Seewölfe 206 1
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Seewölfe 206 1
Kelly Kevin 1.
Palmen bogen sich im Wind. Eine dicke braune Kokosnuß löste sich aus den Federwipfeln, verfehlte den Kopf des Mannes um Fingerbreite und klatschte unmittelbar hinter ihm auf den Boden. Smoky, der Decksälteste der „Isabella“, fuhr herum wie von einer Natter gebissen. „Rumms!“ sagte der kleine Hasard. „Krach!“ fügte sein Bruder hinzu. Die achtjährigen Zwillinge, Söhne Philip Hasard Killigrews, den Freund und Feind respektvoll Seewolf nannten, fanden den Zwischenfall sehr komisch. Smoky nicht. Er fluchte das Blaue vom Himmel. Batuti, der hünenhafte Gambia-Neger, schüttelte sein Haupt. „Immer Vorsicht mit Kopf unter Kokospalme“, sagte er trocken. „Weiter!“ Smoky grummelte erbittert. Ein Blick zurück zeigte ihm, daß die „Isabella“ in der Bucht auf der Südseite der winzigen Insel friedlich um die Ankertrosse schwoite. Sie hatten die Insel angelaufen, um Frischwasser zu übernehmen. In den Fässern an Bord schwappte zur Zeit eine trübe, mit grünlichen Fäden durchzogene Brühe. Der Kutscher, Koch und Feldscher auf der „Isabella“, kümmerte sich darum, daß die Fässer gereinigt wurden. Die Hälfte der Crew schwärmte unterdessen über die Insel, um die Quelle zu finden, ohne die eine so üppige Vegetation nicht denkbar war. Der Decksälteste warf Batuti und den Zwillingen einen vernichtenden Blick zu und schlug sich seitwärts in die Büsche. Er hatte keine Lust, sich das Gestichel anzuhören. Diese Kanalratten, dachte er bei sich, hatten sowieso nichts anderes im Sinn, als ihn mit seinem besonderen Talent aufzuziehen, harte Gegenstände an den Kopf zu kriegen. Grimmig stapfte Smoky durch das niedrige Gestrüpp, orientierte sich an der Steigung des Geländes und steuerte auf eine Stelle zu, wo rote Felsen eine schmale, ansteigende Schlucht flankierten.
Im Golf von Papua
Zwischen den Steinen schien die Luft zu kochen. Schweiß lief über Smokys Gesicht, das braune Haar klebte ihm in Strähnen an der Stirn. Fluchend schwang er sich über einen armdicken Schlingpflanzen-Strang, blieb stehen und lauschte. Er hörte das Brausen der Brandung: ein vertrautes Geräusch, das er kaum bewußt wahrnahm. Vögel kreischten, im Unterholz knackte und raschelte es. Und noch etwas hörte er: das leise, unruhige Murmeln und Rieseln von Wasser. Die Quelle! Smoky grinste triumphierend und stieg weiter aufwärts. Wildes Gras wucherte zu seinen Füßen. Blitzende silbrige Lichtreflexe verrieten ihm den Verlauf des Rinnsals, und wenig später entdeckte er die Stelle, wo das Wasser aus einem Loch unter einer vorspringenden Steinplatte sprudelte. Smoky bückte sich, um etwas von dem kühlen Naß mit der hohlen Hand zu schöpfen. Gleichzeitig hörte er das Geräusch hinter sich in den Büschen. Im ersten Moment glaubte er, Batuti oder die Zwillinge seien ihm gefolgt. Aber die hätten ihn angerufen. Smoky runzelte die Stirn und wollte sich hastig umdrehen, doch da hatte er die entscheidende Sekunde bereits verpaßt. Zweige knackten, als jemand mit einem langen Sprung aus den Büschen brach. Etwas rammte sich in Smokys Kreuz. Etwas Hartes, Rundes, das seiner Meinung nach fatale Ähnlichkeit mit einer Pistolenmündung hatte. Eine Stimme zischte in sein Ohr. Er verstand die Worte nicht. Aber er war ziemlich sicher, daß es sich um die Aufforderung handelte, die Hände zu heben und die Ruhe zu bewahren — andernfalls er gleich ein großes Loch in seiner kostbaren Haut haben würde. »Scheiße“, sagte Smoky. „Du Engländer?” tönte es nach einer kurzen Pause erstaunt zurück. „Nee, Chinese! Und du bist Hackfleisch, du weißt es nur noch nicht.“
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Das Kichern des Fremden klang etwas hysterisch. „Umdrehen!“ fauchte er. „Aber schön langsam, sonst bist du Chinese gewesen.“ Bei den letzten Worten trat der Bursche einen Schritt zurück, und Smoky drehte sich gelassen um. Aus zusammengekniffenen Augen betrachtete er den Mann, der ihn mit einem Monstrum von: Steinschloß-Pistole bedrohte. Ein Weißer, stellte er fest. Portugiese vermutlich — Spanisch hätte Smoky verstanden. Der Kerl war mager und drahtig, nicht besonders groß, hatte eine braungebrannte Lederhaut, struppiges schwarzes Haar, ebenso struppige Bartstoppeln und Augen, in denen die Wachsamkeit eines hungrigen EinsiedlerWolfs lag. Jetzt betrachteten diese Augen den bulligen Decksältesten — etwa mit jenem Respekt, den jeder salzgewässerte Seelord einem knüppelharten Sturm entgegenbringt. „Was willst du Stint?“ knurrte Smoky tief in der Kehle. „Dir werde ich ...“ „Die Fragen stelle ich“, erklärte der Kerl. „Du wirst mir jetzt haarklein erzählen, wer ihr seid und was ihr hier sucht. Und wenn du nicht spurst, wirst du Hilo Palmeiros Lochstickerei kennenlernen!“ * Dumpf rollte Kanonendonner über das Wasser. Acht schwere Siebzehnpfünder-Culverinen spuckten Tod und Verderben. Pulverdampf wölkte über das Geschützdeck der „Dona Felipa“, lange Flammenzungen leckten aus den Stückpforten. An der Schmuckbalustrade des Achterkastells stand hoch aufgerichtet der portugiesische Kapitän mit dem schönen Namen Gilberto Henrique Rosario da Carrilho und sah zu, wie die Kanoniere wieder und wieder die glimmenden Lunten in die Zündpfanne drückten, um neue stählerne Grüße zur querab liegenden Küste hinüberzuschicken.
Im Golf von Papua
Jaulend und orgelnd rasten die schweren siebzehnpfündigen Kugeln durch die Luft, zerfetzten Palmenschößlinge und Buschwerk und ließen die leichtgebauten Eingeborenen-Hütten wie Kartenhäuser zusammenstürzen. Menschen schrien und flohen in panischem Entsetzen vor dem Verhängnis. Trümmer wirbelten durch die Luft, trafen Köpfe und Leiber und überschütteten die wenigen braunhäutigen Männer, die in ohnmächtiger Wut ihre Speere gegen das unerreichbare Schiff schleuderten, mit einem Splitterregen. In dem Papua-Dorf am Rande der Bucht herrschte das Chaos. Immer noch donnerten die Geschütze, als wollten sie den Ort buchstäblich vom Erdboden tilgen. „Halt!“ brüllte der Capitan in seiner Heimatsprache. „Wenn wir alles in Fetzen schießen, gibt es keine Beute mehr. Klar bei Bugdrehbasse! Heißt Fock und Besan! Herum mit dem Schiff!“ Nackte Fußsohlen klatschten auf den Decksplanken. Knatternd entfaltete sich das Segeltuch, die „Dona Felipa“ fiel ab und lief vor dem Wind mit langsamer Fahrt in die Bucht. Jetzt war es die Bugdrehbasse, die sich brüllend entlud. Ihre Ladung aus gehacktem Blei prasselte zwischen die Eingeborenen, fegte den Strand leer, und auch die letzten Männer, die noch Air Verteidigung ihres Dorfs entschlossen gewesen waren, mußten einsehen, daß ihr einziges Heil in der Flucht lag. „Backbrassen!“ peitschte da Carrilhos Stimme. „Fallen Anker!“ Die Galeone verlor an Fahrt. Die Fock wurde eingeholt, ein Mann warf das Besanfall los, während der schwere Stockanker ins Wasser klatschte. Minuten später lag die „Dora. Felipa“ sicher in der Bucht. An Land wurde das Angst- und Wutgeheul der Papuas mit der Entfernung immer leiser. „Beiboote klarmachen!“ brüllte der Capitan. „Stürmt die Festung, Männer! Sie ist unser!“
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Die „Festung“ bestand aus einem Trümmerhaufen, und zu stürmen gab es nichts mehr. Capitan Gilberto Henrique Rosario da Carrilho war dermaleinst ein ehrlicher portugiesischer Seefahrer gewesen, ein kühner Entdecker und vorbildlicher Sohn seines Vaterlandes. In seinem Fall hatten die kühnen Entdeckungsfahrten allerdings fatale Folgen gezeitigt: je weiter sie ihn von der Zivilisation entfernten, desto klarer wurde ihm, daß es viel ungefährlicher und bequemer war, wehrlose Opfer auszuplündern, statt Festungen zu stürmen. Tropenhitze, Kokosnuß-Schnaps und lasches Leben hatten seine Mannschaft in einen verlotterten Häufen verwandelt. Und ihn selbst in einen verlotterten Kapitän, der sich nur noch zu Taten aufraffte, wenn leichte Beute winkte. Die Vorräte eines Eingeborenen-Dorfes, mittels schwerer Schiffsgeschütze erobert, waren leichte Beute. Da Carrilho sah zu, wie die Beiboote ins Wasser klatschten und seine Leute an Land pullten. Der Strand war leer, im undurchdringlichen Dickicht rührte sich nichts mehr. Das Papua-Dorf lag an einer der wenigen menschlicher Besiedlung günstigen Stellen, einer trockenen Erhebung, die sich keilförmig aus dem Landinneren durch die Sümpfe bis zum Meer hinzog. Die Eingeborenen ernährten sich von Fischfang und Jagd, sie brauchten die Nähe der See. Jahrhundertelang hatten sie hier friedlich gelebt. Erst in jüngster Zeit zeigte der Standort ihres Dorfes Nachteile: es war schutzlos jedem Piratengesindel ausgeliefert. Nur ihre Boote hätten die Papuas sicher versteckt, außerhalb des Schußfeldes der „Dona Felipa“. Aber primitive EingeborenenBoote waren ohnehin nicht die Art von Beute, auf die es da Carrilhos Schnapphähne und Halsabschneider abgesehen hatten. Wie eine Horde Vandalen fielen sie in dem zerstörten Dorf ein. Sechs Mann richteten ihre Musketen auf den Waldrand und hielten Wache. Die anderen durchstöberten die Trümmer,
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zerstörten vollends, was noch heil geblieben war, und rafften alles zusammen, was sie irgend gebrauchen konnten. Achtlos stiegen sie über Tote und Sterbende hinweg. Der Überfall hatte Dutzende von Opfern gekostet. Für diejenigen, die nicht von ihren Stammesgenossen mitgenommen worden wären, gab es keinen Pardon. Die Plünderer wußten zu genau, daß der Haß auch einen Schwerverwundeten befähigen konnte, seinem Todfeind noch mit letzter Kraft einen Speer in den Leib zu jagen. Lästerliche Flüche ertönten, als die magere Ausbeute in die Boote verfrachtet wurde. „Hol der Teufel diese armseligen Schlucker!“ schimpfte der knebelbärtige Steuermann der „Dona Felipa“ - ungerührt von der Tatsache, daß die Papuas bestimmt nicht in Armut lebten, um räubernde Piraten zu ärgern. „Drecksgegend! Los, anzünden den ganzen Plunder!“ Unter Gejohle setzten die Kerle auch noch die Trümmer in Brand. Flammen züngelten, Rauchfahnen stiegen in den blauen Himmel. Binnen Minuten verwandelte sich der Platz am Strand in eine lodernde Hölle. Die Piraten in ihren Booten grinsten wild und schrien triumphierend durcheinander, als hätten sie tatsächlich eine Festung gestürmt und Heldentaten vollbracht. Tief im Schatten des Mangroven-Dickichts kauerten nackte braunhäutige Gestalten und starrten mit haßglühenden Augen aufs Meer hinaus. * „Scheiße!“ krähte jemand laut und deutlich. „Scheiße! Chinese, du Hackfleisch!“ „Hihi!“ kicherte der kleine Philip und blickte dem roten Ara-Papagei Sir John entgegen, der im Gleitflug aus der schmalen Schlucht segelte, in der vorhin Smoky verschwunden war. „Du schlecht erzogen, Sir John!“ erklärte der kleine Hasard ernsthaft. Der Vogel ließ sich auf einem Zweig nieder, an dem blaue Blütendolden hingen.
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„Was willst du Stint?“ kreischte er. Und dann, in einem völlig anderen, leicht singenden Tonfall: „Umdrehen! Engländer! Hilo Palmeiro! Hilo Palmeiro ...“ Die Zwillinge wechselten einen Blick. „Vogel verrückt“, meinte Hasard junior. „Hmm“, äußerte sich Philip junior und legte den Zeigefinger an die Nase. „Klingt aber nach einer fremden Stimme, eh? Und woher kennt der Vogel den Namen Hilo Pal-Pal. dingsda?“ „Palmeiro!“ krähte Sir John. „Hilo Palmeiro Lochstickerei!“ Hasard runzelte die Stirn. „Was ist denn das - Lochstickerei?“ „Weiß ich nicht. Aber Loch ist nie gut. Und Palmeiro klingt spanisch.“ „Da hast du recht, beim Scheitan“, sagte Hasard. Die Zwillinge, bis zu ihrem siebenten Lebensjahr im Orient aufgewachsen, verwendeten zwar auch untereinander die englische Sprache, aber der Scheitan blieb nun mal der Scheitan und war dem Teufel, Satan, Beelzebub und Konsorten natürlich haushoch überlegen. „Schauen wir mal nach?“ fragte Philip. „Ja. Aber leise“, stimmte Hasard zu. Auf Zehenspitzen setzten sie sich in Bewegung. Für zwei schlanke, biegsame Bürschchen, die zudem noch eine akrobatische Ausbildung hinter sich hatten, war es nicht schwer, sich lautlos durch das Dickicht zu schlängeln. Minuten später erreichten sie steiniges Gelände, das nur noch dem wilden Gras Nahrung bot. Genau wie vorher Smoky hörten sie das Plätschern und Murmeln der Quelle. Als sie sich vorsichtig hinter einem Felsblock aufrichteten, begannen sie zu begreifen, wieso von „Scheiße“, „Hackfleisch“ und einem gewissen Hilo Palmeiro die Rede gewesen war. Der Träger dieses Namens fuchtelte dem Decksältesten der „Isabella“ mit einer schweren Steinschloß-Pistole vor der Nase herum. Smoky hatte die Stirn gefurcht, das Kinn vorgereckt, die Hände geballt und die
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Augen zu schmalen, gefährlich funkelnden Schlitzen zusammengekniffen. Die Zwillinge fanden, daß er furchterregend genug aussah, um ein halbes Dutzend Männer vom Kaliber Hilo Palmeiros in die Flucht zu jagen. Der wirkte denn auch ziemlich fahl — etwa wie ein Kurzsichtiger, der eine Hauskatze treten wollte und versehentlich einen Tiger erwischte. „Schön ruhig, du Chinese!“ fauchte er. „Wen ich mit Lochstickerei verziere, der steht nämlich bestimmt nicht wieder auf.“ „Versuch's doch, du Kanalratte“, knirschte Smoky. „Ein Schuß, und du hast die ganze Crew auf dem Hals. Die werden dich kielholen, kalfatern, vierteilen und an die Rahnock knüpfen — in dieser Reihenfolge.“ Der Unbekannte lachte böse. Philip und Hasard wechselten einen weiteren Blick. Die Sache mit dem Chinesen und der Lochstickerei kapierten sie zwar immer noch nicht, aber sonst war die Situation so klar wie der Himmel nach einem handfesten Sturm. „Hauen wir ihm was auf die Nase, oder schmeißen wir ihm was an die Rübe?“ fragte Hasard flüsternd. „An die Rübe“, entschied Philip. „Sonst macht er doch noch Lochstickerei.“ Dabei tastete er bereits nach einem handlichen Stein, nahm kurz und konzentriert Maß und schleuderte das Geschoß. Ein perfekter Wurf. Locker aus dem Handgelenk, nicht zu lasch, nicht zu wuchtig, genau mit dem Schwung, bei dem das Bewußtsein, aber nicht der Schädelknochen zum Teufel geht. Hilo Palmeiro wurde seitlich am Kopf getroffen. Reflexhaft feuerte er die Steinschloßpistole ab. Doch da ihn der Treffer mit wohlerwogener Absicht aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, schlug die Kugel lediglich ein paar Funken aus dem Felsen. Smoky blickte fassungslos auf seinen gefällten Gegner, aber das konnte Hilo Palmeiro schon nicht mehr sehen.
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Philip Hasard Killigrew, der Seewolf, sah der Pinasse mit den leeren Wasserfässern entgegen, als der Schuß fiel. Luke Morgan, Sam Roscill und Matt Davies, der Mann mit der Haken-Hand, hatten eine weitere Quelle an der Westseite der Insel entdeckt. Eine Quelle, die passenderweise in Kaskaden über Felsvorsprünge floß, so daß man die Fässer nur unter das fallende Wasser stellen brauchte, um sie zu füllen. Am Strand waren der rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tucker, der. blonde Stenmark, Dan O'Flynn und der Moses Bill damit beschäftigt, aus jungen Palmenstämmchen und Lianen Tragegestelle zu fertigen. Arwenack, der Schimpanse, hüpfte um sie herum, keckerte aufgeregt und trommelte sich auf die behaarte Brust, als wolle er Besitzansprüche auf die Insel anmelden. Der Schuß ließ nicht nur die Männer, sondern auch den Affen erstarren. Philip Hasard Killigrew wirbelte herum, die eisblauen Augen zusammengekniffen. Der Schuß war irgendwo im Dickicht auf der Anhöhe gefallen, die den Mittelpunkt der Insel bildete. Kein Schrei folgte, kein Kampflärm - nur das eigentümlich hohe, schrille Singen, das entsteht, wenn eine Kugel von Stein oder Metall abprallt. Im nächsten Augenblick fegte ein flatterndes rotes Etwas über die Palmwipfel, entpuppte sich als Sir John und ließ sich zielgenau auf der breiten Schulter Edwin Carberrys nieder, der gerade mit einem Sprung von der Pinasse an Land setzte. „Affenarsch und Rübenschwein!“ krächzte der Vogel. „Chinesisches Hackfleisch und Lochstickerei!“ „Hä?“ fragte der Profos verdutzt. „Palmeiro!“ kreischte der Papagei. „Hilo Palmeiro! Hipp-hipp-hurra!“. Ed Carberry kratzte ratlos sein zernarbtes Rammkinn. Der Seewolf spähte zu der Anhöhe hinauf und versuchte angestrengt, eine gedankliche Verbindung zwischen einem Pistolenschuß, chinesischem Hackfleisch,
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Lochstickerei und einem fremden Namen herzustellen. Es gelang ihm nicht. Erbittert knirschte er mit den Zähnen, zog die sächsische Reiterpistole aus dem Gürtel und marschierte quer über den Strand - mit dem schnellen, federnden Gang eines kampfbereiten Panthers. Die anderen Männer schlossen sich an. In der schwülen, schattigen Wildnis jenseits des Palmengürtels stießen sie auf Batuti, der den Schuß ebenfalls gehört hatte. „Kleine Seewölfchen da oben!“ sprudelte der schwarze Herkules aus .Gambia hervor, und Hasard hatte das Gefühl, als streiche ein Eiszapfen über seinen Rücken. Drei Minuten später stellte er fest, daß er sich umsonst sorgte. Es raschelte im Gestrüpp. Zweige knackten, jemand ächzte und rief verschiedene Heilige an auf Portugiesisch. Die Reaktion erfolgte dreistimmig und klang nicht so, als seien die Besitzer der Stimmen zu Schaden gekommen. „Beweg deine müden Knochen, du Laus“, knurrte Smoky, wobei er großzügig übersah, daß Läuse keine Knochen haben. „Hopp-hopp, du Rübenschwein!“ kommandierte Hasard junior. „Schneller, oder wir ziehen dir die Haut in Streifen von deinem verdammten Affenarsch!“ ließ sich Philip junior vernehmen. Der Seewolf blieb stehen und schoß Ed Carberry einen vernichtenden Blick zu. Von ihm stammten nämlich die phantasievollen Sprüche, die ihm die Zwillinge noch eifriger als der Papagei ablauschten. Der Profos schluckte. Entgeistert starrte er dorthin, wo sich jetzt die Büsche teilten. Als erster erschien der Portugiese, der die Heiligen angerufen hatte. Mit gutem Grund. Seine Hände waren auf den Rücken gefesselt, von einer Platzwunde am Kopf rann Blut über sein Gesicht. Hinter ihm marschierte Smoky, sichtlich wütend, und knuffte ihn ab und zu unsanft in die Rippen. Die Zwillinge bildeten den Schluß, sahen sehr vergnügt aus und überboten
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sich gegenseitig darin, den Gefesselten mit den erlesensten Greueltaten der Marke Carberry zu bedrohen. . Der Portugiese, der nicht wissen. konnte, ob Hautabziehen, Kielholen oder Tätowieren mittels Marlspieker tatsächlich zu den Gewohnheiten seiner Gegner gehörten, war gelblich-fahl wie altes Pergament. Jetzt prallte er zurück, als sein Blick auf die Männer vor ihm fiel. Dabei hatte er das Pech, Smoky auf den Fuß zu treten. Und der Decksälteste, der den Seewolf und die anderen noch nicht sehen konnte, revanchierte sich mit einem deftigen Tritt in den Achtersteven. Der Portugiese jaulte auf, segelte vorwärts und fiel Philip Hasard Killigrew in die Arme. Der Seewolf lüftete ihn kurz an und stellte ihn auf die Füße. Dabei hielt er ihn am Kragen fest, weil der Bursche sichtlich weiche Knie hatte. „Ach du liebe Zeit“, brummte Edwin Carberry nach einem prüfenden Blick auf das Jammerbündel. „Wir ihn gefangen genommen“, verkündete Hasard junior. „Mit Stein“, bekräftigte Philip junior. „Weil er Smoky mit Lochstickerei verzieren wollte.“ „Stimmt“, sagte der Decksälteste. Und Edwin Carberry, auf dessen Schulter immer noch Sir John hockte, ging die rätselhafte Geschichte nun endgültig über die Hutschnur. „Was, zum Teufel, ist Lochstickerei?“ brüllte er in einem Ton, der sekundenlang sogar das schrille Konzert der Vögel im Dickicht verstummen ließ. Smoky erläuterte es. Er wußte zwar auch nicht, was Lochstickerei war, aber er wußte, was sein Gegner gemeint hatte: das Stanzen von Löchern in den menschlichen Körper mittels Schußwaffe. Das Rätsel um Sir Johns „chinesisches Hackfleisch“ klärte sich ebenfalls. Währenddessen schien der Portugiese immer mehr in sich zusammen zu kriechen. Am Ende schlotterte er an allen Gliedern - zu- mal Sir John immer
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wieder etwas von einem „Rübenschwein“ dazwischenkrähte, dem gleich an der Rah der Hals lang gezogen würde. „Sie heißen Hilo Palmeiro?“ erkundigte sich Hasard auf spanisch. Der Portugiese schluckte und starrte den Seewolf an, als habe er einen Hellseher vor sich. „J-ja“, stotterte er. „Ich schwöre bei allen Heiligen, daß ich niemandem etwas tun wollte, ich ...“ „Und die Lochstickerei?“ erinnerte der Seewolf trocken. „Ich wollte nicht schießen. Die Pistole ist losgegangen, als ich den Stein an den Kopf kriegte. Ich bin schiffbrüchig. Von der ,Dona Felipa`. Ich wurde im Sturm über Bord gespült und hier angeschwemmt, schon vor einer Woche. Ich mußte doch vorsichtig sein! Ich wollte doch nur wissen, ob ich Freund oder Feind vor mir hatte!“ Er stockte und rang mühsam um Fassung. „Wer sind Sie?“ „Philip Hasard Killigrew. Kapitän der ,Isabella VIII`.“ Hilo Palmeiro wurde noch um einen Schein blasser. „Der Seewolf!“ stöhnte er. „So nennt man mich, ja.“ „O Madonna! Der Himmel stehe mir bei! Heiliger Christophorus, Schutzpatron aller Seefahrer ...“ „Dank lieber dem heiligen Sebastian“, unterbrach ihn Hasard sanft. „Dem - dem heiligen Sebastian?” „Das ist der Schutzpatron aller Schützen“, sagte Hasard trocken. „Er hat dich davor bewahrt, meinen Decksältesten zu treffen, und das ist dein Glück. Wir sind Engländer, Amigo. Bei uns ist es Brauch, Schiffbrüchigen zu helfen - ohne Rücksicht auf die Nationalität.“ Hilo Palmeiros Blick huschte von einem zum anderen. So blutrünstig, fand er, sahen die Männer jetzt gar nicht mehr aus. Er schluckte den Kloß in der Kehle herunter und atmete tief. „Und was werden Sie mit mir tun?“ wollte er wissen. Hasard zuckte mit den Schultern. „Da Sie nicht gut hier bleiben können, werden wir Sie mitnehmen“, sagte er.
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„Vielleicht begegnen wir der ,Dona Felipa' oder stoßen auf eine portugiesische Niederlassung.“ * „Boote Steuerbord querab!“ Die Stimme des Ausgucks gellte über die Decks der „Dona Felipa“. Reichlich verspätet, wie Capitan da Carrilho mit einem einzigen Blick feststellte. Die Galeone segelte mit halbem Wind unter Fock und Besan gemächlich an der Küste von Neu-Guinea entlang. Gemächlich deshalb, weil die Crew die gefährlichen Untiefen dieses Gewässers kannte. Für den Ausguck, der in erster Linie auf Schaumstreifen und erst in zweiter Linie auf die Küste zu achten hatte, war das eine hinreichende Entschuldigung. Für die Mannschaft war es ein Anlaß zu Mißmut: da jeden Augenblick blitzschnelle Segelmanöver notwendig werden konnten, waren sämtliche Rumflaschen ins Kombüsen-Schapp geschlossen worden. Der Schrei des Ausgucks fuhr wie ein Donnerkeil unter die dösenden Gestalten. Der Capitan war auf dem Absatz seines ausgelatschten Seestiefels herumgefahren. Aus schmalen Augen spähte er zur Küste. In seinem Magen schienen plötzlich Ameisen zu kribbeln, als er den Schwarm schneller, wendiger Ausleger-Boote sah, der mit explosiver Plötzlichkeit zwischen den mächtigen Luftwurzeln der Mangroven hervorschoß. Papuas! Die Eingeborenen, unter denen die portugiesischen Piraten ein brutales Massaker angerichtet hatten. Die Boote waren verschont geblieben. Der Teufel mochte wissen, wie es die Wilden geschafft hatten, sie so schnell über Land zu transportieren. Oder handelte es sich um einen anderen Klan? Waren sie nicht auf Rache aus, sondern einfach nur auf Beute? „D-d-das sind ja Hunderte!“ stammelte der Steuermann der „Dona Felipa“ erschrocken. Da Carrilho preßte die Lippen zusammen. Ja, es waren Hunderte! Und sie näherten sich in einem Höllentempo, bei dem sie
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nicht lange brauchen würden, um die Galeone zu erreichen. Sicher konnte man sie mit den Bordgeschützen gehörig dezimieren. Aber selbst wenn jede Kugel ein Boot traf und die Männer sich mit Pistolen und Musketen als Wunderschützen entpuppten, was beides unwahrscheinlich war, würden noch genug von den Kriegern übrig bleiben, um zu entern und an Bord der „Dona Felipa“ ein Blutbad anzurichten. Da Carrilhos Nackenhaare stellten sich auf. Seit er den tollkühnen Sturmangriffen auf Festungen oder feindliche Kriegsgaleonen entsagt hatte, hielt er Vorsicht für den besseren Teil der Tapferkeit. In diesem Fall riet ihm die Vorsicht zur Flucht. Die Vorstellung, jemand könnte ihm seine eigene Medizin zu schlucken geben, ließ ihn erschauern. „Heißt Blinde, Großsegel und Marssegel!“ schrie er mit überschnappender Stimme. „Etwas abfallen! Schneller, ihr Hundesöhne!“ Die Männer rannten, als wären die Planken unter ihren Füßen plötzlich glühend geworden. Minuten später hatte die „Dona Felipa“ jeden Fetzen Tuch gesetzt, schwang leicht nach Steuerbord herum und rauschte mit raumem Wind wie ein zorniger Schwan über das Wasser. Auf diese Weise geriet sie zwar etwas dichter unter Land, hängte jedoch umso schneller die Boote ab, die sie verfolgten. Der Pulk der EingeborenenFahrzeuge blieb achteraus. Capitan da Carrilho starrte mit verkniffenem Gesicht nach vorn. In der Nähe der Küste verrieten Brecher die tückischen Sandbänke. Wenn die Galeone auflief, konnten sie alle ihr Testament machen. Der Capitan mahlte so ingrimmig mit den Zähnen, daß seinem Steuermann ob des knirschenden Geräusches ein kalter Schauer über den Rücken rieselte. „Anluven!“ brüllte da Carrilho. „Wir gehen höher an den Wind!“ „Anluven!“ nahm der Bootsmann die Worte auf. „Hurtig, hurtig, ihr lahmen Säcke! Beeilt euch, oder ich nagele eure Ohren an den Großmast!“
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Fluchen gehörte zum Handwerk, auch auf der „Dona Felipa“. Bei dem müden Haufen an Bord war das auch notwendig. Meistens jedenfalls. Jetzt allerdings, von gefährlichen Untiefen bedroht und noch gefährlicheren Wilden verfolgt, zeigten die Männer, daß sie sich notfalls mächtig ins Zeug legen konnten. Blitzartig wurden die Rahen dichter geholt, die „Dona Felipa“ ging hoch an den Wind und hielt wieder etwas von der Küste ab. Die Auslegerboote hatten jetzt keine Chance mehr, die Galeone einzuholen. Da Carrilho starrte zu den braunhäutigen Eingeborenen hinüber, die wütend ihre Speere schüttelten, und fragte sich, was wohl an den Gerüchten dran war, die den Papuas herzhafte kannibalische Gelüste nachsagten. Den Portugiesen überlief es kalt trotz der Hitze. In dieser Gegend, wurde ihm klar, konnten sie nicht länger bleiben, ohne beträchtliche Gefahren für ihre kostbare Haut heraufzubeschwören. Da Carrilho überlegte einen Augenblick, dann beschloß er, sich . so schnell wie möglich nach Süden abzusetzen. Die Aussicht auf Beute war weder hier noch dort besonders verlockend. Aber Carrilho und seine Genossen nährten sich ohnehin seit langem nur noch von der Hoffnung, daß ihnen eines Tages der große Glückstreffer begegnen würde. * „... und dann setzte dieser verdammte Sturm ein. Das Großsegel ging flöten, die Vormarsrah krachte weg und kappte das Manntau, an dem ich mich gerade entlanghangelte. Und schon war's passiert! Meine Kameraden hatten keine Chance, mich aufzufischen. Ich konnte mich an der Rah festhalten, die mit über Bord gegangen war. Reines Glück, daß ich hier angeschwemmt wurde, bevor mich die Haie erwischten.“ Hilo Palmeiro erzählte auf spanisch, das er fließend beherrschte.
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Der Seewolf hörte mit halbem Ohr zu, während er aufmerksam in den Himmel spähte. Ein Himmel, dessen intensives Blau ihm nicht recht gefiel, weil es einen Stich ins Metallische hatte. Auch Ed Carberry und Ben Brighton, der Bootsmann, blickten immer häufiger nach oben und sogen die Luft ein, als witterten sie in den Wind. An Bord der „Isabella“ hatte Donegal Daniel O'Flynn senior, Dans Vater, bestimmt schon verkündet, daß er den drohenden Wetterumschwung in seinem Beinstumpf spüre. Hasard zuckte unwillkürlich mit den Schultern und sah zu seinen Söhnen hinüber, die Steine gesammelt hatten und Zielübungen auf Kokosnüsse veranstalteten. Die erbeuteten Früchte betrachteten sie als Privatbesitz. Erstens weil sie immer hungrig waren, zweitens weil sich aus den sorgsam ausgehöhlten Kokosnuß-Schalen alle möglichen Dinge anfertigen ließen, deren Qualitäten und Nutzeffekt den Erwachsenen schleierhaft blieb. Es gab auch noch einen dritten Grund, der in dem Wunsch aller kleinen Jungen dieser Welt wurzelte, die Gewohnheiten echter Männer nachzuahmen. Dieser dritte Grund wurde strikt als Geheimnis gehütet. Bisher hatte noch niemand das Versteck der angebohrten und wieder zugestopften Kokosnüsse entdeckt, deren Milch vor sich hin gärte und in ein, zwei Wochen hoffentlich ein handfestes, hochprozentiges Schnaps-Stadium erreichen würde. Die Männer; die nicht mit dem Verladen der gefüllten Wasserfässer beschäftigt waren, hörten Hilo Palmeiro zu. Daß sich einzelne spanische und portugiesische Schiffe in dieser Gegend herumtrieben, war an sich nicht verwunderlich: sie suchten, ständig neue Quellen für ihren Handel mit kostbaren Gewürzen, seltenen Hölzern, fremdartigen Kunstgegenständen und ähnlichem. Die „Dona Felipa“ schien allerdings schon seit etlichen Jahren hier zu vagabundieren, ohne auf Heimatkurs zu gehen. Nach einem rechtschaffenen portugiesischen
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Handelsfahrer sah das nicht gerade aus. Eher schon nach einem wilden Haufen gestrandeter Existenzen, nach jenem besonderen Menschenschlag, den man oft in den Tropen traf: Männern, die irgendwann und irgendwo hängen geblieben waren und nicht mehr den Weg zurück in die Zivilisation fanden. Erfahrungsgemäß mußte man solche Typen mit Vorsicht genießen, aber was die „Dona Felipa“ betraf, war das vorerst nur eine Vermutung. Auf dem ausgetretenen Pfad jenseits des Palmengürtels entstand Bewegung. „Wahrschau!“ ertönte ein rollender Baß, der dem früheren Schmied und Waffenmeister der Feste Arwenack gehörte. Die Warnung galt den Zwillingen, die sofort ihre Zielübungen einstellten, damit niemand eine Kokosnuß auf den Kopf bekam. Big Old Shane, Ferris Tucker, Batuti und Blacky brachen aus dem Dickicht, das Gestell mit dem letzten Wasserfaß zwischen sich schleppend. Mit geübtem. Schwung verstauten sie es in der Pinasse. Die beiden Jungen beeilten sich indessen, ihre Kokosnuß-Beute aufzusammeln. Minuten später legte das Beiboot ab. Hilo Palmeiro war sichtlich froh, die Insel hinter sich zu lassen. Sie hatte ihn zwar gerettet und hätte ihn wohl auch noch eine Weile mit allem Lebensnotwendigen versorgt, aber zum Eremiten war der hagere Portugiese nicht geboren. Auf die selbstverständliche Gastfreundschaft an Bord der „Isabella“ reagierte er mit verborgenem Mißtrauen: ein weiterer Anhaltspunkt für den Verdacht, daß es in seiner gewohnten Umgebung auf der „Dona Felipa“, üblich war, in erster Linie die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Der Portugiese erweckte den Eindruck eines Mannes, der hinter jeder Geste der Hilfsbereitschaft unweigerlich eine Falle witterte. Aber im Augenblick blieb ihm gar nichts anderes übrig, als seinen Gastgebern zu vertrauen und zu hoffen, daß man ihn möglichst schnell bei irgendwelchen Landsleuten absetzen würde.
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Nach all der einseitigen Kost aus Fisch und Früchten erschienen ihm Brot, Pökelfleisch und Suppe, die der Kutscher servierte, wie das leibhaftige Paradies. Frisches Wasser gab es auch wieder, den obligatorischen Zitronensaft hatte der Kutscher zur Feier des Tages mit Rum und Zuckerrohr gewürzt. Als die „Isabella“ wenig später ankerauf ging, hätte die Stimmung ausgezeichnet sein können, wenn nicht diese bleierne Schwüle in der Luft gewesen wäre. Der Seewolf stand an der Schmuckbalustrade des Achterkastells, spähte mit gefurchter Stirn nach Westen und schätzte, daß das Unwetter höchstens noch ein paar Stunden auf sich warten lassen würde. 3. Fast unmerklich überzog sich der Himmel mit fahlem Dunst. Im Westen schoben sich faserige Wolkengebilde über die Kimm, ballten sich dichter zusammen und nahmen ein schwefliges Gelb an, während sich die See zu einem trüben, schmutzigen Grün verfärbte. Der Wind, der gleichmäßig aus Süd geweht hatte, wurde zum schwachen Säuseln, frischte noch einmal auf und schlief dann endgültig ein. Die See lag düster unter dem schwefligen Himmel. In der drückenden Schwüle hätte selbst eine Landratte gespürt, was sich da zusammenbraute. Die „Isabella“ torkelte schwerfällig wie eine kranke Kuh in der bleiernen Dünung. Hasard blickte zu den schlackernden Segeln hinauf und schob das Kinn vor. Neben ihm kratzte Ben Brighton ausgiebig in seinem dunkelblonden Haar herum. „Sehen aus wie naß aufgehängte Bettlaken, eh?“ fragte er. „Du sagst es“, knurrte der Seewolf. „Besser, wir schlagen eine Sturmfock an, meinst du nicht?“ „Wäre ich nie drauf gekommen.“ Hasard warf das lange schwarze Haar zurück und stützte sich auf die Schmuckbalustrade. „Ed! Laß eine Sturmfock anschlagen, aber ein bißchen plötzlich, wenn's geht.
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Manntaue spannen, Luken verschanzen! Ferris, kontrollier mal nach, ob in den Laderäumen .alles ordentlich festgelascht ist!“ Ferris Tucker, der riesige rothaarige Schiffszimmermann, hätte ihm sagen können, daß in seinen Laderäumen immer alles ordentlich festgelascht war, aber er ließ es bleiben. Doppelt genäht hielt besser. Schließlich wußte man, was alles passieren konnte, wenn der Teufel seine Hand im Spiel hatte. Wenn es dick kam, konnte ein einziges losgerissenes Fäßchen einen ganzen Laderaum in ein Trümmerfeld verwandeln. Ferris Tucker hatte schon einen derartigen Fall erlebt und entsann sich dessen heute noch mit Grausen. Ed Carberry lüftete seine Decksmannen an und sparte nicht mit Drohungen, die sich auf die Zukunft ihrer edelsten Körperteile bezogen. Manntaue wurden gespannt, die Luken verschalkt — natürlich mit Ausnahme von derjenigen, durch die Ferris Tucker wieder an der Oberwelt erscheinen würde. Al Conroy, der schwarzhaarige Stückmeister, geisterte zwischen den Kanonen herum, überprüfte alles und jedes und kriegte fast einen Tobsuchtsanfall, weil eins der Brooktaue seiner Meinung nach nicht stramm genug durchgesetzt war. Der Hitzkopf Luke Morgen_ fauchte ihn wütend an, das sei eine dreimal verdammte Unterstellung, für die er ihm gleich die Zähne ins Kleinhirn schlagen werde. Al Conroy holte tief Luft zu einer gepfefferten Entgegnung, aber er wurde abgelenkt; da im selben Augenblick Will Thorne, Blacky und Stenmark an Deck erschienen. Der weißhaarige Segelmacher und der baumlange blonde Schwede schleppten alles, was sie brauchten, um die Sturmfock anzuschlagen. Blacky dagegen balancierte ein paar Kokosnüsse. Ziemlich ratlos peilte er zum Achterkastell hoch. „Die waren in der Segellast versteckt“, erklärte er. „Merkwürdige Sache.“ Das fand der Seewolf auch, zumal. sein Blick zufällig seine beiden Söhne streifte,
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die beim Manntaue spannen geholfen hatten und jetzt wie die hypnotisierten Kaninchen auf Blacky und die Kokosnüsse starrten. Das schlechte Gewissen stand ihnen in den Gesichtern geschrieben. Ihrem Vater schwante schon etwas, als er auf die Kuhl enterte. Die Kokosnüsse waren nach Art gewisser Südsee-Insulaner präpariert. Drei Löcher befanden sich dort, wo sie bei Kokosnüssen hingehörten. Aber man hatte sie nicht benutzt, um die Kokosmilch zu trinken oder die Nuß endgültig zu knacken, sondern lediglich zu dem Zweck, Luft ins Innere zu lassen. Anschließend waren die angebohrten Nüsse fachmännisch kalfatert und versteckt worden. In der tropischen Hitze begann die Milch nach dieser Behandlung sehr rasch zu gären, und wenn man sie ein paar Wochen in Ruhe ließ, wurde ein hochprozentiges Gebräu daraus, das es durchaus mit Rum oder Branntwein aufnehmen konnte. Der Seewolf holte tief Luft. Seine Söhne waren plötzlich ungeheuer eifrig und hielten die Blicke starr auf ihre Arbeit gerichtet. Jedenfalls für ein paar Sekunden. Dann sagte ihnen das unheilschwangere Schweigen, daß es keinen Zweck hatte. In der weisen Erkenntnis, daß es immer besser sei, dem Verdruß ins Auge zu sehen, hoben sie die Köpfe. „Seid ihr noch nicht hier?“ fragte ihr Vater scharf. Sie kamen heran. Etwas schlurfend. Man hatte es ja nicht eilig. „Eure Kokosnüsse?“ fragte der Seewolf. „Aye, aye, Sir“, antworteten Hasard und Philip im Chor. „Und warum habt ihr sie in der Segellast versteckt?“ Schweigen. „Als Weihnachtsüberraschung für die Crew?“ half der Seewolf nach. Die Zwillinge wechselten einen Blick. Eine prächtige Ausrede wäre das gewesen — nur hätte sie ihnen selbst einfallen müssen. Hasard seufzte. Philip schniefte und schnitt das Gesicht eines Märtyrers. „Nein, Sir“, sagte er stramm.
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„Und warum dann?“ „Weil sie niemand finden sollte, Sir.“ „Und weiter?“ „Wir wollten mal Kokosnuß-Schnaps probieren, Sir“, gestand Hasard mit Todesverachtung. „Du sagst doch immer, man soll seine Probleme nach Möglichkeit selber lösen, Sir. Wenn wir den Kutscher gefragt hätten, hätte der erst dich gefragt, es hätte eine fürchterlich lange Debatte gegeben, und wir hätten Leuten die Zeit gestohlen. Da haben wir eben unsere Probleme selbst gelöst — Sir.“ Dem Seewolf blieb fast die Spucke weg. Irgendjemand kicherte unterdrückt. Big Old Shane wandte das Gesicht ab, um sein Grinsen zu verbergen. Old O'Flynn holte tief Luft, um. seinen mißratenen Enkeln ein paar passende Worte um die Ohren zu hauen, aber er kam nicht mehr dazu. „Akzeptiert“, sagte der Seewolf trocken. Inzwischen hatte er die fachmännisch kalfaterten Löcher in einer der Kokosnüsse freigelegt. Er schnüffelte, schätzte das Stadium der Gärung und den Alkoholgehalt ab, probierte einen Schluck und spuckte aus. Der Geschmack war genau richtig — nämlich von erlesener Scheußlichkeit. „Dann los“, sagte er und drückte Philip junior die Kokosnuß in die Hand. „Sir?“ fragte sein Sprößling verdutzt. „Austrinken! Du kriegst auch eine, Hasard. Ihr wolltet doch Kokosnuß-Schnaps probieren, oder? Ganz ausgereift ist er zwar noch nicht, aber das kann man von euch ja auch nicht behaupten. Auf jeden Fall reicht es für einen bildschönen Kater.“ „A-aber ...“ „Kein aber! Shane, du schaffst die beiden Helden anschließend ins Vorschiff. Und lasch sie ordentlich fest, klar?“ „Klar, Sir.“ Der graubärtige Riese grinste. „Na los, ihr Heiden, auf was wartet ihr? Den nächsten Kokosnuß-Schnaps gibt's erst wieder in ein paar Jahren.“ Die „Helden“ gingen mit dem Ausdruck höchsten Mißtrauens ans Werk. Nach dem ersten Schluck wurde das Mißtrauen zu unverhülltem Abscheu. Die nächsten Schlucke wandelten die
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Gesichtsfarbe der Zwillinge leicht ins Grünliche. Eine ausgekochte Gemeinheit, sagten ihre Blicke. Hochprozentig war das Zeug bestimmt nicht. Nur widerlich. Mit wahrhaft heroischer Selbstüberwindung leerten die beiden ihre Kokosnüsse, und danach sahen sie haargenau so aus wie vor Zeiten Dan O'Flynn, als ihm der Seewolf eine Portion Rizinus-Öl einverleibt hatte, um den damals Sechzehnjährigen von seinen Raubzügen auf die Kombüse zu kurieren. Die Zwillinge würden nach dieser Medizin ebenfalls kuriert sein. Mit ziemlich weichen Knien folgten sie Big Old Shane ins Vorschiff. Beide trugen ausgesprochene Leichenbittermienen zur Schau, und der Bewegung, mit der Philip junior das Schott dicht rammte, fehlte auch der rechte Schwung. Hasard senior warf einen Blick in die Runde. Seine Leute, einschließlich des eben noch fürchterlich ergrimmten Großvaters O'Flynn, neigten offenbar allesamt schon wieder dazu, die reuigen Sünder zu bedauern. Aber das war schließlich nichts Neues. * Heulend fuhr die Bö über das Wasser, fegte durch Laubwerk und verfilztes Schlingpflanzen-Dickicht und erzeugte ein hohes, unheimliches Singen zwischen den dicken Luftwurzeln der Mangroven. Jetzt, da sich der Himmel bezogen hatte, wirkte der Schatten zwischen den Bäumen fast schwarz, erinnerten die knorrigen Holzgebilde an bucklige Gnomen und die windgepeitschten Lianen an züngelnde Schlangen, die sich hin und her wanden und ein Opfer suchten, um es in ihrer Umschlingung zu ersticken. Dumpf rauschten und brandeten die Wogen, die sich an der Küste brachen, mit gespenstischem Gurgeln und Zischen schwappte das schwarze Wasser tief in den Mangrovensumpf. Ein fast undurchdringliches Blätterdach nahm die Sicht auf den Himmel, doch dadurch
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wurde das Schauspiel des aufziehenden Unwetters nur noch beklemmender. Die halbnackten, braunhäutigen Männer, die ihre flachen Gleitboote durch den Sumpf stakten, bewegten sich in einem gleichmäßigen, fast tänzerischen Rhythmus und tauchten die langen Stangen im Takt ihres eigenen Gesangs ins Wasser. Ein dumpfer, beschwörender Gesang war es. Kehlige Laute, wild und dennoch eigentümlich monoton, als wollten sie das Branden des Meeres und das Brausen des Windes nachahmen. Ein uralter, magischer Gesang, der böse Dämonen bannen sollte, den Schutz des Totem-Tiers anrufen, der Körper und Geist in eine Art Trance hineinsteigerte, in der man die Furcht besiegen konnte. Boot um Boot glitt auf dem schwarzen Wasserarm dahin, der durch den Mangrovengürtel tiefer in die unwegsamen Sümpfe führte. Ein langer Zug. Mehr als nur ein einziger Klan, denn die Fischgründe des Golfs von Papua boten reiche Nahrung, und die Eingeborenen brachen nur zur Zeit der verheerenden Wirbelstürme die leichten Hütten ab, um im Landinneren ihr Nomadenleben als Sammler und Jäger wieder aufzunehmen. Jetzt aber waren die Dörfer nicht abgebrochen, sondern von Fremden, von weißen Teufeln, zerstört worden. Nicht der aufziehende Gewittersturm war es, der die Papuas so tief in die Sümpfe trieb, sondern die Furcht vor den feuerspuckenden Eisenrohren auf dem fremden Segler. Die Furcht — und noch etwas anderes. Etwas, das in ihren Bewegungen lag, in der wilden Unaufhaltsamkeit, mit der sie die Boote vorwärtstrieben. Etwas, das in den schweißnassen Gesichtern zu lesen war und in den tiefliegenden, düster glühenden Augen. Haß glomm in diesen Augen. Ein Haß, der heißer und heißer brannte, in dem Maße, in dem der Kultgesang lauter, brausender, machtvoller wurde. Blut war geflossen und forderte wieder Blut. Die Toten mußten gerächt werden.
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Für die Eingeborenen, die sich tief in den Sümpfen sammelten, spiegelte das Rollen des Donners den Zorn, der in ihnen tobte. Sie konnten nicht wissen, daß ihre Todfeinde längst auf Nimmer wiedersehen nach Süden segelten. Für sie waren alle „weißen Teufel“ gleich. Und wehe denen, die die Rache der Papuas treffen würde. * Blitzstrahlen rissen den Himmel auf wie klaffende weiße Narben. Der Donner krachte, rollte, ließ dröhnend die Luft erzittern und mischte sich in das anschwellende Heulen der ersten Böen. Der Wind war mit jäher, bösartiger Schärfe auf Ost umgesprungen, orgelte durch das Rigg, peitschte das Wasser und baute in Minutenschnelle eine steile Dünung auf, die sich hinter dem Heck der „Isabella“ zu einem drohenden Gebirge türmte. Unter dem Sturmfock lief die Galeone eine Höllenfahrt, kletterte schräg an den Wellenbergen hoch, bis der Bugspriet die schwarzen, wie unheilvolle Geistergestalten über den Himmel jagenden Wolkenfetzen aufzuspießen schien, und wurde in sausende, schwindelerregende Talfahrten gerissen. Die Luvwanten schrillten und sangen, als hätten sie sich in eine gespenstische Riesenharfe verwandelt, auf der der Teufel zum Totentanz aufspielte. Ein höllisches Lied war es, ein wilder Gesang, zu dem der Donner den Takt schlug und Sturm und Wellenbrausen die Begleitmusik lieferten. Ein Lied, das alle Seefahrer der sieben Meere nur zu gut kannten, das vom letzten, wilden Ritt in die Tiefe erzählte. Aber die Männer der „Isabella“ hatten dem Teufel schon mehr als einmal ein Ohr abgesegelt, und sie wußten, daß die Hölle sie auch diesmal wieder ausspucken würde, weil sie zu unverdaulich waren. Ringsum herrschte eine Schwärze, wie man sie sich in den Abgründen der Unterwelt vorstellen mochte. Nur die Blitze, die in immer schnellerer Folge aufzuckten, zerrissen die Finsternis
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und tauchten die tobende See in ihr fahlblaues Geisterlicht. Der Sturm fiel jetzt in tückischen Böen ein, schüttelte die Galeone, jagte Brecher über die Decks und ließ das Schiff selbst unter der kleinen Sturmfock gleich einem durchgehenden Gaul losrasen. Naß wie halb ersäufte Katzen klammerten sich die Männer an die Strecktaue, sofern sie sich nicht irgendwo festgelascht hatten. Ein neuer, krachender Donnerschlag sprengte ihnen fast die Trommelfelle, und dann öffnete der Himmel seine Schleusen. Wie aus Kannen geschüttet klatschte der Regen herunter, fegte waagerecht über die Decks, peitschte in Gesichter und prasselte gegen die Aufbauten, als sei eine Legion Zwerge damit beschäftigt, Schellentrommeln zu schlagen. Auf der Kuhl erklang die Stimme Ed Carberrys, der etwas von „Scheißwetter“ brüllte und von Leuten, die sich getrost mal in den Regen stellen könnten, weil sie sowieso lange nicht mehr gebadet hätten. Wen er meinte, war klar: den Portugiesen, der sich unter Deck verkrümelt hatte. Sollte er, dachte der Seewolf. Vermutlich fand Hilo Palmeiro die „Isabella` mit ihren überlangen Masten und der neuartigen Ruderanlage ein bißchen unheimlich. Und hier oben, das war mal sicher, würde der Bursche ohnehin nur den anderen vor den Füßen herumstolpern. Vom Zupacken hielt der gute Hilo Palmeiro nämlich nicht viel, das hatte sich bereits herausgestellt. Bei der Crew, zu der er gehörte, mußte es sich um einen ziemlich trägen, verlotterten Haufen handeln. Alles in allem, fand Philip Hasard Killigrew, hatten sie schon Schlimmeres überstanden als dieses Stürmchen. Was ihm ernsthaft Sorge bereitete, waren vor allem die miserablen Sichtverhältnisse. Den reichlich ungenauen Karten nach mußten sie sich in der Nähe des sagenhaften neuen Kontinents Australien befinden. Aber ob der noch jenseits der Kimm lag, wie seine Küste beschaffen war, wie dicht sie vielleicht schon unter Land segelten - das waren Fragen, auf die
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sich im Moment beim besten Willen keine Antwort finden ließ. Eine knappe Stunde später versiegten die Regenströme genauso plötzlich, wie sie hereingebrochen waren. Die Blitze, die den Himmel aufrissen, wurden seltener, das Krachen des Donners verlor seine elementare Wut, bis es schließlich zu einem dumpfen Grollen wurde, das der heulende Wind verschluckte. Nach einer weiteren Stunde flaute auch der Sturm ab. Zwar wehte es immer noch recht ordentlich, das Rigg gebärdete sich nach wie vor als Höllenharfe, die Galeone pflügte wie ein schnaubendes Schlachtroß durch' die Wellen, aber dem Teufel würde sie jetzt bestimmt nicht mehr ins Maul fahren. „Lächerliches Windchen!“ röhrte Ed Carberry auf der Kuhl und spuckte luvwärts. „Himmelarsch!“ fluchte Bill, der es ihm nachgemacht hatte, aber leider noch nicht über die nötige Übung verfügte. „Land ho!“ tönte es gleichzeitig von der Back. „Land Steuerbord voraus!“ Jetzt sah auch der Seewolf den schwarzen, unregelmäßigen Küstenstreifen, der sich vor ihnen hinzog - verdammt dicht vor ihnen. Ringsum schäumte und gischtete die See. Die Sicht war immer noch miserabel. Hasard hegte einen gesunden, wohlbegründeten Respekt vor fremden Küsten und unbekannten Gewässern. Er holte gerade tief Luft, um anluven zu lassen und vom Land wegzudrehen - da passierte es. Zuerst war es nur ein leises Knirschen. Ein sanfter Stups traf den Rumpf der Galeone. Wieder knirschte es, und von einer Sekunde zur anderen begriffen die Männer, was die Stunde geschlagen hatte. „Anluven!“ brüllte Hasard. Er hatte noch nicht ausgesprochen, als die Fockrah schon herumschwang und dichter geholt wurde. Im Ruderhaus legte sich Fete Ballie mit aller Kraft in die Speichen des Ruders - und wußte doch, daß es bereits zu spät war.
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Der Bug der „Isabella“ schwang nach Backbord herum, aber Wind und Wellen drückten sie gnadenlos auf die Untiefe. Mit angehaltenem Atem lauschte Hasard auf das Mahlen und Reiben. Eine Serie kurzer, harter Rucke erschütterten den Schiffsleib. Etwas krachte dumpf, die Galeone legte sich schwer nach Steuerbord über. Eine anrollende Woge hob sie etwas an, versetzte sie noch weiter nach Steuerbord - und als sie sich nach einem Alptraum von Zeit wieder aufrichtete, wühlte sich der Kiel tief in den Grund der Sandbank. Die nächste Welle verursachte nur noch ein leichtes Rütteln. Danach lief die Dünung nach Steuerbord ab, ohne den Schiffskörper auch nur um einen Inch zu bewegen. Niemand sprach. Die Männer standen nur da und starrten. Ohne das stete Brausen von Wind und See wäre die Stille gespenstisch gewesen. „Aufgebrummt“, verkündete Old Donegal Daniel O'Flynn schließlich. Der Seewolf fand, daß das angesichts der Lage nicht gerade eine tiefschürfende Erkenntnis war. 4. Eine halbe Stunde später verriet nur noch die steile Dünung, daß ein Gewittersturm getobt hatte. Eine Dünung, die der „Isabella“ absolut nichts anhaben konnte. Die lag nämlich so sicher wie in Abrahams Schoß - und inzwischen lag sie buchstäblich auf dem Trockenen. Der Profos hatte bereits gesagt, was er davon hielt. Deutlich. So deutlich, daß der Teufel errötet wäre und die mehr oder weniger unschuldigen Ohren der Zwillinge bestimmt geklingelt hätten. Aber die beiden konnten es nicht hören, weil sie vollauf mit einer größeren Säuberungsaktion im Vorschiff beschäftigt wegen, wo sie infolge des fatalen Kokosnuß-Tranks Neptun am falschen Platze geopfert hatten.
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Der Seewolf, Ferris Tucker, Ben Brighton und- Dan O'Flynn waren außenbords geentert, stiefelten durch den Schlick und besahen sich die Bescherung. Eine üble Bescherung, daran gab es nichts zu drehen und zu deuteln. Die Ebbe hatte eingesetzt, vor der nächsten Flut konnten sie nichts unter- nehmen. Da sie im abflauenden Sturm in diesen Schlamassel geraten waren, stand durchaus nicht fest, ob der Tidenhub ausreichen würde, um sie zu befreien. Hasards Gesicht wirkte verkniffen, als er wieder an der Jakobsleiter aufenterte. Ferris Tucker, Ben Brighton und Dan O'Flynn sahen auch nicht freundlicher aus. Old Donegal, auf seine Krücken gelehnt, blickte düster zu dem sattgrünen Dickicht der Mangroven-Küste hinüber. „Die Windsbräute sind schuld“, orakelte er. „Hab sie genau durch die Luft reiten sehen, schwarz wie Wolkenfetzen.“ „Das waren Wolkenfetzen, du Stint“, knurrte Carberry. „Windsbräute!“ beharrte Old O'Flynn. „Ich sage euch, ich kenne dieses Gelichter. Auf der ,Empreß of See.' ...“ Scheiß auf die ,Empreß of Sea' „, fauchte der Profos. Was sich ohnehin nicht in die Tat umsetzen ließ, da jenes legendäre Schiff längst als Wrack vermoderte. „Windsbräute, ha! Gleich wirst du noch behaupten, daß wir nicht auf 'ner Sandbank, sondern auf dem Buckel von 'nem Seeungeheuer festsitzen.“ „Dann wären wir jedenfalls besser dran“, sagte der Seewolf trocken. „Ein Seeungeheuer würde irgendwann mal weiter schwimmen. Diese verdammte Sandbank wird sich bestimmt nicht vom Fleck rühren.“ Old O'Flynn schwieg beleidigt. Inzwischen waren auch die Zwillinge wieder an Deck erschienen. Sie sahen immer noch recht käsig aus. Düster peilten sie über das Schanzkleid, begutachteten, was es zu sehen gab, aber im Augenblick waren sie wohl noch zu sehr mit 'ihrem Kater beschäftigt, um sich über irgend etwas anderes aufzuregen.
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Hilo Palmeiros ließ sich erst eine Viertelstunde später wieder blicken. Er tauchte aus dem Schott zum Vorschiff auf, einen nachdenklichen Ausdruck auf dem Gesicht. Und Hasard, der ihn beobachtete, fragte sich, wo zum Teufel der Bursche überhaupt gesteckt hatte. * Dunkle Augen spähten aus dem Schatten des Mangroven-Dickichts. Immer noch schwappten und gurgelten die Ausläufer der Dünung zwischen den mächtigen Luftwurzeln. Ein paar Schlingpflanzen schaukelten, von einem nackten braunen Arm beiseitegeschoben. Mit den lautlosen Bewegungen einer Schlange glitt der Papua über die dicke Wurzel, richtete sich vorsichtig auf und zog sich ins Geäst des riesigen Baums, der aussah, als stehe er auf Stelzen. Aufrecht balancierte der Eingeborene auf einem dicken Ast, der weit über das dunkle Wasser ragte. Seine nackten Fußsohlen schienen sich an dem glatten Holz festzusaugen. Ein langer Holzspeer lag in der Faust des Mannes, sein Gesicht war dick mit Lehm eingeschmiert und glich einer grausigen Maske. Er war als Späher ausgeschickt worden - überall an der Küste beobachteten Späher die See, seit der Sturm abgeflaut war. Der Mann arbeitete sich langsam vorwärts, duckte sich unter dünnen Zweigen und benutzte die baumelnden Lianen als Halt für seine Linke. An der Stelle, wo sich der Ast verjüngte, ließ er sich auf .Hände und Knie nieder und kroch vorsichtig weiter. Licht blitzte durch die dichte LaubBarriere. Der Späher hielt inne und schob behutsam ein paar Zweige zur Seite. Jetzt konnte er das Meer überblicken - und seine schwarzen Augen zogen sich zu schmalen, glitzernden Schlitzen zusammen. Ein Schiff! Ein Schiff der weißen Teufel, das auf der Untiefe vor der Bucht festsaß. Der Kiel
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hatte sich tief in den Schlick gebohrt. Die Männer an Bord redeten und gestikulierten. Der Papua-Späher konnte die Worte nicht verstehen, aber er wußte die Zeichen der Ratlosigkeit zu deuten. Er kannte die Schiffe der weißen Teufel. Sie waren schnell, so schnell, daß kein Ausleger-Boot sie einholen konnte. Und sie waren stark, spuckten Tod und Verderben, konnten sich blitzschnell bewegen, um aus immer neuen Richtungen Feuer regnen zu lassen. Aber das Schiff auf der Sandbank wilde das alles nicht mehr können. Es war gelähmt, ein Ungeheuer, das in unsichtbaren Fesseln lag. Vorsichtig zog sich der Papua-Späher zurück, balancierte über den Ast und turnte durch das Gewirr der Luftwurzeln bis zu der Stelle, wo sein Boot lag. Er bewegte sich schnell, in fliegender Eile, und seine schwarzen, tiefliegenden Augen funkelten triumphierend. * An Bord der „Isabella“ wurde fieberhaft überlegt, wurden alle Möglichkeiten durchgesprochen, die Galeone freizubekommen, und die entsprechenden Vorbereitungen getroffen. Im Westen senkte sich die Sonne als glutroter Ball der Kimm zu. Hilo Palmeiro stand im Schatten des Achterkastells, ans Schanzkleid gelehnt, so unauffällig wie möglich. Seine Gedanken arbeiteten, und es waren alles andere als menschenfreundliche Gedanken. Er hielt es für durchaus wahrscheinlich, daß die „Isabella“ - vorausgesetzt, sie kam von der Untiefe frei - über kurz oder lang der „Dona Felipa“ begegnen würde. Er, Palmeiro, konnte dann endlich wieder die Füße auf die gewohnten Decksplanken setzen, doch das war nicht alles, was geschehen würde. Die Mannschaft der „Dona Felipa“ hatte schon viel zu lange keine fette Beute mehr gemacht. Eine Gelegenheit, wie sie diese englische Galeone bot, ließ sich Capitan da Carrilho bestimmt nicht entgehen. Und man konnte die Sache mit List und Tücke in Angriff
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nehmen, konnte den Überraschungseffekt nutzen - denn die Engländer ahnten nicht, mit wem sie es zu tun hatten. Das glaubte jedenfalls Hilo Palmeiro. Im Geiste verpraßte er bereits die Beute. Was für Beute? Nun, das würde sich zeigen. Der Seewolf - El Lobo del Mar, wie ihn die Spanier nannten - hatte einen legendären Ruf. Wenn man den Gerüchten glauben wollte, mußte er sich im Laufe der Zeit von den Schätzen, die Spanien aus der neuen Welt ins Mutterland transportierte, mindestens die Hälfte unter den Nagel gerissen haben. Es stand zu vermuten, daß die „Isabella“ bis unter die Decksplanken mit Reichtümern vollgestopft war. Hilo Palmeiro war entschlossen gewesen, sich überraschen zu lassen, aber inzwischen plagte ihn die Neugier immer heftiger. Ob er versuchen sollte, einen Blick auf die sagenhaften Schätze zu erwischen? Das konnte nichts schaden, zumal ja immer noch die Möglichkeit bestand, daß es sich bei all den Gerüchten nur um Märchen handelte. Die „Isabella“ war kein leicht verdaulicher Brocken, auch nicht für einen da Carrilho. Wenn sie etwas riskierten, mußten sie sicher sein, daß es lohnte. Und für ihn, Palmeiro, bestand zur Zeit bestimmt keine große Gefahr, da die Engländer vollauf mit dem Problem beschäftigt waren, wie sie wieder von der Sandbank freikommen sollten. Der Portugiese beschloß, zunächst einmal die Dunkelheit abzuwarten. Da er einen Vorwand brauchte, um sich zurückzuziehen, spielte er einen Anfall von akuten Bauchschmerzen. Schwer fiel ihm das nicht, er brauchte sich nur vorzustellen, was passieren würde, wenn man ihn erwischte. Ein paar schiefe Blicke trafen ihn: die Seewölfe hatten samt und sonders die Gewohnheit, sich mit Verletzungen und sonstigen Beschwerden nur dann in die Koje zu hauen, wenn sie sozusagen von selbst hineinfielen, weil die Beine nicht mehr mitspielten. Hilo Palmeiro war noch sichtlich sicher auf den Beinen. Aber der Kutscher nahm für ihn Partei und hielt einen längeren Vortrag über die Reaktion des menschlichen Körpers auf die Art von
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Insel-Dasein, wie es der Portugiese hinter sich hatte. Eine reichlich bemessene Portion Bittersalz, mit einer Muck Tee von wahrhaft scheußlichem Geschmack heruntergespült, war das Opfer, das Palmeiro im Dienste seiner Sache brachte. Danach hatte er wirklich Bauchschmerzen, aber das mochte auch an der Tatsache liegen, daß ihn das ganze Unternehmen enorme Selbstüberwindung kostete, weil er von Natur aus kein Held war. Lediglich die Gier ließ ihn über sich hinauswachsen. Und die Aussicht, daß man sich ja sozusagen unter der Hand schon mal ein paar Kleinigkeiten in die eigene Tasche stopfen konnte. Im leeren Mannschaftslogis wartete er, bis sich die Nacht herabgesenkt hatte, dann schnappte er sich eine Lampe und begab sich auf den Weg in die Laderäume. Den Zugang kannte er inzwischen. Nur eins wußte er nicht: daß es ein bestimmtes Mitglied der „Isabella“-Crew gab, das die Laderäume zu seinem bevorzugten Aufenthaltsort erkoren hatte. Der Schimpanse Arwenack trieb sich ausgesprochen gern hier herum, wo herrliche Gerüche die Luft sättigten und ab und zu mal eine Extra-Leckerei für einen armen Affen abfiel, wenn der Kutscher erschien, um Vorräte zu holen. Vor allem einen knüppelharten Sturm ritt Arwenack lieber unter Deck ab, und das war diesmal nicht anders gewesen. Hilo Palmeiro war die Existenz des Schimpansen noch gar nicht aufgefallen. Am Strand der Insel hatte ihn die Furcht in den Klauen gehabt, so daß er seine Umgebung kaum wahrnahm. Später war Arwenack abgetaucht, da er das drohende Unwetter noch früher spürte als die Menschen, und der Portugiese hatte vorwiegend auf den schrecklichen Papagei geachtet, dessen Gekrächze über Hautabziehen und ähnliches den Verdacht weckte, daß es sich bei der „Isabella“ um ein Höllenschiff handelte, auf dem wahrhaft schauerliche Bräuche herrschten. Alles in allem jedenfalls war ein zottiger, zähnefletschender Schimpanse das letzte,
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was Hilo Palmeiro im Laderaum der Galeone erwartete. Er drehte die Lampe etwas höher, nachdem er vorsichtig das Schott hinter sich geschlossen hatte. Unruhig huschte der Widerschein über Fässer und Kisten, über Mehlsäcke und Ölkruken, über die Vorräte an Kokosnüssen, Brotfrüchten und Bataten. Rum. Wein und Zitronensaft. Reichhaltige Vorräte, stellte Hilo Palmeiro fest. Nur keine Schätze, wie er sie sich erträumt hatte. Aber die mochten gut versteckt sein. Palmeiro ging weiter, die Lampe in der Hand, und lauschte angespannt ins Halbdunkel. Ein paar festgezurrte Kisten interessierten ihn besonders. Gerade streckte er die Hand aus, um den ersten Deckel anzuheben, da hörte er ein Geräusch schräg hinter sich. Auf dem Absatz fuhr er herum - und stieß in der nächsten Sekunde einen gellenden Schrei aus. Wie ein Kastenteufel schnellte zwischen ein paar Säcken eine Gestalt hoch. Eine braune, zottige Gestalt, ein zähnefletschendes Monster. Der Satan, durchfuhr es Palmeiro. Angst packte ihn, eine Woge von jäher, blinder Panik. Immer noch schreiend warf er sich herum, wollte fliehen und stolperte dabei über seine eigenen Beine. Er verlor das Gleichgewicht und fiel. Hart prallte sein Kopf gegen die Kante der Kiste, die er eben hatte öffnen wollen. Von einer Sekunde zur anderen wurde es schwarz um ihn, und die Lampe entglitt seinen kraftlosen Fingern. Scherben klirrten. Öl floß auf den Boden und entzündete sich, flackernd loderten Flammen auf und erhellten den Laderaum mit ihrem zuckenden Widerschein, doch das konnte Hilo Palmeiro schon nicht mehr sehen. 5. „Die Tide kentert“, sagte Ben Brighton halblaut.
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Der Seewolf nickte nur. Er stand an der Schmuckbalustrade des Achterkastells, gespannt bis in die Fingerspitzen, genau wie alle anderen. Niemand dachte in dieser Nacht an Schlaf. Selbst die Zwillinge hatten allmählich begriffen, daß die „Isabella“ in einer üblen Klemme steckte. Sie kauerten auf einer Webleine des Steuerbord-Hauptwants, angesteckt von der gedrückten Stimmung, kämpften tapfer gegen die Nachwirkungen der Kokosnuß-Kur und lauerten auf eine Gelegenheit, tätige Reue zu zeigen und die Scharte wieder auszuwetzen. Eine frische Brise pfiff durch das Rigg und ließ Rahen und Blöcke ächzen. Der tropische Sternenhimmel funkelte in kalter Pracht, fahle Helligkeit lag über dem Wasser. Der Seewolf warf einen Blick zum Kreuz des Südens hinauf und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen den fast vollen Mond, der zusammen mit dem jetzt wieder auflandigen Wind immerhin einen ungewöhnlich hohen Flutstand erwarten ließ. Möglich, daß die „Isabella“ ganz von selbst aufschwimmen würde. Wenn nicht, mußten sie die Boote benutzen und versuchen, die Galeone zu krängen: eine höllische Schinderei. Und ein Unternehmen, das rechtzeitig vorbereitet werden mußte, da es vor allem darauf ankam, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen., Hasards Gedanken stockten. Überlaut schnitt plötzlich das schrille Gekecker des Schimpansen Arwenack durch die Stille. Der Himmel mochte wissen, wo sich der Affe herumgetrieben hatte. Jetzt jedenfalls fegte er über die Kuhl und vollführte wilde Sprünge, trommelte sich auf die Brust, raste von Ed Carberry zu Dan O'Flynn und wieder zurück zu Carberry und gebärdete sich, als habe er einen Anfall von akutem Veitstanz. „Affenarsch! Rübenschwein!“ krähte Sir John aus den Wanten. „Halt den Schnabel, du Mistvieh!“ Hasard grinste matt. Bill versuchte, den Schimpansen zu beruhigen — vergeblich. Achselzuckend
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gab der Moses auf. Noch einmal raste Arwenack kreuz und quer über die Kuhl, veranstaltete einen wahren Höllenlärm, dann war er wie der Blitz wieder im Niedergang zum Laderaum verschwunden. „Blöder Affe“, knurrte der Profos erbittert. „Für nichts und wieder nichts stellt der sich aber bestimmt nicht so an“, gab Dan O'Flynn zu bedenken. „Vielleicht ist er von einem Dämon besessen“, unkte sein alter Vater. „So was gibt's! 'Auf der ,Empreß of Sea` .. . „Du bist selbst von 'nem Dämon besessen“, behauptete Dan respektlos. Und in Hasards Richtung: „Soll ich mal nachsehen, ob alles in Ordnung ist, Sir?“ „Tu das!' Auch der Seewolf wußte, daß Arwenack ein solches Spektakel im Allgemeinen nicht zum Spaß veranstaltete, sondern nur, wenn ihn — berechtigt oder nicht — irgendetwas beunruhigte. Dan marschierte quer über die Kuhl zum Schott, die Zwillinge, neugierig wie immer, schlossen sich ihm an. Old O'Flynn verzog sein wettergegerbtes Gesicht und schüttelte den Kopf. „Diese Jugend von heute“, brummelte er. „Sehen in jeder Ecke Gespenster! Bloß weil der verdammte Affe den Tropenkoller kriegt ...“ Er verstummte. Denn im selben Augenblick erschienen sein Sohn und seine beiden Enkel schon wieder an Deck. Dan O'Flynn war bleich wie ein Laken, und seine Stimme überschlug sich. „Feuer im Schiff!“ schrie er. „Im Laderaum brennt es! Feuer ...“ * Wie Schatten glitten die braunen Gestalten durch das Dickicht. Lautlose, geschmeidige Gestalten, die mit der Dunkelheit zu verschmelzen schienen. Die meisten waren zu Fuß, turnten mit traumwandlerischer Sicherheit über die Luftwurzeln der Mangroven oder folgten den kaum sichtbaren Pfaden, die den Sumpf durchzogen. Einige benutzten die
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flachen Gleitboote, die im offenen Meer sofort hoffnungslos gekentert wären. Aber sie benutzten sie nur, um den Treffpunkt zu erreichen, eine tief eingeschnittene Bucht, die auf der Ostseite von einer langgestreckten, sandigen Landzunge begrenzt wurde. Dort, vom Palmen- und Lianendickicht geschützt, hatten sie in aller Eile ein paar Dutzend einfacher Zweig-Hütten errichtet, und dort, im Schatten der Landzunge, lag eine ganze Flotte von den schnellen, wendigen Auslegerbooten auf dem Strand. Schnell und lautlos wurden die Fahrzeuge ins Wasser geschoben und die Segel aufgerichtet. Fast hundert Krieger gingen in die Boote, mit Langspeeren und Keulen bewaffnet. Im fahlen Mondlicht erinnerten die dick mit Lehm eingeschmierten Gesichter mehr denn je an grausige Masken. Die ersten Katamarane nahmen Fahrt auf und glitten über das Wasser. Der Pulk der restlichen Fahrzeuge folgte ihnen. Lautlos und unaufhaltsam näherte sich das Verhängnis der Galeone, die immer noch hilflos und manövrierunfähig auf der Sandbank festlag. * Die Männer der „Isabella“ hatten anderes zu tun, als die Küste zu beobachten. Feuer im Schiff — das war so ziemlich das Schlimmste, was passieren konnte. Dan O'Flynns Stimme hatte die Crew aufgescheucht, als sei ein Donnerkeil zwischen sie gefahren. Der Seewolf flankte der Einfachheit halber über die Schmuckbalustrade auf die Kuhl. Ben Brighton und Big Old Shane folgten ihm auf die gleiche Weise, und unter dem Gewicht des graubärtigen Riesen erzitterten die Planken. Mit langen Schritten hetzten die Männer über die Kuhl, während Ed Carberrys Donnerstimme bereits nach Tampen und Pützen brüllte und ein paar völlig neue Flüche erfand. Hasard war der erste, der den Lagerraum erreichte. Qualm wälzte sich ihm entgegen,
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Flammen loderten, leckten über die Planken, schlugen an Kisten und Säcken hoch, tauchten alles in rote, wabernde Glut, als sei die Hölle selber ausgebrochen. Der Seewolf begriff sofort, daß eine Öllampe ausgelaufen sein mußte: er konnte es riechen, und er sah die Scherben auf den glimmenden Planken. Und noch etwas sah er: die reglose Gestalt, die zwischen zwei Kisten zusammengebrochen war. Hilo Palmeiro! Hasard verschwendete keinen Gedanken auf die Frage, was der Portugiese hier unten gesucht hatte — noch nicht! Er biß die Zähne zusammen, hielt den Atem an und stürzte sich entschlossen in die Hölle aus Hitze und Rauch. Seine Augen tränten, Flammen schlugen nach ihm, binnen Sekunden hatte er das Gefühl zu ersticken. Mit vier, fünf Schritten erreichte er den Bewußtlosen, zerrte ihn hoch und wirbelte wieder herum. „Wahrnehmen!“ schrie er und schleuderte die schlaffe Gestalt auf Big Old Shane zu. Der ehemalige Schmied von Arwenack klemmte sich den Burschen unter den Arm und kämpfte sich wieder zum Schott zurück. Hasard hatte sich das Hemd heruntergerissen und begann, auf die tanzenden Flammen in der Nähe der Ölkrüge einzuschlagen. Wenn die in der Hitze platzten und ausliefen, würde sich der gesamte Laderaum binnen Sekunden in ein Flammenmeer verwandeln. Noch bestand die Chance, den Brand unter Kontrolle zu bringen, bevor er die Pulverkammer erreichte - Hasard schätzte das ganz nüchtern ab. Die Pulvervorräte konnten sich natürlich auch unter der bloßen Einwirkung der Hitze entzünden: es war ohnehin schwierig genug, das Zeug in einem Zustand zu halten, in dem es nicht von selbst hochging, aber dennoch trocken genug war, um im Ernstfall nicht zu versagen. Doch die „Isabella“ hatte zum Glück einen erstklassigen Stückmeister. Al Conroy würde auf seine Pulvervorräte aufpassen, das stand mal fest.
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„Verdammte Scheiße!“ fluchte Ben Brighton, der verzweifelt mit seiner Jacke auf die Flammen einschlug. „Das kannst du zweimal sagen!“ knurrte der Seewolf. „Himmelarsch, wo bleiben ...“ Ein Schwall Wasser, der sich zischend und gurgelnd in die Flammen ergoß, gab ihm die Antwort, ehe er die Frage ganz ausgesprochen hatte. Dan O'Flynn schwang die Pütz, die an einem langen Tampen befestigt war, mit dem sie außenbords gefiert werden konnte. An der Backbordseite war das Wasser ziemlich nah, fiel Hasard ein. Aber wahrscheinlich hatte trotzdem ein Mann abentern müssen, damit tatsächlich Wasser und kein Sand hochgehievt wurde. Dan O'Flynn kippte die nächste Pütz aus, während die leere schon wieder an der eilig gebildeten Kette zurückwanderte. Fünf, sechs Männer drängten sich durch das Schott, mit triefend nassen Kleidungsstücken bewaffnet, und begannen ebenfalls auf die Flammen einzuschlagen. Hasard warf einen Blick auf sein glimmendes, verkohltes Hemd, fluchte beherrscht und schwang herum, um sich eine wirksamere Waffe gegen die Flammen zu verschaffen. Er brauchte nicht erst danach zu rennen. Wie Katzen schlängelten sich die Zwillinge an der Kette der Männer im Niedergang vorbei, triefende Segeltuchstücke in den kleinen Fäusten. Hasard nahm die Stofffetzen wahr und nickte anerkennend. Eins der Tücher warf er Ben Brighton zu, und die beiden Jungen machten auf dem Absatz kehrt, um Nachschub zu holen. Der nächste Wasserguß erstickte den gefährlichsten Brandherd. Dampf zischte, vernebelte den gesamten Laderaum und wurde so dicht, daß man kaum noch die Hand vor Augen sehen konnte: Die Männer keuchten und schwitzten, schufteten wie die Irren, kämpften wild und verbissen, als gelte es, die Hölle unter Wasser zu setzen und den Teufel zu ersäufen. Sie gönnten sich keine Sekunde Ruhe - und sie wurden dadurch
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belohnt, daß ein Brandnest nach dem anderen erlosch und schließlich nirgends mehr der bedrohliche Widerschein von glimmenden Planken oder kokelnden Säcken und Kisten zu sehen war. Ben Brighton atmete tief durch, wischte sich den Schweiß von der Stirn und achtete nicht darauf, daß er dabei gleichmäßig Ruß über sein Gesicht verteilte. Immer noch flogen Segeltucheimer von Hand zu Hand, doch jetzt brauchten sie nur noch bereitgestellt zu werden für den Fall, daß das eine oder andere Brandnest doch noch einmal aufflackern sollte. Der Qualm verzog sich allmählich, als ein paar Luken geöffnet wurden. Aufmerksam blickte sich Hasard um und kontrollierte, ob der Luftzug nirgends neue Flammen anfachte, doch es sah tatsächlich so aus, als sei alles vorbei. Ferris Tucker brüllte mit Stentorstimme nach einer Lampe, damit er sich ansehen könne, ob der „verdammte Mistkahn“ noch an einem Stück sei. Er war an einem Stück: so leicht konnte auch das munterste Feuerchen dem soliden Hartholz der „Isabella“ nichts anhaben. Hasard grinste und schlug seinem schwarzhaarigen Stückmeister auf die Schulter, der von irgendwoher aufgetaucht war. „Besteht noch Gefahr, daß uns die alte Tante um die Ohren fliegt?“ wollte der Seewolf wissen. Al Conroy zog ein ziemlich grimmiges Gesicht. „Jetzt nicht mehr“, knurrte er. „Und vorher auch nicht: wenn es kritisch geworden wäre, hätte ich den Plunder schon ordentlich begossen. Wofür bin ich schließlich da, eh?“ Er hatte tatsächlich die ganze Zeit über in der Pulverkammer gewacht: auf einem brennenden Schiff so ziemlich der ungemütlichste Platz, den man sich aussuchen konnte. Und er hatte durchaus nichts überstürzt; sondern kaltblütig abgewartet. Das Pulver war trocken und die „Isabella“ damit gefechtsklar geblieben. Jetzt warf der Stückmeister einen kurzen Blick auf die rußgeschwärzten, atemlosen Gestalten
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ringsum und spuckte kräftig in die Hände, um sich an den Aufräumungsarbeiten zu beteiligen. Inzwischen sorgten ein paar Lampen für Helligkeit, und die Männer krempelten die Ärmel hoch; sofern sie Jacken und Hemden nicht schon dazu benutzt hatten, auf die Flammen einzuschlagen. Der Laderaum sah ziemlich wüst aus, doch die Schäden waren insgesamt eher oberflächlicher Natur. Glück gehabt, dachte der Seewolf. Wenn Arwenack sie nicht durch sein aufgeregtes Gebaren gewarnt hätte, wären sie möglicherweise alle in Teufels Küche geraten - was ihn wieder auf die Frage nach der Ursache des Schadens brachte. Wer auf einem Schiff leichtsinnig mit Feuer umging, brachte sich selbst und seine Kameraden in Lebensgefahr und hatte mit einer verdammt harten, unnachsichtigen Bestrafung zu rechnen. In diesem Fall war zweifellos Hilo Palmeiro der Übeltäter. Wobei Hasard ahnte, daß auch Arwenack nicht ganz unbeteiligt gewesen war. Er mußte den Portugiesen dermaßen erschreckt haben, daß der gestolpert und unglücklich gestürzt war. Aber was, zum Teufel, hatte der Bursche heimlich im Laderaum herumzuschnüffeln? Der Seewolf schwang herum und strebte dem Niedergang zu, um sich über diese Frage Klarheit zu verschaffen. Fast die gesamte Crew war im Laderaum versammelt. Bill hätte eigentlich im Großmars sitzen sollen, aber der Alarmruf „Feuer im Schiff“ hatte natürlich auch ihn von seinem Ausguckposten heruntergelockt. In einem solchen Fall herrschten besondere Gesetze. Jede Hand war gebraucht worden, und auch jetzt wurden noch Pützen außenbords gefiert, wieder hochgehievt und von Hand zu Hand weitergegeben, da man möglichst auf Nummer sicher gehen wollte. Das alles spielte sich allerdings an der Backbordseite ab, wo die Sandbank steiler abfiel, während an Steuerbord keine Möglichkeit bestand, die Segeltucheimer bis ins Wasser zu bringen.
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Niemand achtete auf die Küste. Später sagte sich der Seewolf, daß das verdammter Leichtsinn gewesen sei. Aber er wußte auch, daß man hinterher bekanntlich immer klüger ist und daß er seinen Leuten keinen Vorwurf machen konnte.. Als Hasard auf der Kuhl erschien, leerte Big Old Shane gerade eine volle Pütz über dem bewußtlosen Portugiesen aus. Der Bursche stöhnte, ächzte und gurgelte. Der Seewolf beugte sich über ihn und verpaßte ihm ein paar mittelprächtige Ohrfeigen, um sein Erwachen zu beschleunigen. Das ging dann auch ziemlich schnell — aber Hasard kam nicht mehr dazu, Hilo Palmeiro irgendwelche Fragen zu stellen. Das Klatschen der Segeltucheimer hatte aufgehört. Für einen Augenblick wurde es recht still auf der „Isabella“ — und in dieser Sekunde hörten die Seewölfe ein anderes, ein fremdes Geräusch, das sie schlagartig alarmierte. Hasard wirbelte herum. Bill stand in der Nähe des SteuerbordSchanzkleids und erreichte es mit wenigen Schritten. Deutlich war zu sehen, wie ihn der jähe Schrecken durchzuckte. Seine Stimme überschlug sich. „Wahrschau! Auslegerboote querab Steuerbord! Wilde! Sie wollen entern!“ „Alle Mann an Deck! Klar Schiff zum Gefecht!“ Hasards Befehle peitschten, noch während er ebenfalls zum Steuerbord-Schanzkleid stürmte. Er wußte, daß Bill nicht phantasierte, aber der Anblick, der sich ihm in der nächsten Sekunde bot, übertraf seine schlimmsten Befürchtungen und traf ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Auslegerboote! Ein ganzer Schwarm! Mindestens hundert Krieger mußten es sein, die sich heimlich der Galeone genähert hatten, während die Seewölfe vollauf mit der Bekämpfung des Feuers beschäftigt waren. Jetzt, da sie sich entdeckt sahen, brachen die Eingeborenen jählings in ein schrilles, ohrenbetäubendes
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Kriegsgeschrei aus. Schon flogen die ersten hölzernen, an Lianen befestigten Widerhaken, die offenbar eigens für diesen Überfall angefertigt worden waren. Binnen Sekunden war auf der „Isabella“ der Teufel los. Die Galeone saß fest, konnte nicht manövrieren, die feindlichen Boote befanden sich im toten Winkel der Kanonen, also hatte es keinen Zweck, die Geschütze klarzumachen. Nur eine Chance blieb: den Enterversuch abzuwehren. Und das war so gut wie aussichtslos angesichts der Übermacht, die zudem noch das Überraschungsmoment auf ihrer Seite hatte. Der Seewolf zog den Degen, der junge Bill das Entermesser. Von Backbord stürzten Blacky und Sam Roscill herbei und hackten ebenfalls auf die zähen Lianen ein, an denen sich die Angreifer emporhangelten. Vier, fünf von den braunhäutigen Gestalten stürzten aufschreiend in den nassen Sand, auf dem die „Isabella“ festsaß. Aber gleichzeitig schwang sich mindestens ein Dutzend von den Kerlen über das Schanzkleid - und jetzt erst stürmten die ersten Seewölfe an Deck, die den aufbrandenden Lärm vom Laderaum aus gehört hatten. Als sie sich in den Kampf stürzten, wimmelte die Kuhl bereits von Angreifern. Big Old Shane beförderte drei von ihnen im hohen Bogen außenbords, dann erwischte ihn ein vierter von hinten mit einer mächtigen Keule. Shane ging zu Boden. Hasard hatte einem der Kerle seinen eigenen Langspeer um die Ohren geschlagen, jetzt schnappte er sich den Burschen und schleuderte ihn in die Gruppe derer, die gerade versuchten, dem Schmied von Arwenack endgültig den Schädel einzuschlagen. Schmerzensschreie mischten sich in das wilde Kriegsgeheul, Entermesser und Spaken wurden geschwungen, Langspeere sausten durch die Luft, das Gebrüll wurde ohrenbetäubend. Hasard hatte sich eine der schweren Keulen geschnappt und verschaffte sich mit wuchtigen Rundschlägen Raum. Aber seine Gegner
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waren zu zahlreich. Sie drängten ihn unwiderstehlich zurück - und immer mehr von ihnen turnten über das Schanzkleid. Es war, als fege eine unheilvolle Woge über die Kuhl. Die explosive Plötzlichkeit des unerwarteten Angriffs, die erdrückende Übermacht, die Tatsache, daß die Seewölfe noch ausgepumpt waren vom Kampf gegen das Feuer- das alles wirkte zusammen. Die Männer wehrten sich wie rasende Teufel, doch an rasende Teufel erinnerten auch die Papuas. Hasard, Dill, Sam Roscill und Blacky kämpften Rücken an Rücken und versuchten, den bewußtlosen Shane zu decken. Ferris Tucker wütete mit seiner riesigen Zimmermannsaxt, bis ihm einer der Speere in den Oberarm-Muskel fuhr und ihn aus dem Gleichgewicht brachte. Er ging zu Boden - und wer unter der Woge der braunen Leiber einmal fiel, der hatte nicht die geringste Chance, bei klarem Bewußtsein wieder aufzustehen. Mann für Mann ging mit fliegenden Fahnen unter. In den Wanten turnte Arwenack herum und warf Belegnägel an feindliche Köpfe. Aus dem Kombüsenschott flogen Kokosnüsse da waren die Zwillinge am Werk, während der Kutscher, in jeder Faust eine Bratpfanne, wie ein Berserker um sich hieb und den Raum vor dem Schott verteidigte. Batuti, der Herkules aus Gambia, drehte sich um sich selber und ließ seinen fürchterlichen Morgenstern kreisen. Er mähte alles nieder, was ihm in die Nähe geriet - doch auch für ihn folgte das Ende, als sich einer der Angreifer von hinten gegen seine Beine warf und ihn aus dem Gleichgewicht brachte. „Deckung!“ schrie Hasard, als er ein halbes Dutzend Speere durch die Luft sausen sah. Die vier Männer, eben noch eine klingenbewehrte Einheit, ließen sich gedankenschnell fallen. Auf diese Weise entgingen sie dem tödlichen Hagel, doch die Papuas hatten nur darauf gewartet, daß sie ihre Verteidigungsposition aufgeben mußten. Der Seewolf warf sich am Boden herum
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und versuchte, wieder auf die Füße zu springen. Eine Keule schlug seinen Degen zur Seite, ein zweiter Hieb traf seine Schulter. Als er hochschnellte, umklammerte jemand von hinten seine Beine, und ehe er den Burschen abschütteln konnte, hingen schon zwei weitere an seinen Armen, ein vierter sprang ihm ins Genick, und Nummer fünf zog ihm den Langspeer über den Schädel. Der Speer ging zu Bruch. Hasards Schädel nicht, aber die roten Schleier, die vor seinen Augen waberten, nahmen ihm sekundenlang die Sicht. Zeit genug für ein weiteres halbes Dutzend Gegner, sich auf ihn zu stürzen. Ein paar Augenblicke lang hatte er den Eindruck, sich im Zentrum einer Steinlawine zu befinden. Dann suchte er erneut die Planken auf, und es wurde endgültig dunkel um ihn. Ein paar Minuten später war die „Isabella“ fest in den Händen der Papuas. Nur Sir John flatterte noch aufgeregt herum und kreischte. Aber da die Eingeborenen kein Englisch verstanden, war es ihnen ziemlich gleichgültig, daß sie als Rübenschweine, Affenärsche und vom Teufel im Suff gezeugte Kanalratten bezeichnet wurden. 6. Philip Hasard Killigrew kam kurz zu sich, als er außenbords geworfen wurde und in den Schlick der Untiefe platschte. Sein Kopf dröhnte, verschiedene Knochen schmerzten höllisch, und er hatte eine Mordswut im Bauch, obwohl er im ersten Moment nicht mehr genau wußte, warum eigentlich. Instinktiv versuchte er aufzuspringen. Das ging nicht, weil er an Händen und Füßen mit dünnen. zähen Lianen gefesselt war. Er holte Luft, um loszufluchen, doch selbst das klappte nicht: ein heimtückischer Schlag löschte sein Bewußtsein von neuem aus, bevor er einen Ton herausbrachte. Als er das nächstemal erwachte, hatte ihn jemand am Kragen und schleifte ihn über Sand und scharfkantige Felsen.
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Eine der trockenen Landzungen, die an einigen Stellen die Mangrovenküste unterbrachen, begriff er dunkel. Die gutturalen Kehllaute, die an sein Ohr drangen, waren ihm zwar völlig unverständlich, verrieten aber eindeutig, daß er sich in der Gefangenschaft der Wilden befand, die die „Isabella“ so bravourös geentert hatten. Ja ja, ganz so bravourös war es wohl doch nicht gewesen: eine fünffache Übermacht, und das in einem Augenblick, in dem das verdammte Feuer die Aufmerksamkeit der Seewölfe gefesselt hatte. Hasard öffnete die Augen und versuchte, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Er war nicht der einzige, der abgeschleppt wurde, so viel stand fest. Die Angreifer hatten sie vierkant in die Pfanne gehauen - und beim Gedanken an seine beiden Söhne verkrampften sich Hasards Magenmuskeln. Die Kerle, die ihn hinter sich herschleiften, gingen nicht gerade sanft mit ihm um. Er verlor zum drittenmal das Bewußtsein, als sein Kopf eine Wurzel rammte. Diesmal dauerte die Ohnmacht nicht lange. Hasard kam in dem Augenblick zu sich, in dem eine weitere Liane um seinen Oberkörper geschlungen wurde. Im Rücken spürte er den schlanken Stamm einer Palme. Als er sich vorsichtig umsah, erkannte er, daß die Papuas ein ganzes Wäldchen mit ihren Gefangenen dekoriert hatten. Die braunhäutigen Krieger versammelten sich auf einem freien Platz etwas abseits, offenbar in der Absicht, ein ausgedehntes Palaver abzuhalten. Hasards Blick flog über die abgekämpften, blutbesudelten, zum Teil noch bewußtlosen Gestalten seiner Männer. Big Old Shane, der eine Platzwunde über der Stirn hatte, sah aus, als habe er auf einer Schlachtbank geschlafen. Einen Schritt neben ihm waren Sam Roscill und Matt Davies gemeinsam an denselben Baum gefesselt. Ben Brightons Kopf hing auf die Brust, doch er atmete tief und gleichmäßig und schien unverletzt. Ed Carberry kämpfte fluchend und vergeblich gegen die Fesseln, Batuti, nur halb bei
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Bewußtsein, murmelte Satzfetzen in seiner Heimatsprache. Ferris Tucker war wach, doch sein Gesicht erinnerte an frisch gefallenen Schnee. Blut rann über seinen verletzten Arm. Auch Blacky, Smoky, Jeff Bowie und der Kutscher waren angekratzt, aber offenbar nicht so schlimm. Dan O'Flynn wirkte halbwegs munter, sein alter Vater, dieser Kerl aus Granit und Eisen, war ohnehin nicht kleinzukriegen. Hasard verrenkte den Kopf, und mit einiger Mühe konnte er hinter sich auch Pete Ballie und Gary Andrews, Al Conroy und Bob Grey, Luke Morgan, Will Thorne und Bill erkennen. „Stenmark?“ stieß der Seewolf durch die Zähne. „Hier!“ tönte es leicht gequetscht aus der Dunkelheit. „Philip? Hasard?“ Schweigen. Der Seewolf spürte, wie es ihm kalt den Rücken herunterrieselte. „Kutscher?“ „Hinter dem dreimal verdammten Felsen! Ich glaube nicht, daß die Kerle die beiden Jungen erwischt haben, Sir. Zuletzt waren sie in der Kombüse und schmissen mit Kokosnüssen. Ich hab ihnen gesagt, sie sollen sich im Schapp verkrümeln. Und ich schätze, das haben sie auch getan. Die Töpfe aus dem Schapp sind nämlich auf die Kuhl gescheppert, das konnte ich gerade noch sehen, bevor mir irgend so ein Mistkerl ein Mordsding von Beule beigezaubert hat, verdammt.“ Hasard gestattete sich ein knappes Grinsen. Einmal aus purer Erleichterung, weil es tatsächlich so aussah, als hätten sich die Zwillinge an Bord verborgen und wären nicht erwischt worden. Zum anderen, weil der Kutscher vor lauter Aufregung völlig seine sonstige, eher gewählte Ausdrucksweise vergessen hatte. Und drittens, weil sie alle noch lebten! Nach dem, was sich auf der „Isabella“ abgespielt hatte, grenzte es schon an ein Wunder, daß es bei mehr oder weniger schweren Verletzungen geblieben war. „Ferris?“ fragte Hasard knapp.
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„Bloß 'ne Fleischwunde“, meldete der rothaarige Schiffszimmermann. „Dem Kerl, der mir das Ding beigepult hat, drehe ich den Hals um.“ „Tu das! Sonst jemand verletzt?“ Wie sich herausstellte, bestanden die meisten Verletzungen aus Schrammen und Kratzern, prachtvoll erblühenden Beulen und Prellungen, die binnen kurzer Zeit in allen Regenbogenfarben schillern würden. Ganz offensichtlich hatten die Eingeborenen Wert darauf gelegt, ihre Opfer lebend zu schnappen. Aus Menschenfreundlichkeit ganz bestimmt nicht. Es gab eine Menge möglicher Gründe, und keiner von ihnen bot Anlaß, die Zukunft in rosigen Farben zu sehen. Hasard dachte mit einem gelinden Schauer an ihr Abenteuer mit den menschenfressenden Wilden auf den Salomon-Inseln, die Gary Andrews, Dan O'Flynn und Stenmark gefangen genommen und nur deshalb nicht sofort verspeist hatten, weil die drei ihnen schlicht zu mager gewesen waren und erst einmal gemästet werden sollten. „Wo, zum Teufel, steckt der verdammte Portugiese?“ erkundigte sich der Seewolf. „Schläft noch“, meldete Dan O'Flynn trocken. „Nein, nicht mehr.“ Das war Hilo Palmeiros Stimme — ziemlich dünn und kleinlaut. Hasard zog die gefesselten Beine an, stemmte sich seitlich gegen den Boden und konnte auf diese Weise die Lianen an dem Palmenstamm so weit verschieben, daß er den Portugiesen im Blickfeld hatte. Palmeiro schlotterte. Der Seewolf durchbohrte ihn mit einem wilden Blick. „Du hast uns fast das Schiff unter den Füßen angezündet, du Bastard“, sagte er eisig. „Wenn wir jemals wieder aus diesem Schlamassel herauskommen, kannst du dich auf die Neunschwänzige freuen, das ist mal sicher, du hinterlistiger Schnapphahn.“ „Aber ...“ „Willst du mir erzählen, daß du dich in unserem Laderaum verirrt hattest? Deine Kumpane von der ,Dona Felipa` sind eine Bande verdammter Piraten. Daß die
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Eingeborenen so eine Mordswut im Bauch haben, dürfte daran liegen, daß ihr sie nicht erst seit heute ausplündert und massakriert. Oder?“ Hilo Palmeiro schwieg. Aber die Art, wie er die Farbe wechselte und sich auf die Lippen biß, war auch eine Antwort. Hasard hätte geschworen, daß er mit seiner Vermutung richtig lag. Und er meinte seine Drohung durchaus ernst: falls sie dieses Abenteuer überstanden, würde der Portugiese die fällige Lektion zu schlucken kriegen. Hilo Palmeiro war das völlig klar. Aber ihm war auch klar, was er von den Papuas zu erwarten hatte. Alles andere interessierte ihn im Augenblick erst in zweiter Linie. * Sir John, der karmesinrote AracangaPapagei, hockte hoch oben in den Toppen, plusterte unbehaglich sein Gefieder und äugte auf die leere Kuhl hinunter. „Alle Mann an Deck!“ krächzte er. „Hopphopp, ihr Rübenschweine! Nimm die Quanten aus dem Kinken, du Läuseknacker!“ Mit dem Läuseknacker konnte er nur Arwenack meinen, aber der hockte ziemlich. ratlos und mit angezogenen „Quanten“ auf dem Niedergang zum Achterkastell, Es war still an Bord der „Isabella“. Unheimlich still. Nur die Takelage ächzte und knarrte. Und noch etwas knarrte, aber nur sehr, sehr leise: die Tür eines Schapps in der Kombüse. Die Töpfe, die dort eigentlich hingehörten, lagen auf der Kuhl verstreut. Beulen hatten sie nicht, da sie aus solidem Gußeisen bestanden — die Beulen waren bei denjenigen zu verzeichnen gewesen, die nicht schnell genug die Köpfe eingezogen hatten. Philip und Hasard fanden, daß sie mit den Töpfen mindestens ebenso erfolgreich gewesen waren wie der Kutscher mit den Bratpfannen, die er beidhändig geschwungen hatte. So weit man bei dieser ganzen Angelegenheit überhaupt von Erfolg sprechen konnte!
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Der Kutscher hatte allerdings etwas ganz anderes im Sinn gehabt als Zusammenstöße Töpfe gegen Köpfe. „Versteckt euch im Schapp!“ hatte er den Zwillingen zugezischt. Nach Verstecken stand den beiden eigentlich überhaupt nicht der Sinn. Aber dann sahen sie die gewaltige Übermacht, von der die Crew geradezu überrollt wurde, sahen Ferris Tucker zusammenbrechen, den eisernen Carberry, den schwarzen Herkules Batuti, sogar ihren Vater, sahen den Kutscher mit letzter Kraft die Bratpfannen schwingen, um das Kombüsenschott zu verteidigen — und in jenem Augenblick hatten sie begriffen, daß in einer so miserablen Lage zwei achtjährige Jungen wohl auch nichts mehr ausrichten konnten, und wenn es ihnen noch so in den Fingern juckte. Die Vernunft siegte. Philip und Hasard waren in das Schapp geschlüpft und hatten sich tot gestellt. Mit Erfolg: die Papuas fanden sie nicht, suchten auch nicht nach ihnen, sondern warfen nur einen kurzen Blick in die Kombüse. Die Zwillinge warteten ziemlich lange, verhielten sich mucksmäuschenstill, weil sie dem Frieden nicht trauten. Erst aus Sir Johns beharrlichem „Alle-Mann-anDeck-“-Gekrächze schlossen sie, daß sich inzwischen tatsächlich niemand mehr an Deck aufhielt. Vorsichtig öffneten sie die Tür, schlüpften aus dem engen Schapp und lauschten. Die Stille war beklemmend. In dem Blick, den die beiden Jungen wechselten, lag jetzt unverhüllte Angst. Noch nie hatten sie es erlebt, daß die Seewölfe von einem Gegner so überrollt worden waren. Was würden sie an Deck vorfinden? Tote? Verwundete? Langsam, Schritt für Schritt, fast widerwillig näherten sie sich dem offenen Kombüsenschott und spähten nach draußen. Die Kuhl lag leer im Mondlicht. „Arwenack!“ flüsterte der kleine Philip. Im selben Moment hatte der Schimpanse sie entdeckt und glitt freudig keckernd heran. Auch die beiden Jungen freuten sich, ihren zottigen Kameraden zu sehen, doch zu
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großem Begrüßungsjubel konnten sie sich nicht aufraffen. Schnell und systematisch durchsuchten sie das Schiff — mit dem Ergebnis, daß außer ihnen kein Mensch mehr an Bord war. Hasard junior atmete auf. „Alle noch am Leben“, stellte er fest. „Jawohl“, bekräftigte Philip. Obwohl das durchaus nicht sicher war. Aber der Gedanke, daß es anders sein könnte, war einfach zu schrecklich, um ihn auch nur für eine Sekunde in Erwägung zu ziehen, solange es keine augenfälligen Beweise gab. „Und jetzt?“ fragte Hasard mit einem düsteren Blick auf die Mangrovenküste, die sich als dunkler, nur an wenigen Stellen von fahlweißem Strand unterbrochener Streifen im Mondlicht hinzog. „Wir nehmen das Boot, pullen an Land und befreien Dad und die Crew“, sagte Philip grimmig. „Ist doch ganz klar — was, wie?“ Das hatte er dem Profos abgelauscht. Genau wie den markigen Spruch, den Hasard als Bekräftigung zum besten gab. „Jawohl! Wie werden den fremden Kriegern die Haut in Streifen von ihren verdammten Affenärschen abziehen. Aber wir müssen es schlau anfangen. Sie sind zu viele.“ Philip nickte. In der Tat, die Papuas waren zu viele. Aber die Zwillinge fuhren nun schon eine geraume Weile auf der „Isabella“ und hatten eine Menge gelernt. Zum Beispiel über die Taktik, die man einer Übermacht gegenüber anzuwenden hatte und die zumeist darin bestand, das völlig Überraschende zu tun und dabei möglichst den schwachen Punkt des Gegners auszunutzen. In den allermeisten Fällen hieß dieser schwache Punkt erfahrungsgemäß Unwissenheit. Unwissenheit führte zu abergläubischer Furcht. Abergläubische Furcht wiederum führte leicht zu allgemeiner Panik, und eine allgemeine Panik konnte man zu einer blitzschnellen Aktion nutzen. Es war gar
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nicht nötig, den gesamten Papua-Stamm in die Flucht zu Von schlagen. Es genügte, ein paar on den Seewölfen zu befreien. Die würden dann, schon wissen, was zutun war, und den Gegnern sehr schnell zeigen, woher der Wind wehte. „Wollen wir chinesisches Feuer auf den Wald regnen lassen?“ fragte Philip junior. „Blödmann“, sagte sein Bruder. „Willst du Dad und die Crew rösten, du Hammel?“ „Nicht gut“, gab Philip zu. „Aber chinesisches Feuerwerk ist gut, eh?“ Zwischen „Feuer“ und „Feuerwerk“ bestand in diesem Fall mindestens ein so größer Unterschied wie zwischen einem explodierenden Pulverfaß und einer Knallerbse. Die Brandsätze ließen unlöschbares Feuer regnen, verheerend genug, um mit einem einzigen Treffer eine Kriegsgaleone zu vernichten. Die Feuerwerkskörper dagegen waren völlig harmlos, knallten und heulten lediglich und versprühten einen Regen von bunten Funken und ähnlichem. Aber wer sie nicht kannte, der mußte bei ihrem Anblick unweigerlich den Eindruck haben, die Hölle selber sei aufgebrochen. „Chinesisches Feuerwerk ist sehr gut“, bestätigte Hasard junior ernsthaft. „Und großer Häufen Pistolen und Musketen sind auch gut.“ „Hmm“, meinte Philip zweifelnd. „Für Männer, die wir befreien, du Decksaffe, gestreifter“, sagte Hasard. „Also los jetzt, Beiboot klarmachen, hopphopp! Aber an Backbord, falls irgendwo Wachtposten sind.“ „Aye, aye“, sagte Philip. Er grinste schon wieder. Zwar war die Lage äußerst kritisch, aber ein Gutes hatte sie immerhin: die Zwillinge konnten endlich mal richtig loslegen, ohne daß ihnen irgendjemand außer Sir John dazwischenredete. Ihre Gesichter spiegelten die eiserne Entschlossenheit, heute nacht zu beweisen, daß sie vollwertige Seewölfe waren, auf die man sich verlassen konnte. *
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Dumpfe Trommelwirbel begleiteten den Gesang der Papuas, einen Gesang, der sich sehr nach Kriegstanz anhörte, obwohl die Eingeborenen lediglich im Kreis um ein kleines Feuer kauerten und im Takt die Oberkörper wiegten. Immer lauter wurden ihre Stimmen, immer schneller und wilder die Bewegungen. Den gefesselten Männern an den Palmenstämmen war nur zu klar, daß das für sie bestimmt nichts Gutes bedeutete. Der Seewolf zerrte mit gespannten Muskeln und zusammengebissenen Zähnen an den zähen Lianen. Vergeblich, wie er einsehen mußte. Da war nichts zu machen. Big Old Shane, der schwarze Herkules Batuti und der eiserne Carberry hatten es ebenfalls ohne Ergebnis versucht, auch die katzenhafte Geschmeidigkeit eines Sam Roscill oder Dan O'Flynn konnte nichts ausrichten. Bob Grey versuchte schon die ganze Zeit, an seinen rechten Stiefel heranzukommen, wo er immer noch ein Messer für den Notfall versteckt hielt. Aber er schaffte es nicht, so sehr er sich auch verrenkte. Eine wirkliche Chance hatten überhaupt nur zwei von den Männern: Matt Davies und Jeff Bowie. Die beiden trugen -- der eine rechts, der andere links - je eine scharfgeschliffene Haken-Prothese. In Matt Davies' Fall waren die Spanier für den Verlust seiner Rechten verantwortlich - was ein schwerer Fehler von den Dons gewesen war, wenn man bedachte, wie fürchterlich Matt mit seinem Haken unter ihnen zu wüten pflegte. Jeff Bowies linke Hand hatten Piranhas gefressen. Inzwischen störte ihn der Verlust nicht mehr sonderlich. So ein Haken war nämlich gar nicht zu verachten. Er konnte einem nicht aus der Hand fallen wie Entermesser oder Pistole. Er paßte um jeden Riemen, man durfte getrost mal damit ins Feuer greifen, ohne sich die Finger zu verbrennen - und wenn man das Pech hatte, von einem Gegner entwaffnet zu werden, kam der meist nicht auf die Idee, daß auch die Prothese eine Waffe war, und zwar eine verdammt gefährliche.
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Fesseln jeglicher Art ließen sich damit ebenfalls bearbeiten. Nur heranreichen mußte man natürlich. Bei Jeff Bowie erschien das ziemlich aussichtslos. Aber Matt Davies war zusammen mit Sam Roscill an dieselbe Palme gebunden und gelangte zwar nicht an seine eigenen Fesseln heran, aber mit einiger Mühe an die Liane, die Sams Handgelenke im Rücken zusammenschnürte. Natürlich war das eine knifflige Sache. Haut ging dabei auch in Fetzen, doch das störte niemanden. Kritischer war die Tatsache, daß die Papuas jetzt offenbar einen Entschluß gefaßt hatten. Jäh brach der wilde Gesang ab. Ein Teil der Eingeborenen sprang auf, die lehmbeschmierten Gesichter verzerrt, die Langspeere in den Fäusten schwingend. Drohend rückten sie auf die Gefangenen zu, und nicht wenige von den gefesselten Männern waren überzeugt, daß jetzt endgültig ihr letztes Stündlein geschlagen hätte. Der Portugiese rief wieder mal sämtliche Heiligen an. Die Seewölfe dachten nicht daran, in das Gejammer einzustimmen. Wer ein Stoßgebet zum Himmel schicken wollte, der tat das stumm. Im Übrigen gehörten diese Männer nicht zu der Sorte, die sich auf irgendwelche Heiligen verließ. Wenn man eine hilfreiche Hand brauchte. fanden sie, suchte man die immer noch am besten am Ende des eigenen Arms. Und wenn die Arme gefesselt waren - nun ja, dann blieb einem immer noch die Möglichkeit, dem Tod ins Gesicht zu grinsen, und zwar auf die gewisse Art, bei der vielleicht sogar der Sensenmann Reißaus nehmen würde. Die Papuas nahmen nicht Reißaus, Obwohl sie doch etwas vorsichtig wurden, als sie Philip Hasard Killigrews Zähne blitzen sahen - jene kräftigen, blendend weißen Zähne, deren Anblick damals bei der legendären Straßenschlacht vor der „Bloody Mary“ den fetten Nathaniel Plymson so lebhaft an das Gebiß eines Seewolfs erinnert hatten, daß er Hasards Kriegsnamen aus der Taufe hob.
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Zwei der Eingeborenen wichen prompt einen halben Schritt zurück angesichts dieser Zähne oder besser des wilden Grinsens, mit dem sie entblößt wurden. Nein, die Burschen hatten nicht vor, ihre Gefangenen so mir nichts, dir nichts zu massakrieren. Nicht sofort jedenfalls vermutlich wollten sie die Sache etwas feierlicher gestalten. Sechs Mann pickten sie heraus und schnitten sie von den Palmenstämmen los. Aber da die Opfer immer noch an Händen und Füßen gefesselt waren, konnten sie trotzdem nichts unternehmen. Edwin Carberry verkündete lauthals, was er mit den Kerlen tun würde, wenn er nur die Fäuste frei hätte. Er verkündete es auf englisch, auf spanisch, auf portugiesisch und schwedisch - letzteres hatte er von Stenmark gelernt. Aber die Papuas verstanden keine dieser Sprachen und blieben unbeeindruckt. Genauso unbeeindruckt wie von Pete Ballies Flüchen, dem mörderischen Grimm in den Gesichtern von Blacky und Old O'Flynn und Luke Morgans wütenden Beleidigungen, die ziemlich unlogisch waren, da die Papuas unmöglich von verlausten Hafenhuren abstammen konnten. Hilo Palmeiro, das sechste Opfer, begann in allen Tonlagen zu jammern und zu winseln. Es nutzte ihm nichts. Im Gegenteil: die Blicke der dunkelhäutigen Krieger verrieten deutlich die Verachtung für einen Kerl, der sich wie ein altes Weib aufführte, statt sein Schicksal mannhaft zu tragen. Die sechs Opfer wurden einfach am Kragen gepackt und ins Dickicht geschleift wie Lumpensäcke, und wenig später hatte die Dunkelheit sie samt ihren Bewachern verschlungen. Etwa die Hälfte der Krieger blieb bei den Hütten zurück. Sie beobachteten den Rest der Gefangenen - und der Seewolf fand, daß der Ausdruck in ihren Augen absolut nichts Gutes verhieß. 7.
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Philip und Hasard pullten einen schönen weiten Bogen, weil sie sich sagten, daß man einem überlegenen Gegner immer besser in den Rücken oder wenigstens in die Flanke fiel, statt ihn frontal anzugreifen. Davon abgesehen waren die beiden Jungen vernünftig genug, um zu wissen, daß von einem echten Angriff natürlich keine Rede sein durfte. Ein Ablenkungsmanöver sollte es werden — aber eins, bei dem der Höllenfürst samt allen Unterteufeln vor Neid erblaßt wäre. Zwischen den Duchten des Boots schimmerte eins der Bronzegestelle, mit denen man sowohl die echten Brandsätze als auch die Feuerwerkskörper abschießen konnte. Ein Vorrat an Raketen war handlich und wasserdicht in eine Persenning gewickelt, außerdem hatten die Zwillinge ein mittleres Waffenarsenal im Boot verstaut und auch die Munition nicht vergessen. Die auflaufende Flut unterstützte ihr Vorhaben. Das Wasser stand bereits ziemlich hoch, von der Sandbank, auf der die „Isabella“ festsaß, war kaum noch etwas zu erkennen. Wenn jetzt noch ein bißchen Glück auf ihrer Seite mitspielte, konnte es sogar sein, daß die Galeone bald wieder Wasser unter dem Kiel hatte, ohne daß sie erst mühselig gekrängt werden mußte. Fast lautlos glitt das Boot in den Schatten des Mangrovengürtels. Philip und Hasard lauschten angestrengt, stellten fest, daß alles still war, und pullten vorsichtig weiter nach Westen auf die vorspringende Landzunge zu. Eigentlich hatten sie diesen Platz nicht direkt ansteuern, sondern sich durch das Dickicht anschleichen wollen. Jetzt zwang die Natur der Küste sie, ihren Plan zu ändern. Außer der Landzunge gab es weit und breit keinen Flecken trockenen Bodens. Das schwere Bronzegestell konnten die beiden Jungen zwar mit einiger Mühe schleppen, aber bestimmt nicht bei einer Kletterpartie durch die Mangroven transportieren.
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„Mist“, sagte Hasard junior mit einem Blick auf die dicken Luftwurzeln, die wie Stelzen aus dem dunklen Wasser ragten. „Bockmist“, bekräftigte Philip flüsternd. „Wir müssen zur Landzunge, das Boot im Gebüsch verstecken und die- Ausrüstung an einen sicheren Ort bringen.“ „Dann schnell! Eben haben die Affenärsche noch getrommelt. Jetzt ist alles still. Das bedeutet nichts Gutes!“ Philip nickte nur. Die beiden Jungen legten sich mächtig in die Riemen. Minuten später hatten sie die Landzunge erreicht, sprangen ins flache Wasser und luden erst einmal das Bronzegestell und die Waffen aus, weil sie das Boot sonst unmöglich hätten auf den Strand ziehen können. So schafften sie es, obwohl ihnen der Schweiß dabei in Strömen über die Gesichter lief und sie alles an Kraft aufbieten mußten, was in ihren zähen, drahtigen Körpern steckte. Wenig war das nicht, durchaus nicht. Es dauerte nicht einmal allzu lange, bis das Boot gut versteckt in einem dichten Gebüsch lag. Das Bronzegestell und die Feuerwerkskörper transportierten die beiden Jungen noch ein Stück weiter weg. bis zu einer Stelle, wo einzelne Felsen eine kleine Anhöhe bildeten. Danach klebten den Zwillingen die Kleider wie eine zweite, etwas faltenreichere Haut am Körper, sie waren ziemlich ausgepumpt, aber sie vergaßen dennoch nicht, die Schleifspur im Sand zu verwischen und so lange an den Schlingpflanzen herumzuzerren, bis kein verräterisches Zeichen mehr zu sehen war. „Eh!“ zischte Hasard junior, nachdem das Rauschen des Blutes in seinen Ohren etwas nachgelassen hatte. „Was?“ flüsterte sein Bruder. „Hörst du nichts? Schritte! Die Rübenschweine kommen hierher!“ Jetzt hörte es auch Philip. Schritte, tatsächlich. Zweige knackten, Laub raschelte — und dann war da noch ein merkwürdiges schleifendes Geräusch, ungefähr so, als würden schwere Säcke über den Boden gezerrt.
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Ein Geräusch, das sich die beiden Jungen nicht erklären konnten, aber im Moment spielte das auch keine Rolle. „Weg!“ flüsterte Hasard. „Hopp-hopp!“ wisperte Philip. Es klang gar nicht besonders ängstlich, und Sekunden später waren die beiden Jungen wie lautlose Schatten im Dickicht verschwunden. * Die gefesselten, wehrlosen Männer, die da wie alte Säcke durch das Dickicht geschleift wurden, konnten nicht ahnen, was sich inzwischen auf der Landzunge getan hatte. Sie waren vollauf damit beschäftigt, sich zu überlegen, was sie gleich tun würden. Den Gesichtern der Papuas nach zu urteilen drehte es sich um Rache. Irgendeine recht phantasievolle Art von Rache vermutlich, die im Grunde gar nicht den Seewölfen galt, sondern einer Bande lausiger Piraten, die längst über alle Berge waren. Der einzige, der sich hätte sagen müssen, daß ihn ausgleichende Gerechtigkeit traf, war Hilo Palmeiro — und der war zugleich auch der einzige, der jammerte und winselte, als werde er bereits am Spieß gebraten. Dafür ging es ihm dann auch als erstem an den Kragen. Die fünf anderen Gefangenen wurden einfach zu Boden geworfen. Gefesselt, wie sie waren, konnten sie nichts unternehmen, und selbst ungefesselt hätten sie wenig Chancen gehabt, da auf jeden von ihnen die bedrohlich scharfe Spitze eines Langspeers zielte. Das war alles andere als ein angenehmes Gefühl, obwohl sich niemand etwas anmerken ließ. Aber noch viel unangenehmer war es, die Vorbereitungen zu beobachten, die die Papuas jetzt trafen. Von irgendwoher hatten sie vier dicke zugespitzte Pflöcke zum Vorschein gebracht. Mit ein paar wuchtigen Keulenhieben wurden die Dinger tief in den Sand getrieben. Und zwar so, daß sie ein
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Viereck bildeten, etwas länger als breit — und in der Funktion so leicht zu durchschauen, daß selbst Hilo Palmeiro es begriff und gellend aufschrie. Er bäumte sich auf, als die Lianen an seinen Händen und Füßen durchschnitten wurden, schlug um sich und setzte sich verzweifelt zur Wehr, doch er hatte nicht die geringste Chance gegen die kräftigen braunhäutigen Krieger. Minuten später lag er flach auf dem Rücken, mit gespreizten Armen und Beinen und zwischen die Pflöcke gefesselt. Er schlotterte an allen Gliedern. Schweiß lief über sein Gesicht, mit fast irrem Blick sah er sich um. Aber da gab es keine Hilfe. Nur fünf gefesselte Seewölfe, auf die aller Wahrscheinlichkeit nach das gleiche Schicksal wartete wie auf Hilo Palmeiro und eine Horde wilder Gestalten mit lehmbeschmierten, schreckerregenden Gesichtern, die jetzt wieder nach ihren Langspeeren griffen. Der Portugiese betete, fluchte und flehte abwechselnd - vergeblich. Von seinen Piratenkumpanen waren die Eingeborenen erbarmungslos abgeschlachtet worden. Jetzt schlugen die Papuas mit der gleichen Erbarmungslosigkeit zurück. Wieder dröhnte eine der Trommeln. Langsam, in wiegendem Rhythmus, dann immer schneller begannen die Eingeborenen zu tanzen. Ihre nackten Sohlen stampften den Sand, wild und drohend schwangen sie die Speere und bewegten sich in einem weiten Kreis um das wehrlose Opfer. Den fünf Seewölfen war ziemlich mulmig zumute. Aber im Augenblick blieb ihnen nichts weiter übrig, als zu warten und hilflos zuzuschauen. * „Schaffst du es?“ fragte der Seewolf flüsternd. Matt Davies lief der Schweiß über das Gesicht. Er mußte sich verrenken, um an Sam Roscills Fesseln heranzukommen, und dabei noch ständig aufpassen, daß seine
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Anstrengungen den Bewachern nicht auffielen. „Ich glaube schon“, murmelte er. „Mit zwei, drei kräftigen Rucken dürfte es klappen. Aber ich fürchte, dabei geht bei Sam 'ne Menge Haut zum Teufel.“ „Kümmere dich um deine eigene Haut, du Hering“, sagte Sam Roskill trocken. . Matt verzog das Gesicht. „Idiot! Paß wenigstens auf deine Pulsadern auf, sonst ...“ Er stockte abrupt. Irgendwo aus der Richtung des Meeres erklang plötzlich ein schrilles, fauchendes Geräusch, ein Heulen, das die Seewölfe nur zu gut kannten. Das Palaver der Eingeborenen verstummte abrupt. Jäh warfen sie die Köpfe hoch und starrten nach oben, wo etwas Grelles, Leuchtendes in den Himmel stieg, eine Feuerspur hinter sich herzog und seine grellen Lichtreflexe selbst durch das dichte Blätterdach des Sumpfwaldes dringen ließ gleich funkelnden Speeren. Ein schmetternder Krach. Der Flugkörper zerplatzte am Himmel. Rote, grüne und gelbe Leuchtkugeln spritzten nach allen Seiten, zerplatzten abermals, und über dem Dickicht schien ein geisterhafter Feuerregen niederzugehen. Der vielstimmige Aufschrei der Papuas mischte sich mit dem neuerlichen Krachen und Fauchen. „Feuerwerkskörper?“ flüsterte Stenmark verblüfft. „Die Zwillinge!“ stieß Dan O'Flynn hervor. „Das müssen die beiden jungen sein, Hasard!” Der Seewolf nickte nur. Seine Haltung hatte sich gespannt, die eisblauen Augen kniffen sich zusammen. „Schnell, Matt!“ befahl er. „Das ist unsere Chance! Wir müssen sie nutzen, solange die Verwirrung dauert.“ 8. Für die Papuas am Strand, deren Sicht von keinem Dickicht behindert wurde, war das Schauspiel ungleich eindrucksvoller.
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Als die erste Rakete zischend und funkensprühend in den Himmel stieg, unterbrachen sie ihren wilden Tanz mitten in der Bewegung. Starr, wie zu Stein erstarrt, mit offenen Mündern blickten sie zu der leuchtenden Erscheinung hinauf, und dann, als sich der Regen von strahlenden, in allen Regenbogenfarben schillernden Kugeln herabsenkte, brach ein vielstimmiger Entsetzensschrei über ihre Lippen. In wilder Panik warfen sie sich herum und stoben davon. Binnen Sekunden war der Strand wie leergefegt. Die jagenden Schritte, das Knacken von Zweigen und das raschelnde Laub verrieten, daß sich die Papuas in fliegender Hast entfernten und nicht daran dachten, etwa zurückzubleiben, um aus dem sicheren Dickicht ihre Speere zu schleudern. Für sie könnte die leuchtende Erscheinung nur ein Werk böser Dämonen sein. Wieder brüllten sie auf, gedämpft in der Tiefe des Gestrüpps, als die zweite Rakete in den Himmel stieg. Auf der kleinen Erhebung schnellten die Zwillinge aus ihrer Deckung hoch. Jetzt war der Augenblick gekommen. Bis sich die Eingeborenen auch nur halbwegs von dem Schock erholten, würde es eine Weile dauern. Geschickt wie Katzen turnten die beiden Jungen über die Felsen und hatten Sekunden später den Strand erreicht. „Arwenack!“ schrien sie im Chor. Unter normalen Umständen hätten ihnen die fünf Seewölfe mit donnernder Lautstärke geantwortet, doch jetzt waren sie viel zu verblüfft, um den alten Schlachtruf aufzunehmen. „Grandpa in Ordnung?“ erkundigte sich Hasard, während er mit seinem kleinen Entermesser Old O'Flynns Fesseln durchtrennte. „Wo ist Dad?“ stieß Philip hervor, der hinter Ed Carberry kauerte, „wo der Rest der Crew?“ „Auf 'ner Lichtung in dem verdammten Sumpfwald“, knurrte Carberry. „Beeilt euch, oder ich zieh euch die Haut ab, ihr
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Rübenschweinchen! Teufelskerlchen seid ihr, ihr Kanonensöhne, ihr ...“ Er verstummte, als seine Fesseln fielen, sprang auf und begann sofort, Fete Ballie und Blacky zu befreien. Philip machte sich über die Lianen her, mit denen Luke Morgan verschnürt war, Hasard schnitt den zitternden Hilo Palmeiro los. Sekunden später Waren alle sechs Männer frei, und die Zwillinge grinsten so breit, daß sie sich fast die Ohrläppchen abbissen. „Wir haben Waffen mitgebracht“, verkündete Hasard. „Im Boot, drüben zwischen den Büschen“, setzte Philip hinzu. Es waren nur wenige Schritte. Den beiden Jungen wurde krachend auf die Schultern geklopft. Sie kassierten ein paar begeisterte Rippenstöße, die ihnen fast die Luft wegnahmen. Der Profos verteilte Pistolen, Musketen und Munition. Sein wüstes Narbengesicht verzog sich grimmig. „Weitermachen!“ rief er den Zwillingen zu. „Ein Feuerwerk, das sich gewaschen hat, wenn ich bitten darf! Diese Affenärsche müssen glauben, daß sie schon in der Vorhölle sind und der Teufel das Feuerloch für sie anheizt, verstanden?“ „Aye, aye, Sir!“ riefen Philip und Hasard im Chor. Dabei warfen sie sich schon auf dem Absatz herum, flitzten über den Strand und klommen wieder zu der Anhöhe hinauf, wo sie das Bronzegestell und den Rest der Raketen gelassen hatten. Old O'Flynn, mit einer Muskete und zwei Pistolen bewaffnet, zog sich kurzerhand auf eine Mangrovenwurzel, um von hier aus seine beiden Enkel gegen eventuelle Angriffe zu decken. Die restlichen Seewölfe der Gruppe verschwanden unter Edwin Carberrys Führung im Dickicht. Und diesmal war ihr donnerndes „Arwenack“ geeignet, den Boden erzittern zu lassen. * Unversehens fand sich Hilo Palmeiro allein am Strand wieder.
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Die Reste der Lianen, mit denen er an die Pflöcke gefesselt gewesen war, hingen noch von seinen Handgelenken und Fußknöcheln, Schweiß lief über seinen Körper, das Herz hämmerte ihm hoch in der Kehle. Die Panik, die ihn in den Klauen hatte, klang nur langsam ab, doch auch so wäre er wohl kaum auf den Gedanken verfallen, sich an dem Kampf gegen die Papuas zu beteiligen. Ein Kampf, den er und seinesgleichen provoziert hatten: skrupellose Piraten, in deren Augen die Eingeborenen nicht viel mehr als Läuse waren. Palmeiro wußte nicht, ob er von den Papuas als einer der Männer erkannt worden war, die seit Wochen unter ihnen mordeten und plünderten. Aber er hatte erlebt, daß es ihm als erstem an den Kragen gegangen wäre, Und die Angst davor, den Wilden noch einmal in die Hände zu fallen, legte sich wie eine würgende Schlinge um seine Kehle. Nur weg hier, das war sein einziger Gedanke. Im ersten Impuls wollte er einfach zur „Isabella“ hinüber schwimmen, dann wurde ihm plötzlich klar, daß er dabei vom Regen in die Traufe geraten würde. Der Seewolf durchschaute ihn und begriff ganz genau, warum er, Palmeiro, mitten in der Nacht heimlich den Laderaum durchsucht hatte. Und die „Isabella“ war fast in Flammen aufgegangen. Das allein wäre schon schlimm genug gewesen und hätte ganz sicher eine drastische Strafe nach sich gezogen. Aber jetzt würde man ihn als Piraten und Verräter behandeln. Darauf kannten diese wilden Kerle bestimmt nur eine Antwort: die. Rahnock. Der Portugiese glaubte schon, den Strick um den Hals zu fühlen, und neue Angst krampfte ihm die Eingeweide zusammen. Er mußte hier weg. Irgendwie mußte er es schaffen, die „Isabella“ zu verlassen, den Seewölfen zu entwischen und wieder zu seinen Kumpanen von der „Dona Felipa“ zu stoßen. Das Boot, durchzuckte es ihn.
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Er konnte das Boot nehmen und versuchen, an der Küste entlang zu fliehen, bis er auf die „Dona Felipa“ stieß. Der Portugiese wußte nicht, daß Capitan da Carrilho, alles andere als ein Held, inzwischen vor der Übermacht der Papuas nach Süden ausgewichen war. Nach Palmeiros Meinung mußte sich die „Dona Felipa“ irgendwo in unmittelbarer Nähe befinden. Wenn er schnell handelte und ein bißchen Glück hatte, blieb den Seewölfen keine Zeit mehr, um ihn einzuholen. Dann konnten sie sich um die fette Beute kümmern Und alle Vorbereitungen treffen, um die „Isabella“ in ihren Besitz zu bringen. Palmeiros Augen funkelten triumphierend. Sein Blick zuckte in die Runde. Auf der Kuppe der kleinen Erhebung stiegen immer noch zischend und funkensprühend Feuerwerkskörper auf. Ihr Krachen, Heulen und Fauchen ließ die Luft erzittern, die Leuchtkugeln und bunten Feuerschlangen tauchten die Landschaft in zuckendes, ständig die Farbe wechselndes Licht. Im ersten Moment hatte den Portugiesen angesichts dieses Höllenspektakels die gleiche Panik erfaßt wie die Papuas. Inzwischen wußte er, daß das Schauspiel völlig harmlos war. Mit einem weiteren Blick überzeugte er sich, daß der alte Mann mit dem Holzbein dem Strand den Rücken zuwandte, dann huschte Hilo Palmeiro geduckt zu dem Dickicht hinüber, in dem das Boot versteckt war. Mit fliegenden Fingern zerrte er es aus der Umschlingung von Ranken und Palmenschößlingen. Falls ihn jemand beobachtete, so hoffte er, würde der Betreffende annehmen, daß er das Fahrzeug lediglich startklar machen wollte. Eine Waffe fand er nicht darin, dafür aber das Notsegel und einen behelfsmäßigen Mast, den er später aufriggen konnte. Hastig zerrte er, das Boot über den Strand, stieß es ins Wasser und schwang sich nach einem letzten prüfenden Blick in die Runde über den Dollbord.
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Seine Finger zitterten leicht, als er die Riemen in die Dollen schob und vorsichtig durchholte. Fast lautlos löste sich das leichte Fahrzeug von der Landzunge. Niemand sah, wie es über das Wasser glitt und wenige Minuten später in der Dunkelheit verschwand gleich einem Schemen. * Ein letzter kräftiger Ruck — die scharfgeschliffene Spitze von Matt Davies' Hakenprothese zerfetzte die Liane an Sam Roscills Handgelenken. Die Papuas waren aufgesprungen, starrten zum Himmel und schrien voller Entsetzen durcheinander. Irgendwo aus der Richtung des Strandes antwortete ihnen das gleiche Schreckensgeschrei. Schon warfen sich die ersten braunhäutigen Gestalten herum und flohen blindlings ins Dickicht. Ihre Worte verstanden die Seewölfe nicht, doch sie konnten sich ungefähr vorstellen, was die Eingeborenen glaubten: daß sämtliche finsteren Dämonen ihrer unbekannten Mythologie gegen sie aufgestanden seien. Sam Roscill, der schlanke schwarzhaarige Draufgänger, behielt die rennenden Gestalten im Auge und zerrte verbissen an der Liane, die seinen Oberkörper mit dem Palmenstamm verband.. Ein paar Sekunden später hatte er es geschafft. Die Gefangenen waren etwas abseits von den Zweighütten untergebracht worden, außerdem kam ihnen die unverhüllte Panik der Papuas zugute. Geschmeidig löste sich Sam von der Palme, glitt geduckt zu Bob Grey hinüber und zerrte dem drahtigen dunkelblonden Engländer kurzerhand den rechten Stiefel vom Fuß. Das kleine Reservemesser steckte in einer Scheide an Bobs Wade. Sam fischte es heraus, befreite seinen Kameraden und huschte mit drei Schritten zu Hasard hinüber. Der lauschte angespannt, die Augen zusammengekniffen und das Kinn verkantet. Sam grinste, während er die Lianen durchsäbelte.
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„Das sind vielleicht Teufelsbraten, deine Söhne, Sir“, raunte er. „Den Profos und die anderen müssen sie schon befreit haben. Jedenfalls heulen in der Nähe des Strandes ein paar Typen wie ein Rudel Wölfe bei Vollmond, und das können nur die Eingeborenen sein.“ Den Eindruck hatte Hasard auch. Ungeduldig schüttelte er den Rest der Lianen ab und kam auf die Füße. Ein paar von den Papuas, die sich noch auf der Lichtung aufhielten, fuhren zu den Gefangenen herum. Aber im selben Augenblick zischte eine rote, zuckende Schlange heran, raste durch die Baumwipfel, als wolle sie genau auf die Wilden niederfahren - und das war endgültig zu viel für die braunhäutigen Krieger. Auch die letzten von ihnen wandten sich zur Flucht. Nach allen Seiten hetzten sie davon, brachen durch das Dickicht, platschten ins seichte Wasser des Sumpfes, suchten Schutz zwischen den mächtigen Luftwurzeln der Mangroven. Um die Gefangenen kümmerten sie sich nicht mehr. Die waren zweifellos mit dem Teufel im Bunde - beziehungsweise mit dem Wesen, das sich die Papuas als oberste Inkarnation des Bösen vorstellten. Binnen Minuten waren die Seewölfe ihre Fesseln los. Zwei Mann stützten Ferris Tucker, der sich nur schwach wehrte, weil er Wundfieber hatte und selbst wußte, daß er alles andere als sicher auf den Beinen war. Die anderen sahen mehr oder weniger mitgenommen aus, doch so ein paar Schrammen und Beulen pflegten sie mit links wegzustecken. Nur Big Old Shane mit seiner Platzwunde an der Stirn tappte etwas unsicher herum. Aber das lag nicht an seinem Brummschädel, sondern an dem inzwischen getrockneten Blut, das ihm über das Gesicht gelaufen war. Wild rieb er an seinen verklebten Augen herum, und der lange Stenmark packte ihn kurzerhand am Arm, um ihn in Richtung Strand zu ziehen.
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Von dort nahten in wilder Flucht die restlichen Papuas. Die Seewölfe hatten keinerlei Waffen außer Bob Greys kleinem Messer, die Eingeborenen dagegen Keulen und Langspeere - doch diesmal waren sie es, die von den Ereignissen überrascht wurden. Etwa auf halbem Wege stießen sie auf ihre gewesenen Gefangenen. Erschrocken prallten die braunhäutigen Krieger zurück, Über ihren Köpfen heulten und fauchten immer noch die Feuerwerkskörper und tauchten Land und Wasser abwechselnd in grünes, gelbes, rotes und blaues Licht. Die Papuas waren in Panik, völlig außer sich, und ehe sie auch nur begriffen hatten, daß die „weißen Teufel“ entflohen waren, schienen die Angreifer schon wie eine Woge über sie hinwegzufegen. „Arwenack!“ dröhnte es. Und noch einmal: „Arwenack! Ar-wenack!!“ Der donnernde Schlachtruf mischte sich mit dem Höllenlärm des Feuerwerks, der gleiche Schlachtruf antwortete aus der Gegenrichtung. In Sekundenschnelle wurden die Eingeborenen buchstäblich überrannt, ein halbes Dutzend Männer sank bewußtlos zu Boden, der Rest floh in alle Richtungen. Die Seewölfe liefen weiter, und zwei Minuten später stießen sie auf Ed Carberry, Pete Ballie, Blacky und Luke Morgan. „Alle noch heil und gesund, ihr Hundesöhne?“ röhrte der Profos. „Ferris hat's übel erwischt“, stieß der Seewolf durch die Zähne. „Was ist mit Old O'Flynn und dem Portugiesen?“ „Sind noch ganz!“ Carberrys Narbengesicht hatte sich verdüstert, er warf einen besorgten Blick zu Ferris Tucker hinüber. Der rothaarige Schiffszimmermann stiefelte verbissen vorwärts, aber er schwankte dabei und sah wirklich nicht gut aus. Zähneknirschend schwang Carberry herum, und während er wieder die Richtung zum Strand einschlug, stieß er wilde Verwünschungen aus, die in der Drohung gipfelten, mindestens einer
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Hundertschaft von Eingeborenen die Haut abzuziehen. Die Zwillinge schossen immer noch ihre Raketen ab und veranstalteten ein Feuerwerk, das seinesgleichen suchte. Sie hörten erst auf, als sie die Männer aus dem Dickicht auftauchen sahen. Blacky und Batuti liefen los, um den Jungen den Transport des Bronzegestells abzunehmen. Smoky, Carberry und Big Old Shane, der inzwischen wieder gut genug sehen konnte, wollten das Boot aus dem Versteck zwischen Schlingpflanzen und Palmenschößlingen ziehen – und standen Sekunden später fassungslos vor der unübersehbaren Schleifspur im Sand. „Das Boot!“ stieß Smoky hervor. „Palmeiro!“ brüllte der Profos. „Wo, zum Teufel, steckt dieser portugiesische Affenarsch?“ Hilo Palmeiro war verschwunden. Die Schleifspur sprach eine deutliche Sprache: der Portugiese hatte sich das Boot geschnappt, um damit das Weite zu suchen. Wahrscheinlich. weil er die „Dona Felipa“ irgendwo in der Nähe vermutete. Und weil er nach allem, was passiert war, wohl befürchtete, daß ihm die Männer der „Isabella` kurzerhand den Hals an der Rah lang ziehen würden. Der Seewolf knirschte mit den Zähnen. Eigene Schuld, dachte er erbittert. Schließlich war er es gewesen, der diesem verkappten Piraten die Neunschwänzige angedroht hatte. Jetzt hatten sie die Bescherung. Ein Beiboot weniger! Und dabei würden sie jedes Boot brauchen, wenn sie den Versuch unternahmen, die „Isabella“ zu krängen und ... Die „Isabella“! Hasards Blick war mechanisch zu der Galeone hinübergewandert, jetzt hielt er den Atem an. Das Schiff befand sich nicht mehr dort, wo es aufgebrummt war. Und es schwamm, kein Zweifel! Die Flut stand hoch, und vor allem mußte die Strömung den Sand der Untiefe in Bewegung gebracht haben. Jetzt dümpelte die „Isabella“ steuerlos auf dem Wasser, schwankend und torkelnd wie eine
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kranke Kuh, und Winddruck und Wellen trieben sie unaufhaltsam auf den Strand zu. Der Seewolf sog scharf die Luft durch die Zähne. Ein paar von den anderen folgten seiner Blickrichtung und zuckten erschrocken zusammen. Sam Roscill blinzelte, als traue er seinen Augen nicht. Dan O'Flynn fuhr sich mit allen fünf Fingern durch seinen flachsblonden Haarschopf. Edwin Carberry, der eiserne Profos, holte tief Luft, doch dann brüllte er ganz entgegen seiner Gewohnheit doch nicht los, sondern atmete wieder aus. „Siehst du, was ich sehe, Sir?“ fragte er überraschend leise. „Woher soll ich wissen, was du siehst?“ knurrte der Seewolf. „Ich für meinen Teil sehe, daß die ,Isabella' gleich auf Legerwall geworfen wird und daß uns nur noch verdammt wenig Zeit bleibt, um etwas dagegen zu unternehmen.“ 9. Das Beiboot war nicht mehr da, aber dafür ein ganzer Pulk Auslegerboote, die die Papuas nach dem geglückten Überfall auf die „Isabella“ wieder an der Westseite der Landzunge auf den Strand gezogen hatten. Die Seewölfe brauchten nur Minuten, um sie ins Wasser zu befördern. Ed Carberry feuerte die Männer an, fluchte in altbewährter Manier und drohte, die Haut von edlen Körperteilen abzuziehen und die Streifen an die Kombüse zu nageln. Normalerweise pflegte der Kutscher an diesem Punkt empört zu protestieren und den Profos aufzufordern, sich die Hautstreifen gefälligst auf den eigenen Hintern zu nageln, aber nicht an die Kombüse. Weil er, der Kutscher, nämlich keine Lust habe, in einer solchermaßen verzierten Kombüse zu. kochen — basta! Aber im Augenblick hatte er keine Zeit für sinnlose Wortgeplänkel, da er vollauf damit beschäftigt war, sich um Ferris Tucker zu kümmern, dessen Armwunde immer noch blutete und überhaupt nicht gut aussah.
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„Pullt, ihr Rübenschweine!“ brüllte der Profos. „Wollt ihr vielleicht gegen den dreimal verdammten Wind ankreuzen, bis unsere ,Isabella` endgültig festsitzt, he? Schnappt ihr euch jetzt die Riemen, oder soll ich euch die Hammelbeine so lang ziehen, daß ihr zu der alten Tante hinüberwaten könnt, was, wie?“ Die Riemen klatschten längst ins Wasser, wurden kraftvoll durchgeholt und trieben die Auslegerboote gegen den Wind nach Süden. Die „Isabella“ torkelte immer noch wie betrunken im Seegang. Selbst aus der Entfernung konnte man das jammervolle Ächzen und Stöhnen der Takelage hören, das Knirschen der Rahen und Blöcke, das vibrierende Singen der gestrafften Pardunen. Zum Glück war die Dünung nicht mehr übermäßig steil, sonst wäre die Galeone Gefahr gelaufen, sich die Masten aus dem Bauch zu schütteln. Angespannt starrten die Männer zu ihrem Schiff hinüber. Ein paar von ihnen verzogen die Gesichter, als bereite ihnen dieses Torkeln und Schwanken der steuerlosen Galeone körperliche Schmerzen. Jeden Augenblick erwarteten sie, das mahlende, reibende Geräusch zu hören, mit dem sich der Kiel erneut in den Sand einer Untiefe bohrte, aber diesmal stand offenbar das Glück auf der Seite der Seewölfe. Minuten später enterten sie über die Jakobsleiter auf. Der Profos brüllte immer noch, aber für die Crew waren in dieser Situation überhaupt keine Worte nötig. Pete Ballie flitzte ins Ruderhaus. Blitzartig hatten die Männer ihre Plätze an Brassen und Fallen eingenommen, und der Seewolf stand mit ein paar langen Sätzen auf dem Achterkastell. „Heißt Fock und Besan!“ dröhnte seine Stimme. „Klar zum Anbrassen! An den Wind mit dem Kahn!“ „Hoch mit dem Besan!“ nahm Carberrys wilder Baß den Befehl auf. „Hurtig-hurtig, die Fockgasten! Wollt ihr wohl anbrassen, ihr lahmen Säcke? Muß ich euch erst Feuer unter dem Hintern machen, was, wie?“
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Er fluchte noch, als das blitzartige, vorbildliche Manöver längst beendet war. Das Lateinersegel an der riesigen Gaffelrute blähte sich und schob das Heck der Galeone herum, die Fockrah wurde dicht geholt, die „Isabella“ luvte an und ging hoch an den Wind. Hasard preßte die Lippen zusammen und prüfte aus schmalen Augen den Stand der Segel. Sekunden der Spannung verstrichen, dann nahm die Galeone Fahrt auf, langsam zuerst, dann immer schneller, und hatte sich in der nächsten Minute freigesegelt. „Na also“, sagte Ben Brighton zufrieden. „Das ging ja gerade noch mal...“ „Wahrschau!“ schrie Bill aus dem Großmars. „Auslegerboote von achtern!“ Tatsächlich: die Papuas hatten - sich ermannt, nachdem das Krachen und Knattern des Feuerwerks verstummt war. Wahnsinnige Wut über die Flucht der Gefangenen trieb sie vorwärts, ihr Kriegsgeschrei tönte gellend über das Wasser. Aber sie hatten nur noch einen Teil ihrer Auslegerboote zur Verfügung, der Rest dümpelte verstreut in der Bucht und vor allem hatten sie es jetzt nicht mehr mit erschöpften, völlig überraschten Männern auf einem manövrierunfähigen Schiff zu tun. „Klar bei Heckdrehbassen!“ rief Hasard knapp. „Die ersten Kugeln vor den Bug!“ „Vor den Bug?“ fuhr Ed Carberry auf und schnitt ein grimmiges Gesicht. „Vor den Bug!“ bestätigte der Seewolf gelassen. „Wenn ich das richtig sehe, haben diese Menschen eine Menge auszustehen gehabt nämlich von Hilo Palmeiro und Konsorten. Sie wollten Rache und konnten nicht wissen, daß sie dabei an die Falschen gerieten. Noch Fragen, Mister Carberry?“ „Nein, Sir!“' knurrte der Profos. Und dann tobte er wieder los: „Klar hei Drehbassen, verdammt und zugenagelt! Al, du quergestreifter Decksaffe ...“ Ad Conroy zeigte klar. Mit der Drehbasse, pflegte die Crew zu behaupten, konnte der schwarzhaarige Stückmeister einer Fliege das Auge ausschießen. Das zweite Geschütz bediente
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der blonde Stenmark, der auch nicht gerade oft und nie weit danebenschoß. Beide peilten einen Punkt vor dem Bug des vordersten Bootes an, korrigierten die Zielrichtung und warteten, bis sie das knappe „Feuer!“ des Seewolfs hörten. Zwei Lunten wurden in zwei Zündpfannen . gedrückt, zwei Geschützrohre entluden sich donnernd und spuckten Feuer. Unmittelbar vor der Formation der Auslegerboote klatschten die Kugeln ins Wasser. So knapp, daß die beiden Fahrzeuge, die der Einschlagstelle am nächsten waren, spürbar angehoben wurden und fast aus dem Kurs liefen. Inzwischen hatte Al Conroy seine Waffe schon wieder schußbereit, und Stenmark schaffte es nur zwei Sekunden später. „Feuer!“ erklang die Stimme des Seewolfs. Zum zweiten Mal entluden sich die Bugdrehbassen — und diesmal zeitigten die Schüsse Wirkung. Nicht, daß sie Boote zu Kleinholz verarbeiteten. Aber die Einschläge lagen noch näher als vorher, überschütteten die braunhäutigen Krieger mit einer Gischtwolke, und die Papuas, eingedenk des verheerenden Blutbades, das die Kanonen der „Dona Felipa“ unter ihnen angerichtet hatten, sahen endgültig ein, daß sie keine Chance mehr hatten, ihre Gegner noch einmal zu überwältigen. Jemand schrie einen schrillen Befehl. In aller Hast wurden die Auslegerboote gewendet. Zwei, drei von ihnen schrammten sogar gegeneinander. Sekundenlang sah es so aus, als werde das entstehen, was der Seemann schlicht und prägnant als Wuhling bezeichnet, dann legten sich die Fahrzeuge platt vor den Wind und segelten wieder der Küste zu. „Na also“, wiederholte Ben Brighton. „Wetten, daß ihnen jetzt endgültig die Lust vergangen ist?“ fragte Dan O'Flynn. Der Seewolf nickte nur. „Setzt Blinde, Marssegel und Großsegel“, befahl er knapp. „Wir kreuzen nach Süden!“ Dabei enterte er bereits den Niedergang hinunter und steuerte das Schott zum
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Vorschiff an, um endlich nach dem verletzten Tucker zu sehen. * Capitan da Carrilho hätte das Blaue vom Himmel geflucht, wenn der Himmel blau gewesen wäre. Stattdessen glitzerten Myriaden von Sternen und spiegelten sich im dunklen Wasser. Die „Dona Felipa“ lag beigedreht in der langen Dünung. Ruderschaden! Und das, obwohl nur eine ganz normale, harmlose Brise wehte und die Galeone ganz gemächlich südwärts gekreuzt war, ohne daß man sie sonderlich hatte knüppeln müssen. Trotzdem Ruderschaden! Immerhin: die Sache war mit Bordmitteln zu beheben, soviel hatten sie bereits festgestellt. Nur dauerte das seine Zeit. Und nach Meinung des Capitans waren sie noch entschieden zu nah an der Küste von Neu-Guinea. Da Carrilho bereitete sich nicht die geringsten Gewissensbisse über das, was er und seine Leute den Papuas angetan hatten, aber er fürchtete deren Rache. Daß sich diese Rache inzwischen längst gegen andere Weiße gerichtet hatte, Engländer, die den Eingeborenen nichts Böses wollten, konnte der Portugiese nicht ahnen. Er war nervös, und seine Unruhe wuchs von Minute zu Minute. Immer wieder suchten seine Augen die Kimm ab, glitten über das schwarze, vom verschwimmenden Spiegelbild der Sterne gleißende Wasser, glaubten ständig, irgendwo die Umrisse von Auslegerbooten zu sehen: Ab und zu rief er den Ausguck im Großmars an, um sich zu überzeugen, daß der Bursche nicht etwa schlief. Und der Profos der „Dona Felipa“, von den gleichen Befürchtungen geplagt wie sein Kapitän, zischte Flüche und bedrohte seine Leute mit allen Höllenstrafen, wenn sie nicht spurten. Die Männer schufteten wie wild — bei diesem verlotterten Haufen durchaus nicht die Regel, sondern eine große Ausnahme.
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Vier Stunden hatte es gedauert. Stunden, in denen die Eingeborenen durchaus in der Lage gewesen wären, die „Dona Felipa“ einzuholen. Falls sie es versuchten! Sie konnten von dem Ruderschaden schließlich nichts ahnen, das war der Gedanke, mit dem da Carrilho sich immer wieder beruhigte. „Senor Castri!“ fauchte er seinen Ersten an. „Wie lange, zum Teufel, soll das denn jetzt noch ...“ Die Stimme des Profos, der den erfolgreichen Abschluß der Reparatur meldete, unterbrach ihn. Keuchend, verschwitzt und erleichtert enterten die Männer wieder an Deck. Da Carrilho grinste. Jetzt, da er sicher war, wieder manövrieren, Fahrt laufen und jeden Gegner abhängen zu können, hatte er es plötzlich gar nicht mehr so eilig. Der Ausguck würde bestimmt nicht einschlafen, weil er wußte, daß der Capitan ihn dann gnadenlos kielholen lassen würde. Sie hatten eine Menge Plackerei und Aufregung hinter sich. Das Ganze war überdies nicht einmal lohnend gewesen, also konnte man jetzt getrost etwas zur Hebung der allgemeinen Stimmung tun. Capitan da Carrilho atmete tief durch. „Rum für alle“, ordnete er an. „Laß die Wachen verdoppeln, Castri! Wir segeln erst morgen früh-weiter.“ * Dicht unter Land glitten die Auslegerboote dahin. Auf Süd-Südwest-Kurs mußten sie hoch am Wind segeln, doch die Papuas konnten mit ihren Fahrzeugen nicht weniger gut und geschickt umgehen als die Weißen mit ihren Großseglern. Natürlich waren sie längst nicht so schnell wie eine Galeone. Aber dafür kannten sie sich hier aus, und wenn die verhaßten „weißen Teufel“ nicht geradewegs und ohne Aufenthalt nach Süden flüchteten, mochte es immer noch eine Chance geben, sie wieder zu sichten. Die Papua-Krieger gaben nicht auf.
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Zu groß war ihr Haß. Zu brutal hatten die Piraten der „Dona Felipa“ unter ihnen gewütet. Verbissen jagten die Eingeborenen ihre kleine Flotte an der Küste entlang. Dabei erreichten sie ein wesentlich höheres Tempo, als es Hilo Palmeiro, der als Seemann ohnehin ziemlich mittelmäßig war, mit dem gestohlenen Beiboot der „Isabella“ schaffte. An den Portugiesen, den sie schon als sicheres Opfer gesehen hatten, dachten die Papuas allerdings nicht. Ihnen ging es darum, die Straße zwischen Neu-Guinea und dem riesigen Kontinent im Süden zu erreichen - eher zu erreichen als die Galeone der verhaßten „weißen Teufel“. Fast alle fremden Schiffe – falls sich überhaupt einmal welche hierher verirrten - segelten durch jene Straße, um die Inselwelt im Nordwesten zu erreichen. Dort konnte man vielleicht noch einmal angreifen. Ein selbstmörderischer Angriff auf einen überlegenen, Gegner, aber das änderte nichts daran, daß das vergossene Blut Rache forderte. An der Spitze der kleinen Flotte erklang ein leiser, kehliger Ruf und ließ die Krieger aufhorchen. Arme wurden geschwenkt, aufgeregte Worte flogen hin und her. Der Anführer der Herde spähte aufmerksam nach Süden, und nach ein paar Sekunden begannen seine schwarzen, tiefliegenden Augen triumphierend zu glimmen. Er hatte scharfe Augen, Augen, die es gewohnt waren, die Schwärze der Wildnis zu durchdringen, die auch jetzt, in der klaren, vom Mondlicht erhellten Tropennacht mehr sahen, als ein Europäer es vermochte. Zuerst nur einen blassen Flecken. Dann schälten sich Umrisse heraus - die Umrisse eines kleinen Segels. Drei, vier Minuten vergingen, und jetzt konnte der Anführer der Papua-Horde deutlich das Boot erkennen, das gegen den Wind kreuzte. Eine winzige Nußschale. Bemannt mit einer einzigen dunklen Gestalt, die sich weit auf der mittleren
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Ducht zurückgelehnt hatte, um Pinne und Segel gleichzeitig zu bedienen. Die Gestalt eines Weißen! Nicht groß, nicht besonders kräftig - ein hagerer, drahtiger Bursche. Aus der Entfernung konnten die Eingeborenen nicht erkennen, wen sie vor sich hatten, doch es genügte ihnen, zu wissen, daß es einer der verhaßten „weißen Teufel“ war. Der Anführer hob den Arm. Vorwärts, hieß diese Geste, und im nächsten Moment wechselten die Auslegerboote mit gespenstischer Lautlosigkeit den Kurs und glitten auf die winzige Nußschale zu, mit der Hilo Palmeiro nach Süden floh. 10. „Nimm doch die Flossen von meinem Verdammten Arm, du Kombüsenwanze!“ knurrte Ferris Tucker. Der Kutscher fauchte empört. Sein Patient kauerte auf dem Rand der Koje, schüttelte seinen roten Haarschopf und dachte nicht daran, sich lang zu legen. Dabei glühte er vor Fieber, und der provisorische Verband, den der Kutscher noch an Land angelegt hatte, war schon wieder durchgeblutet. Blacky und Smoky, die den hünenhaften Schiffzimmermann ins Logis bugsiert hatten, unterhielten sich mit ingrimmigen Gesichtern darüber, was man nach Fug und Recht mit „verdammten Mistkerlen“ tun müsse, die offenbar dämlich oder heimtückisch genug seien, um ihre Speere nicht sauber zu halten, falls sie die Spitzen nicht sowieso vergiftet hatten. „Loslassen, du Heringsbändiger!“ grollte Ferris Tucker, den der Fiebernebel in seinem Gehirn nicht gerade friedlicher stimmte. „Halt still, du rothaariger Riesenaffe!“ giftete der Kutscher. „Kommst du jetzt zur Vernunft, oder muß ich dir erst mit meiner Bratpfanne den Schädel weich klopfen, he?“ „Versuch's mal! Dich ramme ich unangespitzt durch die Decksplanken! Dann kannst du meinetwegen vierkant auf dem Kielschwein reiten und ...“
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Der Seewolf, der vor einigen Sekunden im Schott erschienen war, betrachtete kopfschüttelnd die Szene. „Ferris“, sagte er sanft. „Der Kutscher ist der Feldscher an Bord. Du wirst dich gefälligst nach seinen Anweisungen richten, klar?“ „Verdammt, ich laß mich doch nicht ...“ „Das ist ein Befehl, Ferris“, sagte Hasard. Immer noch sanft. Aber jetzt war es jene besondere Art von Sanftheit, bei der auch ein fiebernder und etwas durcheinander geratener Mann begriff, daß man besser den Kopf einzog. „Sir?“ „Ich sagte, das ist ein Befehl! Also halt jetzt still, oder du kannst deine Blessuren in der Vorpiek auskurieren, verstanden?“ „Aye, aye, Sir! Alles verstanden! Geht klar, Sir ...“ Tuckers Stimme klang etwas schleppend und nicht mehr ganz sicher. Das lag einerseits am Fieber, andererseits aber sicher auch an der Dosis Rum, die er sich aus medizinischen Gründen einverleibt hatte — ganz freiwillig, versteht sich, und ohne jeden Protest. Der Kutscher verdrehte die Augen, seufzte abgrundtief, als laste aller Unbill der Welt auf seinen Schultern, und ging daran, den Notverband vom Oberarm des Schiffszimmermanns abzuwickeln. Eine tiefe Fleischwunde erschien. Immer noch sickerte Blut über den Arm, die Umgebung der Verletzung war gerötet und verschwollen. Der Kutscher zog die Unterlippe zwischen die Zähne. „Der Knochen ist nicht in Mitleidenschaft gezogen“, stellte er fest. „Das hab ich schon vorher untersucht. Aber wenn ich mir die Schweinerei so ansehe — das werden wir ausbrennen müssen, fürchte ich.“ „Eh?“ fragte Ferris Tucker. „Was Willst du Kakerlaken-Jäger verbrennen? Verdammt, wenn mir noch einer an Bord mit Feuer spielt, zieh ich ihm die Haut in ganz kleinen Streifen ...“ „Trink noch einen“, sagte der Kutscher trocken und drückte seinem Patienten die Rumflasche in die Hand.
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Der ließ sich das natürlich nicht zweimal sagen. Um die Buddel an den Mund zu setzen, genügte Ferris Tucker die Linke. Es gluckerte. Und gluckerte. Danach war der Pegel in der Flasche erheblich gesunken, und Ferris kriegte glasige Augen. „Ich — also ich glaub, heute ist Weihnachten“, murmelte er mit schwerer Zunge. „O Mann!“ stöhnte Blacky. „Jetzt kann er schon keinen ehrlichen Schluck mehr vertragen, ohne irre zu reden.“ „Das liegt am Fieber“, sagte der Kutscher ernst. „Blacky, hol noch eine Flasche. Wir werden ihn vollschütten bis zum Kragen. Dann brauche ich ein Kohlenbecken. Und das breiteste Entermesser, das wir haben. Und ein paar Mann, die ihn festhalten.“ Blacky flitzte. Smoky kratzte sich am Kopf und wandte sich ebenfalls ah. Hasard warf dem Kutscher einen Blick zu, und der zuckte mit den Schultern. „Er kommt wieder in Ordnung“, versicherte er. „Aber wir müssen die Wunde gründlich ausbrennen. Natürlich wird das höllisch wehtun.“ „Was du nicht sagst“, knurrte der Seewolf. „Verdammt, ich ...“ Er unterbrach sich, weil Blacky schon wieder zurück war. Ferris Tucker grinste selig, als ihm die zweite Rumflasche in die Hand gedrückt wurde. Zwar wußte er nicht mehr so ganz genau, ob er nun Geburtstag hatte oder ob auf der „Isabella“ alle verrückt geworden waren, aber angesichts einer gut gefüllten Rumbuddel war das schließlich eine Frage von zweitrangiger Bedeutung. Ferris Tucker soff. Smoky kehrte mit einem Kessel voller glühender Kohlen zurück, und hinter ihm drängten sich Ed Carberry, Big Old Shane und Batuti durch das Schott. Schweigend sahen sie zu, wie die Klinge des Entermessers ausgeglüht wurde. Ferris Tucker hatte auch den Pegel der zweiten Flasche deutlich gesenkt und begann, von den guten alten Zeiten in der „Bloody Mary“ zu schwärmen. Beim
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nächsten Mal, schwor er, werde er dem fetten Nathaniel Plymson seine eigene Perücke zu fressen geben. „Aber klar“, meinte Smoky, klopfte ihm auf die gesunde Schulter und ermunterte ihn, doch endlich die Flasche vollends zu lenzen. Ferris Tucker lenzte. Danach stimmte er eine Ballade über eine gewisse Lucinda an, die demnach ein ganz böses Luder sein mußte, das dem Seemann den letzten Penny Heuer aus der Tasche zog. Die Klinge des Entermessers war inzwischen weißglühend. Ed Carberry und Batuti packten Ferris Tuckers Arme, Blacky und Smoky schnappten sich seine Beine, Big Old Shane hielt von hinten seinen Kopf fest, und der Kutscher ging bleich, aber entschlossen ans Werk. Ferris Tucker konnte nur noch lallen, aber das hieß natürlich nicht, daß er nichts gespürt hätte, als sich die weißglühende Klinge in sein Fleisch preßte. Er brüllte Flüche, bäumte sich auf und konnte nur mit Mühe gebändigt werden. Das Bewußtsein verlor er nicht, dazu war er trotz Fieber und Rum zu hartgesotten. So ganz kriegte er ohnehin nicht mit, was mit ihm geschah. Nur daß der Kutscher ihn ganz gemein malträtierte, begriff er — und die Drohungen, die er ausstieß, klangen wahrhaft fürchterlich. Fünf Minuten später trug er einen festen Verband am Arm, lag in der Koje und brummelte mit halbgeschlossenen Augen das Lied von Lucinda, dem Luder, vor sich hin. Der Kutscher wischte sich den Schweiß von der Stirn. „In ein paar Tagen ist er wieder auf den Beinen“, versprach er. „Und jetzt will ich mal nach den anderen sehen. Es hat ja 'ne Menge Schrammen und Beulen gehagelt. Big Old Shane ...“ „Von mir läßt du die Finger“, sagte der graubärtige Riese, der die Platzwunde an seiner Stirn längst eigenhändig einer Salzwasserbehandlung unterzogen hatte. „Von mir auch!“ erklärte Blacky und wandte sich dem Schott zu. Die anderen
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schlossen sich an. Kopfschüttelnd folgte ihnen der Kutscher. Hasard lächelte matt und klopfte ihm auf die Schulter. „Ein Schluck Rum und eine anständige Mahlzeit dürften jetzt die beste Medizin sein“, meinte er. „Ich denke ...“ Der Kutscher erfuhr nicht mehr, was Hasard dachte. Sie waren auf die Kuhl getreten. Und dort hörten sie gerade noch den letzten Teil von Bills aufgeregter Meldung aus dem Großmars. „... genau voraus! Ein DutzendKatamarane nähert sich dem Boot. Die Galeone hat beigedreht, soviel ich sehe.“ „Welche Galeone, zum Teufel?“ fragte der Seewolf ziemlich erschüttert. „Keine Ahnung, Sir! Aber ich kann unser Beiboot erkennen. Palmeiro sitzt drin! Und die Eingeborenen wollen ihm an den Kragen!“ „Geschütze klarmachen! Kurs halten, Pete!“ Hasards Stimme klang knapp und hart. Mit wenigen Schritten erreichte er das Achterkastell und enterte ein Stück in die Besanwanten. Gespannt spähte er durch das Spektiv und schwenkte langsam die Wasserfläche ab. Der Morgen graute bereits, und die Sicht hatte sich gebessert. Deutlich konnte der Seewolf die Mastspitzen der beigedrehten Galeone über der Kimm erkennen. Die „Dona Felipa“? Vermutlich. Und zwischen ihr und der „Isabella“ eine winzige Nußschale: das Beiboot, das Hilo Palmeiro gestohlen hatte. Falls es sich bei der Galeone im Süden tatsächlich um die „Dona Felipa“ handelte, hatte der Portugiese sein Ziel beinahe erreicht. Beinahe! Eine Chance hatte er nicht mehr. Buchstäblich im letzten Moment waren seine Hoffnungen zerschellt. Er hatte die Rettung vor Augen, doch die Gefahr war näher, die Verfolger saßen ihm bereits im Nacken. . Ein Dutzend Auslegerboote! Pfeilschnell glitten die Fahrzeuge heran, voll gepackt mit wilden braunhäutigen Gestalten, die ihre Speere schwangen. Gellendes Kriegsgeschrei schallte über das
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Wasser. Nur noch zwei, drei Schiffslängen trennten die Jäger von ihrem Opfer, und der Seewolf wußte, daß die „Isabella“ auf jeden Fall zu spät kommen würde. Trotzdem versuchte er es. „Anluven!“ befahl er scharf. „Wir gehen über Stag und laufen auf sie zu. Klar bei Bugdrehbasse! Al, du wirst ballern, was das Zeug hält! Vielleicht gelingt es uns doch noch, sie in die Flucht zu schlagen.“ * Hilo Palmeiro klebte der kalte Schweiß am Körper. Er war allein, unbewaffnet, dem Tod geweiht. Mit brennenden Augen starrte er dorthin, wo die beigedrehte Galeone lag. Aus seiner Position sah er nur drei stecknadeldünne Striche über der Kimm: Mastspitzen. Im ersten Grau des heraufdämmernden Morgens hatte er sie entdeckt — wesentlich eher als die Auslegerboote, die sich ihm von NordNordwesten näherten. Jetzt waren sie fast heran. Palmeiros Faust umklammerte die Pinne. seine Augen blickten gehetzt umher und suchten einen Ausweg, der nicht existierte. Wäre er doch nur auf der „Isabella“ geblieben! Vielleicht hätten sie ihn doch nicht gehängt! Vielleicht wäre er mit dem Leben davongekommen, vielleicht... Palmeiros Zähne klapperten. Er mußte sich wehren, mußte versuchen zu kämpfen, damit er wenigstens einen schnellen Tod fand. Alles, nur nicht noch einmal zwischen die Pflöcke am Strand gefesselt werden! Seine Ohren dröhnten. Das schrille Kriegsgeschrei bohrte sich in sein Hirn wie ein glühendes Messer. Und dann, als die Auslegerboote fast heran waren, krachte irgendwo hinter ihm plötzlich ein, Schuß. Palmeiro fuhr herum - und erstarrte. Die „Isabella“! Hart am Wind über Backbordbug segelte sie von Norden heran. Ihre vordere Drehbasse war es, die gefeuert hatte. Noch war die Entfernung viel zu groß für einen
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Treffer, aber das triumphierende Geschrei der Papuas verwandelte sich jäh in ein schrilles Heulen des Schreckens und der Wut. Wieder krachte es. Rauch wölkte vor dem Bug der „Isabella“, eine lange Feuerzunge leckte durch die Dämmerung. Eine Gischtfontäne spritzte, als die Kugel wirkungslos ins Wasser klatschte. Hilo Palmeiro beobachtete die rasch aufsegelnde Galeone, zitterte, fluchte und betete abwechselnd - und bemerkte nicht, daß die haßerfüllten Eingeborenen mit ihren Speeren ausholten. Als er den Luftzug spürte, war es zu spät. Eine der Waffen glitt dicht an ihm vorbei und bohrte sich ins Segel des Bootes. Palmeiro zuckte zusammen, fuhr herum und sah gerade noch den mörderischen Langspeer auf sich zusausen. Das Opfer kam nicht einmal mehr dazu, einen Schrei auszustoßen. Die Speerspitze bohrte sich in seine Brust. Er bäumte sich auf, wurde zurückgeschleudert, kippte über das Dollbord, und Sekunden später schlugen die schwarzen Wogen über ihm zusammen. * Die Seewölfe konnten nichts tun. Sie sahen, wie Hilo Palmeiro getroffen wurde, tödlich getroffen. und sie sahen ihn gleich einem Stein im Wasser versinken. Das Beiboot war quergeschlagen und tanzte mit durchbohrtem Segel in der Dünung. Zwei, drei Sekunden lang starrten die Papuas drohend zur „Isabella“ herüber, dann wendeten sie ihre Boote und machten sich mit halbem Wind eilig nach Westen in Richtung auf die Küste davon. Ein paar von den Männern juckte es mächtig in den Fingern, die Verfolgung aufzunehmen. Aber Hasard fand, daß sie keinen Grund hatten, Hilo Palmeiro zu rächen, schon gar nicht, indem sie sich auf einen hoffnungslos unterlegenen Gegner stürzten. Die „Isabella“ drehte bei, die
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Männer hievten das Beiboot an Bord, dann nahmen sie wieder Fahrt auf. „Galeone setzt Segel!“ meldete Bill aus dem Großmars. Und Minuten später: „Die legen sich platt vor den Wind! Wie es aussieht, werden sie unseren Kurs kreuzen.“ „Beobachte sie weiter! Ich will jede Änderung sofort gemeldet haben.“ „Aye, aye, Sir.“ Eine Viertelstunde verging, dann klang seine Stimme wieder zur Kuhl hinunter. „Deck! Galeone führt die portugiesische Flagge. Sie ziehen die Stückpforten auf!“ „Klar Schiff zum Gefecht! Alle Geschütze bemannen!“ „Geschütze klarmachen!“ donnerte Carberry. „Schneller, ihr Säcke! Mannt Kugeln und Kartuschen! Klar bei Lunten! Hopp-hopp, ihr Rübenschweine, oder glaubt ihr, heute sei Weihnachten?“ „Frage Kurs?“ tönte Pete Ballies gelassene Stimme. „So bleiben, Pete! Wahrscheinlich wollen sie an unserer Backbordseite vorbeischeren, um die Luvposition zu halten. Dem kommen wir zuvor, indem wir in letzter Sekunde blitzartig über Stag gehen und ihnen sämtliche Segel in Fetzen schießen, klar?“ „Aye, aye, Sir“, bestätigte Pete Ballie. „Aye, aye“, sagte Al Conroy, der wie ein unruhiger Geist um die Geschütze herumstrich und jede Kleinigkeit mit Argusaugen kontrollierte. „Anschließend werden die Steuerbordkanonen mit Kettenkugeln geladen“, fuhr Hasard fort. „Acht Löcher in der Wasserlinie wären vielleicht effektvoller, aber abrasierte Masten dürften auch genügen. Ich habe nämlich keine Lust, das Piratengesindel anschließend auch noch aus dem Wasser zu fischen.“ „Du glaubst, daß es die ,Dona Felipa` ist?“ ließ sich Ben Brighton vernehmen. „Was sonst? Ist das hier vielleicht der Ärmel-Kanal, oder wie?“ „Aye, aye.“ Ben grinste. „Wenn die so verrückt sind, wirklich anzugreifen ...“ Sie waren so verrückt.
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Capitan da Carrilho tat genau das, was der Seewolf vorausgesehen hatte: er luvte an, um an der Backbordseite der „Isabella“ vorbeizuscheren und die Luvposition zu gewinnen. Aber die ranke Galeone mit den überlangen Masten war schneller, obwohl die „Dona Felipa“ raumschots heranrauschte. In einem blitzartigen Manöver ging die „Isabella“ über Stag. Längst waren die Stückpforten geöffnet – und in der nächsten Sekunde krachte bereits die Breitseite. Auf der „Dona Felipa“ boten die Segel an den fast vierkant gebraßten Rahen ein erfreulich großes Ziel. Schwarzgeränderte Löcher klafften plötzlich in dem Tuch. Lange Risse bildeten sich, die Blinde flatterte wie ein alter Bettsack, Großsegel, Marssegel und Fock begannen zu killen. Die Galeone lief aus dem Kurs, und auf der „Isabella“ wurden bereits fieberhaft die Steuerbordkanonen nachgeladen. Der Winddruck, der die „Dona Felipa“ etwas nach Backbord vertrieb, tat ein übriges, um das Schicksal der Piraten zu besiegeln.
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Sie schafften es noch, eine Breitseite abzufeuern, doch die Wirkung war gleich Null: nur das Wasser wurde aufgewühlt. Die Culverinen der „Isabella“ dagegen verfügten über eine etwas größere Reichweite. „Feuer!“ befahl der Seewolf, und schon entluden sich donnernd die Geschütze und jagten die schweren Kettenkugeln in die Takelage des Gegners. Masten knickten wie Streichhölzer, Rahen krachten an. Deck, das zerfetzte Großsegel begrub das Vorschiff wie unter einem Leichentuch. Der Stumpf des halbierten Fockmastes würde allenfalls noch eine Notbeseglung tragen. Irgendwelche Anstalten, noch einmal zu feuern, machten die Piraten nicht mehr. Die Lust zum Angriff auf die „Isabella“ war ihnen gründlich vergangen — und vermutlich auch die Lust an weiteren Überfällen auf die Eingeborenen. Die „Dona Felipa“ blieb als halbes Wrack achteraus. Hasard glaubte sogar, das Wutgebrüll der Piraten zu hören, aber er konnte für die Burschen nicht das geringste Mitgefühl aufbringen...
ENDE