J.A.Garrett
Band 30
Im Banne der Singenden Fäden Die Erde stürzte zwischen die Fronten des großen Galaktischen Kriege...
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J.A.Garrett
Band 30
Im Banne der Singenden Fäden Die Erde stürzte zwischen die Fronten des großen Galaktischen Krieges, als die Orathonen und die Laktonen im Jahre 1992 in das Terra-System eindrangen. Unser Planet geriet in den Strudel machtpolitischer Auseinandersetzungen, ob er wollte oder nicht. Eine Erfindung, die zunächst einmal niemand übermäßig beachtete, ließ die Erde zu einem der wichtigsten Brennpunkte des sternenweiten Kampfes werden. Der terranische Wissenschaftler Walter Beckett, der bei der Invasion der Laktonen starb, hinterließ der Erde ein gefährliches Erbe - Becon. Die Laktonen, die zunächst als die Freunde Terras galten, lassen die Maske fallen, als sie die besonderen Eigenschaften des Becons begreifen. Becon ist zum kriegsentscheidenden Material geworden. Raumschiffe, die mit diesem Material gepanzert werden, können nicht mehr zerstört werden. Männer, deren Hirn mit Becon verbunden wird, werden zu unüberwindbaren Kämpfern. Mit allen Mitteln kämpfen die Laktonen um die geheimen Formeln. Doch an der Spitze der Menschheit steht ein Mann, der nicht gewillt ist, auch
nur einen der Vorteile der Erde ohne Gegenleistung preiszugeben - Rex Corda. Der Präsident der Erde kämpft um die Freiheit der Terraner. Er bietet den galaktischen Giganten die Stirn -und hat Erfolg. Als die Orathonen über die Erde herfallen, verbündet sich Rex Corda mit den Laktonen und vertreibt die Orathonen. Als die Laktonen die Erde um die zugesagte Gegenleistung betrügen, als sie versuchen, die wissenschaftliche Entwicklung auf der Erde abzuwürgen, kontert Rex Corda, indem er den Laktonen einige der hervorragendsten Wissenschaftler entreißt. Doch der Kampf Rex Cordas scheint vergeblich gewesen zu sein - die Erfindung Walter Becketts beschwört das Chaos in der Galaxis herauf. Sigam Agelon, der mächtige Orathone, will die galaktische Ordnung zerschlagen, um sich zum Herrscher über alle Völker der Galaxis aufzuschwingen. Sigam Agelon will die „Zeitlosen" vernichten. Becon, die Erfindung unserer Erde könnte ihn dazu befähigen. Deshalb zögert Rex Corda keine Sekunde, als ihn ein Hilferuf aus der Tiefe der Galaxis erreicht.
Die wichtigsten Personen: Rex Corda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oberbefehlshaber der „Walter Beckett" John Haick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . sein Freund Fan Kar Kont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spitzenwissenschaftler Tsati Mutara . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gefangener der Orathonen Sigam Agelon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . machtlüsterner Orathone
Er hatte keinen Körper mehr. Und dennoch mußte er leiden. Er litt wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Fred Matson — der „Stein". Sie versuchten durch das „Loch" zu kommen. Die „Zeitlosen" wollten zurück. Immer und immer wieder warfen sie „Schalmirane" nach vorn. Die superstarken Antriebsaggregate rissen die Raumfestung in den Sog der Schwarzen Sterne. Doch Matson wehrte sich. Er wehrte sich verzweifelt. Seine Existenz stand auf dem Spiel. Ständig verbrauchte er ungeheuere Energiemengen. In seiner unmittelbaren Nähe befand sich eine Sonne. Ein roter Riese mit dem 36fachen Durchmesser der terranischen Sonne. Von dort schöpfte er die Kraft, um sich zu erhalten. Ein Vibrieren ging durch den grauweißen, knapp einen halben Meter großen Körper. Matson kämpfte. Ein bläuliches Flimmern hüllte ihn ein. Das hohe energetische Potential, das er sich schaffte, hielt ihn noch am Leben. Er wußte nicht, wie lange er die furchtbaren Qualen noch erdulden konnte. Ein ungeheueres Ächzen ging durch die Riesenhallen der Raumfestung. Die gewaltigen militärischen Superanlagen schienen unter dem Druck der erneuten Beschleunigung zu zerbrechen. Der vierschichtige Schutzschirm „Schalmiranes" hatte die Farbe gewechselt. Er glühte in einem flammenden Rot. Wie in einer überdimensionalen roten Seifenblase stürmte die Raumfestung unter der Führung der sieben „Zeitlosen" auf das „Loch" zwischen den Sternen zu. Auch die „Zeitlosen" fühlten die Kraft, die von Matson ausging. Auch sie kämpften, auch sie waren verzweifelt.
Sie wollten zurück. Doch der „Stein" hinderte sie daran. Sie wußten nicht mehr, wie lange sie schon kämpften. Sie waren unsterblich, ihnen gehörte die Ewigkeit. Doch der Kampf mit Matson kam ihnen bereits wie eine kleine Ewigkeit vor. In ihren Gesichtern stand die Anstrengung zu lesen. Und die Angst. Sie erkannten, woher der „Stein" die Kraft schöpfte, gegen „Schalmirane" und den Sog der Schwarzen Sterne anzukämpfen. Matson holte sie sich von dem roten Riesen, jener Sonne, die genau 1,5 Lichtjahre vom Zentrum des „Pentagramms der Schwarzen Sterne" entfernt lag. Der Mutant konnte nicht wissen, daß er damit eine kosmische Katastrophe ungeheueren Ausmaßes auslösen konnte. Der Energiehaushalt dieser roten Sonne durfte nicht angetastet werden. Das „Pentagramm der Schwarzen Sterne" mußte zusammenbrechen, wenn von dem roten Riesen weiterhin so riesige Energiemengen absorbiert wurden. Schweiß strömte über die Gesichter der „Zeitlosen". „Er bedroht uns alle", sagte Enlo. Durch seine hohe Stirn lief ein Zucken. Die leuchtenden Farben auf seinen Augenlidern wurden intensiver. Die dunklen Augen waren auf die flackernden Kontrollen gerichtet. Einer der „Zeitlosen" fuhr wie unter einem Peitschenschlag zusammen. Er saß vor einem breiten Schalttisch und seine schmalen Finger hasteten wie selbständige Lebewesen über die Bedienungselemente. „Er schöpft abermals Energie", entrang es sich seinen Lippen. In dem ausdrucksstarken Gesicht malte sich das
Entsetzen ab. Sie alle in der Wachstation wußten, welche Gefahr dem „Pentagramm" drohte. Und wieder handelten die Männer in den unterirdisch angelegten Hallen. Die Zapfstationen wurden aktiviert. Sie holten die Energie, die dem roten Riesen verlorenging, von einer Sonne, die genau in einer geraden Linie hinter dem bedrohten Fixstern lag. Die Sonne Noki-Som. Ein Unterriese vom Typ F. Unsichtbare Kraftströme rasten durch das Universum, wurden dem roten Riesen zugeführt, der die wichtigste Stütze der fünf erloschenen Sonnen war. Die „Zeitlosen" hielten den Atem an. Wieder war es ihnen gelungen, das Furchtbare hinauszuzögern. Wie lange noch? Matson wurde zur tödlichen Gefahr für die Galaxis. Ein befreiendes Aufatmen ging durch die Reihen der sieben weißhaarigen Gestalten, als die Kontrollichter wieder in einem intensiven Grün erstrahlten. Sie hatten es geschafft, den Energieverlust des roten Riesen abermals auszugleichen. Doch der ständige Kampf mit dem „Stein" zehrte an ihren Kräften, hielt sie von wichtigeren Dingen ab. Sie mußten zurück. Seit vielen hunderttausend Jahren waren sie der Heimat fern. Sie galten als Verschollene. Einst schwebte „Schalmirane" am Rande der Galaxis, um vor dem „eisigen Feind" aus der Nachbargalaxis zu warnen. Ein Energieschock hatte die Raumfestung tief in die Galaxis geschleudert und schließlich in das Schwerefeld einer Sonne getrieben. Rex Corda hatte die entscheidende Handlung vorgenommen und die „Zeitlosen" aus dem Bann der lebenserhaltenden Energiekammern befreit. „Schalmirane" hatte die Möglichkeit zur Rückkehr ins System der Schwarzen Sterne erhalten.
So dicht vor dem Ziel mußten die sieben Wissenschaftler nun erkennen, daß ihnen der Weg in die Heimat versperrt blieb. Fred Matson — der „Stein" — paßte nicht durch das „Loch". Die besonderen Erscheinungen, die zu einer Raumtorsion innerhalb der fünf erloschenen Sonnen führten, und die starken Ausstrahlungen des gewaltigen Energiepotentials des Mutanten, stießen sich ab. „Wir versuchen es noch einmal", sagte Enlo. Er gab seiner Stimme einen festen Klang. Doch in seinem Innern tobten Unruhe und Verzweiflung. Er gab den Befehl zur abermaligen Beschleunigung. Auf den Bildschirmen verfolgten sie schweigend die Szene. „Schalmirane" wurde wie von der Faust eines Titanen in den Mittelpunkt der fünf erloschenen Sonnen hineingeworfen. Ein ungeheurer Sog packte die Raumfestung, wirbelte sie in das „Auge", das im Zentrum des Pentagramms leuchtete. Die unerhörte Beschleunigung schien den Planetoiden auseinanderzureißen. Da wurden die Gegenkräfte wirksam. Die rasende Geschwindigkeit wurde rapide gebremst. Die Schutzschirme über „Schalmirane" flackerten, wurden für den Bruchteil eines Augenblicks wie ein Hauch, nahmen dann wieder das flammende Rot an. Eine volle Sekunde lang stand „Schalmirane" völlig bewegungslos, dann wurden die Rückzerrkräfte Matsons wirksam. Die Raumfestung schnellte zum Ausgangspunkt zurück. Die Männer in den unterirdischen Hallen stöhnten. „Wir schaffen es nie", preßte einer hervor. Seine leuchtenden Augenlider zuckten. In den schwarzen Augen stand die Verzweiflung zu lesen.
„Es gibt nur eine Möglichkeit", machte Enlo sich wenig später bemerkbar. „Wir müssen ihn loswerden. Der ,Stein' muß von ,Schalmirane' verschwinden." * Sigam Agelon schreckte hoch. Er hatte sich in seine Privatkabine zurückgezogen. Den Kommandanten der „Lynthos" hatte er beauftragt, ihn nur im besonderen Fall auf die Kommandobrücke zu rufen. Er preßte die Augen zusammen. Seltsam. Er hatte das Bedürfnis gehabt, sich für ein paar Stunden von allem Treiben an Bord zurückzuziehen. Ob dieser Zustand mit der Operation zusammenhing, die er an sich hatte vornehmen lassen? Er erhob sich von dem Lager. Er fühlte sich frisch und in bester Verfassung. Er nahm ein Glas zur Hand, um sich etwas zu trinken einzugießen. Zwischen beiden Fingern zersprang das Glas. Sigam Agelon betrachtete sich seine Hand. Er hatte nicht einmal sonderlich fest zugepackt — und doch war das Glas zersprungen. Er mußte noch lernen, mit seinen neuen Kräften richtig umzugehen. Abwesend schnippte er die restlichen Glassplitter von den Fingern. Er hatte nicht die kleinste Schnittwunde davongetragen. Da hörte er den gellenden Aufschrei vor seiner Kabinentür. Sigam warf seinen Körper herum, stürzte zur Tür, als im gleichen Augenblick der Holograf in seiner Kabine aufflammte. Cort Kosta, Sigam Agelons engster Vertrauter, schien mitten im Raum zu stehen.
Die Tür war spaltbreit geöffnet. Sigam Agelon warf einen Blick auf den Schirm. Auf dem grünen Gesicht Kostas glänzte der Schweiß. „Die ,Nadel'. Sie macht sich wieder bemerkbar." Sigam Agelon kniff die Augen zusammen. Cort Kosta hatte die Worte mit verzerrtem Gesicht gesprochen. Seine Mundwinkel zuckten. Er schien unter starken Schmerzen zu leiden. Sigam Agelon wandte sich von der halbgeöffneten Tür ab. Aus den Augenwinkeln heraus sah er, daß der Schreier vor seiner Tür zusammengebrochen war. Er kümmerte sich jedoch nicht um ihn. Was hatte Kosta ihm zu übermitteln? Abwesend zog er den leuchtend roten Umhang enger um die Schultern. Die Kleidung, die nur Mitgliedern der FAMILIE vorbehalten war, kontrastierte stark zu seiner olivgrünen Haut. „Was ist mit der ,Nadel', Kosta?" herrschte er den Vertrauten an. „Was ist dabei, wenn sie sich bemerkbar macht?" Sein arrogantes Gesicht drückte die Verachtung aus, die er jedem gegenüber empfand, der unter ihm stand. Cort Kosta atmete heftig. Die blauroten enganliegenden Federn auf seinem Kopf schienen zu zittern. „Ja, natürlich macht sie sich oft bemerkbar. Aber heute ist es — anders. Es quält uns alle. Cort Kosta fuhr sich mit der Rechten über die schweißüberströmte Stirn. „Wir können es kaum noch ertragen. Fast alle an Bord leiden darunter." Cort Kostas Gesicht verkrampfte sich. Er preßte beide Hände vor seine Ohren, als müsse er ein furchtbares Geräusch abwehren. Sigam Agelon lauschte mit angehaltenem Atem.
Wie aus Stein gemeißelt stand die hohe aufrechte Gestalt Agelons vor Cort Kosta. Kein Muskel bewegte sich in dem stolzen, kalten Gesicht. Er zuckte die Achseln. Der mächtige Brustkorb unter der roten Bluse spannte sich bei einem tiefen Atemzug. „Es tut mir leid. Ich höre nichts." Er starrte auf den zuckenden Körper im Holografen, der greifbar nahe vor ihm stand. „Reiß dich zusammen, Kosta!" Abrupt drehte der Agelon sich um, nachdem er die Sichtverbindung unterbrochen hatte. Der Flottenkommandeur der gewaltigen orathonischen Schlachtflotte stapfte zur Tür. Beinahe wäre er über den wild urn sich schlagenden Orathonen gestürzt, der wie unter Krämpfen am Boden lag. Sigam Agelon sprang rechtzeitig zur Seite. Er betrachtete sich den Offizier, der sich in tiefer Qual wand. Sigam riß ihn auf die Beine, hielt den zappelnden Körper wie ein lästiges Anhängsel von sich entfernt. „Was ist mit dir?" fragte er wütend. In seinen Augen blitzte es kalt und gefühllos auf. Er konnte es nicht ausstehen, wenn sich jemand in seiner unmittelbaren Nähe schwach und erbärmlich zeigte. Der Betroffene starrte den Agelon wie einen Geist an. „Ich wollte Sie davon unterrichten ...", stammelte der Offizier. Der Schweiß stand auf seiner Stirn. Seine Augenlider flatterten. „Aber ich... ich ... habe es nicht... mehr geschafft. Die ,Nadel'... es ist... kaum noch zu ertragen. Ich ..." Der Offizier warf die Arme hoch. Er knallte seine Hände wie zwei Pfopfen an seine Ohren, wand seinen Körper unter dem harten Griff Sigam Agelons.
Der gellende Aufschrei des orathonischen Offiziers hallte durch den Gang. Ein anderer Schrei kam vom Ende des Ganges, verlor sich in der Tiefe eines Gravoschachtes. Sigam Agelons Gesicht spannte sich. Er gab dem Körper des bebenden Offiziers einen Schubs. Der Orathone wurde wie ein welkes Blatt zur Seite geweht, knallte unter der unbeherrschten Kraft des Kommandeurs gegen die gegenüberliegende Wand und rutschte dann langsam an der Wand herab. Reglos blieb sein Körper liegen. Agelon wandte sich ab. Er ging auf den vorderen Kugelrandabschnitt zu. Er wollte zur Kammer, wo die „Nadel" untergebracht war. Irgend etwas Geheimnisvolles an Bord der „Lynthos" ging vor. Es konnte ihm nichts anhaben. Er wollte der Sache auf den Grund gehen, bevor es vielleicht zu spät war ... * Sie kamen von Noki. Die „Walter Beckett" bewegte sich auf das System der Schwarzen Sterne zu. Bald schon würde sich herausstellen, ob sie die richtigen Koordinaten an Bord errechnet hatten. Rex Corda kam gerade aus der Forschungsabteilung, wo er mit Fan Kar Kont konferiert hatte. Auch der Mikrotechniker Olaf Harrison war bei der Besprechung anwesend gewesen. Die Männer hatten ein abschließendes Gespräch über die Bakterienkulturen auf Noki gehabt. Rex Corda hatte die Gewißheit, daß keine Krankheitserreger an Bord der „Walter Beckett" waren. Auf dem Weg zur Kommandozentrale erreichte ihn ein Holografenspruch Pater Bostiks. „Die Astronomische Abteilung bittet
Sie zu kommen, Sir", sagte er mit seiner sympathischen Stimme. Seine Augen funkelten. „Ich glaube, daß unsere Entdeckung Sie interessieren wird." Wenig später war Corda in der Astronomischen Abteilung der „Walter Bekkett". Es überraschte ihn nicht, daß auch Fan Kar Kont schon anwesend war. Pater Bostik schien größtes Interesse an der Anwesenheit der wichtigsten Leute zu haben. Percip, der Lithalon-Geborene, traf etwas später ein. Bekoval war auf der Kommandobrücke zurückgeblieben. Der Hauptholograf der Astronomischen Abteilung flammte auf. Das Weltall schien in die Kabinen zu stürzen, so unmittelbar war der Eindruck des dreidimensionalen Bildes. Pater Bostik änderte die Einstellung am Holografen nur geringfügig. Ga-Venga, der zwergenhafte Kynother, gab einen überraschten Schrei von sich. „Das wirft den stärksten Kynother um", stöhnte er unterdrückt. Er wischte nervös seine Hände ab über dein flammend roten Brustkeil seiner sonst schwarzen Kombination. Corda preßte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Er konnte die Aufregung des um ihn herumwandernden Kynothers verstehen. Auch ihn überraschte die Gigantensonne, die vor ihnen im Raum hing. Dieser rote Riese füllte den Holografen fast völlig aus. „Was für ein Brocken", konnte GaVenga sich nicht verkneifen, die bedrückende Stille um sich herum zu unterbrechen. Niemand schien ihn zu hören. Er verzog das Gesicht, und beschloß, sich ebenfalls in Schweigen zu hüllen. Pater Bostik stand neben Rex Corda, Der Präsident sah den dunkelhaarigen Pater zwei Sekunden lang schweigend
an. „Sie haben uns sicherlich nicht deswegen rufen lassen, um uns diese rote Sonne zu zeigen, Pater", sagte er leise. „Ich vermute, daß es etwas Besonderes mit ihr auf sich hat." Pater Bostik fuhr sich durch die Haare. „Sie irren sich nicht, Sir. Ich hoffe, daß unsere Berechnungen nicht falsch sind. Die Laktonen überprüfen bereits unsere Beobachtungen." Rex Corda folgte dem Blick des Paters. Er sah, daß Fan Kar Kont mit angespanntem Gesicht die Plastikstreifen durch seine Hand gleiten ließ. Kein Muskel bewegte sich in dem gestreiften Gesicht des Chefwissenschaftlers. Auch Ierra Kretan war in der Astronomischen Abteilung. Sie saß seitlich an einem der flachen Arbeitstische. Als Rex Corda zu ihr hinübersah, senkte sie rasch den Blick und täuschte intensives Studium des Plastikstreifens vor, den Pater Bostik der begabten Mathematikerin zugeschoben hatte. Ierra schlug die Beine übereinander, deren Formen sich unter dem blauen Stoff der enganliegenden Hose abbildeten. Ein flüchtiges Lächeln huschte über Cordas Lippen. Er spürte den Blick des Paters und überging ihn. „Und was haben Sie herausgefunden, Pater?" fragte er langsam. Er löste seinen Blick langsam von Ierra Kretans Gestalt. Pater Bostik konnte seine Frage nicht mehr beantworten. Fan Kar Kont näherte sich der kleinen Gruppe vor dem Holografen. Die farbige Kleidung des Chefwissenschaftlers war ein angenehmer Farbtupfen zwischen den meistens in einheitlichem Weiß und Blau gekleideten
Gestalten. Rex Cordas und Fan Kar Konts Blikke trafen sich. Der Chefwissenschaftler hatte die kühlen Augen eines stolzen Volkes, die sofort Distanz schafften. Dennoch war in ihnen eine Spur von Wärme zu erkennen. „Es gibt keinen Irrtum", sagte er mit bedächtiger Stimme, ohne daß man eine Frage an ihn gerichtet hatte. Der stumme Blick Cordas war Frage genug gewesen. Fan Kar Kont reichte den Plastikstreifen an Pater Bostik weiter. „Der rote Riese steht nach den vorliegenden Koordinaten genau vor dem Mittelpunkt der fünf erloschenen Sonnen, die gut 1,5 Lichtjahre von uns entfernt sind. Noki — jener rote Riese — und die Dunkelsterne bilden eine Linie. Die erloschenen Sonnen bilden ein exaktes Pentagramm!" Der riesige Fixstern lag nun seitlich neben der „Walter Beckett". Percip, der Lithalon-Geborene, atmete heftig. Er tastete nach der roten Kerbe zwischen seinen Lippen. „Die außerordentlich starken Gravitationsfelder jener fünf Sonnen müssen eine Raumtorsion, eine Verschiebung der Dimensionen, zur Folge haben. Daran gibt es keinen Zweifel." Fan Kar Kont nickte. Rex Corda fühlte, wie sein Herz heftiger schlug. Hatte er es geschafft? War er den „Zeitlosen" schon so nahe gekommen? Lag das Ziel greifbar nahe? Das „Pentagramm der Dunkelsterne" mußte eine besondere Bedeutung haben. Er konnte es nicht fassen. Seine Gedanken drehten sich wie ein Karussell. Er zuckte zusammen, als er plötzlich die Nähe Ierra Kretans fühlte. Die Mathematikerin warf Corda aus den dunklen Augen einen flüchtigen Blick zu.
Wieder lächelte er. Und sie erwiderte dieses Lächeln. Kaum, aber doch wahrnehmbar. Vielleicht entging es den Umstehenden. Nur Ga-Venga entging es nicht. Er hockte in einem Sessel vor dem Holografen, das Gesicht der diskutierenden Gruppe zugewandt. Seinen großen Kopf hatte er in die kleinen Hände gestützt. Er stimmte einen melancholischen Singsang an, das sich anhörte wie ein Liebeslied aus seiner fernen Heimat. Ierra Kretan zupfte an der kirschroten Bluse, die ihr bis zu den Hüften reichte, und deren Farbe mit dem Ring an ihrer Linken harmonierte. „Auch die Berechnungen sind in Ordnung", sagte sie scheinbar völlig gleichgültig. Ihre Blicke wanderten über den Holografen, auf dem fern das „Pentagramm der Dunkelsterne" zu ahnen war, das sie bisher nur errechnet hatten. Ein besonderer Lichtfilter machte wenig später die fünf erloschenen Sonnen als glühende Punkte auf dem Holografen sichtbar. Fan Kar Kont war von einer Gruppe laktonischer Wissenschaftler umgeben. Die astronomische Abteilung der „Walter Beckett" war zum Bersten gefüllt. Pater Bostik hatte sich in eine Ecke an einen Arbeitsplatz zurückgezogen und verhielt sich völlig abwartend. Er hatte nicht geahnt, daß seine Entdekkung eine solche Wirkung haben würde. Die Laktonen beherrschten das Bild. Sie rechneten, prüften, ließen die Computer ununterbrochen arbeiten. Das Ergebnis war verblüffend, wenn nicht gar erschreckend. Bei dem Pentagramm handelte es sich ganz offensichtlich um ein künstliches Gebilde! „Und dieses Gebilde hat nur dann einen Sinn, wenn die Raumtorsion aufrechterhalten werden soll. Das bedeutet: Ständig muß das Pentagramm
überwacht — und bei immer möglichen Krisensituationen gestützt werden." Fan Kar Kont hatte diese Worte gesprochen. Rex Corda sah ihn an. „Dazu sind ungeheuere Energiemengen notwendig, nicht wahr?" fragte er leise. Das gestreifte Gesicht des Chefwissenschaftlers war wie aus Stein gemeißelt. Kaum bewegten sich seine Lippen, als er jetzt sprach. „Die Energien, die das ,Pentagramm' zur Stütze braucht, werden dem roten Riesen abgezapft. Diese Sonne wäre heller, wenn ihr nicht dauernd Energie entzogen würde. Die entzogene Energiemenge ist genau auf diese rote Sonne abgestimmt. Würde ihr mehr Energie entzogen, dann müßte das Sonnensystem zusammenbrechen." Das Sonnensystem hatte nur einen riesigen Planeten, wie sie wenig später feststellten. Wieder konnte sich Ga-Venga nicht beruhigen. Der Riesenplanet hing vor ihnen im Raum, nachdem er die ganze Zeit über „hinter" seiner Sonne gelegen hatte. „Der fette Bursche paßt zur Sonne wie die Faust aufs Auge", grinste er. Rex Corda mußte lachen. „Fett", das war der richtige Ausdruck. Ga-Venga hatte dem Planetenriesen seinen Namen gegeben. Sie nannten ihn „Fatty". Die Erde war eine harmlose Perle gegen diesen Spielball eines Titanen. Die Laktonen errechneten, daß Terra sechsunddreißigmal in „Fatty" hineinpassen würde. Sie machten eine ungeheuere Entdeckung nach der anderen. 26 Monde umkreisten „Fatty". 19 davon waren Sauerstoffwelten. Sie boten Bedingungen, die denen auf der Erde ähnlich waren. Die restlichen sieben
waren Methanwelten. Überall in der „Walter Beckett" wurde die Entdeckung „Fattys" gebührend besprochen. Und wie überall, wo Menschen mit Neuem zusammenkommen, versuchten sie, dieses Neue auch zu bezeichnen. Innerhalb weniger Minuten hatten die Monde ihre Bezeichnung. Sie wurden von diesem Zeitpunkt an im „Bordslogan" der „Walter Beckett" nur noch als „Fattys Kücken" bezeichnet. Man machte sich sogar die Mühe, die Sauerstoffwelten von den Methanwelten zu trennen. „Fattys Töchter" wurden die 19 Sauerstoffmonde, „Fattys Stiefsöhne" die sieben Methanwelten genannt. Und bei diesen Bezeichnungen blieb es. Rex Corda war von dem Riesen „Fatty" ebenso fasziniert wie alle anderen an Bord. Aber ihn beschäftigten zu diesem Zeitpunkt noch ganz andere Dinge. Das „Pentagramm der Dunkelsterne" ließ ihn nicht los. Eine ungeheuere Theorie hatte er sich zurechtgelegt. Die laktonischen Wissenschaftler an Bord der „Walter Beckett" hatten errechnet, daß unvorstellbare Energiemengen im Raumabschnitt der Schwarzen Sonnen verschwanden. Diese Energiemengen hatten nichts mehr mit dem gesteuerten Energiehaushalt des roten Riesen zu tun. Wer brauchte diese Energie im „Pentagramm"? Wer holte sie sich aus dem System Noki? Auch Fan Kar Kont fand darauf keine Antwort. Es gab einen Faktor, der sich nicht berechnen ließ. Dieser unbekannte Faktor holte sich die benötigte Energie von Noki, von einer Sonne also, deren Zusammenbruch nicht gleichzeitig das Ende des „Pentagramms" bedeutete.
Mit einem tiefen Atemzug hob und senkte Corda seine Brust. In seinen Augen schimmerte ein seltsames Licht. Er blickte auf den Holografen in die Tiefe des Alls. „Wir setzen unseren Flug fort", sagte er leise. „Im Zentrum des ,Pentagramms' werden wir — in einem anderen Universum — die ,Zeitlosen' finden." Er warf einen letzten Blick auf „Fatty" und seine „Kücken" und wandte sich ab. Da belebte sich einer der Holografenschirme. Kim Corda erschien. „Rex!" brüllte er. „Rex!" Rex Corda wirbelte herum. Das Stimmengemurmel in der astronomischen Abteilung Pater Bostiks brach abrupt ab. Kim war aufs Höchste entsetzt. „Wabash", schrie er. Die Haare hingen dem Jungen wirr in die Stirn. „Er — er wird verrückt." Rex Cordas Herz setzte einen Atemzug lang aus. „Komm schnell, Rex! Wabash will seinen Schädel an den Wandungen seines Bassins einrennen ...!" * Das Kraftfeld unter Matson brach zusammen. Eine ungeheuere Schmerzwelle durchraste seinen mutierten, versteinerten Körper. Sofort errichtete er ein neues Feld, doch ein Energieschock ließ es augenblicklich wieder zusammenbrechen. Matson knallte auf den harten ebenen Boden des Verstecks, in das er sich zurückgezogen hatte. Er befand sich in der Tiefe der Raumfestung „Schalmirane". Auch die „Zeitlosen" befanden sich
in seiner Nähe. Er fühlte die feindseligen Ausstrahlungen, auch wenn er Details nicht verstehen konnte. Sie wollten ihn loswerden! Doch er mußte hier bleiben. Er konnte nicht anders. So verhielt er sich völlig passiv, abwartend. Er wußte, daß die „Zeitlosen" ihn niemals mit Gewalt von „Schalmirane" wegbringen konnten. Sie würden alles versuchen. Aber nur eines würde wirklich Erfolg haben: Sein freier Wille. Doch er wollte nicht. Er mußte das Problem lösen, vor dem er stand. Ein weiterer Energieschock schleuderte ihn in die gegenüberliegende Ecke des kahlen Raumes. Im gleichen Augenblick aber setzte „Schalmirane" zu einem erneuten Flugmanöver auf das „Loch" im „Pentagramm" an. Fred Matson, der „Stein", fühlte sofort die Gefahr. Was während der letzten Minuten nur Plänkelei gewesen war, wurde für ihn nun zur tödlichen Gefahr. „Die „Zeitlosen" versuchten, ihn doppelt zu beschäftigen, ihn abzulenken, ihn unsicher zu machen. Doch sie unterschätzten seine Macht. Seine mutierten Sinne rissen die Energie des roten Riesen an sich. Er wußte nicht, daß die „Zeitlosen" im gleichen Augenblick die superstarken Zapfstationen aktivierten, um den Energiehaushalt des Riesengestirns auszugleichen. Er wußte auch nicht, welche Bedeutung der rote Riese für das „Pentagramm der Dunkelsterne" hatte. Ihn interessierte nur seine Existenz. Er wollte sich nicht vernichten lassen. Er hüllte sich in das gewaltige Energiepotential, verhinderte zum x-ten Mal, daß „Schalmirane" von dem Strudel ergriffen und durch das „Loch" im Zentrum, der fünf erloschenen Sonnen in das andere Universum gerissen wurde.
Als Matsons Kraft wirksam wurde, verringerte sich die Beschleunigung „Schalmiranes". Er übte einen solchen Druck auf die ehemalige Wachstation aus, daß seine Kraft und die Saugkraft des Strudels sich ausglichen, und sich schließlich ins Gegenteil verkehrten. Matsons Widerstand wurde so gewaltig, daß „Schalmirane" zurückgeschleudert wurde. Abermals entfernte der Planetoid sich von dem flimmernden „Auge", dem „Loch", das in ein anderes Universum führte. Die gigantischen Gravitationsfelder, die innerhalb des „Pentagramms" eine Verschiebung der Dimensionen zur Folge hatten, wurden für „Schalmirane" nicht wirksam. Matson und Strudel stießen sich ab. Würden sie einen erneuten Vorstoß wagen? Waren sie genauso verzweifelt wie er? Das Energiefeld um seinen Körper baute sich langsam ab. Er mußte neue Energie schöpfen, wenn sie abermals auf das „Loch" zustürmen würden. Seine hyperempfindlichen Sinne ertasteten die Umgebung. Matson sah nicht, und doch konnte er sich den Raum, der ihn umgab, genau vorstellen. Es war eine ehemalige Lagerhalle, in der es noch vereinzeltes technisches Gerät gab. Keine fünfhundert Meter von ihm entfernt saßen die „Zeitlosen" in dem mit Steuerpulten und Kontrollelementen überfüllten Raum, unfähig, die Macht Matsons zu brechen. Der Energiefresser war ihnen überlegen. Da fühlte Matson das Wispern und Raunen in sich. Die hauchdünne Energieblase über seinem grauweißen Körper begann zu flackern, wurde jedoch gleich darauf wieder stabil.
Er fühlte ihre Nähe ganz deutlich. „Virginia!" strahlten seine Gedanken in das Universum. Sie war ganz nahe. Er fühlte ihr Leben in sich. Er suchte den Kontakt mit ihr. Da griffen die „Zeitlosen" abermals ein. Hatten sie erkannt, daß er abgelenkt worden war? „Schalmirane" beschleunigte mit ungeheueren Werten, raste auf das flimmernde „Loch" im Zentrum der Dunkelsterne zu. Ein ungeheuerer Schmerz peitschte Matsons Sinne. Sie durften nicht durch den Strudel! Sie durften nicht! Seine Existenz stand auf dem Spiel! Noch hatte er die Frage nicht gelöst, wie er das „Loch" passieren konnte, ohne seine Existenz zu verlieren. Hatten sie noch immer nicht erkannt, daß ihre Anstrengungen vergebens waren? Der Energieberg um ihn wölbte sich wie ein Ungeheuer über die Halle, durchbrach die Waffenkuppeln und Raketenwerfereinrichtungen, spannte sich über „Schalmirane". Die Raumfestung stand kopf, die Zeitlosen wirbelten durcheinander, Instrumente zersprangen, ein ungeheueres Dröhnen erklang aus den Kraftstationen. Das flimmernde „Auge" zur anderen Dimension kam wie ein Geschoß auf sie zu! * Zwei Offiziere schlugen vor Sigam Agelon auf den Boden. Sie wälzten sich unter Schmerzen vor den Füßen des Agelon. Mit einem Fußtritt räumte der Flottenkommandeur die beiden Leidenden einfach zur Seite. Einer rutschte den Gang hinunter, ein anderer verschwand in einem Gravoschacht und wurde vor
seinen Augen einige Etagen höhergewirbelt. Ihre Schreie hallten durch das Schiff. Sigam Agelon riß die Tür auf. Der Raum, in dem die „Nadel" sich befand, glühte in einem blauen kalten Licht. Sigam Agelon blickte sich um. Niemand seiner Offiziere war mehr als Bewachung bei der „Nadel". Er aktivierte einen der kleineren Holografenschirme an der Seite der Eingangstür. Auch er fühlte das geheime, ferne Wispern einer angsterfüllten, ersterbenden Stimme in sich. Doch der Schmerz der „Nadel" übertrug sich nicht auf ihn. Wie Wasser rannen die schmerzgepeinigten mentalen Ströme von seinem veränderten Körper ab, fanden keinen Eingang in ihn. Er war von lauter Schwächlingen umgeben. Ein zynisches Lächeln umspielte die spöttisch verzogenen Lippen. Niemand war mehr an Bord der 1000 Raumschiffe, die er befehligte, der sich mit ihm messen konnte. Er war ganz auf sich allein gestellt, wenn es darauf ankommen würde. Er fühlte es. Er war auf dem Weg zu den „Zeitlosen". Er wollte sie vernichten. Wenn alle anderen versagen würden — dann hatte er noch immer die Macht, die Behüter der Großen Gesetze zu vernichten. Sie, die „Zeitlosen", mußten ausgeschaltet werden, ehe die „Zeitlosen" ihn, Sigam Agelon, den Sohn des großen Moga Agelon, vernichten konnten. Ein heiseres Lachen kam tief aus seiner Kehle. Doch da war kein Wind. Völlige Ruhe herrschte in der Kabine, in der er die „Nadel" von Terra entführt hatte. Aus den Löchern und schalenförmigen Einbuchtungen an der Spitze des nun blauglühenden Gebildes drang ein schmerzhaftes Wispern, das so stark, so
heftig sein mußte, daß alle an Bord der „Lynthos" darunter zu leiden hatten. Er, der „Veränderte", litt nicht. „Schaut euch die ,Nadel' an", sagte er hart, nachdem die Verbindung zur Kommandozentrale bestand. Die Männer vor den Bedienungselementen wanden sich unter Schmerzen. „Die ,Nadel' leidet — und deshalb müßt auch ihr leiden. Doch es wird vorbeigehen. Ihr müßt durchhalten, versteht ihr?" Die letzten Worte brüllte er fast heraus. Er fühlte einen Jähzorn in sich aufsteigen, den er vorher nie gekannt hatte. Seine Augen flackerten in einem irren Licht. Die Operation hatte ihn, den Agelon, zu einem Ungeheuer werden lassen. „Ich leide nicht, weil ich stärker bin als ihr." Er lachte, und er unterbrach mit einer ruck artigen Bewegung die Sichtverbindung zur Zentrale. Er starrte auf das fast sieben Meter hohe Gebilde, das am unteren Ende einen Durchmesser von einem Meter hatte. Die Nadel hatte ihn zu den „Zeitlosen" geführt. Immer dann, wenn sie besonders aktiv wurde, hatte es etwas mit den „Zeitlosen" zu tun. So stark wie diesesmal waren die Regungen der „Nadel" noch niemals gewesen. Sigam Agelon sah sich schon am Ziel seiner Wünsche. Er war in der Nähe der „Zeitlosen". Die „Nadel" spürte die Nähe Matsons. „Virginia!" Sie wisperte, stöhnte, sandte die mentalen Schmerzzustände hinaus zu den Fremden, die sie als Werkzeug benutzten. „Virginia." Da war es wieder. „Ich fühle dich, Fred. Ich fühle dich schon die ganze Zeit. Was ist das, das entsetzliche Leid?"
Ihr Körper schien sich unter der Flutwelle der Schmerzen, die Fred Matson übertrug, zu spannen. Die „Nadel" vibrierte, wisperte, keuchte, bog sich wie unter einem plötzlich aufkommenden Orkan zur Seite. Das blaue Licht in der Kammer verstärkte sich, wurde kalt und klar, als würde eine Glashülle über Virginia Ramoni-Matson gestülpt. Plötzlich stand die Kabine um sie herum kopf. Ihre Sinne wurden unter der Macht des Schmerzenansturmes auf hohen Wellen davongetragen. In den Kabinen der „Lynthos" schrien die Männer auf, warfen sich zu Boden, rauften sich die Federn. Das Licht um Virginia Ramoni-Matson flackerte, ein Zucken lief über das felsenartige Gebilde. Dann kehrte Ruhe ein. „Es geht vorbei, Virginia", machte Fred Matson sich in ihr bemerkbar. „,Schalmirane' kann mich nicht bezwingen. Ich habe zu kämpfen. Aber ich werde nicht sterben." Das Wispern und Raunen aus der „Nadel" ließ nach. Die Nähe des Strukturenergetikers hatte eine eigenartig beruhigende Wirkung auf das sieben Meter hohe Gebilde. „Warum verläßt du "Schalmirane" nicht?" Ihre Gedanken trieben über die Fernen hinweg, nahmen in Fred Matson Form und Gestalt an. „Ich kann nicht, Virginia. Ich kann nicht, selbst wenn ich es wollte." Sie verstand ihn. Ihr Leben hatte nichts mehr mit ihrem früheren Dasein gemein. Sie dachten, sie fühlten, sie lebten anders. Die umgeformte Gestalt ihrer Körper hatte auch ihren Geist verändert. Einst war ihr Mann ein hilfloses, kraftloses, krankes Bündel gewesen, kaum fähig zu leben. Nun war er ein
kraftstrotzender Koloß, seinem schwachen menschlichen Körper ungeheuer überlegen. Er hatte seine neue Daseinsform noch nicht bereut. Er war auf seine Weise glücklich, wie jedes atmende Wesen auf seine Weise glücklich war. „Ich will nicht weg von ,Schalmirane'", strömten seine Gedanken zu ihr und die gewaltigen Schmerzwellen, die die ganze Zeit über ihren Geist gepeinigt hatten, ließen weiter nach, verebbten wie nach einer großen Flut. „Ich will mehr über sie wissen. Ich muß alles wissen über sie." „Aber sie werden dich weiter leiden lassen." Ihre Gedanken stärkten ihn. „Das Leiden ist nichts, Virginia", erwiderte er. „Erkenntnis ist alles. Das Leiden geht vorüber. Ich werde dagegen ankämpfen. Ich werde am Ende stärker sein als die, die mich quälen — die uns quälen." Die „Nadel" wurde unruhiger. Sigam Agelon wußte nichts von dem Zwiegespräch, als er sich aus dem Raum zurückzog. Auf dem Gang begegnete er mehreren orathonischen Offizieren. Sie sahen entspannt und gelöst aus. Sie bedankten sich bei ihm. Er wußte nicht weshalb, doch er ließ sie in ihrem Glauben, daß er etwas mit dem Ruhigerwerden der „Nadel" zu tun hatte. Er wurde in den Augen seiner Besatzung immer mehr zu einem gottähnlichen Wesen. Und Sigam Agelon fühlte sich wohl in dieser Rolle. Er war unbesiegbar. Er war ein Gott. In seinen Augen leuchtete der Wahnsinn. * Auf Rex Cordas Stirn perlte der Schweiß.
Er befand sich in der Zentralkabine Wabashs. Außer ihm waren Fan Kar Kont und einige laktonische Wissenschaftler mitgekommen. Männer der medizinischen Abteilung bemühten sich um den wie im Wahnsinn gegen die Wandungen des Bassins anrennenden weißen Delphin. Rex und Kim Corda standen auf der schmalen Brücke, die über das Bassin führte und starrten auf Wabash hinunter. Kim Augen glänzten feucht. „Er wird sich umbringen", stöhnte er. „Was hat er nur?" „Kannst du ihn nicht erreichen?" fragte Rex Corda. Seine Backenmuskeln zuckten. Die Männer der medizinischen Abteilung versuchten vergeblich, den Delphin mit einem Netz zu fangen, um seinen Selbstmord zu verhindern. Kim schüttelte den Kopf. „Ich erreiche ihn nicht. Es ist, als ob ich gegen eine Wand anrenne." Mehrmals versuchte er telepathischen Kontakt mit Wabash zu bekommen. Auch Rex Corda versuchte mit seinem empathischen Talent den Delphin zu erreichen. Seine Bemühungen waren vergebens. „Vielleicht gelingt es uns gemeinsam", preßte Corda hervor. Kim nickte. Rex erschrak. Sein Bruder sah eigentümlich bleich aus. „Ist dir nicht gut, Kim?" fragte er besorgt und strich dem Jungen über den Kopf. Mit Kirn war eine seltsame Veränderung vor sich gegangen. Er atmete heftig, er schien unter Atemnot zu leiden. „Wabash!" schrie er plötzlich. Corda wirbelte herum. Der Delphin knallte mit aller Gewalt gegen die Bassinwandung. Seine Stirn blutete, sein Körper zuckte wie unter elektrischen Schlägen.
Drei Männer, die versucht hatten, das Netz über den Delphin zu werfen, wurden durch den plötzlich wild zurückschnellenden Wabash in das Bassin gerissen. Im gleichen Augenblick bäumte sich der Körper des Delphins auf, seine Augen waren matt und farblos. Dann fiel Wabash in sich zusammen. Kim schrie auf. „Laß es uns versuchen", sagte Rex Corda beherrscht, während Männer der Medizinischen Abteilung und zwei Medo-Robots sich um die ins Wasser Gestürzten und um Wabash kümmerten. Gemeinsam mit Kim bildete Rex Corda einen parapsychischen Kreis. Sie versuchten Eingang in das Bewußtsein des Delphins zu finden. Erschreckt mußte Rex feststellen, daß die mentale Kraft seines Bruders mehr und mehr erlahmte. Was war das Geheimnisvolle, das Wabash zu dieser unvernünftigen Handlung hatte hinreißen lassen? Was war es, das sich nun auch Kim Corda näherte? Der parapsychische Ring brach zusammen, noch ehe er voll wirksam geworden war. Doch Rex Corda zweifelte daran, ob er überhaupt seinen Sinn erfüllt hätte. Er fühlte die Wand, gegen die er anrannte. Wabash und Kim schienen in eine unwirkliche Ferne gerückt zu sein, sie waren mental nicht mehr zu erreichen. Ihr Geist war wie tot. Der Junge neben dem Präsidenten schwankte. Er war totenblaß. Rex Corda griff sofort zu, als er erkannte, wie Kim nach vorn sackte und in das Bassin zu fallen drohte. Er fing den leichten Körper auf. Das Gesicht des Bewußtlosen war still und schweißüberströmt. Kirn Corda atmete kaum. Medo-Robots eilten auf ihn zu.
Corda gab ihnen den Auftrag, Kim sofort in die medizinische Abteilung zu schaffen und von Dr. McCluskey untersuchen zu lassen. Auf seine Anordnungen hin spritzte einer der Medo-Robots ein kreislaufförderndes Mittel. Doch das Medikament hatte keine Wirkung. Der Atem beschleunigte sich nicht, der Herzschlag wurde nicht stärker. Im Gegenteil. Kim Corda schien ständig schwächer zu werden. Geheimnisvolle Kräfte hatten ihn in ihrer Gewalt. Warum Wabash und Kim? Er sah diesen Zusammenhang kristallklar vor sich, und konnte doch darauf keine Antwort finden. Hatten die Erreger, die die Amokläufe der Nokis bewirkten, etwas damit zu tun? Er verwarf diesen Gedanken ebenso schnell wieder, wie er ihm gekommen war. Die Ursache mußte woanders zu finden sein. Wie aus Stein gemeißelt sah er den Medo-Robots nach, die aus der Spezialkabine Wabashs verschwanden. Den bewußtlosen Delphin hatten Medo-Robots und Männer der Medizinischen Abteilung inzwischen mit dem Netz über die Wasseroberfläche gebracht, um zu verhindern, daß Wabash ertrank. Rex Corda litt. Die Ungewißheit quälte ihn. Das Schicksal Kims und Wabashs bereitete ihm Sorgen. Um die schmalen Lippen Cordas zuckte es. In seinen blauen mutierten Augen schien jeglicher Glanz erloschen zu sein. Fan Kar Kont trat auf ihn zu. „Wir können nichts tun", sagte er leise zu Corda. Er schien zu ahnen, was im Kopf des Präsidenten vorging. „Haben Sie eine bestimmte Vermu-
tung, Fan Kar Kont?" fragte Corda mit schwacher Stimme. Er warf einen schnellen Blick auf einen der Bordholograf en, auf dem die Verbindung zur Medizinischen Abteilung hergestellt worden war. Dr. McCluskey hatte sich noch nicht gemeldet. Ein tiefer Atemzug hob und senkte die breite Brust Cordas. Fan Kar Kont wollte antworten, doch ein Ereignis ließ ihn sofort wieder verstummen. Wabash stürzte in das Wasser zurück. Eine Flutwelle ergoß sich über die schmale Brücke, auf der Rex Corda und Fan Kar Kont standen. Eines der Seile war gerissen. Die Männer bemühten sich sofort wieder um Wabash. Das Wasser um den stark aus der Kopfwunde blutenden Delphin wurde rot. Hilfsroboter waren indessen in die Spezialkabine abkommandiert worden, standen den Männern der Medizinischen Abteilung zur Seite. Mit ihrer Hilfe gelang es, Wabash abermals über die Wasseroberfläche zu bringen. Die Seile wurden befestigt. MedoRobots kümmerten sich um den verletzten Delphin, behandelten die stark blutende Kopfwunde. Der geschmeidige weiße Körper lag schwer und reglos in dem engmaschigen Netz. Waren Kim und Wabash die einzigen an Bord der „Walter Beckett", bei denen die merkwürdigen Symptome aufgetreten waren? Rex Corda wollte Gewißheit haben. Er setzte sich mit allen Abteilungen und Unterabteilungen über Holografen in Verbindung. Und er bekam Gewißheit. Wabash und Kim waren die einzigen! „Sie sind beide Telepathen", bemerkte Fan Kar Kont mit ernster Miene, und die hellen Streifen in seinem Gesicht schienen eine Nuance dunkler zu wer-
den. Rex Corda nickte. „Ich habe es befürchtet", sagte er. „Aber ich wollte es nicht wahrhaben. Ihr telepathisches Talent und ihr merkwürdiges Verhalten stehen unmittelbar in Zusammenhang." Rex Corda griff sich plötzlich an die Stirn. Ein ungeheuerer Druck legte sich plötzlich auf seinen Kopf. Eine glühende Zange schien sich um sein Bewußtsein zu legen. Alles um ihn herum verfärbte sich. Fan Kar Konts Gesicht wurde zu einer rötlich-blauen Scheibe, in der plötzlich alle Sinnesorgane verschwunden waren. Die Spezialkabine Wabashs verschwamm vor seinen Augen. Er hatte Mühe, die schemenhaften Umrisse des Delphins, der Männer in den weißen Kitteln und die Medo-Robots und Hilfsroboter zu erkennen. Der Boden schwankte unter seinen Füßen. Dann war es vorbei. Die glühende Zange löste sich von seinem Gehirn, klar nahm er wieder die Kabine Wabashs in sich auf. Rex Corda schluckte. Das also war es. Jetzt hatte auch er es gespürt. Das Fremde, das Geheimnisvolle hatte sich auch ihm genähert. Doch dann war es aus seinem Bewußtsein zurückgewichen. Warum? Weil er kein Telepath, sondern Emphat war? Niemand hatte von dem Zustand, der nur den Bruchteil einer Sekunde gedauert hatte, etwas bemerkt. Rex Corda schloß für zwei Sekunden die Augen. Das Blut hämmerte in seinen Schläfen. Er hatte den geistigen Würgegriff gespürt. Aber er war ihm nicht zum Opfer gefallen. Die „Walter Beckett" kreiste noch immer über dem Gigantenplaneten
„Fatty". War es von dort gekommen? Da meldete sich McCluskey über den Bordholografen. Sein Gesicht war ernst. In seinen Augen stand wenig Hoffnung zu lesen. Er bat Corda, in die Medizinische Abteilung zu kommen. Rex Corda machte sich sofort auf den Weg. Gleich darauf saß er Dr. McCluskey gegenüber. Corda fühlte die Sorge, die McCluskey ausstrahlte. Kim lag auf einer flachen weißen Liege der Station und regte sich nicht. „Ich kann nichts für ihn tun, Sir", sagte der Arzt mit belegter Stimme. Der ehemalige Chefarzt des NORAD senkte die Augen. „Kim ist nicht körperlich krank. Er liegt unter einem geistigen Würgegriff. Es scheint, daß starke elektromagnetische Kräfte sein gesamtes geistiges Kraftfeld zusammenbrechen ließen. Ich ..." Er unterbrach sich und schluckte. Rex Corda verstand den Arzt auch ohne daß dieser eine weitere Erklärung abgab. „Es gibt keine Hoffnung, nicht wahr?" fragte er leise. McCluskey schüttelte langsam den Kopf. „Es gibt keine. Sir. Es tut mir leid, daß ich Ihnen keinen günstigeren Bericht geben kann. Kim wird den heutigen Tag nicht überleben. Sämtliche vegetativ gesteuerten Abläufe seines Organismus sind in Mitleidenschaft gezogen." Keine Rettung für Kim und Wabash? Rex Corda konnte es nicht fassen. Wie unter einer schweren körperlichen Last saß er in der Kommandozentrale der „Walter Beckett", ließ sich immer und immer wieder die Worte Dr. McCluskeys durch den Kopf gehen. In der kreisförmigen Zentrale summ-
ten die Computer, flackerten die Kontrollen. Zahlreiche Holografen waren ständig für die verschiedenen Verbindungen zu anderen wichtigen Abteilungen des Hantelraumers in Betrieb. Rex Corda sah und hörte von alledem nichts. Er fühlte wieder das Fremde, das Unfaßbare in sein Bewußtsein dringen. Doch es konnte ihn nicht bezwingen. Er warf es zurück. Die tastenden Sinne kamen wieder, ohne die starke Wirkung auf ihn zu haben wie beim ersten Kontakt. Rex Corda warf den Kopf zurück. Als sie über „Fatty" waren, hatte es begonnen. Kim und Wabash waren in der Gewalt von etwas Unfaßbarem. Kam es — von „Fatty"? Er entschloß sich zu handeln. Kim und Wabash hatten nichts mehr zu verlieren, aber alles zu gewinnen. „Wir landen auf ,Fatty"', befahl er. Seine Stimme klang fest und klar. Sein Körper schien sich unter neuem Lebensmut zu spannen. Bekoval gab seine Kommandos. „Die „Walter Beckett" wurde in Alarmbereitschaft versetzt. Alle wichtigen Abteilungen meldeten sich. Die Männer der „Walter Beckett" wußten nicht, was sie auf „Fatty" erwartete. Rex Corda hatte eine Vermutung. Er fühlte instinktiv, daß die tödliche Gefahr für Kim und Wabash von dort gekommen war. Die „Walter Beckett" bewegte sich auf „Fatty" zu. Der Riesenplanet füllte den Hauptholografen in der Kommandozentrale aus. Da fühlte Rex Corda wieder das Fremde, das sich Eingang in sein Bewußtsein verschaffen wollte. Und diesesmal ließ er es geschehen. * Er war im Anflug auf das „Penta-
gramm der Dunkelsterne". Die fünf erloschenen Sonnen bildeten den äußeren Rahmen jenes Tores, das ihn ins Reich der „Zeitlosen" führen würde. Mit Hilfe seiner Wissenschaftler errechnete Sigam Agelon, daß die fünf Sonnen annähernd 6 000 Millionen Kilometer vom Mittelpunkt entfernt waren. Das Geheimnis des „Pentagramms" war für die orathonischen Wissenschaftler bald kein Geheimnis mehr. Der Sinn des „Pentagramms" wurde ihnen rasch klar. Sie erkannten den künstlichen Ursprung des Gebildes und errechneten die gleichen Energiewerte, die die laktonischen Wissenschaftler aus noch größerer Entfernung festgestellt hatten. Sie begriffen, warum die rote Riesensonne nicht heller, aber auch nicht dunkler sein durfte. Ihre Energie stützte das Gebilde, das das Reich der „Zeitlosen" von diesem Universum trennte. Es mußte also irgendwo eine Steuerzentrale, eine technische Überwachungsstation für dieses Gebilde geben. Sie flogen auf das „Loch" im Mittelpunkt der fünf Dunkelriesen zu. Das flimmernde „Auge", der Strudel war Sigam Agelons Ziel. Dahinter also würde er die „Zeitlosen" finden. Die kräftige Gestalt des Agelon straffte sich unter dem feuerroten Umhang. „Ich habe es geschafft", kam es kaum hörbar über seine Lippen. Nur Cort Kosta, sein Vertrauter, hörte es. Er stand unmittelbar neben Sigani Agelon. Kosta zuckte über die Kälte dieser Stimme wie unter einem Peitschenschlag zusammen. Dies war nicht mehr der Sigam Agelon, dem er seit langer Zeit treu zur Seite stand. Zwar war Agelon schon immer stolz, arrogant und kalt gewesen, auch
die Kraft und Energie seines Körpers hatte Kosta immer besonders stark empfunden. Doch dies alles waren einst nur Andeutungen gewesen. Jetzt hatten sich diese Anlagen zur Reife entfaltet. Sigam Agelon war zu einem Ungeheuer geworden. „Ich werde ihnen zuvorkommen", fuhr er fort, und er warf einen flüchtigen Blick auf Kosta, ohne ihn richtig wahrzunehmen. „Die Vernichtung der ,Zeitlosen' ist greifbar nahe." Dann befahl er den Kommandanten der 1000 ihn begleitenden Raumschiffe, dem Flaggschiff zum „Auge" des „Pentagramms" zu folgen. Er wollte durch den Strudel hindurchfliegen. Die Wissenschaftler hatten errechnet, daß die Raumschiffe mit titanenhafter Gewalt durch den Sog geschleudert werden würden. Der Sog selbst könne keinem Schiff etwas schaden, das die Öffnung passieren wolle. Die orathonische Flotte beschleunigte. Die „Lynthos" bewegte sich an der Spitze der Hantelriesen. Da machte die Orterstation auf den Pfropfen aufmerksam. Auf dem Hauptholografen über dem ausladenden Steuerpult wurden die Geschehnisse mit erschreckender Deutlichkeit und Nähe in die Zentrale getragen. Das „Loch" zum anderen Universum war versperrt. Ein zerklüfteter Planetoid saß wie ein Pfropfen vor der Öffnung. Ein graublaues Flimmern waberte um den Raumkörper. Sigam Agelon preßte die Zähne zusammen. Er kam nicht mehr dazu, einen Befehl zu erteilen. Die Ereignisse überstürzten sich. Der Planetoid war plötzlich vor ihnen. Die vollautomatischen Abwehrforts
hoben sich wie von Geisterhänden hochgedrückt aus dem staubbedeckten Boden. Die „Zeitlosen" in den unterirdischen Kontrollhallen arbeiteten in diesen Sekunden fieberhaft, die Schlagkraft von „Schalmirane" gegen die Riesenflotte Sigam Agelons zu erhöhen. Lafetten drohten ins All hinaus, Raketenwerferstellungen wurden aktiviert, die Abstrahlfelder gewaltiger Strahlgeschütze begannen zu flimmern. Und dann erfolgte der erste Feuerschlag gegen Sigam Agelons Flotte. Ein Berg tobender Energien raste auf die Schiffe zu. Die Kommandanten brüllten Befehle, die Flotte brach auseinander, ehe Sigam Agelon begriff, was eigentlich geschehen war. Eine Riesenfaust packte die „Lynthos", schleuderte sie in den Kosmos zurück. Die Antigravautomaten heulten, die Kraftstationen brüllten. Auf dem flackernden Hauptholografen breitete sich ein Flammenmeer um Sigam Agelons Flaggschiff aus. Hantelraumer der Wonn-Klasse zerbrachen wie Streichhölzer unter der Wucht des Angriffs. „Schalmirane" wütete wie ein Rachegott unter der Flotte Sigam Agelons. Die schwarzen Kampfraumer und die kleineren Dorr-Schiffe wurden zu Hunderten zu grell aufglühenden Sonnen. Die superstarken Schutzschirme der rechtzeitig herumgeworfenen „Lynthos" verhinderten in diesen Sekunden das Ende des Flaggschiffes. Sigam Agelon bellte seine Befehle. Sein grünes Gesicht war schweißüberströmt. Er hatte den Umhang von seinen Schultern gerissen, um bessere Bewegungsfreiheit zu haben. Sigam Agelon war in diesen schicksalentscheidenden Sekunden überall. In seiner unmittelbaren Nähe grellte ein Wonn-Raumer auf. Die mächtigen
1200-Meter-Kugeln zerplatzten wie Seifenblasen. Die gewaltigen Energieabsorberanlagen, die an den Kugelpolen saßen, spien grellgelbes Licht in die samtene Schwärze. Die Supermetalle der orathonischen Schiffe wurden unter dem Angriff wie Papier zerfetzt. Eine schwere Erschütterung erfaßte die „Lynthos". Sigam Agelon stürzte zu Boden, eine Computerwand riß auf und blaue Funken sprühten über ihn hinweg. Er griff in das dreidimensionale Bild eines Nebenholografen und zerstörte die Bildschirmwand. Für zwei Sekunden fielen die Antigravitationsautomaten aus. Die „Lynthos" war getroffen. Innerhalb der Zentrale wurde es stockdunkel. Schreie und Befehle hallten an Agelons Ohren. Er sprang auf die Beine, hastete im Dunkeln auf die Kommandobrücke. Er stieß nirgends an. Wie im Traum fand er den Schalter, der die Notstromaggregate aktivierte. Schwaches rötlich-gelbes Licht erfüllte die Zentrale. Die Hauptversorgungsleitung der „Lynthos" war getroffen. Sigam Agelons Backenmuskeln zuckten. Er hatte sich und die „Lynthos" wieder völlig in seiner Gewalt. Er befahl den Rückzug. Er wollte die Flotte neu formieren. Der blitzschnelle Angriff hatte selbst ihn überrascht. Er hoffte, daß nicht allzu viele Schiffe dem Angriff der Raumfestung zum Opfer gefallen waren. Als er wenig später die Verlustliste in der Hand hielt, stockte ihm der Atem. „Das kann nicht sein", entrang es sich seinen Lippen, und zum erstenmal zeigte er die Anzeichen einer Schwäche. „Es ist unmöglich." Er wollte nicht wahrhaben, was sich wirklich ereignet hatte.
Seine Flotte war auf knapp 600 Hantelraumer zusammengeschmolzen! Die Raumfestung, die sich schon bei einem Angriff durch die Laktonen als das stärkste bekannte Waffensystem erwiesen hatte, hatte der Flotte Agelons einen empfindlichen Schlag zugefügt. Viele Schiffe waren beschädigt, konnten aber manövrieren. Sigam Agelon zog sich weit vom „Pentagramm der Dunkelsterne" zurück. Er starrte auf den flackernden Holografenschirm über dem Steuerpult der Zentrale. Auch die Holografenanlage hatte was abbekommen. Das Bild wirkte nicht mehr dreidimensional. Es sah flach und farblos aus, ihm fehlte die Tiefe. Hilfsmannschaften waren in der „Lynthos" und auf den anderen stark beschädigten Schiffen bereits unterwegs, die schlimmsten Beschädigungen auszumerzen. Sigam Agelon befahl den Anflug auf das System der roten Sonne. Die „Lynthos" und viele andere Hantelraumer bedurften dringend einer intensiven Reparatur. Diese Reparaturen konnten nur ausgeführt werden, wenn die Schiffe festen Boden unter sich hatten. Er näherte sich dem System, das die Terraner vorher schon „Fattys"-System genannt hatten. Auf einem der äußersten Monde befahl er der stark zusammengeschrumpften Flotte die Landung. Der Mond, den Agelon ausgewählt hatte, war eine Sauerstoffwelt. Ein günstiger Zufall. Das würde die Reparaturarbeiten beschleunigen. Die Orathonen konnten sich frei und ohne Hilfsgeräte auf dem Mond bewegen. Als die „Lynthos" auf dem felsenharten Boden aufsetzte, bewegte sich Agelon bereits auf die Ausgangsschleuse
zu. Er wollte die Kommandanten der am schwersten betroffenen Schiffe persönlich aufsuchen und sich an Ort und Stelle ein Bild von den Beschädigungen machen. Den Reparaturgruppen hatte er Eile eingeschärft. „Jede Minute ist für uns kostbar", sagte er hart, während er kurz vor der Einschlagstelle verweilte, wo ein Raketengeschoß durch den Schutzschirm hindurch in die Hauptstromversorgungsleitung der „Lynthos" geschlagen war. Er schüttelte den Kopf. Er konnte das Ganze nicht verstehen. Entweder verfügte die Raumfestung über eine solche Schlagkraft, daß sie die superstarken Schutzschirme des AlakinRaumers ohne besondere Schwierigkeit durchschlagen hatte, oder aber der Schirm war unter der Überbelastung porös geworden, so daß das Geschoß sich eine besonders schwache Stelle gesucht hatte. „Beeilt euch", sagte er noch einmal, ehe er die Luftschleuse betrat. Die Raumfestung hatte das Überraschungsmoment auf ihrer Seite gehabt. Sigam Agelon hatte mehr als ein Drittel seiner Flotte verloren. Er beschloß in diesen Sekunden, so schnell wie möglich zum „Pentagramm der Dunkelsterne" zurückzukehren. Nichts würde ihn auf seinem Weg aufhalten. Auch die Raumfestung nicht. Ein zweites Mal würde er sich nicht überraschen lassen. Ein Angriffsplan reifte in seinem „veränderten" Gehirn. Diesmal würde er schneller sein. * Er fühlte Angst, Verzweiflung, Unsicherheit.
Aber es waren nicht seine eigenen Gefühle. Es waren die Gefühle der Fremden, die er nicht kannte, und die aus der Tiefe „Fattys" in sein Bewußtsein drangen. Rex Corda erschrak nicht. Er wehrte sich nicht mehr gegen den Einfluß, der ihn beim ersten Ansturm beinahe in die Bewußtlosigkeit getrieben hätte. Vorsichtig zog sich das Fremde wieder aus ihm zurück. Etwas anderes näherte sich an Stelle der Gefühle. Gewalt wollten sie ihm antun. Die gleiche Gewalt, die bei Kim und Wabash wirksam geworden war. „Ich werde kommen", dachte er mit aller Willenskraft und stieß den Schmerz, der sich in seinem Gehirn ausbreiten wollte, ab wie einen Wassertropfen, der auf eine Ölschicht fällt. Er wehrte sich nicht vergebens. Irgendwer auf „Fatty" wünschte seine Nähe nicht. Und dennoch kam er. Auf „Fatty" gab es vielleicht noch eine Chance für Kim und Wabash. Die „Walter Beckett" drang in die Lufthülle des Riesenplaneten ein. Die Außeninstrumente trugen die Messungen in die Forschungsabteilung und Beobachtungsstationen. Die Luft „Fattys" war atembar. Auf dem Hauptholografen über dem ausladenden Steuerpult hatte Rex Corda die Landung der „Walter Beckett" verfolgt. Der Boden „Fattys" war hart und felsig. Beim Landen hatten sie nirgends in der Nähe das Anzeichen einer Siedlung bemerkt, die auf das Vorhandensein intelligenter Bewohner schließen ließ. Offensichtlich war diese Welt unbewohnt. Und dennoch wußte Rex Corda, daß dieser Eindruck täuschte. Es gab etwas auf „Fatty", was menschliche Augen nicht wahrnehmen konnten — oder noch nicht wahrgenommen hatten. Die „Walter Beckett" war von der
Nachtseite des Planeten in die Lufthülle eingedrungen. Doch auch hier auf der Tagseite machte sich der gesteuerte Energiehaushalt der roten Riesensonne bemerkbar. Es wurde nicht richtig Tag. Ein violettes Licht lag über der ebenen, mit niedriger Vegetation bewachsenen Landschaft. Es gab vereinzelte Bäume und Sträucher, doch sie waren nicht einmal mannshoch. Den Pflanzen fehlte das Licht der Sonne. Ihr Wachstum war degeneriert. Rex Corda setzte sich mit John Haick in Verbindung. Der Freund kam aus der Funk- und Ortungsabteilung. Er wischte sich mit einer raschen Bewegung die weichen Haare aus der Stirn, die ihm wieder einmal nach vorn gefallen waren. Rex Corda erhob sich beim Eintritt Haicks aus dem Pneumosessel. Er klärte den Atomwissenschaftler über sein Vorhaben auf. „So wenig wie möglich sollen mich begleiten. Ich habe an dich und an GaVenga gedacht, falls es zu Kontaktgesprächen kommen sollte." Viel Worte waren nicht nötig gewesen. John Haick wußte um den Zustand Kims und Wabashs. Die Stimmung an Bord der „Walter Beckett" war bedrückt. Dr. McCluskey hatte ein Bulletin in Umlauf gebracht. Der Zustand Kims und Wabashs gaben zu größter Besorgnis Anlaß. Es bestand kaum noch Hoffnung. Kim lag unter einem Sauerstoffzelt. Er hatte nicht mehr die Kraft, selbst Atem zu schöpfen. Seine Lungen versagten den Dienst. Ständig bemühten sich auch Ärzte, Forscher und Chemiker, um den weißen Delphin am Leben zu erhalten. Sie alle hatten den Kampf mit dem Tod aufgenommen.
Doch es schien, als wären sie die Schwächeren. Die modernsten medizinischen Mittel versagten. Fan Kar Kont hatte mit einem Stab hervorragender Wissenschaftler eine geheime Besprechung einberufen, um die Lage zu erörtern. Sie alle suchten verzweifelt nach einer Möglichkeit, Kim Corda und Wabash am Leben zu erhalten. Wenn man den Feind kennen würde und wüßte, womit der operierte, würde es vielleicht auch eine Abwehrmöglichkeit geben. Aber man wußte nichts von der geheimen Kraft, die beide Telepathen an Bord der "Walter Beckett" zu töten versuchte. Während Fan Kar Kont mit einer Gruppe Spezial-Wissenschaftler den Zustand Kims und Wabashs erörterte und die Frage zu klären versuchte, ob es sich vielleicht um mentale oder um elektromagnetische Einflüsse handeln könnte, machte Rex Corda alles für das Verlassen der „Walter Beckett" bereit. Er benutzte einen Diskusraumer vom Pon-Typ. Die Scheibe hatte einen Durchmesser von 20 Meter. Es war ein ViermannLandungsboot ohne stärkere Bewaffnung. Bevor Rex Corda gemeinsam mit John Haick und dem zwergenhaften Kynother, der von einem Ohr zum anderen strahlte, weil er Rex Corda begleiten durfte, mit dem Diskus den Hangar verließ, erkundigte er sich noch einmal nach dem Befinden Kims und Wabashs. Es hatte sich nichts verändert. Kurz darauf glitt der Diskus aus dem Hangar, stand zwei Sekunden lang scheinbar bewegungslos über der „Walter Beckett", deren beide 200 Meter durchmessende Kugeln unter dem rötlichen Licht der Riesensonne „Fattys" matt schimmerten. Dann warf Rex Corda den Diskus in
die Höhe und glitt über die Oberfläche des dämmrigen Planeten. Er stand ständig mit Bekoval und Percip in Verbindung. John Haick sah den Freund von der Seite an. Rex Cordas Gesicht war ernst und verschlossen. „Du hast nur auf eine Vermutung hin die ,Walter Beckett' verlassen, nicht wahr?" fragte er leise. Rex schüttelte den Kopf. „Anfangs war es eine Vermutung, richtig. Doch jetzt habe ich die Gewißheit, John, daß der Zustand, unter dem Kim und Wabash leiden, hier auf ,Fatty' erzeugt wird." Er berichtete ihm in knappen Worten von den Einflüssen, die er empfangen und die auch ihn hatten bezwingen wollen. „Und wo willst du den Ort finden, Rex?" Rex Corda lächelte. Doch seine Augen lächelten nicht mit. „Ich warte darauf, daß dieser Jemand sich wieder bemerkbar macht. Das wird mich leiten. Wo der Einfluß am stärksten ist, werde ich diesen Jemand finden, darauf kannst du dich verlassen, John." Der Diskus raste über „Fatty" hinweg. Die violette Dämmerung hüllte sie ein wie ein Mantel. Ga-Venga war auf dem hintersten Sitz zusammengesunken und summte ein leises Lied vor sich hin. Da zuckte Rex Corda plötzlich wie von einer Peitsche getroffen zusammen. John Haick sah das schmerzverzerrte Gesicht des Präsidenten und reagierte sofort. Er übernahm die Steuerung des Diskus, während Rex Corda sich langsam in den Sessel zurücksinken ließ. „Sie sind ganz nahe", kam es wie ein Hauch über Cordas Lippen. Auf seiner Stirn perlte der Schweiß.
„Sie weisen mich zurück. Sie wissen, warum ich komme." Rex Corda preßte die Augen zusammen. „Landen", befahl er knapp. John Haick reagierte prompt. Wie ein Blatt im Wind senkte sich der Diskus hinab. „Wer sind ,sie'?" wollte John Haick wissen. Ga-Venga hatte sich nach vorn gebeugt. Rex Cordas Gesicht wirkte wieder ruhig und entspannt. „Ich weiß es nicht, John", erwiderte Corda auf die Frage des Freundes. „Ich fühle sie, aber ich habe keine Ahnung, wie sie aussehen, wer sie sind. Sie können sich nicht mit mir verständigen. Ich kann lediglich an ihren Gefühlen teilhaben. Sie fürchten sich vor etwas, aber ich kann nicht erkennen, wovor sie sich fürchten." Er wandte sein Gesicht dem Kynother zu. „Ihr bleibt im Diskus", entschied er. „Ich werde mich ein paar hundert Meter vom Diskus entfernen. Ich werde ,sie' spüren lassen, daß ich nicht als Feind gekommen bin. Laßt mich nicht aus den Augen. Vielleicht müßt ihr eingreifen." Sie nickten ihm schweigend zu. Dann verließ Rex Corda den Diskus. John hatte den Kleinstraumer in der Nähe eines kaum mannshohen dünnblättrigen Gewächses gelandet. So weit das Auge reichte breitete sich die ebene, steppenartige Landschaft um Rex Corda aus. Nur vereinzelt stand ein Busch oder ein Baum in dieser Steppe. Der Boden unter seinen Füßen war hart und hatte die Farbe der Dämmerung. Es war hellichter Tag auf „Fatty". Nach dem Stand der roten Sonne zu urteilen, mußte es jetzt früher Mittag sein. Und doch herrschte ein Zustand der Dämmerung auf dem Riesenplaneten. Es würde niemals heller werden. Der
Sonne fehlte die Kraft. Ihre Energie wurde benutzt, um das künstliche „Pentagramm" zu stützen. Rex Corda entfernte sich immer weiter vom Diskus. Er ging einfach in die Landschaft hinein. Er hatte die Nähe der „Anderen" gespürt. Sie sollten sehen, daß er gekommen war, um etwas Furchtbares zu verhindern. Vielleicht wußten sie nicht einmal, daß sie Kim und Wabash an den Rand des Todes brachten. Sie, die Fremden auf „Fatty", wußten nur eines: Rex Corda war gekommen, obwohl sie ihm eine weitere Annäherung verboten hatten. Rex Corda ging geradeaus. Er warf nicht einen Blick zum Diskus zurück. Er fühlte die Blicke John Haicks und Ga-Vengas auf seinen Rücken gerichtet. Aber er fühlte auch noch etwas anderes. Jeder seiner Schritte wurde beobachtet, registriert und mit Schrecken wahrgenommen. Rex Corda lauschte in sich hinein. Er wartete auf eine ganz bestimmte Reaktion. Aber es erfolgte nichts. Nach dem letzten stürmischen Gefühlsangriff auf sein Bewußtsein hatten sie sich zurückgezogen. Und nun ließen sie ihn in Ruhe. Corda schluckte. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Er mußte ständig an Kim und Wabash denken. Jede Sekunde war kostbar, war kostbar für Wabash und Kim. Vielleicht war es auch schon zu spät? Sein Herzschlag beschleunigte sich. Das Blut hämmerte in seinen Schläfen. Warum machten sie sich jetzt nicht mehr bemerkbar? Sie waren doch ganz nahe gewesen, ganz nahe! Er verhielt im Schritt, blickte in die Dämmerung. Nichts. Nur Steppe, ein einzelner Baum, der dünn und kraftlos keine zehn Schritte
von ihm entfernt stand, und die violette Dämmerung, in der kein Laut, kein Windhauch war. Das war seine Umgebung. Die Luft war mild und angenehm. Ratlos stand er da, dann setzte er sich wieder in Bewegung, einen Fuß mechanisch vor den anderen setzend. Er hatte mit „ihrem" Erscheinen gerechnet. „Sie" wußten von ihm, daß er nicht als Feind gekommen war. Er hatte keine Waffe bei sich. Locken „sie" ihn in eine Falle? Zur Sicherheit waren Ga-Venga und John Haick zurückgeblieben. Sie würden eingreifen, wenn die Situation es erforderte. Er wußte nicht mehr, wie lange er so gegangen und stur vor sich hingeblickt hatte. Er rechnete schon gar nicht mehr mit „ihrem" Erscheinen. Trauer und Niedergeschlagenheit erfüllte ihn, als er daran dachte, was geschehen würde, wenn seine Mission auf „Fatty" umsonst war. Kim und Wabash mußten sterben. Eine geheimnisvolle Macht schmiedete Ketten um ihr telepathisches Bewußtsein, legte dadurch auch gleichzeitig andere wichtige Gehirnzentren lahm. Er dachte schon daran, zum Diskus zurückzukehren. Da geschah es. Und es war ganz anders, als er es sich vorgestellt hatte ... * „Sie" fühlten ihn. Aber „sie" hielten sich zurück. Vielleicht würde er zurückkehren, wenn er bemerkte, daß „sie" sich nicht für ihn interessierten. Aber der Fremde dachte nicht daran. Er näherte sich immer mehr dem Tagon. Gefahr für alle Tutuuhs! „Sie" konnten nicht zulassen, daß er „sie" durch seine Nähe in tödliche Gefahr brachte. Aus der Ferne war er, der Fremde, noch zu ertragen gewesen.
Die beiden anderen jedoch waren selbst in der Tiefe des Alls eine tödliche Kraft für alle Tutuuhs. Die empfindliche Nachkommenschaft wäre unter den ständigen telepathischen Strömungen zugrunde gegangen. Die wabernden, vibrierenden Körper in der Tiefe „Fattys" verschlangen sich ineinander, bildeten ein wirres, dichtes Knäuel, ein Netzwerk aus ihren dünnen langen Körpern, die an goldene Lianen erinnerten. Ein Netz dieser „Fäden" wurde so stark durch das Hinzukommen anderer Körper verdichtet, daß fast eine glatte kuppelartige Fläche über dem breiten Tagon entstand. In dem Tagon regt es sich. Ein Gefühl des Schmerzes rann durch ihre Körper. Die Tutuuhs durften sich nicht bewegen. Es war noch zu früh dazu. Sie befanden sich in einem Stadium der völligen Ruhe. Nichts durfte ihre Entwicklung stören. Jeder Einfluß mußte von ihnen ferngehalten werden. Schwere Schädigungen wären die Folge, wenn gewisse „Überspannungen" in ihrem Bewußtsein erzeugt würden. Diese „Überspannungen" fanden nun abermals Eingang in die Tagons. Der Fremde war in der Nähe. „Sie" mußten auch ihn würgen, um den Frieden in den Tagons nicht zu stören. Aber er war anders als die beiden, die bisher mit den „Überspannungen" die Nachkömmlinge in den Tagons in Gefahr brachten. Sie konnten seine Gefühle nicht blokkieren, er bewegte sich auf einer anderen Frequenz. Die Unruhe in den Tagons verstärkte sich. Der Fremde war unmittelbar in der Nähe. Die Tutuuhs bewegten sich unter hef-
tigen Wellenbewegungen im Tagon hin und her. Die winzigen, wurmgroßen leuchtenden Körper bildeten eine einzige quirlende, zuckende Masse. Sie litten. Entsetzen durchfuhr die großen, mehr als zehn Meter langen glühenden Fadenkörper, die sich ineinander verschlangen, in der Hoffnung, das Dach über dem Tagon so zu verstärken, daß die „Überspannungen" abgeleitet wurden und als mentale Wucht in das Bewußtsein des Senders zurückschnellten. Hier versagte das naturgegebene Prinzip. Sie mußten etwas anderes tun. Sie mußten den Fremden aus der Nähe des Tagons wegschaffen. In den unterirdischen Hallen regte sich ein wisperndes leuchtendes Leben. Die „Singenden Fäden" glitten nach oben. * Sie waren plötzlich da. Ein Raunen, ein helles Singen lag in der Luft. Die Dämmerung um ihn herum veränderte sich schlagartig. Wo nur Steppe, rötlich-blaue Ferne und ein einzelner armseliger Baum gewesen waren, herrschte plötzlich ein unfaßbares Leben. Rex Corda wich mit einem leisen Aufschrei zurück. Doch sie waren auch hinter ihm. Sie waren überall. Ihre langen schmalen Körper wogten vor ihm auf und ab. Sie waren flach und schmal, nicht breiter als zehn Zentimeter. Sie erinnerten ihn an riesige Fäden, Sphärenhafte Klänge erfüllten die Luft um ihn herum. Gehetzt blickte Corda sich um. Waren sie das, die Fremden, mit denen er geistigen Kontakt gehabt hatte?
Waren sie die Würger, die Wabash und Kim mit jeder Sekunde, die verran, dem Tode näher brachten? Er fühlte nichts in sich. Er lauschte vergebens auf Stimmungen und Gefühle, sandte vergebens seine empathischen Ströme aus. Er fand keinen Hörer. Sie ringten ihn ein, woben ein dichtes Netz über ihm, verschlangen und verknoteten sich. Corda wehrte sich verzweifelt. Er schlug um sich, riß an den leuchtenden Fäden. Entsetzt zog er seine Hand zurück. Kristallhart war die Oberfläche der flachen, wogenden, singenden Körper. Sie zerfetzten seine Haut und das warme Blut rann in breiten Bahnen über seine Hand, tropfte auf die Erde, die durch die Anwesenheit der „Singenden Fäden" einen gelblichen Schimmer angenommen hatte. Der Kreis um ihn herum wurde immer enger. John Haick und Ga-Venga waren auf den gefährdeten Freund aufmerksam geworden. Doch sie konnten ihm nicht helfen, ohne nicht auch ihn zu verletzen oder gar zu töten. Das Netz der „Singenden Fäden" war dicht und undurchdringlich geworden. Rex Corda lag inmitten des Kranzes wie in den Klauen eines Ungeheuers. Er wagte nicht, sich zu bewegen, aus Angst, sich an den kristallharten Körpern zu verletzen. Der Boden unter ihm bewegte sich. Die Körper glitten mit ihrem Opfer davon. Der Diskus verfolgte sie, aber er konnte nicht eingreifen. Plötzlich hörte die Bewegung auf. Rex Corda erstarrte. Durch das poröse Netzwerk der leuchtenden Lianenkörper hindurch sah er, wie er plötzlich dem Boden näherkam. Die Bewegung ging abwärts. Es ging durch
die Oberfläche des Planeten hindurch! Der Boden unter ihm veränderte sich. Er glitt durch ihn hindurch, wie durch einen dichten, wallenden Nebel. Die atomare Struktur des Bodens war an dieser Stelle anders als an anderen Orten „Fattys". Äußerlich war dem Boden die Strukturänderung nicht anzusehen. Er sah aus wie überall. Es war eine dunkle, steppenartige Fläche. Rex Corda glaubte sekundenlang, zu ersticken. Dann änderte sich die Welt um ihn herum wieder. Er konnte wieder atmen und sehen. Doch er befand sich in der Gewalt der „Singenden Fäden". * Als er die „Lynthos" verließ, fühlte er es zum erstenmal. Fern und schwach waren die Einflüsse. Doch sie machten ihn rasend. Mit fiebrig glänzenden Augen sah er sich um. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Er starrte hinauf in den blaßblauen Himmel, unter dem zarte, luftige Wolken dahinzogen. Es kam aus der Tiefe des Alls. Es reizte ihn. Doch er hätte nicht zu sagen vermocht, was es war. Sigam Agelon wurde durch die flink arbeitenden Arbeits- und Hilfsrobotergruppen, abgelenkt. Er besprach sich wenig später mit seinen Kommandanten. Ein Schiff war so stark beschädigt, daß sich eine Reparatur nicht lohnte. Es war ein Wunder, daß die Hantel noch zu einer einigermaßen vernünftigen Landung hatte ansetzen können. Die Besatzung des nicht mehr zu reparierenden Hantelraumers wurde auf andere Schiffe verteilt. Sigam Agelon war in diesen Stunden
der Reparatur überall. Er gab hier seine Anweisungen, brüllte die Leute an, trieb sie an die Arbeit. Jede Sekunde schien ihm kostbar. Er konnte es kaum erwarten, wieder im Raum zu sein und einen erneuten Vorstoß in das „Pentagramm der Dunkelsterne" zu unternehmen. Als er zur „Lynthos" zurückkehrte, geschah es. Einer der Kommandanten legte die Strahlwaffe auf ihn an. Drei energiegeladene Bündel rasten auf Sigam Agelon zu. Der Flottenkommandeur wirbelte herum. Seine rote Bluse hatte einige versengte Flecken. Er hatte die Energie in sich aufgenommen, wie ein Schwamm. Mit unbewegtem Gesicht ging Sigam Agelon auf den langsam zurückweichenden Kommandanten zu. Im Gesicht des Meuterers zuckte es. Die Angst spiegelte sich in seinen Augen. Er warf einen mißtrauischen Blick auf seine Strahlwaffe, als könne er nicht glauben, was sich eben ereignet hatte. Schneller als er sich besinnen konnte, erwischte ihn Sigam Agelon am Kragen. „Du wolltest mich töten", stieß er hart zwischen den Zähnen hervor. „Ihr bringt uns alle ins Unglück", war die Entgegnung. „Meine Besatzung wird die Raumfestung nicht angreifen. Es ist heller Wahnsinn, gegen sie vorzugehen." Sigam Agelons Mundwinkel zuckten. Seine Rechte kam hoch. Ein Schlag mit der flachen Hand wirbelte den Meuterer gegen die Wandung des hinter ihm stehenden Hantelraumers. Der Meuterer schüttelte sich benommen. Viele Orathonen waren auf die Auseinandersetzung aufmerksam geworden. Sie hielten den Atem an. Es war ungeheuerlich, was vor ihren
Augen geschah. Ein Mordanschlag auf einen Angehörigen der FAMILIE! Ein Kommandant meuterte. Doch Sigam Agelon war unverwundbar. Sie glaubten, Zeugen eines Alptraums zu sein, als aus dem Schiff des meuternden Kommandanten ein mörderisches Angriffsfeuer auf Sigam Agelon eröffnet wurde. Der Boden um Agelons Füße wurde flüssig, warf Blasen. Heißglühende Gesteinsbrocken flogen um seinen Kopf, trafen ihn, ohne ihm eine Wunde zuzufügen. Ein wahnsinniges Lachen kam über seine Lippen. Er hob die rechte Hand und gab damit das Zeichen, gegen die meuternde Mannschaft vorzugehen. „Ihr könnt mich nicht töten", rief er den Angreifenden zu, nachdem der Schall der Explosion einer Mine in seiner unmittelbaren Nähe verklungen war. Es schien, als würde die um ihn herum freiwerdende Energie seinen Körper stärker, widerstandsfähiger machen. Er erhielt Unterstützung von den Mannschaften, die noch auf seiner Seite standen. Es berührte ihn nicht sonderlich, als er erkennen mußte, daß es einen zweiten Hantelraumer gab, dessen Besatzung ausgefallen war. Ein Kampf zwischen Orathonen und Orathonen spielte sich mit unbarmherziger Härte während der nächsten Minuten ab. Die eine Besatzung ergab sich schließlich, kehrte reumütig unter das Kommando Sigam Agelons zurück, nachdem ihr Kommandant von Agelon zum Tode verurteilt und das Urteil sofort vollstreckt worden war. Nur die Besatzung der „Ganthos" wehrte sich noch immer verzweifelt, versuchte den wahnsinnigen Agelon zu töten, als er in die „Lynthos" zurück-
kehrte, mit zerfetzten, verbrannten Kleidern, aber keiner einzigen Wunde an seinem Körper. Die Meuterer gaben nicht auf. Die „Lynthos" griff in den Kampf ein. Die „Ganthos" wurde unter dem massiven Beschuß in einen grellen Glutball verwandelt. Zwei Wracks blieben auf einem der Monde „Fattys" zurück. Eines, das von „Schalmirane" zerschmettert worden war, ein anderes, das Orathonschiffe hatten ausglühen lassen. Mit weniger als 600 Hantelraumern startete Sigam Agelon erneut zum Anflug auf das „Pentagramm der Dunkelsterne". Als er die Lufthülle der Sauerstoffwelt mit der „Lynthos" passierte, fühlte er wieder die Nähe einer Persönlichkeit, die ihm gleich und die ihm doch überlegen war. Seine Augen glänzten wie im Fieber, seine gemusterten Augenlider zuckten. Wie ein Krampf lief es durch seinen Körper, die Macht, die er in seiner Nähe spürte, zu vernichten. Die Einflüsse wurden schwächer, verschwanden wieder und Ruhe kehrte in Sigam Agelons Bewußtsein ein. Er durfte sich jetzt durch nichts ablenken lassen. Der große Angriff auf die Raumfestung stand unmittelbar bevor. Er besprach sämtliche Einsätze noch einmal kurz mit seinen Kommandanten. Die Feuerleitstellen in sämtlichen Hantelraumern wurden in voller Stärke besetzt. Nur einmal hatte er, Sigam Agelon, dritter Sohn des mächtigen Moga Agelon, sich überlisten lassen. Zum zweiten Mal würde er der Festung keine Chance geben, ihn zu überraschen. Diesmal würde er schneller sein. Sie näherten sich dem Planetoiden in rasendem Flug. Sigam Agelon hatte seine Flotte in Hufeisenform formiert. Mit der offenen
Seite der gewaltigen U-Formation stürmten die Schiffe „Schalmirane". Die Festung wurde von den heranstürmenden Hantelraumern eingekreist. Da gab Sigam Agelon den Feuerbefehl. Dreihundert Schiffe — ein Drittel davon schwere Wonn-Raumer, deren Kraft berühmt geworden war im Kampf gegen Lakton — griffen an. Sigam Agelon stand mit unbeweglichem Gesicht vor dem Hauptholografen in der „Lynthos". Die „Lynthos" hielt sich etwas abseits. Sigam Agelon wollte Übersicht haben über den Kampf, der dieser kleinen Festung den Garaus machen würde. Die dreihundert gleichzeitig angreifenden Hantelraumer würden aus dem Planetoiden eine Gaswolke machen. „Schalmirane" wurde mit einem mörderischen Angriffsfeuer belegt. Agelon setzte schwerste Raumminen ein. „Schalmirane" wurde von der Wucht der auf sie einschlagenden Energiemengen auf die Seite gedrückt. Der blaue, mehrschichtige Schutzschirm über dem Planetoiden wurde in eine gleißende Lichtflut getaucht. Ein Zittern lief durch die Wachstation der „Zeitlosen", lange, grellgelbe Lichtfinger zuckten über die zerklüftete Oberfläche, versanken wie Wasser in einem völlig ausgetrockneten Schwamm in der Tiefe des Planetoiden. Die Raumfestung geriet plötzlich in Bewegung. Sigam Agelon ahnte nicht, daß er den „Zeitlosen" half. Die riesigen Energiemengen, die die Umformerstationen der Hantelraumer auf „Schalmirane" warfen, pumpten unzählige aktivierte Zapfstationen in die Antriebsanlagen der Raumfestung. „Schalmirane" beschleunigte mit atemberaubend hohen Werten, raste aus der Öffnung der „U"-Formation und stürmte mit wahnwitziger Geschwindig-
keit auf das flimmernde, unter ungeheuren Gravitationsschwankungen stehende „Loch" im Mittelpunkt des „Pentagramms" zu. Sigam Agelon lachte. Sein kräftiger Körper spannte sich. „Sie fliehen", kam es mit mächtiger Stimme über seine Lippen. „Wir lassen nicht locker. Ich wußte, daß sie zu besiegen sind. Ihnen nach!" Diese Entscheidung war der zweite folgenschwere Fehler innerhalb weniger Stunden. Er wußte nichts von den Gegenkräften, die auf „Schalmirane" wirksam wurden. Es sah ganz so aus, als wollte die Raumfestung durch das „Loch" hindurch in das andere Universum eindringen. Die sechshundert Hantelraumer unter dem Oberkommando Agelons setzten nach, nahmen die Station abermals unter Feuer. Der Schutzschirm um „Schalmirane" hatte einen satten Rotton angenommen. Wie Schlangen hüllten die massiven Strahlschüsse aus den Hantelraumern die Station ein. Das All um „Schalmirane" leuchtete in einem tiefen Blau. Die Raumfestung lag unter einem Energiepotential, unter dem sie sich jeden Augenblick in Atome auflösen mußte. Jetzt saß die Festung wieder wie ein Pfropfen vor dem „Loch". Für einen Augenblick hatte Agelon das Gefühl, der Planetoid würde völlig stillstehen. Doch er hatte sich offenbar getäuscht. Die Raumfestung bewegte sich, wurde größer auf dem Hauptholografen — und ... Ein Meer aus Feuer hüllte die „Lynthos" ein. Das Flaggschiff wurde von einer Faust gepackt und weit in das All hinausgeschleudert. Ein Hantelraumer der Wonn-Klasse wurde quer gegen die „Lynthos" geworfen.
Unter der Wucht des Anpralls auf den superstarken Schutzschirm der „Lynthos" brach der schwarze Hantelraumer in der Mitte entzwei. Kleine Gestalten lösten sich aus den Kabinen. Ihre gelben Raumanzüge leuchteten für einen Augenblick auf dem schwarzen Hintergrund des Kosmos, ehe ein lodernder Feuersturm ihre Körper verbrannte oder riesige Metallbrocken aus zerfetzten Hantelraumern sie wie lästige Insekten einfach hinwegwischten. Ein ungeheueres Chaos brach unter der Flotte Agelons aus. Die mit titanenhafter Gewalt zurückgeschleuderte Raumfestung war mitten in die angreifende Flotte hineingerast. Grell aufflammende Kugeln, zerfetzte Energieabsorber taumelten durch das All, das wie unter einem feurigen Orkan zu ächzen schien. Entsetzens- und Todesschreie hallten durch die Kabinen der getroffenen, wie unter der Faust eines Riesen zerbrechenden Hantelraumer. Es gab in diesen Sekunden keinen Zeugen, der in diesen Schiffen überlebte und später davon berichten konnte. Die „Lynthos" und viele andere Raumer waren weit zurückgeworfen worden. Die Kommandanten suchten ihr Heil in der Flucht. Ein heilloses Durcheinander herrschte an Bord der fliehenden Schiffe. Hilfsroboter waren damit beschäftigt, die gefährlichsten Schäden so schnell wie möglich zu beseitigen. Säuretanks waren geplatzt, wurden zur tödlichen Gefahr für die Besatzung, die sich nicht rechtzeitig aus den betroffenen Räumen zurückziehen konnte. Sigam Agelon war auf dem Pneumosessel zusammengesunken. Er konnte diese zweite entsetzliche Niederlage innerhalb weniger Stunden nicht begreifen.
Was war ihm geblieben? Noch hatte er keine Übersicht über die erlittenen Verluste. Aber sie würden beträchtlich sein. Abermals hatte die Raumfestung ihre Unverletzbarkeit und ihre ungeheuere Schlagkraft bewiesen. Wie hinter einem Schleier nahm er eine zerfetzte Kugel wahr, die an der „Lynthos" vorbei in die Tiefe des Alls hineinglitt. Tote hingen über verbogenen Metallstreben, verbrannte Raumanzüge, in denen die Körper fehlten, wallten wie unter einer Windbewegung auf einem wabernden Metallsee innerhalb der Kabinen auf und ab. Raumminen, deren Wärmedetektoren ansprachen, vernichteten diese steuerlos treibenden Wrackteile, wenn sie in ihren tödlichen Wirkungsbereich gelangten. Sigam Agelon mußte mitansehen, daß vier nicht einwandfrei arbeitende Raumer wie irrsinnig durch das All taumelten und gegen einen Hantelraumer der Dorr-Klasse knallten. Die superstarken Schutzschirme waren beim Einschlag der Raumfestung zwar zusammengebrochen, der Kommandant hatte sein Schiff aber retten können. Nun aber war er ohne Schutzschirm den Raumminen ausgesetzt. Der Hantelraumer wurde vor Sigam Agelons Augen vernichtet. Drei der Minen erreichten fast gleichzeitig ihr Ziel. Die Wasserstoffbomben verwandelten den DorrRaumer in eine Dampfwolke, die sich nur langsam auflöste ... Sigam Agelons Hände zitterten. Er schluckte heftig. Zorn und Wut tobten in ihm, machten ihn rasend. Seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepreßt. „Die Flotte formiert sich neu", kam es mit matter Stimme über seine Lippen.
Cort Kosta, sein Vertrauter, sah ihn mit starrem Blick an. In seinen Augen loderte ein wildes Feuer. „Ein neuer Angriff?" fragte er tonlos. Er konnte nicht glauben, was er aus der Geste Sigam Agelons entnommen hatte. Sigam Agelon nickte, ohne ihn anzusehen. „Ein neuer Angriff." Er wiederholte jedes Wort mit einer solchen Betonung, daß dem Vertrauten Agelons eine Gänsehaut über den Rücken lief. Um seine Mundwinkel zuckte es. Sah denn Sigam Agelon die Sinnlosigkeit eines weiteren Angriffs nicht ein? War ihm der Blick für das Reale getrübt? Gort Kosta brach der Schweiß aus, als Sigam Agelon sich über Bordfunk an den Rest der geflohenen Flotte wandte, und seinen Befehl bekannt gab. In diesen Sekunden zeigte sich, daß die Geschehnisse auf dem Mond „Fattys" nur der Anfang einer Entwicklung gewesen waren. Diesmal weigerten sich eine Reihe von Kommandanten, weitere Angriffe zu fliegen. An Bord mancher Schiffe kam es zu ernsthaften Auseinandersetzungen zwischen Besatzung und Kommandant. Agelons treue Kommandanten wurden von meuternden Besatzungsmitgliedern kalt und erbarmungslos niedergemacht. Kommandanten wurden ernannt, die Sigam Agelon jeden Gehorsam verweigerten. Sigam Agelon schäumte vor Wut. „Wie können sie es wagen, sich gegen mich zu stellen?" brachte er zähneknirschend hervor. Das Feuer in seinen Augen verstärkte sich. „Ich werde die Abtrünnigen eigenhändig umbringen." Er wandte sich um, blickte seinem Vertrauten zwei Sekunden lang in die Augen. „Würdest du es wagen, Kosta, mich im Stich zu lassen?"
Cort Kosta schluckte. Er öffnete seine Lippen. Seine gemusterten Augenlider zitterten. „Vielleicht", sagte er dann leise, aber so deutlich, daß Sigam Agelon jedes Wort verstehen konnte. „Es käme auf die Situation an. Und eine solche Situation ist eingetreten." In Sigam Agelons Gesicht bewegte sich kein Muskel. Haß, Erstaunen und seinen Tod las Cort Kosta im Blick der kalten Augen Agelons. Der Vertraute Agelons wich langsam zurück. Er tastete nach dem Strahler in seinem Gürtel. Sigam Agelon lachte höhnisch. „Du hast keine Chance, Kosta", sagte er nur, dann stand er vor dem Vertrauten. Er streckte die Hand nach ihm aus. Ein Druck seiner Finger würde genügen, den Schädel Kostas einzudrücken. * Tarun Harmo war ein erfolgreicher Kommandant. Er hatte in vielen Schlachten mit Sigam Agelon gekämpft. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, auch nach der schmählichen Niederlage gegen die Laktonen im Sol-System, wieder unter Sigam Agelons Befehl zu stehen. Doch nun war die Grenze seiner Geduld erreicht. Er konnte nicht zulassen, daß ein Wahnsinniger weiterhin das Leben unzähliger Orathonen leichtfertig aufs Spiel setzte. Der Entschluß fiel Tarun Harmo schwer. Und doch rang er sich zu ihm durch. Er befahl der Funkerabteilung, auf der Spezialfrequenz eine Nachricht nach Khara abzusetzen, und Moga Agelon, dem mächtigen Herrscher des Reiches, über die Ereignisse im
Raumabschnitt der Bericht zu erstatten.
Dunkelsterne
* Moga Agelon saß mit einem seiner Berater im Park. Es war Abend auf Khara. Ein milder Wind strich vom Süden her über den Park, erfrischte die Orathonen, die nach der Hitze des Tages diesen milden, lauen Abend begrüßten. Moga Agelon war ganz in Rot gekleidet. Es war die Farbe der FAMILIE. Die 800 Mitglieder der FAMILIE waren die einzigen, die rote Kleidung haben durften. Allen anderen Orathonen blieb diese Farbe versagt. Das Gespräch, das unter vier Augen geführt wurde, wurde durch die Annäherung eines Boten unterbrochen. Der Bote kündigte sich durch ein akustisches Signal an, ehe er die Erlaubnis des Moga Agelon erhielt, seine Nachricht zu überbringen. „Sie werden auf der Spezialfrequenz verlangt, Herr", sagte der Bote mit gedämpfter Stimme, nachdem er sich vor dem rotgekleideten Herrscher verbeugt hatte. Der Wind fuhr durch die Bäume, die Wipfel rauschten und seltsame leise Töne drangen aus einem breitblättrigen, palmenartigen Gewächs. Eine Vogelart, die sich nur während der Dunkelheit bemerkbar machte, hatte dort ihr Nest. Moga Agelon blickte auf. Er erhob sich langsam. Der Bote wich drei Schritte zurück, um seine Ehrfurcht vor dem Herrscher zu beweisen. „Kommandant Tarun Harmo bittet dringend um ein persönliches Hyperfunkgespräch. Es geht um das Schicksal der Flotte ihres dritten Sohnes." Ein unwilliger Zug verzerrte die Lippen des Agelon. Der Bote zog sich einen weiteren Schritt zurück. Die magische Ausstrah-
lung des mächtigsten und reichsten Mannes des Staates glaubte er beinahe körperlich wahrzunehmen. Moga Agelon bat seinen Gast, auf der Bank zurückzubleiben. Er verließ den Park über die schmalen Wege und betrat wenig später den Raum, in dem eine Spezialeinrichtung es ermöglichte, mit jedem Orathonensehiff im Bereich der Galaxis Sprechund Sichtverbindung zu schaffen. Es gab eine Reihe von mannshohen Holografen in dem Senderaum, in dem eine Anzahl Techniker damit beschäftigt waren, die zahllos eingehenden Verbindungen zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Ein alter, erfahrener Hypertechniker dessen Federn bereits ergrauten, führte Moga Agelon unter zahlreichen Verbeugungen und Ehrenbezeigungen zum Holografen hinter einer besonders gesicherten Wand. Dieser Ort war dem Agelon allein vorbehalten. Tarun Harmos schlanke Gestalt zeichnete sich lebensecht vor Moga Agelon ab. Der Kommandant, der zu diesem Zeitpunkt mehrere tausend Lichtjahre entfernt in seinem Raumschiff stand, gab nach den üblichen überlieferten Höflichkeitsbezeigungen einen genauen Bericht der Situation, in die die Flotte Sigam Agelons geraten war. Mit unbeweglichem Gesicht hörte sich das Oberhaupt der FAMILIE die knappe, präzise Darstellung, die nichts wegließ, aber auch nichts hinzufügte, an. Tarun Harmo verbeugte sich, nachdem er alles gesagt hatte, was zu sagen gewesen war. Abschließend fügte er lediglich hinzu: „Ich fühle mich als Kommandant der ,Olphos' dazu verpflichtet, das Oberhaupt der FAMILIE vor weiteren Schlägen zu schützen." Diese abschließende Formel fand in
den Ohren Moga Agelons ein besonderes Wohlwollen. Er nickte kaum merklich. Sein dicker Körper dehnte sich unter dem weiten roten Umhang von einem mächtigen Atemzug. „Ich werde mich mit meinem Sohn umgehend in Verbindung setzen und alles Nötige veranlassen." Mehr sagte er nicht. Dem Bericht Tarun Harmons gab es nichts hinzuzufügen. Moga Agelon hielt es nicht für notwendig, die Beschuldigungen, die in blumenreichen Worten zum Ausdruck gekommen waren, nachzuprüfen. Sigam hatte abermals versagt. Es erschütterte ihn nicht. Er liebte diesen Sohn nicht mehr sonderlich, der sich ständig eines neuen Vergehens gegen die FAMILIE schuldig machte. Sigam würde niemals das Oberhaupt des orathonischen Reiches werden. Er verfügte nicht über jenes Maß an Intelligenz, über das ein Oberhaupt verfügen mußte. Tarun Harmos Gestalt verschwand vor seinen Augen. Moga Agelon lehnte sich kaum merklich in dem Sessel zurück. Er hatte die Hände gefaltet auf dem Schoß liegen. Seine Miene drückte Energie und Macht aus. Diese Macht sollte Sigam jetzt zu spüren bekommen. Nichts sollte ihm bleiben ... Er wandte sich an den alternden Hypertechniker. „Schaffen Sie eine Verbindung zur 'Lynthos' ", befahl er. * Cort Kosta riß die Waffe hoch. Er wußte, daß sie keine Wirkung auf Sigam Agelon haben würde, und den-
noch konnte er die instinktive Abwehrbewegung nicht unterlassen. Er fühlte, daß sein Leben bedroht war. Er hatte sich gegen Agelon gestellt. Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre er mit einem Verweis davongekommen. Doch nicht mehr in dieser Situation, in der sich Sigam Agelon jetzt befand. Er war zu einem Ungeheuer geworden. Der scharfgebündelte Energiestrahl knallte voll in Sigam Agelons Gesicht. Ebensogut hätte ihn ein Windhauch streifen können. Der Flottenkommandeur packte Kosta, entriß ihm so heftig die Waffe, daß Kosta mit einem Schmerzensschrei in die Knie sackte. Ehe Kosta sich versah, hatte der Sohn des Moga Agelon ihn wieder hochgerissen, schüttelte ihn wie ein hilfloses Bündel hin und her. Kosta wehrte sich verzweifelt. Doch er hatte das Gefühl, gegen einen Berg anzurennen. Sigam Agelon, der „Veränderte", war ein Koloß, ein unbezwingbares Ungeheuer. Er drückte Kosta gegen die Wand. Cort Kosta fühlte, wie die Luft ihm knapp wurde. Sein Gesicht lief dunkelgrün an, die Augen quollen ihm aus den Höhlen. In Sigam Agelons Gesicht rührte sich nichts. Er verstärkte den Druck auf Kostas Brust, der verzweifelt mit den Händen um sich schlug, doch nirgends einen Widerstand fand. Mit letzter verzweifelter Kraft knallte er Agelon auf den Unterarm, versuchte den gewaltigen Druck zurückzudrängen. Es war die Kraft einer Fliege, die einen Elefanten bezwingen wollte. Kostas Körper wurde matt. Schlaff baumelten seine Arme an den Seiten herunter. Niemand im Schiff rührte sich.
Sie alle wurden Zeugen des ungeheuerlichen Vorgangs. „An die Funkerabteilung", sagte Sigam Agelon mit klarer kalter Stimme. Er ließ seinen Vertrauten nicht aus den Augen. Kosta atmete schwer, sein Herz schlug, als wolle es unter seiner Brust zerspringen. Der Schweiß rann in Bächen über sein verf ärbtes Gesicht. „Konferenzschaltung über sämtliche Schiffe", befahl er. „Sie sollen sehen, wie es einem Verräter ergeht." Über sämtliche ihm verbliebenen Schiffe wurden die Besatzungen Zeugen jenes Vorganges, der sich in der Kommandozentrale der „Lyrithos" abspielte. Sigam Agelon verfügte nach dem zweiten vernichtenden Schlag der Raumfestung noch über 400 Schiffe. Er war nicht bereit, durch meuternde Kommandanten weitere Schiffe seiner Flotte zu verlieren. Der Kampf mit den „Zeitlosen" stand ihm noch bevor. Sigam Agelon griff Kosta an der hochgeschlossenen Bluse und zog ihn langsam herum, so daß sein schmerzgepeinigtes Gesicht von den Aufnahmeobjektiven der Holografenanlage erfaßt werden mußte. „Ein Verräter", sagte er hart, während er Cort Kosta wie einen Spielball herumwirbelte. Er ließ ihn plötzlich los. Kosta knallte mit aller Wucht auf den Boden, blieb zuckend und keuchend liegen. „Nimm deine Waffe", befahl Agelon. „Zeige ihnen, daß du mich töten willst. Töte mich, Kosta, töte mich, wenn du es kannst. Sie alle sollen sehen, daß es dir nicht möglich sein wird." Cort Kosta hob seinen Kopf wie eine Zentnerlast, richtete sich langsam auf. „Ungeheuer!" stieß er tonlos hervor. Sein Gesicht war zur Unkenntlichkeit verzerrt.
Sigam Agelon lachte. Er lachte, daß es schaurig in der Zentrale widerhallte. Niemand in der „Lynthos" wagte sich zu rühren. Die Männer hielten den Atem an. Niemand griff zur Waffe, um dem grausamen Spiel ein Ende zu machen. Sigam Agelon stieß mit seinem rechten Fuß die Strahlwaffe Kostas nach vorn. Cort Kosta brauchte nur zuzugreifen. Er tat es nicht. „Warum nimmst du die Waffe nicht?" fragte Agelon laut. In seinen Augen flackerte ein irrsinniges Licht. „Nimm sie!" Er bückte sich, drückte sie dem auf der Erde Hockenden in die rechte Hand. Cort Kosta ließ die Waffe fallen. Da richtete Agelon die Waffe auf sich, drückte ab, ließ die gespeicherte Energiemenge auf seinen Kopf, seine Brust, über seine Arme streichen. Sein Körper schien sich unter der Flut der todbringenden Energien zu spannen, zu kräftigen. Er nahm die Waffe und warf sie hinter sich. „Nichts geschieht!" brüllte er. „Ihr solltet stolz sein, unter einem solchen Kommandanten dienen zu dürfen, anstatt euch gegen ihn zu erheben, wie es Kosta tat." Die Arroganz, die Überheblichkeit, die seine Miene ausstrahlte, waren nicht zu überbieten. Schon immer war er ein Verächter allen Lebens gewesen, das sich um ihn rührte. Doch nun haßte er dieses Leben. Er haßte sie alle. Was waren sie ihm gegenüber? Nichts! Armselige Würmer, die er mit einem Fuß zertreten konnte. Er riß Kosta mit einem Ruck nach oben, griff ihn und schleuderte ihn gegen die Wandung der Zentrale. Für einen Augenblick schien es, als wolle Kosta senkrecht stehenbleiben, doch dann rutschte sein kraftloser Körper langsam herunter.
Er rührte sich nicht mehr. Er war tot. Er lag auf der Strahlwaffe, mit der er Sigam Agelon hatte töten wollen. Sigam Agelon hatte seinen letzten Freund verloren. In diesem Augenblick meldete sich die Funkzentrale der „Lynthos", Einer der mannshohen Holografen flammte auf. „Hypersendung von Khara, Herr." Sigam Agelon wirbelte herum. Für zwei Sekunden schien alles Leben aus seinem Körper zu weichen. Doch sofort hatte er sich wieder in der Gewalt. Er stand Moga Agelon, seinem Vater, gegenüber. Das Oberhaupt der FAMILIE schien mitten in der Zentrale der „Lynthos" zu sitzen. „Ich entziehe dir den Oberbefehl über die Flotte, Sigam." Die Lippen des Moga Agelon bewegten sich kaum, als er jetzt sprach. Die Männer in den Kabinen der „Lynthos" erstarrten. Und nicht nur die Männer der „Lynthos". Noch immer bestand Holografenkonferenzschaltung. In allen vierhundert Hantelraumern wurden die Orathonen Zeugen der Begegnung zwischen dem Herrscher des Orathonenreiches und Sigam Agelon. Ein kaltes Lächeln umspielte Sigam Agelons Lippen. „Ein meuternder Kommandant hat dir wohl einen recht eindrucksvollen Bericht geliefert, scheint mir", antwortete er respektlos. Er trat zwei Schritte näher auf den Holografen zu. „Ich werde mich mit sämtlichen Kommandanten der Flotte in Verbindung setzen, Sigam", fuhr Moga Agelon ungerührt fort, und ließ sich nichts von dem plötzlichen Erschrecken anmerken, das ihn durchzuckt hatte. „Es wird nicht nötig sein, Vater",
entgegnete Sigam Agelon mit fester Stimme. „Zu sämtlichen Schiffen besteht im Augenblick Konferenzschaltung. Du kannst sprechen — alle werden dich hören!" Hochaufgerichtet stand er vor dem Bild des Moga Agelons. Selbst das lebensechte Holografenbild schien einen Teil der Persönlichkeit, der Macht und der Magie dieses Mannes in die Kabinen der vierhundert Hantelrau-mer zu tragen. Moga Agelon forderte die Kommandanten der vierhundert Raumer auf, nach Khara zurückzukehren. Kein Wort zuviel kam über seine Lippen. Er wollte die Verbindung ohne eine weitere Bemerkung abbrechen, als ihn eine Geste Sigams zurückhielt. „Vielleicht wollen sie gar nicht nach Khara zurück?" fragte Sigam Agelon mit spöttischer Stimme. Doch seine Ruhe war nur zur Schau gestellt. In seinem Inneren tobte ein Vulkan. Sigam Agelon war rasend vor Wut. Es fiel ihm in diesen Sekunden ungeheuer schwer, ruhig und gelassen zu bleiben. Doch mit übermenschlicher Anstrengung schaffte er es. Es befriedigte ihn, als er einen Zug des Unwillens über das Gesicht des mächtigen Moga Agelon huschen sah. Sigam Agelon genoß die Wirkung seiner Bemerkung offensichtlich. Er erwartete eine Erwiderung des Moga Agelons, doch sein Vater tat ihm nicht den Gefallen. Schweigend blickte er auf seinen Sohn. In seinem fleischigen Gesicht regte sich kein Muskel. Sigam Agelon preßte die Lippen zusammen und auf seiner Stirn bildete sich eine steile Falte. So stand er seinem Vater eine volle Minute gegenüber, ein Bündel geladener Energie, zerstörerischer Macht. „Sie werden sich deinen Befehl durch
den Kopf gehen lassen, Vater", sagte Sigam Agelon. „Und sie werden ihn nicht befolgen." „Was gibt dir das Recht, dich gegen eine Anweisung des Oberhauptes der FAMILIE zu stellen?" fuhr ihn Moga Agelon an. Seine Mundwinkel zuckten. „Ich befehle den Kommandanten sämtlicher Hantelraumer unter deinem Oberkommando nach Khara zurückzukehren", wiederholte Moga Agelon mit scharfer Stimme seinen Befehl. „Viele werden es vorziehen, in meiner Nähe zu bleiben, Vater. Bei mir haben sie Sicherheit — und bald auch Macht. Nach meinem Sieg über die „Zeitlosen" wird für uns ein neues Zeitalter anbrechen." „Du bist wahnsinnig, Sigam", stieß Moga Agelon hervor und sprang von seinem Stuhl auf. „Ich bin mächtig, Vater. Ich kann die ,Zeitlosen' besiegen!" sagte Sigam Agelon fest. Die scharfen Worte hingen wie eine Drohung in der Luft. Moga Agelon sah überrascht auf. „Die Kommandanten kehren nach Khara zurück", befahl Moga Agelon ein letztes Mal. „Ein freiwilliges Restkommando bleibt. Nicht mehr als 50 Einheiten!" Damit unterbrach er die Verbindung. Sigam Agelon schluckte. Jetzt würde sich zeigen, ob er sich getäuscht hatte. Er starrte auf die Holografen, die ein Bild des Raumabschnittes in die Zentrale übertrugen. Langsam löste sich ein Hantelraumer nach dem anderen aus der Flotte, entfernte sich von der „Lynthos". Die Kommandanten meldeten sich nacheinander beim Oberbefehlshaber der Flotte ab. Der Befehl des mächtigen Moga Agelon hatte sie erreicht. Sie befolgten den Befehl.
Aber sie befolgten ihn nicht alle. 380 Schiffe zogen ab, darunter schwere Raumer der Wonn-Klasse. Sigam Agelon stand wie aus Stein gemeißelt auf der Kommandobrücke. Er konnte nichts gegen den Befehl des Moga Agelon tun. Mühsam unterdrückte er die aufsteigende Wut, den Haß. Er würde es schaffen. Er mußte es schaffen. Auch ohne die mächtige Flotte, die ihm noch vor wenigen Minuten zur Verfügung gestanden hatte. Er verfügte nunmehr noch über zwanzig Schiffe. Es handelte sich ausnahmslos um Hantelraumer der Dorr-Klasse, deren Kommandanten sich freiwillig für Sigam Agelon entschieden hatten. Die phantastischen Eigenschaften, über die der Agelon verfügte, hatten sie dazu gebracht, dem Befehl des Moga Agelon nicht Folge zu leisten. In ihren Augen war Sigam Agelon zu einer gottgleichen Persönlichkeit geworden. Er war unbesiegbar. Er trotzte jedem Angriff. Niemand war ihm überlegen. Da gellte ein Schrei durch die Zentrale der „Lynthos". „Die Raumfestung, Herr!" Sigam Agelon fuhr herum. „Schalmirane" raste mit wahnwitziger Beschleunigung auf die winzige Flotte Agelons zu! * Sie kreisten über der Stelle, an der Rex Corda im Erdboden verschwunden war. Furcht und Erstaunen war in ihren Augen zu lesen. John Haick brachte den Diskus wenige Meter über den Boden. Er entdeckte keine Anzeichen der Veränderung. Unter ihm breitete sich der steppen-
artige Boden aus. Und doch wußte er, daß eine kreisrunde Fläche, mehr als zwanzig Meter im Durchmesser, eine andere atomare Struktur hatte, wie der Boden rundum. John Haick gab einen kurzen Bericht an die „Walter Beckett" ab. „Wir werden uns um Corda kümmern", sagte er abschließend. „Wenn wir innerhalb von zwei Stunden nicht zurück sind, sucht uns." Er gab die genaue Position des Diskus' an und beschrieb die Stelle, an der Rex Corda im Boden versunken war. Dann ließ er den Diskus absacken. Er senkte sich ohne Widerstand in den Boden, der an dieser Stelle wie ein Nebelgebilde war. Eine graue, wogende Masse hüllte den Diskus ein. Ga-Venga rührte sich nicht auf dem Rücksitz. Er schien in diesen Sekunden wie aus Stein gemeißelt. Er öffnete andeutungsweise den Mund, um einen seiner üblichen melancholischen Gesänge anzustimmen. Doch kein Laut kam über seine Lippen. Dann wurde es langsam hell um den Diskus. * Auf Rex Cordas Stirn perlte der Schweiß. Er hatte jeglichen Widerstand aufgegeben. Er wußte, daß es sinnlos war. Ohne Waffe war er den „Fäden", wie er sie im stillen getauft hatte, unterlegen. Ihre harte Kristalloberfläche konnte seinen Körper zerschinden und zerschneiden. Er blutete an Armen und Beinen, hatte breite, tiefe Kratzer im Gesicht. Seine Kleidung war teilweise zerrissen. Wohin trugen sie ihn? Nachdem die „Singenden Fäden" ihn
durch die Erdoberfläche geschleppt hatten, war eine weite, kahle Halle um ihn gewesen. Die Wände dieser Halle waren von einem eigenartigen schimmernden Metall überzogen, das aus sich selbst heraus leuchtete. Jetzt trugen sie ihn durch einen breiten Gang! Sie begegneten anderen „Fäden", die an ihnen vorbeischwebten, ohne auf die verschlungene Masse zu achten, in deren Fängen Rex Corda wie hinter einem Gitterkäfig hing. Ein geheimnisvolles Wispern und Raunen lag in der Luft, ein sphärenhaftes Klingen, das sich in unhörbare Höhen verlor. Diese Laute schienen aus den gelbleuchtenden Kristallkörpern zu kommen. Rex Corda versuchte mehr als einmal Kontakt zu ihnen zu finden. Doch er rannte gegen eine Mauer an. Durch das dichte Netzwerk hindurch versuchte er zu erkennen, wohin es ging. Er prägte sich Ecken und Winkel ein. Vielleicht gab es einmal eine Chance zur Flucht. Doch wie sollte er an die Oberfläche gelangen? Er wußte zuwenig über diese unterirdischen Anlagen, doch er war davon überzeugt, daß es mehrere Wege nach oben gab. Diese Wesen, die weder ein tierisches, noch ein pflanzliches, noch ein menschenähnliches Dasein führten, waren auf Sauerstoff angewiesen. Die Luft in den unterirdischen Hallen und Gängen war frisch und angenehm. Es mußte hier unten gewaltige Lufterneuerungsanlagen geben oder aber der Boden war an vielen Stellen so stark luftdurchlässig, daß ein natürlicher Austausch der verbrauchten Luft erfolgte. Es ging durch weite Hallen und schmale Gänge.
Sie führten ihn immer weiter vom Ausgangspunkt weg. Sie hatten ihren Grund dazu. Rex Corda kannte ihn nicht. Er wußte nichts von den Tagons und den schutzbedürftigen Tutuuhs, den winzigen Nachkömmlingen der „Singenden Fäden". Durch ihn waren sie in Gefahr geraten. Aber ihn konnten sie geistig nicht abwürgen. Sie mußten einen anderen Weg finden, ihn loszuwerden. Nur sein Tod konnte Abhilfe schaffen. Sie brachten ihn zum Hüter der Tutuuhs. Er würde über das Schicksal des Fremden, der sich schuldig gemacht hatte, entscheiden. Unterhalb der Planetenoberfläche mußte es eine Unzahl von Hallen und Gängen geben. Ein wahres Labyrinth. Dann veränderte sich das Licht der Wände plötzlich um sie herum. Das matte Gelb war zu einem sanften Rot geworden. Eine kreisrunde Halle lag vor ihnen. Die sphärenhaften Klänge erfüllten wie ein Rauschen die Luft. Unzählige der „Singenden Fäden" schwankten wie Schilf im Wind, bewegten ihre langen, flachen Körper in einem eigenartigen wiegenden Rhythmus hin und her. Das dichte, verschlungene Netzwerk vieler hundert Fadenkörper um Rex Corda entwirrte sich. Die „Maschen" um ihn herum wurden breiter. Immer mehr konnte er sehen. Und dann löste sich auch der letzte der „Singenden Fäden", wich von ihm zurück. Rex Corda fühlte festen Boden unter seinen Füßen. Er blickte sich um. Er wagte kaum zu atmen. Diese irreale Welt irritierte ihn. Über einer schimmernden Bodenerhebung schlängelte sich ein dunkelgelber riesiger Faden, der mehrfach in sich verschlungen war. Auf den Innenseiten
der Schlaufen glitzerte ein heller Belag, der an Glasstaub erinnerte. Ein Zeichen des Alters und der Weisheit. Nur der Älteste, der Weiseste der „Singenden Fäden", wurde zum Hüter der Tutuuhs. Rex Corda blickte sich in der Runde um. Unzählige der gelben Flachkörper schwebten um ihn herum, schienen ihn zu bewachen. Es gab in dieser runden Halle mehrere Öffnungen, die hinaus und herein führten. Die „Singenden Fäden" beobachteten ihn ganz genau. Rex Corda konnte keine Augen auf den flachen, messerscharfen Kristallkörpern sehen, und doch hatte er das Gefühl, von tausend Blicken gleichzeitig durchbohrt zu werden. Er empfing plötzlich Gefühle und Stimmungen, die so abstrakt, so fremd für ihn waren, daß er erschauerte. Waren das die Mörder Kims und Wabashs? Der Gedanke grellte nur einen Sekundenbruchteil in ihm auf. Aber sein Gegenüber, der Hüter, erfaßte den Begriff in seiner ganzen Tragweite. Eine Flut von Gefühlen überschwemmte Cordas Bewußtsein, so daß er taumelte, als hätte er einen körperlichen Schlag empfangen. „Fremde — Mörder. Mörder der Tutuuhs." Er konnte es nicht als Worte bezeichnen, was sich da in sein Bewußtsein drängte. Es waren Gefühle, die bei ihm terranische Vorstellungen von „Mörder" und „Fremden" auslösten. Unter Tutuuh konnte er sich zunächst nichts vorstellen. Erst im Laufe der weiteren Beschuldigungen wurde ihm dieser und jener Zusammenhang klar. Er war kein Telepath, er war Empath. Das erschwerte die Verständigung mit den „Singenden
Fäden", hatte aber für ihn bisher den Vorteil gehatat, daß er nicht unter den geistigen Würgegriff der „Fäden" geraten war. Rex Corda schluckte. Aus der Vielzahl der einzelnen Begriffe konnte er sich ein Bild machen. Er verstand plötzlich, warum Kim und Wabash gewürgt wurden, weshalb man mit Gewalt beide an den Abgrund des Todes brachte. Kim und Wabash bedrohten die Tutuuhs in den Tagons! Die telepathischen Einflüsse wurden durch die besonderen Verhältnisse in diesem Raumabschnitt so verstärkt, daß in den Tagons der überempfindlichen Nachkömmlinge „Überspannungen" auftraten, die zu geistigen Schäden und manchmal sogar zum Tod führten. Auch durch seine, Cordas, Nähe, wurden derartige „Überspannungen" wirksam, ohne daß er etwas dagegen tun konnte. Doch sie konnten ihn nicht würgen. Die natürliche Schutzmethode versagte bei ihm. Die „Überspannungen" kehrten nicht als Bumerang in sein Bewußtsein zurück und würgten ihn zu Tode. Die „Singenden Fäden" mußten eine andere Möglichkeit finden, um seine Einflüsse abzuwehren. Und es gab nur eine einzige Möglichkeit. Rex Corda wußte in diesen Sekunden bereits, daß der Hüter der Tutuuhs sein Schicksal besiegelt hatte. Er schloß für eine Sekunde die Augen, als er die tödliche Gefahr erkannte, die nicht mehr abzuweisen war. Die Kontaktaufnahme zu den „Singenden Fäden" war vergebens gewesen. Die Flachkörper konnten nichts gegen das naturgebundene Prinzip ihrer Abwehr tun. Die „Überspannungen", die als eine Art elektromagnetischer Felder in Kims
und Wabashs Gehirn wirksam wurden, ließen sich hier von „Fatty" aus nicht neutralisieren. Es hätte nur eine einzige Möglichkeit gegeben: Das Volk der „Singenden Fäden" bis auf das letzte Exemplar auszurotten. Doch wer reißt ein gewaltiges Gebirgsmassiv ab, um ein Echo zu verhindern? Wie ein Karussell drehten sich Cordas Gedanken. Er suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, aus der Sackgasse hinauszukommen, in die er geraten war. Er mußte auf dem schnellsten Wege zur „Walter Beckett" zurück. Fan Kar Kont und sein Stab mußten ein Abschirmfeld konstruieren, das die zurückdrängenden „Überspannungen" abfing. Vielleicht war auf diese Weise das Leben Kims und Wabashs noch zu retten. Vielleicht. Wenn es noch nicht zu spät war. Er hatte keine Verbindung zur „Walter Beckett". Er wußte nicht, was sich in dieser Zeit an Bord ereignet hatte. Er mußte zurück. Wie ein Zwang legte sich dieser Gedanke auf sein Bewußtsein. Hier auf „Fatty" war alles umsonst. Hier konnte nichts für die beiden in Todesgefahr schwebenden Besatzungsmitglieder der „Walter Beckett" getan werden. In den blauen Augen Cordas blitzte es für den Bruchteil eines Augenblicks auf. Seine breite Schulter spannte sich — und dann warf er seinen Körper wie unter der Wucht einer unsichtbaren Macht herum. Rex Corda begann zu laufen. Drei Sekunden lang waren die schwingenden „Fäden" unfähig, ihm nachzufolgen. So schnell, so prompt hatte Corda reagiert, daß die Organisation unter den ihn Bewachenden zusammengebrochen war.
Rex Corda erreichte einen der Ausgänge. Ein langer breiter Gang lag vor ihm. Die Gänge sahen alle gleich aus. Es gab keine besonderen Merkmale, die sie voneinander unterschieden. Gehetzt blickte Corda sich um. Er war durch einen der seitlichen Eingänge geflüchtet. Durch einen der vorderen aber war er gekommen. Wenn ihn sein Orientierungssinn nicht täuschte, dann mußte er sich jetzt nach links wenden, die Halle des weisen Hüters seitlich umgehen, um auf den Weg zu kommen, der direkt auf diese Halle zuführte. Er bewegte sich gleichmäßig wie eine Maschine. Er rannte durch leere Hallen und Gänge. Sein sportlich trainierter Körper ermüdete nicht. Hatten sie seine Spur verloren? Funktionierte ihr Warnsystem nicht? Er war selbst darüber erstaunt, daß seine Flucht so glatt vonstatten ging. Doch als er um die nächste Ecke bog, schwebten sie auf ihn zu. Acht der leuchtenden Fadenkörper hatten ihn bemerkt, verstärkten ihren sphärenhaften Gesang, der die Luft über ihm in Schwingungen zu versetzen schien. Rex Corda wich zurück, wählte einen anderen Ausgang, stürmte durch eine Halle, in der ein einsamer Fadenkörper sich auf dem Boden schlängelte. Seine Farbe war dunkelgelb. Er sah weich und schwammig aus. Der einsame „Faden" beachtete ihn nicht. Corda sprang über ihn hinweg. Entweder war dieser Körper krank oder unfähig, ihn wahrzunehmen. Er stürmte durch den nächsten Ausgang, wollte abermals einen Weg wählen, der ihn von der Halle des Hüters weiter wegführte. Doch nun kamen die „Singenden Fäden" auch von rechts, und Rex Corda
war gezwungen, weiter durch das Labyrinth der unterirdischen Wohnhöhlen zu hasten, immer Richtung Hüter. Plötzlich war einer der „Fäden" über ihm. Corda stürzte zu Boden, zog die Beine an und trat mit voller Wucht gegen den sich herabsenkenden Kristallkörper. Der Körper wich zurück. Seine Schuhe krachten gegen den kristallharten „Faden" wie gegen einen Glasstreifen. Ein häßliches, schabendes Geräusch entstand. Rex Corda sprang auf die Beine, setzte seine Flucht fort. Er wechselte ständig die Richtung, kam einmal der Halle des Hüters auf Sichtweite nahe. Der sphärenhafte Gesang aus der Halle überschwemmte ihn wie eine Flutwelle. Da waren drei, vier der „Fäden" über ihm. Es ging alles so schnell, daß Rex Corda keinen Ausweg mehr wußte. Er wich zurück, fühlte die Wand hinter sich. Aus! grellte es durch sein Gehirn. Sein Atem flog, auf seiner Stirn perlte der Schweiß. Immer mehr der „Singenden Fäden" tauchten vor ihm auf. Ihr Gesang wurde stärker und heller, dröhnte wie das Rauschen eines Orkans in seinen Ohren. Da berührten ihn zwei der „Fäden" gleichzeitig. Sie klemmten sich wie Spangen über seine Arme, drückten ihn an die Wand. Mehrere der schwebenden kristallharten und doch elastischen Körper zogen sich von ihm zurück. Mit einem Stöhnen ließ Corda den Kopf hängen. Er fühlte, was sie von ihm wollten. Sie waren nicht bewaffnet, hatten niemals eine Waffentechnik entwickelt, und doch konnten sie töten. Ihr Körper selbst war eine tödliche Waffe. Mit einer letzten verzweifelten An-
strengung versuchte Rex Corda sich zu befreien. Er riß sich mit seiner linken Hand los. Die Haut seines Unterarms zerfetzte unter dem Druck des kristallharten „Fadens". Das Blut lief warm und brennend über die breite Fleischwunde. Corda preßte die Lippen zusammen, verbiß den Schmerz, kämpfte gegen Kräfte, denen er nicht gewachsen war. Er hatte seinen linken Arm noch nicht richtig frei, als der Kristallflachkörper ihn schon wieder in einer Schlaufe hochzog. Sofort drückte sich ein weiterer der flachen Kristallkörper gegen seine Beine, drückte ihn kraftvoll gegen die Wand. Rex Corda konnte sich nicht mehr befreien. Arme und Beine waren ihm im wahrsten Sinne des Wortes gebunden. Sein Körper war schutzlos den „Fäden" ausgeliefert. Einer der „Fäden" lag waagerecht in der Luft und glitt auf ihn zu. Rex Corda schloß die zitternden Augenlider. Der harte Flachkörper wollte ihn durchbohren. Er schrie auf, warf den Kopf zur Seite. Da war das eine Ende des Kristallkörpers wie die Spitze eines diamantharten Bohrers auf seinem Herzen. * Fan Kar Kont war besorgt. Er kehrte aus der Medizinischen Abteilung zurück. Kims Zustand hatte sich weiter verschlechtert. Sein Herz schlug nur noch fünfmal in der Minute. Alle kreislauffördernden Präparate hatten versagt. Die Wissenschaftler und Forscher, die Ärzte und Schwestern der „Walter Beckett" standen vor einem Rätsel. Eine unsichtbare Faust hielt das
Leben Kims und Wabashs umklammert, drückte immer fester zu, hart und erbarmungslos. Daß diese Faust die eigene Kraft der beiden Telepathen war, ahnte niemand an Bord der „Walter Beckett". Rex Corda hätte als einziger auf diesen Umstand aufmerksam machen können. Doch er war nicht an Bord, er war in der Gewalt der „Singenden Fäden". John Haick und Ga-Venga hatten sich nach ihrem letzten Bericht auch nicht wieder gemeldet. Was ging vor in der weiten, unübersichtlichen Steppe „Fattys"? Während Fan Kar Kont für eine Sekunde im Schritt verharrte und nachdenklich vor sich hinstarrte, verließ ein Diskus die „Walter Beckett". Percip und Ralf Griffith, der ehemalige CIA-Agent, befanden sich an Bord. Fan Kar Konts Lippen bildeten einen schmalen Strich in dem gestreiften nachdenklichen Gesicht. Wie aus weiter Ferne bemerkte er ein Stück eines roten Teppichs, das aus der Spalte der Wand neben ihm herausragte. Er wollte weitergehen, als er abermals im Schritt verhielt, als die Erkenntnis des Unmöglichen an die Oberfläche seines Bewußtseins drang. Hier war etwas an Bord, was nicht möglich sein konnte. Er wandte sich um, beugte sich hinunter. Mit spitzen Fingern berührte er das Teppichstück, das er aus der Spalte herauszupfen konnte. Fan Kar Kont schüttelte den Kopf. Genau in der Mitte des Verbindungsarmes, zwischen den beiden Hantelkugeln, befanden sich die schweren Antriebsaggregate der „Walter Beckett". Wie konnte ein Teppichfetzen, der sich nur schwer von einem größeren Stück lösen ließ, hierherkommen? Er tastete die Wand ab, wich wie un-
ter einem Peitschenschlag zurück, als eine Öffnung in der Wand vor ihm erschien und sich ein teppichausgelegter Boden vor seinen Auge"n ausbreitete. Neugierig trat er näher. Es gab hier etwas an Bord, was er nicht begriff. Der erste Gedanke, der ihm kam, war ungeheuerlich. Laktonische Agenten an Bord der „Walter Beckett"? Er hielt den Atem an, lauschte. Nichts. Alles war ruhig. Nicht einmal die gewaltigen Antriebsaggregate summten. Tom Sluck hatte das Schiff völlig stillgelegt. Er nutzte die Landung der „Walter Beckett" aus, um eine wichtige Inspektion durchzuführen. Fan Kar Kont ging lautlos über den schallschluckenden Boden. Er berührte einen Kontaktstreifen unter dem Teppich und die Öffnung schloß sich hinter Fan Kar Kont. Der Chefwissenschaftler bemerkte es, er wirbelte herum, war mit zwei raschen Sprüngen an der Wand. Doch zu spät. Er war eingeschlossen. In dem gestreiften Gesicht Fan Kar Konts zuckte es. Er war ein Mann des Geistes. Er vermochte manches aus den schwächsten Zeichen zu lesen, wo ein anderer nichts sah. Doch hier versagte im ersten Moment seine Kombinationsgabe. Die luxuriös eingerichtete Spezialkabine stellte ihn vor ein Rätsel. Suchend, mit aufmerksamen Blicken, durchstreifte er die teppichausgelegte Kabine, kam schließlich an ein Regal, auf dem eine Unzahl Dosen und Behälter stand. Ein seltsamer Geruch stieg ihm in die Nase. Es roch nach scharfen fremdartigen Gewürzen. Fan Kar Kont ging in die Knie, um
eine der Kisten unter dem Regal näher in Augenschein zu nehmen. Er kam mit dem Ellbogen gegen das Regal. Im gleichen Augenblick schrie er gellend auf. Etwas Klebriges legte sich über sein Gesicht. * Rex Corda schrie. Der Wunsch zu leben nahm sein ganzes Denken und Fühlen in Anspruch. Er spürte, wie der Stoff seiner Kombination über seinem Herzen zerriß. Er starrte auf den leuchtenden kristallharten Flachkörper. Rex Corda hatte das Gefühl, sein Gehirn müsse ihm zerspringen, als er sich gewaltsam Eingang in das Bewußtsein des „Singenden Fadens" verschaffte, alle Kraft aufbot, um den „Faden" davon abzuhalten, sein tödliches Werk zu vollenden. Der Druck auf seiner Brust ließ nach. Corda fühlte, wie er tief in das Bewußtsein des zehn Meter langen Gebildes Eingang fand, wie seine Gefühle und Stimmungen Oberhand gewannen. Der „Singende Faden" wich vor Rex Corda zurück. Rex Corda gab keine Sekunde Ruhe. Er versuchte auch die anderen Flachkörper gefühlsmäßig zu beeinflussen. Viele schienen ihn einfach zu vergessen. Sie wiegten wie unter einem Luftzug durch die Gänge, verschwanden in einer der vielen tausend unterirdischen Höhlen. Rex Cordas Gesicht war schweißüberströmt. Er war ein Bild gespannter Aufmerksamkeit, als er sich jetzt langsam von der Wand löste, nachdem die „Singenden Fäden" seine Arme und Beine freigaben. Corda konzentrierte sich besonders auf ein Bewußtsein, in dem er eine ge-
wisse Neugierde und eine Labilität zu spüren schien, die seinem Plan entgegenkam. Es mußte alles sehr schnell gehen. Er hatte sich befreit, aber diese Freiheit nutzte ihm nur etwas, wenn es ihm gelang, zur „Walter Beckett" zurückzukehren. Er dachte den Gedanken der Freiheit, der Flucht, während sein empathisches Talent gleichzeitig den Druck auf das labile Bewußtsein des einen „Singenden Fadens" verstärkte, und ihn davon überzeugte, daß er den Weg zu dieser Freiheit weisen mußte. Rex Corda ließ diesen „Faden" nicht aus den Augen, als er jetzt wie von einer unsichtbaren Hand bewegt auf den Ausgang der Halle zustrebte. Die anderen blieben zurück, bildeten ein wirres Knäuel, verwanden und verschlangen sich ineinander, ohne ein Motiv dazu zu haben. Corda atmete auf. Er hatte keine Zeit, einen Blick auf seinen stark blutenden Unterarm zu werfen. Er folgte dem ihm vorangleitenden Flachkörper durch die labyrinthähnlichen Gänge. Zurück blieb das Raunen und Wispern, das sphärenhafte Klingen. Der vor ihm herwandernde „Faden" hatte den gefühlsmäßigen Auftrag Cordas, Wege und Hallen zu wählen, die kaum oder gar nicht belebt waren. Corda fühlte einen leichten Schwindel in sich aufsteigen. Für einen Augenblick taumelte er, fiel fast zu Boden, fing sich aber wieder. Doch sein Einfluß war für drei Sekunden zusammengebrochen. Der leuchtende Flachkörper vor ihm verhielt in der Bewegung, schien sich seines wahren Auftrages bewußt zu werden und schnellte auf Rex Corda zu. Corda wich nicht zurück. Sein Körper zitterte unter der Anspannung der geistigen Kräfte, die er in sich aktivierte. Der „Singende Faden" schlängelte
sich über ihm zu einer merkwürdigen Form, straffte sich dann wieder und setzte seinen Weg durch die selbstleuchtenden Gänge fort. Corda forcierte das Tempo. Er wußte nicht, wie lange er noch dazu in der Lage sein würde, die ungeheuere Belastung seines Geistes aufrechtzuerhalten. Seine Kräfte erlahmten merklich. Immer und immer wieder mußte er seine Gefühle auch auf die Zurückgebliebenen übertragen. Wenn andere „Fäden" auftauchten, würde alles, was er sich in den letzten Minuten unter mühsamer Arbeit aufgebaut hatte, zusammenbrechen. Weitere „Singende Fäden" unter Gefühls- und Stimmungskontrolle würden ihm unmöglich sein. Die Grenze seiner Fähigkeiten und seiner Kräfte war erreicht. Corda stolperte, taumelte vorwärts. Er hatte den Wunsch auszuruhen, zu schlafen. Die Müdigkeit in seinen Gliedern wurde mit jedem Schritt, den er ging, größer. Doch er durfte nicht schwach werden, er durfte nicht nachgeben. Zu viel stand auf dem Spiel. Er merkte, wie der „Faden" vor ihm unruhig wurde, mehr als einmal in der Bewegung verhielt, zurückkehrte, ihn wie unter plötzlich auftretenden „Bewußtseinslöchern" anzugreifen drohte, aber im letzten Augenblick zurückzuckte, wenn das Gefühl Cordas Oberhand in ihm gewann. „Weiter", hetzten Cordas Gedanken. „Immer weiter. Zum Ausgang! Ausgang ..." Das Wort hallte wie ein Echo in ihm nach. Er schien es immer wieder über seine Lippen zu bringen, leise, flüsternd, ohne daß es ihm bewußt wurde. Er mußte gerade den wegweisenden „Faden" ständig unter stärkster Kontrolle haben. Er war auf den leuchtenden Flachkörper angewiesen. Corda
wußte nicht, auf welche Weise er an die Oberfläche „Fattys" zurückkommen sollte. Wenn er den „Faden" gefühlsmäßig beeinflussen konnte, dann bestand die Möglichkeit, sich von diesem „Faden" an die Oberfläche tragen zu lassen. Auf dem schnellsten Wege dann zurück zum Diskus. John Haick und der Kynother Ga-Venga würden rechtzeitig auf ihn aufmerksam werden. Seine Überlegungen fanden ein blitzschnelles Ende. Sie kamen zu Hunderten vom anderen Ende des Ganges auf ihn zu! Ihre flachen harten Körper leuchteten wie Lichtstreifen. Umsonst die Flucht? Wie ein zu Tode gehetztes Tier warf Corda sich herum, rannte mit letzter Kraft durch eine der angrenzenden Hallen, prallte zurück, als durch einen der seitlichen Eingänge ein Schwall der leuchtenden Flachkörper hereinbrach. Corda warf seinen Körper herum. Es gab noch mehr Ausgänge. Er versuchte abermals zu entkommen. Doch auch durch den nächsten Eingang drangen sie herein. Sie schienen von allen Seiten aus der Erde zu wachsen. Er wandte sich um, rannte in die angrenzende Halle, in der Hoffnung, hier einen Ausgang zu finden. Doch diese Halle war rundum geschlossen. Es gab nur einen einzigen Eingang. Diese Erkenntnis und der Sturz in die Tiefe erfolgten fast gleichzeitig. Corda schrie gequält auf. Es war ihm entgangen, daß der Boden dieser Halle nicht eben gewesen war. Eine riesige Wanne war in den Boden eingelassen. Sie war fast fünfzig Meter lang und zehn Meter breit. Und sie hatte die Form eines Pentragramms! Das Tagon der Tutuuhs! Rex Corda stürzte in das Nest, in dem es von Millionen und aber Millionen
winziger Körper zuckte und quoll. Ein unfaßbares Leben regte sich in dem Tagon. Es regte sich, weil seine empathischen Ausstrahlungen die Ruhe der Tutuuhs gestört hatten. Rex Corda knallte mitten in die Körper hinein. Die Pentagramm-Falle schloß sich! * Fan Kar Kont verzog angewidert das Gesicht. Wie unter einem inneren Zwang hob er seine Rechte, fuhr sich über das verschmierte Gesicht. Der Geschmack und der Geruch der klebrigen Masse kam ihm nicht fremd vor. „Suranische Kräuterschnecken", kam es leise über seine Lippen. Er reinigte sein Gesicht mit einem Tuch, wischte seine verschmierten Finger ab. Während der nächsten halben Stunde hatte er mehr als einmal Gelegenheit, sich zu wundern. Diese Kabine schien für einen Feinschmecker ersten Ranges eingerichtet worden zu sein. Kistenweise fand er kulinarische Kostbarkeiten, seltene Konserven, lukullische Genüsse, die sich ein gewöhnlicher Sterblicher nicht leisten konnte. Er fand frische Kennistengel, nahm einen zur Hand und kaute vorsichtig darauf herum. Der scharfe, würzige Saft lief in seine Kehle. Fan Kar Kont mußte husten, sein Gesicht rötete sich, die Streifen auf seinen Wangen schienen transparent zu werden. Er mußte sich setzen und ein paar Minuten verschnaufen, ehe sein Atem wieder rhythmisch seine Brust hob und senkte. Eine Kabine voll mit seltenen Konserven. Muschel- und Schneckengerich-
te hatten dabei den Vorzug. Wer war der Geheimnisvolle, der derartige Mengen scharfer, würziger Gerichte verdrückte? Von lukullischen Kostbarkeiten verstand Fan Kar Kont nur wenig. Als er die technische Supereinrichtung jedoch näher in Augenschein nahm, verengten sich seine Augen und Nachdenklichkeit zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Das Versteck eines Zeitagenten! Dieses hervorragende Zeitversteck, verborgen zwischen mächtigen Antriebsaggregaten der „Walter Beckett", war eine technische Meisterleistung. Es gelang ihm, die Holografen in Tätigkeit zu setzen. Es überraschte ihn nicht, daß er jeden Winkel der „Walter Beckett" aus dieser Spezialkabine erreichen konnte. Fan Kar Kont lächelte unmerklich. Der Zufall war ihm zu Hilfe gekommen. Seit seiner Rückkehr aus der Medizinischen Abteilung hatte er sich mit dem Gedanken herumgeschlagen, wie Kim und Wabash am besten geholfen werden könnte. Wenn seine Vermutungen richtig waren, dann hatte er hier in diesem phantastischen Zeitversteck die größte Chance, sein Experiment durchzuführen. Seine Überlegung ging darauf hinaus, daß Kim und Wabash unter ungewöhnlich starken elektromagnetischen Feldern zusammengebrochen waren, daß diese Felder immer stärker wurden und die beiden Unglücklichen schließlich töteten. Er hatte nach einer Möglichkeit gesucht, die Felder abzuschirmen, und bereits mit dem Gedanken gespielt, eine Kabine herrichten zu lassen, die unter eine besonders hohe elektrische Spannung gestellt werden sollte. Dieses Vorhaben wäre unter nicht allzu großen Schwierigkeiten durchzuführen gewesen. Aber nun wurde dieser Plan dadurch vereinfacht, daß er ein
Zeitversteck gefunden hatte. Wem konnte es gehören? Wo befand sich der Agent? Gefahr für die „Walter Beckett"? Eine Reihe von Fragen tauchte in ihm auf, und nicht eine einzige konnte er sich beantworten. Doch er legte im Moment auch keinen Wert auf die Beantwortung dieser Fragen. Wichtig allein war ihm die Tatsache, jetzt auf dem schnellsten Wege etwas für Kim und Wabash tun zu können. Mit geringstem Aufwand konnte er diese unter einer besonderen, unortbaren Energiewelle stehende Spezialkabine für seine Zwecke herrichten. Für Wabash würde innerhalb weniger Sekunden ein Plastikbassin gespritzt werden. Für beide war Platz in dem Zeitversteck. Er ging zu der Stelle, an der er die Spezialkabine betreten hatte und versuchte, den Eingang wieder zu öffnen. Er tastete sämtliche Funktionsknöpfe an der schmalen Schaltleiste ab, betrachtete sich mit aufmerksamem Blick die Symbole auf den Tastenflächen. Er schluckte. Hier gab es keinen Knopf, der die Kabine wieder öffnete. Er war in eine Falle geraten. Sein Gesicht bedeckte sich mit dichtem Schweiß, seine Augenlider zuckten. Verzweifelt mühte er sich ab, den Weg nach draußen wieder zu öffnen. Jede Minute war kostbar. Kim und Wabash hatten eine echte Chance, wenn seine Vermutung stimmte. Aber sie hatten diese Chance nur, wenn er sofort handeln konnte. Vergebens waren seine Bemühungen, die Zeitkabine zu verlassen. Er war gefangen. Ein furchtbarer Verdacht stieg in ihm auf. Hatte man ihm diese Falle bewußt gestellt, in der Erwartung, er würde in
sie hineingeraten? Er leckte sich mit einer nervösen Bewegung über seine Lippen. Da zuckte er zusammen. Der Gedanke kam ihm blitzartig. Lakton-Agenten versuchten seiner habhaft zu werden. Befand sich der Agent unter dem laktonischen Bedienungspersonal? Unter dem Wartungsund Überwachungspersonal befanden sich zehn Laktonen. Sie waren von Rex Corda und Wabash auf ihre einwandfreie Gesinnung sorgfältig gesiebt worden. Rex Corda und Wabash mußte ein Fehler unterlaufen sein! Erst recht mußte er hier heraus. Sobald Rex Corda zurückkehrte, mußte er über das Vorhandensein dieses Zeitverstecks unterrichtet werden. Er wirbelte herum, als er das Geräusch hinter sich vernahm. Der Atem stockte ihm. Die Wand ihm gegenüber teilte sich. Und dann stand Fan Kar Kont nicht mehr allein in der Spezialkabine. * Rex Corda streckte in instinktiver Abwehrbewegung beide Hände aus, um den Sturz abzufangen. Doch er war so überraschend gestolpert, daß er den Fall nicht mehr mildern konnte. Mit voller Wucht knallte er in das Tagon hinein. Die gelblichen kleinen Würmer, die nichts anderes waren als sich bewegender Glasstaub, spritzten um ihn hoch, verfingen sich in dem Gewebe seiner Kleidung. Die sphärenhaften Klänge in der Halle verstärkten sich, wurden zu einem schmerzhaften Stöhnen, zu kleinen, fernen Schreien. Die „Singenden Fäden" quollen in Massen durch den einzigen Eingang, wogten wie unter einem peitschenden Orkan hin und her, schienen ratlos, umkreisten das gewaltige Tagon, in dem
die Tutuuhs unter heftigen Wellenbewegungen durcheinanderwirbelten. Sie waren alle erwacht. Der Fremde hatte die wertvolle, so hervorragend geschützte Nachkommenschaft geschädigt. Von den Tutuuhs würde keiner mehr brauchbar sein. Rex Corda richtete sich auf, blickte sich gehetzt um. Direkt über ihm schwebten zahlreiche „Fäden", die das magische Zeichen eines Pentagramms bildeten! Ein Pentagramm — das Zeichen der „Zeitlosen"! Die anderen hatten das große Becken umringt. Keinen Zentimeter Platz gab es zwischen ihnen. Sie bildeten einen dichten undurchdringlichen Zaun. Welche Verbindung gab es zwischen den „Fäden" und den „Zeitlosen"? Rex Corda erhob sich. Er war vorsichtig, als er jetzt über den goldfarbenen, sich bewegenden Glasstaub hinwegschritt. Er blockierte sein Bewußtsein, um die Stürme des Hasses, der Verzweiflung und des Zornes nicht in sich aufsteigen zu fühlen. Er zuckte die Achseln. Er war in eine Lage geraten, in die er nicht gewollt hatte. Sie hatten ihn gejagt — und in die Enge getrieben. Da wirbelten die leuchtenden Flachkörper herum. Durch die entstehenden Zwischenräume bemerkte Rex Corda zwei Schatten. Gleich darauf hörte er eine Stimme. „Rex!" John Haick! Die leuchtenden Flachkörper bewegten sich auf den Atomwissenschaftler und seinen zwergenhaften Begleiter zu. Rex Corda versuchte abermals, seine Gefühle auf die Masse zu übertragen. Er ließ sie spüren, was geschehen würde, wenn sie nicht bereit waren, ihn gehen zu lassen. Sie wußten, was es bedeutete, zu ster-
ben. Sie waren denkende Wesen. Aber sie waren rasend vor Zorn, daß er, der Fremde, die wertvolle Brut zerstört hatte. Sie griffen an. Sie stürzten sich auf John Haick und Ga-Venga. Mit drei, vier Feuerstößen aus seiner Waffe verschaffte John Haick sich Luft. Auch Ga-Venga, der zwergenhafte Kynother, ließ seine Waffe mehrmals aufblitzen, als ihm einige der schlangengleichen Wesen zu nahe kamen. Haick und Ga-Venga hatten ihre Waffen auf Schockwirkung gestellt. Sie töteten nicht, und doch war die Wirkung der beiden Waffen verheerend. Die zehn Meter langen flachen Kristallgebilde schienen zu schrumpfen. Sie waren nur noch halb so groß, wanden sich unter konvulsivischen Zuckungen auf dem Boden der Halle. Manche fielen bei ihren seltsamen Krämpfen in das Tagon. Rex Corda nutzte die allgemeine Verwirrung aus, um sich zu John Haick und Ga-Venga am Eingang durchzuschlagen. Unter dem Schutz der Schockwaffen zogen sie sich langsam in die labyrinthähnlichen Höhlengänge zurück. Das seltsame Verhalten vieler Flachkörper und die Veränderung ihrer Körper, ließ viele „Singende Fäden" die Flucht ergreifen. Sie verschwanden in den Tiefen der tausend Höhlen und Gänge, nur einzelne griffen immer wieder an, schienen nicht zu begreifen, daß die Fremdlinge über eine Macht verfügten, die ihnen den Tod bringen konnte. Sie hatten niemals mit ähnlichen Dingen zu tun gehabt. Sie kannten nichts anderes als sich selbst. Es gab keine natürlichen Feinde für sie auf „Fatty". Sie hatten niemals eine Kultur, keine Kunst, keine Wissenschaften entwickelt. Sie hatten ge-
lernt, sich in den Erdlöchern zu bewegen und diese später mit Hilfe ultrahoher Schallwellen auszubauen. Die Rasse war zufrieden. Die Natur hatte ihr eigenes getan, um die Tutuuhs wirksam zu schützen. Jeder Telepath wurde automatisch abgewürgt, wenn er in die Nähe der Tagons gelangte. Ga-Venga verhielt im Schritt. Er hatte die Waffe gesenkt und schien auf irgend etwas zu lauschen. Rex Corda sah das verzückte Gesicht des Kleinen. Sie waren keine zwanzig Meter mehr vom Diskus entfernt. In der weiträumigen Halle unterhalb des strukturveränderten Erdloches, hatte John Haick den Pon-Kleinraumer gelandet. Ga-Venga schüttelte den Kopf, und kam dann langsam nachgetrippelt. „Ihr Gesang ist schön", bemerkte er nachdenklich. Rex Corda zog ihn zu sich herum. „Wir haben keine Zeit, jetzt Gesangsstudien zu treiben, Ga-Venga." Ehe der zwergenhafte Kynother sich versah, hatte ihn Rex Corda mit einer Hand aufgenommen und schob ihn noch vor John Haick in den Diskus. Ga-Venga zog die Augenbrauen hoch, die sich bis zu seinem Kinn hinunterzogen und sah Rex Corda mit einem langen Blick an. „Das Musik Verständnis der Kynother ist..." „... ist besonders groß, ich weiß." Rex Corda ließ ihn erst gar nicht aussprechen. Er nahm den Platz neben John Haick ein. Die Holografen gaben das Bild der Höhlen wieder. Hier und da zeigte sich verstohlen einer der flachen leuchtenden Körper. Aber sie näherten sich nicht dem Diskus. John Haick startete den Pon-Raumer.
„Ich hoffe, die ganze Aufregung war nicht umsonst, Rex", meinte er beiläufig, einen kurzen Blick auf den Freund an seiner Seite werfend. Ein schmerzliches Lächeln zuckte um Rex Cordas Lippen. „Es kommt darauf an, von welcher Seite man es sieht", sagte er matt, während ihm Ga-Venga behilflich war, aus der Bordapotheke einen Wundspray zu holen und über seinen Unterarm zu sprühen. „Immerhin weiß ich jetzt, wie man Kim und Wabash nicht helfen kann, John. Aber das, was ich herausgefunden zu haben glaube, kann ausreichen, daß Fan Kar Kont eingreifen kann. Wir müssen so schnell wie möglich zur "Walter Beckett', um..." Weiter kam er nicht. Ein ungeheuerer Krach erfüllte das innere des Vier-Mann-Landungsbootes. Die Scheibe kippte zur Seite. Die drei Männer wurden unter dem Druck einer Riesenfaust durcheinandergewirbelt. John Haick verlor die Gewalt über die Steuerelemente. Er rutschte zur Seite und knallte auf das schmale Schaltbrett. Seine Augen waren vor Entsetzen weit geöffnet. Im Bruchteil einer Sekunde wurde ihm klar, daß etwas Ungeheuerliches geschehen war. Das Loch, durch das er den Diskus vorhin noch gesteuert hatte, hatte sich während ihrer Anwesenheit in den unterirdischen Höhlengängen verändert. Es war nicht mehr gasförmig. Der Boden an dieser Stelle hatte seine normale Struktur angenommen! Er war eine kompakte, harte Masse! John Haick verlor das Bewußtsein. Der Diskus legte sich auf die Seite und krachte dann schwer zu Boden. Ein Bersten und Krachen erfüllte die Kabine.
* Fan Kar Kont glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Ein einfacher Bedienungsroboter kam in die Spezialkabine und näherte sich einem der Kistenstapel auf der Seite. Und hinter dem Roboter kam noch jemand in das Zeitversteck. Es war eine schlanke Person in enganliegender blauer Hose und roter Hüftbluse. Ierra Kretan! Als sie Fan Kar Kont erblickte, schrie sie leise auf. Der Chefwissenschaftler ging auf sie zu. In seiner Miene stand Erstaunen zu lesen. Ierra Kretan stand da wie aus Stein gemeißelt. Fan Kar Kont sah sie schweigend an. Eine stumme Frage stand in seinen Augen zu lesen. Ierra Kretan senkte den Kopf. Ein seidiger Schimmer lag auf den dunklen kurzgeschnittenen Haaren. „Es ist anders als Sie denken, Fan Kar Kont", begann sie leise. Ihr Herz schlug heftig. Die Begegnung mit Fan Kar Kont war für sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. „Was wissen Sie von dem Zeitversteck?" Sie sah ihn mit großen Augen an. Um ihren kleinen roten Mund zuckte es. „Zeitversteck?" wiederholte sie. Wie ein Hauch kam die Frage über ihre Lippen. Fan Kar Kont nickte. „Warum überrascht Sie das so?" jetzt war die Reihe an ihm, erstaunt zu sein. Spielte Ierra Kretan ihm eine Komödie vor, oder wußte sie wirklich nicht, wohin sie geraten war? Weshalb aber war sie dann hier? Machte sie gemeinsame Sache mit laktonischen Agenten?
Fan Kar Kont fühlte plötzlich Mißtrauen gegenüber Ierra Kretan in sich aufsteigen. Ierra Kretan lächelte. „All die Fragen, die Sie mir stellten, könnte auch ich Ihnen stellen, Fan Kar Kont. Ich weiß nichts über ein Zeitversteck. Ich habe es — durch Zufall gefunden. Und ich weiß erst durch Sie, daß es ein Zeitversteck ist." Sie blickte sich um, legte ihre Stirn in Falten, als sie den Bedienungsrobot eine Weile beobachtete, der zwischen den Konserven herumhantierte, offenbar aber nicht das fand, was er suchte. Fan Kar Kont ließ Ierra Kretan nicht aus den Augen. Ierra Kretan wies auf den Bedienungsroboter. „Ich beobachte ihn schon seit Tagen. Er machte auf mich den Eindruck, als sei sein Programm gestört. Ich habe ihn mehrmals verfolgt. Aber immer wieder konnte er mir entwischen. Heute nun endlich hatte ich das Glück, herauszufinden, wo er herkam. Aber was er hier will, das ist mir noch immer ein Rätsel." Ihre Worte klangen aufrichtig. Fan Kar Kont glaubte ihr. Er erzählte ihr, wie er in das Zeitversteck geraten sei. Der Bedienungsroboter kontrollierte den Konservenbestand, versuchte offenbar geöffnete Dosen zu finden, um sie in einen Abfallschacht zu werfen. Der Roboter hatte ganz offensichtlich den Auftrag, den Konservenbestand in Ordnung zu halten und für Sauberkeit in der Kabine zu sorgen. Doch seine Arbeit erübrigte sich. Seit Wochen schien hier niemand mehr gewesen zu sein. Fan Kar Kont beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen. Doch zunächst gab es Wichtigeres für ihn zu tun. Er gab Ierra Kretan den Auftrag, da-
für zu sorgen, daß die Forschungsabteilung ein Spritzbassin für Wabash herstellte. Kim und Wabash sollten umgehend in die Zeitkabine geschafft werden. Während die junge Forscherin davoneilte, beobachtete Fan Kar Kont den Bedienungsrobot noch eine kleine Weile, ließ ihn dann links liegen und kümmerte sich um die elektronische Anlage der Spezialkabine. Alles arbeitete vortrefflich. Die Versorgungseinrichtungen waren unabhängig vom Schiff. Hier hatten Meister ihres Faches gearbeitet. Fan Kar Kont hatte an ähnlichen Entwicklungen auf Teckan gearbeitet. Der Sinn dieser Kabine war ihm auf dem ersten Blick sofort klargeworden. Er fand einen Kleincomputer und aktivierte ihn. Es überraschte ihn nicht, als er einige Berichte vernahm, die nicht für seine Ohren bestimmt waren. Der Zeitagent Ko-Mont hatte mehrere Berichte an Jakto Javan hinterlassen. Fan Kar Kont hörte eine Weile zu. Als sich Stimmengemurmel der Spezialkabine näherte, brach er die Übertragung ab. Forscher, Medo-Robots und Arbeitsroboter kamen in die Kabine. Unter Fan Kar Konts Anweisungen wurden die notwendigen Vorbereitungen getroffen. Die Regale mit den Konserven wurden teilweise abgebaut, um genügend Platz für das Plastikbassin zu schaffen, mit dem Wabash von den Arbeitsrobotern in die Spezialkabine des Zeitagenten Ko-Mont geschafft worden war. Alles klappte wie am Schnürchen. Es gab keinen Leerlauf. Jeder wußte, was auf dem Spiele stand. Fan Kar Kont hatte einen Plan. Er vermochte nicht mit Sicherheit zu sagen, ob seine Vermutungen richtig
waren. Immerhin war es für Kim und Wabash eine ernst zu nehmende Chance. Sie hatten nichts mehr zu verlieren. In der nächsten halben Stunde beherrschten die Arbeitsroboter und Elektriker das Feld. Die günstige Lage der Spezialkabine vereinfachte das Vorhaben Fan Kar Konts ungeheuerlich. Nach knapp einer halben Stunde waren alle technischen Vorbereitungen abgeschlossen. Das Experiment konnte beginnen. Die Spezialkabine leerte sich wieder. Fan Kar Kont duldete während des Experiments nur wenige Personen um sich herum. Er konnte nicht auf Dr. McCluskey und eine der beiden Krankenschwestern verzichten. Zwei Medo-Robots hielt er sich zur Vorsicht ebenfalls zur Verfügung. Sein Gesicht war ernst und verschlossen, als er jetzt die letzten Anschlüsse überprüfte, und sorgfältig überlegte, ob nichts vergessen worden war. Ein Fehler konnte ihnen jetzt allen das Leben kosten. Die Kabine war rundherum geschlossen. Er hatte indessen herausgefunden, daß es mehrere Ein- und Ausgänge aus dieser geschickt getarnten Spezialkabine gab. Alle Ein- und Ausgänge konnte er von der technischen Anlage des Zeitversteckes aus bedienen. Einer der Holografen des Zeitversteckes war direkt mit der Forschungsabteilung verbunden. Die Kollegen würden über die Holografenverbindung hinweg an dem Experiment teilnehmen und gleichzeitig Wächter sein. Wenn irgend etwas Unvorhergesehenes eintreten sollte, würden sie umgehend eingreifen können. Fan Kar Kont war ein Mann der Vorsicht und der Voraussicht. Er hatte bei weitem nicht alle Probleme gelöst. Dieses Experiment war und
blieb ein Risiko. Er hatte jedoch nicht die Zeit zur Verfügung gehabt, um alle Einzelheiten erklären zu können. Es eilte. Die Zeit drängte. Er nickte zufrieden. Alle Isolatoren waren abgesichert. „Es kann losgehen." Er nahm den Platz neben dem Computer ein, neben dem ein kleines notdürftiges Schaltpult aufgebaut worden war. Er aktivierte den ersten Stromstoß. Ein Knistern lief durch die Wände und kleine hellblaue Funken tanzten wie auf einem fingerdicken Prallfeld über den Wänden der Kabine. Fan Kar Kont preßte die Lippen zusammen. Es roch nach Ozon. Er sah Dr. McCluskey fragend an. Der Arzt erwiderte den stummen Blick. Fan Kar Kont las in den stillen Augen des Mannes keine Hoffnung. War es schon zu spät? Zu spät für Kim und Wabash? Da erfolgte der zweite Stromstoß. Die Wände ächzten, schienen unter der Wucht der zugeführten elektrischen Spannung brechen zu wollen. Mehr als zehn Millionen Volt lagen jetzt rund um das Zeitversteck. Niemand durfte sich jetzt einer der Wände nähern. Da schrie die Schwester leise auf. „Doktor! Doktor McCluskey!" Als er die Stimme der terranischen Frau hörte, zuckte Fan Kar Kont wie unter einem Peitschenschlag zusammen. Dr. McCluskey wirbelte herum. „Sein Herzschlag setzt aus, Doktor", kam es wie ein Hauch über die bleichen Lippen der Krankenschwester. Alles Leben schien aus Fan Kar Konts Körper zu weichen. Zu spät! *
Der Schmerz schnitt wie ein Messer in sein Bewußtsein, als Corda mit dem Hinterkopf gegen die Kabinenwandung geschmettert wurde. Der kleine Ga-Venga zischte wie ein Blitz an ihm vorüber. Sein leichter Körper schien für Sekunden völlig schwerelos zu sein. Der Kynother schien in diesem Augenblick der einzige zu sein, der noch handlungsfähig war. Er erwischte die Schaltung zum Antigravitationsautomaten. Als das Raumschiff auf den Boden krachte, wurde der Antigravitationsautomat wirksam. Diese Tatsache verhinderte das Schlimmste. Die schwersten Erschütterungen wurden ausgeglichen, ehe sie voll wirksam werden konnten. Der Diskus war aus einer Höhe von zwanzig Metern auf den harten Boden gekracht. Metallstreben waren verbogen, Glas war zersplittert und mehrere Skalenblätter unter der Wucht des Aufpralls zerrissen. Benommen drehte Rex Corda den Kopf zur Seite. Er stöhnte, griff sich unwillkürlich an den schmerzenden Hinterkopf und zog die Hand zurück, als seine Fingerspitzen die warme, klebrige Wunde fühlten. Er sah den zusammengesunkenen Körper John Haicks über dem Schaltpult. Rex Corda kümmerte sich um den Freund. Ga-Venga schien den Sturz ohne jegliche Komplikationen überstanden zu haben. Wortlos suchte er in den Resten der aufgeplatzten Bordapotheke und verpaßte John Haick eine Injektion. Der Atomwissenschaftler stöhnte, drehte langsam den Kopf zur Seite. Seine Lippen bewegten sich, doch kein Wort kam über seine Lippen. Er öffnete mehrmals wie unter einem
inneren Zwang seine Augen, schien seine Umgebung jedoch nicht wahrzunehmen. Er sah auf die Holografen. Still starrte der Präsident in die Tiefe der höhlenähnlichen Gänge. Weit und breit war keine Spur der „Singenden Fäden" zu sehen. Und doch hatte er das Gefühl, daß sie Zeugen des Vorfalls geworden waren. Wie hatten es diese Wesen, die nicht über die geringsten Kenntnisse einer Technik verfügten, möglich gemacht, die atomare Struktur des Bodens zu verändern? Rex Corda stand vor einem Rätsel. Da kam John Haick zu sich. Eine dichte Schweißschicht bedeckte seine Stirn. Ga-Venga hatte indessen Rex Cordas Kopfwunde behandelt und ihm einen Verband angelegt. In all dieser Zeit war noch kein Wort über die Lippen des Kynothers gekommen. Ein leiser Fluch kam über Haicks Lippen. „Jetzt sitzen wir fest", sagte er, nachdem sein Blick in der Runde herumgewandert war. Die Injektion GaVengas hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Der Atomwissenschaftler war wieder völlig klar, schien sich an jede Einzelheit der Minute vor dem Sturz erinnern zu können. Die drei Männer verließen den Diskus. Es war unmöglich, den Diskus noch einmal zu verwenden. Mit den technischen Hilfsmitteln, die ihnen an Bord zur Verfügung standen, konnten sie keine Reparatur durchführen. Ga-Venga stieß hörbar die Luft durch die Nase. „Jetzt haben sie so schöne Lieder", meinte er traurig. „Und doch bereiten sie uns so große Schwierigkeiten. Dabei sollte man doch bedenken, daß da, wo Gesang herrscht auch die Freundlichkeit
überwiegt." „Sie sind nicht schlecht, Ga-Venga. Sie schützen sich vor uns. Es ist mir allerdings ein Rätsel, wie sie es fertigbringen, die atomare Struktur des Bodens zu beeinflussen." Rex Corda sah sich aufmerksam um. Die „Singenden Fäden" waren noch nicht wieder aufgetaucht. Er fuhr sich mit der Zunge über die spröden Lippen. „Egal, wie immer sie es auch bewerkstelligen. Entscheidend ist, daß sie die „Löcher" wieder entstehen lassen müssen, da sie selbst Sauerstoffatmer sind." Er hatte kaum ausgeredet, als er von der Seite her einen Luftzug zu spüren glaubte. Überrascht wandte er sich um. Der Luftzug kam von der Seite, aus der Tiefe des Ganges. „Sie haben noch andere Luftlöcher. Natürlich. Das ist die Lösung. Kommt." Rex Corda handelte schnell und überlegt. Die Männer bewaffneten sich, dann traten sie den Weg an durch das höhlenartige Labyrinth. Eine ungewöhnliche Ruhe umgab sie. Die sphärenhaften Gesänge der „Singenden Fäden" waren verstummt. Etwas stimmte nicht... * „Da ist es." Sie hatten die Position erreicht, die John Haick und Ga-Venga ihnen übermittelt hatten. Percip, der Lithalon-Geborene, ließ den Diskus langsam absacken. Ralf Griffith beugte sich langsam vor. Auf der hohen gewölbten Stirn des Waffenleitoffiziers, bildete sich eine steile Falte. „Man sollte es nicht für möglich halten", bemerkte er nur. Jedes weitere Wort erübrigte sich. Percip verstand den
Terraner auch so. Er hatte sich inzwischen daran gewöhnt, daß gerade Ralf Griffith ein Terraner von der Sorte war, die nicht viel Worte machten. Der Boden unmittelbar unter dem Diskus unterschied sich in nichts von der Steppe ringsum. Und doch war er anders. Die Masseorter bewiesen es. Dieser Boden war nicht kompakt. Seine atomare Struktur war verändert. Percip hatte den Diskus fest in seiner Hand. Der scheibenförmige Raumer bewegte sich nur zentimeterweise dem Boden zu. Der Herzschlag des Laktonen setzte für einen Augenblick aus, als der Diskus jetzt den Boden berührte — und in den Boden eindrang. Ein tiefer Atemzug hob und senkte den mächtigen Brustkasten des 2,04 m großen Laktonen. Der Diskus fiel durch den wallenden Nebel, langsam, bedächtig, wie ein welkes Blatt. Da schlugen die Masseorter aus. Sie zeigten ein Objekt in der Größe eines Pon-Diskus an! Der Laktone und der Terraner sahen gleich darauf das Wrack. „Cordas Diskus!" Wie ein Aufschrei kam es über Percips Lippen. Die rote Kerbe auf der Oberlippe schimmerte tiefrot. In Ralf Griffiths braunen Augen schimmerte ein seltsames Licht. Der Laktone umkreiste das Wrack, setzte dann den Diskus unmittelbar neben dem gleichgroßen Kleinraumer auf. Die Halle war so groß, so weiträumig, daß vier Pon-Schiffe Platz gehabt hätten. Ralf Griffith verließ sofort seinen Platz, sprang aus dem Diskus und untersuchte das Wrack. Niemand war mehr an Bord. Von Rex Corda und seinen Begleitern keine Spur.
Percip sah sich aufmerksam um. Eine unheimliche Stille breitete sich in den unterirdischen Hallen und Höhlen aus. Wohin waren Rex Corda und seine Begleiter gegangen? Waren sie noch am Leben? Die beiden Männer versuchten zu erkennen, wie es zu dem Unfall von Cordas Diskus gekommen war. Sie konnten keine äußere Gewalteinwirkung feststellen. Es sah ganz so aus, als hätte der Pilot der Flugscheibe das Erdloch verfehlt. Aber irgendwie wollte dem Laktonen und dem Terraner das nicht eingehen. Alle drei Männer an Bord des Diskus waren ausgezeichnete Piloten gewesen. Percip und Ralf Griffith versuchten mit ihren Taschenfunkgeräten Verbindung zu Rex Corda zu finden. Sie konnten nicht ahnen, daß die schwachen elektrischen Impulse hier unten in den Höhlen der „Singenden Fäden" von der ungeheueren mentalen Gewalt, zu der sich Hunderttausende zusammengeschlossen hatten, einfach wirkungslos gemacht wurden. Percip zuckte die Schultern. „Nichts", sagte er tonlos. „Wir werden sie suchen", bestimmte Griffith. „Deshalb sind wir schließlich hier. Und wenn sie noch am Leben sind — dann werden wir sie auch finden." Er umklammerte die Strahlwaffe mit der rechten Faust und setzte sich in Bewegung. Wortlos folgte ihm Percip. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, aber in Ralf Griffiths Nähe war die Furcht auf ein Minimum beschränkt. Griffith war ein unerschrockener harter Kämpfer, ein Mann, der kein Risiko scheute, wenn es darum ging, ein Leben zu retten. Nach der Operation hatten die guten Anlagen sich zu seinem Vorteil verstärkt.
Ralf Griffith war der einzige vollkommen gelungene „Veränderte". Er war ein Freund Rex Cordas, ein Mann, wie die Erde ihn jetzt brauchte. Sie begannen zu rufen, in der Hoffnung, die Verschollenen würden antworten. In unzähligen Echos brachen sich ihre Rufe in dem unterirdischen Labyrinth. Und da erhielten sie eine Antwort. Es war ein gellender Aufschrei aus der Kehle John Haicks! Percip und Ralf Griffith begannen zu rennen. Zum erstenmal in ihrem Leben kamen sie mit den „Singenden Fäden" zusammen. Die riesigen leuchtenden Flachkörper drangen aus den seitlichen Höhlengängen auf sie zu, achteten aber nicht auf sie. Sie hatten einen anderen Auftrag. Die Nähe der Fremden war ungefährlich. Nur einer war eine wirkliche Gefahr. Rex Corda, der Emphat. Er hatte sich wieder einem Tagon genähert und störte den Entwicklungsschlaf der empfindlichen Tutuuhs. Ralf Griffith folgte den rasch davoneilenden „Fäden", die in großen Massen die Gänge und Hallen passierten. Percip fiel zurück. Der „veränderte" Terraner verfügte über eine ungeheuere Kraft. Wie eine Maschine stürmte er durch die Höhlengänge. Er verhielt keine Sekunde, um zu verschnaufen. Er kannte nur ein Ziel: So schnell wie möglich da zu sein, wo Rex Corda war. Instinktiv fühlte er, daß der Präsident und Oberbefehlshaber der „Walter Beckett" in Gefahr war. Er wußte nicht, wie lange er gerannt war, wieviel Hallen er passiert und wie oft er die Richtung gewechselt hatte. Er hörte plötzlich den keuchenden Atem kämpfender Menschen, sah das Aufblitzen der Strahlwaffen, vernahm
das kratzende, schabende Geräusch harter gläserner Körper. Ralf Griffith stürmte um die Ecke. Er prallte mit einem der kristallharten Flachkörper zusammen. Das schwankende, fast zehn Meter hohe Gebilde wurde wie unter der Wucht eines Orkans auf die Seite geworfen, knallte gegen die selbstleuchtende glatte Wand und sackte dann zu Boden. Es krümmte sich in vielen Windungen auf dem Boden, als würde es unter gräßlichen Schmerzen leiden. Mehr als einmal versuchte der Flachkörper sich wieder aufzurichten. Aber wie benommen fiel er jedesmal wieder in sich zusammen. Sein helles klares Gelb hatte sich in ein dumpfes Braun verwandelt. Ralf Griffith achtete nicht auf die Flachkörper, die in dieser Halle in Massen auftraten, sich ineinander verknoteten und den Weg in eine der angrenzenden Hallen wie ein lebendes Gitter versperrten. Er achtete auch nicht auf die sphärenhaften Gesänge, die plötzlich wieder in der Luft lagen. Für ihn gab es in diesen Sekunden nur eines: Einzugreifen in den Kampf zwischen den Menschen und den „Singenden Fäden". Er sah die Auseinandersetzung, und er erkannte die Gefahr, in der Corda schwebte. Mit einem Blick hatte er die Situation erfaßt. Rex Corda war von mehreren „Fäden" eingeschlossen. Es gelang ihm zwar immer wieder mit dem Schocker eine Bresche in die Angreifer zu schlagen. Aber wo zehn „Fäden" ausfielen, glitten zwanzig nach. Sie bildeten ein dichtes Netz um den Oberbefehlshaber der „Walter Beckett". John Haick und Ga-Venga hatten nicht weniger hart zu kämpfen. Sie wollten Rex Corda unterstützen, hatten aber selbst so sehr mit sich zu tun, daß Corda von ihnen keine Hilfe erhalten konnte. Ga-Venga wurde in diesem Augen-
blick von einem der leuchtenden „Fäden" wie von einer Schlange umschlungen. Gleichzeitig wirbelte ein zweiter der Flachkörper auf ihn zu, entriß ihm mit einem gutgezielten Schlag den Schocker. Der zwergenhafte Kynother wurde wie eine Feder in die Luft gewirbelt. Ralf Griffith stürmte heran. Wie eine Kampfmaschine griff er in die tödliche Auseinandersetzung ein. Mit bloßer Hand riß er einen der Flachkörper herum, der Ga-Venga mit der obersten Spitze umschlungen hielt und offenbar zu Boden schmettern wollte. Ralf Griffith zog den Flachkörper herunter. Wie ein Seil ließ er den kristallharten Körper durch die Hände gleiten. Seine unorthodoxe Art zu kämpfen schien den „Singenden Faden" so zu überraschen, daß der Flachkörper im ersten Augenblick nicht wußte, wie er sich verhalten sollte. Als er sich zukkend und um sich schlagend wehrte, hatte Ralf Griffith schon das erreicht, was er hatte erreichen wollen. Ga-Venga hatte festen Boden unter den Füßen. Er grinste von einem Ohr zum anderen und sauste gleich los, um den Schocker, der ihm entfallen war, wieder aufzuheben. Ralf Griffith ließ den Flachkörper los, erkannte mit einem Blick, daß John Haick sich indessen aus eigener Kraft befreit hatte. Der Boden um den Atomwissenschaftler war übersät mit schwach zuckenden, betäubten „Fäden". Doch Rex Corda schwebte in höchster Gefahr. Die „Fäden" bildeten ein dichtes, undurchdringliches Knäuel um ihn, Corda war nicht in der Lage, sich noch aus eigener Kraft zu befreien. Seine Bewegungsfreiheit war auf wenige Zentimeter innerhalb des Knäuels beschränkt. Er war nicht fähig noch den Arm zu heben, um den
Schocker in Anschlag zu bringen. Corda war verloren. Da war Ralf Griffith heran. Mit beiden Händen griff er in das Gewühl der eng umschlungenen Fäden hinein, riß sie wie Seidengespinst auseinander. Die Waffe hatte er auf den Boden geworfen. Sie hinderte ihn nur in seiner Bewegungsfreiheit. Es war eine Situation eingetreten, wo die Waffe für Corda auch gefährlich werden konnte. Mit seinen bloßen Händen jedoch konnte Griffith dem Oberbefehlshaber der „Walter Beckett" keinen Schaden zufügen. Die kristallharten „Fäden" zwischen seinen Fingern zerbröckelten wie morbides Gestein. Er sah den dunklen, in sich zusammengesunkenen Körper. Rex Corda hing völlig bewegungslos in der Mitte des Knäuels. Ralf Griffith kämpfte sich bis zu Rex Corda durch. Es machte ihm nichts aus, daß nun eine Anzahl der „Singenden Fäden" auf ihn aufmerksam geworden waren und die Gefahr, die durch ihn drohte, erkannt hatten. Sie schlängelten sich um ihn herum. Er schüttelte sie wie ein lästiges Anhängsel ab, schlug sie zurück. Sie rasten wie Speerspitzen auf ihn zu, mußten erkennen, daß sie ihn nicht bezwingen konnten, nachdem drei, vier der Flachkörper bei dem Angriff auf Griffiths Körper in der Mitte auseinandergebrochen waren. Die Reststücke lagen bewegungslos auf dem Boden. Ein klagendes Singen lag in der Luft, schien aus tausend und aber tausend gequälten Körpern zu kommen. Corda stöhnte. Sein Gesicht, seine Hände waren blutüberströmt. Über Griffiths Gesicht rann der Schweiß. Er kämpfte mit der Kraft und dem Rhythmus einer Maschine.
Er schaffte es, Rex Corda aus dem Griff der „Fäden" zu befreien. Er zog den schlaffen Körper zu sich herüber, wies weitere, neu angreifende „Fäden" zurück. Ga-Venga und John Haick hatten mit ihren Schockern große Lücken in die Reihen der zu Hunderten angreifenden „Fäden" geschlagen. Sie waren dabei von dem eintreffenden Percip unterstützt worden. Ralf Griffith nahm den halb bewußtlosen Rex Corda auf die Arme. Corda war unfähig, auf den Beinen zu stehen. Die Männer traten den Rückzug an. Von den „Singenden Fäden" erfolgte kaum mehr ein Angriff. Nur einzelne folgten ihnen nach. Ihr Interesse und ihre Neugierde galt in all diesen Fällen aber nur Corda. Sie wollten ihn abschirmen. Durch seine Nähe brachte er die Tutuuhs aus der Ruhe. Sie selbst hatten die neue Gefahr für die Tutuuhs in den Tagons geschaffen, weil sie Corda und seine Begleiter nicht rechtzeitig abziehen lassen hatten. Doch ein Gefühl der Schuld kannten sie nicht. Ihr ganzer Haß und ihr ganzer Zorn richtete sich gegen den Fremden, der die „Überspannungen" erzeugte. Die Männer kamen unbehelligt an den Diskus, mit dem Percip und Ralf Griffith eingetroffen waren. John Haick machte dem Lithalon-Geborenen in wenigen Worten klar, was bei seinem Start geschehen war, und der Laktone war beunruhigt. Das Unglück konnte sich jetzt wieder ereignen. Als sie im Diskus waren, schlug Rex Corda die Augen auf. Er lächelte matt, als er Ralf Griffith erkannte. „Danke", sagte er kaum hörbar. Da startete Percip den Diskus. Ganz langsam näherte er sich der Stelle, an der sie in das unterirdische Reich der „Singenden Fäden" einge-
drungen waren. Wie gebannt starrte der Laktone auf den Masseorter. Er zeigte keine kompakte Erdmasse an. „Das Loch ist noch vorhanden", kam es kaum hörbar über seine Lippen. Percip handelte ohne lange zu überlegen. Der Diskus wurde wie unter einem plötzlichen Sog nach oben gerissen. Für zwei Sekunden befand er sich inmitten des dichten wallenden Nebels. Die Männer in der Kabine hielten den Atem an. Nur Ga-Venga konnte es nicht unterlassen, seinen melancholischen Gesang anzustimmen. John Haick schluckte. Er durfte sich nicht vorstellen, was geschehen würde, wenn die atomar veränderte Umgebung plötzlich zu einer festen undurchdringlichen Masse werden würde. Der Schrecken vom ersten Zusammenprall mit dem Boden „Fattys" saß ihm noch in allen Gliedern. Doch nichts geschah. Der Diskus glitt durch das Nebelgebilde, rauschte in die Dämmerung. Ein tiefer Atemzug hob und senkte die Brust Cordas. „Sie scheinen froh zu sein, daß sie uns losbekommen haben", bemerkte er mit leiser Stimme. „Und nun so schnell wie möglich zurück zur ,Walter Becketf." Er erkundigte sich bei Ralf Griffith nach dem Befinden Kims und Wabashs. Griffiths Miene drückte tiefste Besorgnis aus. „Wir müssen weg von ,Fatty'", stieß Corda hervor, während er mit knappen Worten den anderen zu erklären versuchte, was bei seiner Begegnung mit dem Hüter der Tutuuhs herausgekommen war. „Kim und Wabash gehen an ihren eigenen telepathischen Kräften zugrunde. Die ,Fäden' schleudern die ,Überspannungen' zurück. Je weiter wir von ,Fat-
ty' entfernt sind, desto besser!" Ralf Griffith nickte. In seinen braunen Augen jedoch las Rex Corda Hoffnungslosigkeit. Ralf Griffith und Rex Corda dachten in diesen Sekunden dasselbe. Sie waren schon zu lange auf „Fatty". Der Aufenthalt in den unterirdischen Höhlengängen hatte wertvolle Stunden gekostet. Was war aus Kim und Wabash in dieser Zeit geworden? Hatten die „Singenden Fäden" sie indessen zu Tode gewürgt? * Zweimal hatte diese starke Festung zugeschlagen. Der armselige Rest der ihm verbliebenen Flotte sollte nicht vollkommen aufgerieben werden. Sigam Agelon gab schweren Herzens den Befehl zur Flucht. Die angeschlagenen Schiffe waren noch nicht wieder formiert, hatten durch die erlittenen Schläge Energie und Besatzung verloren. Der Rückzug der zwanzig Schiffe erfolgte umgehend. In einer weiten Linie zogen sie sich auseinander, näherten sich dem System des roten Riesen, um die der einsame gewaltige Planet kreiste. Die Raumfestung verschwand in der Tiefe des Alls, kehrte in einer weiten Schleife zurück, ohne sich um die fliehenden Schiffe zu kümmern. „Schalmirane" verschwand wieder im Raumabschnitt des „Pentagramms der Dunkelsterne". Die winzige Flotte Sigam Agelons näherte sich einer der Sauerstoffwelten, die um „Fatty" kreisten. Notwendige Reparaturarbeiten mußten durchgeführt werden. Urn diesen abermaligen Zeitverlust kam er nicht herum.
Sigam Agelon war in dem Pneumosessel auf der Kommandobrücke zusammengesunken. Sein Gesicht war wie aus Stein gemeißelt. Er überlegte, wie er es mit zwanzig Schiffen abermals gegen die Festung versuchen könnte. Es ging ihm nicht in den Kopf, daß diese Festung seinen Schiffen überlegen sein sollte. Sie war zu schlagen. Er hatte nur noch nicht den richtigen Weg gefunden. Eine Sitzung mit seinen militärischen Beratern war unumgänglich. Eine Reihe fähiger Köpfe sollte in der Lage sein, etwas unternehmen zu können. Im gleichen Augenblick fühlte er jene seltsamen Ausstrahlungen, die ihn in Raserei versetzten. Es war jemand in seiner Nähe, der ihm glich — und der doch anders war als er. Er sprang von seinem Sessel auf, sah sich wie ein Gehetzter um. Es war ein anderer Gigant in seiner Nähe! Das Verlangen, diesen Gegner im Kampf zu stellen, wurde ungeheuer groß in ihm. Er verbrannte fast vor Gier danach, mit diesem Giganten zusammenzukommen. Seine Haut spannte sich, ein rätselhaftes Licht leuchtete in seinen Augen. Die „Lynthos" landete. Und noch immer waren die Einflüsse vorhanden. Er fühlte die Ausstrahlungen des anderen mit solcher Macht und Klarheit, daß er fast körperlich darunter zu leiden hatte. Ein Zittern lief durch seinen Körper. Wie in Trance starrte er auf den mannshohen Holografen, der auf die ihn begleitenden Schiffe ausgerichtet war. Die winzige, 20 Dorr-Raumer große Flotte landete auf dem Mond, auf dem sie bereits schon einmal gewesen war. Sigam Agelons breiter Brustkasten spannte sich unter der roten Bluse.
Wo war er, der andere, der Gigant, nach dem er sich bald verzehrte? Unruhig ging er auf der Kommandobrücke auf und ab. Er mußte diesen Giganten vernichten. Die Unruhe in ihm nahm zu. Der andere mußte ganz nahe sein, ganz nahe ... * Dr. McCluskey hatte mit diesem Fall gerechnet. Er setzte eine Herzsonde an, regte die Tätigkeit des Herzens mit einigen kurzen Elektroschocks an. Schwach und kraftlos fing das Herz wieder an zu schlagen, setzte abermals aus, und Dr. McCluskey mußte erneut die Elektrosonde ansetzen. Auf seiner Stirn perlte der Schweiß. In der Spezialkabine war außer dem Knistern der unter hohen Spannungen stehenden Wände und dem Atem der Anwesenden kein Laut zu hören. Fan Kar Kont stellte die Wände unter eine Spannung von 20 Millionen Volt. Die Spezialkabine schien unter einem hellblauen Energieschirm zu liegen. Ein unwirkliches Licht überschüttete die Männer. Der Chefwissenschaftler starrte mit sorgenvollem Blick auf den Bruder Rex Cordas. Sie alle hatten ihr Möglichstes getan. Doch niemand konnte ein Wunder vollbringen. Wabash rührte sich plötzlich mächtig in seinem Bassin. Er war noch immer bewußtlos, doch seine unkontrollierten Kraftausbrüche ließen die Augen der Männer hell aufleuchten. Wabash tat etwas, was er seit Stunden nicht mehr getan hatte: Er bewegte sich. Wie ein Fisch im Netz warf er sich in dem Bassin hin und her. In diesem Moment meldete die Kran-
kenschwester an Kims Liege, daß der Herzschlag des Jungen sich merklich verstärke. Der Arzt stand wie aus Stein gemeißelt. Die plötzliche Reaktion bei beiden Körpern brachte ihn aus der Fassung. Er schluckte. „Mir scheint, Sie haben es geschafft, Fan Kar Kont", bemerkte er tonlos. Fan Kar Kont wandte sich um. Da fiel sein Blick auf den aktivierten Holografenschirm. Er sah Rex Corda. Der Oberbefehlshaber der „Walter Beckett" befand sich in der Forschungsabteilung, wurde Zeuge der letzten dramatischen Minuten in der Spezialkabine. Fan Kar Kont lächelte. Cordas zerkratztes, sorgenvolles Gesicht entspannte sich. „Die Kabine eines Agenten kann manchmal doch auch zu etwas Gutem nützlich sein", bemerkte der Chef Wissenschaftler. Fan Kar Kont hatte seinen Körper stolz aufgerichtet. „Ko-Monts Versteck", kam es wie ein Hauch über Cordas Lippen. „Sie wissen davon?" staunte Fan Kar Kont. Corda schüttelte den Kopf. „Ich weiß von dem Agenten, aber ich wußte nichts von seinem Versteck. Sie haben es gefunden. Und wie mir scheint, hat dieses Versteck Kim und Wabash das Leben gerettet." Rex Corda hatte einen genauen Blick über die Situation in der Spezialkabine. „Wir haben sie zum rechten Zeitpunkt gefunden", sagte Fan Kar Kont. „Durch die günstige Lage eignet sie sich ganz hervorragend für den Zweck, dem sie jetzt dient: Sie ist undurchlässig für jeden elektromagnetischen Impuls geworden." Kim Corda bewegte sich. Ein leises Stöhnen kam über seine Lippen. Doch er hatte seine Augen noch immer ge-
schlossen. Alle Sorge schien von Cordas Gesicht wie weggewischt zu sein. „Ich danke Ihnen, Fan Kar Kont", sagte er nur. Die einfachen Worte drückten alles aus, was Rex Corda in diesen Sekunden empfand. Rex Corda lächelte. Vergessen waren die letzten Stunden, in denen es um Tod und Leben gegangen war, vergessen die Sorge um Kim und Wabash, für die jede Rettung zu spät zu kommen schien. Der Geist und die Entschlußkraft eines Mannes hatten während der Zeit seiner Abwesenheit die Entscheidung herbeigeführt: Fan Kar Kont war der Held dieser Stunde. Die Lösung Fan Kar Konts war ebenso genial wie einfach. Er verhinderte, daß weitere elektromagnetische Ströme in das Zeitversteck Eingang fanden, und er schützte sowohl Kim und Wabash als auch die Tutuuhs in den Tagons voi~ den „Überspannungen", die in diesem Raumabschnitt durch die besondere Einwirkung der fünf Dunkelsterne auftraten. Die Telepathen an Bord der „Walter Beckett" waren von nun an geschützt wie in einem „Faradayschen Käfig". Rex Corda war damit einverstanden, Kim und Wabash bis zur vollständigen Genesung in diesem „Faradayschen Käfig" zu lassen. Gleichzeitig ordnete er den Start der „Walter Beckett" an. Er wollte „Fatty" auf dem schnellsten Wege hinter sich bringen. Je früher Kim und Wabash aus dem Einflußbereich der „Überspannungen" kamen, desto besser. Sie würden sich bald wieder normal an Bord bewegen können. Es war erstaunlich, wie schnell nach der Isolation der Zeitkabine ihre Körper der Genesung entgegengingen. Der Druck, der in den letzten Stunden beinahe körperlich auf der Besat-
zung der „Walter Beckett" gelegen hatte, verschwand wie ein Nebelstreif unter der warmen Herbstsonne. Die „Walter Beckett" verließ „Fatty". Die violette Dämmerung des Riesenplaneten blieb hinter dem Flaggschiff Terras zurück. Rex Corda konnte den Weg fortsetzen, der ihm vorgezeichnet war: Der Weg zu den „Zeitlosen", um Unsterblichkeit zu finden. Der Flug in das Reich der „Zeitlosen" würde nicht einfach sein. Der Weg nach dort war mit Dornen besät. Er ahnte in diesen Sekunden nicht, daß er „Fatty" nur für kurze Zeit verlassen hatte ... Der Riesenplanet, auf dem es niemals Tag wurde, lag hinter ihnen. Doch er wollte gern alles ertragen. Er wollte nur eines nicht mehr: Auf „Fatty" zurück. Er wollte Kim und Wabash von den Telepathenwürgern fernhalten. * Er konnte sich frei im Schiff bewegen. Niemand hinderte ihn daran. Sie hatten sich an ihn gewöhnt, an den dunkelhäutigen Terraner, der Energieschirme zerbrechen konnte. Tsati Mutara wanderte, mit dem rotpelzigen Trop auf der rechten Schulter, durch das Mittelstück der „Lynthos". Er achtete nicht auf die Staras, die amphibischen Wesen, die über ihm an der Decke hingen, und die notwendigen Reparaturen durchführten, die Sigam Agelon befohlen hatte. Der Flottenkommandeur hatte während der letzten Stunden manche Schlappe einstecken müssen. Tsati Mutara war ein aufmerksamer Beobachter der Dinge an Bord der „Lynthos" gewesen. Er hatte sich indessen auch so gut mit dem Trop verstehen gelernt, daß er
nicht mehr auf die Gehirnsonde und den elektronischen Dolmetscher angewiesen war. Der Trop, der auf den phantastischen Namen Thali-Fenberth-FenBerthnyen hörte, kam mit der Sprache Mutaras erstaunlich gut zurecht. Tsati Mutara näherte sich den Laderäumen des Schiffes. Hier war das Reich der Hilfsvölker der Orathonen. Es gab Bezirke, wo sie in Massen auftraten, wo Ätzer, Staras, Jumper und Whims das Bild bestimmten. Ein Bronzeroboter begegnete ihm. Tsati Mutara ging weiter. Er fühlte den Blick des Bronzenen auf sich gerichtet. Doch er drehte sich nicht um. Dann verklangen die harten Schritte des Bronzeroboters in der Ferne. Niemand brachte ihm Mißtrauen entgegen. Tsati Mutara gehörte zum Schiff. Nach mehreren Fluchtversuchen hatte er es aufgegeben, sich weiter gegen die Orathonen zu erheben. Er wollte einen besonders günstigen Zeitpunkt abwarten. Und vor diesem besonders günstigen Zeitpunkt durfte niemand wissen, daß er nicht mehr unter der Kontrolle eines semibiotischen Conductors stand. Mehrere Luftschleusen standen offen. Die Hilfsvölker schleppten Ersatzmaterial nach draußen. Die „Lynthos" schien auch auf der Hülle einiges abbekommen zu haben. Zwei Hüpfer sprangen ihm über den Weg. Sie schleppten sich mühsam an einer fleckigen zersprungenen Holografenschirmplatte ab. Das Zischen von Schweißgeräten klang an seine Ohren. Mutara konnte in einen Hangar blicken, in dem mehr als vierzig Staras an Diskusraumern zu tun hatten. Beim Ausfall der Antigravitationsautomaten war gerade dieser Hangar schwer betroffen worden. Die Staras wurden von den Featherheads hauptsächlich für Reparaturarbeiten und zur Instandsetzung herangezo-
gen. Die amphibischen Wesen waren hervorragende Techniker. Tsati Mutara erreichte mit Thali eine der weit geöffneten Luftschleusen. Er starrte mit brennenden Augen hinauf in den klaren Himmel. Ein sanfter Windhauch fächelte sein Gesicht. Freiheit. Diese Luft weckte in ihm den Wunsch, die „Lynthos" zu verlassen, zu fliehen. Doch wohin sollte er sich wenden? Viele Lichtjahre war er von der Erde, war er von Menschen entfernt. Mit einem tiefen Atemzug wandte er sich ab. Der Trop auf seiner Schulter gab ein leises Seufzen von sich. „Wir, aus der ehrwürdigen Familie der Fenberths-Fen-Berthnyens", begann er und holte schon Luft, um die restlichen Namen seiner Vorfahren aufzuzählen. Er unterließ es, als ein Blick Mutaras ihn traf. „Nun gut. Meine Ahnen also, die auf ein recht bewegtes und reiches Leben zurückblicken konnten, als ich geboren wurde, meine Ahnen meinten, daß man jedes Ziel erreichen könne — wenn man nur will." „Sie hatten vielleicht recht, deine Ahnen", bemerkte Tsati leise, und ein flüchtiges Lächeln huschte über sein angespanntes Gesicht. „Doch damals galten sicher andere Maßstäbe, Thali. Oder kannst du dich etwa an einen Bericht der ehrwürdigen Fenberth-Fen-Berthnyens erinnern, in dem ein Hantelraumer eine Rolle spielte, aus dem ein gefangener Terraner, hundert oder tausend Lichtjahre von seiner Heimatwelt entfernt, entkommen wollte?" Der Trop kratzte sich bedächtig am Hinterkopf. „Mein Großvater mütterlicherseits hätte vielleicht..." Thali kam nicht mehr dazu zu sagen, welchen Rat sein Großvater gehabt hätte.
Die schrillen Sirenenlaute erfüllten das Schiffsinnere. Die Hilfsroboter und Sklavenvölker der Orathonen huschten durch den Mittelgang. Ein verwirrendes Leben spielte sich um Tsati Mutara ab. Staras kehrten in die „Lynthos" zurück, Bronzeroboter glitten mit Ersatzteilen durch die nahe gelegenen Gravoschächte. Rufe, Schreie wurden laut. Hangars schlossen sich und die Luftschleusen klappten zu. Was war geschehen? Der Trop und Mutara sahen sich an. „Wir sind doch eben erst angekommen", bemerkte Tsati leise. Die Reparaturarbeiten konnten unmöglich beendet sein. Überstürzt waren sie abgebrochen worden. Ein neuer Angriff? Die mächtigen Antriebsaggregate summten, und wenig später hob sich der mächtige Alakim-Hantelraumer vom Boden ab. Tsati Mutara schluckte. Warum hatte Sigam Agelon den Start der stark reduzierten Flotte befohlen? Was veranlaßte ihn dazu? Der Mutant ging langsam den Weg zurück, den er gekommen war. Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut. Instinktiv fühlte er die Gefahr, die auf sie zukam... * Sigam Agelon schien innerlich zu brennen. Er hatte das Ende der Reparaturarbeiten nicht mehr abwarten können. Ein ungeheuerer Trieb hatte von ihm Besitz ergriffen. Er hatte nichts dagegen tun können, konnte jetzt noch nichts dagegen tun. Mit titanenhafter Gewalt zog es ihn in die Nähe des „Anderen". Alles andere war bedeutungslos für ihn geworden.
Er mußte diesem Gegner gegenüberstehen, er verbrannte fast vor Verlangen nach einem Kampf mit diesem unsichtbaren Gegner, den er fühlte, und von dem er nicht wußte, wer er war. Die Unruhe, die nervöse Spannung spiegelten sich auf seinem Gesicht. Er ließ sich von seinem Gefühl leiten. Stärker und gewaltiger loderte die Flamme in seinem Inneren. Die Ausstrahlung des anderen war wie eine Leuchtspur, die er nur zu verfolgen brauchte. Mit gepreßter Stimme gab er den Piloten die Richtung an, in der sich die „Lynthos" zu bewegen hatte. Die Computer errechneten die angegebene Position auf Grund dieser Anweisungen. Die Flotte der zwanzig Dorr-Hantelraumer folgte der voranstürmenden „Lynthos". Und dann übermittelte die Holografenzentrale auf Grund der Meldung der Orterstation ein Bild des fremden Körpers, der sich der „Lynthos" von dem Riesenplaneten her näherte. Ein Raumer der Dorr-Klasse? Aufregung, Erstaunen breitete sich in der Kommandozentrale aus. Und Sigam Agelon wurde immer rasender. Sein Gesicht war verzerrt. Er sah aus, als würde er unter einem Anfall leiden. Die Funkabteilung versuchte vergebens, den Raumer auf der Normalfrequenz zu erreichen. Der Kommandant des Schiffes meldete sich nicht. Ein Orathonen-Raumer. der auf der Normalfrequenz nicht reagierte, das gab es nicht! Die Gefiederten standen in Gruppen zusammen, diskutierten. Ein Agentenschiff? Die „Lynthos" kam von der Seite her auf den einsamen Hantelraumer zu. Über Sigam Agelons Lippen kam ein Schrei.
Er konnte nicht fassen, was er auf dem Mittelstück zwisehen den beiden Kugeln sah. Terranische Buchstaben! Die Terraner hatten ein Wrack für ihre Zwecke ausgebaut. Das Schiff durfte nicht entkommen. An Bord dieses Hantelraumers befand sich auch der andere Gigant. Der Wille, diesen Gegner zu vernichten, wurde ungeheuer stark in ihm. Die „Lynthos" und die sie begleitenden zwanzig Dorr-Raumer befanden sich in ausgezeichneter Schußposition. Da gab Sigam Agelon den Feuerbefehl. * Die senkrecht über ihm hängenden Kristallstäbe bewegten sich plötzlich. Die blauen Funkenschwärme, die von einem der Stäbe zum anderen zogen und für Helligkeit im Verbindungsarm der „Lynthos" sorgten, schienen für den Bruchteil einer Sekunde unterbrochen worden zu sein. Die Helligkeit um Tsati Mutara ließ merklich nach. Der Mutant verhielt im Schritt, lauschte. Die Energiestationen arbeiteten auf Hochtouren. Die „Lynthos" befand sich wüeder in einer Kampfhandlung. Tsati Mutara befand sich in Höhe der Holografenzentrale. Aus Erfahrung wußte er, daß kaum jemals ein Gefiederter in der Zentrale war. Die Orathonen überließen den Angehörigen der Hilfsvölker die technische Bedienung der fast automatischen Zentrale. Die automatischen Laser-Kameras übertrugen die Bilder in die Zentrale, und Tsati Mutara erhaschte einen Blick durch die halb offenstehende Kabinentür. Die Schiffe unter Sigam Agelons Be-
fehl befanden sich in einer neuen Kampfhandlung. Er hatte sich also nicht getäuscht. Tsati Mutara kniff die Augen zusammen, als er auf einem der seitlich angebrachten Schirme einen Hantelraumer mit terranischer Aufschrift im Mittelstück entdeckte. Sein Herzschlag setzte aus. Vorsichtig trat er näher. Niemand achtete auf ihn. Drei Whims befanden sich im Augenblick in der Zentrale. Sie hielten sich in der vordersten Ecke auf. Sie konnten ihn nicht sehen. Tsati Mutara beugte sich weiter vor. Er konnte den Namen des Schiffes deutlich lesen: „Walter Beckett." Der Mutant schluckte. Wie von einer unsichtbaren Hand nach vorn gedrückt, bewegte er sich in die Holografenzentrale hinein. Der Gedanke an Rex Corda grellte urplötzlich in ihm auf. Er wußte selbst nicht, weshalb er gerade an Rex Corda denken mußte. Doch der Gedanke war in ihm und er nahm immer greifbarere Formen an. Er wollte Gewißheit haben. Ehe er sich versah, befand er sich mitten in der Holografenzentrale. Er prallte zurück. Vor ihm hockte ein Stara und reparierte eine defekte Übertrageranlage. Langsam zog Tsati Mutara sich auf die Seite, verschwand hinter einigen fleckigen Holografenschirmen, die nicht in Betrieb waren. Sein Herz schlug wie rasend, das Blut hämmerte in seinen Schläfen. Ein verzweifelter Plan nahm in ihm Gestalt an. Er mußte wissen, wer in diesem Schiff war, das „Walter Beckett" hieß. Vielleicht war hier die Chance, auf die er so lange gewartet hatte! Tsati Mutara sah sich ein letztes Mal in der Runde um.
Er verschwand auf Zehenspitzen hinter einem der fleckigen Holografenbildschirme. „Du mußt mir helfen, Thali", wisperte er kaum hörbar. „Ich muß eine Holografenverbindung zu der ,Walter Bekkett' haben." Der Trop nickte. Er aktivierte einen der Holografen, richtete die unsichtbaren Aufnahmeobjektive der Laser-Kameras, Tsati Mutara hielt den Atem an. Er zuckte zusammen, als er neben sich die Bewegung bemerkte. Einer der grausamen Whims kam auf ihn zu. Der Blaulighter richtete sich auf Mutara! * Die Befehle Rex Cordas hallten durch die Kommandozentrale. Vier Schiffe der Dorr-Klasse, gleich der „Walter Beckett", waren vor ihnen. Der Angriff erfolgte blitzschnell. Aus den Waffenständen schossen die grellen Arme der Strahlenbündel hervor, knallten auf den Schutzschirm der „Walter Beckett"! Die Waffenleitzentrale unter Ralf Griffiths Kommando schlug hart zurück. Raketengeschosse verließen die Kampfkuppeln, die Schlünde der Energiekanonen spien Tod und Verderben. Einer der Dorr-Raumer geriet in das brüllende Feuermeer der verzweifelt zurückschlagenden „Walter Beckett". Die Schutzschirme des Schiffes brachen knisternd zusammen. Wie ein Streichholz brach der Hantelraumer in der Mitte entzwei. Die Besatzung rettete sich zum großen Teil in die Diskusraumer, griff nun auch mit diesen an. Sigam Agelons Befehl lautete, das Schiff unter allen Umständen zu ver-
nichten. Einen zweiten Raumer der DorrKlasse konnte die „Walter Beckett" in einen aufglühenden Feuerball verwandeln. Rex Corda war in diesen Sekunden des entscheidenden Kampfes überall. Der gewaltige Alakim-Hantelraumer mit dem roten Mittelstück war wie ein Schatten über ihnen, griff nun ebenfalls in den Kampf ein. Rex Corda preßte die Lippen zusammen. Das rote Mittelstück des AlakimRau-mers war das Zeichen der FAMILIE. Tief in seinem Inneren stieg ein furchtbarer Verdacht hoch. Er ahnte, wer ihn in diesen Kampf verwickelt hatte. Die „Walter Beckett" war von drei Seiten von feindlichen Schiffen umgeben. Der nachfolgende plötzliche Feuerstoß der Angreifer warf das terranische Flaggschiff wie ein Blatt im Wind herum. Die Schutzschirme der „Walter Beckett" wurden für einen Augenblick zitronengelb, waberten dann wie ein instabiles Lichtfeld über dem grauen Raumkörper und brachen schließlich zusammen. Die nachfolgenden Raketengeschosse prallten wie harmlose Gesteinssplitter auf der mit Becon gepanzerten Außenhülle ab. Eine Feuerglut tobender Energien hüllte die „Walter Beckett" ein. Wie in einem Orkan schlingerte der Hantelraumer hin und her, wurde von der Faust eines Giganten durchgeschüttelt. Da versagten die Antigravitationsautomaten. Rex Corda fühlte den Boden unter seinen Füßen schwanken. Er drohte zu Boden zu stürzen. Doch er fing sich wieder. Und dann war es
schon wieder vorbei. Drei Sekunden lang hatten die Antigravitationsautomaten ausgesetzt. Jetzt waren sie wieder voll wirksam. Aber nun schlugen die Feinde abermals zu. Raumminen und Raumtorpedos kamen in ununterbrochener Folge auf die „Walter Beckett" zu. Doch das Schiff war nicht zu vernichten. Der graue Beconbelag war nicht zu durchschlagen. Grellweiße Strahlbündel aus den Kampfständen der Orathonen-Raumer liefen über den mit Becon gepanzerten Leib, rannen daran ab wie Wasser auf einer Ölhaut. Die „Walter Beckett" konnte einen dritten Dorr-Raumer vernichten, als das angreifende Schiff der abdrehenden „Walter Beckett" zu nahe kam. Die rechte Kugel knallte auf eine der Kugeln des Orathonenschiffes, zerfetzte die äußere Hülle der Kugel. Die Wrackteile schwirrten um die Hülle des terranischen Flaggschiffes. Die Techniker an Bord der „Walter Beckett" versuchten verzweifelt, den Schaden zu beheben. Ohne die wirkungsvollen Superschutzschirme, wie sie die Dorr-Raumer besaßen, mußten immer und immer wieder schwere Erschütterungen durchkommen. Die Orathonen griffen mit aller Wucht an. Jede Erschütterung, die durchkam, konnte weitere schwere Schäden in der empfindlichen Elektronik, im Antrieb, in der Energieversorgung mit sich bringen. Das Schiff glich dem Innern eines Bienenstocks. Menschen hasteten durch die Gänge, aus abgelegenen Sektoren der „Walter Beckett" trafen Nachrichten ein. Antigravitationsautomaten waren ausgefallen, dadurch wurden ganze Kabinen in ein einziges Trümmerfeld verwandelt. Leichtere Verletzungen hatten man-
che davongetragen, die gegen die Wand geschleudert oder von einem herabfallenden Gegenstand getroffen worden waren. Da erschütterte ein neuer Stoß den Hantelraumer. Er kam so überraschend, daß Rex Corda den Sturz nicht mehr abfangen konnte. Er krachte gegen die Wand, konnte jedoch rechtzeitig seinen Kopf nach vorn werfen und so eine ernsthaftere Verletzung vermeiden. In der allgemeinen Aufregung und dem größten Durcheinander in der Kommandozentrale hörte er plötzlich einen gellenden Schrei. Und dann seinen Namen. „Mr. Corda!" Wie von einer Peitsche getroffen warf Rex Corda seinen Körper herum. Er kniete auf der Kommandobrücke, er war unfähig, sich in diesen Sekunden auf die Beine zu erheben. Er konnte nicht glauben, was er sah. Tsati! Tsati Mutara! * Es war wie damals. Aus der Tiefe seines Bewußtseins stieg der grauenhafte Schrei des Mutanten hoch, hallte in seinem Innern wie ein Echo wider. Ein eiskalter Schauer überlief ihn. Er fühlte sich mit Mutara verbunden, genau wie in den Sekunden, als der Mutant in das Transmitterfeld der Orathonen gestürzt war. Und jetzt stand dieser gleiche Mutant in Lebensgröße vor ihm auf dem Holografenschirm. Corda hatte das Gefühl, nur seine Hand ausstrecken zu müssen, um Tsati Mutara zu sich in die Kommandozentrale hereinzuziehen. „Helfen Sie mir, Mr. Corda!" Es war die Stimme eines Verzweifelten, die an seine Ohren drang.
Da sah Rex Corda den Schatten neben dem Mutanten. Ein Whim! Das mannsgroße Insekt hatte den gefährlichen Blaulighter im Anschlag. Rex Corda stockte der Atem. Er wußte um die Gefährlichkeit dieser Waffe, die durch elektrische Aufladung der statischen Körperelektrizität eine gefährliche Lähmung des Nervensystems bewirkte. Selbst wenn der Whim sein Ziel verfehlte und den Mutanten mit dem tintenblauen Strahl nur streifte, konnte das zu Mutaras Tod führen. „Mr. Corda! Ich ..." Weiter kam Tsati Mutara nicht. Der Whim war plötzlich neben ihm. Rex Corda hörte noch den gellenden Aufschrei. Das Bild vor ihm verzerrte sich, die Gestalt Mutaras schwankte. Dann war die Verbindung unterbrochen. Wie von unsichtbaren Fäden hochgezogen kam Rex Corda auf die Beine. Er begegnete den verwirrten, hilflosen Blicken Bekovals und Percips. Die beiden Laktonen waren unfähig, ein Wort über ihre Lippen zu bringen. „Wir werden ihn herausholen", sagte Rex Corda. Es bedurfte keiner weiteren Worte, um diese spontane Entscheidung näher zu erläutern. Doch noch konnte er seine Worte nicht in die Tat umsetzen. Die massiven Angriffe der Orathonen-Raumer waren nicht geringer geworden. Die Feuerleitzentrale unter Ralf Griffiths Kommando hatte einen vierten Orathonen-Hantelraumer vernichten können. Das brennende Schiff torkelte führerlos durch das All. Zwei Diskusraumer, die in der Verwirrung nicht rechtzeitig aus den Hangars flogen, schmolzen unter der ungeheueren Hitzeentwicklung der entfesselten Gigantenkräfte zu einem Klumpen unförmigen Metalls zusammen.
Da griff der Hantelraumer mit dem feuerroten Mittelstück von der Seite her an. Die linke Kugel der „Walter Beckett" wurde in ein grelles Licht getaucht. Das Flaggschiff Terras schien von einem Sog herumgeschleudert zu werden. Wie ein Erdbeben lief es durch die Wände des mit Becon gepanzerten Raumschiffes. Das Licht flackerte, zwei der Computer in der kreisförmigen Kommandozentrale der „Walter Beckett" fielen aus. Die grünen Kontrollichter flammten noch einmal ersterbend auf, dann verloschen sie. Der Boden unter Rex Corda dröhnte. Die „Walter Beckett" drehte sich wie ein Karussell im Kreise. Drei orathonische Diskus-Raumer vom Typ A-Vaut-T, die über stärkste Bewaffnung verfügten, und zum Angriff auf das Mittelstück der „Walter Beckett" angesetzt hatten, wurden von der heftigen Drehbewegung erfaßt. Die Gefiederten konnten die Flugscheiben nicht mehr herumreißen. Das Schicksal ereilte sie. Die herumwirbelnden Kugeln des mit Becon gepanzerten Schiffes zerschmetterten die Diskusraumer wie Seifenblasen. Schwere Erschütterungen ließen einen weiteren Computer ausfallen. Zwei Nebenholografen brachen zusammen. Dann kam die Schreckensnachricht aus dem Maschinenraum. Im wichtigen Antriebszentrum der „Walter Beckett" war ein Schaden aufgetreten. Die schweren Erschütterungen, die unter dem permanenten Beschüß der orathonischen Schiffe durchgekommen waren, hatten einen Energiestrang zum Antrieb lahmgelegt. Die „Walter Beckett" mußte auf dem schnellsten Wege den Kampfplatz verlassen. Rex Corda plante, auf einem der
Monde „Fattys", hinunterzugehen. Eine von „Fattys Töchtern", wie im Bordslogan die Sauerstoffwelten genannt wurden, war nur knapp tausend Kilometer von der „Walter Beckett" entfernt. Da rissen gewaltige Energieschüsse das terranische Flaggschiff herum. Auch von der anderen Seite wurde die „Walter Beckett" jetzt unter massiven Beschüß genommen. Rex Cordas Gesicht war mit Schweiß bedeckt. Das Haar hing in seine Stirn. Er bellte seine Befehle, er nahm Meldungen entgegen, erteilte Anweisungen. Botschaften liefen in der Kommandozentrale ein. Schwerste Schäden hatte der Ausfall der Antigravitationsautomaten angerichtet. Die „Walter Beckett" wurde aus der Nähe von „Fattys Tochter" zurückgeschlagen, trieb auf den Riesenplaneten zu. Den Männern des terranischen Flaggschiffes war es unmöglich, die „Walter Beckett" aus dem massiven Beschuß der Orathonen-Flotte herauszu manövrieren. Die Schiffe der Gefiederten waren überall. Immer näher kam die „Walter Bekkett" „Fatty". Rex Cordas Backenmuskeln zuckten. Die Situation verschärfte sich immer mehr. Mit Erschrecken in den Augen erkannte er, daß ihm gar nichts anderes übrig bleiben würde, als auf „Fatty" zu landen. Sie waren bereits im Anziehungsbereich des Riesenplaneten. Da erreichte ihn ein Notruf Fan Kar Konts. Der Chefwissenschaftler befand sich noch immer in der Zeitkabine des Agenten Ko-Mont. Fan Kar Konts Miene war besorgt. „Die Spannung in den Wänden fällt",
teilte er Corda heiser mit. „Die Stromversorgung ist unterbrochen." Corda schluckte. Das hatte gerade noch gefehlt! Zu einem Zeitpunkt, wo den Piloten nichts anderes übrigblieb, als die „Walter Beckett" auf „Fatty" zu landen, mußte etwas eintreten, was das Leben zweier Besatzungsmitglieder stärker bedrohte als der massive Beschüß durch die Featherheads. „Sämtliche verfügbaren Elektriker zur Stromhauptversorgung", ordnete Corda mit scharfer Stimme an. „Und wenn andere Teile des Schiffes lahmgelegt werden müssen: Die Zeitkabine ist unter ständiger elektrischer Spannung zu halten." Er sah Fan Kar Kont an. „Sie müssen es schaffen, Fan Kar Kont", stieß er hervor. Seine Mundwinkel zuckten. „Die Kabine muß dicht bleiben." Rex Corda strich sich mit einer hastigen Bewegung die Haare aus der Stirn. Die „Walter Beckett" passierte die äußeren Schichten der Lufthülle. Corda hoffte im stillen, daß die Angriffe der Orathonen-Schiffe nachließen. Doch seine Hoffnung erfüllte sich nicht. Hart und unerbittlich waren die Angriffe. Der mächtige Alakim-Raumer mit dem feuerroten Mittelstück, dem Zeichen der FAMILIE, trieb die angeschlagene „Walter Beckett" wie einen Spielball vor sich her. Der Alakim-Hantelraumer wurde unterstützt durch die gezielten Schläge der Dorr-Schiffe, die über ein schier unerschöpfliches Energiereservoir zu verfügen schienen. Da sackte die „Walter Beckett" plötzlich ab. Ein gellender Schrei hallte durch die Kommandozentrale.
* Sigam Agelons Augen flammten auf. „Greift an", kam es erregt über seine Lippen. „Laßt nicht locker. Dieses Schiff darf uns nicht entkommen." Seine Augen lagen tief in den Höhlen. Sein Gesicht war eine einzige verzerrte Maske. Die „Lynthos" trieb das terranische Schiff vor sich her, schickte eine ganze Breitseite auf die torkelnde „Walter Beckett". Das graue Schiff mit der terranischen Aufschrift zog ihn an wie ein Magnet. In diesem Schiff war der andere, der Gigant, dessen Nähe ihn rasend machte. Er mußte dieses Schiff vernichten. Er mußte den Giganten vernichten. Es durfte nichts geben, was ihm überlegen war. „Wir werden sie verfolgen", kam es wie ein Fluch über seine bebenden Lippen. „Und wenn es bis ans Ende der Galaxis sein sollte..." * Warum ließen sie nicht locker? Es war der letzte Gedanke Cordas, ehe die „Walter Beckett" wie ein Stein absackte und der gellende Aufschrei eines Besatzungsmitgliedes an seine Ohren drang. Drei Sekunden dauerte der unkontrollierte Fall des Raumschiffes. Dann hatte der Pilot die „Walter Beckett" wieder in der Gewalt. Der graue Hantelraumer unter dem Oberbefehl Rex Cordas tauchte tief in die Lufthülle des dämmerigen Planeten ein. Besorgt setzte Corda sich mit Fan Kar Kont in Verbindung. „Wie sieht es aus?" fragte er mit leiser Stimme.
Fan Kar Kont nickte ihm zu. „Ich glaube, wir schaffen es. Wir haben Notstromaggregate angeschlossen. Die Spannung steigt." Rex Corda atmete auf. Die größte Sorge war ihm vorerst von den Schultern genommen. Kim und Wabash waren vorerst sicher. Solange sie sich unter dem elektrischen Spannungsfeld befanden, konnten ihnen die Impulse der „Singenden Fäden" nichts anhaben. Die elektromagnetischen Felder konnten keinen Eingang in die gut isolierte Zeitkabine finden. Rex Corda sah Kim auf der flachen Liege. Eine Krankenschwester saß neben ihm und unterhielt sich mit ihm. Wabash bewegte sich normal in dem Kunststoffbassin. Er hatte seinen Blick auf den Holografenschirm gerichtet und konnte Rex Corda sehen. Es sah aus, als ob der weiße Delphin ihn aufmunternd zunickte. Da erschütterte ein neuer schwerer Schlag das Innere der „Walter Beckett." Die Antigravitationsautomaten waren während der letzten Minuten so oft ausgefallen, daß sie sich unter den ständigen Angriffen nicht mehr hatten erholen können. Die Antigravitationsautomaten gehörten mit zu den empfindlichsten Einrichtungen eines Schiffes. Eine unsichtbare Faust drückte Corda zur Seite. Er konnte nicht verhindern, daß er gegen Fatlo Bekoval fiel. Gemeinsam fanden sie sich neben einem Pneumosessel wieder. Ein dunkler Schleier legte sich vor Cordas Augen, er drohte ohnmächtig zu werden. Doch sein unbeugsamer Wille trieb seinen Körper wieder hoch. Die „Walter Beckett" landete. Nach dem Verstummen der mächtigen Triebwerke schien sekundenlang alles Leben an Bord des Schiffes erstorben zu sein. Es war, als hielte ein Gigant den Atem an.
Rex Corda kniff die Augen zusammen. Er fühlte sich noch recht unsicher auf den Beinen, und er suchte Halt an einem der Pneumosessel. Bekoval massierte sich den Kopf. Er war so hart gegen einen Metallpfeiler geflogen, daß er eine anständige Beule davongetragen hatte. Die Männer in der „Walter Beckett" erwarteten weitere harte Angriffe der Orathonen. Doch nichts geschah. Über die Holografen sahen sie, daß die Orathonen in unmittelbarer Nähe landeten. Fünf, sechs Dorr-Schiffe blieben in der Luft, kreisten in der Nähe der „Walter Beckett". Der Hauptholografenschirm über dem mannshohen Pult des terranischen Flaggschiffes belebte sich. Sigam Agelon schien mitten unter sie zu treten. Er lachte höhnisch. Er genoß den Triumph, daß es ihm gelungen war, Rex Corda in die Enge zu treiben. „Es scheint mein besonderes Schicksal zu sein, Ihnen immer und immer wieder zu begegnen, Corda." Seine Stimme war messerscharf. Corda schluckte. Er öffnete den Mund zu einer Erwiderung, doch der Gefiederte ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Wo ist der Gigant, Corda?" fragte er rauh. Mit einer heftigen Bewegung zog Sigam Agelon den roten Umhang enger um seine Schultern. Rex Corda erwiderte den harten Blick des Orathonen. „Was wissen Sie von ihm?" fragte Rex Corda mit fester Stimme. Ein Zucken lief durch den breiten Körper des Featherheads. Die Kraft, die Gefahr, den Wahnsinn, den Sigam Agelon ausstrahlte, glaubte Corda
körperlich zu fühlen. Feine Schweißperlen bedeckten seine Stirn. Er stand einem Ungeheuer gegenüber. Mit einer heftigen Bewegung wischte der Orathone durch die Luft. „Ich habe Ihnen eine Frage gestellt, Corda. Und Sie haben mir diese Frage noch nicht beantwortet. Sie vergessen, daß nicht Sie mich, sondern daß ich Sie in der Hand habe. Ihr Schiff hält erstaunlich viel aus. Verraten Sie mir mehr über die geheimnisvolle Panzerung, Corda. Und ich werde Sie ziehenlassen. Sie sind nicht mehr so interessant für mich, wie das vor langer Zeit einmal der Fall war. Damals handelte ich im Auftrag der FAMILIE. Heute bin ich ein freier Mann. Ein Mann, den einst auch die FAMILIE fürchten wird." Die Prophezeiung hing wie ein Damoklesschwert über den Männern in der Kommandozentrale der „Walter Beckett". Corda überlegte fieberhaft. Er wußte, was für die „Walter Bekkett" auf dem Spiele stand. Er mußte diplomatisch zu Werke gehen. Er durfte unter keinen Umständen zulassen, daß Sigam Agelon die „Walter Beckett" weiter unter Beschüß nahm. Kim und Wabashs Leben hingen an einem seidenen Faden, wenn durch schwere Erschütterungen weitere Beschädigungen innerhalb der „Walter Beckett" auftraten. Rex Corda war davon überzeugt, daß es eine Verbindung zwischen den „Fäden" und den „Zeitlosen" gab. Er sprach mit niemandem darüber, aber er glaubte fest daran. Die „Zeitlosen" wollten niemanden an sich herankommen lassen, der ihnen gefährlich werden konnte. Telepathen waren immer gefährlich. Sie konnten den „Zeitlosen" ihr Wissen entreißen, ohne daß sie es bemerkten. Lauerten deshalb die „Fäden" auf alle Telepathen? Fan Kar Kont hatte den
„Zeitlosen" ein Schnippchen geschlagen. Sollte das alles umsonst sein? „Sie überlegen sehr lange, Corda. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich Sie ziehenlasse, wenn ich nähere Informationen über die Panzerung Ihres Schiffes erhalte." Das Geheimnis der Panzerung ließ ihm keine Ruhe. Er sah seine Chance, noch mächtiger zu werden. Nicht nur er würde dann unbesiegbar sein, sondern auch die „Lynthos". „Sie haben Mutara an Bord", wich Rex Corda aus. Seine Miene war hart und undurchdringlich. In diesem Augenblick betrat Ralf Griffith die Kommandozentrale. Auf Cordas Befehl hin war der Waffenleitoffizier benachrichtigt worden. Als Agelon seinen Gegner sah, schien sein Körper unter Flammen zu stehen. Er verbrannte fast vor Verlangen, diesen Terraner zu vernichten. Stärker denn je fühlte der Agelon die Kraft, die geistige Überlegenheit, die Ralf Griffith ausstrahlte. „Was ist mit Mutara?" fragte Corda unbeirrt. Sigam Agelons Blick wich nur für eine Sekunde lang von Ralf Griffith ab. „Ich fordere ihn zum Kampf", sagte er mit bebender Stimme und seine Hand wies auf Ralf Griffith. „Über Mutara werden wir später sprechen. Später — oder niemals, Corda. Vielleicht tausche
ich ihn gegen Ihr Geheimnis der Panzerung. Erst das Duell, Corda." Ein höhnisches Lachen kam über Sigam Agelons Lippen, als er das ruhige, gelassene Gesicht Rex Cordas sah. Ralf Griffiths und Rex Cordas Blicke trafen sich. „Ich werde kämpfen, Sir", sagte Griffith. Seine Stimme war ruhig. „Schauen Sie sich ihn noch einmal genau an", dröhnte Sigam Agelons mächtige Stimme durch die Kommandozentrale. „Sie werden ihn nicht wiedersehen." Sigam Agelon war siegessicher. Er würde diesen Gegner zerschmettern. Nichts mehr sollte von dem Terraner übrigbleiben. Ralf Griffith war in diesen Sekunden gelassen und ruhig. Nichts an ihm war anders als sonst. Er dachte an seine Söhne, die einst in einer Heilanstalt in Denver lebten. Zwei Mutanten, zwei Jungen, 14 und 16 Jahre alt. Die Orathonen hatten sie zu Versuchszwecken, wie Griffith vermutete, entführt. Sein Haß auf die Gefiederten war seit dieser Zeit unüberwindlich. Ralf Griffith fürchtete sich nicht. Langsam wandte er sich um. Er fühlte Cordas Rechte auf seiner Schulter. Dann sahen sich beide Männer an. Und beide lächelten.
ENDE
Rebellion der Mutanten
Band 27
Ein blutiger Aufstand tobt auf der Erde. Die Mutanten, Menschen, die durch die Auswirkungen eines Atombombenkrieges in ihren Anlagen so verändert wurden, daß sie verbrecherisch sind, wollen die Erde beherrschen. Aber nicht nur dieser Aufstand von menschlichen Bestien, die mit einer gnadenlosen Härte kämpfen, belastet Rex Corda, sondern auch die laktonische Geheimpolizei. Es war ihm gelungen, eine Gruppe von Wissenschaftlern aus dem laktonischen Forschungszentrum Teckan zu befreien und mit zur Erde zu bringen. Für Terra sind diese Wissenschaftler von lebenswichtiger Bedeutung. Die Laktonen würden nicht einen Augenblick zögern, Terra zu zerstören, wenn sie wüßten, wo die Wissenschaftler sind. Rex Corda, aus dem Weltraum zur Erde zurückgekehrt, steht vor einem schier aussichtslosen Problem: Auf der einen Seite muß er die blutrünstigen Mutanten besiegen, auf der anderen Seite die Wissenschaftler vor der todbringenden Gefahr aus dem Kosmos schützen.
Die Sonnentöter
Band 28
Der Aufstand der Mutanten konnte niedergeschlagen werden. Rex Corda blieb Sieger über seinen Widersacher Cern, der es verstanden hatte, die Mutanten um sich zu versammeln und aufzuwiegeln. Aber auch jetzt kommt Rex Corda nicht zur Ruhe. Ein Notruf hallt durch die Galaxis. Ein Notruf, den nur der Präsident der Erde hören kann. Rex Corda zögert nicht lange. Er weiß, daß er gebraucht wird, daß er helfen muß. Und wieder startet nach kurzen Vorbereitungen das Flaggschiff „Walter Beckett" zu einem waghalsigen Unternehmen. Cordas Ziel ist ein Sternensystem, dessen Sonne stirbt. Ein Großteil der Galaxis würde verwüstet, wenn es Rex Corda nicht gelingt, dieses Sternensystem zu retten. Corda weiß, was auf dem Spiel steht. Er nimmt Ralf Griffith, den „Veränderten", mit in das Weltall. Kann der Präsident Terras mit dem Titanen an seiner Seite die neue, schwierige Aufgabe lösen?