KLEINE
BIBLIOTHEK DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D K U L T U R K U N D LI C H E H E F T L
KURT P E R G A ...
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KLEINE
BIBLIOTHEK DES WISSENS
LUX-LESEBOGEN N A T U R - U N D K U L T U R K U N D LI C H E H E F T L
KURT P E R G A N D E
HUNDE TREUER
GEFÄHRTE SEIT
VIELENJAHRTAUSENDEN
VERLAG
SEBASTIAN
LUX
MURNAU•MÜNCHEN•INNSBRUCK
• BASEL
Barry und Hathiko In Paris liegt auf einer kleinen, grünbestandenen Insel zwischen Trauerweiden und immergrünen Sträuchern der „Friedhof der Hunde". Hinter dem schöngeschmiedeten Eingangstor steht ein großes Monument. Das Reliefbild eines Bernhardinerhundes ist in Stein gemeißelt. Es zeigt ihn im Schneesturm mit einem kleinen Mädchen auf dem Rücken. Das Denkmal erinnert an eine der berühmtesten Taten des „allertrefflichsten aller Hunde" des Hospizes auf dem Sankt Bernhard, des Bernhardiners Barry, der über vierzig im Schnee verirrten und verschütteten Bergwanderern und Italienreisenden das Leben gerettet hat, und an die Opfertat einer Mutter, der Anna Maria Vincenti aus dem Aostatal. Frau Vincenti war im Jahre 1804 mit ihrem Manne und ihrem sechs Monate alten Säugling aus dem Aostatal in die Schweiz hinübergewandert, wo Signor Vincenti endlich Arbeit gefunden hatte. Im März 1806 starb er an einer Lungenentzündung, und Frau Vincenti machte sich völlig mittellos und verzweifelt auf, um über die Paßstraße zu ihren Eltern jenseits des Gebirges zurückzukehren. Aber bevor sie das schützende Kloster am Paßübergang erreichen konnte, brach die Nacht herein, Schneefälle und Lawinen gingen nieder. Die Brüder machten in dieser Stunde mit ihren Hunden gerade ihren Kontrollgang durch die völlig verschneite Umgebung — an ihrer Spitze der machtvoll ausschreitende Barry. Barry riß sich plötzlich los, folgte einer Witterung, und man verlor ihn aus den Augen. Vergebens suchten die Mönche das Gelände nach seinen Spuren ab, die hatte der Schnee längst verweht. So folgten sie der Straße, 2
leuchteten mit ihren Fackeln in jede Mulde. Aber vergebens spähten sie aus. Gegen Mitternacht hielt der Prior an der Klosterpforte Ausschau nach ihnen. Als sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, sah er ein weiß überwehtes Etwas gegen die Mauer gepreßt: Barry. Winselnd hob der Hund dem Mönch die müden Augen entgegen. Ein Bu W r auf seinen £ ? Rücken geschnallt. Ein Kind, in ein Umschlagtuch gewickelt, wie es die Frauen des Landes trugen, kam zum Vorschein. Es war das Kind der Anna Vincenti, es lebte und lächelte, als man es in die Wärme des Hospizes trug. Später wurde offenbar, was geschehen war. Barry hatte die zu Tode erschöpfte Frau weit entfernt von der Paßhöhe aufgespürt. Da sie selber keine Hilfe mehr erwartete, hatte sie mit letzter Kraft ihr schützendes Tuch fortgegeben, es ihrem Kinde umgeschlagen und das Mädchen dem getreuen Bernhardiner auf den Rücken gebunden. Mit seiner Last war Barry heimgekehrt. Erst vier Tage später fand man die tote Mutter, dort, wo Barry mit dem Kind auf seinem.Rükken die Sterbende verlassen hatte. Nicht minder berühmt ist — auf der entgegengesetzten Seite der Erde — das Denkmal, das die Japaner 1935 in Tokio am Eingang zum Bahnhof Schibuja errichtet haben. Es zeigt aus Granit gehauen Hathiko, einen Chow-Chow, der hier inmitten der Großstadt in Anhänglichkeit an seinen Herrn den Tod fand. Jahrelang hatte Hathiko seinen Besitzer, wenn er zur Arbeit fuhr, bis zur Station begleitet, jahrelang saß er am Abend hier, um den Heimgekehrten nach Arbeitsschluß am Bahnhof zu erwarten. Als sein Herr eines Tages nicht wiederkam, weil ihn unterwegs ein Schlaganfall getroffen hatte, eilte Hathiko zehn Jahre lang zur gewohnten Stunde am Morgen und am Abend zur Station Schibuja, drängte sich durch die Reisenden, umschnüffelte sie, in der Erwartung, daß „er" doch eines Tages zurückkehren werde. Niemand verwehrte dem Getreuen das Plätzchen am Bahnhofsportal. Hathiko starb vor Sehnsucht an der gleichen Stelle, an der er vor zehn Jahren von seinem Herrn Abschied genommen hatte. Seinen Tod betrauerten Zehntausende. Zwischen Tokio und Paris, an vielen Plätzen der Erde, stehen noch andere erinnerungsreiche Bronze- und Steinbilder, die dankbare Menschen opfermutigen und treuergebenen Hunden errichtet haben, ungezählt aber sind die Beispiele jener Getreuen, die nicht in Stein und Erz verewigt worden sind. 3
Der Wolf, Stammvater des Hundegeschlechtes 4
Stammvater Wolf Angesichts solcher Bekundungen äußerster Hingabe verwundert uns die Antwort, die der Zoologe auf unsere Frage nach der Herkunft des Hundegeschlechtes gibt: „Der Hund stammt vom Wolf und seinesgleichen ab". Wie ist es möglich, daß dieser treueste tierische Gefährte des Menschen räuberische Gesellen der Wildnis zu Ahnen hat? Man antwortet, in den Jahrtausenden des Zusammenlebens habe der Mensch sich aus dem Wildling den tugendhaften Hausgenossen erzogen; aber wo gibt es — abgesehen vom Schäferhund — in der vielgestaltigen Familie der Haushunde überhaupt noch eine Porträtähnlichkeit mit dem Vorfahren der Steppe? Es scheint doch widersinnig, einen Dackel, einen Spitz oder Terrier, einen Windhund oder Neufundländer, oder gar den allerkleinsten Vertreter unter den etwa dreihundert heutigen Hundearten, den kaum faustgroßen mexikanischen Chihuaka, in die Nachkommenreihe der Wölfe einordnen zu wollen. Und doch bejaht der Tierforscher diese Frage. Denn in der Ahnenreihe der Haushunde stehen mindestens zwanzig verschiedengestaltige Wolfsarten, die an Größe vom zierlichen indischen Wolf bis zum mächtigen Wolf der Polarländer reichen und in den Farben sich nicht weniger unterscheiden wie ihre Haushundenachkommen: grau und weiß, schwarz und braun, rötlich und goldfarben. Zudem sind auch der wolfsverwandte, vielgestaltige Schakal und Kreuzungen aus Schakal und Wolf im Stammbaum der Haushunde nachgewiesen worden. Aber das alles kann die Verwandlung der wildlebenden Ahnen in die bunte Vielzahl der so andersformigen Hunderassen und -arten noch immer nicht überzeugend erklären. Erst die moderne Wissenschaft der Genetik, die Vererbungsforschung, hat das Geheimnis, das den Zoologen der alten Schule noch sehr viele Schwierigkeiten gemacht hat, einigermaßen entschleiern können. „Erbsprünge", Mutationen, so lehrt sie, haben im Laufe der Jahrtausende die ursprünglichen Erbanlagen verändert, in die Entwicklung der Tiere eingegriffen und neue Rassen und Arten entstehen lassen; innere Stoffwechselvorgänge, äußere chemische Reize, Wärme und radioaktive Strahlen aus der Erde oder der Atmosphäre wirkten auf die Gene, die Erbanlagen im Zellkern, ein, verminderten ihre Zahl oder vervielfachten sie, lagerten sie vielleicht auch um und regten so zur Bildung neuer vererblicher Eigenschaften an. Und der Mensch hat, 5
wenn ihm diese Eigenschaften behagten, die so veränderten Tiere in Pflege genommen und sie weitergezüchtet. Der moderne Züchter weiß, daß sich die Körper- und Schädelformen durch Zuchtwahl verändern lassen und daß durch Ausnutzung von zufälligen Neubildungen, die mit erstaunlicher Vererbungskraft ausgerüstet sind, in wenigen Generationen gänzlich neue Schläge und Spielarten entstehen. In der Vorzeit haben sich so entstandene neue Rassen und Arten mit den wandernden Völkern über alle Länder der Erde ausgebreitet, von Asien nach Europa, von Sibirien über die Bering-Straße in die Neue Welt des nördlichen und südlichen Amerika, von Südeuropa auf den afrikanischen Kontinent. Man glaubt den Zeitpunkt, zu dem das Wolfsgeschlecht zum erstenmal in zutrauliche Verbindung zum Menschen gekommen ist, zu kennen. Es war die Zeit vor etwa 12 000 Jahren, kurz bevor die Gletscher zurückzuweichen begannen. In Europa zog der Crö-MagnonMensch mit Wurfholz und Speerschleuder, Pfeil und Bogen, mit Speer, Lanze und Wurfsteinen zur Jagd aus. In Fallgruben, Gattern, Tretund Schwerkraftfallen erlegte er Mammut und Nashorn, Wildpferd und Höhlenbären, Rentier und Urrind und schleppte die Beute zur Zubereitung in seine Hütten und fellbedeckten Wohngruben. „Sicher haben die Abfallhaufen menschlicher Mahlzeiten die grauen Räuber magnetisch angezogen", schreibt Ivan T. Sanderson, der bekannte Tierforscher, „weithin lockte sie der Duft des Wildfleisches. So mögen die Wölfe zunächst dem Menschen als ungerufene und ungebetene Tischgäste gefolgt sein . .. vielleicht folgten oft genug Mensch und Wolf der gleichen Fährte angeschossenen Wildes, vielleicht zog man im Hordenlager junge Wölfe groß — in manchen Gegenden mag all das sich auch mit dem Schakal abgespielt haben . .. Eines Tages jedenfalls hier, eines anderen Tages dort folgten ,Wolfshunde' dem Menschen, wachten, beschützten ihn, leiteten ihn auf kaum sichtbare Fährte." Heck, der frühere Direktor des Zoologischen Gartens in Berlin, sagt: „ . . . Wer wissen will, woher unser liebenswertestes Haustier, das nicht bloß seines körperlichen Nutzens halber vom Menschen unterjocht worden ist, sondern sich ihm freiwillig, von ganzem Herzen und von ganzer Seele zu eigen gegeben hat, der Hund, stammt, der komme mit mir zu meinem mächtigen rumänischen Wolfsrüden und beobachte ihn, wenn ich nur mit dem Finger schnalze oder gar ein paar freundliche Worte mit ihm spreche. Die Liebe zum Menschen steht diesen Tieren auf dem Gesicht geschrieben, sie ist .ihnen angeboren'." 6
Der Hund der Muschelsammler Die Jahrtausende vergingen. Aus den Jägern und Sammlern der Späteiszeit waren Ackerbauern und Viehzüchter geworden, die in Dörfern wohnten. Mit der Steinhacke beackerten sie ihre Gärten und Felder. Der gezähmte Wolf und, wo er nicht heimisch war, der Schakal, war zum ständigen Begleiter geworden. Die Forscher waren nicht wenig erstaunt, als sie in den Abfallhaufen in der Nähe von ausgegrabenen Siedlungen der jüngeren Steinzeit in Rußland, an der Küste Dänemarks und am Bodensee auf die Überreste voll ausgebildeter Haushunde stießen. Die Ostseeleute gingen zur See auf Fischfang, nährten sich auch von Muscheln, die von der Brandung auf den Strand geworfen wurden. Muscheln waren so sehr ihre Nahrung, daß man von diesen Küstenbewohnern als Vertretern der „Muschelhaufenkultur" spricht. Und unter den Abfällen ihrer Mahlzeiten entdeckte man die frühesten wirklichen Hunde, die sich schon weit von ihren wilden Urahnen entfernt hatten. Der Haushund der Muschelesser des Nordens diente wohl vornehmlich als Nahrungs- und Fell-Lieferant. Sein Fleisch stand auf der Speisekarte und war eine willkommene Abwechslung im Einerlei der üblichen Kost. Die Frauen schneiderten sein Fell zu Umhängen, Röcken und Männerhosen zu. Zum echten Hausfreund aber, der nicht im getöteten Zustand, sondern lebend dem Menschen nützlich war, ist der Hund, soviel wir wissen, in Europa erst bei den Pfahlbauern des Bodenseegebietes geworden. Plötzlich steht er hier vor unseren Augen. Man fand seine Skeletteile bei Ausgrabungen von Pfahlbausiedlungen aufs beste in der Torferde konserviert und gab ihm nach den Fundumständen den Namen „Torfhund". Es war ein ziemlich kleines Tier und muß das Aussehen eines Spitzes mit kurzen, kräftigen Beinen und buschig behaartem Schwanz gehabt haben. Wenige Zeit später gehört der Torfhund auch schon zu den ständigen Hausgenossen in den Wohnungen der Städte der Indus-Kultur am Indus und oberen Ganges; der kleine indische Wolf könnte hier sein Stammvater gewesen sein. Er und seine Nachfahren waren ausgezeichnete Wachhunde, Kläffer mit ausgeprägtem Eigentumssinn. In diese Gruppe gehört wahrscheinlich auch der einst erhabenste Luxushund der Welt, der „Hund auf dem Seidenkissen", der „chinesische Palasthund", der „Pekinese". Bis zum Jahre 1860 wußte selbst in Asien kaum jemand etwas von der Existenz dieses Hundes, in der weißen Welt aber niemand. Seine Entdeckung ist eines der selt7
samsten und dramatischsten Kapitel in der lebhaften Geschichte der Hundefamilie. Bevor er für die Welt entdeckt werden konnte, mußte erst blutige Weltgeschichte geschrieben werden. Das Kapitel seiner Entdeckung begann 1851 mit dem Aufstand des chinesischen Geheimbundes der Taipings, der seine riesige Anhängerschar zum Kampf gegen den zunehmenden Einfluß der Europäer in China und zu Reformen im Landesinnern aufrief.
Die heiligen Palasthunde Man schrieb das Jahr 1860. Schon zehn Jahre wurde China von den Revolten der Taipingsekte erschüttert. Die Haltung des Kaisers war undurchsichtig. So beschlossen England und Frankreich, mit den Waffen die Ansprüche der Fremden zu sichern. Englische und französische Truppen erstürmten die Chinesische Mauer und standen vor
Ein kostbarer chinesischer Palasthund 8
einem zweiten Wall, der gewaltigen Stadtmauer von Peking. Der Sturm auf die Stadt war für den 13. Oktober 1860 beschlossen. Oberst Sir John Crawford wanderte am Abend vor dem Sturm durch das Feldlager, begleitet von seinem kleinen Terrier, der ihn im grauen Schottland die Füchse aus dem Bau holte. Sir John Crawford war ein alter Kolonialoffizier. Er liebte Pferde, aber in Hunde war er vernarrt. Bei jedem Heimaturlaub besuchte er die berühmten Zwinger „Ashtön Moore" und „Shuterland Avenue". Über Rassen, Arten und Abarten wußte er Bescheid wie kaum ein zweiter. Oberst Crawford ahnte, daß am nächsten Tage ein Stückchen Weltgeschichte geschrieben würde. Er ahnte aber nicht, daß sich am Rande dieses Weltgeschehens auch ein interessantes, aber friedliches Kapitel Hundegeschichte abspielen würde. Er stand in der Nähe des /Feldlagers, als sich ihm ein chinesischer Bauer näherte, ein alter Mann, mit schütterem Bart, flacher Nase und Mongolenfalten in den Augenwinkeln. Er begann auf Sir John Crawford einzureden, zeigte auf den knurrenden Terrier und wies mit beschwörenden Gesten hinüber nach Peking in Richtung des kaiserlichen Palastes. Sir John Crawford verstand nicht viel von dem, was der Chinese ihm erzählte. Er erfaßte aber nach und nach, daß im kaiserlichen Palast eine Hundeart gehalten würde, die niemand außerhalb des Palastes zu Gesicht bekam. Sir John Crawford lächelte flüchtig, er, hielt nichts von dem Geschwätz. Wer sollte ein Interesse daran haben, Hunde vor seiner Umwelt zu verbergen! Der Sturm am nächsten Tage gelang, die Truppen rannten die Stadttore nieder und drangen bis zum kaiserlichen Palast vor. Der an der Spitze seiner Truppen kämpfende Oberst nahm die sich ihm erschließende Wunderwelt nur am Rande auf. . Im Palast des Kaisers wurde kein Widerstand mehr geleistet. Die riesige Anlage mit der verwirrenden Fülle ihrer Häuser, Tempel, Heiligtümer, paradiesischen Gärten und Seen schien wie ausgestorben. Im Innern keine Menschenseele. Die Hofgesellschaft war geflohen, der Kaiser mit seiner Familie, mit seinen Dienern und Wachen. Und doch, einer war zurückgeblieben, ein kaiserlicher Aufseher. Verängstigt löste er sich aus einem verborgenen Winkel und trat auf Sir Crawford zu. Er war in Weiß, die Farbe der Trauer, gekleidet. „Nicht foltern!" flehte er und warf sich vor dem Fremden zu Boden. „Warum sollte ich dich bestrafen?" fragte Sir John Crawford überrascht. „Ich konnte die heiligen Hunde nicht töten, Ehrwürdiger." Die Augen des Mannes flackerten unruhig. 9
Wovon sprichst du?" . . . . ,., .. ,• « Ich konnte die heiligen Hunde nicht toten, Ehrwürdiger. Der Oberst winkte ärgerlich ab. In dieser Stunde ging es um wichtigere Dinge als um Hunde, und er fragte erbittert nach dem Kaiser. Der Mann erwiderte, der Kaiser sei mit dem ganzen Hofe ins Landesinnere geflüchtet. Mit den heiligen Hunden, fügte er hinzu. Da waren sie wieder, die heiligen Hunde. Sir John Crawford erinnerte sich des Bauern, der ebenfalls von diesen Hunden gesprochen hatte. Die Neugier war geweckt. „Was sind das für Hunde?" fragte er aufmunternd. „Es sind die anmutigsten Tiere der Welt, Ehrwürdiger. Ich hatte den Auftrag, sie zu töten. Ich konnte es nicht. Ich habe Furcht vor der Rache der Götter." „Weshalb solltest du sie töten?" „Sie sollten nicht in eure Hände fallen, Ehrwürdiger." „Und wer hat dir aufgetragen, sie zu töten?" Den Befehl zur Tötung hatte die Tante des Kaisers gegeben. Als alle aufbrachen, hatte sie sich in den Palast zurückgezogen und sich vor dem Einmarsch der Fremden selbst entleibt; zuvor befahl sie, die heiligen Tiere den Göttern zu opfern. Der Oberst ließ sich zu den Hunden führen, und der Aufseher geleitete ihn in das kaiserliche Gemach. Im Raum herrschte feierliche Dämmerung; der Oberst mußte scharf hinsehen, um die Dinge unterscheiden zu können. Aber dann stockte sein Herz, er wollte seinen Augen nicht trauen. Auf Seidenkissen lagen fünf Hündchen, jedes so zierlich, so hübsch, so grotesk, wie er es noch nie gesehen hatte. Sie waren traumhaft schön in ihrer Art, sie waren Kultur, Rasse, uralte Züchtung. Sir John Crawford, der Hundefreund, stand überwältigt da, er vergaß Kampf und Krieg. Mit heiserer Stimme fragte er den Chinesen aus, der ihm die Geschichte der heiligen Palasthunde erzählte.
Zweitausend Jahre versteckt Nach der Legende war dieser Zwerghund vor zweitausend Jahren aus der Leidenschaft eines Löwen zu einer Äffin hervorgegangen. Die Götter erlaubten die Verbindung unter der Bedingung, daß die Seele des Löwen und die Affenmaske in der Gestalt dieses erlesenen Hundes vereinigt und die Hunde nur am Hofe der göttlichen Kaiser gehalten würden. Zweitausend Jahre lang war der kaiserliche Hof ihr Zwinger. Für jeden Hund hatte der zum Pfleger bestellte Auf10
seher mit seinem Leben zu bürgen. Auf Entfernung aus dem Palastbereich stand Tod durch die Folter. Auf diese Weise war das Geheimnis der kaiserlichen Palasthunde zweitausend Jahre lang gehütet worden. Der verstörte Hofbeamte hob eines der Hündchen behutsam von seinem Lager und setzte es auf die Erde. Das Tierchen war wie ein Traum aus Porzellan und Seide. Die Schulterhöhe betrug eine Handspanne, das Gewicht kaum zwei Pfund. In unnachahmlich majestätischer Würde trug es den Kopf mit der schwarzen Affenmaske, das am Boden schleppende löwenartige Seidenfell und die nach Vorschrift schwungvoll erhobene Federbuschrute. Sir John Crawford wußte, welch kostbaren Schatz er vor sich hatte, er hätte die Tierchen nicht gegen alles Gold der Welt eingetauscht. Er wich nicht mehr von ihrer Seite und hütete sie wie seinen Augapfel. Er setzte es durch, daß er sie mit dem nächsten Schiff nach England bringen konnte. Unter bewährten Händen in „Ashton Moore" und „Shuterland Avenue" gewöhnten sie sich rasch an das inselländische Klima, blieben gesund und bildeten den Grundstock zur Aufzucht der „Pekinesen". Oberst Sir John Crawford hatte auf seine Art eine Schlacht gewonnen. Die Welt war um ein Exemplar aus der Hundefamilie reicher geworden — in der Gattung der Schoßhunde unbestreitbar das erlesenste, anhänglichste und charaktervollste Geschöpf.
* John Crawford fuhr nicht mehr nach China zurück, er übernahm ein Kommando in Ägypten. Hier entdeckte er zwar keine adeligen „Pekinesen", dafür weckte ihn nachts das schauerliche Hungergeheul der „Pariahunde", jener in die Städte und Dörfer eingedrungenen und eingesiedelten Schakale oder verwilderter Haus- und Hirtenhunde, wie sie überall in Südasien, auf den Philippinen, auf Neuguinea, in Australien und Neuseeland, in Madagaskar, Nord- und Mittelafrika anzutreffen sind. Tags lagen sie herrenlos, faul und schlafend in der Sonne. Erst nachts wurden sie munter. Wie zu Urzeiten besorgen die Pariahunde auch heute noch die Straßenreinigung, indem sie den Unrat wegfressen. In altbabylonischen Texten werden sie als umherschweifende, unheimliche Geistwesen bezeichnet, gegen deren krankmachenden Einfluß man sich durch das Tragen von Amuletten zu schützen suchte. 11
Spielgenossen und Gladiatorenhunde Als insgesamt liebenswürdiger Gefährte, als Jagd- und Hirtenhund, als Haus- und Leibwächter, Spür- und Meldehund, Kampfgenosse und Wettkämpfer, als Lawinenwarner und Lebensretter, hat der Hund den Menschen auf seinem Weg durch die Jahrtausende begleitet. Bei den Ägyptern sogar durch die Gefilde der Unterwelt. Die unheimliche Eigenschaft der Schakale, die dem Hunde-Urgeschlecht angehören, besonders in der Nacht für das menschliche Ohr Unhörbares und Unwägbares zu erwittern und durch Heulen und Bellen anzuzeigen, hat sicherlich die Alt-Ägypter veranlaßt, dem Totenrichter Anubis Hundegestalt zu geben. Mit der Witterung eines Hundes, so glaubte man, durchforsche Anubis das Leben der Verstorbenen nach ihren guten und bösen Taten und wäge das Herz der Toten auf der Waage der Gerechtigkeit. Auch Osiris, den Totengott selber, stellten ägyptische Künstler oftmals hundegestaltig dar. Dem tierliebenden Ägypter war der Hund überhaupt ein vertrauter Gefährte, der sein Haus bewachte, ihn aufs Feld oder auf die Jagd begleitete, ein Spielgenosse der Kinder und am Pharaonenhofe verwöhnter Palastbewohner. Bilder von Windhunden, die vielleicht aus Abessinien eingeführt worden waren, sind schon in der Frühzeit des Alten Reiches in die Wände der Grabkammern geritzt oder gemalt. Auch im Tode wollte der Besitzer nicht ohne den Freund sein, der ihn im Leben mit so viel Treue und Diensteifer umgeben hatte. Mit dem rotgelben Windhund zogen die Großen des Reiches zur Jagd auf Gazellen und Antilopen in die Sand- und Felswüsten rechts und links des Nilstromes. Die Hieroglyphen, die älteste Schrift der Menschheit, kennen den Hund als Schriftzeichen. Aus dem Wüstensand barg man auch die Mumien einbalsamierter Jagdhunde mit Hängeohren, die der Erde übergeben waren, um ihnen Unsterblichkeit zu verleihen. Bei den Babyloniern und Assyrern, deren Keilschrift ebenfalls ein eigenes Zeichen für Hund benutzte, waren mächtige Doggen mit Schlappohren und faltigen Gesichtern Lieblingshunde der Fürsten. Auch sie stellten ihren Jagd- und Hausgenossen auf den Jagd- und Kriegsreliefs ihrer Tempel und Paläste dar. Das altpersische Gesetzbuch Bun-Dehesch sagt von den Hunden, daß durch ihren „Verstand die Welt bestehe", sie erkannten zuerst das Böse und zerstörten es durch ihre Stimme. In großer Wertschätzung stand der Hund auch bei den alten Griechen, und schon in trojanischer Zeit ist einer für 12
•würdig befunden worden, in einem Werk der Dichtung ehrfürchtig genannt zu werden: Argos, der Palasthund des Odysseüs, des Königs von Ithaka. Argos erkannte seinen in Lumpen heimgekehrten Herrn, als er nach zwanzigjähriger Abwesenheit in die Heimat zurückkehrte. Homer, der dieses Wiedersehen beschrieben hat, berichtet, daß Argos die jähe Freude des Augenblicks nicht überlebt habe. Griechen und Römer haben uns eine Fülle auch von historischen Zeugnissen über den Hund und rührende Beispiele seiner Anhänglichkeit hinterlassen. Der athenische Schriftsteller Xenophon gab schon um 370 v. Chr. in seinem Lehrbuch „Über die Jagd" Anweisungen für eine zweckvolle Hundehaltung. Der Philosoph Aristoteles beschäftigte sich mit ihnen. Alexander der Große war ständig von erlesenen Hunden umgeben. Zu Ehren seines Lieblingshundes Peritas erbaute er die Stadt Pavila. Peritas rettete seinen Herrn, als er auf der Jagd von einem Elefanten angegriffen wurde und alle Begleiter den Makedonenkönig im Stich ließen. Er sprang den grauen Riesen solange an, bis der König sich in Sicherheit bringen konnte. Peritas bezahlte seine Treue mit dem Tode. Mit Hochachtung erzählen römische Schriftsteller von den Kriegshunden der germanischen Zimbern, die nach der Niedermetzelung ihrer Herren die leere Wagenburg ingrimmig verteidigten, bis auch der letzte von ihnen unter den Pfeilen und Speeren der römischen Legionäre verendet war. Beliebt war bei den Römern die Dogge, die sie wohl aus dem Euphrat- und Tigrisgebiet nach Italien gebracht hatten. Die römische Damenwelt aber freute sich an winzigen Schoßhündchen, die es sicher besser hatten als die Sklaven und Sklavinnen des Haushalts. Der römische Schriftsteller Plinius berichtet von einem Edlen in Rom, der wegen eines angeblichen Anschlages auf Kaiser Nero zum Tode verurteilt worden war. Der Hund des Unglücklichen war Tag und Nacht nicht vom Portal des Gefängnisses fortzutreiben, und als die Leiche seines Herrn zur Abschreckung auf die Straße geworfen wurde, übernahm er die Wache und ließ niemanden herankommen. Mitleidig legte ihm ein Vorübergehender ein Stück Fleisch hin, der Hund nahm es auf und trug es zum Munde des Toten. Als die Leiche schließlich in den Tiber geworfen wurde, schwamm das getreue Tier mit ihr und suchte sie über Wasser zu halten. Er ermüdete bei diesem Versuch und ertrank. Hunde folgten den Römern auf ihren Kriegszügen. Auf der Marc Aurel-Säule in Rom sehen wir, wie sich ein Hund in der Front der Kämpfenden an der Schlacht beteiligt und kämpf gierig gegen die Reihe der Germanen anrennt. Und in Herculaneum am Fuße des 13
Vesuvs ist ein Relief ausgegraben worden, das deutlich einen mit Schuppenpanzern versehenen Hund erkennen laßt, der einen romischen Posten gegen die eindringenden Barbaren verteidigt. Die Kampfeslust der Kriegshunde nutzten römische Theaterbesitzer aus, um sie im Kampf auf Leben und Tod gegen Gladiatoren antreten zu lassen. Kaiser Hadrian ließ seinen Hunden Grabdenkmäler setzen, und der wahnwitzige Kaiser Heliagabal fütterte seine Hunde mit Gänseleber und kutschierte mit einem von vier Hunden gezogenen Wagen durch seinen Palast und auf seine Landgüter.
Hunde, die Geschichte gemacht haben Was der Hund in der Vergangenheit als beglückendes, vergnügliches und nutzbringendes Wesen dem Menschen bedeutet hat, tut sich meist nur in Geschichten und Anekdoten aus dem Umkreis berühmter Menschen kund. Diese Geschichten stehen stellvertretend für unzählige andere, unbekannt gebliebene aus dem Bereich des „kleinen Mannes", dem der Hausgefährte und Lebensgehilfe mit unverbrüchlicher Hingabe zur Seite gestanden h a t . . . Von König Heinrich III. von Frankreich erzählt die Geschichte, daß er sich weder bei Tage noch bei Nacht von seinen drei kleinen Hunden „Titi", „Liline" und „Mimi", die aus Smyrna stammten, getrennt habe. Im Pariser Stadtschloß Louvre habe er die drei Tierchen in einem Körbchen, das an einem Bande um seinen Hals hing, von einem Zimmer ins andere getragen. Sie hielten nachts Wache an seinem Lager und wechselten sich in bestimmten Zeiträumen ab, indem derjenige von ihnen, dessen Wachzeit verstrichen war, den nächsten durch einen sanften Biß ins Ohr weckte. „Liline" hatte gerade Wache, als am frühen Morgen einer aus dem Gefolge des Königs das Schlafgemach betrat, um ihn zu ermorden. Der König war zwar verwundert über den frühen Besucher, hegte aber keinen Argwohn. „Liline", die das Unheil zu ahnen schien, begann zu heulen und war nicht zu beruhigen. Unwillig ließ der König das rebellische Tierchen schließlich entfernen. Wenige Sekunden später erlag König Heinrich III. dem Mordstahl. Auch Friedrich der Große ist als großer Hundefreund bekannt; während des Siebenjährigen Krieges wich „Biche", seine Hündin, nicht von seiner Seite. Auch an jenem Tage nicht, als der König mutterseelenallein die letzten Posten des Feldlagers passierte und eine Straße gegen den Feind hin erkunden wollte. Plötzlich tauchte vor ihm ein Trupp 14
Panduren auf. Der König sah sich verloren. Er verbarg sich mit „Biche" unter einer Brücke. Er selbst konnte hoffen, unentdeckt zu bleiben, aber er fürchtete, daß die scharfe „Biche" beim Näherkommen der feindlichen Reiter laut anschlagen und seine Anwesenheit verraten würde. Das Pferdegetrappel kam näher und näher. „Biche" stellte die Ohren aufrecht, ihre Flanken bebten. „Still, Biche, still", raunte ihr der König leise und ernst zu. Er legte den Zeigefinger gegen den Mund. Und „Biche", die kluge „Biche", witterte das Ungewöhnliche der Lage. Ihre Ohren spielten erregt, sie zitterte am ganzen Leibe, aber sie schlug nicht an; sie legte sich neben dem König nieder und schmiegte sich an ihn. Die Panduren galoppierten über die Brücke hinweg. Der scharfe „feindliche" Geruch von Pferd und Reiter erregte die Hündin bis zum Äußersten, aber sie gab keinen Laut und rettete den König vor schmählicher Gefangenschaft. Einige Jahrzehnte später. — Durch Paris raste die Revolution, die Bastille war erstürmt, das Königtum gestürzt. Das Bekenntnis zu einem gekrönten Haupt bedeutete den sicheren Tod auf der Guillotine. Am 21. Januar 1793 wurde der König hingerichtet. Die Königin blieb im Gefängnis zurück, das vor Schmutz starrte und vom Schreien der zum Tode Verurteilten widerhallte. Aber Marie Antoinette war nicht allein. Ihr Malteserhündchen „Odin" war bei ihr. Das Hündchen war das allerletzte, was ihr aus der glanzvollen Welt von einst geblieben war. Man hatte es ihr mit einem Achselzucken gelassen, als sie ins Gefängnis geführt wurde. Nach dem Tode des Königs mußte Marie Antoinette zehn Monate auf ihren Tod warten, ein nervenzerreißendes Warten auf die Entscheidung ihres Geschicks in der Hölle ihrer Umgebung. Wenn die Trommel wirbelte und wenn zu ungewohnter Zeit die Türen der Nachbarzellen aufgerissen und Mitgefangene zum Tode geführt wurden, saß der kleine „Odin" wie schützend vor seiner Herrin, die niemand mehr schützen konnte. Vergebens war sein Rasen und Wüten auch an jenem Morgen des 16. Oktober 1793, als man Marie Antoinette zu ihrem letzten Gang aus dem Kerker holte. Die Henker der Revolution traten das kleine Wesen zur Seite und erlaubten der todgeweihten Gefangenen nicht einmal einen letzten Blick auf den Getreuen ihrer letzten Stunden. Auch mit Napoleons Leben ist ein Hund eng verbunden. Dem kleinen Mops hatte die Umgebung des Korsen den seltsamen Namen „Monsieur Fortune" gegeben. Wie er zu diesem Namen gekommen ist, weiß man nicht. „Monsieur Fortune" machte die ganze Laufbahn des Feldherrn und Kaisers mit und durfte sich jede Laune gestatten. Wen er nicht mochte, und sei es ein eleganter Kammerherr, dem 15
fuhr er in die Waden oder zerrte ihn an der Kleidung: Nicht selten kam es vor, daß der vierbeinige Günstling Napoleons bei einem der prunkvollen Feste in den Saal stürzte und auf jemanden losging, der ihm unsympathisch war. „Er ist sehr unverträglich, Sire", wagte ein von „Monsieur Fortune" angegriffener Kammerherr zu äußern. Napoleon sah ihn an, die Lider ein wenig eingekniffen. „Möglich", erwiderte er, „aber er war mir treu und hat sich zwischen Feind und Freund immer gut ausgekannt, und dies nicht nur in der Schlacht." Seitdem hatte sich nie wieder ein Höfling über „Monsieur Fortune" beschwert. Als Napoleon gestürzt war, folgten ihm in die Verbannung nach Elba nicht viele Freunde. Aber mit ihm ging sein „Fox", den er sich nach dem Tode des Mopses angeschafft hatte. Man sah den Vereinsamten häufig Zwiesprache mit seinem Hund halten, und heute steht „Fox" ausgestopft im Pariser Armee-Museum. Wie könnte Goethe in dieser Reihe fehlen! In seinem Dasein hat ein Pudel sogar eine lebensverändernde Rolle gespielt. Das war, als Goethe das Weimarer Theater leitete und es nach eigenen Gesetzen und mit eiserner Strenge den hohen Anforderungen anzugleichen suchte, die er der deutschen Bühne zugedacht hatte. Nicht ohne Grund hatte er in der Bühnenordnung den Paragraphen 10 eingefügt, der lautete: „Auch dürfen Hunde auf der Bühne nicht erscheinen". Über diesen Paragraphen ist Goethe als Bühnendirektor zu Fall gebracht worden. Und hier die Geschichte: In jener Zeit wurde ein musikalisches Bühnenstück „Der Hund des Aubry", das in anderen Gegenden viel gespielt wurde, mit großer Begeisterung besprochen. In diesem Stück spielt die Hauptrolle ein Hund, der den Mörder seines Herrn verfolgt und zur Strecke bringt. Der Schauspieler Karsten hatte seinen Pudel auf dieses Stück dressiert, und der vierfüßige Schauspieler machte seine Sache so gut, daß er überall riesigen Erfolg erntete. Er war zum Star geworden, und in Berlin gab sich sogar der große 'Schauspieler Devrient dazu her, den vom Hund verfolgten Mörder zu spielen. Herzog Karl August, selber ein großer Hundefreund, wollte sich die Künste des dressierten Pudels nicht entgehen lassen und ließ Karsten mit dem Pudel im April 1817 nach Weimar kommen. Goethe erhob von Anfang an Protest, aber Karl August bestand auf der Vorstellung. : Die erste Probe, Goethe saß grollend in seiner Loge, um nach der Probe noch grollender zu erklären, daß laut Paragraph 10 seiner 16
Bühnenordnung kein Hund auf den Brettern erscheinen dürfeeinem Theater, in dem ein Köter zum Hauptdarsteller gemacht werde* könne er nichts mehr gemein haben. Der Herzog hörte sich den erbosten Olympier an, aber diesmal setzte er sich durch. Goethe erbat seine Entlassung als Intendant, und der Herzog bewilligte sein Ausscheiden aus dem Theaterdienst. Der Pudel war aufs Theater gekommen, der Pudel hatte gewonnen und seinen großen und berühmten Widersacher aus dem Felde geschlagen. In Berlin, wohin die Kunde gedrungen war, dichtete man Schillers Worte an Goethe „Der Schein soll nie die Wirklichkeit erreichen, und siegt Natur, so muß die Kunst entweichen" in die Verse um: „Dem Hundestall soll nie die Bühne gleichen, und kommt der Pudel, muß der Dichter weichen." Eine vergnügliche Rolle spielte ein Pudel im Leben Arthur Schopenhauers, des Philosophen des Pessimismus. „Wenn es keine Hunde gäbe, möchte ich nicht leben", sagte er, und ein Pudel war immer an seiner Seite. Dem letzten Vertreter unter seinen Pudeki, den er auch in seinem Testament mit einem kleinen Kapital bedachte, hatte er den Namen „Putz" gegeben; aber diesen profanen Nansen führte er nur der Umwelt gegenüber. Schopenhauer nannte ihn im -vertrauten Verkehr seines Hauses nur „Atma", ,Weltseele'. Außer diesem lebenden Hund umgaben ihn in seinem Arbeitszimmer Hundebildnisse; es war „eine kleine, aber artige Sammlung" von auserlesenen Hundekupferstichen, die Schopenhauer als die Hauptzierde seines Arbeitsraumes betrachtete. — Kein geringerer Hundefreund war Richard Wagner, der, als ihm im Jahre 1850 unter den treusorgenden Händen sein „Peps" starb, unaufhörlich weinte, „um den lieben dreizehnjährigen Freund". In der Bayreuther Zeit ließ Wagner seinen Neufundländer im Garten der Villa Wahnfried begraben und ihm die Grabinschrift setzen: „Hier ruht und wacht Wagners Ruß". Auch von dem Neufundländer des USA-Päsidenten Harding, der im Jahre 1923 verstarb, hat die Welt lange noch gesprochen. Vom Todestage seines Herrn an verweigerte der Hund jede Nahrung. Den schönen Kopf an die Pfoten gelegt, die Lider geschlossen, lag er reglos auf dem gewohnten Platz in Hardings Arbeitszimmer. Ein in seinem Schmerz erstarrtes Tier. Am Morgen der Beisetzung war er verschwunden und nirgends zu finden. 17
Als die Trauerfeier, an der auch die Würdenträger der ausländischen Staaten teilnahmen, begann, gab es plötzlich eine allgemeine Bewegung. Inmitten des Trauergefolges trabte der Neufundländer, ernst, gemessen und still. Man sah sich an, ebenso ratlos wie bewegt. Der Schmerz um den verlorenen Herrn stand dem Tier auf dem Gesicht geschrieben. Da man eine peinliche Störung befürchtete, wenn man das Tier gewaltsam entfernte, ließ man ihn gewähren. Der Hund blieb still und würdig, er stand wie aus Erz gegossen. Die Feier war beendet, der Sarg wurde aufgehoben, um in das Grabgewölbe hinübergetragen zu werden. Jetzt kam Leben in das Tier. Auf diesen Augenblick schien es gewartet zu haben. Pfote vor Pfote setzend,, trat er vor und stellte sich den Trägern drohend in den Weg. Die Trauerversammlung hielt den Atem an. Die Witwe des Präsidenten winkte dem Sekretär ihres verstorbenen Gatten. Er näherte sich dem Hund und redete leise und gütig auf ihn ein. Der Neufundländer zögerte noch eine Weile, aber dann verstand er wohl, daß der Abschied von seinem Herrn nun endgültig sein mußte; er trat zurück, gab den Weg frei und verließ mit tiefgesenktem Kopf das Friedhofsgelände.
Verwegene Flucht Ungezählt wie die Taten seines Opfermutes und seiner Treue sind auch die Beweise des Geruchs-, Spür- und Ortssinns des Hundes. Sie sind uns Menschen unerklärlich und werden es bleiben. Der Hund hütet hierin eines der uralten, ungelösten Rätsel der Natur. Jedes Jahr erleben wir den wunderbaren Vorgang des Vogelzugs. Für unser Gefühl hat sich in der Natur noch nichts geändert, der Winter ist noch fern, die Erde bietet noch Nahrung genug für die Gefiederten, aber jäh und unter unwiderstehlichem Zwang rüsten sie zu ihrem Flug in die Ferne. Sie fliegen in Trupps und fliegen allein; die einen ziehen am Tage, die anderen des Nachts. Man kennt die Flughöhen und die Stundengeschwindigkeit, eines aber weiß man nicht, trotz vieler Deutungsversuche: wie sie Jahr um Jahr über Länder, Flüsse, Meere hinweg Tausende von Kilometern weit ihren Weg zu ihren Brutstätten finden. Die gleichen Rätsel gibt uns unser vierbeiniger Freund auf. Juli 1913. Ein Harburger Polizeibeamter entschloß sich, seinen Airedale-Terrier zu verkaufen, der den stolzen Namen „King", ,König', trug; die Rasse stammte aus Yorkshire, wo sie um 1850 zum erstenmal 18
aus einer Kreuzung des schwarzbraunen Drahthaarterriers und des Otterhunds gezüchtet worden war. Der Airedale-Terrier setzte sich überraschend schnell durch wegen seiner Schönheit und seiner vielseitigen Verwendbarkeit als Schutz- und Gebrauchshund. Schon um die Jahrhundertwende wurde er einzelnen Bataillonen des Heeres als Kriegshund beigegeben und bewährte sich als Melde- und Sanitätshund. „King" also sollte verkauft werden. Es fand sich ein Hamburger Unternehmer als Käufer. „King" musterte den Fremden mißtrauisch aus seinen kleinen dunklen Augen, den Kopf schief zur Seite geneigt. Der Fremde seinerseits musterte „King"; und er konnte mit der Prüfung zufrieden sein. „King" besaß die gute, quadratische Form seiner Art und kräftige, stämmige Gliedmaßen. Die Pfoten waren rund und klein; die Decke lohfarbcn mit dunklem Sattel; die Schulterhöhe ungefähr sechzig Zentimeter. Jawohl, es war Rasse. Der Beamte versicherte, daß „King" alle Eigenschaften des guten Terriers besäße. Er sei wachsam, mutig, unerschrocken, sein Betätigungsdrang unerschöpflich. Man wurde handelseinig, und der Beamte versprach, den Hund nach Hamburg zu bringen: „Es ist besser, ich bringe ihn Ihnen ins Haus. Er könnte unterwegs Schwierigkeiten machen." Der Besitzer kannte seinen „King". Es war schlecht abzusehen, was er tat, wenn der Fremde ihn an die Leine nahm. Am nächsten Tag machten sich Herr und Hund auf den Weg, vorschriftsmäßig im Hundeabteil von Harburg nach Hamburg. „King" zeigte sich unruhig, immer wieder blickte er zu seinem Herrn auf. Da stimmte doch etwas nicht! Der Herr streichelte ihn, sprach auf ihn ein, aber „King" hörte us allem Zuspruch einen Unterton, den er nicht gewohnt war. Und der Herr mied seinen forschenden Blick und sah aus dem Abteilfenster. Hamburg. Viele Straßen. Dann ein großes Haus am Harvestehuder Weg in einem großen Garten. Im Hause Mädchen mit weißen Schürzen und weißen Häubchen. Dann eine Dame, die so entsetzlich nach Lavendel roch, daß „King" fürchtete, ersticken zu müssen. Die Dame war herablassend freundlich. „King" drehte sich ab. Aber dann warf er den Kopf auf; der Fremde, der ihn am Tage zuvor so auffällig gemustert hatte, trat plötzlich ins Zimmer. „King" begann zu zittern. In dieser Sekunde spürte er, daß etwas Unfaßbares geschah. Und als der Herr dem Fremden die Leine in die Hand gab und „King" noch einmal den Nacken klopfte, sehr rasch, sehr eilig und sehr verräterisch, hatte „King" das Ungeheuerliche erwittert. Er stand wie erstarrt vor Furcht und Schmerz. 19
Der neue Herr führte „King" durch Haus und Garten.' „King" wehrte sich nicht, biß nicht, jaulte nicht. Sein Hundeherz verstand nichts von arm und reich; ob er es hier gut oder „besser" haben •würde als früher, war ihm gleichgültig. Er begriff, daß er hier nicht leben konnte, nie. Er wollte zurück in „seine" Welt. Am Abend wies man ihm einen hübsch hergerichteten Schlafplatz auf der Diele an. Der Kaufmann sprach sehr freundlich mit ihm, und „King" legte sich gehorsam zum Schlafen nieder. Ein gut erzogener Hund, dachte der neue Herr. Die Lichter wurden gelöscht. „King" war allein. Er erhob sich, lief ruhelos durch die Diele, untersuchte die Möglichkeiten zur Flucht, aber Fenster und Türen waren verschlossen. Er blieb stehen. Raserei packte ihn, er wollte anspringen und zerstören, was er fand. Seine Flanken flogen. Ein neues Gefühl überkam ihn, das Gefühl einer unbegreiflichen Verlassenheit, und er wollte diesen Schmerz hinausheulen in die Nacht, so wie jeder aus seinem Geschlecht in den riesigen Weiten der Steppen oder Eiswüsten bei Hunger oder Vereinsamung seine Not mit elementarer Gewalt dem Himmel klagt. „King" tat auch das nicht. Er legte sich vor die Tür, durch deren Ritzen Nachtluft strömte, und schloß die Augen. „King" mußte zurück zu dem kleinen Haus mit dem kleinen Garten, zum Hof mit dem Kaninchen- und dem Hühnerstall, wo es nach Ratten und im Winter ebenso erregend nach Wildkaninchen roch. Er lag die ganze Nacht vor der Tür, Der Tag graute, und als die ersten Geräusche des Hauses zu hören waren, erhob sich „King" und legte sich wieder auf den für ihn bestimmten Schlafplatz. Das Stubenmädchen kam und sah den schlafenden Hund. Das Mädchen öffnete die Tür. Dann stieß es einen leisen Schrei aus. Ein lohfarbener Blitz schoß neben ihm ins Freie, schoß über Kieswege und Rasen, flog mit einem einzigen riesenhaften Satz über das Eisengitter. „King" trabte durch die gänzlich unbekannte Stadt, durch Straßen, die er nie gelaufen, über Plätze, die er nie gesehen. Aber er trabte unbeirrt. Dann stand er am Wasser. Er kannte das Wasser von Harburg her, und er konnte gut schwimmen. Aber für Sekunden verwirrte ihn das Getriebe, Gefauche, Getute, das Dröhnen, Hämmern, Zischen, das die Luft erfüllte. Er lief am Ufer hin und her und starrte in die Tiefe, er klagte einmal laut auf, und dann wagte er den Absprung und sprang vom Ponton ins Wasser. 20
Er schwamm um sein Leben, um sein gutes, kleines, treues Hundeleben. Er war klug, gehorchte seinem Instinkt, aber er übersah nicht, wie breit das Wasser war. Seine Erschöpfung nahm zu, der Strom war viel breiter als er gedacht hatte, und der Kampf mit den Strudeln hatte seine Kräfte aufgezehrt. Sein Herz klopfte immer rascher, seine Beine wurden lahmer und lahmer. Noch hielt er mit letzter Kraft den Kopf über Wasser, aber er spürte, wie der Halsmuskel erlahmte. Er sah das Ufer nahe. Seine Augen weiteten sich, er sah Menschen gehen und hantieren. Freunde? Feinde? Er bellte auf . .. Als er erwachte, standen Menschen um ihn herum, seine Nase nahm den scharfen Geruch von Eisen und öl auf. Er lag ausgestreckt auf dem Boden und blinzelte in die Höhe. „King" fühlte, wie er Leben und Kräfte zurückgewann. Die Sonne schien warm, er zitterte noch von der Anstrengung und fühlte sich wie betäubt, aber der Heimkehrtrieb meldete sich wieder. Er erspähte eine Lücke zwischen den Menschenbeinen, sprang auf die Läufe und trabte weiter, trabte, trabte. Wieder ein Wasser. Ohne Zögern sprang „King" abermals hinein, durchschwamm es glücklich, erkletterte das andere Ufer, schüttelte sich, wendete kurz und lief weiter, immer hastiger, unruhiger, schneller. Die Luft kam ihm vertrauter vor, die ganze Umgebung bekannter, er fühlte, daß er bald zu Hause war, und jetzt begann er zu jagen. Und da war schon seine Straße, seine Welt und die Welt seiner Meute. Er schoß die Straße hinauf, kam vor der Vorgartentür an, als sein Herr das Haus verließ, und brach vor Erschöpfung zusammen. Er war naß, verdreckt und unfähig, sich zu bewegen, aber er war zu Hause. Der Polizeibeamte stellte später fest: Um 4 Uhr 30 war „King" aus der Villa am Harvestehuder Weg geflohen. Er war durch die Stadt zum Hafen getrabt. Von den St. Pauli-Landungsbrücken war er in die Elbe gesprungen und hatte die Elbe bei Flut überquert. Am andern Ufer, am Reiherstieg, wurde er von einem jungen Werftarbeiter, der das verzweifelte Aufbellen gehört hatte, aus dem Wasser gezogen. Er hatte einige Minuten wie tot gelegen, hatte seine Besinnung wiedererlangt und war weitergelaufen. Im Köhlbrand hatte er zum zweiten Male Wasser überquert und war dann in jagender Eile nach Hause gelaufen. Der Hund hatte einen Weg genommen, der ihm völlig unbekannt gewesen war. Er hatte zweimal das Wasser durchschwömmen und 21
hatte auf seiner ganzen Route den kürzesten Weg gefunden, er war gewißermaßen in Luftlinie geschwommen und gelaufen. Und eine zweite Heimfindergeschichte. In ihr spielt ein glatthaariger Foxterrier, der im Jahre 1925 als Wächter für ein Grundstück am Borsteler Moor bei Hamburg gekauft worden war, die Rolle des Heimkehrers. Nach zwei Tagen war der Hund verschwunden. Zwei Wochen später erhielt der Käufer eine Karte des Züchters aus Thüringen, daß der Hund völlig abgemagert bei ihm eingetroffen sei. Auch dieserFluchtweg wurde nachgeprüft und festgestellt: Der Hund war mit der Eisenbahn in einer geschlossenen Kiste von Thüringen nach Altona-Holstenstraße geschickt worden. In Altona lebte er bei dem Bruder des Züchters vier Wochen, wurde dann mit der Vorortbahn nach Fuhlsbüttel gebracht und tags darauf zu Fuß nach Großborstel. Hier ist er dann entlaufen — nach Thüringen. Die Wege, die er auf der Flucht zurücklegte, sind unbekannt geblieben, aber an sein Ziel ist er gekommen. Und wieder die Frage: Wie hat er das gemacht, wie haben die andern Hunde ihren Weg gefunden, von denen ähnliche Leistungen verbürgt sind? Wir wissen es nicht und werden es auch kaum erfahren. Der Heimkehrtrieb bestimmte ihn, zurückzukehren zu seinem Herrn, aber das Heimfinden bei Hunden ist nur dem Rätsel desVogelflugs vergleichbar und wird wie dieses Geheimnis der Natur bleiben.
Der Jagdgehilfe Die Geschichte der Jagd schreiben, hieße auf weiten Strecken der Geschichte der menschlichen Kultur folgen. Kein Tier ist mit dieser Entwicklung so eng verbunden wie der Hund, er hat die Entwicklungsstufen des Jagdwesens von der Steinzeit an mitgemacht. Im Laufe der Jahrtausende hat es der Mensch verstanden, die natürliche Jagdleidenschaft des Hundes und die mit ihr verbundenen körperlichen und geistigen Eigenschaften durch Zuchtwahl und Erziehung zu vervollkommnen und zu spezialisieren. Wir kehren noch einmal zurück weit in die Vergangenheit, in die Frühgeschichte des Llundegeschlechtes. Irgendwo in den Jagdgründen kontrolliert ein Steinzeitjäger seine Fallen. Nirgends, in keiner seiner vielen Fanggruben, hatte sich ein Stück Wild gefangen. Es ist zwar ein gutes Jagdgebiet, in das er gezogen ist, reich an Hirschen, Bären, Wildpferden und Wildschweinen, aber die Tiere haben sich beim Erscheinen des Menschen in ihre Schlupfwinkel zurückgezogen. Der Jä22
gcr erreicht sie weder mit seiner Steinaxt noch mit der Keule, und an die großen Vögel auf den Bäumen kommt er erst recht nicht heran. Gegen Abend legt er sich hungrig und ermattet bei der Tränke in einen Hinterhalt. Die vielen Fährten an der Wasserstelle lassen erwarten, daß er hier am Ende doch noch zu einer Beute kommt. Zwischen Felsen und Gebüsch versteckt, hockt er und wartet. Der Wind streicht kalt von den nahen Schneebergen herüber. Nach einer Weile schiebt sich ein mächtiger Keiler aus dem Walddickicht heraus und verhofft. Der Jäger, der in seinen Fellkleidern selber wie ein großes, schreckliches Tier erscheint, verschmilzt förmlich mit Stein und Gestrüpp. Der Keiler naht sich vorsichtig der Tränke. Sein Gewaff leuchtet blitzend weiß. Er ist ein gefürchteter Gegner, rasender im Angriff als jedes andere Großwild. Der Jäger weiß es, mit einem einzigen Hieb seiner gewaltigen Keule muß er den Schädel treffen. Zu einem zweiten Schlag würde der Keiler keine Zeit mehr lassen. Die kleinen, tückischen Lichter sind jetzt dicht vor ihm. Er reißt den Arm mit der Keule hoch und läßt sie niedersausen. Das dichte Gestrüpp aber, durch das er den Schlag hindurch führt, nimmt dem Hieb die Wucht. Der Keiler taumelt, aber er bricht nicht zusammen. Jetzt wird er angreifen. Etwas Überraschendes geschieht: Der Jäger hört einen furchterregenden Laut, halb Heulen, halb Bellen, und im nächsten Augenblick springt ein Hund gegen den Keiler vor. Es ist jener wolfsartige Hund, den man im Lager duldet, da er Feinde und Raubtiere wittert und so rechtzeitig Laut gibt, daß die Horde noch zu den Waffen greifen kann. In Notzeiten tötet man ihn, da sein Fleisch geschätzt ist. Er nährt sich von den Überbleibseln der Mahlzeiten und schläft in der warmen Asche des erloschenen Feuers. Man ist nicht gerade freundlich mit ihm, aber er zieht der Horde nach, folgt ihr auf ihren Wander- und Jagdzügen. Jetzt ist er plötzlich da, tapfer und wild steht er an der Seite des Jägers. Auch der Hund wird gegen das furchtbare Gewaff des Keilers nichts ausrichten — aber er erreicht, daß die Aufmerksamkeit des bedrohlichen Gegners geteilt ist. Der Gegner stutzt einen Augenblick zu lange. Sein mächtiger Schädel bietet sich noch einmal dem Jäger dar. Auf diese Weise mag der Vorzeitmensch auf die jagdlichen Vorzüge des Hundes gekommen sein und erstmals erkannt haben, daß er ein vorzüglicher Helfer im Jagdbetrieb sein könne. Der Steinzeitmensch 23
hatte erfaßt, daß der Hund nicht nur vor Raubtieren und Feinden •warnte und nicht nur als Wächter zu gebrauchen war.
Ursprünglich war die Jagd nur ein Mittel der Nahrungsbeschaffung und der Raubtierbekämpfung. So war es für den Jäger von Vorteil, wenn seine Hunde möglichst groß und stark waren. Aus diesem Grunde ist von der Vorzeit an bis ins klassische Altertum hinein das Bestreben zu beobachten,. große und starke Jagdhunde zu züchten. Das Ergebnis waren wahre Riesen, die es sogar mit Elefanten aufnahmen und sich auch an Löwen heranwagten und sie besiegten. In den Weiten der Steppenlandschaften aber, die von Gazellen und anderem schnelläufigen Wild bewohnt waren, mußte an die Stelle der bloßen Kraft die Schnelligkeit treten, und hier hat sich der Windhund entwickelt, wie er uns auf den ägyptischen Bildern begegnet und wie er in wenig veränderten Rassen noch heute bekannt ist. Gute Jagdhunde waren in der Antike hochgeschätzt. Der reiche athenische Politiker Alcibades zahlte für einen vielgelobten Gebrauchshund zur Jagd nach heutigem Gelde über fünftausend Mark, und von dem Perserkönig Kyros wird berichtet, er habe eine so große Anzahl von Jagdhunden gehalten, daß die Abgaben der vier bedeutendsten Städte des Landes nicht ausreichten, die Kosten ihres Unterhaltes zu decken. Heute noch gilt im Orient, wo der Hund seit dem Einfall der Araber im allgemeinen wenig geachtet ist, ein guter Windhund soviel wie ein Rassepferd. Über die Jagdmethoden der Alten wissen wir wenig. Wahrscheinlich war die Dressur des Jagdhundes eine primitive Abrichtung zur Hetzjagd. Der Hund verfolgte mit tiefer Nase die Spur des Wildes, oder er jagte mit den Augen. Er hetzte das Wild in Fallen, Netze und Fanggruben. Im Laufe der Jahrhunderte wandelten sich mit den Jagdformen auch die zur Jagd benutzten Hundearten. Besonders in Deutschland, England und Frankreich wurde für jede besondere Jagdaufgabe eine eigene Rasse herangezüchtet. Nicht das äußere Bild entschied, sondern die Brauchbarkeit bei Nachsucharbeiten auf Hoch- und Niederwild, beim Suchen im Feld, beim Stöbern im Walde und bei der Wasserjagd. Jagdhund und Haushund gingen eigene Entwicklungswege. Im Mittelalter galt der gute, laut jagende, schwere Leithund mit seinem langen Behang und den herabhängenden Lefzen als Krone 24
der Jagdhun