KLAUS K U N K E L
VERLAG N E U E S L E B E N B E R L I N 1955
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KLAUS K U N K E L
VERLAG N E U E S L E B E N B E R L I N 1955
Alle Rechte vorbehalten Lizenz Nr. 303 (305/73/55) Umschlagzeichnung: Fritz Ahlers, Prieros (Mark) Gestaltung und TypograpMe: Kollektiv Neues Leben Druck: Karl-Marx-Werk, Pößneck, V15/30
D i e Übernahmekommission des amerikanischen Museums bestand aus zwei Mitgliedern: Mr. Edwards und Mr. Cawler. Der erstere, ein unförmig dicker Mann, war der stellvertretende Direktor. Er behandelte die Vertreter der Regierung Libyens herablassend und gönnerhaft. Im Augenblick sehnte er sich nach einem eisgekühlten Whisky, denn er schwitzte mächtig. Mr. Cawler fand die Formalitäten zwar auch sehr langweilig, aber er freute sich, daß er als junger, frisch gebackener Doktor der Naturkunde einer langen arbeitslosen Wartezeit entgangen war und hier eine interessante Aufgabe erhalten hatte. Er freute sich auf die „alten Knochen". Der bevollmächtigte Beamte der libyschen Regierung blieb korrekt und ruhig, obwohl er seine Abneigung verbergen mußte. Er haßte die überheblichen Amerikaner, die scheinbar die Souveränität des Staates Libyen garantierten, aber keine Gelegenheit ausließen, daran zu erinnern, daß sie in Wirklichkeit die Herren im Lande waren. Doch vorläufig mußte man gute Miene zum bösen Spiel machen, auch als die Amerikaner durchblicken ließen, daß kleine Geschenke die Freundschaft erhielten, und als sie Ansprüche auf das Skelett eines in Afrika gefundenen Dinosauriers anmeldeten. Libyen schenkte also den USA — wie es so schön hieß — aus Dankbarkeit für geleistete Hilfe das uralte Dinosaurierskelett. Jetzt warteten dreihundertundzwanzig Kisten auf den Abtransport vom amerikanischen Feldflughafen Ausukna. Auch die kostenlose Überlassung dieses Startplatzes sowie drei weitere Landebahnen an der Küste hatten die Amerikaner von den Libyern als „freiwillige" Zugeständnisse erpreßt. Nach der feierlichen Übergabe klopfte Edwards dem Regierungsvertreter auf die Schulter. „Na, ihr könnt eigentlich von Glück sagen, daß wir euch das Riesenvieh da abnehmen, was? Ihr habt doch gar keine Räumlichkeiten, das Skelett aufstellen zu können, ganz abgesehen von den Fachleuten, die euch fehlen." 3
Der Beamte versuchte zu lächeln. Er griff in seine Aktentasche, holte ein lose zusammengeknüpftes Bündel leicht angegilbter Blätter hervor und reichte es dem Amerikaner. „Was soll denn das?" fragte dieser. „Als das Knochengerüst vor vielen Jahren gefunden wurde, soll ein Holländer namens Peer Meeler dabeigewesen sein und diese Blätter beschrieben haben", antwortete der Mann in tadellosem Englisch. „Er starb am Fieber. Deshalb gehören diese Aufzeichnungen zu unserem Geschenk." Achselzuckend gab Mr. Edwards die Blätter an Dr. Cawler weiter, während sich der Regierungsbevollmächtigte würdevoll verabschiedete. Das erste Transportflugzeug wurde unter der Aufsicht Dr. Cawlers mit den sorgfältig eingepackten Knochen beladen. Dann fand der Wissenschaftler Zeit, sich das sonderbare Manuskript anzusehen. Nachdem er es gelesen hatte, suchte er den stellvertretenden Museumsdirektor auf. Dieser saß bei eisgekühltem Whisky in seinem Zimmer. „Eine Sensation", meldete Cawler erregt, „eine tolle Phantasie hat der Mann gehabt, dieser Peer Meeler! Das müssen Sie unbedingt lesen, Mr. Edwards!" „So, meinen Sie?" fragte der gelangweilt. „Was kann ein Holländer denn schon Aufregendes machen? Aber gut, ich weiß sowieso nicht, was man in diesem Kaff anfangen soll. Ihre Maschine ist ja wohl schon fort! Lesen Sie mir doch mal vor, Doktor." Einen Augenblick wollte der Wissenschaftler gegen das entwürdigende Angebot protestieren. Doch er besann sich, daß er ja seine Stellung behalten wollte. Und während sich sein dicker Landsmann schnaufend auf sein Lager legte und die Flasche in greifbare Nähe rückte, begann Dr. Cawler das Manuskript des verstorbenen Holländers vorzulesen...
„ ,Deine Worte sind so trügerisch wie der Mond, der ständig seine Gestalt verändert, Lewaninka', sagte ich. .Deine Gedanken formen sich in der Absicht, meine Träger von der Last der Geschenke zu befreien. Aber ich schwöre dir, o Häuptling, daß ich davonziehen werde, ohne auch mir die Stricke der Verpackung zurückzulassen, wenn du nicht endlich deiner Zunge befiehlst, mir die Wahrheit zu sagen.' ,Bwana Meeler!' Der alte, aber noch rüstige Barotse-Fürst des LobaleStammes konnte seine Erregung nicht mehr unterdrücken und sprang von seinem erhöhten Sitz auf. ,Es ist so, wie ich sage! Deine Augen sollen die meinen überdecken, wenn ich nicht zu meinen Worten stehen kann! Ist es so, Männer?' 4
Die Ältesten und Ratgeber, die rund um die beiden Beratungsfeuer in der Mitte der Häuptlingshütte saßen, wandten sich nun an mich und begannen zum wiederholten Male, alle zugleich zu schnattern, um mir Einzelheiten ihres großen Jagdabenteuers zu berichten. Eigentlich hätte es des großen Wahrheitsschwures des Häuptlings gar nicht bedurft, meinen Glauben an die Echtheit seines Berichtes zu verstärken. Bereits als ich die aufsehenerregende Nachricht in den Zeitungen Ugandas las, witterte ich die große Gelegenheit, auf die ich während der vierundzwanzig Jahre, die ich in Afrika lebte, gewartet hatte: der Großwildjäger Afrikas zu sein, dem die bedeutendste Entdeckung unseres Jahrhunderts gelingt. Mit einer kleinen Expedition, ausnahmslos schwarzen Begleitern, befand ich mich nun in Liulia, einem Stammdorf der Lobale-Neger bei den Zuflüssen des oberen Nils, in der Nähe der riesigen, noch von keines Menschen Fuß betretenen fieberschwangeren Sumpfgebiete im Sudan. Hier saß ich bei den Dorfbewohnern und veranstaltete ein großes Palaver*. Erstaunlich — und für die Glaubhaftigkeit der Erzählungen bürgend — war, daß sich die Neger auch in den geringfügigsten Einzelheiten nicht widersprachen. Ich heuchelte Ungläubigkeit, um sie zu reizen und sie unbeherrscht zu machen; ich lauerte geradezu auf Abweichungen und stellte die geschicktesten Fragen. Aber die Erzähler beschworen immer wieder die Wahrheit ihrer Darstellungen. Einige von ihnen schienen noch einmal die Schrecken des grauenhaften Abenteuers zu erleben. Obwohl die Neger am oberen Nil wegen ihrer Tapferkeit weitberühmte Krieger waren, spiegelte sich jetzt in ihren Augen Furcht, und mit lebhaften Armbewegungen unterstrichen sie die mit Pathos hervorgebrachten Worte ,Chipekwe', ,Lau' und ,Mokele-Mbamba'. Die Neger wollten ernst genommen werden, und ich erinnerte mich, wie ich im Klub ausgelacht worden war, als ich Ähnliches behauptet h a t t e . . . ,Menschenskind!' Hauptmann Warner, mit seinem Gegröl immer vornweg, schlug sich vor Vergnügen auf die dicken Schenkel. ,Was seid ihr Holländer doch für naive Burschen! Solch einer Zeitungsente zu glauben . . . Unvorstellbar! Wirklich, wegen weniger Zeilen Druckerschwärze, die sich irgendeine Redaktionswanze aus den Fingern gesogen hat, um ein bißchen Sensation zu machen, läuft doch kein vernünftiger Mensch in den Urwald! Ein lustiger Beitrag zum heutigen Abend. Wirklich! Dachte nicht, daß ich heute noch so lachen würde. Sie sollten mal ausspannen, Mr. Meeler!' * Ratsversammlung der Neger
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Die anderen, mit denen wir uns allabendlich im Klub trafen, stimmten dem Hauptmann lachend zu. Vereinzelt trafen mich auch bedauernde Seitenblicke, die meinen augenscheinlich ruhebedürftigen Nerven galten. Nur einer, Professor Winzig, stellte sich plötzlich auf meine Seite. Eigentlich war er gar kein richtiger Professor, und er hieß auch nicht Winzig. Wir aber nannten diesen ehemaligen Landschullehrer aus Mittelengland so und vergaßen darüber seinen richtigen Namen. In seiner Tätigkeit als Leiter einer englischen Schule in Uganda platzte er förmlich vor Wichtigkeit, und er war von der Bedeutung seiner 1,60 m großen Persönlichkeit überzeugt. Sein Landsmann Warner hatte ihm daher den Spitznamen .Professor Winzig-Wichtig' beigelegt, aus dem dann im Laufe der Zeit ,Professor Winzig' geworden war. Er mischte sich in alle Angelegenheiten, gebärdete sich wie ein Klatschweib, wußte angeblich immer am besten Bescheid und versäumte keine Gelegenheit, auf seine umfangreichen Studien hinzuweisen. Dabei begann sich dann stets sein dünner, etwa dreißig Zentimeter langer Bart vor aufgeblasener Wichtigkeit zu sträuben. Wir hatten uns an den Professor gewöhnt und ertrugen seine Eigenarten Und er schwang sich also zu meinem Verteidiger auf. .Gentlemen!' rief er. .Gentlemen, nicht zaghaft, nicht zaghaft! Bei meinen umfangreichen Studien entdeckte ich nämlich, daß man jahrhundertelang die Existenz des von den alten Ägyptern verehrten gekrönten Okapis bestritten hat, bis es vor 35 Jahren einem Engländer gelungen ist, das angebliche Fabeltier zu erlegen. Und wo, Gentlemen? In Afrika, jawohl, in Zentralafrika, dem letzten Schlupfwinkel vieler im Aussterben begriffener Tierarten. Oder das Hoazin-Schopfhuhn, dieser kleine Nachfahre des dämonischen Flugdrachens, der vor vielen Millionen Jahren die Erde bevölkerte. Wie ist es denn damit? Die ganze wissenschaftliche Welt geriet völlig aus dem Häuschen, als festgestellt wurde, daß das Hoazin noch heute in den Wäldern Südamerikas lebt. Und da wollen Sie so mir nichts, dir nichts vor einem neuen Wesen davonlaufen? Nicht zaghaft, nicht zaghaft, Gentlemen! Ich, Mr. Meeler, ich gehe mit Ihnen!' Das war genau das, was ich eigentlich nicht wollte, obwohl mich die einzige Zustimmung freute. Mit Verwunderung hatte ich übrigens der temperamentvollen Rede des Professors gelauscht; es hatte gerade so geklungen, als verstünde er wirklich etwasv davon. Aber was sollte ich mit dem dünnen Männchen im Busch anfangen? Zum Kindermädchenspielen fehlt einem da jede Zeit. Außerdem hatte ich wenig Erfreuliches über die Einstellung des Professors zu den Negern gehört. Die schwarzen Dienstboten in seinem Hause sollten die Hölle haben. Nun, mich ging's 6
nichts an; aber mit einem solchen Menschen in den Urwald zu gehen, wo man auf die Zuverlässigkeit und Treue der Neger angewiesen war, das war mir denn doch zu gefährlich. Was ich vor allem brauchte, war Geld, um die Expedition auf die Beine stellen zu können. Ich hatte kaum das Nötigste; Winzig lebte nur von seinen Schulden, und niemand würde ihm für so ein zweifelhaftes Unternehmen finanzielle Mittel vorstrecken. Ich konnte es meinen Klubfreunden nicht übelnehmen, daß sie mich auslachten. Ich wollte ausziehen, um die Saurier zu entdecken, von denen die Lobale-Neger einem Farmer erzählt hatten, als er sie vor der diesjährigen Regenzeit besucht hatte. Von Sensationsreportern war ein Gespräch belauscht worden, das dieser Farmer im halbbetrunkenen Zustand mit seinen Saufkumpanen im Wartesaal geführt hatte - er hatte .selbst nicht an die Aussagen der Neger geglaubt —, und schon war die Sensation den Lesern brühwarm aufgetischt worden. .Tropischer Sumpf beherbergt Saurier!' prähistorisches Geheimnis in unserer Nachbarschaft!' .1931 — das Jahr der erregenden Wiederentdeckungen?' So und ähnlich lauteten die fetten Schlagzeilen. Wer die aufbauschende Arbeit der englischen Presse kannte, gab auf solche Berichte nicht viel. Doch mich elektrisierte diese Meldung, und ich war ohne lange Überlegung bereit loszuziehen, um die Saurier im Triumph nach Uganda zu bringen. Doch vorläufig standen der Professor und ich mit unserem Optimismus allein. Das änderte sich auch in den nächsten Tagen nicht, in denen ich alle meine Verbindungen spielen ließ, um zu Geld zu kommen. Alles vergebens. Selbst die Zeitungen glaubten ihren eigenen Berichten nicht und verweigerten mir jede Hilfe. Längst hatten neue .erregende' Meldungen die Saurier-Sensation in den Hintergrund gedrängt, als es mir durch die Rührigkeit des Professors gelang, einen kleinen Betrag aufzutreiben. Ich dankte es Winzig, indem ich ihn sitzenließ und mit meinem in aller Eile zusammengestellten kleinen Trupp nachts in einem Güterwaggon davondampfte. Insgeheim beschloß ich, ihm dafür eine extra große Schuppe von meinem ersten Saurier mitzubringen. Die Dorfbewohner in Liulia empfingen uns gastfreundlich. Es erleichterte mein Vorhaben sehr, daß ich in dem regierenden Fürsten den alten Barotsen Lewaninka erkannte, mit dem ich vor Jahren eine Safari* in Belgisch-Kongo unternommen hatte. Er erkannte mich sofort und empfand offensichtlich Genugtuung, als ich ihm den Zweck meines Besuches auseinandersetzte... « Überlandmarsch mit Trägern In Ostafrika 7
Das sofort einberufene große Palaver, das wir jetzt abhielten, lief Gefahr, sich endlos auszudehnen. Vor allem hatte ich Mühe, geschickt wieder einzulenken, um die Jäger nicht zu kränken. Lewaninka verschaffte sich Ruhe. Er setzte sich auf seinen Platz zurück und stieß zum Zeichen, daß er eine Erklärung abgeben wolle, aus seiner Pfeife kurz hintereinander dichte Rauchwolken, die wie eine Kette durch den nicht zugfrei schließenden Eingang der Hütte verschwanden. ,Bwana Meeler', wandte sich der Häuptling mit ernstem Gesicht an mich, ,die Lobale sind tapfere und mutige Krieger. Aber niemals wieder wird einer von uns dem Mokele-Mbamba gegenübertreten.' Die Männer des Stammes murmelten zustimmend. Die glatte Ablehnung des Häuptlings paßte durchaus nicht in meine Pläne. Ich mußte in die Sümpfe, und wenn meine Träger auch noch von der Furcht der Dorfbewohner angesteckt werden würden, wären alle meine bisherigen Bemühungen vergebens gewesen. Ich wollte den Ehrgeiz der Lobale-Neger anstacheln und redete auf Lewaninka ein: ,Die tapferen Krieger eures Stammes fürchten sich vor keinem Feind. Sie haben die Kraft des Löwen, das Herz des Adlers und die Klugheit der Schlange. Sie sind furchtlos in die Sümpfe gegangen, um das große Lau zu suchen. Warum wollen sie sich diesen Weg in den kommenden Tagen versperren? Eine tapfere Tat kann der tapfere Krieger zu jeder Zeit wiederholen!' Der Barotse-Fürst griente mich an. Ich erwartete jeden Augenblick, daß er die Augen zukneifen und mir wie einem Verschwörer zublinzeln würde. Aber diese dem Weißen vertraute Geste war Lewaninka nicht bekannt. Trotzdem merkte ich, daß er mich durchschaut hatte und sich nicht überlisten ließ. Tief sog er den Rauch seiner Pfeife in die Lungen und stieß ihn dann geräuschvoll wieder aus. ,Bwana', sagte er, ,ist der tapfere Adler feige, wenn er sich nicht in einen Kampf mit der Großmutter des Schlammes, dem häßlichen Krokodil, einläßt? Die Waffen der beiden sind zu verschieden, und selbst der stolze Flieger wird nicht gegen die spitzen Zähne des kriechenden Ungeheuers bestehen können.' ,Aber ihr habt doch bereits bewiesen, daß ihr gegen das MokeleMbamba bestehen könnt', wandte ich ein. ,Man darf das Glück nicht herausfordern', antwortete Lewäninka. ,Wir hörten von den Ungeheuern in den Sümpfen, und es bereitete uns Unbehagen, daß den Lobale die Wahrheit nicht geglaubt wurde. Deshalb beschloß unser Rat den großen Jagdzug, den wir vor fünf mal drei Monden unternahmen. Unsere Jäger und Späher hatten schon des öfteren Spuren von gewaltiger Größe gesichtet, wenn sie auf der Jagd oder bei 8
der Verfolgung den Sümpfen sehr nahe gekommen waren, Daraufhin zog ich also mit meinen Kriegern aus.' ,Erzähle mir noch einmal von dem Jagdzug', bat ich den Häuptling. Lewaninka ließ sich nicht lange nötigen, und ich bekam erneut Gelegenheit, die große Gedächtniskraft des Negers zu bewundern. Obwohl er den Jagdbericht heute bereits dreimal vorgebracht hatte, sprach er nicht nur mit dem gleichen Schwung und Feuer wie beim erstenmal, sondern er wählte fast dieselben Worte und formte dieselben Sätze; sogar die Unterstreichung besonders aufregender Szenen durch Gestik und Mimik setzte stets an den mir nun schon bekannten Stellen ein. Trotzdem war es nicht langweilig, ihm zuzuhören. Begierig prägte ich mir jede Einzelheit ein. Außerdem wäre es für den Barotse-Fürsten die größte Beleidigung gewesen und ich hätte mir jegliche Sympathien bei ihm verscherzt, wenn ich auch nur die geringste Uninteressiertheit gezeigt hätte. ,Drei Tage hielten wir uns schon am Rande des Bahr el Ghasal auf, des riesigen, über tausend mal tausend Fuß großen Sumpfes', erzählte Lewaninka. Seine Augen starrten in die Ferne, als sehe er noch immer die endlosen, grünschillernden tückischen Tiefen vor sich. ,Uns allen war unheimlich und ängstlich. Nur die Macht meines Wortes hielt einige Krieger davon ab, nachts heimlich davonzulaufen. Andere schreckte die Furcht vor meiner Strafe. Die meisten aber vertrauten mir und harrten aus. Hunger quälte uns und Durst. Erjagbare Tiere gab es nicht, und das faulige Wasser wagten wir nicht zu trinken. In der Tiefe des Sumpfes schien es von Zeit zu Zeit zu grollen. Wir sahen auch keine Spuren, denen wir folgen konnten. Schon beschloß ich, am nächsten Tage wieder zurückzukehren, als — es geschah in einer Nacht, in der der Mond immer wieder von den Wolken bedeckt w u r d e . . . wir saßen gerade am Feuer —, als einer der Wachenden laut schreiend auf mich zurannte und zu meinen Füßen niederfiel. Er brachte kein verständliches Wort heraus, obwohl ich ihm mehrmals mit der Faust in den Nacken schlug. Er deutete zum Sumpf, und sein Schreien verstärkte sich.' Lewaninka sprang auf, ergriff die Häuptlingslanze, die neben seinem Sitz in der Erde stak, und starrte wild in eine Ecke der Hütte. Die übrigen Neger standen gleichfalls auf. Auch sie hatten die Geschichte schon oft gehört, aber immer wieder riß sie die Erregung mit, und ihren Kindern und Enkeln würde es später bei dem Bericht der Jagd auf das MokeleMbamba genauso ergehen. ,Wir nahmen unsere Speere auf, zogen brennendes Holz aus dem Feuer und liefen zum Sumpf. Ich war einer der ersten und sah — einen Geist ein Ungeheuer — ich weiß es nicht. Ein kleiner Kopf bewegte sich auf 9
einem langen, langen Hals - so.' Der Erzähler versuchte die Bewegungen des Tieres nachzumachen, was ihm natürlich trotz aller Grimassen und Verrenkungen nicht gelingen konnte. ,Der lange Hals endete in einem gewaltigen Körper, wie ich noch keinen gesehen hatte. Es war ein Elefantenkrokodil, das da stand, etwa acht Fuß im flachen Sumpfwasser. Mit den scharfen Zähnen, die aus dem kleinen Kopf ragten, nagte es am Schilf. Dann aber sah es uns und glotzte uns schreckenerregend aus boshaften Augen an. Diesen Blick konnte ich nicht ertragen. Ich machte meine Augen ganz fest zu und schleuderte mit großem Schwung meinen Speer auf das Untier.' Der Sprecher, der das Abenteuer noch einmal in allen seinen Phasen zu erleben schien, setzte sich erschöpft auf den Sitz zurück. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Er erzählte weiter: ,Viele meiner Krieger hatten sich feige auf den Erdboden geworfen und verbargen ihre Gesichter, In diesem Augenblick kam der Mond aus den Wolken hervor und erhellte das Gelände besser, als es unsere Feuer hätten tun können. Da erhob das Untier ein gellendes Geschrei, das unsere Ohren zu zersprengen drohte. Wir wagten aufzusehen und entdeckten, daß meine Waffe tief in den Leib des Tieres gedrungen war. Es war also kein unverwundbarer Geist. Das gab uns wieder Mut. Nun schleuderten die Krieger ihre Speere. Keiner verfehlte das Ziel. Das große Elefantenkrokodil wurde zornig. Es stapfte auf uns zu. Jetzt warfen wir zum zweitenmal Speere auf das Untier. Doch die Wunden schienen ihm nichts auszumachen. Es wurde nur noch wütender. Wir liefen davon. Da schnellte der mächtige Schwanz herum und traf zwei Krieger, die sofort zermalmt waren. Das Tier stürmte weiter. Am Feuer lag noch immer laut schreiend der Wächter, der uns die Meldung überbracht hatte. Er wurde zertreten. Uns rettete das Feuer. Als das furchtbare Chipekwe in die Flammen trat, heulte es vor Schmerz auf, verwüstete unser Lager und lief schnell in den Sumpf zurück, wo es gurgelnd verschwand. Wir aber verließen noch in derselben Stunde den unheimlichen Ort und kehrten nach schweren Wegen in das Dorf zurück.' Nach einer würdigenden Pause, die diesem aufregenden Bericht zukam, wandte sich Lewaninka mit ruhiger Stimme mir zu: ,Als ich meinen Speer warf, Bwana, schwor ich, nie wieder in diese Sümpfe zurückzukehren, wenn ich dem Ungeheuer entgehen sollte. Ich werde diesen Schwur halten, Bwana Meeler.' Ich wußte, daß es heute keinen Zweck mehr haben würde, auf meinem Plan zu beharren. Um die Neger wieder günstiger für mich zu stimmen, verteilte ich meine Geschenke. Sie bestanden vor allem aus Gebrauchsgütern und nützlichen Haushaltsgegenständen, die es in der Stadt lü
billig zu kaufen gab, die aber für die Eingeborenen am oberen Nil unschätzbaren Wert besaßen. Ein wenig bunter Flitterkram war auch darunter, gewissermaßen nur als Pflichtanteil. Ich hielt mehr von nützlichen Sachen, was insbesondere Lewaninka zu würdigen wußte. Die deutlichen Anspielungen der Lobale auf alkoholische Getränke, die sie durch die Weißen kennengelernt hatten, überhörte ich beharrlich. Trotzdem herrschte über meine Geschenke große Freude, und mit einem zufriedenen Gefühl gingen alle schlafen. Nur ich wälzte mich noch lange wach auf meinem Lager hin und her und zerbrach mir vergeblich den Kopf darüber, wie ich die Neger für mein Vorhaben gewinnen könnte. Als ich endlich eingeschlafen war, träumte ich von langen Schlangen, die auf dickbäuchigen Elefanten ritten, welche auf den Rükken von hämisch grinsenden Krokodilen einen Fluß überquerten. An einer Stelle des Ufers kniete Lewaninka mit seinen Kriegern und bat die näher kommenden Tiere händeringend, ihn zu verschonen. Dafür zeigte er ihnen den Weg zu meinem Lager und bot ihnen mich als Ausgleich an. Noch bevor ich am anderen Morgen mit Lewaninka ein Gespräch untervier Augen führen konnte, hörte ich aus dem Busch Trommelsignale. Ich war mit den einzelnen Zeichen so ziemlich vertraut, wenn ich auch keinen Text wörtlich zu übersetzen vermochte. Und so fiel es mir nicht schwer, das Ankunftszeichen für einen Gast herauszuhören, zumal mein Einzug auf ähnliche Weise angekündigt worden war. Der jahrzehntelange Aufenthalt im Busch schärfte die Ohren für solche Dinge. Kurze Zeit darauf kam der alte Barotse-Fürst in meine Hütte und brachte mir eine Neuigkeit, auf die ich nicht im geringsten gefaßt gewesen war. ,Bwana', sagte er, ,du kriegst Besuch, der Mann mit dem dünnen Haar unter dem Kinn ist dir nachgereist. Er kommt in unser Dorf.' Der Mann mit dem dünnen Haar unter dem Kinn? Die Neger geben namentlich den Weißen stets sehr bezeichnende Beinamen. Ich brauchte keine großen Überlegungen anzustellen, um in dem angekündigten Besucher Professor Winzig zu vermuten. Daß es sein Ehrgeiz nie verwinden könnte, wenn die Wiederentdeckung der Saurier ohne ihn durchgeführt werden würde, konnte ich gut verstehen. Aber wie hatte er die Mittel für eine zweite Expedition zusammenbekommen? Später erfuhr ich, daß der Professor im Klub bei seinen Landsleuten dagegen gewettert hatte, daß ein Nichtengländer die Möglichkeit haben sollte, die Saurier zu finden..Dies sei der größte Schlag, der dem Empire je versetzt werden könnte. Meine Flucht liefere den besten Beweis da-
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für, daß ich bestimmte Anhaltspunkte haben müsse. Es gehe jetzt um Englands Vorherrschaft. Diese Argumente wirkten, und Professor Winzig erhielt eine viel bessere Ausrüstung als die, mit der ich mich aufgemacht hatte. Am Dorfrand wurde fröhliches Geschrei laut. Ich beschloß, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Aber wenn ich geahnt hätte, was mich erwartete, ich wäre nicht zur Begrüßung hingeeilt, sondern wäre vielleicht zum anderen Ende des Dorfes hinausgelaufen. Die Karawane Winzigs sah erbärmlich aus. Vorneweg schaukelte eine Art Sänfte, die von vier stämmigen Negern des Dinka-Stammes getragen wurde. Diese machten jedoch ein Gesicht, als wüßten sie die Ehre, einen königlich-britischen Schulbeamten zu tragen, nicht zu schätzen. Man hätte vermuten können, daß sie zu ihrer eigenen Beerdigung unterwegs seien. Der Sänfte folgten nochmals vier Dinka-Neger. Sie trugen das, was von der herrlichen Ausrüstung noch übriggeblieben war: aufgebrochene Kisten, eine halbe Zeltausstattung, zerrissene Decken. Einer der Seh Warzen hatte sich mit einem Strick ein dickes Naturkundebuch um den Bauch gebunden. Die einziehende Kolonne wurde rechts und links von johlenden nackten Negerkindern und kläffenden halbwilden Hunden flankiert. Professor Winzig ließ sich nicht Sehen. Die Karawane hielt in der Mitte des Dorfes. Ich schlug die Moskitoschleier der Sänfte zurück. Da lag der Engländer, bleich, mit fieberglänzenden Augen. In den Händen hielt er einen Revolver, den er sofort auf mich richtete. Dann erkannte er mich. ,Auspeitschen!' flüsterte er. ,Alle!' ,Was?' Ich beugte mich tiefer zu ihm hinunter. ,Auspeitschen! Die Neger! Alle!' wiederholte er. Es mußte Schreckliches passiert sein. Ich ließ den Kranken erst einmal in meine Hütte bringen, wusch ihn, flößte ihm einige Mittelchen aus meiner Reiseapotheke ein und legte ihn zur Ruhe. Dann versuchte ich, durch die ihn begleitenden Neger etwas zu erfahren. Nach vielem Kreuzund Querfragen ergab sich folgendes Bild: Nach meiner Abreise war die neue Expedition in aller Eile zusammengestellt worden. Winzig hatte darauf bestanden, die Truppe zu begleiten. Leichtsinnigerweise hatte er auf einen erfahrenen Führer verzichtet, den man so schnell nicht hätte auftreiben können. Solange der Weg noch durch besiedeltes Gebiet geführt hatte, war alles gut gegangen, obwohl es bereits zu ersten Zusammenstößen mit dem Engländer gekommen war. Er fühlte sich als weißer Herrenmensch und handelte danach. Jeden Schritt hatte er sich tragen lassen, hatte die Peitsche gebraucht und auf seine Träger keine Rücksicht genommen. 12
Im Busch hatte sich dann sehr bald herausgestellt, daß es mit seinen Kenntnissen nicht weit her war. Das hatten die Neger ausgenutzt, und Winzig hatte sich nur noch mit dem Revolver behaupten können. Die Angst vor der Verfolgung durch die Behörden saß aber den Dinkas, zumal ihre Angehörigen in die damals so beliebte Sippenhaft genommen worden waren, so tief im Herzen, daß sie den Professor wochenlang hinter mir herschleppten, immer in der Hoffnung, mich einzuholen. Erst hier am Ende der Welt, kurz vor den Sümpfen, hatten sie mich erreicht. Ich sicherte den Negern Straffreiheit zu - sie hatten ja eigentlich auch nichts verbrochen - und schrieb ihnen ein paar Zeilen, die zwei von ihnen zur nächsten Station bringen sollten. Es handelte sich um die Benachrichtigung, daß der Professor und ich zusammengetroffen waren. Am Nachmittag verschwanden jedoch alle acht Neger. Ich vermutete, daß sie sich mit dem Schreiben sofort auf den Rückweg nach Uganda gemacht hatten, um mit der für sie erfreulichen Nachricht ihre Angehörigen auszulösen. Na, sollten sie. Die Krankheit des Professors war nicht ernsthafter Natur. Er schlief zwei Tage hintereinander und fühlte sich dann schon wieder so stark, daß er mir Vorhaltungen machte und mir vorschreiben wollte, wie ich die Neger behandeln müßte. ,Ich sehe mit Schrecken, Mr. Meeler', sagte er, ,daß Sie zu den Schwarzen in die Hütten gehen und sie sogar bei sich empfangen. Das schadet der Würde der weißen Rasse. Wenn Sie die Vertraulichkeiten mit diesem Pack nicht unterlassen, Mr. Meeler, bin ich gezwungen, den gesellschaftlichen Verkehr mit Ihnen abzubrechen. Wenn das unsere Klubfreunde ahnen w ü r d e n . . . ' Hier riß mir die Geduld. ,Herr!' schrie ich ihn unbeherrscht an. ,Wissen Sie eigentlich, was Sie da reden? Ohne diese Menschen hätten wir nie einen Schritt in dieses Dorf gesetzt, wären Sie schon längst im Urwald von den Ameisen bis auf die Knochen abgenagt worden. Ohne sie wüßten wir nichts von den Sauriern, und ohne ihre Hilfe werden wir beide auch niemals etwas von ihnen sehen. Dafür wollen sie auch als Menschen behandelt werden, verstehen Sie...? Natürlich verstehen Sie nicht. Die schwarzbehäuteten Menschen sind viel feinfühliger a l s . . . ' ,Ich mache Sie darauf aufmerksam... darauf aufmerksam, daß man Sie verdächtigen wird, wenn Sie ohne mich zurückkehren', stotterte Professor Winzig ängstlich, aber doch bemüht, den starken Mann hervorzukehren. Wider Willen mußte ich lachen. Was hatte er nur für Gedanken? Ich beruhigte ihn: ,Also hören Sie, Professor. Wir einigen uns, denn anders werden wir bei der Verschiedenartigkeit unserer Auffassungen nicht zum Ziele kommen: Ich bin für die praktische Durchführung der Expedi13
tion verantwortlich und sorge dafür, daß wir die Saurier sehen werden. Sie ordnen sich bedingungslos allen meinen Anweisungen unter, andernfalls lasse ich Sie hier bei den Negern sitzen, bis ich aus den Sümpfen zurück bin. Sie körinen dafür gewissermaßen die wissenschaftlichtheoretische Anleitung und Auswertung übernehmen. Damit Sie endlich etwas Nutzbringendes unternehmen, werde ich Ihnen jetzt erzählen, was ich von den Lobale erfahren habe.' Damit war der Friede zunächst wiederhergestellt. Der Professor benahm sich ganz gesittet und machte sich mit Eifer über meine Angaben her. Er holte ein dickes Buch hervor — Owens ,Geschichte der Urweltsaurier' —, das während des Marsches auf dem Bauch eines Dinka-Negers transportiert worden war, und begann in ihm zu blättern. ,Hören Sie', sagte er zu mir, ,wenn die schwarzen Halunken beim Anblick des Tieres solchen Schreck bekommen haben, wie sie es schildern, kann es nur ein Dinosaurier gewesen sein.' ,Wieso?' fragte ich verblüfft. ,Woher wollen Sie denn das wissen?' Ich muß ehrlich gestehen, daß ich mich bisher um die Art und die Namen der Tiere, die sich im Bahr el Ghasal herumtreiben sollten, nicht gekümmert hatte. Ich wollte ein Urwelttier entdecken, was für eines, war mir gleich, darüber sollte sich nachher die wissenschaftliche Welt den Kopf zerbrechen. ,Bei meinen Studien', erklärte Winzig, ,bin ich dahintergekommen, daß das Wort Dinosaurier aus dem Griechischen stammt und vom Wort »deinos« abgeleitet wurde, was soviel wie schrecklich bedeutet. In unserem Falle würde es also Schreckens- oder Grauenssaurier heißen.' ,Eine völlig logische Erklärung für die Angst der Neger', stimmte ich ihm spöttisch zu. ,Und wie sehen denn nun nach Ihrem Studium im Owens die Dinosaurier aus?' ,Sie sagen sehr richtig d i e Dinosaurier', entgegnete der Engländer eifrig, ohne meinen Spott zu bemerken, ,denn es handelt sich bei ihnen um eine ganze Gruppe, um eine besondere Ordnung der alten Reptilsaurier, nicht aber um einen einzelnen Typ. Man kann deshalb von ihnen nicht in der Einzahl sprechen, da sich die Dinosaurier in eine Fülle äußerst verschiedenartiger Typen ordnen.' ,Nun gut, aber irgend etwas Gemeinsames müssen diese Grauens- und Schreckenssaurier doch haben.' ,0 ja.' Der Professor wurde immer lebhafter. Offensichtlich war er sehr froh, mir seine Überlegenheit auf theoretischem Gebiet beweisen zu können, und ich mußte dieses Wissen neidvoll anerkennen. ,Die Dinosaurier haben alle einen unverkennbaren Zug zum Extremen, Extravaganten, Übertriebenen, beinahe möchte man sagen Verrückten, noch 14
weit über die einfache Anpassung im Daseinskampfe hinaus. Nehmen wir zum Beispiel das Iguanodon, das aufrecht auf den Hinterbeinen wandelte und eine Höhe bis zu zehn Metern erreichte. In seiner löffelartig verbreiterten Schnauze konnte es zweitausend Zähne zum Zermalmen seiner vegetarischen Nahrung einsetzen. Der »Stegosaurier« lief auf allen vieren; er war etwa neun Meter lang und schleppte zu seinem Schutz einen fünf Meter hohen Doppelkamm aus Knochenplatten sowie Verteidigungsstacheln am Schwanz mit sich herum. Der »Dreihornsaurier« sah unseren Nashörnern ähnlich, nur war er viel gewaltiger und häßlicher. Die »Raubsaurier«, riesige, aufrecht schreitende Drachen mit einer Höhe bis zu sechs Metern, die noch einen zehn Meter langen Schwanz hinter sich herzogen, griffen alle Dinosaurier an, ausgenommen ihre eigenen Artgenossen, und fraßen sie. Sie kennen sicher solche Zeichnungen, Mr. Meeler, auf denen Kämpfe der Saurier untereinander in der Urzeit dargestellt sind: Riesige dieser sogenannten »Brachiosaurier« — das sind die mit den überdimensionalen Schwanenhälsen — beißen die dünnen Hälse ihrer Gegner durch, daß die kleinen häßlichen Köpfe wie umgeknickt am Boden pendeln. — Übrigens, wie lang schätzen die Neger die Hälse der Untiere in den Sümpfen?' ,Die Angaben hierüber widersprechen sich', sagte ich. ,Sie müssen wissen, daß die Neger im allgemeinen auf weite Entfernungen nicht gut schätzen können. — Übrigens, woher wissen Sie eigentlich so genau über die Dinosaurier Bescheid?' ,Es hat eben nicht jeder Mensch etwas für seine Bildung getan', erwiderte der Engländer anzüglich. ,Man kann doch nicht auf die Jagd gehen, ohne zu wissen, wie das »Wild« aussieht.' ,Na, einen Saurier zu erkennen traue ich mir denn doch noch ohne weiteres zu', entgegnete ich lachend, um den Mann mit dem dünnen Haar unter dem Kinn nicht merken zu lassen, daß ich im Grunde doch etwas neidisch auf sein Wissen war. Jedenfalls nahm ich mir fest vor, sobald ich Zeit hatte und an den Owens herankam, einen Teil des Versäumten nachzuholen. Der feste Entschluß des Häuptlings ließ sich anscheinend durch nichts erschüttern. Er war höflich, beinahe zuvorkommend, jedoch blieb er bei seiner gleichmütigen Ablehnung. ,Es geht nicht, ich bin sehr betrübt, Bwana Meeler. Meine Krieger und auch ich werden dich in allen anderen Dingen unterstützen. Aber was du verlangst, kann ich wirklich nicht. Du wirst meinen Sinn nicht ändern können, Bwana Meeler.' Das war die einzige Antwort, die er mir immer wieder auf mein Drängen und meine Vorhaltungen gab. Es schien, als sollte ich tatsäch15
lieh nicht weiterkommen. Seufzend griff ich zum letzten Mittel, das ich nur ungern anwandte, das aber noch nie seine Wirkung verfehlt hatte. Ich holte eine Flasche Rum aus der Tasche, entkorkte sie umständlich mit der notwendigen Feierlichkeit und trank genießerisch einen herzhaften Schluck. Dann schlug ich den Pfropfen wieder in die Flasche und steckte diese in die Tasche zurück. Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen und tat dann erstaunt, so, als bemerke ich erst jetzt den bettelnden Blick des Häuptlings, dessen Augen ihm vor Gier fast aus dem Kopfe quollen. ,Bwana Meeler', bat er, ,Bwana...' Ich blieb hart. Wir verstanden uns, ohne viele Worte machen zu müssen. Er kannte mich und wußte genau, daß er nur um den Preis des Jagdzuges in den Bahr el Ghasal zu dem begehrten Tropfen kommen würde. Da entschloß er sich, mir wenigstens den wahren Grund seiner Weigerung mitzuteilen. ,Bwana Meeler', sagte er, ,ein Herrscher soll seine Leute nicht zu sehr in sein Innerstes blicken lassen. Es könnte sonst sein, daß sie erkennen, daß er auch nur ein armer Neger wie sie ist. Wenn der Herrscher sich aber ihnen mitteilt, muß er sein Wort halten. Ich habe geschworen, nie wieder das große Mokele-Mbamba aufzusuchen, und ich muß dieses Versprechen halten, wenn ich nicht das Ansehen bei meinen Leuten verlieren will.' Er schielte begehrlich auf meine Flasche. ,Mein schneller Schwur war ein großer Fehler, denn Lewaninka ist nicht feige. Er hat bei den Weißen gelernt, daß es keine Geister gibt, und braucht sie nur für seine Leute, Aber siehst du nun, Bwana Meeler, daß ich nicht mit dir gehen kann? Gib mir einen Schluck, einen ganz kleinen Schluck, Bwana Meeler!' Ich stand auf. ,Du kannst wirklich nicht in den Sumpf gehen, Lewaninka. Dein Schwur ist unumstößlich, und wenn dir die Geister nicht helfen... Aber du bist doch auch deines Volkes oberster Priester... Vielleicht, na, aber du kannst ja nicht anders. Ich werde morgen das Dorf verlassen und deine Hütte nicht wieder betreten. Gute Nacht, Häuptling.' Ich zuckte mitleidsvoll die Achseln und verließ den alten Schlauberger, ohne seiner Bitte entsprochen zu haben. Wie ich erwartet hatte, suchte mich Lewaninka am späten Abend auf. So, als wäre nichts zwisdien uns beiden vorgefallen, trat er auf mich zu und reichte mir die Hand, und ich schüttelte sie kräftig. Der Häuptling war auf diese Geste, die er den Weißen abgeguckt hatte, mächtig stolz. Er ging auch zu dem Professor, der noch immer auf meinem Lager lag und der schon beim Eintritt des Negers ein mißbilligendes Gesicht gezogen hatte, und streckte ihm ebenfalls die Hand hin, ihn freundUch 16
angrienend. Winzig drehte sich um und zeigte dem Häuptling seine Rückenpartie. Dieser sah verdutzt auf seine Hand. Ich hielt es für angebracht, Lewaninka schnell abzulenken, da mir sonst aus dem Verhalten des Engländers noch^große Schwierigkeiten hätten erwachsen körinen. ,Du bist gekommen, um dich von uns zu verabschieden?' fragte ich. Der Häuptling ließ sich auf den angebotenen Platz nieder, und statt zu antworten sagte er scheinbar zusammenhanglos: ,Die Geister haben mir Nachricht gegeben, Bwana Meeler! Sie werden zu den Lobale sprechen.' Ich ahnte es doch. ,Die Geister haben den rechten Zeitpunkt gewählt', antwortete ich und holte die angebrochene Flasche hervor. Aber mehr als zwei Becher gestattete ich dem Häuptling nicht. ,Erst wenn die Geister gesprochen haben, dann werde ich mein gebefreudiges Herz für dich entdecken. Und wenn wir mit großer Beute aus dem Bahr el Ghasal zurückkehren, sollst du meine ganzen Vorräte erhalten...' ,Psssst', flüsterte der schlaue Neger und grinste verschmitzt. Wir verstanden uns großartig. Am anderen Morgen weckte uns ein schauerlicher Lärm. Dumpf paukten die Trommeln, dazwischen rasselten die Steinklappern, untermalt von dem hohen ,Huihuihui' der erregten Neger, die zum Dorfplatz eilten, um dem Tanz ihres Priesters beizuwohnen. Ich hielt mich absichtlich fern, obwohl mich das einzigartige Schauspiel sehr reizte. Doch ich wollte alles vermeiden, was auf einen Zusammenhang zwischen der Sprache der Geister und mir hindeuten konnte. Die Beschwörung dauerte nahezu drei Stunden, und ich bewunderte insgeheim die physische Leistung des alten Lewaninka, der sich für seinen Schnaps ganz schön abzumühen schien. Endlich suchte mich einer der Neger auf, die mich ins Innere des Landes begleitet hatten. Er teilte mir aufgeregt mit, daß ein großes Unglück die Lobale bedrohe und daß die Geister befohlen hätten, dem schrecklichen Chipekwe im Sumpf Opfer zu bringen. Endlich! Meiner Abreise stand also nichts mehr im Wege, und Lewaninka bekam als erste Rate zwei Flaschen Rum ausgehändigt. Nach drei Tagen zogen wir los. Wir, das waren Professor Winzig, dem ich klargemacht hatte, daß er diesmal laufen müsse — was er nach heftigem Protest auch tat -, der rüstige Barotse-Fürst und Häuptling der Lobale, Lewaninka, meine drei Neger, die mich bisher schon begleitet hatten, und vierundzwanzig schwerbewaffnete Krieger aus Liulia. Sie trugen außer ihren Waffen noch das Gepäck und die Verpflegung. Nur ein einziger von ihnen schleppte die Opfergaben. 17
Alles, was im Dorf Beine besaß, gab uns einen Tagesmarsch weit das Geleit. Dreizehn Tage zogen wir nun schon durch den Busch; jede menschliche Siedlungsstätte blieb hinter uns zurück. Es war erstaunlich, daß kein Neger die Marschkolonne verlassen hatte. Ich glaube, daß diese Tatsache mehr auf die Treue zu ihrem Fürsten zurückzuführen war als auf ihre Opferbereitschaft dem großen Lau gegenüber. Immer wieder bekam ich auch Gelegenheit, die Klugheit des alten Barotse-Fürsten zu bewundern. Dieser intelligente Neger, der sich trotz seiner hohen Abstammung — die Barotse waren ein altes Herrsehergeschlecht am oberen Nil — nicht gescheut hatte, den Weißen Trägerdienste zu leisten, um Land und Leute kennenzulernen, verband seine ehrliche Freundschaft mit berechnender Schlauheit, die keinesfalls kriecherisch oder beleidigend wirkte. Seine Leute verstand er mit Geschichten und Beispielen so für sich einzunehmen, daß sie alles für ihn taten. Außerdem setzte er geschickt die Geister ein, die zu ihm als oberstem Priester natürlich ein besonders enges Vertrauensverhältnis unterhielten. Den Professor mußte ich doch wieder tragen lassen. Schon nach achtundvierzig Stunden war es ihm vor Erschöpfung unmöglich weiterzumarschieren. Einesteils konnte es mir recht sein; denn so fehlte ihm jede Gelegenheit, Dummheiten zu machen. Bereits am ersten Tage war er mit der Peitsche über einen Neger hergefallen, der ihm angeblich nicht schnell genug aus dem Wege gegangen war. Nur dem Einfluß des Häuptlings war es gelungen, ein Auseinanderlaufen zu verhindern. Die Neger vergaßen die Beleidigung nicht, und ich tat, als bemerke ich nicht, daß die Träger der provisorischen Sänfte mehr als einmal das Gestell unsanft zu Boden setzten und es wiederholt von den Ästen und Sträuchern streifen ließen. Der Mann mit dem dünnen Haar unter dem Kinn war allgemein verhaßt, und auch ich konnte ihm nicht verzeihen, daß wir durch sein Versagen langsamer vorwärts kamen. Die Gegend wurde immer unheimlicher, je mehr wir uns dem Sumpfgebiet näherten. Obwohl wir die Wälder" längst hinter uns gelassen hatten und die Sonne ungehindert herabseheinen konnte, war es nicht richtig klar um uns. Die Lichtreflexion der faulig-grünen Landschaft erfüllte die Umgebung mit einem flirrenden Schimmer. Uns begannen die Augen zu schmerzen. Der Boden zeigte immer mehr Feuchtigkeit, die Vegetation wurde üppiger, die Pflanzen trugen widerlich fette Blätter und boten sich in den phantasiereichsten Formen dar. Immer häufiger trafen wir auf ge4 .j
heimnisvoUe Bödenauftreibungen, in denen es bedrohlich gluckerte und rumorte; dampfende Erdgase entwichen pfeifend und schwängerten die Luft mit unangenehmen Gerüchen. Wir beschleunigten unsere Schritte, um an diesen gefährlichen Stellen schnell vorüberzukommen. Und dann machte uns die Hitze sehr zu schaffen, diese lähmende feuchte Hitze. Vor allem hatten wir Europäer unter ihr zu leiden. Aber auch die Neger setzten nur noch mechanisch einen Fuß vor den anderen, und ihr sonst so unermüdliches Schnattern verstummte gänzlich. Besonders ich mußte alle meine Kräfte aufbieten; denn ich traute Lewaninka ohne weiteres zu, daß er meine Schwäche ausnutzen und umkehren würde. Das Opfer würde dann eben hier veranstaltet werden. Aber ich wollte so kurz vor dem Ziel, zumindest vor dem geographischen Ziel, nicht umkehren. Endlich näherten wir uns dem Sumpf. Die letzten Stunden gingen wir nur noch über schwankenden Boden, der jeden Augenblick unter unserem Gewicht nachzugeben drohte. Dann fanden wir eine feste, von allerlei Wurzelzeug durchzogene Stelle. Lewaninka wollte mit ziemlicher Sicherheit den Ort wiedererkennen, wo er das erstemal gerastet hatte. Vor uns lag der riesige Sumpf Bahr el Ghasal, der auf eine Größe von etwa eintausend Quadratmeilengeschätztwurde.Erschloß die Zuflüsse des oberen Nils ein und war noch von keinem Menschen erforscht worden. Da stand ich nun an seinem Rande, abgemagert, verdreckt und verwildert, von Fieberanfällen geschüttelt, aber doch unsagbar stolz und bereit, diesem tückischen Sumpf eines seiner Geheimnisse zu entreißen. Lewaninka teilte seinen Leuten mit, daß er das Opfer erst bei Vollmond darbringen könne. Er gab mir damit eine Frist von sechs Tagen, und ich wußte, daß er danach unweigerlich abmarschieren würde. Länger hielt es sowieso kein Mensch in dieser fiebergeschwängerten Luft aus. Ich gab die Anweisung zur Befestigung des Lagers. Da sich das Untier nach Angaben des Häuptlings vor dem Feuer fürchtete, sorgte ich vor allem dafür, daß Tag und Nacht ein Feuer brannte und stets genügend Brennmaterial vorhanden war. Das machten auch schon die vielen Moskitos notwendig. Darüber hinaus ließ ich rund um das Lager einen breiten und tiefen Graben ziehen, mit Faschinen* abdichten und mit leicht entzündbarem Tang füllen. Es bereitete einige Schwierigkeiten, genügend trockenes Reisig hierfür zu finden. Doch bald besaßen wir sogar Reserven; denn die Eingeborenen waren um jeden Preis bemüht, sich vor dem Chipekwe zu schützen. Der Professor konnte bald wieder umherlaufen. Den Negern ging er aus dem Wege, und auch sie wichen ihm aus. Wenn wir beide allein * Reisiggeflecht
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waren, schimpfte er über das ,schwarze Pack1, das sich seiner Meinung nach ungebührlich benahm, gerade so, als seien es auch Menschen. Ein paarmal wies ich ihn zurecht; bald aber gewöhnte ich mir an, sein Wüten zu überhören. Am dritten Tage unseres Aufenthaltes in den Sümpfen saß ich mit dem Engländer beim Abendessen. Es bestand aus gekochten eßbaren Blättern, unter die einige Vogeleier gemischt waren. Für uns beide hatte ich noch eine Konservenbüchse Fleisch spendiert, denn jagdbares Wild hatten wir schon seit zwei Wochen nicht mehr vor die Büchse bekommen. ,Durst habe ich', stöhnte der Engländer. ,Wir müssen mit unseren Wasservorräten sparsam umgehen', entgegnete ich. ,Niemand erhält mehr als die vorgesehene Ration. Die Neger nicht und wir auch nicht.' ,Uns mit den Schwarzen auf eine Stufe zu stellen, das ist einfach eine Schande.' Unmutig stieß der Pseudo-Professor seinen Napf zur Seite. ,Wie lange sollen wir hier noch ergebnislos umhersitzen? Ich denke, Sie als alter Praktiker kennen keine ausweglose Lage? Nicht zaghaft, nicht zaghaft! Setzen Sie Ihre Mittel doch ein. Kann Ihnen Ihr schwarzer Häuptling keinen Rat geben?' ,Höehstens den, Sie in den Sumpf zu werfen, um auszuprobieren, ob die Untiere dadurch angelockt werden', entgegnete ich bissig. ,Wenn Sie übrigens nicht mit uns auf Beobachtungsposten ziehen, werden Sie vermutlich niemals das Mokele-Mbamba zu Gesicht bekommen.' Es war so, daß ich und vom Häuptling bestimmte Neger den ganzen Tag rund um ein Stück des Sumpfes herum auf Wache standen und auf die ölig glänzende Fläche des Sumpfes starrten in der Hoffnung, das Chipekwe zu sichten. Nur Winzig hatte es abgelehnt, sich an dieser nervenaufreibenden Arbeit zu beteiligen. Er saß im Lager, studierte seinen Owens und schrieb in seinem Tagebuch. Später sollte er mir gegenüber durch diese Aufzeichnungen sehr im Vorteil sein. Am nächsten Morgen bezog ich wieder meinen Posten. Regungslos verharrte ich im feuchten Schilf und beobachtete den Sumpf. Die schwere, ungesunde, feuchte Luft legte sich mir auf die Brust, erschwerte das Atmen und trieb den Schweiß aus allen Poren des Körpers, der durch seine Ausdünstung Milliarden von Moskitos anlockte. Unsere Methode, die Saurier zu entdecken, war auch mehr als primitiv. Aber was sollten wir weiter unternehmen? In den tückischen Sumpf konnten wir uns nicht hineinwagen, um die eventuell vorhandenen Schlupfwinkel der 20
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Tiere aufzusuchen. Es gab noch kein Fahrzeug, das den Anforderungen eines solch gefahrvollen Weges gewachsen gewesen wäre. Außerdem wären die Neger nicht mitgekommen. Sie hielten es jetzt schon vor Angst kaum aus, und nur dem guten Beispiel des Häuptlings war zu verdanken, daß sie sich zur Beobachtung am Sumpfrande bereitfanden. Es mochte so um die Mittagszeit gewesen sein, als mir weit draußen vier kahle, aus dem brackigen Wasser ragende Äste auffielen. Ich konnte mich nicht entsinnen, diese vorher an jener Stelle gesehen zu haben. Und dann — ich wollte die Beobachtung zuerst meinen überanstrengten Sehnerven zuschreiben — setzten sich diese Äste plötzlich in Bewegung. Sie glitten, als gehörten sie zu einem unter der Oberfläche verborgenen Baumstamm, den irgendeine Kraft zog, seitwärts dahin und hinterließen eine Kielspur wie die dreieckige Schwanzspitze eines Haies. Ich vermochte nun deutlich zu erkennen, daß diese Äste paarweise beieinander standen und von unterschiedlicher Größe waren. Da — auf einmal sauste etwas, ungefähr fünf Meter vor den sonderbaren Ästen, gleich einer Lassoschlinge durch die Luft, schnappte zu und verschwand sogleich wieder im Wasser. Mir stockte der Atem. Was ich gesehen hatte, war ein kleiner häßlicher Drachenkopf gewesen, der an einem langen dicken Hals durch die Luft geschleudert worden war. Ich fühlte, wie ich vor Aufregung zu zittern begann. Das war ja ungeheuerlich! Ich sah nach den sonderbaren Ästen, die sich plötzlich bewegten, aus dem Wasser schnellten und gar keine harmlosen Äste mehr waren, sondern gefährliche Stacheln, die auf einem etwa drei Meter langen dicken Reptilschwanze saßen, der sich jetzt peitschend aus dem Wasser hob und zweimal auf und nieder schlug. Dann verschwand alles — wie ein böser Spuk. Doch ich hatte mich nicht getäuscht, die Lobale längs des Ufers machten sich schreiend auf das Ungeheuer aufmerksam und wußten vor Angst nicht, was sie tun sollten. Ärgerlich rief ich ihnen zu, daß sie zunächst ruhig sein sollten. Sie gehorchten augenblicklich; nur einem von ihnen gelang es nicht, ein neuerliches Angstgeheul zu unterdrücken. Zitternd wies er auf den Sumpf hinaus. Wir blickten nach der bezeichneten Stelle, und unsere Augen blieben gebannt an einem absonderlichen Schauspiel hängen: Über die Oberfläche des Sumpfes ragten zwei etwa vier Meter hohe Hälse, auf denen äußerst häßliche Köpfe mit großen Froschaugen thronten. Aber die seltsamen Tiere schienen uns nicht zu beachten, denn die spitzen, mit vielen Zähnen ausgerüsteten Schnauzen rupften und knackten in einer Schachtelhalmstaude, die dort aus dem Wasser wuchs. 21
Eine einzigartige Gelegenheit! Das Blut pochte mir laut in den Schläfen. Ohne zu überlegen, wie wir den allem Anschein nach gewältigen Kadaver aus dem Sumpf holen würden, hob ich das Gewehr. Doch bevor ich zielen konnte, ertönte vom Läger her ein Schuß, gleich darauf ein zweiter. Die langen Hälse tauchten in das faulige Wasser und verschwanden. Im Laufschritt eilten wir ins Lager zurück. Dort herrschte große Aufregung, deren Ursache Professor Winzig war. Der Engländer stand, in der linken Hand einen Revolver, in der rechten einen Becher, vor unserem Trinkwasser-Reservoir. Mit der Waffe hielt er einige Neger in Schach. Diese hatten ihre Speere wurfbereit in den Händen und riefen dem Weißen wütende Drohungen zu. Die Situation war mir sofort klar: Winzig hatte sich an unseren Vorrat herangeschlichen, um sich über seine Zuteilung hinaus Wasser zu beschaffen. Dabei hatten ihn die Neger überrascht. Ich schämte mich. Was bisher noch kein Neger fertiggebracht hatte, den Verrat an unserer Gemeinschaft, das tat jetzt ein Angehöriger der weißen Rasse, noch dazu einer, der sich, was Ehre und Charakter anbelangt, einbildete, mehr zu sein als Menschen mit dunkler Hautfarbe. Lewaninka sah mich vorwurfsvoll an und trat dann zu seinen Leviten, um sie zu beruhigen. Ich ging zu Winzig und schlug ihm brutal den Revolver aus der Hand. Er wollte protestieren, aber ich drehte ihm den Rücken zu und ließ ihn wortlos stehen. Zwei Tage sprach ich mit dem Engländer kein Wort. Er sollte spüren, daß ich für sein Verhalten nicht das geringste Verständnis hatte. Während dieser Zeit erzählte ich ihm auch nichts von meiner Beobachtung, die sich bisher leider nicht wiederholt hatte. Ich schickte viele Suchtrupps aus, um Spuren zu suchen, doch auch sie kehrten stets ohne Ergebnis zurück. Es schien, als ob wir nie mehr eine Stachelspitze der Mokele-Mbambas des Bahr el Ghasal sehen sollten. Winzig stellte nach einigen vergeblichen Versuchen, ein Gespräch zu beginnen, seine Bemühungen ein. Er hielt es nicht für nötig; sich bei mir für seine Handlungsweise zu entschuldigen, und sonderte sich ab. Mutig begann er allein Streifzüge zu unternehmen, die ihn aber höchstens eine halbe Meile vom Lager fortführten. Mehr als zuvor vermied er, mit den Lobale zusammenzutreffen. Auch um die Wasserreserven machte er einen weiten Bogen. Oft schon hatte ich in meinem Leben Enttäuschungen überwinden müssen, jedoch war es mir nie so schwer gefallen wie jetzt. Lewaninka teilte mir entschlossen mit, daß wir am nächsten Morgen abmarschieren 22
würden. In der Nacht sollte das Opfer vollzogen werden. Der Mond strahlte mit seiner vollen Gestalt vom Himmel, und der für die Anhänger des Häuptlings eigentliche Grund unserer Expedition erfüllte sich damit. Ich mußte mit der Abreise einverstanden sein. Es war auch sonst höchste Zeit, daß wir die ungesunde Gegend verließen. Unsere Kräfte verzehrten sich bei der bisher ergebnislosen Jagd nach den Sauriern. Hohläugig und abgemagert schlichen wir am Sumpfrand entlang. Es gelang uns nicht, auch nur die geringste Spur der Urwelttiere zu entdecken. Es war um die Mittagszeit. Ich saß am Feuer und kratzte mißmutig in einer Konservenbüchse. Plötzlich erscholl lautes Geschrei. Ich sprang auf und griff zum Gewehr. Lewaninka rief seinen Leuten zu, sich ebenfalls zu bewaffnen. Da stolperte Professor Winzig eine kleine Anhöhe herunter auf das Lager zu. Aufgeregt winkte er mit den Armen. , D a . . . d a . . . ' , stammelte er, ,Bronto... Brontosaurier...' ,Wo?' rief ich zweifelnd; denn der Engländer kam von der dem Sumpf entgegengesetzten Seite. Ich konnte mir nicht denken, daß er in dieser Gegend die Tiere gesehen haben sollte. Es dauerte eine Weile, ehe sich der Professor beruhigt hatte. Dann begann er wieder mit seiner alten Prahlerei: .Bei meinen umfangreichen Studien entdeckte ich, daß das Wort Brontosaurier aus dem Griechischen stammt. »Bronto« — der Donner. Brontosaurier, Donnersaurier, weil sie so schwer und mächtig sind, verstehen S i e . . . ? ' Neugierig bildeten die Neger einen Kreis um uns. Gleich mir schreckten sie zurück, als Winzig — ich wollte ihm gerade bedeuten, er solle uns mit seinem Geschwafel verschonen — ein gellendes Geheul ausstieß. Mit irre blickenden Augen stierte er mich an, spreizte die Hände und stürmte durch das Lager davon. In der Umgebung war aber nichts zu entdecken was die Ursache für diesen Schreck gewesen sein könnte. ,Wir werden den Spuren des Mannes mit dem dünnen Haar unter dem Kinn folgen', sagte der Barotse-Pürst und ging in der Richtung davon, aus der der Engländer gekommen war. Ich folgte dem Neger. Hinter mir gingen in breiter Kette die übrigen Teilnehmer der Expedition, die Augen auf den Boden gerichtet, um eventuell eine Spur wahrzunehmen, die dem Anführer entgangen sein sollte. Das Gelände stieg steil an. Ich wußte, daß ungefähr 1500 Meter hinter unserem Lager eine Bodensenke lag. Unterirdische Gase brachten dort Auftreibungen hervor, in denen sie gefährlich rumorten. Deshalb hatte ich diese Stelle, die witterungsmäßig viel günstiger als unser jetziger Lagerplatz lag, auch nicht zum Aufbau des Zeltes ausersehen. Die ge23
fährlichen Gase mußten nach meiner Ansicht jedes lebende Wesen vertreiben. Die Spur des Engländers jedoch führte gerade zu dieser Stelle. Lewaninka ging etwa zwanzig Meter vor mir. Er hatte bereits den höchsten Punkt des Geländes erreicht und konnte bequem die etwa zwölf Meter tiefe und zweihundert Meter lange Bodensenke überblicken, die sich parallel zum Sumpf hinzog. Plötzlich blieb der alte Neger wie angewurzelt stehen und stützte sich schwer auf seinen Speer. Mit großen Schritten eilte ich zu ihm und — blieb gleichfalls überrascht stehen. Da waren — nur wenig mehr als dreihundert Meter von mir entfernt — die urweltlichen Tiere, derentwegen ich alle Mühen und Anstrengungen ausgehalten hatte. Sie boten einen grauenhaften Anblick, und es war nur allzu verständlich, daß Winzig, der sich nie beherrschen konnte und dem der Urwald mit all seinen vielfältigen Erscheinungsformen nicht vertraut war, bei dem Anblick dieser Tiere beinahe den Verstand verloren hatte. In dem kleinen Tal weideten zwei Saurier, ohne sich um uns Menschen zu kümmern. Wenn ich sage weiden, so mag diese Bezeichnung vielleicht für Rinder auf saftiger Wiese zutreffen, nicht aber auf diese Untiere, die sich an den mannshohen fetten Farnkräutern gütlich taten, sie aus der Erde rissen, sie schmatzend und prustend zerkauten und verschlangen. Sie packten umfangreiche Bündel mit den scharfen Zahnreihen, die aus den häßlichen Mäulern ragten, und ihr Appetit war zweifellos verständlich, wenn man sich einmal klarmachte, was der gewaltige Körper wohl an Nahrung benötigte. Ich erkannte die Untiere sofort wieder: Sie waren von der gleichen Art, wie ich sie im Sumpf schwimmend oder auch watend beim Fressen beobachtet hatte. Jetzt bot sich nun die Gelegenheit, die Kolosse in ihrer ganzen ,Pracht und Schönheit' zu bewundern. In der Mitte ähnelten diese Untiere einem Elefanten: Vier wuchtige Beine trugen einen tonnenförmig gewölbten Leib mit einem etwas katzenartigen Buckel, der keinen besonderen Panzer aus Schuppen oder Knochen trug. Nur war dieser Leib erheblich gewaltiger als der eines Elefanten; seine Länge betrug etwa zehn Meter. Dementsprechend vergrößerte sich auch der Umfang und die ganze Proportion des Wanstes. Aber damit der Absonderlichkeiten noch nicht genug! An diesen Riesenleib schloß sich ein gefährlich aussehender Schwanz an: Man konnte den Eindruck gewinnen, ein Krokodil habe sich in diesen überdimensionalen Elefanten verbissen. Der Schwanz hatte auch die gleiche Länge wie die ,Großmutter des Schlammes'. Eine schuppige Haut bewegte sich ständig hin und her. Am Schwanzende befanden sich zwei Paar nahezu 24
einen Meter hohe Stacheln. Es war gut vorstellbar, daß diese beim Vorv/ärtsschleudern des Schwanzes ein anderes Lebewesen glatt durchbohren könnten. Die Krönung der ganzen Erscheinung aber bildete der dicke lange Hals, der aus dreizehn deutlich sichtbaren Wirbeln bestand; jeder einzelne von ihnen hätte, was Umfang und Länge betraf, einem kleinen Tier als ganzer Leib vollauf genügt. Wenn sich der Hals bewegte, konnte man die starken Muskelstränge genau erkennen. Das schlangenähnliche Gebilde, durch das die zerkaute Nahrung in den Körper geschlungen wurde, mochte etwa die Länge von acht Metern haben. Es war durchaus vorstellbar, daß das Untier bequem aus der Dachrinne eines zweistöckigen Hauses saufen könnte. Der Kopf kam mir im Verhältnis zu der übrigen Erscheinung sehr klein, ja fast winzig vor. Der Schädel bildete sich ohne besonders markierten Nacken aus dem dicken Hals heraus und maß knapp zwei Meter. Eigentlich bestand er nur aus einem aufklappbaren Oberkiefer, die hervorquellenden Augen saßen auf dem Hals, der Unterkiefer verharrte unbeweglich und diente nur als Mahlunterlage. Viel Hirn steckte wohl in dem kleinen Schädel nicht. Aber dafür verfügten beide Kiefer über mehrere Reihen großer Zähne, so daß man vermuten konnte, daß sie auch etwas anderes als die vegetarische Nahrung bewältigen würden. Anscheinend konnte das Biest auch schwimmen; denn ich bemerkte zwischen den drei Zehen der plumpen Beine Schwimmhäute, die darauf hindeuteten. Aber ich stellte mir auch vor, daß Tiefen von zwölf Metern und mehr notwendig waren, wenn es von dieser Eigenschaft Gebrauch machen wollte. Sonst watete es wohl bequem auf dem Grunde des Sumpfes, die unterirdischen Schlinggewächse mühelos wie Spinnweben zerreißend und dabei alle Pflanzen über der Oberfläche abknabbernd. Dinosaurier — Schreckenssaurier, Grauenssaurier — es konnte keinen besseren, treffenderen Ausdruck für dieses verunstaltete Tier geben. Es schien, als habe sich hier die Natur einen Scherz erlaubt und als wolle sie beweisen, wozu sie fähig sei. Und dabei hatte es einmal eine Zeit gegeben, in der diese Wesen nicht nur vereinzelt und. versteckt gelebt, sondern jahrtausendelang im Wasser, auf dem Lande und in der Luft unsere gute alte Erde beherrscht hatten. Die Ruhe und Gelassenheit des alten Barotse-Fürsten Lewaninka übertrugen sich auch auf seine Stammesgenossen. Sie drängten sich heran, um an diesem Schauspiel teilzuhaben, und bald standen wir in einer langen Reihe auf dem Kamm der steil abfallenden Bodensenke. Die Dinosaurier nahmen von unserer Anwesenheit überhaupt keine Notiz. Sie schienen weder das Geschrei Winzigs noch unsere Anwesen25
heit bemerkt zu haben. Ab und zu erhoben sie beim Grasen ihre Köpfe. Die Muskelzüge der dicken Hälse glitten hin und her und richteten die wulstigen Hälse steil auf. Wir hatten das Gefühl, als glotzten uns die schleimigen Augen geradezu ins Gesicht. Aber das alles schien bei den Tieren mehr gewohnheitsmäßig und nicht durch einen bestimmten Verdacht hervorgerufen zu sein. Auch bemerkte ich, daß die Saurier beim Fressen die Pflanzen bevorzugten, die in der Nähe der brodelnden Erdgasstellen wuchsen. Vielleicht enthielten sie besondere Chemikalien, die den Organen der Ungeheuer angenehm waren. Das Rumoren und Blubbern, das aus den aufgetriebenen Stellen hervordrang, störte sie gar nicht. Darauf baute ich meinen Plan. Ich mußte jetzt handeln, wenn ich mir diese einzigartige Möglichkeit nicht entgehen lassen wollte. Ich nahm das Gewehr hoch. Lewaninka bemerkte es und berührte meine Hand. ,Nicht, Bwana', sagte er, ,kleine Kugeln machen kein großes Loch. Das Tier wird uns alle töten.' Ich konnte den Neger beruhigen; denn das Gewehr war eine Elefantenbüchse, die durch eine Spezialkonstruktion verbessert worden war. Ich konnte mit sogenannten Aufsteckgranaten schießen. Den Stiel der handgranatenähnlichen Patrone führte ich in die Gewehrkammer ein, während ich das eigentliche Sprengstück vom auf den Lauf schob. Der Nachteil bestand darin, daß man nur einen einzigen Schuß abfeuern konnte und neu laden mußte, was erhebliche Zeit in Anspruch nahm. Ich rechnete damit, daß der Schuß das überlebende Tier nicht erschrecken würde, da es ja an die Geräusche des aufstoßenden Erdgases gewöhnt war. Außerdem könnte es bestimmt unseren Standort nicht sofort ausfindig machen, und bis es soweit wäre, hätte ich schon wieder geladen. Allerdings dürfte ich dann nicht vorbeischießen, sonst würde es um uns geschehen sein. Doch mein Arm würde nicht zittern. Leise, obwohl diese Vorsicht wahrhaftig nicht notwendig war, legte ich an. Ich zielte auf den Hals, denn ich wollte den Kadaver in möglichst unversehrtem Zustand untersuchen. Beim zweiten Schuß konnte es dann gleich sein, wo ich traf. Ruhig, wie auf dem Schießstand, drückte ich ab. Eine starke Explosion erfolgte. Fleisch und Knochenteile wirbelten durch die Luft. Ich hatte genau unterhalb des Kopfes getroffen, und dieser war glatt vom Hals abgerissen worden. Einen Augenblick stand der Koloß ohne Kopf mit steil in die Höhe gerecktem Hals da, dann sank dieses Gebilde schlaff herab, der Körper schien sich noch drehen zu wollen, aber die wuchtigen Beine gaben nach, und einige tausend Kilo Fleisch und Knochen plumpsten auf die Erde. Die Masse rührte sich nicht mehr. 26
Ich sah meine Begleiter an. Sie standen mit offenem Munde da. Es hätte nicht viel gefehlt und sie wären in lautes Jubelgeschrei ausgebrochen. . Aber da war noch der andere Riese, den es erst zu erlegen galt. Vorerst machte er jedoch keine Anstalten, uns anzugreifen. Anscheinend konnte sein kleines Hirn gar nicht begreifen, was eigentlich vorgefallen war. Er ging auf seinen Gefährten zu und starrte verwundert auf das Halsende, auf dem einmal der Kopf gesessen hatte. Fieberhaft lud ich mein Gewehr. Doch bevor ich den Sprengkörper auf den Lauf schieben konnte, erhielt ich einen heftigen Stoß in den Rücken. Ich taumelte zur Seite und spürte gleichzeitig den beißenden Qualm schwelenden Holzes. Ich sah mich um. Da stand Professor Winzig. In seinen Augen flackerte der Irrsinn; in beiden Händen hielt er brennende Holzscheite. In demselben Augenblick schleuderte er eine seiner Fackeln auf das Untier unter uns. Ein schreckliches Gebrüll erfüllte die Luft. Das Feuer reizte den Dinosaurier, und die Flugbahn machte ihn auf unseren Standort aufmerksam. So viel Verstand besaß er zweifellos, daß er in uns seine Feinde vermutete. Mit gesteigertem Gebrüll setzte er sich in Bewegung, geradewegs in Richtung auf unsere Anhöhe. Der Boden erzitterte unter der gewaltigen Lawine, die gegen uns anstürmte. Das Biest hielt den Hals schräg nach vorn geneigt. Unsere einzige Rettung bestand zunächst darin, daß das Tier unter seiner eigenen Last tüchtig zu schleppen hatte und nicht allzuschnell vorwärts kam. Wir brachen in unserer Angst, glaube ich, alle auf der Welt bestehenden Rekorde im Laufen. Vorneweg rannte der irrsinnige Engländer, die ihm gebliebene Fackel schwingend. Da — kurz vor dem Schutzgraben — schleuderte er das brennende Holz in den ausgetrockneten Tang. Der stand im Nu in Flammen. Jetzt verließen Winzig seine Kräfte; wenige Meter vor der Feuerwand brach er erschöpft zusammen. Was nun? Vor uns das Feuer, um uns der tückische Sumpf, und hinter uns. näherte sich bedrohlich das laute Gepolter des heränrasenden Ungetüms. Doch ich sah, wie die vor mir laufenden Neger instinktiv das Richtige machten: Sie stoppten ihren Lauf keine Sekunde und sprangen durch das Feuer. Auch ich riß alle mir noch verbliebenen Kräfte zusammen — da stolperte ich über die Gestalt des Engländers und prallte auf den Boden. Die Läufer hinter mir, unter ihnen Lewaninka, stürzten ebenfalls. Der Barotse-Fürst übersah die Lage als erster. Er schrie einem noch jungen muskulösen Neger einen Befehl zu. Dieser stutzte, gehorchte dann 27
aber. Er lud sich die leichte Gestalt Winzigs auf und verschwand mit ihr in den Flammen. ,Bwana!' rief der Häuptling, ,Bwana, bist du verletzt?' Mit seiner Unterstützung erhob ich mich taumelnd. In meiner rechten Schulter fühlte ich einen grausamen Schmerz; aber der Dinosaurier befand sich nur noch zweihundert Meter von uns entfernt, und viel Zeit zum Wehklagen blieb nicht. ,Schnell', keuchte ich, ,schnell!' Fast ohne Anlauf sprangen wir in den brennenden Graben. Die Flammen peitschten mich wie tausend stachlige Drähte. Ich hatte nicht mehr die Kraft, die andere Seite zu erklimmen, und wäre umgekommen, wenn die Neger nicht aufgepaßt und mich sowie den Häuptling herausgezogen hätten. Rasch löschten sie die Flammen, die an unserer Kleidung züngelten. Unterdessen war der Saurier am Lager angelangt. In blinder Wut stürmte er in das Feuer, zog jedoch sofort den Kopf zurück. Aber er lief nicht davon, sondern rannte um das Lager herum, einen Eingang suchend. Wir sahen seinen langen Hals und den häßlichen Kopf über den Flammen. Ich war völlig erschöpft und fühlte mich einer Ohnmacht nahe. Aber das Feuer würde bald keine Nahrung mehr finden und verlöschen. Bis dahin mußten wir das angriffsfreudige Biest vertrieben haben. ,Meine Gewehre, schnell!' krächzte ich, halb wahnsinnig vor Schmerz. Die Neger begriffen sofort. Drei von ihnen liefen in mein Zelt und brachten die gesamte Einrichtung angeschleppt. Ächzend griff ich zur Ersatzbüchse, und es gelang mir, sie mit der linken Hand und den Zähnen zu laden. Den rechten Arm konnte ich überhaupt nicht mehr bewegen. Trotzdem versuchte ich, auf der Erde hockend, auf den riesigen Körper zu zielen, der sich nun schon ganz deutlich hinter dem schwächer brennenden Feuer abzeichnete. Dreimal mußte ich absetzen. Lewaninka, der mein Bemühen beobachtete, selbst aber nicht helfen konnte — denn er lag mit argen Verbrennungen auf der Erde —, rief seinen Leuten zu, sie sollten sich bewaffnen und nach meinem Schuß sofort ihre Speere schleudern. Noch einmal legte ich an. Ich zielte auf die graue Fleischmasse und sah noch, wie die Lobalespeere gleich einer niedrig ziehenden Wolke über den Graben flogen. Dann verließen mich die Sinne. Vom Rückmarsch nach Liulia merkte ich so gut wie gar nichts; denn ich lag in schrecklichen Fieberschauern. Ich erinnere mich nur noch daran, in einem klaren Augenblick am nächsten Morgen gesehen zu haben, wie Lewaninka im Kreise seiner Getreuen das angekündigte Opfer für das Chipekwe vollzog, indem er unter feierlichen Zeremonien die mitgeführten Gaben in den Sumpf schüttete. 23
Vier Monate nahm ich die Gastfreundschaft der Lobale in Liulia in Anspruch. Man hatte mir den rechten Arm abnehmen müssen. Der Stumpf verheilte verhältnismäßig gut. Lewaninka hätte mich auch nach Uganda tragen lassen, mich genau so fürsorglich betreut, wie mich die Neger vom Bahr el Ghasal bis in das Dorf geschleppt hatten. Doch ich wollte nicht. In Uganda hätte ich die Spitalkosten nicht aufbringen können. Außerdem würde ich nie wieder in der Lage sein, in den Busch zurückzukehren, und ich wollte Abschied nehmen. Mit meiner Laufbahn als Großwildjäger war es vorbei. Professor Winzig hatte seinen klaren Verstand noch nicht wiedergefunden. Er saß in seiner Hütte und malte Stunde um Stunde Figuren in den Sand. Für die Neger war er tabu und sie verkehrten in ehrfürchtiger Scheu mit ihm. Dabei blieb er gutmütig wie ein kleines Kind. Der Tag der Abreise war herangekommen. Ich suchte Lewaninka auf. Der alte Barotse-Fürst empfing mich im großen Festgewand. Schwer stützte er sich auf einen Stock, denn auch ihn hatte das Abenteuer sehr mitgenommen. ,An allem ist nur der Rum schuld, Bwana', sagte er, um seine Rührung zu verbergen, und deutete auf meinen Armstumpf. ,Wenn du wenigstens ein Teilchen der erlegten Chipekwes mitgenommen hättest, wäre mein Schmerz nicht so groß, o Häuptling', antwortete ich. .Meine Leute hatten genug Lasten', entgegnete der Fürst, ,und in Zukunft', er richtete sich zu seiner ganzen Größe auf, ,wird dem MokeleMbamba der Sumpf allein gehören. Kein Lobale wird mehr in den Bahr el Ghasal eindringen.' Ich wußte, daß ihn auch keine noch so verlockenden Flaschen in Zukunft zum Widerrufen dieses Schwures veranlassen konnten. Alle irgendwie entbehrlichen Gegenstände ließ ich den Dorfbewohnern aus Dankbarkeit zurück. Lewaninka gab mir zwanzig Begleiter mit, die Professor Winzig und mich wohlbehalten zum nächsten Fort brachten. In Uganda glaubte mir kein Mensch meine Erzählung, obwohl mein verlorener Arm sehr bedauert wurde und mich vor der Tilgungsklage rettete, die meine Gläubiger gegen mich anstrengen wollten. Aber man nahm wohl an, daß ich ein wenig an derselben Krankheit litt wie der unglückliche Engländer. Ich hatte auch nichts anderes erwartet und kehrte sobald als möglich nach Holland zurück, wo ich bei Verwandten unterkam. Später hörte ich, daß Winzig geheilt worden war. Er benutzte nun seine Tagebuchaufzeichnungen, um mit Hilfe seiner Phantasie alles auszuschmücken und sich die Hauptrolle zuzusprechen. Er fand damit, 29
namentlich bei den Damenzirkeln, viel Anklang und bereiste mit seinen Vorträgen, wenn auch nicht die ganze Welt, so doch ein Stück des Empire. Aber in den Bahr el Ghasal ist weder er noch sonst jemand wieder gekommen. Die Neger machen keine Expedition mehr mit, und ohne sie kommt man im Busch nicht einen Schritt vorwärts. Weil aber die Vorträge Winzigs viel Verwirrung in der Welt anrichteten und mich seine Aufschneidereien ärgerten, habe ich mich entschlossen, die Geschichte unserer Saurier-Safari so aufzuschreiben, wie sie s i c h . . . •
Und hier endet das Manuskript", sagte der Vorlesende plötzlich, „wahrscheinlich..." • „Toll!" unterbrach ihn Mr. Edwards. „Wirklich toll, Doktor. Das scheint wirklich eine Sensation zu werden. Ich werde beantragen, daß wir eine Expedition ausrüsten und die Saurier entdecken, wie dieser Meeler. Selbstverständlich werden wir uns dabei geschickter anstellen." Dr. Cawler lächelte. Er hatte keinen Respekt vor seinem Vorgesetzten, der nur eine Repräsentatiohsstellung bekleidete und von der Wissenschaft keine Ahnung hatte. Doch er hütete sich, seine Gedanken laut werden zu lassen. Er beschloß, dem Direktor seine Ansicht vorsichtig beizubringen. „Ich meine, daß der Autor zum Schluß erklären wollte, was ihn veranlaßt hat, diese Geschichte zu schreiben", wandte er ein. „Sein Bericht ist mit einer, ich muß schon sagen, verblüffenden Wissenschaftlichkeit geschrieben. Alles könnte stimmen, bis auf eines, nämlich, daß die Dinosaurier heute noch auf unserer Erde herumlaufen." „Na, na, warum zweifeln Sie denn daran, Doktor?" fragte Edwards. Der Wissenschaftler holte tief Luft und setzte zu einer langen Erklärung an: „Von riesigen, grauenhaften Drachen erzählten sich die Menschen schon seit Urzeiten. Aber es konnte niemand den Beweis dafür erbringen, daß sie wirklich einmal auf unserer Erde gewandelt waren. Ernsthafte Forscher und Gelehrte hielten zum Beispiel die Dämonen und Tiergötzen der asiatischen Tempel für Ausgeburten der menschlichen Phantasie und behaupteten, daß sich die Natur in der Schöpfungsgeschichte niemals einen solchen Witz geleistet haben könnte. Dabei waren diese Bilder nichts weiter als Abbildungen der Urweltsaurier, durch den jahrtausendelangen Kult eher noch verschönt als übertrieben. In dieser Hinsicht beruhen die Schilderungen Mr. Meelers durchaus auf Wahrheit, wie die Skelettfunde in allen Teilen der Welt beweisen. 30
. Die Wissenschaft konnte sich erstmalig im Jahre 1870 von diesen Urwelttieren ein genaues Bild machen. Zu jener Zeit wurden im Steinkohlenbergwerk von Bernissart in Belgien, dreihundert Meter tief, in einem senkrechten Raum von dreißig Metern, übereinanderliegende Skelette von über hundert dieser Dinosaurier gefunden. Bis heute ist noch nicht erforscht worden, was dort in der späten Kreidezeit einmal vorgegangen ist. In dieser Periode starben überhaupt alle diese Riesentiere, die eine lange Zeit unseren Kontinent beherrscht hatten." Aber der Direktor wollte nicht von seinem Plan lassen. Er witterte große Möglichkeiten, seine Popularität zu steigern. „Aber warum soll es doch nicht noch im Kongo, in diesem unwegsamen Gebiet, in den Sümpfen, Dinosaurier geben?" Dr. Cawler schüttelte den Kopf. „Ich glaube nicht daran, obwohl sich die Gerüchte hierüber nun schon über fünf zig Jahre halten. Im Jahre 1907 unternahm Carl Hagenbeck eine Expedition, um diese Saurier in Zentralafrika für seine Tierhandlung zu fangen. Das Fieber und die Strapazen rieben die Teilnehmer auf, und Hagenbeck mußte umkehren. Immerhin hatte er das Glück, an der Küste ein großes Saurierskelett zu finden, so daß er nicht mit leeren Händen nach Deutschland zurückkehrte. Seitdem sind aber auch die Sümpfe gründlich erforscht, vor allem häufig überflogen worden. Und wenn sich solch ein Saurier dem jetzigen Klima hätte anpassen können — was auf Grund der Millionen Jahre langen Entwicklung ausgeschlossen ist, denn aus der langen Tertiärzeit, die sich an die Kreideperiode anschloß, wurde nie ein Saurierskelett geborgen —, dann wäre ein so großer Körper den Forschern und Beobachtern nicht entgangen. Aber was wollen Sie machen? Die Gerüchte sind beharrlich, und selbst ein so verdienstvoller Wissenschaftler wie Wilhelm Bölsche schrieb 1932 im Zusammenhang mit den Kongo-Sauriern, man solle zwar den Tag nicht vor dem Abend loben, aber auch dem Abend seine Möglichkeiten lassen. Vielleicht ließ sich Peer Meeler von diesen Gerüchten beeinflussen, als er seine Geschichte erzählte, denn ein Afrikakenner war er zweifellos, wie aus seinem Bericht hervorgeht. Und mit dem Leben der Saurier hatte er sich auch gründlich vertraut gemacht." „Sie meinen also, es hat wirklich keinen Zweck?" fragte Mr. Edwards noch einmal. „Glauben Sie mir, Sie werden sich lächerlich machen, die ganze wissenschaftliche Welt wird uns auslachen. Die Beweise, die die Gelehrten bringen, stehen alle gegen uns. Meeler schrieb seine Geschichte bestimmt nur, um einmal ein anschauliches Bild von den Sauriern zu geben, verstehen Sie? Wir sollten zufrieden sein, daß uns Libyen das wertvolle Skelett geschenkt hat."
So schnell der Direktor sich für seine Idee begeistert hatte, so schnell ließ er seinen Plan wieder fallen. Ausgelacht zu werden, das wollte er denn doch nicht riskieren. Einen Fluch auf den Holländer ausstoßend, drehte er sich auf die Seite, und der reichlich genossene Alkohol tat seine Wirkung: Edwards schlief sofort ein. Auf Zehenspitzen verließ Dr. Cawler, die vergilbten Blätter in der Hand, das Zimmer. Für ihn waren sie wertvoll. Auf dem Flugplatz stand inzwischen eine neue Transportmaschine bereit, um einen weiteren Teil des zuletzt in Afrika entdeckten Dinosaurierskeletts aufzunehmen.
SPANNEND ERZÄHLT BAND 8
NIKOLAI TRUBLAINI
SCHONER „COLOMB" Professor Ananjew macht eine großartige Entdeckung: Torianithaltigen Sand hat er gefunden, aus dem Helium gewonnen werden kann. Ausländische Mächte versuchen ihn an der Auswertung des Schatzes zu hindern. Alle Mittel sind ihnen recht: Menschenraub, Gift, Höllenmaschine, Mord. Lebensgefährliche Abenteuer auf offener See müssen unsere jungen Helden Sorja, Ljuda und Marko bei ihrer Jagd nach dem Agenten Antsch bestehen, ehe sie ihn entlarven können. 2. Auflage • Illustriert von Eberhard Binder 340 Seiten • Halbleinen 5,90 D5V-I