KLEINE
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DES
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LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
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HUDSON'S BAY ...
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KLEINE
BIBLIOTHEK
DES
WISSENS
LUX-LESEBOGEN NATUR-
UND
KULTURKUNDLICHE
VITALIS
HEFTE
PANTENBURG
HUDSON'S BAY COMPANY DIE
HANDELSHERREN DER A R K T I S
VERLAG SEBASTIAN LUX MURNAU
.
MÜNCHEN
•
INNSBRUCK .
ÖLTEN
Amerikas Nordvildnis lockt 18. August des Jahres 1535. Der Heilige des Tages ist St. Lorenz. Jacques Cartier, französischer Seefahrer aus der Bretagne, kreuzt schon eine ganze Woche mit seinem kleinen Schiff im Westen Neufundlands in der großen Bucht, der er nach eben jenem Heiligen den Namen St.-Lorenz-Golf gegeben hat. Verengt sich dieser golfartige Einschnitt in das Festland etwa zu einer Meeresstraße, die quer durch den amerikanischen Kontinent führt. Und ist sie vielleicht der Beginn des lange gesuchten Seeweges nach Asien, um dessentwilleii ihn der König zu diesem Abenteuer ausgeschickt hat? Oder ist es nur ein in sich abgeschlossener Fjord, der keine Fortsetzung nach Westen, in unbekannte Weiten hat? Cartier, durch dessen Adern das Blut normannischer Vorfahren rollt, will diese Ungewißheit aus dem Wege räumen. Mit wikingerhaftem Mut läßt er Kurs West' setzen, um tiefer in den sich allmählich verengenden Golf einzudringen. Vor geschwellten Vierkantsegeln pflügt seine Karavelle die kristallklaren Wasser der See, die sich nach dem Lande hin immer mehr verfärben und grau-grün und dann lehmig werden. Nein, es ist keine Meeresstraße: ein gewaltiger Strom schickt hier seine Wasser in den Golf. Und Jacques Cartier benennt auch den Strom nach dem heiligen Lorenz und trägt ihn unter dem Namen St.Lorenz-Strom in seine Karte ein, die an dieser Stelle der Erde noch viele weiße Flecken aufweist. Später erfährt er, daß die Rothäute den Strom, der hier mündet, „ F l u ß ohne Ende" nennen. Und noch viel später errechnet man, daß der St. Lorenz sich mehr als dreitausend Kilometer weit ins Innere Nordamerikas erstreckt. Die Franzosen segeln stromauf und landein, immer weiter, Tage um Tage — die erste, die zweite, die dritte Woche. Mächtig breit und tief ist dieser Fluß. Er ist unstreitig einer der größten der Erde und seheint zugleich die natürliche Eingangspforte in diesen Teil Nordamerikas zu sein, dem man in der Zukunft den Namen Kanada geben wird. Der französische Entdecker fährt 1700 Kilometer zu Berg, bis in die Gegend des heutigen Montreal, ohne 2
daß der Kiel seines Hunderttonnenschiffes je Grund berührt. Dann geht es nicht mehr weiter. Hier zwängt sich der Fluß donnernd über eine Schwelle aus felsigen Stromschnellen. Jacques Cartiers Fahrt ist zu Ende; aber er ist überzeugt, daß das Land, das sich hinter diesem unüberwindbaren Hindernis ausdehnt, ungeheuer groß sein muß. Von dem, was der Entdecker Cartier und seine Gefährten beiderseits des St.-Lorenz-Stromes staunend erblickt haben — von den grenzenlosen Wäldern voll herrlicher Bäume, von den natürlichen, saftigen Weidegründen, dem fruchtbaren Land in Hülle und Fülle, dem unerschöpflichen Reichtum an Fischen — berichten sie ihrem König. Ober dem neuen Land hissen sie das französische Lilienbanner und errichten das Christenkreuz auf einem weithin sichtbaren Kap am äußeren Golf. Frankreich nimmt das St.-Lorenz-Gebiet für sich in Anspruch, ohne die eigentlichen Besitzer, die Rothäute, zu fragen. Das ist so üblich in diesen Entdecker- und Erobererzeiten.
* Weit über ein halbes Jahrhundert verstreicht nach Cartiers kühner Stromfahrt, ehe die ersten Siedler von Frankreich herüberkommen, um von der breiten Mündung her das fruchtbare Land auf beiden Stromufern in Besitz zu nehmen. Damals entstehen die ersten, heute so bedeutenden Siedlungen am St.-Lorenz-Strom: St. Anne des Monts, Tadoussac, Quebec, Trois Rivieres, Montreal, um nur die bedeutendsten zu nennen. Es sind festumgürtete Plätze, wohl versehen mit Palisaden, Wällen und \\ achttürmen. Die hier ansässigen Indianerstämme — Montagnais, Irokesen, Huronen, Algokin — aber sind keineswegs gewillt, ihr Land so ohne weiteres mit den weißen Eindringlingen zu teilen. Es kommt zu häufigen Zusammenstößen. Erst allmählich werden die Beziehungen zwischen den Bleichgesichtern und den Rothäuten friedlicher, und ein reger Tauschhandel setzt ein. Die gängigste Handelsware der Indianer sind die herrlichen Felle der zahlreichen Pelztiere, die es in der unermeßlichen Waldwildnis nördlich und westlich des St. Lorenz gibt: Hermelin, Marder, Zobel, Otter, Iltis, Fuchs und andere, vor allem aber Biber. Die Europäer haben dagegen mancherlei zu bieten, was für die Rothäute von großem Wert sein m u ß : Messer, Äxte, Angelhaken, 3
Eisennägel, Stoffe und zahlreiche andere Dinge — leider in manchen Gebieten auch das verderbliche Feuerwasser und Flinten mit Pulver und Blei. Für erlesenes Pelzwerk ist im 17. Jahrhundert die Nachfrage groß in Europa; die Männer- wie die Frauenmode sind ohne edle Pelzverbrämueg nicht denkbar. Jeder, der etwas auf sich hält, trägt einen großen Filzhut, der mit Pelzwerk umsäumt ist. Der vornehme Herr in London und Paris setzt sich eine hohe Kappe aus Biberfell auf seinen sorgsam gepuderten Haarschopf und steckt seine gepflegten Hände in einen Muff aus Biber. Die Hutmacher entdecken sehr bald, daß die Haare des Biberfells feine Widerhäkchen aufweisen und sich deshalb leicht zu Hutfilz verarbeiten lassen. So sind die Felle auch aus diesem Grund hochbegehrte Ware. Mit der steigenden Nachfrage nach Biberfellen nimmt der Pelzhandel mit Nordamerika schon bald einen bedeutenden Umfang an. Der ungeheure Streifen Waldwildnis, der sich vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean über den mittleren und nördlichen Teil des heutigen Kanada ausdehnt, ist von zahllosen Flüssen durchzogen; aber noch größer ist die Zahl der Seen, die in die Wälder eingebettet liegen. Vorherrschend sind hier die Nadelbäume, doch gibt es auch große Bestände an Pappeln, Birken und Espen und an den Flüssen viel Weiden; diese Laubhölzer aber sind die Nahrung der Biber, die in diesem gewässerreichen Riesenraum sehr ideale Lebensbedingungen vorfinden. Das neue Land Kanada ist also — vom Standpunkt des Pelzhändlers aus gesehen — das reinste Paradies. Es gibt auf der ganzen Erde kein Gebiet, in dem mehr Biber leben könnten als hier. Und auch in unseren Tagen ist der Dschungel des kanadischen „Bush" immer noch die Heimat der meisten Biber auf der Erde. Die Bestände sind heute allerdings nur noch gering, gemessen an der Zeit, als die ersten Weißen vor nunmehr drei Jahrhunderten den Pelzhandel mit den Indianern begonnen haben. Die weißen Männer im Vordergrund dieses einzigartigen Handels, vor allem aber alle, die am Zwischenhandel beteiligt sind, haben aus den Pelzwaren der Rothäute im Laufe der Zeit märchenhafte Gewinne gezogen.
* Es dauert gar nicht lange, so geraten die Franzosen, die am unteren St. Lorenz ihre Kolonien einzurichten beginnen, mit den 4
Holländern aneinander, die an der Atlantikküste Nordamerikas — am unteren Hudson — Niederlassungen gegründet haben, unter anderem die Stadt Neil-Amsterdam, aus der später New York geworden ist. j Die Indianerstämme der Algonkin und Huronen haben ihre Marktplätze für den Pelzhandel in den französischen Niederlassungen am unteren St. Lorenz. Da beginnen die Niederländer den Stamm der Irokesen aufzustacheln, daß er übsr seine Todfeinde, die Algonkin und Huronen, herfalle und ihnen ihre gesamte Pelzausbeute wegnehme. Dadurch soll der Handel mit den Franzosen unterbunden werden. Die aufgehetzten Irokesen dringen in die Gebiete der Algonkin und Huronen ein und brennen ihre Dörfer nieder. Durch die Feuerwaffen, die sie von den Holländern bekommen haben, sind sie ihren Feinden weit überlegen. Die blutigen Auseinandersetzungen zwischen Weißen und Weißen, zwischen Indianern und Indianern, zwischen Indianern und Europäern haben auch in diesen Zonen begonnen und werden sich über mehr als anderthalb Jahrhunderte hinziehen. Durch die Lederstrumpfgeschichten sind sie uns bekannt. Der einträgliche Pelzhandel zwischen Franzosen und Indianern am unteren St. Lorenz ist durch diese kriegerischen Zwischenfälle empfindlich gestört. Aber die Aussicht auf die hohen Gewinne bei dem Tausch europäischer Alltagswaren gegen die in Europa hochbezahlten Edelpelze lassen die Franzosen nicht ruhen. Den Weg, wie man die eingeschüchterten indianischen Geschäftsfreunde wieder heranziehen kann, weisen zwei abenteuerfrohe Franzosen, denen die unermeßliche Wildnis nördlich des St. Lorenz und der Großen Seen eine unwiderstehliche Lockung bedeutet. „Voyageurs" finden neue Handelswege Unter den französischen Siedlern, die sich im Schutz der neugegründeten Forts am St.-Lorenz-Strom niedergelassen haben, gibt es viele, denen das behagliche Familienleben und die Geborgenheit der Blockhäuser und Wälle nicht behagt. Sie haben keine Lust, gemächlich hinter den Ochsenpflügen einherzutrotten oder Kühe im saftigen Grasland zu hüten. Ihr Wikingerblut treibt sie in die Ferne, sie werden zu Waldläufern; bei den Franzosen heißen sie „Coureurs de Bois", ,,Voyageurs de Bois" oder kurz „Voyageurs". 5
Zwei dieser merkwürdigen Abenteurer machen Geschichte. Es sind Medard Chouart Sieurs des Grosseilliers und sein Schwager Pierre Esprit Radisson — die ersten Weißen, die sich auf Handelspfaden in die Urwälder Nordamerikas begeben haben. Ihre Wege sind die Wasserläufe, die sich durch das Reich der Rothäute hinziehen. Die Indianer benutzen zur Fortbewegung auf diesen Wasserstraßen ein ideales Verkehrsmittel — ihrer Saga nach hat der Große Geist Manitou es ihnen in grauer Vorzeit als Geschenk gegeben: das federleichte Kanu, zusammengefügt aus Weidenzweigen und Birkenrinde, die man mit Wurzelfasern vernäht und mit Baumharz wasserdicht macht. Ein einziger Mann kann solch ein Kanu bequem auf der Schulter befördern, wenn Stromschnellen und Katarakte zu umgehen oder Landstrecken zwischen Seen und Wasserläufen — „Portagen" genannt — zu überwinden sind. Ist solch ein Kanu aufs Wasser gebracht, so trägt es mehrere Männer und deren Gepäck dazu. Die Kunst, ein Kanu zu bauen, es überall zu reparieren, es geschickt und kraftvoll mit dem Stechpaddel zu fahren und zu steuern, lernen die beiden französischen Glücksritter von indianischen Lehrmeistern. Schon bald suchen Sicurs des Grosseilliers und Radisson die Wege zu verfolgen, auf denen bisher die Pelz; aus dem unermeßlichen Hinterland zu den Tauschplätzsn am St. Lorenz herangebracht wurden. Sie reisen zu den Huronen und Algonkin, die vor der tödlichen Bedrohung durch die wilden Irokesen bis zu den Großen Seen geflohen sind. Sehr bald haben die gewitzten französischen Voyageurs heraus, daß diese indianischen Stämme eigentlich nur Zwischenhändler gewesen sind, daß die Hauptmasse der wundervollen Biberpelze viel weiter her gekommen ist, nämlich aus dem Stammesgebiet der Grees, der Krähenfuß-Indianer. Ihre Wigwams stehen nördlich der Großen Seen. Hinter diesen riesigen Gewässern muß es also noch weit mehr und noch größere Gebiete mit einem geradezu unvorstellbaren Reichtum an diesem kostbaren Pelzwerk geben. Als die beiden Männer nach einem ersten Vorfühlen eine Expedition in das riesige Hinterland unternehmen wollen, versagt der Statthalter Ncu-Frankreichs, Baron d'Argenson, ihnen die Erlaubnis zum Pelzhandel. Um ganz sicher zu gehen, verbietet er ihnen, ihren Wohnort, Trois Rivieres, zu verlassen. Aber die beiden küm-
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mern sich nicht um dieses Verbot. Sie sind überzeugt, daß sie den Gouverneur umstimmen werden, wenn sie demnächst mit reicher Ausbeute heimkehren. Im Sommer 1659 verlassen Medard Chouart Sieurs des Grosseillicrs und Pierre Esprit Radisson heimlich ihre Siedlung am St. Lorenz und paddeln ihre randvoll mit Tauschware beladenen Kanus erst westwärts, dann nordwärts. Für ein ganzes Jahr tauchen sie in den endlosen Wäldern unter. Sie befinden sich in Gebieten, die kein Weißer zuvor betreten hat und in d;nen c? von Bibern wimmelt. Immer weiter, immer tiefer dringen sie in die Wildnis vor. Die Indianer, denen sie unterwegs begegnen, sind freundlich zu ihnen, zumal sie sich mit ihnen in ihrer Sprache unterhalten können. Da die Eingeborenen noch nie mit Bleichgesichtern in Berührung gekommen sind, kennen sie weder den Wert ihrer Biberpelze noch den Wert oder Unwert der Dinge, die ihnen dafür geboten werden. So werden die Lasten an Biberfellen höher und höher, die Kanus reichen kaum noch aus. Es ist ein Vermögen an Pelzen, das sie von dieser ersten Handelsfahrt in die Nordwildnis nach Jahr und Tag heimbringen — man schätzt es auf dreihunderttausend Dollar. Nie zuvor hat ein Pelzhändler soviel Felle eingetauscht. Doch der Statthalter in Quebec, d'Argenson, kennt keine Gnade. Diese Männer haben sich seinem Befehl widersetzt und müssen dafür büßen. Daß sie sich unter Einsatz ihres Lebens, unter unsagbaren Strapazen und Anstrengungen in die Wildnis begeben und ein großes Gebiet für den Handel erschlossen haben, genügt zu ihrer Entlastung nicht. Namens des Königs von Frankreich werden sämtliche Pelze konfisziert und die beiden Ausreißer ins Gefängnis geworfen. Nach der Haft soll ihnen der fünfzehnte Teil aus dem Erlös des Pelzgeschäftes ausgezahlt werden. England geht an die Hudsonbai Hätte Baron d'Argenson auch nur entfernt geahnt, daß sein scharfes, abschreckendes Urteil gegen diese kühnen, eigenwilligen „Waldläufer" der Auftakt zu einer jahrhundertelangen erbitterten und verlustreichen Auseinandersetzung zwischen Frankreich und England werden sollte, so wäre er wohl glimpflicher mit ihnen verfahren. Im Verlauf dieser Kämpfe und Kriege verschwindet nämlich das Lilienbanner Frankreichs für immer aus Kanada.
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Aber wer kann soweit in die Zukunft schauen! Die freiheitsgewohnten, in ihrer Ehre gekränkten und äußerst gereizten kanadischen Waldläufer begeben sich nach ihrer Entlassung aus der Haft spornstreichs nach Paris. Sie glauben, am Hof des Königs ihre Rechtfertigung zu erreichen und die Rückgabe wenigstens eines größeren Teils ihres Vermögens zu erwirken. Aber in dem lebensfrohen Paris hat man wenig Interesse für die Händel in der fernen Kolonie, man zeigt den Rittstellern die kalte Schulter. Die Erbitterung der Enttäuschten ist groß. Fünf Jahre sind vergangen, seit man sie in Ketten gelegt hat. Die Schmach und der Ärger über den Verlust treibt sie schließlieh zu den Engländern, obwohl die Briten in dieser Zeit Todfeinde der französischen Nation sind.
* Die alte Residenz- und Handelsstadt London ist im Jahre 1655 von verheerenden Seuchen und rasenden Eeuersbrünsten heimgesucht worden. Die Käufleute haben als erstes ihre Häuser und Hallen wieder aufgebaut, denn es gilt, im großen Geschäft zu bleiben. Es sind die Jahrzehnte, in denen die europäischen Seemächte ihre Flotten und Entdecker über alle Meere senden, um neue Länder in Besitz zu nehmen und neue Handelsplätze zu gewinnen, überall auf der Erde sind große Reichtümer zu sammeln. In dieser Zeit wird es keineswegs als unwürdig erachtet, in Dberseegeschäften Geld anzulegen und mit beträchtlichen Gewinnen für sich arbeiten zu lassen. Selbst für die Herren des englischen Hochadels und die höchsten Würdenträger am Hofe des Königs Karl IL ist ein solches Geschäftemachen nichts Ehrenrühriges. Darauf setzen die französischen Abenteurer all ihre Erwartungen. Sie glauben, den Schlüssel zu schnell erraffbaren großen Vermögen fest in der Hand zu haben. Grosseilliers und Radisson sind unter allen Zeitgenossen die einzigen, die den Zugang zu den größten Biberfanggründen kennen, die es je in der Welt gegeben hat. Doch es fehlt ihnen an Kapital; Expeditionen in die Wildnis sind kostspielig. Als sie in London eingetroffen sind, werden sie an Prinz Rupert verwiesen, der den Titel Pfalzgraf bei Rhein trägt. Er ist der Vetter König Karls IL und erfreut sich dank seiner Reitersiege für England eines hohen Ansehens in der Themsestadt. Es ist ein Glück für die Engländer, daß Prinz Rupert die französischen Freibeuter empfängt. Sie ver8
An der Nordküste Kanadas
stehen es sehr bald, ihn für ihre Pläne zu gewinnen und ihn von den einzigartigen Chancen des Pelzhandels zu überzeugen; und zwar schlagen sie vor, von Norden, von der Hudsonbai her, in die Eingeborenenreviere vorzudringen. In diesen Breiten sei ein Zusammenstoß mit Frankreich am wenigsten zu befürchten. Auch Prinz Rupert von der Pfalz ist, wie alle hohen Persönlichkeiten seiner Zeit, für guten Gewinn aus dem einträglichen Überseehandel durchaus zugänglich. Hier lassen sich hunderte, ja vielleicht tausende Prozent erzielen. Allerdings ist das Risiko groß. 9
Der Prinz berichtet alsbald seinem königlichen Vetter von dem. Angebot der beiden Franzosen aus der Kolonie Neu-Frankreich am St. Lorenz, und der König ist schon bald für ihre Pläne gewonnen. Er läßt sie aufs beste behandeln, da er sich ihrer Hilfe bedienen will, um mehrere Ziele zugleich zu erreichen; klar erkennt Karl II. die sich hier bietende Gelegenheit, neue Länder im Norden Amerikas für die Krone Englands zu gewinnen, Gebiete, die bisher noch kein Weißer kennt und keine europäische Macht für sich in Anspruch genommen hat. Zudem bergen nach der Auskunft der beiden Abenteurer diese Landstriche — daran scheint kein Zweifel zu sein — einen noch unangetasteten Reichtum an begehrtem Pelzwerk. Vielleicht ergibt sich im Verlaufe dieses Unternehmens auch die Möglichkeit, den Nordweg längs der Eismeerküsten Nordamerikas für England zu erschließen und in Benutzung zu nehmen. Bisher haben die von England ausgesandten Unternehmungen zur Erkundung dieser nordwestlichen Durchfahrt — die Expeditionen von Cabot (1500), Frobisher (1516), Henry Hudson (1610) - keinen Erfolg gehabt. Nicht zuletzt aber reizt es Karl IL, vom Norden, vom Eismeer her, die starke Stellung der Kolonie Neu-Frankreich am St.-Lorenz-Strom anzugehen und die verhaßten Franzosen zwischen Neu-England am Atlantik und den neu zu schaffenden britischen Stützpunkten an der Hudsonbai in die Zange zu nehmen. Im Londoner Hafen werden zwei Schiffe für die Expedition ausgerüstet. Es sind verhältnismäßig kleine Kästen: die „Eaglet" mißt kaum achtig Tonnen, die „Nonsueh" weist nicht einmal fünfzig Tonnen auf. Für den ersten Vorstoß in den Eiskeller der meergroßen Hudsonbai hat die königliche Marine nicht gerade ihre besten und seetüchtigsten Fahrzeuge zur Verfügung gestellt. Aber die Anweisungen, die man den Expeditionsführern mitgibt, sind wohlüberlegt und sehr genau. „Wenn es Gott gefallen sollte, euch nach der Bucht des Hudson zu bringen", so heißt es in der königlichen Order, „dann sollt ihr nach Osten segeln, wie Herr Radissou es euch zeijen wird, und sollt danach streben, besagte Schiffe in einen sicheren Haien zu bringen, um mit den Indianern dort zu handeln. Die Waren, die ihr an Bord habt, sollt ihr in kleinen Posten ausliefern. Auch sollt ihr gleich nach der Landung Befestigungen errichten. Ferner sollt ihr stets den Gedanken haben an die Entdeckung der Durchfahrt in den Stillen-Ozsan-imd sollt diese 10
Durchfahrt versuchen, sobald sich Gelegenheit bietet. Wenn ihr durch Zufall auf ein Seepferd stoßt oder mit Vorteil einen Wal tüten könnt, so sollt ihr euch derselben bemächtigen zur Ergänzung eurer Vorräte.'' Am 3. Juni 1668 gehen die Schiffe von Graveseand, dem östlichsten Londoner Hafen, aus in See. Mit dieser Ausfahrt beginnt eigentlich die Geschichte der berühmten „Hudson's Bay Company'", die damals im Land um das Hudson-Meer den Handel begonnen hat, aber auch in unseren Tagen noch hier tätig ist. Keine andere Handelsgesellschaft der Welt hat größere Gewinne erzielt als die ..Bay", keine auch ein längeres Bestehen aufzuweisen als sie. Ihre Kontorsflagge — die weißen Buchstaben H B C im feuerroten Feld und die englischen Farben in der oberen Ecke des Fahnentuches — weht heute noch von vielen hundert Plätzen überall in Kanada, vornehmlich aber im Norden (vgl. auch Bild Seite 9). Als der kleine Zweimaster „Nonsuch" nach der Durchquerung des Atlantik das Eis der Hudson-Straße hinter sich hat und mit südlichem Kurs an der felsstarrenden, unbewohnten Westküste Labradors entlang segelt, ist keine Spur von der ,,Eaglet" zu entdecken. Später erfährt man, daß ihre Masten im Sturm über Bord gegangen sind und daß sie unter Notsegel nach England zurückgekehrt ist. Pierre Radisson, der sich an Bord befindet, verwünscht sein Schicksal. Er kann nur hoffen, daß wenigstens sein Partner Des Grosseilliers das Ziel erreicht hat. Einhundertzwanzig Tage hat die „Nonsuch" gebraucht, um schließlich die Südküste der Hudsonbai anzusteuern. Der Winter sendet schon seine eisigen Vorboten, aber noch hat man keinen Winterhafen ausfindig gemacht. Endlich finden sie einen geeigneten Platz ganz im Süden der riesigen Hudsonbai, dort, wo sich eine zweite kleinere Bucht noch weiter landein öffnet. Sie nennen das kleinere Gewässer Jamesbai, nach einem anderen hohen Gönner, James, dem Bruder des Königs, der Karl II. später auf dem Thron gefolgt ist. Die „Nonsuch" wird auf Land gezogen, damit ihr das Eis nichts anhaben kann. Der wildmarkvertraute französische Expeditionsleiter Des Grosseilliers treibt die Besatzung zu schleunigem Ausbau fester Blockhäuser. Umsichtig und umfassend werden die Vorbereitungen getroffen, damit die Expedition den Unbilden des langen, scharfen Winters gewachsen ist. 11
Wenige Wochen nach der Ankunft der „Nonsuch" zieht mit bissiger Kälte und heulenden Schneestürmen der Polarwinter ein, aber das Leben ist gesichert. Nahe an der Küste erhebt sich die kleine umwehrte Siedlung „Ruperts House", mit Palisaden und Wällen versehen und mit ein paar Schiffskanonen bestückt. Es ist der erste feste Handelsposten der H B C an der Bai. Mister „Gooseberry", Herr Stachelbeere — so nennen die Engländer den Sieurs des Grosseilliers — hat auf den Saum des reichsten Pelztierlandes der Erde Hand gelegt und ihn für Großbritannien, für die spätere „Honourable Company der Gentlemen-Adventurers, trading into Hudson's Bay" in Besitz genommen. Des Grosseilliers ist wie kein anderer ein vorzüglicher Kenner der Rothäute, ihrer Sitten und Gebräuche, vor allem der Art, wie man sie behandeln muß, um seine Ziele zu erreichen. Als die Expedition den Winter gut überstanden hat, beginnt er unverzüglich den Handel mit den Indianern, die mit ihren Kanus an die Bai kommen. Schon bald geht die heilige Pfeife des Friedens von Mund zu Mund. Zwischen dem roten und dem weißen Mann werden am Gestade der großen Meeresbucht am Rande des Arktischen Ozeans erste Freundschaften geschlossen. Der Grundstein zum größten Pelzimperium aller Zeiten ist gelegt — zur „Ehrenwerten Kompanie der Gentlemen Abenteurer, die mit der Hudson Bay Handel treib e n " : Abenteurer — hier zu verstehen im Sinne des kühnen kaufmännischen und entdeckungsfrohen Wagnisses. Der Tauschhandel mit den Eingeborenen vollzieht sich ohne Schwierigkeiten, es braucht nicht gefeilscht zu werden. Der rote Mann gibt, was der weiße begehrt, und tauscht dagegen Dinge ein, von deren Vorhandensein er zuvor keine Ahnung gehabt hat. Da die Briten die ersten sind und keine Konkurrenz haben, sind die Tauschwaren für die rothäutigen Handelspartner etwas völlig Neues; es werden ungeheure Gewinne gemacht, die den König und die Geldgeber schon bald von dem Erfolg des Unternehmens überzeugen. Aber auch Des Grosseilliers hat allen Grund zu frohlocken. Seine kühnsten Träume beginnen Gestalt anzunehmen. Ruperts Company" wächst und vergangen,
House, der erste Handelsposten der „Honourable im äußersten Südwinkel der riesigen Hudsonbai, gewinnt an Ansehen. Heute sind fast drei Jahrhunderte seit sich die ersten Bleichgesichter hier niedergelassen 12
nahen. Aber auch in unseren Tagen noch unterhält die H B C am gleichen Platz einen Trading Post, eine Handelsniederlassung, wo die Indianer Biber- und andere Pelze gegen Ware tauschen. Der König verschenkt ein Reich, das ihm nicht gehört Am 9. Oktober 1669 läuft der Zweimastensegler „Nonsuch" wohlbehalten wieder in London ein; er hat für 19 000 Pfund Sterling Biberpelze an Bord. Um den Wert dieser Geldsumme zu crmessen, muß man wissen, daß damals eine P'ntlohnung von 100 Pfund im Jahr als ein fürstliches Gehalt gegalten hat. Prinz Rupert dringt auf Grund dieses unerwartet großen Erfolgs der ersten Expedition darauf, daß eine Gesellschaft gegründet wird, der die entsprechenden Ausnutzungsrechte übertragen werden; der königliche Vetter stellt den „Charter", einen Freibrief, aus und seitdem ist es nicht mehr schwer, zahlreiche angesehene Leute aus der höchsten Londoner Gesellschaft zum Eintritt und zur Beteiligung mit hohen Einsätzen zu bewegen. Prinz Rupert eröffnet selbst den Reigen mit einem Anteil von 300 Pfund Sterling; insgesamt werden 10 500 Pfund gezeichnet. Die neue Handelsgesellschaft wählt als ersten „Governor" Prinz Rupert. Sie legt sich jetzt auch den hochtönenden Namen zu, den wir schon kennen und der ganz ihrem Charakter und der damaligen Zeit entspricht: „The Governor and Company of Adventurers trading into Hudson's Bay". Der Freibrief wird der Company von König Karl am 2. Mai 1670 erteilt und mit seiner Unterschrift und seinem Siegel versehen. Das Original ist heute noch im Archiv der H B C in London vorhanden; es ist ein sehr interessantes Dokument, gibt es doch Aufschluß über die nicht gerade bescheidenen Herrschaftsansprüche, die von der Company und nicht zuletzt von England erhoben werden: „Die Abenteurer-Kauf leute der Company sollen sein die wahren und absoluten Herren der Seen, Ebenen, der Wälder, Flüsse und Berge rings um die Hudsonbai, die nunmehr einbegriffen werden in die Grenzen des Reichs. Ferner sollen sie Herren sein über alle Meere der Hudsonbai und der Davis-Straße und nordwärts, nordwest- und westwärts bis nach der Tartarei, nach China, Japan, Korea und allen Ländern im Pazifik, in Amerika, Asien und den Inseln, soweit sie nicht schon unter der Herrschaft eines christlichen Souveräns sind." 13
Dieser Freibrief ist weit mehr als ein Handelsmonopol. Die Hudson's Bay Company erhält in ihrem Gebiet die Entscheidung über Krieg und Frieden: sie hat das alleinige Recht, Forts und 'befestigte Faktoreien zu errichten, bewaffnete Kräfte und bestückte Schiffe zu unterhalten. Auf fünf pergamentenen Blättern sind die Kapitel des Freibriefes verzeichnet. Jedoch würden sie nur papierene Fetzen ohne jeden Sinn bleiben, wenn die Männer, die der Company in Kanada dienen, diesem Dokument nicht durch ihre Persönlichkeit, durch ihre unerhörte Härte, Geschicklichkeit und Anpassungsfähigkeit, durch ihren unbedingten Gehorsam und durch ihre Charakterstärke Leben eingehaucht hätten. Die Aktionäre wählen einen in Europa ansässigen Gouverneur und ein Komitee, die einmal im Jahr auf der Generalversammlung über die Tätigkeit der Company, über Vermögen, Gewinn und Verlust berichten müssen; in Kanada trägt ein zweiter, ebenfalls gewählter Gouverneur die Verantwortung für alles Geschehen im Bereich des Gebietes der Company. Heute ist die Körperschaft noch genau so organisiert wie damals. Zu jener Zeit hat kein Europäer, kein Mensch überhaupt, auch nur annähernd eine Vorstellung von der Ausdehnung des Gebietes gehabt, das im Jahr 1670 mit einem einzigen Federstrich des Königs der HBC als ein fast selbständiges Reich zugeeignet worden ist. Zur Zeit seiner Blüte erstreckt sich das Reich der Abenteurcr-Kaufleute fast über den halben nordamerikanischen Kontinent, über rund vier Millionen qkm. über ein größeres Gebiet, als das heutige Indien umfaßt. Dem britischen König ist es indes damals nicht sonderlich schwergefallen, solche Landmassen zu vergeben, die ihm selbst nicht gehörten. Es war Sache der Gentlemen-Abenteurer, zu sehen, wie sie mit den Rothäuten fertig wurden. Die Große Company pflegt von Anfang an ein gediegenes Unternehmertum. Ein guter Kaufmann wägt erst, ehe er wagt — das ist einer der Leitsätze, nach denen die Kaufleute der Company arbeiten; wer auf die Dauer aus dem Handel Vorteil ziehen will, muß auch dem Partner sein Teil zukommen lassen. Vorsichtig, Schritt für Schritt vorgehend, erweitert die Große Company von der Jamesbai aus ihren Einflußbeteich. Eine Kette von wohlversehenen, festen Trading Posts entsteht an der Südküste der Hudsonbai. Neben der Niederlassung Ruperts Hotise werden
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weitere blühende Faktoreien gegründet: Moose, Albany, Fort Nelson — das spätere Zentrum York Factory, Sitz des kanadischen Statthalters — und das Fort Prince of Wales am Churchill River, an der Westküste der Hudsonbai (s. Karte Seite 16 und 17). Allsommerlich segeln während der nur kurzen Navigationsperiode die Schiffe aus England zu diesen Posten. Sie bringen Personal, Lebensmittel, Tauschwaren, neue Anweisungen und laden, als Rückfracht für England das im verflossenen Jahr erhandelte Pelzwerk. Die Aktionäre der ,,Honourable Company" im fernen London erfreuen sich beträchtlicher Anteile am Jahresgewinn. Aber keiner dieser hochedlen Herren hat jemals das gefahrdrohende Schurren und Fräsen der scharfen Kanten des Treibeises gegen hölzerne Schiffswände vernommen. Niemand von diesen Großstädtern hat sich je im kurzen kanadischen Nordsommer mit der Pest stechgieriger Moskitoschwärme herumgeschlagen. Keinem der Gen tlemcn oder deren Nachfolgern, die am Pelzhandel so reich geworden sind, hat der brennend-kalte Blizzard aus der arktischen Tundra je das Blut erstarren lassen. Das ist Sache der Männer an der Front, der Trader mit ihren Trupps rauher Voyageurs, die mit Kanus im Sommer, mit Hundeschlitten und auf Schneeschuhen im Winter durch das unendliche Land reisen, immer auf der Suche nach neuen Handelsmöglichkeiten. Union Jack oder Lilienbanner? Den Herren Neu-Frankreichs am St.-Lorenz-Strom paßt es gar nicht, daß die Briten sich nunmehr auch im Norden des Kontinents festgesetzt haben. Sie schicksn wohlbewaffnete Kommandos durch tausend Kilometer Busch-Wildnis oder auf Kriegsschiffen an die Bai, um die verhaßten Pelzhändler herauszubeißen. Die Company hat sich für den Anfang gern der Dienste der beiden Franzosen Des Grosseilliers und Radisson bedient. Jetzt, da sie ihre Schuldigkeit getan haben, glaubt man, sie entbehren zu können. Vielleicht versteht sich der erste Gouverneur, den die „Bay" nach Kanada gesandt hat, nicht mit den freiheitsgewohnten und sich ihrer Verdienste sehr bewußten Waldläufern. Genug! Wieder sind diese Männer enttäuscht worden, und wieder wechseln sie kurzerhand das Lager, nachdem sie in London noch ihre Anteile eingeheimst haben. Der neue Gouverneur von Neu-Frankreich, 13
Graf de la Barre, ist mit der Rückkehr der Überläufer einverstanden und empfängt sie mit offenen Armen. Und schon bald brechen sie, bis an die Zähne bewaffnet, mit einer ansehnlichen Truppe und mit Kanonen auf und erscheinen vor Ruperts House. Das Fort ergibt sich ohne Widerstand, Großbritanniens „Union Jack'' weicht dem Lilienbanner Frankreichs. Sa geht es mit allen übrigen Forts — bis auf Fort Albany Factory. Es sieht böse aus für die Sache der „Ehrenwerten Company". Aber den Überläufern ist der fünfundzwanzigprozentige Anteil an der Beute, den die Franzosen ihnen zuerkannt haben, zu gering. Als sie erfahren haben, daß die Briten ihnen eine erneute Kehrtwendung nicht übelnehmen werden, wechseln sie noch einmal die Front. In ihrer verzweifelten Lage braucht die Company Männer vom Schlage Radissons und Grosseilliers'. Ja, die Honourablc Company macht den reumütigen Rückkehrern sogar ein sehr verlockendes Angebot: nicht nur, daß sie in Ehren und mit allen Rechten wieder in Dienst genommen werden: man verspricht ihnen auch 200 Pfund Sterling Honorar und 75 Pfund extra für die Expedition zur Wiedergewinnung der Forts und zur Vertreibung der Franzosen aus dem Umkreis des Hudson-Meeres und der Jamesbai. Das Schiff, das die beiden Abenteurer wieder an ihre früheren Dienstplätze bringt, heißt „Happy Return'' — Glückhafte Heimkehr —. Der Name hält, was er in Aussicht gastellt hat. In der Folge werden den Franzosen in harten Kämpfen die Handelsposten an der Bai wieder entrissen. Ein weiterer großer Erfolg ist es, als man ein Schiff mit 20 000 Biberfellen kapert. Die Herren an der Themse reiben sich die Hände; die gekaperte Ware erbringt riesige Erträge, über den schweren Balkentoren der Forts aber hängt nun wieder das Wappen der Großen Company: vier Biber in den vom roten Kreuz geteilten weißen Feldern. Darunter der lateinische Spruch: „Pro pelle cutem'" — ,Für den Pelz — die Haut'. Für den Pelzhandel haben fürwahr die nordischen Voyageurs die eigene Haut unzählige Male riskiert. Aber ohne diese Waldläufertypen gäbe es keine Hudson's Bay Company. Gewissensbisse kennen sie nicht, nur der um jeden Preis erkämpfte Erfolg zählt. Die Gesetze der nordkanadischen Wildmark sind diesen Abenteurern vertraut wie keinem Bleichgesicht sonst, maßlos sind ihr Ehrgeiz und i h r ' W i l l e , wenn sie sieh etwas vorgenommen haben, 18
unerhört ihre körperliche Kraft, ihre Zähigkeit und ihre Zielstrebigkeit. Solche Männer sind auch die beiden Franzosen. Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts zieht sich Des Grosseilliers alt und krank von allem zurück. Pierre Esprit Radisson, der viel jüngere. ist nun allein. Als Superintendent und Director of Trade beherrscht er den Handel in der Bai. Er stirbt im Jahr 1710. Erneut versucht Frankreich, der H B C vom St. Lorenz her ihr Pelzreich zu entreißen und gleichzeitig die Flankenbedrohung vom Norden auszuschalten. Mit wechselndem Glück — für den einen wie für den anderen — verlaufen die schweren Kämpfe. Im Frieden zu Utrecht vom Jahre 1713 jedoch wird Frankreich gezwungen, alles an die H B C zurückzugeben, was von ihm im Laufe der Zeit erobert worden ist. Frankreich muß die Hoheit der Company über die Gebiete um die Hudsonbai für alle Zeiten anerkennen. Die Company nennt ihr Reich jetzt „Ruperts Land : ' — nach Prinz Rupert von der Pfalz, dem ersten Gouverneur der Company, der sie von 1670 bis 1682 geleitet hat. Wieder weht im eisreinen Polarwind über allen Trading Posts an dsr Bai die Kontorflaggc — das brennendrote Tuch mit den weißen Zeichen H B C . Neue Handelswege in subarktischer Wildnis Als endlich wieder Frieden über Ruperts Land gekommen ist, liegt der Handel brach und die Niederlassungen befinden sich am Hand des Ruins. Es muß etwas geschehen, sagt sich Gouverneur Knight, dem zu dieser Zeit alle Posten an der Bai unterstehen. Er residiert in York Factory, der größten unter allen Niederlassungen. Bisher sind die Indianer jedesmal nach der Schneeschmelze und dem Aufbrechen des Eises in ihren Kanus an die Küste gekommen, hochbeladen mit dem Winterfang. In den Forts wurde getauscht. Dann begaben sie sich auf dem gleichen ^ e g e wieder in ihre heimatlichen Jagdgefilde im Landesinneren. Die Weißen in den Handelsposten brauchten sich keinen Strapazen zu unterziehen: gefährliche Reisen zu den roten Handelspartnern blieben ihnen erspart. Sie waren mehr Seeleute als Waldläufer, sie liebten die Planken mehr als die wald- und gewässerreiche Wildnis des geheimnisvollen Hinterlandes. Jetzt aber sahen sie sich mit einem Male gezwungen, aus der Geborgenheit ihrer palisadengeschützten Niederlassungen her vorzukommen, um die Verbindung mit den 19
Pelzjägern aufrechtzuerhalten. Die Eingeborenen sind anspruchsvoller geworden. Die größte Gefahr droht der Company jedoch von einer neuen Art von Wettbewerbern, harten, landeskundigen französischen Kanadiern, die jetzt überall vorzudringen beginnen. Die Abwehr organisiert Henry Kclsey, der tüchtigste Mann unter Gouverneur Knight, einer der besten Kenner des HBC-Reiches. Auf mehreren, viele Monate langen Reisen ist ihm das Binnenland vertraut geworden. Als erster hat er die Prärie durchstreift, lange Zeit lebte er unter berittenen Rothäuten, stolzen und kriegerischen Stämmen. Er jagte in ihren Reihen die Büffel, die auf den unermeßlichen Graslanden weideten. Kelseys Kanu durchfurchte als erster neue, noch nie von Weißen gesehene Flüsse, die hunderte und aber hunderte Kilometer lang sind. Er gelangt bis an die Gestade des Athabasca-Sees und noch weiter nördlich. Hier wimmelt es von Bibern und anderen Pelztieren. Hier begegnete er auch den urigen Moschusochsen. Kelsey kennt die Sprache der Blackfoot-, der Cree- und der Chipewyan-Indianer. Um den Athabasca-See liegen damals die ergiebigsten Biberfanggründe der Welt. Kaum aber sind sie entdeckt, da beginnen sie schon der H B G zu entgleiten. Die Chipewyan-Indianer ziehen es vor, ihre Pelze an jene Bleichgesichter zu verkaufen, die zu ihnen kommen und denen der lange Weg vom St. Lorenz her nicht zu beschwerlich ist. Warum sollen sie die Mühsal einer Reise zur Hudsonbai — ein- bis zweitausend Kilometer weit — auf sich nehmen, wenn sie es bequemer haben können; an d^r Bai zahlt man ihnen auch keine besseren Preise als die Händler von Montreal, die sogar „Feuerwasser" anbieten. In diesem Sinne erstattet Henry Kelsey nach seiner Rückkehr von großer Nordostfahrt Bericht, und schon bssehließt die Company, den französischen Wettbewerbern zuvorzukommen. Um sie aus dem Geschäft zu bringen, muß auch die H B C es den Rothäuten bequem machen. Expeditionen werden ins Innere gesandt und errichten an besonders günstig gelegenen Stellen Handelsstützpunkte. Von den Forts an der Südküste der Hudsonbai aus entsteht bis gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts entlang dem Nelsonfluß und nach Westen und Nordwesten eine Handelsniederlassung nach der anderen, aus denen viele heutige Siedlungen hervor20
Warenlager der»Hudson's Bay Company an der Po]arküste Kanadas
gegangen sind: Severn House und Rock House, Gordon House und Oxford House, Norway House und Cumberland House. Die Trading Posts der H B C tragen oft den Beinamen Fort, aber es sind meist nicht viel mehr als ein paar Blockhäuser, aus ganzen Stämmen gefügt, umgeben von Erdwällen und hölzernem Palisadenwerk. Es gibt nur eines, das mit einer dicken Steinmauer bewehrt ist, Fort Prince of Wales an der Mündung des Churchill River. Es soll Englands Macht und Stärke besonders deutlich machen. Seine imposanten Quadermauern sind heute nach zu sehen. In den Forts führt — je nach ihrer Größe und Bedeutung — ein 21
Factor, Chief-Trader oder Clerk den Befehl. Er ist gleich allen leitenden Angestellten der Company absoluter Herrscher über jeden Untergebenen und über das weite Land ringsum. Wo die rote Kontorflagge der ,,Bay" weht, gelten nur ihre Gebote und ihre Hechte, wie sie ihr einst vom britischen König verliehen wurden. Wer in den Dienst der H B C eintritt und den harten, eintönigen Dienst auf den weltfernen Posten nicht scheut, kann mit einer guten Entlohnung rechnen. Ein Clerk I. Klasse erhalt 150 Pfund Sterling im Jahr, einer der II. Klasse die Hälfte, ein Bediensteter der III. Klasse 60 Pfund, alles bei freier Station und Reise. Der „Govcrnor in Chief", der in London gewählt wird, ist dsr höchste Vorgesetzte im Territorium der H B C , zugleich deren oberster Gerichtsherr. Er erhält 1200 Pfund Sterling im Jahr; das entspricht einem heutigen Einkommen von rund 100 000 DM. Hinzu kommen noch gute Anteile am Gewinn. Sehr streng ist die Ordnung, hart sind die Strafen innerhalb eines Forts. Die Indianer dürfen nur zum Zwecke des Handels durch das Tor treten, ihre Felle werden begutachtet und ihr Wert festgelegt. Es gibt feste Satz?, die je nach den Preisen auf dem europäischen Markt wechseln. ,.Währung" zwischen Weiß und Rot ist das Biberfell. Für ein gutes Stück gibt es zum Beispiel: 20 Angelhaken oder 12 Dutzend Knöpfe, 1 Pfund Tabak oder 2 Äxte, 12 Nähnadeln oder 1 Feile oder 4 Löffel. Dagegen kosten eine Flinte 12, eine Wolldecke 10, eine Tuchhose 3 Biberfelle. North West Company gegen H B C Im Jahre 1759 hat der britische General Wolfe Quebec, die Hauptstadt Neu-Frankreichs in Nordamerika, durch d;n berühmt gewordenen Handstreich erobert. Seitdem gibt es in ganz Nordamerika nur noch einen Herrn: England. Doch gilt dsr königliche Freibrief für die Hudson's Bay Company weiter. D^r H B C gehört Ruperts Land, alles Gebiet rings um die Meeresbucht, von der sie ihren Namen hat, bis zum Eismeer im Norden. Im Westen reicht das Gebiet bis hin zu den Rocky Mountains und weiter nördlich bis an den Pazifik. Es ist ein fast unermeßlicher Raum, in dem sich die Bediensteten dir Company, eine Handvoll Männer, die über riesige Entfernungen verstreut leb^n, auch nach fünfzig Jahren ihres Wirkens noch nicht richtig auskennen. 22
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhundert; sind nach keine brauchbaren Karten vorhanden, die den führenden Männern oder den Teilhabern in Europa ein zutreffende Bild von d?n H B C Besitzungen vermitteln könnten. Man hat nur sehr unklare Vorstellungen von den ungeheuren Entfernungen und den Schwierigkeiten, die zu überwinden sind. Die Große Company ist zwar Herrin dieses Gebietes, aber von einer tatsächlichen Landeserfassung kann keine Rede sein. Die Erforschung des HBC-Reiches, seine Erschließung oder gar Besiedlung, das Suchen nach der Nordwestpassage — all diese der Company übertragenen zusätzlichen *\ufgaben werden auch jetzt noch als letztrangig behandelt. Nur eines interessiert die hohen Herren in London: der möglichst ertragreiche Handel mit Pelzen. Inzwischen aber haben weitere unternehmungslustige Leute herausgefunden, daß im Handel mit kanadischen Pelzen höchste Gewinne zu erzielen sind. Sie sitzen am St. Lorenz, in der Stadt Montreal, 1700 km von der Mündung entfernt. Hier ist man den Pelzfanggebieten ein gutes Stück näher als die Große Company, die jedoch dadurch im Vorteil ist, daß sie ihre verstreuten Handelsplätze bereits fast organisiert hat. Das hindert jene tatkraftigen Männer vom St. Lorenz nicht, ähnliche Wege zu gehen. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts tun sich in Montreal mehrere freie Pelzhändler zusammen, um der H B C ein Konkurrenzunternehmen entgegenzustellen. Die Montrealer Pelzhändler machen Simon McTavish, den sie den „Marquis" nennen, zum Haupt ihrer „Northwest Für Company", der Nordwestlichen Pelz-Kompanie'. „Lords of the Lakes and Forests" — Herren der Seen und ^ älder — nennt man die „Nor'Westers-Leute". Eine tatendurstigere, bunter zusammengewürfelte Gesellschaft von Abenteurern hat es kaum je gegeben. Manche unter ihnen sind französisch-kanadische Händler, andere alterfahrene Voyageurs. Zu ihnen stoßen später entlassene Soldaten aus den Vereinigten Staaten, denen es nicht paßt, daß der Krieg dort schon zu Ende ist. Unglaublich hart und wagniskühn sind diese Leute von der Northwest Co., klug bis zur Verschlagenheit und- maßlos stolz. Sic kennen nur zwei Ziele: höchste Gewinne aus dem Pelzhandel und Aussehalten der HBC um jeden Preis. Die meisten Nor'Westers haben ein Gutteil ihres Lebens im federleichten Kanu aus 2.3
Birkenrinde zugebracht und unglaubliche Entfernungen über tausende Kilometer auf den Strömen und Sjen in unfaßbar kurzen Zeiten gemeistert. Sie können fast ohne Pausen 14 Stunden lang die Stechpaddel ziehen, ohne Spuren von Ermüdung zu zeigen — und das Tag um Tag, Woche um Woche. Ihre Kanus zerfetzen in den reißenden Stromschnellen, die gesäumt sind von den Kreuzen ertrunkener Vorgänger. Hunger und Auszehrung nagen an ihrem Mark. Indianer, die von ihnen übervorteilt worden sind, überfallen die Brigaden der kanureisenden Trader und Voyageurs, rauben sie aus und quälen die Gefangenen unter schrecklichen Torturen. Aber Männer aus diesem Holz geschnitzt, haben einen halben Kontinent erobert. „Marquis" McTavish und seine Nachfolger treiben ihre Pelzhandelsbrigaden durch das weitverzweigte natürliche Wasserstraßensystem aus einem FluS in den anderen, von einem See zum nächsten. An Tragstellen und Flußmündungen, an allen größeren Treffpunkten der Indianer richten die Nor'Westers feste Stützpunkte mit ständigen wohlbewehrten Besatzungen ein, zugleich gut ausgestattete Depots mit reichlich Proviant, Ausrüstung, Tauschwaren und Pelzstapeln. Ketten von Forts führen längs dieser Kanuwege ins unbekannte Innere, zu immer neuen, immer ergiebigeren Pelzjagdgebicten. Schließlich erreichen einige besonders Verwegene im Westen die Roekies, im Nordwesten Alaska. Die Ausbeute an Pelzen in den neuen Handclsgebieten ist unfaßbar. Der Nor'Wester Peter Pond sammelt mit seiner KanuBrigade im Athabasca-Gebiet in nur drei Tagen 15 001) Biberfelle und einen beachtlichen Stapel Zobel- und Otterfelle ein. Tlnglaubliche Gewinne fließen in die Kasse der Northwest Für Company. Sie gehen entsprechend der Pelzausbcute in die Millionen. In einem einzigen Sommer bringen die Brigaden ein: 105 000 Biber, 32 000 Zobel, 11000 Nerze, 17 000 Bisamratten, zusammen 184000 Felle. Im Jahre 1798 führt die Montrealer Company in ihren Personallisten: 50 Clerks, 70 Dolmetscher, 35 landeskundige Pfadfinder, 1120 Voyageurs für die Besatzungen ihrer Kanubrigaden. Mehr als 80 Forts und Niederlassungen umfaßt das Netz ihrer Handelsposten; die entferntesten sind nur durch Kanufleisen quer durch den ganzen Kontinent über mindestens 5000 Kilometer zu erreichen. 21
Eines der großen Kaufhäuser der HBC in den kanadischen Städten
Von der Plackerei auf solch einer Baotsreise kann man sich schwerlich einen Begriff machen. \ u r die unvorstellbar zähen und harten Kanadier können derartige Strapazen ohne Schaden überstehen. Diese Waldläufer sind unübertreffliche Paddler und Kanufahrer. Ununterbrochen tauchen die rechts und links im Boot hokkenden Voyageurs ihre kurzen Paddel mit der Exaktheit von Robotern in die Fluten. Es gibt nur kleine, genau abgepaßte Unterbrechungen zum Essen und zum Boot-Umtragen auf den Portagen. Pausenlos wird weitergepaddelt, bei jedem Wetter, von der Däm25
merung bis zum Einbruch der Nacht. Die Durchschnittsleistung der Lastkanus von 7 Meter Länge und 1,4 Meter Breite ist 8 bis 10 Kilometer in der Stunde. Expreß-Kanus bringen es auf doppelt so hohe Geschwindigkeiten. Es gibt ausgesuchte Besatzungen, die sogenannte „Depeschenboote" in rund 100 Tagen quer durch den ganzen Kontinent paddeln. Die Verpflegung ist sehr reichlich, wenn auch eintönig. Es werden je Mann und Tag acht Pfund Büffelfleisch oder drei Pfund Pemmikan ausgegeben. Diese ideale Dauernahrung, deren Zubereitung man von den wandernden Indianern gelernt hat, besteht aus getrocknetem und dann gestoßenem Büffelfleiseh, das mit reichlich Talg und getrockneten Wildfrüchten versetzt ist. Ohne diesen ungemein nahrhaften, zugleich wenig Raum beanspruchenden Dauerproviant würde der Binnenlandhandel nicht durchführbar sein: denn nicht nur die Kanu-Brigaden, sondern auch die Handelsposten und die Expeditionen in neue unbekannte Gebiete brauchen Pemmikan. Auf ihm beruht die gesamte Verpflegung dieser einzigartigen Handelsorganisation. Riesig sind natürlich die Mengen, die man benötigt. Sie können nur in der Prärie beschafft werden; dort, wo die vieltausendköpfigen Herden der Büffel ihre Weidelande haben. Beständig sind viele Trupps von Voyageurs, ganze Sippen von Indianern, soweit Jahreszeit und Wetter es erlauben, im Auftrag der Pelzhandels-Companie damit beschäftigt, Fleisch zu machen, Pemmikan zu bereiten und an die zahlreichen Platz; dss Bedarfs zu transportieren. Die Montrealer Nor'Westers versuchen, den Pelzhandel im Landesinnern immer mehr in die Hand zu bekommen. Jedes Mittel ist ihnen recht. Zu Beginn d^s 19. Jahrhunderts sieht es so aus, als brächten sie es wirklich fertig, die HBC ganz zu verdrängen. Da erkennt die „Ehrenwerte Company der Gentlemen-Abenteur c r " , daß sie mit den bisherigen Handelsmethoden auf die Dauer gegen jene Händler den kürzeren ziehen muß. Den Nor'Westers ist das Schicksal der Indianer völlig gleichgültig. Die Ausbeutung ist rücksichtslos. Tauschware Nummer eins ist der Rum. Hat man die Rothäute erst einmal kräftig unter Alkohol gesetzt und willenlos gemacht, so fällt es nicht schwer, sie um ihre kostbaren Pelze zu betrügen. Für die HBC ergibt sieh die Notwendigkeit, 26
auch ihre Handelsgeschäfte tief ins Binnenland zu verlegen und ebenfalls franko-kanadische Voyageurs anzuwerben, die als die besten Kanufahrer gelten. So beginnen sich jetzt mitten in die von den Nor'Westers bereits Dementen Gebiete feste Stützpunkte und Handelsposten der Hudson Bay Company zu schieben. Bald hallt die Wildnis wider vom Lärm des Buschkrieges. Es wird mit großer Erbitterung gefochten. Auf ein Menschenleben mehr oder weniger kommt es nicht an. Kanu-Brigaden und Forts werden überfallen, die Pelzstapel weggeschleppt. Dann wieder jagt der Gegner die Angreifer und nimmt blutige Rache. Mehr als ein halbes Jahrhundert ringen beide Companies erbittert um das Alleinhandelsrecht im kanadischen Norden. Nicht selten sprechen die Rifle-Büchsen, hier und da haben .sogar Kanonen das letzte Wort. Aber in diesen unermeßlichen Urwäldern gibt es weder Ankläger noch Richter. Hier herrscht einzig das Gesetz der Wildmark, das Recht des Stärkeren. Wie würde dieser gnadenlose Buschkrieg um die Pelzschätze im Hohen Norden der Neuen Welt einmal enden? Wieder jagen im Frühsommer 1821, kaum, daß Eis und Schnee die Gewässer freigegeben haben, Meister des Kanufahrens durch den Kontinent. Sie haben von ihren Zentralen Eilnachrichten für alle Trading Posts zu überbringen — für d;ie 76 Niederlassungen der HBC ebenso wie für die fast 100 der North West Company. In den Forts glaubt man seinen Augen nicht zu trauen, als man die Anweisungen liest. Darin wird bekanntgegeben, daß es keine North West Für Company mehr gibt. Sie hat sich mit ihrer erbitterten Rivalin vereinigt, i Kluge Männer in 'London und Montreal haben eingesehen, daß der ewige Streit dem einen wie dem anderen nur Schaden bringen müsse und daß keiner in absehbarer Zeit allein Herr des Pelzrciches werden könne. Von diesem Zeitpunkt an gibt es wieder wie einst nur eine einzige Gesellschaft und nur den einen Namen: Hudson's Bay Company. Der alte Hader um den Pelzhandel gehört der Vergangenheit an, ein neues Monopol ist geschaffen. Kaiser des Nord-Pelzreichs Erster und bedeutendster Statthalter der vereinigten Companies ist George Simpson. Die stolzesten und selbstbewußtesten Traders
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zittern vor diesem Mann, den sie wegen seines kraftvollen Auftretens und seiner straffen untersetzten Gestalt mit Napoleon vergleichen und „Little Emperor" — kleiner Kaiser — nennen. Im Juli 1824 beordert George Simpson sämtliche leitenden Bediensteten der HBG in sein Hauptquartier York Factory. Als er die Posten für die 19 Distrikte und die großen Niederlassungen neu vergeben, eine Reihe Leute abgesetzt, andere befördert hat, gibt er die Richtlinien bekannt, nach denen in Zukunft zu verfahren ist. Sie sind kennzeichnend für diesen untadeligen Mann, der gegen sich selbst von ebenso unerbittlicher Strenge ist wie gegen jeden seiner Untergebenen. „ S i r s ! " redet er die Männer an, „auf meinen Reisen zu den Posten mußte ich feststellen, daß die Herren Traders allzu bequem geworden sind. Ich finde das mitgeführte Reisegepäck der meisten von ihnen ein wenig reichlich. Mein persönliches besteht aus nicht mehr als zwanzig bis dreißig Pfund. Mein einziger Diener kann es bequem mit dem seinen auf dem Rücken befördern. Ich sehe nicht ein, warum das Ihrige umfangreicher sein soll. Es gibt Gentlemen, die zwanzig Tage brauchen, um die Rocky Mountains zu passieren. Ich selbst schaffte es in fünf Tagen und bin jederzeit bereit, es noch einmal zu beweisen. Unsere Chef-Factors und Chef-Traders sollten lernen, es gleichfalls zu tun. Wenn das nicht geht, wegen Alters oder Schwäche, nun dann mögen sie den Dienst quittieren und sich an ihren Pensionen erfreuen. Die Unsitte", so heißt es weiter in der Rede, „den Indianern auf je zehn Biberfelle, die er tauscht, eine Buddel Rum extra zu geben, wie es bei den Nor'Westers üblich war, hört sofort auf. Feuerwasser ruiniert den Roten Mann und macht ihn als Trapper rasch unbrauchbar. Wir sind Händler, nichts als Händler. Die HBG hat heute eine Tradition von über anderthalb Jahrhunderten. Entscheidend ist für uns einzig der Ertrag, der Gewinn. Unsere Waffen sind nicht das Schwert und nicht der Rum, sondern die ehrliche Waage. Ich wünsche daher nicht, daß sich unsere roten Handelspartner übervorteilt vorkommen. Seien Sie dessen eingedenk! Kommen Sie gesund zu Ihren Posten, Gentlemen! Gute Fahrt — leben Sie wohl!" So spricht George Simpson vor den versammelten Angestellten der HBC: danach handeln die Bediensteten der „Honourable Com28
pany". Sie haben, seit 1670, dem Jahr der Erteilung ihrer Vollmacht durch König Karl II. einen ganzen Kontinent erobert — einzig durch friedfertigen Handel, und verhältnismäßig selten ist es zum Blutvergießen gekommen. Und es haben weit weniger Eingeborene ihr Leben eingebüßt als Bleichgesichter, die sich um der I'elzausbeute willen untereinander oft bitter befehdet haben. Wie anders hat sich in den Vereinigten Staaten Air Zug nach dem „Goldenen Westen" und die Eroberung indianischer Gebiete vollzogen. Nicht umsonst haben die amerikanischen Rothäute die weißen Eroberer ihres Landes „Lange Messer'" genannt. Drüben hat man Soldaten aufgeboten, mit Gewehren, Bajonetten und Kanonen. Die Waffen der HBC aber sind die Friedenspfeife und der Handel gewesen, und dabei haben beide Parteien ihren Vorteil gefunden, jeder auf seine Weise. Forseher im Dienst der H B C George Simpson, der englische Gouverneur der Company, tut während seiner 37jährigen Amtszeit manches, was nicht unmittelbar dem Pelzhandel dient. Er fördert die Erforschung des Nordens, um endlich festzulegen, wo sich die Grenzen des Territoriums befinden. Vielleicht gibt es dort neue, noch unbekannte Gebiete, die man erschließen kann. Alexander Hunter Murray, Thomas Simpson, Peter Dease, William Hendry, Robert Campbell, John McLean sind die bedeutendsten in der Reihe der Männer, die in völliges Neuland eindringen, die weißen Flecken auf den Karten löschen und neue Niederlassungen errichten. Es entstehen die „ F o r t s " Norman, Providence, Simpson, McPherson, Smith, Nelson, St. John, Confidencc, Yukon, Arctic Red River, Rae, Chimo, McLeod, Good Hope, Chipewyan. Diese Plätze sind heute noch auf den Karten verzeichnet; es bestehen immer noch HBC-Posten an ihnen. Aber sie sind längst durch Flugzeug und Funk mit den Zentren der Zivilisation, mit der ganzen übrigen Welt verbunden. Ein arktischer Forscher großen Formats im Dienste der HBC wird der Schotte Dr. John Rae. Er stammt von den sturmumtosten Orkney-Inseln, ein sehr intelligenter und schöner, doch auch ungewöhnlich kräftiger und ausdauernder Mann. Mit dem sicheren Blick für die besonderen Fähigkeiten seiner Untergebenen — 29
Dr. Rae hat sich als Stationsarzt nach York Factory verpflichten lassen — trägt Gouverneur Simpson ihm auf, durch Expeditionen die Polarküste des Festlandes zu erforschen. Was niemand bisher für möglich gehalten hat, gelingt dem zähen Schotten. In zwei offenen Booten, mit nur wenigen Mann, darunter zwei Eskimos, und Verpflegung für vier Monate ist Dr. Rae ein ganzes Jahr unterwegs. Das gänzlich neue, für die Wissenschaft jener Zeit Unerhörte ist, daß D£. Rae und seine Leute es den Eskimos gleich tun; sie „leben aus dem Lande" und bewahren sich auf diese Weise vor Hunger und Skorbut, der gräßlichen Krankheit, die durch Mangel an den lebenswichtigen Vitaminen entsteht. Im Sommer 1847 vermißt und verkartet die Expedition fast 2000 Kilometer völlig unbekannter Küste. Wohlbehalten, ja gut ernährt bringt der Doktor seine Expedition zum HBC-Hauptquartier York Factory zurück. Sie hat die Company nicht einmal 1400 Pfund Sterling gekostet, eingeschlossen das Gehalt Dr. Raes. Die von der britischen Admiralität Anfang des 19. Jahrhunderts ausgestattete Zweijahres-Expedition Parrys mit zwei Schiffen hatte das Hundertfache dieser Summe erfordert, aber keine nennenswert vergleichbaren Ergebnisse erzielt. Dr. Rae unternimmt insgesamt fünf Expeditionen, die alle hervorragende Erfolge haben. Durch diese und weitere Forschungsreisen, die Gouverneur Simpson in seiner Amtszeit durchführen läßt, beweist die Company, daß sie ihre Verpflichtung zur Erforschung des Nordens, die der Freibrief von 1670 ihr auferlegte, in dieser Zeit sehr ernst genommen hat. Aber es gibt noch eine andere Aufgabe: die Prüfung, ob das Gebiet der HBC für eine Besiedlung durch europäische Kolonisten geeignet ist. Lord Selkirk, selbst einer der größten Teilhaber der Company, hat schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts versucht, im Land am Assiniboine und Red River, dort, wo heute im südlichen Manitoba die Großstadt Winnipeg mit 400000 Einwohnern steht, eine Kolonie aus schottischen Farmern zu gründen. Die HBC hat ihm hierzu ein Gebiet von 280 000 Quadratkilometern zur Verfügung gestellt. Aber diese Ansiedlung macht keine rechten Fortschritte; sie verursacht der Company erhebliche Kosten und viel Ärger. Ihren Hauptzweck, die Versorgung der Trading Posts mit fri30
sehen Lebensmitteln sicherzustellen, vermag sie nicht zu erfüllen. Daher haben damals viele Sachverständige der HBC geglaubt, daß nur ganz geringe Teile ihrer unermeßlichen Ländereien für eine landwirtschaftliche Nutzung in Frage kämen. Die große Company hat in jener Zeit starke Gegner in England selbst. Sie werfen ihr vor, daß sie sich den durch den Charter auferlegten Pflichten entzogen habe, sie klagen sie unehrlicher Geschäftsmethoden an, des Mißbrauchs ihrer Machtstellung und ihrer Herrschaftsrechte. Viele sind auch mißgünstig, weil sie nicht zu den Teilhabern gehören. Das britische Parlament setzt im Jahre 1857 in London eine öffentliche Untersuchung durch einen Ausschuß an. Doch nichts von den Anklagen und Vorwürfen, die erhoben worden sind, erweist sich als gerechtfertigt. Die HBC geht aus den Untersuchungen in allen Ehren hervor und behält ihre sämtlichen Rechte aus der Charter von 1670 ungeschmälert weiter. H B C-Reieh wird kanadisch Aber die Zeiten haben sich geändert. 1867 schließen sich die britischen Kronkolonien am St. Lorenz und an der Atlantik-Küste zum Dominion Kanada zusammen. Auch die Kronkolonie British Columbia am Pazifik tritt hinzu. Dazwischen erstrecken sich die riesigen Waldgebiete und die ungewöhnlich fruchtbaren Prärien, die noch unter der Verwaltung der Company stehen: die Zeit ist reif für eine Besiedlung Kanadas durch den weißen Mann im großen Umfang. 1870 überläßt daher die HBC ihre Hoheitsrechte auf fast alles Land, das ihr nach der Charter unterstellt ist, dem Dominion Kanada zu folgenden Bedingungen: Die Regierung zahlt eine einmalige Summe von 300 000 Pfund Sterling: der zwanzigste Teil in jedem Bezirk der Gebiete, die besiedelt werden sollen, bleibt Eigentum der HBC: das Monopol auf den Pelzhandel verbleibt der Company in vollem Umfang. Diese Regelung bedeutet das Ende eines genau zweihundertjährigen Zeitraums und zugleich den Beginn eines neuen. Die klugen führenden Männer der „Ehrenwerten Gesellschaft" haben die Zeichen der Zeit verstanden. Daher besteht die Company auch in unseren Tagen als eines der größten und bestgegründeten Unternehmen des jungen Staates Kanada weiter. Immer noch weht die alte Kontorflagge. Stolz und hochgeachtet zwischen Atlantik und Pazifik, zwischen den Gro31
ßen Seen und dem Arktischen Meer, flattert sie über mehr als zweihundert Niederlassungen, über Bergwerken, ö l - und Naturgasquellen und Warenhäusern. An die Stelle der gepaddelten Rindenkanus und der Hundeschlitten — sie sind keineswegs ganz aus dem Gebrauch gekommen — aber sind Flugzeuge und Funkverbindung, Eisbrecher und Motorschiffe, raupengetriebene Schlittenzüge und Boote mit Außenbordmotoren getreten. Die Große Company trägt heute ihr Teil dazu bei, neue Gebiete zu erschließen. War einst der amerikanische Westen das Land der Verheißung, so gilt heute Kanadas riesiger Norden als das „goldene Land" der Zukunft. Noch im Jahre 1870 geht Kanada daran, Einwanderer in das Land zu holen, um die weiten, fruchtbaren Gebiete im Süden zu besiedeln. Es hat auch hier keine blutigen Auseinandersetzungen mit den Indianern zu bestehen wie der Nachbar im Süden. Das verdankt es nicht zuletzt der „Honourable Company". Ohne Waffen, ohne jedes militärische Gepränge haben die Pelzhändler ein Reich, annähernd so groß wie ganz Europa, fast unblutig erobert. Vielleicht stünden die Namen der Männer, die dies fertiggebracht haben, heute tief eingegraben in großen Steinmalen, hätten sie bewaffnete Expeditionen gegen Indianer geführt, um ihnen das Land zu entreißen, das sie nicht gutwillig abtreten wollten. Aber sie wollten gar nichts anderes sein als ehrliche, friedfertige Traders. Sie waren auf ihren Nutzen aus, und das war ihr gutes Recht. Aber auch die farbigen Handelspartner waren zu dem ihren gekommen. So hielten und halten es immer noch, bald nun schon dreihundert Jahre, die Gentlemen der Gesellschaft der Ehrenwerten Abenteurer-Kaufleute der Hudson's Bay Company.
Umschlaggestaltung: Karlheinz Dobsky Fotos: Pantenburg, Harrington, Gunter, National Film Board
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IM FALLE EINES FALLES...