das Leben retten. Lange blieb Johnny neben Juanita. Rührend kümmerte er sich um sie. Er legte eine wärmende Decke über sie und schob eine Satteltasche unter ihren Kopf. Dann saß er still. Auf einmal versteifte er sich. »Juanita, der Brief!« flüsterte er. »Bleib hier, Johnny«, flehte sie mit schwacher Stimme. »Geh nicht. Der Tod wartet!« Er sprang auf, stieg in den Sattel und ritt davon. Juanita konnte ihn nicht halten... *** In der Hütte war kein Leben. Im kleinen Tal nahe am Wasserloch buckelten sich die Gräber der Bandoleros. Der Nachtwind trocknete die frische Erde. Verhallt waren die Schüsse, verklungen die Stimmen. Ein lebloser Körper lag langausgestreckt im Tal. Robert Murdocks Taschen waren durchwühlt worden. Die Bandoleros hatten ihn ausgeplündert. Seine Waffen, den Stetson, den Gurt und die Stiefel hatten sie mitgenommen. »Verschwindet! Laßt mich allein! Kommt bei Sonnenuntergang zurück und begrabt mich...« Die Worte waren versickert. Der Wind hatte sie davongetragen. Es war erschreckend still im Tal geworden. Erst vor kurzem hatte hier noch der Tod gewütet. Sandobal lag im Sterben. Dennoch war Haß in ihm. Er suchte nicht den Frieden mit sich selber. Er lauschte nicht dem singenden Wind, den er zum letztenmal hörte. Schwer lag er mit dem Rücken an einem Felsbrocken. Zu seiner Rechten lag ein schwerer Colt. Die Waffe war von einem Komplizen aufgeladen worden.
Dieser mexikanische Bandit wartete. Er hatte keine Frau und keine Kinder. Nichts trieb ihn in das ferne Tal zurück. Mit geschlossenen Augen saß er im Schatten der Felsen. Manchmal öffnete er die Augen und blickte auf den leblosen Gringo im Tal. Ein achtlos weggeworfenes Stück Papier, das die Bandoleros nicht hatten lesen können, rutschte über den Sandboden und blieb dicht vor den Gräbern liegen. »Komm, Johnny!« stöhnte er. »Ich will dich töten!« Gras raschelte unten. Riesengroß leuchtete der Mond über den Mountains. Wölfe streiften umher. Überall lagen schimmernde, von Gewehren ausgestoßene Patronenhülsen herum. Irgendwo schlugen Hufe. Jemand kam näher. Sandobal horchte, richtete den Oberkörper auf und griff zum Colt. Er legte die Waffe auf die Beine und starrte über das Tal hinweg. Sein Atem pfiff und trocknete die Lippen. Johnny kam. Noch sah Sandobal ihn nicht. Das Hufgetrappel verstummte. Schwerfällig beugte Sandobal sich vor und krampfte die Hand um den Colt. Er hatte die Companeros fortgeschickt, um einsam zu sterben – und um sich zuvor noch einen schrecklichen Wunsch zu erfüllen. Denn Sandobal konnte keinem Menschen verzeihen, und sogar noch im Sterben wollte er den blutjungen Lefthand-Johnny für immer an sich ketten. Es war eigenartig, daß er genau wußte, Johnny würde zurückkommen. Die Haßliebe ließ ihm keine Ruhe. Und Johnny kam lautlos. Er war vom Pferd gestiegen und bewegte sich geduckt und vorsichtig über den Talrand. Noch verbargen ihn die dichten Sträucher und die Felsklippen am Hang. Mit geröteten Augen blickte er auf Robert Murdock. Seltsam, daß gerade die Murdocks versucht hatten, ihm zu helfen, und daß sie beide den Tod gefunden hatten. Sekunden später entdeckte Johnny den Brief des USMarshals vor den Gräbern der Banditen.
Dieser Brief konnte ihm wirklich das Leben retten, denn US-Marshal Cash Murdock hatte die Jagd auf ihn damals begonnen und in diesem Brief erklärt, daß Johnny eine gute Chance haben sollte. Der Nachtwind ließ die Sträucher rascheln. Wie ein Schatten glitt Johnny tiefer. Er hielt seinen schweren langläufigen Colt fest gepackt, doch er rechnete nicht mit der tödlichen Gefahr, die oben zwischen den Felsen auf ihn wartete. Noch immer suchte Sandobal nach ihm. Er sah, wie die Zweige bewegt wurden, doch das konnte auch der Wind sein. Vielleicht hatte Sandobal den Instinkt eines Wolfes, denn er spürte die Nähe des jungen Revolverboys fast körperlich, als wäre Johnny ihm ganz nahe und könnte ihn mit der Hand berühren. Plötzlich entdeckte er das hellblonde Haar im Gestrüpp auf der gegenüberliegenden Talseite. Dann tauchte Johnnys Gesicht sekundenlang auf. Sandobal konnte schießen, doch er rührte sich nicht. Ein letztes Mal wollte er mit Johnny reden und in das junge Gesicht blicken, wollte die Angst sehen und Worte der Gnade hören. Johnny war wieder weggetaucht. Er schlich immer tiefer, bis er schließlich den Talgrund erreicht hatte. Die Sorge um Juanita machte ihn unruhig. Er durfte nicht zuviel Zeit verlieren. Noch einmal spähte er umher. Nichts deutete auf eine Falle hin. Da trat er ins Freie, hielt den Colt gesenkt und erreichte Robert Murdock. »Thanks«, sagte er leise, »tut mir leid, Mr. Murdock.« Dann ging er weiter und näherte sich den Gräbern der Bandoleros. Jäh bannte ihn Sandobals heisere und rasselnde Stimme. »Ich bin hier oben, Johnny. Wir beide werden sterben, Amigo mio.« Johnny stand reglos, wie aus Stein. Er konnte Sandobal nicht sehen. Der Wind trug die Atemzüge ins Tal.
Vor Johnny rutschte der Brief weiter. Nirgendwo ertönten Schritte. Nur Sandobal war da – kein anderer Bandolero lauerte in der Nähe. »Du hast sie alle weggeschickt, Sandobal?« Johnnys Stimme klang quietschend. »Du willst es allein ausschießen?« »Si, Amigo.« »Ich wollte nur die Freiheit und den Frieden, Compadre...« »Und ich will dein Leben, Johnny. Dreh dich um – aber langsam, hörst du?« Johnny drehte sich um, suchte nach Sandobal und entdeckte ihn oben zwischen den Felsen. Der Bandolero saß zusammengesunken im Schatten der Felsen. Die Hand mit dem Colt befand sich im Mondschein. Das Metall reflektierte das Sternenlicht. Wirr hing das Haar ins Gesicht. Nur undeutlich war das Gesicht zu erkennen, doch Johnny glaubte, daß Sandobal lächelte. »Du wirst sterben, Sandobal«, sagte er. »Warum willst du noch jetzt unsere Freundschaft zerstören? Ich kann zu dir kommen und bei dir bleiben. Vielleicht ist es dann leichter für dich.« »Oh, Amigo mio«, stöhnte Sandobal, »du bist ein Dummkopf. Der Tod ist nicht schlimm, aber das Sterben, mein Freund. Du wirst bei mir sein, wenn ich sterbe. Du wirst mit mir sterben, Johnny... Komm langsam rauf, Amigo.« Johnny hatte die Entfernung genau abgeschätzt. Hier unten hatte er wenigstens noch eine kleine Chance. Wenn er aber den Hang emporgehen würde, dann gab es kein Entrinnen mehr. »Laß mir Zeit zum Gebet, Sandobal.« »Wozu, Johnny? Auch ich bete nicht. Komm rauf.« Hinter Johnny waren die Gräber. Vor ihm lag Robert Murdock. Die Patronenhülsen schimmerten wie Gold im Staub. Er dachte an Juanita, an ihr gemeinsames Leben in Oregon, an die Freiheit. »Ich will beten, Sandobal!« sagte er aufbegehrend. »Gib mir etwas Zeit dazu!«
Sandobal grinste verzerrt. »Du willst Zeit herausschinden, Johnny... Du überlegst, wie du mir entkommen kannst. Und du hältst noch immer deinen Colt. Ja, Johnny, ich weiß, daß du nicht beten willst.« »Wer weiß, Compadre?« Johnny neigte den Kopf. »Hörst du die Wölfe, Amigo? Sie heulen wieder. Diesmal heulen sie für uns. Und in der Ferne liegt Juanita und wartet. Ich will nicht für mich beten, sondern für Juanita, Sandobal.« »Vaya al diablo!« krächzte der Mexikaner wütend und quälte sich etwas hoch. »Komm endlich – und behalt die Hand mit der Waffe unten!« »Nein, Sandobal. Erst bete ich.« Johnny war hartnäckig. Sandobal wollte ein Gebet nicht zulassen. Als Johnny das begriff, versuchte er es mit Flehen. »Gnade, Amigo!« stöhnte er. »Bitte, schieß nicht.« »Knie nieder, Johnny...« Das hatte Johnny sowieso gewollt. Wie ergeben ließ er den Colt vor sich in den Staub fallen. Dann preßte er die Hände zusammen und machte eine flehende Bewegung. Sandobal ließ ihn keine Sekunde lang aus den Augen – und wurde dennoch überrumpelt. Johnny ließ sich auf die Knie fallen, kippte nach vorn, riß den Colt an sich und schnellte mit einem gewaltigen Sprung zurück – und das alles geschah in zwei Sekunden. Schon stürzte er rücklings zwischen die Gräber, schon feuerte Sandobal, schon rollte Johnny mit katzenhaften und schnellen Bewegungen herum, lag in der Deckung der Sandhügel und jagte die Schüsse aus dem Colt. Die linke Hand war dabei zur Faust geballt und ruhte im Sand eines Grabes. Grell blitzten die Mündungsfeuer auf. Sandobals Kugeln stießen den trocken gewordenen Sand auf den Gräbern hoch. Wieder schoß Johnny, und oben war es auf einmal still. Der Colt des Bandolero rutschte über den Felsboden.
Geduckt raste Johnny in die Deckung mehrerer Felsen, Er lief nicht offen zu Sandobal, denn dieser Bandit konnte noch einen zweiten Colt haben und nur so tun, als wäre er tot. Nur mehr drei Schritt – und er stand schräg hinter Sandobal und sah, daß der Bandolero Abschied vom Leben nahm. Johnny kniete bei ihm nieder und blickte in das pulvergeschwärzte und schlaffe Gesicht. Sandobal atmete schwach. Er mußte Johnny noch erkennen. Zitternd rutschte seine Rechte durch den Sand und berührte Johnnys Knie. »Du – hast es – doch noch...« Seine Worte verwehten. Johnny schloß ihm die Augen. Ein Windstoß kam über das Land. Unten trieb der Brief hoch. Die Bandoleros konnten die Schüsse gehört haben. Er durfte nicht länger hierbleiben. Wie in wilder Flucht sprang er auf und rannte nach unten, riß den Brief an sich und lief aus dem Tal. Bei Sonnenuntergang würden die Bandoleros zurückkommen und die beiden Männer begraben. Johnny schwang sich auf sein Pferd und ritt im Galopp zurück. Er erreichte Juanita, sprang aus dem Sattel und kniete bei ihr nieder. Zitternd nahm er sie in die Arme. »Ich habe den Brief, Juanita! Jetzt hab’ ich doch wenigstens etwas, das uns retten kann!« Sie lächelte matt. Blut sickerte aus dem Arm. »Zeig ihn mir, Johnny...« »Hier ist er, Juanita. Ich muß ihn gut einstecken, damit ich ihn niemals verliere.« »Ja, Johnny. Mir ist so kalt!« Er verstaute den Brief, hüllte Juanita warm in die Decke ein und half ihr, in den Sattel zu kommen. Dann saß er auf und hielt sie fest. Langsam ritten sie durch die Wildnis. Lange konnte Juanita sich nicht auf dem Pferd halten. Sie mußte ärztlich versorgt werden. Johnny konnte das nicht. Er fühlte sich furchtbar hilflos und elend.
In seiner Verzweiflung faßte er einen verwegenen und verrückten Plan. Um Juanita zu retten, war er bereit, als Bandit erkannt zu werden. Er änderte die Richtung und näherte sich dem alten Weg der Postkutschenlinie. Die Kutsche rollte schon seit Stunden. Der Fahrer hockte oben und starrte suchend über das öde Land. Staub schlug hoch und haftete an seinem roten Bart. Im Wagen saßen vier Reisende. Sie waren eingeschlafen. Das monotone Geräusch hatte sie eingeschläfert. Urplötzlich hörten sie eine scharfe und durchdringende Stimme und fuhren hoch. »Komm runter, oder es knallt!« Der Fahrer ließ das Gewehr fallen und stieg ächzend vom Wagen. »Zur Seite!« befahl der junge Blonde. »Stell dich da drüben hin!« Ein Fluch war zu hören. Dann erschien der junge Reiter dicht neben der Kutsche und stieß die linke Hand vor. Drohend zeigte der Colt ins Wageninnere. »Aussteigen!« Steif stiegen sie aus der Kutsche. Erst jetzt, nachdem sie sich suchend umgesehen hatten, merkten sie, daß der Überfall von einem einzigen Reiter durchgeführt wurde. Sie mußten die Jacken ausziehen und sich auf den Bauch legen. Abseits stand der Fahrer und starrte herüber. »Du bist wahnsinnig, Johnny Darkney!« sagte er grollend. »Ich hab dich erkannt. Du wirst überall im Westen gesucht. Was, zum Teufel, willst du allein mit der Fracht machen?« Johnny antwortete nicht. Er leinte das Pferd an und sprang auf den Kutschbock. Mit der Rechten packte er die Zügelenden. Sein Gesicht war grau und von der Anspannung verzerrt. Die Reisenden hielten diesen Ausdruck für bösartig. »Du kommst nicht weit!« schrie der Fahrer. »Wohin willst du denn mit meiner Kutsche, he? Alle Grenzstellen nach
Mexiko hinüber werden bewacht. Yea, du mußt verrückt geworden sein.« »Ich will auf keinen von euch schießen«, rief Johnny. »Also zwingt mich nicht dazu!« Dann peitschte er die Pferde an und raste mit der Kutsche vom Weg herunter. In schneller Fahrt rollte die Kutsche zwischen die Hügel. Noch lange wallte der Staub in der Hügelfalte. *** Socorro – alte Stadt der Adobehäuser am Rio Grande, meistens von Mexikanern bewohnt. Socorro, Stadt der schießwütigen Cowboys und der ewig herumlungernden Revolverschwinger. Der Telegraf tickte. Eine Meldung aus dem Süden kam durch den summenden Draht. Der Telegrafist schrieb die Meldung im Klartext auf und blickte dann durch die Nickelbrille den dickleibigen Mann hinter dem Postofficetresen fragend an. »Ist was, Mister?« »Ich wollte was nach El Paso durchgeben, aber das hat Zeit. Ich komme später noch einmal vorbei. Sie haben jetzt wohl was zu tun.« Der untersetzte Mann mit der goldenen Uhrkette lächelte jovial, lehnte sich im Schatten des Vordaches an die Wand und wartete. Dabei rauchte er lässig eine seiner Zigarren. Wenig später verließ der Postclerk die Pulqueria. Jetzt drückte der beleibte Mann sich ab und ging hinein. Hier war es angenehm kühl. Er entdeckte die beiden USDeputy-Marshals an einem der Tische und blieb davor stehen. »Tag, meine Herren. Was Neues?«
Der hagere Isaac Brody starrte ihn kalt und durchdringend an. Die dunklen Augen im Schakalgesicht verrieten nichts von den Empfindungen. Er schwieg. Cole Cagney lächelte. Die wasserhellen Augen dieses unscheinbar wirkenden Mannes verrieten Hohn. »Ah, Sie sind es, Peabody? Ist der berühmte Peabody schon länger in Socorro?« »Ich nehme an, daß Sie das wissen«, entgegnete Peabody ruhig und wischte den Schweiß vom Gesicht. »Ich sah eben den Postclerk hereinlaufen. Hat er was Neues für uns?« »Was heißt – für uns?« knurrte Isaac Brody. »Sie sind Detektiv und arbeiten für die Witwe eines Mannes, den Johnny Darkney erschossen hat. Wir reiten für das Gesetz, Peabody, für die Regierung. Ich wüßte nicht, was wir gemeinsam haben.« Peabody schnaufte und ließ sich am Nebentisch nieder. »Wir haben was gemeinsam – Johnny Darkney, Mr. Brody.« »Ihnen geht es um die Belohnung. Wir kriegen nichts davon. Vielleicht haben Sie recht, wenn Sie von was Gemeinsamen reden. Dennoch gehen wir nicht denselben Weg.« »Sie sind zu zimperlich, Brody«, erwiderte Peabody. »Ich will die Belohnung und Johnny Darkneys Leiche – Sie wollen nur die Leiche. Warum sagen Sie das also nicht rundheraus, he?« »Wir geben es ja zu«, beschwichtigte Cole Cagney, »dennoch ist nicht viel Gemeinsames da. Aber reden wir nicht mehr darüber. Ich muß Ihnen nur sagen: pfuschen Sie nicht in unsere Angelegenheiten hinein. Da könnten wir verdammt viel Verdruß miteinander bekommen.« »Verstehe.« Peabody angelte die Uhr hervor und blickte darauf. »Ich muß ohnehin gehen. Wir sollten aber zusammenarbeiten. Welche Nachricht ist denn durchgekommen?« »Nichts Wichtiges, Peabody«, antwortete Isaac Brody abweisend.
Peabody stand auf, ging zur Theke und ließ sich einen Drink geben. Er zahlte und verließ die Pulqueria. Sein Weg führte ihn zum Hotel. In einem der Zimmer traf er sich mit der schwarzhaarigen jungen Witwe aus Two Horses. Seit dem Tode ihres Mannes reiste sie rastlos in New Mexico umher, stets auf der Suche nach Johnny Darkney. Patricia Ford hatte sich im Gedanken der Rache verloren. »Was haben Sie herausbekommen, Mr. Peabody?« »Ich war eben in der Pulqueria. Brody und Cagney wollten mir nicht sagen, daß Johnny Darkney eine Postkutsche überfallen hat. Die Kutsche war nach Socorro unterwegs. Er hat sie sich geschnappt und ist damit verschwunden.« Peabody setzte sich und trocknete wieder einmal sein Gesicht. »Sie reden Unsinn. Haben Sie mir nicht was Vernünftiges zu sagen?« »O doch, Ma’m!« Er zog die gefaltete Karte aus der Jackentasche hervor und breitete sie auf dem Tisch aus. Die Witwe beugte sich darüber. »Davon verstehe ich wenig.« »Sehen Sie, Ma’m – hier ist Socorro. Im Südwesten liegen Silver City und Lordsburg. Wenn Sie von dort aus nach Osten gehen, stoßen Sie auf den Rio Grande – und hier, oberhalb des Treffpunktes am Rio Grande, wurde die Postkutsche von Johnny Darkney geschnappt. Ich kann mir nichts Besseres denken, als folgendes, Ma’m. Darkney versucht, nach Norden durchzubrechen. Er hätte im Süden bleiben können, aber er ist weiter nördlich aufgetaucht. Ja, er will nach Colorado oder Utah.« »Sie können sich irren!« »Ich glaube – kaum. Vor dem Überfall auf die Postkutsche wurde er in Lordsburg gesehen. Dort erschoß er eine Frau, die sich Lady Angela nannte, und den Sheriff Sutherland. Man hat ihn mit einer Mexikanerin oder Indianerin gesehen. Beide sind auf der Flucht. Es kann sein – nein, es muß sogar sein, daß
dieses Mädchen schwer verwundet wurde. Darkney brauchte die Kutsche für dieses Mädchen, und wenn es so schwer verwundet wurde, dann braucht Darkney auch einen Arzt. Wohin also, wenn er nach Norden will?« Patricia Ford vergaß die qualmende Zigarre und trat lächelnd ans Fenster. Sie strich die Gardine glatt und sagte: »Nach Socorro!« »Richtig, Ma’m!« »Dann müssen wir also nur auf ihn warten.« »Stimmt. Soviel ich weiß, sucht der Arzt von Socorro eine kluge Helferin, weil er zuviel zu tun hat. Gehen Sie zu Doc Thompson, Ma’m...« »Und weiter?« »Meine beiden Helfer sind eingetroffen. Sie werden das Haus des Arztes Tag und Nacht bewachen. Ich halte mich ständig bereit. Irgendwann wird Johnny Darkney kommen. Dann haben wir ihn und seine Freundin. Vielleicht hat er Sie in Two Horses erkennen können. Sie müssen Ihr Aussehen verändern. Färben Sie Ihr Haar rot. Tragen Sie kein Schwarz mehr. Schminken Sie sich. Dann wird er Sie nicht erkennen. Er wird Doc Thompson mit seiner Freundin aufsuchen, darauf gehe ich jede Wette ein.« »Und diese beiden US-Deputy-Marshals?« Peabody grinste breit. »Ich verlasse jetzt die Stadt. Außerhalb von Socorro brauche ich die Telegrafenleitung nur anzuzapfen und eine Meldung durchgeben. Ich schicke die Marshals weg. Wir werden auch allein mit Johnny Darkney fertig.« »Sie sind Ihr Geld wert, Mr. Peabody. Mir ist es egal, wohin Sie die Marshals schicken, von mir aus zum Mond.« »In die Wüste, Ma’m.« »Well, aus dieser Falle wird es kein Entrinnen geben...« ***
Lichtschein durchdrang die Dämmerung. Es war Abend geworden in Socorro. Musik tönte aus Cantina und Pulqueria. Cowboys lärmten im Saloon. Leute überquerten die Straßen und Plätze. Johnny stand wie ausgehungert am Straßenrand. In der Nähe lag das Haus des Arztes. Er hatte Juanita in der Postkutsche weit abseits von Socorro zurückgelassen. Jetzt ging er weiter und erreichte die Sargtischlerei. Im großen Schuppen arbeitete der Tischler auf Vorrat. Johnny schlenderte hinein. Trübe Lampen blakten und warfen ihr schwaches Licht auf die fertigen Särge. Der knochige Mann schuftete und war schweißnaß. Noch immer herrschte drückende Wärme im Schuppen. Vorder- und Hintertor waren weit geöffnet. »Wenn du einen Job suchst, dann geh zum Teufel. Hier gibt es keine Arbeit, Hombre.« Die Begrüßung war wenig freundlich. Johnny lächelte flüchtig. Er war viele Meilen unterwegs gewesen. Da er noch nie eine Postkutsche gelenkt gehabt hatte, war die Fahrt zu einer Schinderei geworden. Er war ziemlich fertig. Die Liebe und Sorge aber hatten ihm keine Ruhe gelassen. »Ich brauche einen Sarg, Mister«, sagte er leise, »und Ihren Karren. Nur für kurze Zeit.« »Du bist verrückt, Hombre! Ich verleihe keine Särge. Das ist wohl ein Witz, wie?« Johnny zuckte die Achseln. Er schlenderte zurück, blickte auf die Straße und sah, daß niemand in unmittelbarer Nähe war. Als der Sargtischler ihm den Rücken zukehrte und weiterarbeitete, schloß er das Vordertor. »Was soll das, verdammter Bursche?« schnauzte der Sargtischler. »Ich will in dieser verwünschten Hitze nicht eingehen! Die Särge sind für andere da!« »Ja, das stimmt«, meinte Johnny und erreichte ihn, »aber ich mach auch das Hintertor zu.«
Unwillkürlich blickte der Sargtischler zum hinteren Tor. Da schlug Johnny zu – nicht hart, aber so, daß er den Bewußtlosen noch auffangen konnte. Er fesselte ihn und schob ihm vorsichtig einen Knebel in den Mund, so daß er nicht daran ersticken konnte. »Es tut mir leid«, flüsterte er, »aber es ist die einzige Chance.« Er zog den Mann in einen kleinen Abstellraum und machte sich in fieberhafter Eile an die Arbeit. In kurzer Zeit hatte er die Maultiere vor den Karren gespannt und einen leeren Sarg auf den Karren geworfen. Dann verließ er den Schuppen durch das hintere Tor und schlenderte auf den Hinterhof des Saloons. Unbemerkt konnte er durch die Hintertür eindringen. Er tastete sich durch das Haus und hörte den Lärm im Saloon. Die Cowboys waren angetrunken und grölten. Sekunden später peitschten Schüsse über den Tresen hinweg und zertrümmerten die Hängelampen. Schlagartig war es dunkel. Die angetrunkenen Cowboys hatten sich zu Boden geworfen. Jetzt johlten sie und schossen zur Decke empor und in die Fenster. Johnny hastete bereits zurück. Im Saloon verstummte die wilde Schießerei. Allmählich flackerte wieder Licht auf. Die Cowboys lachten und hielten alles für einen prächtigen Spaß. Die Bedienung aber fluchte und versuchte, die Betrunkenen auf die Straße zu befördern. Daraus entstand eine wüste Schlägerei. Das alles hatte Johnny gewollt. Wer wie er überall gesucht und gehetzt wurde, der mußte so handeln. Denn er hatte zwei Männer beobachtet, die auf dem Hinterhof des Arzthauses herumlungerten, scheinbar ohne jeden Grund. Er kletterte auf den Karren und fuhr auf den Hof. Zusammengesunken hockte er auf dem Bock und lenkte die Maultiere durch die Einfahrt auf die Straße. Kurz darauf brachte er den Karren vor das Haus des Arztes. Die Schlägerei
im und vor dem Saloon lenkte die Menschen ab. Immer mehr Gaffer fanden sich vor dem Saloon ein. Niemand beachtete Johnny. Er betrat das Haus. Im Haus befand sich ein Raum, der als Praxis eingerichtet war. Hier hantierte eine rothaarige Frau. Sie blickte ihn forschend an. Besonders lange betrachtete sie sein völlig verschmutztes Haar. Aber Patricia Ford konnte nichts vom Blondhaar erkennen. »Wer sind Sie?« fragte sie abweisend. »Der Gehilfe vom Totengräber. Wo ist der Doc?« »Hinten. Ich hole ihn.« Johnny trat in das Halbdunkel zurück und wartete. In seinen blauen Augen schwelte es seltsam. Die Artzhelferin kam ihm bekannt vor. Sie erinnerte ihn an eine Frau, die er in Two Horses gesehen hatte. Damals hatte das ganze Unglück angefangen, und Johnny wäre froh, wenn er jene Stunden rückgängig machen könnte. Irrtum gewesen – und die Hetzjagd auf ihn hatte dann auch wenig später begonnen. Schritte kamen näher. Doc Thompson erschien. Er war ein grauhaariger Mann, ewig verdrossen und dennoch hilfsbereit. »Wer bist denn du, Hombre? Hat der Alte endlich einen Gehilfen genommen?« »Ja, Senor.« »Mexikaner, wie? Also, was ist?« »Es hat eine Schießerei im Saloon gegeben, Doc. Einer liegt am Boden. Sieht ziemlich schlecht um ihn aus.« »Schießerei? Ja, ich hab’ das gehört. Verdammtes Gesindel! Mrs. Ford, Sie bleiben hier. Ich kümmere mich darum. Meine Tasche...« Sie reichte ihm die Tasche und blickte Johnny geringschätzig an. Der Arzt folgte Johnny hinaus. »Soll ich gleich hinterher fahren, Doc?« »Besser nicht. Das macht keinen guten Eindruck, Hombre.«
Johnny blickte umher. »Es muß aber sein, Doc.« Dann schlug er zu, warf sich den Arzt über die Schulter und schleppte ihn zum Karren. Die Schlägerei vor dem Saloon hatte sich inzwischen auf die Neugierigen ausgedehnt. In diesem Moment kamen die beiden Männer vom Hinterhof des Arzthauses. Sie waren völlig unauffällig im Benehmen und schienen auch keiner Fliege was zuleide tun zu können. Slaught und Taylor waren Detektive wie Peabody. Sie starrten Johnny an, der gerade die Arzttasche auf den Karren legte und auf den Bock stieg. »Der Doc ist schon im Saloon«, sagte Johnny leise. »Es hat einen Toten gegeben.« »Ach so«, meinte Slaught. »Dann fahr los.« »Warten Sie hier auf jemand, Señores?« »Yea, verdammt! Auf Johnny Darkney. Noch nie was über ihn gehört?« Johnny zuckte die Achseln und fuhr los. Sofort bog Johnny von der Straße ab. Jetzt trieb er die Maultiere hart an. Die Dämmerung war vorbei. Hell leuchtete der Mond. Abseits der Stadt stand sein Pferd in der Deckung einer halbzerfallenen Hütte, in der einst Feldarbeiter gehaust hatten. Hier öffnete er den Sarg und ließ den Arzt heraus. Benommen blickte Doc Thompson sich um. Als er sich erinnerte, wollte er fluchen und nach Hilfe schreien. Der Colt in Johnnys Linker ließ ihn still werden. »Hombre, du machst einen ganz großen Fehler«, flüsterte er kopfschüttelnd. »Du kannst mich zu nichts zwingen.« »Aber Sie müssen jedem helfen, Doc«, entgegnete Johnny. »Steigen Sie auf mein Pferd. Sie sind bald wieder frei, wenn nichts geschieht.« »Damn’d! Du bist kein Mexikaner! Zum Teufel, wer bist du? So eine dreckige Vogelscheuche wie dich hab’ ich noch niemals gesehen.« »Später, Doc.«
Sie ließen den Karren mit dem Sarg hinter sich zurück und ritten durch einen staubigen Feldgraben. Johnny saß hinter Thompson. Die Arzttasche hing am Sattelhorn. Er verließ schon bald den Graben und ritt in das steinige Gelände am Fluß hinein. Kurz darauf löschte das Wasser des Rio Grande die Pferdespur. Was Johnny auch immer tat, er wollte Juanita retten und mit ihr den Frieden im hohen Norden suchen. Und er versuchte alles, um nicht wieder auf einen Menschen schießen zu müssen. Im Arzthaus wartete Patricia Ford noch immer auf den Doc. Schließlich rief sie nach Slaught und Taylor. »Der Arzt ist noch immer nicht zurück! Im Saloon ist es still. Warum sieht denn keiner von Ihnen nach? Wo ist Mr. Peabody?« »Hier bin ich.« Peabody kam durch die geöffnete Vordertür herein. »Suchen Sie den Doc, Ma’m?« »Ja, er ist in den Saloon gegangen!« »Da ist er nicht.« Sie starrten sich an und begriffen plötzlich. Zu viert hasteten sie aus dem Haus. In der Sargtischlerei fand Slaught den knochigen Mann. Der Karren war verschwunden. Im Sternenlicht war die Wagenspur deutlich zu sehen. Peabody jagte seine Helfer aus der Stadt. Sie kamen schon nach kurzer Zeit mit dem Karren und den Maultieren zurück. Peabody stand neben Patricia Ford auf der Straße, abseits der Lichtbahnen. »Er will weiter nach Norden«, schnaufte er. »Er hat den Doc aus der Stadt geholt und wird ihn zwingen, ihn zu begleiten. Wir müssen die Postkutsche suchen.« »Wissen Sie, was Sie sind, Peabody?« Patricia Ford konnte sich kaum beherrschen. »Ein verdammter Vollidiot! Ich bezahle nicht solche Idioten wie Sie und Ihre Helfer! Mit der nächsten Kutsche fahre ich nach Norden. Ich muß Darkney haben! Er hat meinen Mann umgebracht. Sie können sich mit
mir nur dann versöhnen, wenn Sie mir diesen Johnny Darkney bringen, Peabody!« »Tot oder lebendig?« »Das ist mir egal! Warum fragen Sie denn noch? Suchen Sie diesen Mörder!« »Ja, das werden wir tun«, versicherte Peabody und bekam wieder den alten Glanz in die Augen, »und wenn Jahre vergehen.« »Sie wollen Jahre vergehen lassen, Peabody?« Patricia Ford ballte die Hände. »Solange warte ich nicht. Schicken Sie Slaught und Taylor los! Und Sie kommen mit mir. Wir müssen über alles noch einmal gründlich nachdenken.« Peabody folgte ihr und schnaufte dabei. Im Hotelzimmer setzten sie sich zusammen. Unten auf der Straße ritten Slaught und Taylor vorbei. Der Sheriff, der mit dem Sargtischler gesprochen hatte, rief nach Freiwilligen für ein Aufgebot – doch die Männer, die bereit waren, mit ihm zu reiten, waren zu dieser Stunde schon angetrunken und verloren die Lust daran, durch das staubige nächtliche Land zu reiten. Nur wenige dachten an das Kopfgeld – Revolverschwinger und kleine habsüchtige Typen. Viel zu spät verließ das Aufgebot die Stadt. Im Hotelzimmer brannte noch immer Licht. »Die Spur begann in Two Horses, Peabody«, sprach Mrs. Patricia Ford nachdenklich. »Wir wissen heute, daß Johnny Darkney der Sohn des Banditen Logan Darkney ist und daß sein Vater mit einer Indianerin zusammengelebt hatte. Aber Johnny Darkney ist kein Halbblut. Er muß eine andere Mutter gehabt haben!« »Ja, eine gewisse Mary Johnson. Sie war blond und...« Peabody unterbrach sich und blickte starr in die Flamme. »Nein, das kann nicht sein...« »Was denn, reden Sie!« »In Lordsburg wurde eine blonde Frau erschossen, Lady Angela. Man kannte ihren richtigen Namen nicht.«
»Nichts ist unmöglich, Peabody! Wir müssen in Two Horses nachfragen. Es gibt ein Buch mit dem Titel Lady Angela. Wenn Logan Darkneys Frau dieses Buch irgendwann in Two Horses gekauft oder es auch nur einem Menschen dort gezeigt hat, dann haben wir eine Spur, dann müssen Sie herauskriegen, ob diese Frau eine Schwester oder einen Bruder hat. Johnny Darkney wird dann zu diesem Menschen unterwegs sein – wenn dieser Mensch irgendwo in Norden leben sollte!« »Das kriegen wir bestimmt heraus.« »Vielleicht entkommt er Slaught, Taylor oder dem Aufgebot nicht. Trotzdem müssen Sie sich sofort an die Arbeit machen, Peabody! Wozu haben wir Telegrafenleitungen?« *** »Doc, tun Sie es!« Johnnys Stimme unterbrach die tiefe Stille zwischen den Bergausläufern. Der Wind sang leise in den verkrüppelten Fichten. Sonnenlicht stach flirrend durch die Baumkronen. Im Schatten der Felsen stand die Postkutsche. Das Sattelpferd und die Wagenpferde grasten halb unter den Bäumen. Juanita lag auf einer Decke am Boden. Sie war blaß und hatte Fieber. Ihr Arm war dick angeschwollen. »Deine Freundin hat Blutvergiftung, Johnny Darkney. Ihr beide seid ja verrückt, daß ihr euch gegen eine ganze Welt stellt und gegen jedermann kämpft!« »Wir wollen ja nicht kämpfen, Doc!« schrie Johnny halb verzweifelt auf. »Wir wollen Frieden und unsere Ruhe!« »Das gibt es für dich nur im Grab, Hombre. Du hast zuviel getan.« Doc Thompson löste vorsichtig den Verband vom Arm. »Du hast einen US-Marshal erschossen. Das allein reicht schon für den Strick.« »Bitte, glauben Sie mir, Doc!« Johnny kniete nieder und blickte ihn flehend an. »Ich hab’s nicht getan! Ich sah den
Mann nur sekundenlang. Es war ein dicker Mann. Er erschoß den Marshal.« »Ich kenne einen beleibten Mann. Er ist Detektiv und heißt Peabody. Er ist in Socorro und arbeitet für die Frau, die du in meinem Haus als Helferin gesehen hast. Sie ist die Frau eines Mannes, den du in Two Horses erschossen hast.« »Peabody?« Johnny sank zurück und schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich weiß nicht, was ich tun soll, Doc. Hier, lesen Sie diesen Brief. Er wurde vom US-Marshal geschrieben. Mexikanische Banditen haben seinen Bruder Robert erschossen. Bitte, lesen Sie diesen Brief!« »Nicht jetzt, Johnny. Ich muß mich um deine Freundin kümmern. Zeig ihn mir später. Du mußt ein kleines Feuer machen.« »Man wird den Rauch sehen, herkommen und Juanita und mich zusammenschießen!« Ernst blickte Thompson Johnny an. »Tu’s, Junge. Du mußt es riskieren. Ich brauche ein ausgeglühtes und keimfreies Messer. Der Arm muß aufgeschnitten werden. Es geht nicht anders, Johnny.« »Doc, ich – ich werde noch verrückt! Aber ich mach Feuer – und ich schieße auf jeden, der dann herankommt! Das tu’ ich, bei Gott! Ich lasse Juanita nicht erschießen!« »Komm schon, Johnny, beeil dich. Du kannst mir vertrauen.« Da tat Johnny es, und der Rauch stieg in die Baumwipfel. Doc Thompson hielt ein scharfes kleines Messer in die Flammen. Johnny griff zitternd nach Juanitas Gesicht und küßte sie. Als Thompson diese Liebe sah, begann er zu zweifeln. Johnny Darkney war kein Mörder und kein gewissenloser Bandit, auch wenn alles gegen ihn sprach. Entschlossen setzte er das Messer an. Juanita schrie auf. Johnny kamen die Tränen, denn er quälte sich mit Juanita. In diesem Moment begann es wieder.
Der Rauch war entdeckt worden – und Reiter kamen näher. »Bringt euch in Sicherheit, Johnny!« Johnny sah ihn überrascht und ungläubig an. »Doc...« »Verschwinde, Johnny! Ich will sehen, ob ich was für dich tun kann. Dieser Peabody muß reden! Nun geht schon!« »Sie glauben mir, Doc?« »Ja. Ich brauche den Brief des Marshals nicht zu lesen. Bring dein Mädchen nach Norden. Werdet glücklich. Von Socorro aus werde ich alles in die Wege leiten. Und jetzt verschwindet!« »Danke, Doc! Danke.« Johnny zog Juanita hoch und trug sie zum Pferd. Er setzte sie in den Sattel und schwang sich hinauf, hielt Juanita fest und ritt langsam an. Die Sonne traf sein Gesicht. Er blickte zurück. Doc Thompson zog gerade die Decke hoch und wollte sie zusammenfalten, als zwei Reiter auftauchten. Johnny verschwand gerade hinter den Bäumen. Die Reiter erblickten einen stehenden Mann am qualmenden Feuer, der von der Decke in diesen Sekunden verdeckt wurde. Sie sahen die Postkutsche und die Wagenpferde – und sie schossen! Blei durchschlug die Decke. Kugeln entrissen dem Arzt die Decke. Er fiel auf den Rücken und schrie noch: »Nicht schießen...!« Doch der Knall der Schüsse, der aus der Bergfalte zurückschlug, und das verworrene Echo, das zwischen den Bäumen am Hang zurückkam, übertönte die Stimme des Arztes. Die Sonne blendete auch Slaught und Taylor – und sie schossen weiter, während sie heranjagten. Abseits verhielt Johnny. Stöhnend brachte er sein Pferd in die Deckung, saß ab und zog Juanita zu Boden.
Das Echo erstarb. Stimmen tönten herüber – doch es war nicht Doc Thompsons Stimme zu Johnny war plötzlich steif. Eisige Kälte kroch über seinen Rücken. Er zitterte und ging zurück, wie unter fremden Zwang. Er sah, wie zwei Männer sich über Doc Thompson beugten, und er erkannte sie. Seine Verzweiflung war selten so groß gewesen. Der Arzt hatte ihm geglaubt, hatte ihm helfen wollen – und wieder einmal war ein Mann, der ihm hätte helfen können, erschossen worden. In Johnny erstarb noch mehr. Er rannte plötzlich los, stürzte zwischen den Bäumen hervor und schrie gellende Worte. Und als Taylor und Slaught die Waffen hochrissen und auf ihn schießen wollten, ohne Erbarmen, weil er für sie kein Mensch, aber nunmehr zweitausend Dollar wert war – da feuerte Johnny linkshändig und wehrte sich. Er wollte sich nicht niederschießen lassen, denn dann wäre auch Juanita verloren. Und er blieb am Leben. Slaught und Taylor lagen neben Doc Thompson. Schrill wiehernd rasten die Pferde den Hang hoch. Tränen näßten Johnnys Gesicht. Er fiel gegen einen Baumstamm und schloß die Augen. Nun würde es heißen, daß er Doc Thompson und diese beiden Männer erschossen hätte, und alles würde noch viel schlimmer werden. Wie trunken schwankte er den Hang hoch und fing eins der Pferde ein. Er zerrte sich in den Sattel und ritt zu Juanita zurück. Diesmal band er sie auf dem Pferd fest. Dann ritt er voraus und zog das Pferd mit Juanita am Zügel hinter sich her. Die Flucht ging weiter.
Juanita war bewußtlos. Sie hörte sein Stöhnen nicht und sah nicht seine Tränen. »Johnny!« hauchte sie. Sofort war er an ihrer Seite und legte die Arme vorsichtig um sie. Er flüsterte zu ihr und starrte mit geröteten Augen zurück. Die Verfolger waren nicht zu sehen, doch das Aufgebot mußte in der Nähe sein – Männer, die seinen Kopf wollten. Zwei junge Menschen flüchteten im Rio Grande nach Norden. Längst hing Juanita wieder bewußtlos im Sattel. Johnny begriff, daß er den Fluß irgendwie verlassen mußte. Der Rio Grande konnte zum tödlichen Verhängnis werden, denn schon bald würden auch von Norden her Aufgebote das Flußgebiet durchkämmen und Jagd auf sie machen. Telegrafenleitungen summten. Nachrichten folgten dem in der Sonne glitzernden Draht. Steckbriefe wurden gedruckt. Dreitausend Dollar, Johnny! *** Wochen vergingen. Sie hielten sich abseits aller Städte, Ranches und Farmen verborgen. Johnny hatte eine alte kleine Hütte in den Bergen der Sangre de Cristo Range entdeckt. Diese Hütte war ihnen vorübergehend zum Heim und Zufluchtsort geworden. Aber Johnny wußte, daß irgendwann auch hier die Verfolger auftauchen würden. So groß der Westen auch war, wer sich versteckt hielt, mußte eines Tages durch Zufall entdeckt werden. Es brauchte nur ein Trapper an der Hütte vorbeizukommen, oder ein Cowboy, der nach entlaufenen Rindern suchte. Juanita hatte die schlimme Verwundung überstanden. Ihr Proviant war ausgegangen, Johnny jagte in den weiten grünen Tälern nach Wild. Juanita war manchmal schwermütig. Eines Tages hatten sie nichts mehr zu essen.
»Ich darf kein Rind wegtreiben, Juanita. Die Spur wäre zu deutlich. Einen Tagesritt von hier gibt es eine Farm. Wenn ich mich heranschleiche, dann könnte ich uns was besorgen.« »Wir sollten weiterreiten, Johnny.« »Du bist noch nicht ganz in Ordnung, Juanita. Du würdest bald aus dem Sattel fallen. Sie suchen doch noch immer nach uns.« »Hört das nie auf, Johnny?« »Doch – in ein paar Jahren, Liebling. Aber in Oregon kennt uns niemand.« »Wir können uns doch durchschlagen, Johnny. Sonst erreichen wir Oregon nie. Der Winter kommt. Schnee fällt, und das Brennholz wird naß. Dann qualmt es, und man wird uns hier entdecken!« Aber Johnny wollte zur Farm reiten und erst Proviant beschaffen. »Dann brechen wir auf und schlagen uns zum Gunnison River durch. Dort lebt die Sippe der Indianerin, die bei meinem Vater gelebt hat. Da können wir bestimmt während der Winterzeit bleiben.« Also ritt Johnny fort. Und das Unheil begann wieder. Er brauchte einen ganzen Tag, um in die Nähe der Farm zu gelangen. Er mied alle Wege und Kreuzungen und blieb stets in der Deckung der lichten Wälder, der tiefen Hügelfalten und der mauerähnlichen Felsklippen. Die Dämmerung kam grau und neblig über das Land, als Johnny sein Pferd vorsichtig über die Felder der Farm lenkte. Er wußte, daß auf Farmen meistens Kettenhunde gehalten wurden. Darum näherte er sich gegen den schwachen Wind. Über dem Hauseingang hing eine Stallaterne und warf ihren gelben Schein auf die Türschwelle. Die Tür stand weit auf. Stimmengemurmel war zu hören. Auf den Feldern war niemand zu sehen. Johnny glitt aus dem Sattel und zog das Pferd in ein hohes Maisfeld. Er brach Mais ab und aß hastig, während er umherblickte.
Instinktiv zog er den Colt. »Nein«, flüsterte er und schob die schwere Waffe in das Halfter zurück. Er war nicht gekommen, um zu schießen. Entschlossen löste er den leeren Proviantbeutel vom Sattelhorn und schlich dann über den Feldweg, erreichte einen Bewässerungsgraben und glitt hinein. Unendlich langsam arbeitete er sich im Wasser voran. Die Konturen des Farmhauses und der Ställe schälten sich aus dem Dunst. Nebelschwaden zogen umher. Über den Brunnen verdichtete sich der Dunst wie eine dichte Rauchwolke. Die Stimmen waren jetzt deutlicher zu hören, doch die Worte waren nicht zu verstehen. Wie ein Indianer glitt Johnny immer näher. Der Nebel näßte sein angespanntes Gesicht. Er hörte das Klirren von Ketten und das Knurren von Hunden, dumpfen Hufschlag und leises Knarren. Es roch nach gebrannten Kaffeebohnen, nach Mais, Stroh und feuchtgewordener Erde. Jetzt hatte Johnny den Korral erreicht. Eins der Pferde war noch gesattelt. Er dachte sich nichts dabei. Plötzlich hörte er Schritte. Sofort warf er sich hin und schob sich hinter die Sträucher. »Nein, nein«, sagte jemand, »das ist meine Sache, dafür werde ich bezahlt.« Er konnte nicht sehen, wohin die Männer gingen. Es mußten zwei, drei Mann sein. Der eine Mann aber trug Radsporen an den Stiefeln. Das Klirren entfernte sich und verstummte. Dann hörte er wieder Stimmen und Schritte. Auf Knien und Ellbogen robbte er um die Sträucher und starrte zum Farmhaus hinüber. Zwei Männer in derber Farmerskleidung standen vor der Tür. Ein bulliger Mann hatte die Daumen hinter die breiten Hosenträger geschoben. Der andere war etwas kleiner und sehniger und mußte der Sohn sein. Beide wandten sich jetzt ab und betraten das Haus. Die Frau im Haus sagte irgend etwas.
Zwei Kettenhunde lagen vor einem Stall. Ein kleines Mädchen in einem weiten Nachthemd erschien an der Tür. Die Frau zog ihr Kind zurück. Alles war friedlich und schön. Johnny lag still und lächelte wehmütig. Nach so einem Zuhause sehnte er sich, doch man hatte ihn zu einem Geächteten gemacht, zu einem Menschen ohne Heimat. Jeder auf dieser Farm konnte ihn wie einen dreckigen Kojoten abknallen und brauchte sich gegenüber dem Gesetz nicht zu verantworten. Im Gegenteil – ihm würde die hohe Kopfgeldprämie ausgezahlt werden. Aber Johnny glaubte, daß niemand hier auf ihn wartete. Er irrte sich gewaltig. Alle Ranches, Farmen und Siedlungen waren verständigt worden. Die Treibjagd auf Lefthand-Johnny ruhte nur – sie war nicht beendet worden. Und auf mancher Farm hielt sich ein Mann auf, der nichts anderes zu tun hatte, als auf Johnny Darkney zu warten. Im Schutze der Nebel kroch Johnny weiter am Korral entlang. Die Pferde witterten ihn nicht. Die Hunde schlugen nicht an. Unbemerkt gelangte er an den Viehstall. Die unteren Bretterteile waren angefault, die Bretter morsch. Er zog sein Messer und drückte die starke Klinge in das weiche Holz hinein. Lautlos löste er drei Bretterstücke. Jetzt hatte er eine Lücke zum Hindurchkriechen. Im Stall hockte Federvieh. Irgendwo roch es nach Rauch, nach glimmendem Sägemehl. Johnny schob sich in den Stall und richtete sich halb auf. Langsam gewöhnten sich seine Augen an das Halbdunkel. Er sah die Hühner auf den Stangen sitzen. Auf halber Höhe befanden sich die Nester. Eier lagen darin. Er tat sie vorsichtig in den Proviantbeutel und glitt in den Nebenraum. Leise knarrte die Tür. Rauch schlug ihm entgegen. Er stand in einer primitiven Räucherkammer. Sägemehl glimmte. Der Rauch stieg nach oben. An der Decke hingen Schinken.
Leise seufzte er, nahm die Leiter und stieg nach oben, löste zwei Schinken und trug sie hinunter. Dann ließ er sich nieder und trank die Eier aus. Danach barg er die Schinken im Beutel und verließ die Räucherkammer. Wieder glitt er durch den Stall. Jäh verharrte er, stand tiefgeduckt im Stall und horchte angespannt. Irgendwo in der Nähe atmete jemand. Mit einem Hechtsprung warf er sich nach vorn und durch die Bretterlücke. Hinter ihm krachte ein Schuß. Blei klatschte gegen die Wand. Schrill schreiend flatterte das Federvieh umher und behinderte Johnnys Verfolger. Johnny hetzte am Korral entlang und in das Maisfeld hinein. Er ließ den Proviantbeutel mit den beiden großen Schinken nicht los. Maiskolben trafen sein Gesicht. Er änderte oft die Richtung. Schüsse peitschten in das Maisfeld hinein. Stimmen ertönten. Männer stürzten aus dem Farmhaus. Doch niemand rannte in den Korral, holte sein Pferd und folgte ihm. Niemand machte überhaupt einen Versuch. Er schwang sich in den Sattel und ritt quer über die Felder. Die Hunde kläfften wie verrückt. Lichtschein wanderte über den Hof. Johnny flüchtete aus dem Tal. Was hinter ihm geschah, sah er nicht mehr. Der Mann mit den Radsporen an den Stiefeln hielt die Farmbewohner zurück. Er stand auf dem Hof und hielt das Gewehr gesenkt. Triumphierend starrte er durch das neblige Tal. »Er soll glauben, daß niemand ihn verfolgt. Der Bursche muß Johnny Darkney gewesen sein! Ich hätte nicht gedacht, daß er sich diese Farm aussuchen würde. Jetzt haben wir seine Spur. Reiten Sie und Ihre Söhne nach den Treffpunkten. Ich folge Darkney und hinterlasse eine deutliche Spur. In zwei, drei Tagen haben wir ihn.«
»Yea! Und das wird die letzte Jagd sein. Johnny Darkney ist so gut wie tot.« *** »Johnny!« Sie stürzte aus der Hütte und lief ihm entgegen, und als er abgesessen war, umarmte sie ihn überglücklich und erleichtert. Er freute sich wie ein kleiner Junge. Er küßte sie leidenschaftlich. Zwei Tage und eine Nacht lang waren sie getrennt gewesen – und das war für beide eine Ewigkeit. »Ich hab’ was, Juanita«, strahlte er. »Sieh dir das an, Liebling! Zwei große Schinken! Wenn mein Pferd ausgeruht ist, brechen wir zum Gunnison River auf.« »War denn alles noch gutgegangen, Johnny? Hat es keinen Ärger gegeben?« »Nicht der Rede wert, Kleines. Irgendein Kerl schoß auf mich. Aber keiner ist mir gefolgt. Ich hab’ auch ein paar Umwege gemacht. Vergessen wir es.« Er legte den Arm um ihre Hüften und ging mit ihr zur Hütte. Als er das Pferd versorgt und abgerieben hatte, wusch er sich mit dem Wasser, das Juanita aus dem Tal herauf geschleppt hatte. Anschließend sattelte er beide Pferde, barg sie hinter der Hütte und spähte forschend über die Täler hinweg. Es war wieder Abend geworden. Der Dunst wehte in Schleiern umher. Irgendwo heulte ein Kojote. Es war Frieden... Er nahm sein Bündel Kleidung und die Stiefel und betrat die Hütte. Juanita hatte die Schinken bereits hineingebracht und etwas gegessen. Ihr gekämmtes Haar hing weich und schwarz auf die bloßen Schultern. Sie lächelte glücklich und erhob sich. Schweigend legte sie sich auf das Lager. Johnny hatte ein Verlangen nach ihr, als würde er nur noch eine einzige Stunde lang leben. Er warf das Bündel und die Stiefel weg, zog sich aus und legte sich zu ihr. Mondlicht fiel in die Hütte. Juanitas braune Haut schimmerte weich.
»Und wenn sie dir doch gefolgt sind, Johnny?« hauchte sie. »Wenn...« »Frag nicht, Liebling, ich will sie alle vergessen«, seufzte er. »Ich liebe dich, Juanita.« »Du, Johnny, sind wir nicht schon so richtig wie Mann und Frau zusammen?« »Ich hab’ mal gehört, daß viele Menschen so jung heiraten, Juanita«, sagte er leise, »weil sie sich lieben und weil man in diesem Land nicht alt wird. Ich möchte dich heiraten, Juanita. In der ersten Kathedrale, die wir sehen, werden wir heiraten, ja?« Sie richtete den Oberkörper auf und legte die Lippen an seinen Hals. »Ja, Johnny.« Draußen kam der Tod näher. Der Verfolger hatte sein Pferd zurückgelassen und arbeitete sich völlig lautlos den Hang empor. Er ließ sich unheimlich viel Zeit dabei und wollte nicht auf die anderen Männer warten. Dreitausend Dollar lockten ihn. Zu groß war die Versuchung geworden. Das Kopfgeld würde ihn mit einem Schlag zu einem gutgestellten Mann machen. Er konnte heiraten, eine Familie gründen und als angesehener Bürger leben. »Das«, so würde man anerkennend sagen, »ist der Mann, der den Mörder und Banditen Johnny Darkney erschoß.« Dreitausend Dollar. Eine gewaltige Summe für einen Mann wie ihn. Und um das Geld zu kriegen, brauchte er nur eine einzige Kugel zum richtigen Moment in Johnny Darkneys Herz zu jagen. Darum schlich er immer näher. In der Hütte war es still. Johnny lag entspannt da. Die Nacht war warm. In der Hütte hielt sich noch die Tageshitze. Vielleicht war es die letzte warme Nacht, denn der Winter brach immer schnell und hart im Norden herein, oftmals von einer Stunde zur anderen.
Juanita war auch noch wach. Sie streichelte über sein Kinn, über Brust und Arme. »Ich hab’ dich so lieb, Johnny.« »Ja«, flüsterte er und lächelte ermattet. »Ich hab’ furchtbaren Durst.« »Ich hol dir was von draußen, Liebling.« »Nein, laß nur, Kleines. Ich mach das schon.« Johnny ging hinaus. Vor ihm lagen die verlassenen Täler. Er war glücklich und fühlte sich so, als wären er und Juanita die einzigen Menschen auf der Welt. Im Sternenlicht leuchtete sein blondes Haar. Er reckte sich und spürte den Nachtwind am Körper. Langsam ging er zum alten Holzeimer und schöpfte mit den Händen das Wasser. Hinter ihm tauchte der Mann auf. Der Lauf eines Gewehres war auf Johnnys Rücken gerichtet. Der Mann sah ihn nackt und wußte, daß er nichts zu befürchten hatte. Als Johnny die fremde Stimme hörte, erstarrte er. Zu Tode erschrocken, stand er reglos vor dem Wassereimer. Noch rann Wasser in Perlen an seinem Hals hinunter. »Endlich, Johnny Darkney! Du bist nackt wie Adam – und Adam ist schon lange tot. Es wird Zeit für dich, Johnny Darkney! Dreh dich um. Ich will deine Augen sehen.« Johnny gehorchte. Er erblickte einen unrasierten Mann, der auf sein Herz zielte. Es war eine furchtbare Situation. Als Johnny daran dachte, daß die Kugeln seinen bloßen Körper durchschlagen würden, stöhnte er auf und zitterte. »Ich – ich bin allein«, sagte er mit schwankender Stimme. »Holen Sie mir wenigstens meine Kleidung, Mister! Ich will nicht nackt sterben.« »Du stirbst so, wie ich es will, Johnny Darkney!« entgegnete der Mann kalt und höhnisch. »Ich werde dich in eine Decke rollen und dich so, wie du bist, zur nächsten Stadt bringen – natürlich tot.«
Fieberhaft suchte Johnny nach einer Chance, doch es gab sie nicht. Sein Gesicht verfärbte sich. In den blauen Augen flackerte es auf. Schweiß perlte auf der Stirn. »Ich will nicht sterben!« stöhnte er. »Wer will das schon, he?« Der Mann kam näher. »Tot oder lebendig, das steht auf dem Steckbrief. Ich bring dich tot zurück, das ist einfacher für mich.« »Sie sind ein hundsgemeiner Halunke!« krächzte Johnny. »Ich hab’ niemals getötet, um an Geld heranzukommen. In der Hütte liegt ein Brief von US-Marshal Cash Murdock! Lesen Sie ihn, und Sie werden mich nicht erschießen.« »Ah, du willst auch noch frech werden, Johnny? Ich kann und ich will nicht lesen, kapiert? Was Murdock geschrieben hat, interessiert mich nicht! Auf dem Steckbrief steht eine Belohnung, und nur das ist für mich wichtig. Du willst doch wohl nicht behaupten, daß du unschuldig bist, he? Du bist zwar jung, aber mörderisch! Ich schieße in deine Brust, damit man dein Gesicht unversehrt sieht, sonst krieg ich womöglich nicht die Belohnung.« »Ich will doch nur leben, mehr nicht!« stöhnte Johnny laut auf. »Bitte!« Er fiel auf die Knie – und damit gab er das Schußfeld frei. Er wußte nicht, ob Juanita die Kraft besitzen würde, auf diesen Mann zu schießen. Sie hatte die Kraft. Der Schuß aus Johnnys Colt stieß grell und laut aus der dunklen Hütte hervor und riß den Mann von den Beinen. Leblos rollte er den Hang abwärts. Weinend umarmte Juanita Johnny. Beide hielten einander fest und blickten mit geweiteten Augen auf den Körper, der schlaff in die Tiefe rutschte. In panischer Angst hetzten sie in die Hütte und kleideten sich an. Sie rafften den Proviant und die wenigen Habseligkeiten zusammen und hasteten zu den Pferden. Schon ritten sie davon.
Johnny glaubte, keine Zeit zu haben, um die Spuren zu verwischen. So hinterließen sie eine Spur, die zum Gunnison River nach Nordwesten führte. Später, viel später, kamen die Verfolger und betraten Isaac Brody und Cole Cagney die Hütte. Beide waren keine Deputies mehr – beide waren zu US-Marshals ernannt worden. »Verdammte Sauerei«, sagte Cole Cagney. »Wieder ist uns der Schweinehund entwischt.« Isaac Brody blieb kalt. »Ich werde zwanzig und mehr Jahre den US-Marshal-Stern tragen, und in dieser Zeit erwische ich ihn bestimmt, das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.« Sie gingen hinaus und scheuchten die Männer in alle Richtungen davon. An diesem Tag war der Himmel bedeckt, und der Wind war kühl geworden. Die Männer kamen zurück, sie hatten die Spur gefunden. »Sie sind nach Nordwesten geritten, Marshal.« »Zum Gunnison also«, murmelte Brody. »Seltsam – vor ein paar Tagen trafen wir diesen Peabody und die Frau. Auch sie waren unterwegs nach Nordwesten. Langsam glaube ich, daß Peabody ein ziemlich schlauer Fuchs ist.« »Begrabt den Mann«, befahl Cole Cagney, »tränkt die Pferde. In einer Viertelstunde brechen wir auf.« Während dieser kurzen Zeit saß Isaac Brody abseits und grübelte. Als sie aufbrachen, ritt er an Cagneys Seite. »Peabody kann kein Hellseher sein, Cole. Er wird viele Erkundigungen eingezogen haben. Wir müssen ihn aufspüren. Dieser Privatdetektiv weiß mir zuviel. Ich wette, daß er nach der Stadt Gunnison unterwegs ist! Und diese Mrs. Ford aus Two Horses will so etwas wie Selbstjustiz üben. Das gefällt mir nicht. Das Recht dazu hat sie, denn Darkney ist vogelfrei. Und trotzdem, sie ist eine Frau, nicht wahr?« »Das kann man nicht abstreiten«, meinte Cagney. »Wir glauben immer, daß Frauen nur am Herd was taugen. Aber sie haben oftmals mehr Verstand als die Männer und können
manchmal eiskalt sein. Gott sei Dank stehen die meisten Frauen am Herd und sind gut.« »Es geht nicht um die Frauen, es geht um Johnny Darkney und seinen Tod, Cole.« Im Galopp ritten sie abwärts und in die weiten Täler. *** In der weiten Flußniederung standen die Spitzzelte. Der Rauch der Lagerfeuer wehte über die Wigwams hinweg. Hunde liefen streunend umher und suchten nach Fleischabfällen, Häuten und Knochen. An hohen Gerüsten hing Büffelfleisch zum Dörren. Alte Skalpe flatterten an Stangen. Der Tag war kalt. Langsam ritten Johnny und Juanita näher. Die Hunde kamen ihnen kläffend entgegengelaufen. Kinder unterbrachen ihre Spiele. Squaws hielten mit der Arbeit des Fellgerbens inne. Männer traten zusammen. Greise mit schlohweißen Haaren richteten sich knochig und steif auf. »Johnny«, flüsterte Juanita, »glaubst du wirklich, daß sie uns nichts tun?« »Mach dir keine Sorgen, Liebling. Ich verstehe etwas von ihrer Sprache. Ich hatte fast drei Jahre Zeit dazu! Bleib etwas zurück.« Johnny ritt voraus und in das Lager. Er saß ab und schritt sofort auf die Gruppe der Männer zu. Juanita zügelte das Pferd und beobachtete, wie Johnny sprach und dabei gestikulierte. Die alte Feindschaft zwischen Weißen und Indianern war gewaltsam wie alles vorbeigegangen. Die Indianer siechten in Reservaten dahin. Sie wollten keinen Weißen sehen, und obwohl kein Weißer die Reservate unerlaubt betreten durfte, brachen auch jetzt noch die Weißen den Vertrag und drangen einfach in die Reservate ein. Lange mußte Juanita warten.
Dann kam Johnny zu Fuß aus dem Lager und winkte ihr. Sie ritt zu ihm und saß ab. »Wir dürfen hier bleiben«, sagte er froh. »Das Lager befindet sich schon seit mehreren Jahren hier. Ein paar Indianerinnen erinnern sich noch an die junge Indianerin, die zu meinem Vater zog. Wir haben sehr viel Glück, Juanita. Komm, gib mir deine Hand.« Langsam gingen sie in das Lager. Eine alte knochige Squaw kam ihnen entgegengehumpelt und gab ihnen ein Zeichen, ihr zu folgen. Sie wies ihnen ein Wigwam zu und schleppte sich hinein. Dann saß sie wie eine Mumie auf alten Fellen und blickte die jungen Menschen mit harten Augen an. »Sie war meine Tochter. Mein Mann hatte kein Herz für sie. Er wollte damals einen Sohn haben, und als sie geboren wurde, wollte er sie erschlagen. Das hab’ ich verhindert. Er war froh, als dein Vater kam. Dein Vater mußte ihm fünf Pferde für sie geben und was von diesem Zeug, das die Weißen Dollar nennen. Dein Vater war ein guter Mann.« Johnny senkte den Blick. Zu seinen Füßen glühte ein kleines Feuer. Der schwache Rauch zog durch die obere Öffnung ins Freie. Er sagte der Alten nicht, daß sein Vater ein Bandit gewesen war. Indianer urteilen nicht nach den Gesetzen der Weißen. »Deine Worte machen mich froh«, antwortete er. »Ist sie deine Squaw?« fragte die Alte und zeigte auf Juanita. »Ja«, sagte Johnny, ohne zu zögern, »aber wir müssen noch getraut werden.« Die Alte lachte rauh auf. »Unsinn! Wozu? Die Liebe ist wichtig, alles andere braucht nicht zu sein. Aber in der Stadt, die die Weißen Gunnison nennen, gibt es ein großes Haus, wo sie zu ihrem Gott beten.« »Ist es weit bis dorthin?« »Einen Tagesritt am Fluß entlang.«
»Ich danke dir.« So begann für beide das Dasein im Lager am Gunnison River. Sie bekamen Büffelfleisch zu essen, und die Alte reichte ihnen Büffelfett und Pemmican. Johnny verstaute alles in den Satteltaschen. Wenn er mit Juanita allein im Wigwam war, dann aßen sie etwas vom Schinken. Die Alte lehnte den Schinken verächtlich ab. Am nächsten Tag ritten sie zum Fluß hinunter und in Richtung Gunnison davon. *** Die kleine Kathedrale aus alter Zeit stand im Zentrum der Stadt. Es war so kühl geworden, daß die Nebel wie grauer Schnee aussahen. Die Laubbäume am Fluß wurden schon lichter, die Blätter fielen, und Herdrauch wehte über die Dächer der Stadt. Männer mit hochgeschlagenen Kragen gingen die Straße hinauf. Frauen trugen Kopftücher. Am Stadtrand verhielten sie. Fragend blickte Johnny sein Mädchen an, und die blutjunge Mexikanerin Juanita nickte lächelnd. »Ich hab’ uns zwei Ringe gemacht, Johnny...« »Das hab’ ich gar nicht gemerkt. Woraus denn?« »Aus meinen silbernen Ohrringen. Ich trug sie damals noch. Nimm sie, Johnny.« Er betrachtete sie und barg sie wie einen Schatz. Dann lenkten sie die Pferde hinter die Häuser und erreichten den Hinterhof der Kathedrale. Durch eine Wolkenlücke fiel Sonnenschein und erhellte die alten grauen Mauern. Am Rande der Stadt standen die zerfallenen Hütten der Goldsucher, die längst davongezogen waren. Ein grauhaariger Mann saß im kleinen, halbverwilderten Garten und beobachtete die fallenden Blätter.
Johnny ließ Juanitas Hand los. Ihm war feierlich zumute. Sein Lächeln war ernst, als er vor den grauhaarigen Mann trat. »Guten Tag, Sir. Wissen Sie, wo wir den Padre finden? Wir wollen nämlich heiraten.« »Ich weiß es.« Der Mann betrachtete Johnny und blickte dann zu Juanita hinüber, die neben den Pferden wartete. »Ihr seid noch sehr jung. Warum wollt ihr zu dieser Jahreszeit heiraten? Die Tage werden kürzer und kälter. Ihr jungen Leute heiratet doch immer dann, wenn der Schnee geschmolzen ist und es überall zu blühen beginnt.« Johnny atmete tief ein. »Wir möchten jetzt heiraten, nicht erst im Frühjahr. Wir sind beide allein. Wir haben keine Eltern mehr und keine Freunde.« Der gealterte Mann richtete sich von der Gartenbank auf und legte die Hand stützend auf Johnnys Schulter. Erst jetzt sah Johnny, daß er ein silbernes Kreuz trug, daß er der Geistliche war. »Dann geht mit mir, meine Kinder«, sagte er und lächelte. »Ich habe gesehen, daß ihr euch liebt und daß es nicht nur die erste Liebe ist.« Er ging ihnen voraus und durch eine alte Holztür in die Kathedrale. Die Vordertür zur Straße hin stand weit auf. Noch immer schien die Sonne durch die Wolkenlücke, und die Nebel schwebten hell durchleuchtet am Eingang vorbei. Eine alte Frau in Schwarz kniete zwischen den Bänken, Kerzen brannten auf dem Altar. Die Schritte hallten im Gewölbe. Es war hier so kühl wie draußen. Die Stimmen der Menschen in der Stadt drangen nur als Gemurmel herein. Ein Conestogawagen rollte draußen vorbei. »Stellt euch dorthin, meine Kinder, und sagt mir eure Namen.« Johnny griff nach Juanitas Hand. Leise gingen sie zur vorderen Bank. Beide hatten ein eigenartiges Gefühl. Es war hier so still, so weltlich abgeschieden und friedlich. Nach der
langen Flucht und nach dem lauten Aufpeitschen der Schüsse wirkte diese Stille hier unnatürlich. Sie nannten ihre Namen. Der Geistliche hatte sich sein Gewand übergestreift und sprach zu ihnen. Dann rief er die alte Frau heran. Sie kam und blieb neben Johnny und Juanita stehen. Der Geistliche segnete die jungen Menschen und machte sie vor Gott zu Mann und Frau. Zitternd streifte Johnny den Ring über Juanitas Finger, und auch sie zitterte, als sie es bei ihm tat. Sie umarmten sich und standen still und mit geschlossenen Augen in der Kathedrale. »Ich freue mich für euch, meine Kleinen«, flüsterte die alte Frau mit zittriger Stimme. »Möget ihr ewig glücklich sein wie an diesem Tag. Der Herr meint es ganz bestimmt gut mit euch.« Juanita liefen die Tränen über das Gesicht. Noch immer rührten sie sich nicht. Die Schritte der alten Frau hallten durch die Kathedrale. Der Geistliche zog sich zurück. Als draußen die Sonne verschwand, öffneten Johnny und Juanita die Augen und blickten nach vorn. Die alte Frau in Schwarz war verschwunden. Aber genau in diesem Moment schritt eine andere Frau draußen vorbei. Sie war schwarzhaarig und trug ein Kopftuch. Suchend sah sie sich um. Stöhnend schlang Johnny die Arme um seine blutjunge Frau, als müßte er sie vor den Blicken der Frau dort draußen schützen. Doch die Frau konnte sie gar nicht sehen. Sie wandte sich jetzt ab und winkte kurz – und dann fuhr in einem Buggy ein dickleibiger Mann vorbei. Er rauchte eine Zigarre und trug einen Mantel... Peabody! Und die Frau war Patricia Ford! Johnny war wie betäubt. Er kniff die Augen zusammen, doch die Frau aus Two Horses existierte wirklich. Es war kein
Alptraum. Die Vergangenheit war ihnen bis zum Gunnison River gefolgt! »Komm, Juanita!« flüsterte Johnny hastig. »Wir müssen weg von hier! Hast du den Buggy gesehen und den dicken Mann darauf? Er darf uns nicht sehen, sonst ist alles aus! Auch die Frau darf mich nicht sehen. Mein Gott, warum sind sie hergekommen! Sie sind noch immer auf unserer Spur!« Er zog Juanita nach hinten. Sie hasteten auf den Hinterhof und erreichten die Pferde. Juanita war völlig verstört. Eben noch war sie endlos glücklich gewesen – und jetzt begann wieder diese grausame Flucht, dieser Zwang zum Verstecken und Verkriechen! »Wer ist dieser Mann, Johnny?« »Ein Detektiv! Er will mich töten! Damals in Two Horses hab’ ich den Mann der Frau erschossen! Ich hab’ geglaubt, daß er ein Bandit wäre – aber er war mit anderen Männern gekommen, und das Aufgebot hatte meinen Vater und die Indianerin getötet. Gerechter, ich hab’ soviel falsch gemacht, Juanita, aber ich will nicht diesen Menschen begegnen! Nirgendwo wird es eine gerechte Verhandlung geben. Der Haß ist zu groß, er wird für mich tödlich sein. Komm!« Sie stiegen auf die Pferde und ritten den Weg zurück. Am Fluß saßen sie ab. Sie waren so durcheinander, daß sie nicht wußten, was sie tun sollten. Man wollte sie töten! Um jeden Preis. *** Der Buggy rollte am Gunnison River entlang. Peabody folgte einem ausgefahrenen Weg. In seinen wärmenden dicken Mantel gehüllt, lenkte er die beiden Pferde und kaute auf der erloschenen Zigarre. Eine Decke lag über seine Beine ausgebreitet. Darunter befand sich eine Winchester... Peabody hatte nicht aufgegeben. Die Belohnung, die auf Johnnys Kopf ausgesetzt worden war, war wieder einmal
erhöht worden, und für dreitausendfünfhundert Dollar war Peabody bereit, sogar in die Hölle zu fahren, um Johnny Darkney zu finden. Er hatte Patricia Ford in Gunnison zurückgelassen. Sie war seltsam still geworden, war in sich gekehrt und sprach nur wenig. Sie hatte die Suche so nahe am Ziel aufgegeben. Zäh hatte Peabody überall nachgeforscht und schließlich herausgefunden, daß die Indianerin, die bei Johnnys Vater gelebt hatte, aus diesem Gebiet stammte. Am Fluß war es still. Fröstelnd zog Peabody die runden Schultern an. Er schwitzte nicht mehr wie sonst immer. Nur das Schnaufen war geblieben. Mit seinen kleinen Augen blickte er umher. Plötzlich hörte er Hufgetrappel. Zwei Reiter kamen ihm entgegen. Er erkannte sie sofort und zog die Zügel an, hielt und holte eine neue Zigarre hervor, rauchte sie an und paffte. Beiderseits des Buggys zügelten die Reiter die Pferde. »Das ist aber ein seltsamer Zufall!« sagte Isaac Brody mit einem lauernden Unterton in der spröden Stimme. »Hier am Gunnison trifft man sich wieder! Wohin soll’s denn gehen, Mr. Peabody?« »Ach, irgendwohin«, meinte Peabody freundlich. »Ich fahre nur spazieren.« Cole Cagney starrte den schleimig-freundlichen Detektiv kalt an. »Wo ist Mrs. Ford?« »In der Stadt. Ich komm auch bald in die Stadt. Sie beide reiten allein?« »Wir haben die Männer zurückgeschickt.« Brody verzog den Mund. »Das, was zu erledigen ist, schaffen wir allein. Machen Sie uns nichts vor, Peabody. Sie wissen, daß Johnny Darkney irgendwo in diesem Gebiet ist! Ich will von Ihnen eine Antwort haben.« Peabody biß auf die Zigarre, doch er verlor nicht die Beherrschung. »Ich kann mich überall aufhalten, mit oder ohne Grund, Marshal! Denken Sie sich eine Antwort. Guten Tag.«
Er fuhr weiter. Die Reiter starrten ihm nach. Brody fluchte. »Beeilen wir uns! Bis zur Stadt ist es nicht mehr weit. Wir werden mal mit dieser Mrs. Ford reden. Sie wird uns sagen, wohin Peabody fährt – und dann folgen wir ihm! Los, ab!« Im Galopp jagten sie am Fluß entlang. Der beleibte Peabody grinste vor sich hin, griff unter die Decke und rückte die Winchester zurecht. So harmlos er auch aussehen konnte – er war gefährlich und rücksichtslos. Stundenlang trieb er die Pferde an. Es war schon Abend, als er den Rauch von Indianerfeuer roch. Die Temperatur war gesunken. Kalt wehte es durch die Bäume. Blätter fielen auf den Buggy. Peabody warf den Zigarrenstummel weg und lenkte die Wagenpferde durch die Flußniederung. Dann sah er die Zelte und den roten Feuerschein in der kalten Dämmerung. Wieder hielt er an. »Johnny«, sagte er in die Stille, »du bist hier! Brody und Cagney beweisen es. Du bist in das Indianerlager geflüchtet. Diese Nacht wirst du nicht überleben.« Entschlossen fuhr er zum Lager. Hunde kläfften. Männer versperrten ihm den Weg. Sie trugen nur alte Flinten, die sie zur Jagd brauchten. Er blieb auf dem Wagen. »Meine Brüder sind voller Zorn, daß ich, ein Weißer, ihr Lager aufsuche, aber es gibt einen wichtigen Grund dafür. Ich suche den Sohn meines Bruders. Er ist noch jung und hat helle Haare. Johnny heißt er.« »Du findest sie hier nicht!« entgegnete ein Indianer mit kehliger Stimme. »Kehr um! Betrete nicht unseren Boden!« »Ich habe Geschenke mitgebracht. Seht nach auf dem Wagen. Laßt mich hierbleiben. Ich werde den Wagen nicht verlassen.« Die Indianer zerrten die Plane hoch und holten die Whiskyflaschen und den billigen Schmuck vom Buggy. Sie redeten durcheinander und begannen zu trinken.
Lächelnd fuhr Peabody neben das Lager. Der kalte Dunst umgab ihn. Reglos hockte er auf dem Buggy wie ein unförmiges Gespenst und wartete. Die Indianer wurden lauter, tranken mehr und vergaßen ihn dabei. Er hatte sein bösartiges Netz ausgebreitet – und Johnny sollte sich darin verfangen. Aber es kam anders. Als Johnny und Juanita sich dem Lager näherten, hörten sie das Geschrei der trinkenden Indianer. Sie entdeckten die Wagenspur und ahnten, daß irgend etwas Düsteres auf sie wartete. Zuviel Mißtrauen war in ihnen, zuviel Argwohn. Johnny hatte gesehen, wie Peabody auf einem Buggy die Stadt verlassen hatte, und er ahnte nun, daß Peabody hier im Lager lauerte. »Bleib hier, Juanita!« »Johnny, was willst du tun? Um Gottes willen, sei vorsichtig!« Er antwortete nicht, glitt schon zu Fuß davon. An diesem Abend erkaltete sein Revolverblut. Früher war er manchmal hitzköpfig gewesen. Jetzt war er eiskalt. Er wollte Frieden, und er verdammte jeden, der ihn daran hindern wollte, mit Juanita glücklich zu leben. Abseits der Zelte und Feuer glitt er durch die dicke Dämmerung. Aus dem Dunst tauchten die Umrisse des Buggys auf. Verhüllt kauerte Peabody auf der Sitzbank. Johnny schlich heran und tauchte jäh neben dem Buggy auf – und sie starrten sich als Todfeinde an. Es gab keine Versöhnung zwischen ihnen. »Der Mörder des US-Marshals Cash Murdock«, sagte Johnny kalt. Peabody hatte sich in der Gewalt. Feuchte Kälte überzog sein feistes Gesicht. »Willst du mich erschießen, Johnny? Ich habe keine Waffe bei mir. Du kannst mich durchsuchen. Ich will mit dir
verhandeln, Johnny. Weißt du, ich will dir ein Angebot machen. Du sollst endlich frei sein. Ich...« »Steigen Sie vom Wagen, Detektiv!« Johnny trat zurück und beobachtete Peabody. Der beleibte Mann ächzte und zuckte die Achseln. Umständlich kletterte er vom Buggy und hob die Hände an. »Durchsuch mich, damit du weißt, daß ich es ehrlich mit dir meine, Johnny. Los, durchsuch meine Taschen.« »Ich glaube Ihnen nicht.« Johnny tastete ihn schnell und sicher ab. »Well, drehen Sie sich um.« In diesem Moment hörte Johnny den leisen Warnschrei. Juanita jagte mit den Pferden heran. Unwillkürlich drehte Johnny Peabody den Rücken zu – und Peabody langte unter die Decke auf dem Bock und riß die Winchester hervor. Doch das schabende Geräusch warnte Johnny. Er schnellte herum, ging dabei in die Knie und griff zum Colt. Die Mündungsflamme zuckte grell auf. Tot stürzte Peabody gegen den Buggy. Das Geschrei der angetrunkenen Indianer erstarb. Dicht vor Johnny riß Juanita die Pferde zurück. »Da kommen Reiter, Johnny!« Er stand einen Herzschlag lang still. Sein Gesicht verzerrte sich wie unter einem heftigen Schmerz, und der Ausdruck der Hoffnungslosigkeit erfüllte seine Augen. Dann warf er sich auf das Pferd. Sie ritten am Lager vorbei und nach Norden. Schon rasten Isaac und Cole Cagney heran, erreichten den Buggy, starrten auf Peabody und hörten den trommelnden Hufschlag. »Das sind sie!« ächzte Brody. »Vorwärts!« Sie vergaßen, Proviant mitzunehmen, und sie hatten auch kaum wärmende Kleidung bei sich. Sie waren fest davon überzeugt, Johnny Darkney noch in dieser Nacht zu stellen. Doch es wurden Nächte... ***
Nächte der Menschenjagd, Nächte der Flucht und Verzweiflung. Immer weiter nach Norden, irgendwohin. Tagsüber peitschten hinter Johnny und Juanita Schüsse auf. Die Verfolger versuchten, Wild abzuknallen. Doch sie wollten keine Zeit verlieren und nahmen nur wenig vom Fleisch mit. Der Ritt führte in die bizarre und zerklüftete Bergwildnis hinein, in eine grausame Welt klaffender Canyons und steiler Bergzüge. Und dann brach der Winter herein. Er kam mit einem Blizzard aus dem Norden. In einer Stunde war die Welt weiß und erstickten die massigen Douglasfichten unter der Last der Schneemassen. Die Pferde kamen nicht mehr weiter, sie versanken im Schnee – und eisige Kälte wehte durch die Wildnis. Das Holz war naß und wurde zu Eis. Wölfe heulten und suchten nach Futter. Vielleicht würde es in ein paar Tagen noch einmal warm werden – aber jetzt packte der grausame Winter des Nordens zu! Johnny zerrte Juanitas Pferd hinter sich her. Sie stießen in ein Waldstück hinein und versuchten, das Holz zum Brennen zu bringen, doch sie schafften es nicht – und ihre durchschwitzten Körper wurden von der Kälte umkrallt. Schnee wirbelte. Die Verfolger konnten nur ein paar hundert Yard hinter ihnen sein. Sie konnten sie nicht sehen. Auch Brody und Cagney hatten ihre Not. Die Kälte durchdrang die leichte Kleidung. Aber Isaac Brody wollte nicht aufgeben. Er ließ Cagney zurück und peitschte das Pferd grausam vorwärts, bis es zusammenbrach. Zu Fuß wühlte Brody sich durch den Schnee. Eiskristalle trafen peitschend sein Gesicht. Grausig heulte der Wind durch die Bergwildnis. Brody folgte der Spur. Hinter ihm suchte Cagney nach einem Schutz, machte den Fehler, nicht in Bewegung zu bleiben, kniete unter Bäumen und versuchte, ein Feuer zu entfachen.
Johnny umschlang Juanita. Ihre Tränen wurden zu Eis. Sie blickte über seine Schulter hinweg und schrie plötzlich auf. Dunkel und drohend wühlte Isaac Brody sich voran. Er schleppte sein Gewehr, stürzte immer wieder und taumelte hoch. »Nein!« schrie Johnny schrill. »Bleiben Sie weg, oder ich schieße!« Er zerrte den Colt unter der Jacke hervor und drückte ab. Doch Isaac Brody dachte in dieser Todesstunde nicht an Gesetz und Recht, an Gnade und Menschlichkeit. Es war ein furchtbarer Wille der Zerstörung, der ihn vorwärtstrieb. Er mißachtete die Warnschüsse und hob die Winchester an. Zwei junge Menschen waren sein Ziel. Er drückte ab, doch die eisige Kälte hatte das Öl in der Winchester gefrieren lassen. Die Patrone krepierte und riß das Gewehr auseinander. Mit dem Colt stapfte Brody näher. »Nein!« brüllte Johnny. »Bitte, zurück! Kommen Sie nicht näher!« Der Schneesturm heulte. Wie ein todwundes Tier schleppte Brody sich durch den Sturm. Er hatte vergessen, Marshal zu sein. Er wollte die wilde Natur bezwingen und stärker sein als alle Gewalt. Er verwünschte Gott und schrie mit röchelnder Stimme, zielte und wollte schießen. Da schoß Johnny, und er fiel in den Schnee und verschwand. Zitternd umschlangen sie sich und warteten auf Cagney, doch Cagney kam nicht. Wieder versuchte Johnny, Feuer zu machen. Er trug Holz zusammen, schichtete es auf und dachte plötzlich an den Brief des US-Marshals Cash Murdock. Es war seine letzte Chance im Süden – und auch hier im Norden. Er zögerte nicht, als er Juanita zittern und weinen sah. Er holte das Büffelfett aus der Satteltasche, schob das Fett und den Brief des Marshals unter das Holz und warf sich dicht davor hin. Mit klammen Händen brach er Patronen auf, schüttete das Pulver auf Papier und Fett und entzündete es. Das Holz begann zu brennen!
Sie warfen immer mehr Holz ins Feuer und zerrten die Pferde dicht heran. Sie kauerten am Feuer und hörten, wie der Sturm durch die Bäume peitschte. Ein paar Felsen schützten das Feuer. Bäume fingen den wirbelnden Schnee ab. Stunden vergingen. Plötzlich richtete Johnny sich auf. Sein Gesicht war grau wie Asche. »Ich muß zu ihm, Juanita! Sonst wird er umkommen. Ich kann ihn doch nicht erfrieren lassen!« Als Johnny den Platz erreichte, wo Cole Cagney zurückgeblieben war, sah er das erfrorene Pferd und den leblosen Cagney. Er war zu spät gekommen. Nicht ein Mensch hatte diesen unscheinbar wirkenden Mann besiegt. Es war der grausame Schneesturm mit seiner unerbittlichen Kälte gewesen. Johnny schleppte sich zu Juanita zurück. Er trug die Jacken und die Decken der toten Männer mit sich und fiel neben Juanita erschöpft zu Boden. Mit letzter Kraft hüllte er sie ein und warf sich eine Decke über die Schultern. Immer wieder warfen sie Holz nach und ließen das Feuer nicht ausgehen. Sie aßen vom Pemmican und vom Schinken und überlebten. Nach zwei Tagen ließ der Schneesturm nach – und die Sonne schien. Der Winter machte eine Atempause. Johnny floh mit seiner jungen Frau zurück zum Gunnison River und in das Lager der Indianer. Sie konnten niemals zurück in den Süden. Der Brief des Marshals hatte sie aber dennoch vor dem Tode bewahrt. Es wurde damals ein langer und strenger Winter. Als es dann endlich Frühling wurde, brachen drei Menschen auf. Patricia Ford kehrte in den Süden zurück. Johnny zog mit seiner Frau weiter nach Norden. Ihr Traum von Oregon wurde wahr. – ENDE –