KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
EMIL RIEMEL
HUMMELVOLK B O M B I ...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
HEFTE
EMIL RIEMEL
HUMMELVOLK B O M B I N A U N D IHRE T Ö C H T E R U N D S Ö H N E
V E R L A G SEBASTIAN LUX M U R N A U - M Ü N C H E N - I N N S B R U C K - BASEL
Aus achtbarer Familie Sie sitzt auf einem Stein am Waldrand; die milde1 Märzsonne trocknet ihren nassen Pelz und erwärmt den noch halberstarrten Körper. Bombina, die Erdhummel, gleicht aufs Haar ihren zahllosen Schwestern, die alljährlich im Sommer unsere Fluren bevölkern; auch in ihrem Benehmen gibt es nichts, was sie von anderen Erdhummeln unterscheidet. Es sei denn, daß sie so früh im Lenz schon unterwegs und daß ihre Figur so überaus stattlich ist; vom Rüssel bis zur Spitze ihres Stachels mag sie mehr als zweieinhalb Zentimeter messen; zweifellos also ein Hummelweibchen, das überwintert hat und dem ein langer Sommer, reich an Pflichten und Gefahren, bevorsteht. Den etwas zur Fülle neigenden Körper umhüllt ein schwarz, gelb und weiß gebänderter Rauhhaarpelz, der außer den sechs schlanken Beinen nur das dunkel getönte Gesicht freiläßt. Zwei große, glänzendschwarze, oval geformte Augen starren in die noch karge Welt des eben beginnenden Frühlings. Sie reichen, ein wenig seitwärts stehend, vom Scheitel hinunter bis beinahe zu den Kiefern, und jedes Auge ist aus zweitausend einzelnen, voneinander unabhängigen, mit allem notwendigen Zubehör ausgestatteten Facettenaugen zusammengefügt. Zusammen erzeugen sie auf der Netzhaut ein mosaikartiges Bild der Umwelt. Sie sind zwar lichtschwächer und unschärfer als das Menschenauge, ihm aber darin überlegen, daß sie sowohl Richtung wie Geschwindigkeit sich bewegender Dinge, besonders in der Nähe, schneller und genauer registrieren. Hoch oben an der Stirn liegen noch drei kleine, punktförmige Augen, deren Zweck noch niemand kennt. Darunter ziert ein kleines Büschelchen schwarzer Haare das Gesicht, dessen Wangen eher breit als 2
lang sind. Zwischen den Augen ragen zwei Antennen empor, geformt aus je einem Schaft mit Wendeglied und der zehngliedrigen Geißel. Statt des Mundes sehen wir zwei scharfkantige, gezähnte Oberkiefer, die mit ihren Kauflächen senkrecht gegeneinander, stehen. Den feinen, zehn Millimeter langen Rüssel trägt unsere Hummel eingerollt unter dem Kinn. Bombina stammt aus einer achtbaren Hummelfamilie. Das muß betont werden, weil manche anderen Hummeln ein geradezu rücksichtsloses Schmarotzerleben auf Kosten ihrer Verwandten führen und weil ein echter Zusammenhalt wie in der Bombina-Familie bei Insekten nur selten vorkommt. In den volkreichen Gemeinschaften der Ameisen, Bienen und Termiten zum Beispiel beschäftigen sich die Mütter, die sogenannten Königinnen, stets nur mit der Ablage ihrer Eier. Die Hummelmütter dagegen teilen in ihren weit kleineren Nestern zeitlebens alle anfallenden Arbeiten getreulich mit ihren Töchtern. Bombinas Vater hat das Schicksal aller Hummelväter erlitten, er starb bereits zehn Monate vor ihrer Geburt. Die Mutter mußte für die Nachkommen sorgen. Sie verschaffte ihnen ein solides, behagliches Heim tief unter der Erde, baute Wiegen mit eßbaren Zellwänden hinein und zog zunächst siebenundfünfzig Töchter auf; sie waren und blieben sehr klein, nur halb so groß wie Bombina. Auch die folgenden erreichten ihre Größe nicht, alle waren sie unfruchtbar, aber sie erwiesen sich als sehr fleißige Hilfskräfte der Mutter. Mit Beginn des letzten Sommers kamen dann erst die Söhne hinzu, fünfzehn an der Zahl und zwölf prächtige, vollentwickelte Töchter, unter ihnen auch Bombina. Bombina hatte sich — wie auch die anderen Schwestern — vollkommen verwandelt, bevor sie als stattliche Hummel das Licht der Welt erblickte. Denn vorher lebte sie, nachdem sie die mütterliche Eischale gesprengt hatte, im Dunkel ihrer Zelle und hatte die Gestalt und das Wesen eines vorn und hinten zugespitzten winzigen Würmchens. Die enge Kammer der Zelle war mit Futterbrei aus Honig und Blütenstaub angefüllt. Obenauf, neben ihr, lagen zwei Tröpfchen reinen Honigs, den sie sich sofort einverleibte. Später nährte sich das Bombinawürmchen von dem Futterbrei, und aus
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dem Würmchen wurde eine fette Larve. Drei Wochen später schon spann die Larve rings um ihren Körper eine feste Hülle, einen Kokon, und vollzog darin eine neue Verwandlung. Sie löste sich gleichsam selber auf, und nun erst entstand auf geheimnisvolle Weise das fertige neue Wesen, die "Hummel Bombina. Im Kreise ihrer Familie beteiligte sich Bombina den ganzen Sommer über an den gemeinsamen Arbeiten im Hummelnest. Die Heimstätte wurde peinlich saubergehalten, das gemeinsame Lager war warm gepolstert, und volle Honigtöpfe standen immer bereit, für jeden, der davon naschen wollte. Alle, mit Ausnahme der verwöhnten Söhne, waren emsig tätig, und alle, mit Ausnahme der nicht waffentragenden Söhne, verteidigten ihr Heim mit giftgefüllten Wehrstacheln bis zum letzten gegen jeden, der mit schlimmen Absichten nahte. Von unvermeidbaren Störungen und Unfällen abgesehen, verbrachte die Familie einen gedeihlichen Sommer. Bombina genoß die vielen Freuden des Hummellebens, erfuhr das Glück der Liebe und trug die Keime zu neuem Leben in ihrem Leibe. Bis dann im Herbst die Mutter starb, für eine Hummel hochbetagt, im Alter von vierundsechzig Wochen. Die Honigtöpfe leerten sich, Kälte drang in die Erde, immer mehr verminderte sich die Zahl der Schwestern. Vergebens suchten die Überlebenden auf den verödeten Wiesen während der kurzen Sonnenstunden nach Blüten, nach Nektar. Viele kehrten von solchen Ausflügen nicht mehr zurück, andere erfroren in kalten Nächten oder wurden in den Morgenstunden halb erstarrt von Vögeln aufgefunden und verzehrt. Als der Winter einbrach, lebten von der großen Schar nur noch die befruchteten jungen Weibchen. Sie vergruben sich, einzeln verstreut, tief in Moos oder Erdlöchern an windgeschützten Stellen des Waldes und sanken in einen todesähnlichen Dauerschlaf, fünf Monate lang. Schnee bedeckte den Boden und bewahrte die schlafenden Hummeln vor allzustarken Frösten. Erst vor wenigen Tagen waren die erstarrten Schläferinnen wieder zum Leben erwacht. So hatte auch Bombina an einem dieser warmen Vorfrühlingstage mit klammen Gliedern ihr feucht gewordenes Winterversteck verlassen.
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ergewonnenes Leben Nun läßt sie sich die warme Sonne auf den Buckel brennen. Mit zwanzig an beiden Körperseiten verteilten Atemöffnungen saugt sie die milde Luft in vollen Zügen ein. Rasch trocknen die nassen Schwingen und der feuchte Pelz, aufs neue durchströmt' das trag gewordene Blut den Körper und alle Glieder. Langsam regt sich die Lebenslust wieder. Nun ist sie nach ihrem Vorleben als Larve und
Ausgestreckter Hummelrüssel, hundertfach vergrößert. 5
Sommerhummel das dritte Mal zum Leben erwacht, verlassen von allen Schwestern, ohne schützendes Heim, ganz allein auf sich selbst gestellt. Vergessen ist die Vergangenheit, und was ihr bevorsteht, was sie alles zu verrichten hat in den kommenden Wochen, davon weiß sie nichts. Allein ihr Gefühl, ihr untrügliches ererbtes Können wird sie führen — ihre Instinkte also, und das sind recht merkwürdige Eigenschaften, die insbesondere alle Insekten befähigen, ohne Vernunft jederzeit so zweckmäßig zu handeln, als wären sie dennoch vernünftig. Als Bombina auf ihrem Stein völlig getrocknet und hellwach ist, beginnt sie sich zu säubern, denn das Winterlager hat Spuren hinterlassen. Zum Putzen dienen sechs Bürsten und zwei Spezialkämme, die. an geeigneten Stellen der Beine zweckmäßig verteilt sind: An den Vorderbeinen, am oberen Teil der Ferse, befindet sich je eine Putzscharte, ein halbkreisförmiger Einschnitt, besetzt mit einem Kamm feinster Härchen. Ihr gegenüber, am Hinterende der Schiene, ragt ein Sporn hervor, der sich beim Krümmen des Gelenkes gegen die Öffnung der Putzscharte preßt. Bombina legt den linken Fühlerschaft in die Fersenscharte, verschließt sie mit dem Sporn und zieht den verschmutzten Fühler in seiner ganzen Länge durch den kreisförmigen Haarkamm. Das wiederholt sie so oft, bis auch das allerletzte Stäubchen von der empfindlichen Fühlerantenne gefegt ist. Ebenso verfährt sie mit dem rechten Fühler. Dann schrubbt sie mit ihren Borstenbürsten, die an den Innenseiten aller sechs Fersen liegen, Schmutz und Staub von Kopf, Körper, Beinen und Flügeln, bürstet auch den Pelz auf Hochglanz, bis sie zuletzt vor Sauberkeit und Frische nur so strahlt. Bombina ist zum neuen Leben bereit. Was ihr jetzt/nach dem fünfmonatelangen Winterfasten, vor allem not tut, ist eine stärkende Mahlzeit. Zwar bietet die Jahreszeit noch nicht viele Blüten, Bombina weiß aber auch die wenigen, weitverstreuten schnell zu finden. Ganz in ihrer Nähe locken leuchtend blaue Frühlingsanemonen. Da Blau zu ihren Lieblingsfarben zählt, fliegt sie fröhlich summend hinüber und umklammert eines der zarten Blümchen, das sich unter der Last der schweren Hummel 6
tief zur Erde neigt. So tief, daß Bombinas Rücken beinahe den Boden berührt und der schwache Blütenstengel zu brechen droht. Diese bescheidenen Lenzblümchen sind indessen sehr arm, sie können ihren Gästen keinen Nektar, nur ein wenig Blütenstaub anbieten. Mit solch trockener Kost ist der hungrigen Hummel aber gerade jetzt nur wenig gedient, sie braucht als Ergänzung einen belebenden Trank. Also rührt sie mit ihren Fühlern ein wenig in der Luft herum und erspürt alsbald sehr verlockende Düfte. Zwischen den Stämmen hoher Buchen führt die kurze Luftreise geradenwegs zu den purpurroten Sternen des vollerblühten Seidelbastes. Tief senkt Bombina ihren Rüssel immer wieder in die übervollen Kelche und füllt sich den leeren Magen mit dem süßen Nektar. Daß ihr dabei die Staubfäden der Blüten jeweils einige Pollenkörnchen auf den Rüssel kleben, stört die Hummel nicht. Sie streift die Körnchen wie zufällig an den Fruchtknoten anderer Seidelbastblüten wieder ab. Dadurch ist sowohl Bombina wie den Sträuchern geholfen, die die Hummel als zuverlässigen Bestäuber benutzen. So vergeht, angenehm unterbrochen von Sonnenbädern, die erste Stunde des wiedergewonnenen Lebens. Bombina ist wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte und von unbändigem Lebensdrang erfüllt. Steil stürmt sie in den Himmel hinauf, herab zu den Fluren und jagt in weiten Kreisen über die Wiesen, so lange, bis sich erneut der Hunger meldet. Diesmal hilft die Salweide, die am Ufer eben ihre Kätzchen entfaltet. Viele Bienen sind hier bereits an der Arbeit, raffen eilig Blütenstaub in ihre Sammelkörbchen und füllen die Vormägen mit Nektar als Futter für ihre junge Brut und für jene Schwestern, die im Stock alle „Hände" voll zu tun haben. Auch Bombina schleckt lange von den fast offen liegenden Honigtröpfchen und hört nicht eher auf, bis sie übersatt und angenehm ermüdet zu Boden taumelt, um dort, versteckt im dürren Gras, ein kurzes Schläfchen zu halten.
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A u f ^Wohnungssuche Wie verschieden verteilt sind doch die Lebensaufgaben der Kerfe! Schmetterlinge, die überwintert haben oder im Lenz aus ihren Puppenhüllen schlüpfen, erleben einen unbeschwerten Frühling, lassen sich von den Blumen ernähren, flattern von einem Liebesspiel zum anderen, kurz, sie vertändeln ihre sonnigen Tage mit genüßlichen Dingen. Solch ein süßes Leben ist Bombina nicht bestimmt. Denn die befruchtete Bombina erwartet schon bald Nachwuchs, der viel von ihr verlangt: harte Arbeit, zähes Ausharren, Mut und Geschicklichkeit. Hummelbrut ist während ihrer ganzen Entwicklung hilflos, sie muß von den Müttern ausreichend geschützt und dauernd versorgt werden. Bombina muß sich sputen, denn jetzt gilt es, eine eigene Wohnstätte zu finden, und das kann lange dauern. Erdhummeln bauen ihre Nester in Höhlen. Das tun viele ihrer Verwandten aus der Gruppe der Stachelimmen, und wir kennen unter ihnen hervorragende Baumeisterinnen, die ihre unterirdischen Stollengänge und Kammern in den verschiedensten Formen selbst ausschachten: Ameisen, Grabwespen, Furchenbienen und auch die den Hummeln äußerlich recht ähnlichen Pelzbienen. Zu solchen Arbeiten aber sind Hummeln nicht befähigt, sie suchen sich vielmehr verlassene Fertigbauten anderer Tiere oder natürliche Höhlen. Da-, von gibt es genug; alte Wühlmausgänge und dergleichen finden sich überall. Aber es ist selten der Fall, daß diese Gelegenheiten den Ansprüchen einer Hummelfamilie auf den ersten Anhieb entsprechen. Und zudem ist Bombina nicht die einzige, die sich jetzt auf Wohnungssuche begibt. Mit ihr fahnden bereits viele andere nach günstigen Objekten. Instinktiv sucht Bombina zunächst das mütterliche Heim-vom letzten Jahr auf, und ihr ausgezeichneter Orientierungssinn läßt sie den heimlichen Zugang trotz der inzwischen verstrichenen Zeit bald wiederentdecken. Doch eine ihrer Schwestern ist früher aufgestanden und hat bereits die Wohnung bezogen. So friedlich die beiden im vergangenen Jahr miteinander gelebt, so eng und kameradschaftlich sie sich an kalten Tagen aneinandergepreßt und ohne Neid aus denselben Honigtöpfen geschleckt haben, 8
Weidenkätzchen, eine der frühesten Futterquellen.
JO gründlich scheint das alles vergessen zu sein. Jetzt herrscht ein anderer Ton: Erbittert streiten die beiden um das Erbe, balgen miteinander und reißen sich wie Furien gegenseitig die Haare aus. Die Schwester besitzt indes die schärferen Krallen und bissigeren Kiefern. Sie zwickt und kratzt so heftig, daß Bombina sich geschlagen gibt und sich zuletzt fluchtartig zurückzieht. 9
Nun muß sie es anderswo versuchen. Dicht über der Erde ihre Kreise ziehend, erforscht sie überall das Gelände nach einer verborgenen Unterkunft. Es gibt viele örtlichkeiten, die geprüft werden müssen, aber keine entspricht ihren Erwartungen, oder sie sind bereits von anderen Erdhummeln besetzt. Auch an gefährlichen Begegnungen fehlt es nicht. Einmal, in einem Loch unter einem Felsbrocken, rennt sie beinahe einer Eidechse in den Radien, nur im letzten Augenblick kann sie dem entsetzlichen Drachen entwetzen. Zornig pfeifend stürzt Bombina ans Tageslicht und beruhigt sich erst nach einem guten Tropfen Märzenbechernektar. Bald darauf stolpert sie in einem halbverfallenen Erdgang fast über eine Spitzmaus, die zum Glück eben ihr Nickerchen macht. Als Schneeflocken vom Himmel wirbeln, ein eisiger Nordost über das Land fegt und für drei Tage der Winter zurückkehrt, muß Bombina eine Pause einlegen und ihre kostbare Zeit tatenlos unter einem Haufen welker Blätter vertrödeln. Erst in der zweiten Woche — sie hat inzwischen wohl fast tausend Löcher und Höhlen geprüft — entdeckt sie endlich etwas, das ihren Absichten so ziemlich entspricht. Am Rain einer südseitigen Hangwiese liegt unter einem Steinhaufen ein alter Stollen, vor Nässe geschützt, Gestrüpp und Wurzelwerk verbergen den Zugang. Der Stollen führt nach mehreren Windungen in etwa zwanzig Zentimeter Tiefe in eine Kammer, geräumig genug für hundert und mehr Hummeln. Trotz der Schneeschmelze ist der Raum knochentrocken. Irgendwer muß in vergangener Zeit diese Höhle bereits bewohnt haben, denn am Boden verstreut liegen noch Häufchen zerbissener Halme, Flaumfedern und Pflanzenwolle. Lange und gründlich prüft Bombina die Vorteile der Behausung und erforscht auch die nähere und weitere Umgebung, insbesondere nach 'Ameisennestern. Da sie nichts Bedrohliches entdeckt, ist sie entschlossen, hier seßhaft zu werden. Sie säubert Stollen und Kammern von Schutt und Abfällen, nimmt sich die vorhandenen Niststoffe vor, zerrupft die gröberen Teile sorgfältig zu feinsten Fasern und schichtet sie am Ende der Kammer zu einem Haufen. Ringsum stützt sie ihn mit Erdkrumen und kleinen Steinchen ab. In der Mitte ihrer „Daunen" stampft und wühlt sie einen kleinen 10
Manni Hesse
Digital unterschrieben von Manni Hesse DN: cn=Manni Hesse, c=DE Datum: 2007.01.07 12:32:01 +01'00'
Pfuhl zurecht, der ihr reichlich Platz gewährt. Bis spät in die Nacht werkelt sie bald da, bald dort, um dann todmüde, zum erstenmal im neuen Heim, im eigenen Bett einzuschlummern
Die erste Brut^eue Anderntags, sobald die Sonne am Himmel aufsteigt, fliegt Bombina aus, um „einzukaufen". Sie benötigt jetzt eine Menge Blütenstaub, und da sie weiß, daß die Bachweide genügend davon feil hält, macht sie dort ihren Besuch. Mit den Kiefern kratzt und mit den Fersenbürsten kehrt sie emsig Pollenstaub von den Blütenkätzchen. Soweit er nicht feucht genug ist, speichelt sie ihn mit etwas Honig ein und formt kleine Bällchen daraus. Noch während des Fluges zur nächsten Blüte befördert sie die Bällchen über die Mittelbeine geschickt in die Sammelkörbchen, flache, ringsum mit starren Haaren versehene Hautstellen an den Außenseiten der Hinterbeine. Zwanzigmal schwirrt Bombina geschäftig von der Weide zum Nest, und jedesmal trägt sie am letzten Beinpaar neckische Höschen aus schwefelgelbem Blütenstaub. Endlich scheint ihr das in der Nestkuhle aufgeschichtete Häufchen groß genug zu sein: Der nächste Arbeitsgang kann beginnen. Eine Brutzelle in Gestalt eines Napfes soll geformt werden, nicht kleiner und nicht größer, als daß ein halbes Dutzend Hummellarven und der notwendige Futtervorrat darin Platz finden. Der Napf darf weder zu flach noch zu schmal geraten, und die Wände müssen von genau bestimmter Stärke sein. Von solchen Notwendigkeiten aber weiß Bombina nichts, sie formt den Napf nach keinem vorbedachten Plan und gibt ihrem Werk doch genau die richtige Gestalt, wie sie ihre Vorfahren seit Jahrtausenden gewählt haben und die alle Erdhummelweibchen überall nur so und nicht anders herstellen werden. Der Einwand, Bombina solche Näpfe gesehen und ist aus mehreren Gründen zu sind Insekten niemals
habe ja im vergangenen Jahr zuhause sich ihre Herstellung einprägen können, hinfällig. Lernen, etwas nachahmen, dafähig. Zudem gab es in der Zeit, als II
Bombina eine Hummel wurde, im mütterlichen Nest keine Brutzellen mehr; längst waren alle Zellwände abgetragen. Nein, zu Hause hat sie keine Erfahrungen sammeln können, die sich jetzt verwerten ließen. Alles geschieht aus angeborenen Instinkten. Indes, aus Staub kann niemals ein Topf werden, ein Bindemittel muß auch dabei sein. Bei Hummeln besteht es aus Wachs, das aus dem Körper, aus den Verbindungshäutchen der Leibesringe, ausgeschwitzt wird und an der Luft sofort zu flachen, weichen Plättchen erstarrt. Mit Zangen, die sich . an den Fersengliedern und Unterschenkeln der Beine befinden, faßt Bombina die Wachsscheibchen, schiebt sie zwischen ihre Kiefer und knetet Klümpchen daraus. Aus ihnen formt sie durch andauerndes Pressen und Glätten in der Mitte ihrer Nestkuhle eine runde Bodenplatte. Für die Wände, die eßbar sein sollen, vermengt sie das Wachs jeweils mit der doppelten Menge Blütenstaub. So entsteht aus Körnchen um Körnchen ein annähernd senkrecht stehender, bauchig gerundeter Napf, die Brutzelle. Wenn auch das Wachs verhältnismäßig weich und der Pollenstaub leicht ist, für Bombinas geringe Kräfte erfordert die Töpferei sehr viel Zeit und Mühe, und dabei ist erst die untere Hälfte der Zelle fertiggeworden. Bevor Bombina die Brutzelle verschließt, füllt sie Futterbrei, mit Honig vermischten Blütenstaub, hinein und stampft ihn ein wenig fest. Obendrauf legt sie sechs blendend weiße, leicht gekrümmte Eier, jedes zweieinhalb Millimeter lang und einen Millimeter dick. Daneben fügt sie ein paar Honigtröpfchen. Jetzt erst verschließt sie die Öffnung mit einer dünnen Wachsschicht. Anschließend beginnt sie ein zweites Stockwerk, eine zweite Brutzelle, zu errichten, die in gleicher Weise mit Futter und Eiern versorgt und zuletzt verschlossen wird. Aus den Näpfen samt Inhalt sollen in einigen Wochen etwa ein Dutzend junger Hummeln entstehen, der bescheidene Anfang zu Bombinas großer Familie. Allein, es kommt diesmal anders: Bombina hat eben den obersten Deckel vollendet, als der Boden der Höhle zu beben beginnt; die Wände wanken, stürzen ein, unheimlich schnell öffnet sich in der Erde ein breiter Spalt. Bombina erreicht gerade noch den rettenden Gang und rennt um ihr Leben; denn hinter ihr bricht alles zusammen. Es mag ein Maulwurf sein, 12
der einen neuen Stollen aushebt und dabei Bombinas Nest aufwölbt und zertrümmert. Trotz der Gefahr, in der sie schwebt, drängt es sie zur Katastrophenstelle zurück, aber sie ist viel zu schwach, als daß sie die Trümmerstätte durchstoßen könnte. Heim und Familie sind verloren. Bombina zögert nicht lange, aufs neue zieht sie suchend ihre Kreise, um anderswo von vorn zu beginnen. Inzwischen haben alle überwinterten Erdhummelweibchen Nester bezogen, und auch Steinund Gartenhummeln haben sich eingenistet. Bombina muß das nächstbeste nehmen, was sich ihr anbietet. Unter den Bodenbrettern eines Schuppens findet sie etwas Brauchbares. Acht Tage später stehen auch hier zwei Brutnäpfe übereinander fix und fertig in der Nestmulde, und nahebei ein kleinerer offener Topf aus reinem Wachs, den sie bis zum Rand mit Honig füllt. Es ist der Mundvorrat für die Regentage, wenn die Blütengeschäfte draußen geschlossen haben.
E s r e g t sich i n d e n Z e l l e n Zur gegebenen Stunde krabbeln in den beiden Brutzellen winzige Würmchen aus den Eiern, sieben Larven unten und sechs oben; hilflose Geschöpfe, blind und ohne Beine. Ein bißchen Haut, ein Stückchen Darm mit einer Mundöffnung, das ist so ziemlich alles. Immerhin genug, um den Kuchenberg, auf dem sie liegen, schnellstmöglich aufzufressen. Um ihren nicht geringen Appetit noch zu steigern, sorgt Bombina für ein wohligwarmes Klima in den Zellen: Sie umhüllt die Näpfe so dicht mit Niststoffen, daß sie völlig darin verschwinden; nur unten wühlt sie sich einen engen Zugang zurecht und kriecht hinein. Tag und Nacht, mit nur kurzen Unterbrechungen, preßt sie ihren Leib von außen eng an die Zellenwände und wärmt so die junge Brut. Unter der fördernden Wärme entwickeln die Larven bei der Umwandlung von Blütenstaub in Körperfett einen solchen Eifer, daß ihr Gewicht sich täglich mehr als verdoppelt. Als der Vorratskuchen zu Ende geht, kommen die dicken, wohlschmeckenden Wände dran. Nur die äußerste Schicht lassen sie übrig, eine dünne Haut, die 13
wegen der drangvoll werdenden Enge in den Kammern leicht platzt. An solche Risse pappt Bombina eiligst wieder dicke Klumpen aus Blütenstaub, vermengt ihn mit Wachs, und auch diese Klumpen werden dann von den Inwohnern fleißig ausgehöhlt. Wo verdaut wird, entstehen, das ist unvermeidlich, auch Abfälle. Aber wohin damit in den engen Kammern, die mit Lebensmitteln und dreizehn unentwegten Zechern überfüllt sind? Kaum denkbar, daß sie sich selbst und ihre Kost damit besudeln! Zwar enthält die Nahrung der Larven nur hochwertige Stoffe, die fast restlos verdaut werden; aber ein geringer Rest bleibt, und den verwahren die Larven während ihrer ganzen Entwicklung im Enddarm, der keinen Ausgang besitzt. Eine überaus praktische Lösung dieses heiklen Problems! Erst bei der letzten Häutung werden die angesammelten Kotballen mit abgestoßen. Sie verbleiben, gut eingehüllt, in der abgelegten Haut und werden später hinausbefördert. Das ist nach vierzehn Tagen der Fall, die Larven haben inzwischen nacheinander ihre Puppenhüllen gesponnen. Da sie nun den ganzen Raum ausfüllen, geht das nicht ohne Gedränge ab, was die gutgepolsterten Fettsäcke jedoch wenig stört.
Die Hilfstöchter In abermals vierzehn Tagen vollzieht sich innerhalb der Brutzellen und innerhalb ihrer gelben Seidentönnchen die Umwandlung der trägen Larven in Hummeln. Bombina greift nun zu, legt die Puppen frei, entfernt die Zellwände und wärmt die Kokons von jetzt ab direkt mit ihrem Körper. Sie hilft den jungen Hummeln auch, beim öffnen und Verlassen ihrer Seidenhüllen. Und im gleichen Augenblick herrscht lebhafter Betrieb in der Hummelhöhle. Es sind dreizehn Töchter, klein zwar und unterentwickelt; denn zu viele mußten in den Zellen Raum und Nahrung teilen; aber alle sind sie quicklebendig. Außer den verkümmerten Keimdrüsen besitzen sie alles, was zu einer Erdhummel gehört. Ihre Pelze zeigen anfangs eine gelblichweiße Farbe, werden aber in wenigen Tagen ähnlich bunt wie der Pelz der Mutter. 14
Die dreizehn Zwerglein regen und rühren sich. Ohne Anleitung, ohne Zwang räumen sie die Kammer auf, beseitigen die Abfälle, schwitzen Wachs aus, helfen neue Brutnäpfe bauen, schleppen dürre Halme zusammen und was sie sonst noch Geeignetes vor dem Nest vorfinden, fertigen Berge von Nistmaterial daraus und häufen es rings um die Brutzellen zum Wärmepolster auf. Nur Nahrungsmittel, Honig und Blütenstaub, muß Bombina in den ersten Tagen noch allein besorgen, und sie ist unermüdlich unterwegs. Doch bald fliegen auch die Töchter aus. Jede, umkreist, ehe sie auf ihre erste Reise geht, fünf bis zehn Minuten lang, zunächst in engen, dann in immer weiteren Spiralen, erst tief, dann immer höher, den Nesteingang und prägt sich aus naher und weiterer Sicht genau alle Merkmale der Umgebung ein; nicht nur ihr Leben, auch das der übrigen Familie hängt davon ab, daß sie bei der Rückkehr den versteckten Zugang zum Nest wieder auffinden. Die exakte Geometrie des Wabenbaus, wie sie die Honigbienen anwenden, finden wir in Hummelnestern nicht. Warum auch? Äußerste Raumausnutzung wird nur notwendig bei übervölkerten Staaten, nicht in den kleinen Familien der Hummeln. Wie Bombina, so halten sich auch ihre Töchter beim Bau der Brutzellen nicht an die Gesetze der strengen Mathematik, sie bilden ihr Werk eher nach Art der modernen Kunst. Ob die Zellen ein wenig schief stehen, ob eine etwas hervorragt, die andere etwas tiefer liegt, den Hummeln ist das ziemlich gleichgültig, darauf kommt es nicht an. Mehr oder weniger zeigt die Anhäufung der Brutzellen, die bis zum Hochsommer Größe und Form einer leicht eingekrümmten Handfläche erreicht, einen ziemlich schlampigen Aufbau, wärme- und bautechnisch hingegen ist sie einwandfrei; denn die Zellen werden dicht aneinandergestellt und miteinander verbunden, damit mehr Wärme entsteht und Baumaterial gespart wird. Als die Brutnäpfe sich rasch vermehren, verteilt Bombina ihre Eier fortan großzügiger. Statt mit sechs oder sieben, belegt sie jetzt die einzelnen Zellen nur mit zwei bis vier Eiern. So bekommen die Larven mehr Raum und auch mehr Futter, sie wachsen zu kräftigeren Hummeln heran, die nach dem Schlüpfen aus den Kokons beinahe so groß wie die Mutter sind. Mit der steigenden Zahl der Nestinwohner müssen auch mehr Vorräte gehalten werden. Weil Wachs ein zu kostbarer 15
Stoff ist, verwenden die Hummeln jetzt auch die leer gewordenen Puppentönnchen als Behälter für Honig und Pollen. Das von den alten Zellen sorgsam abgetragene Wachs wird bei Neubauten wieder verwendet. Bombinas wichtigste, aber durchaus nicht einzige Aufgabe besteht weiterhin in der Ablage von Eiern. Die unfruchtbaren Hilfstöchter können ihr dabei nicht helfen, im Gegenteil: Paßt Bombina einmal nicht auf, rennen sie zu der noch unverschlossenen Zelle, stehlen sich heimlich eines der eben abgelegten Eier und tragen es in eine stille Ecke, um es dort zu verzehren. Erwischt die Hummelmutter ihre mißratenen Töchter dabei, dann setzt es unnachsichtlich schmerzhafte Bisse und Püffe, so oft und so gründlich, bis die Naschhaften vernünftig werden. Ein bei Insekten sehr seltener Fall von Strafe und Erziehung! Das ist im allgemeinen weder üblich noch notwendig. Die Nachkommen, auch wenn sie mit den Eltern zusammenhausen, bedürfen im allgemeinen keines Zwanges, keiner guten Beispiele, um stets zur rechten Zeit das Rechte zu tun. So haben Bombinas Nachkommen der Mutter nicht erst abzugucken brauchen, wie man aus Streu Häcksel macht und weiche Polster daraus herstellt. Sie „wissen", daß man Pollen zum Bau der Wände mit Wachs, zum Futterbrei aber mit Honig vermischt und in welchem Verhältnis die Mischung erfolgen muß. Sie „wissen", wo eingebrachte Vorräte jeweils aufbewahrt werden und welche Formen Brutzellen haben müssen. Sie, die als Larven blind, flügellos und ohne Beine waren, spazieren zum Nest hinaus, entfalten ihre Schwingen und erheben sich in die Luft, ohne Anleitung, ja, ohne Aufforderung, als hätten sie seit eh und je nichts anderes getan. Sie, die vordem Blinden, „wissen" sofort, wie notwendig es ist, sich Merkzeichen genau einzuprägen. Bis'vor kurzem fraßen sie Brei und eßbare Wände, nunmehr fliegen sie ohne Zögern Blüten an, die sie nie gesehen haben. Trotz der Vielgestalt der Blütenformen finden sie bei allen sofort den oft sehr verborgenen Zugang zum Kelch, saugen den Nektar nicht nur in ihre Mägen, sondern füllen damit auch die Vormägen, deren Inhalt dann später der Brut zugute kommt, für Zwecke also, von denen sie nichts ahnen können. Sie häufen Blütenstaub in ihre 16
Hummel versucht sich an einer Blattknospe.
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Körbchen und tragen ihn brav nach Hause, alles Dinge, die wir unseren Kindern erst erklären und wozu wir sie erst anlernen müssen.
Die Erbfcindin In dieser Zeit — Bombina prüft gerade am Ende der Kammer ein Wärmepolster — erhält sie Besuch. Eine Hummel, die nicht zur Familie gehört, kommt in die Höhle und tut sehr unbefangen. Noch sind wegen der geringen Töchterzahl Wachen am Eingang nicht eingesetzt, vermutlich hätte sich der Eindringling auch von ihnen nicht abhalten lassen. Die wildfremde Hummel spaziert in Bombinas Haus herum, als wäre sie herzlichst eingeladen und hochwillkommen. Die Hilfstöchter starren erschreckt auf die seltsame Besucherin. Die aber kümmert sich nicht um die schwächlichen Hummelkinder, stolziert langsam und ohne Scheu zu einer der Brutzellen und betrachtet sie sehr eingehend und unternehmungslustig. Jetzt erst wird auch Bombina aufmerksam; kaum gewahrt sie die Fremde, stürzt sie auf sie zu. Denn diese Unbekannte, das fühlt sie sofort, kann nur ihre schlimmste Erbfeindin sein, eine schmarotzende Kuckuckshummel. Der Name sagt es: Kuckuckshummeln sind Hummeln, die sich und ihre Nachkommen auf Kosten anderer, arbeitsamer Hummeln ernähren lassen, eine im Reich der Kerfe recht verbreitete Lebensweise, deren Ursache nicht auf Arbeitsscheu, sondern auf angeborenem Zwang beruht. So ziemlich alle bei uns hausenden Hummelarten werden ständig von den etwa zehn Arten der Kuckuckshummeln bedroht. Sie sehen den eigentlichen Hummeln so täuschend ähnlich, daß man schon genau hinschauen muß, um sie zu erkennen. Bei den Weibchen geht das noch eher; denn die abgeplatteten, kahlen Sammelkörbchen der echten Hummeln fehlen ihnen, auch steht ihr Stachel nicht wie bei den echten nach oben, sondern etwas abwärts, den Hinterleib tragen sie stark eingekrümmt, und ihr Chitinpanzer ist weit stärker. Oft fallen sie auch durch die rauchgraue Tönung ihrer Flügel auf. Dicke Hummeln, 18 >
die etwa im Frühsommer träge an Distelblüten herumnaschen und deren Hinterleib nicht spitz, sondern abgerundet endet (was aber ein Kennzeichen aller männlichen Hummeln ist!), sind meist Männchen der Schmarotzerhummel, da die Männchen der echten Hummeln so früh nicht erscheinen. Die einzelnen Arten der Schmarotzerweibchen haben sich jeweils auf den Besuch ganz bestimmter Hummelarten spezialisiert, sie tragen häufig sogar Farben, die denen ihrer Wirtinnen, ihrer unfreiwilligen Verpflegerinnen, oft täuschend ähneln. Mit drohend geöffneten Kiefern und mit gesträubten Haaren geht Bombina auf die Kuckuckshummel los. Meist sind die Schmarotzer größer als ihre Wirte, diesmal handelt es sich um ein kleineres Exemplar. Trotzdem ist Bombina im Nachteil, denn ihr Stachel kann den harten Panzer der Gegnerin niemals durchdringen. Die Fremde wehrt den Anprall ab, geht aber nicht selbst zum Angriff über. Denn vorteilhafter, als ihre Wirtin zu ermorden, muß für sie, wenigstens zunächst, eine Art Koexistenz sein. So weicht sie mehr und mehr zurück, verkriecht sich unter den Bodenteppich, wird dort wieder herausgetrieben und nun auch von den Hilfshummeln bedrängt. Bedeckt mit vielen Schrammen und mit einem halbzerfetzten Hinterflügel, entflieht sie der ungastlichen Stätte. Wäre es der Fremden gelungen, ihre Absichten durchzusetzen, so hätte das für Bombinas Familie den langsamen, aber unausweichlichen Untergang bedeutet. Stirbt nämlich die Nestmutter bei solchen Kämpfen, so wenden sich ihre Hilfstöchter der siegreichen Kuckuckshummel zu und unterstützen sie in ihrem Brutgeschäft. Was sollen sie sonst auch tun, ihre Bestimmung ist ja, zu helfen und zu pflegen! Abgesehen von den bereits in den Zellen ruhenden Eiern und Larven gäbe es dann forthin keine Erdhummeln mehr in solchen Nestern, und als schlimmste Folge würden darin keine Männchen und geschlechtsreifen Weibchen der Nestgründer entstehen können, sondern nur solche der Schmarotzerhummel. Sie erzeugt keine Hilfshummeln, nur fortpflanzungsfähige Töchter und Söhne. Zudem ist sie unfähig, selbst Brutzellen zu bauen, sie kann deshalb ihre Brut nur in fremden Nestern unterbringen. — Diesmal aber ist es mißlungen. 19
In andern Fällen aber, wenn etwa die angestammte Mutter beim Eindringen der Kuckuckshummel gerade ausgeflogen ist, nimmt die Geschichte einen ganz anderen Verlauf. Die Hilfstöchter, solange sie schwach und wenige sind, können die Fremde nicht abwehren, auch wenn sie es versuchen würden. Kehrt die Mutter zurück, verkriecht sich die Schmarotzerin und kommt immer nur für kurze Zeit zum Vorschein. Merkwürdigerweise wird sie später nicht mehr angegriffen, sondern, als nunmehr zum Nest gehörig, geduldet. Auch bei einem solchen Zusammenhausen erleidet die ursprüngliche Familie schwere Verluste, Kuckuckshummeln legen ihre Eier zu denen der Hausherrin. Da sie sich schneller und kräftiger entwickeln, sind die Schmarotzerlarven den anderen überlegen, fressen ihnen das Futter weg und kommen auf alle Fälle durch, während die Hummellarven meist verkümmern. Wir mögen die picht gerade lobenswerten Gewohnheiten der Kuckuckshummeln verurteilen, sollten jedoch nicht übersehen, daß sie nicht anders handeln können. Sie haben keine Wahl, sie sind angetreten nach den ihnen gegebenen Gesetzen. Erstaunlich, mit welcher Sicherheit die zunächst heimatlosen Kuckuckshummelmütter die ihnen jeweils entsprechenden Hummelnester aufzufinden wissen. Wer selbst so ein Nest suchen will, wird immer gut daran tun, wenn er einer dieser langsam fliegenden, überall herumspürenden Kuckuckshummeln folgt. Sie findet das Gesuchte weitaus schneller als der erfahrenste Hummelspezialist. Die seltsamen Weibchen sind übrigens nicht nur Schmarotzer. Sie beteiligen sich regelmäßig an den allgemeinen Nestarbeiten, sie bemühen sich auch, obwohl sie nur schlecht dafür ausgerüstet sind, Blütenstaub einzutragen. Wie die sogenannten Bauchsammlerinnen unter den Bienen streifen sie mit den Haaren der Körperunterseite Poljen von den Staubfäden und bringen das Wenige, das dabei haftenbleibt, getreulich ins Nest. Die echten Kuckucke verfahren weitaus brutaler als die Hummeln, die ihren Namen tragen*).
*) Vgl. Lux-Lesebogen Nr. 123, „Der Kuckuck". 20
Hilfstöchter einer Hummelfamilie (Steinhummel) versorgen die Brut mit Nahrung. Das Nest besteht nicht, wie bei den Bienen, aus einem wohlgeordneten, raumsparend ineinandergefügten Zellenbau, sondern aus einem zwar zusammenhängenden, doch willkürlich zusammengebauten Zellengewirr. 21
Ernte im Kleefeld Als Ende Mai ein dem Nest benachbartes Kleefeld erblüht, schwelgt die Hummelfamilie im Überfluß. Sie zählt schon mehrere Dutzend Helferinnen, darunter auch kräftigere Gestalten. Es ist Hochbetrieb im Nest und draußen; denn der in den tiefen Kelchen der Rotkleeblüten verborgene Nektar gehört den Hummeln fast ganz allein. Abgesehen von den Schmetterlingen besitzen allein die Hummeln entsprechend lange Rüssel, um den Schatz der Kleeblüten heben zu können. Der Rotkleenektar liegt um etwa einen Millimeter zu tief für die Rüssel anderer Insekten, besonders der Bienenvölker, die sonst recht oft bei ihren Ernten im Wettbewerb mit den Hummeln stehen. Nicht nur Bombinas Familie ist herbeigeeilt; auch alle Erdhummeln aus der weiteren Umgebung, auch Stein-, Garten-, Moos-, Wald- und Wiesenhummeln, soweit diese Pelzträger im Umkreis von zwei Kilometern behaust sind, tummeln sich jetzt am Rotklee, dieser wertvollen Futterpflanze, die über manche Umwege auch uns mit Fleisch und Milch versorgt. Das wäre freilich ohne Hummeln nicht möglich. Bei Sonnenschein leuchten aus dem grünen Meer der Kleeblätter purpurn Millionen von Blüten. Ein buntes Bild, ergänzt durch die farbenfrohen Schwingen der Falter und die vielfarbenen Pelze der Hummeln. Grillenmännchen fiedeln auf ihren Kratzzithern, und das tiefe Gesumm der sammelnden Hummeln liefert den Kontrabaß dazu. Unhörbar und so gut wie unsichtbar bleibt jedoch das emsige Geschehen, das sich, solange die Sonne leuchtet, zu jeder Sekunde an Tausenden dieser Blüten abspielt; das Heben und Senken unzähliger Staubfäden und Blütenblätter, das Leeren aller Blütenkelche, das unausgesetzte Anheften der Blütenpollen am Körper der Gäste, das fortwährende Abstreifen der Pollen an den Stempeln anderer Blüten, all die heimlichen ineinandergreifenden Vorgänge, die hier unausgesetzt und tausendfach zugleich geschehen. All das bleibt unseren Augen mehr oder weniger verborgen. Es ist ein fröhliches, unaufhörliches Beschenken allerseits, ohne feige 22
Hinterlist, ohne brutale Gewalt. Freilich, ganz vollkommen ist auch diese Traumwelt nicht. Da und dort weben Spinnen ihre Netze, andere lauern gut getarnt auf den Blüten nach Opfern, und auch die Vögel holen sich ihre Beute. Immerhin, im Vergleich zu dem Nützlichen und Guten, das hier geschieht, ist das Üble gering. Die Hummeln tragen bei ihrer Heimkehr dunkelgrüne Höschen an den Hinterbeinen, entsprechend der Farbe des Rotkleepollens. Die Staubfäden dieser Pflanzen streifen den Pollen am Bauch des Gastes ab, und was dort hängenbleibt und nicht in die Körbchen gebürstet wird, streifen die Hummeln dann an anderen Rotkleeblüten, und zwar an ihren Fruchtknoten ab. Andere Blüten suchen sich andere Stellen zum Abstreifen aus, je nach dem Blütenmechanismus. Taubnesseln und Schwertlilien pappen ihren Besuchern den Pollen auf die Stirnen, der Salbei stubst ihn auf den Rüeken, das Knabenkraut an den Kopf, die Seidenpflanze klemmt ihn an die Beine; die einzelnen Blütengattungen haben ganz verschiedene Methoden, die immer zuverlässig funktionieren. Auch Honig gibt es jetzt genug im Hummelnest, neue Vorratstönnchen werden aufgestellt, um den Segen zu fassen. So an die zehn Gramm mögen wohl täglich von Larven und Hummeln verzehrt werden, und das scheint nicht viel zu sein. Doch diese geringe Menge muß sich Bombinas Familie täglich aus sechzigtausend Blüten einsammeln; so hat jede Hummel täglich tausend Kelche zu leeren und noch mehr, denn auch für Regentage gilt es zu sorgen. Eine beachtliche Leistung, zumal das fortgesetzte Eintragen von Blütenstaub und die im Nest notwendigen Arbeiten hinzukommen.
Untermieter Als eines von Bombinas Hausgeisterchen sich gerade mit der Blüte einer Skabiose beschäftigt, erschrickt es gewaltig. Denn irgendwas zwickt sie heftig an ihrem empfindlichen Rüsselchen. Sofort surren ihre Propeller los, aber schon beim Start verliert sie das Gleichgewicht und stürzt zu Boden. Das ist ihr noch nie passiert. Schon 23
entdeckt sie auch die Ursache: An ihrem Saugwerkzeug klammert ein kleiner, fünf Millimeter langer Käfer. So klein ist er allerdings für die entsetzte Hummel nicht, sie selber mißt ja kaum viermal mehr. Es ist also ungefähr so, als wenn ein mittelgroßer Hund sich jählings in unserem Arm verbeißen würde. Vergebens bemüht sich die Gequälte, den Kerl abzustreifen oder abzuschütteln, er läßt nicht los, krallt sich noch fester ein und kneift dabei die Ärmste geradezu erbärmlich. Da sie allein mit ihm nicht fertig wird, sollen ihr die Schwestern zu Hause helfen. Mehrmals versucht sie zu starten, endlich findet sie das Gleichgewicht wieder und saust schnurstraks heim ins Nest. Dort würde man dem Quälgeist schon heimleuchten. Doch es kommt ganz anders. Als die Hummel am Nesteingang landet und in die Höhle stürzt, läßt der Bösewicht sie los, verschwindet und versteckt sich im Fasergewirr des Bodenpolsters. Der Fluggast ist ein Käferweibchen aus der Gattung Antherophagus (deutsch: Blütenfresser). Ihr Husarenritt geschieht weder unfreiwillig noch zufällig, sondern absichtlich. Sie benötigt wegen ihrer Nachkommen dringend ein Hummelnest. Auf sich allein gestellt, hätte das Käferlein wohl wochenlang, vielleicht sogar vergeblich nach einem Nest suchen müssen, als blinder Passagier wird es geradenwegs ins Ziel gebracht. Wie ein Dieb, vorsichtig und leise, schleicht die verschwundene Käfermutter unter der Brutwabe im Müll herum, legt da und dort ihre Eier ab und entfernt sich ebenso unauffällig. Ihre Larven werden sich später in aller Heimlichkeit bescheiden von den Wachsresten und sonstigen Abfällen ernähren. Sie werden die Hummeln nicht stören, fügen ihnen auch keinerlei Schaden zu, sie werden von ihnen wohl deshalb überhaupt nicht beachtet. Im Hummelnest verpuppen sie sich und verlassen erst als fertige Käfer das gastliche Heim. Das unglaublich praktische Verfahren dieser Käfermutter wird um so erstaunlicher, da man entdeckte, daß die in den Blüten auf Reisegelegenheit harrenden Käferchen sogar die Geschlechter der Hummeln unterscheiden können. Sie klammern sich niemals an den Rüssel der Männchen, stets nur an weibliche Hummeln, so als ob 24
Manchmal reicht bei einigen Hummelarten der lange Rüssel nicht aus, um vom Blüteneingang bis zum Nektar vorzudringen, z. B. beim Steinkraut oder bei der Blüte des Lerchensporns (s. Abbildung), wo das Nektarium (Ne), die Honig- oder Saltdrüse, sehr tief im Blütensporn liegt. Dann versuchen es die Hummeln auf andere Weise, durchstoßen den Blütenrand oder beißen mit dem Oberkiefer Löcher hinein, um an die Honigquelle zu gelangen (nach Beobachtungen von Prof. H. Kugler). sie wüßten, daß die Männchen nur selten, die Weibchen jedoch regelmäßig in ihr Heim zurückkehren, eben dorthin, wo allein die Käferlarven gedeihen können. Eine andere, für Bombina aber sehr gefährliche Insektenmutter ist Mutilla. Sie besitzt keine Flügel, und den Trick des kleinen Käfers Antherophagus, ihren zukünftigen Wirt gleich als Flugzeug zu benutzen, kennt sie nicht. Sie könnte ihn auch gar nicht anwenden, denn Mutilla, die Spinnenameise, ist dafür viel zu schwer. Mit Spinnen oder Ameisen hat sie übrigens nichts zu tun. Sie zählt, wie die Hummeln, zo den Hautflüglern, zu einer weit entfernten Familie. Ihr Steckbrief: knapp fünfzehn Millimeter lang, großer Kopf, kurze, fadenförmige Fühler, Brust kräftig gewölbt, Rücken rotbraun, schlanke, wespenartige Taille, Hinterleib kurz, eiförmig dick, mit weißen Haarflecken, kräftige, behaarte Beine, auffallend starker Hautpanzer. Auch dieses Geschöpf, nicht größer als eine von Bombinas Hilfstöchtern, wagt sich furchtlos in das Nest, zwischen ein halbes Hundert giftstachelbewehrter, verteidigungsbereiter Hummeln. Und merkwürdig: Keine Hummel stürzt sich auf diesen Todfeind aller 25
Hummelnester, ruhig setzen die Nestinsassen ihre Arbeiten fort, als sähen sie nicht mit eigenen Augen die ungeheure Gefahr. Gewiß, Hummeldolche könnten Mutillas Rüstung wenig anhaben, dazu ist deren Panzer viel zu stark. Aber es wäre doch gelacht, wenn fünfzig Hummeln nicht ohne weiteres einen nur gleich großen Eindringling zum Nest hinauswerfen könnten. Sie scheinen jedoch instinktiv zu fühlen, wie überaus gefährlich dieser Gegner im Nahkampf ist. Mutilla ist unglaublich wendig, fast unverwundbar und im Besitz eines langen, harten, todbringenden Stachels. Es wäre auch zwecklos, sie zu vertreiben, Mutilla würde sofort zurückkehren und ihr wahrhaft tödliches Werk unbeirrt beginnen. So lassen die Hummeln das Unvermeidbare geschehen, und es ist ein Glück, daß ihr Brutgeschäft bereits dem Ende entgegengeht. So besteht Hoffnung, daß wenigstens ein Teil der vielen zu Vollkerfen herangewachsenen Hummellarven Mutillas Schandtaten überleben wird. Wie fast alle Eindringlinge in Hummelnestern, verkriecht sich unsere Spinnenameise zunächst unter den Wabenteller. Aber bald kommt sie hervor, rennt zu den Brutzellen und wählt sich jene aus, worin die jungen Larven bereits kräftig futtern. Sie durchbohrt die Zellwand und auch die Haut der darunter liegenden Hummellarve und läßt eines ihrer Eier in das Opfer hineingleiten. Die Hummellarve verspürt den Stich kaum, sie knabbert eifrig an ihrem Kuchenteig weiter. Sie bleibt auch unbeteiligt, als aus Mutillas Ei eine Made herauskriecht und sofort beginnt, das Körperfett der Hummellarve zu verzehren. In ihr und von ihr ernährt sich nun ein anderes Wesen, das sich schnell entwickelt, während die Wirtslarve bei dem Versuch, sich zu verpuppen, eingeht. Die fremde Made verpuppt sich in den bereits gesponnenen Kokon, und statt einer Hummel entsteht darin eine Spinnenameise. Am ersten Tag sind es fünf Larven, mit denen Mutilla so verfährt. Als sie am nächsten Tag weitere drei Eier versenkt hat, erscheint unerwartet eine zweite Mutilla im Nest. Und das ist die Rettung für Bombinas Familie. Was die Hummeln nie zuwege gebracht hätten, das besorgen jetzt die beiden Eindringlinge schnell und gründlich. Sie kämpfen so erbittert miteinander, bis eine tot am Boden und die andere im Sterben liegt. Die Spinnenameisen, die aus den 26
acht hinterlassenen Eiern kriechen, bleiben nur solange im Hummelnest, bis ihre Haut sich gehärtet hat. Dann machen sie sich davon, drei Weibchen und fünf geflügelte Männchen. Zu Bombinas Nest fühlt sich manchmal auch die Motte Aphomia sociella hingezogen, ein Kleinschmetterling, dessen Brut ebenfalls bei Hummeln heranwächst. Das Weibchen verbirgt seine Eier in dunkler Nacht nahe dem Nesteingang, denn in die Höhle des Löwen einzudringen, dürfte ein so schwaches Wesen nicht wagen. Die Räupchen schlängeln sich nach Verlassen ihrer Eier allein zu den Brutzellen der Wirte. Sie wachsen zu stattlichen Raupen heran, werden etwa zwei Zentimeter lang und überziehen ihre Umgebung mit dichten Gespinsten, so sehr, daß mit der Zeit die Brutkammer der Hummeln völlig verfilzen kann. Aber dagegen wehren sich die Hummeln, zerfetzen die Gewebe und werfen die spinnenden Raupen, wenn sie ihrer habhaft werden können, zum Nest hinaus. Mit dem größten Feind aller im Boden hausenden Hummeln, dem Fuchs, hat Bombina zu ihrem Glück keine Bekanntschaft machen müssen. Füchse spüren gern Hummelbauten auf, graben sie aus und vernaschen den ganzen Inhalt, Honig, Maden und Zellen. Ein Zufall, daß keiner Bombinas Heim entdeckt hat.
Duftsignale zum Stelldichein Große Aufregung verursacht Mitte Juli das Erscheinen der ersten Söhne in Bombinas Mädchenheim. Die stattlichen Burschen tragen saubere, elegante Pelze, gelblichweiß, mit einer schmalen, schwarzen Querbinde verziert, am hinteren Ende ein wenig rötlich verbrämt. Sie lassen sich gern von ihren Schwestern verwöhnen und Honig zureichen, zeigen selber aber keine Lust zu häuslicher Arbeit. Schon nach wenigen Tagen ziehen sie hinaus in die weite, blumenübersäte Welt, um nach Abenteuern zu suchen. In allen Erdhummelnestern tauchen die Männchen ungefähr zur selben Zeit auf. Alle zerstreuen sich bald über weite Gebiete, und jedes von ihnen wählt sich darin ein kleines Revier aus. Dort beginnt es dann, anscheinend sinnlos, von morgens bis abends dauernd im Kreis her27
umzukurven. Doch manches, was uns sinnlos und töricht scheint, hat oft seine guten Gründe. In etwa zwei Meter Höhe fliegend, steuert so ein Hummelmann den nächstbesten Busch an, läßt sich dort an einer Astgabelung nieder, rennt erregt darauf herum, fliegt wieder auf und umschwirrt einigemale den Fleck. Dann zieht er weiter, zu anderen Sträuchern, um es dort ähnlich zu treiben. Wer in fremden Gegenden wandert, folgt gern markierten Pfaden. Achtet er auf die farbigen Zeichen an Bäumen und Weggabelungen, wird er sein Ziel bestimmt erreichen. Solche Zeichen verteilen auch die Hummelmännchen an allen Plätzen, die ihnen für ihre Zwecke geeignet erscheinen. Aber wo wir Farben verwenden, bevorzugen die Insekten Düfte. Ihre Fühler wittern weiter, als ihre Augen sehen können. In Kreisbahnen von einigen hundert Meter Länge hinterlegen auch Bombinas Söhne an vielen Astverzweigungen ihre Duftsignale. Die einzelnen Hummelarten bevorzugen dabei ganz unterschiedliche örtlichkeiten und auch verschiedene Höhenlagen. Manche wählen dafür die Gipfel hoher Bäume, andere nur Wurzelwerk oder Bodenmulden, Erdhummeln aber die Mittellagen. Da überdies die Männchen der vielen Hummelarten zu unterschiedlichen Zeiten fliegen, kommt es wohl nie dazu, daß sie miteinander konkurrieren. Die Duftkennzeichen, die unsere Freunde da verteilen, haben nur den einen Nachteil, daß sie nicht andauernd anhalten und tagsüber immer wieder erneuert werden müssen. Diese Hummelmarkierungen sind allerdings keine richtigen Wegweiser, sie wollen im Gegenteil ein gewisses Wesen einladen, dort ein wenig zu verweilen und ein paar Minuten zu verharren, bis der Pilot wieder eintrifft. Was er sich da eingerichtet hat, ist eine Luftbrücke mit einer ganz bestimmten Absicht. Jedes Erdhummelweibchen, das an einer seiner Duftmarken vorbeifliegt, muß die männliche Geruchsspur deutlich wahrnehmen und würde sicher verspüren, wie töricht es wäre, weiterzufliegen. So treiben es alle Erdhummelmännchen ringsum, ihre weithin verstreuten Bahnen berühren sich zwangsläufig an vielen Stellen, so daß manche Treffpunkte von mehreren Kollegen gleichzeitig 28
beflogen werden. Das nehmen sie kameradschaftlich hin, deswegen gibt es keinen Streit. Die unentwegten Piloten legen täglich, immer im Kreis herum, Strecken von dreißig bis fünfzig Kilometer zurück, um ihre Lockdüfte auszustreuen, eine für Insekten schon sehr beachtliche Leistung. Die Duftmarkierungen gelten den Vollreifen und fortpflanzungsfähigen Hummeltöchtern, die jetzt in den Hummelnestern den Kokons entschlüpfen. Einige Tage tändeln sie im Haushalt herum, doch dann erwacht auch bei ihnen ein unbewußtes Sehnen, ein Drang hinaus ins Grüne. Ziellos summen sie über die Wiesen, fühlen aber trotz der vielen Blütenkelche keinen rechten Appetit; sie wissen wohl selbst nicht, wonach ihnen eigentlich der Sinn steht. Auffallend ist nur ihre gleichbleibende Flughöhe: zwei Meter über dem Boden. Als eine zufällig an den Haselstauden vorbeisurrt, verspürt ihr Fühler erregende Düfte. Unwiderstehlich angezogen, folgt sie ihnen, findet jedoch nur ein leeres Ästchen. Dennoch ahnt sie, was das bedeuten soll, hinterläßt auch ihrerseits dort eine Duftnachricht, fliegt auf die große Dolde einer Bärenklaublüte und harrt dort der Dinge, die da kommen sollen. Es währt keine drei Minuten, bis der für jene Fluglinie zuständige Kavalier sich wieder der Haselstaude nähert. Nichts ist zu sehen, nur die duftende Botschaft des Weibchens hängt noch in der Luft. Das genügt, jetzt folgt er ihrer Spur, findet prompt die weiße Dolde und auf ihr die holde Partnerin und feiert mit ihr Hochzeit. Die Weibchen kehren zurück ins mütterliche Nest, den Männchen gefällt es mehr, die warmen Nächte in Blumenkelchen zu verbringen oder an kühlen Tagen und Nächten irgendwelche Erdhummelheime aufzusuchen. Bei Sonnenschein ziehen sie täglich ihre Kreise, so lange, bis sich keine Partnerinnen mehr einfinden. Zu dieser Zeit ist ihre Lebensuhr abgelaufen. Die befruchteten Weibchen aber werden, wenn sie Glück haben, den Winter überleben und im kommenden Jahr dasselbe tun, was ihre Mütter taten: die junge Brut behausen, versorgen und pflegen, damit die Art der Erdhummeln erhalten bleibt für alle Zeiten.
29
»Praclitbieneru. des N o r d e n s Hummeln sind die „Prachtbienen des Nordens". Ihre Heimat erstreckt sich von Lappland bis nahe an die subtropische Zone. In den Tropen und auf der Südhalbkugel kommen sie nidit vor. Höchstens dort, wo man sie, wie in Australien, eingeführt und eingebürgert hat, um Rotklee anbauen zu können. In ihren jeweiligen Umwelten zeigen die Hummeln sehr anschaulich die Möglichkeiten auf, die von einsam lebenden zu gesellig lebenden Insekten führen können. Im hohen Norden mit seinen kurzen Sommern erzeugen die Weibchen keine Hilfstöchter. Dort ziehen sie nur Geschlechtstiere auf, ganz so wie die einsam lebenden Bienenarten. In ihren südlichsten Verbreitungsgebieten, wo der Nektar das ganze Jahr über fließt, werden die Hummelvölker zu ausdauernden Gemeinschaften, ähnlich wie unsere Honigbienen. Dort lösen die Töchter alljährlich die Mütter in den Nestern ab. Die kleinen Hummelfamilien sind den großen Bienenvölkern in einigem überlegen. Vor allem durch ihre Rüssellänge. Die der Honigbienen erreichen knapp sieben Millimeter gegenüber neun bei den Erdhummeln und bis zu zweiundzwanzig bei den Gartenhummeln. Damit läßt sich schon allerhand aus Blüten herausholen. Auch scheinen die Hummeln fleißiger zu sein als Bienen, wenigstens was die Arbeitszeit betrifft; denn sie sammeln auch an sehr kühlen Tagen und oft schon, ehe die Morgendämmerung begonnen hat. Sie nützen auch den späten Abend, wenn längst die Bienen heimgekehrt sind. Aus nordischen Ländern erfahren wir, daß dort die Hummeln sogar im Scheine der Mitternachtssonne noch emsig Blumen besuchen. Das Bestimmen der einzelnen Hummelarten hat seine Schwierigkeiten. Allzusehr darf man sich dabei auf ihre Farben nicht verlassen, denn sie weichen häufig sehr voneinander ab. Das hat manch wackeren Hummelforscher zur Verzweiflung getrieben, so weit, daß Namen auftauchen wie: Veränderliche Hummel oder Irreführende Hummel. Heutzutage verläßt man sich deshalb mehr auf ihre Schädelformen als auf die Farbtönungen. Die eigensinnigen Tierchen kümmern sich übrigens keinen Deut um ihre Namen: Die Garten30
hummel fühlt sich in der Wiese so wohl, wie die Wiesenhummel im Feld und die Feldhummel im Garten, die Erdhummel unter Holzbalken oder die Steinhummel in der Erde, zwei Arten, die bei uns am häufigsten sind. Die schwarze Steinhummel hat . ein rotes Hinterleibsende, und die Allerweltshummel, eben unsere Erdhummel, zeigt einen rötlichgelben Rücken und einen gelbgestreiften und am Ende weißen Hinterleib. So wenigstens sind sie meist gefärbt, aber wie gesagt, der Schein kann trügen! Eines muß zu Ehren der Hummeln besonders betont werden: Sie sind nicht nur die hübschesten von allen gemeinschaftlich lebenden Insekten, sondern auch die gemütlichsten. Das wird an ihrer Lebensweise deutlich und auch an ihrem Verhalten zu uns. So angriffslustig wie Wespen und Bienen verhalten sich Hummeln nie, sie stechen nur im allerhöchsten Notfall. Und so zudringlich wie jene sind sie auch nicht. Die lästigen Wespen umschwirren uns schon beim Frühstück und naschen frech und ungeniert an unseren Kuchen und anderen Süßigkeiten. Doch einer Hummel wird es niemals einfallen, sich in unsere Angelegenheiten zu mischen.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Fotos: Garstrick-Bavaria, Dr. Croy. Berlin, Ullstein-Bilderdienst L u x - L e s e b o g e n 3 8 8 (Naturkunde). H e f t p r e i s 3 0 P f g Natur- und kulturkundliche Hefte — Bestellungen (vierteljährl. 6 Hefte DM 1,80) durch jede Buchhandlung und jede Postanstalt — Alle früher erschienenen Lux-Lesebogen sind in jeder guten Buchhandlung vorrätig — Druck: Hieronymus Mühlberger, Augsburg — Verlag: Sebastian Lux, Murnau vor München — Herausgeber: Antonius Lux.
Aus dem Leben der Tiere berichten noch viele a n d e r e Lesebogen. Folgende tierkundlichen H e f t e k ö n n e n z u m Preise v o n 30 Pf je H e f t nachbestellt w e r d e n . 8 A n g u i s — d e r Aal 9 Gefiederte F r e u n de 13 A u g e n auf! 18 H a g e n b e c k h a n delt m i t T i e r e n 21 Wale 32 Nachtgespenster 38 T i e r e u n d Tierbilder des Höhlenmenschen 45 A u g e n auf! (2) 47 Das ü b e r l i s t e t e Tier 52 Tier-Riesen der Urwelt 53 D a s v e r w a n d e l t e Tier 57 T i e r v ö l k e r w a n dern 62 Ü b e r Wald u n d Heide 64 Ringvogel B 32521 70 T i e r l e b e n 74 H y d r a 78 Grimback — der Hamster 93 Mein F r e u n d — d e r Igel 98 M e r k w ü r d i g e Tiere 102 B e r g m a n n des Ackers
118 Die W e s p e n k ö n i gin 123 Der Kuckuck 132 K l e i n e s T i e r v o l k 137 Die letzten Biber 142 Der Dachs 152 F a m i l i e Specht 154 I m Zoo 162 Vogelwelt im Zoo 163 F a b e l t i e r e 168 Seltsame K ä u z e 171 G r a u e Riesen 173 T ü r i l i — die Heidelerche 178 R i t t e r im Teich — d e r Stichling 181 B a u m e i s t e r d e r Vogelwelt 187 Vom I n s t i n k t der Tiere 192 T i e r e im W i n t e r schlaf 194 Tiere h i n t e r Gittern 197 Die g r o ß e n R ä u ber 199 M a u e r s e g l e r 202 D e r heilige Käfer — der S k a r a b ä u s 216 Elche 219 Vogelvolk 222 Tier-Rätsel 231 E u l e n v o l k
236 248 253 263 268
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