Gruselspannung pur!
Ich, der Drachentöter
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Die festlich gekleideten Theaterb...
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Gruselspannung pur!
Ich, der Drachentöter
von C.W. Bach Dämonenjäger
Mark Hellmann Die festlich gekleideten Theaterbesucher strömten aus der Vorstellung. Im Deutschen Nationaltheater in Weimar war Goethes Drama >lphigenie< aufgeführt worden, wie immer mit großem Erfolg. Ich hatte mich ausnahmsweise in einen Anzug gezwängt und dem Spektakel beigewohnt. Tessa, meine Freundin, ging in Abendkleid und Mantel neben mir. Sie hatte wieder mal Lust auf Kultur gehabt, statt ihre Freizeit mit mir in Jazzkneipen oder Discotheken zu verbringen. »Besonders beeindruckend fand ich den Drachen, von dem Iphigenie aus ihrer Heimat entführt wurde«, sagte sie. »Das war ein phantastischer Trick. Halt, da ist er ja wieder!« Es sauste und brauste in der trüben Novemberluft. Über dem Theaterplatz mitten in Weimar, direkt über dem Nationaltheater mit der festlich angestrahlten, klassizistischen Fassade erschien ein riesiger, geflügelter, feuerspeiender Drache. Und er sauste zu uns herab… Mark Hellmann - die Gruselserie, die Maßstäbe setzt!
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Auf seinem Rücken saß, wie ich sofort erkannte, der Teufel persönlich in seiner klassischen Gestalt mit Hörnern und Pferdefuß. Rot leuchteten seine Augen. Der magische Ring an meiner rechten Hand strahlte hell auf, das charakteristische Prickeln war bis hoch in den Unterarm zu spüren. Des Teufels Stimme erscholl: »Jag sie, Fafnir! Verbrenn sie zu Asche, erwisch mir vor allem Mark Hellmann, den Träger des Rings, den obersten Schuft!« Wenn der Teufel jemanden als Schuft bezeichnete, mußte man das eine Auszeichnung nennen. Der Drache segelte mit ausgebreiteten Flügeln über dem Theaterplatz, den faltigen Hals vorgereckt. Ängstlich schreiend flohen ein paar Theaterbesucher. Andere jedoch blieben stehen und applaudierten. Sie meinten, es würde sich um eine Sondereinlage des Theaters und einen Trick handeln. Ich wußte es besser. »Alles in Deckung! Rennt, wenn euch euer Leben lieb ist!« rief ich, als eine lange Feuerzunge aus dem Drachenmaul hervorzischte. Wie von einem Flammenwerfer produziert. Plötzlich stank es durchdringend nach fauligem Sumpfgas, als der Drache mit dem Feuer seinen Mageninhalt ausblies. Zwei Theaterbesucher, ein älterer Mann im Smoking und eine Frau im Nerzmantel, wurden von ihnen erfaßt. Aufschreiend, mit brennenden Kleidern, wälzten sie sich am Boden. Ich sprang vor, obwohl es lebensgefährlich war, und berührte mit meinem Ring das sternförmige Mal unter meinem Hemd auf der Brust. Sofort stach ein heller, leuchtender Strahl aus dem Ring hervor, mit dem es eine besondere Bewandtnis hatte. Ich schwang meine Rechte in einem Kreis. Der Strahl flammte auf, als er in das Drachengas traf. Der Feuerstrahl des Drachen versiegte für einen Moment. Halt! schrieb ich auf Keltisch mit Futhark-Runen in die Luft, daß flammende Zeichen entstanden. Und: Fahre aus! Der Teufel schrie auf. Jetzt erkannte ich ihn mit meinem Instinkt. Oft genug schließlich hatten sich unsere Wege gekreuzt. Mephisto war es, mein Erzfeind, einer der Obersten, auf jeden Fall der agilste Fürst in der Hölle. Mephisto hob seinen Dreizack und brüllte über den Platz hinweg: »Stirb, Hellmann! Hinab in den Abgrund mit dir!« Jetzt erkannten alle Besucher, die dem Theater entströmten, daß hier kein Reklamegag stattfand. Das hier war blutiger Ernst! Ich hechtete weg und vollführte die Rolle. Der nächste Feuerstrahl traf deshalb nur die Freitreppe des Nationaltheaters, erstarb dann jedoch, weil dem Drachen die Puste ausging. Er mußte erst wieder Atem holen. Mephisto fuchtelte mit seinem Dreizack herum, dessen Spitzen rot 3
glühten. Satanisch verzerrt war sein Gesicht. Ich stand gerade wieder auf den Beinen, als er ausholte und den Dreizack nach mir warf. Der raste auf mich los. Als ich auswich, vollführte der Dreizack eine Kurve und folgte mir. »Mark!« schrie Tessa gellend auf. Der Dreizack schnellte auf meine Kehle zu. Mephisto lachte schallend und höhnisch und vollführte Gesten mit seinen Händen, als ob er den Dreizack fernlenken würde. Die Theaterbesucher waren zur Seite geflüchtet, ins Nationaltheater hinein oder Richtung Wittumspalais. Manche lugten um die Ecke und stießen bei dem grausigen Anblick, der sich ihnen bot, entsetzte Schreie aus. Schließlich sah man nicht jeden Tag einen zehn Meter großen Riesendrachen sowie den Teufel persönlich in Weimar! Ich packte zu und ergriff den flammenden Dreizack am Stiel. Er hatte ein Eigenleben und wand sich in meinen Händen, wollte mir immer noch an die Kehle. Aber die Aura des magischen Rings schwächte ihn. Der Dreizack wurde zu einem stumpfen und toten Gegenstand. Auf der Treppe des Nationaltheaters wälzten sich die beiden von dem Feuerstrahl des Drachen getroffenen Menschen schreiend in ihren brennenden Kleidern. Der Platz vor dem Nationaltheater war inzwischen wie leergefegt. Die entsetzten Zuschauer hatten sich weit zurückgezogen. Aus den Fenstern und Türen der umstehenden Fachwerkhäuser und aus den Seitengassen, die auf den Platz einmündeten, schauten welche. Die Polizeisirenen mehrerer Streifenwagen erschallten. Dann trafen die Beamten ein. Bremsen quietschten, Türen schlugen, und Blaulicht kreiste über den Dächern der Fahrzeuge. Tessa stand hinter einer Säule vor dem Nationaltheater und spähte hervor. Das Personal des Theaters und die dort noch befindlichen Besucher blieben wohlweislich drinnen. Ich wollte nicht das wehrlose Opfer spielen, sondern schrieb in aller Eile mit meinem Ring das keltische Wort für Waffe auf Mephistos im Moment harmlosen Dreizack. Sofort glühte er silbrig auf, was die Futhark-Runen bewirkten. Jetzt war der Dreizack eine magische Waffe. Und in meinem Besitz. »Da hast du, Mephisto!« rief ich und schleuderte wie in meiner besten Zeit als Zehnkämpfer den silbrig leuchtenden Dreizack auf den Erzdämon zu. Wie ein Blitz raste das ungewöhnliche Geschoß durch die Luft. Mephisto hatte sich auf dem Drachenrücken aufgestellt und die Arme ausgebreitet. Es zeigte sich, daß er Fledermausflügel hatte. Der Teufel zuckte zusammen, wich aus, schaffte es jedoch nicht mehr ganz, dem Dreizack zu 4
entgehen. Die Waffe durchbohrte die Lederhaut seiner rechten Schwinge und hinterließ ein großes Loch! Daraufhin sprühten sofort Funken aus Mephistos Augen. Drohend reckte er mir seine Faust entgegen. »Röste ihn, Fafnir!« gellte sein Schrei. »Rööööste ihhhhn!!« Der Drache spuckte sofort wieder Feuer! Ich rannte so schnell wie noch niemals zuvor in meinem Leben. Ein Blitz war gegen mich eine lahme Ente. Im letzten Moment gelang es mir, hinter einer Säule Zuflucht zu finden. Die Feuerzunge brach sich an dieser Säule und flammte rechts und links von mir vorbei wie der Gluthauch aus einem Hochofen. Damit war dem Drachen erst einmal der Atem ausgegangen. Als ich um die Säule herumspähte, erhob er sich in die Luft. Mephisto saß wie ein Reiter auf seinem Rücken. Der Riesendrache drehte eine Schleife über dem klassischen Stadtkern von Weimar, der Kulturmeile mit dem Rathaus, der ältesten Weimarer Gaststätte - dem »Schwarzen Bär« aus dem Jahr 1540 , dem Hotel Elephant, das Thomas Mann in seinem Roman »Lotte in Weimar« erwähnt hatte, sowie dem Cranachhaus und anderen Sehenswürdigkeiten… Ehe er wegflog und in der diesignebligen Spätnovembernacht verschwand, ließ sich der Drache samt Teufel für einen Moment auf dem tausend Jahre alten Stadtschloß nieder, wo er verharrte. Dabei bewegte er seine riesigen Lederhautflügel, sonst wäre das Schloßdach unter seinem enormen Gewicht zusammengebrochen. Düsteres Licht umlohte den Riesendrachen, und ein scheußlicher Schrei drang aus dem Rachen des Ungeheuers. »Mark Hellmann, ich komme wieder!« schallte Mephistos geistige Botschaft in meinem Gehirn. »Mit diesem Drachen töte ich dich, und wenn dabei ganz Weimar in Flammen aufgeht. Diesmal wirst du mir nicht entkommen.« Ein wahrhaft teuflisches Gelächter gellte aus seiner Kehle, ehe er mit dem Drachen erneut in die Lüfte aufstieg. Nacht und Nebel verschluckten die beiden. * Noch immer war auf dem Theaterplatz der Teufel los, obwohl er im Prinzip längst nicht mehr da war. Ich erreichte die beiden schreienden Menschen in ihren brennenden Kleidern als erster. Gleich darauf war Tessa an meiner Seite. Wir wälzten die beiden herum und versuchten sie vor den 5
Flammen zu erlösen. »Bist du verletzt, Mark?« fragte Tessa und schaute mich ängstlich an. »Nein, Schatz.« Ich zog mein Jackett aus, Tessa ihren Mantel. Damit erstickten wir die Flammen. Der Mann und die Frau hatten außer Brandwunden, die zunächst fürchterlich aussahen, einen Schock erlitten. Der Mann wimmerte. Die Frau war nicht ansprechbar und zitterte an allen Gliedern. Nachdem der Drache und der Teufel verschwunden waren, wagten sich die Theaterbesucher und andere wieder hervor. Um das Goethe-und-Schiller-Denkmal herum und auf dem gesamten Platz sammelte sich eine Menschenmenge. Polizeiautos und zwei Ambulanzfahrzeuge waren angerückt. Zudem erschienen zwei Löschzüge der Feuerwehr, weil irgendwer Feueralarm gegeben hatte. Die Feuersirene war mittlerweile schon wieder verstummt. Auch das Technische Hilfswerk erschien mit zwei dunkelblauen Lastwagen. In dem Durcheinander erkannte ich den Bürgermeister und mehrere Mitglieder des Stadtrats, die aufgeregt umherflatterten. Anders konnte man das nicht bezeichnen. Mephistos und Fafnirs Auftritt war für das tausendjährige Weimar, die Kulturstadt Europas für das Jahr 1999, wahrhaftig eine Katastrophe. Schließlich hatten wir hier jedes Jahr eine Menge Touristen. Der Geist Goethes und Schillers, Lucas Cranachs, Herders, Liszts und anderer Klassiker lebte in Weimar. Und jetzt geschah das, nachdem es in der letzten Zeit schon verschiedene Skandale gegeben hatten, die immer mit übernatürlichen Kräften zusammenhingen. Sanitäter kümmerten sich um die zwei Brandopfer. Rauchgeschwärzt stand das Goethe-und-Schüler-Denkmal da, das von der Feuerlohe kurz eingehüllt worden war. Max Unruh, der Chefredakteur der »Weimarer Rundschau«, für die ich immer noch gelegentlich als Reporter arbeitete, war mit Frau und Tochter im Theater gewesen. Jetzt drängte sich der beleibte Mittvierziger an mich heran. Seine Jupiterstirn war mit Schweiß bedeckt, und immer noch flackerte das Grauen in seinen Augen. »Was war das, Mark?« fragte er und zog mich am Ärmel. Ich unterhielt mich gerade mit zwei uniformierten Polizisten. »Ist dieser Höllenspuk jetzt vorbei?« Ich schaute zu ihm hinunter und zuckte mit den Schultern. Mir lag nichts daran, Panikmache zu betreiben und die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. »Sie werden mir doch einen Exklusivbericht schreiben?« hakte Unruh sofort nach. 6
»Können Sie haben«, antwortete ich abwiegelnd. »Allerdings scheint das eine Massenpsychose gewesen zu sein.« Unruh schaute mich zweifelnd an. »Ein Massenwahn mit zwei Schwerverletzten? Ich habe den Drachen und den Teufel selbst gesehen, auch, wie Sie den Dreizack nach dem Satan warfen. Mir können Sie nicht weismachen, daß es sich dabei nur um eine Halluzination gehandelt hat.« »Hallu hin, Zination her«, antwortete ich leichthin. »Ich schreibe entweder das, was ich für richtig halte, oder Sie müssen sich einen anderen Reporter suchen. Beschweren Sie sich von mir aus bei der Thüringischen Landesregierung, daß sie so etwas zuläßt: feuerspeiende Flugdrachen über der Altstadt von Weimar! Und drohen sie ihr, daß Sie das nächste Mal die Opposition wählen und Ihre Leser dazu aufrufen werden.« »Sie wollen mich wohl verar… äh, auf den Arm nehmen«, erwiderte der Chefredakteur konsterniert. »Früher waren Sie zugänglicher, Mark, da haben Sie sich mehr an die Weisungen gehalten, die ich Ihnen gab.« »Früher war früher, jetzt ist jetzt. Natürlich erhalten Sie einen erstklassigen Artikel, aber mit meiner Auslegung von dem Vorfall.« »Na gut«, brummelte Unruh wenigstens halbwegs zufrieden. Ich hatte ihn im Verdacht, daß er sich mit meinem Bericht nicht zufriedengeben würde. Seit den Schreckenstagen von Weimar (Siehe MH Band 1, Der Tod in Weimar) war allerhand geschehen. Vor etlichen Wochen hatte der Blutdruide Dracomar, ein Supervampir, die Stadt unsicher gemacht. Mephisto war erstmals aufgetreten, Plagen hatten Weimar heimgesucht, bis ich Dracomar gepfählt und damit den Schrecken beendet hatte. Hoffentlich für immer. So ganz sicher war ich mir da aber noch nicht, denn ich bin noch nicht lange Dämonenjäger, muß weiterhin Erfahrungen im Umgang und bei der Vernichtung des Bösen sammeln. Damals hatte ich meine Bestimmung erkannt. Viel war seither geschehen, und in der Gegenwart, in der Hölle selbst sowie in der Vergangenheit hatte ich die Mächte des Bösen bekämpft. Nur einige gute Freunde und ein lockerer, weltweiter Bund von Kämpfern der Weißen Magie, die wir den Ring nannten, angelehnt an meinen magischen Ring. Dr. Paul Abaringo, ein gnomenhafter Gelehrter und Parapsychologe in Johannesburg, Südafrika, Rudi Oertzner, den ich bei einer Zeitreise ins Jahr 1975 erstmals kennengelernt hatte, sowie andere Personen gehörten dazu. Den Kontakt zu den »Kollegen« pflegte hauptsächlich mein Adoptivvater Ulrich Hellmann, ein pensionierter Kripobeamter. Er verwaltete in seinem Reihenhaus in der Siedlung Landfried zudem das Archiv über Okkultismus, Spuk, Schwarzmagische Vorfälle und andere Phänomene, das wir uns zugelegt hatten. Vieles war bereits auf Disketten 7
gespeichert, aber die Masse der Informationen schien kaum zu bewältigen. Zum Glück gab es ja das Internet, und man mußte nicht alles selbst sammeln. Die beiden Brandverletzten wurden in Rettungswagen zu den HufelandKliniken abtransportiert, wo sie die medizinische Erstversorgung erhalten sollten. Danach würden die Ärzte entscheiden, ob sie in eine Spezialklinik eingeliefert werden mußten. Die Feuerwehr hatte auf dem Theaterplatz nichts zu tun. Die PolizeiFunkstreifen sowie ein Eingreifkommando - stand ziemlich ratlos herum. Wie und nach welchem Gesetz sollte man auch Mephisto und seinen Drachen Fafnir belangen? Einsperren konnte man sie schlecht. Vor Gericht stellen auch nicht. Mein Handy fiepte. Als ich mich meldete, war mein Adoptivvater Ulrich am Apparat. Er hatte von den Vorfällen beim Theaterplatz gehört, kurz nach 23 Uhr war es, und wollte von mir Näheres wissen. Rasch ging ich zur Seite und redete so mit ihm, daß mir niemand zuhören konnte. »Mephisto war es. Er hat mich erledigen wollen. Dabei setzte er den Drachen Fafnir ein.« »Den aus der Siegfriedsage?« Jetzt erinnerte ich mich und antwortete: »Der Name ist jedenfalls gleich. Es kann sich jedoch um einen Höllendrachen gehandelt haben, der genauso heißt.« »Was willst du jetzt machen?« »Ich bleibe noch eine Weile hier. Dann fahre ich mit Tessa zu meiner Wohnung. Morgen sehen wir weiter. Mephisto hat mir angekündigt, das sei nicht seine letzte Aktion gewesen.« »Da können wir uns auf allerhand einrichten.« Damit war das Gespräch beendet. Die Feuerwehr und das THW fuhren ab. Die Zuschauer zerstreuten sich. Man zog sich in die Häuser zurück; die Auswärtigen suchten ihre Hotels und Pensionen auf. Jetzt fuhr ein Opel vor, eine Dienstlimousine der Weimarer Kripo. Ihm entstieg Pit Langenbach, Hauptkommissar seines Zeichens und unter anderem mit einer Sonderabteilung für okkulte Phänomene zuständig. Er war Tessas Vorgesetzter und mein bester Freund: einsneunzig groß, dunkelhaarig, mit einem Schnauzbart, auf den er sehr stolz war. Pit war leidenschaftlicher Zigarilloraucher und leger angezogen. »Bist du auch schon da?« begrüßte ich ihn. »Ich war bei Verwandten in Apolda zu einem Besuch. Das Handy hatte ich abgeschaltet. Man will schließlich auch mal für eine Weile ungestört sein. - Was war los?« 8
Ich schilderte es ihm. Tessa stand neben mir, schlank, brünett und sehr hübsch. Befreundet waren wir schon länger, doch so richtig wahr oder ernst nahm ich das erst seit ein paar Wochen. Ich liebte Tessa, war mit ihr oder durch sie reifer geworden und versuchte nun, dieser jungen Frau, die mich so gerne geheiratet hätte, treu zu sein. »Schlimm«, sagte Pit, als ich geendet hatte. »Mephisto. Was können wir da unternehmen?« »Nicht viel.« Pit zündete sich ein Zigarillo an. Tessa und ich verabschiedeten uns, während er sich mit einigen Polizeibeamten unterhielt. Wir gingen durch die Fußgängerzone zu dem Platz, wo ich im Hof von Bekannten meinen BMW abgestellt hatte. Damit fuhren wir zu meiner Dachgeschoßwohnung in der Florian-Geyer-Straße in der Nähe des Wimaria Stadions. Mein Hauswirt erschien »rein zufällig« im Flur, als wir zur Treppe gingen. Natürlich wollte er wieder mal spionieren. Vor der Wende war er ein StasiSpitzel gewesen, heute stritt er das entweder vehement ab, oder er schwor Stein und Bein, zur Mitarbeit gezwungen worden zu sein. Das Spionieren steckte ihm jedoch im Blut. »Aha, Herr Hellmann, Sie haben wieder mal Damenbesuch«, sagte der kleine Sachse im schönsten Dialekt. »Sie gennens wohl eenf ach nisch lassen.« Tessa stauchte ihn gleich zusammen. »Was erlauben Sie sich? Wo sind wir denn? Muß man sich von Ihnen bevormunden lassen? Außerdem sollten Sie grüßen, wenn eine Dame das Haus betritt.« »Da hätte ich manchmal viel zu tun - bei diesem - Herrn. Na denn einen guten Abend…« »Hoffentlich fällt er die Kellertreppe hinunter und verstaucht sich sein Schandmaul«, bemerkte Tessa giftig, als Artur Stubenrauch, wie der Hauswirt hieß, in seinen Pantoffeln zum Keller schlurfte. Vielleicht hatte ihm ja seine bessere Hälfte für diese Verbalattacke auf mich ein Radeberger Pils versprochen, das er sich nun holte. Die Hosenträgerriemen ließ der kleine Sachse bei seinem Gang energisch auf seine Hühnerbrust knallen. »Der Kerl ist frustriert«, meinte Tessa knapp. »Das wäre ich auch, wenn ich jeden Morgen dieses Gesicht rasieren müßte«, entgegnete ich auf dem Weg nach oben. Wir lachten beide über die Bemerkung, bis wir vor meiner Tür standen. Ich schloß auf. Ein Kontakt ließ dezentes Licht aufflammen. Der CD-Player fing an zu spielen. Hard Rock erklang. Es war heimelig warm in der Wohnung, die ich mir mit hellen Möbeln und naturfarbenen Teppichen gemütlich eingerichtet hatte. 9
Drei Zimmer waren es. Ein Strebebalken in der Mitte des großen Wohnzimmers stützte das Dach. Die Wohnung hatte schon allerhand gesehen, auch einen okkulten Angriff wie den der Spinnenfrau Uma Araneae, mit der ich mir hier einmal einen Kampf auf Leben und Tod geliefert hatte. (Siehe MH Band 7, Der Todeskuß der Spinnenfrau) Jetzt bestand keine Gefahr. Mein Ring hatte längst aufgehört zu strahlen und zu prickeln. Sicherheitshalber schaute ich mich kurz in der Wohnung um. Als ich zu Tessa zurückkehrte, hatte sie uns schon Rotwein eingeschenkt und eine CD mit Schmuserock aufgelegt. Sie lächelte mich an, ein Zeichen dafür, daß sie den Schock mit dem Drachen schon einigermaßen weggesteckt hatte. Tessa hatte ihren Mantel abgelegt. Sie trug ein Abendkleid, das ihre schlanke Figur noch betonte. Auf der Couch sitzend himmelte sie mich an. So harmonisch wie jetzt war es zwischen uns nicht immer gewesen. Warm strahlten mich Tessas Augen an, und ich schloß sie in meine Arme. Wir küßten uns zärtlich, versanken ineinander und vergaßen unsere Umgebung, den Drachen, Mephisto und alles. Die Kleider fielen. Ich trug Tessa zum Bett. Die Leidenschaft vernebelte unsere Sinne, und ich war stürmisch und wild, voller Kraft. Tessa reizte und faszinierte mich, und alles geschah wie von selbst. Ich, Mark - mit vollen Namen eigentlich Markus - Nikolaus Hellmann, achtundzwanzig, somit ein Jahr jünger als die Fahnderin Tessa, einsneunzig groß, glattrasiert, mit blonden Haaren und durchtrainierter, muskelstrotzender Athletenfigur. Um meine Herkunft gab es ein Geheimnis. Im Alter von zehn Jahren war ich am 1. Mai nach der Walpurgisnacht in der Weimarer Altstadt umherirrend aufgegriffen worden, nackt und mit Blut beschmiert. Ich hatte wirres Zeug geredet und als einziges Hab und Gut einen massiven silbernen Siegelring mit den eingravierten verschnörkelten Buchstaben M. und N. an einem Lederband um den Hals getragen. Der Ring wies außerdem eine eingravierte Drachenfigur und andere Zeichen auf. Der Kripobeamte Ulrich Hellmann und seine Frau Lydia hatten sich damals meiner angenommen - 1970 war das gewesen. Wer weiß, was sonst aus mir geworden wäre. Nach den Initialen auf dem Ring hatte ich die Vornamen Mark(us) Nikolaus erhalten sowie den Nachnamen Hellmann. Lange Zeit plagten mich Alpträume, an deren Inhalt ich mich nach dem Erwachen nicht mehr erinnern konnte. Die mütterliche Lydia hatte viel Geduld gebraucht und war manchmal fast verzweifelt, bis ich meine Probleme meisterte und mich gut entwickelte. Ulrich war mir ein prima Vater gewesen. Meine leiblichen Eltern kannte ich nicht, und ich wußte bis heute nichts von den Geschehnissen in meinen ersten zehn Lebensjahren. Sämtliche 10
Nachforschungen nach meiner Herkunft in der damaligen DDR waren ergebnislos verlaufen, was in dem straff organisierten, von der Stasi überwachten Staat etwas heißen wollte. Normalerweise kriegten sie da sogar mit, wenn ein nicht parteitreuer Floh hustete. Ich absolvierte die Schule, wurde ein erstklassiger Sportler und studierte nach der Wende Völkerkunde sowie Geschichte und Vorgeschichte. Als Zehnkämpfer war ich als Student Landesmeister gewesen. Es hätte bei mir sogar zur Olympiadeteilnahme gereicht, sagt mein alter Trainer noch heute, wären da nicht meine vielen Frauengeschichten gewesen, die meine Kondition angeblich zu sehr beeinträchtigt hätten. Nach Abschluß meines Studiums trat ich eine Assistentenstelle beim Museum für Völkerkunde in Berlin an. Ich konnte mich jedoch nicht in die Hierarchie eingliedern. Der verknöcherte Betrieb mit den Professoren, Dozenten sowie die umfangreiche Bürokratie gefielen mir nicht. Und diese meine Meinung tat ich kund. Als ich einmal den Spruch »Unter den Talaren - der Muff von tausend Jahren« abschoß, war das Maß voll. Mein Anstellungsvertrag wurde aufgelöst, auf beiderseitigen Wunsch. Dann kehrte ich nach Weimar zurück und schlug mich als Pressefotograf und freier Journalist durch. Damals knüpfte ich die Kontakte zur Weimarer Polizei, besonders der Kripo. Kripohauptkommissar Peter »Pit« Langenbach, vierunddreißig, Familienvater, wurde mein Freund. Mein Interesse für Sagen und Legenden sowie die Geschichte blieb. Auch dem Phantastischen war ich zugeneigt. Ich ließ mich durchs Leben treiben. Übermäßigen Karriereehrgeiz hatte ich nicht und betrachtete amüsiert, wie sich meine Schulkameraden und Studienkollegen abstrampelten, um später möglichst viel Geld zu verdienen und möglichst hohe Positionen in möglichst kurzer Zeit zu erreichen. Meine Alpträume plagten mich noch immer. Irgendwie spürte ich, daß ich eine Lebensaufgabe hatte und Großes, Bedeutendes auf mich wartete. Als ich einundzwanzig wurde, im Jahr der Wende, übergab mir mein Adoptivvater den silbernen Siegelring. Doch was es damit wirklich auf sich hatte, erfuhr ich erst sieben Jahre später, als der Blutdruide Dracomar Weimar heimsuchte, Mephisto es auf mich abgesehen hatte und mir Traumvisionen meine Bestimmung aufzeigten. Da erkannte ich, was es hieß, ein Ringträger zu sein. Lange bevor die Menschheit entstand, hatten die Dämonen der Finsternis schon mit den Kindern des Lichts gekämpft. Die Rasse der Valusianer, Haarsternwesen, war über den kochenden Schlamm geschritten, der damals die Erde bedeckte. Aus der Zeit stammte Mephisto. Als die Saurier die Erde bevölkerten, 11
kämpften die stolzen Amazonenköniginnen von Kass-Amun gegen die blutdürstigen Herrscher von Wolferone und Vampyroda. Auch in der Zeit war ich schon einmal gewesen, hatte jedoch nur noch ganz nebelhafte Erinnerungsfetzen. In dieser Nacht, als ich neben Tessa lag und schlief, träumte ich wieder und sah das strahlende Licht über mir. Unter mir war ein schrecklicher, gähnender Abgrund, in dem es von scheußlichen Wesen nur so wimmelte. Eine erzene, wohltönende Stimme erklang. »Du bist einer von jenen Auserwählten, die die Schwarze Magie und die Mächte der Finsternis bekämpfen, auf daß die Menschheit weiterhin besteht und nicht durch die Machenschaften des Satans untergeht. - Folge dem Ring, tue, was recht ist. Schütze die Schwachen und beuge dich nicht vor der Willkür der Mächtigen, nicht vor der Satansmacht und nicht vor den Kräften der Finsternis. - Laß dich nicht abhalten durch Verführungen und Reichtum, meide das schlaffe Wohlleben, gehe den schweren Weg.« »Was soll ich jetzt tun?« fragte ich jenen, der mir noch nie seinen Namen genannt hatte. »Wohin führt mich der Weg?« »Xanten«, erklang es als Antwort, und: »Siegfried. Töte den Drachen, erfülle die Siegfriedsage.« Ein warmer Wind strich über mich hin und durchdrang mich. Tröstend hörte ich die erzene, wohlklingende Stimme: »Sei ohne Furcht, Kind. Dies ist dein letztes Leben. Danach wirst du nicht mehr wiedergeboren.« Spiralnebel wirbelten um mich herum, und ich hörte die unirdischen Sphärenklänge. Lichtgestalten rangen mit Dämonen. Ich raste den Sternen entgegen, die zu funkelnden, weißen Strichen wurden und vorbeifegten. Abrupt fuhr ich dann auf und fand mich in meinem Körper als Mark Hellmann wieder. Die Vision war so intensiv und plastisch gewesen, daß ich eine Weile brauchte, um mich zu besinnen. Tessa lag neben mir und hatte einen Arm über meine Hüfte gelegt. Ich knipste das Licht an. Tessa lächelte selig im Schlaf und seufzte, rollte sich auf die andere Seite und schlummerte weiter. Ich stand auf. Mein Herz hämmerte, so schnell würde ich nicht wieder einschlafen können. Nackt ging ich in meiner Wohnung umher, trank ein Glas Wasser und aß einen Apfel, der zwischen meinen Zähnen krachte. Im Spiegel der Flurgarderobe betrachtete ich das sternförmige Mal auf meiner Brust. Seine Bedeutung war mir noch immer nicht klar. Es konnte ein Hexenmal sein - jedenfalls vermochte ich meinen magischen Ring zu aktivieren. indem ich ihn an das Mal führte. Es war schmerzunempfindlich. Ewig würde ich mich an die Szene erinnern, als ich als Vierzehnjähriger mal eine Nadel 12
in das Mal hineinstieß und dabei keine Schmerzen verspürte. Ein Schulfreund, der dabei zusah, wurde ohnmächtig. Von altersher hieß es, Hexen und Hexer hätten ein solches Mal am Körper. Die grimmigen Folterknechte zur Zeit der Hexenverbrennung hatten den Delinquenten Nadeln in den Körper gestoßen, selbst an die intimsten Stellen, um solche Male zu finden. Wenn das Opfer irgendwann, vom Schock gelähmt, bei einem Stich keinen Schmerz mehr spürte und nicht mehr zusammenzuckte, war es als schuldig erkannt und reif für den Feuertod. Mein damaliges Experiment hatte doch noch Schmerzen hervorgerufen. Als nämlich mein Adoptiwater Ulrich davon erfuhr, legte er mich übers Knie, obwohl ich damals schon ein großer und kräftiger Bengel war. Ulrich haute mich durch und verdarb mir die Lust an solchen Experimenten gründlich. Am Hintern war ich ja nicht schmerzunempfindlich! »So«, hatte Ulrich Hellmann schnaufend gesagt, als die Bestrafung beendet war. »Versuch das nie wieder, du Bengel. Weißt du nicht, wie leicht du dir sonst eine Infektion zuziehen kannst? Eine Blutvergiftung? Was du treibst, ist eine völlig unnötige Selbstverstümmelung.« Ulrichs schlagende Argumente verstand ich. Ich hatte damals viele Flausen im Kopf. Meinen Freundinnen und Bettgefährtinnen erzählte ich jeweils, der rotgoldene Fleck sei eine seltene Abart von Muttermal. Das glaubten die meisten. Eine Hautärztin, mit der ich ins Bett ging, hatte mein Mal gründlich untersuchen wollen. Sie meinte, darunter könnte sich ein Tumor verbergen. Ich beendete jedoch die Beziehung zu der Ärztin, da sie sich für nichts anderes an mir mehr zu interessieren schien. Ich bestand doch nicht nur aus dem Hexenmal! Jetzt setzte ich mich unters schräge Fenster und schaute hinüber zum wiederaufgebauten Dachstuhl des Nachbarhauses. Dort hatte ich vor Wochen Mephisto in den Flammen des brennenden Dachstuhls gesehen. Viel länger schien es mir her zu sein, in einem anderen Leben, als ich noch keine Reise in die Vergangenheit unternommen hatte und erst am Anfang meiner Laufbahn als Träger des Rings und Kämpfer gegen das Böse stand. Siegfried, dachte ich, Xanten. Sollte das heißen, daß ich bald in die Vergangenheit zurückreisen mußte, um jenen Helden persönlich kennenzulernen, dessen Taten am Anfang das Nibelungenlieds standen? Ich wußte, daß dieses um 1200 nach Christus entstanden war, als mittelhochdeutsches Heldenepos eines unbekannten Dichters. Der unverwundbare Held Siegfried, der Drachentöter, die ihn liebende, später nach seinem Tod zur Rachefurie werdende Kriemhild, die walkürenhafte Brunhilde von Island und der grimmige Hagen von Tronje 13
hießen die Helden. Ferner Attila oder Etzel, der Hunnenkönig und Volker von Alzey, der allzeit fidele, doch genauso trink- und waffengewaltige Spielmann. Das Nibelungenlied wollte das tragisch gesinnte germanische Heldenepos mit dem höfischen Geist des christlich geprägten staufischen Rittertums verbinden. Ich war einmal in jener Zeit gewesen (Siehe MH Band 2, Berlin Alexanderplatz - vor 800 Jahren…). Barbarossa war damals zehn Jahre tot. Nach seinem Sohn Heinrich VI. regierte Philipp von Schwaben, im Gegensatz zu seinen zwei Vorgängern, die Kaiser gewesen waren, als König. Ich kannte die Gebräuche und Sitten, die Lebenseinstellung der Damaligen und den Zeitgeist. Doch das Nibelungenlied ging im Kern auf den Untergang der Burgunder zurück, die aus Skandinavien stammten. Während der Völkerwanderung hatten sie in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts den Rhein erreicht und um Worms ein Reich gegründet. Der größte Teil dieses Volkes wurde 436 n. Chr. durch hunnische Söldner des römischen Statthalters Aetius im Kampf um die römische Provinz Belgica vernichtet. Das war der historische Kern des Nibelungenlieds. Die Geschichtsschreibung kannte allerdings weder einen Siegfried von Xanten, noch eine Kriemhild, einen König Gunter oder einen Hagen von Tronje, die in die Weltliteratur eingegangen waren. Ich konnte mir keinen rechten Reim darauf machen. Hatten sie wirklich gelebt, und was war damals tatsächlich geschehen? Sollte es zu der Zeit in Germanien noch Drachen gegeben haben? Wenn meine Traumvision stimmte, und bisher hatte sie sich noch immer bewahrheitet, würde ich bald die Gewißheit haben. Ich gähnte, es ging auf den Morgen zu, und ich wollte noch eine Runde schlafen. Behaglich kuschelte ich mich an Tessas warmes, knackiges Hinterteil und überlegte, ob ich ausprobieren sollte, ob sie beim Sex weiterschlief oder nicht. Da meldete sich wieder das Handy, der Fluch der Zivilisation! Mürrisch nahm ich das Handy vom Nachttisch, »…'lmann. Wer da?« »Langenbach«, explodierte Pits Stimme förmlich aus dem Hörer. »Du mußt sofort rüber nach Vollersroda fahren.« »Wo sie nachts die Bürgersteige hochklappen, die Bürgermeisterstochter mal aus Versehen bei einer Ausstellung für Preiskühe prämiiert wurde und sonst rein gar nichts passiert?« »Laß deine Witze, du Schandmaul. Fafnir ist dort und droht, samt Mephisto den ganzen Ort zu verwüsten. Nur du kannst Vollersroda retten!« Ich verkniff mir die Bemerkung, daß man den verschlafenen Ort vielleicht besser abfackeln würde, schließlich lebten Menschen dort: Ich mußte ihr 14
Leben retten. Hatte jetzt keine Chance, auszuprobieren, ob Tessa dabei aufwachte oder nicht. »Bin schon unterwegs«, hörte ich mich sagen. Eine halbe Minute brauchte ich, um in meine Kleider zu schlüpfen, fünfzehn weitere Sekunden, um meine Ausrüstung zu kontrollieren. Tessa schaute verschlafen auf. Ich warf ihr eine Kußhand zu, rief »Ich bin bald wieder da!« und raste zur Tür hinaus. Tessas Motorrad stand in der Garage, eine brandrote Kawasaki, auf der sie wie der Teufel dahinraste. Ich hatte Tessas Motorradschlüssel eingesteckt und brauste nun los. Mit der Kawasaki konnte ich eine Abkürzung quer durch den Wald nehmen, einen schmalen Pfad, und war damit schneller vor Ort als mit meinem BMW. Als die Kawasaki aufröhrte, zog Artur Stubenrauch im Erdgeschoß die Rolladen hoch und rief: »Unverschämtheit! Das ist Ruhestörung!« Ich kümmerte mich nicht drum und raste durch das nächtliche Weimar. Die Allee hinunter, am Schloß und der Funkstation vorbei, hinein in den Wald. Neblig war es. Knorrig wirkten die Bäume, und oft streckten sich mir Äste entgegen wie Arme von Geistern, als ob sie mich greifen wollten. Der Lichtkegel des Motorrads verfing sich bald in den Nebelschwaden, die zwischen den Bäumen wogten. Ich fuhr viel zu schnell, über Wurzeln hinweg auf dem schmalen Pfad, den nur die Einheimischen kannten. Einen Motorradhelm hatte ich aufgesetzt, trug jedoch keine Lederkluft, sondern nur meine Lederjacke, Stiefel und Jeans. Kalt schnitt mir der Wind durch die Kleidung. Ich mußte meine ganze Fahrkunst aufbieten, um nicht zu stürzen. Kurz vor der A 4, die ich durch eine Unterführung kreuzen wollte, hörte ich von Vollersroda her bereits ein entsetzliches Gebrüll. Fafnir tobte sich aus! Das Blut wollte mir in den Adern gerinnen. Und dann gab ich Vollgas. Im falschen Augenblick und auf der falschen Strecke. Ich spürte einen heftigen Schlag gegen die Brust und wurde vom Motorrad gefegt! Die Schmerzen, die dann folgten, waren auch nicht von Pappe. Automatisch rollte ich mich ab, prallte hart gegen Wurzeln und holte mir blaue Flecken, Schrammen und Prellungen. Tessas Motorrad fuhr noch ein Stück weiter durch den Wald. Dann hörte ich es krachen und splittern; das Motorrad blieb zerbeult irgendwo liegen. Tessa würde sauer auf mich sein. Ich lag da, mein Schädel summte und brummte, ohne den Helm hätte ich ihn mir eingeschlagen. Mein ganzer Körper schmerzte, ich konnte nicht sagen, wo es am meisten weh tat. Meine Brust fühlte sich an wie 15
entzweigeschnitten. Allmählich dämmerte es mir, daß jemand ein Drahtseil quer über den Weg gespannt hatte. Hätte der Unbekannte doch dieselben Schmerzen wie ich, dann würde er in Zukunft sicherlich auf solche dümmlichen Aktionen verzichten. Bei meinem Unfall hatte ich noch eine Menge Glück gehabt; ich hätte glatt tot sein können. Handelte es sich vielleicht gar nicht um einen Dummenjungenstreich, sondern um eine Falle? Eine Falle, die mir dank übernatürlicher Kräfte gestellt worden war. Hellseherische Fähigkeiten waren notwendig, um zu erkennen, welchen Weg ich einschlagen würde. Ich stützte mich auf die Ellenbogen. Da hörte ich ein Kichern. Ein gebückt gehender, etwas über mittelgroßer Mann näherte sich mir. Er war schwarz gekleidet, ein düsteres Glühen umgab ihn. Zwei kleine Hörner wuchsen ihm aus dem Schädel. Sein Gesicht war grünlich und fahl wie das einer Wasserleiche. Sein Verwesungsgestank drang mir deutlich in die Nase. Raschelnd rieb er sich die Krallenhände. Er hatte einen leichten Buckel. Rotglühende Augen rollten bei ihm in den Höhlen. Dann holte er ein krummes Messer unter der Jacke hervor und sagte: »Zu Diensten, der Herr. Darf ich dem Herrn die Kehle durchschneiden, ihn aufschlitzen und ausweiden? Sterben soll er, der Herr, und zur Hölle fahren, wo man schon lange auf ihn wartet. - Wird mir sein ein Vergnügen, Mark Hellmann zu schlachten als wie ein Huhn.« Mein Siegelring leuchtete auf und prickelte. Samiel war es, der da aus dem Walde heranschlich, Mephistos Faktotum und Unterteufel, ein Tückebold und Widerling erster Klasse. Tessa hatte ihn mir beschrieben. In Carl Maria von Webers Oper »Der Freischütz« war er verewigt worden. Samiel hatte mir die Falle gestellt. Schon zuckte das Messer nach meiner Kehle… * Vollersroda: Der Schäfer Josef Wiczynski schlummerte in seinem Schäferkarren. Schnarchend atmete er die Fahne von der halben Flasche Wacholderschnaps, die sein Schlaftrunk gewesen war, gegen die Decke. Der Schäferkarren stand am westlichen Ortsrand von Vollersroda, anderthalb Kilometer nördlich von Weimar, in der Nähe vom Dorfteich. Die vierhundert Schafe, die Wiczynski zu hüten hatte, schliefen im Pferch. Wiczynski träumte gerade von einer drallen Magd, die er vor Jahren vernascht hatte, als ihn schreckliches Gebrüll weckte. Der ganze Flecken mit seinen paar Dutzend Häusern wurde aus dem Schlaf gerissen. 16
Die Schafe blökten jämmerlich. Wiczynskis Hütehunde verkrochen sich winselnd und mit eingezogenen Schwänzen. Der Schäfer griff nach der Schrotflinte, die er für alle Fälle in seinem Karren hatte, seit ihm Rocker vor ein paar Jahren mal einen üblen Streich gespielt hatten. Er riß die Tür auf und schaute hinaus. Feucht und kühl schlug ihm die Nachtluft entgegen. Da strapazierte wieder das furchtbare Gebrüll die Trommelfelle und drang mit Urgewalt bis ins Knochenmark. Stand Tyrannosaurus Rex' Rückkehr ins Haus? In den Häusern von Vollersroda verkrochen sich die Einwohner. Kaum einer wagte es, auch nur aus dem Fenster oder der Tür zu sehen. Frauen und Männer bekreuzigten sich, selbst wenn sie im Sozialismus aufgewachsen waren. Marx und Engels rief in seiner Not niemand an. Wiczynski rieb sich erstaunt über die Augen, als er einen riesigen Drachen über dem Ort in der Luft kreisen sah. Nebelschwaden umwölkten ihn, und ein düsteres Licht strahlte von ihm aus. Die riesigen Lederhautschwingen bewegten sich flatternd. Magie war zudem im Spiel, die Schwingen allein hätten dazu nicht genügt. Rot glühten die tellergroßen Augen des Drachen. Auf seinem Rücken saß der Teufel persönlich, mit Hörnern, schwarz behaartem Körper und einem Pferdefuß. Er hielt einen Dreizack in der Hand und schaute auf Vollersroda hinunter. »Heilige Mutter Gottes!« stammelte Wiczynski, ein gebürtiger Pole. »Rette uns vor dem Ungeheuer!« Er riß die Flinte hoch und feuerte beide Läufe ab. Die Schüsse krachten. Das Drachengebrüll war verstummt. Die Schrotladungen beeindruckten Fafnir nicht mehr, als wenn der Schäfer mit Erbsen nach ihm geworfen hätte. Doch Mephisto, kein anderer saß auf dem Rücken des Drachen, wurde wütend. Gebieterisch deutete er mit dem Dreizack auf den Schäfer und die im Pferch blökenden Schafe. Fafnir holte tief Luft. Im nächsten Moment brauste ein Feuerstrahl aus seinem weitaufgerissenen Rachen und erfaßte den aufschreienden Schäfer samt seiner Herde. Wiczynski, der Schäferkarren, alles ging in Flammen auf. Brüllend starb der Schäfer, in Flammen gehüllt. Lichterloh brannte der Schäferkarren. Selbst der Pferch stand in Flammen. Die meisten Tiere wurden von den Flammen erwischt. Verkohlt und schwarz war die Schafweide. Fafnir brüllte, und Mephisto triumphierte. Er schaute auf das Chaos nieder, das er angerichtet hatte. Dann deutete er mit dem Dreizack auf Vollersroda. »Gib es ihnen, Fafnir!« brüllte er in der Höllensprache, obwohl ein Gedankenbefehl schon genügt hätte. »Verbrenne sie alle!« 17
Abermals holte Fafnir Luft… * »Einmal die Gurgel durchschneiden, der Herr«, dienerte Samiel tückisch. »Bin ich nicht guter Friseur?« Im letzten Moment, als ich das Messer schon fast an der Kehle hatte, verließ mich die Lähmung. Blitzschnell fegte ich Samiels Messerhand mit einem Handkantenschlag zur Seite. Als ich den Unterteufel berührte, erhielt ich einen elektrischen Schlag. Der half mir auf die Beine. Ich sprang trotz meiner Schmerzen auf, packte Samiel mit meiner ringbewehrten Hand bei der Gurgel und hielt seine Hand mit dem Messer mit der anderen fest. »Dir werde ich es geben, mich mit dem Drahtseil vom Motorrad zu holen, du Satan!« schrie ich ihn an. Wir rangen miteinander. Samiel verwandelte sich in eine riesige, zischende Schlange, die mich umwinden und zerquetschen wollte. Das verhinderte ich, indem ich mit dem strahlenden Ring auf ihn eindrosch. Es gelang mir auch, den armenischen Dolch zu ziehen. Damit hieb ich die Schlange, die so groß war wie eine ausgewachsene Anakonda, in der Mitte durch. Doch die beiden Teile krochen zusammen und vereinigten sich wieder. Sie wuchsen empor. Das krumme Messer war Samiel entfallen. Er wurde zu einer silbrigen Gestalt, die einen menschenähnlichen Torso, Gliedmaßen und einen konturlosen Kopf hatte. Kreischend kam dieses Ungeheuer auf mich zu. Seine Arme verwandelten sich plötzlich in spitze Klingen, die auf mich zuzischten. Mit dem armenischen Dolch parierte ich den Angriff. Meine Klinge traf auf massiven Stahl. Dann hatte ich alle Hände voll zu tun, um mich meiner Haut zu wehren. Samiel war ein gefährlicher Gegner. Sein Körper war komplett zu Metall geworden, das merkte ich, als ich seine Deckung unterlief und mit aller Wucht zustach. Mein Dolch prallte von seiner Panzerhaut ab. »Oioioi«, spottete Samiel. »Haben der Herr Probleme?« Dann packte er mich mit einer Urgewalt, preßte mich an sich und wollte mich zerquetschen. Statt Klingen hatte er jetzt dicke Tentakel als Arme. Mir lief schon das Blut aus der Nase. Meine Rippen knackten, obwohl ich kräftig und durchtrainiert war. In Samiels Metallkopf klaffte plötzlich ein Rachen auf, groß genug, um mir den Kopf abzubeißen. Spitze Zähne waren darin zu erkennen. Triumphierend reckte sich mir der Metallrachen entgegen. Meinen Dolch 18
hatte ich fallen gelassen. Gerade wollte Samiel zubeißen, da gelang es mir, mit einem verzweifelten Ruck seine Umklammerung zu sprengen. Ich riß meinen Kopf weg. Krachend schlugen die Metallkiefer zusammen wie die Bügel einer großen und mörderischen Falle. Doch von mir hatte er nur ein paar Haarsträhnen erwischt. Samiel zerrte an meinen Haaren und brach mir dabei fast das Genick. In höchster Not schmetterte ich ihm die Faust mit dem strahlenden magischen Ring an den Schädel. Ein klaffendes Loch entstand. Samiel kreischte entsetzlich auf! Laut wie ein startender Düsenjäger. Ich entwand mich seiner stählernen Umarmung, war jetzt als Kämpfer in meinem Element. Adrenalin raste durch meine Adern. Die Schmerzen, die mich kurz zuvor noch fast umgebracht hatten, spürte ich nun kaum noch. Es gelang mir, meine Pistole zu ziehen, die SIG Sauer P 6 mit den Silberkugeln! Kaltblütig und gezielt feuerte ich das Acht-Schuß-Magazin leer. Eine Neun-Millimeter-Kugel nach der anderen raste aus dem Lauf. Große Löcher entstanden in Samiels Metallkörper. Er schrie immer mehr, und er bog sich. »Zurück mit dir in den Abgrund, du Dämon!« schrie ich ihn an. »Apanage, fahr aus!« Samiel konnte es nicht länger ertragen. Mit einem meckernden »Wir sprechen uns noch, wir sprechen uns noch!« verwandelte er sich in einen Kugelblitz. Schwefelgestank strömte von ihm aus. Kleine, blaue Flämmchen umloderten ihn. Funken sprühten von ihm weg. Rasch berührte ich mit dem magischen Ring das Mal auf meiner Brust. Ein Laserstrahl entstand. Mit ihm verwandelte ich den armenischen Dolch in eine strahlende, magische Waffe, die noch mehr Kraft hatte als zuvor. Doch ich brauchte den Dolch nicht mehr. Heulend und kreischend erhob sich der Kugelblitz über die Baumwipfel. Samiels Fratze zeigte sich in dem Blitz. Er spuckte eine eklige, stinkende, klebrige Flüssigkeit auf mich nieder, wieder so eine Spezialität von ihm. Meckernd raste er dann wie ein Komet davon, ein seltsamer Dämon, unberechenbar und äußerst gefährlich. Samiel war höchst eigenartig, auf eine banale Art sehr brutal. Er stank aus allen Knopflöchern nach List und Tücke. Wankend hielt ich mich an einem Baum fest. Jetzt spürte ich die Schmerzen wieder. Während ich noch nach Luft schnappte, hörte ich von Vollersroda her zwei Detonationen. Schüsse. Abermals erklang das schreckliche Gebrüll, das ich zuvor schon vernommen hatte. Ich mußte den Menschen dort helfen. Samiel schien vorerst nicht zurückzukehren. Ich lief in den Wald, wo ich Tessas Motorrad fand und auf die Räder stellte. 19
Zwar sprang es an, als ich den Starter betätigte, doch das Vorderrad war derart verbogen, daß man damit nicht fahren konnte. Also rannte ich trotz meiner Schmerzen und meines angeschlagenen Zustands los. Ich erreichte die Autobahn und rannte durch die Unterführung. Mir war schwindlig. Kurz nach der Unterführung mußte ich stehenbleiben und übergab mich heftig. Danach fühlte ich mich etwas besser. Beim Sturz vom Motorrad hatte ich wohl eine leichte Gehirnerschütterung erlitten. Endlich erreichte ich Vollersroda. Durch die kahlen Äste der Bäume sah ich bereits den Drachen, den ich schon kannte. Er schwebte in der Luft. Ein düsteres Glosen umgab ihn. Mephisto hockte auf seinem Rücken und schwenkte den Dreizack. Abermals brüllte der Drache mit solcher Lautstärke, daß es mir fast die Trommelfelle zerriß und die letzten paar welken Blätter von den Bäumen gefegt wurden. Ich brach in die Knie und hielt mir die Ohren zu. Endlich verhallte das infernalische Gebrüll. Dann geschah etwas Gräßliches: Eine ungeheure Flammenzunge zuckte aus dem Maul des Drachen hervor und erfaßte gerade die restlichen Schafe im Pferch. Schrecklich gellten die Todesschreie in meinen Ohren. Die sterbenden Schafe blökten und wälzten sich noch als verkohlende Klumpen. Haß stieg in mir auf. »Mephisto!« brüllte ich, doch mein Schrei ging in dem Brausen des Drachenfeuers unter. Mir fiel kein Schimpfwort ein, das schlimm genug für Mephisto war. Das Drachenfeuer erlosch. Fafnir hatte sich ausgespien. Er schwebte ein Stück weiter und hing über Vollersroda. Lichterloh brannte der Schäferkarren. Beim brennenden Pferch lagen die verkohlten Schafe und die Leiche des Schäfers. Der Gestank von dem verschmorten Fleisch stieg mir in die Nase. »Verbrenne sie alle!« hörte ich Mephisto rufen. Er schwang seinen Dreizack. Der Drache mit den breiten Lederschwingen pumpte sich auf. Gleich würde eine ungeheure Feuerzunge über den Flecken hinwegbrausen, wie von einem gigantischen Flammenwerfer ausgespien. Da stürmte ich vor. Die letzten paar hundert Meter über ein Stoppelfeld hatte ich mit einem Spurt zurückgelegt. »Hier bin ich, Mephisto!« schrie ich, ging in den Combatanschlag und schoß mit der nachgeladenen SIG Sauer auf den Höllenteufel. Mephisto hob sich samt seinem Drachen, von rotem Glühen umgeben, gegen den nebligen, düsteren Himmel ab, an dem tief die Wolken hingen. Die Pistole krachte. Mephisto drehte sich zu mir um. Ich traf ihn mehrmals, aber die Kugeln prallten an ihm ab und fielen zu Boden. Sie konnten ihm 20
nicht das Geringste anhaben. Mephisto schwang den Dreizack. Ein rotglühender Blitz zuckte aus neunzig Metern Höhe herunter und genau auf mich zu. Nur meine blitzschnelle Reaktion bewahrte mich davor, getroffen und wie von einem Starkstromschlag verglüht zu werden. Ich sprang zur Seite. Der Blitz aus dem Dreizack verbrannte neben mir nur den Boden. Dann starrte mich der Drache mit seinen tellergroßen, rotglühenden Augen an. Schwefeldampf stieg aus seinen Nüstern. Weit öffnete er das Maul. Ich rechnete damit, daß er im nächsten Augenblick ein wahres Flammenmeer zur Erde schicken würde. Rasch preßte ich den Ring auf das sternförmige Mal. Der kurze Laserstrahl leuchtete auf, und ich zeichnete einen Schutzschirm, ein Kreuz und ein paar Runen in die Luft. Schwach leuchtend waren sie zu sehen. Satanisch grinste mich Mephisto an. »Diesmal habe ich dich, Mark Hellmann«, hörte ich seine Gedankenbotschaft in meinem Gehirn. »Jetzt wirst du gegrillt wie ein Hähnchen!« Fafnir riß seinen Rachen auf. Schlagartig begriff ich, daß alles vorbei war. Mein Traum in dieser Nacht hatte mich genarrt. Ich würde nicht in die Zeit reisen, auf die sich der historische Kern der Siegfriedsage bezog. Ich würde nirgendwohin mehr reisen. Innerhalb der nächsten Minute würde ich nämlich grausam sterben, vom Drachenfeuer verbrannt. Die Zeit schien stillzustehen. Ich wußte, daß meine Beschwörung nichts nutzte und mich der magische Ring und Zeichen in der Luft nicht beschützen konnten. Fafnir würde mich töten. Dann hatte Mephisto sein Ziel erreicht, mich, den Träger des Rings auszulöschen. Er brauchte sich von mir nichts, mehr gefallen zu lassen. Die Schmach hatte ein Ende. Jetzt mußte der Flammenstrahl zucken. Wegrennen nutzte nichts, das Feuermeer war zu groß, der Feuerstrahl allzu schnell. Wie in einem Film sah ich Stationen meines Lebens, alle nach jenem 1. Mai 1980, vor meinem geistigen Auge. Die Jugendweihe, das Abitur, vorher erste Sexabenteuer, sportliche Erfolge und anderes. Jetzt konnte ich nichts tun, nur noch dem Feuertod mit möglichst viel Fassung ins Auge schauen. Meine Pistole war leergeschossen. Ich fragte mich, wie es wohl sein würde, bei lebendigem Leibe zu verbrennen. Und wie lange ich den Schmerz spüren würde. Doch Sekunden konnten wie Jahre sein, Zeit war nämlich relativ. Einen winzigen Aufschub hatte ich noch. »Jetzt zittern dir die Knie, du Zehnkämpfer, was? Träger des Rings, es ist aus! Hahaha!« triumphierte Mephisto höhnisch. »Du wolltest die Hölle 21
besiegen. Kämpfer gegen das Böse wolltest du sein. Nun stehst du als Wicht vor mir und bibberst vor Angst.« »Sei verflucht, Mefir!« entgegnete ich und benutzte das hebräische Wort für Lügner, ein Bestandteil seines Namens. Wir haßten uns abgrundtief. »Du kannst mich umbringen, doch meinen Stolz brichst du nicht. Niemals wirst du mich zittern sehen.« Mephisto ließ sich Zeit. Er genoß es, mich ihm ausgeliefert zu sehen, und deutete mit dem Dreizack auf mich. »Wenn du mir deinen Ring übergibst und dich mir anschließt, verschone ich dich vielleicht. Schwöre mir Treue.« »Lieber will ich krepieren.« »Das kannst du haben! - Fafnir, Feuer!« Jetzt kam das endgültige Aus für Mark Hellmann, den Mann, der als Dämonenjäger bereits erste Erfolge gefeiert hatte. In mir verkrampfte sich alles. Doch Fafnir rülpste nur. Er mußte sich irgendwie verschluckt haben. Statt Feuer zu speien, erzitterte er nur ein paarmal in der Luft. Wellenförmig liefen die Zuckungen über seinen Bauch. Er tat mir jedoch nicht den Gefallen, in der Luft zu explodieren, sondern schüttelte nur heftig den Kopf. Flämmchen loderten aus seinem Maul schräg nach oben. Mephisto schlug Fafnir ein paarmal auf den Rücken, wie es eine Mutter bei ihrem Kind tat, das sich verschluckt hatte. Neue Hoffnung erfaßte mich heiß. Ich rannte davon, schaute ab und zu einmal über die Schulter und suchte Deckung im Wald. Bis Fafnir wieder fit war, blieb mir sicherlich nicht viel Zeit. Im Wald war auf die Schnelle keine Höhle zu finden, die mir Unterschlupf gewährt hätte. Irgendwo in der Nähe war ein Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg… Doch bei Nacht und Nebel fand ich ihn nicht. Es war lange her, seit ich als Junge hier einmal gespielt hatte. Ich irrte durch den Wald, schaute zurück und sah Fafnir mit Mephisto auf dem Rücken über den Wald fliegen. Beide hielten sie nach mir Ausschau. Vollersroda war vorerst gerettet, doch nun sollte es mir wieder an den Kragen gehen. Als mich Mephisto erspähte, spuckte Fafnir sofort Feuer. Ich sprang hinter den dicken Stamm einer Eiche, der mir Schutz gewährte. Rechts und links brauste das Feuer vorbei. Es beanspruchte allen Sauerstoff für sich. Ich konnte nur die Luft anhalten, mich auf die nächsten Sekunden verlassen und vor der Hitze schützen. Die Äste der Eiche brannten. Der dicke Stamm widerstand der Attacke bisher, doch die Rinde wurde durch die Hitze teilweise abgeschält. Die Glut drang mir bis ins Knochenmark, und es schien ewig zu dauern, bis Fafnirs Feuerstrahl endlich verebbte. Endlich war dem Drachen der Glutatem 22
ausgegangen. Ich spähte hustend um den halbseitig angekokelten Baumstamm herum. Mit tränenden Augen und versengten Haaren. Mephisto starrte mich an. Fafnir atmete tief und rasselnd, schien jeden Augenblick einen weiteren Feuerangriff zu starten. »Schieß ruhig auf mich, Hellmann!« verhöhnte mich Mephisto mit lauter Stimme. »Von mir aus wirf auch mit Steinen. Wenn du tot bist, werde ich den Ring von deinem verbrannten Finger abziehen. - Drei Ringe habe ich schon, jetzt kriege ich auch den vierten…« Ich unternahm erst gar nicht den Versuch, weitere Schüsse auf den Teufel abzugeben. Wegzurennen war ebenfalls sinnlos. Nur einen Ausweg sah ich noch, wenn ich nämlich in die Vergangenheit floh, in die Zeit, aus der Fafnir stammte und in der somit der Schrecken seinen Anfang genommen hatte. Jetzt wollte ich doch die Vision erfüllen, die ich in dieser Nacht gehabt hatte. Rasch zog ich mich hinter den Baum zurück, während Fafnir vorflatterte. Mit dem Laserstrahl aus dem Ring schrieb ich das keltische Wort für »Reise« in Runen des Futhark-Alphabets an den Stamm der Eiche, auf meiner Seite, wo er noch unversehrt war. Der Eichenstamm war dafür genauso gut wie jede andere Stelle. Der dämonische Einfluß sowie Fafnirs Ausstrahlung waren hier offenkundig und überall vorhanden. Ich konzentrierte mich auf die Zeit, aus der Fafnir stammte, auf Siegfried von Xanten und alles, was ich sowohl von der Sage als auch über die Historie wußte. Dann erschien Fafnirs Maul übergroß vor mir. Ich sah die »Glutsuppe« tief in seinem Innern. Schwefelgestank und glühender Hauch wehten mich an. Mephisto beugte sich vor und spähte um den Drachenkopf herum. Seine Teufelsfratze war eine einzige triumphierende Maske. Er lachte schaurig. Die Runen glühten und leuchteten vor mir. Eine Sekunde noch, und Fafnir würde das Feuer spucken, so wie ein Vulkan ausbrach. Weg! dachte ich. Fafnir spie Feuer. Obwohl mich die Flammen einhüllten, spürte ich keinen Schmerz, sondern hatte vielmehr das Gefühl, von dem Ring eingesogen zu werden. Der stilisierte Drache darauf wurde riesengroß, riß seinen Rachen auf und verschlang mich, ehe mich Fafnirs Feuer verzehrte. Ich fiel ins Bodenlose. Hinter mir hörte ich wie durch einen Schacht Mephistos enttäuschten Aufschrei, daß ich dem Feuer entkam. Dann war ich weg.
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* Das Feuer umhüllte Mark Hellmann. Doch bevor es ihn verzehrte, verschwand er, als ob er sich in Luft aufgelöst hätte. Fluchend schwang Mephisto den Dreizack. Fafnir steckte die Eiche vollends in Brand und ließ einen Teil des Waldes in Flammen aufgehen. Derjenige, dem dieser Feuersturm galt, war jedoch entkommen. Mephisto wartete, bis sich sein Drache ausgespuckt hatte und der Feuerstrahl erlosch. Mit trägem Flügelschlag trieb er ihn dann über Vollersroda. Im Schafspferch qualmten noch immer die verkohlten Leichen. Der Flammenschein des brennenden Schäferkarrens strahlte den Teufel und den Drachen an. Ein paar Einwohner von Vollersroda, die sich ins Freie gewagt hatten, flüchteten schleunigst und verkrochen sich wieder in ihren Häusern. Alarmsirenen heulten. Aus Weimar und von den umliegenden Ortschaften rasten Feuerwehren und Streifenwagen herbei. Telefonate aus Vollersroda hatten sie alarmiert. In Rudolstadt und in Apolda befanden sich Kasernen. Die Bundeswehrsoldaten dort wurden alarmiert. Mehrere Einheiten sollten ausrücken. Vom Militärflughäfen stiegen Kampfhubschrauber und Abfangjäger auf, um ein Unknown Flying Object, ein sogenanntes UFO, abzuschießen. Mephisto rührte der ganze Rummel wenig, den er mit seinen magischen Antennen mitkriegte. Er wußte, daß er mit normalen Waffen, wie furchterregend und gewaltig sie auch sein mochten, nicht zu töten war. Sogar die Explosion einer Atombombe hätte er überlebt. In einem durchbrennenden Atomreaktor wie damals in Tschernobyl hätte er ohne weiteres umherspazieren können. Die tödliche Strahlung hätte ihm nichts anhaben können. Fafnirs Feuerkraft schien erschöpft. Mephisto war trotzdem der Meinung, für den Tag genügend Unheil angerichtet zu haben. Mark Hellmann würde er schon noch kriegen und somit den vierten Ring. Wenn nicht an diesem Tag, dann an einem anderen. Eine steile Falte kerbte die Stirn des Teufels, als er mit seinem Drachen über Vollersroda abdrehte und in westlicher Richtung davonflog. Wo steckte Mark Hellmann? Mephisto konnte sich nur vorstellen, daß er in die Vergangenheit geflüchtet war. In welches Jahr, das wußte der Höllenfürst jedoch nicht. Mephisto kannte viel und wußte eine Menge aus Äonen von Jahren. Das wendete sich manchmal gegen ihn. Er war nämlich mit Wissen überladen. Einen Teil seines Wissens hatte er in magischen Kristallen abgelagert, die 24
man in einem sehr entfernten Sinn mit CD-Roms vergleichen konnte, die diesen jedoch an Speicherkapazität weit überlegen waren. Diese magischen Steine bargen das Wissen, unter dessen Last der unzählige Millionen Jahre alte Mephisto sonst längst zusammengebrochen und wahnsinnig geworden wäre. Oder versteinert, zu einem Wesen geworden, das nur noch von seinen langsam kreisenden Erinnerungen lebte und zu einer ganz eigenen Lebensform geworden war. Drei Milliarden Jahre war es her, seit die Valusianer, eine für menschliches Wissen unbegreifliche Rasse, über die Erde geschritten waren, die von einer glühenden Gaswolke zu Magma und kochendem Schlamm geworden war. Mephisto war da schon gewesen. Er hatte sich vielmals gewandelt, böse war er immer gewesen. Seine Wissenskristalle mußten in speziell dafür geschaffene Menhire, Steinsäulen, eingesetzt und mit dem Blut von Menschenopfern benetzt werden, um ihre Kraft zu entfalten. Dann gaben sie ihren Inhalt preis. Das war die einzige bisher bekannte Methode. Mephisto kannte die Siegfriedsage nicht. Er hatte mit vielen Völkern und Kulturen zu tun, weshalb sollte ihn gerade diese interessieren? Zudem war Mark Hellmann gerade unterwegs, um die Siegfriedsage erst zu schaffen und zu vollenden. Oder, wenn er dabei starb, würde sie niemals entstehen und würde die Menschheitsgeschichte eine andere sein, da ihr ein Teil fehlte. Es gab Kausalitätsketten, und es gab ein Schicksal und eine Macht, die über allem waltete. Das letzte Rätsel jenes kosmischen Geheimnisses hatte auch Mephisto noch nicht entschleiert. Er wußte jedoch, daß er als Paladin der Hölle in dem uralten Kampf zwischen Gut und Böse eine wichtige Figur auf dem kosmischen Schachbrett darstellte. Bis zum Jüngsten Tag würde alles entschieden sein. »Die Christen glauben, daß ihr Gott, wie sie ihn verstehen, das Jüngste Gericht abhält«, sagte der kichernde Mephisto. »Doch ihre Überlieferungen sind Mystik und Propaganda, wie sie sich jede Seite bei Kriegen schafft. Die letzte Seite von dieser Geschichte ist noch nicht geschrieben. Meine Partei wird der Sieger sein. Satanas wird gewinnen. Vielleicht bin ich bis dahin der Höllenkaiser. Lucifuge läßt nach.« Irr lachend flog Mephisto mit seinem Drachen zur B 85, auf der Feuerwehrautos heranpreschten. Das Blaulicht flackerte, die Sirenen gellten. »Auf, Fafnir!« befahl Mephisto. Mit angelegten Flügeln stieß sein Drache aus den Wolken hinunter und warf im Sturzflug den vordersten von sechs Löschzügen um. Das Fahrzeug stürzte die Böschung hinunter. Fahrer und Beifahrer wurden leicht verletzt, 25
zahlreiche Geräte beschädigt oder sogar zerstört. Das Löschfahrzeug blieb unterhalb der Böschung auf der Seite liegen. Die Räder drehten sich in der Luft. Das zweite Feuerwehrauto, mit einer ausfahrbaren Drehleiter auf dem Dach, bremste so scharf, daß es sich auf der Straße querstellte. Fafnir landete. Mephisto stand auf seinem Rücken und schwang seinen Dreizack. Die folgenden Feuerwehrautos, Löschfahrzeuge und Mannschaftswagen stoppten oder versuchten es zumindest. Zwei fuhren dabei krachend dem Vordermann hinten drauf. Der Drache stand auf der Bundesstraße, viele Meter hoch. Nebel umwölkte ihn. Schwefelgelb glühte es ihm aus den Nüstern. Er brüllte wieder, mit einer Urgewalt, daß sich die Feuerwehrleute die Ohren zuhielten und manche sich wimmernd zusammenkrümmten. Fafnir drosch mit seinen Vorderläufen auf den Kühler des schrägstehenden Feuerwehrautos, riß ihm die Leiter vom Dach, knickte sie wie ein Spielzeug und schleuderte sie fort. Kabel und Verstrebungen rissen. Eine Kralle des Drachen zerdrückte lässig das Blaulicht. Von dem Drachengebrüll fast taub, vermochten die Feuerwehrleute das Sirenengeheul, das noch immer erschallte, kaum noch zu hören. Mephisto lachte laut auf. Er war recht zufrieden. »Was wollt ihr, ihr Menschenwürmer?« rief er mit Donnerstimme. »Ich zertrete euch wie die Wanzen.« Ein Tritt in den Nacken bedeutete Fafnir, daß er sich wieder in die Luft erheben sollte. Die großen Lederhautflügel bewegten sich. Gerade als Kampfhubschrauber der Luftwaffe herandonnerten, flog Fafnir hoch. Die Besatzungen dreier Hubschrauber verfolgten ihn. Luft-Luft-Raketen wurden abgefeuert und rasten, automatisch ihr Ziel suchend, auf Mephisto und Fafnir los. Bordwaffen hämmerten, schwere Maschinengewehre und Schnellfeuerkanonen. Leuchtspurmunition fetzte auf den Drachen los. »Was für ein Wesen ist das?« fragte der Geschwaderpilot, ein Oberleutnant, seinen Co-Piloten und einen weiteren Soldaten, der mit ihm an Bord war. »So etwas habe ich noch nie gesehen, nicht mal im Film.« Der Drache löste sich plötzlich auf. Auch Mephisto verschwand wie weggezaubert. Die Hubschrauberbesatzungen starrten auf die Stelle, wo eben noch die beiden Verfolgten gewesen waren. Das Radar zeigte nichts an, doch das hatte auf Fafnir und Mephisto auch zuvor nicht reagiert. »Haben wir sie getroffen?« fragte der Oberleutnant, der Geschwaderpilot. Übers Kehlkopfmikrophon wandte er sich an die anderen Besatzungen. »Irgendwelche Meldungen?« »Keine. Kein Ergebnis.« 26
Die Kampfhubschrauber donnerten über die Stelle hinweg, wo eben noch Drache und Teufel gewesen waren. Die Besatzungen fragten sich, ob sie eine Halluzination gehabt oder was sie erlebt hatten. Mephisto war in eine andere Dimension verschwunden. Auf der Bundesstraße hielten die Feuerwehrleute und andere Reisende ebenfalls nach dem merkwürdigen Gespann Ausschau. Vergeblich. Trotzdem hatten alle zu tun. Der Stau mußte aufgelöst, die verunglückten Fahrzeuge geborgen werden. * Vergangenheit: Der Ring an meiner Hand brannte wie Feuer. Ich hörte seltsame, verworrene Laute, Fauchen und Zischen, lauschte Sphärenklängen und fiel in einen hellen, pulsierenden Schacht. Spektralfarben wirbelten. Da waren ferne Milchstraßen und Galaxien, leuchtende Nebel, in der Nähe Planeten mit Monden, einer von Ringen umgeben. Unter mir klaffte ein finsterer, gräßlicher Abgrund, in dem es von scheußlichen Wesen nur so wimmelte. Über mir strahlte Licht auf, das heller war als tausend Sonnen, und ich fühlte, daß ich durch Zeit und Ewigkeit flog. Mein Körper löste sich in alle Atome auf. Nach einer Zeitspanne, die ich unmöglich abschätzen konnte War es eine Minute, ein Tag oder ein Jahr? Sah ich wieder den Drachen wie zu Anfang der Zeitreise. Ich stürzte, purzelte durch die Luft und zischte durch groben, wasserdichten Stoff. Ein Vordach brach unter mir zusammen, und dann polterte und schepperte ich in einen ganzen Stapel von Tonkrügen hinein. Sie zerbrachen allesamt unter mir. Ein Riesenspektakel begann. Am Ziel angelangt, war ich völlig fertig, wie immer nach einer Zeitreise, hatte Kopfschmerzen, war schwach und taumelig und fühlte mich sauübel. Ich hatte mich materialisiert, wenn alles so geklappt hatte, wie ich es wollte, in der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts. Mehr als eintausendfünfhundert Jahre vor meiner Zeit, als Deutschland noch Germanien geheißen hatte, von wilden Stämmen bewohnt worden und größtenteils von Wäldern bedeckt gewesen war. Im Zeitalter der Burgunder, der Hunnen, natürlich der Goten, der Franken, Langobarden, Vandalen und wie sie alle hießen. Sowie des untergehenden Weströmischen Reiches, das sich verzweifelt gegen den Abstieg sträubte und erneut sich zu der früheren Weltmachtgröße emporzuschwingen versuchte. Mir blieb wenig Zeit, über die Zeitläufte nachzudenken. Instinktiv rollte ich mich ab. Mein Fall war wie aus drei Metern Höhe, und ich konnte es mir 27
nicht aussuchen, ob ich mit dem Kopf oder den Füßen zuerst aufkam. Inmitten von Scherben blieb ich in Weinlachen liegen. Ein paar von den Krügen hatten Wein enthalten. Wie immer nach einer Zeitreise war ich splitternackt und trug als einzigen Gegenstand aus meiner Zeit meinen magischen Ring. Nichts anderes konnte ich mitnehmen. Minutenlang wußte ich nicht, ob ich ein Männlein oder ein Weiblein war, während sich die Atome meines Körpers wieder einordneten und der Stoffwechsel und alle Gliedmaßen zusammenfanden. Es war ein schwer zu beschreibender, höchst unangenehmer Zustand. Aus Erfahrung wußte ich, daß er drei bis fünf Minuten andauern würde. Die Sonne schien, und ich hörte Stimmen um mich herum. Bald verstand ich die Worte. Wie bei jeder Zeitreise beherrschte ich durch Magie bei meiner Ankunft die Sprache der jeweiligen Zeit und des Ortes. Da brauchte ich mir also keinen abzubrechen und meine spärlichen Sprachenkenntnisse zum besten geben. Sogar spezielle Kenntnisse wie die des Schwertkampfs oder der Falknerei wurden mir durch Mächte, die ich nicht kannte, vermittelt. Ob sie in meinem Ring wohnten oder ob er nur eine Art Empfänger dafür darstellte, wußte ich nicht und konnte ich nicht ergründen. Jedenfalls war ich, wenn es mich weit in die Vergangenheit verschlug, nicht aufgeschmissen, unwissend und sprachlos. Was ich jetzt hörte, erfreute mich allerdings nicht. Neben mir zeterte nämlich ein fetter Händler. Ich war, wie ich erkannte, mitten in einem belebten Markt gelandet. Neugierige Gaffer sammelten sich um mich her. »Der Kerl hat zwanzig Krüge zerschlagen und meinen besten Wein verschüttet«, zeterte der in ein germanisches Leinengewand gekleidete Händler. »Wer ersetzt mir den Schaden? Wie konnte das nur geschehen?« »Er ist vom Himmel gefallen«, sagte ein grobschlächtiger, einfach gekleideter Bursche, den ich für einen Sklaven hielt. »Eher hat ihn die Hölle ausgespien!« zeterte wieder der Händler. »Dafür soll er mir aufkommen.« »Das Schwein ist sicher betrunken«, bemerkte eine stattliche Dame, die aus ihrer von zwei kräftigen Trägern geschleppten Sänfte schaute. »Splitternackt ist er auch noch.« Ihr Kennerblick schweifte über mich und biß sich tief im Süden fest. »Aber stattlich gebaut ist er.« Ich gönnte ihr den Spaß, setzte mich auf und versuchte, möglichst freundlich in die Runde zu schauen. »Seid gegrüßt«, sagte ich und überlegte krampfhaft, wie ich meine Nacktheit erklären sollte. Schon die Lehrer in der Aufbaustufe, die ich nach meinem plötzlichen 28
Auftauchen im Jahr 1980 als Zehnjähriger in Weimar zunächst besuchte, hatten gesagt: »Dem Hellmann fällt immer was ein. Und wenn ihm mal nichts einfällt, dann denkt er sich was aus.« Ich schwindelte also: »Ich bin in einer Schenke gewesen und betäubt und ausgeraubt worden. Man hat mir sogar meine Kleider gestohlen. Mein Name ist Markus, ich bin ein fahrender Söldner.« Nachnamen hatten in der Zeit die wenigsten. Markus genügte. »Du sollst zur Hölle fahren!« rief der Händler, dem die Krüge, teils leer, teils mit Wein, gehörten. »Wer ersetzt mir den Schaden?« »Versuche mal, einem nackten Mann in die Tasche zu fassen«, erwiderte ich, stand auf und versuchte erst gar nicht, mein männlichstes Teil mit den Händen zu bedecken. Es hätte wohl dümmlich ausgeschaut. »Wende dich an diejenigen, die mich beraubten. In welcher Stadt bin ich hier?« »Weißt du das nicht?« fragten mich Gaffer in verschiedenen Dialekten. »Nein, der Betäubungstrank hat mir die Sinne verwirrt. Ich erinnere mich auch nicht mehr, wie die Schenke hieß, in der ich gewesen bin. - Also, wo bin ich?« »In Xanten«, erwiderte ein weißbärtiger, vornehm gekleideter Mann mit einer goldenen Amtskette um den Hals. Er saß auf einem Zelter, einem gefleckten Grauschimmel von edler Rasse. Ich hielt ihn sofort für einen Ratsherren oder Höfling. Unser König heißt Siegmund, seine Gattin Sieglind. Siegfried ist ihr edler und erstgeborener Sohn.« Da bin ich ja genau richtig, dachte ich und bat um etwas zum Anziehen. Man gab mir einen alten Mantel. Allmählich ging es mir wieder besser. Der grobschlächtige Sklave bemerkte nochmals, ich sei vom Himmel gefallen, was insofern stimmte, als ich in der Luft, direkt über, dem Vordach, materialisierte. Doch niemand schien dem Sklaven zu glauben. »Ihr werdet Euren Schaden bezahlt erhalten, Händler«, versprach der Weißbärtige auf dem Zelter, ohne sich allerdings genau festzulegen. »Gestattet mir, Euch aus Eurer Verlegenheit zu helfen, edler Markus. Ihr seid, scheint mir, ein Recke, den man gebrauchen kann in des Königs Heer. Ich, der Königliche Rat Ulfila, bin ein guter Freund des Anwerbers Schwemmel, dem ich Euch vorstellen will.« Ich war sicher, daß Ulfila ein gutes Handgeld erhalten würde, wenn er mich als fähigen Söldner in Siegmunds Heer unterbrachte. Fürs erste nahm ich seine Hilfe an, hatte allerdings keine Lust, lange den Söldner zu spielen. »Ich danke Euch, edler Herr. Ist vielleicht ein Platz bei der Palastwache frei?« Ulfila musterte mich stirnrunzelnd. »Ihr verlangt allerhand. Das ist ein Vertrauensposten. Schon mehr als ein 29
König wurde vom Anführer seiner Leibwache entthront oder von einem Leibwächter in seiner Nähe erdolcht oder mit dem Schwert erschlagen.« »Warum sollte ich das?« fragte ich. »Mein Arm ist stark, und ich bin gern in der Nähe des Königs, wenn der Sold stimmt. Solange das so ist, kann er sich immer auf mich verlassen.« Ulfila lachte. »Ihr seid wenigstens ehrlich, Markus. Ich will sehen, was ich für Euch tun kann. Natürlich kann ich verstehen, daß Ihr lieber im Palast leben wollt, mit allen Bequemlichkeiten versehen, willigen Mägden in der Umgebung und einem, festen Dach über dem Kopf. Der Felddienst ist karger und anstrengender. Er besteht aus endlosem Exerzieren und Waffenputzen, oder Ihr müßt die Reichsgrenze abreiten und Euch mit räuberischen Banden und Feinden herumschlagen. Die Hunnen sind unruhig und schweifen umher. Zwar bleibt ihr großer König Attila derzeit hinter der Donau, doch umherstreifende Hunnenbanden machen die Gegend unsicher.« »Wie steht es mit den Burgundern?« fragte ich. »Mit ihnen haben wir keine Probleme«, antwortete Ulfila, während ich neben seinem Pferd herlief. »König Dankwart ist vor einigen Jahren gestorben und hat seinem ältesten Sohn Gunter das Reich hinterlassen, das sich um Worms herum ausdehnt. Zusammen mit seinen beiden jüngeren Brüdern verwaltet er es. Er hat treue und starke Gefolgsleute…« »… wie Hagen von Tronje.« »Aha, Ihr entsinnt Euch doch an einiges.« »Ja, doch manches vergaß ich, was jeder weiß. Welches Jahr schreiben wir?« Ulfila schaute mich merkwürdig an. »Vierhundertzwanzig Jahre vergingen, seit Christus geboren wurde.« Kaiser Konstantin, der große Herrscher des Römischen Reiches, hatte das Christentum 313 n. Chr. zur gleichberechtigten Staatsreligion erklärt und damit die alten römischen Götter entmachtet. Doch der Einfluß von anderen Religionen, germanischen, des römischen Götterglaubens und welcher aus dem Osten, war nach wie vor stark vorhanden. Wotan und Frigga beherrschten nach wie vor die religiösen Vorstellungen der Sachsen, und es sollte bis nach dem Jahr 800 n. Chr. dauern, bis Kaiser Karl der Große ihrem Herzog Widukind endlich die christliche Taufe aufzwang und damit den ganzen Stamm zwangsbekehrte. Der Hufschlag von Ulfilas Pferd klapperte auf dem Kopfpflaster, während wir die Stadt durchquerten. In meiner Zeit war Xanten eine Stadt am Niederrhein, in Nordrhein-Westfalen, mit etwas über zwanzigtausend Einwohnern. Xanten im 20. Jahrhundert hatte einen gotischen Dom, der jetzt, im Jahr Vierhundertundnochwas, noch lange nicht stand. Das 30
römische Amphitheater hingegen konnte ich bewundern. Drusus, ein Stiefsohn des römischen Kaisers Augustus, hatte Xanten bereits anderthalb Jahrzehnte vor Christi Geburt gegründet. Ich sah eine enge, muffige Stadt vor mir, die gerade mal um die dreitausend Einwohner hatte und von einer ziemlich mickrigen Mauer umgeben war. Die Straßen waren eng, die Steinhäuser klein. Das Viertel, in dem früher die Römer gewohnt hatten, als ihr Reich noch in der Blüte stand, war am, luxuriösesten. Doch die Einrichtungen, die Fußbodenheizungen und Thermalbäder verfielen, weil die germanischen Awarer, deren König Siegmund war, weder das Interesse noch die Fähigkeiten hatten, sie zu erhalten. Außerdem galten warme Bäder als verweichlichend und der Manneskraft abträglich. Dreck hingegen war keine Schande, und Läuse in den Haaren und Kleidern zählten selbst in den adligen Kreisen zu den Alltäglichkeiten. Zur Römerzeit war die Kanalisation vorbildlich gewesen. Inzwischen waren die unterirdischen Kanäle verstopft oder zusammengebrochen. Man warf aus den höchstens zweistöckigen Steinhäusern und den Hütten in die Gosse, wessen man nicht bedurfte, oder man schleppte den Abfall zu dafür vorgesehenen Plätzen. Es stank auf der Straße, und ich konnte mir vorstellen, daß Xanten wie jede Stadt dieses Zeitalters während der Hochsommerhitze die Nase auf eine noch härtere Probe stellte. Der Geruch Xantens prägte sich mir ein. Es war eine Mischung von Holzkohlenrauch, Viehschweiß und Fäkalien. Es handelte sich um einen sehr charakteristischen Geruch. Auf den Straßen fuhren Karren und hochrädrige Planwagen, die meist von Ochsengespannen, selten von Pferden gezogen wurden. Gänse, die ein Gänsehirt von der Gänseweide vor der Stadt zu ihren jeweiligen Besitzern trieb, schnatterten mitten in der Stadt. Die Männer trugen Obergewänder aus Wollstoff, ungefärbt oder gefärbt, darunter Beinkleider und Schuhe mit Schnürriemen bis hoch zu den Knien. Ein flacher Hut bei manchen sowie ein Umhang, den eine Fibel an der Schulter zusammenhielt, vervollständigten die Aufmachung. Die Frauen aus den einfacheren Bevölkerungsschichten waren ähnlich gekleidet, hatten jedoch Schmuck und Zierrat, die Ärmeren aus Kupfer, die Reichen aus Gold oder Silber. Ein paar reiche Bürgerfrauen und Edelfräulein sah ich, entweder auf der Straße oder aus Fenstern schauend, mit Kleidern aus edleren Stoffen, bunt und mit einer Schleierhaube, die lang auf die Schultern herabfiel. Die männlichen Edelleute waren ebenfalls schöner gekleidet als das einfache Volk. Ich sah quiekende Schweine auf der Straße umherlaufen und sich im Dreck wälzen. Kein Reiter in schimmernder Rüstung war zu 31
sehen, wie in den Legenden geschildert. Die freien Bürger und Freisassen aus der Umgebung trugen allerdings das Schwert als Abzeichen ihres Ranges an der Seite. Es gab Leibeigene und Sklaven, meist Kriegsgefangene oder deren Nachkommen, denen keine Waffe zu tragen erlaubt war. Die gesamte mittelalterliche und frühmittelalterliche Welt kannte ein solches Mehrklassensystem mit Leibeigenschaft und Frondiensten. Außer Ulfila sah ich nur zweimal einen Reiter. Es dämmerte schon, als wir den Berg hinaufstiegen, auf dem König Siegmunds Feste errichtet war. Die Burg hatte einen Söller, den hochragenden Hauptturm in der Mitte des Burghofs, ein Haupt- und mehrere Nebengebäude sowie Zinnen und Türme. Das Wappen des Königsgeschlechts von Xanten, ein roter Löwe auf grünem Grund, wehte am Torturm. Zwei mit Spieß und Schwert bewaffnete Posten kontrollierten das Tor, an dem die Zugbrücke hochgezogen werden konnte. Fackeln erhellten den Burghof, dessen hinterer Teil stufenförmig erhöht angelegt war. Lichtschein von Öllampen fiel aus den zahlreichen Fenstern, die entweder offen oder mit Ölpergament bespannt waren. Glas war hier selten und Mangelware, obwohl schon die alten Ägypter die Kunst der Glasherstellung gekannt hatten. Alles in allem war König Siegmunds Burg recht einfach ausgestattet, was bei den kleineren Königen und Fürsten jedoch durchaus üblich war. Die Torwache ließ mich durch, weil Ulfila für mich bürgte. So wie die Torwache Ulfila behandelte, bekleidete er den Rang eines Ministers. Ulfila brachte mich zum Quartier der Palastwache. Ein grimmig dreinblickender Hauptmann mit Brustpanzer, Ledergewand am Unterleib und geschnürten Sandalen stand davor. »Das ist Ermanbrand, der Hauptmann der königlichen Garde«, sagte Ulfila, dessen Name auf gotische Abstammung schließen ließ. Er stellte mich vor. »Markus will in die Palastwache eintreten.« »Das wollen viele«, murrte Ermanbrand. »Was kann er denn? Reiten und kämpfen und fechten? Von Recken, die solches beherrschen, wimmelt es nur so, und am besten können sie es mit ihrem großen Mund. Warum kommt er im Mantel und barfuß daher? Ist er nicht mal tüchtig genug, anderweitig Geld zu verdienen, um sich ordentlich zu kleiden? Oder ist er unter die Räuber gefallen, der Arme, und war nicht fähig, sich gegen sie zu verteidigen, unser großer Held?« Ermanbrands Stimme troff vor Hohn. »Unbewaffnet ist er auch noch«, fuhr er fort. »Das ist fürwahr ein Kämpe, um den man sich reißen muß.« Mir pochte die Zornader an der Stirn. Ich schaute Ulfila an, der mich 32
abwartend und arrogant sowie spöttisch anblickte. Mit dem Blick bat ich ihn stillschweigend um sein Einverständnis, mich nicht zu verraten. Jetzt mußte ich mich bewähren, oder ich konnte tagelang um den Palast herumschleichen und wie ein Hund um ein Stück Brot betteln. »Ermanbrand«, donnerte ich den stämmigen, kurzbärtigen, dunkelhaarigen Söldner an, »was fällt dir ein, so mit mir zu reden? Denkst du vielleicht, weil du ein paar Rangabzeichen trägst, bist du ein besonderer Mensch? Wisse, ich habe ein Gelübde getan, weil ich eine schlimme Tat beging. Als Büßer bin ich umhergewandert. Doch das ist jetzt vorbei.« »Was hast du getan?« fragte Ermanbrand. »Deinen Bruder erschlagen?« »Das tut nichts zur Sache, die Tat ist gesühnt. Jetzt zu dir, Ermanbrand. Warum willst du mich nicht unter deinen Leuten haben?« Ich packte den stämmigen Hauptmann, den ich um einen ganzen Kopf überragte, unter den Achseln und hob ihn empor. Jetzt schauten wir uns genau in die Augen. Ermanbrands Hand zuckte zum Schwert, doch er konnte es nicht erreichen. »Wir haben genug Leute«, stieß er hervor. Er strampelte, um mich zu treten, schaffte es aber nicht, weil er zu dicht bei mir war. Hart stellte ich ihn auf die Füße. Der Hauptmann taumelte zurück und prallte gegen die Mauer, daß sein Brustpanzer schepperte. Ein paar Söldner, die vor ihrem Quartier auf einer Bank saßen oder als kleine Gruppe ein Stück entfernt standen, wurden aufmerksam. Ermanbrand zog sein Schwert. Aber ich packte sein Handgelenk und drückte es mit solcher Kraft zusammen, daß er es fallen ließ. Der Hauptmann ächzte. Ulfila mischte sich ein. »Laß Markus ein paar Proben von seinem Können ablegen«, schlug er vor. »Sonst melde ich dem König, daß du einen erstklassigen Bewerber für seine Leibgarde ohne triftigen Grund abwiesest. Doch zuvor soll sich Markus bekleiden.« Der Königliche Rat schaute mich wohlwollend an. Er betrachtete mich als seinen persönlichen Schützling, und es bereitete ihm Freude, mich zu fördern. Ich hatte Glück gehabt, daß er vorbeikam, als ich mitten auf dem Xantener Markt in den Töpfen des Händlers landete. Sonst wäre alles viel schwieriger geworden. Ermanbrand murrte und knurrte. Dann wies er den Rüstmeister an, mir ein Gewand und Waffen zu geben. »Wenn es denn sein muß, bei Thors Hammer.« Mit der Heiligen Maria oder christlichen Heiligen hatte es Ermanbrand nicht. »Dann führt ihn auf den Übungsplatz. - Freundchen, dann will ich sehen, wie gut du im Schwertfechten bist. Deine Gedärme sollen das Licht der Sonne erblicken«, schloß er blutdürstig. 33
»Du sprichst große Worte für einen alten Mann, dessen beste Waffentage schon lange vorbei sind«, gab ich ihm gleich eins drauf. Dann erkundigte ich mich: »Von Siegfried müßt ihr allerlei gewaltige Taten gewöhnt sein.« »Meinst du den Königssohn?« fragte ein hinzugetretener Söldner. »Der ist nur ein Held bei den Weibern. Bei ihnen steht er seinen Mann. Ja, so ist es. Er sieht dir sogar ähnlich. - Teufel! Als ich dich zuerst erblickte, dachte ich, daß es Siegfried ist. Stark ist er, doch leider sehr schreckhaft.« Ich glaubte, nicht recht zu hören. »Du scherzt, Söldner.« »Warum sollte ich? Bei den Gelagen und in den Betten ist Siegfried der erste. Kein Weiberrock ist vor ihm sicher. Doch bei den Tjosten, den Turnieren, hält er sich sehr zurück. Mit Vorliebe wählt er schwächere Gegner, von denen er weiß, daß sie ihm nicht gefährlich werden können. Stärkeren schlägt er vor dem Kampf ein Geschäft vor, wird gemunkelt.« Mir grauste es. Das war mir vielleicht ein Held! Da mußte ich mich fragen, wie man die Drachentöterlegende vollenden sollte. Mir blieb keine Zeit nachzudenken. Der Rüstmeister gab mir in der muffigen Kammer alles, was ich brauchte. Es war nicht mal ein besonderes Problem, eine Rüstung und Kleidungsstücke in meiner Größe zu finden. Von den germanischen Söldnern waren manche baumlang, im Gegensatz zu den kleinen Südländern. Mit meinen Einsneunzig und den blonden Haaren paßte ich durchaus ins Bild. Waffenklirrend stapfte ich nun hinaus. Als erstes ging es ums Speerwerfen. Ich traf auf hundert Meter ins Schwarze der Zielscheibe, schleuderte dann einen zweieinhalb Zentner schweren Stein fünfzehn Meter weit und bewältigte im Weitsprung in meiner Rüstung beinahe acht Meter. Die Zuschauer gerieten in Verzückung. Ulfila fiel fast vom Pferd, als er sich vorbeugte, um meine Leistungen besser verfolgen zu können. Ich staunte selber. Zwar war ich recht stark, auch in meiner Zeit, und ein durchtrainierter Sportler und Zehnkämpfer. Doch solche Kräfte hatte ich normalerweise nicht aufzubieten. Irgend etwas mußte geschehen sein. Der magische Ring verlieh mir wohl diese ungewöhnliche Kraft. Die Zuschauer klatschten. Links schauten Damen des Hofs aus den Fenstern ihrer Kemenate im ersten Stock oder standen auf dem Balkon. Fackelschein erleuchtete die Szene. Nach höfischer Sitte verbeugte ich mich höflich vor den Zuschauerinnen. Dann sollte der Schwertkampf mit Ermanbrand beginnen. Doch der Hauptmann der Leibwache machte einen Rückzieher. Er rieb sich die rechte Schulter. »Meine alte Wunde vom Kampf gegen die Markomannen ist aufgebrochen. Wir müssen den Kampf auf ein anderes Mal verschieben.« 34
Ermanbrand hatte Angst, ich würde ihn glatt in Stücke hauen, doch ich gab mich als fairer Kämpfer. »Pfleg deine Wunde, Hauptmann, dann sehen wir weiter. Es bringt keinen Ruhm, einen Versehrten zu besiegen.« Eine Rüstung stand am Rand des Übungsplatzes der Söldner hinter den Schloßgebäuden. Ein größeres Übungsfeld befand sich außerhalb des Schlosses. Ich wirbelte herum, schlug mit aller Kraft zu und haute die Rüstung mittendurch. Es gab ein metallisches Krachen. Die Rüstung fiel auseinander. Hätte ein Kämpfer darin gesteckt, wäre er von mir genauso zerteilt worden. Die Zuschauer schrien überrascht auf. Beifall erklang. Verächtlich warf ich das Schwert weg, das ein paar tiefe Kerben aufwies. »Ein schlechter Stahl«, sagte ich. »Habt ihr denn keinen Besseren? Jetzt will ich essen und trinken. - Daß ich zur Garde gehöre, ist ja wohl klar, oder?« Ermanbrand nickte und hielt sich die rechte Schulter, die gewiß keinerlei Versehrtheit aufwies. Der Hauptmann wußte einen Gegner wohl einzuschätzen und wollte sich mit mir nicht anlegen. Ich schaute noch mal zu den Damen des Hofs, die offen ihre Bewunderung zeigten, und kehrte dann ins Quartier zurück. Die Damenwelt reizte mich. In meiner Zeit war ich meiner Tessa treu toitoitoi. Doch bei den Ausflügen in die Vergangenheit konnte und wollte ich nicht abseits stehen und den Keuschen spielen. Das machte mich unglaubwürdig. 428 n. Chr. hatte es Tessa Hayden noch gar nicht gegeben, diese Tatsache würde mein schlechtes Gewissen sicherlich im Ernstfall wieder etwas beruhigen. Es galt aber in erster Linie, Fafnir zu finden und umzubringen. Fafnir, den Höllendrachen, mit dem mich Mephisto im Jahr 1998 umbringen wollte. Wenn ich Fafnir in der Vergangenheit tötete, konnte Mephisto ihn 1998 nicht mehr benutzen, rechnete ich mir aus. Allerdings ahnte ich nicht, was wirklich auf mich zukam. Mit Siegfried fing es schon an, der nicht der Held war, als den ihn das Nibelungenlied schilderte… * Am dritten Tag meines Xanten-Aufenthaltes taumelte mir der volltrunkene Siegfried auf dem Turnierplatz entgegen. Er hielt einen Trinkbecher in der Hand. Zwei bildschöne Mädchen hatte er bei sich, eine pechschwarze Nubierin und eine blonde Nordländerin, beides Leibeigene. »Markus, von dir habe ich viel gehört!« rief der hochgewachsene, blonde Königssohn. »Wir sehen uns tatsächlich ähnlich. Wir müssen uns unbedingt 35
näher kennenlernen.« Ich war mit Schwertfechten beschäftigt gewesen. Mein Ring prickelte. Fünf Gegner hatte ich nacheinander verschlissen. Obwohl es kühl war, stand ich mit nacktem Oberkörper da, von dem der Schweiß troff. Siegfrieds Maiden schauten mich bewundernd an. Die Nubierin, die kaum den germanischen Dialekt konnte, der hier gesprochen wurde, kicherte. Sie tuschelte Siegfried etwas ins Ohr. Breit grinsend sagte er: »Xenia fragt, ob du im Bett auch ein solcher Held bist wie auf dem Turnierfeld.« »Das kann man leicht feststellen«, antwortete ich. Ich war in einem Machozeitalter gelandet. Die Frauen hatten, außer ganz wenigen Hochgestellten, nach außen hin nichts zu bestimmen. Die Männer trafen die Entscheidungen, die Frauen hatten sie zu befolgen. Sie waren für den Haushalt und die Familie zuständig. Für untreue Frauen, die sich erwischen ließen, gab es drakonische Strafen, während sich die Männer so ziemlich alles erlauben konnten. Doch weibliche List sowie weibliche Tugenden, genauso wie die Untugenden, beeinflußten das Geschehen nicht zu knapp. Mancher Mann wurde gelenkt, auch der Mächtigste, und nicht umsonst sollte Kriemhilds Rachewahn das gesamte Herrschergeschlecht der Burgunder in den Tod reißen. Etzel war übrigens ein anderer Name für Attila, den König der nach Europa eingebrochenen mongolischen Hunnen, die die Völkerwanderung ausgelöst hatten. Zu der Zeit, in der ich jetzt lebte - 428 n. Chr. - mußte der große Attila, die furchtbare Geißel Gottes, wie ihn seine Zeitgenossen nannten, noch ein fünfzehnjähriger Junge sein. Sohn eines Hunnenführers, der sich mit seinem Bruder Bleda zusammen die ersten Sporen als Mann und als Kämpfer erwarb. Seine Werbung um Kriemhild, der Untergang der Burgunder an seinem Hof in Feuer und Blut, das alles stand noch bevor. Kriemhild war, dachte ich mir, sechzehn oder siebzehn, Siegfried gerade mal zwanzig Jahre alt. In jener Zeit betrug die durchschnittliche Lebenserwartung fünfundvierzig Jahre. Kriemhild würde Mitte Zwanzig sein, wenn Attila dann um sie warb. In meinem Kopf formte sich die Vorstellung, daß ich einiges dazu beitragen würde, das Nibelungenlied oder die Siegfriedsage zu vollenden. So wie Siegfried vor mir stand, in ein weichliches Purpurgewand gekleidet, regelrecht herausgeputzt wie ein Geck, war er nicht der Mann, die ihm zugeschriebenen Heldentaten zu vollbringen. Wo steuerst du da wieder hinein, Mark Hellmann? fragte ich mich. Zurück konnte ich nicht mehr. Ich war in diese Zeit gesprungen, weil mich der Drache Fafnir sonst geröstet hätte. Wenn ich wieder zurückkehrte, Gott 36
allein wußte, nach welcher Zeitspanne hier, mußte manches geschehen sein. Sonst würde ich in einer Feuerlohe landen und Mephisto für immer den Sieg davontragen. »Trink einen Schluck Wein«, sagte Siegfried, reichte mir seinen Becher und legte den Arm um mich. »Folge mir ins Schloß. Wir wollen Gefährten sein.« Ich befolgte seinen Wunsch. Wir hatten die gleiche Größe, und Siegfried war trotz seines leichtfertigen Lebenswandels durchaus muskulös. Er hatte von Natur aus eine athletische Figur mitbekommen, gelegentlich trainierte er auch oder übte sich mit den Waffen. Er hatte wie ich blonde Haare. Im Gesicht unterschieden wir uns kaum. Wir hätten Brüder sein können. Im Schloß zog ich mich um und legte kostbare höfische Gewänder an. Siegfried stellte mich König Siegmund vor, seinem Vater, und seiner Mutter Sieglind. Sieglind war eine sanfte, dunkelblonde Frau mittleren Alters. Ich traf sie in ihrer Kemenate, wo sie von ihren Dienerinnen umgeben war und stickte. Sie lächelte höflich, als ich mich verbeugte und den Ring an ihrer Hand küßte. König Siegmund war viel zu alt für sie und schon ein Greis. Er hatte schlohweiße Haare, seine Hände zitterten. Er saß mit Ulfila und anderen Ratgebern zusammen. Sie wälzten irgendwelche Probleme, von denen es viele gab. Die ganze Welt war im Umbruch begriffen. Westrom ging unter. Lange schon saßen teils germanische Herrscher auf dem römischen Thron. Die Hunnen drohten und drückten, die Völkerstämme waren in Bewegung geraten. Die Goten, zum Beispiel, die ursprünglich am Schwarzen Meer saßen und dann über Skandinavien nach Mitteleuropa und Italien zogen und sich verteilten, gründeten sogar in Afrika ein Reich. Es war ein Mahlstrom, der die Menschen gnadenlos einsog. Siegfried holte mich also aus dem Trott bei der Garde heraus. Wir zechten miteinander. Am ersten Tag schon, als ich von Siegfried in den Palast geholt wurde, landete ich in der Badestube. Zwei Bademägde erschienen, bildschöne, junge Weiber, schwarzhaarig die eine, die andere strohblond. Sie schrubbten mich ab und kicherten und juchzten, als dies eine Wirkung zeigte, die mit der Reinigung nicht unbedingt etwas zu schaffen hatte. Die Bademägde waren kaum bekleidet. Kurz entschlossen streiften sie sich das Wenige ab, was sie am Leib trugen, und stiegen zu mir in den Zuber! Das Wasser schwappte, die Mägde hatten ihren Spaß und - stöhnten. Von da an beschloß ich, jeden Tag ein Bad zu nehmen, und es dauerte lange, bis ich die Badestube verließ. In der Folgezeit mußte ich feststellen, daß die Hoffräulein, Bürgersfrauen und -töchter, aber auch die Sklavinnen 37
sehr an mir interessiert waren. In meiner Zeit hatte ich mich zurückgehalten, gegenüber dem, was hier los und üblich war. Jetzt, im Jahr 428 n. Chr. lebte man sich aus! Da hatte keiner psychische oder körperliche Störungen, weil er seine Sexualität ignorierte oder unterdrückte. Hier schienen alle gesund und quicklebendig. Manchmal wachte ich nach einem Gelage auf, griff neben mich, tastete rechts und links Frauenkörper und mußte mich erst einmal besinnen, was geschehen war. Einmal stellten Siegfried und ich zwei Bürgerfräulein in Xanten nach, die sich höchst sittsam gaben. Bei einem Kirchgang hatten wir uns mit ihnen verabredet. In der Nacht klommen wir dann die Hausfassade hoch. Die »sittsamen« Mädchen warteten schon, fielen regelrecht über uns her und wollten Partnertausch und andere Variationen. Drei volle Tage und Nächte widmeten wir ihnen… Siegfried ging .ganz in diesem Lebensstil auf. Bei der Jagd war er mutig und unermüdlich. Er griff den Braunbären allein mit dem Spieß an, erledigte den wilden Eber und tötete Hirsche, die würzige Leckerbissen für die königliche Tafel abgaben. Jung-Siegfried hatte keinerlei Ehrgeiz, außer dem, bei den Damen hochbegehrt und der Hahn im Korb zu sein. Eines Tages, es war schon Winter, fragte ich ihn nach einem Gastmahl. Der Lautenspieler klimperte noch vor sich hin und sang von den sittsamen, schönen Damen, der Manneszucht und der Treue, den hohen sittlichen Werten, um die sich, soweit ich es am Xantener Hof kennengelernt hatte, überhaupt kein Schwein scherte. Siegfried hatte die Augen halb geschlossen, nagte an einer Bärenkeule und wischte die fettigen Finger mitunter im langen Haar einer Sklavin ab. Die abgenagten Knochen warf er jeweils hinter sich, wo sich die Hunde, die im Saal schon darauf lauerten, balgten. »Lebensart habt Ihr, Herr Siegfried«, sagte ich, und er merkte nicht einmal den Spott. »Das ist wahr«, antwortete er. Siegfried war höfisch und fein angezogen wie ich, wenn er auch Weinflecken am Gewand hatte. Nur noch wenige Feiernde waren da. Das Königspaar hatte sich längst zurückgezogen. Es war schon nach Mitternacht. »Gelüstet es dich denn nicht nach Heldentaten?« fragte ich Siegfried. »Wird Xanten denn für deinen jungen Sinn nicht zu eng? Zieht es dich nicht in die Welt hinaus?« »Hä?« fragte Siegfried und rülpste. Am liebsten hätte ich ihn gepackt und geschüttelt. Statt dessen erzählte ich ihm von dem Ruhm, den sich ein junger Ritter erwerben konnte, von 38
Drachen, dem Nibelungenschatz im Sachsenwald und Abenteuern, die es zu bestehen galt. Siegfried gähnte. Daraufhin wechselte ich das Thema und berichtete von den wunderschönen Frauen anderswo, die viel reizvoller seien als jene im Reich von König Siegmund. Besonders Ute, die Schwester „des Burgunderkönigs Gunter in Worms, erwähnte ich. Ihre Reize zu beschreiben, strengte ich mich gewaltig an. »Ihr Blick ist ein einziger Liebreiz, ihre Stimme lieblicher als der Sang der Nachtigall. Ihre Brüste sind wie zarte Granatäpfel…« »Woher weißt du das, Markus? Hast du schon einmal mit ihr geschlafen?« fragte Siegfried. Banause! schoß es mir durch den Kopf. »Natürlich nicht, denn sie ist eine liebliche Jungfrau, und…« »Jungfrauen interessieren mich nicht. Mit ihnen ist es mir viel zu mühsam.« Idiot! dachte ich. »… eine liebliche Jungfrau, die zudem eine stattliche Mitgift in die Ehe einbringt. Wer weiß, vielleicht könnte man das Reich König Siegmunds und das der Burgunder miteinander vereinen.« »Wozu denn, ich habe mein Auskommen?« murmelte Siegfried und schlief schon halb. »Was soll dieser schnöde Ehrgeiz? Ich erbe einmal das Reich meines Vaters. Frauen habe ich hier in Hülle und Fülle. Warum soll ich die Bequemlichkeit des Palasts aufgeben, außer mal für die Jagd, und unter freiem Himmel schlafen? Womöglich noch bei Eis und Schnee, wo ich mich doch so leicht erkälte und von Kind auf Bronchitis habe? Mich mit irgendwelchen Wilden herumschlagen, mit ruhmsüchtigen Recken mir Turniere liefern, daß ich Wunden und Beulen davontrage? Ich bin doch nicht lebensmüde! Und was du neulich mal sagtest, das mit diesem Drachen, Fafnir oder so ähnlich…« »Fafnir. Er bewacht einen Hort und hat eine Jungfrau als Sklavin in seiner Gewalt.« »Die soll er beide behalten. Wie komme ich denn dazu, mir von so einem Ungeheuer mit seinem Feueratem den Hintern versengen zu lassen? Dafür kannst du dir einen anderen suchen. Nein, Markus, ich bleibe schön hier in meinem warmen, behaglichen Palast und in Xanten. Mich zieht es nicht in die weite Welt. Bleibe im Lande und nähre dich redlich, sagt das Sprichwort. Und: Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um.« Das war ein »Held«! Versoffen, verfressen, träge, ständig hinter den Weibern her, lethargisch und ohne Ehrgeiz. So einer hatte die Vorlage für eine der strahlendsten Heldengestalten der Literatur und für ein Idol der Männlichkeit abgegeben. Es war eine Schande. 39
Meine Adoptivmutter Lydia hatte mit ihren achtundsechzig Jahren mehr Mumm in den Knochen als dieser Siegfried. »Die Hunnen drohen«, warnte ich. »Wenn du dich mit den Burgundern vereinst, seid ihr stark genug, sie zu schlagen.« »Mit denen - sollen sich andere herumhauen. Irgendwer - wird sie schon massakrieren.« Jede Pause bedeutete einen gewaltigen Gähner. Dann schnarchte er laut, der »Held« Siegfried war eingeschlafen. Die Sklavin schlich von ihm, um sich das fettige Haar zu waschen. Seufzend schaute ich auf Siegfried von Xanten nieder. Wie sollte ich den bloß in die Gänge bringen, Fafnir töten und manches andere erreichen, von dem ich bereits ahnte, daß es auf mich zukam? * Es war keine Lösung zu finden. Bis das Frühjahr dieselbe brachte. Der König des Nachbarlandes, ein gewisser Alarich, nicht zu verwechseln mit dem großen Gotenkönig, schickte eine Gesandtschaft. König Siegmund empfing sie im Thronsaal. Die Gesandten baten um eine vertrauliche Unterredung im kleineren Kreis, bei der der König, die Königin, Siegfried, sein jüngerer Bruder Wittiches sowie Ulfila, inzwischen Kanzler geworden, und ich anwesend waren. Dank meiner engen Freundschaft mit Siegfried war ich am Xantener Hof bekannt wie ein bunter Hund. »Dein Sohn Siegfried hat bei seinem Neujahrsbesuch am Hof König Alarichs dessen Tochter Gudrun geschwängert«, sagte der Sprecher der drei Gesandten. »Mein Herr verlangt, daß er sie unverzüglich heiratet, ansonsten er dir den Krieg erklärt, König Siegmund.« Siegmund erbleichte. Alarich hatte ein viel größeres und stärkeres Heer als er. »Wie verhält sich das, Siegfried?« fragte er streng seinen mißratenen Sohn. Siegfried druckste herum. »Nun ja, ich weiß nicht…« Die Gesandten aus dem Nachbarreich zeigten ein Ölbild, auf dem jene Gudrun mit einem Falken auf der Hand abgebildet war. Der frühmittelalterliche Maler hatte ihr geschmeichelt, was jedoch keine Schönheit hervorbrachte. Gudrun hatte eine große Nase und schien mir recht korpulent zu sein. Sie schaute merkwürdig drein. »Ihr Blick verwirrt jeden, den sie anschaut«, bemerkte galant der Gesandte vom Hof ihres Vaters. 40
»Sie schielt so gewaltig, daß sie den Kopf zur Tür wenden muß, wenn sie das Fenster dort weiter rechts sehen will«, flüsterte Siegfried mir ins Ohr. »Sie hat eine Warze auf der Nase, die hier nicht abgebildet ist, und Haare auf den Zähnen. Ihre Stimme ist wie ein Reibeisen. Mit ihrem Korsett könnte man leicht ein Pferd umspannen.« »Pfui, das ist aber ungalant, Siegfried! Weshalb hast du ihr denn beigewohnt, wenn es sich so verhält?« »Ich war stockbesoffen«, tuschelte mir Siegfried ins Ohr. »Was soll ich denn machen? Wenn ich sie heiraten muß, und ich muß es wohl, sonst brennt ihr Vater hier alles nieder und bringt uns allesamt um, werde ich meines Lebens nie wieder froh. - Weißt du denn keinen Ausweg? Lieber würde ich noch mit dem Drachen Fafnir kämpfen, als das Ehebett und mein Leben mit Gudrun zu teilen.« »Das«, sagte ich, »kannst du haben.« Ich sprach leise, so daß nur Siegfried mich verstand. Die Gesandten debattierten mit Siegfrieds Vater und Ulfila. »Wir müssen schlau sein. Wir spielen auf Zeit. Du mußt einfach für eine Weile von der Bildfläche verschwinden. Wenn du ein großer Held bist, vielleicht noch die Burgunder als Bündnisgenossen hast, wird Alarich es sich überlegen, sich mit euch anzubinden.« »Das ist wahr, Markus. Aber wie schaffen wir es, uns davonzustehlen?« »Überlaß das mir.« Ich kehrte zu dem Herrscherpaar von Xanten, Ulfila und den drei Gesandten zurück. Zunächst lobte ich die Schönheit und den Liebreiz der Prinzessin Gudrun in den höchsten Tönen. Keiner verzog eine Miene, obwohl alle das Gegenteil wußten. Es entsprach der höfischen Sitte, wenn sie hochgestellt waren, selbst die häßlichsten Frauen noch holde und minnigliche Maid zu nennen. »Es kann alles für die Hochzeit ausgerichtet werden«, sagte ich, womit ich mir viel herausnahm. »Doch Herr Siegfried möchte sich noch ein wenig zerstreuen und mit mir zur Jagd gehen. Die Aussicht, Vater zu werden, hat ihm einen gehörigen Schock versetzt. Er muß sich erst mit diesem Gedanken anfreunden.« Die Mienen der Gesandten des Nachbarreichs hellten sich auf. Die Leute hatten schon Angst gehabt, eine harsche Abfuhr zu erleiden und damit vor ihren Herrscher hintreten zu müssen. Mit den Überbringern von Unglücksbotschaften verfuhr man zu dieser Zeit nicht gerade glimpflich. Oft wurden sie einen Kopf kürzer gemacht, obwohl sie ja nur die Botschaft brachten und an der Entwicklung überhaupt nicht schuld waren. Oder man band sie an die Schweife von vier Pferden, die dann mit Peitschen in unterschiedliche Richtungen getrieben wurden - und die Delinquenten zerrissen. 41
Die Gesandten bedankten sich höflich und wollten am nächsten Tag abreisen, um ihrem Herrn die Botschaft zu überbringen. Als sie hinausgingen, hörte ich einen zu seinen Gefährten sagen: »Jetzt kommt die häßliche Gudrun doch noch unter die Haube und macht sogar eine gute Partie. Es hat sich ausgezahlt, daß sie Siegfried bei dem Gastmahl betrunken machten und Gudrun zu ihm ins Bett kroch, nachdem ihre Magd ihn auf Touren gebracht hatte.« Ich hörte wie ein Luchs. Der Gesandte hatte nicht geglaubt, daß ich ihn verstehen könnte. Es hatte sich also um eine Intrige gehandelt, was mein schlechtes Gewissen jener Gudrun gegenüber beschwichtigte. Auch Siegfried atmete auf, als ich ihm erzählte, was ich gehört hatte. »Ich wunderte mich schon die ganze Zeit, daß ich neben Gudrun von Mari im Bett erwachte«, sagte er. »So ist es also geschehen. Die Marier werden sich einen anderen Vater für Gudruns Kind suchen müssen!« Nachdem die Gesandten gegangen waren, bestellte der greise Siegmund seinen ältesten Sohn Siegfried zu einem Gespräch unter vier Augen in sein Gemach. Mit erhobenem Zeigefinger las er ihm dort die Leviten. »Siegfried, du bist ein Taugenichts und ein Schandfleck für dein Geschlecht. Faul, verweichlicht, nichtsnutzig, nur auf dein Vergnügen aus. Du bist ein Weiberheld und ein Schlemmer. Von dir wird man, wenn überhaupt, noch in den fernsten Zeiten nur als einem abschreckenden Beispiel von Mannesuntugenden sprechen. Mir tun die Augen weh, wenn ich dich sehe. Befreie mich bitte eine Weile von deinem Anblick.« Siegfried senkte unter der väterlichen Standpauke den Kopf. Es wurmte ihn doch, was er sich anhören mußte. Ich sollte etwas Besonderes tun, dachte er. Vielleicht einen Drachen töten. »Laß mich zur Jagd, Vater!« bat er. »Und richte die Hochzeit aus.« »Ja, jage nur, du mißratener Sohn. Geh in den Wald und bleibe dort. Wenn es Zeit ist zur Hochzeit, dann komme wieder, und wenn du mit Gudrun verheiratet bist, ziehe am besten nach Mari.« Siegfried marschierte geknickt hinaus. Mein Vater gönnt mir auch gar nichts, dachte er. Mich dünkt, er hätte sich einen Helden als Sohn gewünscht. Aber das Leben von Helden ist hart und mühsam, meist währt es nicht lange. Wir weihten Ulfila, den Kanzler, in unsere Pläne ein und verließen Xanten bereits am nächsten Tag. Ulfila sollte König Siegmund schonend beibringen, wie es bei Gudruns »Bräutigamswerbung« zugegangen war, und daß Siegfried sie auf gar keinen Fall zu ehelichen gedachte. Gudruns Vater, König Wigraf, würde toben und Schaum vor dem Mund haben, wenn er davon erfuhr. Aber Siegfried war weg, und wozu sollte Wigraf einen verheerenden Krieg führen, wenn ihm das den Bräutigam 42
doch nicht herbeibrachte? Nach einigem Toben und Zornreaktionen würde er einen anderen Bräutigam für seine Tochter suchen, zumal der Termin ihrer Niederkunft in greifbare Nähe gerückt war. Wigraf würde irgendeinen Grafen als Schwiegersohn nehmen oder notfalls auch jemanden zum Ritter schlagen, damit Gudrun unter die Haube gebracht war und das Kind ehelich geboren wurde. Seinen Nachbarn König Siegmund würde er wohl nur mit Verachtung strafen, was sich aushalten ließ. »Du wirst sehen, Siegfried, wenn du nach Jahresfrist nach Xanten zurückkehrst, werden sich alle Probleme erledigt haben«, tröstete ich ihn, als wir durch einen Eichenwald in den Niederungen des Rheintals ritten. »Vorher können wir noch ein paar schöne Abenteuer erleben.« »Du spinnst wohl, Markus«, beklagte sich Siegfried bitter. »Mir reicht es jetzt schon. Ich habe die Nase gestrichen voll von den Abenteuern. Ich will zurück in meinen Palast, in mein warmes und weiches Bett, in das ich mir jede Menge Konkubinen holen kann. Vorhin, als wir zu Pferd den Rhein durchschwammen, bin ich fast ertrunken. Hier zerstechen mich die Schnaken. Es ist grauenvoll. - Huch, Markus, ich habe Angst. Mama, hilf mir!« Ein Käuzchen hatte geschrien. Hilf Himmel! dachte ich, obwohl ich im Sozialismus aufgewachsen war. Die schwerste Aufgabe meines Lebens stand mir bevor. Ich mußte den Drachen allein töten, das sah ich jetzt schon auf mich zukommen. Mit Siegfried von Xanten war nämlich kein Pfifferling zu gewinnen. Der machte sich bestimmt in die Hose, wenn Fafnir ihn anbrüllte. Und mir schwante bereits, daß ich das gesamte Nibelungenlied, jedenfalls die Siegfriedsage, auf die Reihe bringen und die Heldenrolle übernehmen mußte, sonst blieb jenes Epos nämlich ungesungen. Alle Anzeichen deuteten darauf hin. Im Lauf der Jahrhunderte verwischte sich manches. Der Ruhm und der siegreiche Name würden sich an Siegfried knüpfen, zumal ich nachhelfen wollte. Von einem Hellmann-Lied war mir jedenfalls nichts bekannt. »Siegfried«, sagte ich zu meinem Begleiter, »du bist ein erbärmlicher Feigling.« »Besser fünf Minuten feige, als ein Leben lang tot«, entgegnete er ruhig. * Gegenwart: »Mark Hellmann ist spurlos verschwunden«, teilte Pit Langenbach Tessa 43
Hayden die Hiobsbotschaft mit. »Dein Motorrad haben wir beschädigt im Wald gefunden. Mark war in Vollersroda. Fafnir hat ihn verfolgt.« »Ist Mark tot?« fragte die bildhübsche Fahnderin sorgenvoll auf der Weimarer Polizeidirektion, die wir gelegentlich hochtrabend als Präsidium bezeichneten. Das war natürlich nicht korrekt, denn das für Weimar zuständige Präsidium befindet sich in Erfurt. »Tot oder in die Vergangenheit abgereist«, antwortete der baumlange Hauptkommissar. »Es ist viel passiert seit dem vorigen Abend.« Jetzt war es acht Uhr früh. Langenbach war in der Nacht keine Minute zum Schlafen gekommen. »Der Teufel ist los in Weimar! Erst Mephistos und Fafnirs Auftritt beim Nationaltheater…« »Apropos«, unterbrach ihn Tessa im Großraumbüro der Weimarer Kripo. »Wie steht es mit den zwei Brandverletzten?« »Keine Lebensgefahr«, teilte ihr Langenbach mit. »Sie müssen aber mit Hauttransplantationen und einer langwierigen Behandlung rechnen. Der Schäfer Wiczew… Wiczin… der Schäfer also ist nicht so glimpflich davongekommen. Er ist seinen Verletzungen erlegen. Später in der Nacht hat Fafnir sämtliche Schafe in jenem Pferch bei Vollersroda geröstet und nachher noch die Feuerwehrautos auf der Bundesstraße angegriffen. Dabei hat es Sachschaden und zwei leichtverletzte Feuerwehrleute gegeben.« »Entsetzlich«, sagte Tessa. »Was wird noch alles kommen? Wo Mark nur sein mag?« Langenbach krauste die Stirn und zündete sich eins seiner berüchtigten Zigarillos an. Tessa rümpfte die Nase, obwohl sie wahrhaftig andere Sorgen hatte. »Wenn er nicht tot ist, befindet er sich in der Zeit, aus der Fafnir stammt«, sagte er. »Nämlich der Siegfriedsage. Um die tausendfünfhundert Jahre zurück in die Vergangenheit.« Der Kripohauptkommissar wußte es nicht besser. Er war Kriminalist, kein Historiker. »Wir haben die Presse gebeten, sich zurückzuhalten, damit keine Massenpanik erzeugt wird«, fuhr Langenbach fort. »Wegen Fafnirs Auftauchen gestern vor dem Nationaltheater gaben wir eine Massenhalluzination an. Die Brandopfer wurden als Verletzte deklariert, ohne näher auf die Einzelheiten ihrer Verletzungen einzugehen. Als Ursache für den Tod des Schäfers und seiner Schafe haben wir einen Brand verantwortlich gemacht. Wegen der Feuerwehrautos hieß es lapidar, daß es einen Unfall gegeben hätte. Die 'Weimarer Rundschau' und die anderen Regionalblätter sind auf diese Version eingegangen. Schließlich wollen wir nicht, daß hier Fernsehteams Schlange stehen und unser schönes Weimar in Verruf gerät.« 44
»Das walte Mark Hellmann«, sprach Tessa. »Sonst heißt es am Ende noch die Stadt Mephistos und Fafnirs statt die Goethes und Schillers. Die Einheimischen sind allerdings stark beunruhigt. Zahlreiche Kulturtouristen wurden Zeugen des Drachenangriffs.« »Stimmt, ganz können wir die Sache nicht unter den Teppich kehren und wollen es auch gar nicht. Doch wie es mit Spuk, zum Beispiel dem Ungeheuer von Loch Ness und anderen übernatürlichen Ereignissen ist, die natürliche, voreingenommene Skepsis der Menschen schiebt der Sensationsmache einen Riegel vor. Die Medien gehen vorsichtig an solche Fälle heran. Das ist unser Vorteil. Wir brauchen also nicht mit einer Reporterschwemme in Sachen Drachen- und Teufelsspuk in Weimar zu rechnen.« »Das wäre meine geringste Sorge«, sprach Tessa. »Wenn nur Mark nichts passiert ist. Mephisto hatte es hauptsächlich auf ihn abgesehen.« »Kann sein«, sagte der Hauptkommissar. »Es wird alles davon abhängen, wie sich Mark in der Vergangenheit schlägt. Teufel…« »Nenne den lieber nicht«, unterbrach Tessa ihn. »Er wird, wenn er in jener Zeit ist, Siegfried kennenlernen, Gunter und Hagen von Tronje, Kriemhild, den Hunnenkönig Attila oder Etzel und all die anderen. Ich glaube fast, Mark wird es in jener Zeit gefallen.« »Hoffentlich sehe ich ihn jemals wieder«, schluchzte die schlanke Fahnderin im dunkelblauen Wollkleid. »Ob er in der Vergangenheit wohl andere Frauen kennenlernt?« »Mark ist dir doch in der Gegenwart treu - oder? Was schert dich das, was vor tausend Jahren geschah?« »Ja, aber es ist doch Mark, mein Mark, mein Mark aus der Gegenwart.« »Frag ihn oder folge ihm in die Vergangenheit. Mich laß damit in Ruhe. Bei Verheirateten würde ich es so sehen: Wegen Ehebruchs vor tausend Jahren wird kaum jemand zu belangen sein.« »Würdest du deine Frau betrügen, wenn du in die Vergangenheit reisen könntest und dort eine verführerische Frau kennenlernen würdest, Pit?« »Also weißt du, in die Verlegenheit bin ich noch nie gekommen. Mir ist das zu kompliziert. Bleiben wir lieber in der Gegenwart und kümmern uns da um unsere Probleme. Um Fafnir, die Siegfriedsage und alles andere mag Mark sich bemühen.« Langenbach blies nachdenklich eine Rauchwolke in die Luft. Er saß auf der Kante eines Schreibtischs in einer Ecke des Großraumbüros, wo er mit Tessa ungestört reden konnte. Kollegen arbeiteten angestrengt an den anderen Schreibtischen, wühlten Akten durch, telefonierten oder pflügten durch Computerprogramme . »Es muß ein tolles Erlebnis sein, Siegfried, diesen großen Helden, 45
persönlich kennenzulernen«, schwärmte Pit Langenbach. »Er ist eine überlebensgroße Figur, ein Mann ohne Furcht und Tadel. Was würde ich darum geben, ihm einmal gegenübertreten zu dürfen.« Vergangenheit: »Was?« rief der große Held, der Mann ohne Furcht und Tadel. »Du willst einen Drachen töten? Fafnir im Sachsenwald, vor dem alle zittern? - Hilfe, nein, niemals kriegst du mich dazu, daß ich mit dir dorthin gehe. Ich will wieder nach Hause.« Wir saßen mitten im Wald am Lagerfeuer und labten uns an einer Wildschweinkeule. Siegfried hatte das Wildschwein vom Sattel aus mit dem Speer erlegt. Dafür war er immerhin zu gebrauchen. Beim Holzsammeln und dem Zubereiten des Bratens war er allerdings stinkfaul gewesen. »Siegfried, du mußt dir Ruhm erwerben«, redete ich ihm zu wie einem kranken Gaul. »Wie soll es denn sonst mit dir weitergehen? König Alarich muß dich als den Held aller Helden fürchten, damit er es niemals wagt, deinem Vater und dir den Krieg zu erklären.« »Aber ich will gar kein Held sein!« »Siegfried«, sprach ich ein Machtwort, »Hör sofort auf mit dem Gejammer, oder ich bringe dich auf der Stelle nach Xanten zurück. Dann mußt du Gudrun von Mari heiraten. Denk einmal darüber nach, was für ein Leben du als der Ehemann hättest. Vorbei ist es mit der Lebensfreude. Aus mit dem lustigen Treiben. Du wirst deine ganze Kraft benötigen, um es mit der häßlichen Gudrun wenigstens einmal im Monat trei…« »Aus, aus, aus!« unterbrach er mich. »Ich habe schon verstanden. Da ist der Drache vielleicht doch besser. Gudrun ist ein schlimmerer Drache als Fafnir. Aber muß denn unbedingt ich gegen ihn kämpfen? Du bist groß und stark, Markus, mit den Waffen geübt. Kannst du den Fafnir bekämpfen und dann sagen, ich sei es gewesen?« »Siegfried, das wäre ein Schwindel. Kannst du dich denn nicht zusammenreißen? Vielleicht kommst du auf den Geschmack und wirst doch noch ein Held, wenn du erst einmal dem Fafnir den Garaus gemacht hast.« »Hm.« Lustlos kaute Siegfried in seinem grünen Reisegewand an der Wildschweinkeule. Der saftige Braten schmeckte ihm plötzlich nicht mehr. »Wenn es unbedingt sein muß…« Er war nicht begeistert, deshalb versprach ich, ihm unter die Arme zu greifen und ihn mit allen mir zu Gebot stehenden Mitteln zu unterstützen. »Das schaffen wir schon, alter Junge«, sagte ich und klopfte ihm auf die Schulter. »Und noch vieles andere. Hast du schon einmal von dem Nibelungenhort gehört?« »Ach, es wird viel erzählt. Der Nibelungenhort soll sich irgendwo in einem riesigen, undurchdringlichen Wald befinden. Ein Geschlecht von Zwergen 46
hütet ihn. Man nennt sie die Nibelungen. Woher der Schatz stammt, weiß niemand, doch an Pracht und Reichtum soll keiner auf der ganzen Welt ihm gleichkommen.« »Der Schatz ist im Sachsenwald«, sagte ich, denn so hatte ich es in der Sage gelesen. »Ihn zu erreichen, müssen wir vier Tage lang reiten. Die Höhle mit dem Hort befindet sich in der Nähe von einer Schmiede, wo der Zwerg Mime, ein Meister seines Fachs, seine Arbeit ausübt.« »Ah, Mime«, rief Siegfried, »das ist mir ein Begriff. Er stellt die besten Schwerter her, die es gibt. Was gäbe ich darum, wenn ich eine Klinge von ihm hätte.« Ich fragte mich, wozu er sie brauchte, feige und verweichlicht, wie er war. »Das wird sich einrichten lassen«, sagte ich jedoch nur, der Siegfriedsage eingedenk, nach der Siegfried bei dem Zwerg Mime das Schmiedehandwerk erlernt hatte. »Morgen ziehen wir weiter, zum Sachsenwald. Fafnir bewacht den Nibelungenhort - und eine schöne Jungfrau.« »Der werde ich mich widmen!« rief Siegfried gleich. »Kümmere du dich um den Drachen, Markus.« Das hätte ihm so gepaßt. »Wir werden sehen. Stell dir nur vor, was für ein Ansehen du hättest, wenn du den Drachen töten und den Nibelungenhort gewinnen würdest. Noch in den fernsten Zeiten würde man von dir reden. Du wärst dann der Größte aller Helden.« Siegfried gähnte. Im nächsten Moment sprang er hoch und führte einen wahren Veitstanz auf. Ein glühender Funke vom Lagerfeuer war ihm in den Kragen geflogen und fügte ihm eine Brandblase zu. So schlimm konnte sie wahrhaftig nicht sein. Ich hätte mal kurz gezuckt und mit der flachen Hand draufgeschlagen. Siegfried jedoch führte sich auf, als ob er am ganzen Körper brandversehrt sei. Jammernd zog er seine Oberbekleidung aus. Ich betrachtete die kleine Brandblase, die sich in seinem Nacken bildete. »So schlimm ist es nun wirklich nicht. Stell dich nicht so an. Bist du ein Mann oder eine Memme, Siegfried?« »Ich bin ein Königssohn, und ich habe eine besonders empfindliche Haut. Gib mir die Wundsalbe, Knappe.« Jetzt reichte es mir. Ich packte den Jammerlappen am Kragen und schüttelte ihn kräftig. »Ich bin nicht dein Knappe und auch nicht dein Dienstbote. Jetzt reicht es mir mit deinem Getue, du verweichlichter Geck. Reiß dich gefälligst zusammen, oder ich werde mir dir Schlitten fahren, und wenn das ganze 47
Nibelungenlied dadurch ungeschrieben bleibt. Ab sofort wirst du nicht mehr ständig klagen, jammern und lamentieren. Ich denke auch nicht mehr daran, die ganze Dreckarbeit zu erledigen, Pferde satteln und versorgen, Holz suchen, Lagerfeuer entfachen, alles das, während du dich hinten und vorn bedienen läßt und auf meinen Knochen ausruhst. Ab sofort wirst du den gleichen Teil von der Arbeit erledigen wie ich, oder - ich trete dir in den Hintern!« Siegfried starrte mich an. Vor lauter Überraschung vergaß er sogar seine Brandblase, über die er so sehr geklagt und gejammert hatte. »So hat noch nie jemand mit mir gesprochen!« beklagte er sich. »Dann wurde es höchste Zeit!« fauchte ich ihn an, durch die Kräfte des Rings mit der Sprache jener Zeit, seinem Dialekt, versehen. »Komm mir nicht damit, daß du ein Königssohn bist. Wir sind gleichberechtigte Partner. Wir teilen Not, Tod und Gefahr, Freud und Leid. Wenn ich den Drachen erlege, bekommst du den Ruhm und den Nibelungenhort. Aber bilde dir nur nicht ein, daß ich außerdem auch noch deinen Lakai und den Diener spiele.« Siegfried ballte die Faust gegen mich. »Bube, ich züchtige dich!« »Schlag zu«, forderte ich ihn heraus. »Versuch es, und ich haue dich ungespitzt in den Boden, daß nur dein Kopf noch herausschaut, du Schmock.« Das wußte er nicht, was das war. Versöhnlich bot er mir die Hand und sagte: »Wir wollen uns vertragen, Markus. Wahrlich, wir müssen zusammenhalten. Ich habe dich falsch behandelt.« »Erst sattelst du endlich die Pferde ab und versorgst sie, dann kannst du mir deine Hand geben«, erwiderte ich. Siegfried erledigte brummelnd, was ich ihn geheißen hatte. Er murrte bitter, er müsse knechtische Arbeiten verrichten. Ich nagte den Wildschweinknochen ab und war der Meinung, daß ihm diese Arbeit überhaupt nicht schadete. Am Xantener Königshof war er falsch erzogen worden, ein arrogantes Knäblein, das sich einbildete, etwas ganz Besonderes zu sein, und sich zu fein war für jegliche Arbeit. Und über so einen hatte der Verfasser des Nibelungenlieds ein hehres Epos verfaßt! Ohne mich wäre Siegfried aufgeschmissen gewesen, und es hätte nie ein Nibelungenlied gegeben. Doch das zu ermöglichen, bedurfte noch harter Arbeit. * 48
Vier Tage später ritten wir durch den Sachsenwald, im Harnisch, der hauptsächlich aus dem Brustharnisch, Helm und Beinschienen sowie einem Lamellenschutz für den Unterkörper bestand. Jeder hielt eine Lanze in der Hand. Am Vortag hatten wir einen Zusammenstoß mit Räubern gehabt, wobei sich Siegfried nicht einmal schlecht geschlagen hatte. Vielleicht auch, weil er sich auf mich verließ und meinte, ich würde schon die Hauptsache erledigen, ihm im Notfall beispringen und hinter meinem breiten Rücken wäre er sicher. Vögel zwitscherten, die Mücken summten. Durch das Laubdach fielen Strahlen und Bahnen von Sonnenlicht und zauberten Lichtreflexe auf unsere Rüstungen. Staubteilchen tanzten in den Sonnenstrahlen. Siegfried schrie auf: »Huch, eine Kreuzspinne! Fast hätte ich sie im Gesicht gehabt. Diese Biester sind giftig. Ich ekele mich vor Spinnen.« »Sie tut dir ja nichts. Sie hat mehr Angst vor dir als du vor ihr.« »Trotzdem, ich mag sie nicht leiden.« Es war ein Kreuz mit dem Kerl. Wir waren durch Berg und Tal geritten und hörten mitten im finsteren, dichten Wald das Kling-Klang eines Hammers. Vorsichtig trabten wir durch eine Schlucht mit himmelhohen Wänden und erblickten an deren Ende, in einem Talkessel zwischen hohen Bergen, ein paar Gebäude. Sie gruppierten sich um einen Flachbau mit Reiserdach und Vordach. Rundherum standen Hütten, ein Pferch, in dem drei Rinder brüllten, und Ställe und Schuppen. Eine riesige Eiche beschattete den Flachbau, bei dem unterm Vordach drei rußige Gesellen arbeiteten. Sie bemerkten uns erst, als der Kettenhund anschlug. Doch auch jetzt hämmerten sie weiter an einem Schwert. Es galt, das Eisen zu schmieden, solange es heiß war. Abwechselnd hämmerten der Meister und seine beiden Gesellen im Takt auf die rotglühende Klinge. »Ha, ho, selbst ein Haar, das im Wasser dahintreibt, sollst du schneiden«, sang der Meister im Lederschurz. »Schneide durch Brünnen (Rüstungen) und schneide durch Stein. Nichts soll deiner Schärfe widerstehen und vor dir sicher sein. - So wahr wie ich Mime, der Schmied bin.« Mime sah aus wie ein Waldschrat, klein, aber mit einem ungeheuer breiten Brustkasten, mächtigen Schultern und langen, muskelstrotzenden Armen. Seine Beine wirkten dagegen mickrig. Seine zwei Gesellen waren lange, tölpelhaft wirkende Kerle mit Bartgestrüppen, in denen man kaum den Mund und die Nase erkennen konnte. Siegfried und ich saßen ab und schauten zu. Es war schon sommerlich warm, obwohl es nach den modernen Monatsnamen erst April war. Im 49
Althochdeutschen hießen die Monate anders. Hornung, zum Beispiel, war der Februar… Mime warf uns unter seinen buschigen Brauen hervor einen finsteren Blick zu. Er gönnte uns keinen Gruß. Als er mit der Arbeit fertig war, betrachtete er prüfend den Rohling und warf ihn dann zum Abkühlen in einen Holzeimer mit Wasser. Es zischte, Dampf wölkte auf. »Wer seid ihr, und was wollt ihr?« fragte der Einsiedler-Schmied barsch. »Siegfried und Markus«, nannte ich unsere Namen. »Wir wollen das Schmiedehandwerk erlernen.« So stand es in dem Nibelungenlied, allerdings nur, was Siegfried betraf. Mime musterte uns prüfend. »Du magst anstellig sein«, sagte er zu mir, in einem Dialekt, den ich dank der Kräfte meines Rings besser verstand als Siegfried. Es war eine Art frühes Sächsisch. »Aber der da«, er schaute Siegfried an, »mit seinen weichen Händen, der ist nichts für die Schmiedearbeit. Den kann man nur zum Werkstattkehren und Kohleschleppen gebrauchen.« Siegfrieds Gesicht lief rot an. Er beherrschte sich aber, weil ich ihm auf den Fuß trat. »Ich werde mir Mühe geben«, versprach er. »Das will ich auch hoffen«, brummte der grobe Mime. »Ich habe eine Menge Arbeit - alle wollen sie Schwerter von mir, die Burgunder, die Hunnen, die Awaren und Römer. Sogar der Khan von Kathai hat mir eine Bestellung geschickt. So weit sind mein Ruhm und mein Ruf schon gedrungen. - Aber wie soll ich denn die ganze Welt mit Schwertern versorgen? Ich habe hier einen Kleinbetrieb und will auch gar keine große Manufaktur. Mein Beruf ist mir eine Berufung. Ich bin stolz auf jedes einzelne Schwert, das meine Werkstatt verläßt. Bei einem Massenbetrieb müßte ich Qualitätsminderungen in Kauf nehmen.« »Kannst du denn nicht Zwerge für dich arbeiten lassen?« fragte ich. »Die Nibelungen zum Beispiel?« »Hör mir bloß auf mit denen! Das ist ein faules Gesindel. Tag und Nacht streiten sie sich, krakeelen, weil sie sich mit der Aufteilung des Nibelungenhorts nicht einig werden können. Als der alte Nibelung, der König des Zwergengeschlechts, starb, hinterließ er seinen Söhnen und Töchtern den Hort zu gleichen Teilen. Das ist ein Fehler gewesen, daß er nicht genauer Bescheid sagte. Jetzt sind sie immer uneins über den Wert der Stücke. Die Zwerginnen sind noch schlimmer als die Zwergmännlein. Man meint immer, sie würden sich gegenseitig die Augen auskratzen und sich an die Gurgel fahren. Dabei haben sie noch den Drachen Fafnir auf dem Gipfeldes Bergs, in dem sie wohnen. Er bewacht nämlich alles. Jedes Jahr wird ihm von den umliegenden Stämmen eine Jungfrau geopfert. Die 50
vorigen hat er alle gefressen. Doch die, die er jetzt hat - sie ist fünf Jahre bei ihm - rührte er nicht an. Sie säubert ihm seinen Bau und putzt ihm die Schuppen und Zähne. Sie hat ihm sogar schon einmal Tröge mit Arznei gekocht, als er Bauchgrimmen hatte.« »Wie rührend«, entfuhr es mir. »Fafnir ist auch schon ganz grimmig und kribblig wegen des ständigen Lärms von dem Zwergengezücht unter ihm«, fuhr Mime in seiner Erzählung fort. »Es ist wirklich ein Jammer. Nein, mit den Nibelungen würde ich niemals zusammenarbeiten. Da mache ich lieber so weiter wie bisher.« Ich konnte es ihm nicht verdenken. Wir erhielten ein Quartier zugewiesen und begannen mit der Schmiedelehre, wie es im Nibelungenlied stand. Dabei mußte man schon bei Tagesanbruch aufstehen. Am ersten Tag, als die Sonne aufging, gab es ein Malheur. Siegfried sträubte sich nämlich mit Händen und Füßen. »Willst du mich umbringen?« fuhr er mich an. »Es ist noch mitten in der Nacht. Laß mich weiterschlafen.« Der Hammer Mimes klang gegen den Amboß. »Auf, auf, Gesellen! Morgenstund hat Gold im Mund! Die Arbeit wartet.« »Immer diese Proletariersprüche«, murmelte ich. »Man meint, man wäre bei Honecker in der DDR, dem Paradies der Arbeiter und Bauern. Sogar die veralteten Fertigungsmethoden sind hier gegeben.« Gähnend standen wir dann im ersten Tageslicht mit Mimes beiden Gesellen zusammen da. »Zeigt mir, wie stark ihr seid, Siegfried und Markus«, verlangte der krummbeinige Meister mit dem enormen Oberkörper. Siegfried tat ein paar Hammerschläge. Ich aber ergriff den Hammer, haute drauf, daß der Amboß tief in den Grund fuhr und der Schlegel zersprang. Die anderen staunten. Mime kratzte sich am Kopf. »Solche Stärke ist mir noch nie begegnet«, murmelte er. »Markus, du mußt dich zusammennehmen. Sonst haust du alles kaputt.« Ich beschwichtigte ihn. Von da an arbeiteten wir fleißig und lernten die Schmiedekunst. Siegfried schickte sich nach anfänglichem Sträuben in sein Schicksal und gab bald einen recht brauchbaren Schmied ab. Mimes Schwertschmiedekunst hatte es in sich. Stahlschichten von unterschiedlicher Härte wurden geschmiedet und zu einem flachen Barren zusammengeschweißt. Diesen Barren erhitzte man dann wieder, fügte ihn erneut zusammen und schmiedete ihn abermals dünn aus. Nachdem diese Prozedur ein Dutzend Mal wiederholt worden war, damit wir etwas zu tun hatten, bestand der Stahl aus Tausenden von papierdünnen Blättchen aus hartem und weichem Metall. War die Klinge endlich scharf geschliffen, widerstand der harte Stahl der 51
Abstumpfung, während der weiche das Brechen verhinderte. Mimes Meisterstück, der letzte Schritt, bestand darin, daß er die nahezu fertige Klinge mit einer dicken Schicht Lehm überzog. An einem Maimorgen arbeitete er mit mir zusammen, um ein Meisterschwert fertigzustellen. Der gnomenhafte Mime mochte mich, was sich darin äußerte, daß er mich besonders grob behandelte. »Auf, du Faulpelz!« fuhr er mich an, oder »Beeil dich, Tolpatsch. Vom Gaffen und Nasenbohren ist noch nie ein Schwert fertig geworden. - Paß auf. Du überziehst die Klinge jetzt mit Lehm, nein, nicht so wenig, nimm eine dicke Schicht. Nur die Schneide bleibt frei. - Jetzt erhitze die Klinge. So ist es recht. Betätige den Blasebalg. - Kräftiger!« Das glühende Metall mußte eine bestimmte Farbschattierung annehmen, die nur der Meister erkennen konnte. Dieser entscheidende Augenblick war am besten zu erkennen, wenn man wie wir jetzt in der Morgendämmerung in einem verdunkelten Raum arbeitete. »Ich glaube, jetzt ist es richtig«, sagte Mime und schnüffelte an der Klinge. Zumindest sah es so aus, so nahe war seine Nase daran. »Bei allen Göttern der Äsen, beim Blut und der Stärke. -Jetzt.« Damit warf er die Klinge ins Wasser. Die freie Schneide kühlte sofort ab und wurde extrem hart. Der Rest der Klinge, vom Lehm geschützt, gab die Hitze nur langsam ab und blieb verhältnismäßig weich. Später begutachtete ich das Endergebnis, sobald ich das noch heiße Schwert in die Finger nehmen konnte. Die Klinge bestand aus weichem, bruchfestem Metall, überzogen von einer dünnen Schicht harten Stahls. Etwa fünf Millimeter der Schneide waren so hart, daß Mime zufrieden sagte: »Selbst nach wiederholtem Gebrauch in der Schlacht kannst du dich damit noch rasieren, Markus. Obwohl ich nicht weiß, wozu diese Unsitte er meinte das Rasieren - gut sein soll. Ich schenke dir dieses Schwert. Griff und Parierstange mußt du dir selber verzieren. Es ist dein Gesellenstück, und es soll Balmung heißen.« Ich staunte, ich wußte nicht, was ich sagen sollte. »Warum tut ihr das, Meister?« »Weil du ein guter Schmied bist, Markus. Der Beste, den ich jemals ausgebildet habe. Wenn du willst, kannst du bei mir bleiben und mein Teilhaber werden. Als Schwertschmied kannst du dir immer dein Geld verdienen. - Dein Freund jedoch, dieser Siegfried, aus dem wird nie etwas Gescheites. Wo kommt er denn her?« »Er ist ein Königssohn.« »Dachte ich mir's. Völlig verzogen, außer für die Jagd und zum Krieg hat er zwei linke Hände. Naja, bald wird er weiterziehen, dann brauche ich ihn 52
nicht mehr länger zu sehen.« Ich lehnte Mimes Angebot mit der Teilhaberschaft dankend ab. Bald darauf verließen Siegfried und ich die Schmiede für immer. Siegfried war sauer, weil ich ein Klasseschwert von Mime als Geschenk erhielt, er aber nichts. »Du hast nichts gelernt«, sagte ihm Mime zum Abschied. »Geh mir aus den Augen.« Siegfried erzürnte. Ich hielt ihn zurück, für mich war Mime in Ordnung. Sonst hätte ihn Siegfried am Ende wohl noch erschlagen. * Mime hatte mir den Weg zu dem Nibelungenberg und der Drachenhöhle beschrieben. Siegfried sagte ich lieber nicht, wo ich hinstrebte. Er würde noch früh genug zittern. Immer dichter und dunkler wurde der Wald, unheimlich und schaurig. Der Ring an meinem Finger leuchtete jedoch nicht, noch prickelte er. Er hatte sich, seitdem ich im Jahr 429 n. Chr. gelandet war, nicht mehr gemeldet. Schon fürchtete ich, daß er seine Kraft verloren hätte. Nach einer Weile gelangten wir an ein trübes Gewässer. Siegfried schwitzte und war von den Mücken zerstochen. Er wollte sich abkühlen und abwaschen. Bevor ich ihn warnen konnte, trat er ans Ufer des Teichs und beugte sich nieder. »Uuaahhh!« schrie er auf und sprang gleich drei Meter weit aus dem Stand zurück. Ein ekliger Seedrache züngelte ihm nämlich entgegen. Außer ihm tauchten weitere Seedrachen, Schlangen und fette, giftspeiende Kröten aus der trüben, schlammigen Flut auf. Sie schnappten und züngelten, spuckten und warfen Gift. Ein paar Drachen verließen sogar den Tümpel, in dem sie hausten, krochen auf uns zu und wollten uns ans Leder. »Markus, hilf mir, sie wollen mich fressen!« brüllte Siegfried und versteckte sich hinter meinem Pferd und mir. Er zitterte heftig und fing an zu beten. »Ich bin klein, mein Herz ist rein, will niemals, niemals ein Bösewicht sein.« »Ruhig, du Memme!« rief ich, schwang Balmung und ließ mein Roß, auf dem ich gewappnet saß, sich hoch aufbäumen. Das Schwert pfiff durch die Luft und enthauptete gleich den ersten Drachen, der etwa drei Meter groß war. Ich haute weiter drein. Siegfried war mir nur eine bescheidene Hilfe. Er zog sich zurück und blieb mit Vorliebe in guter Deckung, wie er später sagte, um mir den Ruhm allein zu 53
überlassen. Mit Balmung allein, so scharf dieses Schwert auch war, konnte ich der Drachen- und Schlangenbrut, die aus dem Tümpel kroch, nicht Herr werden. Ich geriet in Bedrängnis. In der Nähe befand sich der Meiler eines Köhlers. Mir fiel wieder die Siegfriedsage ein, nach der der Recke Siegfried die Höllenbrut mit Feuer verbrannt und den Tümpel zum Kochen gebracht hatte. Also holte ich dürres Holz, fiste und hackte kleinere Baumstämme; mit dem Schwert um. Dabei mußte ich immer wieder die Drachen und Schlangen abwehren, die mich angriffen. Siegfried hielt sich im Hintergrund und stach immer wieder mal mit der Lanze zu. Zögernd, ängstlich, gar nicht heldenhaft. Immer mehr Holz häufte ich auf den Teich und die Drachen und Schlangen. »Lauf, Siegfried, hole mir einen Feuerbrand von dem Meiler!« rief ich dann. Siegfried von Xanten war heilfroh, die Kampfstätte verlassen zu können. Er rannte, daß es nur so staubte. Der Gerechtigkeit halber sei gesagt, daß er schon bald wieder zurückkehrte. Er reichte mir einen brennenden Ast. »Bei der Köhlerhütte sind Brennholz und Holzstapel«, verkündete er atemlos. »Damit können wir diese Brut ausräuchern. - Aahhhh!« Ein Drache streckte den Kopf aus dem aufgehäuften Holz und schnappte nach Siegfrieds Arm. Ohne den Panzer hätte er ihm den glatt abgebissen. Ich zerstückelte den Drachen mit dem Schwert, haute ein paar Schlangen den Kopf ab und zündete mit dem Feuerbrand das Holz über dem Tümpel an. Bald loderten die Flammen. Siegfried und ich warfen immer mehr Holz auf das Feuer. Die Drachen- und Schlangenbrut, auch die fetten, giftspeienden Kröten, hatten keine Chance zu entkommen. Von der Hitze an die Oberfläche des Höllenpfuhls getrieben, kamen sie elendiglich um. Das Feuer erfaßte sie. Gräßlich gellte das Todesgeschrei. Drachen und Nattern zuckten und wanden sich. Der Teich brodelte und kochte, so heiß war es. Und immer noch warfen wir Holz in das Feuer. Ein halbverkohlter Drache kroch aus dem Feuer. Seine Stummelflügel qualmten und rauchten, Balmung tötete ihn vollends und erlöste ihn von seinen Qualen. Es stank nach verkohltem Fleisch und nach Horn. Siegfried hielt sich die Nase zu. »Werde nicht schwach!« rief ich ihm zu. Da spritzte mir siedende Gischt bei einem Aufwallen des brodelnden Teichs auf die Hand. Sie gerann zu einem hornartigen Stoff. Der Rest von der Siegfriedsage, was dieses betraf, fiel mir wieder ein. Siegfried hatte, so 54
die Überlieferung, in dem Sud gebadet und war damit unverwundbar geworden, bis zu einer Stelle zwischen den Schulterblättern, wo ein Lindenblatt hinfiel und der Sud von Drachenblut und Sumpfwasser ihn nicht benetzen konnte. Blitzartig schoß es mir durch den Kopf. Das muß ich unbedingt verhindern! Schon immer hatte ich Hagens Meuchelmord an dem strahlenden Siegfried verabscheut. Auch wenn jener Siegfried, den ich kennengelernt hatte, keineswegs so ein strahlender Held war, dieses Ende brauchte er doch nicht zu nehmen. Und die Burgunder mußten nicht alle in der Etzelburg zugrunde gehen. Das wollte ich unbedingt verhindern. Schon erloschen die Flammen. Das Drachen- und Natterngezücht war vernichtet. Die Flut des Tümpels kühlte allmählich ab. »Spring in den Tümpel, Siegfried!« befahl ich. »Von dem Sud wirst du eine Hornhaut erhalten, die dich unverwundbarmacht.« »Ich? In die eklige Dreckbrühe? Niemals, nein. Das kann nicht dein Ernst sein, Markus.« »Willst du unverwundbar werden, oder willst du es nicht?« »In die Brühe gehe ich nicht.« Zorn packte mich. Ich schnappte mir Siegfried, zwang ihn, seinen Harnisch abzulegen, und warf ihn mit Gewalt in den Tümpel, in dem noch die verkohlten Leichen der Ungeheuer schwammen. Siegfried kreischte auf. Ich mußte selbst mit in den Teich und tauchte ihn unter. »Markus, nein, laß mich los! Das darfst du nicht tun. Ich sage es meinem Vater, dem König. Er wird dich hinrichten lassen.« Der widerspenstige Siegfried, den ich unbedingt in seine Heldenrolle zwingen mußte, erzürnte mich. Es gab einen Ringkampf, bei dem ich selbst in der Brühe untertauchte. Den Harnisch hatte ich abgelegt. Endlich hatte ich Siegfried soweit, wie ich ihn haben wollte. Er wurde in der Brühe gebadet. Prustend kroch er ans Ufer. »Das werde ich dir nie verzeihen, Markus. Wir sind keine Freunde mehr.« Ich pickte das Lindenblatt aus der Sage von seinem Rücken. Heilfroh war ich darüber, jetzt konnte nichts mehr passieren. Dachte ich. Doch als ich mich umdrehte und wieder hinschaute, sah ich, wie sich Siegfried heftig am Rücken kratzte. Sofort riß ich seine Hand weg. Als ich die Stelle untersuchte, wo er sich gekratzt hatte, war die undurchdringliche Hornschicht weg. »Es hat mich gejuckt«, sagte Siegfried, als er mein vorwurfsvolles Gesicht sah. Es war zu spät, noch etwas zu ändern. Der Sud in dem Teich war bereits erkaltet. Noch einmal konnte ich Siegfried nicht mit einer Hornschicht 55
überziehen, noch die verletzliche Stelle damit übergießen oder bestreichen. Das Schicksal, die Vorsehung oder was auch immer, hatte wieder einmal die Weichen gestellt. Siegfried behielt eine verletzliche Stelle zwischen den Schulterblättern. Ich hingegen war unverwundbar, was wir auch gleich ausprobierten. Mit den Schwertern hieben wir aufeinander ein, und siehe, unsere Haut war durch den Drachensud wie ein undurchdringlicher Panzer. Nicht mal Balmung drang durch die Hornhaut. Siegfried freute sich wie ein kleines Kind, als er merkte, daß er einen natürlichen Hornpanzer hatte, der ihn unverwundbar machte. »Heureka, jetzt sollen sich meine Feinde vorsehen! Ich kann ohne Harnisch und Brünne mitten durch die feindlichen Reihen reiten, ohne daß mich ein Pfeil oder Speer verwundet oder ein Schwert mich verletzt. Jetzt bin ich unbesiegbar.« Ich widmete ihm einen langen Blick. Die ganze Zeit hatte er sich beim Kämpfen zurückgehalten und mir die Hauptarbeit überlassen. Jetzt wollte er gleich ein Superheld sein. Ich klopfte ihm auf die Schulter. »Wenn du neuerdings so mutig bist, können wir ja gleich losgehen und den Drachen am Gipfel des Nibelungenbergs erledigen. Jetzt bin ich gerade richtig in Kampfeslaune.« »Den Drachen? Was? Hier und jetzt? Muß denn das sein? Das ist ein sehr gefährliches Ungeheuer. Ich meine, das muß man sich gut überlegen, ob und wie man ihn bekämpft. Vielleicht wäre es besser, ihn ganz in Ruhe zu lassen. Die eine Jungfrau, die er hin und wieder frißt, kann das Land schon verkraften. Besser die Jungfrau als ich.« »Pfui, schäm dich, Siegfried! Du sollst dich für die Schwachen einsetzen und gegen das Böse kämpfen, die Witwen und Waisen beschützen und die Jungfrauen… Naja, bei deinem Charakter reden wir lieber nicht darüber. Jedenfalls gehen wir jetzt los und bekämpfen den Drachen. Denk an den unsterblichen Ruhm, den du dir damit erwerben kannst.« »Was nutzt mir der Ruhm, wenn ich tot bin?« murrte Siegfried, als wir weiterritten, wieder gewappnet und angekleidet. Der Drachen- und Schlangentümpel blieb hinter uns zurück. Seine scheußlichen Bewohner waren alle tot. Ob sie Eier, einen Laich oder ähnliches hinterlassen hatten, aus dem neue Monstren ausschlüpfen konnten, wußte ich nicht. * Im Schein der sinkenden Sonne sahen wir die Drachenhöhle dicht unter dem zerklüfteten Berggipfel. Im Berg rollte und grollte es. Aus Felsspalten 56
drangen zankende Männer- und Frauenstimmen. Die Nibelungen, das Zwergengeschlecht, stritten sich wieder um den Schatz. Wir ließen die Pferde zurück und stiegen weiter hinauf. Siegfrieds Zähne klapperten hörbar. Ich drehte mich zu ihm um. »Reiß dich zusammen, Alter. Es ist ja noch gar nichts passiert. Denk daran, daß du jetzt unverwundbar bist.« »J-j-ja, aber doch nicht gegen Feuer.« Die Drachenhöhle befand sich an der Westseite des Berges. Es handelte sich um ein finsteres Loch. Davor war eine kleine natürliche Plattform. Als wir hinter den Felsen vorlugten, stieg eine blonde Maid in einem blauen Kleid auf einem Pfad den Berg hinauf, einen Wasserkrug auf dem Kopf. Sie bewegte sich anmutig und gewandt. »Pst«, zischelte ich. Sie stutzte, ich winkte sie zu uns her. »Wie heißt du?« »Hildegund.« »Willst du weg von hier?« »Lieber heute als morgen. Es ist scheußlich langweilig bei dem alten Zausel Fafnir. Den ganzen Tag muß ich ihm seine Schuppen scheuern und putzen, er ist nämlich sehr eitel. Ihn pflegen und hegen. Er braucht immer Gesellschaft, und er hat meist schlechte Laune. Es ist, als ob ich mit ihm verheiratet wäre, aber ohne alle Freuden, die eine Ehe einer Frau bieten kann. Dabei sehne ich mich doch auch nach Liebe und Zärtlichkeiten. Wie alle Frauen in meinem Alter.« »Wir wollen das Scheusal töten. Kannst du es aus der Höhle locken?« »Ruft ihn, dann wird er schon kommen.« Aus der Drachenhöhle im Bergesinnern drang lautes Geschnarche. Es hörte sich an wie Donnergrollen. Rasch vereinbarte ich mit Siegfried einen Schlachtplan. Siegfried von Xanten biß die Zähne zusammen. Er wurde ruhig. »Wenn es mir bestimmt ist, hier zu sterben, dann werde ich es«, sagte er. »Aber ich will nicht als ein Weichling und Feigling fallen. Mir fehlt dein Löwenmut, Markus. Das ist angeboren. Ich will tapfer sein, doch ich kann es einfach nicht. Meine Glieder gehorchen mir nicht, und ich bin wie gelähmt, wenn eine wirklich große Gefahr aufkommt.« Ich klopfte ihm auf die Schulter. »Du kannst tapfer sein, Siegfried. Du mußt es nur wollen.« Er schaute mich an und nickte. Ein großer Held würde Siegfried niemals sein, das war ihm nicht in die Wiege gelegt. Doch durchschnittliche Leistungen vermochte er im Kampf zu erbringen. Ihm fehlten die Kampf Übersicht, die Kaltblütigkeit und auch der Grimm, die einen Hagen von Tronje auszeichneten. 57
Hildegund versteckte sich zwischen den Felsen, ich blieb dabei an ihrer Seite. Siegfried stand allein vor der Drachenhöhle. Er hob einen Stein auf, warf ihn hinein und brüllte: »Zeig dich, Fafnir! Hier steht Siegfried von Xanten, um dir den Garaus zu machen.« Das Schnarchen hörte auf. Es scharrte und kratzte in der Höhle, als Fafnirs Klauen über den Felsen schritten. Dann trat er hervor und winkelte die Lederhautflügel ein wenig ab. Fafnir sah genauso aus, wie ich ihn im Jahr 1998 in Weimar erblickt hatte. Riesig, ein gewaltiges Monster mit einem langen Schuppenhals und großem Echsenschädel. Er hatte einen langen Schwanz und Krallen. Sein Bauch war aufgebläht, dort entstanden die Gase, die ihm das Feuerspeien ermöglichten. Dieser Bauch war die verwundbarste Stelle bei ihm. Anderswo auf seinen hornhäutigen Körper einzuhauen, brachte dem Angreifer nur den Tod. Ich mußte mich vor allem vor Fafnirs Feueratem hüten, vor seinen Klauen und vor seinem Maul, das blitzschnell zuschnappen konnte. Mein Ring zeigte nichts an, es war keine Magie im Spiel. Siegfried stand mit gezücktem Schwert, winzig klein anzusehen vor dem Monster, vor Fafnir. »Fafnir!« rief er. »Hier bin ich!« Das Monster schaute ihn an und spuckte im nächsten Moment einen gewaltigen Feuerstrahl. Siegfried, ohne Harnisch, seine Hornhaut schützte ihn, sprang im letzten Moment zur Seite. Er flüchtete zwischen die Felsen. Fafnir war abgelenkt und konzentrierte sich auf ihn. Das hatte ich gewollt. Rasch schlüpfte ich von der Seite her unter den gewaltigen Bauch des Drachen und stieß Balmung, mein Schwert, bis zum Heft dorthin, wo ich sein Herz vermutete. Der Monsterdrache brüllte gewaltig auf. Er schnappte nach mir, doch ich befand mich an einer Stelle, die er nicht erreichen konnte. Ich wütete mit dem Schwert, schlitzte Fafnir den Bauch auf, stieß immer wieder zu und schlug nach seinen Klauen, die nach mir faßten. Drachenblut spritzte und besudelte mich. Ich packte Balmung mit beiden Händen und metzelte in den Drachen hinein. Fafnir brüllte dumpf. Er zuckte, seine Bewegungen wurden unkontrolliert. Ich merkte, wie es mit ihm zu Ende ging, obwohl er noch Feuer spie und sich aufbäumte. Ich hatte ihn mehrfach tödlich verletzt. Als seine gewaltigen, wenn auch kurzen und krummen Beine wankten, floh ich unter seinem Bauch hervor. Sonst hätte er mich glatt beim Zusammenbrechen erdrückt. Fafnir setzte sich nieder, daß der Boden erzitterte. Er war fertig, am Ende, doch noch immer gefährlich. Das merkte Siegfried, als er vorsprang und ein paar Schwerthiebe gegen 58
den Drachen führte. Fafnirs tonnenschwerer Schwanz zuckte herum. Er streifte Siegfried nur, sonst hätte es sein Ende bedeutet. Siegfried flog zwischen die Felsen. Fafnirs Kopf wackelte auf dem langen Hals. Rauch und Blut quollen ihm aus den Nüstern. Er hatte schwere innere Verletzungen. Ein letztes Mal spie er Feuer, schaute gen Himmel und röchelte überlaut. Er wand seinen Hals. Dann sank sein Kopf nieder. Fafnir bettete ihn auf die Vorderpranken. Seine Augen schlossen sich langsam. Der Drache war tot. Für mich erhob sich die Frage, wie es sein würde, wenn ich in meine Zeit zurückkehrte. Lauerte mir Fafnir dort noch auf? Drohte mir sein feuriger Atem? Es konnte sein, daß Mephisto ihn aus einer früheren Zeit zu sich geholt hatte. Plötzlich prickelte mein Ring, strahlte und sandte mir eine Botschaft. Ich hatte eine Vision, ohne daß ich diesmal eine Zeitreise antrat. Ich sah den großen Drachen, der in den Ring eingraviert war. Die Umgebung verschwand. Mir war es, als ob ich auf dem Gipfel eines Berges stehen würde. Im Hintergrund entdeckte ich strahlende Sterne mit mir völlig fremden Konstellationen. Ein kühler, doch sehr angenehmer Wind umschmeichelte mich und drang mir bis tief in die Glieder. »Fafnir ist tot, er kann dich in deiner Gegenwart nicht mehr umbringen«, hörte ich die erzene, klare Stimme, die ich jeweils auch bei meinen Traumvisionen vernahm. »Magische Gesetze verhindern es.« Weitere Erklärungen unterblieben. Ich dachte mir, es hätte sonst zuviel Verwirrung gegeben, wenn einer den andern umbrachte und später von ihm getötet wurde, weil jener aus einer Zeit zu ihm kam, in der er noch gelebt hatte. Das war zwar kein Zeitparadoxon, doch nahe dran. »Du mußt noch in der Vergangenheit bleiben«, fuhr die sonore gewaltige Stimme fort. »Dein Auftrag ist noch nicht beendet.« »Wer bist du?« fragte ich. »Irgendwann wirst du es erfahren.« Die Vision endete. Ich hatte eine große Sehnsucht, in das strahlende Licht einzugehen, das ich über den Sternen sah. Doch ich fand mich vor der Drachenhöhle wieder, beim toten Fafnir und Siegfried und Hildegund. Die blonde Maid umarmte und küßte mich wild. Sie preßte verlangend ihren Körper an mich; sie hatte wohl schon sehr lange keinen Mann mehr gehabt. Siegfried hatte sich nach dem Schlag mit dem Drachenschwanz aufgerappelt. Er hielt sich die Rippen, eine Weile würde er Schmerzen haben. Stolz setzte er den Fuß auf den Nacken des Drachen. Immerhin hatte er mit dazu beigetragen, daß Fafnir getötet wurde. 59
Hildegund schaute mich fragend an. Sie hatte bemerkt, daß ich einige Momente geistesabwesend gewesen war, Siegfried nicht. »Geht es dir gut?« fragte sie und schmiegte sich zärtlich an mich. »Es ist alles in Ordnung.« Hildegunds Augen versprachen mir allerhand. Siegfried stolzierte umher, als ob er selbst und allein den Drachen getötet hätte, von dem Ströme von Blut fortflossen. Siegfrieds Augen leuchteten, und er schwang sein Schwert und fuchtelte in der Luft. Plötzlich tauchten kleine Männchen aus Felsspalten und Klüften auf. Sie klatschten und jubelten. Sie scharten sich alle um Siegfried. »Heil dem Drachentöter!« riefen sie. »Wir ehren den Helden, der Fafnir erschlug.« Siegfried blickte geschmeichelt. Er schaute mich an, und ich winkte ab. Das ist schon in Ordnung, bedeutete das, laß dich nur feiern. Daraufhin warf sich der »Held« gewaltig in die Brust. »Ja«, sagte er zu den Zwergen, »das war ein sehr schwerer Kampf. Aber mein starker Arm hat den höllischen Drachen bezwungen. Ich bin Siegfried von Xanten, ein Königssohn, unverwundbar, bärenstark und der Held aller Helden. Vor mir erzittert das Erdenrund.« Übertriebene Bescheidenheit zählte nicht zu Siegfrieds Schwächen. * Die Zwerge waren die Nibelungen. Sie hatten den Kampflärm gehört und waren aus ihren Höhlen emporgestiegen, in denen sie lebten und kaum je das Tageslicht erblickten. Die Nibelungenzwerge waren etwa einen Meter groß. Die meisten trugen grobe Leinengewänder. Sie lebten den ganzen Tag in ihren unterirdischen Klüften und Höhlen und sahen kaum je das Tageslicht. Unter Tage bauten sie Gold, Silber und andere Erze ab. Sie hatten gewaltige Schätze aufgehäuft und waren wohl recht zufrieden und glücklich in ihrem unterirdischen Reich. Zu jener Zeit - 428 n. Chr. - hatte es also tatsächlich noch Zwerge und Drachen gegeben, wußte ich jetzt aus eigener Erfahrung. Bisher hatte ich das immer für Märchen und Legenden gehalten. Wo diese Zwerge später abblieben, wußte ich nicht. Vielleicht waren sie ausgestorben, oder es lebten in meiner Zeit - 1998 n. Chr. - noch immer welche irgendwo tief unter der Erde. Oder sie hatten sich in andere, magische Gefilde zurückgezogen. Einige von den Zwergen, die uns umstanden, waren teurer und 60
prunkvoller gekleidet. Drei davon, zwei kleine Männer und eine Frau, trugen Kronen. Sie stellten sich uns als die Zwergenkönige Ganifer und Ortwein sowie die Zwergenkönigin Bathseba vor. »Du sollst über die Teilung des Nibelungenhorts richten, großer Held«, sagten sie zu Siegfried. »Es gibt keinen Geeigneteren als dich.« »Doch, meinen Freund Markus«, antwortete Siegfried. »Er ist viel weiser als ich. Was das Töten des Drachen betrifft, hat er… Nun, eh, man könnte sagen…« »Ich bin daran beteiligt gewesen«, sagte ich. »Bringt die Kleinode her, ich will euer Schiedsrichter sein.« In der Sage hieß es, die Nibelungen hätten Siegfried beschimpft, weil er ihnen als Schiedsrichter mißfallen habe. Daraufhin habe er die meisten von ihnen mit dem Schwert erschlagen. Das mußte nicht sein. Ich wollte die Ruhe bewahren und Frieden halten. Die Zwerge mußten nicht unbedingt dran glauben, das ließ sich auch anders regeln, dachte ich. Die Sonne war untergegangen, das letzte Abendrot verglühte. Die Zwerge zündeten ein Feuer an. Sie schnitten die Zunge des Drachen heraus und brieten sie. Außerdem schleppten sie Fässer mit Wein an und feierten kräftig. Fafnir hatte einige von ihnen gefressen, weil sie ihm zu keck vor der Nase herumturnten. Der Zwergenkönig Nibelung war dem Feueratem zum Opfer gefallen. Kein Wunder, daß ihn die Zwerge nicht mochten. Sie stellten Fackeln auf. Auch wir - Siegfried, Hildegund und ich - aßen und tranken. Inzwischen schleppten die Zwerge den Hort herbei und türmten immer mehr Schätze auf. Der Nibelungenschatz häufte sich zu Bergen. Es funkelte und glitzerte aus der Drachenhöhle. Selbst auf dem Drachenkadaver lagen Schmuckstücke sowie Gold und Silber. Nachdem wir gegessen und getrunken hatten, fing ich mit der Aufteilung des Schatzes an. Bald standen mir die Haare zu Berge. Meine Geduld wurde stark strapaziert. Die drei Königsgeschwister samt ihrem Anhang zeterten miteinander und gerieten sich wegen jedem Stück in die Haare. Nach Mitternacht waren wir kaum vorangekommen. Allein wegen einem Kelch hatte es eine mehr als einstündige Debatte gegeben. Jetzt kam ein diamantenbesetztes Prunkschwert an die Reihe. Das wollte ich Ganifer geben, dem ältesten Bruder. Ortwein und Bathseba zeterten sofort los. Es gab ein Gezänk und Geschrei, daß ich mir die Ohren zuhielt. Schließlich sprach ich ein Machtwort. »Ruhe! Das Schwert gehört Ganifer, damit basta!« Sofort beschimpften mich alle anderen. Ortwein trat mir ans Schienbein, und Bathseba spuckte mich an. Daraufhin hob ich sie einmal kurz hoch und 61
schüttelte sie. Als ich sie wieder absetzte, rannte Ganifer mit dem Prunkschwert auf mich los und schlug mit aller Wucht zu. Ohne die Hornhaut, die mich schützte, hätte er mir eine Wunde zugefügt. Mit einem leichten Schlag fegte ich ihn von den Beinen, nicht zu hart, sonst wäre er tot gewesen. In dem Moment rannten die übrigen Zwerge auf uns los. Sie schossen Pfeile ab und drohten mit ihren Waffen. Ich schützte Hildegund mit meinem unverwundbaren Körper. Siegfried verlor die Beherrschung, als ihn ein Pfeil fast ins Auge traf, das nicht von der Hornhaut geschützt war. Sein Schwert blitzte und mähte in die Reihen der Nibelungen. Im Nu lagen zwei Dutzend Zwerge, darunter die beiden königlichen Brüder Ganifer und Ortwein, erschlagen am Platz. Die anderen flüchteten kreischend. Mich aber traf aus dem Nichts ein Keulenhieb, daß ich wankte. Weitere Schläge prasselten auf mich nieder. Laut der Nibelungensage mußte das Alberich mit der Tarnkappe sein. Ich steckte die Schläge ein und merkte mir, aus welcher Richtung sie erfolgten. Rasch griff ich dann zu und hatte eine kreischende, sich windende kleine Gestalt in den Händen. Ich entwand dem Unsichtbaren die Keule, gab ihm einen Klaps auf die Kehrseite und zog ihm die Tarnkappe vom Kopf. Es handelte sich dabei um ein silbriges Gespinst. Als ich es abgezogen hatte, erschien ein grauhaariges, spitzbärtiges Männlein in einem grauen Gewand. »Du bist Alberich, der Kanzler und Schatzmeisters des Nibelungenreichs«, sagte ich. »Woher weißt du das? Du hast mich niemals zuvor gesehen. Ich schenke dir den ganzen Schatz und das gesamte unterirdische Land der Nibelungen, wenn du mich am Leben läßt. Wir wollen dir treulich dienen und deine Vasallen sein. Unsere Herrscher sind tot. Nach Nibelungengesetz ist die Erbfolge immer männlich, Bathseba kann keine Herrscherin sein.« »Das nehme ich an«, antwortete ich. »Doch er, Siegfried, soll euer Herrscher sein. Ihm sollt ihr dienen und den Schatz für ihn aufbewahren.« Alberich schwor mir und Siegfried Treue. Ich war damit zufrieden. Siegfried staunte. Er nahm mich zur Seite. »Es tut mir leid, daß ich die Männlein erschlagen habe«, gestand er. »Der Zorn hat mich überwältigt. - Warum behältst du nicht den Schatz und wirst Herrscher der Nibelungen? Ich erbe bereits ein Reich.« »Ich bin von weither gekommen, Siegfried, und ich werde bald wieder weiterziehen. Besitz belastet mich nur. Du sollst alles haben. Sollte ich wiederkehren und wir uns wiedersehen, bin ich überzeugt, daß du mich königlich ehren und für meine Großmut belohnen wirst.« »Das auf jeden Fall, Markus. Ich verstehe dich nicht. Wohin willst du 62
denn, und woher bist du gekommen?« Von meiner Zeitreise mochte ich ihm nichts erzählen. »Das ist ein Geheimnis«, antwortete ich. »Jetzt laß uns Alberich zu den Zwergen in ihr unterirdisches Reich schicken. Sie sollen den Schatz, der nur Unheil brachte, wieder in ihre Höhlen bringen und ihn vor dem Angesicht der Sonne verstecken. Nur die Tarnkappe will ich nehmen.« Siegfrieds Augen leuchteten beim Anblick des Nibelungenschatzes begierig. Aber er respektierte meine Entscheidung. Schließlich hatte ich den Drachen getötet. Alberich war hocherfreut, daß ihm niemand ein Haar krümmte. Er dankte uns tausendmal und kletterte durch einen Felsspalt in das Höhlenreich der Zwerge hinunter. Ein weiterer Teil von dem Nibelungenlied war erfüllt. Ich hatte es nicht verhindern können, daß Siegfried unter den Zwergen ein Blutbad anrichtete. Die Vergangenheit, die Erfahrung hatte ich schon mehrmals machen müssen, ließ sich nicht verändern. * Ein paar Tage später kehrten wir siegreich nach Worms zurück. Hildegund, die der Drachen gefangengehalten hatte, war bei uns. Auf einem Packpferd, das uns die Nibelungen besorgt hatten, führten wir Zähne und Klauen von Fafnir mit uns. Nibelungenmännlein führten den Kopf des Ungeheuers auf einem Wagen mit sich, und er wurde noch lange in Worms ausgestellt und bestaunt. König Siegmund und Königin Sieglind schlossen den heimgekehrten Sohn überglücklich in ihre Arme. Sie konnten sich nicht genug über seinen Hornhautpanzer wundern. Genauso sonderbar fanden sie, daß sich ihr verweichlichter Siegfried zu einem Helden gemausert hatte. Ich hielt mich während der Feiern, die acht Tage dauerten, zurück und widmete mich Hildegund und anderen Mägden. In jener Zeit hatte jeder Herrscher und Edle mindestens eine Hauptfrau und mehrere, wechselnde Nebenfrauen. Vielleicht hing das damit zusammen, daß es noch kein Fernsehen gab. Irgendwie mußte man sich abends und nachts die Zeit vertreiben; und Brettspiele waren auf Dauer zu langweilig. Es war eine sinnenfrohe Zeit, in der ich mich in jeder Beziehung gut zurechtfand. König Siegmund bildete mit seiner Einehe und Treue zu Königin Sieglind eine Ausnahme. Siegfried glaubte allmählich selbst die Ruhmesgeschichten, die Hofdichter und -sänger über ihn verbreiteten. Wenn er mit einigen Schoppen vom 63
guten Rheinwein im Bauch bei einem Gastmahl am Tisch lag, an jeder Seite eine Schöne, war er davon überzeugt, den Fafnir selber zur Strecke gebracht zu haben. Ich ließ ihm seine schönen Träume. Unverwundbar war er jetzt ja. Vielleicht wurde aus ihm irgendwann doch noch einmal etwas Rechtes. König Siegmund wollte sein Reich und die Herrschaft an seinen Sohn übergeben. »Die Krone drückt mein Haupt allzu schwer«, sagte er am letzten Tag von den Feiern. »Bisher, das gebe ich ehrlich zu, hatte ich große Bedenken, als König zurückzutreten. Du warst mir zu leichtfertig und leichtlebig, mein Sohn. Jetzt aber, da du als Held zurückgekehrt bist, sind meine Bedenken verschwunden.« Siegmund stand im Thronsaal auf und hob seinen vollen Becher. »Heil Siegfried, dem Drachentöter, dem neuen König von Xanten.« Alle wiederholten den Trinkspruch und tranken und jubelten Siegfried zu. Ich wollte schon aufatmen, das Nibelungenlied würde umgeschrieben werden. Doch Siegfried machte mir einen Strich durch die Rechnung. Er erhob sich und widersprach. »Vater, mich gelüstet noch nicht, deine Nachfolge anzutreten und König zu werden. Auch fehlt mir dazu noch etwas Wesentliches.« »Und das wäre?« fragte der weißhaarige Siegmund. »Eine würdige Gemahlin an meiner Seite - die Königin meines Reiches und meines Herzens«, sprach Siegfried. »Erst will ich ausziehen, sie zu erringen. Dann mag ich das Reich erben.« Überraschtes Gemurmel lief durch den Saal, der mit Gästen gefüllt war. Sie lagen an langen Tafeln, die sich unter Getränken, Speisen und Leckereien bogen. Sklavinnen und hübsche Schloßmägde bedienten und erfreuten mit ihrem Anblick die Gäste. Die schwächeren Gäste wankten schon gelegentlich hinaus, um sich nach römischer Sitte den Gaumen mit einer Pfauenfeder zu kitzeln und den Inhalt des übervollen Magens auszuspeien. Um Platz zu scharfen für neue Speisen. »Hast du eine bestimmte Dame im Sinn?« fragte König Siegmund. »Ja, Kriemhild, die schöne Schwester des Burgunderkönigs Gunter. Die Spielleute und fahrenden Sänger haben soviel von ihr gesungen, daß mein Herz entbrannt ist. Gib mir Gefolgsleute mit, um stromauf nach Worms zu schiffen, sie kennenzulernen und um sie zu freien.« Siegmund, der als einziger erhöht saß, setzte sich nieder und strich über den weißen Bart. »Hm, hast du dir das gut überlegt, Siegfried? Die Burgunder sind grimmige Leute, mit denen man sich besser nicht einläßt. Hagen von Tronje, der Oheim der königlichen Brüder, führt eine gewaltige Klinge. Du 64
weißt, was von ihm und von Walter von Aquitanien erzählt wird. Auch die königlichen Brüder selbst sind gewaltige Recken, genauso wie ihre Gefolgsleute. Die Burgunder sind ein kriegerisches Geschlecht, die nicht einmal Attila und seine Hunnen fürchten.« »Ich bin Siegfried, der Drachentöter, der Unverwundbare!« rief Siegfried in jugendlichem Überschwang. »Warum sollten sie es ablehnen, mich um Kriemhild freien zu lassen? Wenn unsere beiden Reiche vereint würden, wäre es ein großer Gewinn. - Zudem wäre es gut, wenn ich wieder für einige Zeit verschwinde. Alarich von Mari hat bereits seine Sendboten geschickt, weil der Bauch seiner Tochter Xenia immer runder und dicker wird. Bald wird er mit einem Heer vor den Toren stehen, wenn ich länger da bin, um mir die Hochzeitsmesse mit seiner scheelen Tochter einzuläuten. Oder die Totenmesse, sollte ich ablehnen. - Ich fürchte die Marier nicht, doch wozu sich mit ihnen abgeben, wenn es größeren Ruhm zu erringen gibt?« »Das ist wahr«, sagte Siegmund. Er beriet sich mit seiner Gemahlin, die bange Vorahnungen hatte. »Ich träumte von einem Falken, den ein schwarzer, finsterer Adler zerriß«, schilderte sie ihrem Gatten. »Der Falke könnte unser Sohn Siegfried sein. Der Adler trug das Wappen des grimmigen einäugigen Hagen.« »Unsinn! Warum sollte Hagen von Tronje mit Siegfried in Streit geraten? Das kann niemals sein.« Das erwiderte Siegmund seiner Gattin. Laut redete er in den Saal: »Siegfried, es sei. Hundert Recken sollen dich begleiten, allen voran der vortreffliche Markus. Es soll eine ganze Flotte sein.« Siegfried lachte schallend. »Zwölf Männer genügen!« rief er. »Ich und Markus wiegen jeder hundert Feinde auf. Doch gib uns die kostbarste Ausstattung mit, auch reichlich Geschmeide und Truhen mit Gold und Silber. Durch den Nibelungenhort haben wir's ja.« »Es heißt, daß auf diesem Schatz ein Fluch ruht«, wisperte wieder die Königin. »Daß er jedem den Tod bringt, dem er gehört.« Auch diese Warnung schlug Siegfried in den Wind. Später versuchte ich, ihm die Fahrt nach Worms auszureden. Doch Siegfried war derart starrköpfig, daß das überhaupt keinen Zweck hatte. Er hatte sich die Burgunderprinzessin Kriemhild in den Kopf gesetzt, obwohl er sie noch niemals persönlich kennengelernt hatte. »Wir sind füreinander bestimmt«, sagte er mit einem Ernst, der jeden Widerspruch bei mir erstickte. Ich schwieg, denn das waren sie. Das Schicksal nahm seinem Lauf. Vierzehn Tage später fuhren wir in einer Barke den Strom hinauf. Damals ging es beim Reisen noch viel geruhsamer zu als in dem hektischen 65
zwanzigsten Jahrhundert, dem ich entstammte. Ein reitender Bote war ungefähr das Schnellste, was man sich vorstellen konnte. Ansonsten konnte man von der Geschwindigkeit eines sich drehenden Wagenrads ausgehen. Alles darüber hinaus war schon die reine Hektik. Die Fahrt ging durch liebliche Auen. Man sah schroffe Felsen und steile Hänge an beiden Ufern des Rheins. Köstliche Reben wuchsen dort. Einige Burgen standen da, weniger als in den späteren Zeiten nach dem Jahr tausend n. Chr. doch immerhin. Unser Steuermann kannte den Strom gut und wich Untiefen und Riffen aus. Am Ufer gab es Ansiedlungen und Herbergen, in denen wir jeweils einkehrten. Machmal fanden wir kaum noch unsere Barke. An der Stadt Colonia - Köln - ging es vorbei, wo ein Bischof bereits seinen Sitz hatte. Eine Mauer umgab diese Stadt, die wie der Rhein selbst und seine Ufer völlig anders ausschauten, als ich sie aus meiner Zeit kannte. Am fünften Tag unserer Schiffahrt erreichten wir Moguntia - Mainz. Dort begab es sich, daß wir am anderen Tag statt unseres Recken Rumhold - ihn hatten Rheinwein und Mägde in Mainz versacken lassen zwei Mainzer an Bord hatten. Den einen setzten wir ans Ufer, weil wir sonst einen Mann zuviel an Bord gehabt hätten. Den anderen, Volkmar, schlug Siegfried kurzerhand zum Ritter, obwohl er eigentlich ein Faßmacher war, und ernannte ihn zum Bürger von Xanten. So hatte alles wieder seine Richtigkeit. Hildegund war mit tränenden Augen in Xanten zurückgeblieben. Wieder einmal hatte ich Abschied genommen, gewappnet, mit stolzgeschwellter Brust und dem Versprechen, die Schöne nicht zu vergessen. »Wir sehen uns wieder«, schwor ich beim Abschied, und da ich gläubig bin, hatte ich spätestens am Jüngsten Tag immer recht. Einerseits traurig, andererseits erleichtert war ich rheinauf gefahren. Es war schwer, bis man eine Frau erobert hatte, mindestens genauso schwer, manchmal schwerer, sich wieder von ihr zu lösen. Hildegund blieb in Xanten zurück. Ich hörte nie wieder von ihr, meinte jedoch, als ich zurückschaute, wobei ich mich täuschen konnte, daß sie zwischen den Fingern, die sie vor die weinenden Augen hielt, bereits nach einem stattlichen jungen Recken schaute. Frauen sind oft pragmatisch. Der Nutzen bestimmt häufig ihr Denken. Nach Moguntia - Mainz - nahmen wir Kurs auf Worms. Bereits die Kelten hatten hier eine Siedlung gehabt. Zur Römerzeit als Statthalterei und Stützpunkt des Limes hatte Worms dann Civitas Vangonium geheißen. Dann waren die Burgunder gekommen und hatten ihr Reich unter der Flagge des Schwarzen Adlers gegründet, gewaltige Recken, die an dem kristallklaren Strom saßen, der viele Neben- und tote Seitenarme hatte. 66
Auch Worms, wo der römische Einfluß noch deutlich spürbar war mit Wasserleitungen, festen Straßen und Badehäusern, war von einer hohen Mauer umgeben. Die Burg der Burgunderkönige überragte die hingeduckten Häuser, die sich um einen Dom scharten. Letzterer verdiente den Namen kaum, es war nur ein kleiner Bau. Im Hafen legten wir an. Vom Burgturm erscholl eine Trompete. Die Wormser Bevölkerung hielt respektvollen Abstand, als wir mit unseren Knechten ausstiegen und unser Gepäck ausluden. Wir Recken hatten uns so kostbar gekleidet, wie es in jener Zeit nur irgendwie möglich war. Siegfried prangte im Purpurmantel und gab eine wahrhaft königliche Erscheinung ab. Ich war ganz in Weiß, doch mit einem Schwert statt mit einem Blumenstrauß in der Hand. Wir stellten uns gerade am Kai auf und forderten Packpferde von den Wormser Bürgern, als eine Abordnung von Recken von der Burg heruntermarschierte und -ritt. Ein gewaltiger, breitschultriger Mann führte sie an, einäugig, finster und grimmig. Er saß auf einem Rappen. Ein Greif, was sein Wappen war, zierte seinen Schild. Das Schwert hing ihm an der Seite, er trennte sich nie davon. Sein Harnisch war glanzlos, obwohl ihn die Sonne beschien. Ihr Licht schien sich um ihn herum zu verdunkeln. »Das ist Hagen, der Tronjer«, informierte uns Heime, den wir in Mainz mitgenommen und vom Faßmacher zum Ritter erhoben hatten. Mein Ring prickelte und leuchtete auf, was schon seit vielen Wochen nicht mehr passiert war. Plötzlich sah ich hinter Hagens finsteren Zügen die Teufelsfratze. Mephisto grinste mich an. Mir wurde vom Nibelungenlied und der Rolle Hagens einiges klarer. * Meine Hand zuckte zum Schwert. Ich zog Balmung, aktivierte den Laserstrahl meines Rings und schrieb mit Futhark-Runen das keltische Wort »Waffe« auf die erlesene Klinge. Blau strahlte sie auf, und ich schwang sie. Dieser Moment war mir so recht wie nur irgendeiner, um Mephisto einen Kopf kürzer zu machen. »Denk an die 'Titanic' und dein teuflisches Spiel!« rief ich und stürmte vor. (Siehe MH Bände 14, Todesfracht auf der Titanic und 15, Ich fand Störtebekers Schatz). »Mich kannst du nicht packen«, hörte ich die Gedankenbotschaft in meinem Kopf. »Manchmal lenke ich Hagen von Tronje. Ich bin sein böser Geist, ich, Mephisto. Fafnir ist tot, dir steht ein anderes Los bevor.« Die Teufelsfratze verschwand, Hagen war's, der seine Klinge zog. 67
Siegfried sprang zwischen uns. »Markus, was ist in dich gefahren? Wir kommen in Frieden.« »Willst du mich fechten lehren, Bube?« donnerte mich der Tronjer an. »Wenn dich nicht das Gastrecht schützte, würde ich dir den Gauklertrick mit dem leuchtenden Schwert blutig vergelten.« »Du kannst das Gastrecht vergessen«, wollte ich antworten. Doch Siegfried übernahm die Führung. Er war der König. »Ich bin Siegfried von Xanten, der Drachentöter«, gab er sich zu erkennen gekommen. »Ich bin hier, um den Burgundern meine Aufwartung zu machen. Reiche Gastgeschenke bringe ich. Öffnet die Truhen, Knechte.« Was er vorzeigte, enorme Reichtümer, das zog. Die Einwohner von Worms staunten Bauklötze. Nur Hagen war nicht zu beeindrucken und legte seine grimmige Miene nicht ab. Balmung strahlte nicht mehr. Hagen schaute mich böse an. »Üble Gäste sind es, die gleich das Schwert ziehen«, murrte er. »Wir sollten sie hinschicken, woher sie gekommen sind. Doch ich bin nicht nachtragend. Sei's drum.« Wir wurden in die Burg geführt und willkommen geheißen. Gunter und seine beiden Brüder begrüßten uns. Gunter war stattlich, rießig und bärtig. Gernot war etwas größer als er und glattrasiert. Giselher hatte lange, blonde Haare und ein sonniges Gemüt, das ihm die Herzen gewann. Wir feierten und hielten Turniere ab, in denen sich Siegfried auszeichnete. Da er durch eine Hornhaut geschützt und unverwundbar war, war das keine große Kunst. Manchmal half ich ihm, durch die Tarnkappe unsichtbar gemacht, wenn er in die Bredouille geriet. Dann setzte sich mir in einem unbeobachteten Winkel das Gespinst auf, murmelte »Nacht und Nebel, keinem gleich« und lief unsichtbar auf den Turnierplatz. Die Edelfräulein und anderen Hofdamen beklatschten und bewunderten Siegfried. Kriemhild ließ sich nicht blicken, sie schaute aus ihrer Kemenate durchs Fenster zum Turnierplatz. Hagen von Tronje nahm nicht an den Turnieren teil. »Meine Klinge ist zu scharf«, sagte er. »Ich würde lauter Tote hinlegen. Zum Scherz kämpfe ich nicht.« Volker von Alzey, der Spielmann, sein guter Freund, was einen verwundern mußte, spielte bei den Gastmählern. So vergingen die Tage und Nächte. Wir waren gut Freund mit den Burgundern geworden, nur mit Hagen nicht, der oft des Nachts schlaflos umherwanderte. Es hieß, die Geister der vielen, die er erschlagen hatte, gönnten ihm keine Ruhe. Mephisto sah ich nicht wieder, noch meldete sich sein Ring. Nach vier Wochen hatte Siegfried Kriemhild noch immer nicht kennengelernt. Er erwog schon, mit der Tarnkappe geschützt in ihre Gemächer zu schleichen. 68
Das redete ich ihm aus. »Wenn die Zeit reif ist, wirst du sie kennenlernen.« Dabei hoffte ich, das würde niemals sein. Im Odenwald ernteten wir großen Ruhm, als die verbündeten Dänen und Sachsen unter ihren Königen Lüdeger und Lüdegast ins Burgunderreich einfielen. Ich erschlug den Sachsenkönig Lüdegast bei einem Spähritt. Bei der Schlacht dann, an der König Gunter mit der Hauptstreitmacht und Hagen teilnahmen, kam Siegfried immerhin näher an Lüdeger heran, den ich aus dem Sattel ritt und gefangennahm. Damit entschied ich die Schlacht. Die dezimierten Sachsen und Dänen, alles noch heidnische Krieger, ergaben sich. Hagen haute im Blutrausch wahllos noch Feinde nieder, obwohl sie die Waffen bereits gestreckt hatten. Ich galoppierte hinzu, ritt Hagen von Tronje nieder und entriß ihm das Schwert. »Kennst du das Kriegsrecht nicht, Einäugiger?« »Mein Schwert ist mein Recht.« »Das habe ich jetzt. Ergib dich, du bist mein Gefangener.« »Niemals! Hagen von Tronje stirbt, aber er ergibt sich nicht.« König Gunter schlichtete unseren Streit. Hagens Auge funkelte mich an. Wäre es ihm später möglich gewesen, hätte er mich statt Siegfried hinterrücks mit dem Speer durchbohrt. * Nach Worms zurückgekehrt, wurde der Sieg gefeiert. Die Sachsen und Dänen waren Lehnsleute der Burgunder geworden, die mit Siegfried einen Bund schlossen. Jetzt lernte er Kriemhild kennen. Die Liebe war beiderseitig. Man sah beide nur Hand in Hand, wie sie sich verliebt in die Augen schauten. Doch dabei blieb es nicht. Eines Nachts, als ich zum Abtritt mußte, sah ich Siegfried gegen Morgen Kriemhilds Gemächer verlassen. Er war völlig weggetreten, hatte einen schwärmerischen Blick und tänzelte leicht beim Gehen. Ihn hatte es schwer erwischt. Irgendwie tat er mir leid. Denn er hatte nur die blonde Kriemhild, während ich mich noch anderen Frauen widmete. Ich war bei den Maiden und Hofdamen zu einer Sensation geworden. Die Hornhaut stärkte auch die Manneskraft, ließ den Verkehr so lang werden, wie ihn sich die Holden sicherlich schon immer erträumt hatten. Im Prinzip hätte ich, seit ich in dem Sud aus Drachenblut und Schlamm gebadet hatte, außer dem Beischlaf überhaupt nichts mehr treiben müssen. 69
Doch dazu war ich nicht in das Jahr 428 n. Chr. gekommen. Der Sommer kam. Für den Herbst war die Vermählung Siegfrieds mit Kriemhild vorgesehen, worüber sich jeder freute. Nur Hagen von Tronje schaute scheel - er konnte Siegfried von Anfang an nicht leiden. Eines Tages kam Siegfried zu mir. »König Gunter will mit Kriemhild und mir zusammen die Ehe schließen«, sagte er in einem luftigen Wandelgang des Schlosses der Burgunderkönige. »Wie?« scherzte ich. »Du willst beide heiraten?« »Du Fant.« Im Sprachgebrauch jener Zeit bedeutete das soviel wie Idiot. »Gunter will ebenfalls freien.« »Wer ist denn die Glückliche?« »Brunhild von Island.« »Ausgerechnet«, entfuhr es mir. »Den weiblichen Herkules aus dem Land der Geysire und Vulkane.« »Ja, er hat sich in sie verliebt. Sie ist schön, reich und mächtig.« »Und hat nach dem, was ich von ihr hörte, schon an die hundert Freier unter die Erde gebracht. Nur wer sie im Wettkampf besiegt, den will sie ehelichen. Wenn der Bewerber verliert, wird er einen Kopf kürzer gemacht. - Gunter ist nicht schwächlich, Brunhild jedoch niemals gewachsen. Wie soll er gegen sie gewinnen?« »Wir werden ihm helfen«, sagte Siegfried. »Ich habe dem König unter dem Siegel der Verschwiegenheit von Alberichs Tarnkappe erzählt, als er mir sein Leid klagte, daß er Brunhild hoffnungslos lieben würde und das sein Herz verzehre.« »Er kennt sie doch nur von Gemälden und aus den Gesängen der Barden.« Siegfried zuckte die Achseln. »Gut«, sagte ich, die weitere Entwicklung war nicht zu verhindern. »Dann müssen wir wohl in See stechen.« Mephisto hatte ich nicht wiedergesehen. Ich konnte mit niemandem reden und ihm oder ihr meine Bedenken mitteilen, was die Nibelungensage und deren Verlauf betraf. Schon bei Klaus Störtebeker war es so gewesen. (Siehe MH Band 10, Ich war Störtebekers Maat) Ich resignierte, das Schicksal nahm seinen Lauf. Drei Wochen später löste sich ein schmucker Segler von den Landebohlen des Wormser Hafens. Ein frischer Wind trieb uns stromabwärts, der Nordsee entgegen. Zusätzlich gab es Ruderer an Bord, ähnlich wie bei den Booten der Wikinger, die freilich erst Jahrhunderte später in Mode kamen. In Xanten legten wir für zwei Tage an. Hundert Recken waren an Bord des Seglers mit dem Wappen der Burgunderkönige am Mast. König 70
Siegmund und Königin Sieglind empfingen Siegfried und alle anderen voller Freude. Ein Fest wurde gefeiert. Hildegund, meine Geliebte, war nicht mehr am Xantener Hof. Sie war mit einem römischen Oberst davongezogen, erfuhr ich. Später, das überlieferten historische Quellen, sollte sie es bis zur Geliebten des römischen Feldherrn Aetius gebracht haben, der die Burgunder 436 n. Chr. vernichtend schlug. Und sie sollte die Mutter von zweien seiner Söhne geworden sein. Im Moment schrieben wir noch das Jahr 428 n. Chr. Die Sehnsucht trieb Gunter voran. Wir brachen wieder auf, verkatert die meisten, und winkten zur Burg von Siegmund und Sieglind zurück. Die Xantener Bevölkerung winkte dem Drachentöter und den prunkvoll gekleideten Recken an Bord hinterher. Rheinabwärts ging es zur stürmischen Nordsee, vorbei an Englands Ostküste, wo wilde Stämme hausten, mit blaubemalten Gesichtern, in Felle gekleidet. Als wir dort einmal anlegten und Wasser schöpften sowie Frischfleisch jagten, wurden wir von tausend Mann angegriffen. Siegfried wollte sich als Held profilieren. Also griff er allein an, nur mit seiner Hornhaut gewappnet und mit dem Schwert ausgerüstet. Ich zog mir die Tarnkappe über, lief vor ihm her und haute wacker drein. Meinen Streichen erlagen Dutzende von Feinden, das ließ sich nun mal nicht vermeiden. Als ich den Häuptling niederschlug, flohen sie alle unter gräßlichem Geschrei in die Wälder. Sie meinten, ein Dämon würde unter ihnen wüten. Siegfried hatte sich, auf seine Hornhaut vertrauend, wacker geschlagen. Jetzt war sein Ruf ganz enorm. Nach längerer Fahrt sahen wir die felsige Fjordküste von Island vor uns. Der Sommer neigte sich schon dem Ende zu, und es war bereits regnerisch und kühl. Schnee- und eisbedeckte Berge erhoben sich im Innern der Insel. Brunhilds Burg stand an der Küste und erhob sich über der Stadt Eyrkjadöttir. Als wir anlegten, empfingen uns bereits Boten der stolzen Königin. »Ihr seid Freier«, sagten sie, obwohl nur einer von uns ein solcher war. »Brunhild weiß es. Sie hat es in ihrem Kristallwahrsagespiegel gesehen.« Um die Zeit saß Brunhild im Turmgemach dieser Burg und schaute in jenen Spiegel hinein. Er färbte sich blutig. Sorge ergriff die Königin. Trotzdem zog sie mit ihren Hofdamen und Recken von der Burg herab, als sie hörte, König Gunter wäre gekommen, um ihre Hand zu gewinnen - und nicht nur diese. Die beiden begrüßten sich. Das übliche Fest begann. Brunhild war dunkelblond, größer als ich, gut zwei Meter, und hatte lange Zöpfe und 71
eine wohlgeformte, jedoch kräftige Gestalt. Gunter wirkte neben ihr wie ein Konfirmand. Doch wo die Liebe hinfiel, blieb sie nun mal liegen. Drei Tage nach unserer Ankunft mußte sich König Gunter der Isländerin zum Kampf stellen: Steinschleudern, Speerwerfen und ein Ringkampf waren die Wettbewerbe. Brunhild warf vor zahlreichen Zuschauern als erste den schweren Felsen. Ich, mit der Tarnkappe ausgerüstet, half König Gunter, der den Felsblock nicht mal hätte heben können, und wir übertrafen sie. Dann wurde der Speer geschleudert, und wieder war ich es, der weiter als Brunhild warf. Beim Ringkampf trat Siegfried mit der Tarnkappe an. Bald lief es vollkommen schief. Der Unsichtbare zupfte mich am Ärmel, und wir begaben uns in eine Ecke, wo uns niemand sah. Siegfried zog die Tarnkappe vom Kopf. Seine Nase blutete. »Das Weib ist schlimmer als der Drache Fafnir«, sagte er und hielt sich ächzend die Rippen. »Nimm du die Tarnkappe, Markus, und beeil dich, sonst bricht sie Gunter die Knochen.« Ich setzte die Tarnkappe auf, eilte hinzu und kam gerade noch rechtzeitig, König Gunter zu retten. Es wurde ein harter Kampf. Dann jedoch warf ich Brunhild, die leichte Kleidung trug, mit einem Judogriff zu Boden, daß es nur so krachte. Danach hatten wir leichtes Spiel. Gunter war Sieger. Brunhild konnte es nicht fassen, eine Welt brach für sie zusammen. Sie hatte fest geglaubt, unbesiegbar zu sein. Dann war sie noch von dem gegen sie schmächtig wirkenden Burgunderkönig Gunter überwunden worden, glaubte sie jedenfalls, statt von dem Drachentöter Siegfried, in den sie sich verliebt hatte. Sie schickte sich jedoch in ihr Los. Zwei Wochen später nahmen wir Abschied. Brunhild und zwölf ihrer Maiden begleiteten uns auf dem Segler mit dem Drachenkopf am Bug. Ohne Zwischenfälle erreichten wir Germaniens Küste, fuhren den Rhein hinauf und gelangten, diesmal mit nur zwei Stunden Aufenthalt in Xanten, nach Worms. Glanzvoll wurde die Doppelhochzeit gefeiert. Mir war unwohl dabei zumute. Gern wäre ich wieder in meine Zeit zurückgekehrt, doch noch war es nicht soweit. * Bald nach der Hochzeit erhob sich ein Problem. Siegfried kam wieder zu mir, der Drachentöter und Flitterwöchner. »Gunter hat mir sein Leid geklagt«, sagte er während eines Ausritts zu mir. 72
Ich seufzte. »Ich weiß. Die Ehe wurde noch nicht vollzogen. Brunhild fesselt ihn jeweils mit seinem Gürtel und hängt ihn im Brautgemach an den Kleiderhaken. Dort bleibt er die ganze Nacht, was sein erschöpftes, gequältes Aussehen am nächsten Tag erklärt.« »Woher weißt du das? Bist du mit der Tarnkappe unterwegs gewesen?« »Niemals würde ich das tun.« Das stimmte, mir wäre nicht eingefallen, als Unsichtbarer zu den Mägden ins Badehaus zu schleichen, obwohl ich Siegfried verdächtigte, das früher in Xanten getan zu haben, bevor er nach Worms fuhr, um Kriemhild zu freien. Jedenfalls war von einem Geist die Rede gewesen, der allerlei trieb. »Ich habe Wahrträume. - Siegfried, ich kümmere mich darum.« Unsichtbar schlich ich an dem Abend in Brunhilds und Gunters Brautgemach. Die Isländerin, im durchsichtigen Nachthemd, mit einem goldfädendurchwirkten Brautgürtel, der traditionsgemäß zerrissen werden mußte, stand da wie eine nordische Walküre. Gunter bibberte vor ihr, mit dunklem Bart und schmächtig, im blauen Hausgewand. »Bitte, nicht wieder«, flehte er. »Komm her!« herrschte ihn Brunhild an. »Los, dort an den Haken. Wie konntest du Wurm mich jemals besiegen?« »Ich nahm einen Krafttrank«, log Gunter. »Dann saufe ihn wieder. Nimmer werde ich sonst jemals deine Gemahlin sein. Ich will einen Mann in meinem Bett, keinen Wurm.« Ich klopfte Gunter unsichtbar auf die Schulter und flüsterte: »Ich bin an deiner Seite, ich, Siegfried. Pack sie!« Gunter zögerte einen Moment, dann rang er mit Brunhild. Er hätte haushoch verloren. Doch ich griff ein. Es wurde ein hartes Ringen. Letztendlich gewann ich, zerriß den Brautgürtel und steckte ihn ein, so daß er mit unsichtbar wurde. Ich hatte Brunhild, ohne ihr allzu weh zu tun, derart niedergezwungen, daß sie sich allem ergab. Rasch schlüpfte ich aus dem Gemach, bevor endlich die Hochzeitsnacht stattfand. Am anderen Morgen gab ich Siegfried den Brautgürtel - ich konnte nicht anders, etwas zwang mich dazu, dem ich nicht widerstehen konnte. König Gunters Gesicht zeigte an jenem Morgen endlich einen gelösten Ausdruck. Selbst Hagen von Tronje atmete auf. * In der folgenden Nacht hatte ich einen Traum. »Geh in den Westturm«, sagte mir eine Stimme, »und benutze den Ring. 73
Du sollst wieder in deine Zeit zurück.« Auf diesen Augenblick hatte ich insgeheim schon länger gewartet. Doch ich wollte und konnte mich hier erst entfernen, nachdem die Geschichte ihren ordnungsgemäßen Lauf genommen hatte. Manchmal geschah die Rückkehr automatisch, wenn ein Auftrag erfüllt war, mal reiste ich mit Hilfe des Rings zu einem Zeitpunkt ab, den ich selbst bestimmte. Verschlafen stand ich auf und tappte durch die dunklen Schloßgänge. Oben auf der Plattform des Westturms, unter jagenden Wolken, sah ich einen Drudenfuß an der Wand glimmen. Ich aktivierte den Ring und schrieb mit Futhark-Runen das keltische Wort für »Reise«. Licht explodierte, ich reiste zurück - und fand mich in der Nähe von Vollersroda wieder. Hinter einem Baum. Fafnir und Mephisto waren verschwunden. Man sah noch deutlich die Brandspuren von dem feurigen Atem des Drachen, den ich 1.570 Jahre zuvor getötet hatte. Die Tarnkappe hatte ich bei Siegfried gelassen. Es dämmerte, als ich mich wieder erholt hatte und meine beim Baum liegenden Kleider anzog. Die Hornhaut war weg. Um zehn Uhr früh, ich hatte mich vorher in meiner Dachgeschoßwohnung in der Florian-GeyerStraße geduscht und umgezogen, fuhr ich zur Polizeidirektion. Meine sämtlichen Blessuren aus der Gegenwart waren nach der zweimaligen Zeitreise weg. Im Polizeipräsidium lief Tessa mir jubelnd entgegen. Ich hob sie im Großraumbüro hoch, schwenkte sie herum und küßte sie. Pit Langenbach grinste. »Keine Geschlechtsakte während der Dienstzeit«, sagte er mit gespielter Strenge in der Stimme, doch mein Freund war sicherlich genauso froh darüber, daß ich endlich wieder in ihre Zeit zurückgekehrt war…
ENDE Der Teufelsmönch lief Amok! »Spürt meinen Zorn! Spürt das Feuer der Hölle!« schrie er und zielte mit dem Flammenschwert auf uns. Ich stürzte auf die Familie des Pastors zu und brachte sie hinter dem Altar in Deckung. Auch dort waren wir vor dem Angriff nicht sicher und hörten das irre Gelächter. »Brenne, Erfurt!« rief Anselmus, und uns allen war klar, daß er die Stadt vernichten wollte. Vor allem die Gloriosa, das Heiligste der Stadt.
Anselmus, der Teufelsmönch
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ist nicht zu stoppen. Findet wenigstens Dämonenjäger Hellmann eine Möglichkeit, Erfurt zu retten? Ihr erfahrt es im Band 26 der noch immer jungen der noch immer jungen >Mark Hellmann